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German Pages 200 [167] Year 2013
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Dorothea Sattler
Kirche(n)
Ferdinand Schöningh
Die Autorin: Dorothea Sattler, Dr. theol. habil. ist Professorin für Ökumenische Theologie und Dogmatik und Direktorin des Ökumenischen Instituts der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2013 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart UTB-Band-Nr: 3723 ISBN 978-3-8252-3723-3
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Erfahrungen: Kirche(n) weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Hintergründe: Ekklesiologie als Thema im Studium der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Herausforderungen: (ökumenische) Kontroversen . . . 1.4 Vorentscheidungen: methodische, inhaltliche und begriffliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus . . . . . . . . . 2.1 Hat Jesus eine Kirche gegründet? . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ostern und Pfingsten als theologischer Ursprung kirchlicher Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Kirche und Israel – oder: Ecclesia ab Abel . . . . . . . . . 2.4 Nochmals: Hat Jesus die Kirche gegründet? . . . . . . . .
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die ersten Jahrhunderte des Christentums . . . . . . . . . . 3.2 Die ökumenische Bedeutung des Glaubensbekenntnisses von Konstantinopel . . . . . . . . 3.3 Die vier Wesenseigenschaften der Kirche (notae ecclesiae) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Einheit: Vielfalt in Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . 3.3.2 Heiligkeit: berufen zu einer besonderen Liebe zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Katholizität: Sendung in alle Welt . . . . . . . . . . . 3.3.4 Apostolizität: dem Anfang treu bleiben . . . . . . . 3.4 Wesensbestimmungen – theologische Konzepte und Empirie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen . . . . . . . 4.1 Konfessionelle Geschichtsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Konfessionen in Zahlen und Regionen zugeordnet . . . 4.3 Geschichte der Kirchenspaltungen und ökumenische Annäherungen heute. . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
4.3.1 Orientalisch-orthodoxes Anliegen: Begrifflichkeit in der Christologie . . . . . . . . . . . 4.3.2 Byzantinisch-orthodoxes Anliegen: Hervorgang des Geistes aus Gott Vater . . . . . . . 4.3.3 Reformatorisches Anliegen: kriteriologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . 4.3.4 Gemeinsames Anliegen: Verständigung über das Dienstamt des Bischofs von Rom . . . . . . . . 4.4 Eigenarten des römisch-katholischen Kirchenempfindens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche . . . . . . . . . . . . 5.1 Annäherungen im Beispiel: Die Kirche ist wie ein Haus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Zwischenüberlegung zur Metaphorik (auch) in der Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Vertraute Bilder von der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Volk Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Leib Christi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Tempel des Heiligen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Eine umstrittene Bildrede: Kirche als „Sakrament“. . .
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86 87 88 89 90 91
6. Formen: Sozialgestalten kirchlicher Existenz. . . . . . . . . . . 6.1 Kirche am Wohnort und Kirche am Wahlort . . . . . . . . 6.2 Kirche als Ort der Antwort auf Fragen des Lebens . . .
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Theologische Grundlegung: Zeugnis, Liturgie und Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Zeugnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Leitgedanke aller Grunddienste: Koinonia . . . . . . . . . 7.4 Kirche des Wortes und Kirche der Sakramente . . . . . . 7.5 Ökumenische Kirchenkonzepte in Aufnahme ausgewählter Grunddienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
8. Streitfrage: von Gottes Geist bewirktes Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Konturen der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Biblische Aussagen zu Charisma und Amt . . . . . . . . . 8.3 Grundlinien der Geschichte der kirchlichen Ämter . . . 8.4 Gemeinsames Priestertum aller Getauften und sakramentales kirchliches Amt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Ökumenische Perspektiven in der Lehre vom kirchlichen Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Gegenwärtige Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute. . . . . . . . . . . . . . 9.1 Die Sinnbestimmung der Kirche ist ihr Dienst an der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Biblische Weisungen an kirchlich Handelnde . . . . . . . 9.3 Theologisches Verständnis kirchlicher Mission. . . . . . 9.4 Modelle der kirchlichen Ökumene. . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
PETER-OTTO ULLRICH GEWIDMET
Vorwort „Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“ (Lk 10,23f). In der Jüngerschaft Jesu, der Kirche, ist dies entscheidend wichtig: auf Jesus blicken und hören, was er auch heute zu den Menschen in seiner Nachfolge sagt. Jesus klagt darüber, dass Weisen und Klugen verborgen bleibt, welche göttliche Sendung er im Heiligen Geist erfüllt. Zweiundsiebzig Jünger haben erlebt, dass Geister und Dämonen ihnen gehorchen, wenn sie sich auf Jesus berufen (vgl. Lk 10,17–22). Die Zahl zweiundsiebzig hat Anlass zu vielen Deutungen gegeben: sechs mal zwölf – möglicherweise möchte Lukas in paulinischer Tradition durch diese Zahlensymbolik andeuten, dass es in der Kirche um eine Verbindung der Tradition der zwölf Stämme Israels mit den heidnisch (nicht-jüdisch) religiös geprägten Regionen im Römischen Reich geht. Jedenfalls gibt es viele Jünger Jesu. Die vorliegende Veröffentlichung erinnert an theologische Traditionen in der Rede von der Kirche und achtet dabei – wie im Titel angedeutet – auch die Mehrzahl der Kirchen, die sich selbst als solche bezeichnen. Dies ist eine Herausforderung, der es im ökumenischen Geist zu begegnen gilt. Gibt es eine Kirche oder gibt es viele Kirchen – und wenn, in welchem Sinn? Ist diese Frage vielleicht schon falsch gestellt, wenn sie alternativ erscheint? Auch bei der Veröffentlichung dieses Buches hat mein Mitarbeiter Markus Zingel in bewährter Weise wichtige Dienste getan. Ich suchte und fand in einzelnen Fragen den fachlichen Rat eines Pastoraltheologen: Prof. Dr. Bernd Lutz, St. Augustin / Köln, hat ihn mir bereitwillig gegeben. Prof. Dr. Theodor Schneider, Mainz, mein Lehrer und Wegbegleiter, hat den Text mehrfach Korrektur gelesen, Ergänzungen angeregt und das Register erstellt. Ich danke für diese Dienste, die mich entlastet haben, von Herzen. Ich widme dieses Buch meinem Freund Dr. Peter-Otto Ullrich zum Ende seiner Dienstzeit in der Diözese Mainz. Mit ihm verbinden mich viele Bemühungen um das rechte Verständnis der Kirche in Vergan-
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Vorwort
genheit, Gegenwart und Zukunft. Sein nüchterner Blick auf die Sozialgestalt kirchlicher Existenz hat mich sehr bereichert. Die am Lebensraum der Menschen orientierte Seelsorge ist eines seiner Grundanliegen. In den letzten Jahren waren insbesondere die Erfahrungen bei der Planung und Durchführung mehrerer Kurse des „Ökumenischen Lernfelds“ zusammen mit Verantwortlichen in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau ein willkommener Anlass zur Begegnung. Ihm wünsche ich, dass er zusammen mit seiner Ehefrau Ellen Ullrich die Lebenstage nun so gestalten kann, wie es ihnen beiden entspricht. Ich bin gewiss, dass dabei das Gedächtnis der Schuld der Kirche am jüdischen Volk in der Zeit des Nationalsozialismus – zumal in Deutschland – sein Sinnen zuinnerst bewegen wird. Die Schriftlesung Lk 10,17–24 ist für den 6. Oktober 2012 vorgesehen. Die römisch-katholische Kirche gedenkt an diesem Tag des Lebens des Heiligen Bruno von Köln, des Gründers der Ordensgemeinschaft der Karthäuser. Reformanliegen bewegen diese Menschen, wenn sie sich im Gebet und im Schweigen auf den Ursprung und das Wesen der christlichen Gemeinschaft besinnen. Auch das Sprechen und das Schreiben über die Kirche kann ein Weg sein, das zu tun, was das Tagesevangelium für den 6. Oktober 2012 anmahnt: schauen und hören auf Jesus Christus in Tat und Wort. Münster, am 6. Oktober 2012, am Fest des Heiligen Bruno von Köln Dorothea Sattler
1. Einführung 1.1 Erfahrungen: Kirche(n) weltweit Die Orte, an denen kirchliches Leben zu erfahren ist, sind weltweit vielfältig: In Südkorea versammeln sich Sonntag für Sonntag in lokalen Gemeinden tausende von charismatisch bewegten Christinnen und Christen mit reformiert-evangelischer oder lutherisch-evangelischer Tradition zu einer liturgischen Wortgottesfeier. In Afrika begeben sich Familien tagelang auf einen Fußweg, um einen Priester anzutreffen, der Eucharistie feiert, die Kinder tauft und das Eheversprechen entgegennimmt. In Taizé versammeln sich Jugendliche zum Gespräch, zum Gesang und zu Diensten füreinander. Suppenküchen für die Ärmsten der Armen werden auch heute von der Heilsarmee und den Quäkern in den USA bereitgestellt. Orthodoxe Mönche versammeln sich auf dem Berg Athos mehrmals am Tag zum Stundengebet in einem gottesdienstlichen Raum mit Ikonen, die die Gegenwart der abgebildeten Heiligen wirksam werden lassen. Römischkatholische Frauen beten vor der Eucharistiefeier den Rosenkranz. In Katechesen und im schulischen Religionsunterricht werden Kinder und Jugendliche in vielen Sprachen mit der christlichen Bekenntnistradition vertraut gemacht. Dies alles geschieht im Namen Jesu Christi. Ist diese Vielfalt ein Reichtum? In einem ökumenisch sensiblen Beitrag über die Kirche – über die Kirchen – ist diese Schlüsselfrage nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Es gilt, näher hinzuschauen: Manche Vielfalt in den Zeugnisgestalten der Christinnen und Christen ist eine Bereicherung für die Gemeinschaft all derer, die sich zum Kyrios, zum Herrn Jesus Christus, bekennen und daher Kirche sind. Der Begriff Kirche ist ein Verweiswort: dem Gedächtnis dieses Kyrios dient jede wahre Kirche. Die in Zeit und Geschichte begegnenden Kirchen leben jedoch im Streit über die wahre Gestalt dieses Herrendienstes. Die gelebte Vielfalt kann auch eine Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Sendung Jesu Christi sein. Von frühester Zeit der Ökumenischen Bewegung an gilt daher die Bitte Jesu bei seinem Abschied aus dem irdischen Dasein kurz vor seinem Tod als ein Impuls, in der Vielfalt die Einheit zu suchen. Jesus bittet: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“
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1. Einführung
(Joh 17,21). Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinungsbild der Kirche(n) und der Glaubwürdigkeit des christlichen Gottesbekenntnisses. Viele Christinnen und Christen, die für die Ökumenische Bewegung offen sind, erleben insbesondere die der eigenen Tradition fremden Gebete und Gesänge als einen anregenden Impuls, in unvertrauter Sprache auf das eine Christusbekenntnis zu hören. Die Bereitschaft von Menschen in anderen Konfessionsgemeinschaften, auch unter Gefahren für das eigene Leben ein Zeugnis ihrer österlichen Hoffnung angesichts der Auferweckung Jesu Christi zu geben, bewegt und führt zueinander. Diakonische Einrichtungen arbeiten heute weltweit in enger Kooperation. Die Sorge um die Lebensgrundlagen für künftige Generationen in der Bewahrung der Schöpfung, der Ruf nach Frieden in allen Ländern unter Achtung der Menschenwürde und die Suche nach Gerechtigkeit zwischen Kulturen, Geschlechtern und Generationen – all das verbindet die Kirchen miteinander. Bei aller Erfahrung der Gemeinsamkeiten im Verständnis der christlichen Existenz lassen sich die Unterschiede in der Gestaltung des konkreten kirchlichen Lebens nicht übersehen. Die Differenzen zeigen sich insbesondere in der Ordnung der Dienste und Ämter in den Kirchen: (1) Nach einem langen und bis heute noch nicht einmütig beendeten Ringen haben sich viele der reformatorisch geprägten Landesund Nationalkirchen für die Ordination von Frauen für den Dienst der Verkündigung und die Verwaltung der Sakramente im Pfarrdienst entschieden. Diese Entwicklung, die auch vor dem Hintergrund der veränderten gesellschaftlichen Stellung von Frauen im 20. Jahrhundert zu verstehen ist, begann während des 2. Weltkriegs und damit in Zeiten, in denen es in den Ortsgemeinden an Männern fehlte, die die Dienste eines ordinierten Pfarrers hätten übernehmen können. Exemplarisch wird in diesem Zusammenhang ein Kennzeichen des evangelischen Kirchenverständnisses deutlich: In Notsituationen hat die Sorge um die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte Feier der Sakramente unbedingte Priorität gegenüber bis dahin bestehenden Strukturen in der Ordnung der Ämter. Da die Dienste ordinierter Frauen sich nach Auffassung der evangelischen Landeskirchen bewährten, wurden sie auch nach dem 2. Weltkrieg in vielen Landeskirchen beibehalten. Auch viele der anglikanischen Nationalkirchen und der altkatholischen Bistümer kennen heute die Ordination von Frauen zu Diakoninnen und Pfarrerinnen – einzelne auch zu Bischöfinnen. Innerhalb der reformatorisch geprägten Kirchen gibt
1.2 Hintergründe: Ekklesiologie als Thema im Studium der Theologie
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es in dieser Frage jedoch auch heute noch eine Vielfalt der Meinungen. Die vorgetragenen Argumente haben dabei nicht selten neben theologischen auch kulturelle und mentalitätsgeschichtliche Hintergründe (siehe dazu ausführlicher Kapitel 8.). (2) Offenkundig gibt es in den Kirchen unterschiedliche Formen der Ausübung lehramtlicher Autorität. Am deutlichsten wird dies im Blick auf das Amt des Bischofs von Rom. Als einzige der Konfessionsgemeinschaften spricht die römisch-katholische Kirche dem Papst zu, in Fragen des Glaubens, der Sitten (der Moral) sowie der Disziplin und der Leitung eine rechtliche Autorität beanspruchen zu können, der gegenüber keine Instanz wirksam Einspruch erheben kann (1. Vatikanisches Konzil 1869–70: DH 3064). Der Jurisdiktionsprimat des Papstes hat seinem Anspruch nach in räumlicher wie auch in personaler Hinsicht universale Dimension und betrifft alle Hirten und alle Gläubigen aller Kirchen. Zudem beansprucht der Bischof von Rom die Befugnis, in Fragen des Glaubens und der Sitten unter der Leitung des Heiligen Geistes ein unfehlbares theologisches Urteil „ex cathedra“ (unter Berufung auf seine besondere Amtsautorität) aussprechen zu können (1. Vatikanisches Konzil 1869–70: DH 3074). Einer ökumenisch orientierten Kirchenlehre ist es aufgetragen, die Einwände der nicht-römisch-katholischen Kirchen gegenüber dieser Ausgestaltung des biblischen Petrusdienstes zu präsentieren und die erreichten Verständigungen sowie die offenen Fragen und bestehenden Kontroversen zu thematisieren (siehe dazu Kapitel 4.). Die beiden hier ausgewählten Beobachtungen zu den Unterschieden im Erscheinungsbild und im Selbstverständnis der Kirchen (Frauenordination und Papstamt) führen zu der Erkenntnis, dass nicht alle Konfessionen in jeder Vielfalt in den kirchlichen Institutionen und Strukturen einen Reichtum erkennen können. Es gibt einen legitimen theologischen Streit zwischen den Konfessionen über die wahre Gestalt der sich auf Jesus Christus berufenden Kirche. Die genannten und auch die weiteren ökumenischen Kontroversen sind notwendig Gegenstand der Ekklesiologie, der Lehre von der Kirche. 1.2 Hintergründe: Ekklesiologie als Thema im Studium der Theologie „Die Unterweisung in der heiligen Theologie und in anderen, besonders den historischen Fächern muss auch unter ökumenischem Ge-
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1. Einführung
sichtspunkt geschehen, damit sie um so genauer der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht“ (UR 10). Diese Ermahnung des 2. Vatikanischen Konzils hat in der konkreten Lehre und in vielen Studienordnungen der römisch-katholischen Theologie insbesondere in jenen Regionen, die von der ökumenischen Frage angesichts der konfessionellen Anteile an der Bevölkerung in besonderer Weise betroffen sind, in den zurückliegenden Jahrzehnten vielfach Berücksichtigung gefunden. Im Sinne des letzten Konzils gilt: „Man muss den Geist und die Sinnesart der getrennten Brüder kennen. Dazu bedarf es notwendig des Studiums, das der Wahrheit gemäß und in wohlwollender Gesinnung durchzuführen ist“ (UR 9). Kenntnisse über die spezifischen Kirchenverständnisse der Konfessionen gelten als eine wichtige Voraussetzung für eine aussichtsreiche ökumenische Kooperation in der gemeinsamen Mission, der kirchlichen Sendung zur Verkündigung des einen Evangeliums. Themenaspekte der Ekklesiologie werden in jeder theologischen Disziplin im gesamten Studium der Theologie behandelt. Wie auch für andere Bereiche – beispielsweise die Erlösungslehre (Soteriologie) oder die Vollendungslehre (Eschatologie) – gilt, dass sich die Ekklesiologie als eine durchgängige Perspektive in allen Fächern der Theologie verstehen lässt. Die biblischen Wissenschaften fragen nach dem Zusammenhang zwischen der Offenbarung Gottes in der Geschichte Israels und der Bezeugung des Gottesnamens JHWH: Gott ist der, der sich als treu, verlässlich und voller Erbarmen in sowie an seinem Bundesvolk erweisen wird. Die Hinordnung auf eine Glaubensgemeinschaft ist dem jüdisch-christlichen Gottesbekenntnis eigen. In der neutestamentlichen Exegese ist das Thema der Ekklesiogenese (Werdeprozess der Kirche) stets präsent: Wie lässt sich der Prozess der Kirchenbildung in der Nachfolge Jesu beschreiben? Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Erscheinungen des auferweckten Christus und das Pfingstereignis? Welche Lebensund Feierformen gab es in den frühen paulinischen Gemeinden und welche Dienste haben sich aus welchen Gründen später herausgebildet? Die Disziplin der Kirchengeschichte trägt den hier zu behandelnden Begriff bereits im Titel; dabei zeichnet sich seit geraumer Zeit ein Interesse daran ab, bei der theologischen Geschichtsschreibung nicht vorrangig die kirchliche Institution in ihren Veränderungen in den Blick zu nehmen, sondern die Sozialgestalten des Christseins stärker zu beachten. Die mit Fragen der Individual- oder Sozialethik befassten Fächer der Theologie fragen nach der Begründung der kirchlichen Lehrtraditionen im Blick auf das rechte menschliche Le-
1.2 Hintergründe: Ekklesiologie als Thema im Studium der Theologie
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ben in Gemeinschaft. Unter den praktisch-theologischen Disziplinen sind die Kirchenrechtslehre, die Liturgiewissenschaft und die Pastoraltheologie nur im Kontext der fachspezifischen Reflexionen auf den Handlungsraum Kirche zu verstehen. Die explizite Behandlung der Lehre von der Kirche ist innerhalb der Systematischen Theologie heute sowohl der Fundamentaltheologie als auch der Dogmatik aufgetragen. Gemäß der klassischen Arbeitsteilung zwischen diesen Fächern, die inzwischen vielfach kritisch kommentiert wird, war es die Aufgabe der Fundamentaltheologie, in der „demonstratio catholica“ am Ende einer längeren Gedankenfolge den argumentativen Nachweis für die Rechtmäßigkeit des Anspruchs der römisch-katholischen Kirche zu erbringen, die einzige wahre Kirche in der Nachfolge Jesu Christi zu sein. Dies geschah im Anschluss an die „demonstratio religiosa“ (Nachweis der dem Menschen als Schöpfungsgabe eigenen religiösen Suche nach der Wahrheit) und die „demonstratio christiana“ (Nachweis der rationalen Begründung der Annahme, Gott habe sich in Jesus Christus in endgültiger Weise in Zeit und Geschichte geoffenbart). In dem Maße, wie sich die Fundamentaltheologie von dieser ihr auferlegten apologetischen Zielsetzung löste und sich für einen offenen Diskurs mit philosophischen, religionswissenschaftlichen sowie humanwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen öffnete, kam der Dogmatik zunehmend die Aufgabe zu, die Ekklesiologie in die Liste der zu behandelnden Traktate aufzunehmen. Erforderlich erschien dabei in wachsendem Maße, das Wesen der Kirche mit seiner theologischen Sinngebung zu bestimmen. In der Geschichte der Dogmatik ist die Ekklesiologie eine späte Erscheinung, deren Aufkommen in signifikanter Weise mit Kontroversen verbunden ist: Während im Altertum und im frühen Mittelalter christologisch-soteriologische sowie sakramententheologische Themen die vorrangigen Streitfragen waren, die zur Ausbildung eigener Lehrtraditionen führten, kam es erst nach der Kirchenspaltung zwischen dem Osten und dem Westen (1054 n. Chr.) zu ersten Ansätzen einer ekklesiologischen Reflexion. Im Westen trugen die Konflikte zwischen den konkurrierenden Ansprüchen der weltlichen Macht (Kaiser) und der kirchlichen Obrigkeit (Papst) im hohen Mittelalter dazu bei, dass erste zusammenhängende Abhandlungen über das Wesen der Kirche geschrieben wurden. Die Herausbildung eines eigenen Lehrstücks über die Kirche verdankt sich im Westen vor allem der Reformation und der frühen Kontroverstheologie: In der Auseinandersetzung um die wahre Gestalt der Nachfolge Jesu Christi
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1. Einführung
waren Fragen nach den Kirchenstrukturen von Beginn an relevant. Die als ein eigenes Lehrstück herausgebildete Ekklesiologie ist somit ein spätes Ergebnis der Streitkultur zwischen Kirche und Staat sowie unter Christinnen und Christen. Es erscheint daher angemessen, sie auch in dieser Studie in den Kontext der Ökumene heute unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen zu stellen. Das heutige Studiensystem bevorzugt Formen des Lernens in Modulen, das heißt in größeren thematischen Zusammenhängen, die von unterschiedlichen Disziplinen beschrieben werden. Die Lehre von der Kirche bietet sich für ein solches Vorgehen an. Dabei genügt es allerdings nicht, allein die zahlreichen theologischen Fächer mit ihrer jeweiligen Expertise über das Kirchesein der Kirche zu berücksichtigen. Zu Fragen der Ekklesiologie äußern sich heute auch Historikerinnen und Historiker, Psychologinnen und Psychologen, Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler sowie Kommunikations- und Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. In dieser Publikation kann ich nur am Rande auf solche Anschlussfragen hinweisen und dazu anregen, im Eigenstudium weitere Bezüge zu entdecken. Aus Sicht der Ökumenischen Theologie wäre sehr zu wünschen, dass in höherem Maße Publikationen erscheinen, in denen Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Konfessionsgemeinschaften im Gespräch miteinander zu einem Thema schreiben. Um dieses Anliegen zu realisieren, bedarf es einer institutionellen Unterstützung – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Förderung ökumenischer Studien an den Universitäten. Im angelsächsischen und amerikanischen Raum sind Studieneinrichtungen, an denen Angehörige unterschiedlicher Konfessionen und Religionen miteinander und voneinander lernen, weit verbreitet. 1.3 Herausforderungen: (ökumenische) Kontroversen Wer ist Kirche „im eigentlichen Sinn“? Diese Frage wird heute vielfach in der Theologie gestellt, nachdem die Erklärung „Dominus Iesus“ der Kongregation für die Glaubenslehre „Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“ vom 6. August 2000 diese Begrifflichkeit verwendete, um Unterscheidungen zwischen drei Formen von Kirchesein zu treffen. Demnach gibt es (1) „eine einzige Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiert und vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft
1.3 Herausforderungen: (ökumenische) Kontroversen 1
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mit ihm geleitet wird“ ; sodann gibt es (2) „Kirchen, die zwar nicht in vollkommener Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, aber durch engste Bande, wie die apostolische Sukzession und die gültige Eucharistie, mit ihr verbunden bleiben“2. Diese Kirchen sind „echte Teilkirchen. Deshalb ist die Kirche Christi auch in diesen Kirchen gegenwärtig und wirksam, obwohl ihnen die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche fehlt, insofern sie die katholische Lehre vom Primat nicht annehmen, den der Bischof von Rom nach Gottes Willen objektiv innehat und über die ganze Kirche ausübt“3. Schließlich gibt es (3) die „kirchlichen Gemeinschaften (…), die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben“4; diese sind „nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“5. Konkret sind mit der Beschreibung unter (3) die aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften gemeint; unter (2) sind die orthodoxen Patriarchate zu verstehen; unter (1) unterstreicht die römisch-katholische Kirche ihren Selbstanspruch, Kirche „im eigentlichen Sinn“ zu sein. Die Sichtweise der römisch-katholischen Kirche bezüglich der orthodoxen Patriarchate lässt sich der auf das Datum vom 30. Juni 2000, dem Hochfest des heiligsten Herzens Jesu, von der Kongregation für die Glaubenslehre datierten „Note über den Ausdruck ‚Schwesterkirchen‘“6 entnehmen, in der zwischen einer theologisch richtigen und einer verfehlten Weise der Verwendung dieses Begriffs unterschieden wird. Im Anschluss an Hinweise auf die Geschichte dieser Terminologie und an eine ausführliche Dokumentation der sachlich angemessenen Rede von den „Schwesterkirchen“ in den Texten des 2. Vatikanischen Konzils und in Verlautbarungen von Johannes Paul II. wird eine Differenzierung vorgenommen: „Im eigentlichen Sinn sind Schwesterkirchen ausschließlich Teilkirchen (oder Teilkirchenverbände, wie etwa Patriarchate oder Kirchenprovinzen) untereinander. Es muss immer klar bleiben, auch wenn der Ausdruck Schwesterkirchen in diesem richtigen Sinn verwendet wird, dass die universale, eine, heilige, katholische und apostolische Kirche nicht Schwester, sondern Mutter aller Teilkirchen ist“7. Die Glaubenskongregation betont, dass es auch „im Zusammenhang mit katholischen und nicht katholischen Teilkirchen“ möglich ist, von Schwesterkirchen zu sprechen, wenn dabei die „Teilkirche von Rom“ gemeint sei, jedoch „kann man richtigerweise nicht sagen, dass die katholische Kirche Schwester einer Kirche oder eines Teilkirchenverbandes ist. Es handelt sich dabei nicht nur um eine terminologische
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1. Einführung
Frage, vielmehr geht es darum, eine grundlegende Wahrheit des katholischen Glaubens zu beachten: die Wahrheit von der Einzigkeit der Kirche Jesu Christi. Es gibt nur eine einzige Kirche, darum ist der Plural Kirchen nur auf die Teilkirchen anwendbar“8. Neben der Verteidigung der Singularität der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche intendiert die Note der Glaubenskongregation eine Klärung der Frage, wer sich nach ihrer Auffassung zu den Schwesterkirchen zählen darf; zu beachten sei nämlich auch, „dass der Ausdruck Schwesterkirchen im richtigen Sinn gemäß der gemeinsamen Tradition von Abendland und Orient ausschließlich auf jene kirchlichen Gemeinschaften angewandt werden kann, die den gültigen Episkopat und die gültige Eucharistie bewahrt haben“9. Offenkundig entspricht es der gegenwärtigen römisch-katholischen Auslegung der Lehre durch die Glaubenskongregation, bei der Bestimmung der Kriterien für das Kirchesein die amtlich-institutionellen Aspekte (Primat des Bischofs von Rom; apostolische Sukzession im Amt) als die primären Differenzmerkmale zu betrachten. Die Wahrnehmung, dass in „Dominus Iesus“ ausschließlich auf dieser Ebene argumentiert wird, hat Anfragen und auch Widerspruch innerhalb der römisch-katholischen Rezeption dieser Erklärung bewirkt. So merkte beispielsweise Medard Kehl an, dass sich darin das Augenmerk ausschließlich auf die einzig in der römisch-katholischen Kirche erreichte Vollständigkeit aller ekklesialen Strukturelemente richte, während die vom 2. Vatikanischen Konzil vorgetragene Argumentation zwischen der sakramental-institutionellen Katholizität, die (am ehesten) in der römisch-katholischen Kirche sichtbar werde, und der damit keineswegs zugleich auch erreichten existentiell erfahrbaren Wirksamkeit der Fülle der Katholizität unterscheide.10 Anders gesagt: Auch wenn in der römisch-katholischen Kirche alle Anlagen bereitstehen, die ein(zig)e Kirche Jesu Christi zu sein, so zeige doch ihr Leben, dass die wahre Katholizität der Kirche nicht ohne die Gemeinschaft mit allen Getauften zu einer wirksamen Darstellung kommen könne. Das 2. Vatikanische Konzil formuliert diese Einsicht in folgender Weise: „Obgleich (...) die katholische Kirche mit dem ganzen Reichtum der von Gott geoffenbarten Wahrheit und der Gnadenmittel beschenkt ist, ist es doch Tatsache, dass ihre Glieder nicht mit der entsprechenden Glut daraus leben, so dass das Antlitz der Kirche den von uns getrennten Brüdern und der ganzen Welt nicht recht aufleuchtet und das Wachstum des Reiches Gottes verzögert wird. Deshalb müssen alle Katholiken zur christlichen Vollkommenheit streben und, ihrer jeweiligen Stellung entsprechend, bemüht sein,
1.3 Herausforderungen: (ökumenische) Kontroversen
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dass die Kirche, die die Niedrigkeit und das Todesleiden Christi an ihrem Leibe trägt, von Tag zu Tag geläutert und erneuert werde, bis Christus sie sich dereinst glorreich darstellt, ohne Makel und Runzeln. (...) Aber gerade die Spaltungen der Christen sind für die Kirche ein Hindernis, dass sie die ihr eigene Fülle der Katholizität in jenen Söhnen wirksam werden lässt, die ihr zwar durch die Taufe zugehören, aber von ihrer völligen Gemeinschaft getrennt sind: Ja, es wird dadurch auch für die Kirche selber schwieriger, die Fülle der Katholizität unter jedem Aspekt in der Wirklichkeit des Lebens auszuprägen“ (UR 4). Vielfach stellt sich in jüngerer Zeit die Frage, welche der vielfältigen Aspekte der Ekklesiologie des 2. Vatikanischen Konzils die heutige römisch-katholische Lehrverkündigung bestimmen. Diesbezügliche Beobachtungen haben immer auch ökumenische Relevanz. Lange Zeit ist die Tatsache, dass dieses Konzil – anders als in den Vorentwürfen vorgesehen – nicht mehr formuliert hat, dass die in Zeit und Geschichte erfahrbare Kirche die im Glaubensbekenntnis gemeine Kirche „ist“ (est), diese vielmehr (nur) in ihr „subsistiert“ (subsistit in) (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr. 8), als eine Öffnungsklausel verstanden worden . In jüngerer Zeit ist die Auslegung insbesondere dieser Passage der Kirchenkonstitution kontrovers: Könnte es sein, dass das Konzil mit der Wahl dieser Begrifflichkeit die Annahme einer Identität zwischen der Kirche und der römisch-katholischen Kirche noch verstärken wollte? Manches spricht dafür, in der Lehre von der Kirche den Grunddissens zwischen der römisch-katholischen und der reformatorischen Theologie zu sehen. Zugleich gibt es zahlreiche Bemühungen in ökumenischen Dialogen, genau diesen kontroversen Fragen nachzugehen und die Möglichkeiten zu einer Verständigung zu sichten. Hochrangig besetzte Kommissionen haben in langjährigen, intensiven Arbeitsprozessen bemerkenswerte Ergebnisse in dieser Hinsicht erzielt; nur wenige finden jedoch bisher Beachtung in den einschlägigen kirchenamtlichen Verlautbarungen. So hat die römisch-katholische Kirche zusammen mit dem Lutherischen Weltbund am 31. Oktober 1999 in Augsburg die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ unterzeichnet, in der es heißt, dass „die Lehre von der Rechtfertigung (…) nicht nur ein Teilstück der christlichen Glaubenslehre [ist]. Sie steht in einem wesenhaften Bezug zu allen Glaubenswahrheiten, die miteinander in einem inneren Zusammenhang zu sehen sind. Sie ist ein unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will“11 (siehe Kapitel 4.). Was folgt
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1. Einführung
daraus? Wäre es angesichts dieser erreichten Konvergenz nun nicht erforderlich, eine Kirchenlehre zu entwerfen, die die institutionellen Strukturen kirchlicher Existenz unter Einbezug inhaltlicher, materialer Gehalte kritisch prüft? Entsprechende Wege sind in der Ekklesiologie noch wenig begangen. Dies kann jedoch nicht daran hindern, es zu tun. 1.4 Vorentscheidungen: methodische, inhaltliche und begriffliche Diese Überlegungen zur Einführung sollen einen ersten Einblick in die Vorentscheidungen geben, die ich für dieses Studienbuch zur Ekklesiologie getroffen habe: (1) Ich betrachte alle Fragen der Ekklesiologie konsequent in ihrem ökumenischen Kontext. Dies entspricht der römisch-katholischen theologischen Überzeugung, die Suche nach einer Gestalt der Einheit, die auch auf der institutionellen Ebene sichtbar ist, nicht aufzugeben. Wer ein solches Anliegen hat, muss bei jeder Thematik auch die mögliche Gegenrede der anderen Konfessionsgemeinschaften bedenken. Diese Grundentscheidung bringt es mit sich, dass in Auswahl auch Quellentexte aus der nicht-römisch-katholischen Tradition herangezogen werden, um die Darstellung der konfessionellen Positionen möglichst authentisch zu Wort kommen zu lassen. (2) Es entspricht einer ökumenischen Ekklesiologie, der Frage nachzugehen, welche Konkretisierungen angesichts der kriteriologischen Funktion der Rechtfertigungslehre für die gesamte Lehre und Praxis der Kirche im Sinne der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 möglich sind. Ein entsprechender Versuch wird soteriologisch ausgerichtet sein müssen: In der Lehre von der Kirche gilt es zu beachten, dass die von Gott bereitete Erlösung der Schöpfung aus den Fängen der Sünde und des Todes der Grund des christlichen Bekenntnisses ist, dessen Glaubwürdigkeit von der Gestalt der Gemeinschaft abhängig ist, die ihr Sein als Dienst des Zeugnisses für Jesus Christus versteht. (3) Jede römisch-katholische Ekklesiologie hat biblisch orientiert zu sein. Unter den Vorzeichen der Ökumene bekommt die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Tradition in den Kontroversfragen nochmals eigene Bedeutung. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Analyse der mit Hilfe der exegetischen Methoden zu rekonstruierenden Genese kirchlicher Existenzformen für die Gel-
1.4 Vorentscheidungen: methodische, inhaltliche und begriffliche
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tung derselben hat. Sind beispielsweise immer die späteren Formen der Ämter diejenigen, die auf Zukunft hin verbindlich sind, weil sie sich von früher Zeit an bewährt haben? Oder bedarf es immer wieder der Erinnerung an den charismatischen Ursprung der christlichen Bekenntnisgemeinschaft? Bereits der Erkenntnisgewinn über die Geschichte der Kirche in der biblischen Epoche ist von konfessionellen Interessen mitbestimmt. Vor diesem Hintergrund ist in dieser Studie kaum mehr zu leisten als ein erster Einblick in die Diskussionslage. Dabei soll auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Begriff der Kirche zwar sprachgeschichtlich mit der Rede von Jesus Christus als dem Kyrios verbunden ist, das griechische Kyrios jedoch als Übersetzung des hebräischen Adonai auf den alttestamentlich überlieferten Gottesnamen JHWH verweist. Bereits solche Beobachtungen legen es nahe, die biblische Begründung der Kirche nicht allein neutestamentlich vorzunehmen. Die neutestamentliche Kirche übernimmt Merkmale der alttestamentlich bezeugten jüdischen Tradition auch auf der institutionellen Ebene. (4) Es entspricht einer ökumenischen Ekklesiologie, phänomenologisch offen zu sein; sie tritt im Ansatz deskriptiv und nicht normativ an die Wirklichkeit heran. In der ökumenischen Hermeneutik insbesondere bei den Ämterlehren wird das Votum formuliert, auch „via empirica“ – auf dem Weg der Erfahrung – Einsichten zu gewinnen.12 Wäre es theologisch nicht möglich, Ämter, die sich geistlich bewährt haben, in einem geistlichen Urteil als vom Heiligen Geist begründet zu erklären? Diese Frage stellt Walter Kasper13 im Kontext der ökumenischen Kontroverse um die Frage der apostolischen Sukzession. Die empirische Sozialforschung hat die Kirche(n) lange schon als einen interessanten Bereich entdeckt. Die Frage, welche Erkenntnisse aus solchen Analysen zu gewinnen sind, wird unterschiedlich beantwortet: Die einen weisen darauf hin, dass auch ein mit den Mitteln der Empirie erzielter Forschungsertrag nicht interesselos konzipiert wird; die anderen erachten eine stärkere Ausrichtung an den Fakten beispielsweise in der Analyse kirchennaher oder kirchenferner Milieus für unabdingbar. (5) Leitende Perspektiven gewinnt die neuere römisch-katholische Ekklesiologie aus den Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils (1962– 65). In jüngerer Zeit ist das Erfordernis immer stärker hervorgetreten, an dieses Ereignis wirksam zu erinnern und wichtige Anliegen der Dokumente erneut bewusst werden zu lassen. Im Blick auf das römisch-katholische Kirchenverständnis hat dieses Konzil wichtige Akzente gesetzt, die für die Zukunft von hoher Bedeutung sind: Der
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1. Einführung
Blick der Konzilsversammlung richtet sich auf die Welt von heute, die bestimmt ist von den Zeichen der gegenwärtigen Zeit: Suche nach Freiheit und Autonomie auch in Fragen der Religion; Bestreben, die liturgischen Handlungen ihrem Sinn nach zu verstehen; Achtung der Offenbarung Gottes in der gesamten Schöpfung – auch außerhalb der Grenzen der verfassten römisch-katholischen Kirche. Von diesen Herausforderungen ausgehend, sind die Aufgaben der Kirche neu zu bestimmen. Der Taufe wird in ekklesialer Hinsicht große Aufmerksamkeit geschenkt. Alle Dienste in der Kirche sind der Verkündigung des Evangeliums zugeordnet. Das Konzil kann somit als Grundlegung einer Ekklesiologie gelten, die mit großer Achtung vor dem Wirken Gottes in seinem Heiligen Geist die Grenzen der Kirche nicht eng zieht. (6) Bei der Suche nach Partnerschaften wähle ich in der vorliegenden Studie die Nähe zur Praktischen Theologie. Die Disziplinen dieser Fächergruppe (Liturgiewissenschaft, Pastoraltheologie, Kirchenrecht, Religionspädagogik) sind mit der Reflexion der Handlungsformen im Raum der Kirchen befasst. Wer das Sein der Kirche als Dienst an der Verkündigung Jesu Christi versteht, wird dem Geschehen, dem Handeln, einen großen Stellenwert einräumen. (7) Begrifflich unterscheide ich zwischen der Kirche (ihr Wesen im Sinne des Glaubensbekenntnisses: die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche) und den Kirchen (das Erscheinungsbild, die konfessionell geprägte Kirchenwirklichkeit in Achtung der Selbstbezeichnung der besprochenen kirchlichen Gemeinschaften). Das als Titel gewählte und in einzelnen Zusammenhängen verwendete Kunstwort Kirche(n) erinnert beständig an die offene Frage: Darf nur eine der historisch gewordenen, in Zeit und Geschichte konkret existierenden Kirchentümer für sich beanspruchen, Kirche im eigentlichen Sinn zu sein?
Literatur Medard Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 42001. Jürgen Werbick, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg – Basel – Wien 1994. Friederike Nüssel / Dorothea Sattler, Einführung in die ökumenische Theologie, Darmstadt 2008.
Eine theologische Studie über die Kirche(n) lässt sich in unterschiedlicher Weise gliedern. Viele Einzelthemen sind zu behandeln. Im Fortgang wähle ich zunächst eine chronologische Folge der Gedanken von den Anfängen der Kirche(n) in ihrer Hinordnung auf Jesus Christus bis zu den Anforderungen an das Kirchesein heute angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen. Bereits die Frage, ob das Neue Testament die Einheit der Kirche oder die Vielfalt der Kirchen begründet, ist eine viel besprochene Kontroverse.
2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus 2.1 Hat Jesus eine Kirche gegründet? Es gibt Fragen, die einfach gestellt und nur schwer zu beantworten sind. Die in der Überschrift formulierte gehört zu diesen Fragen. Sehr voraussetzungsreich ist jedes Wagnis einer Positionierung in dieser Thematik angesichts der Entwicklungen in der Leben-Jesu-Forschung ab dem 18. Jahrhundert und spätestens seit den Erkenntnissen der biblischen Hermeneutik mit der Methodik der historisch-kritischen Schriftexegese seit Ende des 19. Jahrhunderts. Es zeigte sich: Alle neutestamentlich überlieferten Zeugnisse über das Leben Jesu verfolgen eine theologische Intention und dürfen nicht als historische Berichte missverstanden werden. Hat Jesus eine Kirche gegründet? Drei der in dieser Frage vorkommenden fünf Worte ziehen Nachfragen auf sich. Jesus – wer wollte schon nach den immer noch anhaltenden Kontroversen um die Rekonstruktion des Lebens des irdischen Jesus behaupten, Einblick in seine Anliegen bei der Kirchengründung zu haben? Eine Kirche – konnte Jesus angesichts der Ablehnung seiner Botschaft je ahnen, dass es eine Glaubensgemeinschaft geben wird, die ihn als den Kyrios, den Herrn, bekennt? Gegründet – ein Stiftungsgeschehen setzt Intentionalität voraus; ist anzunehmen, dass das Wissen Jesu über seine Sendung und sein Selbstbewusstsein so ausgeprägt waren, dass er eine präzise Vorstellung von der künftigen institutionellen Gestalt der Glaubensgemeinschaft hatte, die sich auf seinen Namen beruft?
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
Wer so fragt, wie es hier angedeutet ist, meldet Zweifel an manchen Selbstverständlichkeiten an, die etwa in Kirchenliedern beansprucht werden: „Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land, aus ewgem Stein erbauet von Gottes Meisterhand“1. Und: „Die Kirche ist erbauet auf Jesus Christ allein“2. Auch wenn sich solche Liedverse auch als eine ermahnende Erinnerung an die wahre Begründung kirchlicher Existenz im göttlichen Handeln und gerade nicht im menschlichen Planen singen lassen, so bestärken sie doch in der Versuchung, unkritisch mit der Frage nach der göttlichen Stiftung der Kirche – gar in einer bestimmten konfessionellen Prägung – umzugehen. Die mit den Methoden historischer Forschung erfolgende Rekonstruktion des Lebens Jesu ist vielen Menschen noch immer bereits dem Ansatz nach unvertraut. Umso schwieriger ist es, in diesem Zusammenhang ein Gespräch außerhalb eines theologischen Zirkels zu führen. Die im Ergebnis offenen Aspekte werden in den Deutungen oft jedoch auch im Fachdiskurs in einer Form interpretiert, bei der die Gefahr einer konfessionell eng geführten Perspektive nicht ausgeschlossen ist. Dabei gibt es auch im reformatorisch geprägten Christentum evangelikale Strömungen, die den Wortlaut der biblischen Zeugnisse als Quelle historischer Erkenntnisse sowie als jesuanisch autorisierte Handlungsanweisungen (miss-)verstehen. In der Geschichte der römisch-katholischen Theologie im 20. Jahrhundert hat ein Gedanke von Alfred Loisy (+ 1940) eine große Wirkungsgeschichte entfaltet: „Jesus verkündigte die Königsherrschaft Gottes, gekommen ist die Kirche“3. Anders als eine vordergründige Interpretation dieses viel zitierten Satzes nahelegt, dachte Loisy keineswegs daran, den konstatierten Unterschied zwischen dem Gehalt der Botschaft Jesu und der nach seinem Tod eintretenden Konsolidierung der christlichen Gemeinschaft zu kritisieren. Loisy wollte lediglich darauf aufmerksam machen, dass in der Mitte der Botschaft Jesu die Nähe des bereits angebrochenen Reiches Gottes stand und eine längere – gar Jahrtausende dauernde – Zeit einer sich zunehmend institutionell etablierenden Kirchenorganisation nicht von ihm vorausgeschaut werden konnte. Diese Erkenntnis, bei der sich Loisy auf eine bibeltheologisch gesicherte Konvergenz in der französischen und deutschen Theologie an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert berufen konnte, musste jedoch nicht bedeuten, dass die späteren Entwicklungen im Widerspruch zu den Anliegen Jesu standen. Gleichwohl löste die Annahme einer Differenz zwischen der Selbstsicht des irdischen Jesus bei seiner Sendung und der nachösterlichen Entstehung von Kirchenstrukturen eine heftige Erschütterung bis dahin
2.1 Hat Jesus eine Kirche gegründet?
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vertretener Positionen aus. Das römisch-katholische Lehramt reagierte in dieser Situation mit Maßnahmen zur Disziplinierung der Theologenzunft. Zu den Irrtümern, die die „Modernisten“ verteidigten und daher abzulehnen seien, zählt das Dekret „Lamentabili“ von 1907 folgende These: „Es war der Absicht Christi fremd, die Kirche als eine Gemeinschaft zu gründen, die auf Erden eine lange Reihe von Jahrhunderten dauern werde; ja, Christus war sogar der Meinung, das Himmelreich werde zugleich mit dem Ende der Welt alsbald anbrechen“ (DH 3452). Im Rahmen des Antimodernisteneids mussten seit 1910 bis 1967 alle Personen vor der Ordination schwören: „Ebenso glaube ich mit festem Glauben, dass die Kirche, die Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, durch den wahren und geschichtlichen Christus selbst, als er bei uns lebte, unmittelbar und direkt eingesetzt und dass sie auf Petrus, den Fürsten der apostolischen Hierarchie, und seine Nachfolger in Ewigkeit erbaut wurde“ (DH 3540). Dieser Eid war bei jeder Übernahme eines römisch-katholischen kirchlichen Amtes erneut abzulegen. In der Zeit bis zum 2. Vatikanischen Konzil haben sich Theologen trotz drohender Sanktionen weiterhin um eine überzeugende Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen der Verkündigung Jesu und der Entstehung der Kirche bemüht. In der Kirchenkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils heißt es in der Sache sehr zurückhaltend: „Das Geheimnis der heiligen Kirche wird in ihrer Gründung offenbar. Denn der Herr Jesus machte den Anfang seiner Kirche, indem er die frohe Botschaft verkündigte, die Ankunft nämlich des Reiches Gottes, das von alters her in den Schriften verheißen war“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr. 5). Die Verkündigung des Reiches Gottes durch Jesus und die Entstehung der Kirche werden in einen Zusammenhang gestellt, bei dem der chronologische Aspekt von Anfang und Folge vorherrschend ist. Zudem geschieht im Konzilstext eine Rückbesinnung auf die Verkündigung des Reiches Gottes bereits vor Jesus. Die Gründung der Kirche durch Jesus wird im Horizont seiner Verkündigung des Reiches Gottes betrachtet und als ein Geschehen nach Ostern und Pfingsten bezeichnet, das von eschatologischer Bedeutung ist: „Als (…) Jesus nach seinem für die Menschen erlittenen Kreuzestod auferstanden war, ist er als der Herr, der Gesalbte und als der zum Priester auf immerdar Bestellte erschienen (vgl. Apg 2,36; Hebr 5,6; 7,17–21) und hat den vom Vater verheißenen Geist auf die Jünger ausgegossen (vgl. Apg 2,33). Von daher empfängt die Kirche, die mit den Gaben ihres Stifters ausgestattet ist und seine Gebote der Liebe, der Demut und der
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
Selbstverleugnung treulich hält, die Sendung, das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen. So stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar. Während sie allmählich wächst, streckt sie sich verlangend aus nach dem vollendeten Reich; mit allen Kräften hofft und sehnt sie sich danach, mit ihrem König in Herrlichkeit vereint zu werden“ (LG 5). Die hier angesprochene Differenz zwischen der gegenwärtigen geschichtlichen Wirklichkeit der Kirche und der zukünftigen Gestalt ihrer Vollendung lässt sich in ökumenischer Offenheit als ein eschatologischer Vorbehalt deuten: Auch die römisch-katholische Kirche weiß darum, dass mit ihr (allein) das bereits angebrochene und stets nahe Reich Gottes noch nicht vollendet ist. Neben der in der nachösterlichen Zeit fortgeführten Verkündigung des Reiches Gottes gibt es weitere Merkmale der Lebensweise Jesu, die in jeder Zeit Bedeutung behalten: die Zuwendung Jesu zu den Armen und Kranken; die Mahlgemeinschaft Jesu mit Menschen am Rand der Gesellschaft; der Ruf in eine personal begründete Nachfolge; die Liebe selbst zu den Feinden; die Rückbindung der Gebote, der Tora, an die grundlegende Weisung der Gottes- und Nächstenliebe. Die neutestamentlich überlieferten Erzählungen von dieser Lebensweise Jesu wurden vor dem Hintergrund des Erlebens, dass Gott Jesus aus dem Reich des Todes errettet hat, aufgeschrieben. Das Gedächtnis Jesu zu bewahren, war die Aufgabe der Gemeinschaft derer, die mit seinem Leben vertraut waren. Daher ist der Ursprung des Christentums ein zutiefst soziales Geschehen, das an Ostern zu seiner Identität findet. Der theologische Stellenwert der kirchlichen Existenzweise des Christentums steigt durch die Annahme, dass nicht etwa der irdische Jesus die weiteren Entwicklungen geplant hat, vielmehr die österliche und die pfingstliche Erfahrung in Gemeinschaft jenes Gedächtnis Jesu bewirkt hat, das bis heute der Grund der Kirche(n) ist. 2.2 Ostern und Pfingsten als theologischer Ursprung kirchlicher Existenz Zur Gewissheit, dass Jesus lebt und damit die Grundanliegen seiner Verkündigung von Gott selbst als autorisiert gelten können, haben die Zeuginnen und Zeugen in Gemeinschaft gefunden. Die synoptischen und johanneischen Erzählungen von den Erscheinungen des Auferweckten stimmen mit der frühen paulinischen Texttradition darin
2.2 Ostern und Pfingsten
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überein, dass ein Begegnungsgeschehen, eine Erscheinung des lebendigen Jesus Christus, zum Osterglauben führte. Da die Erzählungen von den Erscheinungen wie alle Evangelientexte der nachösterlichen Verkündigung dienen wollen und nicht als Protokolle historischer Ereignisse missverstanden werden dürfen, ist es nicht erstaunlich, dass sich die Textaussagen in vielerlei Hinsicht nicht harmonisieren lassen (vor allem im Blick auf die Frage der Ersterscheinung, der Protophanie, und bezüglich der Bedeutung von Frauengestalten bzw. der Apostel im Geschehen der Erscheinungen des auferweckten Jesus). Gemeinsam ist den Erzählungen, dass die österliche Erkenntnis nicht zwingend war, vielmehr vertrauenden Glauben und die Bereitschaft zur erinnernden Vergegenwärtigung des vorösterlichen Jesus voraussetzte. Die Adressaten der Evangelien sollten auf diese Weise ermutigt werden, ihre eigenen Möglichkeiten zu erkennen und zu ergreifen, trotz der begrenzten kurzen Zeitspanne der Erscheinungen (nach der Konzeption des Lukas bis zur Himmelfahrt Jesu Christi) zum Osterglauben zu finden: Die Emmaus-Jünger erkennen Jesus bei der Wortverkündigung und beim Brotbrechen; Thomas kommt durch die Vergegenwärtigung der Leidensgeschichte Jesu zum Glauben. In den Erzählungen spiegeln sich Formen des Gedächtnisses Jesu in den jungen christlichen Gemeinden. Neben der Wiedererkennungsthematik ist als zweites das Sendungs- und Beauftragungsmotiv in vielen Erzählungen zu finden: An die Osterzeuginnen und -zeugen ergeht der Auftrag, das Erlebte anderen zu verkündigen. Der Sinn der christlichen Gemeindebildung liegt im Zeugnis für den auferweckten Jesus Christus begründet. Niemand kann allein zur religiösen Gewissheit finden: Glauben bedeutet, einer Deutung von Geschehnissen treu zu folgen, die in einer Gesinnungsgemeinschaft gewagt, gelebt und verkündigt wird. Es ist nicht zufällig so, dass es aus Sicht der neutestamentlichen Autoren angemessen erscheint, die Überlieferung von der Auferweckung Jesu Christi in Bildszenen zu versammeln, die die Suche nach Verstehen, Weggemeinschaft, Zweifel, Entdeckung der Identität des Gekreuzigten mit dem Auferweckten und Sendung zum Zeugnis und zur Mission zum Ausdruck bringen. Die neutestamentlichen Erzählungen sind von den frühen christlichen Gemeinden für die späteren christlichen Gemeinden geschrieben. Die Herausforderung bleibt dieselbe: trotz aller Widerstände in Gemeinschaft zum Glauben zu finden an den auferweckten Jesus Christus. Die christliche Gemeinde hat von Beginn an nicht aus eigenem Vermögen das österliche Bekenntnis in der Öffentlichkeit bezeugt. Vielfältig ist die Aussage insbesondere bei Paulus und bei Lukas
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
belegt, dass allein in der Kraft des Heiligen Geistes das Christusbekenntnis in der Kirche geschieht. Paulus verbindet in einem Brief an die Korinther die christologische mit der pneumatologischen Begründung der Kirche. Er schreibt: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,10f). Das Wirken des Apostels geschieht in der Kraft der Gnade Gottes. Die Erinnerung an den von jedem menschlichen Werk zu unterscheidenden wahren Grund der christlichen Gemeindebildung in der Person Jesu Christi wird im Sinne von Martin Luther bis heute in reformatorischer Tradition zitiert. Der Grund der Kirche ist Jesus Christus, ihre Gestalt mag von menschlichen Überlegungen im Wechsel der Zeiten beeinflusst sein. Zuversicht im Blick auf die Bewahrung des christologischen Grundes der Kirche hat Paulus angesichts des Wirkens des Geistes Gottes. Er fragt die Korinther: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16). Wie Paulus versteht auch der Evangelist Johannes den Geist als Erinnerer an Jesus Christus. In seinen Abschiedsreden lässt Johannes Jesus sagen: „Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,24–26). Wirkungsgeschichtlich betrachtet, hat die Pfingsterzählung in der Apostelgeschichte, die der lukanischen Tradition zuzuordnen ist, sehr hohe Bedeutung (vgl. Apg 2). Wer sich den neueren exegetischen Beiträgen zu Apg 2 nähert, wird feststellen, dass die Frage, in welchem Verhältnis das geschilderte Pfingstereignis zur jüdischen sowie alttestamentlichen Überlieferung steht, in den heute weithin ökumenisch konzipierten Schriftkommentaren im Blickpunkt des Interesses steht. Die frühen christlichen Gemeinden im Horizont der bleibenden göttlichen Verheißungen für Israel zu betrachten, erscheint sehr wichtig. Die christliche Theologie hat das so genannte Substitutionsmodell aufgegeben, das davon ausging, nach Gottes Willen sei die sich zu Jesus Christus bekennende kirchliche Glaubensgemeinschaft an die Stelle von Israel getreten. Nein: Gott hat den alten Bund mit Israel erneuert (vgl. Jer 31,31–34) und niemals gekündigt. Neuere exegetische Bemühungen um das rechte Verständnis von Apg 2 vermeiden
2.2 Ostern und Pfingsten
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vor diesem Hintergrund Gegenüberstellungen zwischen dem alten Sinaibund mit seiner Verpflichtung auf den Wortlaut der Tora und der pfingstlichen Bundeserneuerung in der Freiheit des Geistes Gottes. Leitend ist heute in der wissenschaftlichen Exegese vielmehr das Interesse, Kontinuitäten in den Theologien alt- und neutestamentlicher Autoren festzustellen. Zu den gesicherten Erkenntnissen zur Entstehungsgeschichte von Apg 2 gehören folgende: (1) Der als Lukas benannte Autor des in der heutigen Zählung dritten Evangeliums hat seine geisttheologischen Anliegen in der Apostelgeschichte fortgeschrieben. In Analogie zu seiner Erzählung von der Geisterfülltheit Marias bei der Empfängnis Jesu (vgl. Lk 1,35) sowie der Rückführung des Wirkens Jesu in Tat und Wort auf das Wirken des Geistes Gottes (vgl. Lk 4,16–30) führt Lukas auch das öffentliche Wirken der frühen christlichen Gemeinden auf die in ihr wirksame Kraft des Geistes Gottes zurück. (2) Die nur in der lukanischen Tradition überlieferte Betonung des 40. und des 50. Tages nach Ostern – Himmelfahrt und Pfingsten – ist christologisch-soteriologisch motiviert. In Anlehnung an vertraute Festzeiträume im jüdischen Kalender, bei denen Zahlen für Inhalte stehen, bemüht sich Lukas um eine Rückbindung aller Ereignisse in den frühen christlichen Gemeinden an das entscheidende Geschehen im Tod und in der Auferweckung Jesu Christi. Von dort her, von diesem neuen Pascha aus, gewinnt alles weitere seine Bedeutung. 40 Tage – die von Gott geschenkte, lange Zeit der Bewährung im Osterglauben – ist vorüber. Nach sieben mal sieben Tagen bricht der 50. Tag an, an dem sich zeigt, wie Gott seine Verheißungen erfüllt. Überlegungen zur Historizität der urgemeindlichen Pfingsterfahrung sind vor dem Hintergrund der theologischen Tiefe dieser Zahlentypologien dann unsinnig, wenn sie meinen, die Wahrheit des Überlieferten allein kalendarisch nachweisen zu müssen und auch zu können. Die Annahme jedoch, es hätte in der Geschichte der frühen Christenheit keinerlei geschichtlichen Anlass gegeben, in theologischer Reflexion über eine Wende nachzudenken, die als unerwartete Ermutigung für den Beginn eines furchtloses Zeugnisses für Jesus Christus inhaltlich zu charakterisieren wäre, erscheint gleichfalls unhaltbar. Lukas schreibt zu einer Zeit, in der die Gemeinden länger schon über sich nachdenken konnten. Ebenso wie Paulus und der Evangelist Johannes ist Lukas sehr daran interessiert, den Vorgang der Erinnerung, des Gedächtnisses Jesu Christi in seiner Nachfolgegemeinde pneumatologisch zu begründen. Der Geist ist der in der Not des Abschieds von der irdischen Zeit herbeigerufene Fürsprecher für Jesus, der Paraklet,
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
der Anwalt seiner Anliegen, sein lebendiges Gedächtnis. (3) Die von Lukas geschilderten Begleiterscheinungen des pfingstlichen Sprachenwunders weisen die Szene als eine Theophanie aus, als eine Gotteserscheinung, die bewusst in enger Anlehnung an die SinaiÜberlieferung in der Septuaginta-Fassung gestaltet ist (vgl. bes. Ex 19,16–20): Donner und Blitze, Getöse und Feuer sind auch dort Zeichen für die Gegenwart Gottes. Das Wochenfest, das an dem ersten Tag gefeiert wird, der nach den sieben mal sieben Festtagen nach dem Paschafest folgt, gehört in der jüdischen Tradition zu den Wallfahrtsfesten. Die Erwartung einer universalen Versammlung der Völker in Jerusalem steht theologisch im Mittelpunkt der Erzählung – mitsamt der der Wallfahrtstradition eigenen eschatologischen Dramatik. Über die Frage der vorlukanischen und der lukanischen Gestaltung der Völkertafel in den Versen 9–11 gibt es vielfältige Hypothesen. Möglicherweise lag Lukas daran, die ursprüngliche Erfahrung der Glossolalie, bei der der geistgewirkte Lobpreis Gottes keiner argumentativen Erinnerung an geschichtlich bezeugte Taten Gottes bedarf, in ein Zeugnis für die missionarische Wirksamkeit der jungen christlichen Gemeinde in der Kraft des Geistes Gottes zu überführen – von Kreta bis nach Arabien, in der gesamten damals bekannten Welt von West bis Ost und für alle Menschen, für gebürtige Juden und bekehrte Proselyten. Das Kapitel 2 der Apostelgeschichte schließt mit einem so genannten Summarium, einem Sammelbericht, wie er vielfach auch in der neutestamentlichen Evangelienliteratur am Ende narrativ gehaltener Textpartien zu finden ist. Insbesondere das heilende Wirken Jesu wird in solchen Summarien beschrieben: Jesus blieb in einer Region und heilte alle Menschen von ihren Gebrechen. Die lukanischen Sammelberichte (vgl. neben Apg 2,42–47 auch Lk 4,32–35 und Lk 5,12–16) haben vor allem zwei gemeinsame Themen: (1) Die Taten der Apostel – insbesondere ihre Verkündigung der Auferstehungsbotschaft sowie ihr heilendes Wirken – finden große Anerkennung und begründen den missionarischen Erfolg der jungen Gemeinde. (2) Das Zusammenleben der Gemeinde ist durch Einmütigkeit geprägt. Güterteilung und wechselseitige Sorge füreinander in allen Lebensbereichen sind selbstverständlich. Gemeinsames Gebet im Tempel und gemeinsames Mahl in den eigenen Häusern strukturieren die Tage. Im Sinne der lukanischen Erzählung von der Erscheinung des auferweckten Jesus bei seinem Gang mit den Jüngern nach Emmaus in Lk 24 geschieht in der Deutung der Schrift und beim Brotbrechen eine wahre Begegnung mit dem in der gläubigen Gemeinschaft gegenwärtigen
2.3 Kirche und Israel
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Herrn selbst. Die Urgestalt kirchlicher Liturgie – Wortverkündigung und Mahl – ist somit biblisch vorgezeichnet. Dramaturgisch läuft die lukanische Darstellung des Pfingstereignisses auf die Predigt des Petrus, dem eine theologische Deutung seiner Geisterfahrung zugetraut wird (vgl. Apg 2,14–36), und auf die anschließenden Bekehrungserlebnisse zu. Zusammen mit den weiteren biblischen Zeugnissen über den Verkündigungsdienst des Petrus in der jungen Kirche gibt die lukanische Komposition in der Schilderung des Pfingstereignisses Anlass, über einen möglichen Petrusdienst auch in der heutigen Kirche in ökumenischer Gesinnung nachzudenken (siehe Kapitel 4. und 8.). Die österliche Predigt des Petrus an Pfingsten ist gemeinsames christliches Traditionsgut. An diese Überlieferung lassen sich vielfältige Überlegungen zu einer geistlichen Erneuerung der Kirche(n) mit dem österlichen Geheimnis als dem christlichen Grundbekenntnis anschließen. 2.3 Kirche und Israel – oder: Ecclesia ab Abel Jesus ist Jude. Jede Überlegung zu der Frage, ob Jesus die Kirche gegründet habe, muss im Sinne dieser religiösen Herkunft Jesu das Verhältnis der Kirche zu Israel im Blick behalten. Dabei handelt es sich nicht allein um eine rein historisch relevante Thematik zur Klärung des geschichtlichen Anfangs der Kirche. Jesu eigene religiöse Zugehörigkeit verpflichtet zeitlos bis heute. Die Geschichte der Sünde der Kirche in den Formen der Gewalt von Christinnen und Christen gegen die älteren Geschwister ist eigens zu schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten, sich der Thematik Kirche und Israel zu nähern. Eine davon ist es, an die Strukturmerkmale zu erinnern, die das religiöse Gemeinschaftsleben nach alttestamentlicher wie nach neutestamentlicher Überlieferung prägen: Israel wie die Kirche ist eine Gedächtnisgemeinschaft: Die Vergegenwärtigung des geschichtlich erfahrenen Handelns Gottes an der Gemeinschaft konstituiert die eigene Identität. Diese Anamnese, das Gedächtnis der Geschichte Gottes mit der Gemeinschaft, braucht erlebbare, konkrete Formen. Vorrangig ist die jahreszeitlich geordnete Liturgie ein Ort der Vergegenwärtigung der Heilstaten Gottes. Mit Israel teilt das Christentum die Zentrierung des Evangeliums auf das Paschageschehen: Israel und die Kirche feiern den von Gott bewirkten Übergang vom Tod in das Leben als eine Tat der Befreiung. Viele Festtage im christlichen Kirchenjahr lassen sich ohne Rückbezug auf den jüdi-
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
schen Festkalender nicht verstehen, da die neutestamentlichen Autoren ihre Interpretationen des Christus-Ereignisses in die ihnen aus ihrer jüdischen Tradition vertrauten Zusammenhänge gestellt haben. Neben dem Aspekt der Versammlung der Gottesfürchtigen zum lebendigen liturgischen Gedächtnis lassen sich folgende weitere Voraussetzungen aus der Geschichte Israels für die Geschichte der Kirche(n) benennen: So ist die Fürsorge für die Armen und Entrechteten ein Erkennungszeichen Israels. Da es in Ägypten selbst in der Fremde war, gilt die Achtung vor den Fremden sowie die Sorge für ihr Überleben als ein Vermächtnis, erwachsen aus der eigenen Geschichte. Auch in Israel gab es berufene Prophetinnen und Propheten. Die personale Verantwortung notfalls auch im kritischen Gegenüber zu den Herrschenden ist in der Struktur der jüdischen Glaubensgemeinschaft im Sinne eines charismatischen Dienstes grundgelegt. Versammlungen der Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft zum Meinungsaustausch und zur Entscheidungsfindung sind in den alttestamentlichen Schriften bezeugt (vgl. exemplarisch Jos 24,1–28); die gemeinschaftliche Beratung ist der christlichen Tradition bis heute bei allen historischen Varianten nicht fremd geworden. Im Blick auf eine christliche ökumenische Ekklesiologie sind Überlegungen weiterführend, die den Grund der Kirche in einem personal-existentialen Kontext sehen. Einzelne Menschen haben angesichts ihrer Lebensweise Bedeutung für die Zukunft der Glaubensgemeinschaft. In diesem Sinne lässt sich der seit der christlichen Patristik vertraute Gedanke der „Ecclesia ab Abel“ auch heute rezipieren: Die Gestalt des Abel, von dessen Leben das Buch Genesis nicht mehr erzählt als seine Geburt, sein Tieropfer und seinen gewaltsamen Tod (vgl. Gen 4,1–16), wird bereits in der innerbiblischen Rezeption zum typologisch erfassten Sinnbild des vor Gott im Glauben gerechten Menschen (vgl. Mt 23,35; Lk 11,51; Hebr 11,4; 12,24). Die in der biblischen Urgeschichte nicht begründete Verhaltensweise Gottes, der das Tieropfer Abels wertschätzt, das Getreideopfer des Kain jedoch nicht beachtet, wird im Hebräerbrief mit Hinweis auf die höhere Qualifizierung des Opfers Abels aufgrund seines Glaubens erläutert: „Aufgrund des Glaubens brachte Abel Gott ein besseres Opfer dar als Kain; durch diesen Glauben erhielt er das Zeugnis, dass er gerecht war, da Gott es bei seinen Opfergaben bezeugte, und durch den Glauben redet Abel noch, obwohl er tot ist“ (vgl. Hebr 11,4). Diese Deutung des Geschicks des Abel im Hebräerbrief lässt sich nur im Kontext der vorausgehenden und der nachfolgenden Verse verstehen, in denen eine Umschreibung des Wesens des Glaubens und
2.3 Kirche und Israel
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beispielhafte Weisen, wie dieser Glaube von Menschen gelebt wurde, erinnert sind. „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). Abel, Henoch und Noah gelten nach dem Hebräerbrief als Menschen, die aufgrund ihres Glaubens von Gott vom Tod in das Leben geführt worden sind. Der Hebräerbrief stellt den verunsicherten und müde gewordenen frühen christlichen Gemeinden die bereits an dem Geschick der gottesfürchtigen Väter erkennbare österliche Wirksamkeit des Glaubens vor Augen. Die bleibend hörbare, lebendige Stimme des Abel ist die Stimme seines Blutes (vgl. Gen 4,10), die nach Gerechtigkeit im Sinne der Vergeltung ruft. Doch die Stimme des Blutes Christi ruft „mächtiger“: Christen sind hinzugetreten „zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und zum Blut der Besprengung, das mächtiger ruft als das Blut Abels“ (Hebr 12,23f). Was in der Bereitschaft Gottes, Kain vor dem Zorngericht der Vergeltung wirksam zu schützen, vorausgedeutet ist, wird in Christus Jesus für alle Zeit universal offenbar: In der tiefsten Tiefe der Gottesfeindschaft der Menschen, die im gewaltsamen Tod des Gottessohnes offenkundig wird, gibt Gott nicht dem Ruf nach Vergeltung nach, sondern nimmt sie an – auch mit ihrer Neigung zum Brudermord – und erneuert seinen Bund mit den Sünderinnen und Sündern, denen eschatologisches Leben verheißen ist. Die Rede von der „Ecclesia ab Abel“ kann somit in bibeltheologischer Hinsicht als Sinnbild der österlichen Gründung der Kirche verstanden werden, wobei nicht nur der gottesfürchtige Glaube des gerechten Abel, sondern auch der sündige Gemeinschaftsbruch des Kain in der Kirche weiterwirken und beiden die Teilhabe an Gottes Lebendigkeit verheißen ist. Der französische Theologe Yves Congar (1904–1995) hat eine bis heute an Detailinformationen unübertroffene Studie zur Entstehung und Rezeption der Vorstellung von der „Ecclesia ab Abel“ vorgelegt.4 Congar führt aus, dass die Rede von der „Ecclesia ab Abel“ erstmals bei Augustinus belegt und erst in dessen Spätschriften zu greifen ist. Die Entwicklung dieses Gedankens steht dort in engem Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Unterscheidung zwischen den beiden Reichen, dem irdischen und dem himmlischen Reich, denen er die Gestalten des Kain und des Abel zuordnet. Auf diese Weise gelingt ihm auch eine Loslösung der Frage nach den Heilsmöglichkeiten der Vorfahren Jesu Christi von der Festlegung auf eine Zeitenfolge im Irdischen. Die soteriologisch bedeutsame Differenz zwi-
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
schen den Geschöpfen ist nicht an Zeiten und Räume gebunden, sondern sie entsteht durch den existentiell-religiösen Lebensvollzug. Congar kann nachweisen, dass es die Intention des Augustinus ist, die im Ursprung konstitutive spirituell-personale Dimension der Kirche zu begründen, der die institutionellen Gestalten der Kirche dienend zugeordnet bleiben: „Wenn man sich die Gesamtheit der Entwicklung ekklesiologischer Vorstellungen vor Augen hält, die sich in der hier besprochenen Thematik [Ecclesia ab Abel] widerspiegeln, dann erstaunt der geistlich-personale Grundzug in der Rede von der Kirche, der von Augustinus an bis zu den Theologen der Scholastik in der gesamten mittelalterlichen Theologie im Westen vorherrscht. Die Kirche ist primär die Gemeinschaft derer, die aufgrund des Glaubens Christus als Haupt haben und dessen Glieder sind. Sie ist die Gemeinschaft oder der Leib der Glaubenden: durch diese, durch das Handeln und den persönlichen Einsatz von ihnen, gewinnt Christus Glieder hinzu und ergänzt seinen Leib. Der heilige Thomas hat – wenn dies überhaupt möglich war – diesen geistlichen und personalen Aspekt des Kirchenverständnisses, der im Grunde vom gesamten westlichen Mittelalter gemeinsam auf der Basis der Schrift und mit Bezug zu Augustinus angenommen wurde, noch verstärkt – und zwar mehr und mehr. In diesem Verständnis hatte die Wahrnehmung der sichtbaren Institution (mit den Sakramenten, der Hierarchie, der Glaubensverkündigung, den Geboten und der geistlichen Leitung) ihren Platz. All dies wurde als ein ministerium, als ein Dienst an der geistlichen, inneren Gemeinschaft betrachtet, die als das Wesentliche galt. Die Elemente der kirchlichen Institution wurden als ein Dienst am Heil verstanden, aber sie wurden nicht unabhängig von der geistlichen, der Innerlichkeit zugehörigen Wirklichkeit des Heils wahrgenommen, so, als ob sie eine Art Eigenstand hätten“5. Diese Textpassage, die geradezu wie ein prophetisches Wort hineingesprochen in die ökumenische Gegenwart wirkt, hat einen theologiegeschichtlichen Bezug: Sie verfolgt das Anliegen, auch nach der Enzyklika „Humani generis“6 von 1950 die Grundanliegen der Enzyklika „Mystici corporis“7 von 1943 zu wahren, die in differenzierter Weise von der sichtbaren und der verborgenen Gestalt der einen Kirche Jesu Christi spricht. Yves Congar tritt mit der altkirchlichen und der mittelalterlichen Tradition für den geistlich-existentiellen Ursprung des Leibes Christi, der Kirche, ein, deren Gründung weder an einen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte gebunden, noch auf bestimmte räumliche Ausdehnungen zu begrenzen ist: „Diese Gründung oder Einsetzung durch Christus wird selbst vor allem unter dem
2.3 Kirche und Israel
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Gesichtspunkt der geistlichen Einflussnahme, der Beziehung zu einem Ursprung, betrachtet, viel stärker als unter historischer Rücksicht im eigentlichen Sinn oder wie ein Ereignis in Raum und Zeit. Leib Christi sein, den Leib bilden, der die Kirche ist (corpus Ecclesiae), das bedeutet für die Väter, mit Christus, dem einzigen Herrn und dem universalen Mittler, dessen Verdienst jede zeitliche und räumliche Begrenzung überschreitet, im Hinblick auf das Leben und das Heil durch den Glauben verbunden zu sein“8. Die in der gelebten Christusgemeinschaft begründete Zugehörigkeit zu der einen Kirche ist nicht identisch mit der Aufnahme in eine in zeitlichen und räumlichen Kategorien beschreibbare Gemeinschaft. Wie groß die Unterschiede in der Bewertung dieses an Augustinus angelehnten Kirchenverständnisses innerhalb der römisch-katholischen Theologie sein können, zeigt eine Textpassage in der Dogmatik von Michael Schmaus, der die Erkenntnisse von Congar zunächst referiert und sich sodann von ihnen abgrenzt: „Die These, dass die Kirche von Anfang an bzw. von Abel an existiert hat, setzt einen bestimmten Kirchenbegriff voraus, nämlich einen geistig-personalistischen, weniger einen juristisch-hierarchischen. Dieser letztere hat sich erst von der Mitte des 13. Jahrhunderts an deutlich entfaltet, wenngleich er in der vorausgehenden Theologie schon grundgelegt war und die Schrift (...) ihn klar bezeugt. Erst die Vorstellung von der Kirche als der hierarchisch geordneten Gemeinschaft der Christgläubigen bildet den Vollbegriff der Kirche. Unter diesem Aspekt ist die Lehre von der ‚Kirche von Anfang an‘ problematisch. Die augustinische Ekklesiologie bedeutet daher ähnlich wie die Trinitätslehre des Kirchenvaters (...) für die folgende Theologie eine Hypothek. Im Hintergrund seiner Ansichten steht die platonische Philosophie. Infolge seiner platonischen Denkweise fiel es Augustinus schwer, das konkret Sichtbare in seinem ganzen Gewicht zu sehen“9. Kontroverstheologische Vorbehalte sind in dieser Aussage eines römisch-katholischen Theologen deutlich zu erspüren. Die Frage nach der Sichtbarkeit der Kirche ist eine Thematik von fortdauernder ökumenischer Bedeutung. Die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (Faith an Order) des Ökumenischen Rates der Kirchen hält an der Zielbestimmung der sichtbaren Einheit der Kirchen fest. In den Gesprächen stellt sich dann die Frage: Besteht die Sichtbarkeit der Kirche vorrangig in den Ämtern oder auch im Lebenszeugnis aller Christgläubigen? Wer in dieser Weise alternativ fragt, stellt das Bemühen um eine Synthese des personalen sowie des institutionellen Ansatzes in der Wesensbestimmung der Kirche
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
grundlegend in Frage. Statt dessen erscheint es sinnvoll, in den Zwischenzeiten bis zur Erreichung des Zieles der sichtbaren Einheit die Argumentationen nicht eng zu führen: Auf die Kontinuität mit dem Anfang der Kirche(n) können sich nicht nur diejenigen berufen, die meinen, die in der Zeit der Entstehung der biblischen Schriften gegebene institutionelle Ordnung bewahrt zu haben. Zum Anfang gehört wesentlich die Bereitschaft zum Lebenszeugnis für Gott – notfalls auch unter der Gefahr, das eigene Leben zu verlieren. Zu den Gütern aus dem gemeinsamen christlichen Erbe zählt das 2. Vatikanische Konzil „das Wirken der Geisteskräfte im Leben der anderen (...), die für Christus Zeugnis geben, manchmal bis zur Hingabe des Lebens“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Unitatis Redintegratio [UR], Nr. 4). Das Bestehen einer ekklesialen Gemeinschaft aller Menschen, die in ihrem blutigen Tod für ihren Gottesglauben ein letztes Zeugnis geben, ist christliches Gedankengut seit dem Altertum. In jüngerer Zeit hat Johannes Paul II. an diese Tradition im ökumenischen Kontext eindrücklich erinnert. In seinem Apostolischen Schreiben „Tertio Millennio Adveniente“ von 1994 schrieb er: „Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die Communio Sanctorum, Gemeinschaft der Heiligen, spricht mit lauterer Stimme als die Urheber von Spaltungen“10. Wer sich auf den Gedanken einlässt, die Gründung der Kirche durch Jesus bestehe nicht primär in einer Worthandlung, durch die er vermeintlich Anweisungen im Blick auf die Gestaltung der leitenden Dienste in der Gemeinde gegeben habe und für die gottesdienstliche Ordnung der später in der Traditionsgeschichte Sakramente genannten Zeichenhandlung sorgte, der oder die wird den theologischen Reichtum einer Rede von der Gründung der Kirche(n) wertschätzen, bei der die durch Jesu gesamte Existenz geschehende Begründung einer neuen Gemeinschaft in seiner Nachfolge gedanklich leitend ist. Eine solche Position hat offenkundig auch Möglichkeiten, im Sinne der überlieferten Rede von der „Ecclesia ab Abel“ die begnadeten Gottesfürchtigen aller Zeiten – auch jene vor der Lebenszeit Jesu – als dem Geheimnis der Kirche nicht fremd zu erachten. 2.4 Nochmals: Hat Jesus die Kirche gegründet? Was ist die angemessene Antwort auf die Frage, ob Jesus die Kirche gegründet hat? In den voranstehenden Ausführungen wurde deutlich, wie schwer es ist, auf eine scheinbar leichte Frage zu antworten.
2.4 Nochmals: Hat Jesus die Kirche gegründet?
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(1) In methodischer Hinsicht ist die römisch-katholische Dogmatik im Sinne des 2. Vatikanischen Konzils dazu angehalten, die Themen der Schrift zu entfalten, bevor die Traditionsgeschichte zur Darstellung kommt (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Optatam totius [OT], Nr. 16). Konkret bedeutet dies, sich nicht nur mit dem Wortlaut einzelner Schriftperikopen zu befassen, sondern den Sinnzusammenhang der biblischen Überlieferung mit Hilfe der Auskünfte der exegetischen Wissenschaften zu erschließen. Dies führt zu der Erkenntnis, dass jede Beschreibung des Handelns Jesu als eine nachösterlich verfasste Deutung seiner Anliegen zu verstehen ist. Ein Stiftungswille Jesu im Blick auf die Kirche(n) darf sich somit nicht auf einzelne ausgewählte biblische Textpassagen unter Annahme jesuanischer Autorität berufen. Die Textgeschichte des Neuen Testaments ist in Details mühsam zu rekonstruieren; die offenen Fragen sind komplex. Je stärker berücksichtigt wird, dass bereits die biblisch bezeugte Traditionsbildung ihren Grund in einer zur Glaubensgewissheit kommenden Gemeinschaft hat, um so eher besteht die Möglichkeit, Gottes Offenbarung in Christus Jesus und die Kirchengründung in einen engen inneren Zusammenhang zu stellen. (2) Im Sinne des Neuen Testaments ist es, die Frage nach der Gründung der Kirche(n) durch Jesus Christus von der Überlieferung der österlichen Erscheinungen des Auferweckten sowie von der Erfahrung der Geistesgabe an Pfingsten aus zu betrachten. Bei der theologischen Rekonstruktion der Anfangskonstellationen werden in der neutestamentlichen Überlieferung Aspekte hervorgehoben, die für die kirchliche Wirklichkeit auch heute von Bedeutung sind: Die biblischen Schriften spiegeln, dass es von Beginn an auch im Kreis der Vertrauten Jesu Missverständnisse seiner Sendung sowie Untreue ihm gegenüber gab. Es finden keine Beschönigungen der Anfangskonstellationen statt. Dies ist eher ungewöhnlich bei einer Textgattung, die die Legitimität einer neu gegründeten Einrichtung argumentativ aufzeigen möchte. Die menschliche Schwäche mancher der frühen Personen in der Nachfolge Jesu dienst als Kontrastfolie für die Darstellung des wahren Grunds der Kirche: Sie ist eine Gabe Gottes und nicht ein menschliches Werk. Die Ostererfahrung begründet ihr Dasein und das Pfingstgeschehen ist eine Verheißung für ihre Dauer: Gott wird in seinem heiligen Geist Sorge tragen für die Zukunft der Verkündigung des Evangeliums weltweit.
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2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus
(3) Im Blick auf die Wesensbestimmung der Kirche lassen sich von Beginn an zwei Möglichkeiten unterscheiden: Entweder sie geschieht durch eine Beschreibung der sichtbaren, wahrnehmbaren Gestalt der kirchlichen Institution oder durch die Anerkenntnis des gelebten Zeugnisses für Jesus Christus. Im theologischen Idealfall sind die beiden hier unterschiedenen Wirklichkeiten gewiss eng miteinander verbunden. In der Realität der Jahrhunderte zeigte sich jedoch immer wieder, dass es in der Institution einer Neubesinnung auf den sachlichen Ursprung der Kirche bedurfte, der in dem Zeugnis für die erlösende Lebenspreisgabe Gottes in Jesus Christus für uns besteht. Das thematische Motiv der „Ecclesia ab Abel“ ist ein früher Beleg für die theologische Erkenntnis, dass das Sein der Kirche sich als Sendung zum Martyrium für den einen wahren Gott beschreiben lässt; dieses Martyrium ist im Sinne der linearen Chronologie nicht allein auf die Zeit nach dem Auftreten des predigenden Jesus zu beziehen. Ein Zeugnis für Gott haben Menschen auch zeitlich vor Jesus gelebt. Zeugnis für Gott geben Menschen in der Kraft des Geistes Gottes bis heute auch als solche, die keiner christlichen Konfession zugehörig sind und dennoch leben, wie Gott es möchte. (4) Fragen nach dem Anfang sind immer auch Fragen nach dem Sinn, dem Grund und dem Ziel von etwas, das geworden ist. Jesus Christus hat die Kirche gegründet, denn jede Gemeinschaft, die sich verpflichtet, seinen Namen zu ehren, will leben wie er: in der Tradition Israels und zugleich in Offenheit für die gesamte Schöpfung, die durch Israel und in Jesus Christus Kunde von der universalen Erlösungswilligkeit Gottes erhalten hat. Mit Jesus begann eine neue Zeit der Gotteserkenntnis. Da diese Gotteserkenntnis in der Kraft des Geistes Gottes nicht aus dem Gedächtnis geraten soll, ist die Kirche dem Anfang in Jesus Christus immerzu verpflichtet.
Literatur Martin Ebner, Jesus von Nazaret. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart ²2012. Thomas Söding, Die Verkündigung Jesu – Ereignis und Erinnerung, Freiburg – Basel – Wien 2011. Ders., Jesus und die Kirche. Was sagt das Neue Testament?, Freiburg – Basel – Wien 2007.
3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche 3.1 Die ersten Jahrhunderte des Christentums Vieles ist unbekannt in der Geschichte der frühen Zeit der Kirche bis zur Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert, als das Christentum unter Kaiser Konstantin (+ 337 n. Chr.) im Anschluss an das Toleranzedikt von Mailand (313 n. Chr.) zur Staatsreligion wurde und damit das Christsein gesellschaftsfähig. Erkenntnisse lassen sich nur gewinnen, wenn Quellen vorliegen. Dokumente zu bewahren, setzt ein Interesse voraus. Insbesondere über das alltägliche Leben in den vermutlich sehr unterschiedlich organisierten frühen christlichen Gemeinden ist wenig bekannt. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass es noch im 3. Jahrhundert im Römischen Reich Christenverfolgungen gab und vor diesem Hintergrund die Kirche weitgehend im Untergrund existierte. Für das Verständnis der weiteren Entwicklung der Geschichte der Kirche(n) sind aus systematisch-theologischer Perspektive folgende Aspekte wichtig: (1) Über das erste Jahrhundert hinaus war es von vorrangiger Bedeutung, den eigenen Weg des Christentums in Unterscheidung vom Judentum auf der Reflexionsebene zu begleiten. Manche Übergangsformen bildeten sich heraus. Die Wahrung des monotheistischen Bekenntnisses und zugleich das Bekenntnis zu Jesus Christus und zum Heiligen Geist Gottes erforderte theologische Anstrengungen, die von den beiden ersten Ökumenischen Konzilen in Nizäa (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) erbracht wurden. Im Blickpunkt der Identitätsfindung des Christentums stand in den ersten Jahrhunderten die neue soteriologische Option: Gott hat in seinem bevollmächtigten Gesandten Jesus Christus für die gesamte Schöpfung das Heil wirkmächtig verkündigt. (2) Von Beginn an ist das Christentum eine Religion, die die Erzählungen von Jesus und von den ersten Gemeinden schriftlich überliefert und in Liturgien erinnernd vergegenwärtigt. Die Herausbildung des Kanons der biblischen Texte, die bis heute in den gottesdienstlichen Gemeindeversammlungen verlesen werden, war ein langwieriger Prozess. In Abgrenzung von Gruppierungen, die die bereits bestehenden jüdischen Textsammlungen missachteten, setzte
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
sich das Anliegen durch, den Kanon der biblischen Schriften nicht allein aus den Zeugnissen der Jesustradition bestehen zu lassen. In der Auseinandersetzung mit antijudaistischen Strömungen bereits im Altertum behaupteten sich die Kräfte, die sich für die Verbundenheit von Israel und Kirche einsetzten. (3) Der Tod der Apostel Paulus und Petrus als Märtyrer in Rom legte in den jungen christlichen Gemeinden ein Leitungsproblem offen. Das unermüdliche missionarische Wirken des Paulus hatte zur Folge, dass sich das Christentum in Kleinasien (der heutigen Türkei) und Griechenland durch Gemeindegründungen ausbreitete. Die konkreten Geschehnisse dort lassen sich oft nicht mehr präzise rekonstruieren. Im Osten bildeten sich bald eigenständige liturgische Traditionen aus. Im Westen hat die christliche Gemeinde von Rom angesichts ihres Status als Vertretung des Christentums in der Hauptstadt des Römischen Reichs und als Ort des Martyriums von Petrus und Paulus bereits in den ersten Jahrhunderten eine hohe Bedeutung gewonnen, die zu erinnern in den ökumenischen Gesprächen über das Dienstamt des Bischofs von Rom auch gegenwärtig angeraten ist (siehe dazu Kapitel 4. und 8.). Personen, die ihre Autorität in formaler Weise durch ihre Tätigkeit an hervorgehobenen Orten oder in inhaltlicher Perspektive aufgrund ihrer theologischen Qualifikation erwiesen, galten neben dem Kanon der Schrift als der zweite Weg, die authentische Verbindung der späteren Zeiten mit dem maßgeblichen Beginn zu wahren. (4) Das Christentum hat aus der Tradition des Bundesvolkes Israel die Praxis übernommen, in Versammlungen Entscheidungen zu treffen. Diese Vorgehensweise hat sich in den Krisenzeiten der ersten christlichen Gemeinden bewährt. Das Apostelkonzil (vgl. Gal 2,1– 14; Apg 15,1–35), das die Frage nach der Notwendigkeit der Beschneidung sowie der Einhaltung der Speisevorschriften für Christen, die nicht zuvor Juden waren, behandelte, gilt als Urbild der Entscheidungswege in apostolischer Tradition. Viele der frühen christlichen Gemeinden – dazu zählt auch die Gemeinde von Rom – wurden von einem kollegial strukturierten Gremium geleitet. Das personale Prinzip galt in der frühen Zeit der Kirche offenkundig nicht als Widerspruch zur synodalen Entscheidungsfindung. (5) Die christliche Taufe im Sinne der theologischen Deutung des Paulus (vgl. Röm 6,1–11) war von frühester Zeit an das Sinnbild für den Beginn einer persönlich entschiedenen christlichen Existenz sowie das Zeichen der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft. Die Anforderungen an die Taufkatechese zu jener Zeit legten es nahe, das
3.2 Die ökumenische Bedeutung des Glaubensbekenntnisses
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christliche Bekenntnis in einer Kurzform zu fassen, die den Katechumenen nahe gebracht werden konnte. Unterschiedliche lokale Glaubensbekenntnisse haben sich auf diese Weise gebildet, deren Grundstruktur in biblischer Tradition in der Regel trinitarisch ist (vgl. Mt 28,19). Das Glaubensbekenntnis der Konzile von Nizäa (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) ist das bis heute alle christlichen Traditionen miteinander verbindende Bekenntnis. Darin wird die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche als jener Ort bekannt, an dem Gottes Geist wirksam ist. In dieser reflektierten Gestalt ist hier die erste Lehre über die Kirche gegeben. (6) Die frühen christlichen Gemeinschaften haben an ihren Lebensorten Gewohnheiten beibehalten, die ihnen entweder aus der jüdischen Tradition (Versammlung zum Hören auf Gottes Wort in den Synagogen) und / oder aus heidnischen philosophischen Zirkeln (Symposien in Verbindung mit einer Mahlfeier) vertraut waren. Das Bemühen um die Bildung einer Gemeinschaft, die sich im Miteinander ihre Identität immer wieder vergegenwärtigt, ist von Beginn der Kirchenbildung an von hoher Bedeutung. Drei Bereiche sind dabei von früher Zeit an konkurrenzlos wichtig: das Zeugnis in der Öffentlichkeit (Martyria), der Dienst an den Ärmsten der Armen (Diakonia) und die gottesdienstliche Feier (Leiturgia) (siehe Kapitel 7.). 3.2 Die ökumenische Bedeutung des Glaubensbekenntnisses von Konstantinopel Miteinander sprechen alle Christen in Ost und West mit den Worten des Glaubensbekenntnisses von Konstantinopel (381) von vier Wesenseigenschaften der Kirche: Die Kirche ist eine in ihrem göttlichen Grund, heilig in ihrem Streben nach einem gottgefälligen Leben, katholisch in der Ausführung ihrer gottgewollten Sendung in alle Welt und apostolisch in ihrem Zeugnis für die Wahrheit des Osterglaubens: Gott hat Christus Jesus von den Toten erweckt. Die gemeinsame Besinnung (auch) auf das Kirchenverständnis im Glaubensbekenntnis ist eine ökumenische Hoffnung, der zu Beginn der 90er Jahre in einer Studienarbeit des Ökumenischen Rats der Kirchen (Faith and Order – Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung) Raum geschenkt wurde. Das Ziel ist: „Gemeinsam den einen Glauben bekennen“.1 Die Ökumenische Bewegung der christlichen Kirchen erinnert sich der Geschichte der Berufung auf die vier Kennzeichen der wahren
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
Kirche Jesu Christi (Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität) nicht nur mit Freude. Bereits im Altertum diente der Hinweis auf diese vier Wesensmerkmale als ein kritisches Argument in den vielfältigen Streitereien zwischen den einzelnen christlichen Gemeinschaften: Wer mit den anderen Gemeinschaften nicht eins sein wollte, galt als verdächtig. Kleinere christliche Gruppen haben es oft sehr schwer, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen, weil sie verdächtigt werden, die Einheit zu zerstören. Im Altertum erschien es zudem auch von politischer Bedeutung, ob es die eine friedfertige Glaubensgemeinschaft im Staatsgebiet gibt. Die Kaiser Konstantin und Theodosius haben die Konzile von Nizäa (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) einberufen, um dem theologischen Streit ein Ende zu bereiten und den religiösen Frieden wiederherzustellen, der als Grundlage auch für den politischen Erfolg galt. Zu den Besonderheiten der Geschichte des Großen Glaubensbekenntnisses gehört unter anderem, dass nicht sicher ist, ob der heutige Bekenntnistext wirklich von den 150 Bischöfen beschlossen wurde, die sich 381 zum Konzil von Konstantinopel versammelt hatten. In den zeitgenössischen Quellen ist ein Glaubensbekenntnis von Konstantinopel nicht erwähnt. Die Konzilsakten dokumentieren Fragestellungen, die damals möglicherweise als wichtiger empfunden wurden: Canon 3 legt den Ehrenprimat des Patriarchen von Konstantinopel innerhalb der Patriarchate des Ostens fest und will damit Bemühungen des Patriarchen von Rom widerstreiten, auf dem Weg über das Patriarchat von Alexandria seinen Einfluss im Osten zu wahren. 70 Jahre lang war das Credo von Konstantinopel eher vergessen. 451 erklärten die auf dem Konzil von Chalzedon versammelten Bischöfe den Text zum Ausdruck auch ihres Glaubens und bewirkten damit eine Rezeption des Bekenntnisses in der gesamten damaligen Christenheit. Das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis wurde formuliert, bevor es anlässlich der christologischen Aussagen des Konzils von Chalzedon im Jahr 451 zur ersten bedeutenderen Spaltung der christlichen Bekenntnisgemeinschaft kam. Die östliche Christenheit hat dem Großen Credo sehr bald schon einen festen Platz in der eucharistischen Feier eingeräumt. In den streitbaren Zeiten des vierten und fünften Jahrhunderts musste ein Priester, der der eucharistischen Feier vorstehen wollte, vor der Gabenbereitung ein öffentliches Bekenntnis seines Glaubens ablegen, damit die Gemeinde sicher sein konnte, dass ihr Vorsteher rechtgläubig ist. Im Westen wurde das Glaubensbekenntnis erst nach der Jahrtausendwende in die eucharistische Liturgie aufgenommen: Papst
3.3 Die vier Wesenseigenschaften der Kirche
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Benedikt VIII. gab 1014 dem Druck von Kaiser Heinrich II. nach und stimmte der Verwendung des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses in der aus Anlass der Kaiserkrönung gefeierten Eucharistie zu. Glaubensbekenntnisse sind ursprünglich Taufbekenntnisse. Die trinitarische Gliederung der Bekenntnissätze (Gott Schöpfer, Jesus Christus, Heiliger Geist) entspricht dieser theologischen Verortung, da die Taufhandlung von frühester Zeit an mit dem Bekenntnis zum trinitarischen Wesen Gottes verbunden war (vgl. Mt 28,19). Die Rede von der Kirche ist mit guten Gründen dem Abschnitt zugeordnet, der vom Heiligen Geist handelt: Allein in der Kraft des Geistes Gottes kann die Kirche ihr Wesen erfüllen. Die Verbindung zwischen Geisttheologie (Pneumatologie) und Kirchenlehre (Ekklesiologie) ist in der gegenwärtigen Systematischen Theologie von hoher Bedeutung. 3.3 Die vier Wesenseigenschaften der Kirche (notae ecclesiae) Im Reformationszeitalter, im 16. Jahrhundert, fand eine recht lebendige Diskussion um den inhaltlich-theologischen Gehalt der vier Wesenseigenschaften der Kirche statt, an die die gegenwärtigen ökumenischen Gespräche anknüpfen können. Die Bereitschaft ist heute in allen christlichen Kirchen groß, gemeinsam den biblischen Sinn der altehrwürdigen Umschreibungen des Wesens der Kirche aufzuspüren. Vorherrschend ist bei ökumenischen Begegnungen nicht das Anliegen, die Mängel in der Verwirklichung des Kircheseins der anderen Kirchen aufzudecken, vielmehr eine gemeinsame Erneuerung der Kirche anzustreben. Alle Kirchen müssen noch werden, wer sie sind: die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. 3.3.1 Einheit: Vielfalt in Gemeinschaft
Genau zu bestimmen, was mit der Rede von der Einheit der Kirche gemeint ist, ist keine leichte Aufgabenstellung. Lebendig vor Augen ist uns eher, wie bunt und vielgestaltig das kirchliche Leben ist. Das Alter der Gemeindemitglieder, die Erwartungen und Interessen, die Sprachen und Gesten in den Gottesdiensten, die Berufswelten der Getauften, die Stärke der Glaubenskraft, die Kenntnisse der Grundlagen des Glaubens, die ethischen Werte, die Lebensfragen – all das kommt in großer Unterschiedlichkeit zusammen an den Orten, an
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
denen Christinnen und Christen Gottes Wort hören, Gottes Taten feiern und sich zum Dienst an den Menschen bereiterklären. Es ist ein Verdienst der Ökumenischen Bewegung, bei ihrer intensiv betriebenen Suche nach dem rechten Verständnis der christlichen Einheit zu erkennen, dass mit ihr nicht Einheitlichkeit, nicht Uniformität in den Ausdrucksgestalten des Glaubens gemeint ist. Die Vielfalt birgt einen großen Reichtum: Die Sprachen, die Gesänge und die Bewegungsformen in den Gottesdiensten können unterschiedlich sein. Es gibt mehrere, gleichberechtigte Wortgestalten, in denen der eine christliche Glaube zum Ausdruck kommt. Legitim ist die Vielfalt der kirchlichen Lebensformen, solange diese als kulturspezifische, situationsbezogene, aktuelle Darstellungen des Wesens der einen Kirche zu erkennen sind. Aber die Kirche darf sich nicht in eine unverbundene Vielheit auflösen. Welche Gestalt der Einheit darf nicht preisgegeben werden? Die biblischen Schriften legen davon Zeugnis ab, dass die Einheit der Kirche eine Gabe Gottes ist. Die angestrengte Tatkraft allein von Menschen kann die Einheit der Kirche nicht herbeiführen. Der eine Geist Gottes bewirkt die Einheit der Kirche: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt“ (1 Kor 12,13; vgl. Gal 3,28). Die unterschiedlich begabten Menschen in den christlichen Gemeinden sollen ihre Kräfte in den Dienst der Verkündigung des einen Evangeliums stellen: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allem“ (1 Kor 12,4–6). Die von Gott gewährte Teilhabe am trinitarischen Wesen Gottes ist der Grund der Einheit der Kirche. In der Wertschätzung der auch sichtbaren Einheit der Kirche sind die Konfessionen nicht einig. Vielen evangelischen Christen genügt das Wissen um die geistliche Verbundenheit mit den anderen Getauften. Aus römisch-katholischer Sicht gilt es, neben der Einheit im Hören auf Gottes Wort auch die Einheit in der Feier der Sakramente, in der lehrhaften Darstellung der Zusammenhänge des Glaubens sowie in der Verbundenheit mit den Ortsbischöfen und in besonderer Weise mit dem Bischof von Rom erfahrbar, erkennbar zu leben. Dem amtlichen Dienst in der Kirche ist die besondere Sorge um die Einheit der Kirche aufgetragen – zum Schutz der bereichernden Vielfalt und zur Wahrung der darin bleibend gegebenen Gemeinschaft.
3.3 Die vier Wesenseigenschaften der Kirche
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3.3.2 Heiligkeit: berufen zu einer besonderen Liebe zu Gott
Heilig ist die Kirche durch ihre Erwählung durch den heiligen Gott zu einem heiligen, zu einem besonderen Dienst. Der Verfasser des 1. Petrusbriefes sagt es so: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (1 Petr 2,9). „Heilig“ ist kein Gegenbegriff zu „sündig“. Heilig werden in den biblischen Schriften diejenigen genannt, die Gott teilhaben lässt an der Erkenntnis der tiefen Andersartigkeit seines Wesens: an der Erkenntnis von Gottes Liebe zu den Sünderinnen und Sündern, seinem Erbarmen für die Schwachen, seiner Treue zu den Bundesbrüchigen. Heilige werden von Gott dazu berufen, lebendige Zeugen, sichtbare Zeichen seiner ihm eigenen, besonderen Liebe zu den Geschöpfen zu sein. Als sein heiliges Volk hat Gott Israel erwählt (Ex 19,6; Jes 62,12). Durch die öffentliche Kunde von der Geschichte Gottes mit Israel soll allen Geschöpfen der heilige Name Gottes bekannt werden: „Meinen heiligen Namen offenbare ich in meinem Volk Israel; (...) Dann werden die Völker erkennen, dass ich der Herr bin, heilig in Israel“ (Ez 39,7). Die Erwählung Israels ist nicht als eine unbegründete Bevorzugung zu verstehen. Die Berufenen erfüllen Gott einen Dienst: Sie werden in die Pflicht genommen, ein erster Aufschein des heiligen Wesens Gottes zu sein, indem sie den Feinden und Widersachern gegenüber Liebende bleiben bis zuletzt – wie Gott selbst. In den ökumenischen Gesprächen haben die Konfessionen sich darauf verständigen können, dass das Bekenntnis zu der von Gottes Geist bewirkten Heiligkeit der Kirche nicht im Widerspruch steht zu der beständigen Reformbedürftigkeit der Kirche: „Jede Erneuerung der Kirche besteht wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung (...). Die Kirche wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, deren sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Unitatis Redintegratio [UR], Nr. 6). Das 2. Vatikanische Konzil hat sehr betont gesagt, immer habe die Kirche den Weg der Buße und Erneuerung zu gehen, damit sie ihrer Erwählung treu bleiben kann. Es ist die Berufung der heiligen Kirche, Zeichen der ganz besonderen Liebe Gottes zu all seinen Geschöpfen zu sein.
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
3.3.3 Katholizität: Sendung in alle Welt
Der Begriff „katholisch“ wird von vielen Christinnen und Christen als eine Konfessionsbezeichnung wahrgenommen. Um dieses Missverständnis zu vermeiden, ist es in ökumenischen Gesprächen üblich, von der römisch-katholischen Kirche zu sprechen, wenn jener Teil der Christen benannt werden soll, der sich in besonderer Weise mit dem Bischof von Rom verbunden weiß. Vor allem die orthodoxen Kirchen legen großen Wert darauf, dass ihnen „Katholizität“ zugesprochen wird, diese würdevolle Bezeichnung des Wesens der Kirche also nicht von der römisch-katholischen Kirche allein beansprucht wird. Die Katholizität der Kirche (von griechisch „kat-holos“, „allumfassend“, „für alle“ sowie „mit allen“) besteht in ihrer an allen Orten des Erdkreises von Gott gewünschten Präsenz zur Erfüllung ihrer universalen Sendung zur Verkündigung des Evangeliums in aller Welt. Es ist ein bleibender Streitpunkt zwischen den Konfessionen, ob die in der evangelischen Glaubensgemeinschaft aus Rücksicht auf das Empfinden der Gläubigen gebräuchliche Übersetzung von „katholos“ mit „christlich“ angemessen ist. Viele ökumenisch motivierte Christen bedauern, dass aufgrund dieser begrifflichen Schwierigkeit weder das Große Glaubensbekenntnis noch das Apostolische Glaubensbekenntnis von evangelischen und römisch-katholischen Christen an dieser Stelle in demselben Wortlaut gesprochen werden können. In der Rede von der „christlichen“ Kirche kommt zudem der universale Verkündigungsauftrag der Kirche nicht zum Ausdruck. Der Grund der Sendung der Kirche in alle Welt liegt in Gottes universalem Heilswillen, der schöpfungstheologisch begründet ist: Der Schöpfer von allem, was ist, trägt selbst Sorge dafür, dass alles zu seiner Erfüllung finden kann. Die ersten Kapitel der Bibel lassen Gott als ein Wesen in Erscheinung treten, das alles im Guten begonnen hat und dann bitter erfahren muss, dass Misstrauen, Angst und Neid Menschen in die Sünde treiben. Gott hält trotz seiner inneren Anfechtung, ob er nicht besser das gesamte Menschengeschlecht wieder vernichten solle (Gen 6,5–7), daran fest, seinen Geschöpfen das Leben zu erhalten. Auch die Erwählung Israels ist kein Widerspruch gegen diese universale, allgemeine, katholische Zuwendung Gottes zu allen Geschöpfen: In Abraham, dem Ersterwählten, sollen alle Geschlechter der Erde Segen erfahren, wenn Gottes Name durch sein Handeln an Israel in aller Welt bekannt wird (Gen 12,2–3). Nach christlicher Überzeugung ist Gottes Name im Leben und Sterben Jesu in untrüglicher Weise offenbar geworden: Jesus bleibt
3.3 Die vier Wesenseigenschaften der Kirche
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in aller erfahrenen Anfeindung den Menschen liebend verbunden – selbst dann noch, als er seinen Tod vor Augen hatte. Gottes Tat der Auferweckung Jesu autorisiert die Verkündigung Jesu: Gott ist wirklich einer, der die Sünderinnen und Sünder liebt. Gottes Erbarmen ist unermesslich. Gottes Güte stellt keine Vorbedingungen. Wir alle können leben in Gottes Geist. Es besteht Hoffnung für die gesamte Schöpfung: Alle sollen aus der Finsternis des Todes in das Licht Gottes geführt werden. Die Kirche hört Gottes Ruf in ihre Sendung, dieses Evangelium in aller Welt zu verkündigen. 3.3.4 Apostolizität: dem Anfang treu bleiben
Die Zeit der Apostel ist die Zeit des Ursprungs des christlichen Bekenntnisses. Mit der Kennzeichnung der Kirche als „apostolisch“ bringt das Glaubensbekenntnis zum Ausdruck, dass der biblisch bezeugte Anfang der Kirche ihr in aller Zeit wirksames Leitbild bleibt, das sie sich beständig zu vergegenwärtigen hat. Alle christlichen Kirchen streben danach, das Zeugnis der Apostel zu bewahren. Die christliche Glaubensgemeinschaft beruft sich auf die Glaubwürdigkeit dieses Zeugnisses – des Osterzeugnisses. Das Neue Testament kennt unterschiedliche Verwendungsweisen des Begriffs „Apostel“. Engere und weitere Begriffsbestimmungen werden vorgenommen: Paulus bezeichnet all diejenigen als Apostel, die dem auferstandenen Christus begegnet sind. Auch er ist ein Apostel, selbst wenn er Jesus zu seinen Lebzeiten nicht kannte. Apostel sind im weitesten Sinn auch die Frauen und Männer, die Paulus aussendet, um vor Ort beim Aufbau der Gemeinde behilflich zu sein durch ihre Gnadengaben, ihre Charismen. Der Evangelist Lukas identifiziert die Apostel mit den zwölf Jüngern Jesu. Er betont damit den engen Zusammenhang zwischen dem Wirken Jesu vor seinem Sterben und dem Verkündigungsdienst der nachösterlichen, apostolischen Glaubensgemeinschaft. Gemeinsam ist allen Gestalten des neutestamentlichen Apostolats eine dienende Existenzweise: Apostel sind „Gesandte“, zu den Menschen Gesandte, um ihnen das Evangelium Gottes zu verkündigen. In der römisch-katholischen Tradition ist der theologische Gedanke wichtig, dass die Bischöfe mit ihrem Dienst der Verkündigung des wahren Evangeliums die Nachfolger der Apostel sind. Die frühe Überlieferung von den Reisen der einzelnen Apostel in den damals bekannten Weltkreis war bei der Bildung dieses Gedankens von Bedeutung. Auf diese Weise erscheint die ortskirchlich-regionale Di-
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
mension der Kirche in enger Verbindung mit ihrer personalen Gründung: Der Glaube der Osterzeuginnen und Osterzeugen ist der Ursprung des christlichen Bekenntnisses, das zu bewahren der apostolischen Kirche von Gott aufgetragen ist. Maria aus Magdala, einem Ort in der Nähe des Sees Genesaret in der Heimat Jesu, wird seit dem Altertum als die „Apostelin der Apostel“ bezeichnet. Diese Bezeichnung geht auf die Erzählung der Erscheinung des auferstandenen Christus vor Maria Magdalena zurück, die im Johannes-Evangelium überliefert ist: Maria wird von Christus Jesus zu den Aposteln gesandt, um Zeugnis abzulegen für seine neue Lebendigkeit (vgl. Joh 20,17). Apostolisch ist die Kirche im Bekenntnis des österlichen Glaubens: Der helle Tag des Lebens erwartet die, die noch in der dunklen Nacht des Todes sind. 3.4 Wesensbestimmungen – theologische Konzepte und Empirie Viele Menschen zögern heute, ein öffentliches Bekenntnis zu der einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche abzulegen, weil ihre Erfahrung sie lehrt, dass die so benannte Wirklichkeit nicht existiert: Die Kirche ist nicht eins, die Kirchen sind vielmehr zerstritten; angesichts des Wissens um strafwürdige Taten von Menschen mit amtlicher Kirchenbindung erscheint das Bekenntnis zu einer heiligen Kirche wie Hohn; die Berufung auf die Katholizität der Kirche wirkt manchmal vorschnell bemüht, wenn Gemeindefusionen zu verkraften sind und die Differenziertheit der geschichtlich gewordenen pastoralen Situation keine Berücksichtigung mehr findet. Wenn das Osterzeugnis in Wort und Tat das Kriterium der Apostolizität ist, dann wirken die Zulassungsbedingungen zu dem amtlichen kirchlichen Diensten nicht überzeugend. In den christlichen Glaubensbekenntnissen wird nicht die in der Alltagserfahrung begegnende Wirklichkeit beschrieben, es werden vielmehr Ideale formuliert, die sich aus der biblischen Überlieferung ergeben. Auf der Handlungsebene ist das Sprechen des Glaubensbekenntnisses somit als Appell und als Mahnung zu verstehen: Es möge so sein, wie im Wort besprochen. Dabei ist es wichtig, im Blick zu behalten, dass nicht nur frühere Generationen oder fremde Menschen heute eine Beeinträchtigung der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche bewirken: Alle Getauften bilden diese Kirche und tragen dazu bei, dass das Idealbild in der Erfahrungswirklichkeit
3.4 Wesensbestimmungen – theologische Konzepte und Empirie
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verzerrt begegnet. Vor diesem Hintergrund kann das Mitsprechen des Bekenntnisses auch als ein Versprechen gelten, selbst als Getaufte so zu leben, wie es dem Anspruch entspricht. Der Problematik einer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit war die Kirche von den frühesten Zeiten an begegnet: Die Evangelien verschweigen nicht, wie wenig Verständnis selbst die engsten Vertrauten Jesu für seinen Weg zum Kreuz hatten. Diskriminierungen und Verfolgungen ließen nicht wenige der Getauften nicht erst in eigener Todesnot schwach werden. Die staatliche Verordnung des christlichen Bekenntnisses verwandelte nicht alle Menschen in überzeugte Christinnen und Christen. In einem anderen Sprachspiel ließe sich auch bekennen: Wir wissen um die zerstrittene, sündige, zerstreut lebende und selbstbezogene Kirche.
Literatur Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, Gemeinsam den einen Glauben bekennen. Eine ökumenische Auslegung des apostolischen Glaubens, wie er im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) bekannt wird, Frankfurt / Paderborn 1991.
4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen Es gibt ein neues Interesse an Literatur zur Konfessionskunde, in der auf überschaubarem Raum Repräsentantinnen und Repräsentanten die jeweiligen Kirchentümer im Sinne einer Selbstdarstellung beschreiben.1 In der ökumenischen Hermeneutik wird heute diese Methodik bevorzugt: Authentisch bezeugen die Kirchen ihr Selbstbild und geben Auskunft über ihre theologischen Positionen. Dieses Vorgehen hat jedoch auch Nachteile: Eine vergleichende Betrachtung mit einer übergeordneten, analogen Kriteriologie lässt sich so nicht durchführen. Aber lässt sich eine solche je erreichen? Immer wird die Darstellung von subjektiven, die Erkenntnis leitenden Interessen mitgeprägt sein. Diesen Gedanken aufgreifend, werde ich zunächst zwei Weisen der historischen Rekonstruktion der Spaltungen in der einen christlichen Kirche beschreiben (Abschnitt 4.1). Vor dem Hintergrund der Zahlenverhältnisse in der konfessionell gespaltenen Christenheit sowie der Zuordnung zu geographischen Weltregionen, die in engem Zusammenhang mit der christlichen Missionsbewegung stehen (Abschnitt 4.2), gehe ich in einem längeren Gedankengang den Stationen der Spaltungsgeschichte der Kirche aus römisch-katholischer Perspektive nach (Abschnitt 4.3); ich beschreibe dabei jeweils die in der historischen Situation entstandenen Konflikte und den heute erreichten Stand der ökumenischen Gespräche. Am Ende steht eine kurze Zusammenfassung der Eigenarten des römisch-katholischen Kirchenempfindens (Abschnitt 4.4). 4.1 Konfessionelle Geschichtsbilder Jede Kirche schreibt ihre eigene Geschichte. Alle Kirchen haben aufgrund – historisch betrachtet – komplexer Vorgänge ihre eigene Identität ausgebildet. Die Themen, die in der Geschichte der Christenheit zu Trennungen und Spaltungen geführt haben, gehen mit durch die Zeiten der Kirchen. Fragen, die am Anfang einer konfessionellen Eigenbewegung sehr wichtig waren, bleiben es auch später. Bis heute kehren die frühen Themen in den Dialogen wieder: christologische Lehrtraditionen insbesondere im Anschluss an die Konzile von Ephesus (431 n. Chr.) und Chalzedon (451 n. Chr.) in
4.1 Konfessionelle Geschichtsbilder
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den Dialogen mit den orientalisch-orthodoxen Kirchen (etwa der koptisch-orthodoxen, der assyrisch-orthodoxen und der armenischorthodoxen Kirche), die Ansprüche des Bischofs von Rom im Rechtsbereich der östlichen Patriarchate sowie Fragen der Pneumatologie im Gespräch mit den orthodoxen Kirchen byzantinischer Tradition (heute vor allem mit dem griechisch-orthodoxen und dem russisch-orthodoxen Patriarchat), die Praxis der Säuglingstaufe mit den täuferischen Kirchen (vor allem den Hussiten, Waldensern, Mennoniten und Baptisten), Fragen der Rechtfertigungslehre, des Schriftverständnisses und der Ämterlehre mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften reformatorischer Herkunft (mit Lutheranern, Reformierten, Anglikanern und Methodisten), die Bedeutung des Petrusdienstes mit der alt- bzw. christkatholischen Kirche vor dem Hintergrund der Kontroversen beim 1. Vatikanischen Konzil im Jahr 1869–70. In der bildhaften Wiedergabe der komplexen Geschichte der Entstehung einzelner Konfessionsgemeinschaften hat sich in der Ökumenischen Theologie inzwischen das „Zweig-Modell“ (brunchtheory), das zunächst in der reformatorischen Tradition favorisiert wurde, als weithin konsensfähig herausgestellt. Das nachstehende Schaubild (Abb. 1) ist einer Darstellung in einem Buch des evangelischen Theologen Reinhard Frieling2 nachgestaltet: Diese Darstellung setzt voraus, dass es zwar einen gemeinsamen Ursprung der christlichen Traditionsbildung gibt, dieser gemeinsame Stamm sich jedoch in der Geschichte der Christenheit wie ein Baum zunehmend verzweigt hat – möglicherweise nicht nur zum Nachteil der gesamten christlichen Gemeinschaft. Alle Zweige an dem einen Baum der Christenheit, deren Wurzeln in der apostolisch bezeugten Überlieferung des Christusgeschehens liegen, verstehen sich als rechtmäßige Fortsetzung des frühkirchlichen Erbes. Könnte wirklich eine christliche Konfession für sich beanspruchen, allein – oder zumindest deutlicher als alle anderen Kirchen – auf eine ungebrochene Tradition von den Anfängen bis heute hinweisen zu können? Es gab auch (und es gibt noch immer) Darstellungen von der Entstehungsgeschichte der Kirchen, bei denen eine durchgehende Linie von den Ursprüngen bis heute zur römischkatholischen Kirche verläuft (Abb. 2)3.
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Abb. 1: Stammbaum
4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
4.1 Konfessionelle Geschichtsbilder
Abb. 2: Entstehung Kirche
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
Die Sicht der Geschichte der Kirchen wird von hermeneutischen Vorentscheidungen mitbestimmt; das gegenwärtige Selbstverständnis einer Kirche wirkt sich auf die Betrachtung der Entstehung der eigenen Gemeinschaft aus. Nur im interkonfessionellen Austausch kann sich eine Annäherung der unterschiedlichen Perspektiven ergeben. Die nicht-römisch-katholischen Kirchen legen in den ökumenischen Gesprächen Wert darauf, dass auch ihre Wurzeln in die Zeit der Jesusbewegung zurückreichen. Jede Kirche bemüht sich um den Nachweis der Kontinuität mit den Anfängen. Zugleich ist insbesondere in den reformatorisch geprägten Kirchentümern die Aufmerksamkeit auf einzelne theologische Persönlichkeiten (beispielsweise Martin Luther, Johannes Calvin oder John Wesley) aus der Zeit der beginnenden Selbständigkeit höher als in anderen Traditionen. 4.2 Konfessionen in Zahlen und Regionen zugeordnet Zahlen und Auskünfte über die regionale Präsenz der Konfessionen erscheinen weithin objektiv. Selbst an dieser Stelle sind Vorbehalte jedoch nicht unbegründet: Die Bedingungen für eine Mitgliedschaft sind nicht immer gleich; der Tendenz nach werden die Zahlen eher nach oben korrigiert als nach unten. Sehr wichtig ist es, die Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse, die unter den Konfessionen in Deutschland gegeben sind, nicht zu verwechseln mit den internationalen Gegebenheiten. Unter den weltweit schätzungsweise ca. zwei Milliarden getaufter Christinnen und Christen gehören heute näherungsweise eine Milliarde der römisch-katholischen Konfession an (vorrangig im Süden Europas, in Südamerika, in einzelnen Ländern in Afrika und in weiten Bereichen Ostasiens). Die Zahlen variieren und bedürfen täglicher Korrektur. Der Tendenz nach gehen die Mitgliedschaften in Europa und Lateinamerika zurück; vor allem in Asien sind noch Zuwächse der römisch-katholischen Kirche zu verzeichnen. Die zweite Milliarde der Christenheit ist stark von der in jüngerer Zeit mit raschem Tempo anwachsenden Pfingstbewegung in all den unterschiedlichen pentekostalen Gemeinschaften bestimmt.4 Vermutlich sind heute bereits ein Viertel aller Christinnen und Christen Pfingstler (mindestens also 500 Millionen), deren Mitglieder sich aus evangelisch-evangelikalen, jedoch auch aus charismatisch geprägten römisch-katholischen Traditionen zusammensetzen. In Europa sind die pfingstlerischen Gemeinden – mit Ausnahme von England – eher
4.2 Konfessionen in Zahlen und Regionen
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gering in der Zahl. In den ärmeren Regionen der Welt wie in Afrika, in Teilen von Asien und Lateinamerika hat sich pfingstlerisches Gedankengut im 20. Jahrhundert stärker durchgesetzt. Die orientalisch-orthodoxen zählen zusammen mit den byzantinisch-orthodoxen Kirchen heute ca. 250 Millionen Glaubende. Angesichts der kircheninstitutionellen Ordnung in Entsprechung zu lokalkirchlichen Patriarchaten gibt es eine enge Verbindung zwischen Nationen und Konfessionen. Neben den fünf altkirchlich überlieferten Patriarchaten (Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochien und Jerusalem) gibt es heute weitere bedeutende Patriarchate in Moskau, Belgrad, Bukarest und Sofia. Auch die weiteren orthodoxen Nationalkirchen sind regional im Osten Europas verortet. Missionarisches Handeln wie in der Kolonialzeit in römisch-katholischer sowie reformatorischer Tradition hat die Orthodoxie abgelehnt. Vor diesem Hintergrund versteht sich, dass in Amerika, Afrika und Asien nur eine geringe Präsenz des orthodoxen Christentums gegeben ist. Der Lutherische Weltbund gibt ca. 70 Millionen Getaufte als ihm zugehörig an; von Wittenberg aus hat sich die lutherische Tradition insbesondere in Ost- und Norddeutschland, in Skandinavien und später in den USA sowie aufgrund missionarischer Wirkweisen auch in einzelnen afrikanischen und asiatischen Ländern verbreitet. Der Reformierte Weltbund registriert weltweit mehr als 100 Millionen Angehörige der eigenen Tradition. Von einzelnen Städten in Süddeutschland und der Schweiz aus (Nürnberg, Straßburg, Zürich, Genf, Bern) ist das reformierte Gedankengut über die Niederlande und England in die gesamte Welt getragen worden. Der anglikanischen Kirchengemeinschaft gehören heute ca. 80 Millionen Getaufte an. Sie entstand im 16. Jahrhundert unter Aufnahme reformierter theologischer Positionen auch aufgrund von persönlich motivierten Unabhängigkeitsbestrebungen des englischen Königs Heinrich VIII. von Rom und ist heute vor allem in England, Kanada, den USA und Indien beheimatet. Der evangelisch-methodistischen Kirche (einer Reformbewegung innerhalb des Anglikanismus) gehören ca. 11 Millionen Getaufte ebenfalls in England, den USA und einzelnen Missionsgebieten insbesondere in Afrika an. Zu der bereits in Teilen vorreformatorischen täuferischen Tradition, die sich heute zumeist der mennonitischen Kirche zugehörig weiß, zählen ca. 1,6 Millionen Getaufte vorrangig in den USA, Kanada, in Paraguay, im Kongo und in Äthiopien. Baptisten gibt es weltweit ca. 210.000 vor allem in Nordamerika und einzelnen Ländern in Afrika und Asien. Die altkatholische bzw. christ-katholische Konfession zählt ca. 70.000 Ge-
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
taufte weltweit als Gemeindemitglieder insbesondere in den Niederlanden, in Deutschland, der Schweiz, Polen und Tschechien. Wer heute die Weltbevölkerung unter dem Aspekt der Verteilung der christlichen Konfessionen auf Regionen betrachtet, wird ohne Mühe die großen historischen Zusammenhänge erschließen können: In Palästina steht zwar die Wiege des Christentums, diese Region war jedoch politisch nie so einflussreich, dass sie die Geschichte der Kirchen hätte entscheidend mitbestimmen können. Von den beiden politischen Zentren im Römischen Reich, Rom und Konstantinopel, gingen im Altertum die missionarischen Bewegungen nach Norden, Westen und Osten aus. In mittelalterlicher Zeit konzentrierte sich die christliche religiöse Auseinandersetzung in Europa auf die Begegnungen mit dem Judentum und dem Islam. In anderen Weltregionen gab und gibt es weitere religiöse Optionen. Umfassende Veränderungen der religiösen Landschaft haben die aus heutiger Sicht gewaltsamen Prozesse der Christianisierung nach der Entdeckung des Kontinents Amerika bewirkt. Mit dem Reformationszeitalter im 16. Jahrhundert setzte eine neue Welle missionarischer Tätigkeit ein, in deren Folge die konfessionellen Differenzen insbesondere im 19. Jahrhundert in die gesamte Welt getragen wurden. Die gegenwärtige Gestalt der konfessionell geprägten Landschaften weltweit ist das Ergebnis einer komplexen Geschichte der Eroberung und (aus westlich-europäischer Sicht) der Kultivierung der vorgefundenen Situationen im Bereich der Bildung und Erziehung auch in Fragen der Religion. Die konfessionellen Unterschiede haben die Suche nach Profilierung des christlichen Standorts weltweit befördert. Zugleich minderten der Streit der Konfessionen und die Abgrenzungen voneinander die Glaubwürdigkeit des Christusbekenntnisses. 4.3 Geschichte der Kirchenspaltungen und ökumenische Annäherungen heute Es gibt theologische Kontroversen zwischen den Kirchen, die einen historischen Ursprungsort haben und dann eine Eigenentwicklung genommen haben. In vielen Bereichen konnten in den ökumenischen Dialogen speziell zu diesen Themenkreisen Annäherungen erreicht werden. Ich referiere an dieser Stelle vier wichtige Problemkontexte jeweils mit exemplarisch grundlegender Bedeutung: Das rechte Verständnis des Wesens Jesu Christi im Offenbarungsgeschehen; im
4.3 Geschichte der Kirchenspaltungen
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Gespräch zwischen der orientalisch-orthodoxen und der römischkatholischen Position wird heute zwischen begrifflicher Aussage und inhaltlicher Intention unterschieden (4.3.1). Die angemessene Zuordnung von Christologie und Pneumatologie zur Gotteslehre; im Gespräch mit der byzantinischen Orthodoxie hat die spätere Einfügung des filioque in die lateinische Fassung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel auch Fragen zum Umgang mit der altkirchlichen Tradition hinterlassen, die in den gegenwärtigen ökumenischen Gesprächen neu bedacht werden (4.3.2). Im reformatorischrömisch-katholischen Gespräch stellt sich die Frage nach der kriteriologischen Dimension der Rechtfertigungslehre in allen Fragen der Ekklesiologie. In den ökumenischen Dialogen konnte diesbezüglich eine Verständigung erreicht werden (4.3.3). Bedeutsam in allen ökumenischen Gesprächen mit der römisch-katholischen Kirche ist die Frage, welche Autorität dem Bischof von Rom zuzusprechen ist. In diesem Zusammenhang ist vielfältig das Verhältnis zwischen Schrift und Tradition vor dem Hintergrund der Lehraussagen des 1. Vatikanischen Konzils (1869–70) geprüft worden (4.3.4). Durch die Auswahl der vier Zentralthemen der theologischen Auseinandersetzung zwischen den Konfessionen kann auch (in chronologischer Folge) ein gewisser Einblick in die bereits zweitausend Jahre währende Kirchengeschichte ermöglicht werden. 4.3.1 Orientalisch-orthodoxes Anliegen: Begrifflichkeit in der Christologie
Welche Bedeutung haben die zur Zeit des Konzils von Chalzedon gefundenen Sprachregelungen zur Beschreibung des Christus-Ereignisses in der gegenwärtigen Verkündigungssituation? Wer so fragt, hat bereits eine bestimmte ökumenische Hermeneutik im Gespräch zwischen den Kirchen eingenommen: Das Zeugnis für Gottes Wirken geschieht immer in Menschenworten, deren Bedeutung historisch bedingt ist. Um sich verstehen zu können, bedarf es nicht immer notwendig der Übernahme einer bestimmten Begrifflichkeit, vielmehr gilt es der Sache nach sicher zu stellen, dass mit den Worten die gemeinte Intention übereinstimmt. Angezielt ist mit den begrifflichen Verständigungen letztlich eine Konvergenz auf der Handlungsebene der Kirchen in ihrem Dienst am Glauben der Menschen. Unbestritten ist in der Literatur, dass der römisch-katholischen Kirche das Verdienst zukommt, Wegbereiterin gewesen zu sein für
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
die später dann auch unter den nicht-katholischen Kirchen getroffenen Vereinbarungen über den angemessenen heutigen Umgang mit Kontroversen in der Christologie im Altertum. Im Mai 1973 kam es zu einer Begegnung zwischen dem koptischen Patriarchen von Alexandrien, Papst Shenuda III., und dem Patriarchen von Alt-Rom, Papst Paul VI. Bei dieser Begegnung wurde eine theologische Kommission eingesetzt, die den Auftrag hatte, die bestehenden Lehrdifferenzen zu untersuchen und die Überwindung der Kirchentrennung vorzubereiten. Möglich war es aber bereits bei diesem Treffen, eine gemeinsame Formulierung des Christusglaubens zu finden. Dabei griffen die beiden Päpste auf einen Text zurück, der 1971 bei der ersten von „Pro Oriente“ in Wien initiierten, noch nicht-offiziellen Konsultation zwischen den nicht-chalzedonensischen und den chalzedonensischen Kirchen entwickelt wurde. Auf diese sog. „Wiener Formel“ von 1971 bezogen sich die späteren Dialoge immer wieder. Bis 1988 fanden insgesamt fünf von „Pro Oriente“ organisierte Konsultationen statt, bei denen grundlegende Fragen des Konzilsverständnisses, der Autorität in der Kirche und des päpstlichen Primates besprochen wurden. 1991 kam es in Ägypten zu einem Symposion, auf dem ein größerer Kreis von interessierten Vertretern aller christlichen Kirchen, die im Nahen Osten beheimatet sind, anwesend war und dessen primäres Anliegen es war, über die zwischen den Theologen und den Kirchenleitungen erreichten Annäherungen zu informieren. Träger aller bisher genannten Gespräche waren neben der römisch-katholischen Kirche allein solche, die zur Gruppe der sog. „monophysitischen“ Kirchen gezählt werden – anerkanntermaßen ein zumindest missverständlicher Sammelbegriff für solche Kirchen, die Anstoß nahmen und nehmen an der chalzedonensischen Rede von den zwei Naturen der einen Person Christus Jesus. Als solche monophysitischen Kirchen gelten: die syrisch-orthodoxe Kirche, die orthodoxe syrische Malankar-Kirche in Indien, die apostolische Kirche Armeniens, die koptische orthodoxe Kirche Ägyptens und die äthiopische orthodoxe Kirche. Erst im November 1994 unterzeichnete ein Vertreter einer Kirche, die sich in der Tradition des Nestorius stehend weiß, eine Erklärung zur Frage der Christologie, vereinbart mit der römisch-katholischen Kirche. Mar Dinkha IV., Katholikos und Patriarch der Kirche der Assyrischen Kirche des Ostens, kam anlässlich eines Besuches in Rom mit Papst Johannes Paul II. darin überein, dass die früheren Differenzen größtenteils auf Missverständnissen beruhten, der Christusglaube ein gemeinsamer
4.3 Geschichte der Kirchenspaltungen
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ist und auch so formuliert werden kann, dass keine Kirche daran Anstoß nehmen muss. Zeitlich parallel zu den bilateralen Dialogen mit römisch-katholischer Beteiligung fanden zahlreiche innerorthodoxe Gespräche zwischen den Kirchen statt, die Chalzedon rezipiert bzw. nicht rezipiert haben. Dabei unterscheidet man eine inoffizielle Phase – zwischen 1964 und 1971 – und eine offizielle Phase – seit 1985. 1990 kamen die christologischen Gespräche bei einem Treffen in Chambésy bei Genf zu einem gewissen Abschluss. Auch die Kirchen der Reformation haben sich um eine christologische Verständigung mit den nicht-chalzedonensischen Kirchen bemüht. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang – neben Vereinbarungen, die die anglikanischen Kirchen mitverantworten – insbesondere eine Erklärung, die der Reformierte Weltbund im September 1994 mit Vertretern der orientalischen Kirchen erarbeitete. Die Ergebnisse der genannten Dialoge sind vielfältiger Art – Vertrauensgewinn, Erfahrung von Gemeinschaft, Trost und Bestärkung im miteinander gelebten und gefeierten Evangelium; die Ökumene lebt von Begegnungen – und niemand, der den Prozess der Verständigung nicht miterlebt hat, ist wirklich in der Lage, das Erreichte – oder Misslungene – zu erfassen. Alle in den Dialogen besprochenen Formulierungen beziehen sich auf das christologische Bekenntnis von Chalzedon: „In der Nachfolge der heiligen Väter also lehren wir alle übereinstimmend, unseren Herrn Jesus Christus als ein und denselben Sohn zu bekennen: derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe ist vollkommen in der Menschheit; derselbe ist wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch aus vernunftbegabter Seele und Leib; derselbe ist der Gottheit nach dem Vater wesensgleich und der Menschheit nach uns wesensgleich, in allem uns gleich außer der Sünde; derselbe wurde einerseits der Gottheit nach vor den Zeiten aus dem Vater gezeugt, andererseits der Menschheit nach in den letzten Tagen unsertwegen und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau und Gottesgebärerin geboren; ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unverändert, ungetrennt und ungeteilt erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und Hypostase vereinigt; der einziggeborene Sohn, Gott, das Wort, der Herr Jesus Christus, ist nicht in zwei Personen geteilt oder getrennt, sondern ist ein und derselbe, wie es früher die Propheten über ihn und Jesus
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
Christus selbst es uns gelehrt und das Bekenntnis der Väter es uns überliefert hat.“5 4.3.2 Byzantinisch-orthodoxes Anliegen: Hervorgang des Geistes aus Gott Vater
Die Ökumene der christlichen Kirchen lebt von Begegnungen. Am 23. April 1990 gab Papst Shenuda III., der koptisch-orthodoxe Patriarch von Alexandria, einen Empfang für eine internationale ökumenische Kommission, die sich in einem Kloster in Kairo zusammengefunden hatte, um den bilateralen Dialog zwischen der koptisch-orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche fortzuführen. Auf der Tagesordnung stand ein Thema, das als eine der ältesten ökumenischen Kontroversen gilt: die Frage nach dem Hervorgang des Heiligen Geistes aus Gott-Vater allein oder aus dem Vater und dem Sohn (filioque). Vom Hervorgang des Geistes auch aus dem Sohn spricht nur die westlich-lateinische Fassung des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses, nicht aber der im 4. Jahrhundert formulierte, ursprünglich griechische Wortlaut dieses Textes (siehe Kapitel 3.). Am 29. Juni 1995, am Fest der Apostel Petrus und Paulus, hielt der Patriarch des Abendlandes und Bischof von Alt-Rom, Papst Johannes Paul II., eine Predigt im Petersdom – in Anwesenheit des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I. In seiner Homilie erinnerte Johannes Paul II. an die Konvergenzen, die von der Internationalen Kommission für den Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche in der Frage des Hervorgangs des Geistes aus Gott-Vater und in der Frage des Verhältnisses zwischen Christus Jesus und dem Heiligen Geist bereits festgestellt wurden.6 Der Papst beauftragte seinen „Rat zur Förderung der Einheit der Christen“, den orthodoxen Schwesterkirchen die aus römisch-katholischer Sicht erreichte Klärung dieser Fragen schriftlich darzulegen. Ein entsprechendes Papier hat der Einheitsrat Ende 1995 veröffentlicht.7 Der Einheitsrat knüpft an die erzielten Gesprächsergebnisse an, referiert die Vätertradition im Osten und im Westen und skizziert die geschichtlichen Hintergründe der Einfügung des Filioque in den Text des Glaubensbekenntnisses. Deutlich spricht sich der Einheitsrat dafür aus, das Filioque so zu interpretieren, dass dabei die Lehre von der Monarchie des Vaters nicht geleugnet werde. Demnach hat „das Filioque seinen Platz in einem theologischen und sprachlichen Zusammenhang, der verschieden ist von jenem der Bekräftigung der alleinigen Monarchie des Vaters, des einzigen Ursprungs des Sohnes und
4.3 Geschichte der Kirchenspaltungen
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des Geistes. Gegen den im Westen noch starken Arianismus sollte es die Tatsache hervorheben, dass der Heilige Geist dieselbe göttliche Natur besitzt wie der Sohn, ohne indes die eine Monarchie des Vaters in Frage zu stellen“8. Der Osten und der Westen gingen früh schon eigene Wege in der Trinitätstheologie. Angesichts der übereinstimmenden Meinung nahezu aller Theologen im Westen (allen voran des einflussreichen Augustinus), die Aussage des Hervorgangs des Geistes aus dem Vater allein gefährde das Bekenntnis zur Einheit des göttlichen Wesens, mag es verwundern, dass die Päpste sich lange Zeit eher schwer taten, einer Veränderung des Wortlautes des nizäno-konstantinopolitaschen Glaubensbekenntnisses zuzustimmen. Zwar stand angesichts einiger kirchenpolitischer Kanones weder das Konzil von Konstantinopel noch das von Chalzedon im Westen in hohem Ansehen, doch sollte wohl das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen dem westlichen und dem östlichen Teil der Christenheit nicht zusätzlich belastet werden. In lokalen Bekenntnistexten und synodalen Lehrentscheidungen in Spanien und Südfrankreich tauchte die Rede vom doppelten Hervorgang des Geistes aus dem Vater und dem Sohn bereits im 5. Jahrhundert auf. Diese Entwicklung verstärkte sich durch das Erfordernis, die im Westen verbreiteten subordinatianischen Tendenzen abzuwehren. Vor allem der dem Arianismus nahestehende Priszillianismus neigte dazu, den Sohn dem Vater unterzuordnen. Eben einer solchen Interpretation der trinitarischen Verhältnisse schien das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel zusätzlich Nahrung zu bieten, da es allein vom Vater aussagt, „Ursprung“ zu sein – und zwar vom Sohn und vom Geist. Der offene Streit um das rechte Modell trinitarischen Denkens brach erst aus, als Karl der Große sich im Westen nachdrücklich für die Aufnahme des Filioque in den Text des Glaubensbekenntnisses einsetzte. Er traf dabei auf den erbitterten Widerstand des damaligen Papstes. Leo III. kämpfte (gewiss auch im Sinne eines ja nicht immer schädlichen römischen Konservatismus, mehr aber aus dem eigenen Interesse, sich weder dem Kaiser zu beugen noch den Provinzen) für ein Festhalten am ursprünglichen Wortlaut des Nizäno-Konstantinopolitanums, ohne dabei allerdings die Rechtgläubigkeit des Filioque zu bestreiten. Leo argumentierte in kluger Weise mit der Überlegung, dass nicht alles, was wahr ist, auch im Glaubensbekenntnis steht. In der durch den Anspruch des Westens auf Bulgarien ausgelösten Krise im Verhältnis zwischen der östlichen und der westlichen Christenheit am Ende des 9. Jahrhunderts fungierte das Filioque als ein theologischer Zankapfel. Aber auch dieser Streit, der
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
mit dem Namen des Patriarchen Photius verbunden ist, endete noch ohne eine offizielle Aufnahme des Filioque in den Text des Credos. Erst Papst Benedikt VIII. erlaubte 1014 auf Druck von Kaiser Heinrich II. die Verwendung des Nizäno-Konstantinopolitanums in der aus Anlass der Kaiserkrönung gefeierten Eucharistie und in diesem Zusammenhang auch die um das Filioque erweiterte Fassung des Textes. Die Gemeinschaft der Kirchen des Ostens und des Westens zerbrach nicht an der Frage des Filioque. Im Jahr 1054, dem Jahr der wechselseitigen Exkommunikation der Patriarchen von Rom und von Konstantinopel, das gewöhnlich als Datum des vorläufig-endgültigen Zerwürfnisses angegeben wird, waren es letztlich politische Gründe, vor allem widerstreitende Gebietsansprüche, die den Bruch bewirkten. Die wohl größte Belastung hat das Verhältnis der östlichen und der westlichen Christenheit dann durch die Eroberung und Zerstörung von Konstantinopel zu Beginn des 4. Kreuzzugs 1204 erfahren. Das 4. Laterankonzil formulierte 1215, der Heilige Geist gehe „aus beiden“, aus Vater und Sohn, hervor (Spiritus Sanctus ab utroque procedens)9. Auf den beiden mittelalterlichen Unionskonzilien, dem 2. Konzil von Lyon 1274 und dem Konzil von Ferrara-Florenz 1438–39, gaben die östlich-orthodoxen Delegierten zwar formell ihre Zustimmung zur Einfügung des Filioque in den Credo-Text, eine entsprechende Rezeption der aufgedrängten Einigungsformeln blieb im Osten aber aus. Im Blick auf die gegenwärtige Gesprächssituation ist die Tatsache wichtig, dass die westlichen Bischöfe in Lyon 1274 deutlich sagten, der Westen lehre nicht den Hervorgang des Geistes aus zwei Prinzipien, vielmehr bildeten Vater und Sohn gemeinsam „ein Prinzip“ bei ihrem Hervorbringen des Geistes.10 Das im Sommer 1439 in Florenz verfasste Dekret über die Union mit den Griechen wiederholt zwar die Lehre von Lyon, ist im Ton aber viel freundlicher und enthält vor allem eine Formulierung11, auf die die heutige ökumenische Debatte zurückgreifen kann: Spiritus Sanctus ex Patre per Filium procedit (der Heilige Geist geht aus dem Vater durch den Sohn hervor). Drei Ziele verfolgt die östliche Trinitätslehre: (1) Sie will der Versuchung modalistischen Denkens widerstehen. Deshalb betont sie mit Vehemenz die Eigenständigkeit der göttlichen Personen. Vater, Sohn und Geist sind nicht (modalistisch gedacht) letztlich austauschbare Erscheinungsweisen des einen Gottes, nicht Sichtweisen von Gott, die nur dem menschlichen Auge als unterschiedlich erscheinen. Nein, Gott ist nicht bloß in der Erscheinung, sondern auch in seiner Exi-
4.3 Geschichte der Kirchenspaltungen
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stenz, in Wahrheit immer schon ein Gegenüber von Personen. (2) Die östliche Theologie lehnt ein Erkenntnisprinzip ab, das im lateinischen Westen von frühester Zeit an vertreten wurde: die Einheit von heilsgeschichtlich-ökonomischer und von innergöttlich-immanenter Trinität. Das östliche Denken kommt im Lauf der Theologiegeschichte zunehmend zu der Überzeugung, dass ein Rückschluss von der Heilsgeschichte auf die innergöttlichen Verhältnisse nicht zulässig sei. Gottes Inneres bleibt letztlich unerkennbar. Zwar gilt im Blick auf die geschichtliche Erfahrung, dass der Sohn, Jesus Christus, den Geist offenbart, doch bedeutet das nicht, dass der Sohn von Ewigkeit her einer ist, aus dem der Geist hervorgeht. (3) Der Osten sieht eine enge Verbindung zwischen Gotteslehre und Ekklesiologie. Die östliche Trinitätstheologie will daher Gottes Gottsein „dynamisch“ bestimmen. Der, von dem alles ausgeht, der Erste und der Eine, der Vater ist der Ursprung einer Bewegung, die alles erfasst. Gottes im Geist wirksame dynamis, die verwandelnde Kraft, die vom Vater ausgeht, ist unmittelbar erfahrbar in der Gemeinschaft der Kirche. Auch für den Westen lassen sich drei Anliegen formulieren, die in seinem trinitarischen Modell gewahrt sein wollen: (1) Anders als im Osten war im Westen nicht der Modalismus die bekämpfte Gefahr, sondern der Subordinatianismus: die scheinbar leichter eingängige Vorstellung einer Unterordnung des Sohnes unter den Vater. Die Völker im Westen des heutigen Europa taten sich schwer mit dem Gedanken, der menschgewordene Gottessohn sei von Ewigkeit her Gott wesensgleich. Die Theologen und Bischöfe bemühten sich daher, den Eindruck einer Unterscheidung im Wesen von Vater und Sohn zu vermeiden. (2) Das zweite Anliegen ist nur in Kenntnis der Sprachund Übersetzungsprobleme zwischen dem Osten und dem Westen verständlich zu machen. Der Osten verwendete von Anfang an unterschiedliche Begriffe, um den Hervorgang des Sohnes aus dem Vater (gennesia) und den Hervorgang des Geistes aus dem Vater (ekporeusis) zu bezeichnen. Die lateinisch sprechende Theologie kannte solche Unterscheidungen zunächst nicht: Alle Weisen des innergöttlichen Hervorgangs wurden mit „processio“ wiedergegeben. Nach westlicher Vorstellung war nun aber undenkbar, dass bei zwei gleichgearteten processiones aus dem Vater zwei unterschiedliche göttliche Personen entstehen könnten. Nur eine Beteiligung des Sohnes an der processio des Geistes aus dem Vater schien eine Unterscheidung der göttlichen Personen zu ermöglichen. (3) Das dritte westliche Anliegen ist einem östlichen Anliegen direkt gegenläufig. Der Osten kann mit seiner Konzeption der Ursprungseinheit an aristotelisches Gedan-
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kengut anknüpfen. Im Westen ist das platonische Erbe unverkennbar: Die Heilsgeschichte ist das Abbild des innergöttlichen Urbildes. Und in ihr, in der Zeit, ist der Geist durch den Sohn offenbar geworden. Dann muss auch in alle Ewigkeit der Sohn einer sein, aus dem der Geist hervorgeht. Der Westen vertritt von frühester Zeit an ein Grundprinzip der Trinitätstheologie: Die ökonomische Trinität ermöglicht Erkenntnis der immanenten Trinität. Das östliche und das westliche Modell des trinitarischen Monotheismus lassen sich als zwei legitime, komplementäre Theologien bezeichnen, die angesichts ihrer unterschiedlichen Denkvoraussetzungen und der begrifflichen Differenzen nicht in einem Modell miteinander verbunden werden können, und es auch nicht müssen. Wie ist der gegenwärtige Stand der ökumenischen Kontroverse um die westlich-lateinische Hinzufügung des Filioque in das Glaubensbekenntnis, und welche Perspektiven für die Zukunft zeichnen sich ab? Eines ist schnell berichtet: In allen Konfessionen ist die Bereitschaft groß, in liturgischen Feiern wieder gemeinsam den ursprünglichen Text des Nizäno-Konstantinopolitanums zu verwenden. Diese Tendenz kann an die Tradition anknüpfen, auch im Westen die griechische Fassung des Großen Glaubensbekenntnisses unangetastet zu lassen, wenn sie in der Liturgie Verwendung fand, und nicht etwa um das griechische Äquivalent des Filioque zu ergänzen. Als erste machten jene beiden Konfessionen der westlich-lateinischen Christenheit der Orthodoxie das Angebot, auf das Filioque zu verzichten, die sich ihr sehr nahe wissen: Anglikaner und Altkatholische. Entsprechende Initiativen sind auf anglikanischer Seite schon für das 17. und 18. Jahrhundert nachzuweisen, sie verstärkten sich im 19. Jahrhundert. Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts kam es dann zu festen Vereinbarungen zwischen den orthodoxen Kirchen und den in der Lambeth-Konferenz zusammengeschlossenen anglikanischen Kirchen. Angesichts der engagierten Verteidigung des Filioque durch Karl Barth taten sich die Reformierten zunächst schwer, dem Votum der ihnen verwandten Anglikaner zuzustimmen. Der erst vor wenigen Jahren begonnene offizielle Dialog zwischen dem Reformierten Weltbund und den orthodoxen Kirchen empfiehlt jedoch bereits in seiner ersten Erklärung die Rückkehr zur ursprünglichen Version des Credos. Am zögerlichsten sind derzeit noch Lutheraner, eine Vereinbarung mit der Orthodoxie zu treffen. Die in der lutherischen Tradition stark ausgeprägte christologisch-soteriologische Argumentation steht einer solchen im Wege. Aber auch hier zeichnen sich Annähe-
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rungen ab, die nicht zuletzt eine Folge des anhaltenden Dialogs beider Kirchen über Fragen des Schriftverständnisses sind. Die römisch-katholische Kirche hatte bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts unter Papst Benedikt XIV. den mit ihr in Union lebenden Ostkirchen erlaubt, die ursprüngliche Form des Symbolons von Konstantinopel den landessprachlichen Übersetzungen zugrunde zu legen. Entscheidende Fortschritte erzielte der seit Ende des 19. Jahrhunderts intensivierte Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Orthodoxie durch das Engagement der Päpste im 20. Jahrhundert. Paul VI. setzte Zeichen von großer Bedeutung: Er traf sich im Januar 1964 mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Athenagoras in Jerusalem. Paul VI. verlas dann in Rom bei der letzten Sitzung des 2. Vatikanischen Konzils im Dezember 1965 einen Text, in dem die römisch-katholische Kirche ihr Bedauern über die Vorgänge des Jahres 1054 äußerte und ihren Willen zur Versöhnung bekräftigte. Zeitgleich tat Athenagoras in Konstantinopel Entsprechendes. 1967 reiste Paul VI. nach Konstantinopel, um dort Athenagoras zu treffen. Dies ermöglichte Athenagoras noch im gleichen Jahr einen Gegenbesuch in Rom. Eine solche Reise wäre ohne den vorausgehenden Besuch des Papstes von der übrigen Orthodoxie als Bittgang missverstanden und daher abgelehnt worden. Bei ihrer Begegnung in Rom verhinderte Paul VI., dass Athenagoras ihm, wie damals noch üblich, die Füße küsste. Er nahm ihn sofort in die Arme. 1974 setzte sich Paul VI. anlässlich der 700-Jahr-Feier des Konzils von Lyon für eine Neubewertung der dort gefassten Beschlüsse ein, die in der Orthodoxie bis heute als tiefe Demütigung im Gedächtnis sind. 1981 sprach Johannes Paul II. bei der gemeinsamen ökumenischen Feier zum Gedächtnis von 381 (1600 Jahre danach) den Text des Credos erstmals ohne Filioque, und diese Praxis ist bei ökumenischen Begegnungen inzwischen üblich. In einer Einführung in die Ekklesiologie haben Überlegungen zum Stand der ökumenischen Gespräche über das Filioque eine vielfache Bedeutung: (1) Deutlich wird, wie komplex die Geschichte der Kirchen miteinander in der historischen Konkretion bis heute ist. (2) Gemeinsam bezeugen alle Kirchen eine sehr hohe Wertschätzung der altkirchlichen Konzilsaussagen im ursprünglichen Wortlaut. (3) Eine bleibende Mahnung aus orthodoxer Sicht ist es, die unmittelbare Wirkung des Heiligen Geistes im Gefüge der Kirche nicht zu unterschätzen (konkret: nicht allein christologisch und damit möglicherweise sogar amtstheologisch zu verorten).
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4.3.3 Reformatorisches Anliegen: kriteriologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre
Ein biblischer Leittext der reformatorischen Tradition ist die paulinische Erinnerung an die Unterscheidung zwischen dem Ursprung der kirchlichen Gemeinschaftsbildung in Jesus Christus und dem Dienst eines jeden Apostels: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,11). Grund und (amtliche) Gestalt der Kirche werden in reformatorischer Tradition strikt unterschieden: Der Grund der Kirche ist das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus; die Gestalt der Kirche kann angesichts der zeitbedingten Herausforderungen bei der Erfüllung des Zeugnisdienstes für Jesus Christus variieren. Evangelische Kirchen haben in ihrer Geschichte immer wieder Offenheit für eine Neuordnung der institutionellen Strukturen gezeigt, wenn der Sinn und das Ziel des kirchlichen Handelns dabei gewahrt bleiben. Eine Aussage der Confessio Augustana, der lutherischen Bekenntnisschrift auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, wird in ökumenischen Kontexten immer wieder zitiert: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt [satis est] zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, dass überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden“12. Satis est – es genügt aus reformatorischer Sicht, wenn die dem Evangelium entsprechenden Dienste von den Kirchen erfüllt werden, um in Kirchengemeinschaft zu leben. Fragen des Amtes sind Fragen der äußeren Ordnung der Kirche in der Öffentlichkeit und daher auch ernst zu nehmen, Unterschiede in dieser Thematik betreffen jedoch nicht das Wesen der Kirche. Auf der Grundlage der Leuenberger Konkordie von 1973 kann die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa heute einander (das heißt die lutherischen, reformierten und unierten Traditionen sich untereinander) Kirchengemeinschaft zusprechen, ohne dass in Einzelfragen der Ekklesiologie ein voller Konsens erreicht worden wäre, denn: „Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament
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gewähren und eine möglichst große Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben“13. Auf der Basis der Leuenberger Konkordie hat die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE), der lutherische, reformierte und unierte Kirchen vorrangig von Nord- und Osteuropa angehören, ihr Kirchenverständnis dargelegt, mit dem sie gegenwärtig in die ökumenischen Dialoge eintritt. Das wegweisende Dokument „Die Kirche Jesu Christi“14 unterscheidet zwischen Ursprung, Grund und Gestalt der Kirche. Konzentriert heißt es zu Beginn: „Das rechtfertigende Handeln des dreieinigen Gottes ist der Inhalt des Evangeliums. (…) Die Kirche gründet in dem Wort des dreieinigen Gottes. Sie ist Geschöpf des zum Glauben rufenden Wortes, durch das Gott den von ihm entfremdeten und ihm widersprechenden Menschen mit sich versöhnt und verbindet, indem er ihn in Christus rechtfertigt und heiligt, ihn im Heiligen Geist erneuert und zu seinem Volk beruft. So ist die Kirche das in Christus erwählte Volk Gottes, das vom Heiligen Geist gesammelt und gestärkt wird auf dem Weg durch die Zeit bis zur Vollendung im Reich Gottes. Im Wirksamwerden dieses allumfassenden Handelns Gottes hat die Kirche ihren Ursprung und bleibenden Grund.“15 Im Kontext der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“16, die am 31. Oktober 1999 in Augsburg vom Lutherischen Weltbund und der römisch-katholischen Kirche unterzeichnet wurde, kam es zu einer intensiven Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen der Rechtfertigungslehre und der Ekklesiologie. „(17) Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Botschaft von der Rechtfertigung uns in besonderer Weise auf die Mitte des neutestamentlichen Zeugnisses von Gottes Heilshandeln in Christus verweist: Sie sagt uns, dass wir Sünder unser neues Leben allein der vergebenden und neuschaffenden Barmherzigkeit Gottes verdanken, die wir uns nur schenken lassen und im Glauben empfangen, aber nie – in welcher Form auch immer – verdienen können. (18) Darum ist die Lehre von der Rechtfertigung, die diese Botschaft aufnimmt und entfaltet, nicht nur ein Teilstück der christlichen Glaubenslehre. Sie steht in einem wesenhaften Bezug zu allen Glaubenswahrheiten, die miteinander in einem inneren Zusammenhang zu sehen sind. Sie ist ein unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will. Wenn Lutheraner die einzigartige Bedeutung dieses Kriteriums betonen, verneinen sie nicht den Zusammenhang und die Bedeutung aller Glaubenswahrheiten. Wenn Katholiken sich von mehreren Kriterien in Pflicht genommen sehen, verneinen sie nicht die besondere Funktion der Rechtfertigungsbot-
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schaft. Lutheraner und Katholiken haben gemeinsam das Ziel, in allem Christus zu bekennen, dem allein über alles zu vertrauen ist als dem einen Mittler (1 Tim 2,5f.), durch den Gott im Heiligen Geist sich selbst gibt und seine erneuernden Gaben schenkt.“17 Die Tatsache, dass es in der Rezeptionsgeschichte der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ einen solch erbitterten Streit um das Verständnis dieser Passage gab, lässt sich nicht allein mit theologischen Aspekten begründen. Unklarheiten bei der Entstehungsgeschichte der zitierten Aussage und Differenzen in der Auslegung haben zusätzlich das Gespräch über das Thema erschwert. Welches sind präzise die „mehreren Kriterien“, von denen sich die Katholiken in Pflicht genommen sehen? Viele Spekulationen wurden formuliert. Martin Luther formulierte 1537: „Articulus iustificationis est magister et princeps, dominus, rector et iudex super omnia genera doctrinarum, qui conservat et gubernat omnem doctrinam ecclesiasticam et erigit conscientiam nostram coram Deo. Sine hoc articulo mundus est plane mors et tenebrae“18. Beiträge zur Reformationsgeschichte zeigen auf, dass diese theologische Überzeugung Luthers, die er wenige Jahre zuvor in den vielzitierten Worten, „isto articulo stante stat Ecclesia, ruente ruit Ecclesia“19, zum Ausdruck brachte, Ergebnis einer sich zuspitzenden Gesprächssituation ist, deren zeitgeschichtliche Hintergründe bei der Interpretation der These zu berücksichtigen sind. Der Begriff „Kriterium“ bzw. „Kriterien“ ist im Kontext der Frage, welche Verbindung es zwischen dem Rechtfertigungsartikel und anderen Lehrgestalten – insbesondere denen der Ekklesiologie – gibt, im Malta-Bericht20 1972 erstmals in einem ökumenischen Dokument verwendet worden. Dort heißt es im Anschluss an eine gemeinsame Bestimmung des Gehalts der Rechtfertigungslehre: „Obgleich eine weitgehende Übereinstimmung im Verständnis der Rechtfertigungslehre möglich erscheint, erheben sich hier Fragen: Welcher theologische Stellenwert kommt ihr zu – und werden die Konsequenzen für Leben und Lehre der Kirche auf beiden Seiten in gleicher Weise beurteilt?“21 Eine klare Antwort auf die erste der beiden Fragen gibt (nur) die lutherische Seite: „Für lutherisches Verständnis unterstehen aufgrund des Bekenntnisses der Rechtfertigung alle kirchlichen Traditionen und Institutionen dem Kriterium, dass sie rechte Verkündigung des Evangeliums ermöglichen und die Bedingungslosigkeit des Heilsempfangs nicht verdunkeln. Von daher ergibt sich, dass kirchliche Ordnungen und Riten nicht als Heilsbedingungen auferlegt werden dürfen, sondern nur als freie Entfaltung des Glaubensgehorsams gelten können.“22 Die kriteriologische Funktion der
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Rechtfertigungslehre für die Ekklesiologie und -praxie wird an dieser Stelle auf eine Weise eingebracht, dass dabei deutlich wird, worum es in der Sache geht: um die rechte Verkündigung des Evangeliums und um die Wahrung des Geschenkcharakters des göttlichen Heils. Eine Festlegung auf den Begriff „Rechtfertigung“ zur inhaltlichen Bestimmung des Kriteriums geschieht dabei nicht. Die Aufnahme des Begriffs „Kriterium“ in die Ausführungen des Malta-Berichts über die Rechtfertigungslehre wurde durch Überlegungen zu der Frage vorbereitet, welche „Kriterien kirchlicher Verkündigung“23 gemeinsam bestimmt werden können. Das Dokument unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen dem „primären Kriterium“ und „sekundären Kriterien“: „Da das Evangelium in immer neue geschichtliche Situationen hinein bezeugt werden muss, stellt sich die Frage nach den Kriterien, aufgrund welcher man zwischen legitimen und illegitimen späteren Entwicklungen unterscheiden kann. Diese Frage lässt sich nicht auf rein theoretische Weise beantworten. Weder das Prinzip sola scriptura noch der formale Verweis auf die Verbindlichkeit des Lehramtes kann genügen. Primäres Kriterium ist, dass der Heilige Geist das Christusereignis als Heilsgeschehen erweist. Es erhebt sich freilich die Frage, wie sich die Macht des Heiligen Geistes als Kriterium konkret ausweisen lässt. Wenn die Kontinuität der Überlieferung zu ihrem Ursprung konkret festgestellt werden soll, bedarf es offenbar sekundärer Kriterien“24. Auch in dieser Textpassage wird die Frage nach einem Kriterium oder mehreren Kriterien der kirchlichen Aufgabe zugeordnet, Gottes Evangelium in jeder Zeit ursprungsgetreu zu verkündigen. Das primäre Kriterium zur Prüfung der Legitimität des Tradierungsgeschehens ist die Wirksamkeit des Geistes Gottes; sekundäre Kriterien dienen zur Unterscheidung zwischen dem Willen des göttlichen Geistes und den Vorstellungen menschlicher Geister. Die nachfolgenden Ausführungen fassen den ökumenischen Gesprächsstand in der Frage nach der Autorität der Schriftauslegung in den Formen der Predigt, der lebendigen Glaubensüberlieferung aller Christen und der besonderen amtlich-verbindlichen kirchlichen Lehre zusammen. Sehr ausführlich hat sich das 1983 verabschiedete Dokument „Justification by Faith“25, in dem die Ergebnisse des in den USA geführten evangelisch-lutherischen – römisch-katholischen Dialogs über Fragen der Rechtfertigung dargestellt sind, mit der Frage beschäftigt, welche Motive lutherische Theologen leiten, wenn sie die kriteriologische Funktion der Rechtfertigungslehre betonen, und welche Bedenken römisch-katholische Theologen gegen diese Redeweise geltend ma-
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chen. Dabei erinnert der Text – im Sinne der Kennzeichnung des Ausgangspunktes der Beratungen in der Dialogkommission – zunächst an die reformationsgeschichtliche Verortung des lutherischen Interesses an der Bestimmung eines „kritischen Prinzips“, „anhand dessen man prüfen kann, was authentisch christlich ist“26. Das „Prinzip der Rechtfertigung durch den Glauben“ wird als „Korrelat zur alleinigen Mittlerschaft Christi“ aufgefasst; die zeitenübergreifende Bedeutsamkeit dieses Prinzips ergibt sich aus der steten Gefahr, dass Christen „sich auf ihre eigenen Pläne statt auf Christus (...) verlassen“27. Die römischkatholischen Vorbehalte gegen die Bestimmung eines einzigen Kriteriums zur Prüfung von Leben und Lehre der Kirche werden vor allem damit begründet, „dass das Evangelium nicht recht interpretiert werden kann, ohne die ganzen in der Kirche vorhandenen Ressourcen heranzuziehen“28. Wie der Malta-Bericht, so rekurriert auch der USA-Dialog bei der Interpretation der verbliebenen Differenz auf die Frage der Gewissheit über die Authentizität der Verkündigung des Evangeliums, die die römisch-katholische Lehrtradition durch den Verweis allein auf den Rechtfertigungsartikel noch nicht hinreichend beantwortet sieht. Deutlich eingestanden wird hier, dass diese Differenz noch besteht und als eine offene Frage zu betrachten ist, bei der weiterhin Klärungsbedarf herrscht. So ist es kaum erstaunlich, dass ein den Gesprächsstand zusammenfassendes Dokument, wie es die Gemeinsame Erklärung von Augsburg sein will, an diese Problematik erinnert. Im Anschluss an die Beschreibung des Standes der Kontroverse führen in „Justification by Faith“ detaillierte Untersuchungen des biblischen Zeugnisses zu dem Ergebnis, „dass ein auf den Glauben zentriertes und forensisch verstandenes Bild von der Rechtfertigung (...) für Paulus, und in gewissem Sinne für die Bibel insgesamt, von entscheidender Bedeutung (ist), wenn dies auch keinesfalls die einzige biblische oder paulinische Weise ist, das Heilswerk Gottes darzustellen.“29 Auf der Basis dieser Erkenntnis, „dass das biblische Zeugnis vom Evangelium des Heilswerkes Gottes in Christus reicher und vielfältiger ist, als es im traditionellen katholischen oder lutherischen Verständnis der Rechtfertigung erfasst worden ist“30, beschreibt das Dokument abschließend zunächst die „unvollständige Konvergenz“ im Blick auf den Gebrauch der Rechtfertigungslehre als Kriterium und sodann die (volle) „inhaltliche Konvergenz“ im Verständnis derselben.31 Die in unserem Zusammenhang besonders interessierende „unvollständige Konvergenz“ besteht in der gemeinsamen Anerkenntnis der „Notwendigkeit (...), die Praxis, die Strukturen und die Theologien der Kirche daran zu messen, inwieweit sie ‚die Verkündigung der
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freien und gnädigen Verheißungen Gottes in Christus Jesus, die allein durch den Glauben recht empfangen werden können‘ (Nr. 28), fördern oder hindern. Diese Übereinstimmung beinhaltet jedoch nicht immer Einigkeit im Blick auf die Anwendung des Kriteriums, d.h. welche Glaubensüberzeugungen, Bräuche und Strukturen der Prüfung standhalten“32. Als Beispiele für verbliebene Differenzen in der Einschätzung der Konsequenzen einer Anwendung des kritischen Maßstabs werden die Fegefeuerlehre, das Papstamt und die Heiligenverehrung benannt. Nicht das Dass der kriteriologischen Funktion des (im Anschluss an das biblische Zeugnis unterschiedlich aussagbaren) Rechtfertigungsartikels blieb somit strittig, sondern das Wie der Wirksamkeit dieses Kriteriums und damit die konkreten Reformen der Kirche, die es im Namen Gottes anzustrengen gilt. In den ökumenischen Dialogrunden zur Frage der kriteriologischen Relevanz des Rechtfertigungsartikels und in den theologischen Kommentaren ihrer Ergebnisse wurden verschiedentlich Versuche unternommen, Differenzierungen vorzunehmen und zu begründen. Einigkeit herrscht weitgehend im Blick auf die inhaltlich-materiale Bestimmung der göttlichen Erlösungsinitiative zur Errettung der Schöpfung – auch bei der Feststellung, dass dieses Geschehen bereits in biblischer Zeit in unterschiedlicher Sprachgestalt bezeugt werden konnte. Von dieser Frage nach der (inhaltlich zu erfassenden) Mitte des christlichen Glaubens zu unterscheiden ist die Problematik, wie gewährleistet sein kann, dass die Glaubensgemeinschaft der von Gott in Christus Jesus eschatologisch-endgültig geoffenbarten Verheißung in allen Gestalten des kirchlichen Daseins treu bleibt. Die römischkatholische Glaubensgemeinschaft beantwortet diese Frage mit dem Hinweis auf die Wirksamkeit des Geistes Gottes sowohl im Wort der kanonischen Schriftzeugnisse, als auch bei der Auslegung der biblischen Überlieferung und im Prozess der Vergegenwärtigung des apostolischen Ursprungs durch kirchliche Lehrentscheide. Zur Debatte steht in diesem Zusammenhang die Frage einer theologisch stimmigen Zuordnung der (unbestrittenen) materialen Suffizienz des Schriftzeugnisses zu den (umstrittenen) Instanzen, die beanspruchen, Gewissheit in der Frage der Treue zur apostolischen Überlieferung zu gewährleisten. Um das „solus Christus“ müssen die Kirchen nicht streiten – nur um die Wege der Vergegenwärtigung dieser Erkenntnis im Leben der christlichen Glaubensgemeinschaft. In diesem Zusammenhang ist es dringend erforderlich, unter Einbezug der orthodoxen Theologie die ökumenische Besinnung auf die pneumatologische Dimension des gesamten kirchlichen Lebens zu vertiefen.
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4.3.4 Gemeinsames Anliegen: Verständigung über das Dienstamt des Bischofs von Rom
In den Dialogen mit allen nicht-römisch-katholischen Traditionen ist die Frage, wie das Dienstamt des Bischofs von Rom zu bestimmen ist, von hoher Bedeutung. Die römisch-katholische Institution des Papsttums beruft sich auf die neutestamentliche Tradition einer durch Jesus selbst autorisierten besonderen Berufung des Petrus innerhalb des Kreises der Apostel, einen Dienst der Stärkung und der Einigung in seiner Nachfolgegemeinschaft tun zu sollen. Im Kontext nicht nur der ökumenischen Dialoge sind solide Forschungen über die Gestalt des biblischen Petrus entstanden. Sie alle stehen vor der Schwierigkeit, dass die neutestamentlichen Schriften keine Auskünfte über Biographien geben wollen, die sich mit den Methoden der historischen Forschung heute zweifelsfrei rekonstruieren ließen. Es handelt sich vielmehr um Glaubenszeugnisse der zweiten und dritten christlichen Generation, in denen sich die Erinnerungen an die überlieferten Vorgänge in der Darstellung mit Wünschen für die Gegenwart verbinden. Es gibt nur wenige gesicherte Kenntnisse über den irdischen Petrus, der in den biblischen Schriften als eine schillernde Persönlichkeit dargestellt wird: ängstlich, zweifelnd und siegesgewiss auf der einen Seite, zuverlässig, einsichtig und einsatzfreudig auf der anderen Seite. Zu den wichtigsten Themenkreisen, nach denen sich die Petrusüberlieferung ordnen lässt, gehören: (1) Erzählungen von seiner Berufung noch mit Namen Simon zusammen mit seinem Bruder Andreas (vgl. Mk 1,16–17 parr.) und seiner (vorausgehenden) Tätigkeit als Fischer; der Fischfang bleibt eine wichtige Bildquelle für die Verkündigung Jesu; (2) Erzählungen vom Leben Jesu in der Nähe der Familie des Petrus in Karfanaum (vgl. Mk 1,29–31); (3) Erzählungen von seinem Widerstand gegen den Leidensweg Jesu und seinem inneren Ringen um gläubiges Vertrauen und Einverständnis mit Jesu Weg nach Jerusalem (vgl. Mk 8,31–33 u.ö.); (4) Erzählungen, in denen Petrus als der Wortführer der Apostel auftritt und von Jesus eine besondere Beauftragung erfährt (vgl. Mt 16,13–20); (5) Erzählungen im Kontext der Passionsgeschichte (mit Abendmahl, Gefangennahme und Verleugnung: vgl. Joh 13,1–11; Mt 26); (6) Erzählungen von den Erscheinungen des auferstandenen Jesus am leeren Grab und nach der Rückkehr nach Galiläa (vgl. 1 Kor 15,5; Joh 20–21); (7) Erzählungen von der geistbegabten Verkündigung des Petrus nach dem Pfingstereignis (vgl. Apg 2); (8) Erzählungen
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von den Missionsreisen des Petrus und seinem Taufhandeln (vgl. Apg 4–5; 8; 10–11); (9) Erzählungen von den Bemühungen des Petrus um einen Kompromiss in der Frage der Heidenmission (vgl. Gal 2; Apg 15); (10) zwei Briefe mit vorrangig paränetisch-eschatologischem Gehalt (1 und 2 Petr). Es ist zwischen den Konfessionen unbestritten, dass Petrus in den neutestamentlichen Schriften in vielfachen Kontexten hohe Aufmerksamkeit erfährt. Evangelische Exegeten betonen in der Regel die exemplarische Bedeutung des Petrus für alle Jüngerinnen und Jünger Jesu, die von Zweifeln angefochten sind und um Vertrauen in Jesus Christus ringen. In ökumenischen Gesprächen findet eine Feststellung immer wieder Beachtung: Es gibt in den neutestamentlichen Zeugnissen keinen Hinweis darauf, dass Simon Petrus einen einzelnen, namentlich bekannten Nachfolger hatte. Dennoch könnte es sinnvoll sein, ein ihm entsprechendes Amt in der Kirche einzurichten, das dann jedoch für unterschiedliche Ausgestaltungen und strukturelle Anlagen offen bliebe. Die erforderliche Einbindung des personal verantworteten Petrusdienstes in kollegiale Strukturen gilt auf der Grundlage der biblischen Schriften heute als unabdingbar. In Rückbindung an die neutestamentliche Überlieferung ist dabei ein breites Handlungsfeld für die Nachfolger des Petrus zu denken: Er war missionarisch, heilend, lehrend, disziplinierend, versöhnend und leitend tätig. Die traditionsgeschichtlichen Festlegungen im Verständnis des Petrusdienstes haben bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten begonnen. Offenkundig war es in Zeiten der äußeren und der inneren Auseinandersetzungen in den ersten Jahrhunderten wichtig, sich auf unbestrittene Autoritäten zu berufen. Zunächst waren dies die Apostel in ihrer Gesamtheit, deren Ansehen und Autorität später angesichts angenommener Reisetätigkeiten zunehmend lokal differenziert wurden. Im Blick auf Rom begründete das Doppelmartyrium von Petrus und Paulus eine besondere Autorität dieser Stadtgemeinde, verstärkt durch die Tatsache, dass Rom Hauptstadt des weströmischen Reiches war. Mit Bezug auf sehr frühe Quellen lässt sich zeigen, dass vom 2. Jahrhundert an die Gemeinde von Rom eine besondere Rolle innerhalb der Christenheit innehatte. Die Idee einer ununterbrochenen Reihe der Besetzungen des Amtes eines einzelnen Bischofs von Rom festigte sich im 3. Jahrhundert weiterhin aus apologetischen Motiven. Ein erster Höhepunkt im Bewusstsein der besonderen Autorität des Bischofs von Rom wurde bei Leo I. (440–461 n. Chr.) erreicht. Leo brachte seinen vor allem im Westen unbestrittenen Anspruch auf ei-
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nen Vorrang vor anderen Bischofssitzen vor allem in Ansprachen zu Jahrestagen seiner Amtsübernahme zur Geltung. In einem Lehrschreiben (dem so genannten „Tomus Leonis“ aus dem Jahr 450 n. Chr.) brachte Leo I. seine theologische Position in die christologischen Lehrstreitigkeiten des Konzils von Chalzedon ein und war so mitbeteiligt bei der dort gefundenen Konvergenz. Zugleich musste Leo I. ertragen, dass der Kaiser den Bischof von Konstantinopel in seinem Primatsanspruch stärkte, um auf diese Weise selbst höheren Einfluss auf kirchliche Belange zu gewinnen. Damit waren die Zeiten angebrochen, in denen es nachhaltig zu Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser in Konstantinopel und dem Bischof von Rom kam. Mit der Verlagerung des politischen Zentrums von Byzanz in das Frankenreich und unter die Herrschaft der Karolinger veränderten sich auch die Koordinaten im Verhältnis der Westkirche und der Ostkirche. Die Westkirche geriet mehr und mehr unter politischen Einfluss und konnte ohne den Schutz der Kaiser kaum bestehen. Die Kontroversen eskalierten in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und führten zum wechselseitigen Bann der Bischöfe von Rom und Konstantinopel (1054 n. Chr.). Kirchliche Reformen wurden weltlichen Interessen untergeordnet. Dies änderte sich kurzzeitig im 11. Jahrhundert, das eine intensive Anstrengung um eine religiöse Erneuerung erlebte. Unter Gregor VII. (1073–1085 n. Chr.) wurde erneut ein umfassendes Reformprogramm in Angriff genommen. In die Geschichte ist dieser Papst vor allem wegen seines Banns über Heinrich IV. eingegangen, der den „Gang nach Canossa“ (1077 n. Chr.) als Bußweg des Kaisers zur Folge hatte. Es schlossen sich Zeiten großer Machtfülle der Bischöfe von Rom an, die sich im politisch-militärischen Bereich insbesondere in Gestalt der ersten Kreuzzüge auswirkte. Mit der Zerstörung von Konstantinopel (1204 n. Chr.) wurde das Verhältnis zwischen der Ost- und der Westkirche nochmals erheblich belastet. Reformbemühungen gab es auch in diesen Zeiten – etwa unter Innozenz III. (1198–1216 n. Chr.). Er zeigte sich offen für die Anerkenntnis moderater Armutsbewegungen, für die Franz von Assisi zur Leitfigur wurde. Herrschaftskritische Bewegungen – wie etwa die Katharer – bekämpfte Innozenz mit allen Mitteln. Unter Bonifaz VIII. (1294–1303 n. Chr.) wurde die Orientierung nach Rom durch die Ausrufung des ersten Heiligen Jahres 1300 n. Chr. weiter gesteigert. In der Bulle „Unam sanctam“ (1302 n. Chr.) schrieb Bonifaz VIII. seinen primatialen Anspruch auch den weltlichen Herrschern gegenüber nochmals (ohne Aussicht auf Gehör bei den in Europa inzwischen dominierenden Königen
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von Frankreich) fest. In der Folgezeit kam es zu einer zunehmenden Einflussnahme des französischen Königshauses auf die Päpste, die sich zeitweilig von Rom weg in das Exil von Avignon (1309–1377 n. Chr.) begaben. Das ausgehende Mittelalter erlebte Zeiten, in denen mehrere Päpste den Anspruch auf den Sitz des Bischofs von Rom erhoben (Abendländisches Schisma: 1378–1417 n. Chr.). Diese Situation beendete erst das Konzil von Konstanz (1414–1418 n. Chr.), das die Idee des Konziliarismus (Vorrang des Konzils vor dem Bischof von Rom als der höchsten Autorität in der Kirche) nachhaltig beförderte. Von Reformwilligkeit und Zuneigung zum Geist des Humanismus blieben auch in der Folgezeit einzelne Päpste – vor allem Nikolaus V. (1447–1455 n. Chr.) – erfüllt. Zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen um die Institution des Papstamts kam es dann im Reformationszeitalter. Reformatorische Aussagen über das Papsttum sind in hohem Maße zeit- und kontextbezogen. In der Einschätzung der Frage nach dem Papstamt stimmte Melanchthon mit Martin Luther überein, der noch 1531 seine Bereitschaft bekundet hatte, dem Papst die Füße zu küssen, sollte er dem Evangelium in seiner Lehre Raum geben. Im Luthertum gibt es auf dieser Basis zwar bis heute keine Neigung zu einer prinzipiellen Verneinung der Institution des Petrusdienstes in Aufnahme der neutestamentlichen Zeugnisse, aber doch eine durch vielfältige Geschehnisse auch stark emotional gefärbte Anfrage an die Schriftgemäßheit der Ausübung des Petrusdienstes – insbesondere seitdem sich diese an den Dokumenten des 1. Vatikanischen Konzils orientiert. Im Blick auf die römisch-katholische Traditionsgeschichte hat insbesondere dieses Konzil die weiteren Weichen gestellt: Der Jurisdiktionsprimat (1. Vatikanisches Konzil 1869–70: DH 3064) bestimmt, dass der Bischof von Rom nicht nur in Fragen von Glaube und Sitten, sondern vielmehr auch in Fragen der Disziplin bei allen Gläubigen die letzte Rechtshoheit hat und niemand an eine übergeordnete Instanz appellieren kann, um eine Prüfung der Ausübung dieser Rechtshoheit zu erwirken. Das Dogma von der Infallibilität des Bischofs von Rom (1. Vatikanisches Konzil 1869–70: DH 3074) legt fest, dass dieser in Fragen des Glaubens und der Sitten mit jener Unfehlbarkeit ausgestattet ist, die Jesus Christus selbst der Kirche zusicherte. In Streitfällen ist das entsprechende Urteil des Bischofs von Rom in formaler Hinsicht nicht erst nach der Zustimmung der Gesamtkirche wirksam, sondern vielmehr aufgrund des ergangenen Urteils selbst (lateinisch: ex sese). Dabei bleibt vorausgesetzt, dass der Papst keine
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andere Lehre vorträgt als eine solche, die dem Glauben der Gesamtkirche entspricht. Die römisch-katholische Kirche hat nach dem 2. Vatikanischen Konzil, das die Lehren des 1. Vatikanischen Konzils weithin bestätigte, den Papst jedoch deutlicher in die Kollegialität der Bischöfe weltweit eingebunden hat, vor allem mit dem Lutherischen Weltbund, mit der anglikanischen Kirchengemeinschaft und mit den orthodoxen Kirchen Dialoge über das Papstamt geführt, die noch andauern. Nach der Einladung, die Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Ut unum sint“33 1995 ausgesprochen hat, über sein Dienstamt in einen offenen Dialog zu treten, sind sehr viele Beiträge erschienen, die zum Teil auf frühere Vorschläge zurückgreifen. Im Wesentlichen lassen sich heute drei Perspektiven für das weiterhin erforderliche Nachdenken über das Dienstamt des Bischofs von Rom unterscheiden: (1) Die römischkatholische Kirche könnte in einem lehramtlichen Schreiben erklären, dass die Aussagen des 1. Vatikanischen Konzils zu den Fragen des Jurisdiktionsprimats und der Infallibilität nur für die westkirchliche Tradition verbindlich sind und daher als Äußerungen einer kirchlichen Teilsynode neu zur Verhandlung stehen, wenn dies gewünscht wäre. Konsequent wäre dann die Einberufung eines Konzils, das den Namen „ökumenisch“ wirklich verdiente. (2) Die zweite Perspektive geht von der Annahme aus, dass die Aussagen des 1. Vatikanischen Konzils in der Gesamtkirche verbindlich bleiben. In diesem Fall könnte eine moralische Selbstverpflichtung in einer verbindlichen Erklärung des Bischofs von Rom weiterhelfen, niemals das zur Anwendung zu bringen, was ihm grundsätzlich durch den Wortlaut des Konzils gestattet bleibt. (3) Diese Möglichkeit könnte unter Beachtung einer dritten Perspektive noch überzeugender werden: Vor allem in den USA werden theologische Konzepte entwickelt, die eine Einbindung der Entscheidungen des Bischofs von Rom in die Kompetenz eines weltweit profilierten Beratergremiums von Bischöfen aus allen Erdteilen vorsehen, die nicht nur gelegentlich zu Weltsynoden zusammengerufen werden, sondern beständig tätig sind, um dem Bischof von Rom bei wichtigen Entscheidungen zur Seite zu stehen. Die Delegierten der Länder könnten in festen Zeitrhythmen neu bestellt werden. Denkbar wäre, dass auch nicht-römisch-katholische Christinnen und Christen einem solchen Gremium künftig beratend angehörten. In Dialogen der römisch-katholischen Kirche mit den orthodoxen Kirchen steht die Frage nach einem theologisch angemessenen Verständnis des Petrusdienstes sowie des päpstlichen Primats ebenso auf
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der Tagesordnung wie in den Gesprächen mit den unterschiedlichen Kirchen evangelischer Tradition. Vereinfacht und doch zutreffend steht in den Gesprächen mit der Orthodoxie der Primatsanspruch intensiver zur Diskussion, während die reformatorischen Traditionen stärkere Bedenken gegenüber einem Verständnis der Lehrautorität und Infallibilität des Bischofs von Rom äußern, durch das die normative Autorität der biblischen Schriften infrage gestellt werden könnte. Die östlichen wie die westlichen Konfessionsgemeinschaften bringen übereinstimmend in die Gespräche mit der römisch-katholischen Kirche ihre theologische Überzeugung ein, dass allein auf dem Weg einer institutionell neu geordneten Gestalt der universalen Kirche, in der Formen der Synodalität und Konziliarität beim Leitungsdienst angemessene Berücksichtigung finden, eine Aussicht auf eine ökumenische Verständigung besteht. Dies aber bedeutet für die römisch-katholische Kirche, über die Interpretation der Lehrentscheide des 1. und 2. Vatikanischen Konzils neu befinden zu müssen. Die ökumenische Gesprächsatmosphäre hat sich bezüglich der grundlegenden reformatorischen Anfragen an den Petrusdienst heute deutlich gewandelt. Von reformatorischer Seite aus geschieht inzwischen keine grundlegende Infragestellung der Bemühungen der Bischöfe von Rom mehr, um die Verkündigung des Evangeliums weltweit besorgt zu sein. Der Vorwurf, der Papst sei ein Antichrist, ist zurückgenommen worden. Gemeinsam richtet sich in den ökumenischen Gesprächen die Aufmerksamkeit auf die Frage, wie angesichts der nach dem 16. Jahrhundert gefestigten römisch-katholischen Lehrtradition – insbesondere in den Dokumenten des 1. Vatikanischen Konzils – Konvergenzen im Blick auf eine der Bibel entsprechende Ausübung des Petrusdienstes erreicht werden könnten. Ein bloßes Versprechen der römisch-katholischen Kirche, die konziliar zugestandenen Rechte des Papstes zukünftig nicht zur Anwendung zu bringen, wird als Absichtserklärung nicht ausreichen. Es bedarf diesbezüglich einer verbindlichen Konzilsentscheidung. In ökumenisch orientierten Veröffentlichungen finden differenzierende Erkenntnisse zu der wechselvollen Geschichte des Papsttums Beachtung. Als Vorteile des historisch sich herausbildenden Papsttums gelten: das Problem der Macht wird nicht verdrängt, sondern ist offenkundig; Veränderung und Beständigkeit in der Kirche werden in eine Mittellage gebracht; es gibt jemanden, der synodalen Entscheidungen zur Durchsetzung verhelfen kann; die Option für die Einheit der Kirche wird personal vertreten. Als Gefahren des Papstamts sind erkannt: Systembedingt kann eine unkritische Abwehr von
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
Überlegungen, die zu einer tiefgreifenden Reform führen müssten, erfolgen; Ansätze zu theologischen Modellen, die eine stufenweise Einheit der christlichen Kirchen favorisieren, können verhindert werden; ein Korrektiv bei einem offenkundigen Versagen des Bischofs von Rom ist im ekklesialen Gesamtgefüge nicht vorgesehen. 4.4 Eigenarten des römisch-katholischen Kirchenempfindens Die römisch-katholische Kirche ist mit ca. einer Milliarde an Angehörigen die weltweit betrachtet bisher größte Konfessionsgemeinschaft. Die Zahl der römisch-katholischen Gläubigen ist seit Jahrzehnten weltweit recht stabil; allerdings zeichnen sich deutliche Veränderungen in der Verteilung auf die Erdregionen ab: Weit mehr als die Hälfte der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche lebt auf der südlichen Erdhälfte und in vorwiegend armen Gebieten. Auch im Institutionengefüge insbesondere bei der Besetzung von Schlüsselfunktionen im Bereich der internen Organisation stellt sich zunehmend die Frage, ob die Personalwahl noch den Gegebenheiten in der Weltkirche entspricht. In vielen Regionen (vor allem in Südamerika, einzelnen Ländern in Afrika und Asien, zudem in den west- und südeuropäischen Staaten Portugal, Spanien, Frankreich und Italien) gibt es eine deutliche römisch-katholische Mehrheit unter den Getauften. Im Norden und Osten Europas finden sich römisch-katholische Gläubige in einer Diaspora-Situation vor: als Einzelne „versprengt“ unter anderen Getauften, Muslimen und Areligiösen. In nicht wenigen Regionen (vor allem Nordamerika) und Ländern, zu denen auch Deutschland zählt, findet man eine nahezu gleiche Zahl an evangelischen und römischkatholischen Getauften (zusätzlich gewiss auch Angehörige anderer christlicher Konfessionen). Mehrheits- und Minderheitskonstellationen prägen das römisch-katholische konfessionelle Bewusstsein in unterschiedlicher Weise. Das Zusammenleben und die Vertrautheit mit Gläubigen anderer Konfessionen ist nicht an jedem Ort in gleicher Weise gegeben. Wie auch bei Angehörigen anderer Konfessionen sind es in der Regel biographische Zusammenhänge (Übernahme der Konfessionszugehörigkeit der Herkunftsfamilie), durch die die Konfession bestimmt wird. Eine eigene „Wahl“ der Konfessionszugehörigkeit findet zumeist nur bei den insgesamt betrachtet eher seltenen Konversionen statt.
4.4 Eigenarten des römisch-katholischen Kirchenempfindens
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Die regionale und kulturelle Vielfalt, die in der römisch-katholischen Konfessionsgemeinschaft versammelt ist, wird bei weltkirchlichen Ereignissen „anschaulich“: beispielsweise bei außerordentlichen Ereignissen wie Weltjugendtagen (2005 etwa in Köln) oder thematisch ausgerichteten Synoden mit Vertretungen aller Bischofskonferenzen weltweit (2008 beispielsweise zur Bedeutung der biblischen Wortverkündigung). Mit einer gewissen Regelmäßigkeit wird die inner-römisch-katholische Vielfalt insbesondere bei Begegnungen an Orten deutlich, die für die römisch-katholische Kirche wichtig sind. So sind der Ort Rom und dort nochmals besonders der Petersdom mit seinem Vorplatz von hoher Identität stiftender Bedeutung. In den Sommermonaten spricht der Papst von seiner Loggia aus an jedem Mittwoch um 12.00 Uhr das Angelusgebet mit großer Anteilnahme von römisch-katholischen Pilgerinnen und Pilgern aus aller Welt. An den hohen kirchlichen Feiertagen (am Ostersonntag und am Weihnachtsmorgen) erteilt der Bischof von Rom der Stadt und dem gesamten Erdkreis den Segen. Der Ort Rom hat eine hohe symbolische Bedeutung. Die bestehende inner-römisch-katholische Pluralität kann sich hinderlich und förderlich auf den ökumenischen Prozess auswirken: Die römisch-katholische Kirche ist einerseits bereits eine Gemeinschaft in versöhnter Vielfalt und steht daher in der Versuchung, sich selbst zu genügen; sie hat andererseits auch weit reichende Erfahrungen mit den Möglichkeiten einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, die sich auch ökumenisch leben lässt. Über viele Jahrhunderte hinweg war die an allen Orten der Erde in lateinischer Sprache gefeierte Liturgie eine Möglichkeit, die ortsungebundene Gemeinschaft innerhalb der römisch-katholischen Kirche zu erfahren. Die Leseordnungen der Gottesdienste sowie die Gestaltung wesentlicher Teile der Liturgie sind auch heute nicht frei wählbar. Auf diese Weise ist es möglich, an jedem römisch-katholischen Gottesdienstort weltweit an jedem Tag die vertraute Liturgie mitzufeiern. Variabel und daher vielfach kultur- und ortsspezifisch sind vor allem das Liedgut sowie die frei zu formulierenden Teile der Eucharistiefeier: Kyrie-Rufe und Fürbitten. Die Frage, wie kulturelle Besonderheiten in den Bewegungsformen (zum Beispiel der Tanz) oder in der musikalischen Gestaltung (etwa das Trommeln) sinnvoll in die gottesdienstlichen Feiern aufgenommen werden können, wird in Fachkreisen bei der Erforschung von Formen der Inkulturation seit längerer Zeit intensiv bedacht.
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4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen
Die römisch-katholische Kirche ist weltweit „ortskirchlich“ strukturiert und organisiert. Im Sinne des 2. Vatikanischen Konzils (1962– 65) bedeutet dies, dass die Ortsbischöfe als die Leiter der Ortskirchen in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom die institutionelle Basis für alle weiteren Organisationsformen bilden. Über die Nuntiaturen (Vertretungen des Vatikanstaats in anderen Staaten) werden die Interessen der römisch-katholischen Kirche in den unterschiedlichen Ländern vertreten. Diese weltkirchlich gültige Ordnung gilt gewiss auch in Deutschland. Zugleich gibt es einzelne Besonderheiten, die es aufmerksam zu beachten gilt: Konkordate (Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche) regeln in vielen deutschen Diözesen (bischöflichen Ortskirchen) die Verfahren bei der Wahl eines Bischofs durch das diözesane, ortskirchliche Domkapitel. Die in vielen Ländern gegebene strikte Trennung zwischen Staat und Kirche gilt in Deutschland daher nicht in jedem Zusammenhang. Vor allem im Bereich des schulischen Religionsunterrichts kommt es zu einer entsprechenden Kooperation zwischen Staat und Kirche, die auch die universitäre Ausbildung künftiger Lehrpersonen betrifft. Im Ursprungsland der reformatorischen Bewegung im 16. Jahrhundert sah sich die römisch-katholische Kirche in Deutschland in besonderer Weise gefordert, ökumenische Offenheit zu leben. Auf der Basis ihrer grundlegenden Öffnung für die Ökumenische Bewegung im 2. Vatikanischen Konzil hat sich die römisch-katholische Kirche in Deutschland bald schon der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK)“ angeschlossen. Weitere informelle Kontakte zu anderen Konfessionsgemeinschaften bestanden bereits früher. Im multilateralen (nicht nur römisch-katholisch – evangelischen) ökumenischen Kontext in Deutschland ist es eine eigene Herausforderung, die römisch-katholische Konfessionsgemeinschaft nicht allein in Abgrenzung von den evangelischen Landeskirchen wahrzunehmen, sondern auch die weiteren christlichen Bekenntnisgemeinschaften im Bewusstsein zu behalten, auch wenn sie in Deutschland ihrer Zahl nach weniger bedeutsam erscheinen. Die multilaterale Ökumene hat eine lange Tradition in vielen Bereichen der Welt.
Literatur Markus Mühling (Hg.), Kirchen und Konfessionen (Grundwissen Christentum, Bd. 2), Göttingen 2009.
5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche 5.1 Annäherungen im Beispiel: Die Kirche ist wie ein Haus Es gibt viele bildhafte Redeweisen von der Kirche. Eines der am meisten verwendeten ist das des Hauses. Es kann nachdenklich stimmen, dass in vielen Sprachen das Kirchengebäude mit demselben Begriff bezeichnet wird wie die Institution Kirche. Eine Federzeichnung von Hartwig Hamer, einem Schweriner evangelischen Künstler, trägt den Titel „Das alte Haus“.
Abb. 3: Das alte Haus
Das mit leichten Federstrichen gezeichnete Haus ist in seinen Konturen kaum zu identifizieren, verworren und verschwommen je näher es vor Augen gehalten wird. Erst wer die Zeichnung aus weiterer Entfernung betrachtet, erkennt deutlich ein altes Bauernhaus mit einem großen und hohen Dach. Ob es Fenster gibt in diesem Haus? Auch eine Tür ist nicht zu sehen.
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5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche
Bilder sind der Deutung bedürftig. Die Federzeichnung lässt sich in gedankliche Verbindung bringen mit einem Gedicht der jüdischen deutschen Dichterin Hilde Domin1 mit dem Titel „Haus ohne Fenster“: Der Schmerz sargt uns ein in einem Haus ohne Fenster. Die Sonne, die die Blumen öffnet, zeigt seine Kanten nur deutlicher. Es ist ein Würfel aus Schweigen in der Nacht. Der Trost, der keine Fenster findet und keine Türen und hinein will, trägt erbittert das Reisig zusammen. Er will ein Wunder erzwingen und zündet es an, das Haus aus Schmerz. Literatur und Kunst können assoziativ an ein Thema heranführen: (1) Die Kirchen erscheinen manchen Menschen, die sie aus der Nähe erleben, als wenig konturenreich, als Suchbild eher, kaum wieder zu erkennen als Repräsentation der Gottesbotschaft im Leben und Sterben des Jesus von Nazareth. Allzu menschlich erscheint dann die Kirchenwirklichkeit oft zu sein. Darin unterscheiden sich die konfessionellen Kirchenwirklichkeiten kaum. (2) In der theologischen Reflexion aller christlichen Konfessionen werden Kirchenbilder entworfen, die aus der Distanz auf die Wirklichkeit blicken und in der differenzierenden Reflexion die Konturen zu wahren versuchen. Ein klares Bild von der Kirche ihrem Wesen nach soll dabei erstehen. Das Erfahrungswissen ist vorhanden, dass die Wirklichkeit dem theologisch begründeten Bild nicht immer entspricht. Nach reformatorischem Sprachgebrauch ist die Kirche „semper reformanda“, immer der Reform bedürftig. Das 2. Vatikanische Konzil hat diesen Gedanken aufgenommen: „Sie [die Kirche, D.S.] ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig [semper purificanda], sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung.“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr. 8). In der Ökumenischen Bewegung ist aus dieser Gewissheit die Bereitschaft entstanden, miteinan-
5.1 Die Kirche ist wie ein Haus
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der – nicht gegeneinander – um das wahre Bild der Kirche zu ringen und dabei gemeinsam immerzu auf den Ursprung, die biblische Überlieferung der Weisungen Gottes in Jesus Christus, zu blicken. (3) Das Gedicht von Hilde Domin erzählt von dem Schmerz, der Trostlosigkeit der Dunkelheit des Hauses, das dem Sonnenlicht verschlossen ist. Nacht ist es immerzu in einem Haus, das keine Fenster und Türen hat. Es gibt keine Lichtung. In der Ökumenischen Bewegung ist es wichtig geworden, einander immer wieder die Trauer zu bezeugen, noch nicht in der Gemeinschaft aller Getauften zu leben. Wer keinen Schmerz und keine Trostlosigkeit angesichts der getrennten christlichen Kirchenwirklichkeit empfindet, sollte zunächst lieber schweigen als zu urteilen über andere, die sich ihrerseits mühen, dem Bild nahe zu kommen, das Jesus Christus von seiner Nachfolgegemeinschaft hatte. Gewiss – im Gedicht ist es angesprochen – Wunder kann niemand erzwingen, auch nicht das Wunder, einmal als Getaufte unter einem Dach zu wohnen. Gefährlich ist das Spiel mit dem Feuer. Aber zu leiden an einem Haus, das in Gestalt einer konfessionellen Selbstgenügsamkeit ohne Türen und Fenster erscheint, dies ist die Voraussetzung jeder fruchtbaren ökumenischen Besinnung. Türen laden dazu ein, hineinzukommen und in Kommunikation zu treten. Fenster bieten die Aussicht, einander immer im Blick zu behalten und das eigene häusliche Leben transparent werden zu lassen. Die Metapher des Hauses für das Wesen der Kirche hat biblischen Hintergrund. Charakteristisch bei der Verwendung dieses Bildes ist, dass die Personen, die das Haus bilden, in besonderer Weise Beachtung finden. Die frühen christlichen Gemeinden werden im Hinblick auf ihre Teilhabe an der Gestaltung der Kirche aufgefordert: „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (1 Petr 2,5). In den alttestamentlichen Schriften wird diese personalisierte Verwendung des Begriffs „Haus“ grundgelegt, da er dort mit der Nachkommenschaft in einer Dynastie gleichgesetzt wird. David erfährt aus dem Mund des Propheten Natan als göttliche Verheißung: „Dein Haus und dein Königtum sollen durch mich auf ewig bestehen bleiben; dein Thron soll auf ewig Bestand haben“ (2 Sam 7,16). Exemplarisch wird in diesem Zusammenhang deutlich, welche thematische Weite bei der Verwendung von Sprachbildern möglich ist.
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5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche
5.2 Zwischenüberlegung zur Metaphorik (auch) in der Ekklesiologie Durch eine Bildrede wird tieferes Verstehen erreicht. Eine hohe Wertschätzung hat die Metaphorik in der Theologie im 20. Jahrhundert im Zuge der neuen Aufmerksamkeit auf die Wirkungen sprachlicher Handlungen erfahren. In der Systematischen Theologie haben grundlegende Überlegungen zur metaphorischen Struktur der religiösen Rede heute große Bedeutung. Bei ihrem Nachdenken über ihre eigene Sprachstruktur hat die Theologie Erkenntnisse der Metapherntheorien zu rezipieren, die in der philosophischen Hermeneutik und auch in der Philologie gewonnen wurden. Demnach sind Metaphern nicht poetischer, bildhafter Ersatz für das Eigentliche, das im Begriff Gemeinte, wie die alte Substitutionstheorie der Metaphernlehre im Anschluss an Aristoteles meinte. Metaphorische Rede muss vielmehr als Eröffnung eines kommunikativen Geschehens begriffen werden, an dem die Sprechenden und die Hörenden je auf ihre Weise teilhaben. Die Metaphernlehre spricht in diesem Zusammenhang von der Interaktionstheorie. In metaphorischer Rede kommt die Welt zur Sprache, die je nach den Voraussetzungen des Verstehens bei Sprechenden und Hörenden eine unterschiedliche sein kann. Die Wahrheit der Aussage lässt sich nur im Austausch der Erfahrungen, der je eigenen, geschichtlich bedingten Deutungen des Erlebten, erkennen. Wahr sind jene Bilder, die sich im Gespräch der Gemeinschaft bewähren, weil sie Verstehen eröffnen, weil sie leben lehren, trösten und ermutigen, ermahnen und beruhigen. Sprechen ist immer auch Handeln: ein Aufruf, ein Versprechen, eine Mahnung, ein Zeugnis, eine Verheißung. Die Reflexion auf die Bedeutung der Metaphorik in der religiösen Rede ist in der theologischen Literatur zumeist im Blick auf die Rede von Gott angestellt worden. Sowohl die von Gott Sprechenden als auch die das Wort Hörenden sind aktiv beteiligt am Werden und Wachsen ihrer Vorstellung vom lebendigen Gott. So hat metaphorisches Sprechen von Gott unmittelbar Relevanz für die gläubige Lebenspraxis. Jürgen Werbick greift diesen Ansatz zum Verständnis metaphorischer Rede auf und spricht vom „Beziehungsreichtum der Gott-Metaphern“2: Die in Metaphern Sprechenden verbinden spezifische Sinngehalte mit den verwendeten Wörtern; sie stellen Bezüge zur eigenen Lebens- und Erfahrungswelt her, auf die die Metapher selbst nicht festlegt, für die sie aber offen ist. Soll die mit dem Beziehungsreichtum der metaphorischen Rede von Gott gege-
5.3 Vertraute Bilder von der Kirche
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bene Unbestimmtheit vor der drohenden Gefahr unklarer Mehrdeutigkeit bewahrt bleiben, müssen in einem gemeinschaftlichen Bemühen die biblischen Erzählzusammenhänge wiederhergestellt werden, in denen die Metaphern ihren Ursprung haben. Da der Kirche ihrem Wesen nach die Verkündigung Gottes als Dienst aufgetragen ist, haben solche Überlegungen ekklesiologische Relevanz: Offenkundig bedarf es der Kommunikation in einer menschlichen Gemeinschaft, um den Gehalt der Rede von Gott in all seinem Reichtum zu erfassen. Bei allgemeinen Überlegungen zur metaphorischen Rede von Gott und auch bei der Analyse konkreter Bildworte findet sich häufig der Hinweis, dass die geschichtliche Erfahrung der in Bildern Sprechenden und der die Bildworte Hörenden den Aussagesinn mitkonstituiert: „Die metaphorische Prädikation ‚reflektiert‘ offenkundig eine Erfahrungs- und Begegnungsgeschichte dessen, der die Metapher gebraucht, mit dem in der Metapher Ausgesprochenen. (...) Die Metapher (...) legt das in ihr Ausgesprochene nicht fest, sie versteht sich auch nicht als endgültige Sachverhaltsangabe; sie erinnert und erhofft eine Geschichte, in der immer wieder neu aufscheinen – evident werden – kann, wie sie ihn trifft; in der sich womöglich andere Metaphern als noch treffender erweisen“3. Metaphern deuten eine erfahrene Wirklichkeit, und ihre Bedeutung unterliegt einem geschichtlichen Wandel. Metaphorische Sprachbilder thematisieren nicht nur eine Beziehungswirklichkeit, sie selbst sind eine solche: In der bildhaften Interpretation der Wirklichkeit setzen sich die Interpreten in Beziehung zu dieser. Auch die Ekklesiologie ist Theo-logie im engeren Sinn: Rede von Gott. Gottes Handeln in seiner Schöpfung wird im ekklesiologischen Zusammenhang unter dem Aspekt seiner Bindung an eine Gemeinschaft von Menschen betrachtet, die Gott eben als solche – in Gemeinschaft – erkennen und bezeugen soll. Diese Gemeinschaft, die Kirche, spricht in Metaphern von sich selbst. Sie vermag ihr Wesen somit nur im kommunikativen Austausch zu bestimmen. 5.3 Vertraute Bilder von der Kirche Die biblisch geprägten Bilder von der Kirche nehmen Grunddimensionen des menschlichen Handelns auf, die auch in der Geschichte Israels von besonderer Bedeutung waren und sind: das Gehen, das Mahl halten und das Wohnen. Metaphorische Aussagen entfalten in
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5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche
dem Maße ihre Wirksamkeit, in dem sie von vielen Menschen in Verbindung mit ihrer Lebenswirklichkeit gebracht werden können. Das Gedächtnis des wandernden (gehenden) Volkes Gottes, das Wissen um die Teilhabe im eucharistischen Mahl am Leib Christi und die Bereitschaft zum Wohnen im Tempel des Heiligen Geistes prägen das Glaubensbewusstsein der frühen Christenheit; dies spiegelt sich in den biblischen Schriften. Die Auswahl der Bilder lässt sich gewiss auch unter trinitarisch-theologischer Perspektive verstehen: Im engeren Sinn theo-logische, christologische und pneumatolische Aspekte sind mit den Metaphern verbunden. 5.3.1 Volk Gottes
Die Rede von der Kirche als Volk Gottes ist ein Grundanliegen des 2. Vatikanischen Konzils. Das gesamte 2. Kapitel der Kirchenkonstitution ist so überschrieben. Von Beginn der konziliaren Lehre an wird dabei deutlich, dass die Wahl dieser Metaphorik im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs zu verstehen ist: „Zu aller Zeit und in jedem Volk ruht Gottes Wohlgefallen auf jedem, der ihn fürchtet und gerecht handelt (vgl. Apg 10,35). Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll. So hat er sich das Volk Israel zum Eigenvolk erwählt und hat mit ihm einen Bund geschlossen“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr. 9). Jenseits der heute wieder sehr intensiv bedachten Frage, ob die römisch-katholische Kirche sich mit dem 2. Vatikanischen Konzil von der Vorstellung einer Substitution Israels durch die Kirche gelöst hat, kommt der konziliaren Orientierung an dem Gedanken des Volkes Gottes eine hohe Bedeutung zu: Auf diese Weise wird die Kirche als Gemeinschaft in besonderer Weise betont; der Aspekt der Pilgerschaft erfährt zudem besondere Beachtung: Als das wandernde Gottesvolk ist die Kirche immer auf dem Weg auf ein Ziel hin, das noch in der Zukunft liegt. Die eschatologische Dimension jeder ekklesialen Wirklichkeit kommt auf diese Weise deutlich zum Ausdruck. Zugleich ist mit der Erinnerung an die Erfahrungen der Herausführung des Volkes Gottes aus der Sklaverei in Ägypten sowie aus der Gefangenschaft in Babylon der Gedanke verbunden, als Gemeinschaft mit eigener Identität von einer Fremdherrschaft befreit worden zu sein.
5.3.2 Leib Christi
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Es ist unklar, in welcher Weise für Menschen heute der Begriff des „Volkes“ hilfreich sein könnte, um das Wesen der Kirche dem Verstehen zu erschließen. Insbesondere im Kontext der jüngeren deutschen Geschichte ist die Rede vom „Volk“ negativ konnotiert. Wichtig wäre im biblischen Kontext, die universale Zielorientierung der Berufung einer konkreten Gemeinschaft im Blick zu behalten. Es geht bei der Berufung eines Volkes gerade nicht darum, die Gesamtheit der Völker aus dem Blick zu verlieren. Das eine Volk dient vielmehr allen anderen Völkern bei der wahren Gotteserkenntnis. 5.3.2 Leib Christi
Das Bild von der Kirche als „Leib Christi“ ist in den biblischen Schriften allein in paulinischer Tradition überliefert. Paulus steht bei der Aufnahme dieser Metaphorik zumeist in einem innerchristlich kontroverstheologischen Kontext und mahnt an, die Einheit des Leibes angesichts der Vielgestalt der Glieder zu achten: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10,16f). Unverkennbar ist, dass die paulinische Rede vom Leib Christi im eucharistischen Kontext verortet ist: Die Feier der Eucharistie ist eine Feier der Versöhnung. Wer das gebrochene Brot in der Eucharistie teilt, gedenkt des gebrochenen Lebens Jesu. Sein Leib ist sein Leben. Wer teilhat an seinem Leib, hat auch teil an seinem Leben, das er als Zeugnis für Gott gegeben hat. Paulus hat das Bild des Leibes eines Menschen mehrfach verwendet, um auf die Einheit des Leibes und die Unterschiedenheit der Glieder aufmerksam zu machen, die jedoch je für sich eine unverzichtbare Aufgabe übernehmen (vgl. 1 Kor 12,12–27): Nur im organischen Zusammenwirken der Glieder des Leibes Christi lässt sich der Dienst erfüllen, in den die Kirche gestellt ist: im einmütigen Zusammenspiel aller Kräfte. Weder Fuß noch Hand noch Ohr darf einem anderen Glied sagen, es sei nicht Teil an dem einen Leib Christi. Die Leibmetaphorik spricht Menschen an, weil diese Bildrede sich mit der Alltagserfahrung in Verbindung bringen lässt. In der theologischen Tradition hat die Rede vom „Leib Christi“ große Bedeutung. Die Vorstellung vom „corpus Christi mysticum“ wurde im Altertum zunächst (in Anlehnung an die biblische Rede) mit der Kirche und später erst mit der Eucharistie verbunden. Die
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5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche
eucharistische Gestalt der Kirche als „Leib Christi“ betont im Sinne des Konzils die Bereitschaft eines jeden Gliedes der Kirche, für ein anderes einzutreten. Das eucharistische Dasein der Kirche ist seinem Wesen nach eine Anteilgabe an dem eigenen Leben zum Wohl der Gemeinschaft. Im Mahlgeschehen kommt diese Dimension des Lebens in besonderer Weise zum Ausdruck. 5.3.3 Tempel des Heiligen Geistes
Tempel sind im gegenwärtigen Lebensempfinden vieler Menschen eher fremde Orte; sie gehören der Vergangenheit an und werden in Ferienzeiten als Relikte früherer Kulturen besichtigt. Auch die jüdische Tradition spricht heute von Synagogen (Häusern, in denen Menschen zusammenkommen), um das zu bezeichnen, was zumindest ein Teil der Tempelwirklichkeit war: eine Versammlungsstätte in Erwartung der Erfahrung der Gegenwart Gottes. In der christlichen Überlieferung ist eine Personalisierung des urspünglichen Sprachbildes geschehen. Die paulinische Tradition verbindet die Rede von den Getauften als „Tempel des Heiligen Geistes“ mit Anforderungen an einen entsprechenden Umgang mit dem eigenen Leib: „Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört euch nicht selbst, denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib“ (1 Kor 6,18–20). Deutlich wird an dieser Stelle, dass die paulinische Ekklesiologie – in ihrem spezifischen Kontext – von der Annahme ausging, dass die Erscheinungsgestalt der Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu Bedeutung hat für das missionarische Zeugnis. Als „Tempel des Heiligen Geistes“ darf die Kirche sich nicht erlauben, in sichtbarer Form Böses zu tun. In der deuteropaulinischen Tradition verliert dieser Gedanke an moralischer Konkretion und findet zu einer auch heute noch relevanten Bedeutung: „Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut“ (Eph 2,20–22). Wichtig ist den Christinnen und Christen in der zweiten und dritten Generation, in der Hoffnung auf das Wirken des Geistes Gottes die Verbindung mit dem apostolischen Ursprung zu wahren. Der Tempel hat aus jüdischer
5.4 Kirche als „Sakrament“
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Sicht eine Bestandsgarantie – von Gott verbürgt; vielfach hat Israel den Verlust des Tempels beklagt. Die christlichen Theologen nehmen diese Erfahrung auf und entwerfen eine Vorstellung vom Tempel Gottes, bei dem die steinernen Mauern keine Bedeutung mehr haben. Der Tempel Gottes ist dort, wo Menschen in ihrem Leben Gott als gegenwärtig bezeugen. 5.4 Eine umstrittene Bildrede: Kirche als „Sakrament“ Kennzeichnend für die Ekklesiologie des 2. Vatikanischen Konzils ist das Bemühen, das Wirken der Kirche in den heilsgeschichtlichen Zusammenhang des Ringens Gottes um die Kundgabe seines Wesens zu stellen. In diesem Zusammenhang wird die Kirche auch als „Sakrament“ bezeichnet: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie die Einheit der ganzen Menschheit“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr.1). Die Rede von der Kirche als „Sakrament“ ist im ökumenischen Gespräch umstritten, weil diese Terminologie nicht dem biblischen Sprachgebrauch entspricht; zudem scheint durch diese Begrifflichkeit die Mittlerschaft der Kirche in Gottes Heilshandeln sehr stark betont. In den ökumenischen Dialogen werden jedoch heute die Intentionen bei der Genese dieser erst spät in der Theologiegeschichte entstandenen Bildrede bedacht. Dabei zeigt sich, dass die Rede von der Sakramentalität der Kirche zum einen eine Entlastung bei der Frage nach der Einsetzung jedes einzelnen Sakraments durch Jesus Christus bewirken soll, zum zweiten der theologischen Idee einer Identifizierung der Kirche als Fortsetzung des ChristusGeschehens in Zeit und Geschichte entgegentreten möchte: Die Kirche ist Sakrament des Geistes Gottes; die Ekklesiologie ist dann primär im pneumatologischen und nicht im christologisch-soteriologischen Konzept zu verorten. Die Kirche ist demnach „nur“ Sakrament und nicht etwa eine neue Erscheinungsweise des sündelosen Christus Jesus. In der römisch-katholischen Theologie lässt sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine ekklesiologische Zentrierung des Sakramentsbegriffs erkennen, zu der ansatzweise bereits Theologen im 19. Jahrhundert beigetragen hatten, wenngleich die Konsolidierung dieser ekklesiologischen Perspektive erst durch Arbeiten von Otto Semmelroth und Karl Rahner erfolgte. Noch im Vorfeld des 2. Vatikanischen
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5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche
Konzils trugen dann gerade diese beiden Theologen auch zu einer christologischen Fundierung des Sakramentsbegriffs bei. Diese (korrigierend nachgeholte) Rückbindung der ekklesiologischen Dimension der Sakramente an das Christusereignis als Ursprung und Mitte jeder sakramentalen Wirklichkeit kam in der Reservierung des Begriffs „Ursakrament“ allein für Jesus Christus und in der Bezeichnung der Kirche (lediglich) als „Grund- oder Wurzelsakrament“ der einzelnen sakramentalen Vollzüge zum Tragen. Wichtig zum Verständnis dieser Begrifflichkeit ist es, dass unter „Sakrament“ ganz grundlegend ein Zeichen oder eine Zeichenhandlung in Zeit und Geschichte zu verstehen ist, in der und mit der Gottes Gottsein erfahrbar wird. Die Kirchenkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils unterscheidet deutlich zwischen Jesus Christus und der Kirche: „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16)“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr. 8). Das Konzil legt offenkundig Wert darauf, einen Vergleich im Sinne einer Analogie zwischen der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dem Wirken des Heiligen Geistes im sichtbaren gesellschaftlichen Gefüge der Kirche anzustellen. Bei dieser Gegenüberstellung gilt es, die Gemeinsamkeiten und die Differenzen wahrzunehmen: Zwar lassen sich bei beiden Wirklichkeiten eine irdische, geschöpfliche, zeitliche sowie eine göttliche Komponente wahrnehmen (die menschliche und die göttliche Natur Jesu Christi sowie das gesellschaftliche Gefüge und der Heilige Geist im Blick auf die Kirche), doch der Unterschied zwischen den beiden verglichenen Wirkweisen Gottes ist unverkennbar und wird von der Kirchenkonstituti-
5.4 Kirche als „Sakrament“
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on des Konzils auch konkret angesprochen: „Während (…) Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war (Hebr 7,26) und Sünde nicht kannte (2 Kor 5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr 2,17), umfasst die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoße“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Lumen Gentium [LG], Nr. 8). Konkret bedeutet dies, dass die in Zeit und Geschichte wahrnehmbare, sichtbare Kirche in all ihren Facetten – anders als die Menschennatur Jesu – nicht frei ist von der Versuchung zum Bösen. Daher ist die Kirche „nur“ Sakrament: Sie ist beständig auf dem Weg, ihre äußere Gestalt so zu reformieren, dass sie ein eindeutig sprechenden und wirkendes Zeichen ist. Das Gute, das dann zu erfahren ist, geschieht in der Kraft des Heiligen Geistes Gottes. Auf der Basis einer solchen Auslegung der Lehre des 2. Vatikanischen Konzils konnte inzwischen auch eine ökumenische Verständigung in der Frage der Sakramentalität der Kirche erreicht werden. In einem lutherisch-römisch-katholischen Dokument heißt es: „Die Kirche bleibt stets dem Herrn untergeordnet, und das Heil bleibt auch im Wirken der Kirche Gottes Gabe. In diesem Sinne ist das Verhältnis von Christus und der Kirche als Miteinander von Einheit und Unterschiedenheit zu bestimmen. Wo dies gemeinsam gelehrt wird, ist eine sachliche Übereinstimmung gegeben, auch wenn die analoge Anwendung des Begriffes ‚Sakrament‘ auf die Kirche unterschiedlich beurteilt wird.“4 Gleichwohl gilt: Nicht jede Bildrede von der Kirche ist im ökumenischen Kontext willkommen – vor allem eine solche nicht, die auf keine biblische Quelle der Begrifflichkeit verweisen kann. Wichtig ist, dass in der Sache eine Verständigung erreicht wird. Der Sprachgebrauch kann dann ein unterschiedlicher bleiben.
Literatur Jürgen Werbick, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg – Basel – Wien 1994. Ders., Grundfragen der Ekklesiologie, Freiburg – Basel – Wien 2009.
6. Formen: Sozialgestalten kirchlicher Existenz Kirchliches Handeln vollzieht sich immer in Räumen: im lokal geprägten Raum, dessen Umkreis enger und weiter zu fassen ist (von der Familie als „Hauskirche“ über die Pfarrgemeinde und diözesane Bischofskirche bis zur Weltkirche), sowie im sozialen Raum, der durch vorgegebene Umstände oder die freiheitliche Wahl der Beziehungsformen in der Lebenszeit geprägt ist und die Dimension des Wohnorts als untergeordnet erscheinen lässt. Die gegenwärtig kontrovers besprochenen Konzepte zur theologisch angemessenen Gestaltung des pastoralen Raums bewegen sich in dem geschilderten Spannungsfeld: In welcher Weise kann dem Bedürfnis vieler Menschen nach einer situativ geprägten, lebensgeschichtlich bedingten Erwartung an kirchliches Handeln Rechnung getragen werden, ohne den Gedanken aufzugeben, als Gemeinde vor Ort Tag für Tag im Gotteslob in Wort, Feier und Tat verlässlich antreffbar zu sein? Da hier an anderer Stelle das bischöfliche Amt (siehe Kapitel 8.) sowie das Papstamt Thema sind (siehe Kapitel 4.), konzentriere ich mich nun auf die Ebene der Pfarrgemeinde bzw. kategorialen Personalgemeinde. Eine problemorientierte Beschreibung der gegenwärtigen Situation der lokalräumlich strukturierten Pfarrgemeinden in all ihrer Ambivalenz (6.1) ist dabei ebenso erforderlich wie theologische Optionen für die Gestaltung der näheren Zukunft unter dem Vorzeichen der Existentialisierung des Glaubenslebens (6.2). Eine Lösung aller offenen Fragen zur angemessenen Gestaltung des pastoralen Raums ist derzeit nicht in Sicht. Sind dabei Modelle weiterführend, bei denen auch Laien Teile der Gemeindeleitung übertragen werden können?1 Die Begründung von (im guten Sinn) visionären Konzeptionen der Pfarrgemeinden in Europa in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts bindet heute bereits viele Kräfte. Niemand weiß jedoch genau, welche Entwicklungen in Kürze noch eintreten werden. Grundlegend stellen sich angesichts der (wie in der orthodoxen Tradition) auch römisch-katholischen Option für eine eucharistische Ekklesiologie (siehe Kapitel 7.) viele Fragen: Wie ist erreichbar, dass die eucharistischen Versammlungen auch für ältere, behinderte oder arme Menschen zugänglich bleiben? Ist zu erwarten, dass die vielen ursprünglich eigenständigen Pfarrgemeinden offen und bereit die Bildung größerer pastoraler Räume befürworten? Wäre nicht eine Veränderung der Zulassungsbedingungen zum ordinierten Amt (bisher mit Ausnahme des ständigen Diakonats ausschließlich ehelos lebende Männer) eine Möglichkeit, die kirchlichen Handlungsformen stärker
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lokalräumlich zu verorten – und ist dies überhaupt wünschenswert? Entsprechen die gegenwärtigen Ausbildungswege und -ziele den Anforderungen in der pastoralen Praxis, in der oft Menschen ohne kirchliche Prägung begegnen, die herausfordernde existentielle Fragen stellen? In der christlichen Ökumene stellen sich diese Fragen in signifikant unterschiedlicher Weise. Ich nehme im Folgenden insbesondere die mir vertraute römisch-katholische Wirklichkeit in den Blick. 6.1 Kirche am Wohnort und Kirche am Wahlort Bei der Suche nach einer theologischen Urteilsbildung im Hinblick auf die Wirklichkeit der Gemeinde von Getauften im lokalen Raum erscheinen mir folgende Beobachtungen wichtig: (1) Wer eng vertraut ist mit der Wirklichkeit der Kirchengemeinden, wird bestätigen können, dass die Zahl der Menschen, die sich an Sonntagen in der Nähe zum eigenen Wohnort zur Eucharistiefeier versammeln, im mitteleuropäischen Kulturkreis stetig sinkt. Dabei mag es Schwankungen geben; auch besondere Orte (nicht selten von dort tätigen Personen geprägt) sind von der allgemeinen Tendenz auszunehmen. Gleichwohl ist unverkennbar, dass in weiten Gebieten von Europa das Durchschnittsalter der sich Versammelnden steigt. Das Phänomen der Volkskirchlichkeit ist in einzelnen Regionen im Norden und Osten Deutschlands nur noch in Relikten anzutreffen. Wenige junge Menschen begegnen oft nur vielen alten Menschen. Diese stehen nicht selten ratlos vor den beobachteten Veränderungen und sind verunsichert angesichts der eigenen Verhaltensweisen. Sie fragen sich (bestärkt oft durch kritische Rückfragen im eigenen Familienkreis), warum sie sich selbst noch zu der treuen Minderheit der kirchlich Gebundenen zählen. Im Kontext der erschütternden Krisenphänomene der letzten Jahre insbesondere angesichts des sexuellen Missbrauchs von kirchlichen Amtspersonen werden solche Anfragen immer lauter. Auch im inneren Kreis der kirchennahen Glaubenden wird die Ungeduld größer. Die Frage nach der Zukunft des ehrenamtlichen Engagements ist in vielen Ortsgemeinden virulent. Es ist kaum anzunehmen, dass die Gemeindewirklichkeit sich in absehbarer Zeit im Sinne der Teilhabe einer größeren Gruppe von jüngeren Menschen verändert. Die bisher gemeindenah arbeitenden römisch-katholischen Frauenverbände verzeichnen einen beständigen Rückgang der Frauen, die sich auf Dauer verbindlich engagieren. Die Prognosen führen
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6. Formen: Sozialgestalten kirchlicher Existenz
im weltkirchlichen Kontext gewiss zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine der Schwierigkeiten der gegenwärtigen römisch-katholischen Ekklesiologie besteht genau darin: Es ist in kirchenoffiziellen Verlautbarungen oft wenig Bereitschaft erkennbar, auf die regionalen Unterschiede in der Gestaltung der kirchlichen Wirklichkeit Rücksicht zu nehmen. (2) Die in Wohnraumnähe situierte Gemeinde ist ein Ort, an dem Menschen mit unterschiedlichen Begabungen und in unterschiedlichen Lebensaltern zusammenkommen als wechselseitig einander herausfordernde und bereichernde Versammlung von „zufällig“ in demselben lokalen Bereich lebenden Menschen. Noch vor wenigen Jahrzehnten gehörte es zu den wiederkehrenden Übungen bei größeren Feierlichkeiten in der Pfarrgemeinde, Präsentationen der verschiedenen Altersgruppen und Interessensgemeinschaften in derselben Gemeinde vor Ort vorzusehen. Die über Generationen hinweg bestehende Gemeinschaft sollte so öffentlich werden. Die Bereitschaft zur Wahrnehmung des Fremden, das der eigenen Lebenssituation im Augenblick nicht entspricht, wurde so eingeübt. Ortsgemeinden bieten die Möglichkeit, auf kleine Kinder, Jugendliche, Erwachsene und alte Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit aufmerksam zu werden. Toleranz oder gar Anteilnahme aneinander können erlernt werden. Heute sind die pastoralen Herausforderungen in den Gemeinden vielfach anders. Die unterschiedlichen religiösen Anliegen der Generationen und Milieus lassen sich in größeren lokalen Räumen, als sie bei Pfarrgemeinden üblich sind, durch Schwerpunktbildungen in gesteigerter Intensität aufnehmen. Die Frage ist dann, wie im Prozess der Transformation von der ortsgemeindlichen Bindung hin zu neuen Versammlungsräumen in homogenen altersspezifischen oder sozialen Milieus Kommunikationsformen einzurichten wären, die es ermöglichen, sich über Grenzen hinweg als eine Gemeinschaft von Christinnen und Christen zu erfahren. Dem theologischen Anspruch nach ist die christliche Tradition schöpfungstheologisch und damit auch universal-menschlich ausgerichtet. Die gemeindliche Erwachsenenkatechese hat diese Dimension des Glaubens – nicht zuletzt angesichts der diakonischen Sendung der Kirche – im Blick zu behalten.2 (3) Den Menschen viele Angebote zur religiösen Orientierung an den Orten zu bieten, die sie selbst aufsuchen, ist ein vorrangiges Anliegen der gegenwärtigen Pastoral. Zugleich stellt sich die Frage, wie Ge-
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tauften zu vermitteln wäre, dass nicht nur sie selbst berechtigte Erwartungen haben, sich vielmehr auch Erwartungen anderer bedürftiger Menschen auf sie richten. Im sozialen Nahraum, in dem in der Regel auch die Kirchengemeinde angesiedelt ist, sind am ehesten Kenntnisse darüber anzunehmen, welche Nöte jene Menschen bedrängen, die sich nicht (mehr) in die große Öffentlichkeit begeben können. Wie könnte die Bereitschaft zum diakonischen Handeln in den Pfarrgemeinden gefördert werden? Bedarf es dazu nicht der konkreten, spezifischen Kenntnis der Menschen in der Wohnraumnähe? Eine gute Nachbarschaft ist in vielen Regionen noch immer ein hohes Gut. Das Leben in der Nachfolge Jesu Christi konkretisiert sich in Taten der Liebe, die zielgerichtet bestehende Not unter Geschöpfen lindern möchten. In den Ortsgemeinden ist es oft nicht leicht, diese diakonische Dimension des Christseins im allgemeinen Bewusstsein zu halten. (4) Menschen, die vorrangig zu lebensgeschichtlich für sie besonders wichtigen Zeiten den Kontakt zur Kirchengemeinde suchen – darunter nicht wenige junge Familien –, suchen noch immer primär einen Bezug zur örtlich naheliegenden Gemeinde. Mobilität ist auch für Menschen, die sich dem christlichen Glauben nahe wissen, nicht in jeder Lebensphase in gleicher Weise möglich. Bei Menschen, die aus Anlass ihrer Eheschließung, der Taufe eines Kindes oder des Begräbnisses eines Angehörigen nach einer religiösen Deutung des Widerfahrenden suchen, ist der Weg in die Wohnraumnähe nicht selten noch der – auch im übertragenen Sinn – naheliegende. Gewiss gibt es auch andere Erfahrungen: Bestattungsinstitute in anonymisierten Stadtgebieten übernehmen heute weite Teile der früher im kirchlichen Raum verbliebenen Trostarbeit; Eheschließungen finden nicht selten an vom Wohnort weit entlegenen Orten statt; entscheidend ist bei der Wahl dieses Ortes, ob sich mit ihm Erinnerungen und Hoffnungen verbinden; manchmal wird der Ort aufgrund touristischer Attraktivität gewählt; die emotionale Nähe bindet stärker als die Wohnortnähe. Eine kontinuierliche Bindung an eine christliche Gemeinschaft ist dann zumeist ohnehin nicht vorgesehen. Wenn sie jedoch hergestellt werden kann, wird sie nicht selten auch über große Entfernungen bei entsprechenden Gelegenheiten aktualisiert. Die Feier der Eheschließung wird als eine kirchliche Dienstleistung verstanden, die grundsätzlich an jedem Ort ohne weitere Verpflichtungen vor Ort einzuplanen ist. Kirchenräume entstehen heute beispielsweise auch in Fußballstadien; die entsprechenden Räume werden vor allem bei
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6. Formen: Sozialgestalten kirchlicher Existenz
Trauungen und Taufen von einer familiär geprägten Festgemeinschaft aufgesucht. (5) Die durch Lebenssituationen bedingten Kategorialgemeinden im Sinne von Personalgemeinden haben eine lange Tradition: Wer unfreiwillig in der Fremde vom eigenen Wohnort entfernt ist, hat keine andere Wahl als jene, sich mit in gleicher Weise von der Lebenssituation betroffenen Menschen zu versammeln. Bei ihrem Leben auf Wanderschaft haben Pilgerinnen und Pilger christliche Hospize als kirchliche Orte erfahren; da nicht wenige Menschen auf Reisen krank wurden oder sogar in Todesnähe gerieten, hat sich das Hospizwesen zu einem Dienst an Kranken und Sterbenden entwickelt, der in gewandelter Form gegenwärtig hohe Wertschätzung in der Gesellschaft erfährt. Sehr alte Traditionen bestehen auch in der Militärseelsorge: Beim Fronteinsatz steht die Frage nach Leben und Tod unmittelbar vor Augen. Auch Gefangene leben nicht an einem selbst gewählten Ort; in der Gefängnissituation wird die Frage nach der Schuld in besonderer Weise wichtig. Es gibt auch Situationen, in denen sich Menschen mit Lebenshoffnungen zu einer Personalgemeinde versammeln; zu diesen gehören beispielsweise die Studierendengemeinden oder – weniger lange von Dauer – christliche Gemeinschaften, die sich angesichts eines Ereignisses wie etwa eines Kirchen- oder Katholikentags für wenige Tage versammeln. (6) Zunehmend sind in jüngerer Zeit jene Orte in den Blick der kirchlichen Pastoral gerückt, die Menschen aus nicht-religiösen Gründen gerne aufsuchen: Zentren großer Städte (City-Pastoral), Erholungsorte in von vielen Menschen aufgesuchten Reisegebieten (Camping- bzw. Urlauber-Seelsorge), Sportstätten oder Orte mit zeitlich befristeten besonderen Ereignissen (Weltausstellungen wie die Expo 2000 oder eine Landes- oder Bundesgartenschau). In diesem Zusammenhang gehen die Menschen nicht zur Kirche, die Kirche kommt vielmehr zu den Menschen. In enger thematischer Rückbindung an die Lebenssituation der Besucherinnen und Besucher einzelner Orte, an denen sie in der Regel nach Lebensfreude suchen, wird das christliche Evangelium verkündigt. Die Aufnahme schöpfungstheologischer Aspekte legt sich in diesem Zusammenhang besonders nahe. (7) In ökumenischer Perspektive lassen sich viele Bezüge zu den bereits angesprochenen Überlegungen herstellen: Es zeigt sich, dass
6.2 Kirche als Ort der Antwort auf Fragen des Lebens
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die ökumenische Verbundenheit insbesondere an jenen Orten des Lebens bereits besonders intensiv gelebt wird, an denen existentielle Fragen im Vordergrund stehen: beispielsweise bei der Sterbebegleitung im Hospiz, im Gefängnis, bei der Suchtberatung, der Telefonseelsorge oder der Notfallseelsorge. In nicht wenigen pastoralen Bereichen ist eine angemessene Präsenzzeit nur noch in ökumenischer Kooperation zu erreichen: zum Beispiel bei der offenen Jugendarbeit, in der geistlichen Begleitung von alten Menschen in Seniorenheimen oder in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. In all diesen Zusammenhängen ist im internen Organisationsgefüge zu wünschen, dass die ökumenische Kooperation als eine Entlastung und nicht als eine zusätzliche Belastung empfunden wird. Die Erfahrung spricht dagegen: erste Absprachen sind immer die am meisten zeitaufwendigen; angesichts der vielfältig erforderlichen Neuordnungen im zunächst konfessionell bestimmten pastoralen Raum erscheinen ökumenische Bemühungen oft als zu anstrengend. Nicht selten sind es persönliche Beziehungen zwischen denen, die in der Pastoral handeln, die zu Vereinbarungen über die konkrete Gestaltung der Kooperation führen. 6.2 Kirche als Ort der Antwort auf Fragen des Lebens Sozialgestalten sind Beziehungsformen. In personal gelebten Beziehungen werden die Fragen groß, die alle Menschen bewegen: Woher komme ich und wohin gehe ich? Warum habe ich ein solches Glück? Wozu geschieht mir dieses Leiden? Wieso gibt es die erfahrbare Unversöhntheit unter den Menschen? Welchen Sinn haben der Krieg, das Morden und all die Gewalt? Was steckt in den Menschen an zerstörerischem Potential? Wie kann für alle alles je gut werden? Es gibt ekklesiologische Konzepte, die sich im Anschluss an Karl Rahner um eine konsequent adressatenorientierte Gestaltung der kirchlichen Verkündigung bemühen. Rahner zählt zu den Propheten der nachkonziliaren Zeit, zu den Gegenwartsdeutern der Verkündigungssituation angesichts der drängenden Gottesfrage. Im Dezember 1976, bald nach dem Abschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer (Würzburg 1971–75), deren Anliegen es war, die Theologie des 2. Vatikanums in ihren pastoralen Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland zu bedenken, votierte er nachdrücklich für eine adressatenorientierte Pastoral: „Der Seelsorger ist nicht ein Ritualist
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und Magier und Wortzauberer, der sich einfach auf das Opus Operatum von traditionellen Wortformeln und sakramentalen Riten verlassen darf. Er ist gehalten, nach Kräften im Adressaten seines seelsorglichen Bemühens durch Wortverkündigung und Sakrament jene existentiellen Voraussetzungen zu schaffen, die zu einem echt menschlichen und gläubigen Empfang jener Wirklichkeiten Voraussetzung sind, die er dem Menschen anbietet zu seinem Heil. Seine Adressaten sind nicht nur einfache und schlichte Menschen, die, gehalten durch ein homogen christliches Milieu, sich einfach auf die formale Autorität eines geweihten Religionsfachmanns verlassen und hinnehmen, was er sagt. Seine Adressaten sind Gebildete, die mitten in den Widersprüchen und Pluralismen einer säkularisierten Welt leben, die nicht einfach nur von ihrem Pfarrer ihre Weltanschauung beziehen, sind auch Menschen, die Auswahlchristen sind und in Glaubenskrisen leben“3. Die Option für eine adressatenorientierte Theologie und Pastoral steht ihrer Intention nach bei Karl Rahner nicht im Widerspruch zu einer botschaftsorientierten christlichen Verkündigung. Die mit seinem Namen verbundene anthropologische Wendung der Theologie ist schöpfungstheologisch und pneumatologisch begründet. Rahner entfaltete vielfach den Gedanken, Gott habe den Menschen als ein Wesen erschaffen, das sein eigenes Dasein angesichts seiner Endlichkeit und seiner zugleich gegebenen Offenheit auf das Du hin als fraglich erfährt, als in sich nicht lösbar, als Rätsel. Das bedachte eigene Leben löst eine Suchbewegung aus. Gott ist es, der den Menschen als ein solches Wesen erschafft, das auf der Suche bleibt nach dem Sinn des im Leben Begegnenden. Gott gibt sich selbst als Antwort auf die Frage, die der Mensch sich selbst ist. Gottes Dasein und Sosein ist die Botschaft, deren Relevanz Menschen durch Selbstbesinnung erkennen können. Die adressatenorientierte Pastoral entspricht dem Grundanliegen Gottes, sich selbst als Fülle des Lebens den darauf vertrauenden Menschen kund zu geben. Im Zusammenhang eines Vortrags bei einer Pastoraltagung zum Thema „Pfarrseelsorge“ Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts kam Rahner auf seine erstmals in den 60er Jahren formulierte These vom Mystiker als dem Christen der Zukunft zurück.4 Sein Anliegen bei dieser ihm aufgegebenen Themenstellung war es, die territoriale Dimension in der Glaubensverkündigung zu verteidigen. Das „urmenschliche Phänomen“5 der Bildung von Gemeinschaft und Gesellschaft bleibt nach seiner Auffassung für die kirchliche Gemeinschaft auch in jenen Zeiten von Bedeutung, in denen der volkskirchliche
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Charakter gläubiger Existenz schwindet. Dabei lebe die eucharistiefeiernde Gemeinde unter dem Imperativ, „nicht bloß das äußerliche Zusammenlaufen von einzelnen“6 zu sein, vielmehr eine Versammlung von Glaubenden, die um die Gründe ihres Handelns wissen und ihnen zustimmen können. Anders als zu der Zeit, in der die Glaubenden in einem homogenen christlichen Milieu lebten, sei „die einsame Verantwortung des einzelnen in seiner Glaubensentscheidung in viel radikalerer Weise notwendig und gefordert, als dies früher der Fall war“7. Auch soziologische Studien aus jüngerer Zeit bestätigen, dass „kognitive Minderheiten“ eine erfahrbare Gemeinschaft brauchen. Je mehr Christen mit ihrer Überzeugung in den Minderheitenstatus kommen, umso wichtiger wird also Gemeinde. Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung der Verkündigungssituation sah Rahner die Überzeugungskraft der mystischen Gotteserfahrung in der Gestalt eines in tiefster existentieller Einsamkeit gewagten Vertrauens in die verborgene Nähe Gottes selbst noch im Gewahrwerden der Schuldverstrickung und des Todes gegeben. Rahner fügte sodann Überlegungen an, die die Möglichkeiten einer kommunitär gelebten mystischen Geisterfahrung in der konkreten Situation der Pfarrseelsorge ausleuchten. Es bleibt an dieser Stelle bei einer Suchbewegung Rahners, die von dem langjährigen eigenen Erleben – von der Ordensexistenz ernüchtert – mitgeprägt ist, sich dennoch aber neuen Bewegungen zu einer gemeinschaftlich mystischen Geisterfahrung nicht verschließen möchte: „Wir Älteren waren doch von unserer Herkunft und Erziehung her auch spirituell Individualisten, auch wenn wir die gemeinsame Liturgie als unsere selbstverständliche, objektive Aufgabe und Pflicht gerne vollzogen haben. Man muss ja nur in die Vergangenheit der Kirche und ihres Lebens zurückblicken. Man sieht dann, dass Erfahrung des Geistes, dass ‚Mystik‘ wie selbstverständlich als rein individuelles Vorkommnis des einzelnen für sich allein verstanden und gelebt wurde. Wo wurde an eine gemeinsame Geisterfahrung gedacht, sie ersehnt und erfahren, wie sie ja offenbar am ersten Pfingstfest der Kirche erfahren wurde, das doch vermutlich nicht das zufällige lokale Beisammensein einer Summe von individualistischen Mystikern war, sondern Geisterfahrung einer Gemeinschaft als solcher. Eine solche Erfahrung kann und will natürlich dem einzelnen Christen jene Einsamkeit radikaler Glaubensentscheidung nicht abnehmen und ersparen, weil menschliche Individualität und Gemeinschaftlichkeit keine miteinander verrechenbare und sich gegenseitig ersetzen könnende Größen sind“8. Rahners Reflexion mys-
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tischer Erfahrung führte ihn hin zu der Grundfrage des Verhältnisses zwischen dem unvertretbar personalen Gottesglauben und seiner Formung und Bewahrung in der Gemeinschaft der Glaubenden. Karl Rahners Anliegen war es, auf die von ihm vorausgesehene Situation aufmerksam zu machen, die bei aller Anerkenntnis der Reformbemühungen des 2. Vatikanischen Konzils als Desiderat bestehen blieb: die Aufnahme der Gottesfrage in der Bedrängnis des Zweifels, der insbesondere durch die Begegnung mit dem Leiden und dem Tod genährt wird. Rahner sah die Zeit kommen, in der die Verkündigungssituation erneut von der Theodizeefrage erschüttert werde. Das worthafte Zeugnis der Christen erschien ihm nicht hinreichend, um den Zweiflern zu begegnen. „Weltliches Leben und Dienst an der Welt“9 forderte er als „Stück echter Frömmigkeit“10 ein und konkretisierte diese als „Fröhlichkeit, Tapferkeit, Pflichttreue und Liebe“11. Rahner sah nach dem Konzil eine Zeit herannahen, in der die Verkündiger gefordert sind, sich „den fundamentalen Wirklichkeiten und Wahrheiten des christlichen Glaubens zu[zu]wenden“12 und den schweigenden, in Finsternis verborgenen Gott in existentieller Tiefe, personaler Entschiedenheit und letzter Einsamkeit zu bezeugen. Individualität und Pluralität der menschlichen Lebenswirklichkeiten lassen es zunehmend schwierig erscheinen, Menschen an ihren Wohnorten zu einer Glaubensgemeinschaft zusammenzuführen. Zugleich ringen viele pastorale Konzepte um eine Möglichkeit, an der Bedeutung der Koinonia der Glaubenden gerade in der Situation der Anfechtung im Glauben festzuhalten. Das gemeinsame Erleben der Sinnhaftigkeit eines Handelns in einem spezifischen diakonischen Bereich oder die gemeinsame existentielle Betroffenheit in tiefer Trauer oder anderes können existentielle Hintergründe sein, sich zumindest für eine begrenzte Zeit als Glaubensgemeinschaft zu erfahren. Die Getauften sind jedoch nicht nur Adressatinnen und Adressaten des Evangeliums, sondern auch Verkündigerinnen und Verkündiger der Botschaft Gottes. Angesichts der Tatsache, dass die Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft in Folge der verbreiteten Praxis der Säuglingstaufe in der Regel nicht auf einer persönlichen Entscheidung beruht, ist es allerdings mühsam zu vermitteln, dass mit dieser ekklesialen Zugehörigkeit aus theologischer Perspektive auch Pflichten verbunden sind. Individualität und Sozialität des Menschen stehen in einem engen Zusammenhang. Die Biographieforschung, ein Bereich der Sozialwissenschaften, findet in jüngerer Zeit große Beachtung. Sie bringt neu zu Bewusstsein, dass jede Lebensgeschichte eines Menschen mit
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den Lebensgeschichten anderer Menschen eng verwoben ist. Eine verstärkte Aufmerksamkeit auf biograhische Aspekte insbesondere in katechetischen Situationen könnte dazu beitragen, dass Menschen sich auch auf Dauer für Begegnungen mit einer kirchlichen Gemeinschaft öffnen. Eine vorbehaltlose Hörbereitschaft sowie der Verzicht auf rasche Urteile werden das biographische Erzählen befördern, das gegenwärtig als ein wichtiger Zugang zum personalen Glauben gilt. Das Erzählen ist immer ein kommunikatives Geschehen. Friedrich Nietzsche sah voraus, was passiert, wenn der Mensch sich vom Gottesgedanken befreit und dann nur noch auf die eigenen Möglichkeiten hoffen kann. Ein Gedicht aus neuerer Zeit des niederländischen Literaten Cees Nooteboom mit dem Titel „Ordnung“13 nimmt diese Thematik auf: Die Götter sind sterblich, aber dürfen nicht sterben. Hinter ihren Fenstern herrscht Chaos, der Meister des Nichts. Dort wird das Wasser zu Feuer, schwebt das Meer durch die Luft, dort lecken die Elemente einander die Sicht aus den Augen, dort gebiert das zufällige Wort ein Wort ohne Wortsinn, das Unglück, das auf Klarheit hinausläuft, den Apfel, der fällt wie ein Luftschiff in Flammen, den verfälschten Walzer der Stunden, den Schluss ohne Strich. Wer ordnet einmal für alle versöhnlich das Chaos des Lebens? Unerschöpflich ist diese geschöpfliche Hoffnung auf eine Scheidung der Elementenkräfte, auf Verlässlichkeit in den Naturvorgängen, auf Klärung und Dauer der Verhältnisse. Gibt es diesen einen Schöpfergott, dessen Wort nicht zufällig erging, vielmehr mit Sinn – mit Logos? Könnten Menschen sich je mit der Frage abfinden, letztlich blind zu sein und ohne Erkenntnis der Zusammenhänge und dem Chaos beliebiger Möglichkeiten ausgeliefert? Halbherzig nur wagen viele Menschen die Annahme, Gott sei tot. Sie machen dann einen Schluss
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ohne Strich. Die Endsumme des Lebens bleibt offen. Die kirchliche Pastoral geht den Menschen nach, die unter ihr Leben noch keinen Schluss mit Strich gesetzt haben. Sie ist getragen von der Grundüberzeugung, dass Menschen ihren Lebensfragen Raum geben werden: zeitlichen Raum, örtlichen Raum und sozialen. Ungeplant geschieht an manchen Orten, die Menschen von sich aus aufsuchen, eine Begegnung mit den offenen Lebensfragen. Wenn Menschen Fragen stellen, wäre es wichtig, mit Angeboten zur Deutung des Lebens auch von kirchlicher Seite authentisch präsent zu sein, und zwar an dem Ort, wo die Menschen leben.
Literatur Michael N. Ebertz / Ottmar Fuchs / Dorothea Sattler (Hg.), Lernen, wo die Menschen sind. Wege lebensraumorientierter Seelsorge, Mainz 2005. Jürgen Werbick, Warum die Kirche vor Ort bleiben muss, Donauwörth 2002.
7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie 7.1 Vorüberlegungen In der Zeit nach dem 2. Vatikanischen Konzil hat sich in einer für die kirchlichen Handlungsvollzüge in pastoraler Motivation sensiblen systematisch-theologischen Ekklesiologie die Rede von den drei Grunddiensten der Kirche gefestigt: Die Kirche legt Zeugnis für Gottes Offenbarung in Jesus Christus ab, die im Heiligen Geist vergegenwärtigt wird (Martyria); die Kirche feiert in gottesdienstlicher Gestalt das Handeln Gottes an seiner Schöpfung (Leiturgia); die Kirche versteht ihre Sendung als Dienst an allen, die der Hilfe bedürfen (Diakonia). Der universale, auf die gesamte Schöpfung bezogene Horizont des kirchlichen Handelns wird hier bewusst. Auch wenn in den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils das Miteinander und Zueinander der drei genannten Grunddienste der Kirche in ihrem Zusammenhang nur angedeutet bleibt, diese Reflexionsebene vielmehr erst in der kirchenamtlichen Reflexion der nachkonziliaren Dokumente vertieft wurde, so finden sich doch viele konziliare Aussagen, in denen diese drei Dimensionen kirchlichen Handelns jeweils für sich beschrieben sind. Auffällig ist, dass das 2. Vatikanische Konzil besonderen Wert auf die enge Verbindung zwischen Liturgie und Diakonie legte und dies als Lernweg des gesamten Gottesvolkes betrachtete (vgl. LG 10). Die spätere gedankliche Verbindung der drei Grunddienste der Kirche wird in der Liturgiekonstitution angemahnt: „In der heiligen Liturgie erschöpft sich nicht das ganze Tun der Kirche; denn ehe die Menschen zur Liturgie hintreten können, müssen sie zu Glauben und Bekehrung gerufen werden (…). Darum verkündet die Kirche denen, die nicht glauben, die Botschaft des Heils, damit alle Menschen den allein wahren Gott erkennen und den, den er gesandt hat, Jesus Christus und dass sie sich bekehren von ihren Wegen und Buße tun. Denen aber, die schon glauben, muss sie immer wieder Glauben und Buße verkünden und sie überdies für die Sakramente bereiten. Sie muss sie lehren, alles zu halten, was immer Christus gelehrt hat, und sie ermuntern zu allen Werken der Liebe, der Frömmigkeit und des Apostolates“ (2. Vatikanisches Konzil, Sacrosanctum Concilium [SC], Nr. 9). Das Konzil beschreibt den Weg des Christwerdens im kirchlichen Kontext als einen stringenten Folgeprozess: Zuerst wird das Evangelium verkündigt (Martyria); dann
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wird das Christsein gefeiert (Leiturgia); eine Konsequenz der gottesdienstlichen Feier ist das caritative Handeln (Diakonia). Aus heutiger Sicht ist die Frage offen, ob es nicht auch eine andere Abfolge in der Wahrnehmung der Grundvollzüge kirchlicher Existenz geben kann. Ist nicht auch möglich, dass Menschen angeregt durch das diakonische Zeugnis zum liturgischen Gotteslob finden? Gewiss ist, dass die kirchlichen Grundvollzüge der Martyria, Leiturgia und Diakonia eng zusammengehören und ineinander verwoben sind: Das Zeugnis geschieht in der Feier der Verkündigung von Gottes Wort in Menschenworten und in der für sich selbst sprechenden Tat der Liebe; das gottesdienstliche Gedächtnis der Weisungen Gottes macht Mut zur tätigen Nachfolge in einem menschennahen Gottesdienst; das oft gefahrvolle Tatzeugnis findet immer wieder Trost in der Gewissheit der alle Not wendenden liturgischen Zusage der Nähe Gottes. Die gesamte kirchliche Sendung ist Zeugnis für das Leben Gottes, Feier der Gegenwart Gottes und Handeln in Gottes Sinn. In vier Zugängen zur Thematik möchte ich die skizzierten drei Grunddienste der Kirche besprechen: zunächst separat in einer theologischen Grundlegung mit Bezug auf die biblischen Schriften (7.2); anschließend miteinander verbunden unter dem Leitgedanken der Koinonia (7.3), sodann unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Wortverkündigung und sakramentaler Feier (7.4); am Ende mit Überlegungen zu ekklesiologischen Konzepten im Anschluss an ausgewählte Grunddienste der Kirche (7.5). 7.2 Theologische Grundlegung: Zeugnis, Liturgie und Diakonie 7.2.1 Zeugnis
Die Kirche ist von Gott in den Dienst der Martyria berufen: Sie soll Zeugnis ablegen von der Hoffnung, die in ihr lebendig ist (vgl. 1 Petr 3,15). Vier Kennzeichen gehören zum Wesen des Zeugnisses1: (1) Das Zeugnis eröffnet ansonsten Verborgenes; es bezieht sich auf eine Wirklichkeit, die nicht jedem und jeder zugänglich ist. Einzelne Menschen begegnen für sie Wahrem und wollen an diesem Geschehen teilhaben lassen. Das Zeugnis setzt Gedächtnis voraus. Das Zeugnis ist primär auf geschichtlich Vorgekommenes bezogen, das
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erinnernd vergegenwärtigt werden kann. Wie das Gedächtnis, so ist das Zeugnis ein lebendiger Widerspruch gegen den folgenlos bleibenden Strom der Zeit. (2) Das Zeugnis erinnert Vergangenes um der Zukunft willen; sein Sinn ist es, dem Erlebten und Gelebten bleibende Bedeutsamkeit zu sichern. Das Zeugnis ist das in der Gegenwart für die Zukunft Sorge tragende Gedächtnis. Ein Gotteszeugnis ist Gedächtnis Gottes, das aus Sorge um die Zukunft der Gemeinschaft geschieht. (3) Die bezeugte Einsicht drängt sich auf; die Erfahrung der Zeugen ist es, die Gültigkeit des Bezeugten nicht allein mit der eigenen Einsicht begründen zu können. Zeugen erfahren sich eingefordert von dem, was sich ihnen zeigt. (4) Das Zeugnis ist angewiesen auf die Bereitschaft von Menschen, sich vor Anderen vermittelnd zu äußern. Das Zeugnis hat immer Wortcharakter: Es ist die Aussage einer Person, die einen Dialog beginnt und Antwort erwartet; in seinem Wort-Charakter leuchtet die unvertretbare Subjektivität des Zeugnisses auf. Das zeugnisgebende Wort des Menschen muss nicht aus gesprochenen Silben bestehen, entscheidend ist der Aspekt der unvertretbaren, personalen Aussage über die Gegebenheit einer Wahrnehmung; eine solche Aussage ist möglich auch „in der Gebärde, im Schrei, im Lied, im Tun, im Werk, im Schweigen, in der Liebe, im Tod“2. Eigen ist dem biblischen Verständnis des Zeugnisses, dass das Zeugnis der Erkenntnis eines geschichtlich sich offenbarenden Gottes dient, der erkannt werden möchte in seinem rettenden Handeln und in seiner ethischen Weisung. Gott möchte Gemeinschaftstreue, nicht Gemeinschaftsbruch, das ist seine Tora, die Israel und auch die Christen zu bezeugen haben. Die frühen christlichen Gemeinden legen Zeugnis ab für Gottes Selbstzeugnis in Jesus Christus, einer geschichtlichen Gestalt, die die Weisung Gottes lebte und im Sterben bezeugte, dass es Hoffnung gibt auch für die, die die Weisung Gottes missachten. Diese Hoffnung gründet in Gott, der auch den Sünderinnen und Sündern das Leben bewahren möchte, wenn sie ihm glaubend vertrauen. Die Sendung der Kirche zum Gotteszeugnis begründet ihr missionarisches Wesen: „Die pilgernde Kirche ist ihrem Wesen nach ‚missionarisch‘ (d.h. als Gesandte unterwegs), da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des Vaters. (...) Er, der ursprungslose Ursprung (...), hat uns in seiner übergroßen Barmherzigkeit und Güte aus freien Stücken geschaffen und überdies gnadenweise gerufen, Gemeinschaft zu haben mit ihm in Leben und
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
Herrlichkeit. (...) Es hat aber Gott gefallen, die Menschen nicht bloß als einzelne, ohne jede gegenseitige Verbindung, zur Teilhabe an seinem Leben zu rufen, sondern sie zu einem Volk zu bilden, in dem seine Kinder, die verstreut waren, ineins versammelt werden sollen. Dieser umfassende Plan Gottes für das Heil des Menschengeschlechtes wird nicht allein auf eine gleichsam in der Innerlichkeit des Menschen verborgene Weise verwirklicht. (...) Gott hat vielmehr beschlossen, auf eine neue und endgültige Weise in die Geschichte der Menschen einzutreten; so wollte er Frieden und Gemeinschaft mit sich herstellen und (...) Verbundenheit unter den Menschen, die doch Sünder sind, herstellen“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Ad Gentes [AG], Nr. 2–3). Das Konzil legt somit Wert darauf zu betonen, dass es Gottes Plan entspricht, sich nicht nur Einzelpersonen zu offenbaren, dass vielmehr die Verbundenheit der Menschen miteinander zugleich Weg und Ziel des göttlichen Handelns sind. Die kirchliche Existenz ist im Sinne Gottes. 7.2.2 Liturgie
Die liturgische Versammlung zur Feier des Wortes Gottes und das gemeinschaftliche Erleben der sakramental wirksamen Zeichenhandlungen hat die Erkenntnis des in Christus Jesus offenbaren Wesens Gottes zum Ziel. Die in Gottes Geist geschenkte Nachahmung der Gestalt seines hohepriesterlichen Lebens ist der Ursprung und das Ziel der kirchlichen Liturgie, die in der Feier der Lebenshingabe aus Liebe zu den Mitgeschöpfen ihre Vollendung findet. Alle Sinne werden in den liturgischen Feiern angeregt und in den Dienst der Verkündigung aufgenommen: das Hören von Klängen und Worten, das Sehen von Farben und Lichtern, das Riechen von Düften, das Fühlen von versöhnungsbereiten Händen, das Schmecken der Gaben der Schöpfung. Das primäre Kennzeichen christlicher Liturgie ist ihre personale Dimension: (1) Sie feiert das Gedächtnis des Lebenszeugnisses eines Menschen, der sein freiheitlich-entschiedenes Handeln als Erweis der Liebe Gottes zu den Sünderinnen und Sündern betrachtet hat: „Christus (...) ist gekommen als der Hohepriester der künftigen Güter; denn durch das erhabenere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Welt ist, ist er ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt“ (Hebr 9,11f). (2) Die gottes-
7.2.3 Diakonie
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dienstliche Liturgie lebt in der personalen Teilhabe der Mitfeiernden. Menschen werden von Gott eingeladen, mit aufrichtigem Herzen und in der Gewissheit des Glaubens zu einem Geschehen hinzuzutreten, das Gott selbst initiiert (vgl. Hebr 10,22). Gott fordert nicht einen bloß äußerlichen Vollzug kultisch-ritueller Handlungen, von denen das Herz unberührt bliebe. Er sucht das freie Ja. Die alttestamentlichen Propheten klagen im Sinne Gottes die innere Bereitschaft zur Umkehr, zum vertrauenden Glauben, zur Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit als Voraussetzung jedes wahren Gottesdienstes ein (vgl. Am 5,21–24; Hos 6,6; Jes 58,5–7). (3) Die liturgische Feier ist vielfältig verbunden mit dem tagtäglichen Leben der Menschen miteinander. Im gläubigen Wissen um Gottes unverbrüchliche Beziehungswilligkeit ist die Gemeinschaft aller Geschöpfe als eine versöhnte anzunehmen: Keine Feindschaft kann so tief gehen, dass sie zu einer Preisgabe der Suche nach gelingender Gemeinschaft legitimierte. Leben im Geist Jesu Christi bedeutet, niemanden je aufzugeben, immer zu werben für die Hinkehr zu jenem Gott, der das Leben der Sünderinnen und Sünder will. Liturgie des Lebens geschieht, wo immer Menschen einander vorbehaltlos lieben, sich achten, sich schützen, einander suchen und trösten. Alle Sakramente feiern das österliche Geheimnis des Glaubens: Sie verkündigen den Tod Jesu als untrügliches Zeichen seiner Bereitschaft, seine Liebe auch den Sünderinnen und Sündern zu erweisen; sie preisen die Auferstehung des Gekreuzigten als Gottes Zeichenhandlung, die das Leben Jesu gutheißt und die Menschen hoffen lässt, an diesem heilvollen Geschehen teilhaben zu können. Sie sind ein Ruf nach dem endgültigen Kommen des Reiches Gottes, in dem keine Trauer und Angst, keine Mühsal und Plage, kein Schmerz und keine Ungewissheit mehr sein werden. Auch der Tod ist dann nicht mehr (vgl. Offb 21,1–4). In der Zeit der Erwartung, in unserer Lebenszeit, kann der von Gott verheißene „neue Himmel“ auf der „neuen Erde“ bereits anfanghaft, ahnungsweise Gestalt annehmen. Wo die Güte und die Liebe wohnen, da ist Gott. 7.2.3 Diakonie
In der Diakonie ist die Kirche in vielfacher Hinsicht mit der Gemeinschaft aller Geschöpfe verbunden: Während die kirchliche Martyria sich als Zeugnis für den sich geschichtlich offenbarenden Gott versteht und daher den biblisch begründeten Glauben voraussetzt und die Liturgie die Feier eben dieses Gottes im Lob des Herzens und des
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
Mundes ist, erscheint die Diakonie nicht notwendig angewiesen auf ihre thematische Orientierung durch eine von außen instruierende, göttliche Anrede, dies als gut und jenes als böse zu begreifen. Es gilt als ein eindrückliches Zeichen der gesamtmenschlichen Gründung in dem einen Gott und in seiner immer gegenwärtigen Nähe in seinem Geist, wenn Menschen eins sind in ihrer Bereitschaft zur liebenden Anerkenntnis der Mitlebenden. Diese Erkenntnis der theologischen Bedeutung der Diakonia hat in die Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils Aufnahme gefunden; sie gilt heute als eine Basis des interreligiösen Gesprächs. Im Sinne des Selbstverständnisses der Glaubensgemeinschaft Israel erinnern auch die Evangelisten ihre Gemeinden an das Doppelgebot der Liebe: Gott zu lieben und die Nächsten wie uns selbst, daran hängen Gesetz und Propheten (Mk 12,28–31; Mt 22,34–40; Lk 10,25–28). Die johanneischen Schriften formulieren in eindrücklicher Dichte, was die ersten christlichen Gemeinden als ihre Sendung erkannt haben: Ein neues Gebot – ein erneuertes altes Gebot – hat Jesus gegeben, wenn er sagt: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Neu ist nicht das Gebot, wohl aber die Identifikation des Gebietenden mit dem Gebot: Maßstab der menschlichen Liebe ist die Liebe, die Gott in Christus Jesus als seine eigene Lebensweise offenbar gemacht hat. Es ist eine Liebe, die auch den ihm zugefügten mörderischen Tod nicht scheut, wenn dieser der einzige Weg ist, sich als gemeinschaftstreu, als nicht gemeinschaftsbrüchig zu erweisen. Der erste Johannesbrief spricht das Gemeinte so aus: „Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder (und auch seine Schwester) lieben“ (1 Joh 4,21). Das Argument für dieses Gebot, das nach dem ersten Johannesbrief ein Gottes-Gebot ist, lautet: „Wer Bruder und Schwester nicht liebt, die er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1 Joh 4,20). Aus biblischer Sicht ist die Liebe zu den anderen Geschöpfen ein Erweis der eigenen Gottesfurcht. Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, dass Menschen offenkundig die Liebe authentisch leben, ohne sich dabei auf die Weisungen Gottes in der jüdisch-christlichen Offenbarung zu berufen? Verbindet die vom Gewissen geforderte Offenheit für das Du des Anderen und für die Wahrung seiner Daseinsrechte die universale Menschheitsfamilie? Welche Bezüge lassen sich von dorther zum Willen des Schöpfergottes herstellen, seine Geschöpfe als solche zu formen, die sich nach liebender Verbundenheit mit anderen Geschöpfen sehnen? Eint die Liebe die Menschheit, und führt sie letztlich alle hin zu dem einen Gott? Sind diejenigen,
7.2.3 Diakonie
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die ihre Nächsten lieben, bereits bei Gott – und was bedeutete dann darüber hinaus eine auch ausdrückliche Anerkenntnis des biblisch bezeugten all-einen Gottes Israels? Welche Relevanz hat ein solches, bewusstes Bekenntnis im Leben und im Sterben von Menschen? Karl Rahner hat – in Anknüpfung an Joseph Maréchal, Thomas von Aquin und Immanuel Kant – einen Gedankengang in die neuere Theologie eingebracht, der große Beachtung gefunden hat. Ganz knapp skizziert, geht sein so genannter transzendentaler Gotteserweis der Frage nach, was als die Bedingung der Möglichkeit des erlebbaren, erfahrbaren menschlichen Verhaltens bestimmt werden kann. Welche impliziten, nicht thematisierten, unbewussten Voraussetzungen hat das Handeln eines Menschen, wenn dieser etwa zugunsten eines Anderen auf etwas verzichtet, was ihm zumindest im Augenblick einen Lustgewinn bereiten oder einen Vorteil verschaffen könnte? Was motiviert zu diesem Verzicht? Warum erfüllen Menschen ihre Pflicht? Warum lassen sich Menschen ihre Lebensmöglichkeiten beschneiden, damit andere Menschen leben können – warum, da sie doch wissen, dass ihre Tage gezählt sind und keine Stunde, kein versäumter Genuss sich in derselben Weise wieder bietet? Karl Rahner beantwortet diese Frage so: „Der Akt personaler Liebe zum menschlichen Du ist (...) der umfassende, allem anderen Sinn, Richtung und Maß gebende Grundakt des Menschen“3. In der Liebe, in der Offenheit für das Du, so Rahner, begegnet der Mensch sich selbst in seiner ganzen Fraglichkeit. Des Menschen „Leiblichkeit, seine Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit, seine letzte Uneinholbarkeit durch Reflexion, der Charakter der Unergründlichkeit und des Wagnisses in seinem Dasein, die Antizipation seiner Zukunft in Hoffnung oder Verzweiflung (...), seine dauernde Konfrontiertheit mit dem namenlosen, schweigenden, absoluten Geheimnis, das sein Dasein umfasst, seine Bereitschaft zum Tod (...): all das zusammen sind notwendig auch Wesenszüge der Liebe zum Du.“4 Karl Rahner macht darauf aufmerksam, dass jede wahre Tat der Liebe, die den Nächsten in seinem Daseinsrecht und in seinem Streben nach Glück und Vollendung gelten lässt, ein Erweis der Möglichkeit von Menschen ist, sich darauf zu verlassen, dass diese Liebe Sinn macht, dass sie nicht ins Leere geht, dass jeder und jede nochmals umfangen ist von einer Liebe (einer Zusage des Dasein-Sollens), die auch vor dem Tod, vor der immer bedrohlichen, immer gegenwärtigen Endlichkeit alles Seienden, nicht zurückschreckt, vielmehr unerschrocken das Gute erstrebt, wenn sie dabei auch willentlich oder unwillentlich oft das Böse ergreift. Selbst die Sünde lockt uns noch
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
mit dem Ruf, ein vermeintliches Gut zu ergreifen. Karl Rahner hat große Gedankenkraft darauf verwandt, Menschen darauf aufmerksam zu machen, ihr Handeln sei ein Erweis dafür, dass sie immer schon darauf vertrauen, dass die Fraglichkeit ihres Daseinsvollzugs eine Antwort erfährt. Rahner will zeigen, dass Menschen in ihrem Handeln eine Antwort auf die Sinnfrage geben, die sich ohne das Vertrauen in das Gegründet-Sein von allem, was ist, in dieser Form nicht geben ließe. Seine transzendentale Reflexion auf die Bedingung der Möglichkeit sittlichen Handelns führt ihn zu der Erkenntnis, dass Menschen immer schon voraussetzen, dass in dem Anderen eine Wirklichkeit begegnet, deren Gegebenheit zu schützende Gabe, zu achtendes Geschenk, auf Vollendung hin angelegter Verweis ist auf den Geber, den Schenkenden – auf Gott, der alles Begonnene auch vollenden wird. Im Mitvollzug der Offenheit Gottes für das Du der Schöpfung können die Geschöpfe zur Gewissheit finden, dass jener Gott, der seiner Schöpfung ihr Dasein ermöglicht, diese Schöpfung auch vollendet. Jede Tat der Liebe ist eine Antizipation; sie ist Anbruch des Reiches Gottes, in dessen vollendeter Gestalt niemandem mehr sein Daseinsrecht bestritten werden wird. Das diakonische Handeln der christlichen Gemeinden vergegenwärtigt die geschilderten großen Zusammenhänge und führt auf dem Weg der Konkretion zur Reflexion. Vorteile für sich selbst zu suchen – und sei es ein Lohn im Himmel – ist der Liebe fremd. Sie sieht allein die Not und handelt. Im Gericht finden jene Menschen Anerkennung, die ohne Hintergedanken Hungernde speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde und Obdachlose aufnehmen, Nackten Kleidung schenken, Kranke und Gefangene besuchen (vgl. Mt 25,31–46). 7.3 Leitgedanke aller Grunddienste: Koinonia Die Koinonia (Gemeinschaft) wird gelegentlich als ein vierter Grunddienst der Kirche neben Zeugnis, Liturgie und Diakonie gezählt. Gut begründet ist jedoch auch die theologische Position, diese Dimension des Handelns der Kirche durchgängig als Aktualisierungen ihres Wesens zu verstehen. In den biblischen Schriften ist die Rede von der Gemeinschaft im Zeugnis für Gott, in der liturgischen Feier und im diakonischen Handeln grundlegend wichtig. In den alttestamentlichen Schriften spiegelt sich in vielfältiger Weise die menschliche Lebenserfahrung, dass die Gemeinschaft unter Menschen brüchig bleibt, Gott allein dagegen die Gewähr bietet, auch in Zeiten der Not
7.3 Leitgedanke aller Grunddienste: Koinonia
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und der Anfeindung gemeinschaftstreu zu bleiben. In den insbesondere in den weisheitlichen Texten zu findenden Reflexionen auf den Wert der mitmenschlichen Freundschaft gibt die Skepsis den Ton an: „Viele seien es, die dich grüßen, dein Vertrauter sei aber nur einer aus tausend. (...) Mancher ist Freund je nach der Zeit, am Tag der Not hält er nicht stand“ (Sir 6,6.8). „Besitz vermehrt die Zahl der Freunde, der Arme aber wird von seinem Freund verlassen“ (Spr 19,4). Selten erscheint das hohe Gut einer auch in Tagen der Bedrängnis verlässlichen Freundschaft unter Menschen (Sir 6,14–17). Im paulinischen Begriff der Koinonia kommt der theologische Gehalt der Rede von der durch Jesus Christus im Heiligen Geist vermittelten Gemeinschaft zwischen Gott und den Geschöpfen in gebündelter Form zur Sprache. Die Koinonia ist primär eine von Gott geschenkte Teilhabe am Leib Christi, die in der Taufe ihren Ursprung hat (1 Kor 12,13). Die Einheit des Leibes Christi wird durch Gottes Geist bewirkt, der die Vielen zu einer Dienstgemeinschaft verbindet, in der jeder und jede in Entsprechung zu den eigenen Charismen unverzichtbar bedeutsam ist (siehe Kapitel 8.). In der gottesdienstlichen Versammlung feiert die Gemeinschaft der Getauften die durch die Teilhabe an dem einen Leib und dem einen Blut Christi bewirkte Einheit untereinander, denn: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10,16f). Die in der Taufe begründete und in der Eucharistie erneuerte Koinonia der Christen kommt in der Anteilnahme an den Freuden und Leiden der Mitglaubenden (2 Kor 1,6f; Hebr 10,33), in der Bereitschaft zum Teilen der Güter (Röm 15,26; 2 Kor 9,13; Gal 6,6) und in der gemeinsamen Hoffnung auf die eschatologische Erfüllung der Sehnsucht nach Vollendung der Schöpfung (Röm 8,18–30; 1 Petr 4,13; 5,1) zum Ausdruck. Die in Gottes Geist bewirkte Gemeinschaft der Getauften hat das Leben und Leiden Jesu Christi zum Leitbild. Herzliche Zuneigung und Erbarmen, aufrichtige Liebe, Eintracht, Demut und Sorge um das Wohl der anderen sind die Kennzeichen der christlichen Koinonia (Phil 2,1–4; vgl. Eph 4,25–5,2). Die vorgetragenen Überlegungen lassen sich auch unter ökumenischer Perspektive betrachten. Seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gilt die Rede von der Koinonia oder Communio zur Bezeichnung des Wesens der Kirche zunehmend explizit als ein theologischer Leitgedanke, auf den sich alle christlichen Konfessionen
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
einlassen können: Dies zeigt sich in einem 1990 abgeschlossenen Studiendokument der Gemeinsamen Arbeitsgruppe der römischkatholischen Kirche und des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) mit dem Titel „Die Kirche: lokal und universal“, in der es heißt: „Mehr und mehr wird erkannt, dass der Begriff der ‚koinonia‘ oder Gemeinschaft von großem Wert für das Verständnis der Vielfalt der lokalen Kirchen in der Einheit der einen Kirche ist. ‚Koinonia‘ bezieht sich auf die Quelle und das Wesen des Lebens der Kirche als Leib Christi, Volk Gottes und Tempel des Heiligen Geistes. Dieser Begriff erlaubt es uns insbesondere, die beiden Dimensionen der Kirche – ihre Lokalität und ihre Universalität – nicht als getrennte Größen, sondern als zwei integrierte Dimensionen der einen Wirklichkeit zu verstehen.“5 Zu Beginn der weiteren theologischen Erläuterungen heißt es: „‚Koinonia‘ ist reich an theologischer Bedeutung.“6 Auch die Erklärung der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Canberra 1991 hat die „Einheit der Kirche als Koinonia“7 zum Thema. 1993 versammelte die 5. Weltkonferenz von „Faith and Order“ („Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK“) in Santiago de Compostella ihre Überlegungen unter dem Leitgedanken: „Auf dem Weg zur Koinonia im Glauben, Leben und Zeugnis“8. In zahlreichen bilateralen Dialogen der jüngeren Vergangenheit gilt die Koinonia der Kirchen als Zielorientierung. In diesem Begriff bündelt sich die hoffnungsvolle Erwartung, unter Wahrung der gewordenen ekklesialen Verschiedenheiten zu einer auch sichtbaren Gemeinschaft zu finden, bei der jede Kirche am gewachsenen Reichtum der anderen teilhaben kann. Als Grundmodell der gesuchten Gemeinschaft der christlichen Kirchen, bei der die gewordenen Unterschiede nicht trennend wirken, vielmehr die notwendige Voraussetzung zu einer lebendigen Verbundenheit bilden, gilt dabei das trinitarisch-eine Wesen Gottes, in dem der Eigenstand der drei göttlichen Personen nur unter gleichzeitiger Aussage von deren konstitutiver Verwiesenheit aufeinander adäquat aussagbar ist.9 Im Jahr 2001 hat die Evangelische Kirche in Deutschland ihr „Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“10 veröffentlicht. Die darin umschriebene Zieloption ist dem Wunsch nach Einheit in versöhnter Verschiedenheit nahe. Auf der Basis der wechselseitigen Anerkennung der Kirchen, deren institutionelle Gestalten unterschiedlich bleiben, wird ein höchstmögliches Maß an Gemeinschaft in allen Grundvollzügen der Kirche – einschließlich der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft – angezielt.
7.4 Kirche des Wortes und Kirche der Sakramente
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7.4 Kirche des Wortes und Kirche der Sakramente Bis in die jüngste Gegenwart hinein werden – nicht selten im kontroverstheologischen Kontext11 – konfessionelle Prägungen insbesondere im Hinblick auf die Gestaltung der Liturgie der Sakramente in der Literatur beschrieben. Die Vorstellung, die evangelische „Kirche des Wortes“ sei der römisch-katholischen „Kirche der Sakramente“ entgegenzustellen, ist dabei weit verbreitet. Sollte dies auch bedeuten, dass das reformatorische Christentum primär für das Zeugnis (Martyria) und die römisch-katholische Kirche vor allem für die Liturgie Verantwortung trägt? Wer so fragt, weiß in der Regel um die Kurzschlüssigkeit einer solchen Alternative: Die evangelischen Kirchen feiern Sakramente und die römisch-katholische Kirche blickt auf eine reiche Tradition der Wortverkündigung zurück. Dennoch gibt es Gründe, warum sich der Eindruck verdichtete, das Verhältnis von Wort und Sakrament sei im ökumenischen Kontext zu klären.12 In der konfessionell geprägten Frömmigkeit lassen sich noch Spuren der Gegenüberstellung von Wort und Sakrament finden: Beispielsweise wählen evangelische Christinnen und Christen ein Schriftwort als Tauf- und Konfirmationsspruch; viele lesen täglich eine biblische Losung zur Deutung des Tages; die Vertrautheit mit der Bibel ist bei ihnen oft größer; die Predigt in der Regel recht lang. In der römischkatholischen Tradition wird bei festlichen Anlässen in der Regel Eucharistie gefeiert; mit den Sterbesakramenten „versehen“ zu werden, ist vielen römisch-katholischen Gläubigen wichtig. Inzwischen lassen sich deutliche Schritte der Annäherung erkennen: Zwei Schriftlesungen, Evangelium und Predigt sind in der römisch-katholischen sonntäglichen Eucharistiefeier vorgesehen; Bibelgespräche gibt es auch in römisch-katholischen Gemeinden. Das Abendmahl zumindest einmal im Monat ist inzwischen auch evangelische Praxis. Das ökumenische Interesse bei der Behandlung der Thematik ist offenkundig: Beide Wirklichkeiten – Wort und Sakrament – sollen in ihren Eigenarten erkannt und in ihrer Verwiesenheit aufeinander beschrieben werden. Hintergründig besteht das Interesse, gemeinsam auf die Weisen zu blicken, wie Gottes Selbstkundegabe im Raum der Kirche(n) gehört und gefeiert wird. Das Begriffspaar „Wort und Sakrament“ fordert dazu auf, insbesondere zwei im ökumenischen Kontext relevante Themen aufzugreifen: (1) das Verhältnis zwischen der Verkündigung des biblisch überlieferten Wortes Gottes und der Feier der Sakramente im Hinblick auf
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
die jeweils spezifische Form der Gegenwart Gottes sowie (2) die Wirksamkeit von Worthandlungen (Schriftlesungen und die Rezitation von Einsetzungsworten) auch innerhalb der sakramentalen Feiern. Anleihen bei nicht-theologischen Wissenschaften werden heute bei der Suche nach einer Antwort auf beide Fragen in der Systematischen Theologie als hilfreich erachtet. In den biblischen Schriften ist die neuschaffende Wirksamkeit sowohl von Worten als auch von Zeichen je für sich vielfach bezeugt, das Miteinander beider Handlungsformen wird jedoch kaum eigens bedacht. Vertraut ist in alt- und neutestamentlichen Überlieferungen, dass Zeichenhandlungen der Deutung bedürfen, um in ihrem theologischen Sinn erschlossen zu werden. Prophetische Zeichenhandlungen geschehen gemäß einer worthaften Berufung von Gott; sie werden durch Worte angeregt und in ihrem Sinn bestimmt. Die Zeichen, die Jesus wirkt, setzen den Glauben voraus und zielen Vertrauen in den Anbruch des Reiches Gottes an. Sowohl bei Augustinus als auch bei Thomas von Aquin wird dem Wortgeschehen innerhalb der sakramentalen Feier hohe Bedeutung zugemessen. Das deutende Wort tritt zum Zeichen hinzu und bestimmt die Bedeutung des Geschehens. Eine vertiefte Befassung mit dem Verhältnis zwischen Wort und Sakrament erfolgte jedoch erst in kritischer Auseinandersetzung mit Anliegen der Reformation. Der Betonung der Wortverkündigung in der evangelischen Tradition wurde eine Hervorhebung der Sakramente gegenüber gestellt. Im Vorfeld des 2. Vatikanischen Konzils versuchte die Bibelbewegung die patristische Schrifttheologie neu fruchtbar zu machen. Auf der Grundlage der in der römisch-katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewachsenen Wertschätzung der Worttheologie haben einzelne Theologen (Otto Semmelroth, Karl Rahner und Walter Kasper) Konzepte vorgelegt, in denen sich explizite Verhältnisbestimmungen zwischen Wort und Sakrament finden, bei denen beiden Handlungsformen Hochachtung entgegen gebracht wird und zugleich die Eigenarten der kirchlichen Vollzüge im Blick sind. Dabei zeigte sich, dass die Rückbindung der Sakramente an spezifische Lebenssituationen der kirchlichen Gemeinschaft oder einzelner Menschen weiterführend ist: In besonderen existentiellen Herausforderungen antwortet das sakramentale Wort mit einer Verheißung oder auch einer Mahnung. Das 2. Vatikanische Konzil spricht von den vielfältigen Weisen der Gegenwart Jesu Christi in der Feier der Eucharistie (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Sacrosanctum Concilium [SC], Nr. 7). Auch im verkündigten Wort ist Jesus Christus gegenwärtig. Das Konzil stellt
7.4 Kirche des Wortes und Kirche der Sakramente
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zudem den „Tisch des Wortes Gottes“ neben den eucharistischen Tisch mit Brot und Wein (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Dei Verbum [DV], Nr. 21). Beide Konzilstexte haben die Intention, die Wortverkündigung der sakramentalen Feier zuzuordnen, sie ihr jedoch nicht unterzuordnen. Nicht nur unter ökumenischer Rücksicht ist es von zentraler theologischer Bedeutung, sowohl das Geschehen der Wortverkündigung als auch die sakramentalen Feiern christologisch-soteriologisch zu verstehen: Jesus Christus ist das eine „Geheimnis Gottes“ (mysterion tou theou: Kol 1,15), das sich in Wort und Sakrament im Leben der Menschen als heilsam erweist. Das Handeln Gottes durch prophetische Zeichenhandlungen vor dem Christusgeschehen ist im Sinne von Hebr 1,1–4 in den Gesamtzusammenhang der Offenbarungswilligkeit Gottes zu stellen. In anthropologischen Zugängen zur Sakramententheologie wird aufgewiesen, dass Zeiten des Übergangs in der menschlichen Biographie von sakramentalen Zeichenhandlungen begleitet werden: Geburt, Krankheit, Tod, Erwachsenwerden, schwere Schuld. Die Wortverkündigung in der Schriftlesung und in der Schriftauslegung kann die Gemeinde zwar nur in allgemeiner Weise ansprechen. Dennoch sind die gewählten Worte oft unerwartet und können unmittelbar betroffen machen, während die vertrauten Worte in sakramentalen Feiern immer wieder neu dazu herausfordern, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Beide kirchliche Handlungsweisen, Wortverkündigung und sakramentale Feiern, wirken in der Kraft des Heiligen Geistes, der Menschen zum Sprechen, Handeln und Hören befähigt. Die neuere Systematische Theologie greift bei ihrer Beschreibung der spezifischen Wirksamkeit von Wort- und Zeichenhandlungen die Erkenntnisse der Sprechakttheorie im Anschluss an John L. Austin und John R. Searle auf (Worte verwandeln die Wirklichkeit, Sprechen hat vielfältigen Handlungssinn). Sie rezipiert zudem Ergebnisse der allgemeinen Semiotik wie etwa die Unterscheidung zwischen einem indexikalischen Zeichenverständnis (Zeichen sind Zeichen von etwas Bestehendem, das sie anzeigen, für das sie ein Indiz sind) und einem kommunikativen Zeichenverständnis (Zeichen sind Zeichen für eine noch ausstehende, kommende Wirklichkeit, die durch Worte oder bewusst gewählte Gesten bewirkt wird). Sakramente haben einen repräsentierenden Charakter: Sie sind Zeichen für etwas bereits Bestehendes. Sakramente haben zugleich einen kommunikativen Charakter: Sie bringen etwas zur Darstellung, was sonst nicht vermittelt würde. Beiden Dimensionen der sakramentalen Zeichenhandlungen dient das die Zeichenhandlungen begleitende Wort.
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
Zusammengefasst lässt sich sagen: Die gegenwärtige Theologie bedenkt mit neu gewonnener Sensibilität für eine altvertraute Erkenntnis, dass die sakramentalen Zeichenhandlungen durch das deutende Wort wirksam werden. Erst im worthaft erschlossenen Zusammenhang der Heilstaten Gottes gewinnen die Sakramente die Bedeutung, die ihnen angemessen ist. Wortverkündigung und Feier der Sakramente stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Sie erfordern sich vielmehr gegenseitig, da Gottes Zusage für die Menschen eindeutig werden soll. Die sakramentale Feier kann als ein Wortgeschehen betrachtet werden, in dem die dreifache Zeitstruktur des menschlichen Daseins in Erscheinung tritt: Die sakramentale Feier ist ein Wort des Gedächtnisses. Angesichts der Brüchigkeit des Daseins bewirkt das Gedächtnis der Heilstaten Gottes in der Geschichte die begründete Hoffnung, Gott wolle für alle alles zum Guten wenden. Zugleich wird in der sakramentalen Feier ein Wort der Wandlung gesprochen. Die dunkle Not der Gegenwart lichtet sich. Das Leben wird erträglicher, der Glaube fester, die Liebe entschiedener. Schließlich erklingt auch ein Wort der Verheißung, ein Wort für die ausstehende Zukunft. Die sakramentalen Feiern beschönigen das Leben nicht. Sie konfrontieren mit Sünde und Tod. Sie lassen zugleich die Suchenden nicht allein mit den Fragen, die das Leben ihnen stellt. Gott ist immer schon auf dem Weg zu den Menschen. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass konkrete ekklesiologische Konzepte, die im konfessionellen Gegenüber formuliert werden, einer näheren theologischen Prüfung bedürfen. Die Kontroverse um eine Kirche der Sakramente gegen eine Kirche des Wortes ist durch die theologischen Verständigungen, die in den ökumenischen Dialogen erreicht wurden, beigelegt. Oft ist eine, zeitgeschichtlich betrachtet, herausfordernde kirchliche Situation der Anlass dazu, den Blick auf das gesamte Gefüge zu verlieren; das Wort kann dann gegen das Sakrament stehen. In der Ökumene sind heute alle konfessionellen Traditionen einmütig der Meinung, dass die Kirche Zeugnis in Wort sowie Tat zu geben hat und die Sakramente eine spezifische, sinnlich anspruchsvolle Gestaltung dieses Zeugnisdienstes in biographisch besonders geprägten Situationen sind. Kirchlicher Dienst ist all dies.
7.5 Ökumenische Kirchenkonzepte
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7.5 Ökumenische Kirchenkonzepte in Aufnahme ausgewählter Grunddienste In der Geschichte der Ökumenischen Bewegung sind in Variationen mehrfach Konzepte zu einer „partiellen Einheit“13 entwickelt worden – etwa als Gemeinschaft im sozialen Dienst oder als liturgische Gemeinschaft. Auffällig ist bei der Durchsicht dieser Überlegungen, dass sie sich fernab der realen Kirchenwirklichkeiten bewegen. In der Regel wissen alle ökumenischen Gesprächspartner um die enge Zusammengehörigkeit aller drei Grunddienste der Kirche. Die bisher vereinbarten Unionen von ursprünglich konfessionell unterschiedenen Kirchen – beispielsweise in jüngerer Zeit in den Niederlanden – sehen daher Übereinkünfte über die Gesamtgestalt der künftigen Kirche in allen drei Grunddiensten vor. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass auch in neueren Darstellungen ein Grunddienst in besonderer Weise als konfessionsspezifisch hervorgehoben wird. Für manche scheint es noch immer so zu sein: Evangelische Kirchen sorgen für Mission und Zeugnis und die römisch-katholische Kirche feiert Liturgie und ist diakonisch tätig. Wie ließe sich die orthodoxe Kirchentradition dieser Aufteilung zuordnen? Die Wirklichkeit ist komplexer und alle kirchlichen Traditionen wissen darum. Dies führt auch dazu, dass für bestimmte Zeiten oder aus besonderen Anlässen eine enge Kooperation in ausgewählten pastoralen Bereichen vereinbart wird, um den pastoralen Herausforderungen in der Gegenwart vorab zu den kirchenamtlichen Vereinbarungen zu entsprechen, ohne dass solche Vereinbarungen die grundsätzliche ökumenische Option für eine Verbundenheit der kirchlichen Grunddienste in Frage stellen wollten. Wie mag es gekommen sein, dass sich in der Geschichte der Konfessionen einzelne kirchliche Grunddienste als identitätsbildend etabliert haben? Häufig haben Kontroversen zu einer entschiedenen Abgrenzung geführt. Das Reformationszeitalter bietet dazu ein reiches Anschauungsmaterial: Die römisch-katholische eucharistische Frömmigkeit insbesondere in der Tradition der vielfachen „Opfermessen“ hat in den Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts ein Bild entstehen lassen, in dem kein Raum mehr war für die Wahrnehmung des fortgesetzten diakonischen Wirkens an den Ärmsten der Armen in Verantwortung der römisch-katholischen Orden. Die täuferischen Gemeinschaften haben den Aspekt der eigenständigen Zustimmung zum Glauben und damit das Zeugnis sowie die Mission in hohem Maße betont; heute müssen sie sich fragen lassen, ob sie in
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7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie
den Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts den eigenen Ansprüchen an das diakonische Handeln haben entsprechen können. Bis in die jüngste Zeit hinein begegnet im Blick auf das orthodoxe Christentum die Frage, ob es beispielsweise im Raum der russisch-orthodoxen Kirche in genügender Weise Anstrengungen zu einer kirchlichen Sozialfürsorge gibt; offenkundig wächst das Bewusstsein diesbezüglich auch in den Ortsgemeinden. So gibt es zunehmend das Bewusstsein, dass die Feier der Liturgie im Kirchenraum in Verbindung zu bringen ist mit der Liturgie des Lebens in der Diakonie, die ein selbstsprechendes Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums ist. Die Kirchen tun gut daran, sich miteinander ihrer Verbundenheit in den drei Grunddiensten zu vergewissern. Kostbar wäre es, wenn es gelingen könnte, sich wechselseitig zu loben für ungewöhnliche, exponierte Beispiele gelebter Kirchlichkeit in einem der Grunddienste.
Literatur Benedikt Kranemann / Thomas Sternberg / Walter Zahner (Hg.), Die diakonale Dimension der Liturgie, Festschrift für Klemens Richter, Freiburg – Basel – Wien 2006 (Quaestiones disputatae 218). Dorothea Sattler / Gunther Wenz (Hg.), Sakramente ökumenisch feiern. Vorüberlegungen für die Erfüllung einer Hoffnung. Festgabe für Theodor Schneider, Mainz 2005.
8. Streitfrage: von Gottes Geist bewirktes Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt 8.1 Konturen der Fragestellung Die Verbindung der beiden Begriffe Amt und Charisma signalisiert die Aufgabe, eine Verhältnisbestimmung vorzunehmen. Zumeist wird dabei zunächst ein Gegenüber, eine Unterscheidung als intendiert angenommen: Das kirchliche Amt begründet seine verbürgte Autorität durch die Anwendung von bestimmten Regeln zu Beginn der Amtsübernahme, die von der vorgeordneten Institution festgelegt werden. Ein Charisma ist dagegen eine persönliche Begabung eines Menschen und wirkt mit innerer Autorität. Amtliche Handlungen haben aufgrund ihres Vollzugs Gültigkeit. Charismatisches Wirken vollzieht sich in einem kommunikativen Geschehen, an dem zumeist mehrere Menschen beteiligt sind. Amt steht für personenunabhängige Verlässlichkeit und Kontinuität, Charisma für Spontaneität und Veränderung. In negativer Konnotation kann Amt mit Starre und Charisma mit Dynamik verbunden werden. Ist es so? Nach biblischer Tradition bedarf es auch zur Übernahme eines Amtes des Charismas der Leitungsfähigkeit im Vorsteherdienst, des Differenzierungsvermögens bei der Unterscheidung der Geister und der Auslegungskompetenz in der Verkündigung und in der Lehre (vgl. 1 Kor 12,4–11; Röm 12,6–8). Die theologische Konzeption sieht keine Entgegensetzung von Amt und Charisma vor, die Erfahrung scheint diesem Ideal oft zu widersprechen. Im Kontext des 2. Vatikanischen Konzils und seiner Rezeption kam es zu einer Neubestimmung des Begriffs des kirchlichen Amtes, unter dem keineswegs allein die Teilhabe am ordinierten Amt des Diakons, des Priesters und des Bischofs zu verstehen ist. Die Aufnahme der biblischen Rede von der durch die Taufe begründeten Teilhabe aller Christinnen und Christen an der königlichen Priesterschaft (vgl. 1 Petr 2,9) bildet die theologische Basis für das konziliare Konzept des gemeinsamen Priestertums aller Getauften (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962–65: Sacrosanctum Concilium [SC], Nr. 7; 83; Lumen Gentium [LG], Nr. 8; 9; 10; 26; 34; Apostolicam Actuositatem [AA], Nr. 3; Ad Gentes [AG], Nr. 15; Presbyterorum Ordinis [PO], Nr. 2). Das nachkonziliare Kirchenrecht hat diese Gedanken aufgenommen
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
und den Begriff des Amtes keineswegs allein auf das sakramentale dreigliedrige kirchliche Amt bezogen (vgl. Codex Iuris Canonici 1983, can. 208–223; 224–230). In der Ökumenischen Theologie ist die Frage nach dem Verständnis des kirchlichen Amtes am stärksten kontrovers. Auf der Basis der biblischen Lehre über Charisma und Amt sowie unter Einbezug pneumatologischer Argumentationen konnten Annäherungen erreicht werden. 8.2 Biblische Aussagen zu Charisma und Amt Es ist im Sinne der in dieser Einführung in Fragen der Ekklesiologie vertretenen Auffassung, dass die Grundlinien der christlich-kirchlichen Existenz sich nur in Verbindung mit der Geschichte des Gottesvolkes Israel verstehen lassen, bei einer Beschreibung der biblischen Aussagen zum Verhältnis von Charisma und Amt auch mit der alttestamentlichen Literatur zu argumentieren. Die Grundlage der Übernahme eines Amtes in der jüdischen sowie in der christlichen Glaubensgemeinschaft ist die Berufung durch Gott zu einem Dienst für die Gesamtheit der Geschöpfe. „Dienst“ (diakonia) ist der neutestamentliche Leitbegriff für amtliche Tätigkeiten (vgl. 2 Kor 4,1; 5,18; Röm 11,13; Kol 4,17; 2 Tim 4,5 u.ö.). Gottes Auswahl geeigneter Menschen zu spezifischen Aufgaben bezeugen auch die alttestamentlichen Schriften in vielfältiger Weise: Abraham wird berufen, um sich durch sein Zeugnis für die Wahrheit der Verheißungen Gottes als ein Segen für alle Völker zu erweisen (vgl. Gen 12,1–3). Richter und Richterinnen sprechen Recht im Land und treten für den wahren Gottesglauben ein (vgl. Ri 5; 1 Sam 3). Von Gott berufene Könige sorgen sich um die politischen Belange und sollen zugleich gottesfürchtige Gelehrte sein (vgl. 2 Sam 7). Priester erfüllen nicht nur rituelle Dienste, sie vermitteln auch wahre Gotteserkenntnis (vgl. Dtn 21,5; Mal 2,7). Gott beruft Propheten, um an seine Sorge für die Armen zu erinnern (vgl. Am 2,6–7a). Weisheitslehrer sind auserwählt, weil sie im Angesicht des Todes an die wahren Werte des Lebens erinnern können (vgl. Weish 7). Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die sakramententheologische Grundfigur einer personalen Indienstnahme von Menschen für die Äußerung des Willens Gottes in Zeit und Geschichte bereits in der alttestamentlichen Literatur grundgelegt ist. Aus systematisch-theologischer Perspektive erscheint dabei wichtig, dass die Berufung in ein Amt der Gemeinschaft dient und keine von der Zielsetzung loszulösende Bevorzugung dar-
8.2 Biblische Aussagen zu Charisma und Amt
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stellt, vielmehr ein göttlicher Auftrag ist, dessen Erfüllung aufgrund der Begabung der Berufenen mit Gottes Geist (vgl. Ez 3,12–14) gelingen kann. In den neutestamentlichen Schriften lassen sich Entwicklungen im Blick auf die zunehmende Formung der Ämterwirklichkeiten erkennen: Als Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen gilt die weithin unbestrittene Annahme, dass Jesus Menschen in einen besonderen Kreis seiner Vertrauten berufen hat, um sie an seiner Sendung teilhaben zu lassen (vgl. Lk 10,1–20; Mk 3,13–19). Der durch Jesus ergangene Ruf in seine Nachfolge gilt in der Dogmatik als ein Erweis der „impliziten Ekklesiologie“ im Wirken des irdischen Jesus (vgl. Kapitel 2.). Historisch gesichert erscheint, dass Jesus Jünger und Jüngerinnen um sich versammelt hat, die seine Sichtweise des angebrochenen Gottesreiches teilten und bereit waren, mit ihm in dauerhafter Gemeinschaft zu leben. Zu den Kennzeichen des christlichen Amtes, die an der Gestalt Jesu ihr Leitbild haben, gehören die folgenden: Die gesamte Existenz eines Menschen ist gefordert im Einsatz für die Verkündigung des Evangeliums; eine Berufung zum Dienst geschieht – eine Sendung, eine personale Beauftragung, die Gemeinschaft mit Jesus voraussetzt; die besondere Teilhabe einzelner an der Sendung Jesu ist in der Annahme begründet, dass Jesu Gottesbotschaft zu allen Menschen gelangen soll. Die neutestamentlichen Schriften bieten keine systematische Lehre über das Verhältnis zwischen Charisma und Amt. Es gibt ohnehin nicht nur eine einzige Gestalt der biblischen Amtstheologie, die Bibel enthält vielmehr unterschiedliche, auf jeweilige Gemeindeerfahrungen bezogene, situativ herausgeforderte, zeitbezogene Vorstellungen über Dienste und Ämter in der Glaubensgemeinschaft. In welch differenzierter Weise über die Gegenwart des Geistes Gottes im Leben der christlichen Gemeinde zu sprechen ist, hat Paulus eindrücklich gezeigt. Er betont im Gespräch mit der Gemeinde von Korinth (1 Kor 12,1–11; 1 Kor 14,1–19) vor allem die Funktion der Charismen: Sie dienen dem Aufbau der Gemeinde. Nur wenn ersichtlich ist, dass ein Charisma den anderen Gemeindemitgliedern nützt, ist die Gewähr gegeben, dass es sich um eine göttliche Geistesgabe handelt. In der Phase des Gemeindeaufbaus erscheint es Paulus als sehr wichtig, dass nicht nur unverständliche Silben in Ekstase gesprochen werden, vielmehr eine sinnvolle, verständliche Rede von Gott entsteht. Paulus betont auch, dass alle Gemeindemitglieder je auf ihre Weise eine Geistesgabe von Gott erhalten haben, damit sie anderen nützt (vgl. 1 Kor 12,7). Er wendet sich auf diese Weise gegen eine Minderbewer-
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
tung der Bedeutung der einfachen Leute in der Gemeinde von Korinth. Charismen sind keine kurzzeitig ergreifenden Gefühle; sie sind einzelnen Menschen von Gott auf Dauer geschenkt, und sie sollen sich als wirksam erweisen bei dem jeder Zeit neu aufgetragenen lebendigen Gedächtnis Jesu Christi. Paulus stehen einzelne Missstände in den christlichen Versammlungen vor Augen: Unter Berufung auf eine vermeintlich nur ihnen zukommende Geistesgabe ziehen einzelne Menschen insbesondere durch Glossolalie (unverständliche Zungenrede) die Aufmerksamkeit auf ihre Person, ohne auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu achten. Folgende Charismen lassen sich unterscheiden (vgl. auch Röm 12,6–8): kerygmatische, den Dienst der Verkündigung des Evangeliums in Weisheitsrede und Prophetie betreffende; therapeutische in Gestalt von Krankenheilungen; ekstatische in der Zungenrede oder Glossolalie; organisatorische bei der amtlichen Gemeindeleitung. Auch die Fähigkeit, leiten zu können, ist eine Gabe Gottes. Sie ist bei der Übernahme dieser Gestalt der Verantwortlichkeit für ein ursprungsgetreues Leben der christlichen Gemeinde vorausgesetzt. Während in der Frühzeit der Bildung christlicher Hausgemeinden oder kleiner Gemeinschaften in den Städten die Begabung einzelner Gemeindemitglieder, zu besonderen Aufgaben bei der Sorge um den Aufbau der Gemeinde herangezogen werden zu können, von primärer Bedeutung war, erschien es der zweiten und dritten christlichen Generation, deren Gemeinschaftsleben sich in den späten neutestamentlichen Schriften spiegelt, erforderlich, generationenübergreifende Strukturen in der amtlichen Leitung der Gemeinden auszubilden: Gerade angesichts der sich an der ersten Jahrhundertwende verdichtenden Gefahr der äußeren Anfeindung war es notwendig, Menschen mit dem Dienst der Leitung zu beauftragen, damit in diesen unsicheren Zeiten eine feste personale Wirklichkeit gegeben war, die sich in den Wandlungen der Zeiten der Suche nach Treue zum Ursprung in besonderer Weise verpflichtet wusste. Die wachsende Bereitschaft, feste Gemeindeämter einzurichten, ging von der Annahme aus, auf diese Weise ließe sich die apostolische Jesustradition in den künftigen Zeiten der Kirche bewahren. Anfangs, in den ersten Jahren der Gemeindegründung, waren andere Sorgen vorherrschend: Jeder Getaufte gilt nach Paulus als berufen, sein Charisma zum Aufbau der Gemeinde einzubringen.
8.3 Grundlinien der Geschichte der kirchlichen Ämter
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8.3 Grundlinien der Geschichte der kirchlichen Ämter Die gesamte Geschichte der Ämtertheologie ist geprägt durch das Anliegen, die personale Begabung mit Gottes Geist und die amtliche kirchliche Beauftragung theologisch konzeptionell in enger Verbindung miteinander zu betrachten, auch wenn in Einzelsituationen immer wieder Zweifel am Gelingen dieses Bemühens aufkamen. Die Ordnung der kirchlichen Ämter ist in den ersten Jahrhunderten durch eine hohe situationsbezogene Variabilität geprägt. Auch in bedeutenden Städten der frühen Christenheit (Korinth und Rom) gab es noch im 2. Jahrhundert eine kollegiale, presbyterale Ämterordnung. Zwar zeichnet sich bereits in den späten neutestamentlichen Schriften die Unterscheidung zwischen dem episkopalen, bischöflichen Leitungsdienst (zunächst noch auf der Gemeindeebene verortet) und den diesem zugeordneten Diensten der Presbyter (Priester) und Diakone ab (so etwa bei Hippolyt in der Traditio apostolica im frühen 3. Jahrhundert im Blick auf Rom), doch blieben die Zuordnungen zu den jeweils zu erfüllenden Diensten in Randbereichen zunächst unbestimmt. Seit dem 4. Jahrhundert verdichten sich die Zeugnisse, die die amtliche Aufgabe, unter Gebet und Handauflegung in die Ämter des Presbyters und des Diakons einzuführen, dem Bischof rechtlich zuschreiben. Die Beauftragung von Diakonen und (im östlichen Liturgiebereich längere Zeit) auch von Diakoninnen für die Taufassistenz bei Erwachsenen förderte die Vorstellung einer Eigenständigkeit dieses amtlichen Dienstes. Neben den Gemeindediensten ist das Mönchtum mit den dort gelebten asketischen Idealen bei der Geschichte der Ämter zu beachten. Bereits in frühmittelalterlicher Zeit konzentrierte sich die Erwartung im Blick auf den priesterlichen Dienst auf den Vorsteherdienst bei der Feier der Eucharistie. Dieser Vorstellung entspricht es, wenn in mittelalterlichen Ausführungen zum Sakrament des Ordo (in Entsprechung zur eucharistischen Zentrierung des sakramentalen Amtes bei Thomas von Aquin) die Übergabe der liturgischen Geräte (Patene und Kelch) sowie die Salbung der Hände des Weihekandidaten als konstitutiv für das Geschehen der sakramentalen Amtsübertragung betrachtet wurden. Im Zusammenhang der reformatorischen Anfragen kam es zu einer Reform des Weiheritus, bei der die Amtsübertragung durch Gebet und Handauflegung neue Geltung gewann. Es blieb in der römisch-katholischen Theologie in der Folgezeit jedoch bei einer theologischen Ausrichtung des sakramentalen Amtes am Leitbild des zum Vorsteherdienst bei der Eucharistie berufenen
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
Priesterberufs. Neben dieser eucharistischen Ausrichtung des kirchlichen Amtes gibt es gegenwärtig Konzepte, die den Dienst der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat als Grundaufgabe des Amtes betrachten und von dort aus unterschiedliche Zuordnungen zu spezifischen Aufgabenstellungen innerhalb der drei Dienste in dem einen Amt vornehmen. In mehreren Dokumenten hat das Konzil sich zu den drei sakramentalen Gestalten des einen Ordo geäußert (insbesondere in der Kirchenkonstitution und in den Dekreten über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, den Dienst und das Leben der Priester sowie die Priesterausbildung). Das Konzil konzipiert das sakramentale Amt konsequent im Ausgang vom Bischofsamt, dem die Dienste der Priester und der Diakone zugeordnet sind (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962– 65, Lumen Gentium [LG], Nr. 18–21). In der Bischofsweihe wird die „Fülle des Weihesakramentes“ (LG 21; vgl. LG 26) übertragen. Die primäre Aufgabe der Bischöfe ist es, das Evangelium zu verkündigen (vgl. LG 12; 25). Alle weiteren Dienste sind diesem Grunddienst zugeordnet (vgl. LG 20). Das Dienstamt des Diakons erfährt eine Aufwertung (vgl. LG 29). Zugleich behält der priesterliche Dienst mit seiner Ausrichtung auf die eucharistische Mitte seine Bedeutung (vgl. LG 28). Seit dem christlichen Altertum wurde das Amt in seiner biblisch bezeugten dreigestaltigen Weise des Episkopats und Diakonats sowie des Presbyterats (vgl. Phil 1,1; 1 Tim 3,1–13; Tit 1,6–9) in den Sakramentenlisten geführt. Die Worte Jesu zur Aussendung der Jünger, die Abendmahlsüberlieferung und die in der neutestamentlichen Briefliteratur erwähnte Übertragung der Gemeindedienste durch Gebet und Handauflegung ließen das Amt neben Taufe und Eucharistie als weithin unbestrittene „sakramentale“ Größe erscheinen. Ich übernehme an dieser Stelle das in der Literatur1 diskutierte so genannte komplementäre Modell einer Zuordnung der drei Gestalten des Ordo zueinander, das heißt ich gehe von einer gesonderten Hinordnung des Priester- und des Diakonenamtes jeweils auf das Bischofsamt aus. Als Alternative wird von anderen Autoren vertreten, dass Diakone als Helfer des Priesters bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu betrachten sind. Auf der Grundlage der Wesensbestimmung des sakramentalen Amtes als eines umfassenden Dienstes der Verkündigung könnte es gelingen, das Amt des Bischofs, des Priesters und des Diakons sowohl in ihrer Hinordnung aufeinander als auch in ihrer spezifischen Eigenart zu bestimmen. Der für die Verkündigung des Evangeliums in einer regional gegliederten Ortskir-
8.4 Gemeinsames Priestertum aller Getauften
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che verantwortliche Bischof hat Sorge zu tragen sowohl für das Glaubensleben der bereits Getauften als auch für die missionarische Weitergabe des christlichen Bekenntnisses. In diesen beiden Bereichen haben Priester und Diakone je eigenständige Aufgaben, die sich in folgender Weise konkretisieren ließen: Der Priester leitet die Gemeinde der Getauften; insbesondere durch seinen Vorsitz bei der Feier der Eucharistie macht der Priester zeichenhaft sichtbar, was der konstitutive Grund der Gemeinde ist: Gottes Tat der Erlösung im Leben, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi, die durch das Wirken des Geistes im Wort der Schrift und in der eucharistischen Mahlfeier gegenwärtig wird. Der Diakon ist zu denen gesandt, die am Rand oder außerhalb der Gemeinde stehen. Seine primäre Aufgabe ist es, Hörbereiten das Evangelium zu verkündigen, Umkehrwillige zu geleiten und Zweifelnde in ihrem Glauben zu bestärken. Dieser Dienst ist eine missionarische Sammlung: die Hinführung in die Gemeinde. Über die Frage der Möglichkeit der Teilhabe von Frauen am Diakonat ist angesichts dieser Vorzeichen dann eigens nachzudenken.2 8.4 Gemeinsames Priestertum aller Getauften und sakramentales kirchliches Amt Die römisch-katholische Kirche hat sich beim 2. Vatikanischen Konzil eingehend mit dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften befasst und diesen Gedanken in vielen Texten ausdrücklich formuliert: „Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung bestimmt“ (LG 33). Es handelt sich somit um eine „unmittelbare“ Berufung der Laien zum Apostolat. Von evangelischen Theologen wird ein Gedanke sehr oft kritisch angefragt, der sich in der Kirchenkonstitution des Konzils findet. Dort heißt es, das Priestertum des Dienstes unterscheide sich vom gemeinsamen Priestertum aller Getauften „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“ (LG 10). Die weithin konsensfähig in der römisch-katholischen Theologie vertretene Interpretation dieses Satzes ist, dass auf diese Weise die Besonderheit des einigenden, versöhnenden, versammelnden, verbindenden Dienstes der Ordinierten zum Ausdruck gebracht wird. Die ontologische Eigenart – die seinem Wesen gemäße Eigenart – des sakramentalen Amtes ist es, Dienst am gemeinsamen Dienst der Verkündigung des Evangeliums zu sein. Die sakramental
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
ordinierten Amtsträger fördern, prüfen und koordinieren die Charismen aller Getauften. Die „vornehmliche Aufgabe“ der „geweihten Hirten“ ist es, „die Gläubigen so als Hirten zu führen und ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, dass alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten“ (LG 30). Die Ordinierten tragen dafür Sorge, dass die vielfältigen Weisen, in denen die Verkündigung des Evangeliums geschieht, als Realisierung der Gemeinschaft in dem einen Leib Jesu Christi in der Welt erfahrbar bleiben. Sie tun den Dienst der Einheit. Dazu sind sie amtlich berufen und darin sind sie kraft des Geistes personale Zeichen der Gegenwart des erhöhten Christus. Das von den Amtsträgern geforderte „GegenüberSein“ ist und bleibt dabei ein Dienst. Dieser Dienst entspringt der Sorge um den Zusammenhalt der Gemeinde in lebendiger Verbundenheit mit Christus Jesus. Dieses römisch-katholische Verständnis von einem bestehenden Unterschied zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem besonderen sakramentalen Dienstamt konvergiert mit dem reformatorischen Verständnis, von dem es in der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ heißt: „Das kirchliche Amt ist nicht von der Gemeinde ableitbar, sondern hat seinen Ursprung in einer göttlichen Sendung und Einsetzung (CA 5: BSLK 583). Daher handeln die Amtsträger in Ausübung ihres Auftrags auch nach reformatorischem Verständnis nicht in eigenem Namen, sondern repräsentieren die Person Christi, gemäß der Verheißung: ‚Wer euch hört, der hört mich‘. Der in Wort und Sakrament eigentlich Handelnde ist Jesus Christus selbst durch die Kraft des Heiligen Geistes“4. Die vom 2. Vatikanischen Konzil getroffene Unterscheidung zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften und dem besonderen Dienstamt der Ordinierten „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“ (vgl. LG 10) zielt an, eine Unterscheidung nach dem Maß der graduellen „Heiligkeit“, der persönlichen Begabung, zu vermeiden, vielmehr den Unterschied auf der prinzipiellen Ebene zu suchen. Amtsträger gestalten anders als einzelne Getaufte ihren Dienst als Dienst an den Diensten: Sie leiten und koordinieren Gruppen; sie ermutigen einzelne Menschen zu ihnen entsprechenden Aufgaben, prüfen die Begabungen und tragen Sorge für den Zusammenhalt – die „Einheit“ – der Gemeinde. Die sakramentale Ordination der Amtsträger stellt diese der christlichen Gemeinde gegenüber, ohne die durch die Taufe begründete Gemeinschaft mit ihr aufzulösen: Menschen, zeitlich-geschichtliche personale Gestalten versprechen, lebendige Werkzeuge der Erinnerung an das erlösende Handeln Gottes zu sein. Zur Erfüllung dieser
8.5 Ökumenische Perspektiven in der Lehre vom kirchlichen Amt
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Aufgabe wird ihnen – durch Gebet und Handauflegung – der wirksame Beistand des Geistes Gottes zugesagt. 8.5 Ökumenische Perspektiven in der Lehre vom kirchlichen Amt In Entsprechung zur jeweiligen konfessionellen Kirchenlehre sind die Themen sowie die hermeneutischen Rahmenbedingungen in den Dialogen der römisch-katholischen Kirche über die kirchlichen Ämter sehr unterschiedlich. Im Gespräch mit der Orthodoxie ist nicht das hierarchisch geordnete, dreigliedrige sakramentale Amt kontrovers, sondern vorrangig die Gestaltung der Kollegialität der Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom (siehe Kapitel 4.). Da alle Ämter in den orthodoxen Kirchentümern von der römisch-katholischen Kirche als in der apostolischen Sukzession stehend anerkannt werden, bestehen auch keine Bedenken im Blick auf die sakramentale Gestalt der eucharistischen Liturgie in der Orthodoxie (vgl. 2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Unitatis Redintegratio [UR], Nr. 15). Dagegen ist das Gespräch über die Ämter mit den reformatorischen Traditionen vom 16. Jahrhundert an stärker belastet (vgl. UR 22). Der Anlass dazu ist die Entscheidung der Reformatoren, die presbyterale Sukzession (nicht Bischöfe, sondern Priester ordinieren Priester) als eine Notordnung zuzulassen, da kein ordnungsgemäß geweihter Bischof sich im Raum der Wittenberger Reformation für die neue Bekenntnisgemeinschaft gewinnen ließ. Unter Berufung auf die Anfänge der Ämterentwicklung und mit Bezug auf frühkirchliche Gemeindeordnungen und die Amtstheologie des Hieronymus verteidigten die Reformatoren diesen Schritt als gerechtfertigt angesichts des höheren Gutes, nur so die Verkündigung des wahren Evangeliums gewährleisten zu können. Im nordeuropäischen Raum traten die gesamten episkopal verfassten Nationalkirchen dem neuen reformatorischen Bekenntnis bei, die Ämter finden dennoch keine Anerkennung, weil bei ihrer Feier aus römisch-katholischer Sicht sowohl die Bekundung der intendierten Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom ausbleibt als auch Formfehler zu bemängeln sind. In zahlreichen bilateralen und multilateralen Dialogen auf nationaler und internationaler Ebene konnten Annäherungen erreicht werden, auf deren Basis die Aussicht besteht, zu einer wechselseitigen Anerkennung der Ämter zu finden. Im innerreformatorischen Bereich ist insbesondere angesichts der intensivierten Gespräche mit der an-
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
glikanischen Kirchengemeinschaft das Bewusstsein dafür gewachsen, das Bischofsamt in Gestalt der Episkopé (überregionale Leitungsdienste) vom Pfarramt mit der Aufgabe der Gemeindeleitung zu unterscheiden. Aussichten auf eine ökumenische Verständigung in der Ämtertheologie bestehen, wenn pneumatologische (geisttheologische) Aspekte höhere Bedeutung gewinnen: Ämter, die sich im Sinne eines Ausweises des offenkundigen Geistwirkens (im Zeugnis für das Evangelium und in der Diakonie) bewährt haben, können in einem geistlichen Urteil als apostolisch begründet anerkannt werden. Im Hinblick auf eine künftige ökumenische Verständigung über die kirchlichen Ämter sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Die Konvergenzerklärung von Lima aus dem Jahr 1982 formuliert in ihrem ämtertheologischen Abschnitt unter der Überschrift „Sukzession in der apostolischen Tradition“ die Basis für alle weiteren Überlegungen: „Der Geist hält die Kirche in der apostolischen Tradition bis zur Vollendung der Geschichte im Reich Gottes“5. Einmütig bekennen sich die Dialogpartner in den ökumenischen Dokumenten auch zu den charismatisch begründeten Dienstämtern: „Innerhalb der Kirche gibt es eine Vielfalt von Diensten und Charismen des Heiligen Geistes, die gemeinsam Jesus Christus bezeugen und zusammen dem Aufbau des einen Leibes Christi dienen (1 Kor 12,4–31)“6. Zu den weiteren, unbestrittenen Grundlagen in den ökumenischen Gesprächen über die apostolische Sukzession der Ämter gehört – neben der gemeinsamen Ausrichtung auf die Apostolizität der gesamten Kirche und der notwendigen Unterscheidung zwischen dem Gehalt des zu sichernden apostolischen Erbes und der Gestalt, wie diese Übermittlung erreicht werden könnte – auch die Erkenntnis, dass die mit Gebet und Handauflegung unter Anrufung des Heiligen Geistes geschehende (ordnungsgemäße) Amtsübertragung nicht das Verbleiben einzelner ordinierter Menschen in der Treue zum apostolischen Glauben garantiere. Traditio und successio können in Konflikt geraten. Die Handlauflegung ist eine Zeichenhandlung für die Bitte um Geistbegabung der Ordinierten. Ein möglicherweise äußerlich bleibender Ritus garantiert jedoch nicht die Wirksamkeit der mit dieser Zeichenhandlung verbundenen Verheißung, von Gottes Geist erfüllt zu werden. Auf der Grundlage der einmütigen Zustimmung zum Ausschluss einer quasi magischen Wirksamkeit der Ordination ohne personale Vorbedingungen wird gleichwohl in mehreren Dialogdokumenten zur Ämterfrage der liturgischen Feier der Ämterübertragung insbesondere angesichts ihres epikletischen (geisterflehenden) Charakters
8.5 Ökumenische Perspektiven in der Lehre vom kirchlichen Amt
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hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Bereits im Lima-Dokument von 1982 heißt es: „Der Akt der Ordination durch diejenigen, die für diesen Dienst ernannt worden sind, bestätigt die Bindung der Kirche an Jesus Christus und das apostolische Zeugnis und erinnert daran, dass es der auferstandene Herr ist, der der wahre Ordinator ist und die Gabe verleiht. Indem sie ordiniert, sorgt die Kirche unter der Eingebung des Heiligen Geistes für treue Verkündigung des Evangeliums und schlichten Dienst im Namen Christi. Die Handauflegung ist das Zeichen der Gabe des Geistes“7. Folgende in Dialogen erreichte Verständigungen stimmen zuversichtlich: „Die katholischen Teilnehmer sind überzeugt, dass sie im Licht der neueren biblischen und historischen Erkenntnisse wie aufgrund der ökumenischen Erfahrung vom Wirken des Heiligen Geistes in den anderen Kirchen die traditionelle Verwerfung der Gültigkeit des lutherischen Amtes neu überdenken müssen. (...) Außerdem scheint ihnen der Hinweis bedenkenswert, das Amt der lutherischen Kirchen sei durch pneumatischen Aufbruch in einer Notsituation entstanden. Das Überdenken der Lehre von der apostolischen Sukzession und die Erwägungen über eine charismatisch entstandene Beauftragung sowie eine presbyterale Sukzession scheinen eine Korrektur des traditionellen Standorts zuzulassen“8. „Die Sendung Christi und die Ausrüstung der Kirche in seinem Dienst sind auch Werk des Heiligen Geistes. Die Sendung des Heiligen Geistes gehört zur Konstitution selbst der Kirche und ihres Amtes und nicht bloß zu ihrem effektiven Funktionieren. Zu oft sind Unausgewogenheiten in theologischen Auffassungen des Amtes Ergebnis und das Zeichen einer ungenügenden trinitarischen Theologie. Es ist die Kraft des Geistes, wodurch der Herr sein Volk in dessen apostolischer Berufung trägt. Diese Kraft zeigt sich in einer Vielzahl von Weisen, in Charismen, Gnadengaben des einen Geistes (vgl. 1 Kor 12,4ff.). Geleitet vom Plan Gottes in dieser Welt und als Werkzeug in dessen Dienst hat die Kirche einen charismatischen Charakter“9. „Mit dem besonderen Fall der apostolischen Sukzession verhält es sich wie mit allen Aspekten des kirchlichen Amtes: Sie erfordert zugleich historische Kontinuität mit den ersten Aposteln und die gnadenhaft erneuerte Aktion des Heiligen Geistes. Entsprechend der Verheißung Christi lebt die Kirche von der Kontinuität der freien
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
Gabe des Heiligen Geistes. Dies schließt sowohl eine ritualistische Konzeption der Sukzession aus wie auch ein mechanisches Verständnis der Kontinuität, sowie letztlich eine unabhängig von der historischen Gemeinde erfolgende Sukzession“10. Auf der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in der zweiten Februarhälfte 2006 in Porto Alegre wurde ein Dokument zu Fragen der Ekklesiologie verabschiedet – basierend auf der 2005 veröffentlichten Studie von „Faith and Order“ über das Wesen und die Sendung der Kirche.11 Ökumenische Dokumente sind in jüngerer Zeit dazu übergegangen, schwere Fragen einfach zu formulieren. Am Ende fragt dieser Ekklesiologie-Text: „In welcher Weise ist es jeder Kirche möglich, die geordneten Ämter der anderen Kirchen anzuerkennen?“12 Voraus geht eine Beschreibung der Katholizität der Kirche: „Jede Kirche ist katholische Kirche, aber nicht deren Ganzheit. Jede Kirche vollzieht ihre Katholizität, indem sie in Gemeinschaft mit den anderen Kirchen steht. Wir erklären, dass die Katholizität der Kirche ihren sichtbarsten Ausdruck im gemeinsamen Abendmahl und in einem gegenseitig anerkannten Amt findet.“13 Das Ziel ist bestimmt, die Wege sind offen. Eine pneumatologische Ausrichtung der Ekklesiologie erscheint als aussichtsreichste ökumenische Perspektive. Mehr und mehr wird Christinnen und Christen aller Konfessionsgemeinschaften bewusst, dass sie in der Taufe von Jesus Christus selbst in den Dienst seiner Nachfolge gerufen worden sind. Als geisterfüllte Menschen leben sie aus Gottes Kraft und bezeugen auf vielfältige Weise die befreiende Wirksamkeit des Evangeliums: Gott löst die Stricke der Schuld und er errettet aus den Fängen des Todes. Zusammengefasst stellt sich der Stand der ökumenischen Dialoge über das kirchliche Amt so dar: (1) Auf der Basis einer vielerorts geschehenen Sichtung der biblischen Ämterlehre und der Quellen kirchlicher Tradition ist eine Verständigung auf die theologische Aussage gelungen, das Amt gehe auf eine göttliche Stiftung zurück. In der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ heißt es dazu: „Das kirchliche Amt ist nicht von der Gemeinde ableitbar, sondern hat seinen Ursprung in einer göttlichen Sendung und Einsetzung (…). Daher handeln die Amtsträger in Ausübung ihres Auftrags auch nach reformatorischem Verständnis nicht in eigenem Namen, sondern repräsentieren die Person Christi“14. (2) Auf der Grundlage einer Übereinkunft über die Analogizität des Sakramentenbegriffs lässt sich auch die Frage der Sakramentali-
8.5 Ökumenische Perspektiven in der Lehre vom kirchlichen Amt
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tät des Amtes heute in differenzierter Weise gemeinsam beschreiben. „Wer euch hört, hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab“ (Lk 10,16). Auf diese Verheißung Jesu Christi im Erzählzusammenhang der Aussendung der zweiundsiebzig Jünger und auf die weiteren neutestamentlichen Sendungsworte (vgl. Mk 16,15; Joh 20,21f) bezieht sich die auch in der lutherischen Tradition mögliche Anerkenntnis der Sakramentalität des Ordo. (3) Im Blick auf die Unterscheidung zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften und dem besonderen sakramentalen Amt haben die ökumenischen Gespräche eine Konvergenz erreicht. Das Amt der Leitung, der Sammlung, der Versöhnung, der Weisung und der Mahnung ist ein anderes Amt als das Amt aller Getauften. (4) Zu den Wesensmerkmalen der Kirche gehört ihre Apostolizität. Diese ist als ein präsentisch-eschatologisches Kennzeichen der gesamten christlichen Glaubensgemeinschaft zu verstehen, deren Erfüllung wirksame Gabe des Heiligen Geistes ist und deren Ermangelung das beständige Bemühen um Erneuerung der Kirche am Leitbild des apostolischen Ursprungs erfordert. (5) Die Überlieferung (paradosis) des apostolischen Evangeliums geschieht in der Gemeinschaft (koinonia) der Getauften. Es gilt, den apostolischen Glauben in den wechselvollen Zeiten der Geschichte zu bewahren. Die dabei leitenden Intentionen sind eine missionarische (Gewahrwerden des Evangeliums) und eine mystagogische (Vertrautwerden mit dem Evangelium). (6) Es ist sinnvoll, im Blick auf die apostolische Sukzession einen materialen Aspekt (Gehalt) und einen formalen Aspekt (Gestalt) zu unterscheiden. Der apostolische Glaube ist seinem wesentlichen Inhalt nach das Bekenntnis zur Heilsbedeutsamkeit der Menschwerdung, des Lebens, der Auferweckung und der Erhöhung des gekreuzigten Jesus Christus. Die Weisen der Sicherung der apostolischen Ursprungstreue sind vielfältig; sie erschöpfen sich nicht in dem apostolisch begründeten Amt, sondern sind im umfassenden Horizont der Liturgie, der Diakonie und des Zeugnisdienstes der gesamten Glaubensgemeinschaft zu betrachten. In vielen Dialogdokumenten ist zu lesen, dass die kirchlichen Wege zur Sicherung der Kontinuität im Glauben der Apostel vielgestaltig sind, und die Thematik der apostolischen Sukzession im Bischofsamt in diesem Gesamtzusammenhang zu behandeln ist. (7) Die grundlegende Bedeutung der göttlichen Berufung in eine menschliche Zeugenschaft im Geschehen der Überlieferung des apostolischen Glaubens findet in ökumenischen Dokumenten Anerken-
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
nung. Die in der reformatorischen Tradition gebräuchliche Rede von der „successio verbi“ (Nachfolge in der Verkündigung des Wortes) steht nicht in sich ausschließender Konkurrenz zur „successio personae“ (Nachfolge im Sinne einer Personenfolge), wenn dabei das im Kanon der Heiligen Schrift bewahrte apostolische Erbe als kritisches Korrektiv in geregelter Weise bei der Traditionsbildung wirksam werden kann. (8) Eine Unterscheidung zwischen dem Amt der lokal begrenzten Gemeindeleitung und dem überregional tätigen Aufsichtsamt (Episkopé) kann sich auf die spätneutestamentlichen biblischen Schriften stützen und hat sich in der Geschichte der christlichen Glaubensgemeinschaft vielfach bewährt. Die Episkopé ist in unterschiedlicher Weise (personal, kollegial oder kommunial) und in variierender Begrifflichkeit in den christlichen Gemeinschaften bis heute bewahrt worden. In vielen neueren ökumenischen Dokumenten richtet sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf eine gemeinsame Bestimmung der Wirkweise der Episkopé im Sinne der Wahrung des apostolischen Ursprungs der Kirche. (9) Die mit Gebet und Handauflegung unter Anrufung des Heiligen Geistes geschehende (ordnungsgemäße) Amtsübertragung sichert nicht unangefochten das Verbleiben einzelner ordinierter Menschen in der Treue zum apostolischen Glauben. Traditio und successio können in Konflikt geraten. Die Handlauflegung ist eine Zeichenhandlung für die Bitte um Geistbegabung der Ordinierten, ein äußerlich bleibender Ritus garantiert nicht die Wirksamkeit der mit dieser Zeichenhandlung verbundenen Verheißung. 8.6 Gegenwärtige Herausforderungen Im Blick auf die neuen Anforderungen, denen Inhaber des sakramentalen Amtes im Sinne der gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden sollen, erscheinen folgende wesentlich: Amtsträger sollen viel Zeit für Einzelgespräche haben; Amtsträger sollen aktiv an den Kulturformen teilhaben, die Menschen selbst wählen, das heißt: auch selbst die Orte aufsuchen, an denen Menschen sich gerne aufhalten; Amtsträger sollen sich an dem – in aller Regel – hohen Bildungsniveau der Menschen heute orientieren; Amtsträger sollen eintreten für eine durchgängige Existentialisierung der Themen in der Verkündigung.
8.6 Gegenwärtige Herausforderungen
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Ein Inhaber eines kirchlichen Amtes in der Gegenwart unter den Vorzeichen von Individualisierung, Pluralisierung, Freiheitlichkeit in den Entscheidungen, Scheu vor Bindungen sowie Suche nach Erlebnissen zu sein, erscheint alles andere als einfach. Auffällig ist, dass die Literatur in diesem Zusammenhang vorrangig die Nöte der Amtsträger im Umgang mit dieser Situation bespricht, während eine kritische Auseinandersetzung mit den hohen gesellschaftlichen Erwartungen eher ausbleibt. Vielfach werden als Lösungsstrategie unter dem Vorzeichen der Überforderung Modelle einer gemeinschaftlichen Gestaltung des Lebens von Priestern angeregt. Vor diesem Hintergrund erfährt auch das Ordensleben eine neue Wertschätzung. Während des 2. Vatikanischen Konzils haben einzelne Bischöfe insbesondere aus Lateinamerika es als ihre Aufgabe betrachtet, auf den Zusammenhang zwischen der von der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Gestaltung ihres Lebens und der Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung des Evangeliums hinzuweisen. Die Bischöfe traten mit dreizehn Selbstverpflichtungen an die Öffentlichkeit.15 Sie wählten diese literarische Form, um zu verdeutlichen, dass sie nicht Forderungen stellen, die sie selbst zu erfüllen nicht bereit wären. Unter diesen Selbstverpflichtungen finden sich nicht wenige, die auf den (finanziell geprägten) Lebensstil Bezug nehmen: „1. Wir wollen versuchen, in Wohnung, Nahrung und hinsichtlich der Verkehrsmittel, die wir benutzen, sowie in allem, was daraus folgt, nicht anders zu leben als der Durchschnitt unserer Bevölkerung (vgl. Mt 5,3; 6,33– 34; 8,20). 2. Wir verzichten ein für allemal auf jeden Anschein des Reichtums wie auf tatsächlichen Reichtum, speziell in unserer Amtskleidung (teure Stoffe, auffallende Farben) sowie in unseren Amtsinsignien (kostbares Material). Diese Insignien müssen wahrhaft und wirklich dem Evangelium gemäß sein (vgl. Mk 6,9; Mt 10,9; Apg 3,6). 3. Wir wollen weder Immobilien noch Möbelausstattungen noch Bankkonten usw. auf unseren eigenen Namen besitzen; und wenn sich ein Besitzverhältnis ergibt, werden wir alles auf den Namen der Diözese oder der sozialen und karitativen Werke schreiben lassen (vgl. Mt 6,19–21; Lk 12,33–34). (…) 5. Wir verwahren uns dagegen, im mündlichen oder schriftlichen Verkehr mit Titeln angeredet zu werden, die eine Größe oder Machtfülle bezeichnen (Eminenz, Exzellenz, Monsignore). (…) 12. Wir verpflichten uns, in wahrer Hirtenliebe das Leben unserer Brüder in Christus – Priester, Ordensleute, Laien – zu teilen, damit unser Amt ein wahrer Dienst werde; in diesem Sinne – werden wir die Bereitschaft zur Mitarbeit wecken und Mitarbeiter heranziehen, um mehr Anregende im Geiste als Führende
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8. Streitfrage: Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt
im Sinne der Welt zu sein; – werden wir danach streben, mehr menschlich präsent, offen und zugänglich zu werden; – werden wir offen sein für alle, gleich welcher Religion sie sind“16. Auch in unseren Tagen nehmen Menschen sensibel Bezug auf den Lebensstil von Inhabern besonderer kirchlicher Ämter. Gewiss richtet sich die Forderung an alle Teilhabenden am gemeinsamen Priestertum der Getauften, den Weisungen des Evangeliums auch in sozialethischer Perspektive zu folgen. Der Hinweis auf Fehlverhalten darf nicht dem Schutz eigener Nachlässigkeiten dienen. Zugleich bedarf es einer amtlichen Leitungskompetenz mit Vorbildcharakter nicht nur dann, wenn Entscheidungen im Bereich der kirchlichen Lehre zu treffen sind. Sorge im Blick auf Teilhabende am besonderen kirchlichen Amt empfinden viele Menschen angesichts ihrer Wahrnehmung der Einsamkeit nicht weniger Priester und Bischöfe. Die Verpflichtung zum Zölibat ist hinsichtlich ihrer historischen Genese, ihrer geistlichen Fruchtbarkeit und ihrer nicht intendierten und doch oft auch wirksamen Folgen in der Literatur vielfach bedacht worden. Auch in diesem Zusammenhang erscheint der Mut zu einem nüchternen Erfahrungsaustausch auch zwischen den Konfessionen als weiterführend. Kann er überhaupt gelingen – oder lässt die Versuchung zur Apologie des eigenen Weges jede Offenheit von Beginn an gar nicht zu? Literatur Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. I: Grundlagen und Grundfragen, hg. von Theodor Schneider / Gunther Wenz, Freiburg – Basel – Wien / Göttingen 2004 (Dialog der Kirchen 12); Bd. II: Ursprünge und Wandlungen, hg. von Dorothea Sattler / Gunther Wenz, Freiburg – Basel – Wien / Göttingen 2006 (Dialog der Kirchen 13); Bd. III: Verständigungen und Differenzen, hg. von Dorothea Sattler / Gunther Wenz, Freiburg – Basel – Wien / Göttingen 2008 (Dialog der Kirchen 14). Die Apostolizität der Kirche. Studiendokument der Lutherisch/Römischkatholischen Kommission für die Einheit, Paderborn / Frankfurt 2009.
9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute 9.1 Die Sinnbestimmung der Kirche ist ihr Dienst an der Welt „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Gaudium et Spes [GS], Nr. 1). Die „Jünger Christi“ – nach heutigem Sprachgebrauch auch die „Jüngerinnen Christi“ – sie sind die Kirche. Die zitierte Anfangssequenz der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils, die wie kaum ein anderer Gedanke der Konzilsdokumente vielfach erinnert wird, dokumentiert die mit dem letzten Konzil eingetretene Blickwende: Der Blick richtet sich von der Kirche weg zunächst in die Welt von heute; von dieser Perspektive aus bestimmt sich dann das Bild der Kirche neu. Diese veränderte Sichtweise lässt sich so veranschaulichen: Das Bild zeigt den Blick, den der Bischof von Rom von seinem Balkon über dem Mittelportal des Petersdoms aus hat. Für die Stadt
Abb. 4: Fritz Weigner, Zweites Vatikanisches Konzil, Urbi et Orbi1
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9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute
Rom („Urbi“, Dativ von lateinisch „urbs“, Stadt) und für die gesamte Schöpfung („et Orbi“, Dativ von lateinisch „orbis“, Weltkreis) erbittet der Papst an hohen Festtagen den göttlichen Segen. Im Kontext des 2. Vatikanischen Konzils hat die römisch-katholische Kirche ihre Blickrichtung verändert: Sie schaut nun von Rom aus auf die gesamte Weltgemeinschaft, deren Freuden und Nöte auch die gesamte Christenheit bewegen. Binnenkirchliche Selbstbetrachtungen – konzentriert insbesondere auf die kontroversen Ämterfragen – treten hinter das Anliegen, eine von gemeinsamen Werten geprägte Menschheitsfamilie zu bilden, zurück. Der Titel der Pastoralkonstitution des Konzils („Die Kirche in der Welt von heute“) erscheint hier in der Überschrift leicht verändert: Müsste bei der Aufgabenbestimmung nicht immer vor Augen stehen, dass die Kirchen gemeinsam je auf ihre Weise in der Welt von heute ihr Zeugnis für Jesus Christus geben? Was ist die Welt von heute, in die hinein die Kirchen die christliche Botschaft sprechen? In konfessioneller Prägung sowie in ökumenischer Gemeinschaft unternehmen die Kirchen auch gegenwärtig Anstrengungen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Drei Formen der Beratung lassen sich diesbezüglich unterscheiden: (1) Eine bereits lange Tradition haben die Vollversammlungen der konfessionell unterschiedlichen Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die seit 1948 in Zeitabständen von sieben oder acht Jahren stattfinden. Die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen. Der ÖRK wurde in der Anfangszeit insbesondere von vielen reformatorisch geprägten sowie einzelnen orthodoxen Mitgliedskirchen getragen. Ein Leitgedanke der Ökumenischen Bewegung von ihrer Gründungszeit an ist, dass die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses zu Jesus Christus und damit die christliche Mission durch ein friedfertiges Miteinander der Konfessionen zu stärken ist (vgl. Joh 17,21). (2) Die ekklesiale Struktur der römisch-katholischen Kirche sieht im Weltkontext Konzile vor, bei denen Fragen von universaler Bedeutung im konfessionellen Horizont beraten werden. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil verstärkte sich das Bemühen, zu ausgewählten thematischen Einzelfragen Weltbischofssynoden einzuberufen, die die Gelegenheit bieten, die selbst unter konfessionellen Bedingungen weltweit unterschiedlichen Wahrnehmungen der Lebensbedingungen der Menschen miteinander zu bedenken, um das eine Evangelium möglichst konkret zu verkündigen. Innerhalb der reformatorisch geprägten Weltbünde (der Baptistische und der Reformierte Weltbund wurden bereits im 19. Jahr-
9.1 Die Sinnbestimmung der Kirche ist ihr Dienst an der Welt
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hundert gegründet, der Lutherische Weltbund erst nach dem 2. Weltkrieg) oder auch auf dem über lange Zeit vorbereiteten und für die nahe Zukunft anvisierten panorthodoxen Konzil geschieht Vergleichbares: In konfessioneller Homogenität werden Herausforderungen im Weltkontext bedacht. (3) Eine jüngere Einrichtung ist das „Global Christian Forum“, bei dem sich alle christlichen Traditionen – auch die pentekostalen, pfingstkirchlichen Gemeinschaften – auf Weltebene begegnen. Das Ziel des Austauschs ist dabei nicht die Begründung einer neuen kirchlichen Struktur auf institutioneller Ebene, vielmehr eine wechselseitige Bereicherung insbesondere auf spiritueller Ebene. Vor dem Hintergrund des einen biblisch überlieferten Evangeliums nehmen die Kirchen je auf ihre Weise wahr, welche Aufgaben sie im Weltkontext zu erfüllen haben. Sie verbindet die Aufgabe, die von Gott in Christus Jesus geschenkte Erlösung durch ihr Wirken in der Kraft des Heiligen Geistes zu vergegenwärtigen. Es gab Zeiten, in denen zwischen dem Weltdienst aller Getauften (sozialdiakonisches Handeln) und dem Heilsdienst der geweihten Amtsträger (Feier der Sakramente) strikt unterschieden wurde; implizit wurde dabei auch eine unterschiedliche Wertigkeit der beiden Dienste ausgesagt. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil ist zunehmend in das Bewusstsein getreten, dass der recht verstandene Weltdienst aller Getauften ein Heilsdienst der gesamten Kirche ist: In den Gegebenheiten der Welt von heute gilt es, Wege zum Heil aufzuzeigen. Unter Heil ist in diesem Zusammenhang das umfassende Wohl aller Geschöpfe zu verstehen: die Sicherung der elementaren Lebensbedingungen vor allem durch hinreichende Nahrung, durch jeden erdenklichen Schutz vor Bedrohungen durch kriegerische Auseinandersetzungen oder Naturkräfte, durch die Freiheit in der Wahl des Lebensortes und der Beziehungsformen, durch die Achtung auch von Lebensweisen, die an der vollen Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen aufgrund von Armut, Bildung oder Krankheit gehindert sind. Die Wahrnehmung der „Welt“ in ihrer gesamten Wirklichkeit ist heute angesichts der neuen Kommunikationsmittel im Vergleich zu den Zeiten des 2. Vatikanischen Konzils deutlich verändert: Die vielfältigen Formen des Feindschaft und des Elends werden Tag für Tag in den weltweit berichtenden Medien anschaulich vermittelt: blutige Bürgerkriege, Überschwemmungen, Erdbeben, Hunger und Durst und tödliche Krankheiten in vielen Teilen der Erde. In dieser Welt ist die christliche Option in kirchlicher Verantwortung zu leben. Kirchliche Hilfsorganisationen greifen diese Situationen auf nationaler und internationaler Ebene auf. Eine ökumenisch sensible Ekklesiologie
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9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute
hat immer auch die (sozial-)ethische Dimension der Thematik zu bedenken. Bei der Konzeption von kirchlichen Handlungsweisen, die angesichts der Weltsituation dem Evangelium entsprechen, wird die Komplexität der Problemkreise offenkundig: Wer traute sich zu, eine Antwort auf all die gestellten offenen Fragen zu wissen? In Weltversammlungen der Christenheit wird immer wieder thematisiert, dass zumindest nicht aus dem Blick geraten darf, dass der reiche Norden der Welt (Europa und Nordamerika) andere ökonomische Möglichkeiten hat als die Länder im Süden des Erdkreises. Zugleich stellt sich die Frage, worin der wahre Reichtum aus biblischer Sicht besteht. Den Kirchen ist es weltweit aufgetragen, Menschen in aller Armut an die vielfältigen Gaben des Schöpfers Gott zu erinnern. Arme können anscheinend Reiche bereichern – durch ihren Blick auf das Wesentliche, durch Langmut und gelebte Hoffnung. Es wäre ein weiteres Unrecht, Geber- und Nehmerländer allein unter ökonomischen Gesichtspunkten zu unterscheiden. Das 2. Vatikanische Konzil hat den Kirchen in der Welt von heute aufgetragen, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen und sie in ihrem Handeln zu achten. Dieses Grundanliegen teilen die anderen Konfessionsgemeinschaften. Stellvertretend für viele Dokumente erinnere ich hier an eine Beschreibung der Weltsituation auf der 24. Generalversammlung des Reformierten Weltbunds in Accra (Ghana) 2004, in der der Begriff der „Zeichen der Zeit“ Rezeption erfährt: „Die Zeichen der Zeit sind alarmierender geworden und bedürfen der Interpretation. Die tieferen Wurzeln der massiven Bedrohung des Lebens sind vor allem das Produkt eines ungerechten Wirtschaftssystems, das mit politischer und militärischer Macht verteidigt und geschützt wird. Wirtschaftssysteme sind eine Sache von Leben und Tod“2. Konkret benennt dieses Dokument den täglichen Tod vieler Menschen aufgrund der Folgen von Armut und Unterernährung, die Ausbreitung von Krankheiten insbesondere in den Ländern, die über keine hinreichende Gesundheitsfürsorge verfügen; die klimatischen Veränderungen mit den Bedrohungen der Lebensräume angesichts von Dürre oder Überschwemmungen. Nüchtern konstatiert das Dokument: „Wir sind uns des ungeheuren Ausmaßes und der Komplexität dieser Situation bewusst und suchen keine einfachen Antworten. Als Wahrheits- und Gerechtigkeitssuchende, die sich die Sichtweise der Machtlosen und Leidenden zueigen machen, sehen wir, dass die gegenwärtige Welt-(Un-)Ordnung auf einem außerordentlich komplexen und unmoralischen Wirtschaftssystem beruht“3.
9.2 Biblische Weisungen an kirchlich Handelnde
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Ist die Suche nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung ein Thema der Ekklesiologie? Zumindest in einer ökumenisch orientierten Kirchenlehre lässt sich diese Frage nur mit Ja beantworten. Die Lehre trennt, der Dienst eint – dieser dem lutherischen Theologen und Bischof Nathan Söderblom (1866–1931) nachgesprochene Satz ist der Leitgedanke einer Gestalt der ökumenischen Hermeneutik, bei der die Fragen der Gegenwart und der Zukunft der Menschheit im Mittelpunkt der Betrachtung stehen und Aspekte der institutionellen Rahmenbedingungen des kirchlichen Handelns in den Hintergrund treten. 9.2 Biblische Weisungen an kirchlich Handelnde Das Engagement aller Gottesgläubigen für die Bewahrung und Erneuerung des Lebens aller ist schöpfungstheologisch begründet: Jedes Lebewesen untersteht dem Schutz Gottes, in dessen Auftrag alle Gottesfürchtigen handeln. Die spezifische Prägung des sozialen Dienstes der Kirche bildet sich in der Zeit der Offenbarung Gottes in Israel und im Leben und Sterben Jesu, in dessen Nachfolge die frühen christlichen Gemeinden treten, heraus. Israels Besinnung auf die Gleichheit aller Geschöpfe in ihrer Hinordnung auf den einen Schöpfer, der das Leben eines jeden gutheißt, wird insbesondere in der prophetischen und weisheitlichen Tradition im Sinne einer Mahnung zur Hilfe für die Bedrängten, Rechtlosen, Armen und Gebeugten aufgegriffen. Als der Schöpfer aller Menschen tritt Gott für die Schutzlosen ein: „Wer den Geringen bedrückt, schmäht dessen Schöpfer; ihn ehrt, wer Erbarmen hat mit dem Bedürftigen“ (Spr 14,31). Sehr konkret ist der Aufruf zur tätigen Liebe: „entzieh dem Armen nicht den Lebensunterhalt, und lass’ die Augen des Betrübten nicht vergebens warten! Enttäusch’ den Hungrigen nicht, und das Herz des Unglücklichen errege nicht. (...) Verbirg dich nicht vor dem Verzweifelten. (...) Rette den Bedrängten vor seinen Bedrängern. (...) Sei den Waisen wie ein Vater und den Witwen wie ein Gatte“ (Sir 4,1–10). Jede menschliche Tat, die das Leben der Mitgeschöpfe sichert und Wohlergehen fördert, ist im Sinne Gottes, denn: „Haben wir nicht alle denselben Vater? Hat nicht der eine Gott uns alle erschaffen?“ (Mal 2,10). Nicht nur die Mitmenschen, vielmehr alles Lebendige steht unter seinem Schutz. Als „Bild Gottes“ (Gen 1,26–28) ist der Mensch als Frau und Mann in eine besondere Verantwortung für die gesamte Schöpfung gestellt: Angesichts der
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9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute
nur ihm gegebenen Fähigkeit zum verantwortlichen, bewussten und reflektierten Handeln in Freiheit ist der Mensch von Gott berufen, das Leben der Geschöpfe zu bewahren. Gott stellt sich in der Geschichte Israels und der christlichen Glaubensgemeinschaft als ein Gott vor, der die Herrschaft seiner Liebe hier und heute schon im Zusammenleben der Geschöpfe beginnen lässt und daher beglückende Wegweisung gibt. Die Nächstenliebe im Sinne der Achtung des Daseinsrechtes der Geschöpfe ist tätiger Lobpreis des göttlichen Schöpfers. Die geschichtlichen Erfahrungen der Glaubensgemeinschaft Israel haben eine besonders hohe Sensibilität für das Schicksal der Gefangenen, der Fremden und der Rechtlosen bewirkt. Die lebendige Erinnerung an das eigene Schicksal vor allem in Ägypten und Babylon veranlassten zu einer Rechtsordnung, durch die das Leben aller Geschöpfe wirksamen Schutz erfahren sollte (Lev 25). Die Armut der Mitmenschen sollte nicht durch Zinserhebung für die eigene Bereicherung ausgenutzt werden. Zu festen Zeiten sollten der Schuldenerlass und die Freilassung der Sklaven dafür sorgen, dass vielen Menschen ein selbstbestimmtes Leben möglich würde. In vielen Schriften kommen diese Sinnbestimmungen der menschlichen Solidarität, die sich nicht in einer untätigen Innerlichkeit erschöpfen kann, anschaulich zur Sprache. Gott spricht: „Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen“ (Jes 58,6f). In vielfacher Variation appellieren die alttestamentlichen Schriften an die Sorgepflicht der Gemeinschaft für die Notleidenden in ihrer Mitte (vgl. Jes 61,1–3; Tob 4,16f; Ijob 29,12–16; Ps 107). Die Aufmerksamkeit ist dabei besonders auf solche Menschen gerichtet, deren Leben der Willkür der Mitmenschen schutzlos ausgeliefert ist. So betrachtet es Hiob als Erfüllung des Willens Gottes, wenn er den Rechtsstreit des Unbekannten prüft (Ijob 29,16). Vereinzelte Fremde stehen besonders in der Gefahr, von der Gemeinschaft der bereits miteinander Vertrauten ins Unrecht gesetzt zu werden. Die Evangelien deuten die Taten Jesu als zeichenhafte Erfüllung der sensiblen Sorge Gottes um die Menschen, die wegen körperlicher oder psychischer Leiden missachtet, vergessen oder verkannt werden. In seiner Rede in der Synagoge von Nazareth stellt sich Jesus in die Tradition der prophetischen Erwartung des Geistes Gottes, der be-
9.2 Biblische Weisungen an kirchlich Handelnde
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wirkt, dass die von ihm Erfüllten für die Armen, die Gefangenen, die Blinden und die Zerschlagenen eintreten (Lk 4,16–21). Jesu gesamtes Leben und die Weise seines Sterbens sind der Ort, an dem das Ringen Gottes um die Lebensmöglichkeiten all seiner Geschöpfe – auch der ihm feindlich gesinnten – in untrüglich-verlässlicher Gestalt in Zeit und Geschichte in Erscheinung tritt. Die bleibende Bedeutung der christlichen Dienstgemeinschaft kommt in einzelnen Gleichnisreden sehr deutlich zur Sprache: Die ausgebeuteten Armen erhalten am Ende der Tage ihre Ehre und Würde von Gott (Lk 16,19–31); das Maß, nach dem die Menschen für die eigene Schuld von Gott Barmherzigkeit zu erwarten haben, entspricht demjenigen, das sie selbst den Mitmenschen gegenüber anlegen (Mt 18,23–35); der aus reiner Liebe, ohne Erwartung einer ausgleichenden Vergeltung, in bloßer Achtsamkeit auf die Bedürftigen getane Dienst an den Hungrigen und Durstigen, den Fremden und Obdachlosen, den Nackten, Kranken und Gefangenen wird von Christus Jesus als Dienst an ihm selbst gedeutet (Mt 25,31–46). Gottes Willen tut, wer in Liebe lebt. Die Solidarität der Geschöpfe untereinander ist praktizierte Gotteserkenntnis. Den Weg zu dieser Gotteserkenntnis hat Christus Jesus in der Weise seines Lebens und Sterbens gewiesen: „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben“ (1 Joh 4,8f). Ehrenamtliches Engagement hat in vielen Ortskirchen zu einer Vertiefung der ökumenischen Verbundenheit beigetragen. Gemeinsam im Dienst an den Geschöpfen jene Herausforderungen anzunehmen, die um uns sind und vor uns liegen, ist ein Weg der Ökumene, der konkurrenzlos neben den Bemühungen um eine Aufarbeitung der verbliebenen Kontroversen im Verständnis der Kirche bestehen kann. Wer Kirche ist, lässt sich auch an den wirksamen Gaben des Geistes Gottes in einer Gemeinschaft erkennen. „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (1 Kor 12,13) – daran erinnerte Paulus die Gemeinde von Korinth und dies bekennen alle christlichen Glaubensgemeinschaften auch gegenwärtig. Christen haben „eine gemeinsame Hoffnung“, sie glauben miteinander an den „einen Herrn“ Jesus Christus, es verbindet sie „ein Glaube und eine Taufe“ (Eph 4,4f). Die Feier der Taufe ist eine Feier des Lebens: Gott selbst hat die todbringenden Folgen der Sünde in Jesus Christus auf sich genommen und lässt die Menschen teilhaben an seinem Leben. Die Sünde des Ge-
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9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute
meinschaftsbruchs zwischen Gott und der Schöpfung und der Geschöpfe untereinander ist geheilt. Die biblischen Schriften lassen deutlich erkennen, dass die Taufe von frühester Zeit an als Zeichen des Eintritts in die christliche Gemeinde gefeiert und gedeutet wurde. Dies war insofern nicht ganz selbstverständlich, als Jesus selbst vermutlich nicht getauft hat und die Christen durchaus bestrebt sein mussten, sich von jener Bewegung, die von dem Täufer Johannes ausging und auch nach seinem gewaltsamen Tod fortwirkte, zu unterscheiden. Anknüpfend an den in der Johannestaufe symbolisierten Ruf zu Buße und Umkehr und geleitet von der Gewissheit, dass Jesus selbst sich nicht nur der Wassertaufe im Jordan, sondern auch der Bluttaufe auf Golgatha unterzogen hat, erscheint die christliche Taufe insbesondere in den paulinischen Briefen in einem neuen theologischen Sinnzusammenhang: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben“ (Röm 6,3f). Christus Jesus, der die Wasser des Todes durchschritten hat und aus ihnen in der Kraft des lebendig machenden Geistes Gottes auferstand ins unverlierbare Leben, hat die Möglichkeit eröffnet, dass auch alle Getauften im Heiligen Geist leben können, wenn sie den alten Menschen in sich sterben lassen, darin frei werden von den Mächten des Bösen und in glückender, gelingender Gemeinschaft als Erlöste leben. Gemeinsam bekennen sich Christinnen und Christen in der Taufe zu Gott, dem Freund des Lebens. Der Eintritt in die Gemeinschaft der Kirche, in der der Geist Jesu Christi lebendig ist, lässt hier und heute schon erfahren, inwiefern die Liebe stärker ist als der Tod. Die in Ängsten und Herzensenge erfahrene Verzweiflung kann verwandelt werden in eine frohe Erwartung des Guten. Umkehr, Rückkehr aus dem Tod ins Leben, ist denen möglich, die in die Nachfolge Jesu Christi treten. Alle, die in seinem Geist leben und handeln, erfahren den Lohn der Liebe.
9.3 Theologisches Verständnis kirchlicher Mission
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9.3 Theologisches Verständnis kirchlicher Mission In der Neubestimmung des Verständnisses von Mission nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde der Gedanke leitend, dass die europäischen Länder nicht allein die Gebenden und Menschen in Lateinamerika, Afrika oder Asien nicht allein die Nehmenden sind – nein: Jede Begegnung ist für alle ein Gewinn. Die weltweite Verbundenheit aller Menschen miteinander auf der Basis der Gewissheit, die eine Schöpfung Gottes zu sein, äußert sich in der Bereitschaft, Erfahrungen auszutauschen, das Leben zu erörtern sowie gemeinsam Handlungskonzepte zu entwickeln. Heute ist allen bewusst, dass auch Europa ein Missionsgebiet ist. Das 2. Vatikanische Konzil hat der Thematik „Mission“ erstmals in der Geschichte der Konzilien in einem eigenen Lehrtext Aufmerksamkeit geschenkt: „Ad Gentes“ ist der Titel des Missionsdekrets dieses Konzils, das wie keines je zuvor in einen argumentativen Diskurs über theologische Themen eingetreten ist. Die theologische Grundlegung stellt dar, dass die Kirche ihrem Wesen nach eine missionarische ist. Entscheidend ist dabei das Zeugnis für den auferstandenen Christus Jesus. Die ökumenische Dimension der Mission wird sehr stark betont – im Sinne des Ökumenismusdekrets des 2. Vatikanischen Konzils: Die „Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Unitatis Redintegratio [UR], Nr. 1). Die Trennung der Kirchen mindert die Glaubwürdigkeit des Evangeliums. „Mithin sind von der Notwendigkeit der Mission her alle Gläubigen dazu gerufen, dass sie in einer Herde vereint werden und so vor den Völkern von Christus, ihrem Herrn, einmütig Zeugnis ablegen können. Wenn sie aber den einen Glauben noch nicht voll zu bezeugen vermögen, so müssen sie sich dennoch von gegenseitiger Wertschätzung und Liebe beseelen lassen“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Ad Gentes [AG], Nr. 6). Wie kaum ein anderes Dokument des 2. Vatikanischen Konzils spricht insbesondere das Missionsdekret den ökumenischen Auftrag ausdrücklich an: „Unter den Neuchristen soll der ökumenische Geist gefördert werden“ (AG 16). Das Konzil mahnt die Teilhabe aller Getauften an der missionarischen Bewegung in ökumenischer Verbundenheit an: „Der Grund für diese Zusammenarbeit sei vor allem Christus, ihr gemeinsamer Herr. Sein Name möge sie zusammenbringen“ (AG 16).
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9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute
Im Gefolge des 2. Vatikanischen Konzils kam es auch in der römisch-katholischen Missionstheologie zu einer entscheidenden Wende: Die (scheinbar allein) Gebenden nehmen sich zunehmend als (dankbar) Nehmende wahr. Zwar gibt es weiterhin ein Gefälle im Hinblick vor allem auf die finanziellen Ressourcen, aber diese Gegebenheit darf nicht zu einer problematischen Gebermentalität verleiten. Das Erzählen von dem im eigenen Kontext in spezifischer Weise gelebten Christentum bereichert wechselseitig. Im römisch-katholischen Kontext hat sich auch nach dem 2. Vatikanischen Konzil nur selten eine internationale Partnerschaft zwischen einzelnen Pfarrgemeinden ausgebildet; gelegentlich gibt es jedoch langjährig bewährte Verbindungen, die dann in der Regel einen konkreten Anlass haben – beispielsweise die familiäre Herkunft eines Missionars. Die Projektarbeit im Bereich Mission ist im römisch-katholischen Kontext häufig überregional durch die Diözesen oder die bischöflichen Werke organisiert. Das 2. Vatikanische Konzil schenkt dem Themenkreis Liturgie und Inkulturation hohe Aufmerksamkeit. Angezielt ist: „das christliche Leben wird dem Geist und der Eigenart einer jeden Kultur angepasst; die besonderen Traditionen (…) werden in die katholische Einheit hinein genommen“ (AG 22). Das Konzil bedenkt auch die Frage, wer die personalen Träger der Mission sind: Alle Christinnen und Christen sind durch die Taufe zum Zeugnis für Jesus Christus berufen. Fragen der Ordnung, der institutionellen Verantwortung und der Prüfung der Sendung werden im römisch-katholischen Kontext intensiver (als anderswo) angesprochen. In der gegenwärtigen ökumenischen Situation sind manche Bezüge zwischen der Kirchenlehre und der Thematik Mission weiterführend. Drei mögliche Verbindungen möchte ich ansprechen: (1) Im Anschluss an die auf europäischer Ebene 2001 in Straßburg unterzeichnete Charta Oecumenica4, in der die Kirchenleitungen Selbstverpflichtungen zum ökumenischen Handeln festgeschrieben haben, sind in Deutschland in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Konkretisierungen5 beraten worden, bei denen auch die Frage nach einer gemeinsamen Gestaltung der (vor-)österlichen Zeit bedacht werden. Existentielle Fragen in Verbindung mit der Suche nach angemessenen Wegen des Nachdenkens über Sünde und Tod sind heute in der Ökumene wichtig geworden. Alle christlichen Traditionen stehen vor dieser Herausforderung. Das gemeinsame Osterlob beispielsweise am Ostermorgen auf den Friedhöfen ist eine Gestalt des ökumenischen österlichen Bekenntnisses.
9.3 Theologisches Verständnis kirchlicher Mission
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(2) Ein Kennzeichen der Ökumene heute ist die Bereitschaft zur Verbindlichkeit. An diesem Bemühen haben auch die Ökumenischen Gemeindepartnerschaften Anteil, die nach dem Vorbild in England inzwischen auch an zahlreichen Orten in Deutschland vereinbart worden sind. Dabei gilt es auch, in ökumenischer Verbundenheit Angebote zu gestalten, durch die Menschen, die den verfassten Kirchen fern stehen, in ihrer Lebenssituation angesprochen werden: allein erziehende Mütter und Väter, Trauernde, arbeitslose Jugendliche, einsame Seniorinnen und Senioren. In Gemeindepartnerschaften bzw. in überregionalen thematischen Kooperationen kann die Ökumene als eine Entlastung empfunden werden. Nicht jede Gemeinde vor Ort kann ein differenziertes Angebot bereithalten. Gemeinsam lassen sich die großen Aufgaben leichter erfüllen. (3) In vielen Kirchen richtet sich der Blick zunächst häufig auf die „Fläche“ – auf die Pastoral in den regionalen Räumen. Ein konsequent personal ansetzendes Missionsverständnis wird daran denken, dass insbesondere junge Menschen heute vielfach nur noch über die Schulen anzusprechen sind. Länder wie Deutschland, in denen es eine verfassungsrechtlich verbürgte Kooperation zwischen den Kirchen und dem Staat (res mixta) gibt, haben guten Grund, die kirchliche Mission nicht allein auf den Bereich der Pfarrgemeinde zu beziehen. Heute ist den universitären theologischen Ausbildungsstätten sehr bewusst, wie wichtig die Ausbildung der künftigen Religionslehrerinnen und Religionslehrer gerade unter missionswissenschaftlicher Perspektive ist: Von der Grundschule an wird Religion im interreligiösen und ökumenischen Kontext gelehrt; dabei schärft sich der Blick auf die Gemeinsamkeiten der christlichen Bekenntnistradition. Die Gottesfrage als die Grundthematik der missionarischen Verkündigung tritt in den Mittelpunkt der Betrachtung. Modelle zu einem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht werden entwickelt.6 Hinsichtlich der missionarischen Dimension des Gemeindelebens wäre es in ökumenischer Perspektive insbesondere wichtig, Formen der mystagogischen Katechese – der Einführung in das Geheimnis des Glaubens unter Achtung der liturgischen Festtraditionen – weiterzuentwickeln. Dabei könnte eine intensivere Auseinandersetzung mit Modellen der Erwachsenenkatechese in den USA weiterführend sein. Eine Orientierung der missionarischen Katechese an den in den liturgischen Ordnungen vorgesehenen Schriftlesungen wäre dabei besonders hilfreich. Was bedeutet es festzustellen, dass an vielen Festtagen in der gesamten Christenheit dieselben Schrifttexte verkün-
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digt werden? Ökumenisch vergleichende Studien zu den Leseordnungen im liturgischen Jahr sind noch ein Desiderat. 9.4 Modelle der kirchlichen Ökumene Die römisch-katholische Neubesinnung in der ökumenischen Hermeneutik durch das 2. Vatikanische Konzil (1962–65) hat eine (noch immer) segensreiche Wende von einer ekklesiologischen hin zu einer soteriologischen Orientierung genommen und dabei im schöpfungstheologischen Kontext (universal) gedacht: Die göttliche Errettung aus Schuldverstrickung und Tod ist das Evangelium; wer sich in den Dienst der Verkündigung dieses Evangeliums stellt, das in Jesus Christus in Menschengestalt Gottes Kunde ist und im Heiligen Geist bleibt, der (oder die) ist sich nahe – lebt Ökumene. Ich verstehe die in jüngerer Zeit in reichem Maße zu erkennenden Bemühungen um eine (erneute) Wertschätzung der Taufe sowie die Rede vom (neuen) missionarischen Aufbruch der Ökumene in diesem Zusammenhang als eine Bestätigung des Konzepts einer paschatischen Ökumene: Ökumene lebt dort, wo der von Gott als Gabe geschenkte Übergang vom Tod in das Leben erfahren wird. Wahre geistliche Erfahrungen in ökumenischen Begegnungen lassen viel zu wünschen übrig – in einem guten Sinne: In ihnen wird die Trauer über die fortbestehende Trennung spürbar, und sie vermitteln eine frohstimmende Ahnung von dem großen Reichtum des konfessionell geprägten Glaubenslebens. Übrig bleibt viel: der Wunsch nach einer währenden, nicht von Trennung bedrohten, lebendigen christlichen Gemeinschaft im Hören auf Gottes Wort, im sakramentalen Gedächtnis des Todes und der Auferweckung Jesu Christi und in der Bereitschaft zum Zeugnisdienst mit Tat und Wort. Spirituelle Erfahrungen sind mit Bewusstsein erfasste Geschehnisse, in denen Menschen in der Kraft der Gegenwart des Geistes Gottes an die Tiefen ihrer Daseinsfragen herangeführt werden und eine vertrauenswürdige, gläubige Antwort erkennen und ergreifen können. Spiritualität ist der in Gottes Begleitung geschehende Weg zum Grund des je ganz eigenen Lebenslaufes, der sich in der Gemeinschaft der Mitgeschöpfe vollzieht. Dieser geistliche Weg kann eine unterschiedliche äußere Gestalt haben: stilles Hören, drängendes Flehen, ausdauerndes Singen, mutiges Handeln, zeichenhafte Gebärden, offene Gespräche. Wer jemals erfahren hat, dass andere Menschen jener Antwort, die sie selbst auf die gemeinsamen Lebensfragen gefunden
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haben, in glaubwürdiger und ansprechender Weise Ausdruck verleihen können, der wird sich dem Reiz des geistlichen Miteinanders nicht mehr entziehen wollen. Das Leben lässt viel zu wünschen übrig. Gemeinsam fällt es leichter, sich in die Dunkelheiten des Daseins zu begeben, den unausweichlichen Tod und die belastende Sünde zu bedenken. Nur in Gemeinschaft lässt sich das Licht des Vertrauens auf den Gott des Lebens hüten. Als ein bedeutsames Anliegen der römisch-katholischen Kirche gilt seit den Zeiten des 2. Vatikanischen Konzils der geistliche Ökumenismus: „Die Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen; sie kann mit Recht geistlicher Ökumenismus genannt werden“ (2. Vatikanisches Konzil 1962–65, Unitatis Redintegratio [UR], Nr. 8). Die Versammlung zum gemeinsamen Gebet um die Einheit wird ausdrücklich gutgeheißen und in ihrer zweifachen Sinngebung bestimmt: Sie ist ein Weg zu größerer Gemeinschaft und es bringt die bereits bestehende Verbundenheit sinnenfällig und zeichenhaft zum Ausdruck. Stand in der vorkonziliaren Zeit das Gebet um die Einheit der Christen nahezu ausschließlich im Zusammenhang der durch es geförderten Bereitschaft zu Reue und Umkehr der nichtkatholischen Gemeinschaften, so wurde ihm nun (auch) zugesprochen, die schon existierende, in Gottes Wesen und Handeln gründende Einheit erfahren zu lassen. Das Konzil hat damit einen Weg zur Einheit gewiesen, der sich von dem zuvor leitenden Gedanken der Rückkehr der anderen Christen deutlich unterscheidet, nämlich den Weg der eigenen Bekehrung, der inneren Erneuerung aller Kirchen in Gestalt einer gemeinsamen Hinkehr zur Mitte des christlichen Bekenntnisses. Je näher die Christen dem gekreuzigten Christus kommen, desto näher kommen sie auch einander: „Alle Christgläubigen sollen sich bewusst sein, dass sie die Einheit der Christen um so besser fördern, ja sogar einüben, je mehr sie nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium streben“ (UR 7). In der römisch-katholischen Theologie wird der (weithin nur) in der evangelischen Theologie vollzogene Paradigmenwechsel überwiegend als Abkehr von der Konvergenz- (oder gar Konsens-)Ökumene und als eine Hinkehr zu einer Sozial-Ökumene verstanden. Wenig im Bewusstsein ist dabei aus meiner Sicht zuweilen, dass es sich dabei um zwei profilierte Handlungsbereiche handelt, die im Blick auf die Gesamtheit der an der ökumenischen Bewegung beteiligten Menschen keineswegs alternativ sind, sondern sich lediglich
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in einem einzigen Menschenleben nicht gleichzeitig als Optionen verwirklichen lassen. Viele Faktoren – intendierte und / oder situativ vorgegebene – wirken sich bei der persönlichen Wahl des jeweiligen ökumenischen Engagements aus. Die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Handlungsformen in der gemeinsamen Ausrichtung auf das eine Evangelium ist eine Stärke der Ökumene. Lehre und Dienst „einen“. Eigene Aufmerksamkeit muss aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang der Aspekt der Dringlichkeit erfahren: Es gibt Orte und Zeiten, da gilt es sofort zu handeln und nicht mehr zu reden. Einen besonderen Akzent setzen die Bischöfe beim 2. Vatikanischen Konzil mit ihrem Aufruf zum gemeinsamen sozialen Dienst in den Krisenregionen der Erde im Kampf gegen den Hunger, die Armut, die Wohnungsnot, den Analphabetismus und die ungerechte Verteilung der Güter (UR 12). Ethische Themen und Fragen der Glaubenslehre gelten als die beiden Bereiche, auf die bezogen ökumenische Gespräche geschehen. Eine wichtige Motivation ökumenischen Handelns ist die Einsicht, wie wichtig es ist, gemeinsam die drängenden weltpolitischen, sozialethischen und individualethischen Herausforderungen anzunehmen. Alle Kirchen sind gefordert, sich den Fragen der Gegenwart zu stellen: Wie können die Lebensgrundlagen für alle gesichert werden? Wie ist es möglich, Versöhnung und Frieden unter den Völkern zu erreichen? Warum gelingt es nicht, die Arbeit gerecht zu verteilen? Wer stillt den Hunger und Durst der Bedürftigen? In welcher Weise lassen sich die Verstrickungen lösen, die viele Menschen im Blick auf ihr Leben in Beziehungen empfinden? Die gemeinsame Grundlage in der Suche nach Antworten auf diese Fragen sind die biblischen Schriften. In ihnen begegnet Gott mit der Verheißung des Lebens in Fülle in Gemeinschaft mit ihm. Gottes Weisungen zielen die Achtung der Lebensgrundlagen aller Geschöpfe an. In seinem Gewissen erfährt der Mensch sich gefordert, diesen Weisungen zu folgen. In vielen ethischen Fragen konnten die Kirchen inzwischen einen hohen Grad an Einmütigkeit erreichen. Auf internationaler und auf nationaler Ebene sind zahlreiche Dokumente erschienen, in denen die Kirchen gemeinsam in der Öffentlichkeit Position beziehen. In Deutschland gibt es eine inzwischen gefestigte Tradition, gemeinsame Stellungnahmen der evangelischen Kirche und der katholischen Bischofskonferenz zu ethischen Fragen zu veröffentlichen. Dabei werden zum einen Einzelthemen des Lebensschutzes an den Grenzen des individuellen Daseins zu Beginn und am Ende des eigenen Lebens (zum Beispiel Embryonenschutz, vorgeburtliche Diagnostik, Organ-
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transplantationen, Sterbehilfe), zum anderen sozialethische Fragen (zum Beispiel Arbeitslosigkeit, neue Armut, Mediengesellschaft, Fremdenfeindlichkeit) vorrangig in den Blick genommen. In wichtigen Gremien (zum Beispiel dem nationalen deutschen Ethikrat) sprechen christliche Delegierte nicht selten mit einer Stimme. Zugleich gibt es offene oder kontrovers besprochene Fragen, die vor allem im Bereich der Familien- und Sexualethik (zum Beispiel Wiederheirat Geschiedener, Methoden der Geburtenregelung, Homosexualität, Präimplantationsdiagnostik) angesiedelt sind. In vielen Themenbereichen sind die Differenzen nicht zwischen den Konfessionen, sondern innerhalb der Konfessionen gegeben. Das nach meiner Wahrnehmung in jüngerer Zeit vorrangig zu beachtende Vorzeichen vor allen konzeptionellen Überlegungen in der Ökumene ist die Tatsache, dass viele Konfessionsgemeinschaften in ihrem Binnenraum, im Blick also auf ihr Selbstverständnis als eine Gemeinschaft mit konfessioneller Identität, vor große Herausforderungen gestellt sind. Zerreißproben sind allüberall zu bestehen – und die eigenen Kräfte tragen sie miteinander aus. Die Pluralität der Standpunkte innerhalb jeder Konfession ist sehr groß – und die Bündnisse werden über die Konfessionen hinweg je nach dem theologischen Standort getroffen. Die dabei besonders zu Kontroversen Anlass gebenden Themen sind vor allem einzelnen Fragen im Bereich der Sexualethik und der Geschlechteranthropologie zuzurechnen: Frauen und Männer im kirchlichen Amt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Zölibat. Auch bei der ethischen Beurteilung von Lebensformen zu Beginn und am Ende des menschlichen Daseins lassen sich nicht immer konfessionelle Grenzlinien ausmachen. Neben diesen ethischen Themenbereichen finden sich im binnenkonfessionellen Raum nicht selten kontroverse Ansichten über das Verständnis der Kirchenverfassungen und der amtlichen Strukturen. In diesen offenkundig von inneren Kämpfen bestimmten Zeiten fällt es schwer anzunehmen, dass viel Zeit und große Kraft in die zwischenkonfessionellen Bemühungen investiert werden. Es ist eine offene Frage, wie angesichts der geschichtlich geformten unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen je noch Einmütigkeit insbesondere in Fragen der Anthropologie und der Ethik zu erreichen sein wird. Bei Fragen der Sexualethik und der Geschlechteranthropologie ist leicht festzustellen, dass die zur Mentalitätsgeschichte geformten Lebenserfahrungen der Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenskontexten das religiöse Urteil prägen. Sowohl biographische Erlebnisse wie kulturelle Prägungen bestimmen das Bewusstsein.
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Dies ist der Hintergrund für die Beobachtung, dass sich weltweit Koalitionen über die Konfessionsgrenzen hinweg bilden. Eine stärkere Regionalisierung der christlichen Bekenntnistraditionen könnte dieser Tatsache Rechnung tragen und in den jeweiligen Lebensräumen zu einer ökumenischen Verständigung führen. Zugleich stellt sich die Frage, wie erkannte Gemeinsamkeiten im kulturellen Erbe gepflegt, gefeiert, bedacht werden können, wenn auf der institutionellen Ebene die Trennung festgeschrieben wird. In der römisch-katholischen Kirche ist die Neigung derzeit nicht groß, durch Reformen eine Stärkung der ortskirchlichen Kompetenz (Ortskirche ist der Verantwortungsbereich des Bischofs) und in der Folge Differenzierungen (mit ökumenischer Bedeutung) vorzunehmen. Divergierende Ekklesiologien als Spiegel kultureller Unterschiede zu verstehen, ist der römisch-katholischen Tradition im Ansatz schon fremd; ihr Leitbild ist die verbindend-verbindliche Lehre auf der Basis der biblischen Schriften. Die ekklesialen Erfahrungsräume sind weltweit gleichwohl sehr verschieden römisch-katholisch: Regionale Eigenliturgien leben fort; die Gemeinden sind unterschiedlich strukturiert; Formen der Katechese variieren. Ökumene ist immer auch Teil der weltweiten Kirchenpolitik und daher allein auf der Grundlage sachbezogener Argumentationen nicht hinreichend zu verstehen. Persönlichkeiten mit ihren Eigenarten und divergierenden Standpunkten prägen die Ökumenische Theologie mehr als andere Bereiche. Diese Gewissheit lässt mögliche Enttäuschungen, aber auch überraschende Ermutigung erwarten. Wer wüsste von uns, welche kirchenleitenden Persönlichkeiten zukünftig die Ökumenische Bewegung gestalten? Unter dem Wort Gottes, das um der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses für Jesus Christus zur Einheit in seiner Nachfolge mahnt (vgl. Joh 17,21), stehen alle, die sich Christinnen und Christen nennen. Gottes Geist wird daran immer wirksam erinnern. Die Kirchen sind alternativlos auf einem nicht selbst gewählten Weg zur Einheit. Er wird noch dauern. Welche Bedeutung hat in den zu bestehenden Zwischenzeiten die geistliche Ökumene? Drei Gedanken dazu am Ende: (1) Menschliche Selbstbescheidung durch Vergegenwärtigung des göttlichen Lebensgrundes: Die Versammlung der Christen zum liturgisch gestalteten Lobpreis Gottes unterbricht die oft geschäftig wirkende menschliche Anstrengung, durch theologische Studien oder diakonische Handlungen dem Ziel der Einheit der Kirchen näherzukommen. Durch die Aussonderung von festen Zeiten des Tages zum
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Gebet geschieht eine beständige Vergegenwärtigung des göttlichen Gebers allen Lebens. Der gemeinsame Eintritt in einen Feierraum fördert die Gewissheit, bereits in einer Verbundenheit zu leben, die als eine von Gott geschenkte zu betrachten ist. Der Ursprung der bereits bestehenden Gemeinschaft ist nicht das Werk von Menschen, sondern die von Gott eröffnete Möglichkeit, an seinem Leben teilzuhaben. Die in der Gebetstradition aller christlichen Konfessionen bewahrte schöpfungstheologische Dimension des Glaubens vermag die gemeinsame Ausrichtung auf das Wohlergehen aller Geschöpfe zu stärken. Die besondere Verbundenheit mit Israel, Gottes Volk, kommt zum Ausdruck. Die gemeinsame Anrufung des Namens Gottes in der Klage und in der Bitte führt zur Erkenntnis der Differenz zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Vermögen: „Haucht der Mensch sein Leben aus und kehrt er zurück zur Erde, dann ist es aus mit all seinen Plänen. Wohl dem, dessen Halt der Gott Jakobs ist und der seine Hoffnung auf den Herrn, seinen Gott, setzt. Der Herr hat Himmel und Erde gemacht, das Meer und alle Geschöpfe; er hält ewig die Treue“ (Ps 146,4–6). (2) Gewinn an Identität durch die Erfahrung der Mitte christlichen Daseins: Gestalten geistlicher Ökumene sind in besonderer Weise dazu geeignet, sich auf die Grundbotschaft des christlichen Glaubens zu besinnen: die Hoffnung auf die Befreiung aus den todbringenden Fesseln der Sünde durch die in Christus Jesus untrüglich offenbar gewordene Liebe Gottes. Die wachsende Wertschätzung der Taufe in allen christlichen Konfessionen lässt die Zuversicht als begründet erscheinen, dass die Glaubensgemeinschaft den tiefen Ernst des theologisch-soteriologischen Gehalts dieser sakramentalen Feier zunehmend erkennt. Den Feiern zum Taufgedächtnis kommt dabei in unseren Zeiten, in denen es in vielen Konfessionen noch die Regel ist, Säuglinge zu taufen, besondere Bedeutung zu. Erwachsene Christen stellen sich der Anfrage, die Paulus der Gemeinde von Rom vorlegte: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein“ (Röm 6,3–5). Auf unseren österlichen Wegen bedürfen wir der ökumenischen Gemeinschaft. (3) Wachsame Aufmerksamkeit auf die Relevanz des Glaubens für den Lebensalltag: In worthaften geistlichen Handlungen kann die
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Bedeutung und Relevanz des christlichen Glaubens bei dem Bemühen, das Leben in Zeiten des Glücks und der Not zu verstehen, sprachlich erfasst werden. Im Kontext der jüngsten Diskussionen um den konfessionellen Grundkonsens in der Rechtfertigungslehre wurde immer wieder angemahnt, die in dieser Lehrgestalt enthaltene Botschaft Gottes auf eine Weise zu besprechen, dass die Menschen deren alltägliche Lebensrelevanz zu erkennen vermögen. Der ökumenischtheologischen Forschung fällt es oft schwer, sich aus den Bahnen der historisch bedingten Redeweisen heraus zu bewegen. In gottesdienstlichen Feiern, in Gebeten und bei der Wortverkündigung gelingt es eher, die pragmatische Dimension sprachlicher Äußerungen zu berücksichtigen: Trost und Stärkung, Mahnung und Weisung, Zusage und Anfrage bewirkt Gottes Wort im menschlichen Wort der Schriftauslegung. Aber nicht nur in der Worthandlung, auch in Taten der Liebe kann die verwandelnde Wirksamkeit des christlichen Glaubens aufscheinen.
Literatur Giancarlo Collet, „... bis an die Grenzen der Erde“. Grundfragen heutiger Missionswissenschaft, Freiburg – Basel – Wien 2002. Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene. Ein Verständigungsprozeß über die gemeinsame Aufgabe der Mission und Evangelisation in Deutschland, hg. von Evangelisches Missionswerk in Deutschland / Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland / missio Aachen, Hamburg 1999. Missionarische Ökumene – eine Zwischenbilanz. Erfahrungen und Perspektiven, hg. von Evangelisches Missionswerk in Deutschland / Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland / missio Aachen, Hamburg 2002.
Anmerkungen 1. Einführung 1 Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung DOMINUS IESUS. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche (6. August 2000), Bonn 2000 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148), Nr. 17. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Leicht zugänglich ist der deutsche Wortlaut der Note in: Materialdienst des konfessionskundlichen Instituts 51 (2000) 96f. 7 Ebd., 97 (Nr. 10). 8 Ebd. (Nr. 11). 9 Ebd. (Nr. 12). 10 Vgl. Medard Kehl, Die eine Kirche und die vielen Kirchen, in: Stimmen der Zeit 126 (2001) 3–16. 11 Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche, in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. 3, Frankfurt / Paderborn 2003, 419–437, hier 424 (Nr. 18). 12 Vgl. Hermann Josef Pottmeyer, Die Frage nach der wahren Kirche, in: Walter Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 3: Traktat Kirche, Freiburg – Basel – Wien 1986, 212–241. 13 Vgl. Walter Kasper, Die apostolische Sukzession als ökumenisches Problem, in: Wolfhart Pannenberg (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. 3: Materialien zur Lehre von den Sakramenten und vom kirchlichen Amt, Freiburg / Göttingen 1990 (Dialog der Kirchen 6), 329–349. 2. Grundlegung: die Kirche(n) und Jesus Christus 1 Gotteslob, Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Ausgabe Bistum Münster, Münster 1998, Nr. 639, Strophe 1. 2 Ebd., Strophe 3. 3 Alfred Loisy, Evangelium und Kirche, München 1904, 113; deutsche Übersetzung von L’Évangile et l’Église, Paris 1902. 4 Vgl. Yves Congar, Ecclesia ab Abel, in: Marcel Reding (Hg.), Abhandlungen über Theologie und Kirche. FS für Karl Adam, Düsseldorf 1952, 79–108. 5 Ebd., 92. Eigene Übersetzung aus dem französischen Original. 6 Vgl. DH 3800–3822. 7 Vgl. DH 3875–3899. 8 Yves Congar, Ecclesia ab Abel, a.a.O., 97. Eigene Übersetzung aus dem französischen Original. 9 Michael Schmaus, Katholische Dogmatik, Bd. III/1: Die Lehre von der Kirche, München 3-51958, 68. 10 Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Tertio Millennio Adveniente“ zur Vorbereitung auf das Jubeljahr 2000 vom 10. November 1994, Bonn 1994 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 119), hier Nr. 37.
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3. Bekenntnis: eine, heilige, katholische und apostolische Kirche 1 Vgl. Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, Gemeinsam den einen Glauben bekennen. Eine ökumenische Auslegung des apostolischen Glaubens, wie er im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) bekannt wird, Frankfurt / Paderborn 1991. 4. Geschichte: Spaltungen und Reformbewegungen 1 Vgl. Markus Mühling (Hg.), Kirchen und Konfessionen, Göttingen 2009. 2 Vgl. Reinhard Frieling, Der Weg des ökumenischen Gedankens, Göttingen 1992, 29. 3 Vgl. Hubert Jedin u.a., Atlas zur Kirchengeschichte. Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Freiburg – Basel – Rom – Wien 1987, 148. 4 Vgl. Alexander F. Gemeinhardt (Hg.), Die Pfingstbewegung als ökumenische Herausforderung, Göttingen 2005. 5 DH 301f. Übersetzung korrigiert (D.S.) 6 Vgl. das Dokument der Gemischten Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche „Das Geheimnis der Kirche und der Eucharistie im Licht des Geheimnisses der Heiligen Dreifaltigkeit“ (1982), in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 2, Frankfurt / Paderborn 1992, 531–539 (Nr. 6). Nach diesem Dokument können orthodoxe und römisch-katholische Christen bereits gemeinsam sagen, dass der „Geist, der vom Vater als der einzigen Quelle in der Dreifaltigkeit ausgeht (Joh 15,26), für uns der Geist der Sohnschaft geworden ist (Röm 8,15), weil er auch der Geist des Sohnes ist (Gal 4,6), uns in besonderer Weise in der Eucharistie mitgeteilt wird, und zwar durch den Sohn, auf dem er in der Zeit und in Ewigkeit ruht (Joh 1,32)“ (ebd., 533, Nr. 6). 7 Vgl. Die griechische und die lateinische Überlieferung über den Ausgang des Heiligen Geistes. Eine Klarstellung in Verantwortung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, in: Una Sancta 50 (1995) 316–324. 8 Ebd., 318. 9 Vgl. DH 805. 10 Vgl. DH 850. 11 Vgl. DH 1301. 12 Bekenntnisschiften der evangelisch-lutherischen Kirche, Confessio Augustana (1530), Nr. 7. 13 Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa: Leuenberger Konkordie (1973). Eine Einführung von Wenzel Lohff mit dem vollen Text, Frankfurt 1985, Nr. 29 im Text der Konkordie. 14 Vgl. Leuenberger Kirchengemeinschaft / Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa, Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit, Frankfurt 1995 (Leuenberger Texte 1). 15 Ebd., 21f. 16 Vgl. Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbunds und der Katholischen Kirche, in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 3, Frankfurt / Paderborn 2003, 419–441. 17 Ebd., 424. 18 Martin Luther, Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann (1537), in: WA 39 I, 205,2–5 („Der Artikel von der Rechtfertigung ist der Meister und Fürst, Herr, Lenker und Richter über alle Arten von Lehre, er bewahrt und beherrscht jegliche
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kirchliche Lehre und richtet unser Gewissen vor Gott auf. Ohne diesen Artikel ist die Welt durch und durch Tod und Finsternis“). Martin Luther, In XV Psalmos graduum (1532/33), in: WA 40 III, 352,3 („Steht dieser Artikel, so steht die Kirche, fällt er, so fällt die Kirche“). Vgl. Evangelisch-lutherische / Römisch-katholische Studienkommission, Das Evangelium und die Kirche, in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 1, Paderborn / Frankfurt 1983, 248–271. Ebd., 255 (Nr. 28). Ebd. (Nr. 29). Vgl. ebd., 253f (Nr. 18–23). Vgl. ebd., 253 (Nr. 18). Vgl. die deutsche Übersetzung: Lutherisch / Römisch-katholischer Dialog in den USA, Rechtfertigung durch den Glauben, in: Harding Meyer / Günther Gaßmann (Hg.), Rechtfertigung im ökumenischen Dialog. Dokumente und Einführung, Frankfurt 1987, 107–199. Ebd., 173 (Nr. 117). Ebd. Ebd., 174 (Nr. 118). Ebd., 190 (Nr. 147). Ebd., 191 (Nr. 149). Vgl. ebd., 192–198 (Nr. 152–160). Ebd., 193 (Nr. 153). Johannes Paul II., Enzyklika „Ut unum sint“ über den Einsatz für die Ökumene (25. Mai 1995), Bonn 1995 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 121), bes. Nr. 88–96.
5. Wesen: theologische Bilder von der Kirche Hilde Domin, Haus ohne Fenster, in: dies., Gesammelte Gedichte, Frankfurt 71999, 121. 2 Jürgen Werbick, Bilder sind Wege, München 1992, 77. 3 Ebd., 68f. (Korrektur des Zitats, D.S.) 4 Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Frankfurt / Paderborn 2000, 52. 1
6. Formen: Sozialgestalten kirchlicher Existenz Vgl. zur Einführung in die Forschungsdiskussion: Michael Böhnke / Thomas Schüller, Zeitgemäße Nähe. Evaluation von Modellen pfarrgemeindlicher Pastoral nach c. 517 §2 CIC, Würzburg 2011. 2 Vgl. Bernd Lutz, Katechetisches Lernen der ganzen Gemeinde als Gemeinschaft, in: Angela Kaupp / Stephan Leimgruber / Monika Scheidler (Hg.), Handbuch der Katechese. Für Studium und Praxis, Freibug – Basel – Wien 2011, 173-184. 3 Karl Rahner, Zur Theologie und Spiritualität der Pfarrseelsorge, in: ders., Schriften zur Theologie 14 (1980) 148–165, hier 155f. 4 Vgl. ebd., 161. 5 Ebd., 151. 6 Ebd., 153. 7 Ebd., 161. 8 Ebd., 164. 1
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Vgl. Karl Rahner, Frömmigkeit früher und heute, in: ders., Schriften zur Theologie 7 (21971) 11–31, bes. 24–27. Ebd., 25. Ebd. Ebd., 21. Cees Nooteboom, Ordnung, in: ders., So könnte es sein. Gedichte, Frankfurt 2001, 11.
7. Dienste: Zeugnis, Liturgie und Diakonie 1 Klaus Hemmerle, Wahrheit und Zeugnis, in: Bernhard Casper u.a. (Hg.), Theologie als Wissenschaft. Methodische Zugänge, Freiburg 1970, 54–72. 2 Ebd., 66. 3 Karl Rahner, Über die Einheit von Nächsten- und Gottesliebe, in: ders., Schriften zur Theologie 6 (21968) 277–298, hier 288. 4 Ebd., 289f. 5 Die Kirche: lokal und universal. Ein von der Gemeinsamen Arbeitsgruppe der Römisch-katholischen Kirche und des Ökumenischen Rates der Kirchen in Auftrag gegebenes und entgegen genommenes Studiendokument (1990), in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 2, Frankfurt / Paderborn 1992, 732–750, hier 735 (Nr. 5). 6 Ebd. (Nr. 6). 7 Dokument leicht zugänglich in: Una Sancta 46 (1991) 155f. 8 Vgl. die ausführliche Berichterstattung und Dokumentation in: Una Sancta 48 (1993), Heft 4; Ökumenische Rundschau 43 (1994) Heft 1. 9 Vgl. Matthias Haudel, Die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes. Grundlage eines ökumenischen Offenbarungs-, Gottes- und Kirchenverständnisses, Göttingen 2006. 10 Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen. Ein Beitrag des Rates der EKD, Hannover 2001. 11 Vgl. Karl-Heinz Menke, Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus, Regensburg 2012. 12 Vgl. Alois Moos, Das Verhältnis von Wort und Sakrament in der deutschsprachigen Theologie des 20. Jahrhunderts, Paderborn 1993. 13 Vgl. Einheit vor uns. Bericht der Gemeinsamen Römisch-katholischen / Evangelisch-lutherischen Kommission, in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 2, Frankfurt / Paderborn 1992, 451–506, bes. 455f. 8. Streitfrage: von Gottes Geist bewirktes Charisma und kirchliches (sakramentales) Amt Vgl. Peter Hünermann, Diakonat – ein Beitrag zur Erneuerung des kirchlichen Amtes, in: Diakonia Christi 9 (1974) 3–52; ders., Priesterlich des Evangeliums walten. Reflexionen über den Dienst in der Kirche heute, Hamburg 1992; vgl. zur neueren Debatte im Umfeld der Erklärung der Internationalen Theologenkommission (Der Diakonat – Entwicklung und Perspektiven. Studien der Internationalen Theologischen Kommission zum sakramentalen Diakonat, Würzburg 2004) und der Änderung des Kirchenrechts durch das Motu proprio Benedikts XVI. „Omnium in mentem“ vom 26. Oktober 2009 zur Sakramentalität des Diakonats: Peter Hünermann, Anmerkungen zum Motu proprio „Omnium in mentem“, in: Theologische Quartalschrift 190 (2010) 116–129.
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Vgl. Dorothea Reininger, Diakonat der Frau in der einen Kirche. Diskussionen, Entscheidungen und pastoral-praktische Erfahrungen in der christlichen Ökumene und ihr Beitrag zur römisch-katholischen Tradition. Mit einem Grußwort von Karl Lehmann, Ostfildern 1999; Peter Hünermann u.a. (Hg.), Diakonat. Ein Amt für Frauen in der Kirche – ein frauengerechtes Amt?, Ostfildern 1997; Dietmar W. Winkler (Hg.) Diakonat der Frau. Befunde aus biblischer, patristischer, ostkirchlicher, liturgischer und systematisch-theologischer Perspektive, Wien u.a. 2010. Confessio Augustana, Art. 5, in: Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 121998, 58. Karl Lehmann / Wolfhart Pannenberg (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend? Bd. 1: Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg / Göttingen 1986, 158. Faith and Order, Konvergenzerklärung über Taufe, Eucharistie und Amt (Lima 1982), in: Harding Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung (DWÜ), Bd. 1, Frankfurt / Paderborn 1983, 579. Das geistliche Amt in der Kirche. Bericht der Gemeinsamen Römisch-katholischen / Evangelisch-lutherischen Kommission (1981), in: DWÜ 1 (1983) 335. Lima 1982 (siehe Endnote 5), 581. Bericht der Evangelisch-lutherisch / Römisch-katholischen Studienkommission „Das Evangelium und die Kirche“ (Malta-Bericht 1972), in: DWÜ 1 (1983) 249. Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt. Schlussbericht des Dialogs zwischen Reformiertem Weltbund und dem Sekretariat für die Einheit der Christen (1977), in: DWÜ 1 (1983) 511. Ebd., 512. Vgl. The Nature and Mission of the Church. A Stage on the Way to a Common Statement, Genf 2005 (FO-Papers 198). Berufen, die eine Kirche zu sein (23.02.2006) [Dokument der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Porto Alegre, 14.-23. Februar 2006], URL: http://www.oikoumene.org/de/dokumentation/documents/oerk-vollversammlung/ porto-alegre-2006/1-erklaerungen-andere-angenommene-dokumente/christlicheeinheit-und-botschaft-an-die-kirchen/berufen-die-eine-kirche-zu-sein-in-der-angenommenen-fassung.html [Stand: 27.08.2012]. Ebd. Karl Lehmann / Wolfhart Pannenberg (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. 1: Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg / Göttingen 1986 (Dialog der Kirchen 4), 158. Die Argumentation im Zitat bezieht sich auf die lutherische Bekenntnisschrift Confessio Augustana von 1530, Nr. 5. Die dreizehn Selbstverpflichtungen ungenannter Bischöfe auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Concilium 13 (1977) 262f. Hervorhebungen im Original. Ebd.
9. Mission: Kirche(n) in der Welt von heute Fritz Weigner, Zweites Vatikanisches Konzil, Urbi et Orbi, in: Hermann Josef Sieben, Konzilsdarstellungen – Konzilsvorstellungen. 1000 Jahre Konzilsikonographie aus Handschriften und Druckwerken, Würzburg 1990, 82 (Abb. 70). Bildnachweis darin: Mario von Galli / Bernhard Moosbrugger, Das Konzil und seine Folgen, Luzern – Frankfurt 1966, 196. 2 Reformierter Weltbund, Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit (Covenanting for Justice in the Economy and the Earth). 24. Generalversammlung, 1
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Accra, Ghana (30. Juli bis 13. August 2004), dokumentiert in: Ökumenische Rundschau 53 (2004) 497–504, hier 498. Ebd., 499. Vgl. Konferenz Europäischer Kirchen / Rat der Europäischen Bischofskonferenzen: Charta Oecumenica . Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa (unterzeichnet in Straßburg 2001), als Heft: Genf / St. Gallen 2001; als Arbeitshilfe der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland: Frankfurt a. M. 2001. Vgl. Ökumenische Centrale / Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland: Gemeinsamer ökumenischer Weg mit der Charta Oecumenica (ChOe), Frankfurt a. M. 2006. In dieser kleinen Broschüre wurden Anregungen für ein ökumenisches Miteinander gesammelt, zum Beispiel: (1) Die vorösterliche und die österliche Zeit könnte in den Gemeinden in ökumenischem Sinn gefeiert werden; diese Zeit im Kirchenjahr bietet viele Möglichkeiten der Begegnung in der gottesdienstlichen Feier, bei Kreuzwegen oder bei Gesprächsabenden über die gemeinsame christliche Hoffnung auch angesichts des Todes. (2) Die Sorge um die gesamte Schöpfung verbindet Christinnen und Christen. (3) Diakonische Projekte könnten in ökumenischer Trägerschaft vereinbart werden. (4) In der Vorbereitung auf die Sakramente (vor allem bei der Taufe, Erstkommunion, der Firmung oder Konfirmation und der Ehe) wäre es wünschenswert, ökumenische Überlegungen stärker mit einzubeziehen. (5) Die Öffentlichkeitsarbeit auf lokaler Ebene ließe sich besser miteinander abstimmen. (6) Besuche auch bei kleineren christlichen Gemeinschaften könnten auf die Vielfalt der christlichen Zeugnisse ganz in der Nähe zum eigenen Wohnort aufmerksam machen. Vgl. Friedrich Schweizer / Alfred Biesinger, Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden. Erfahrungen und Perspektiven zum konfessionellen kooperativen Religionsunterricht, Freiburg / Gütersloh 2002; dies. u.a., Dialogischer Religionsunterricht. Analyse und Praxiskonfessionell-kooperativen Religionsunterrichts im Jugendalter, Freiburg 2006; Lothar Kuld u.a. (Hg.), Im Religionsunterricht zusammenarbeiten. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg, Stuttgart 2009; Sabine Pemsel-Maier / Joachim Weinhardt / Marc Weinhardt (Hg.), Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht als Herausforderung. Eine empirische Studie zu einem Pilotprojekt im Lehramtsstudium, Stuttgart 2011; Clauß Peter Sajak (Hg.), Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010. Vgl. Bernd Lutz, Katechetisches Lernen der ganzen Gemeinde als Gemeinschaft, in: Angela Kaupp / Stephan Leimgruber / Monika Scheidler (Hg.), Handbuch der Katechese. Für Studium und Praxis, Freiburg – Basel – Wien 2011, 173–184; ders., Die Leseordnung der Sonntage als Zentrum der Katechese, in: ebd., 236–245.
Personenregister
Adam, Karl 155 Athenagoras, Patriarch 67 Augustinus 35f, 63, 116 Austin, John L. 117 Barth, Karl 66 Bartholomaios I., Patriarch 62 Benedikt VIII., Papst 45, 64 Benedikt XIV., Papst 67 Benedikt XVI., Papst 158 Biesinger, Alfred 160 Böhnke, Michael 157 Bonifaz VIII., Papst 76 Calvin, Johannes 56 Casper, Bernhard 158 Collet, Giancarlo 154 Congar, Yves 35, 155 Domin, Hilde 84f, 157 Ebertz, Michael N. 104 Ebner, Martin 40 Franz von Assisi 76 Frieling, Reinhard 53, 156 Fuchs, Ottmar 104 Galli, Mario von 159 Gaßmann, Günther 157 Gemeinhardt, Alexander F. 156 Gregor VII., Papst 76 Hamer, Hartwig 83 Haudel, Matthias 158 Heinrich II., Kaiser 45, 64 Heinrich IV., Kaier 76 Heinrich VIII., König 57 Hemmerle, Klaus 158 Hippolyt 125 Hünermann, Peter 158f
Innozenz III., Papst 76 Jedin, Hubert 156 Johannes Paul II., Papst 19, 38, 60, 62, 67, 78, 155, 157 Kant, Immanuel 111 Karl der Große, Kaiser 91, 99f, 111f, 116, 157f Kasper, Walter 23, 116, 155 Kaupp, Angela 157, 160 Kehl, Medard 20, 24, 155 Kern, Walter 155 Konstantin, Kaiser 41, 44 Kranemann, Benedikt 120 Kuld, Lothar 160 Lehmann, Karl 159 Leimgruber, Stephan 157, 160 Leo I., Papst 75f Leo III., Papst 63 Lohff, Wenzel 156 Loisy, Alfred 26, 155 Luther, Martin 30, 56, 70, 77, 156f Lutz, Bernd 11, 157, 160 Mar Dinkha IV., Patriarch 60 Maréchal, Joseph 111 Menke, Karl-Heinz 158 Meyer, Harding 155–159 Moos, Alois 158 Moosbrugger, Bernhard 159 Mühling, Markus 82, 156 Nestorius 60 Nietzsche, Friedrich 103 Nikolaus V., Papst 77 Nooteboom, Cees 103, 158 Nüssel, Friederike 24 Pannenberg, Wolfhart 155, 159
162 Paul VI., Papst 60, 67 Pemsel-Maier, Sabine 160 Photius, Patriarch 64 Pottmeyer, Hermann Josef 155 Rahner, Karl 91, 99–102, 111f, 116, 157f Reding, Marcel 155 Reininger, Dorothea 159 Richter, Klemens 120 Sajak, Clauß Peter 160 Sattler, Dorothea 24, 104, 120, 136 Scheidler, Monika 157, 160 Schmaus, Michael 37, 155 Schneider, Theodor 11, 120, 136, Schüller, Thomas 157 Schweizer, Friedrich 160 Searle, John R. 117 Semmelroth, Otto 91, 116
Personenregister Shenuda III., Patriarch 60, 62 Sieben, Hermann Josef 159 Söderblom, Nathan 141 Söding, Thomas 40 Sternberg, Thomas 120 Theodosius, Kaiser 44 Thomas von Aquin 36, 111, 116, 125 Weigner, Fritz 137, 159 Weinhardt, Joachim 160 Weinhardt, Marc 160 Wenz, Gunther 120, 136, 156 Werbick, Jürgen 24, 86, 93, 104, 157 Wesley, John 56 Winkler, Dietmar W. 159 Zahner, Walter 120
Sachregister
Abendländisches Schisma 77 Alexandrien 57 Altkatholische Kirche 14, 57, 66 Amt Amtsübertragung (s. Ordination) Amt und Charisma 121–124, 130f Anerkennung der Ämter 23, 129f biblische Grundlegung 122–124 dreigliedriges Amt 122, 126, 129 Frau und Amt 14f, 95, 125, 127, 151 Geschichte der Ämtertheologie 125– 127 Grundaufgabe des Amtes 46, 125f, 128 kollegiale, presbyterale Ämterordnung 125, 129 ökumenische Dialoge über das kirchliche Amt 129–134 pneumatologische Ämtertheologie 122, 130, 132 Strukturen in der amtlichen Leitung der Gemeinden 124, 129f, 133f Wesensbestimmung des sakramentalen Amtes 126f Zulassungsbedingungen zum kirchlichen Amt 50, 94 (s. auch Zölibat) Anglikanische Kirchen 14, 57 ,61, 66, 78 Anthropologische Wende der Theologie 100, 117 Antimodernisteneid 27 Antiochien 57 Apostel 29f, 49f, 74f Apostelkonzil 42 Apostolische Kirche Armeniens 60 Apostolizität 49f, 133 Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) 82, 146, Arianismus 63 Aristotelische Philosophie 65, 86 Armenfürsorge 34, 119, 122, 141–143 Armutsbewegungen 76 Assyrische Kirche des Ostens 53, 60 Auferstehung (bzw. Auferweckung) 28– 32, 39, 49, 109, 127, 133, 148 153 Babylonisches Exil 88, 142 Baptisten 53, 57, 119f, 138
Baptistischer Weltbund 138 Bekehrung 105, 149 Berufung 122f, 127, 133 Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung („Faith and Order“) 37, 43, 51, 144 Beziehungsformen 94, 99, 139 Bibelbewegung 116 Biographie / Biographieforschung 102f, 117f Bischof / Bischofsamt 18f, 46, 49 ,82 121, 125–127, 129f, 133 Bischofskollegium 18f, 78, 129 Bischof von Rom (s. Papst/Papstamt/ Petrusamt) Bulle „Unam sanctam“ 76 Buße und Erneuerung 47, 84 (s. auch Reform) Charisma / Charismen 122–124, 130f Charta Oecumenica 146, 160 Christenverfolgungen 41, 51 Christianisierung 58 Christologie 59–62, 17, 30f, 44, 52f, 91f Confessio Augustana 68 Diakon / Diakonat 122, 125–127 Teilhabe von Frauen am Diakonat 127 Diakonie 43, 96f, 109–112, 119f, 133, 139, 152 Diaspora 80 Dogmatik 17, 39 Dokument „Dominus Iesus“ 18–20 Domkapitel 82 Ehrenamtliches Engagement 95, 143 Einheit 13f, 45f, 22, 68, 79f, 113f, 149, 152 Einheit in versöhnter Verschiedenheit 81, 114 sichtbare Einheit der Kirche 37f, 46 Ekklesiogenese 16 Ekklesiologie 15–24, 86f Ekklesiologie des 2. Vatikanischen Konzils 21, 23f, 91, 105f divergierende Ekklesiologien 152
164
Sachregister
Ekklesiologie und Pneumatologie 30, 45, 73, 88, 91, 122, 130–132 implizite Ekklesiologie 123 paulinische Ekklesiologie 90f Empirie 23, 50f Enzyklika „Humani generis“ 36 Enzyklika „Mystici corporis“ 36 Enzyklika „Ut unum sint“ 78 Episkopat (s. Bischof/Bischofsamt) Episkopé 126, 134 Erlösungslehre/Soteriologie 16, 22 Erwachsenenkatechese 96, 147f Eschatologie 16, 27f, 88, 113, 133 Ethik 135f, 139f, 150f Eucharistie / Abendmahl 44, 81, 88–90, 94f, 101, 113, 115–117, 119, 125–127 Evangelikale Bewegungen 26, 56f Evangelisch-methodistische Kirche 53, 57 Exegese 16, 22f, 25, 30f, 39 Exil von Avignon 77
Gotteserkenntnis 40, 143 Gottesfrage 102, 147 Gottesname JHWH 16, 23 Königsherrschaft Gottes 26 Offenbarung Gottes 35, 39, 47, 73, 105, 107f, 117 Reich Gottes 28, 69 transzendentaler Gotteserweis 111 Gotteslehre 59, 65
Faith and Order (s. Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung) Filioque 62–67
Infallibilität 77–79 Inkulturation 81, 146 Institution (s. Kirche als Institution) Interaktionstheorie 86 Islam 58 Israel 30f, 47f, 87f, 91, 142 (s. auch Judentum) Israel und Kirche 23, 30f, 88, 33–38, 40, 41f, 153
Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (s. Rechtfertigungslehre) Gemeinsames Priestertum aller Getauften 127–129 Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) 69 Gemeinschaft Dienstgemeinschaft 133, 143 Gedächtnisgemeinschaft 33 Gemeinschaftsbruch 35, 107, 110 (s. auch Sünde) Geschlechteranthropologie 151 Glaube 102, 153f Glaubensbekenntnis Apostolisches Glaubensbekenntnis 48 Nizäno-Konstaninopolitanisches Glaubensbekenntnis 43–45, 48, 62 Glaubwürdigkeit 22, 49, 58, 135, 138, 145, 152 Global Christian Forum 139 Glossolalie 32, 124 Gott Beziehungswilligkeit Gottes 109, 112 Erlösungswilligkeit Gottes 40
Handauflegung 125f, 129–131, 134 Heil 35–37, 48, 70f, 91–93, 139 Heiliger Geist 29–33, 40, 45, 62–68, 71, 92f, 101f, 117, 128, 131f, 139, 144, 148f Heiligkeit der Kirche 47f Hermeneutik biblische Hermeneutik 25 ökumenische Hermeneutik 23, 59, 141, 148 Humanismus 77
Jerusalem 57 Jesus Christus, 13, 25–30, 38–40, 59–62 Gegenwart Jesu Christi 116f Mittlerschaft Jesu Christi 72 Judentum 30–34, 41–43, 58, 88, 90f Jurisdiktionsprimat 15, 77f Kategorialgemeinde 94, 98 Kategorialseelsorge 98f Katharer, 76 Katholizität 20f, 44, 48f, 50, 132 Kirche Begriff der Kirche 13f, 23f, 37 evangelisches Kirchenverständnis 14, 59, 68–73 Gestalt der Kirche 68f Grund der Kirche 30, 34 Grunddienste der Kirche 43, 105–120
Sachregister Kirche als communio 113 (s. auch Koinonia) Kirche als Institution 16, 20, 22f, 36–40, 57, 68, 80–82, 114 Kirchenbilder 83–93 Kirchengemeinschaft 68 Kirchenpolitik 152 Kirchenspaltungen 17, 21, 38, 44, 52–82 Kirchenverfassungen 24, 151 Kirchenzugehörigkeit 37, 40, 102 römisch-katholisches Kirchenverständnis 23, 37 Sendung der Kirche 16, 40, 43, 48f, 96, 105–110, 123, 127, 131, 146 Sichtbarkeit der Kirche 37f Stiftung (bzw. Gründung) der Kirche 25–28 Wesensbestimmung der Kirche 50f Wesenseigenschaften der Kirche 45– 50 Kirchenrecht(slehre) 17, 24, 121f Koinonia 112–114 Kollegialität 42, 75, 78, 129, 134 Konfession/Konfessionen 52–82, 85, 151 Konkordate 82 Konstantinische Wende 41 Konstantinopel 57f, 64, 67, 76 Kontroverstheologie 17f, 37, 89, 115 Konversion 80 Konziliarismus 77 Konziliarität 79 Konzilien 1. Vatikanisches Konzil (1869–70) 15, 53, 59, 77–79 2. Konzil von Lyon (1274) 64 2. Vatikanisches Konzil (1962–65) 16, 19–21, 23, 27, 38f, 47, 67, 78f, 82, 84, 88, 91–93, 99f, 102, 105, 108, 110, 116f, 121, 126–129, 135–140, 145, 148–150 4. Laterankonzil (1215) 64 Chalzedon (451) 44, 52, 59–61, 63, 76 Ephesus (431) 52 Ferrara-Florenz (1438–39) 64 Konstantinopel (381) 41–45, 59, 63, 67 Konstanz (1414–18) 77 Nizäa (325) 41, 43–45 Kreuzzüge 64, 76
165 Laien 94, 127, 135 Leben-Jesu-Forschung 25 Lehramt 15, 27, 71, 78, 160 Leib Christi 89f, 113f Leuenberger Konkordie 68f Liebe 27f, 109–111 Liebe, Gottes- und Nächstenliebe 110 Lima-Dokument 130f Liturgie 33, 41, 43f, 81, 105f, 108f, 115, 120, 146 Liturgiewissenschaft 17, 24 Lutherische Kirchen 57, 66f, 69, 73, 78, 131, 133, 139 Malta-Bericht 70–73 Martyrium 40, 42 Mennonitische Kirche 53, 57 Metaphorik 86f Mission32, 42, 57f, 90, 107f, 119f, 127, 133 Modalismus 65 Mönchtum 125 Monophysitische Kirchen 60 Mystagogische Katechese 147f Mystik 100–102 Nachfolge 17f, 28, 31f, 38f, 97, 123, 132, 134 Ökumene geistlicher Ökumenismus 149, 152– 154 Konvergenzökumene 149 Ökumene der Märtyrer 38 paschatische Ökumene 148f Sozial-Ökumene 149f Ökumenische Bewegung 13f, 37, 43, 46, 82, 84f, 114, 119, 138, 149–152 Ökumenische Gemeindepartnerschaft 147 Ökumenische Theologie 18, 53–55, 122, 152 Ökumenischer Rat der Kirchen 37, 114, 132, 138, 152 Ordensleben 119f, 135 Ordination 125f, 130, 134 Orthodoxe Kirchen byzantinisch-orthodoxe Kirchen 53, 57, 59, 62–67 orientalisch-orthodoxe Kirchen 53, 57, 59–62
166 Ortskirche, 46, 82, 126f, 152 (s. auch Bischof / Bischofsamt) Osterglaube (s. Auferstehung [bzw. Auferweckung]) Panorthodoxes Konzil 139 Papst / Papstamt / Petrusamt, 15, 17, 27, 33, 53, 42, 60, 74–80, 82 Pascha 31f, 33, 148 Pastoral 50, 94–104, 119, 147 Pastoraltheologie 17, 24 Patriarch / Patriarchat, 19, 44, 53, 57, 60, 62, 64, 67 Personalgemeinde 94, 98 Petersdom 81, 137 Pfarrgemeinde 94–97, 146f Pfingstbewegung 56, 139 Pfingsten 27f, 31–33, 39 Pilgerschaft 47, 88 Platonische Philosophie 37 Pneumatologie 30–32, 45, 53, 59, 73, 88, 91, 100, 122, 130–132 (s. auch Heiliger Geist; s. auch Filioque) Primat 15, 19, 20, 60, 76–79 (s. auch Jurisdiktionsprimat) Priszillianismus 63 Prophetie 34, 36, 109, 116f, 122, 124, 141, 143 Rechtfertigungslehre 21f, 59, 68–73 Reform 12, 47, 54f, 73, 76f, 84, 93 (s. auch Buße und Erneuerung) Reformation/Reformationszeitalter 17, 19, 58, 61, 77, 116, 119, 129 Reformierte Kirchen 57, 61, 66, 138, 140 Religionsunterricht 13, 82, 147 Rom 42, 58, 75, 137f, 153 Bischof von Rom (s. Papst/Papstamt/ Petrusamt) Römisch-katholische Kirche 80–82 Sakrament Analogizität des Sakramentenbegriffs 132 christologische Fundierung des Sakramentsbegriffs 117 ekklesiologische Zentrierung des Sakramentsbegriffs 118 Kirche als Sakrament 91–93 Ursakrament 92
Sachregister Wort und Sakrament 68, 115–118, 128, 158 Wurzelsakrament 92 Sakrament des Ordo 125f, 133 (s. auch Amt; s. auch Ordination) Schöpfung/Schöpfungslehre 48f, 100, 105, 108, 112f, 141, 144f, 148, 153 Bewahrung der Schöpfung 14, 141, 100 Schrift historisch-kritische Schriftexegese 25 patristische Schrifttheologie 116 Schrift und Tradition 22f, 59 Schriftkanon 41f Suffizienz der Schrift 73 Themen der Schrift 39 Schwesterkirchen 19f Semiotik 117 Sendung 29, 133 (s. auch Kirche, Sendung der Kirche) Sinnfrage 112 Soteriologie (s. Erlösungslehre/Soteriologie) Sozialgestalten des Christseins 16f, 94– 104 Sprechakttheorie 117 Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ 128, 132 Studienordnungen (der römisch-katholischen Theologie) 16, 18, 147 Subordinatianismus 63, 65 Substitutionstheorie (Metaphernlehre) 86 Sukzession, 19f, 23, 129–134 Sünde 22, 48, 93, 111f, 118, 146, 149, 153 Sünde, Sünde der Kirche 33 Synagoge 43, 90 Synodalität 42, 63, 78f, 81 Taufe 21, 24, 42f, 46, 97f, 113, 121, 126– 128, 132, 143f, 148, 153 Johannestaufe 144 Säuglingstaufe 53, 102 Taufgedächtnis 153 Taufkatechese 42 Teilkirchen 19f Tempel 32, 90f Tempel des Heiligen Geistes/Tempel Gottes 88, 90f, 114 Theodizee 102 Theophanie 32
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Sachregister Toleranzedikt von Mailand 41 Tomus Leonis 76 Traditio apostolica 125 Trinität/Trinitätslehre, 62–67 Überlieferung (paradosis) 133 Umkehr 109, 144, 149 Unfehlbarkeit (s. Infallibilität) Urgeschichte 34 Verkündigung 14, 16, 24, 27–29, 32f, 46, 48f, 70–72, 87, 99–102, 115f, 118, 123–128, 134, 147f, 154 Vielfalt (der kirchlichen Lebensformen) 13, 45f, 84
Volk Gottes 88f Volkskirche 95, 100f Weisheitsliteratur 113, 122, 141 Weltbischofssynode 78, 81, 138 Würzburger Synode 99f Zeichen der Zeit 140 Zeit(struktur des menschlichen Daseins) 118 Zeugnis 43, 106–108 Zölibat 136, 151 (s. auch Amt, Zulassungsbedingungen zum kirchlichen Amt)