Die unierten Kirchen [Reprint 2018 ed.] 9783110828948, 9783771501419


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German Pages 375 [376] Year 1987

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INHALT
ANMERKUNG
1. Die Entstehung der unierten Kirchen der Gegenwart
2. Die Evangelische Kirche der Union
3. Die Pfälzische Landeskirche
4. Die Evangelische Landeskirche in Baden
5. Die kleinen Unionen in Deutschland
6. Die United Church of Canada
7. Die Church of Christ in China
8. Die United Church of Christ in Japan
9. Die Church of South India
10. Die United Church of Christ in the Philippines
11. Die United Church of Christ (USA)
12. Die United Church of Zambia
13. Die United Church of Jamaica and Grand Cayman
14. Die Church of North India
15. Die Church of Pakistan
16. Die Bedeutung der Kirchenunionen
17. Kirchenunionen und die Zukunft
Anhang 1: Die Autoren
Anhang 2: Die Griindungsjahre der unierten Kirchen in der Welt
Anhang 3: Statistischer Überblick der unierten Kirchen in der Welt
Allgemeine Literatur
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Die unierten Kirchen [Reprint 2018 ed.]
 9783110828948, 9783771501419

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DIE K I R C H E N DER W E L T . B A N D X DIE U N I E R T E N K I R C H E N

DIE KIRCHEN DER WELT BAND X

Herausgeber D. HANS HEINRICH HARMS D R . HANFRIED K R Ü G E R DR. GÜNTER WAGNER D. D R . H A N S - H E I N R I C H W O L F

DIE UNIERTEN KIRCHEN

Herausgegeben von JOHN W E B S T E R GRANT

w EVANGELISCHES V E R L A G S W E R K S T U T T G A R T

Übersetzung der englischen Beiträge: Hans-Beat Motel

ISBN3771501415 Erschienen 1973 im Evangelischen Verlagswerk Stuttgart © A l k Rechte, einschließlich dem der Übersetzung, vorbehalten Gesamtherstellung: Union Druckerei GmbH Stuttgart Printed in Germany

INHALT

1. Die Entstehung der unierten Kirchen der Gegenwart: John Webster Grant 2. Die Evangelische Kirche der Union: Franz-Reinhold Hildebrandt 3. Die Pfälzische Landeskirche: Theo Schaller 4. Die Evangelische Landeskirche in Baden: Hermann Erbacher . 5. Die kleinen Unionen in Deutschland: Hermann Vogt 6. Die United Church of Canada: Arthur G. Reynolds 7. Die Church of Christ in China: Wallace C. Mervin 8. Die United Church of Christ in Japan: Masatoshi Doi 9. Die Church of South India: F. G. Muliyil 10. Die United Church of Christ in the Philippines: Enrique C. Sobrepena 1 1 . Die United Church of Christ (USA): Elmer J. F. Arndt 12. Die United Church of Zambia: James R. Stockton 13. Die United Church of Jamaica and Grand Cayman: Ashley Smith 14. Die Church of North India: John W. Sadiq 15. Die Church of Pakistan: Anwar M. Barkat 16. Die Bedeutung der Kirchenunionen: John Webster Grant 17. Kirchenunionen und die Zukunft: Meredith B. Handspicker . .

7 29 106 118 139 151 181 189 219 248 263 284 292 299 315 321 341

Anhang 1: Die Autoren 365 Anhang 2: Die Griindungsjahre der unierten Kirchen in der Welt 367 Anhang 3: Statistischer Überblick der unierten Kirchen in der Welt 371 Allgemeine Literatur

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ANMERKUNG:

Die englischen Bezeichnungen der Kirchennamen wurden stehengelassen. Ausnahmen bilden die Kirchen, die auch in deutscher Bezeichnung geläufig sind (z. B. Methodistenkirche; hier fand nur dann der englische Name Verwendung, wenn zum Kirchennamen eine geographische Ergänzung - Philippine Methodist Church - gehört). Das gilt auch für die Kirche von Südindien und Nordindien, in den Uberschriften wurden allerdings die englischen Bezeichnungen belassen, im Text die deutschen eingesetzt.

Kapitel i DIE E N T S T E H U N G DER U N I E R T E N DER GEGENWART

KIRCHEN

JOHN WEBSTER GRANT

Z

u allen Zeiten waren sich die Christen darüber im klaren, daß es grundsätzlich nur eine Kirche Jesu Christi geben kann. Wie es einen Herrn und einen Glauben gibt, kann auch nur eine Taufe in das eine Volk Gottes vollzogen werden. Aber in Wirklichkeit vermochten die Christen nie, die ihnen von Gott gegebene Einheit in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen. Die ganze Kirchengeschichte hindurch bestand die Einheit deshalb teils aus wirklich gemachten Erfahrungen, teils aus einer ständigen Suche nach ihr. Eine Art goldenes Zeitalter der Einheit hat es nie gegeben, weder in den ersten Jahrhunderten noch im Mittelalter. Wie der amerikanische Gelehrte John Knox nachwies, stand selbst bei der ersten kirchlichen Generation die Versöhnung der Parteien ganz oben auf der Tagesordnung der Kirche 1 . Andererseits gab es keinen Zeitraum, in dem die Suche nach Einheit völlig aufgegeben worden wäre. Die Autoren der vonRouse und Neill herausgegebenen „Geschichte der ökumenischen Bewegung, 1317-1948" haben die nicht abreißende Kette der Gespräche, Konferenzen und immer wieder unternommenen Vorstöße in Richtung auf die Einheit für die Jahrhunderte nachgewiesen, die gewöhnlich nur im Blick auf Kirchenspaltungen als besonders ergiebig gelten. Verschiedene Wege zur Einheit Obwohl die Suche nach der christlichen Einheit unablässig weitergeführt wurde, hat sie im Laufe der Jahrhunderte viele Formen angenommen. Man vermochte sich noch nicht einmal darüber zu einigen, mit welchen Mitteln eine wirksame Kirchenvereinigung denn herbeigeführt werden könnte. Einige sogenannte Unionspläne haben für den Zusammenschluß bereits bestehender Organisationen oder sogar nur für die Zusammenarbeit innerhalb bestimmter, begrenzter Gebiete gesorgt, während andere das Wort „Union" auf die Fälle beschränken wollen, bei denen die beteiligten Denominationen übereinkommen, ihre jeweils eigene Identität aufzugeben. Viele Christen halten alle Abmachungen

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Die unierten Kirchen

organisatorischer Art im Blick auf die wahre Einheit für bedeutungslos oder im besten Falle für sekundär. Eine Kirchenunion kann verstanden werden als gegenseitige Anerkennung, als Kanzel- und Altargemeinschaft, als Gelegenheit für eine gewinnbringende Verbindung von Christen aus verschiedenen Kirchengemeinschaften, oder als Gefühl des Einsseins in Christus, das durch eine formelle Trennung oder gar durch andere Kirchen ausschließende Verordnungen nicht beeinträchtigt wird. Die Mittel bei der Suche nach der Kircheneinheit waren ebenfalls verschieden. In der Vergangenheit bestand eine bevorzugte Methode, die sich allerdings auf lange Sicht selten als erfolgreich erwies, darin, die Staatsmacht für diesen Zweck auszunützen. Heute sind das Gespräch und die Konsultation die üblichen Mittel, obwohl man häufig Klagen darüber hört, die Laien seien in diesen Vorgang nicht genügend miteinbezogen. Manchmal hält man es für notwendig, sämtliche Vereinbarungen vor dem eigentlichen Zustandekommen der'Union auszuarbeiten, in anderen Fällen werden Einzelheiten erst im Erfahrungshorizont des Zusammenlebens geregelt. Vor der Gründung der Kirche von Südindien wurden beispielsweise keine Verordnungen für gemeinsame Gottesdienste erlassen; die wohldurchdachten Gottesdienstordnungen dieser Kirche verdankt man einem liturgischen Ausschuß, der erst nach dem Zusammenschluß der Kirchen ernannt worden war. Ähnliche Unterschiede sind im Blick auf die Priorität zu verzeichnen, die den verschiedenen Gesichtspunkten einer Kirchenunion zugestanden wurde. Einige Pläne sahen eine Vereinigung der geistlichen Amter vor dem organisatorischen Zusammenschluß vor, während man in der Kirche von Südindien den natürlichen Vorgängen wie Pensionierung und Tod überließ, die umfassende gegenseitige Anerkennung der bestehenden Ämter herbeizuführen. In einigen Fällen, wie bemerkenswerterweise in der United Church of Christ in den Vereinigten Staaten, entschied man sich dafür, die Vereinigung der Ämter als Prozeß der kleinen Schritte zu verstehen. Verschiedene Bemühungen in Richtung auf eine Union können teilweise als Antworten auf unterschiedliche Interpretationen der Kirchenspaltungen erklärt werden. Bestand die Hauptursache des Ärgernisses aus unfairer Konkurrenz, wird eine Kirchenunion sehr schnell in Richtung auf eine größere Bereitschaft zur Zusammenarbeit verstanden. Konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Hindernisse, die gemeinsamen Gottesdiensten, besonders einer Abendmahlsfeier, entgegenstehen, wird die Kirchenunion praktisch mit der Interkommunion gleichgesetzt. Steht die Gültigkeit der Ämter auf dem Spiel, fällt die Kirchenunion wahrscheinlich mit der gegenseitigen Anerkennung der Ämter zusammen. Erwächst die Spaltung aus Rassen- oder Klassenunterschieden, ist

Die Entstehung der unierten Kirchen der Gegenwart

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es folgerichtiger, die Kirchenunion als Möglichkeit für eine Versöhnung zu betrachten, obwohl in der ökumenischen Literatur die merkwürdige Tendenz nachzuweisen ist, solchen Fragen weniger Bedeutung beizumessen als den Fragen von Glauben und Kirchenverfassung. Afrika liefert ein interessantes Beispiel dafür, wie die Situation auf der Ortsebene das Werden der Union beeinflussen kann. Als im Jahre 1936 die Union Church of the Copperbelt im Nördlichen Rhodesien (dem heutigen Sambia) gegründet wurde, überließ man den Entwurf einer Glaubenserklärung und einer Verfassung der Zukunft. Andererseits hielt man es in der Stammesgesellschaft für unabdingbar notwendig, für die Union detaillierte Disziplinarverordnungen in Angelegenheiten wie Heirat, Mitgiftabsprachen und Scheidung festzulegen. Gewisse Unionsentwürfe haben sich für bestimmte Traditionen und Konfessionen als besonders geeignet erwiesen. Das Leben einer religiösen Gemeinschaft einschließlich ihrer Theologie, ihrer Soziologie und ihrer Ekklesiologie bildet eine Ganzheit, die nicht einfach aufteilbar ist. Jedes dieser Modelle enthält wahrscheinlich einen Zugang zur Kirchenunion, der nicht ohne weiteres mit irgend einem anderen in Einklang gebracht werden kann - selbst wenn er Eingeweihten selbstverständlich erscheint, mag er vielleicht Außenstehenden nur hinderlich vorkommen. So hält der westliche Katholizismus die Union fast ausschließlich für ein Problem der Kirchenordnung; römische Katholiken konzentrieren sich traditionellerweise auf die Gleichartigkeit der Kirchenordnung in geographischer Hinsicht, die Anglikaner auf deren zeitliche Kontinuität. Nach Auffassung der Orthodoxen und der Lutheraner hängt die Einheit in allerdings sehr unterschiedlicher Weise vorwiegend von der Übereinstimmung in der Lehre ab. Die Reformierten legen mehr als alle anderen darauf Wert, daß die neuen Strukturen gegenseitige Beratung und K o r rektur zulassen, während Gemeinschaften, die aus pietistischen oder evangelikalen Erweckungen entstanden sind, typischerweise wirksame Mittel für gemeinsames Handeln suchen. Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Kirchenmännern, deren Vorstellungen über die Kirchenunion differieren, wurden vor einigen Jahren bildhaft veranschaulicht, als Vertreter der Kirchen von England und Schweden die Möglichkeit der Interkommunion diskutierten. Nach solgfältiger Prüfung einigten sich die Anglikaner darauf, daß das geistliche Amt der Kirche von Schweden ihren Anforderungen im Blick auf geschichtliche Kontinuität standhalten konnte. Die Schweden, die an Amtsfragen fast gänzlich uninteressiert waren, entschlossen sich nach einigem Zögern, die 39 Artikel der Kirche von England als annehmbare Zusammenfassung der Lehre zu akzeptieren.

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Die unierten Kirchen

Differenzen zwischen Kirchen, die eine Union in Betracht ziehen, kommt in den Verhandlungen ein ungewöhnliches Gewicht zu, und Versuche, sie zu überwinden, neigen zu einem unverhältnismäßig starken Einfluß auf die Vorarbeit für die Union. In Unionen zwischen Kirchen reformierter und methodistischer Herkunft, die in den englischsprachigen Ländern bis jetzt am häufigsten vorkommen, überwogen Verfassungsprobleme; besonders wenn Kongregationalisten miteinbezogen wurden, stellte sich das Verhältnis zwischen der Autonomie der Ortsgemeinden und der Befugnis von Regionalsynoden als eines der Hauptprobleme heraus. Die Beteiligung der Anglikaner lenkte die Aufmerksamheit auf den Stand und die Vollmacht der ordinierten Geistlichen, die der Baptisten auf das Wesen und die Bedingungen der Mitgliedschaft in einer Kirche. Die Crux der Gespräche zwischen Lutheranern und Reformierten besteht offensichtlich in der Frage, wie Christus im Abendmahl gegenwärtig ist. Obwohl die Diskussionsrichtung weniger durch die eigentliche Bedeutung der Probleme bestimmt wird als vielmehr durch die Schwierigkeit, sie in einer bestimmten Situation zu lösen, wird sie sich auf die Bedingungen einer Union ganz sicher erheblich auswirken. Sie kann zur Suche nach einer Konkordienformel führen, zur Zementierung eines Bündnisses, zu einem Konsensus, vielleicht auch zu einer wissenschaftlichen Untersuchung. Obwohl sich die Kirchenunionen weithin nicht nur in Einzelheiten, sondern auch in der allgemeinen Ausrichtung unterschieden, ist ihnen fast allen ein Merkmal gemeinsam: Ihre Verfechter haben sie nie als beziehungslose Gebilde verstanden, sondern als Stufen auf dem Wege zu einer noch umfassenderen Einheit. Jedesmal, wenn eine solche Union zustande gekommen war, zeichneten sich ihre Gründungsfeiern durch Reden aus, die auf ein noch entfernteres Ziel hinwiesen. Wenn auch den unierten Kirchen viele charakteristische Merkmale eitler Denomination oder Konfession fehlen und sie auch nie als solche betrachtet werden wollten, so wissen sie doch um ihre Verwandtschaft untereinander, die sich auf einer gemeinsamen Sicht der endgültigen Bestimmung der christlichen Kirche gründet. Die Kirchen, die in diesem Band besprochen werden, und deren Auswahl notwendigerweise begrenzt ist, sind das Ergebnis von Zusammenschlüssen, die sich über die herkömmlichen Trennungslinien hinweg vollzogen haben. Sie sind alle lebendige Organismen, die ihre Eigenheit völlig oder doch teilweise aufgaben und mehr oder weniger ausgearbeitete Strukturen besitzen, um ihrem gemeinsamen Leben Ausdruck zu verleihen. Man sollte sich vor Augen halten, daß sie nicht die einzig greifbaren Folgen des uralten Drängens nach Einheit sind, das auch Vereinigungen

Die Entstehung der unierten Kirchen der Gegenwart

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im denominationellen Bereich, Verträge über Interkommunion, Vereinbarungen über gegenseitige Achtung und Zusammenarbeit in der Mission, Räte für Konsultationen und gemeinsame Aktionen sowie eine beträchtliche Zunahme des gegenseitigen Verstehens hervorgerufen hat. Die Kirchenunionen sind aber in sich selbst bedeutsame Erscheinungen und gelten vielen, diesen Kirchen angehörenden Christen als - wenn auch unvollkommener - Vorgriff auf die endgültige Einheit, zu der Gott seine Kirche hinführen will. Eine Arbeit, die sich mit den unierten Kirchen der Gegenwart befaßt, wird dadurch etwas einfacher, daß gewisse geschichtliche Faktoren zum allen Unionskirchen gemeinsamen Hintergrund gehören. Alle unierten Kirchen stellten Versuche dar, die Spaltung zu überwinden, die sich in der Reformationszeit oder später ergeben haben, aber die Beteiligung der Anglikaner etwa an einer Union und an mehreren derzeit laufenden Unionsplänen verbietet es, sie ausschließlich als Schritte auf dem Weg zur Einigung des Protestantismus zu verstehen. Sie sind alle im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts ins Leben gerufen worden, obwohl einige geplant oder gar gegründet wurden, bevor von einer ökumenischen Bewegung auch nur die Rede war. Regionen und Denominationen zeigten im Blick auf kirchliche Unionen recht unterschiedliche Neigungen. Abgesehen von der-ersten, der Preußischen Union von 1817, waren die unierten Kirchen hauptsächlich eine Erscheinung der neubesiedelten oder erst in jüngster Zeit evangelisierten Gebiete außerhalb des Bereichs der alten Christenheit. Sieht man die Liste der Unionskirchen durch, so stößt man auffallend häufig auf Namen von Kirchen, die von der Theologie Johannes Calvins und John Wesleys beeinflußt wurden. Es muß freilich hinzugefügt werden, daß sich sowohl in geographischer Hinsicht als auch im Blick auf die kirchliche Tradition der Kreis der Unionen allmählich erweitert hat. Zuerst Kongregationalisten und Presbyterianer, dann Methodisten, dann Anglikaner, wobei Baptisten und Lutheraner sich in zunehmendem Maße an den Verhandlungen beteiligten - das war die Regel; zunächst Kanada und der Orient, dann die Vereinigten Staaten, gefolgt von Afrika - jetzt finden Gespräche überall statt.

Der Ursprung der heutigen Spaltungen U m die besonderen Stoßkräfte in Richtung auf eine Kirchenunion beurteilen zu können, muß man sich der Kirchengeschichte von Beginn der Reformation an und den von ihr herrührenden Spaltungen zuwenden. Dabei ist wichtig, sich zunächst daran zu erinnern, daß die Reformation

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kein vorsätzlicher Versuch war, eine oder mehrere protestantische Kirchen zu gründen. Es verflossen erst einige Jahre, bis sich abzeichnete, daß dies das endgültige Ergebnis sein würde. Die Reformation war viel eher - ihr Name sagte es ja auch - ein Versuch, die bestehende Kirche zu reformieren. Sie wurde ihrer eigentlichen Möglichkeiten durch den unmittelbaren Abbruch der Beziehungen zwischen den Reformatoren und dem Papsttum beraubt, aber nach neuerer katholischer Auffassung bedeutete dies nicht einmal die endgültige Ablehnung der bestehenden Kirche. Die Reformatoren hatten von den Führern der mittelalterlichen konziliaren Bewegung gelernt, den päpstlichen Primat als späte Entwicklung zu verstehen, ohne den die Kirche nichts von ihrem eigentlichen Wesen einbüßen würde. In Wirklichkeit führte die Reformation nicht so sehr eine einzige Bewegung, sondern vielmehr eine ganze Anzahl lokaler und nationaler Reformvorhaben herbei. Die Reformatoren waren sich im klaren, daß sie von einem gemeinsamen Impuls abhängig blieben, daß sie sich an einem gemeinsamen Unternehmen beteiligten und der Notwendigkeit unterworfen waren, gegen den gemeinsamen Feind zusammenhalten zu müssen. Ein gemeinsames Programm oder gar einen gemeinsamen Plan für Aktionen hatten sie nicht vorzuweisen. Die Kirche einer bestimmten Nation oder einer Stadt zu reformieren, warf jeweils ganz verschiedene Probleme auf, die nach einer Lösung durch engagierte Männer am Ort verlangten. Die Berühmtheit solch führender Reformatoren wie Luther und Calvin war auf eine weite Verbreitung ihres Gedankengutes zurückführen, aber überall verliehen auch örtliche Gegebenheiten und bestehende Traditionen den reformatorischen Gedanken ihr eigenes Gepräge. Die Grenze zwischen Übereinstimmungen und Divergenzen wurde albgesteckt, und es entwickelte sich ein engmaschiges Netz wechselseitiger Beziehungen. Die Reformatoren wurden sich bald der Notwendigkeit einer größeren Einheit in den eigenen Reihen bewußt, was eine Welle von Konferenzen, Schriftwechseln und Verhandlungen zur Folge hatte. Es muß betont werden, daß diese Betriebsamkeit nicht darauf abzielte, die Risse in einer ursprünglich einheitlichen Bewegung auszubessern, sondern eher darauf, einen Prozeß in geordnete Bahnen zu lenken, der von Anfang an nur stückweise fortgeschritten war. Ihr höchstes Ziel wäre die Reformation der gesamten Kirche gewesen und demgemäß wurden wiederholt Rufe nach einem allgemeinen Konzil laut; zudem wurden zahllose Versuche unternommen, Sprecher Roms zu einem Dialog zu bewegen. Noch dringlicher war freilich, sicherzustellen, daß die Befürworter eines radikalen Wandels zusammenstehen würden. Da die Reformation weit-

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gehend von theologischen Neuentdeckungen gespeist wurde, schien die notwendige Voraussetzung für gemeinsames Handeln ein gewisses Maß an dogmatischer Übereinstimmung zu sein. Der Fehlschlag des Marburger Religionsgesprächs von 1329, eine völlige Gemeinschaft zwischen Martin Luther und Huldreich Zwingli in geistlichen Angelegenheiten zu erreichen, bewies, wie schwer es war - auch wenn es sich um eine gemeinsame Sache handelte! - , Männer, deren Überzeugungen sie dazu geführt hatten, den Mächten Europas Trotz zu bieten, dazu zu bringen, diese Überzeugungen nun auf den Verhandlungstisch zu legen. Es war bald offenkundig, daß der Bruch mit Rom zumindest für die absehbare Zukunft unwiderruflich feststand. Selbst in den Reihen der Reformer begann die kaleidoskopartige Vielfalt der ersten Tage in mehrere klar umrissene Standpunkte zu erstarren. Es wurde möglich, Schüler Luthers, Zwingiis und Calvins sowie Anhänger des anglikanischen Mittelwegs zu unterscheiden. Fast von Anfang an wurden die Schwärmer und Wiedertäufer, die den linken Flügel der Reformation bildeten, für Verfechter von Grundsätzen gehalten, die mit den reformatorischen Gedanken unvereinbar schienen, und nur wenige Versuche wurden unternommen, eine Einigung mit ihnen sicherzustellen. In der zweiten Generation der Reformation gingen die Bemühungen um die Einheit hauptsächlich darum, eine Verfestigung der entstandenen Unterschiede in endgültige Trennungen zu verhindern. Sie hatten trotz des weitverbreiteten gegenteiligen Eindrucks ein erhebliches Maß an Erfolg zu verzeichnen. 1549 beseitigte der Consensus Tigurinus schwer zu überwindende Unterschiede zwischen den deutsch- und französischsprachigen Schweizer Protestanten und ermöglichte damit das Zustandekommen einer einzigen reformierten Konfession. Die ernsthaften Spannungen zwischen Schülern Zwingiis und Calvins haben demgemäß auf der konfessionellen Landkarte der Gegenwart keine Spuren hinterlassen. Zeitweise schien es, als ob der Prozeß der Versöhnung noch weitergehen könnte. Die meisten Protestanten wollten eine gemeinsame Eigenständigkeit erlangen, und eine große Partei der Mitte war darauf aus, ihre Verbundenheit mit allen Führern der Reformation zu betonen. Philipp Melanchthon, der Luther näherstand als alle anderen Reformatoren, läßt sich nach heutigem Verständnis beim besten Willen nicht als Lutheraner oder Reformierter einstufen. Martin Bucer aus Straßburg war unermüdlich darauf aus, einige Einigungsformeln zu finden, und er hätte damit Erfolg haben können, wäre er nicht auf die unversöhnliche Haltung der eingefleischten Lutheraner auf der einen und auf die führenden Männer in Zürich und Bern auf der anderen Seite gestoßen. Hätten

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sich nur schon die Lutheraner und die Reformierten auf eine gemeinsame Basis einigen können, so ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß die Kirche von England dort auch noch Platz gefunden hätte. Der Versuch, eine allgemeine protestantische Union unter Dach und Fach zu bringen, schlug fehl, und die uns heute bekannten Denominationen begannen Gestalt anzunehmen. Die Konkordienformel, 1577 veröffentlicht und 1580 angenommen, vereinigte die Lutheraner - aber auf ihre Kosten wurde die Möglichkeit einer Gemeinschaft mit den Reformierten verspielt. Die Kirche von England, die einmal eine vermittelnde Rolle unter den sich erneuernden Gruppen übernommen hatte, zog sich zurück oder wurde in eine zunehmende Isolierung getrieben. Auch in dieser Kirche verhärteten sich die Spannungen zu Parteienstreitigkeiten. Die Uniformitätsakte von 1622, die eine Reihe von Praktiken zur Vorschrift erhob, die den Puritanern Gewissensskrupel verursachten, verwandelte schließlich diese Parteien in voneinander getrennte Kirchen: Anglikaner, Presbyterianer, Kongregationalisten und Baptisten. Im späten 17. Jahrhundert bezeichneten die Begriffe „lutherisch" und „reformiert" immer mehr die Konfessionszugehörigkeit statt einen theologischen Standort, und sogar das Wort „katholisch" wurde gelegentlich in der gleichen Weise gebraucht. Die Situation war entstanden, auf deren Abhilfe die heutigen Kirchenunionen gerichtet sind.

Der Weg zur Wiederherstellung der Einheit

Seit der Reformation gab es keinen Zeiträum, in dem nicht einige konkrete Versuche unternommen worden wären, die Protestanten und eigentlich auch die ganze Kirche zu vereinigen. Gespräche, Gedankenaustausch und Verhandlungen haben immer stattgefunden - sie dienten dem Zweck, besseres Verstehen, gemeinsames Vorgehen, Interkommunion oder gar die formelle Vereinigung zu erreichen. An diesen Versuchen waren so bekannte Persönlichkeiten wie Leibniz, Bossuet, Comenius und Grotius ebenso beteiligt wie etwas obskurere Gestalten eines John Dury, der sein ganzes Leben der Sache der Kirchenunion widmete. Bevor solche Versuche irgendeinen greifbaren Erfolg verzeichnen konnten, mußte freilich am Zustand der Kirche und am Zustand der Welt einiges verändert werden. Hier verdienen vier Dinge besondere Beachtung: die Fortdauer des theologischen Gärungsprozesses, die Wiederentdeckung des missionarischen Charakters der Kirche, das Wiederaufleben des Interesses am kirchlichen Dogma und der eigentliche Zerfall der Größe, die einst als Christenheit bekannt war.

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Die an der Reformation Beteiligten waren überzeugt, längst vergessene biblische Wahrheiten wiederentdeckt zu haben. Einzelnen Personen oder Gruppen gewährte Einsichten maßen sie außerordentliche Bedeutung zu, und wenn diese im Lauf der Zeit in geschlossene theologische Systeme eingefügt wurden, bestand natürlich die Tendenz, auch diese Systeme als OfFenbarungsträger zu bewerten. Theologische Strömungen, die in der Aufklärung wurzeln, trugen zur Möglichkeit ergiebiger Unionsgespräche bei, weil sie diese Systeme nicht mehr einfach absolut setzten und sie daher einer Prüfung unterzogen. Besonders wichtig war die Anwendung kritischer Methoden bei der Arbeit mit der Bibel, die es vielen verwehrte, die Bibel weiterhin als komplettes Handbuch der Kirchenverfassung zu verstehen. Durch die Umwandlung der Kontroversen in historische Unterschiede wurde eine Kirchenunion über herkömmliche Grenzen hinweg zumindest denkbar. Für eine theologisch vertretbare Union war es allerdings auch erforderlich, neue Standpunkte zu formulieren. Solange herkömmliche Modelle nicht in Frage gestellt werden, bleiben sie sogar in ihrem Zerfallsprozeß noch einflußreich. Wenn Anhänger bestimmter, traditioneller Standpunkte aufgefordert werden, von anderen zu lernen, werden sie von ererbten Vorurteilen daran gehindert. Man könnte sagen, ihre Computer seien so programmiert, daß sie außer vorgefaßten Antworten keine anderen mehr zu geben vermögen. Andererseits kann ein fortgesetzter theologischer Gärungsprozeß in alten Systemen neue Perspektiven eröffnen. Während einst alle Einzelfragen lebensnotwendig schienen, kommt nun einigen Bereichen erhöhte Bedeutung zu, während andere in den Hintergrund treten. Eine ganz entscheidende neue Perspektive eröffnete die Tendenz fast aller ernst zu nehmenden Theologen, die Offenbarung stärker als Gottes Handeln in der Geschichte zu verstehen und weniger als Wahrheitsvermittlung in Form von -Lehrsätzen. Dementsprechend betonten die verschiedenen Konfessionen, daß sie sich an Gottes Selbstoffenbarung gebunden wüßten und nicht so sehr auf der Unanfechtbarkeit ihrer theologischen Systeme beharrten. Im Ganzen gesehen bewirkten die wichtigen theologischen Strömungen seit der Reformation eher einen die Kirchenunion vorbereitenden Denkprozeß als deren konkrete Realisierung. Die eigentlichen Antriebskräfte für die Union müssen an anderer Stelle gesucht werden. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß das Wiederaufleben des missionarischen Eifers zusammen mit dem Pietismus auf dem europäischen Kontinent und den evangelikalen Erweckungen in den angelsächsischen Ländern die Sehnsucht nach einer Kirchenunion in einer Weise vertief-

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ten und verstärkten, wie es bisher noch nicht der Fall gewesen war. Diese Beurteilung ist alles andere als selbstverständlich, denn in mancher Hinsicht führten die Erweckungen doch auch wieder zu neuen Trennungen. Sie schiifen die große methodistische Denomination, verursachten Spaltungen unter Presbyterianern, Baptisten sowie bei lutherischen Siedlungen in Nordamerika und dienten als Brutstätte für eine große Zahl Sekten, die ihre Tätigkeit von Nordamerika aus in überseeische Missionsgebiete und sogar bis in alle europäischen Länder ausgedehnt haben. Die praktische Auswirkung vieler neuerer Unionen bestand darin, die auf den Ausbruch der Erweckung zurückzuführenden Spaltungen wieder rückgängig zu machen. Andererseits rief der Pietismus eine Geisteshaltung hervor, die den denominationeilen Spaltungen nur begrenzte Bedeutung zukommen ließ. Engagierte Christen fühlten sich zu einer allen gemeinsamen Frömmigkeit hingezogen, die den äußeren Ursachen der Trennung weit überlegen war. Sie übten den Kanzeltausch aus, ließen gern ihre bekehrten Gemeindeglieder von Pfarrern anderer Konfessionen betreuen und errichteten in Nordamerika in einigen Fällen Gebäude, die jeder evangelischen Denomination offen standen. Schon 1747 rief der Erweckungsprediger Jonathan Edwards die Glieder aller Denominationen zu einem „Gebetskonzert" für die Vereinigung des Volkes Gottes auf. Vor allem forderte die Erweckungsbewegung gemeinsames Vorgehen, um die noch nicht missionierten Gebiete der Welt und die dem Evangelium fernstehenden Bereiche des Lebens zu durchdringen. Hier war die Erkenntnis charakteristisch, daß sich die Kirche nicht einfach mit der Gesellschaft deckt, sondern in die durch Verfall bedrohte, aber gleichzeitig mit Hoffnung gesegnete Welt gesandt ist. Solange es der christlichen Propaganda in erster Linie darum ging, Angehörige anderer Konfessionen für die eigenen Uberzeugungen zu gewinnen, war das Hervortreten der Trennung die natürliche Folge. War einmal die Aufmerksamkeit auf die „Unbekehrten" gerichtet, kam der konfessionellen Etikette der Botschafter des Evangeliums nur noch sekundäre Bedeutung zu. Zumindest in den angelsächsischen Ländern begann sich eine enge Verbindung im Zusammenhang mit der Gesellschaft zur Förderung der christlichen Arbeit in Ubersee und bei Feldzügen in der Heimat für geistliche und moralische Erneuerung über die denominationellen Grenzen hinaus zu entwickeln. Die Bewunderung für das evangelikale Anliegen, das überdenominationelle Denken weiterzuverbreiten, muß durch die Erkenntnis ins rechte Licht gerückt werden, daß dieses Interesse auf ein relativ enges theologisches Spektrum beschränkt war. Die Organe, die dies zum Ausdruck

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brachten, wie etwa die 1846 gegründete Evangelische Allianz, unterließen nicht nur jede Anstrengung, römische Katholiken und Anglikaner zu gewinnen, sondern sie versuchten auch aktiv, deren Einfluß entgegenzuwirken. Wäre es dem Pietismus gelungen, die sektiererischen Grenzen zu durchbrechen, hätte er mehr als nur seinen Beitrag zum Parteigeist leisten können. Andererseits kann die Bedeutung der evangelikalen Erweckung für die Geschichte der Kirchenunionen nicht geleugnet werden. Sie war die treibende Kraft für viele frühe Unionen, und es genügt als Beweis für ihre Fähigkeit, ihre eigenen Grenzen zu durchbrechen, sich den unverhältnismäßig großen Anteil zu vergegenwärtigen, den die evangelikalen Denominationen bei den Führungskräften der ökumenischen Bewegung gestellt haben. Von gleicher Bedeutung für die Geschichte der Unionen, wenn auch aus anderen Gründen, war das Wiederaufleben des Interesses an der Ekklesiologie während des 19. und 20. Jahrhunderts. Mit Ausnahme Calvins schenkten die Führer der Reformation der Lehre von der Kirche nur geringfügige Aufmerksamkeit, und ihre katholischen Widersacher zeigten sogar noch weniger Interesse an diesem Thema. Die Evangelikaien neigten zu einem KirchenbegrifF, nach welchem sie die Kirche als Mittel für einen Zweck verstanden, der letztlich außerhalb ihrer selbst lag, und sie betrachteten die Kirchenunionen mehr im Sinne der Versöhnung von Brüdern und der Vereinigung personeller und finanzieller Mittel als im Sinne der Wiederherstellung einer christlichen Gesellschaft. Im 19. Jahrhundert entstanden allerdings einige Bewegungen, die in ihrem KirchenbegrifF stark variierten, aber sich über den übernatürlichen Charakter der Kirche einig waren. Führende Männer der Oxford-Bewegung forderten für die Kirche von England eine Vollmacht, die sich nicht auf ihre Gründung durch den Staat, sondern auf ihre Herkunft von den Aposteln stützen sollte. Thomas Chalmers bestand darauf, daß die Kirche von Schottland allein Christus als ihrem Herrn verantwortlich sein sollte, zog aber seine Forderung zurück, als das Parlament einen anderslautenden Anspruch geltend machte. In der Reformierten Kirche der Vereinigten Staaten versuchte eine Gruppe von Theologen deutscher Abstammung der Mercersburg Schule, die Kirchen zu vereinigen, indem sie sich auf die klassischen Glaubensbekenntnisse und das gemeinsame Gottesdiensterbe konzentrierte. Thomas Campbell rief Christen im Grenzgebiet von Ohio auf, durch die Wiedereinführung der Richtlinien des Neuen Testamentes eins zu werden, obwohl wie in Schottland als einzig greifbares Ergebnis die Gründung einer weiteren Denomination die Folge war. In all diesen Bewegungen spürt man den Hauch einer romantischen Sentimentalität, aber auch die entschiedene Uberzeugung,

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daß die Kirche mehr sein müßte als ein Erzeugnis der sie umgebenden Kultur. Wie die evangelikale Erweckung stellte sich auch die Wiederentdeckung der Ekklesiologie oft eher als beträchtliches Hindernis heraus, anstatt Hilfe auf dem W e g zu einer kirchlichen Union zu sein. Sowohl die Verschiedenartigkeit als auch die Intensität der Auffassungen vom Wesen der Kirche, die sie entstehen ließ, führte in interdenominationellen B e ziehungen zu einigen Schwierigkeiten, von denen man bislang nur wenig gehört hatte. Die zeitlose Gültigkeit bestimmter Kirchenordnungstypen wurde mit ungewöhnlicher Schärfe vertreten, und der ontologisch gefaßte Kirchenbegriff stand im krassen Widerspruch zu der Auffassung, die Kirche trage instrumentalen Charakter, die vorwiegend von den Evangelikaien vertreten wurde. Andererseits verlieh das neuerwachte Interesse vieler Theologen an der Ekklesiologie der Suche nach der Einheit einen neuen Dringlichkeitsgrad. Jetzt wurde die Kirchenspaltung nicht nur als lästig und vielleicht bedauerlich, sondern als im Gegensatz zum Wesen der Kirche stehenden und deshalb sündhaften Zustand gebrandmarkt. Die alte Dichotomie von Einheit und Wahrheit wurde in Frage gestellt, weil nun betont wurde, daß der Imperativ zur Einheit selbst ein wichtiger Bestandteil der christlichen Wahrheit darstelle. Obwohl neue, überdenominationelle Spannungen geschaffen oder alte noch gesteigert wurden, diente jeder Augenblick der neuentfachten ekklesiologischen Diskussion dazu, den Christen das Idealbild der Einheit insGedächtnis zu rufen und sie auf irgendeine Form der Kirchenunion als einer wesentlichen Vorbedingung zur Verwirklichung der Einheit zu drängen. Der Anglikanismus regte in wiederholtem Maße Aufrufe zur Einheit an, die von den Lambethkonferenzen veröffentlicht wurden. Thomas Chalmers, dessen Interesse am Wesen der Kirche weithin für das Auseinanderbrechen der Kirche von Schottland im Jahre 1843 verantwortlich war, leistete auch bei der 1845 erfolgten Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel „Essays Ott Christian Reuttiott" Hilfe. Kirchenunionen des vergangenen Jahrhunderts wurden, obwohl sie weitgehend von praktischen Erwägungen geprägt waren, als Ausdruck der Einheit gerechtfertigt, auf die Gott seine Kirche hinführen will. Im großen Maße leitete sich der Appell an das christliche Gewissen von Bewegungen her, denen es um die übernatürliche Autorität der Kirche ging. Die Verfechter der Bedeutung einer Kirchenordnung leisteten einen gleichermaßen wichtigen Beitrag, indem sie den Kreis der Unionsgespräche erweiterten. Solange die Kirchenordnung vorwiegend Sache der Evangelikaien war, neigte man dazu, sie für eine Konsolidierung der

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protestantischen Kräfte zu halten - oder gar als Allianz gegen Rom und gegen katholisierende Tendenzen in anderen Kirchen. George H. Tavard versichert in seinem Urteil über die Oxford-Bewegung, daß ein so enges Verständnis der christlichen Einheit nie vorherrschend sein könnte2. Aber er bemerkt selbst, daß es andere Einflüsse gab, die dazu beitrugen, die Spannweite des Interesses für die Einheit weltweit auszudehnen: die Suche des dänischen Lutheraners Grundtvig nach einer allumfassenden Theologie, das Beharren des anglikanischen Kirchenführers F. D. Maurice, daß verschiedene Formen des christlichen Zeugnisses ihre Erfüllung im Gespräch mit der Heiligen Katholischen Kirche finden müßten, sogar Kierkegaard's Weigerung, die Christenheit mit irgendeiner der kulturellen oder kirchlichen Formen gleichzusetzen, die ihm ihre Entstehung verdanken. Gleichgültig, welche Grundintention eine Kirchenordnung verfolgte - jede Forderung, die Kirche müsse ihrem Wesen treu bleiben, mußte bei denen, die sich für die Einheit einsetzen, zweierlei erreichen: einmal galt es, Beweggründe wachzurufen, die höher zu bewerten waren als rein organisatorische Motive, zum andern, Mittel und Wege aufzuzeigen, die über neutrale Einigungsformeln hinausführten. Nur schwer einzuschätzen, aber vielleicht schwer zu überschätzen war die Antriebskraft, die den Unionsplänen durch das rasche Dahinschwinden der Grenze erwuchs, die christliche von nichtchristlichen Gebieten in der Welt zu trennen pflegte. Die Grenze war zuerst von Seiten des Christentums durchbrochen worden, nicht zuletzt durch Missionare, die Kirchen in den ehemals sogenannten „heidnischen Ländern" gründeten. Im gleichen Zeitraum, am auffallendsten allerdings in den letzten Jahrzehnten, fand diese nach außen gerichtete Stoßkraft Parallelen in den Herausforderungen, die die säkularen und heidnischen Ideologien im Westen und die dort wachsende Gleichgültigkeit an die Christenheit stellten. Inzwischen machte die Revolution der Kommunikationsmittel jeden Teil der Welt für jtden anderen zugänglich, so daß es nicht mehr länger möglich ist, selbstgenügsam in den alten Gettos zu leben. Negativ ausgedrückt, konnte die ursprüngliche Rolle der Denominationen durch das Ende der christlichen Ära nicht mehr überleben. Solange die Gesellschaft als Ganzes von christlichen Grundsätzen ausgegangen war, konnten die verschiedenen Kirchen als Verkörperung und Schutzwälle bestimmter Bestandteile des christlichen Zeugnisses angesehen werden. Fügte man sie zusammen, ergaben sie tatsächlich die Gesellschaft, so daß in gewisser Hinsicht die Gesellschaft selbst die Ganzheit der Kirche abbilden konnte. Als aber die Kirche die schützenden Fittiche des Christentums verließ und der Pluralismus selbst in die Christenheit eindrang, war den Denominationen die unmögliche Aufgabe auferlegt,

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nicht nur bestimmte Aspekte des christlichen Glaubens und Lebens, sondern auch die ganze Existenz der Kirche darzustellen. In einer Welt, in der alte Grenzen verwischt sind und alles in jedermanns Belieben gestellt ist, haben die Denominationen einen altmodischen, provinziellen Anstrich erhalten. Es fällt nicht leicht, sie ernst zu nehmen, und sie wiederum scheinen sich nur wenig um die heutige Situation der Welt zu kümmern. Positiv gesehen, beschwor die Notwendigkeit, Zeugnis in einer eins gewordenen Welt abzulegen, das Verlangen nach kirchlichen Strukturen herauf, die das ganze Erbe christlichen Glaubens und Lebens überall zum Tragen bringen können - und zwar so, daß deren Zusammengehörigkeit sichtbar wird. Die Christen erstrebten diese sichtbare Zusammengehörigkeit auf mannigfaltige Weise an: mittels Konferenzen und Konsultationen, durch kirchliche Organisationen, die zusammenarbeiteten, und über den Weltrat der Kirchen. Viele sind zu der Ansicht gekommen, daß die Katholizität der Kirche nur mittels irgendeiner Form einer organischen Union überzeugend zum Ausdruck gebracht werden kann, und sie halfen mit, die heute existierenden linierten Kirchen ins Leben zu rufen.

Die Entstehung der unierten Kirchen Der Trend zur Kirchenunion, der zu den in diesem Buch beschriebenen Kirchen führte, wurde nach Auffassung John T. McNeills gegen Ende der Napoleonischen Kriege feststellbar.?. Damals fielen eine ganze Reihe von Umständen zusammen, die den bisherigen Zersplitterungsprozeß in der Kirche zu wenden vermochten. A m schärfsten ausgeprägt erfolgte der Wandel in den angelsächsischen Ländern, wo auch der Zersplitterungsprozeß am weitesten fortgeschritten war. Im 16. und 17. Jahrhundert hatten unterschiedliche Auffassungen in Fragen der kirchlichen Verfassung und der Kirchenzucht als dauerhaftes Vermächtnis getrennte Denominationen der Anglikaner, Presbyterianer, Kongregationalisten, Baptisten und Quäker hinterlassen, die durch Einwanderer alle nach Nordamerika gebracht wurden. Obwohl die evangelikalen Erweckungen des 18. Jahrhunderts im allgemeinen keine kirchentrennende Wirkung ausübten, schürten sie doch ein Unbehagen an den bestehenden Institutionen, das nicht nur zur Lossagung der Methodisten von der Kirche voh England, sondern auch zu einer ganzen Reihe von Spaltungen unter den Presbyterianern, Baptisten und sogar den Methodisten selbst führte. An der Wende zum 19. Jahrhundert aber verlagerte sich

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das evangelikale Interesse auf die überseeische Missionsarbeit. Als Folge kam damit dem gemeinsamen Zeugnis der Christen in einer überwiegend heidnischen Welt besonderes Gewicht zu; außerdem machte in der Anfangszeit die Unterstützung der ausländischen Missionare eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten erforderlich. Die romantische Bewegung - und in gewisser Hinsicht kann die Mission als eine Ausdrucksform der Romantik gelten - verhalf zu einer Horizonterweiterung, die sich nicht leicht mit dem sektiererischen Geist vertrug. Auch die industrielle Revolution stärkte den Wunsch nach einer engeren Verbindung, weil sie die wirtschaftlich nicht vertretbare Größe vieler kirchlicher Organisationen bloßlegte. Zunächst äußerte sich das Drängen nach Union am häufigsten in Vereinigungen innerhalb der eigenen Konfessionsfamilien. Vor allem die Presbyterianer und die Methodisten waren in viele getrennte Kirchen gespalten, von denen die meisten ihre Existenz der Kritik verdanken, die bestehenden Kirchen seien nicht demokratisch genug und in ihren evangelistischen Methoden zu unbeweglich. Die älteste Kirchenunion entstand im Bereich dieser Konfessionen. Später begann der gleiche Konsolidierungsprozeß unter den Lutheranern in den Vereinigten Staaten, deren Spaltungen entlang den dogmatischen, und, was noch schwerwiegender war, den ethnischen Grenzen verliefen - davon sind allerdings nur wenige protestantische Konfessionen in den angelsächsischen Ländern verschont geblieben. Viele Zusammenschlüsse dieser Art erfolgten im 19. Jahrhundert, noch viel mehr aber im 20. Jahrhundert, und viele weitere stehen noch in Aussicht. Die meisten innerkonfessionellen Unionen spiegeln wie fast alle der von ihnen überwundenen Kirchenspaltungen den Einfluß der evangelikalen Erweckung wider. Sie wurden einerseits durch das Bewußtsein der geistlichen, die kirchlichen Grenzen überbrückenden Verwandtschaft, andererseits durch die Erfordernis einer gemeinsamen Missionsarbeit in der Heimat und in Übersee ausgelöst. Die Kirchenunionen zielten darauf ab, geistliche und moralische Wandlungen der Gesellschaft voranzutreiben, und sie bildeten sich am leichtesten in neubesiedelten Gebieten wie Kanada, wo es dringlicher schien, christliche Institutionen zu gründen und christliche Werte einzupflanzen, als sektiererische Besonderheiten aufrechtzuerhalten. In den meisten Fällen war es kaum erforderlich, sich mit schwerwiegenden Fragen des Glaubens und der Kirchenverfassung auseinanderzusetzen, denn nur selten waren die Ursachen der Kirchenspaltungen theologischer Natur. Unionen innerhalb der Konfessionsfamilien brachten nicht direkt die Kirchen hervor, dje in diesem Band geschildert werden, aber sie waren

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notwendige Vorstufen für deren Gründung. Sie machten viele Christen mit dem Gedanken einer Union vertraut, bewiesen ihre Brauchbarkeit unter gewissen Umständen und konnten Erfahrungen in der Kunst, zusammenzuwachsen, weitervermitteln. Bemerkenswerterweise wurden die innerkonfessionellen Unionen von ihren Befürwortern fast immer als Vorstufen für die Kirchenvereinigung betrachtet, die einmal über die traditionellen und konfessionellen Grenzen hinausgehen sollte. In Kanada, w o Ressentiments gegen das Papsttum tief verwurzelt waren, verlauteten sogar Pläne, nach denen auch der römische Katholizismus seinen Platz in einer unierten Kirche finden könnte. Einer der größten konfessionellen Gräben wurde aber nicht im nordamerikanischen Siedlergebiet, sondern in Deutschland zugeschüttet. 1817 verlieh König Friedrich Wilhelm III. von Preußen dem 300. Jahrestag der Reformation einen besonderen Akzent, indem er seine lutherischen und reformierten Untertanen in eine einzige kirchliche Organisation zusammenfaßte. Obwohl die Situation der Landeskirchen in Deutschland mit den auf Freiwilligkeit beruhenden Kirchen der angelsächsischen Länder kaum vergleichbar sein mag, hatten doch einige der gleichen Faktoren dazu beigetragen, die Stimmung für eiiie Kirchenunion vorzubereiten. Die deutschen Pietisten verband wie die englischen Evangelikaien vielfach über die herkömmlichen Konfessionsgrenzen hinweg eine geistliche Verwandtschaft, und in den Missionsgesellschaften kümmerten sie sich gewöhnlich nicht um die konfessionellen Unterschiede. Die Romantik weckte die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, in der die Christen noch einer einzigen Kirche angehört hatten. Neueres theologisches Denken ließ die bestehenden denominationellen Grenzen anachronistisch erscheinen. Folgerichtig war Friedrich Schleiermacher, der in sich selbst pietistische und romantische Züge vereinigte und als führender theologischer Neuerer dieser Zeit gilt, ein begeisterter Verfechter der christlichen Union. Unglückseligerweise entfremdete die preußische Union, die durch einen königlichen Erlaß als Verwaltungsakt aufgezwungen worden war, ohne daß vorher ernsthafte theologische Gespräche geführt oder Vorkehrungen für ein wirkliches Zusammenleben getroffen worden wären, einige der idealistischen Verteidiger der Union und führte viele dazu, die Bindung an die eigene Konfession mit konfessionellem Ausschließlichkeitsverhalten gleichzusetzen. Aber die preußische Union war mehr als der launische Einfall eines einzelnen Herrschers, denn ähnliche Unionen entstanden etwa gleichzeitig in anderen deutschen Ländern und später, 1891, in Österreich. Z u Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte der die Kirchenunionen auslösende Impuls auch asiatische, aus der protestantischen MissionsarbeL

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hervorgegangene Kirchen. Als Pionier unter den überkonfessionellen Unionen kann die South India United Church gelten, die 1908 von einigen Presbyterianern und kongregationalistischen Gruppen gegründet worden war, aber aufgrund der Beteiligung der Basler Mission auch einige einzelne Lutheraner umfaßte. Die 1924 gegründete United Church of Northern India war ebenso hauptsächlich ein Unterfangen der Presbyterianer und der Kongregationalisten. Die Church of Christ in China, die 1927 entstand - viele Jahre, nachdem sie zum erstenmal geplant worden war - , setzte sich aus diesen beiden Konfessionen und aus Methodisten, Baptisten und einer großen Missionsgesellschaft zusammen. Letztere war von kanadischen Methodisten gegründet worden, die sich seit 1925 der United Church of Christ of Canada angeschlossen hatten. Die 1934 ins Leben gerufene Church of Christ in Thailand war insofern einmalig, als sie nur aus Presbyterianern und Baptisten bestand. 1936 hatte sich der Trend zur Unionsgründung durch die Konstituierung der Union Church of the Copperbelt in Nordrhodesien (dem heutigen Sambia) auch auf Afrika ausgedehnt. Zwar folgte diese Union dem nun schon vertrauten Muster: sie umfaßte nur Presbyterianer und Kongregationalisten, sie profilierte sich aber in neuartiger Weise durch die Tatsache, daß sie auf der durch Afrikaner begonnenen Zusammenarbeit basierte. 1945 vereinigte sich diese Kirche mit weiteren presbyterianischen und kongregationalistischen Kirchen europäischer und afrikanischer Herkunft, um die Church of Central Africa in Rhodesien zu konstituieren. Diese Unionen unter den sogenannten jungen Kirchen waren im wesentlichen Früchte der gleichen Konsolidierun gsbewegung, die schon in England und Nordamerika zutage getreten war. Sie entstand vorwiegend, aber doch nicht ausschließlich, unter den Kirchen, die aus der Arbeit angelsächsischer Missionare hervorgegangen waren. Es waren nur Kirchen von Konfessionsfamilien betroffen, denen der Gedanke der Kirchenunion schon vertraut war. Ihre Motivation war ähnlich, und in einer Reihe von Fällen gab die von den Missionaren ausgehende Initiative den Ausschlag. In Ländern, in denen andere Religionen vorherrschten, vollzogen sich die Unionen leicht: dort fiel das Ärgernis der getrennten Bemühungen und der miteinander in Konflikt stehenden konfessionellen Bindungen stärker ins Gewicht, dort hatte sich die Bindung der Kirchenglieder an ihre konfessionellen Eigenarten gelockert, und die Gewohnheit an die Zusammenarbeit war tiefer verwurzelt. Andererseits waren der Wirksamkeit dieser Unionen durch die fortwährende Konzentration der entscheidenden Kräfte in den Händen westlicher Missionsgesellschaften Grenzen gesetzt. Einige von ihnen müssen eher den Kirchenbünden als den eigentlichen Unionen zugerechnet werden, und in den meisten Fällen

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fiel die Zersplitterung der Missionsarbeit mehr ins Auge als die Gemeinsamkeit des Kirchenlebens. Inzwischen machte die Unionsbewegung in Nordamerika Fortschritte, wenn auch aufgrund der überkommenen konfessionellen Bindungen ziemlich langsam. Im 19. Jahrhundert wurden eine Zahl hochtrabender Pläne für interdenominationelle Unionen vorgelegt, und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hatte sich die Meinung weithin durchgesetzt, es müsse wenigstens eine protestantische unierte Kirche angestrebt werden. Der erste Zusammenschluß über größere denominationeile Grenzen hinweg fand 1925 statt. Diese Union führte kanadische Presbyterianer, Methodisten und Kongregationalisten in der United Church of Cañada zusammen, obwohl eine große presbyterianische Minderheit der Union fernblieb. Interessanterweise verfügte diese wegbereitende Union über ein breiteres denominationelles Spektrum als alle anderen bis jetzt in der westlichen Hemisphäre zustande gekommenen Unionen. Es folgten einige bedeutende Kirchenunionen in den Vereinigten Staaten. 1931 gingen die Kongregationalisten in einer Gruppe auf, die eine ähnliche Struktur hatte; sie waren einfach als Christen bekannt, die die Congregational Christian Churches gründen wollten. 1934 schlössen sich die Evangelical Synod of North America und die Reformed Church in den Vereinigten Staaten zur Evangelical and Reformed Church zusammen. Beide waren deutschen Ursprungs, und die erstgenannte war das amerikanische Gegenstück zur Preußischen Union. Eine weitere Union relativ ähnlicher Gruppen führte die Evangelical Church und die Church of the United Brethren in Christ zusammen, die gemeinsam die Evangelical United Brethren Church bildeten. Einmal mehr vereinigten beide Kirchen ursprünglich deutsche Elementfe in sich, aber sie waren als eigentliche Produkte der Erweckungsbewegung in den Siedlergebieten nicht unerheblich vom Methodismus geprägt. Bei diesen Unionen tauchen immer wieder Namen von Denominationen auf, denen der Unionsgedanke als Folge der Konsolidierung innerhalb der eigenen Konfession schon vertraut war. Und tatsächlich waren die meisten Kirchen, die eine Union eingingen, Ergebnisse derartiger Zusammenschlüsse. Die Argumente, mit denen man die Union zu rechtfertigen suchte, waren weithin dieselben, die man als Druckmittel für innerkonfessionelle Unionen benutzt hatte - das Verlangen nach Bruderschaft und die Voraussetzungen für eine wirksame Missionsarbeit. Zu den Faktoren, die zur erfolgreichen Entstehung der Unionen beitrugen, zählten das Abflauen aller theologischen Kontroversen und die Forderung der Social-Gospel-Bewegung, christliche Maßstäbe an das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben anzulegen. Eine Angelegenheit, der häufiger

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als in der Anfangszeit der Unionen Nachdruck verliehen wurde, war das Versprechen, sich gegenseitig durch die in den sich vereinigenden Kirchen enthaltenen Verschiedenartigkeiten zu bereichern. Die anglikanische Beteiligung an den Unionsgesprächen - wenn auch noch nicht an eigentlichen Unionen - kann z. T. für diese Akzentsetzung verantwortlich gemacht werden. Die meisten der bisher geschilderten Unionen waren organische Gebilde, in denen die Verwaltung und die Eigenständigkeit der ehemaligen Kirchen völlig aufgingen, die aber typischerweise auch dem Weiterbestehen lokal geprägter Gottesdienstformen und Gemeindeordnungen Raum boten. Freilich redeten viele Christen einer Kirchenföderation das Wort, die sie überkonfessionell gesehen für leichter durchführbar und sogar für ein zufriedenstellenderes Unionsmodell hielten. Sogar schon im Jahre 1838 schlug ein amerikanischer lutherischer Gelehrter, S. S. Schmucker, die Verbindung der vorhandenen Denominationen unter dem Namen „Apostolic Protestant Church" vor. Eine Reihe ähnlicher Pläne gipfelte 1908 in der Organisation der Federal Council of the Churches of Christ in America. Der Begriff „federation" wurde auf derart verschiedenartige Vorhaben angewandt, daß es schwer fällt, seine Bedeutung einigermaßen präzise zu fassen. Manchmal betraf er nicht mehr als eine Ubereinkunft für enge Zusammenarbeit, manchmal bedeutete er völlige Auflösung getrennter Denominationen, allerdings mit der Klausel, daß Maßnahmen für die Erhaltung einer gewissen Freiheit auf Ortsebene getroffen wurden. Manchmal drängte man auf eine Förderation als Vorstufe für eine organische Kirchenunion, manchmal als wünschenswerte Form der Union selbst. In den meisten Föderationen gaben die sie konstituierenden Kirchen nur wenig oder gar nichts von ihrer jeweiligen Autonomie preis. Im Gegensatz dazu vertritt der Schweizerische Reformierte Kirchenbund alle seine Mitgliedskirchen in allen nach außen gerichteten Beziehungen einschließlich der Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen. Obwohl die Föderationen bis jetzt die Hoffnungen ihrer Verfechter noch nicht zu erfüllen vermochten, haben sie ein interessantes Kapitel zur Geschichte der Kirchenunion beigesteuert und sind in vielen Unionsplänen immer noch vorzufinden. Nicht alle Unionen ergaben sich aus einem spontanen Enthusiasmus in den Kirchen. 1933 ordnete Adolf Hitler mit Billigung einiger Kirchenführer die Einverleibung der elf protestantischen Kirchen in die Deutsche Evangelische Kirche an. Die Synode der Bekennenden Kirche, die 1934 in Barmen tagte, wies die 1933 gestellten Bedingungen entschieden zurück, obwohl sie sich dem Ideal einer organischen Kirchen-Union verpflichtet wußte. In Japan überredete eine weitere diktatorische Regierung

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bei ihrem Versuch, die Zahl der auf Freiwilligkeit beruhenden Vereinigungen einzuschränken, mit denen sie zu verhandeln hatte, die meisten protestantischen Denominationen dazu, 1941 Teil einer einzigen Kirchenorganisation zu werden, die unter dem Namen Kyodan oder Church of Christ in Japan bekannt geworden ist. Ebenso wurde die Gründung der Evangelical Church of the Philippines, die sich während der japanischen Besetzung der Insel vollzog, von einigen Leuten als Versuch gedeutet, Beziehungen mit der Besatzungsmacht zu ermöglichen. Die Einmischung der Regierung oder auch eine entsprechende Verdächtigung schadeten dem Ansehen der Unionsbewegung unter den konfessionell gesonnenen Christen, und bei Kriegsende zerfielen die meisten dieser Absprachen. Andererseits zwang das mühevolle Unterfangen, Christen voneinander zu trennen, die 'zusammenzuleben gelernt hatten, die davon betroffenen Kirchen bald dazu, neue Grundlagen für Unionen zu formulieren. Der Kyodan überlebte, obwohl sich einige Denominationen wieder von ihm zurückgezogen hatten. Die Evangelical Church of the Philippines spaltete sich nach dem Krieg in zwei Teile. 1948 entstand eine umfassendere United Church of Christ in the Philippines. Gleichzeitig wurde die Evangelische Kirche in Deutschland auf einer'förderativen Basis neu konstituiert.

Das Ökumenische Zeitalter Die neuere ökumenische Bewegung, als deren Beginn gewöhnlich die im Jahre 1910 nach Edinburgh einberufene Weltmissionskonferenz angesehen wird, trug nicht direkt zur Entstehung der Unionskirchen bei. Sie mahnte die Kirchen an ihre gemeinsame Verantwortung für die eine Aufgabe der Christen in der ganzen Welt. Sie machte ihnen Mut, in praktischen Fragen zusammenzuarbeiten und eine Beseitigung theologischer Mißverständnisse anzustreben. Aber einer bestimmten Ausdrucksform der Einheit als höchstem Ideal der Kirche war sie nicht verpflichtet, und viele ihrer Mitglieder lehnen es ab, die organische Union auch nur als zukünftiges Ziel gelten zu lassen. Obwohl sich die ökumenische Bewegung also nicht speziell für die Kirchenunionen einsetzte, wirkte sie sich doch nachhaltig auf das Streben nach christlicher Einheit aus. Sie regte dazu an, diese Frage stärker ins Bewußtsein zu rücken und schärfte den Appell an das Gewissen der Christen. Sie vergrößerte auch in bemerkenswerter Weise ihre konfessionelle Bandbreite, indem sie es fertig brachte, daß alle Konfessionen potentiell auf unierte Kirchen hinarbeiten konnten. Die ökumenische Be-

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wegung vermochte ohne Aufsehen die Begründung für eine Kirchenunion zu ändern, weil sie mehr Wert auf die Bedeutung einer gemeinsamen Identität der Christen legte und - zum Unbehagen einiger - dementsprechend weniger auf die wirksamere Verfolgung gemeinsamer Ziele. Durch die Faith and Order-Bewegung, die aus den direkt nach demErsten Weltkrieg stattgefundenen Gesprächen erwuchs und offiziell auf der Lausanner Weltkirchenkonferenz 1927 gegründet wurde, förderte sie ein verstärktes Interesse an den theologischen Fragen, die der kirchlichen Uneinigkeit zugrunde liegen. Deshalb hat sie das Streben nach Kirchenunionen erschwert, aber als Ausgleich dafür eröffnete sie Möglichkeiten, die bisher kaum ins Blickfeld geraten waren. Viele der unierten Kirchen der Gegenwart entstanden, bevor sich der zeitgenössische Stil des ökumenischen Dialogs ausgebildet hatte. Einige wurden noch vor dem Jahre 1910 geplant und sogar gegründet, und die meisten der bisher erwähnten Unionskirchen verdanken dem Einfluß der Faith and Order-Bewegung wenig. Zur Zeit der Faith and Order-Konferenz in Edinburgh 1937 aber waren sich die Unionsplaner des neu eingeschlagenen Wegs sehr wohl bewußt. Eine Kirchenunion, die 1938 evangelikale und liberale Flügel der Französischen Reformierten Kirche und Methodisten vereinigte, war vielleicht die erste, die sich bewußt von der ökumenischen Bewegung hatte anregen lassen. Hätte ihre überwiegend reformierte Tradition ihre Behandlung nicht an einem anderen Ort in diesem Reihenwerk gesichert, so wäre der Reformierten Kirche von Frankreich in dem vorliegenden Band ein gewichtiger Platz zugekommen. Die Kirche von Südindien, die sich im Jahre 1947 durch den Zusammenschluß der Anglikaner, Methodisten und der South India United Church konstituierte, war schon 1921 in Aussicht genommen worden, gelangte aber erst im Zeitalter des ökumenischen Dialogs zum ersehnten Erfolg. Neuere Kirchenunionen spiegelten alle den neuen ökumenischen Stil wider. Noch auffallender trifft das für die meisten weiteren Unionsvorhaben zu, die in Kapitel 17 besprochen werden. Die Unionsbewegung schien mit der Gründung der Kirche von SüdIndien im Jahre 1947 und der United Church of Christ in the Philippines 1948 einen Höhepunkt erreicht zu haben. Danach vollzog sich der Fortschritt langsamer, und aus der Unmenge von Gesprächen gingen in den 50er Jahren als einzige unierte Kirchen die United Church of Christ in den Vereinigten Staaten und die United Church of Central Africa in Rhodesien hervor. Gegen Ende der 6oer Jahre wurde freilich das Tempo der Unionsbewegung durch die Gründung neuer unierter Kirchen in Lateinamerika, der Karibischen See, in Afrika und der Südsee beschleunigt. 1970 durchbrach die Konstituierung der Kirche von Nordindien

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und Pakistan nach vielen Jahren geduldiger und oft entmutigender Gespräche die Schranke zwischen bischöflichen und bischofslosen Kirchen, die nur noch stärker geworden zu sein schien, seit sie von der Kirche von Südindien 1947 zum erstenmal überwunden worden war. Für viele nahm die Geschichte der Kirchenunionen der neueren Zeit einen enttäuschenden Verlauf. Die Geschichtsblätter sind von den kümmerlichen Resten ehrgeiziger Projekte übersät - über viele von ihnen wurde von vielen fähigen Köpfen viele Jahre lang nachgedacht, und einige der zur Zeit laufenden Pläne verharrten jahrzehntelang vor der Schwelle zur Verwirklichung. Trotz vieler Unionsgespräche beherrschen immer noch die Denominationen den-christlichen Schauplatz - und fortwährend erblicken neue das Licht der Welt. Und doch bilden, wie die Leser dieses Bandes feststellen werden, die unierten Kirchen einen wichtigen und ständig größer werdenden Teil der Gemeinschaft der Christen. In einigen Teilen der Welt, vor allem in Asien, entwickelten sie sich zur typischen Ausdrucksform der nichtkatholischen Christenheit. Einige unierte Kirchen haben das Experimentierstadium längst hinter sich gelassen, und alle konnten wertvolle Erfahrungen im gemeinsamen Leben, gemeinsamen Wachsen und gemeinsamen Zeugendienst sammeln.

ANMERKUNGEN 1

John Knox: The Early Church and the Coming Great Church, New York, Abingdon 1955. * Two Centuries of Ecumenism, London, Burns and Oates i960, S. 4.1. 3 Unitive Protestantism, neubearbeitete Auflage, Richmond, Virginia, John Knox Press 1964, S. 303.

Kapitel 2 DIE E V A N G E L I S C H E KIRCHE DER

UNION

Franz-Reinhold Hiidebrandt

J

ede konkrete Kirche ist ein Entwurf Gottes, des Schöpfer-Geistes, zur Verwirklichung seines Liebeswillens in Jesus Christus mit der Menschheit. Daß jede Kirche weit hinter den Absichten Gottes zurückbleibt, ist unsere menschliche Schuld. Es ist die Schuld unseres Unglaubens und Ungehorsams, unserer Blindheit für das von Gott eigentlich Gemeinte. Wenn Gottes Geduld und Liebe uns Abwegige dennoch immer wieder ermächtigt, Kirche zu sein, so dürfen wir darin ein Zeichen von Gottes durchhaltender Treue zu uns erblicken. Die Kirche ist in ihrer Existenz selbst eine Manifestation des unauflöslichen Ineinanders von Gericht und Gnade, jener - wie man gesagt hat - unbegreiflichen „Inkonsequenz Gottes" in seiner Menschenliebe. Als kontinuierliche Schöpfung aus dem Wort (ecclesia creatura verbi continua ex nihilo) lebt die Kirche aus dem beständigen Hören auf die Anrede Gottes, wie sie in seinem Worte geschieht. Im Aufdecken des Versagens der Kirche und im ständig neu Beauftragtsein der Kirche durch das Wort will auch die Darstellung der Evangelischen Kirche der Union gelesen werden.

I. Z U R G E S C H I C H T E DER E V A N G E L I S C H E N KIRCHE DER U N I O N Der Unionsaufruf des Preußischen Königs Friedrich Wilhelms III. vom 27. September 1817, durch den unsere Kirche konstituiert worden ist, hat eine lange und komplizierte Vorgeschichte. Diese Entwicklung zu kennen, dient dem Verständnis des Wesens der Evangelischen Kirche der Union. Darum steht am Anfang dieser Darstellung ein Abriß der Geschichte unserer Kirche, der freilich keine Vollständigkeit beanspruchen kann. Die Einheit der Kirche hat vielfältige Ursachen und Antriebe. Es gibt biblische und theologische Gründe, die die Union der Kirche vorwärtstreiben. Die Einheit der Kirche ist eine bedrängende Frage an den Glau-

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bensgehorsam der Christenheit (Joh. 10,16; 17,21; Eph. 2,14 ff.; 4,3 ff., Apg. 10,34 ff-; 17.24 ff.). Es hat aber auch weltliche, politische, nationale, philosophische, ökonomische Argumente gegeben, die die Einheit der Kirche gefordert und gefördert haben. Meist ist es ein unentwirrbares Knäuel von theologischen und nichttheologischen Ursachen, die zur Kirchen-Union führten. So ist es auch bei unserer Kirche gewesen.

Die Reformation im Kurfürstentum Brandenburg und im Herzogtum Preußen Die Kurfürsten von Brandenburg haben innerhalb des römisch-katholischen Einheitsgedankens im Mittelalter den Versuch unternommen, die Kirche dem landesherrlichen Regiment unterzuordnen. Sie unterschieden sich darin nicht von den Territorialherren ihrer Zeit. Dabei mußte sowohl die Idee der Einheit der Kirche wie übrigens auch die Idee der Einheit des Reiches überspielt werden. In der Berufung der Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus hatte schon Kurfürst Friedrich II. (1440-1470) weitgehende territoriale Zugeständnisse vom Papst erreicht. Von daher wird es begreiflich, daß die Reformation als eine schwere Gefährdung der erlangten territorialen Kircheneinheit angesehen wurde. Der Kurfürst der Reformationszeit war Joachim I. (1499-1535). Als der jugendliche Fürst, reich begabt und den aufstrebenden humanistischen Studien seiner Zeit zugewandt, die Regierung übernahm, geriet er bald unter Einflüsse, die ihn der Reformation verschlossen. Er trat für das Edikt von Worms von 1521 ein, das über Luther und seine Anhänger die Reichsacht verhängte und die Verbrennung seiner Schriften anordnete. Auch auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) trat er als einer der eifrigsten Gegner der Reformation auf, der wiederholt die gewaltsame Unterwerfung der Evangelischen forderte. 1533 schloß er auf der Moritzburg in Halle mit einigen katholischen Fürsten ein Bündnis ab, das sich gegen die „Zwiespältigkeit unseres christlichen Glaubens" richtete. In seinem Testament verpflichtete er seine"Söhne Joachim und Johann „mit ihren Landen und Leuten zu jeglicher Zeit bei dem alten christlichen Glauben, R e ligion, Zeremonien und Gehorsam der christlichen Kirche unverrückt und unverändert zu bleiben". Wie sehr dabei auch persönliche und d y nastische Beweggründe mitspielen mochten, im Grunde bewegte den Kurfürsten die Gefahr der zerfallenden Einheit der Kirche, des Reiches, und der öffentlichen Ordnung. Aber auf dem Wege der Gewalt und des. Festhaltens am Hergebrachten war diese Einheit nicht mehr zu erhalten. Die Reformation drang auch in Brandenburg unaufhaltsam in Flugschriften und Liedern, durch Studenten und Mönche, die ihre Klöster

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verließen, durch reisende Kaufleute und wandernde Handwerksgesellen, ein. D e r Konflikt reichte bis in die Ehe des Kurfürsten hinein. Seine Frau, Elisabeth v o n Dänemark, hatte durch den A r z t Ratzeburger, einen Freund Luthers, damals Stadtphysikus in Brandenburg, die Reformation kennengelernt und empfing Ostern 1527 durch einen lutherischen Pfarrer' das Abendmahl in beiderlei Gestalt. D e r Sohn und Nachfolger Joachim II. (1535-1571) sah sich bei Antritt seiner Herrschaft keiner leichten Situation gegenüber. Persönlich w a r er der Reformation zugeneigt. E r hat später feierlich versichert, daß er schon 1519 in einer persönlichen B e g e g n u n g mit Luther in Wittenberg v o n diesem die Rechtfertigung aus dem Glauben gelernt habe. A b e r er hatte sich eidlich auf das Hallesche Bündnis und auf das väterliche T e stament verpflichtet. D a r u m fand er sich dem drängenden W e r b e n der beiden großen gegnerischen Kirchenparteien ausgesetzt. So schien es das beste, eine klare Entscheidung zu vermeiden und den Vergleich zu suchen. In solcher „ K o n k o r d i e " führte er die Kirchenordnung v o n 1539 für sein Land ein. Es ist die katholisierendste Kirchenordnung der Reformation. D i e Rechtfertigungslehre ist zwar eindeutig bekannt und die Priesterehe den Pfarrern und der Kelch beim Abendmahl den Gemeindegliedern zugestanden, aber eine Reihe v o n katholischen Zeremonien beibehalten. So w a r er denn der rechte M a n n für das Augsburger Interim v o n 1548. E r hoffte, daß eine „christliche" Reformation wieder eine einheitliche K i r che in Deutschland herbeiführen könnte, für die sein Beispiel in Brandenburg das Modell abgeben könnte. D i e Anbahnung der„christlichen V e r gleichung" in einer „Zwischenreligion" scheiterte jedoch. D i e reformatorische B e w e g u n g in Brandenburg war nicht mehr einzudämmen. Immer mehr lutherische Pfarrer kamen in das Land. D i e Laien schlössen sich mehr und mehr der Reformation an. Bald ging die Gefährdung der Einheit der Kirche nicht mehr so sehr v o n dem Gegensatz zwischen E v a n gelisch und Katholisch aus, sondern brach innerhalb der lutherischen K i r che aus. D i e Anhänger Melanchthons (die „Philippisten", „ K r y p t o - C a l vinisten") und die orthodoxen Lutheraner („Gnesio-Lutheraner") lagen i m erbitterten Streit. D e r Kurfürst ergriff schließlich die Partei der orthodoxen Lutheraner. Seine Nachfolger gingen diesen W e g weiter. A m 22. Juli 1577 w u r d e die Konkordienformel unterzeichnet und 1593 eine abermalige Unterzeichnung für die Pfarrer und Lehrer angeordnet. D e r Kurfürst Joachim Friedrich (1598-1608) versprach bei seinem Regierungsantritt, daß er seine Untertanen v o r „Papisten, Calvinisten und anderen Irrlehrern" z u schützen gedächte. Es schien, als sei die Einheit der Kirche auf streng lutherischer Basis gesichert. Ein Blick sei noch auf die Entwicklung in dem ehemaligen Ordensland

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Preußen geworfen, das auf Luthers Rat unter dem letzten Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach zu einem weltlichen Herzogtum geworden war. Hier wurde die Reformation rasch und allseitig durchgeführt. Der von Luther entsandte Franziskaner Johannes Briesmann hielt am 27. September 1523 noch in Mönchstracht die erste evangelische Predigt im Königsberger Dom. Die Bischöfe Georg von Polentz und Erhard von Queiß nahmen das Reformationswerk freudig auf und gaben ihm einen geordneten Fortgang. Durch einen Landtag in Königsberg wurde am 10. Dezember 1525 die preußische Kirchenordnung mit 80 Artikeln verabschiedet. Als Lehmorm wurde die Augsburgische Konfession verpflichtend gemacht, die Herzog Albrecht 1530 unterschrieben hatte. Unter seinem Nachfolger, dem Markgrafen Georg Friedrich, wurde 1579 die Konkordienformel ohne große Schwierigkeiten angenommen. Alle abweichenden Lehrmeinungen wurden unnachsichtig unterdrückt. Die kleinen täuferischen Gruppen mußten das Land verlassen. Selbst die Böhmischen Brüder wurden auf das Bekenntnisbuch verpflichtet, widrigenfalls sie abwandern sollten. So war eine geschlossene lutherisch-orthodoxe Landeskirche im Nordosten Europas entstanden, inmitten einer römisch-katholischen Umwelt (Polen, Ermland), die eine Gegenreformation eifrig betrieb (Bischof Stanislaus Hosius, Jesuitenkolleg in Braunsberg). Provisorisch 1611 und endgültig 1621 kam in Erbfolge des Brandenburgischen Hauses das Herzogtum Preußen zum Kurfürstentum Brandenburg hinzu.

Der Übertritt des Kurfürsten Johann Sigismund zum Calvinismus (1613) Die so fest gefügt? Einheit der lutherischen Kirche in Brandenburg und Preußen wurde bedroht, als der Kurfürst Johann Sigismund zum Calvinismus übertrat. Es kann nicht bezweifelt werden, daß sein Konfessionswechsel auf persönlicher Überzeugung beruhte und erst das öffentliche Bekenntnis dazu von politischen Erwägungen bestimmt war, als die teils calvinistischen, teils katholischen Grafschaften Kleve und Mark an Brandenburg fielen (1614). Der junge Kurprinz, streng lutherisch erzogen und von seinem Großvater Johann Georg durch feierliches Gelöbnis an die Konkordienformel gebunden, hatte auf der Universität Straßburg und seit 1605 in Heidelberg den Calvinismus freundlicher zu beurteilen gelernt. Die Bekanntschaft mit dem Pfalzgrafen Friedrich II. und dessen Frau, einer Tochter Wilhelms von Oranien, zog ihn mehr und mehr ins reformierte Lager. Vor allem aber die Lektüre von Hospinians Concordia discors (1607) mit ihrer scharfen Kritik an der Konkordienformel

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machte ihn fortan zu einem entschiedenen Gegner dieses Bekenntnisbuches, vor allem der Ubiquitätslehre. Politisch gesehen hat der Bekenntniswechsel seine Regierung außerordentlich erschwert, besonders im Blick auf das streng lutherische Herzogtum Preußen. Der Kurfürst ließ sich aber nicht beirren, eben weil sein reformierter Glaube in einer echten Überzeugung begründet war. Für ihn war das „reformierte" Christentum die reinere Form des Christentums, das Luthertum hatte ihm noch zu viele katholische Restbestände. (Dazu gehören u.a. die Communicatio idiomatum und der Exorzismus bei der Taufe.) In Bezug auf das Abendmahl bekennt er in seinem persönlichen Glaubensbekenntnis, der Confessio Sigismund, die Koinzidenz des Genusses von Brot und Wein und des durch den Glauben vermittelten Empfanges von Leib und Blut Christi und nennt die Lehre von der Gnadenwahl einen der allertröstlichsten Artikel. „Gott hat aus purlauterer Gnade und Barmherzigkeit ohne alles Verdient, ehe der Welt Grund gelegt war, zum ewigen Leben verordnet und auserwählt alle, so an Christum beständig glauben." Schließlich erklärt der Kurfürst, daß er zwar dieser Lehre als der schriftgemäßen in seinem Herzen genugsam versichert sei, er auch nichts Liebers wünsche, als daß Gott seine Untertanen mit dem Licht der unfehlbaren Wahrheit erleuchten wolle, er aber niemand öffentlich oder heimlich wider seinen Willen zu diesem Bekenntnis zwingen werde. Diese Toleranz war im Zeitalter des Grundsatzes cuius regio eius religio bemerkenswert. Trotz dieser erklärten Absicht versuchte der Kurfürst aber doch durch allerlei Maßnahmen allmählich jenen, überwiegenden, Teil der Evangelischen seines Landes, der nach seiner Meinung in halben reformatorischen Vorstellungen befangen war, zur vollen Tiefe evangelischen Christentinns in der reformierten Kirche hinzuführen. So wurde durch kurfürstlichen Erlaß 1614 die Konkordienformel aufgehoben. Das Einheitsbekenntnis sollte die veränderte Augsburgische Konfession sein. Die leitenden Staats-Ämter wurden vorwiegend mit Reformierten besetzt. An die Landesuniversität Frankfurt a.d.O. wurden Professoren reformierten Bekenntnisses berufen. Die Ordination sollte nur solchen Personen erteilt werden, welche „unser christliches Glaubensbekenntnis, reformierten Katechismus und Kirchenordnung beloben und danach ihre Predigten zu dirigieren angeloben". Auf die Dauer waren die Praktiken der calvinistischen Räte mit den Deklarationen des Kurfürsten über die persönliche Freiheit des Bekenntnisses nicht in Einklang zu bringen. So erhob sich denn auch alsbald ein gewaltiger Sturm. Allein in den Jahren 1613-1619 können 231 Streitschriften gezählt werden an denen sich auch die Häupter des Luthertums

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außerhalb des Landes kräftig beteiligten. An Grobheit der Sprache und an Verlästerung des Gegners ließ diese Literatur nichts zu wünschen übrig. Der Streit wurde bald Sache der gesamten Bevölkerung. Auf dem Schloßplatz in Berlin suchten sich die reformierten Prediger und die lutherischen Pastoren unter den anfeuernden Rufen ihrer Frauen unter Benutzung der Altarleuchter und anderer heiliger Geräte handgreiflich von der Wahrheit ihrer jeweiligen Konfession zu überzeugen. Die Stände wurden rebellisch. In Preußen erwogen sie sogar die Loslösung des Herzogtums von Brandenburg. Der Kurfürst meinte durch Religionsgespräche und Disputationen die aufgeregten Gemüter beschwichtigen zu können. Aber das fruchtete nicht sehr viel. So blieb dem Kurfürsten nichts anderes übrig, als zum gegenseitigen friedlichen Nebeneinander der beiden reformatorischen Bekenntnisse zu mahnen. Obwohl er betonte daß er nach dem Reichsrecht wohl seine Religion einführen könne, wolle er doch auf die Ausübung dieses Rechtes verzichten. Er werde der lutherischen Konfession „ihren freien Gang und Lauf ohne allen Zwang und Drang der Gewissen gönnen". Damit war in Richtung einer kommenden Union ein wichtiger Schritt getan. Es mußte die Zeit kommen, wo aus der erstrebten friedlichen Koexistenz die Einheit der Kirche wachsen sollte.

Die Toleranzedikte Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten (1664-1668) Der Dreißigjährige Krieg brachte auch für die Kirche in Brandenburg Gefahren mit sich. Der Gegensatz zwischen Lutheranern und Reformierten mäßigte sich angesichts der drohenden Gegenreformation. Diese ließ nicht lange auf sich warten. Durch den Einmarsch der kaiserlichen Truppen in die Mark wurde an manchen Orten der katholische Gottesdienst wiederhergestellt. Durch die kaiserlichen Edikte vom 6. Februar und 9. März 1629 erklärte Ferdinand II., daß der Religionsfriede nur für die Katholiken und für die Anhänger der ungeänderten Augsburgischen Konfession gelten, jede andere Sekte aber im Reich verboten sein sollte. Dies richtete sich gegen die Calvinisten, also unmittelbar gegen den brandenburgischen Kurfürsten. Außerdem forderte ein „Restitutionsedikt" die drei brandenburgischen Bistümer und deren Einkünfte in den letzten fünfzig Jahren zurück. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde das Restitutionsedikt praktisch aufgehoben, und es gelang, nicht zum wenigsten durch die Bemühungen Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten, die Calvinisten als „Augsburgische Konfessionsverwandte" anzuerkennen. Friedrich Wil-

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heim bekannte sich klar zum Calvinismus. Das hinderte ihn aber nicht, in seiner Landes- wie in seiner Reichspolitik auf eine Einigung aller Protestanten in einer „Evangelischen Allianz" hinzuwirken. Daß hierbei politische Ziele im Spiele waren, ist nicht zu bestreiten. Aber es hieße doch seine christliche Überzeugung unterschätzen, wollte man nicht des Kurfürsten ehrliche Absicht zu einem „Evangelischen Kirchenfrieden" in seinem Glauben begründet finden. So war es kein Zufall, daß er den in Schottland geborenen Unionstheologen Johann Duräus, der sein ganzes Leben der Wiedervereinigung der Protestanten gewidmet hatte, nach Berlin zu Verhandlungen einlud. Die in den verschiedenen Perioden der Wirksamkeit des Duräus erarbeiteten Unionspläne kamen jedoch in Brandenburg-Preußen nicht zum Zuge. So mußte sich der Kurfürst bescheiden, wenigstens den Steit zwischen Lutheranern und Reformierten so weit es ging zu mildern. „Das Schreien auf der Kanzel" gegeneinander wurde durch ein Edikt vom 16. September 1664 verboten. Das Edikt wollte verhindern, daß „die Evangelischen Religions-Verwandte Reformierte und Lutheraner weder mit Schmähen und Lästerung-Nehmen, noch mit deren aus der Lehre gemachten Consequentien einander angreifen sollen und daß freystehen solle, denExorcismum auszulassen". Im November 1664 verlangte der Kurfürst, daß sich sämtliche Geistlichen durch Revers verpflichteten, dem erwähnten Edikt nachzuleben. Dabei war nicht einmal „die Unterlassung der nötigen Traktierung der Kontroversien", sondern nur „Moderation und Bescheidenheit" gefordert. Einen solchen Revers zu unterschreiben, sah sich Paul Gerhardt aus Gewissensgründen nicht in der Lage. Er war ganz gewiß keine streitbare Natur; aber selbst als der Kurfürst ihm am 9. Januar 1667 die Unterschrift unter dem Revers erließ und ihm mündlich eröffnet wurde, der Kurfürst sei der Zuversicht, daß. Gerhardt sich gemäß den Edikten verhalten werde, fand er sich in seinem lutherischen Glauben beeinträchtigt. Er empfand jede Nachgiebigkeit gegen die reformierte Lehre als Unrecht. Alle unionistischen Tendenzen, die er als synkretistisch beurteilte, waren ihm eine Verletzung des ihm Heiligen. Kurz vor seinem Tode hat er in einem Vermächtnis seinem Sohn die Mahnung hinterlassen: „Hüte Dich ja vor Synkretisten, denn sie suchen das Zeitliche und sind weder Gott noch Menschen treu." Er zog es vor, nach seiner Amtsenthebung als Pfarrer von St. Nikolai in Berlin lieber-eine Zeitlang bis zu seiner Berufung als Archidiakon in Lübben amtslos zu bleiben, als sein Gewissen zu verletzen. So blieb den Ausgleichsbemühungen des Großen Kurfürsten ein durchgreifender Erfolg versagt.

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Die unierten Kirchen Pietismus und Aufklärung als Beförderer der Union

Bald traten zwei geistige Bewegungen auf, die eine Wandlung des christlichen und des allgemein religiösen Bewußtseins überhaupt einleiteten: der Pietismus und die Aufklärung. Beide Bewegungen waren im Grundsätzlichen völlig voneinander unterschieden. Der Pietismus betonte die schlichte biblische Frömmigkeit, die im praktischen Handeln der Christen eine Entsprechung haben sollte. Schrifterkenntnis und praxis pietatis waren ihm wichtiger als Lehrformeln und gar Lehrstreitigkeiten. Die Aufklärung dagegen suchte die Übereinstimmung der christlichen Religion mit den Prinzipien der menschlichen Vernunft. Dies führte zu einem IndifFerentismus gegenüber allen konkreten Lehrmeinungen, wie sie in den Bekenntnisschriften niedergelegt waren. Obwohl tief voneinander geschieden, haben sowohl die biblische Vertiefung der Frömmigkeit wie der Indifferentismus die kirchliche Entwicklung in der gleichen Richtung vorangetrieben. Bemerkenswert ist in den Unionsgedanken jener Zeit der ökumenische Zug. Es ging nicht mehr allein um eine Einigung der „protestantischen Kirchenparteien" in Brandenburg-Preußen, auch nicht mehr nur um eine „Evangelische Allianz" in Deutschland, sondern die Unionskonzeption griff auf eine Vereinigung des europäischen Protestantismus über. So gingen die Unionsvorstellungen des Philosophen G. W . Leibniz (16461716) über eine bloße tolerantia ecclesiastica hinaus. Er wollte die Verschmelzung der evangelischen Kirchen Deutschlands mit denen Hollands und Englands. Selbst ein Ausgleich mit der römisch-katholischen Kirche schien ihm im Bereich des Möglichen zu liegen, wobei hinsichtlich der Lehre ein später abzuhaltendes ökumenisches Konzil eine Verständigung bringen sollte. Er hielt eine Kirche mit unterschiedlichen Spezialbekenntnissen für möglich. Die „parteilichen" Namen lutherisch und reformiert sollten zu Gunsten des Gesamtnamens „evangelisch" aufgegeben werden. Die Verhandlungen über eine solche Union fanden zwischen Berlin und Hannover statt. Kurfürst Friedrich III., nach seiner Königskrönung in Königsberg Friedrich I., war mit der hannoverschen, übrigens reformiert konfirmierten Prinzessin Sophie Charlotte vermählt. Sie stand in enger geistiger Verbindung mit Leibniz. 1703 berief König Friedrich I. in Berlin ein aus lutherischen und reformierten Theologen bestehendes Collegium irenicum oder auch charitativum unter dem Vorsitz des reformierten Bischofs Ursinus. Doch fand das Collegium ein frühes Ende, und die Unionspläne schliefen wieder ein. Eine bedeutsame Rolle spielte in diesen frühen Unionsbemühungen der Hofprediger Daniel Ernst Jablons-

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ki, der 1693 nach Berlin berufen worden war. Er war ein Enkel des berühmten Reformpädagogen Arnos Comenius, der 1648 Bischof (senior praesens) des polnischen Zweiges der Brüderunität in Lissa geworden war. Die Unitas fratrum hatte seit jeher einen ökumenischen Charakter. Jablonski, seit 1699 Bischof der Unität, schwebte als Modell einer „Ökumenischen Union" das Beispiel der Anglikanischen Kirchengemeinschaft vor, die er bei einem längeren Aufenthalt in England kennengelernt hatte. Als Elemente einer Kirchenvereinigung in Preußen schlug er die Übernahme des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession und einer einheitlichen Gottesdienstordnung in Anlehnung an das Book of Common Prayer vor. Doch kamen auch diese Pläne nicht zur Ausführung. Für Nicolaus Graf von Zinzendorf waren die Kinder Gottes in allen Konfessionen eins. Jesus ist darum gestorben, daß er die Kinder Gottes, die zerstreut sind, zusammenbrächte (Joh. 11,$2). Der Diasporacharakter der Kinder Gottes in allen konkreten christlichen Kirchen verbindet sie durch alle dogmatischen Trennungen hindurch. Die „Herzensfrömmigkeit" läßt die Konfessionsunterschiede nicht mehr zu kirchentrennender Wirkung kommen. Für die Brüderunität hat Zinzendorf freilich das unveränderte Augsburgische Bekenntnis von 1530 als die regelnde Norm oder - in seiner Sprache - als das „Skeleton", das den Halt gibt, festgestellt. Die Weltweite seines Handelns wird nicht nur darin sichtbar, daß er seit 1752 Boten und Zeugen unter die Heiden sendet, sondern auch darin, daß er von 1727 an mit den Erweckten in den verschiedenen Kirchen Deutschlands und anderen europäischen Ländern, ja bis zu den orientalischen Kirchen Verbindung aufnimmt. Wieweit die Aufklärung und der Rationalismus die Vorbereitung einer wahrhaft christlichen Union gefördert haben, ist zweifelhaft. Diese Geisteshaltung reduzierte den christlichen Glauben auf einen allgemeinen Gottesbegriff und die Grundsätze einer bürgerlichen Moral. Gott, Freiheit, Unsterblichkeit und Tugend waren die Ideen, die sich mit der menschlichen Vernunft verbinden ließen. Auf solch einen allgemeinen Religionsbegriff müßte man sich doch einigen können. Die rationalistische Theologie sah aber ihr Ziel doch nicht in der Herbeiführung einer Union. Die Existenz nur einer Kirche im Staat barg vielleicht sogar die Gefahr einer Priesterherrschaft in sich. Mehrere Kirchen im Staat, in gegenseitiger Toleranz lebend, sicherten die Freiheit des religiösen Individuums besser ab eine vereinigte Kirche. Die Kirchen wurden als Religionsgesellschaften bezeichnet, deren Zweck und Ziel nicht von einem bekenntnisgebundenen Glauben her, sondern von den religiösen Bedürfnissen ihrer Glieder bestimmt wird (Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten §§ 36 ff.). Es zeigte sich deutlich, daß der Indifferentismus und der reli-

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giöse Individualismus keine vereinigte Kirche aufbauen konnten. Im Gegenteil: Löste sich die Kirche als Bekenntnisgemeinschaft nicht in eine Summe von religiösen, sich gegenseitig tolerierenden Individualitäten auf? Wenn man Predigten aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts liest, so wird dabei die uneingeschränkte Lehrfreiheit des einzelnen Pfarrers sichtbar. In der Ordination wurde auf Bekenntnisschriften nicht mehr Bezug genommen. Veränderungen des Glaubensbekenntnisses und der Gottesdienstordnungen waren an der Tagesordnung. Dieser Zustand rief eine Flut von Reformvorschlägen hervor. Das Erlebnis der nationalen Katastrophe unter Napoleon (1806/07) und die Begeisterung der Befreiungskriege (1813-1815) hatten wieder eine tiefere religiöse Besinnung zur Folge. Friedrich Wilhelm III., eine tieffromme Persönlichkeit mit ausgeprägtem Autoritätsbewußtsein und mit einem zur Uniformität neigendem Ordnungsdenken, nahm als ein König, der sich auch für das Heil seines Volkes verantwortlich fühlte, gleich nach seinem Regierungsantritt das Reformwerk in Angriff. Es erstreckte sich auf drei große Aufgaben: Union, Agende, Verfassung.

Der Unionsaufruf des Königs Friedrich Wilhelm vom 2j. September

III.

1817

Zunächst wurde die Frage des Gottesdienstes aufgegriffen. Aber über Kommissionssitzungen und daraus erwachsene Gutachten kam die Sache vorerst nicht hinaus. Auch die Verbesserung der Kirchenverfassung kam nicht recht weiter. Die Einführung einer von der Staatsgewalt unabhängigen Presbyterial- und Synodalordnung blieb im Entwurf stecken. Die Frage der Union drängte jedoch jetzt zur Lösung. Denkschriften upd Memoranden waren genug verfaßt. Wenn auch die Vorstellungen über die Union verschieden sein mochten - Schleiermacher z. B. sah in seinen „Zwei unvorgreifliehen Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens" von 1803 die Abendmahlsgemeinschaft als das Zentrum der Union an - , war die Unionsbewegung doch schon in Gang gekommen. So vereinigten sich Anfang 1817 in der Grafschaft Mark die lutherische und die reformierte Synode zu einer gemeinsamen Synode, was durch eine gemeinsame Abendmahlsfeier besiegelt wurde. In Berlin war es namentlich Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (1768-1834), der die Union unermüdlich förderte. Er hatte gegenüber dem Rationalismus einen Frömmigkeitsbegriff entwickelt, der viele Gemüter ergriff, ja erweckte. „Die Frömmigkeit" ist nach ihm „weder ein Wissen noch ein

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Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins". Das Charakteristische dieses Gefühls aber ist im Unterschied von allen anderen Gefühlen, „daß wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind" (Der christliche Glaube, § 3 t.). Erst die in Jesus von Nazareth vollbrachte Erlösung gibt dem Gefühl als unmittelbarem Selbstbewußtsein jene Tiefe und Reinheit, daß es in vollem Sinn als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl bezeichnet werden kann und damit zugleich die Herstellung eines normalen, d. h. versöhnten menschlichen Gottesverhältnisses darstellt. Am 1. Oktober 1817 waren alle Berliner Pfarrer beider reformatorischen Konfessionen zu einer gemeinsamen Synode zusammengetreten, zu derem Vorsitzenden trotz der lutherischen Mehrheit einmütig der reformierte Schleiermacher gewählt wurde. Am Vorabend des 300. Reformationsjubiläums am 30. Oktober 1817 wurde in der Kirche St. Nikolai in Berlin die Vereinigung beider Konfessionen in einer gemeinsamen Abendmahlsfeier vollzogen. Ebenso geschah es in allen Provinzen des Preußischen Königreiches. Die allgemeine Begeisterung über die Einführung der Union war in Pommern, Schlesien, West- und Ostpreußen nicht geringer als im Rheinland und in Westfalen. Es ist richtig, wenn Erich Foerster in seinem zweibändigen Werk „Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten" (Tübingen 1905-1907) sagt: „In seinem ganzen Leben und Regieren ist der König nie wieder in gleicher Weise der Mund und Arm der Kirche gewesen als bei seinem Unionsaufruf vom 27. September 1817 (Foerster I, S. 283). Eine lange vorher anlaufende und zu diesem Zeitpunkt angestaute Unionsbewegung in der Pfarrerschaft und den Gemeinden fand jetzt ihre Verwirklichung. Der Unionsaufruf des Königs hatte folgenden Wortlaut: „Schon Meine, in Gott ruhende erleuchtete Vorfahren, der Kurfürst Johann Sigismund, der Kurfürst Georg Wilhelm, der große Kurfürst, König Friedrich I. und König Friedrich Wilhelm I. haben, wie die Geschichte ihrer Regierung und ihres Lebens beweiset, mit frommem Emst es sich angelegen seyn lassen, die beiden getrennten protestantischen Kirchen, die reformirte und lutherische, zu Einer evangelischchristlichen in Ihrem Lande zu vereinigen. Ihr Andenken und IhreJieilsame Absicht ehrend, schließe Ich Mich gerne an Sie an, und wünsche ein Gott wohlgefälliges Werk, welches in dem damaligen unglücklichen Sekten-Geiste unüberwindliche Schwierigkeiten fand, unter dem Einfluße eines bessern Geistes, welcher das Außerwesentliche beseitiget und die Hauptsache im Christenthum, worin beide Confessionen Eins

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sind, festhält, zur Ehre Gottes und zum Heil der christlichen Kirche, in Meinen Staaten zu Stande gebracht und bei der bevorstehenden Säcular-Feyer der Reformation, damit den Anfang gemacht zu sehen! Eine solche wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unterschiede getrennten protestantischen Kirchen ist den großen Zwecken des Christenthums gemäß; sie entspricht den ersten Absichten der Reformatoren; sie liegt im Geiste des Protestantismus; sie befördert den kirchlichen Sinn; sie ist heilsam der häuslichen Frömmigkeit; sie wird die Quelle vieler nützlichen, oft nur durch den Unterschied der Confession bisher gehemmten Verbesserungen in Kirchen und Schulen. Dieser heilsamen, schon so lange und auch jetzt wieder so laut gewünschten und so oft vergeblich versuchten Vereinigung, in welcher die reformirte Kirche nicht zu lutherischen und diese nicht zu jener übergeht, sondern beide Eine neu belebte, evangelisch-christliche Kirche im Geiste ihres heiligen Stifters werden, stehet kein in der Natur der Sache liegendes Hindemiß mehr entgegen, sobald beide Theile nur ernstlich und redlich in wahrhaft christlichem Sinne sie wollen, und von diesem erzeugt, würde sie würdig den Dank aussprechen, welchen wir der göttlichen Vorsehung für den unschätzbaren Segen der Reformation schuldig sind, und das Andenken ihrer großen Stifter, in der Fortsetzung ihres unsterblichen "Werks, durch die That ehren. Aber so sehr Ich wünschen muß, daß die reformirte und lutherische Kirche in Meinen Staaten diese Meine wohlgeprüfte Überzeugung mit Mir theilen möge, so weit bin Ich, ihre Rechte und Freiheit achtend, davon entfernt, sie aufdringen und in dieser Angelegenheit etwas verfügen und bestimmen zu wollen. Auch hat diese Union nur dann einten wahren Werth, wenn weder Überredung noch Indifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Überzeugung rein hervorgeht, und sie nicht nur eine Vereinigung in der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen, nach acht biblischen Grundsätzen, ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat. So wie Ich selbst in diesem Geiste das bevorstehende Säcularfest der Reformation, in der Vereinigung der bisherigen reformirten und lutherischen Hof- und Garnison-Gemeine zu Potsdam, zu Einer evangelisch-christlichen Gemeine feyem, und mit derselben das heilige Abendmahl genießen werde: so hoffe Ich, daß dies Mein Eigenes Beispiel wohlthuend auf alle protestantische Gemeinen in Meinem Lande wirken, und eine allgemeine Nachfolge im Geiste und in der Wahrheit finden möge. Der weisen Leitung der Consistorien, dem frommen Eifer der Geistlichen und ihrer Synoden überlasse Ich die äußere über-

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einstimmende Form der Vereinigung, überzeugt, daß die Gemeinen in ächt-christlichem Sinne dem gern folgen werden, und daß überall, w o der Blick nur ernst und aufrichtig, ohne alle unlautere Neben-Absichten auf das Wesentliche und die große heilige Sache selbst gerichtet ist, auch leicht die Form sich finden, und so das Äußere aus dem Innern, einfach, würdevoll, und wie von selbst hervorgehen wird. Möchte der verheißene Zeitpunkt nicht mehr ferne seyn, wo unter Einem gemeinschaftlichen Hirten, Alles in Einem Glauben, in Einer Liebe und in Einer Hoffnung sich zu Einer Herde bilden wird!" Der König hatte in diesem Aufruf ausgesprochen, daß er weit davon entfernt sei, seine wohlgeprüfte Überzeugung von der Vereinigung der lutherischen und reformierten Kirche „aufdringen und in dieser Angelegenheit etwas verfügen und bestimmen zu wollen". Die Union habe nur dann einen wahren Wert, „wenn sie aus der Freiheit eigener Überzeugung rein hervorgeht". Es kann kein Zweifel sein, daß diese Absicht ehrlich gemeint war. Aber bald gab es Schwierigkeiten in zwei Punkten: bei der Einführung der Agende und bei der Frage der Geltung der beiderseitigen Bekenntnisschriften. Der König hatte ein besonderes persönliches Interesse an der Gottesdienstordnung. Auf diesem Gebiet besaß er nicht nur eine erstaunliche Belesenheit, sondern war auch als bewußter Laienchrist lebhaft am konkreten Gottesdienst und seiner Gestaltung beteiligt. Nach langjährigen Beratungen in Kommissionen und nach mancherlei Vorformen erschien 1829 die „Agende für die Evangelische Kirche in dem Königlich Preußischen Landen". Es war die dritte völlig umgearbeitete Auflage einer längeren Reihe von vorhergehenden liturgischen Versuchen. Sie sollte eigentlich das wichtigste Band der Union werden, wurde aber tatsächlich die Ursache von Streitigkeiten. Die Ordnung des Hauptgottesdienstes beruhte klar auf lutherischer Tradition, was ihrer Einführung in den westlichen Provinzen, die stark reformierten Charakter hatten, Hindernisse bereitete. Dazu kam, daß dem Landesherrn das Recht, Gottesdienstordnungen einzuführen, leidenschaftlich bestritten wurde. Die Gegner vertraten die Ansicht, daß die Gestalt der Gottesdienstordnung Sache der Gemeinden und ihrer Synoden sei. Dabei hatten sie die Bestimmungen des allgemeinen Landrechtes (§ 46 II 11) für sich. In diesem Bestreben regte sich kräftig der Wille, die Freiheit der Kirche in ihren eigensten Angelegenheiten zu bewahren und das landesherrliche Kirchenregiment auf die Regelung der äußeren kirchlichen Angelegenheiten zu beschränken. Der Erlaß der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung vom 5. März 1835 war ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Verselbständigung der Kirche. Unter den Bestreiten! der landesherrlichen

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Vollmacht in Fragen der Agende trat besonders Schleiermacher hervor, der ein theologisches Gutachten „Über das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten" veröffentlichte. Noch schwerwiegender war die in der Union aufbrechende Frage nach der Geltung der symbolischen Bücher in der Preußischen Landeskirche. Für den König hatten sie allmählich wieder eine erhöhte Bedeutung gewonnen. Er wollte sie sowohl bei der Ordination der Pfarrer wie im Gottesdienst als feste Lehrgrundlage beibehalten, die darin ausgesprochenen Lehrunterschiede aber als unwesentlich behandeln. Die Säkularfeier der Augsburgischen Konfession 1830 verschärfte die Gegensätze. Der Breslauer lutherische Diakonus und Universitätsprofessor Johann Gottfried Scheibel erklärte im Juni 1830 in einem Schreiben an den König, daß es ihm sein Gewissen nicht erlaube, -irgendetwas zu tun, was zur Union hinleite. Er meinte damit den Gebrauch der, übrigens gut lutherischen, Agende. Scheibel wurde als Diakonus suspendiert und schließlich auf seinen Antrag aus seinen Ämtern entlassen. Er sammelte eine selbständige lutherische Gemeinde und erbat die Anerkennung dieser von der Landeskirche separierten Kirche. In einem „Allerhöchsten Erlaß, die Agende und Union betreffend" vom 25. Februar 1834 versuchte der König noch einmal durch Erklärung seiner Absichten den Kirchenfrieden herzustellen. Es heißt darin: „Die Union bezweckt und bedeutet kein Aufgeben des bisherigen Glaubensbekenntnisses, auch ist die Autorität, welche die Bekenntnisschriften der beiden evangelischen Konfessionen bisher gehabt haben, durch sie nicht aufgehoben worden. Durch den Beitritt zu ihr wird nur der Geist der Mäßigung und Milde ausgedrückt, welcher die Verschiedenheit einzelner Lehrpunkte der anderen Konfession nicht mehr als den Grund gelten läßt, ihr die äußerliche kirchliche Gemeinschaft zu versagen. Der Beitritt zur Union ist Sache des freien Entschlusses, und es ist daher eine irrige Meinung, daß an die Einführung der erneuerten Agende notwendig auch der Beitritt zur Union geknüpft sei, oder indirekt durch sie bewirkt werde. Mithin ist das Begehren derer, welche aus Abneigung gegen die Union auch der Agende widerstreben, als unstatthaft ernstlich und kräftig abzuweisen". Dieser Versuch der „Entflechtung" von Union und Agende konnte die Gegner von Union und Agende nicht befriedigen. Der angesammelte Zündstoff entlud sich in einer gewaltsamen Explosion. In Hönigern, Kreis Namslau, wurde der separatistische Pfarrer Kellner verhaftet. Die fest zu ihrem Pfarrer stehende Gemeinde weigerte sich, das Kirchgebäude herauszugeben, und organisierte einen Wachdienst zum Schutz der Kirche. A m 24. Dezember 1834 wurde mit militärischem Einsatz die Öffnung der Kirche erzwungen. Das Militär hatte mit Kolbenstößen die widerspenstigen Gemeindeglie-

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der auseinandergetrieben und zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Als Folge des Einsatzes staatlicher Gewalt in kirchlichen Sachen begannen ab 18 3 7 Auswanderungen. Die Auswanderer wandten sich nach Australien und Nordamerika und begründeten dort lutherische Gemeinden. Derselbe Staat, der in großzügiger Toleranz vor Jahrhunderten den „wegen Religionsdruckes" emigrierten Hugenotten, Salzburgern und Ziliertalern eine neue Heimat geboten hatte, war nun selbst Ursache zu einer, wenn auch relativ kleinen Welle von Auswanderern geworden. Erst vier Jahre später wurde das Verlangen der Separierten nach staatlicher Anerkennung als selbständige Religionsgesellschaft erfüllt. 1841 konnte die erste Generalsynode der „Evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen" in Breslau stattfinden. Diese Kirche besteht als eine Minderheitskirche bis auf den heutigen Tag. Im Dritten Reich wurden die Kirchengebäude dieser lutherischen Minderheitskirche mitunter zur Zufluchtsstätte der von den deutsch-christlichen Kirchenbehörden hart bedrängten Bekenntnisgemeinden der unierten Großkirche (z. B. in Wernigerode). Es darf das als ein versöhnendes Zeichen über einer unguten Vergangenheit gedeutet werden. Beim 150. Jubiläum der Unionskirche sind die Altlutheraner im Gottesdienst in der Marienkirche zu Berlin öffentlich um Vergebung für jene dunkle Stunde ihrer Verfolgung in der Union gebeten worden. Vielleicht reift die Zeit heran, in der dieser Flecken in der Vergangenheit unserer Kirche unter dem Evangelium der Versöhnung getilgt werden kann. Als Friedrich Wilhelm III. am 7. Juni 1840 starb, durfte er im Bewußtsein von dieser Erde scheiden, daß die Sache der Union durch alle Kämpfe und Belastungen hindurch sich dennoch durchgesetzt hatte. „Die Evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen" war eine Realität geworden. Auch das Aufkommen eines Neu-Luthertums konnte an diesem Faktum nichts mehr ändern. Es konnte nur als eine Partei innerhalb der bestehenden Union Wirksamkeit entfalten.

Die Entwicklung der Union bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

Der Zeitraum in der Geschichte der Union, der von 1840 bis 1918 reicht, umschließt entscheidende Entwicklungen in der Geschichte unserer Kirche. Er ist charakterisiert durch die Anfänge einer neuen lutherischen Orthodoxie, die freilich die Union nicht mehr rückgängig machen konnte, durch die aufbrechenden gesellschaftlichen Fragen im beginnenden industriellen und frühkapitalistischen Zeitalter, durch die fortschreitende Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat und durch das theologi-

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sehe Ringen zwischen dem Liberalismus und seinen kirchlichen Gegnern. Die philosophische Bewegung war von Georg Friedrich Wilhelm Hegel beeinflußt, der seit 1818 bis zu seinem Tode 1831 in Berlin lehrte. In der „Phänomenologie des Geistes" (1807) fügt Hegel auch die Religion dem Ganzen der Selbsterfahrung und Selbstdarstellung des Geistes ein. In Jesus ist das Reich Gottes wirklich geworden oder die Erfahrung der Liebe, in der der menschliche Geist sich dem göttlichen Geist, auch in seiner äußersten Entfremdung (am Kreuz) gleicht und in die Einheit mit ihm (in der Auferstehung) aufgenommen weiß. Diese spekulative Einbeziehung der Religion und insbesondere des Christentums in das Gesamtgefüge der geistesphänomenologischen Philosophie hatte Entwicklungstendenzen in sich, die in der sogenannten „Hegel'schen Linken" atheistische Züge annehmen. Ihr ist die metaphysische Wahrheit des Geistbegriffes Hegels unglaubwürdig. Die durch sich selbst entstandene Geschichte ist der einzig denkbare Verstehenshorizont auch der Religion. So konnte Ludwig Feuerbach (1804-1872) die Umwandlung der Theologie in Anthropologie vollziehen. „Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter und letzter Gedanke" (Sämtliche Werke, Bd. II, S. 410). Es war die Zeit, in der die Naturwissenschaft erstaunliche Entdeckungen und die Technik große Fortschritte machte. (Charles Darwin, 1809 bis 1882 ;Ernst Haeckel, 1834-1919). Die erste industrielle Revolution brachte gesellschaftliche Umbildungen und warf brennende soziale Probleme auf. Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) begründeten den „wissenschaftlichen Sozialismus", aus dem die internationale Arbeiterbewegung erwuchs (18641. Internationale). Nachdem im Kriege zwischen Preußen und Österreich 1866 die „kleindeutsche" Lösung vorbereitet war, endete die politische Entwicklung 1871 mit der Krönung des preußischen Königs zum Kaiser von Deutschland. Österreich gehörte nicht mehr dem deutschen Reiche an. Das neue Reich war mächtig, aber es war auf Glanz und Schein gebaut. Wohl war ein wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen, der insbesondere dem Mittelstand zugute kam, aber die Frage des Industrieproletariats blieb trotz mancher fürsorglichen Sozialgesetzgebung doch ungelöst. Mammonismus und doppelte Moral in den herrschenden Schichten (Adel, Militär, Monopolkapital), die Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen in der Literatur, im Theater und in der bildnerischen Kunst zeigten deutlich die Risse, die dem so mächtig scheinenden Reich innerlich zueigen waren. In die theologische Wissenschaft im engeren Sinne drang die Hegel'sche spekulative Geistesphänomenologie durch Ferdinand Christian Baur ein.

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Die Geschichte des Christentums gilt Baur als Höhepunkt der dialektisch sich bewegenden Universalgeschichte. Das Verhältnis des spekulativen Entwicklungsschemas zur geschichtlichen Wirklichkeit blieb dabei problematisch. Ebenso die Reduktion des glaubenden Selbstverständnisses auf das denkende Selbstbewußtsein. In seiner Nachfolge hat David Friedrich Strauß in seinem Erstlings- und zugleich berühmtesten Werk „Das Leben Jesu" die Wahrheit des Christentums auf der spekulativen Idee der Gott-Menschheit zu begründen versucht, abgesehen von der Geschichtlichkeit der biblischen Berichte, die mythologischen Charakter haben. Trotz seiner radikalen Bibelkritik meint er, auf diese Weise die christliche Wahrheit festhalten zu können. Die letzte Konsequenz der Absage an das Christentum vollzieht Strauß 1872 in seiner Schrift „Der alte und der neue Glaube". Die Linie kann wohl ausgezogen werden zu Friedrich Nietzsche, dem Pfarrerssohn aus Röcken bei Lützen (1844 bis 1900). Ihm geht es um die Umwertung aller Werte, aus der heraus ein neues Menschengeschlecht entsteht. Der neue Mensch ist der Kraftvolle, Ja-Sagende, über die „ewige Wiederkehr des Gleichen" jauchzende Ubermensch, der einer sittlich neuen Herrenmoral folgt. Man wird diese Herausforderung auf dem Hintergrund der engen, selbstgerechten, bürgerlich-christlichen Sittlichkeit verstehen lernen, die auch Sören Kierkegaard zum Angriff reizte. „Nietzsches Kampf gegen das Christentum erwächst aus seiner eigenen Christlichkeit" (Jaspers)- Das Christentum der bürgerlichen Welt jener Zeit hat die Herausforderungen der Naturwissenschaft, der Technik, der sozialen Probleme, der Philosophie nicht bewältigen können. Das Bürgertum suchte im klassischen Idealismus Schillers und Goethes seinen geistigen Ruhepol. Aber die Zeiten hatten sich gewandelt, sie waren kritischer, revolutionärer und explosiver geworden. Wie bewältigte die Kirche die Probleme dieser Zeit? Vermochte sie gemäß ihrem Auftrag das Evangelium in den Bezugshorizont dieser sich wandelnden Zeit hineinzusprechen? Im großen und ganzen kann wohl gesagt werden, daß trotz großer Anstrengungen ein wirkliches Aufnehmen und zugleich Durchbrechen dieser geistigen Strömungen nicht gelang. Entweder kehrte man zu einem dogmatischen Konservatismus zurück, oder man paßte sich in einer Weise an, die dem Evangelium nicht gerecht wurde. Nachdem die separierten Lutheraner als selbständige Kirchengemeinschaft anerkannt und damit endgültig aus der Preußischen Landeskirche ausgeschieden waren, sammelten sich die Lutheraner innerhalb der Union zu einer besonderen konfessionellen Gruppe. Ursprünglich aus der Erweckungsbewegung hervorgegangen und als Erfahrungstheologie be-

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gründet, hat sich das Neuluthertum auf die Bibel als Offenbarungsort und auf die lutherischen Bekenntnisschriften gestützt, um so den Herausforderungen der Zeit entgegenzutreten. Die beiden Hauptgegner waren für den Konfessionalismus der Rationalismus mit seiner „Götzenvernunft" und die Union als eine Kirche ohne Bekenntnis. Schon Klaus Harms in Kiel hatte in seinen 95 Thesen zum Reformationsjubiläum 1817 diese Frontstellung bezogen. In der evangelischen Landeskirche Preußens wurde der Berliner Professor Ernst Wilhelm Hengstenberg der Hauptvertreter des lutherischen Konfessionalismus. Als Sohn eines reformierten Predigers geboren, fand er in Berlin zum Kreis der Erweckungschristen und nach einer Periode der Sympathie mit der Union zur zunehmenden Kritik an ihr. Schließlich sah er in der Preußischen Union keine Gewähr mehr dafür gegeben, daß den lutherischen Gemeinden ihr Bekenntnis erhalten bleibe. In der einflußreichen Evangelischen Kirchenzeitung schuf er ein Organ des Neuluthertums in der Union. Eine besondere Ausprägung erhielt die lutherische Orthodoxie durch den Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl. Nach der Revolution 1848 trat eine Periode der Reaktion (bis etwa 1858) ein, in der die Idee des christlichen Staates gegen Liberalismus und Revolution Boden gewann. Stahls ins Theokratische gehende Staatsidee („Thron und Altar") vertrat die Kreuzzeitung. Aber die Zeit war vorbei, um die Union noch rückgängig zu machen. Der Versuch freilich, die Union zu einer Konsens-Union zu machen, scheiterte ebenfalls. Obwohl die Generalsynode von 1846 ein von Karl Immanuel Nitzsch vorgelegtes uniooistisches Ordinationsformular mit großer Mehrheit billigte, gab der König,dazu nicht seine Zustimmung, weil er diese Zusammenfassung der biblischen Hauptstücke als Beseitigung des Apostolikums empfand. So blieb es denn bei der 1817 und 1834 eingeschlagenen Richtung. Ein besonderes kirchliches Problem entstand durch die Besitzergreifung von Schleswig-Holstein, Hannover und den hessischen Landen. Die Frage der Eingliederung dieser neupreußischen Provinzen in die Union erwies sich in vieler Beziehung als schwierig. Obwohl es lutherisch-konfessionelle Kreise gab, die sich davon einen starken Zuwachs des Luthertums in der Union versprachen, waren die Kräfte in diesen Landeskirchen, die ihre Selbständigkeit erhalten wollten, stärker. A m leichtesten hätte die Einfügung vielleicht noch in Hessen geschehen können, da Nassau und ein Teil Kurhessens bereits uniert waren. Aber auch in Hessen war die lutherische Renitenz so kräftig, daß eine Einfügung in die unierte Landeskirche Preußens nicht ratsam erschien. August Vilmar (1800-1868) war das Haupt der lutherisch-konservativen Partei in Kurhessen. Sein Einfluß in antipreußischer und antiunionistischer Tendenz war beträchtlich.

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Hannover und Schleswig-Holstein waren Gebiete lutherischer Prägung. Die Fragen der dänischen Bedrückung in Schleswig-Holstein hatten schon vor der Eingliederung in das Königreich Preußen die Pfarrer und Gemeinden aufgeregt und den König von Preußen als „Schirmherr der evangelischen Kirche in deutschen Landen" deklariert, so daß eigentlich nach der preußischen Annexion die Einfügung in die Union zu erwarten gewesen wäre. Aber Bismarck, dessen Stellung zur Union ohnehin fragwürdig war, sah aus staatspolitischen Gründen von einer kirchlichen Eingliederung ab. Er wollte die Eingewöhnung der neu erworbenen Gebiete in das Königreich Preußen nicht unnötig durch die kirchliche Problematik erschweren. Der Evangelische Oberkirchenrat hatte in einer Denkschrift vom 18. Februar 1867 aus seinem Wunsch, die Kirchen in den neuen Provinzen unter seine Zuständigkeit zu stellen, keinen Hehl gemacht. Aber die Eingliederung fand nicht statt. 1867 wurden Konsistorien in Wiesbaden und Kiel, dann auch in Hannover und Kassel eingerichtet, die nicht dem Oberkirchenrat in Berlin, sondern dem preußischen Kultusministerium unmittelbar unterstanden. In diesen Zusammenhang gehört auch die Auseinandersetzung um die Verfassung in der Union. Sowohl die Liberalen wie die Konfessionellen (Vilmar) erstrebten eine Eigenständigkeit der Kirche, die die Lösung von staatlicher Bevormundung zum Ziel hatte. Die Revolution von 1848 gab diesen Bestrebungen neuen Auftrieb. Gemäß der neuen preußischen Staatsverfassung vom Januar 1850 wurde durch Erlaß vom 29. Juni desselben Jahres der Evangelische Oberkirchenrat eingesetzt. Damit war eine von Minister und Parlament unabhängige kirchliche Oberbehörde geschaffen. Wenn auch manche meinten, daß der Oberkirchenrat nur eine umbenannte Fortsetzung der Abteilung des Ministeriums für geistliche Angelegenheiten sei, so wußte er doch in vorsichtiger, aber zielstrebiger Weise seine Eigenständigkeit zu wahren. Der Verdacht, daß die Konsistorien und der Oberkirchenrat im Grunde doch nur getarnte Staatsbehörden seien, ließ viele Kräfte in der Kirche eine synodale Ordnung anstreben. Von der Gemeinde her sollte sich das Kirchenregiment ohne halbstaatliche Behörden und ohne landesherrliche Oberaufsicht in freien Wahlen aufbauen. Von vielen Seiten wurde die Beteiligung der Laien gefordert. Wenn die am 3. Juni 1876 in Kraft gesetzte Generalsynodalordnung auch nicht in allen Punkten diesem Ziel entsprach, so war doch ein großer Schritt in der Richtung auf die Freiheit der Kirche vom Staat getan. Die bisher noch vom Kultusministerium wahrgenommenen kirchenregimentlichen Funktionen wurden nun endgültig auf den Evangelischen Oberkirchenrat übertragen. Der Summepiskopat des Königs blieb zwar erhalten, jedoch wurde er mit der Zeit eingeschränkt. Der

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Gegensatz zwischen der eigenständigen Entwicklung des Kirchenregiments und der namentlich von Kaiser Wilhelm IL vertretenen Prärogative des landesherrlichen Bischofsamtes trat in zahlreichen Konflikten zutage. Wenn sich der Kaiser auch in den meisten Fällen durchsetzte (Berufung der Hofprediger Kögel und Stöcker in der E O K , Berufung Harnacks nach Berlin u.a.m.), so hatte er doch mit beharrlichem Widerstand des Oberkirchenrates zu rechnen. Und schon das war eine sehr ernste Limitierung seiner kirchlichen Möglichkeiten gegenüber dem früheren Status. Die Trennung von Staat und Kirche war nicht aufzuhalten. Mehr als der Gegensatz lutherisch-reformiert trat jedoch bald der Gegensatz zwischen der orthodoxen und der liberalen Theologie in Erscheinung. Die Orthodoxen sahen in der liberalen Theologie eine Gefährdung der Grundlagen des Glaubens und der Kirche. 1872/73 widersprachen drei Berliner Pfarrer dem kirchlichen Gebrauch des Apostolikums. Während der Oberkirchenrat milde vorging, um einen drohenden Konflikt zu vermeiden, griff der brandenburgische Konsistorialpräsident von Hegel zu scharfen Maßnahmen. Der Pfarrer Sydow wurde seines Amtes entsetzt. Das Votum Adolf von Harnacks (1851-1930), ein gebildeter Christ müsse an einigen Stücken des Apostolischen Glaubensbekenntnisses Anstoß nehmen, rief eine Fülle von Protesten im orthodoxen Lager hervor. Von nun an sollte der Evangelische Oberkirchenrat stärkeren Einfluß auf die Besetzung der theologischen Professuren bei den Fakultäten nehmen. Auch wollte der Generalsynodalvorstand in Zukunft bei der Besetzung der theologischen Lehrstühle mitwirken. Daraus entstand eine dauernde Spannung zwischen Universitätstheologie und offizieller Kirche. Als Harnack 1888 gegen das Votum des Oberkirchenrates nach Berlin berufen wurde (durch persönliche Entscheidung Wilhelms II.), gab es leidenschaftlichen Widerspruch. Der Oberkirchenrat beschwichtigte die aufgeregten Gemüter, indem er einerseits Harnack gegen ungerechtfertigte Angriffe in Schutz nahm, andererseits feststellte, daß die beanstandeten Stücke des Glaubensbekenntnisses noch immer „vor unbefangener wissenschaftlicher Forschung" die Wahrheitsprobe bestünden. Als Gegengewicht gegen den Einbruch der liberalen Theologie an der Berliner Fakultät wurde ein neuer Lehrstuhl errichtet, auf den Adolf Schlatter berufen wurde. Die Lehrfreiheit blieb gewahrt. Jedoch zeigte das sogenannte „Irrlehregesetz" vom 16. März 1910 auch bestimmte Grenzen der Lehrfreiheit auf. Das Verfahren bei Lehrbeanstandungen wurde von einem disziplinaren Einschreiten völlig getrennt und einem unabhängigen Spruchkollegium zugewiesen. Dieses sollte in mündlicher Verhandlung die Frage entscheiden, ob „ein Geistlicher in seiner amt-

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liehen oder außeramtlichen Lehrtätigkeit mit dem Bekenntnis der Kirche dergestalt in Widerspruch getreten ist, daß seine fernere Wirksamkeit innerhalb der Landeskirche mit der für die Lehrverkündigung allein maßgebenden Bedeutung des in der Heiligen Schrift und in den Bekenntnissen bezeugten Wortes Gottes unvereinbar ist". Das Gesetz wurde zum ersten Male gegen den Pfarrer Karl Jatho angewandt, der 1 9 1 1 nach Beschluß des Spruchkollegiums seines Amtes enthoben wurde. Einer seiner Verteidiger vor dem Spruchkollegium, der Pfarrer Gottfried Traub an St. Reinoldi in Dortmund, wurde wegen seiner Kritik am Bekenntnis der Kirche und an dem Vorgehen der kirchlichen Behörden durch den Oberkirchenrat mit Dienstentlassung bestraft. Eine Eingabe von 150 preußischen Pfarrern wies der Oberkirchenrat, der sich auch nach Meinung führender Kirchenrechtslehrer verfahrensmäßige Fehler hatte zu Schulden kommen lassen, als unzulässige Kritik zurück. Als Lehrnorm der evangelischen Kirche wurde die Tatsache des Christusereignisses als die das Heil wirkende Gottestat angesehen. Das Aufkommen der sozialen Probleme wurde in ihrer ganzen Tragweite von der Kirche zweifellos nicht rechtzeitig erkannt. Nur wenige verstanden die Lage der Arbeiterschaft. Der Bund mit der bürgerlichen Gesellschaft führte die Kirche in eine ungute Frontstellung gegen die Arbeiterbewegung und ihre Partei, die Sozialdemokratie. Der Hofprediger Adolf Stöcker gründete 1878 die christlich-soziale Arbeiterpartei, um die sich von Staat und Kirche entfremdende Arbeiterklasse in einer ihre Interessen zwar vertretenden, aber im ganzen doch staatstreuen Partei aufzufangen. Dem Versuch blieb der Erfolg versagt. Gerade diejenigen, denen Stöcker dienen wollte, stürzten ihn. Durch das kaiserliche Telegramm vom 28. Februar 1896, in dem der Satz stand: „Christlich-sozial ist Unsinn", wurden seine Absichten zunichte gemacht. Die Verantwortung der Christen für Gesellschaftsveränderung hatte auch in Friedrich Naumann einen eindrucksvollen, wenn auch einsamen Rufer. Er suchte das kirchenferne Proletariat in Bejahung seines Kampfes um Emanzipation „von unten" zu verstehen und die Kirche für eine echte Begegnung mit dem Sozialismus zu gewinnen. Naumann war auch in dem 1890 ins Leben gerufenen Evangelisch-sozialen Kongreß tätig. Der Kongreß hatte es sich zur Aufgabe gemacht, „die sozialen Zustände unseres Volkes vorurteilslos zu untersuchen, sie an dem Maßstabe der sittlichen und religiösen Forderungen des Evangeliums zu messen und diese für das heutige Wirtschaftsleben fruchtbar zu machen". Der Kongreß war eine wichtige Basis zur Diskussion zwischen Theologen und Nationalökonomen (Max Weber, Adolf Wagner u. a.), behielt aber doch eine akademische Blässe, die zu keiner durchgreifenden Änderung der gesellschaftlichen Verhält-

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nisse führte („Katheder-Sozialismus"). Der Oberkirchenrat hatte im Februar 1879 angesichts des Sozialisten-Gesetzes von 1878 die Pfarrer zur Zurückhaltung in sozialpolitischen Fragen aufgefordert. Nach Ablauf dieses Gesetzes legte er aber in einem Erlaß den Pfarrern nahe, sich mit den Fragen der Arbeiterschaft zu beschäftigen. Als jedoch Max Weber 1894 auf der Tagung des „Evangelisch-sozialen Kongresses" es als dessen Aufgabe bezeichnete, den Klassenkampf der Landarbeiter gegen den Großgrundbesitz zu unterstützen und darüber hinaus von einzelnen Pfarrern noch radikalere Stimmen laut wurden, sah sich der Oberkirchenrat veranlaßt, in einem weiteren Erlaß vom 16. Dezember 1895 die Pfarrer zur Zurückhaltung in politischen und gesellschaftlichen Fragen zu mahnen. Ihre eigentliche Aufgabe sei, „der Seelen Seligkeit zu fördern". „Alle Versuche, die evangelische Kirche zum maßgebend mitwirkenden Faktor in den politischen und sozialen Tagesstreitigkeiten zu machen", lenke sie nur von dieser ihrer eigentlichen Aufgabe ab. So entfernte sich die Arbeiterschaft mehr und mehr von der Kirche. Der Warnruf des jüngeren Blumhardt, im Sozialismus „einen aufgehobenen Finger Gottes" zu sehen, verhallte ungehört. Das Erfurter Programm der Sozialdemokratie von 1891 forderte die Erklärung der Religion zur Privatsache, die Einstellung aller öffentlichen Zuwendungen für kirchliche und religiöse Zwecke, die Weltlichkeit der Schule, die Erklärung der kirchlichen und religiösen Gemeinschaften zu privaten Vereinigungen, ein Programm, das in einem modernen säkularisierten Staat nicht mehr die Ablehnung erfährt wie damals. Stöcker behielt lekler recht, als er, erbittert über den unverständlichen Gang der Dinge, schrieb: „Das Urteil liegt nahe, daß der Protestantismus der Aufgabe der Zeit nicht gewachsen ist." Eine späte bessere Einsicht der damaligen Versäumnisse zeigt das Darmstädter Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Jahre 1947. Von seinen 7 Thesen ist besonders die 5. bemerkenswert, in der es heißt, daß der ökonomische Materialismus die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte mahnen müssen. Ebenso blieb die Auseinandersetzung der Kirche mit der Naturwissenschaft und der modernen Technik unbefriedigend. Die Kirche verharrte zumeist in einer Apologetik, die die Entwicklung in diesen Bereichen nicht bewältigte. A m 1 . August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Die allgemeine nationale Begeisterung riß auch die Kirche mit sich. Sie stellte sich willig in den Dienst einer Vaterlandsidee, die oft genug mehr als bedenklich war. Daß dieser Krieg eine gerechte und heilige Sache war, davon war der weitaus größte Teil der Pfarrer und Gemeindeglieder ehrlich überzeugt.

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In Predigten, Reden und Aufsätzen war ein manchmal bis ins Nationalistische gesteigerter Ton üblich. In Kriegsbetstunden wurde Gott mit Selbstverständlichkeit für den Sieg der deutschen Waffen angerufen. Es gab nicht viele, die in diesem kirchlichen Patriotismus auch das kritische Wort der Bibel zum Krieg und Kriegsgeschehen vernehmbar machten. „Die evangelische Kirche hat in der Predigt der Feindesliebe versagt", dieser Satz von Ernst Troeltsch hätte zum Nachdenken Anlaß geben müssen. Je länger der Krieg dauerte und je verlustreicher er wurde, je mehr Entbehrungen er der Bevölkerung auferlegte und je ungewisser sein Ausgang wurde, um so mehr erhoben sich warnende Stimmen gegen den überspannten Patriotismus in der Kirche. Die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung nahm unter den Soldaten und Arbeitern immer weiter ab, zumal wenn sie der Propagierung von „Durchhalteparolen" diente. Mit der Revolution vom 9. November 1918 brach das deutsche Kaiserreich und das preußische Königstum zusammen. Die Evangelische Landeskirche stand damit vor einer völlig neuen Situation.

Die Unionskirche in der Weimarer

Republik

Macht und Ansehen des deutschen Reiches waren vergangen. Für viele in der Kirche war damit eine ganze Welt eingestürzt. Nur schwer konnten sie sich in die neue Situation hineinfinden. In einer Art passiver Resistenz suchten sie im Raum der Kirche das weiterzupflegen, was sie verloren hatten. Die militärische Niederlage wollten viele nicht wahr haben („Dolchstoß-Legende"). Die Selbstbesinnung, die notwendig war, wurde oft genug zur Selbstrechtfertigung („Kriegsschuldlüge"). Die neuen Ordnungsmächte („schwarz-rote Koalition" von katholischer Zentrumspartei und z. T. radikaler Sozialdemokratie) wurden nicht unterstützt, sondern resigniert ertragen oder oppositionell bekämpft. Es begann eine distanzierte, oft feindselige Einstellung zur demokratischen Republik, die in der Weimarer Verfassung konstituiert wurde. Das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments stellte vor die Notwendigkeit einer neuen Kirchenverfassung. Die Regierung hatte am 19. November 1918 gemäß dem Erfurter Programm die Trennung von Staat und Kirche proklamiert. Der Evangelische Oberkirchenrat vertrat die Ansicht, daß damit der Summepiskopat an die Kirche zurückgefallen sei und nicht etwa auf die neue Staatsregierung übergegangen sei. Auf Anregung des zum Unterstaatssekretär im Preußischen Volksbildungsministerium berufenen Theologieprofessors Emst Troeltsch wurde am 20. März 1919 das bisherige landesherrliche Kirchenregiment auf drei

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evangelische Minister in der Regierung übertragen. Diese Maßnahme gefährdete die Chance einer jetzt fälligen Neuordnung der Kirche aus eigener Kraft. Dazu kam, daß in den Kirchenprovinzen Rheinland und Westfalen Selbständigkeitsbestrebungen auftraten, die zwar nicht die Union aufheben, wohl aber eine Loslösung von der zentralistischen Administration von Berlin aus wollten. Der Oberkirchenrat hielt an dem Ziel einer verfassunggebenden Generalsynode fest. Im September trat die außerordentliche preußische Kirchenversammlung in Berlin zusammen. Sie kam durch Wahlen der neugebildeten Gemeindekörperschaften zustande, wobei das aktive und passive Wahlrecht der Frauen in der Kirche Anwendung fand und das Verhältniswahlrecht eingeführt wurde (Listenwahl nach kirchlichen Gruppen). Damit wurde ein Schwebezustand beendet, die Drei-Minister-Funktion in der Kirche abgelöst und der W e g für eine kirchliche Neuordnung in Unabhängigkeit von außerkirchlichen Instanzen freigemacht. Die neue Kirchenverfassung, die jetzt ausgearbeitet wurde, schränkte die Befugnisse der Kirchenbehörden zugunsten einer Erweiterung der Rechte der Synoden ein. Als höchstes Organ der Landeskirche, deren zentralistische Struktur beibehalten wurde, war ein Kirchensenat vorgesehen. Der Name der Landeskirche lautete fortan „Evangelische Kirche der Altpreußischen Union". Die theologischen und kirchlichen Gegensätze prallten insbesondere bei der Formulierung des Bekenntnisvorspruches aufeinander. Trotz einer starken Opposition, die die Bekenntnisaussage der Kirche reduzieren oder sie gar ganz beseitigen wollte, wird schließlich die folgende Präambel angenommen: „Getreu dem Erbe der Väter steht die Evangelische Landeskirche der älterer^ Provinzen Preußen auf dem in der Heiligen Schrift gegebenen Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn des lebendigen Gottes, dem für uns Gekreuzigten und Auferstandenen, dem Herrn der Kirche, und erkennt die fortdauernde Geltung ihrer B e kenntnisse an: das Apostolische und der andere altkirchlichen, ferner der Augsburgischen Konfession, der Apologie, der Schmalkaldischen Artikel und des Kleinen und Großen Katechismus Luthers in den Lutherischen Gemeinden, des Heidelberger Katechismus in den Reformierten, sowie der sonstigen Bekenntnisse, w o solche in Kraft stehen. Das in diesen B e kenntnissen bezeugte Evangelium ist die unantastbare Grundlage für die Lehre, Arbeit und Gemeinschaft der Kirche." Dabei wurde betont, daß es sich weder um eine neue Bekenntnisgrundlage noch um eine verbindliche Lehrgesetzlichkeit handelt. Zahlreiche neue Aufgaben (Agende, Kirchliche Lebensordnung, die Ausbildung der Pfarrer, das Vikarinnengesetz von 1927. Stellungnahme zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, theologische Grundsatz-

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fragen, Aufgaben, der Auslandsdiaspora und der Ökumene u.a.m.) konnten auf dem Fundament der neu gewonnenen Ordnung in Angriff genommen werden. Ein besonderes Problem bildete die Lage der durch den Versailler Vertrag an den neugegründeten Polnischen Staat abgetretenen Provinzen Westpreußen-Danzig, Posen und Oberschlesien-Kattowitz. Es gelang im Internationalen Vertrag vom 15. Mai 1922 (deutsch-polnisches Abkommen) zunächst für die ostoberschlesische Kirche, dann aber praktisch auch für die anderen Gebiete das Zugeständnis zu erwirken, daß es den Religionsgesellschaften und Kirchengemeinden freistehe, „auch über die Staatsgrenzen hinaus rein kirchliche Beziehungen zum Zwecke gemeinsamen Handelns auf dem Gebiete des Bekenntnisses, der Lehre, des Kultus und der Liebestätigkeit zu unterhalten und dabei Gaben ihrer Glaubensgenossen anzunehmen" (Art. 88). Damit wurde die kirchliche Zugehörigkeit dieser Gebiete zur Preußischen Landeskirche in entscheidenden Bereichen anerkannt. Das Verhältnis zum Staat wurde am 31. Mai 1931 durch den „Vertrag der Evangelischen Landeskirche mit dem Freistaat Preußen nebst Schlußprotokoll" geregelt. In diesem Staatsvertrag waren vor allem zwei Punkte umstritten: die sogenannte „Politische Klausel" und die Mitwirkung der Kirche bei der Besetzung theologischer Lehrstühle an den staatlichen Fakultäten. Die „Politische Klausel" gab dem Staat das Recht, gegen die beabsichtigte Ernennung leitender kirchlicher Amtsträger Bedenken politischer Art geltend zu machen. Ein Zugeständnis, das sich bald als verhängnisvoll erweisen sollte. In der Frage der Berufung auf theologische Lehrstühle hatte die Staatsregierung ein Gutachten des Oberkirchenrats anzufordern, das sich über Bekenntnis und Lehre des zu Berufenden äußern sollte. Viel gewichtiger aber war die innere Wandlung in der Kirche, die durch das Aufkommen der „dialektischen Theologie" gekennzeichnet war. Mit ihr wurde eine neue Epoche in der evangelischen Theologie eröffnet. Diese Theologie wird in ihrem Anfangsstadium vor allem von Karl Barth in Gemeinschaft mit Eduard Thurneysen, Friedrich Gogarten, Emil Brunner, Rudolf Bultmann, Georg Merz und anderen vertreten. Eine Zeitschrift, in der sie sich versammelten, wurde seit 1922 unter dem Titel „Zwischen den Zeiten" herausgegeben. In diesem Namen kam die allgemeine Krise des Kulturbewußtseins in der Kriegs- und Nachkriegszeit zum Ausdruck. Die Bezeichnung „dialektische Theologie" wurde, wie Barth schrieb, dem Kreis „von irgendeinem Zuschauer angehängt" (Zwischen den Zeiten 1933, Heft 11, 536). Der Durchbruch zu einer „Theologie der Krise" oder auch zu einer „Theologie des Wortes", wie diese theologische Richtung auch genannt wurde, war zweifellos Karl Barths „Römerbriqf", besonders dessen 2. Auflage 1922, in der „kein

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Stein auf dem anderen geblieben ist". Die Not des Predigers, das Evangelium in dieser Zeit zu verkündigen, war wohl der innerste Anlaß zu einer theologischen Besinnung bei Karl Barth. Unter ausdrücklicher Berufung auf Philipper 3,12-15 war er Pfarrer in Genf und 1911 in Safenwil (Aargau) geworden. Die Beschäftigung mit Paulus und den Reformatoren, aber schon sein Studium bei Adolf Schlatter, Harnack und vor allem Wilhelm Herrmann hatte ihn zu der Überzeugung gebracht, daß das Wort Gottes als Offenbarungswort sich selbst begründet und jede andere Begründung ausschließt. Der hermeneutische Schlüssel zur Bibel als Wort Gottes wurde in der von ihr bezeugten, allen menschlichen Möglichkeiten entgegengesetzten offenbarenden Handelns Gottes gesehen. Dieses Handeln Gottes ist „das Wort in den Wörtern". Die Freiheit Gottes ist die Mitte dieser Theologie. Gott ist der „ganz Andere", der keiner Anknüpfung in irgend einer Anthropologie bedarf. Der „unendlich qualitative Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit" (Sören Kierkegaard) bringt den Menschen zum Bewußtsein seiner Trennung von Gott, seiner Sünde. „Gott ist im Himmel und du auf Erden." Wenn dennoch Möglichkeit und Wirklichkeit der Überwindung des „Grabens" objektiv vorhanden ist, so nur „in der Freiheit Gottes für den "Menschen in dem Sein Jesu Christi". Dadurch gewinnt die Christologie eine entscheidende Mitte für die Gotteserkenntnis. Es ist hier nicht möglich, Karl Barths Gotteslehre, die christologisch und trinitarisch begründet ist, seine Lehre von der Schöpfung, von der Prädestination (im Gegensatz' zu Luther und Calvin!), seinen Vorsehungsglauben oder seine Versöhnungslehre im einzelnen zu entwickeln. Nur sein durch alle Wandlungen festgehaltenes Prinzip, sein Ausgangspunkt sollte herausgestellt werden. Die dialektische Theologie wurde zur radikalen Auseinandersetzung mit der neuprotestantischen Theologie (Albrecht Ritsehl, Ernst Troeltsch u. a.) und mit Schleiermacher. Die Wirkung auf die jüngere Theologengeneration war durchschlagend. Die theologische Wende führte zu einer neuen Erkenntnis des biblischen Wortes („pneumatische Exegese"), zur neuen Vollmacht der Verkündigung und zur Existenzerhellung des Menschen der Nachkriegszeit. Als unter Berufung auf eine Theologie der Schöpfungsordnung eine erneute Mischung von Mensch und Gott in der Einheit von Volkstum und Religion von den „Deutschen Christen" vollzogen wurde, wurde Barths Theologie zur Kampfparole der Bekennenden Kirche (Theologische Existenz heute, Heft x, Juni 1933). Freilich kommt es nun auch zur Trennung von den bisherigen Gesinnungsgenossen in der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten". Barth präzisiert seine Ablehnung des „anthropologischen Vorverständnisses" und der „natürlichen Theologie" so radikal, daß er sich von Gogarten trennt und Brun-

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ners Lehre von Natur und Gnade ein zorniges „Nein" entgegenschleudert (Theol. Existenz, Heft 14). Die Zeitschrift „Zwischen den Zeiten" stellt ihr Erscheinen ein. Auch die Scheidung von Bultmann ließ nicht auf sich warten. Beide entwickelten sich von der rein dialektischen Anfangsgestalt einer Theologie des Wortes Gottes in entgegengesetzter Richtung. Auf alle Fälle wird man sagen müssen, daß durch diesen theologischen Aufbruch seit 1922 eine Bewegung in die Kirche kam, die den Zeugnischarakter des Evangeliums in Buße über eine vergangene Fehlentwicklung der Kirche und in neu gewonnener Freudigkeit zum Hören auf das Wort Gottes erweckte. An korrespondierenden, aber doch andersartigen und eigenständigen theologischen Kräften seien wenigstens zwei genannt. Erstens die sogenannte „Luther-Renaissance", ein unscharfer und vieldeutiger Ausdruck für die Tatsache einer neu einsetzenden Periode der Lutherforschung. Hier ist vor allem Karl Holl zu nennen, der entscheidende Gesichtspunkte für die Erkenntnis der Herausbildung von Luthers Rechtfertigungslehre in seinen frühen Vorlesungen setzte. Obwohl Holl in das Schema liberal-positiv nicht paßt - er bezeichnete sich gelegentlich als Schüler Ferdinand Christian Baurs, ohne sich von ihm abhängig zu machen - und noch dem protestantischen Idealismus verhaftet war, hat er doch eine epochemachende Wende in der Lutherforschung eingeleitet, die andere aufnahmen und fortsetzten (Otto Scheel, Heinrich Boehmer, Heinrich Bornkamm, Fritz Blanke, Paul Althaus, Werner Ehlert u. a.). Der Durchbruch geschah in Holls Rede von 1917 „Was verstand Luther unter Religion?" Gegenüber den „Dialektikern" war er im besten Sinnie ein Vertreter des „Historismus". Sodann muß an die theologische Bedeutung Paul Tillichs gedacht werden. Er stellte die Frage des Verhältnisses von Offenbarung und Vernunft. Die Korrelation von Theologie und Philosophie war ihm eine Lebensaufgabe. Er suchte darin den Konflikt zwischen der dialektischen und der liberal-humanistischen Theologie zu überwinden. Die paradoxe Gegenwart Gottes („Das Sein selbst", „Das, was uns unbedingt angeht") in allen Lebensbereichen hat er aufzudecken versucht. In dem Weltbezug seiner Theologie war Tillich dem späten Bonhoeffer nahe. Er war einer der Führer der religiösen Sozialismus. Im Dritten Reich verlor er schon am 6. Februar 1933 seinen Lehrstuhl in Frankfurt und gewann durch seine Lehrtätigkeit in N e w York und in Harvard (USA) eine weltweite Wirkung. Alle diese Bewegungen durchzogen in jenen Jahren von 19x8 bis 1933 auch die Unionskirche in Preußen. Sie stellten die Union nicht in Frage, aber drängten doch auf Reform in den kirchlichen Institutionen. Die nationale Gefangenschaft der Kirche, ihre Restauration in allen Bereichen,

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ihr Rückstand im Verstehen der Welt und in ihrem eigenen Angebot an den Menschen wurden durch eine kräftige Bewegung nach vorn in Frage gestellt. Zugleich wurden die theologischen Grundlagen geschaffen, die in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie für die Kirche dringend notwendig waren.

Die Union während der Herrschaft des

Nationalsozialismus

Die verzweifelte Lage des deutschen Volkes Ende der zwanziger Jahre waren ein günstiger Nährboden für die radikalen Parteien von rechts und links. Anfang 1933 gab es sechs Millionen Arbeitslose. Die demokratischen Parteien zerstritten sich auf eine Weise, die keine Festigung der jungen Republik herbeiführte. Bei der Anfälligkeit der Deutschen für starke nationalistische Parolen und dem Unvermögen, die tieferen geistigen und sittlichen Ursachen des Zusammenbruches von 1918 zu erkennen, gelang es einem Mann und seiner Bewegung, die enttäuschten Massen zu faszinieren. Durch eine skrupellose Propaganda und durch die Glorifizierung der deutschen Vergangenheit und einer angeblichen weltgeschichtlichen Sendung der arischen Rasse wurden die Massen in Bewegung gesetzt. Die Krise rief nach einem starken Mann, der eine Wandlung der Verhältnisse demagogisch versprach. Dazu wurde ein alteingewurzelter antisemitischer Affekt im deutschen Volk angefacht. A m 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die meisten verantwortlichen Männer in der Evangelischen Kirche waren der Herausforderung dieser geschichtlichen Stunde nicht gewachsen. Eine müde und satte, kampfentwöhnte und leidensscheue Kirche fand nur allmählich den W e g zu einer zeugnisgebenden Schar in der Bekennenden Kirche. An menschlicher Sünde, Verwirrung, Selbsttäuschung und Angst hat es dabei nicht gefehlt. Z u einem falschen Vertrauen auf die „Christlichkeit" des Nationalsozialismus trug nicht wenig der § 24. des Parteiprogramms bei, in dem es hieß, daß die Partei auf dem Boden eines „positiven Christentums" ohne konfessionelle Bindungen stehe. Der einschränkende Nachsatz dieses Paragraphen, „soweit sie (die Christlichkeit) nicht gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoße", wurde nicht emst genommen. Die scharfsinnige Warnung des damaligen Pfarrers Hermann Sasse an St. Marien in Berlin fand leider kein Echo (Kirchliches Jahrbuch 59, 1932, S. 1-170). Z u solcher falschen Beruhigung trug auch Hitlers Buch „Mein Kampf" bei, in dem es hieß: „Es konnte in den Reihen unserer Bewegung der gläubige Protestant neben dem gläubigsten Katholiken sitzen, ohne je in den geringsten Gewissens-

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konflikt mit seiner religiösen Überzeugung geraten zu müssen" (4. Auflage 1930, S. 632). Aufhorchen machte allerdings der „Mythos des 20. Jahrhunderts" von Alfred Rosenberg, in dem man lesen konnte: „Heute erwacht aber ein neuer Glaube, der Mythos des Blutes, der Glaube, mit dem Blute auch das göttliche Wesen des Menschen überhaupt zu verteidigen, der mit hellstem Wissen verkörperte Glaube, daß das nordische Blut jenes Mysterium darstellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat" (50. Auflage, S. 114). In der Kirche trat seit Mai 1932 eine kirchenpolitische Gruppe auf, die sich zunächst „ E v a n g e l i s c h e Nationalsozialisten", dann aber „Deutsche Christen" nannte. Ihr „Reichsleiter", der Berliner Pfarrer Joachim Hossenfelder hatte für diese Bewegung Richtlinien ausgearbeitet, in denen ein „bejahender, artgemäßer Christusglaube" propagiert wurde. Wenn auch später neue Richtlinien erschienen, in denen das Wort vom „artgemäßen Christusglauben" nicht mehr gebraucht wurde, so wurde doch sehr bald deutlich, daß dies nur ein taktisches Manöver zur Beruhigung der Aufregung war, die jener theologische Begriff erzeugt hatte. Es war eine natürliche Theologie, die sich auf den 1. Artikel stützte und Volkstum, Nation und Rasse als gottgewollte Schöpfungsordnungen in den Mittelpunkt des christlichen Glaubens rückte (Wilhelm Stapels „Volksnomos"). Den Deutschen Christen gelang es, bei den preußischen Kirchenwahlen 1932 etwa 25-30 Prozent der Sitze in den Gemeindekörperschaften und Synoden zu erringen. Als verlängerter Arm des Nationalsozialismus in der Kirche wollten sie freilich die ganze Macht, um die „Gleichschaltung" der Kirche mit der völkischen Revolution durchzusetzen. Demgemäß forderte man eine radikale personelle Veränderung in den leitenden kirchlichen Ämtern, die „dem Aufbruch des Volkes" Rechnung trage. Besonders wandte man sich gegen den Generalsuperintendenten der Kurmark Otto Dibelius, der in einem Hirtenbrief an seine Pfarrer seine Besorgnis über die Entwicklung in der Kirche ausgesprochen hatte. Am 25. April 1933 ernannte Adolf Hitler den Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller zu seinem Bevollmächtigten in den Angelegenheiten der Evangelischen Kirche. Dieser übernahm zugleich die „Schirmherrschaft" über die „Deutschen Christen". Damit waren alle Weichen zur „Machtübernahme" des Nationalsozialismus in der Kirche gestellt. Unverblümt konnte Hossenfelder die Forderung stellen, daß Vertreter seiner Bewegung an den Sitzungen des Evangelischen Oberkirchenrates, des Kirchensenats, der Provinzialkirchenräte und der Konsistorien teilnehmen müßten. Der Präsident des Oberkirchenrates D. Kapler antwortete, daß die Mitglieder der kirchlichen Behörden ihr Amt nach der Ver-

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fassung der Altpreußischen Kirche und nicht als Vertreter kirchlicher Gruppen oder Richtungen auszuüben hätten. D. Kapler, der hohes Ansehen in seiner Kirche, aber auch in der Ökumene genoß, begann im Auftrage der Landeskirchen zusammen mit dem lutherischen Landesbischof Marahrens-Hannover und dem reformierten Predigerseminardirektor Hesse-Elberfeld die Erarbeitung eines Entwurfes einer Verfassung für eine föderalistische Deutsche Evangelische Kirche. Ein lutherischer Reichsbischof sollte an ihrer Spitze stehen, ihm zur Seite ein Geistliches Ministerium stehen und bei der Gesetzgebung und der Bestellung der Kirchenleitung eine deutsche Nationalsynode mitwirken. Dieser Verfassungsentwurf, in der Stille des Klosters Loccum ausgearbeitet, wurde am 20. Mai 1933 veröffentlicht. A m 26-/27. Mai traten die Bevollmächtigten der Landeskirchen zusammen, um den in der Verfassung vorgesehenen Reichsbischof zu designieren. Mit großer Mehrheit wurde für dieses Amt Pastor Friedrich von Bodelschwingh, der Leiter der weltbekannten diakonischen Einrichtungen in Bethel, benannt. Der neue Reichsbischof sagte in einer Botschaft von sich selbst: „Ginge es nach mir, so würde ich lieber Reichsdiakon als Reichsbischof genannt werden." Die Deutschen Christen begannen sofort einen heftigen Kampf gegen Bodelschwingh, wobei sie durch die Partei und den Staat (Presse, Rundfunk) kräftig unterstützt wurde. Unter dem Druck, der nun einsetzte, trat D. Kapler am 21. Juni von seinem Amt als Präsident des Oberkirchenrates zurück. Die Beauftragung des Generalsuperintendenten StoltenhofF mit der kommissarischen Wahrnehmung der Präsidialgeschäfte erklärte der Kultusminister Rust auf Grund des Preußischen Staatsvertrages mit den Kirchen („Politische Klausel") für rechtswidrig und setzte den Landgerichtsrat August Jäger zum Staatskommissar für die evangelischen Kirchen in Preußen ein „mit der Vollmacht, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen". Jetzt trat auch von Bodelschwingh zurück. Jäger beauftragte mit der Leitung des Oberkirchenrates den Rechtsanwalt Dr. Werner, der wohl ein treuer Parteigenosse war, aber keinerlei inneres Verhältnis zur Kirche und zum christlichen Glauben besaß. Als die meisten Dezernenten und Referenten die Mitarbeit mit Jäger und Werner verweigerten, wurden sie sogleich von ihren Ämtern beurlaubt und ihre Stellen überwiegend mit Deutschen Christen besetzt. Pfarrer Hossenfelder wurde zum kommissarischen geistlichen Vizepräsidenten des Oberkirchenrates ernannt. A m 2. Juli wurde ein allgemeiner „Dankgottesdienst" angeordnet „aus Anlaß des großen Werkes der Neuordnung der Kirche". Aber schon zeigte sich, daß mit einem erheblichen Widerstand der Pfarrer und Gemeinden zu rechnen sein würde. Obwohl Staatskommissar

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Jäger eine Verordnung erließ, nach dem jeder Widerstand gegen seine Anordnungen „als Volks- und Staatsverrat" betrachtet werden müsse, der „sofort zu unterdrücken wäre", zeigte sich anläßlich des angeordneten „Dankgottesdienstes", daß den Deutschen Christen der Einbruch in die Pfarrerschaft und die Gemeinden nicht geglückt war. Die durch die dialektische Theologie einsetzende theologische Besinnung rüttelte das Gewissen vieler Gemeindeglieder und Pfarrer auf und schärfte das Vermögen zur Unterscheidung der Geister (i. Joh. 4, 1 ff.). Das führte zu einer Intervention des Reichspräsidenten von Hindenburg, durch die, allerdings nur für wenige Wochen und unter Hinnahme der weiteren Führung der Präsidialgeschäfte durch Dr. Werner, der bisherige Oberkirchenrat wieder in das Dienstgebäude in der Jebensstraße einzog. Für den 23. Juli 1933 wurden Neuwahlen zu den kirchlichen Körperschaften angesetzt. Die bekenntnistreuen Kräfte unter Führimg von Pastor Martin Niemöller in Berlin-Dahlem u.a. zogen in diesen kirchenpolitischen Wahlkampf unter der Parole „Kirche muß Kirche bleiben" mit einer von ihnen gegründeten Gruppe unter dem Namen „Evangelium und Kirche". Aber unter Druck der Partei und der Staatsorgane (Aufruf Hitlers am Vorabend der Wahl im Rundfunk zu Gunsten der Deutschen Christen) errangen die Deutschen Christen im Durchschnitt 75 Prozent aller Sitze in den kirchlichen Körperschaften. Nur in der Kirchenprovinz Westfalen gelang ihnen kein „Sieg". Auf Grund dieses Ergebnisses wurde am 4. August Ludwig Müller zum Präsidenten des Oberkirchenrates mit der Amtsbezeichnung „Landesbischof" vom alten Kirchensenat gewählt. Als die neue Generalsynode am 4. September in Berlin zusammentrat, verabschiedete sie ein Kirchengesetz über die Errichtung von 10 Bistümern in der Altpreußischen Kirche: Brandenburg, Cammin, Berlin, Danzig, Königsberg, Breslau, Köln-Aachen, Münster, Magdeburg-Halberstadt und Merseburg-Naumburg. Ferner nahm sie das „Gesetz betreffend der Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten" an, das den sogenannten „Arierparagraphen" enthielt und die Zurruhesetzung aller Pfarrer in Aussicht stellte, die nicht „jederzeit riickh?ltlos für den nationalen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche eintreten". Außerdem wurde das „Führerprinzip" für die Kirche statuiert. Am 27. September 1933 trat die Nationalsynode in Wittenberg zusammen und wählte Ludwig Müller zum Reichsbischof. Dieser übertrug am 1. März 1934 seine Befugnisse als Landesbischof der Altpreußischen Kirche auf sich selbst als Reichsbischof. Diese „Eingliederung" der Altpreußischen Kirche machte sie zu einer Art Kirchenprovinz der Deutschen Evangeli-

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sehen Kirche. Eine starke einheitliche Nationalkirche mit Arierparagraph und Führerprinzip unter Leitung der Deutschen Christen war das sich immer deutlicher abzeichnende Ziel dieser Entwicklung. Es schien trotz mancher Widerstände erreicht oder jedenfalls auf dem Wege seiner Verwirklichung zu sein. Aber das war eine Selbsttäuschung. Auf der Höhe ihrer Macht standen die Deutschen Christen vor ihrem tiefen Fall. Der Arierparagraph und das Führerprinzip waren mit den biblischen und bekenntnismäßigen Grundlagen der Kirche nicht vereinbar. Martin Niemöller rief am 21. September 1933 zur Gründung des Pfarrernotbundes auf, dem sogleich Hunderte von Pfarrern in Preußen beitraten. (Ende des Jahres 1933 hatte der Pfarrernotbund fast 6000 Mitglieder.) Die Verpflichtung des Pfarrernotbundes bestand in vier schlichten Sätzen: „ 1 . Ich verpflichte mich, mein Amt als Diener des Wortes auszurichten, allein in der Bindung an die Heilige Schrift und an die Bekenntnisse der Reformation als die rechte Auslegung der Heiligen Schrift, 2. Ich verpflichte mich, gegen alle Verletzung solchen Bekenntnisstandes mit rückhaltlosem Einsatz zu protestieren, 3. Ich weiß mich nach bestem Vermögen mitverantwortlich für die, die um solchen Bekenntnisstandes willen verfolgt werden, 4. In solcher Verpflichtung bezeuge ich, daß eine Verletzung des Bekenntnisstandes fhit der Anwendung des Arierparagraphen im Rahmen der Kirche geschaffen ist." Damit war .der Grundstein zur Formierung der Bekennenden Kirche in Preußen gelegt. Am 1 1 . November wurden die Pfarrer Niemöller, von Rabenau und Scharf ihrer Ämter enthoben. Diese ersten Disziplinarmaßnahmen sollten im Laufe der nächsten Jahre eine Fülle von Amtsenthebungen, Gewaltakten, Ausweisungen, Redeverboten, Verhaftungen folgen. A m 13. November kam es bei den Deutschen Christen zum „großen Krach", der zu ihrem unaufhaltsamen Zerfall führte. Auf einer Kundgebung im Sportpalast hatte der Gauobmann der Deutschen Christen in Berlin, Dr. Reinhold Krause, eine Rede gehalten, in der er das Alte Testament „mit seiner jüdischen Lohnmoral" und seine „Viehhändler- und Zuhältergeschichten" als „eines der fragwürdigsten Bücher der Weltgeschichte" bezeichnet. Er forderte die Einung „des nordischen deutschen Geistes mit dem heldischen Jesus", die Entfernung alles Undeutschen aus Gottesdienst und Bekenntnis, die „Entjudung" des Evangeliums und der Kirche und die Verkündigung einer nordisch-heldischen Jesusgestalt. Massenaustritte aus den Deutschen Christen waren die Folge. Viele Männer von allgemeinem Ansehen in der Kirche, die zunächst geglaubt hatten, in den Deutschen Christen einen echten volksmissionarischen Ansatz zu finden, verließen nun diese Bewegung. Dazu kam, daß die radikalen Vertreter der völkischen Deutschen Christen sich in der „National-

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kirchlichen Einung" (sog. Thüringer Deutsche Christen) selbständig machten. Es ist nicht möglich, das Durcheinander zu schildern, das seitdem einsetzt (Rücktritt des „Geistlichen Ministeriums", Beurlaubung Hossenfelders von seinen Ämtern, „Umbau" der Deutschen Christen, Versuch Ludwig Müllers mit seiner „Verordnung betr. Wiederherstellung geordneter Zustände in der D E K " vom 4. Januar 1934 autoritär durchzugreifen, Empfang der Kirchenführer am 25. Januar 1934 durch Hitler, Kanzelabkündigung des Pfarrernotbundes im Januar desselben Jahres, Maßregelung von über 200 Pfarrern bis zum März 1934 durch die kirchlichen Behörden u.a.m.). Wichtig ist, daß jetzt die ersten Bekenntnissynoden entstehen. Zunächst in der Form von „Freien Synoden" (die erste in Barmen-Gemarke 3. und 4. Januar 1934), sodann als Erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche vom 29. bis 31. Mai 1934 in Barmen, nachdem ihr unmittelbar die 1. Bekenntnissynode der A P U vorausgegangen war. Sie beschäftigten sich mit der Rechtslage in der Unionskirche und mit dem Aufbau einer Bekennenden Kirche in ihr. Sie wählte einen Bruderrat als Leitungsorgan unter dem Vorsitz des westfälischen Präses D. Koch. Damit war gegen den Oberkirchenrat und die Provinzialkonsistorien ein „Notkirchenregiment" aufgerichtet, das sich auf eine große Anzahl von Pfarrern und vor allem auf weitgehende Zustimmung der Gemeinden stützen konnte. Richtungsweisend wurde die „Theologische Erklärung", die die Erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Bannen annahm. Sie hat in sechs Sätzen Jesus Christus als das eine Wort Gottes, „das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben", bezeugt und daraus klar die Folgerungen für alle Bereiche unseres Lebens, auch für die Ordnung der Kirche und ihre Ämter, aber auch für den Staat (These 5) gezogen. In ausdrücklicher Verwerfung wurden die Irrlehren der Zeit abgewiesen. Diese Theologische Erklärung ist nicht nur eine grundlegende Aussage für die Bekennende Kirche im Dritten Reich geworden, sondern hat „eine wegweisende Bedeutung für die versuchte und angefochtene Kirche" bis heute (Grundartikel der Ordnung der Evangelischen Kirche der Union vom 20. Februar 1951 Ziffer 7). Kontrovers wurde alsbald die Frage, was die Theologische Erklärung von Barmen für die Union bedeutete. In einem Wort, das die Synode zur Erläuterung hinzugefügt hatte, hieß es: „Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag." Faktisch hatten hier lutherische, reformierte und unierte evangelische Christen zu einem gemeinsamen Zeugnis gefunden, ungeachtet ihrer verschiedenen konfessionellen Herkunft und Tradition. Die

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Nötigung zum aktualen Bekennen in einer bestimmten Situation hatte auch bekenntnisverschiedene Christen zu einem gemeinsamen Wort in Zeugnis und Verwerfung geeint. Im Oktober 1934 folgte die zweite Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche in Deutschland, in deren Vollzug sich am 22. November die „Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche" (VKL) unter Vorsitz des Landesbischofs Marahrens aus Hannover konstituierte, die auf der Dritten Bekenntnissynode derDEK in Augsburg bestätigt wurde. Sie weitete damit auf den Bereich der Deutschen Evangelischen Kirche das aus, worin die 1. Altpreußische Bekenntnissynode mit der Konstituierung des Altpreußischen Bruderrates vorangegangen war. In Zukunft mußte die Altpreußische Bekenntnissynode mit ihrem Bruderrat die Hauptlast des Kirchenkampfes tragen, vor allem nachdem auf der Vierten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Bad Oynhausen schwere und nicht überwindbare Gegensätze auch in der Bekennenden Kirche offenbar geworden waren. Die Bekennende Kirche in der Altpreußischen Union ist konsequent ihren Weg synodal-bruderrätlich gegangen, während die deutschchristlich besetzten Kirchenbehörden keine Synoden mehr zustande brachten. Es war die Stärke der Bekennenden Kirche, daß sie tief in den bekenntnistreuen Gemeinden verwurzelt war. An den Beschlüssen und Äußerungen der preußischen Bekenntnissynode soll im folgenden der Gang der Ereignisse in jenen Jahren aufgezeigt werden. Mit der Proklamierung des bekenntnismäßigen Notrechts wurde übrigens ein Prozeß der Neuorientierung des evangelischen Kirchenrechts eingeleitet, der seine Wirkung bis in die Gegenwart hat. Die 2. Bekenntnissynode unserer Kirche tagte vom 4. bis 5. März 1935 in BerlinDahlem. Sie billigte die Errichtung einer Treuhandstelle durch Präses D. Koch, die es ermöglichen sollte, ohne Anerkennung unrechtmäßiger Kirchenbehörden landeskirchliche Umlagemittel treuhänderisch zu verwalten. Nachdem die Gleichschaltung der Kirche durch die Deutschen Christen gescheitert war, versuchte der Staat seinerseits die Ordnung der kirchlichen Verhältnisse in die Hand zu nehmen. Am I i . März 1935 setzte er bei den Konsistorien Finanzabteilungen ein, die praktisch die Kirchenprovinzen regierten. Mit Schaffung einer Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der Deutschen Evangelischen Kirchen wurde der Weg der Rechtsprechung vor den ordentlichen Gerichten, die oftmals den Klagen Bekennender Gemeinden und Pfarrer gegen die Kirchenbehörden stattgegeben hatten, abgeriegelt. Durch die Berufung des bisherigen preußischen Justizministers Hanns Kerrl zum Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten wurde dieser Versuch, staatlicherseits direkt das äußere Gefüge: der Kirche in die Hand zu bekommen, zunächst abgeschlossen.

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Angesichts der zunehmenden heidnisch-völkischen Propaganda hat die 2. Altpreußische Bekenntnissynode ein „Wort an die Gemeinden" beschlossen, das am 17. März in allen Gottesdiensten verlesen werden sollte. Dieses „Wort an die Gemeinden" beginnt mit dem Satz: „ W i r sehen unser Volk von einer tödlichen Gefahr bedroht. Die Gefahr besteht in einer neuen Religion. Die Kirche hat auf Befehl ihres Herrn darüber zu wachen, daß in unserem Volk Christus die Ehre gegeben wird, die dem Richter der Welt gebührt." Hier wird zum ersten Male das „Wächteramt der Kirche" im öffentlichen Leben proklamiert. (Hes. 3,17 ff.; Hebr. 13, 17; 1. Thess. 5, 12; Apg. 20, 28 ff.; Joh. 10, 11 ff). Die neue Religion, vor der zu warnen die Kirche nach dem 1. Gebot die Pflicht hat, wurde klar und unmißverständlich gekennzeichnet: „1. In ihr wird die rassisch-völkische Weltanschauung zum Mythos. In ihr werden Blut und Rasse, Volkstum, Ehre und Freiheit zum Abgott. 2. Der in dieser neuen Religion geforderte Glaube an das ewige Deutschland setzt sich an die Stelle des Glaubens an das ewige Reich unseres Herrn und Heilands Jesus Christus. 3. Dieser Wahnglaube macht sich seinen Gott nach des Menschen Bild und Wesen. In ihm ehrt, rechtfertigt und erlöst der Mensch sich selbst. Solche Abgötterei hat mit positivem Christentum nichts zu tun. Sie ist Antichristentum." Dieses „Wort an die Gemeinden" schlug wie eine Bombe ein. Der Reichsminister des Innern verbot die Verlesung im Gottesdienst, und am Tage vorher erschienen bei fast allen Pfarrern Beauftragte der Geheimen Staatspolizei, um ihnen dieses Verbot mitzuteilen. A m 18. März wurden fast 500 Pfarrer wegen der Verlesung des „Wortes" verhaftet. Als die Zahl der Verhaftungen 715 überschritt, gab die Reichsregierung nach in der Hoffnung, daß „die kleine Backpfeife", wie ein deutschchristlicher Bischof es ausdrückte, genügen werde. Darin sah er sich freilich getäuscht. Die 3. Bekenntnissynode der Altpreußischen Kirche trat vom 23. bis 26. September 1935 in Berlin-Steglitz zusammen. Sie war die erste und einzige Synode, auf der ein Vertreter des Staates das Wort erhielt, der Ministerialrat Dr. Stahn. Er fing seine Rede mit dem Satz an: „Der Herr Reichsminister hätte es wesentlich lieber gesehen, die Tagung fände nicht statt." Unter Hinweis auf Jesus Sirach 23, 7 forderte er die Synode auf, „das Maul zu halten", und ließ es am Schluß seiner Rede nicht an massiven Drohungen fehlen. Die Synode, die sich wiederum mit einer Botschaft an die Gemeinden („Die Freiheit der Gebundenen") wandte, faßte Beschlüsse gegen die Einsetzung der staatlichen Finanzabteilungen bei den Kirchenbehörden und gegen die Rechtsbeugung der Beschlußstelle beim Reichskirchenminister. Wichtig aber war vor allem der „Beschluß zur Judenfrage". Hiermit wurde der Anfang gemacht, „eine nach Schrift

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und Bekenntnis richtungweisende Antwort" auf dieses immer brennender werdende Problem zu erarbeiten. Die 4. Bekenntnissynode hielt ihre 1. Tagung vom 16. bis 18. Dezember 1936 in Breslau und ihre 2. Tagung vom 10. bis 13. Mai 1937 in Halle. Bei der ersten Tagung ging es um die Kirchenausschüsse. Kerrl hatte am 3. Oktober 1935 auf Grund einer ihm durch das am 24. September von Hitler erlassene „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" gegebenen Vollmacht einen Reichskirchenausschuß unter Vorsitz des früheren westfälischen Generalsuperintendenten D. Zoellner und einen Landeskirchenausschuß für die Altpreußische Kirche unter Vorsitz des ehemaligen Magdeburger Generalsuperintendenten D. Eger eingesetzt. Wenn auch diese Ausschüsse, die „eine mittlere Linie" zu gehen versuchten, die gröbsten Mißstände der deutschchristlichen Gewaltherrschaft beseitigten (Pensionierung der DC-Bischöfe, Zurücknahme der Disziplinarmaßnahmen gegen Pfarrer, Legalisierung der „illegalen jungen Brüder", die von den Prüfungskommissionen der Bekennenden Kirche geprüft und ordiniert worden waren u.a.m.), so mußten sie doch auf die Deutschen Christen und den NS-Staat Rücksicht nehmen. Der Preußische Bruderrat stellte fest, daß die nach dem Notrecht bestellten Organe nach wie vor legitim im Amt seien und die Vertretung und Leitung der Kirche wahrnehmen. Die Synode bestätigte diese Stellungnahme in einem „Wort über Kirche und Kirchenleitung". Vor allem aber befaßte sie sich mit der 5. Durchführungsverordnung vom 12. Dezember 1935 zum „Sicherungsgesetz der D E K " , durch die die Ausübung kirchenregimentlicher und kirchenbehördlicher Befugnisse „durch kirchliche Vereinigungen oder Gruppen" >als „unzulässig" verboten wurde. Dieser Verordnung war ein Empfang des gesamten Preußischen Bruderrates beim Reichsminister am 27. November vorausgegangen, auf dem dieser kategorisch gesagt hatte: „Ich dulde nicht mehr, daß Bruderräte sich anmaßen, sich in die inneren Dinge der Kirche einzumischen." Die 5. Durchführungsverordnung verbot insbesondere die Besetzung von Pfarrstellen, die Berufung von geistlichen Hilfskräften, die Prüfung und Ordination von Kandidaten, die Visitation von Kirchengemeinden, die Anordnung von Kanzelabkündigungen, die Sammlung von Kollekten sowie die Berufung von Synoden durch „unzulässige Organe". Dies traf die Bruderräte erheblich, denn alle diese kirchlichen Handlungen hatten sie seit Jahr und Tag vollzogen. Die Breslauer Synode wies diesen umfassenden Eingriff des Staates in die Kirche zurück und erließ Ordnungen über die Vorbildung und Anstellungsfahigkeit der Geistlichen. Wichtiger aber war die 2. Tagung der 4. Altpreußischen Bekenntnissynode in Halle. Auf ihr stand das Unionsverständnis unserer Kirche zur Ver-

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handlung. Schon lange war eine Spannung zwischen den sogenannten „intakten Kirchen" (Bayern, Württemberg, Hannover) und den „zerstörten Kirchen" (vor allem der APU) eingetreten. Das ergab sich einfach aus ihrer verschiedenen Lage. Die lutherischen Kirchen suchten ihr noch intaktes Kirchenregiment zu erhalten und waren daher zu Kompromissen bereit (bedingtes Ja zu den Kirchenausschüssen). Die Altpreußische Synode und ihr Bruderrat aber blieben auf dem Wege von Bannen und Dahlem, auf dem Wege des kirchlichen Notrechts und ihres Notkirchenregiments. Aber tiefgreifender waren theologische Bedenken, die von ludierischer Seite gegen die Union als Kirche erhoben wurden. Der Wunschtraum einer „Lutherischen Kirche Deutscher Nation" (Begründung eines „Lutherischen Rates" am 25. August 1934) stand dahinter. Der Beschluß der Hallenser Synode „Zur Frage der Abendmahlsgemeinschaft" und „Zur konfessionellen Frage in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union" bestimmte den theologischen W e g der Unionskirche bis in die Gegenwart. „Die Gnadengabe des von ihm eingesetzten Abendmahls seiner Gemeinde ist der Herr selbst. Darum stehen gemeinsame Abendmahlsfeiern zwischen uns Lutheranern, Reformierten und Unierten nicht im Widerspruch zu der schriftgemäßen Verwaltung des heiligen Abendmahls." W i e sich heute in den Unionsbestrebungen auf ökumenischer Basis, aber auch in Deutschland (Amoldshainer Thesen, Abendmahlskommission der EKD) zeigt, war die Hallenser Synode mit ihren Beschlüssen „ein Wurf in die Zukunft". Daß der „Lutherische Rat" sich am 1 j . Juni 1937 zu diesen Ergebnissen sehr kritisch äußerte und damit die Spannung innerhalb der Bekennenden Kirche beträchtlich erhöhte, kann heute nur als wirklichkeitsfremd beurteilt werden. Die 5. Synode der Altpreußischen Union wurde vom 21. bis 27. August 1937 in Lippstadt in Westfalen abgehalten. Die Synode beriet vor allem über die Kollektenfrage. Der Reichskirchenminister hatte durch einen Runderlaß vom 6. Juli 1937 „die AufStellung von Kollektenplänen durch einzelne kirchliche Gruppen" unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung verboten. Dieses'Verbot gefährdete die Bekennende Kirche erheblich. Die Ausbildung und die materielle Versorgung der „jungen Brüder" erforderten beträchtliche Mittel, die durch die Opfer und Kollekten der Gemeinden aufgebracht wurden (Predigerseminare in Finkenwalde unter der Leitung Dietrich Bonhoeffers, in Blostau/Ostpreußen unter Lic. Hans-Joachim Iwand und in Naumburg/Schlesien unter Dr. Gerhard Gloege). Der Preußische Bruderrat gab eine „Handreichung zur Frage der Kirchenkollekten" heraus, in der es heißt: „Nach der Zerstörung aller synodalen Organe der Kirche durch Irrlehre, Rechtsbruch und Gewalttat haben die an Gottes Wort gebundenen Bekennenden Gemeinden auf

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Grund des vom Bekenntnis gebotenen kirchlichen Notrechts neue synodale Organe, Bekenntnissynoden und Bruderräte gebildet, die für die Dauer des kirchlichen Notstands die allein rechtmäßigen Leitungsorgane der Kirche sind." „Jetzt wird durch den staatlichen Eingriff in das Kollektenwesen versucht, der Kirche ein fremdes Gesetz aufzuerlegen, das dazu dienen soll, der wahren Kirche die Opfer ihrer Gemeinden zu nehmen und ihr dadurch die Sorge für die bekenntnismäßige Ausbildung der Diener am Wort, die Fürsorge für die notleidenden Glieder der Kirche und die rechte Belehrung und Anfechtung der angefochtenen Gemeinden unmöglich zu machen." Die Lippstädter Synode bestätigte diese Handreichung des Bruderrates und gab eine Weisung für die zukünftige Regelung des Kollektenwesens in der Altpreußischen Union heraus. Hierin wurden der Sinn des Opfers evangelischer Christen biblisch begründet und neue Wege für die Aufbringung der notwendigen Mittel für die kirchliche Arbeit aufgezeigt. Viele Hunderte von Pfarrer und Gemeindeglieder machten dieser Sache wegen die Bekanntschaft mit der Geheimen Staatspolizei und mit dem Gefängnis. Die 6. Bekenntnissynode der APU hatte sich in ihren beiden Tagungen (Berlin-Nikolassee vom n . bis 13. Juni 1938 und Berlin-Steglitz vom 31. Juli 1938) mit der Eidesfrage zu beschäftigen. Die vom Staat eingesetzten Kirchenausschüsse hatten Ende August 1937 ihr Ende gefunden. Die von Hitler angekündigten Kirchenwahlen, in denen „die Kirche in voller Freiheit nach eigener Bestimmung des Kirchenvolks sich selbst die neue Verfassung und damit eine neue'Ordnung geben" sollte, fanden nicht statt. Am 1. Juli 1937 war Martin Niemöller verhaftet und später ins Konzentrationslager überführt worden. Auch zahlreiche andere Mitglieder des Preußischen Bruderrates wurden für kurze oder auch längere Zeit gefangen genommen. Die Stunde der Fürbitte war gekommen. Durch die 17. Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz vom 10. Dezember 1937 wurden schließlich alle kirchenregimentlichen Befugnisse auf einen Mann, nämlich Dr. Werner, von Staats wegen übertragen. Er erließ am 20. April 1938 die „Verordnung betr. Treueid der Geistlichen und Kirchenbeamten der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union". In § 4 der Anordnung hieß es kurz und knapp: „Wer sich weigert, den in § x vorgeschriebenen Treueid zu leisten, ist zu entlassen" (§ 57 DBG). Diese Anordnung rief eine Welle von enthusiastischer Zustimmung bei den Deutschen Christen und Kritik bei der Bekennenden Kirche hervor. Die Bekenntnissynode der A P U in Nikolassee erarbeitete eine Eidesbelehrung, die bei der Eidesleistung zu den Personalakten abgegeben werden sollte. In der Belehrung wurde festgestellt, daß „die im Ordina-

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tionsgelübde übernommenen Amtspflichten durch den der Obrigkeit geleisteten Eid weder ergänzt noch beschränkt" werden. Im übrigen wurde die staatliche Forderung des Treueides als notwendig erachtet. Doch war durch diese Beschlüsse der Synode noch keineswegs Klarheit geschaffen. So trat die 6. Bekenntnissynode am 31. Juli 1938 noch einmal in Steglitz zusammen. Auf Grund einer Reihe von „Tatbeständen", die allerdings recht zweifelhafter Natur waren, erachtete sie das Vorliegen der staatlichen Forderung des Eides gegeben. Sie stellt fest, daß die Eideserklärung des Preußischen Bruderrates angenommen und die Bindung an das Ordinationsgelübde öffentlich anerkannt worden sei. Die Synode erklärt die auf Grund von Schrift und Bekenntnis erhobenen Bedenken für ausgeräumt. Dieser synodalen Entscheidung wollte niemand recht froh werden. Viele Bekenntnispfarrer leisteten nach der Synode mit belastetem Gewissen den Eid auf Adolf Hitler. Etwa 10 Prozent der Pfarrerschaft blieb beharrlich in der Eidesverweigerung. Die Tragödie der Eidesfrage in der Kirche wurde freilich zur Tragikomödie, als durch ein Rundschreiben der Partei offenbar wurde, daß der Treueid vom Staat überhaupt nicht gefordert und als rein innerkirchliche Angelegenheit erklärt wurde. Der Weg der Bekennenden Kirche wurde in den folgenden Jahren schwerer. Viele waren in den aufreibenden Kämpfen müde geworden. Durch fünf Verordnungen im März 1939 beschnitt Dr. Werner auch die letzten Möglichkeiten einer freiheitlichen Entscheidung der Pfarrer und Gemeinden nach Schrift und Bekenntnis. Die Krönung dieser Entwicklung war jedoch die sogenannte „Godesberger Erklärung". Sie enthielt klar und eindeutig das Programm der „Nationalkirchlichen Einung" (Thüringer Deutsche Christen). Die „artgemäße Weltanschauung" wird in dieser Erklärung „nach der weltanschaulich-politischen Seite hin als Fortsetzung und Vollendung des Werkes, das der deutsche Reformator Martin Luther begonnen hat", deklariert. „Echter christlicher Glaube entfaltet sich fruchtbar nur innerhalb der gegebenen Schöpfungsordnungen." „Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum." Am 4. April 1939 bejahte Dr. Werner für die Altpreußische Kirche diese Sätze. Die 7. und 8. Bekenntnissynode (29. bis 31. Januar und 20. bis 22. Mai 1939 in Berlin) haben zu dieser Lage Stellung genommen. Die Exaudi-Synode traf ausdrücklich die „Feststellung, daß Dr. Werner die Grundlagen und die Gemeinschaft der christlichen Kirche verlassen hat". Aber die Synoden erschöpften sich nicht nur in der Abwehr eines offen christusfeindlichen Kirchenregiments. Sie förderten zugleich den Aufbau der Gemeinden aus dem Wort Gottes.

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Inzwischen warf die Gefahr eines kommenden Krieges ihre Schatten voraus: Die Bedrohung der Tschechoslowakei signalisierte den bevorstehenden Krieg. Die 2. Vorläufige Kirchenleitung, die mit dem Preußischen Bruderrat aufs engste verbunden war, gab am 27. September 1938 eine Ordnung für einen Gebetsgottesdienst für den Frieden heraus. Es war ein Bußgottesdienst, in dem die Sünden der Kirche und des Volkes öffentlich bekannt wurden. „Durch Menschenfurcht haben wir dein Wort oft ungläubig gemacht." „Wir haben ein falsches Evangelium nur zu sehr geduldet." „Dein Name ist in unserem Volk verlästert, dein Wort bekämpft, deine Wahrheit unterdrückt worden. Öffentlich und im Geheimen ist viel Unrecht geschehen." „Wir gedenken aller, die in Versuchung stehen, grausam Rache zu üben und vom Haß überwältigt zu werden. Wir gedenken der Menschen, deren Land der Krieg bedroht, und beten für sie alle zu Gott." Diese Gebetsliturgie für den Frieden führte zu einem Kesseltreiben gegen die führenden Brüder in der Bekennenden Kirche. Die nächsten Synoden der Bekennenden Kirche in unserer Kirche fanden schon im Kriege statt. Aus Sicherheitsgründen versammelte man sich außerhalb Preußens. Die 9. Bekenntnissynode tagte vom 12. bis 13. Oktober 1940 in Leipzig. Sie stellte sich der inneren Notsituation der Kirche. „ Z u den Zeichen der Zeit gehört die offen sichtbar und immer deutlicher werdende Tatsache, daß sich die Stellung der christlichen Kirche im Leben unseres wie auch anderer abendländischer Völker grundlegend wandelt. Die christliche Volkskirche zerfällt. Die Bestimmtheit des öffentlichen Lebens durch das Christentum hört auf", so heißt es in der Entschließung der Synode. „Was kann die gläubige Gemeinde in dieser Lage anderes tun, als sich inmitten, des Zerfalls der Volkskirche und des Abfalls vom christlichen Glauben um Wort und Sakrament versammelte, aus der Angefochtenheit und Bedrängnis heraus beten um den Heiligen Geist, um die Erneuerung der Kirche, um das Ende der Nöte und die Ankunft Jesu Christi." Der Kampf hatte gewiß nicht aufgehört, er war härter geworden, aber die Bekennende Kirche in Altpreußen hatte sich dem inneren Aufbau der „gläubigen Gemeinde" in Gebet und Gottesdienst zugewendet. Die 10. Preußen-Synode, die vom 21. bis 23. Oktober 1941 in HamburgHamm zusammenkam, verwies die Gemeinde auf die Verheißungen ihres Herrn. „ W o die Gemeinde bei ihrem Herrn bleibt, da werden die großen Verheißungen nicht unerfüllt bleiben, die Gott den Treuen gegeben hat. Zeiten kommen und gehen und Menschenmeinungen wandeln sich. Aber die Kirche bleibt. Und das Evangelium von Jesus Christus wandelt sich nie." Wichtig war in dieser Notzeit ein Beschluß, der auch

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die Ordination von Ältesten zum Dienst am Wort regelte. Hier wurden Wege in die Zukunft der Kirche eröffnet, die heute wieder aktuell werden. Die 1 1 . Bekenntnissynode der Altpreußischen Kirche ging wieder nach Hamburg-Hamm (17./18. Oktober 1942). Sie ist deshalb besonders bedeutsam, weil sie über den Dienst der Frau in der Kirche vorwärtsweisende Beschlüsse erbrachte. Die 12. und letzte altpreußische Bekenntnissynode trat am 16. und 17. Oktober 1943 im Salvatorgemeindehaus in Breslau zusammen. Sie nahm das spätere Stuttgarter Schuldbekenntnis in gewisser Weise vorweg, indem sie sich ein Wort des württembergischen Landesbischofs D. Wurm an seine Pfarrer zu eigen machte. „Das deutsche Volk hat große Schuld auf sich geladen durch die Art, wie der Kampf gegen die Angehörigen anderer Rassen und Völker vor dem Kriege und im Kriege geführt worden ist." Vor allem aber ist diese Synode unvergeßlich durch ihre Auslegung des 5. Gebotes. „Der Umfang, den das Töten im Kriege annimmt, könnte uns leicht stumpf machen gegenüber der Tatsache, daß Gott das Töten untersagt. Das fünfte Gebot gilt immer." „Die Obrigkeit ist dem dreieinigen Gott, auch was den Krieg betrifft, dafür verantwortlich, daß sie das Schwert nur zur Eindämmung des Bösen gebraucht. Friedfertige Wehrlose dürfen nicht getötet werden." „Begriffe wie Ausmerzen, Liquidieren und unwertes Leben kennt die göttliche Ordnung nicht. Vernichtung von Menschen, weil sie Angehörige eines Verbrechers, alt oder geisteskrank sind oder einer fremden Rasse angehören, ist keine Führung des Schwertes, das der Obrigkeit von Gott gegeben ist." „Den nichtarischen Christen sind wir die Bezeugung der geistlichen Gemeinschaft und der Bruderliebe schuldig." Das letzte Wort, das die Preußensynode als Kanzelabkündigung an die Gemeinden zum Büß- und Bettag 1943 richtete, war eine wahrhaft seelsorgerliche Anrede über die Geltung der zehn Gebote. Inzwischen rückte die Katastrophe immer näher. Was die „Regenpfeiffer" (Sören Kierkegaard) in der Bekennenden Kirche vorausgesagt hatten, traf ein. Unter Blut und Schrecken brach Deutschland zusammen. Die Bekennende Kirche hat unter der Tyrannei des Nationalsozialismus in aller Schwachheit versucht, das Wort Gottes zu bezeugen. Sie hat vielfach versagt, geschwiegen, resigniert. Der Kirchenkampf ist ganz gewiß kein Heldenepos. Und doch muß gesagt werden, daß Tausende von Pfarrern und Gemeindegliedern bereit gewesen sind, um Christi willen Verfolgung zu erleiden, Ausweisungen, Redeverbote, Haussuchungen, öffentliche Verleumdungen, Amtsenthebungen, Geldstrafen und Gefängnishaft auf siqh zu nehmen. Die Namen, die in diesem Kampf aus der Altpreußischen Kirche ihr Leben um ihres Zeugnisses für Christus willen

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gelassen haben, sollen am Schluß dieses Abschnittes genannt werden: Dietrich Bonhoeffer, Justus Pereis, Treuherz Behrendt, Ernst Kasenger, Ludwig Steil, Werner Sylten, Paul Schneider, Friedrich Weißler, Helmut Hesse. Dazu wird man auch rechnen müssen: Fritz Müller, Erich Sack, Martin Hauger, Hans Koch.

Die Neukonstituierung der Evangelischen Kirche der Union nach dem Zweiten Weltkriege Die E K U stand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor einem vollständigen Trümmerfeld. Die Kirchenprovinzen Ostpreußen, Westpreußen-Danzig, Posen, das Memelland, der größte Teil von Schlesien und Pommern und die Neumark wurden durch das Potsdamer Abkommen in sowjetische oder polnische Verwaltung übergeben. Millionen von evangelischen Christen verließen aus Furcht oder unter Zwang ihre bisherige Heimat und zerstreuten sich über das übriggebliebene Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches. Tausende von Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern mußten versorgt oder in neue Dienste vermittelt werden. Die Grenze zwischen den Besatzungszonen behinderte die Aufnahme der kirchlichen Gemeinschaft. Das Streben nach Selbständigkeit der Kirchenprovinzen, die sich in ihren Landeskirchen neue Ordnungen gaben, schien die Gesamtkirche ihrem Ende entgegenzuführen. Die innere und äußere Verwüstung, die die deutsch-christlichen Kirchenbehörden hinterlassen hatten, brachten ein Mißtrauen gegen eine zentralistische Leitung der Gesamtkirche. Die Hoffnung auf eine einheitliche Evangelische Kirche in Deutschland ließ das Interesse an der bisherigen Altpreußischen Unionskirche zurücktreten. Der Preußische Bruderrat hatte, als sich der politische Zusammenbruch bereits abzeichnete, eine Denkschrift •Verfaßt (1944/45), in der die Verselbständigung der Provinzialkirchen und der Fortfall des Evangelischen Oberkirchenrates vorgesehen waren. Eine einfache Anknüpfung an die Verhältnisse vor 1933 war nicht möglich. Es mußte versucht werden, zunächst die notwendigsten Übergangsorgane zu schaffen, bis eine verantwortliche Entscheidung über die Zukunft der Union fallen konnte. Die Dienststelle des Oberkirchenrates in Berlin war nur noch spärlich besetzt, da das Kriegsgeschehen in den letzten Monaten eine Verlegung nach Stolberg (Harz) und nach Kalzig (bei Züllichau) ratsam gemacht hatte. In Berlin lebte aber der 1933 »inrechtmäßig in den Ruhestand versetzte Generalsuperintendent D . Dr. Otto Dibelius. Er hatte inzwischen die geistliche Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg übernommen. So lag es nahe, daß ihm

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auch in jenen ungeordneten Verhältnissen des Sommers 1945 der Vorsitz in einem „Beirat" übertragen wurde, der für die Altpreußische Kirche gebildet worden war. Dieser Beirat erklärte die Tätigkeit von Dr. Werner für beendet und berief Dibelius zum Präsidenten des Oberkirchenrates. Der Beirat entwickelte sich zu einer Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, an deren Sitzungen seit Oktober 1945 auch Vertreter der neugebildeten Leitungen der Kirchenprovinz in Sachsen, Pommern und Schlesien teilnahmen. Diese Kirchenleitung war der erste Ansatzpunkt für die Neuordnung unserer Kirche. Sie beschloß eine Verordnung zur Wiederherstellung eines an Schrift und Bekenntnis gebundenen Pfarrerstandes, auf Grund derer Spruchkollegien die Haltung der kirchlichen Amtsträger in der nationalsozialistischen Zeit überprüften. Sie erließ eine weitere Verordnung über die Vereinfachung der kirchlichen Verwaltung (sog. „Abbauverordnung") und berief zugleich neue Mitglieder in die Provinzialkonsistorien. Mit der Verordnung vom 7. August 1945 betreffend die vorläufige Neubildung der Gemeindekirchenräte und Kreissynodalvorstände wurde schließlich der Aufbau neuer kirchlicher Organe von den Gemeinden-her eingeleitet. Inzwischen war aber namentlich in den westlichen Kirchenprovinzen, zu denen eine Verbindung nur schwer herzustellen war, eine Entwicklung eingetreten, die auf eine völlige Selbständigkeit dieser Kirchen hinauslief. Als am 31. August-1945 in Treysa die Vertreter dieser Kirchen mit D. Dibelius zusammentrafen, konnte nur ein Statut vereinbart werden, das im Grunde die Liquidation der bisherigen A P U bedeutete. Das Statut brachte eine radikale Dezentralisierung des Kirchenregiments. „Die kirchenleitenden Funktionen, die nach der Verfassungsurkunde dem Kirchensenat und dem Evangelischen Oberkirchenrat zustehen, werden für ihren Bereich von den Kirchenleitungen der Provinzen wahrgenommen." Für die Leitung der Gesamtkirche blieben nur jene „finanziellen und verwaltungsmäßigen Angelegenheiten, welche die Kirchen der Provinzen für sich allein nicht ordnen können". A m Schluß des Treysaer Statutes wurde ausgesprochen, daß es solange gelten sollte, bis eine Generalsynode eine andere Ordnung beschließen würde. Damit war doch der W e g geöffnet, der zu neuen Verhandlungen über die Zukunft der Gesamtkirche führte. Die Konstituierung der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands bedeutete für alle diejenigen in der A P U eine bittere Enttäuschung, die in einer Evangelischen Kirche in Deutschland eine wirkliche Kirche und nicht nur einen losen Kirchenbund erblicken wollten. Eine neue konfessionelle Welle von lutherischer Seite rief auch die Unionsfreunde in unserer Kirche erneut wach. Im Anschluß an die EKD-Synode in Bethel 1949 traten die Ver-

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treter der Provinzialkirchen zusammen und setzten einen Ausschuß ein, der eine neue Ordnung für die Gesamtkirche erarbeiten sollte. Auf den außerordentlichen Generalsynoden der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union vom n . bis 13. Dezember 1950 und vom 18. bis 20. Februar 1951 wurde die „Ordnung der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union" (OEKU) verabschiedet. Damit war eine neue Basis geschaffen für eine geordnete Arbeit der Gesamtkirche. Ein Einspruch der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik gegen diese Ordnung wurde zurückgewiesen. Der Name der Kirche wurde sowohl aus theologischem und kirchlichem Grunde wie auch aus Gründen der Vermeidung politischen Mißverstehens in „Evangelische Kirche der Union" geändert. Durch die neue Ordnung wurde im Artikel 2, Ziffer 1 auch die Möglichkeit eröffnet, daß Kirchen, die bisher nicht zur A P U gehörten, der E K U beitreten konnten. Von dieser Möglichkeit machte die Evangelische Landeskirche Anhalts durch eine Vereinbarung vom 4. bis 23. Oktober i960 Gebrauch. Damit waren alle unierten Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik in der E K U vereinigt.

II. W E S E N S Z Ü G E DER U N I O N S K I R C H E W Ä H R E N D IHRER G E S C H I C H T E BIS Z U R G E G E N W A R T In der Präambel zur Ordnung der Evangelischen Kirche der Union (OEKU) heißt es: „Sie weiß sich gerufen, in Buße und Dank auch über ihrer besonderen Geschichte die Gnade Gottes zu glauben, deren sie sich in ihrer gegenwärtigen Entscheidung getröstet." Buße und Dank für ihre besondere Geschichte haben bei der Neuordnung der Evangelischen Kirche der Union nach 1945 am Anfang gestanden. Buße für viele Fehlentwicklungen und offenbare Versäumnisse, für das Versagen gegenüber dem von Gott in der jeweiligen geschichtlichen Stunde Gemeinten und Geforderten und für mangelnden Zeugnismut gegenüber den Unmenschlichkeiten des nazistischen Regimes. Deshalb gilt die Stuttgarter Erklärung vom 19. Oktober 1945 in vollem Umfange auch für die Evangelische Kirche der Union. „Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." Aber die Unionskirche hat auch Grund zur Dankbarkeit für ihre besondere Geschichte. Sie glaubt in all dem Auf und Ab, in dem Für und Wider ihres Weges die Gnade Gottes erkennen zu können. In ihrer Geschichte sind bleibende Wesenszüge zutage getreten, die dem beobachtenden Auge sichtbar werden. Vier solche charakteristische Intentionen unserer Kirche mögen im folgenden kurz aufgewiesen werden.

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Die Intention zu größerer Einheit der Kirche Man hat in bezug auf das Grundmerkmal der Vereinigungsintention unserer Kirche von einer konduktiven Union gesprochen. Daß die Z u sammenführung der Getrennten in der Kirche sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte der Union hindurchzieht, ist aus der Darstellung des Kapitels I zu ersehen. Dabei ist schon früh das Streben erkennbar, über die Einheit von lutherischer und reformierten Christen hinauszugreifen und auch die nationalstaatlichen Grenzen zu überschreiten. Vorformen einer ökumenischen Einheit künden sich an. Die Union würde ihrem eigenen Wesen untreu werden, wenn sie mit der in ihr selbst hergestellten Einheit sich begnügen würde. Sie ist als konduktive Union vielmehr genötigt, jeder selbstgenügsamen Verfestigung ihrer eigenen Existenz zu widerstehen und unter Hingabe bereits verwirklichter Stufen im eigenen Bereich weitere und größere kirchliche Einheit zu suchen. Darum hat unsere Kirche zur schrittweisen Überwindung des Landeskirchentums zu Gunsten einer größeren Einheit des Gesamtprotestantismus in Deutschland wesentlich beigetragen (vgl. hierzu den Aufsatz von Walter Delius, Altpreußische Kirche und kirchliche Einheit des deutschen Protestantismus, im Sammelband „100 Jahre Evangelischer Oberkirchenrat", S. 8ofF.). Der bekannte Kirchentag in Wittenberg 1848, der auf Anregung der Unionskirche zusammengetreten war, hatte auch das Thema einer deutschen Nationalkirche auf seiner Tagesordnung. Es war dabei zunächst nur an eine lose Konföderation aller evangelischen Kirchen in Deutschland gedacht, deren weitere Entwicklung zu einer evangelischen Kirche in Deutschland man erhoffte. Der erste grundlegende Satz für einen bescheidenen Anfang dieser Entwicklung lautete in einem Verfassungsentwurf: „Die evangelischen Kirchengemeinschaften Deutschlands treten zu einem Kirchenbund zusammen." Aber der W e g dahin war noch lang. Zunächst gab es Widerspruch auf lutherischer Seite. Die auf den Wittenberger Kirchentag folgende lutherische Konferenz in Leipzig unter V o r sitz des bayerischen Oberkonsistorialpräsidenten Adolf von Harleß lehnte eine solche Konföderation von Kirchen verschiedenen Bekenntnisses als undurchführbar ab, weil sie mit den Prinzipien der lutherischen Kirche nicht vereinbar sei. Trotzdem hat unsere Unionskirche unbeirrt ihrem konduktiven Wesen folgend den W e g zur Vereinigung aller protestantischen Kirchen in Deutschland fortgesetzt. Das führt 1852 wenigstens zur Eisenacher Konferenz deutscher evangelischer Kirchenregierungen. Auf Grund eines Memorandums des Berliner Oberkonsistorialrat Braun v o m 13. Juni 1903' entstand daraus der Deutsche Evangelische Kirchen-

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ausschuß, bis es endlich am Himmelfahrtstage 1922 in Wittenberg am Grabe Luthers zum Zusammenschluß aller evangelischen Landeskirchen zum Deutschen Evangelischen Kirchenbund kam. Unsere Kirche hat diesen kirchlichen Zusammenschluß außerordentlich gefördert, nicht zuletzt auch dadurch, daß sie ihre umfangreiche und mit viel Fleiß und Kosten aufgebaute Arbeit an der deutschen evangelischen Auslands-Diaspora an den Kirchenbund abtrat, um diesem eine konkrete gemeinsame Aufgabe zu geben. Es entspricht diesem konduktiven Wesensmerkmal der Union, daß sie die Evangelische Kirche in Deutschland seit 1948 immer als Kirche verstanden hat und bereit war, ihr weit größere Vollmachten zu übertragen, als es in ihrer Ordnung auf konfessionellen Widerspruch hin geschah. DieEvangelische Kirche der Union hat einige Jahre gezögert, sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder zu stabilisieren, weil sie hoffte, in der größeren Einheit einer wirklichen Evangelischen Kirche in Deutschland aufgehen zu können. Diese Hoffnung ging leider nicht in Erfüllung. Vielmehr kam es zur Begründung einer Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), durch die die EKD als Kirche mit voller Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verhindert wurde. Unsere Kirche wird in den gegenwärtigen Situationen und Entscheidungen ihre konduktive' Wesensintention nicht verleugnen dürfen und sich, auch unter Hingabe eigener Arbeiten und Aufgaben, werdenden größeren kirchlichen Einheiten öffnen und einordnen müssen.

Die Intention zur Freiheit der Kirche Dieser Grundzug unserer Kirche mag manchem unwahrscheinlich vorkommen. War nicht gerade die evangelische Kirche in der Preußischen Monarchie das Musterbeispiel einer engen Durchdringung und gegenseitigen Stützung von Thron und Altar? Das Königlich-Preußische Konsistorium und der Königlich-Preußische Superintendent sind als charakteristische Bestandteile obrigkeitlichen Staatskirchentums in die Kirchengeschichte eingegangen. Die Staatskirche war nun freilich keine Besonderheit im Königreich Preußen, sondern war in allen deutschen Landen und darüber hinaus ein festes Erbe der Reformation. Es ist bekannt, daß die custodia utriusque tabulae, d. h. die Schutzherrschaft über das Gottesgesetz auf beiden Tafeln von den Reformatoren mangels eigener kirchlicher Organe als Nothilfe auf die Landesherren als „vorzügliche Glieder der Kirche" übertragen worden war. Allerdings war das so gemeint, daß der eigentliche Auftrag der Kirche (Predigt, Lehre, Sakrament, Seelsorge)

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dem geistlichen Amt vorbehalten bleiben, während dem Landesherren die potestas circa sacra, d. h. die äußere Kirchengewalt zukommen sollte. Aber wir wissen zum mindesten seit der Barmer Theologischen Erklärung (These III), wie beides nicht voneinander getrennt werden kann, sondern vielmehr unlöslich zusammengehört. Natürlich war auch im Königreich Preußen vom reformatorischen Notbehelf her das Bündnis von Staat und Kirche fest vorhanden. Dabei soll nicht vergessen werden, daß zahlreiche brandenburgische Kurfürsten und preußischen Könige ihr landesherrliches Amt in der Kirche sehr verantwortlich auffaßten und rechte Pfleger ihrer Kirche gewesen sind. Wer aber die Geschichte unserer Unionskirche recht verfolgt, der wird finden, daß schon frühzeitig eine andere Linie nebenherläuft, die die Unabhängigkeit der Kirche von staatlicher Bevormundung erstrebt. Gerade die Einführung der Union hat eine Entwicklung eingeleitet, die zu zunehmender Einschränkung der landesherrlichen Kirchenhoheit führte. Das lag vor allem daran, daß durch die Eingliederung des reformierten Elements in die Union die Synodal- und Presbyterialverfassung der Kirche stärker hervortrat. Namentlich in den westlichen Provinzen der Monarchie hatten die Synoden und Gemeinden eine weitgehende Unabhängigkeit von den staatlichen oder staatskirchlichen Behörden durchgesetzt (Rheinisch-westfälische Kirchenordnung vom 5. März 1835). Oder denken wir an den Streit um die Agende von 1829. Insbesondere Schleiermacher hat in dieser Frage dem König das ius liturgicum energisch bestritten. Er wollte sowohl die Union wie die Agende auf der freien Initiative der Kirche, ihrer Synoden und Gemeinden begründet sehen und nicht auf einer königlichen Willenskundgebung. Gerade mit der Einführung der Union wurden die Bestrebungen gefördert, die eine Lösung des bestehenden engen Bandes zwischen Staat und Kirche zum Ziele hatten. Hierhin gehört die Berufung der Generalsynode und die Einsetzung des Evangelischen Oberkirchenrates 1850. Freilich ließen sich die Bindungen der Kirche an den Staat nicht so leicht abstreifen. Aber es ist im Ansatz die Intention zur Freiheit der Kirche vom Staat in unserer Unionskirche unverkennbar. Nach dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments konnte dann auch der Versuch, die Kirchenhoheit auf drei evangelische Staatsminister zu übertragen, abgewehrt und der Neuaufbau der Kirche in eigener Verantwortung"durchgeführt werden. Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus hat die Bekennende Kirche in der Altpreußischen Union einen schweren Kampf gegen die staatskirchlichen Behörden der Deutschen Christen und den Reichskirchenminister geführt. Das Bewußtsein „Kirche muß Kirche bleiben" trat klar in Erscheinung. Diesem Grundmerkmal der Freiheit

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der Kirche wird die Evangelische Kirche der Union auch in der Gegenwart folgen müssen. Sie wird all jenen widerstehen müssen, die heute zwar ihren Abscheu über das Bündnis von Thron und Altar in der Vergangenheit der Kirche kritisch zum Ausdruck bringen, aber bei Betonung der formalen Trennung von Staat und Kirche unbekümmert die Kirche in eine neue Abhängigkeit des Staates zu bringen versuchen.

Die Intention zum aktualen Bekennen Die Frage der fortdauernden Geltung der Bekenntnisse ist in der Evangelischen Kirche der Union während der ganzen Dauer ihrer Geschichte bis zur Gegenwart öfter und eingehend erörtert worden. Insbesondere stand dieses Problem am Beginn der Neuordnung unserer Kirche seit 1949. Der leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands D. Meiser hatte an die außerordentliche Generalsynode einen Brief gerichtet, in dem eine scharfe Kritik an dem Vorhaben einer Fortführung und Neuordnung unserer Kirche geübt wurde. Es wurde gefragt, warum Lehrunterschiede, die im 16. Jahrhundert als kirchentrennend beurteilt wurden, es heute nicht mehr sein sollten? Diese Kritik veranlaßte unsere Kirche zu einer eingehenden Prüfung der Bedeutung des Bekenntnisses in der Kirche. In einem dreimaligen Gespräch zwischen den theologischen Ausschüssen der VELKD und der E K U ist diese Frage erörtert worden, dabei wurde von Seiten der Unionskirche deutlich gemacht, daß die Aussagen der reformatorischen Bekenntnisschriften einen zeitgeschichtlichen Bezugshorizont haben, der heute so nicht mehr gegeben ist. Die Wahrheit der Bekenntnisse ist nicht eine zeitlose und für immer geltende Dogmatik, sondern besteht in dem Zeugnis des Evangeliums in einer bestimmten Situation. Ganz sicher haben die reformatorischen Bekenntnisse als „Stimme der Väter" einen hohen Grad von Verbindlichkeit auch in der unierten Kirche der Gegenwart. Das „Stimmrecht der Toten in der Kirche der Lebendigen" (Prof. Helmut Gollwitzer) darf keineswegs in seiner bleibenden Bedeutung unterschätzt werden. Aber es geht um das Zeugnis heute. Die doctrina evangelii im Verständnis der Augsburgischen Konfession bezeichnet das, was wir heute Kerygma nennen. Schon im Unionsaufruf von 1817 wird ausgesprochen, daß Verhältnis von historischen Bekenntnisaussagen und aktualem Bekennen nicht nach der einen oder anderen Seite verkürzt werden darf. Die Evangelische Kirche der Union hat darum immer wieder zu Fragen des öffentlichen Lebens vom Evangelium her Stellung genommen.

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Das aktuale Bekennen im Hören auf das Zeugnis der Schrift und auch im Hören auf die Stimmen der Väter, wie sie zu ihren Zeiten das Schriftzeugnis hörbar gemacht haben, ist eine Wesensintention unserer Kirche, die in der Geschichte vielfältig deutlich geworden und bis heute bestimmend ist. Die „Worte an die Gemeinden", die von den Bekenntnissynoden der Altpreußischen Union veröffentlicht worden sind, geben davon ein eindrucksvolles Bild. Aber auch in den Verhältnissen der Gegenwart hat die Evangelische Kirche der Union in zahlreichen Erklärungen das Zeugnis der Schrift zu den aktuellen Problemen, Nöten und menschlichen Bedrängnissen zu geben versucht. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche", die unter maßgeblicher Anregung und Mitarbeit unserer Kirche verfaßt worden sind.

Die Intention zur Weltverantwortung der Kirche

Es ist natürlich, daß eine Kirche, die in einem großen Raum mit den verschiedensten politischen, gesellschaftlichen, geistigen, wirtschaftlichen Spannungen hineingestellt ist, in besonderer Weise mit der Frage ihrer Weltverantwortung konfrontiert wird. Daß unsere Kirche in dieser Verantwortung auf ihrem geschichtlichen Wege infolge ihrer Gebundenheit an die herrschenden Mächte oft genug versagt hat, gibt dem Ruf zur Buße in ihr einen starken Akzent. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das, was in der Darstellung der Geschichte unserer Kirche (Kapitel I, S.21 ff.) angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse um die Mitte des 19. Jahrhunderts gesagt worden ist. Aber es sei auch auf den Wittenberger Kirchentag 1848 mit der bahnbrechenden Stegreif-Rede Johann Hinrich Wicherns und an die Arbeit des „ E v a n g e l i s c h - s o z i a l e n Kongresses" hingewiesen. Wiehern hat die Kirche auf ihre Aufgaben in der werdenden Großstadtgesellschaft auffnerksam gemacht. Er war 1856 als Oberkonsistorialrat in den Evangelischen Oberkirchenrat berufen worden. Wenn es ihm auch nicht gelang, seine sozial-reformerischen Pläne zu verwirklichen, so hat er doch entscheidend dazu beigetragen, daß die Blickrichtung unserer Kirche auf die Nöte und Fragen der sie umgebenden Welt gerichtet wurde. Wichems Theologie ist eine originelle Ausprägung der heilsgeschichtlich orientierten Theologie der Erweckungsbewegung. Christus ist die Mitte der Geschichte, die durch den Gegensatz von Glauben und Unglauben bestimmt wird. Jesu Ringen um die Erlösung der sündigen Menschheit ist das eigentliche Thema der Weltgeschichte. Die Gegenwart seiner Zeit sieht Wichern als einen „besonderen Augen-

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blick der Krise" an, in dem sich in bedrängender Weise der Kampf zwischen Glauben und Unglauben zuspitzt. Von daher ist auch der Weltbezug seiner Theologie geprägt und die Gesamtheit seiner pädagogischen, karitativen und politischen Anschauungen bestimmt. Ohne auf die Intention zur Weltverantwortung der Kirche in der Z w i schenzeit einzugehen, sei in einem Sprung an dieEpoche seit 1922 erinnert. Es können hier nur Andeutungen gemacht werden. Einen mächtigen A n trieb zur Weltverantwortung erhielt unsere Kirche durch die Aufnahme ökumenischer Anregungen. Der Präsident des Evangelischen Oberkirchenrates D. Kapler war an der Vorbereitung und Durchführung der Weltkonferenz für praktisches Christentum 1925 maßgeblich beteiligt. Wer die Gegenstände der Sektionsberatungen dieser Konferenz betrachtet, wird sich von der Weltverantwortung der Kirche hinreichend überzeugen können (z.B. Kommission 2: „Die Kirche und die wirtschaftlichen und industriellen Fragen", Kommission 3: „Die Kirche und die sozialen und sittlichen Fragen", Kommission 4: „Die Kirche und die Beziehungen der Völker untereinander"). Um außer Kapler nur einige Namen aus unserer Kirche zu nennen, die der kirchlichen Arbeit im ökumenischen Bereich zur Öffnung auf die sich wandelnde Welt verhalten, seien erwähnt: Professor Friedrich-Wilhelm Siegmund-Schultze, Adolf Deißmann, Otto Dibelius, Dietrich Bonhoeffer. So unterschiedlich die theologischen Positionen dieser Männer auch sein möchten, in einem waren sie einig: Die Kirche hat eine Verantwortung für die Welt. Vom Wittenberger Kirchentag 1848, der von unserer Kirche angeregt und getragen worden ist, über den „EvangeBsch-sozialen Kongreß" und die Stockholmer Weltkirchenkonferenz bis zu den Altpreußischen Bekenntnissynoden und zur Gegenwart ist dieser bestimmende Wesenszug der Unionskirche deutlich zu verfolgen. Wie er sich heute immer wieder zu Worte meldet, wird noch zu zeigen sein.

III. DIE T H E O L O G I S C H E G R U N D L A G E DER E V A N G E L I S C H E N K I R C H E DER U N I O N Nach dem Zusammenbruch 1945 war die Evangelische Kirche der Union nicht nur vor die Frage ihrer weiteren äußeren Existenz, sondern vorallem vor die Frage nach ihrem theologischen Selbstverständnis gestellt. Vor allem durch den Einspruch des Leitenden Bischofs der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands, D. Meiser, mußte das Problem dertheologischen Berechtigung einer Unionskirche neu durchdacht werden.

Die Evangelische Kirche der Union Der Grundartikel und der Artikel

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der Ordnung der Evangelischen Kirche der Union vom 20. Februar

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Als Ergebnis der eingehenden Beratungen über das theologische Selbstverständnis unserer Kirche wurde der „Grundartikel" in der Ordnung formuliert. Er lautet: 1. Die Evangelische Kirche der Union bekennt sich zu Jesus Christus, dem Fleisch gewordenen Worte Gottes, dem für uns gekreuzigten, auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten Herrn, auf den sie wartet. 2. Sie ist gegründet auf das prophetische und apostolische Zeugnis der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. 3. Sie bekennt mit den Vätern der Reformation, daß die Heilige Schrift die alleinige Quelle und Richtschnur unseres Glaubens ist und daß das Heil allein im Glauben empfangen wird. 4. Sie bezeugt ihren Glauben in Gemeinschaft mit der alten Kirche durch die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse: das apostolische, das nicaenische und das athanasianische Bekenntnis. 5. Sie steht in der einen allgemeinen christlichen Kirche, in der das Wort Gottes lauter und rein verkündigt wird und die Sakramente recht verwaltet werden. 6. Sie weiß ihre lutherischen, reformierten und unierten Gemeinden für die Auslegung der Heiligen Schrift gewiesen an die reformatorischen Bekenntnisse, die gemäß den Grundordnungen ihrer Gliedkirchen in den Gemeinden gelten. 7. Gebunden an das Wort der Heiligen Schrift bejaht die Evangelische Kirche der Unien die Theologische Erklärung von Barmen als ein Glaubenszeugnis ip seiner wegweisenden Bedeutung für die versuchte und angefochtene Kirche. In dieser Bindung, die auch für die Setzung und Anwendung ihres Rechts grundlegend ist, gibt sich die Evangelische Kirche der Union die folgende Ordnung. Dazu gehört noch der Artikel 1 der O E K U , der in Anwendung des Grundartikels die Folgerungen für das Leben evangelischer Christen in unserer Unionskirche beschreibt. In ihm heißt es: 1. Die Evangelische Kirche der Union ist die Gemeinschaft der in ihr zusammengeschlossenen Gliedkirchen im Dienst am Evangelium. 2. Sie pflegt die Gemeinschaft kirchlichen Lebens der in ihr verbundenen lutherischen, reformierten und unierten Gemeinden. 3. Sie hat Gemeinschaft in der Verkündigung des Wortes Gottes. In allen Gliedkirchen werden die Angehörigen aller in der Evangelischen

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Kirche in Deutschland geltenden Bekenntnisse unbeschadet der allgemeinen Kirchenzucht ohne Einschränkung zum Heiligen Abendmahl zugelassen. 4. Sie ruft ihre Glieder, auf das Glaubenszeugnis der Brüder zu hören, in gemeinsamer Beugung unter Wahrheit und Verheißung des Wortes Gottes die Last bestehender Lehrunterschiede zu tragen und im gemeinsamen Bekennen des Evangeliums zu beharren und zu wachsen. Danach versteht sich die E K U als Kirche, weil sie überzeugt ist, daß sich in ihr die Kennzeichen der Kirche Christi finden lassen; die lautere Verkündigung des Wortes Gottes und die rechte Verwaltung der Sakramente. Sie ist also Kirche nicht auf Grund ihrer Ordnung oder ihrer Geschichte oder ihrer rechtlichen Gestalt, sondern auf Grund dessen, was von ihr gemeinsam bezeugt und bekannt wird. „In dieser Bindung, die auch für die Setzung und Anwendung ihres Rechtes grundlegend ist, gibt sich die Evangelische Kirche der Union die folgende Ordnung." Wenn wir den Grundartikel näher analysieren, so steht am Beginn die christologische Mitte.

Die christologische Mitte auf Grund des Zeugnisses der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments Es ist beachtenswert, daß die theologischen Grundaussagen unserer Kirche nicht mit einer Bezugnahme auf die Bekenntnisse einsetzt. Wenn wir das mit der Bekenntnispräambel der Verfassung der Altpreußischen Union von 1922 vergleichen, so wird der Fortschritt in der christologischen Akzentuierung deutlich. Während es dort beginnt „Getreu dem Erbe der Väter" und sehr schnell zu einem Bekenntnis zu den geschichtlichen Bekenntnissen fortschreitet, ist jetzt das Bekenntnis zu Jesus Christus selbst der Mittelpunkt der Aussagen. Die entscheidenden Stadien des Weges Jesu Christi werden genannt. Sie reichen über die im Bekenntnisvorspruch der Verfassung von 1922 charakteristisch hinaus. In Anlehnung an den Prolog des Johannesevangeliums wird zuerst von der Fleischwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus gesprochen. Die Inkarnation wird damit an den Anfang des Glaubens gestellt, dann folgen Kreuz, Auferstehung und Erhöhung Jesu. Diese Heilsereignisse werden in bezug auf ihre Bedeutung für die Glaubenden in ihrer menschlichen Existenz bezeugt. („Für uns", pro nohis.) Auf die Zukunft, den Bereich der Erwartung, wird dieses Bekenntnis ausgeweitet durch den Relativsatz: „auf den sie wartet". Auch diese Hoffnung auf die Erscheinung Jesu

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Christi in letzter Vollendung wird existenzbezogen ausgedrückt durch das Wort: „sie". Die Herkunft des Christusbekenntnisses entspringt der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes, so begründet es der Satz 2 des Grundartikels. Dabei wird das Alte Testament unter den Begriff des „prophetischen Zeugnisses" und das Neue Testament unter den des „apostolischen Zeugnisses" charakterisiert. Diese Charakterisierung der Heiligen Schrift als das prophetische und apostolische Zeugnis will einem falschen objektiven Schriftverständnis wehren und auf die Vermittlung des Wortes Gottes durch Menschen (Propheten und Apostel) hinweisen. (2. Tim. 3,16; 2. Petr. 1 , 1 9 ff.). Das Kerygma der Schrift wird damit gegenüber dem buchstäblichen Verständnis unterstrichen, die viva vox evangelii gegenüber der reinen Historisierung. Insofern auf Grund des Kerygmas der Propheten und Apostel in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments das Zeugnis von dem fleischgewordenen gekreuzigten, auferstandenen und wiederkehrenden Christus in ihrer eigenen Mitte heute laut wird, erweist sich die Evangelische Kirche der Union als Kirche Christi.

Das „allein" (solus) der Reformation und die Gemeinschaft mit der einen, heiligen, christlichen Kirche und ihren Bekenntnissen Erst in den Abschnitten 3 bis 5 des Grundartikels ist von den „Vätern" die Rede. Dabei sind die „Väter der Reformation" vorangestellt, und erst durch ihr Schriftverständnis sind die Bekenntnisse der „Alten Kirche" zu interpretieren. Für die Reformation werden die Alleingeltung der Heiligen Schrift (sola scriptum) und der Heilsempfang allein durch den Glauben (sola fide) hervorgehoben. Wenn von der Schrift als alleiniger Quelle des christlichen Glaubens die Rede ist, so wird damit ohne Zweifel die römisch-katholische Lehre von der kirchlichen Tradition und dem kirchlichen Lehramt als ebenbürtige OfFenbarungsgrundlage abgewiesen. Aber auch die ohne die Schrift oder neben der Schrift behauptete Kundmachung göttlichen Willens durch Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten "menschlicher Geschichte oder menschlichen Geistes werden damit ausgeschlossen. (Barmer Theologische Erklärung vom 31. Mai 1934, These 1). Der zweite Begriff, der im Grundartikel für die Maßgeblichkeit der Heiligen Schrift für den Glauben gebraucht wird, steht schon in der Konkordienformel: „Richtschnur" (norma). Wenn auch dieser Begriff nicht im Sinne einer Buchstabengläubigkeit, sondern im kerygmatischen Verständnis des Zeugnisses von Christus

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verstanden werden muß, so wird hier doch an einem Gesamtzeugnis des Geistes Gottes in der Bibel festgehalten, der dem Pluralismus der Theologien heute bestimmte Grenzen setzt. Das „Wort in den Wörtern" ist das Offenbarungsereignis in Jesus Christus. Es ist die norma normans gegenüber den geschichtlichen Bekenntnissen, auch gegenüber den „Vätern der Reformation" nach deren eigenem Zeugnis. In der Bezugnahme auf das sola fide nimmt die Unionskirche den Hauptartikel auf, „von dem man nicht weichen oder nachgeben kann, es falle Himmel undErde oder was nicht bleiben will" (Schmalkaldische Artikel), den articulus stantis et cadentis ecclesiae der Reformation. „Daß das Heil allein im Glauben empfangen wird", wird im Artikel IV der Confessio Augustana und dem entsprechenden Artikel in der Apologie gelehrt (Apologie IV „Daß wir Vergebung der Sünden allein durch den Glauben an Christus empfangen"). Nicht irgendeine Bemühung des Menschen, nicht die Werke, nicht das Gesetz einer hohen menschlichen Leistungsideologie, nicht eine humanistische Philosophie, machen uns Gottlose vor Gott richtig und heil. Allein der Glaube an Jesus Christus, das Vertrauen auf die in ihm erschienene Gnade Gottes über den Sünder rettet uns. In diesem zweifachen „Allein" - sola scriptura und sola fide - sind sich nach Überzeugung unserer Kirche „die Väter der Reformation", wie hier die lutherischen und reformierten Theologen der Reformation zusammenfassend genannt werden, einig. Nun erst über die Väter der Reformation findet unsere Kirche ihre Gemeinschaft mit der „Alten Kirche" (Satz 4 des Grundartikels). Dabei werden die drei großen Cr«fo-Formulierungen der Alten Kirche ausdrücklich genannt: Das Apostolische, das Nizänische und das Athanasianische Bekenntnis. Wenn die Evangelische Kirche der Union ihren geschichtlichen Zusammenhang mit der Alten Kirche über das zweifache „Allein" der Reformation sucht und herstellt, so werden die Glaubensbekenntnisse der frühen Christenheit neu interpretiert werden müssen. Die inzwischen eingetretenen geschichtlichen Wandlungen machen nicht nur den relativen Charakter von Bekenntnisaussagen deutlich, sondern nötigen auch zu verschiedener Auslegung in verschiedenen Zeiten, wobei die Schrift die letzte und einzige Norm und die Rechtfertigung des, Gottlosen durch den Glauben an das Evangelium die zentrale Mitte aller kirchlichen Verkündigung bleibt. In diesem Sinne steht sie in der einen, heiligen, allgemeinen christlichen Kirche, in der das Wort Gottes lauter und rein verkündigt wird und die Sakramente recht verwaltet werden. In enger Anlehnung an die Formulierung von Confessio Augustana VII spricht unsere Kirche die Feststellung aus, daß sie mit den vorangehenden Ziffern 1 - 4 des Grundartikels zur Kirche gehört, die eine ist in allen

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Zeiten und allen Völkern und Sprachen durch das eine Evangelium, das auszurufen ihr Auftrag ist. Diese Kirche wird heilig genannt, weil sie am Heil Gottes teilhat, allgemein, weil sie über den Erdkreis vorbreitet ist, und christlich, weil sie Jesus Christus zu ihrem Haupt und Herrn hat. D i e Evangelische Kirche der Union ist nicht identisch mit dieser einen, heiligen, allgemeinen christlichen Kirche, sondern sie steht in ihr, also neben und mit anderen Kirchen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als eine unter ihnen und in Gemeinschaft mit ihnen.

Die kirchliche Gemeinschaft der lutherischen und reformierten Gemeinden Die Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Bekenntnistraditionen der Reformation wird nicht unbeantwortet gelassen. Hier wird allerdings nicht eine die Gesamtkirche bindende Aussage gemacht, sondern für die Auslegung der Heiligen Schrift auf die in den Gemeinden gemäß den Grundordnungen der Gliedkirchen geltenden Bekenntnisse verwiesen. Es gibt in unserer Kirche lutherische Gemeinden, in denen traditionell das gesamte Konkordienbuch gültige Bekenntnisschrift ist. In vielen lutherischen Gemeinden in der Union ist das allerdings nicht der Fall. In ihnen stehen als Bekenntnisse lediglich das Augsburgische Bekenntnis, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel sowie der Kleine und der Größe Katechismus Martin Luthers in Geltung. Daneben gibt es reformierte Gemeinden, vor allem zahlreich in den westlichen Gliedkirchen. In den östlichen Gliedkirchen der E K U zählt man nur etwa 30 reformierte Gemeinden. In ihnen steht zumeist der Heidelberger Katechismus in Kraft. Einige wenige französisch-reformierte Gemeinden erkennen die Confession de foi und die Discipline ealesiastique an, zwei französische B e kenntnisschriften, die ihre Letztgestalt 1666 erhielten und die von einwandernden Hugenotten mitgebracht und von ihren Nachkommen bis zur Gegenwart festgehalten wurden. Endlich gibt es in unserer Kirche auch unierte Gemeinden (namentlich im Rheinland), in denen ein linierter Katechismus eingeführt worden ist. Sie sind unierte Gemeinden im eigentlichen Sinn einer Konsens-Union, während die Frage nach dem konsensus-unierten Charakter vieler evangelischer Gemeinden, deren Konfessionsstand nicht mehr ausgeprägt oder feststellbar ist, umstritten ist. W i e diese bekenntnisverschiedenen Gemeinden in der Unionskirche zusammenleben, wird im Artikel 1 der Ordnung gesagt. Unsere Kirche „pflegt die Gemeinschaft kirchlichen Lebens der in ihr verbundenen lutherischen, reformierten und unierten Gemeinden" (Ziffer 2). Sie hat

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volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft untereinander (Ziffer 3). „Sie ruft ihre Glieder, auf das Glaubenszeugnis der Brüder zu hören, in gemeinsamer Beugung unter Wahrheit und Verheißung des Wortes Gottes die Last bestehender Lehrunterschiede zu tragen und im gemeinsamen Bekennen des Evangeliums zu beharren und zu wachsen" (Ziffer 4). Dieser Ruf zum gemeinsamen Bekennen des Evangeliums führt unmittelbar zu Ziffer 7 des Grundartikels.

Die Barmer Theologische Erklärung vom 31. Mai

1934

Die Evangelische Kirche der Union bejaht die Barmer Theologische Erklärung. Diese Erklärung ist von Anfang an in ihrem bekenntnisgleichen oder bekenntnisähnlichen Charakter umstritten gewesen. Manche haben in ihr ein Unions-Bekenntnis gesehen, das einmütig von lutherischen, reformierten und unierten Christen in Deutschland gesprochen worden sei und damit etwa den Rang der Bekenntnisse der Reformation oder der altkirchlichen Symbole erhalten habe. Andere haben in ihr nur ein in einer konkreten Notsituation entstandenes Zeitdokument sehen wollen. Der Grundartikel bejaht die Barmer Theologische Erklärung „als ein Glaubenszeugnis in seiner wegweisenden Bedeutung für die versuchte und angefochtene Kirche". Damit ist sie zwar nicht als eine neue gemeinsame Bekenntnisschrift von der Kirche rezipiert, aber doch auch für den zukünftigen Weg unserer Kirche als „wegweisend" angenommen. Wann ist die Kirche eigentlich nicht versucht und angefochten in der Welt? So hat die Theologische Erklärung von Barmen mit ihren 6 Thesen auch heute ihre große Bedeutung. Auf sie bezieht sich die Kirche der Gegenwart häufig. Jedenfalls will die Kirche der Union nicht nur Erbe der Bekennenden Kirche im Dritten Reich, sondern auch gegenwärtig Bekennende Kirche sein. Sie will sich von diesem Zeugnis der Wahrheit und Verheißung auch in den Versuchungen und Anfechtungen unserer Zeit und in der Zukunft den Weg weisen lassen. Die Tatsache, daß in der Barmer Theologischen Erklärung lutherische, reformierte und unierte Christen in Einmütigkeit ihren gemeinsamen Glauben bekannt und Irrlehre verworfen haben, ist ein Ereignis von großer Tragweite, dessen Auswirkung für das Verhältnis der reformatorischen Konfessionen zueinander damals Gott anbefohlen wurde. Für die Evangelische Kirche der Union ist jedenfalls die Theologische Erklärung ein Band der Gemeinschaft und des aktuellen Bekennens geblieben.

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IV. D I E O R D N U N G D E R E V A N G E L I S C H E N K I R C H E DER U N I O N Die Neuordnung der Altpreußischen Kirche nach 1945 hatte ihre besonderen Probleme. Die theologische Bestreitung der Berechtigung der Union durch die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland, das Unabhängigkeitsstreben der Gliedkirchen vom bisherigen kirchlichen Zentralismus, die Zerstörung jeglicher Ordnung der Altpreußischen Union durch das Gewalt- und Unrechtssystem der Deutschen Christen, der Verlust der östlichen Kirchenprovinzen, die staatliche Zertrennung des deutschen Volkes warfen Fragen auf, die nur schwer zu lösen waren. Sie stellten unsere Kirche in ein Spannungsfeld, das auch heute noch nicht überwunden ist. Es war und ist nicht leicht, die Evangelische Kirche der Union in diesem ständigen Spannungsfeld zusammenzuhalten. Die Ordnung der E K U versucht, die Einheit in Mannigfaltigkeit zu konzipieren.

Die Wirkungsmöglichkeit der Gesamtkirche gegenüber Jen Gliedkirchen In Artikel 2 der Ordnung wurden zunächst als Gliedkirchen der neugeordneten Altpreußischen Union die bisherigen Kirchenprovinzen deklariert. Aber sehr bald wurde nicht nur der Name in „Evangelische Kirche der Union" (EKU) geändert, sondern auch eine Öffnung zur Gliedschaft in unserer Kirche für solche Kirchen ermöglicht, die auf ihren Antrag durch die Synode der E K U aufgenommen werden (Art. 2, 1 O E K U ) . V o n solcher Möglichkeit hat bisher nur die Evangelische Landeskirche Anhalts Gebrauch gemacht, die durch die Vereinbarung v o m 4-bis 23. Oktober i960 unserer Kirche als vollberechtigte und vollverpflichtete Gliedkirche beitrat. Die unierten Kirchen in der Bundesrepublik haben bisher diesen W e g nicht beschritten. Doch ist in der A r noldshainer Konferenz zwischen ihnen und der E K U eine engere Z u sammenarbeit ermöglicht worden. Nach Artikel 2,2 üben die Gliedkirchen für ihren Bereich im Rahmen der O E K U die Kirchenleitung und Gesetzgebung selbständig aus. Dabei war das Ziel immer die Einheit aller Landeskirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland, was einer Wesensintention unserer Kirche durchaus entspricht (Art. 3,1 O E K U ) . Die Entwicklung nahm allerdings, wie wir noch sehen werden, einen anderen Lauf. Zunächst mußte sich das Zusammenspiel zwischen der Gesamtkirche und den selbständigen Glied-

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kirchen in der Praxis erproben. Die Gesamtkirche hatte keine Weisungsbefugnis gegenüber den Glifcdkirchen. Sie reichte nicht mehr unmittelbar mit ihrer Wirkungsmöglichkeit in die Gliedkirchen und ihre Gemeinden hinein. So bestand die Gefahr, daß die E K U nur ein sehr lockerer, vielleicht föderativer Verband von Kirchen blieb, der als Gruppe zwischen der erstrebten größeren Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland und den selbständigen Gliedkirchen wirkunfähig war. Es war alles in Zukunft auf die Willigkeit und Freiwilligkeit der Gliedkirchen abgestellt. Würde die im Artikel 1,1 O E K U ausgesprochene „Gemeinschaft der in ihr zusammengeschlossenen Gliedkirchen im Dienst am Evangelium" konkrete Wirklichkeit werden? In den Artikeln 4 - 6 der Ordnung werden Angelegenheiten aufgezählt, in denen eine einheitliche Regelung unter allen Gliedkirchen als erstrebenswert und dringlich angesehen wird. Hinzu gehört ein Besuchsdienst der Gliedkirchen, der Austausch von Kandidaten der Theologie, von Pfarrern, Kirchenbeamten und Trägern anderer kirchlicher Dienste, sowie ein Finanzausgleich durch das brüderliche Opfer. Auch die Förderung der missionarischen und diakonischen Werke sowie die Mitarbeit in Weltmission und Ökumene wurden als Aufgaben der Gesamtkirche anerkannt. Die Ordnungen und Dienste der Gliedkirchen sollen im Rahmen der E K U einheitlich gestaltet' werden, insbesondere die Ordnungen des Gottesdienstes und die Amtshandlungen, das Gesangbuch, die Vorbildung und Anstellungsfähigkeit sowie die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pfarrer, der Kirchenbeamten und der Träger anderer kirchlicher Dienste, das Verfahren bei Beanstandung der Lehre, das kirchliche Abgaben-, Kassen- und Rechnungswesen u.a.m. Damit war der Gesamtkirche als Darstellung der Gemeinschaft der Gliedkirchen ein weites Betätigungsfeld zugewiesen. Es ist in den folgenden Jahren weitgehend erfüllt worden. Die Gliedkirchen sind durch viele inzwischen erarbeitete gemeinschaftliche Ordnungen aufs engste zusammengeschlossen. Diese gemeinsame Grundlage unserer Kirche ist freilich in bedrohlicher Weise in Frage gestellt durch die zunehmende Verhärtung der politischen Teilung des deutschen Volkes, durch die sich weiter auseinander, ja gegensätzlich entwickelnde gesellschaftliche Situation der beiden Teilstaaten in Deutschland und durch die theologischen und strukturellen Probleme der Gegenwart, die jene gemeinsam geschaffenen Ordnungen weithin als überholt hinstellen. Es werden viele Ordnungen, Gesetze, Entscheidungen überprüft und neu formuliert werden müssen. W i r d das noch gemeinsam geschehen können?

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Die Synode

Als oberstes Leitungsorgan der E K U wurde die Synode berufen (Art. 9 OEKU). Sie hat auch ein Gesetzgebungsrecht für den Bereich der Gesamtkirche, das allerdings an umständliche und zeitraubende Vorbedingungen geknüpft ist (Art. 7,2 OEKU). Dennoch konnten eine Reihe von gemeinsamen Kirchengesetzen und Ordnungen von der Synode verabschiedet werden. Sie hat damit ihre Berufung, „die in dieser Ordnung bezeugte brüderliche Gemeinschaft zu verwirklichen und lebendig zu erhalten" (Art. 10,1), in hohem Maße erfüllt. In der Synode haben die Bischöfe und Präsides der Gliedkirchen sowie die Präsides der gliedkirchlichen Synoden von Amts wegen Sitz und Stimme. Wegen des Zusammenfalls der Ämter des Synodalpräses und des leitenden geistlichen Amtes in den Kirchen im Rheinland und von Westfalen entsenden diese beiden Kirchen je einen Stellvertreter ihres Präses in die Synode der E K U . Mindestens drei Fünftel aller Synodalen sind von den Gliedkirchen zu wählen, wobei nicht mehr als ein Drittel Theologen sein dürfen. Die Synode besteht ferner aus je einem Vertreter der Theologischen Fakultäten (Halle, Greifswald, Berlin, Bonn, Münster, Bochum) und der Kirchlichen Hochschulen (Berlin-Ost und Berlin-West, Naumburg, Wuppertal). Endlich beruft noch der Rat der E K U 20 Synodale, die vornehmlich aus Vertretern der kirchlichen Werke, des katechetischen, kirchenmusikalischen und diakonischen Dienstes zu bestimmen sind. Die Synode tritt in der Regel alle zwei Jahre zusammen, kann aber auch zu außerordentlichen Tagungen zusammengerufen werden. Sie wählt aus ihrer Mitte den Präses der Synode der E K U und zwei Stellvertreter. Das Präsesamt hat seit 1952 fast 18 Jahre lang der Gründer und Leiter der ökumenisch weit bekanntgewordenen „Aktion Sühnezeichen" Dr. jur. Lothar Kreyssig innegehabt. Infolge der immer mehr zunehmenden Gegensätze zwischen den beiden deutschen Teilstaaten, insbesondere nach der Errichtung der Mauer in Berlin, war es der Synode seit 1961 nicht mehr möglich, zu gemeinsamen Tagungen zusammenzukommen. Durch eine „Ordnung für Synodaltagungen in besonderen Fällen" hat die Kirche die Arbeitsfähigkeit und ein einheitliches Handeln der Synode zu gewährleisten gesucht, auch wenn diese nicht an einem Ort tagen kann. Inzwischen haben die Erschwernisse zugenommen, so daß eine Regionalisierung der Synode durch eine Verordnung vom x. Oktober 1968 verfügt werden mußte. Danach können die Befugnisse der Synode durch Regionalsynoden wahrgenommen werden, wobei diese gehalten sind, die brüderliche Gemeinschaft der Gesamtkirche auch fernerhin zu ver-

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wirklichen und lebendig zu erhalten. Die Synodalen aus den Gliedkirchen in der Deutschen Demokratischen Republik gehören zur Synode Regionalbereich Ost, die Synodalen aus den Gliedkirchen der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Westberlin zur Synode Regionalbereich West. Im § 4 der Verordnung vom i. Oktober 1968 heißt es: „Sollen Angelegenheiten mit Wirkung für alle Gliedkirchen der Evangelischen Kirche der Union geregelt werden, sind dafür übereinstimmende Beschlüsse der Regionalsynoden erforderlich. Übereinstimmende Beschlüsse bedürfen insbesondere Änderungen der Ordnung der Evangelischen Kirche der Union." Der Rat Neben der Synode steht als Leitungsorgan der Rat der Evangelischen Kirche der Union. Der Rat hat die Kirche in der Zwischenzeit der Tagungen der Synode zu leiten. Er kann Verordnungen erlassen, wenn die Synode nicht versammelt ist und ihre Einberufung nicht möglich ist oder der Gegenstand die Einberufung einer Synode nicht rechtfertigt. (Art. 15, 3 OEKU). Der Rat hat von diesem Verordnungsrecht häufig Gebrauch machen müssen. Seine Verordnungen können von der nächsten Synode abgeändert oder aufgehoben werden, ein Fall, der bisher noch nicht eingetreten ist. Dem Rat gehören die Bischöfe und Präsides der Gliedkirchen, der Präses der Synode der EKU, der Leiter der Kirchenkanzlei und ein von der Synode gewähltes Mitglied reformierten Bekenntnisses an. Der Rat tagt in der Regel monatlich. Er wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden für die Dauer eines Jahres. Die Schwierigkeiten, die aus den politischen Verhältnissen für die Synode erwuchsen, ergaben sich auch für die Arbeit des Rates. In einer „Verordnung über Sektionen des Rates der E K U " vom 1. Oktober 1968 wurde deshalb die Möglichkeit eröffnet, daß „in Angelegenheiten ihres Bereichs" Sektionen des Rates „in eigener Verantwortung entscheiden" können, ohne daß dadurch die Verwirklichung und Lebendigerhaltung der brüderlichen Gemeinschaft der ganzen Kirche verletzt werden darf (§ 2 Satz 2 der Sektionsverordnung). Ob auch in dieser Leitungstätigkeit weitere Folgerungen zu ziehen sind, ist noch nicht entschieden. Insbesondere ist die Frage aufgetaucht, ob der Rat nicht durch Zuwahl von Synodalen erweitert werden sollte, um die unmittelbare Mitwirkung der Synode im Rat zu verstärken. Der Rat ist bisher im wesentlichen ein Organ der Kirchenleitungen der Gliedkirchen. Sollte er nicht in Zukunft im wesentlichen eine Art Synodalausschuß werden? Wichtig ist in Artikel 17 OEKU die Bestimmung, daß in der Synode und im Rat gegen

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Vorlagen Bedenken erhoben werden können mit der Begründung, daß sie einem in der Kirche geltenden Bekenntnis widersprechen. Diesen Bedenken ist Rechnung zu tragen, „wenn sie von der Mehrheit der diesem Bekenntnis angehörenden Mitglieder der Synode oder des Rates bestätigt werden und dann auch in nochmaliger Beratung unter Gottes Wort nicht behoben werden können." Ein solcher Fall ist bisher nicht eingetreten. Die Kirchenkanzlei Die laufenden Geschäfte der Synode und des Rates werden von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union im Rahmen der geltenden Ordnung und der Beschlüsse von Synode und Rat geführt. Sie setzt sich zusammen aus haupt- und nebenamtlichen theologischen und rechtskundigen Mitgliedern, die vom Rat berufen werden. Der Leiter der Kirchenkanzlei führt den Titel „Präsident", sein Stellvertreter den Titel „Vizepräsident". Die haupt- und nebenamtlichen Mitglieder der Kirchenkanzlei bilden ein Kollegium, das über die vorliegenden Aufgaben entscheidet. Zur Zeit gibt es in der Kirchenkanzlei 7 hauptamtliche und 2 nebenamtliche theologische und 5 hauptamtliche rechtskundige Dezernenten. Infolge der Teilung Deutschlands gibt es in Berlin zwei Geschäftsstellen der Kanzlei, eine in der Jebensstraße in Westberlin und eine in der Auguststraße in Ostberlin. Die Kollegien der Kirchenkanzlei beraten in der Regel wöchentlich. Auch sie haben notfalls Handlungsfreiheit im eigenen Bereich (Sektionsordnung vom 1. Oktober 1968 § 3). V. DIE ARBEIT DER E V A N G E L I S C H E N K I R C H E DER U N I O N Es ist nicht möglich, in diesem Zusammenhang den ganzen Umfang der faktischen Arbeit unserer Kirche zu beschreiben. Es können nur einzelne Sachgebiete hervorgehoben werden. Im übrigen wird auf die „Tätigkeitsberichte der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union" an die jeweiligen Synodaltagungen verwiesen, die als Manuskripte gedruckt vorhegen. Die theologische Arbeit Es ist sehr schwer, gesicherte Angaben über die Anzahl der Gemeindeglieder, der selbständigen Kirchengemeinden, der ordinierten Pfarrer und



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Pastorinnen, Prediger und Helfer im Predigtamt und der zahlreichen sonstigen kirchlichen Mitarbeiter (Katecheten, Diakone und Diakonissen, Kirchenmusiker u.a.m.) in unserer Kirche zu machen. Es sind nur ungefähre Schätzungen möglich. Von der Tradition der Volkskirche her rechnen sich noch viele Menschen zur Kirche, ohne doch praktizierende evangelische Christen zu sein. Zudem ist die Zahl der Kirchenaustritte und der indifferenten Gleichgültigen größer geworden, namentlich im Regionalbereich Ost unserer Kirche. Nominell werden wir vielleicht noch mit 14,5 Millionen Kirchenangehöriger in unserer Unionskirche rechnen können, davon in der Deutschen Demokratischen Republik (ohne Westberlin) mit etwa 6 Millionen. Unsere Kirche befindet sich in einer zunehmenden Umbildung von einer großen traditionellen Volkskirche zu einer kleiner werdenden Diasporakirche, in der freilich glaubensbewußtere Kerngemeinden sich überall herausbilden. Auch die Zahl der selbständigen Kirchengemeinden gibt ein falsches Bild. Im Ostbereich unserer Kirche gibt es unverhältnismäßig viel mehr Kirchengemeinden als im westlichen Teil. Das liegt aber ganz einfach daran, daß hier infolge der stärkeren dörflichen Struktur viele Zwerggemeinden vorhanden sind, während im Westen die größere Bevölkerungsdichte oft unüberschaubare Großgemeinden verursacht hat. Während bei den östlichen Kirchen eine Zusammenlegung von Gemeinden sich als notwendig erweist, wird bei den westlichen Kirchen der Vorgang der Teilung von Gemeinden erforderlich sein. Jedoch kann auch diese Prognose nur mit großem Vorbehalt und sehr allgemein gemacht werden. Es ist eben alles im Fluß. Wenn man die Gemeinden, deren Struktur vertretbar sein könnte, schätzungsweise überschlägt, so käme man vielleicht insgesamt auf die Zahl 4500. Was die Zahl der ordinierten Geistlichen anlangt, so kann man sie wohl mit rund 5500 angeben, die sich etwa gleichmäßig auf beide Regionen unserer Kirche verteilen. Dieser Überblick, der seht allgemein ist, mag verdeutlichen, welche Anforderungen an die theologische Arbeit der Gesamtkirche und die der Gliedkirchen gestellt werden. Die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pfarrer sind durch ein Gesetz der Evangelischen Kirche der Union vom 1 1 . November i960 einheitlich für alle Gliedkirchen geregelt. Ebenso sind das Disziplinarrecht und die Lehrbeanstandungsordnung in gesamtkirchlicher Verantwortung geregelt. Die letztere Ordnung ist bisher noch in keinem Falle in unserer Kirche zur Anwendung gekommen. Die Verordnung über das Amt der Pastorin bestimmt im gesamtkirchlichen Rahmen den pfarramtlichen Dienst der ordinierten Theologin in unserer Kirche. Das Kirchengesetz der E K U über die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pastoren im Hilfs-

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dienst der Kirche ordnet an, daß jeder Pastor verpflichtet ist, ein Hilfsdienstjahr nach Weisung seiner Gliedkirche abzuleisten. Aber auch die Bestimmung über die Ausbildung der Pfarrer und Pastorinnen sind einheitlich durch Kirchengesetz der E K U festgesetzt (1. Theologisches Examen, Vikariat, Predigerseminar, 2. Theologisches Examen, Ordination, Anstellungsfähigkeit im Amt). Das gleiche gilt für den Dienst des Diakons und das Amt des Kirchenmusikers sowie für das Amt des Predigers. Das Kirchengesetz, das den letztgenannten Dienst regelt, steht allerdings nur für den Bereich der östlichen Gliedkirchen in Geltung. So ist eine gemeinsame Ordnung wichtiger kirchlicher Ämter und Dienste in der E K U geschaffen worden, was freilich nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß durch die kirchliche und theologische Entwicklung in den letzten Jahren die Frage nach Amt und Dienst in der Kirche grundsätzlich und im einzelnen ganz neu gestellt und darum geprüft, neu bedacht und neu geordnet werden muß. Erwähnt sei schließlich noch, daß auch das Leben in der Gemeinde durch eine „Ordnung des Kirchlichen Lebens" wenigstens für vier Gliedkirchen in der Deutschen Demokratischen Republik einheitlich gestaltet worden ist, wobei eine weitgehende Ubereinstimmung mit den anderen Gliedkirchen erreicht wurde. Dieser „Ordnung des Kirchlichen Lebens" vom 5. Mai 1955 wird in einem „Vorspruch" der gesetzliche Charakter genommen, indem sie als „eine Regel, der sich niemand ohne gewichtigen Grund entziehen soll", bezeichnet wird. Auch in diesem Bereich der Verhaltensweisen der evangelischen Christen in Kirche und Welt sind inzwischen neue theologische und praktische Probleme entstanden, die den Rat veranlaßt haben, eine Durchprüfung und Durchdenkung dieser Ordnung in Angriff zu nehmen. Die Ausbildung der Theologiestudenten findet im achtsemestrigen Studium an staatlichen Fakultäten oder in eigenen kirchlichen, theologisch-wissenschaftlichen Einrichtungen statt. Für den Bereich in der Deutschen Demokratischen Republik bestehen Predigerschulen in Berlin und in Erfurt. Die zahlreichen Ausbildungsstätten für Katecheten, Kirchenmusiker, Diakone, Gemeindehelferinnen, Diakonissen (Krankenpflegeschulen), Kinderdiakoninnen und andere kirchliche Dienste können hier nur erwähnt, aber nicht im einzelnen aufgezählt werden. Im ganzen wird man sagen können, daß an den staatlichen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen innerhalb der E K U über 1500 Studenten ihrem Studium obliegen. Der theologischen Fortbildung nach dem 1. Examen dienen Predigerseminare, die zum Teil in gliedkirchlicher Verantwortung, im östlichen Teil unserer Kirche in gesamtkirchlicher Verwaltung stehen. Eine Auflockerung der theologischen Ausbildung zwischen 1. und 2. Examen und des theologischen Studiums überhaupt sowie des theolo-

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gischen Prüfungswesens wird zur Zeit an verschiedenen Stellen erprobt. Für die ständige Weiterbildung der Pfarrerschaft sind Pastoralkollegs eingerichtet. Einige Gliedkirchen beschreiten in dieser Hinsicht neue geordnete und planmäßige Wege. Die unmittelbare Arbeit an den Problemen, die der gegenwärtigen theologischen Wissenschaft und Forschimg gestellt sind, nimmt der theologische Ausschuß der E K U wahr. Er hat sich insbesondere mit der Diskussion um die Mitte des Christuszeugnisses, nämlich dem Verständnis des Todes Jesu beschäftigt. In drei Bänden hat er das Ergebnis seiner jahrelangen intensiven Arbeit an diesem Thema veröffentlicht. Diese Veröffentlichungen haben weit über unsere Kirche hinaus bis in die Ökumene hinein ein starkes Echo gefunden. Der erste Band „Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus" hat seine 7. Auflage erreicht, der zweite „Zur Bedeutung des Todes Jesus. Exegetische Beiträge" die 3. Auflage und der dritte „Das Kreuz Jesu Christi als Grund des Heils" die 2. Auflage. In einer Stellungnahme der Synode der E K U ist diese ganze theologische Arbeit zusammengefaßt und verabschiedet worden. Sie versucht in dem pluralistischen Chor der gegenwärtigen Theologien Kreuz und Auferstehung Jesu Christi als Mitte christlicher Verkündigung neu zu begründen und sie in einen unauflöslichen Zusammenhang mit konkreter Nachfolge zu stellen. Der theologische Ausschuß hat sich ferner mit dem Themenkreis befaßt, der mit den Worten „Gemeinde - Amt - Ordination" umschrieben ist. Die von der Synode 1968 zur Kenntnis genommenen „Leitsätze zum theologischen Verständnis und zu Rechtsfragen der Ordination" ließen eine Reihe von Fragen offen, die dringend der Klärung bedürfen. Kritische Anfragen der jüngeren Generation in unserer Kirche an die Ordinationspraxis nötigen zur Überprüfung des Verständnisses der Ordination und konkret nach dem „Ordinationsvorhalt", wie er in der Agende der E K U formuliert worden ist. Dahinter steht die Frage nach einem neuen Leitbild des Pfarramtes in unserer Zeit. Der theologische Ausschuß hat zu diesen Problemen ein gutachtliches Memorandum erarbeitet, das den Synoden vorgelegt wird und den Gliedkirchen zur Stellungnahme zugeleitet werden wird. Die theologische Arbeit der Gesamtkirche, die in zahlreichen anderen Ausschüssen und Einrichtungen unserer Kirche geleistet wird, kann hier nur am Rande Erwähnung finden (Erziehungsausschuß, Arbeitsgemeinschaft für Soziologie und Theologie, Kirchliche Arbeitsstelle für Friedensforschung, Evangelisches Forschungsheim Wittenberg für die Fragen zwischen Naturwissenschaft und christlichem Glauben u.a.m.).

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Die ökumenische Arbeit D i e Evangelische Kirche der U n i o n pflegt nach ihrer O r d n u n g die G e meinschaft und Zusammenarbeit in der Ö k u m e n e und w e i ß sich durch den A u f t r a g ihres Herrn zur Weltmission gerufen (Art. 5 O E K U ) . D e m g e m ä ß ist unsere Kirche mit unierten Kirchen in der Ö k u m e n e in nähere Beziehungen getreten. Das gilt v o r allem f ü r die United Church of Christ in den U S A und für die United Church of C h r i s t i n N i p p o n (Japan, K y o dan). Ein langjähriges P r o g r a m m des gegenseitigen Besuchsdienstes v o n Pfarrern, der Austausch v o n Stipendiaten und „Fraternal Worker" sowie die Teilnahme an Synoden und T a g u n g e n (z.B. an der Consultation of Church Union in den U S A ) haben diesen Beziehungen einen konkreten Inhalt gegeben. A b e r auch mit anderen Kirchen, z.B. der Kirche v o n Südindien und der Vereinigten Kirche Christi in Kanada sind Verbindungen angeknüpft worden. D a ß unsere Kirche naturgemäß an den zahlreichen Unionsverhandlungen in der Ö k u m e n e ein Interesse nimmt, ist verständlich. So nahm unsere Kirche an den Konsultationen des Referates f ü r „Glauben und Kirchenverfassung" des Ökumenischen Rates der K i r chen über Unionsverhandlungen 1967 in Bossey und 1970 in Limuru (Kenia) teil. Dabei erstrebt unsere Kirche nicht einen Zusammenschluß der unierten Kirchen in einen „Unierten W e l t b u n d " . Sie w i l l vielmehr die Unionsverhandlungen in aller W e l t fördern und die Arbeit des R e f e rates „Glauben und Kirchenverfassung" in Genf in dieser Richtung unterstützen. D i e E K U ist stark engagiert an den Gesprächen lutherischer und reformierter T h e o l o g e n in den Jahren 1961 bis 1966 in Schauenburg und in Leuenberg. D i e dort erarbeiteten Thesenreihen über das W o r t Gottes, das Gesetz und das Bekenntnis sind Gegenstand kritischen Nachdenkens in der eigenen Kirche gewesen und werden als kräftiger Anstoß i m Wachsen zu einer vollen Kirchengemeinschaft in der evangelischen Christenheit in Deutschland verstanden. D i e sich anbahnenden theologischen Begegnungen zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten in Deutschland sind v o n diesen interkonfessionellen Gesprächen auf ö k u menischer Ebene beeinflußt worden. In dieser Hinsicht w i r d auch die Arbeit der Konferenz Europäischer Kirchen, die einst auf Anregung u n serer Kirche ins Leben gerufen w u r d e (Präses D . Held ist einer ihrer M i t begründer), begrüßt. A n der Vorbereitung, Durchführung und Nacharbeit der V o l l v e r s a m m lungen des Ökumenischen Rates der Kirchen hat unsere Kirche sich jedesmal intensiv beteiligt. D e r Ökumenische Ausschuß der E K U hat zu S e k t i o n I der Z w e i t e n Vollversammlung in Evanston (1954) „Unser Einssein

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in Christus und unsere Uneinigkeit als Kirchen" 14 wichtige Thesen aufgestellt. In ihnen heißt es: „Unserem Vereinigtsein in der E K U liegt die Glaubensüberzeugung zugrunde, daß die Gemeinsamkeit der Lehre in den unter uns geltenden Bekenntnissen soweit reicht, daß daraufhin die Vereinigung in einer Kirche gewagt werden konnte, auch wenn manche Lehrfragen unter uns weiterhin der gründlichen Beratung bedürfen und das theologische Gespräch unter uns bis heute unabgeschlossen geblieben ist." Ähnliche Vorarbeiten und kritische Stellungnahmen würden auch zur III. Vollversammlung in New-Delhi geleistet. Besonders eingehend wurden die Ergebnisse der IV. Vollversammlung in Uppsala besprochen. In den zahlreichen ökumenischen Studiengruppen in der E K U standen vor allem die Sektionen III, V und VI im Vordergrund: „Wirtschaftliche und soziale Weltentwicklung", „Gottesdienst" und „Auf der Suche nach einem neuen Lebensstil". Um die ökumenische Studienarbeit zu beleben, veranstaltet das ökumenische Referat der Kirchenkanzlei in bestimmten Abständen ökumenische Informationstage und in zweijähriger Folge ökumenische Studientagungen in Berlin, deren letzte im Mai 1969 sich mit dem Thema „Lateinamerika" beschäftigte. Ein spezieller Studienausschuß untersucht die Theologie, die Geschichte und das Leben der orthodoxen Kirchen. Durch diese Arbeit konnten auch Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen in Bulgarien und Rumänien und zur Koptischen Kirche in Ägypten aufgenommen werden. In diesem Zusammenhang sei auch die Tätigkeit des Ökumenischen Institutes erwähnt, das wesentliche Beiträge zur Information 'der Pfarrer und Gemeinden unserer Kirche gibt, auch zahlreiche Dokumentationen und regelmäßige ökumenische Gebetshilfen versendet. Das Ökumenische Institut ist eine Abteilung des Ökumenisch-missionarischen Amtes in Berlin. Dieses Amt ist gegründet worden, um die weltmissionarischen Aktivitäten in den 5 Gliedkirchen der E K U in der Deutschen Demokratischen Republik zusammenzufassen. Es ist ein Integrationsorgan der beteiligten Kirchen und der in ihnen arbeitenden Missionsgesellschaften. Von diesen Missionsgesellschaften (Gossner, Brüder unität, Ostasien-Mission, Jerusalemsverein u. a.) weiß sich besonders die Berliner Missionsgesellschaft nach ihrer Grundordnung der Evangelischen Kirche der Union verbunden. Es ist daher verständlich, daß unsere Kirche gerade zu den jetzt selbständig gewordenen Kirchen in Südafrika, die aus der Arbeit der Berliner Missionsgesellschaft hervorgegangen sind, enge Verbindungen pflegt (Transvaal, Natal und Kapprovinz). Die E K U hat für diese weltmissionarische Tätigkeiten ein umfangreiches Hilfsprogramm entwickelt. Die Frage des Anschlusses der Berliner Mission an ein Vereinigtes Missionswerk von Rheinischer Mission und Bethel-

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mission wird zur Zeit erörtert. Wichtig ist, daß das bestehende Interesse der Gemeinden im Regionalbereich Ost unserer Kirche an der Weltmission erhalten bleibt. Der Missionsausschuß der E K U ist für die Abstimmung der Gliedkirchen und Missionsgesellschaften untereinander und für die Klärung weltmissionarischer Probleme von großer Bedeutung. Genannt seien schließlich noch die Beziehungen unserer Kirchen zu Gemeinden und Kirchen deutscher Herkunft und deutscher Sprache im Ausland. Hierzu gehören sowohl Kirchen in Südamerika, vor allem die Evangelische Kirche am La Plata, wie Südafrika, die Evangelisch-Lutherische Kirche im Südlichen Afrika (Transvaalkirche) und in Europa, z. B . die Evangelische Synode Deutscher Sprache im Vereinigten Königreich. Die innerdeutsche Ökumene („Ökumene am Ort") ist in zunehmendem Wachstum begriffen. In der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen" sind die Landeskirchen mit den hauptsächlichsten Freikirchen und anderen christlichen Vereinigungen verbunden. Die ökumenische Gebetswoche und viele örtliche ökumenische Gottesdienste, auch mit den römisch-katholischen Christen lassen die Einheit des Leibes Christi deutlicher hervortreten als in früheren Zeiten.

Die Ordnung des Gottesdienstes Nach langjähriger Erprobung von Entwürfen in den Gemeinden wurde 1959 der erste und 1963 der zweite Band der Agende der Evangelischen Kirche der Union durch die Synode verabschiedet. Damit war die B e stimmung des Artikels 6, Absatz 2 a, der O E K U , der Einheitlichkeit in den Ordnungen der Gottesdienste und Amtshandlungen als erstrebenswert bezeichnete, erfüllt. Die Einheit des Gottesdienstes in unserer Kirche der Union ist ein geistliches Band, das „die Gliedkirchen der E K U in Ost und West in wahrer Qemeinschaft am Evangelium, im Dienste Gottes und im Lobpreis seines Namens beieinander hält" (Vorwort zum 1. Band der Agende). „Die evangelische Kirche gibt sich die Ordnungen ihres Gottesdienstes in der Freiheit des Glaubens, aber sie weiß, daß diese Freiheit durch das Gebot der Liebe geleitet wird, in der gleichen Weise wie die Brüder Gottesdienst zu halten, auf daß alle einmütig mit einem Munde Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, loben" (Rom. 15,6). Die Agende bietet verschiedene Formen des Gottesdienstes an. Die erste Ordnung, in A und B variierend, ist im Grunde die „Deutsche Messe" D. Martin Luthers, die andere Form trägt den gottesdienstlichen Tradi-

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tionen der reformierten Gemeinden Rechnung. In den weitaus meisten Gemeinden, auch übrigens in manchen reformierten Gemeinden, hat sich die O r d n u n g B durchgesetzt. Sie sieht die doppelte Schriftlesung (Epistel und Evangelium) v o r und enthält, meist einmal i m Monat, die Feier des Heiligen Abendmahles i m Gottesdienst. Für die Predigttexte sind jetzt sechs Reihen vorgesehen, für die in den sogenannten „ G ö t tinger Predigtmeditationen" exegetische und homiletische Hilfen angeboten werden. D a inzwischen eine sprachliche Revision der Bibelübersetzung Luthers durch den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gebilligt w o r d e n ist, wurden in einer 2. A u f l a g e des i . Bandes der A g e n d e die neuen T e x t e eingesetzt. D e r zweite Band der A g e n d e enthält die kirchlichen Handlungen (Taufe mit drei verschiedenen Formularen, Konfirmation, Trauung, Bestattung) und Ordnungen für die Ordination z u m Predigtamt, für die „Einsegnungen" zu anderen kirchlichen Diensten, für die Einführungen in kirchliche Ä m t e r und für die Einweihungen v o n kirchlichen Gebäuden, Altären, Kanzeln, Orgeln, Glocken und Friedhöfen. B e i der Verabschiedung dieses 2. Bandes der A g e n d e traten in der Synode bereits starke theologische Bedenken zutage (Verhältnis der Ordination zu den „Einsegnungen", sakrales M i ß v e r ständnis der „Einweihungen"). D i e theologische Kritik an diesen Gottesdienstordnungen und die V e r suche neuer, mehr auf die Gegenwart, namentlich auf die junge Generation bezogener gottesdienstlicher Formen, haben das Problem einer grundsätzlichen oder einer teilweisen R e f o r m des Gottesdienstes aufgeworfen. Zunächst richtet sich der Reformwillen auf den Gebetsteil der Agende. 1968 beschloß die Synode der E K U , ein „Ergänzungsheft zur A g e n d e " zu erarbeiten, das eine Sammlung neuer Gebete und eine Handreichung z u m Gebet überhaupt und v o r allem z u m agendarischen Gebet enthalten sollte. Dabei sollten auch neue Modelle für den Gemeindegottesdienst angeboten werden. D e r liturgische Ausschuß hat sich inzwischen an die Arbeit gemacht, und es kann erwartet werden, daß das „Ergänzungsheft" bald i m D r u c k erscheinen wird. In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß jetzt alle Gliedkirchen das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG) gebrauchen. Es darf gesagt werden, daß die Kirchenmusik in unserer Kirche auf einem hohen geistlichen und künstlerischem N i v e a u steht, w e n n auch in den D o r f g e meinden oft ein empfindlicher Mangel an ausgebildeten Kirchenmusikern vorhanden ist, was zu unzureichenden Notlösungen geführt hat. D i e g e genwärtige Diskussion über zeitgemäße Formen des Gottesdienstes bezieht auch die Kirchenmusik ein. O f t w i r d gerade v o n ihr ein wesentlicher Beitrag zur Erneuerung des Gottesdienstes erwartet. D i e söge-

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nannten „Jazz-Gottesdienste" haben zwar einen großen Anklang bei der Jugend gefunden, aber sie sind auch nicht unzutreffend als „Schnulze mit Synkope" bezeichnet worden. Die allgemeine musikalische Stilwende der Gegenwart hat die Kirchenmusik in eine Krise gebracht, von der wir noch nicht wissen, in welche Richtung sie uns führen wird.

Die diakonischen und missionarischen Dienste und Werke Unsere Kirche hat in ihrer Mitte eine reiche Fülle von diakonischen und missionarischen Werken und Diensten. Sie hier auch nur annähernd aufzuzählen, würde eine eigene Darstellung erfordern. Die Saat, die August Hermann Francke (1663-1727) mit seinen Anstalten in Halle, Theodor Fliedner (1800-1864), Begründer der weiblichen Diakonie und des Kaiserwerther Diakoniewerkes, Johann Hinrich Wichern (1808-1881), Vater des Evangelischen Johannesstiftes in Berlin, und Friedrich von Bodelschwingh (1832-1910), dessen Lebenswerk die diakonischen und missionarischen Anstalten in Bethel bei Bielefeld sind, ausgestreut haben, hat viel Frucht getragen. Zahlreiche Diakonissenmutterhäuser, Diakonenanstalten, Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, evangelische Krankenhäuser, Kliniken und Heilanstalten, Jugend- und Kinderheime, Fürsorgeeinrichtungen für Gefährdete, Wandemde, Reisende, Betreuungsstellen für Mütter, Erholungsuchende, Alte und Hilfsbedürftige sind in unserer Kirche vorhanden. Sie arbeiten teils in unmittelbarer Verantwortung der Kirche, meist aber in der Rechtsform freier Stiftungen, Vereine oder Werke. Von den missionarischen Diensten soll nur eines in dieser Uberschau genannt werden: die Bibelgesellschaften. Die Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft in Berlin und die Canstein'sche Bibelanstalt in Witten sind unserer Kirche eng verbunden. Der Vertrieb von Bibeln, Bibelteilen oder Schriften zum Bibelstudium umfaßt jährlich hunderttausende von Exemplaren. Bibelwochen, Bibelausstellungen, Bibelübersetzungen, Bibelkommentare und viele sonstige Literatur zur Bibel werden zahlreich gedruckt. Eine Zahl mag diese Arbeit veranschaulichen: Allein in der Deutschen Demokratischen Republik wurden im Jahr 1969 55000 Bibeln verkauft. Freilich darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kenntnis, Verständnis und lebendiges Verhältnis zur Bibel nur in einem Bruchteil unserer Gemeindeglieder vorhanden ist. Die Bibelmission ist darum ein vordringliches missionarisches Anliegen unserer Kirche. Ein Aktionskomitee für Bibelverbreitung in der D D R hat begonnen, dem Bibelverständnis in den Gemeinden neue Impulse zu geben.

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Die Verantwortung für das öffentliche Lehen und für die Welt Es ist bereits im 2. Kapitel ausgeführt worden, daß die Intention zur Weltverantwortung und zum aktuellen Bekennen ein Wesenszug der Evangelischen Kirche der Union ist - oder sein sollte. Denn daß hier nur ein Zurückbleiben hinter den Herausforderungen der gegenwärtigen politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Situation zu konstatieren ist, ist offenkundig. Der Rat unserer Kirche hat einen Ausschuß für öffentliche Verantwortung berufen, der sich seit Jahren mit den Fragen des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Wahrung der Menschenrechte, der politischen Freiheit, der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, des ideologischen Druckes im staatlichen Schul- und Erziehungswesens u. a. m. beschäftigt. Er hat auch Grundsatzfragen über die Stellung des Christen im Sozialismus oder zur Atombewaffnung, zur Aufrüstung, zur Teilung der Deutschen, zu Verhältnis von Staat und Kirche im nachkonstantinisehen Zeitalter erörtert. Dazu kamen Stellungnahmen zu aktuellen Fragen wie zum Nah-Ost-Konflikt oder zum Vietnamkrieg. Immer wieder mußte sich der Ausschuß mit den konkreten Behinderungen der kirchlichen Arbeit durch staatliche Maßnahmen befassen. Der Ausschuß hat eine Reihe von Vorlagen für die Synode erstellt, die von ihr angenommen wurden. Zwei von diesen offiziellen Stellungnahmen der E K U seien genannt: Die „Handreichung über das Evangelium und das christliche Leben in der Deutschen Demokratischen Republik" und das Wort „Vom Bleiben in der Deutschen Demokratischen Republik", verbunden mit einem ebenso ernsten wie offenen Brief an den damaligen Ministerpräsidenten Grotewohl. Hierin wurden die brennenden menschlichen Konflikte und Gewissensnöte mit der Bitte um Abhilfe beim Namen genannt. Von besonderem Gewicht waren auch die Verhandlungen der Synode 1968 über das Thema: „Die Evangelische Kirche und der soziale Friede in der Welt." Auch an der Abfassung der „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche", die am 8. März 1963 einstimmig von der Konferenz der Kirchenleitungen in der D D R angenommen wurden, hat der EKU-Ausschuß entscheidenden Anteil gehabt.

VI. A K T U E L L E PROBLEME DER E V A N G E L I S C H E N K I R C H E DER U N I O N W o gehen wir hin?, so lautet die letzte Frage dieser Selbstdarstellung unserer Kirche. 1967 hat die E K U ihres 150jährigen Bestehens gedacht. Das Gedenken erfolgte in bescheidenem Rahmen im Anschluß an das

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450jährige Reformationsjubiläum in Wittenberg. „Union und Ö k u mene", so lautete das Thema der Studientagung aus diesem Anlaß. Aber bestimmender als ökumenische Aspekte sind im Augenblick Entwicklungen im Protestantismus in Deutschland selbst. D a die E K U grundsätzlich größere Einheit erstrebt, ist sie durch diese Entwicklungen zu Entscheidungen über ihren Fortbestand genötigt. Es wird in sorgfältiger Selbstprüfung der zukünftige W e g zu suchen sein. Weder das Drängen auf vorzeitige Selbstaufgabe noch ein starres Festhalten bisheriger Positionen sollten den Ausschlag geben. Die Alternative: Selbstauflösung oder Selbsterhaltung würde zu folgereichen Fehlentscheidungen führen. D i e Berufung einer Synodalkommission wird Gelegenheit bieten, die nötigen Schritte sorgsam zu erwägen. Erschwert wird die kommende Lösung dadurch, daß im Regionalbereich Ost unserer Kirche Forderungen politischer und ideologischer Art gestellt wurden. Es wird darauf ankommen, ob jene im Kapitel II dieser Darstellung herausgearbeiteten Wesensintentionen unserer Kirche in neue Formen kirchlicher Kooperation eingehen können. Darüber können hier keine Prognosen gestellt werden. Es soll im Folgenden nur versucht werden, die Spannungsfelder aufzuweisen, in denen unsere Kirche gegenwärtig steht.

Neue kirchliche Zusammenschlüsse in der evangelischen Christenheit in Deutschland Die acht evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republick haben sich aus inneren und äußeren Gründen entschlossen, in einem „ B u n d der Evangelische« Kirchen in der D D R " eine engere Zusammenarbeit zu finden. Damit ,ist ein Prozess eingeleitet, der auf eine evangelische Kirche in der D D R abzielt. Dies entspricht ohne Zweifel den zukünftigen kirchlichen Arbeitsvorstellungen vieler Pfarrer und Gemeindeglieder, namentlich in der jüngeren Generation. Eine solche Zielsetzung könnte zur Folge haben, daß die bisherigen kirchlichen Gruppierungen in der D D R (5 Gliedkirchen der E K U und 3 Kirchen der Vereinigten Evangelischen Lutherischen Kirche) sich fragen lassen müssen, ob sie um dieser größeren Einheit willen ihren augenblicklichen Bestand aufgeben sollen. Bisher haben sie getrennt voneinander gearbeitet. Die Situation zwingt jedoch zu stärkerem Zusammenschluß. D i e lutherischen Kirchen in der D D R haben erkannt, daß die V E L K D „nicht das Ende der W e g e Gottes mit der Kirche" ist. Diese Einsicht ist natürlich auch für die E K U richtig. N u r ist mit solchen richtigen Proklamationen noch nichts getan. M a n kann eine solche Aussage auch für jede neue Formierung der Kirche,

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also auch für den „Bund Evangelischer Kirchen in der D D R " machen. Dennoch werden sich die fünf Gliedkirchen der E K U in der D D R der mit Begründung des Kirchenbundes eingeleiteten Entwicklung nicht entziehen dürfen. Das wirft nun freilich eine Frage auf, die nicht leicht genommen werden sollte. Bedeutet eine eventuelle ,.Einmündung" der fünf EKU-Kirchen in der D D R in den Kirchenbund nicht die Preisgabe ihrer Gemeinschaft mit den westlichen EKU-Kirchen? Die Begründung des Kirchenbundes in der D D R bedeutete zugleich das Ende der Evangelischen Kirche in Deutschland in diesem Bereich. Die bisherigen Organe der E K D (Rat, Synode, Kanzlei) erklärten ihre Arbeit als beendet und gliederten sich den neuen Organen der Bundeskirche in der D D R ein (Bundessynode, Konferenz der Kirchenleitungen, Sekretariat). Die E K D hat inzwischen ihre Wirksamkeit auf die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin beschränkt. Analog dazu haben die lutherischen Kirchen in der D D R sich in einer Vereinigten Evangelischen Lutherischen Kirche in der D D R formiert und die V E L K D ebenfalls ihren Wirkungsbereich auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt. Die E K U hat diesen Schritt nicht getan. Es ist dies u. a. daraus zu erklären, daß die E K U durch ihre Geschichte und durch ihre gegenwärtig noch praktizierbare Gemeinschaft sowie durch zahlreiche gemeinsame Ordnungen und Kirchengesetze sehr viel enger zusammengeschlossen ist als die E K D und die VELKD. Darum ist eine Trennung der E K U in zwei selbständige Kirchen in Ost und West komplizierter als bei den beiden genannten kirchlichen Gemeinschaften. So steht die E K U in einem Spannungsfeld zwischen der Eingliederung ihrer fünf östlichen Gliedkirchen in den Bund und dem Festhalten an der Gesamtkirche zwischen Ost und West. Dabei mag unterstrichen werden, daß der Bund der Kirchen in der D D R nach seiner Ordnung (Art. 4, 4) die Gemeinschaft mit den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik aufrecht erhalten will, freilich nicht mehr als eine Kirche, sondern in partnerschaftlicher Freiheit. Beachtenswert ist eine gewisse Parallelentwicklung in der „Arnoldshainer Konferenz". Die westlichen EKU-Kirchen und die unierten Kirchen, die nicht Gliedkirchen der E K U sind (Baden, Pfalz, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck, Lippe, Bremen, aber auch die lutherische Kirche Oldenburg u. a.), haben sich in dieser Konferenz zwar nicht zu einer Kirche, aber doch zu einer engen Zusammenarbeit entschlossen. Auch scheint die „Rest-EKD" in der Bundesrepublik (einschließlich Westberlin) den W e g zu einer Evangelischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland eingeschlagen zu haben. Die Tendenz zur selbständigen Kirchwerdung in Ost und West ist unverkennbar, freilich unter Aufgabe der einen evan-

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gelischen Kirche in Deutschland. In diese Spannung ist die EKU hineinbezogen. Die Lehrgespräche mit den lutherischen Kirchen Es haben schon früher Lehrgespräche zwischen den theologischen Ausschüssen der EKU und der VELKD stattgefunden, die jedoch nicht zu einem greifbaren Ergebnis, sondern nur zu einer Profilierung der gegenseitigen Auffassungen geführt hatten. Auch die Bemühungen um die Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der EKD haben zwar die hier bestehenden theologischen Unterschiede aufgelockert, aber noch nicht die volle Gemeinschaft erbracht. Jetzt ist eine deutliche Bereitschaft der lutherischen Kirchen zur Herstellung eines Lehrkonsensus mit den reformierten und linierten Kirchen erkennbar geworden. Die Gespräche zwischen der jetzigen VELKD und den Kirchen der „Arnoldshainer Konferenz", die eine gemeinsame Aussage „gegenüber den Herausforderungen unserer Zeit" zum Ziele haben, scheinen schneller voranzukommen als die entsprechenden Gespräche zwischen der VELK in der DDR und der EKU. Im östlichen Bereich geht es um einen Lehrkonsens in der Thematik „Die Verkündigung der Rechtfertigung heute". Sollte es, was zu hoffen ist, zu einem positiven Ergebnis dieser Lehrgespräche kommen, so wäre eine theologisch gemeinsame Basis für die echte Kirchwerdung gegeben. Es könnte dann zu einer Evangelischen Kirche in der DDR, die konfessionelle Lutheraner, Reformierte und Unierte in einer Kirche vereinigt, kommen und entsprechend zu einer Evangelischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Wie dann das Verhältnis dieser beiden Kirchen zueinander geordnet werden soll, ist noch zu klären. Die EKU steht auch im Spannungsfeld dieser Lehrgespräche im Endeffekt vor der Frage ihrer Fortexistenz in der bisherigen Gestalt.

Die Einheit der Kirche im Dienste der Versöhnung im geteilten Volk Eine geistliche Frage von letzter Tiefe hat bei den gegenwärtigen Entscheidungen noch ein besonderes Gewicht: Die Frage nach der Verkündigung der Versöhnung in einem geteilten Volk. Der christlichen Kirche, also auch der EKU, ist die Botschaft von der Versöhnung aufgetragen. Von der Versöhnung zwischen Gott und der Menschheit im Christusereignis wie auch der daraus folgenden Versöhnung zwischen der in verschiedene politische, ideologische, gesellschaftliche, ökonomische, nationale, rassische und anderen Antagonismen aufgespaltenen Menschheit

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(2. Kor. 5 , 1 7 ff.; Eph. 2 , 1 4 ff.). Muß die Kirche nicht durch ihre eigene Existenz die Relativität aller vorhandenen menschlichen Gegensätze und Feindschaften bezeugen? Muß sie nicht in der Bresche stehen bleiben, die sich in der Welt auftut? (Ps. 106, 23; Hes. 22, 30.) Will nicht Gott von uns, daß wir in dieser Welt der antagonistischen Gegensätze uns als die eine Kirche bewähren, um jenen Gegensätzen ihren Anspruch auf Absolutheit zu nehmen? Die Frage nach der Botschaft der Versöhnung in Christus in der Situation eines getrennten Volkes ist für die Kirche von äußerstem Ernst. Wenn die Kirche sich durch die antagonistischen Systeme in Deutschland aufgliedern läßt in Ost und West, so besteht die Gefahr, daß sie die Glaubwürdigkeit ihrer alle menschlichen Gegensätze übergreifenden Versöhnungsbotschaft verliert. Was ist der Sinn der Versöhnungsbotschaft, wenn nicht der des Engagements zu einer kommenden Menschheitsgemeinschaft in Christus? Von diesen Gesichtspunkten her gewinnt die Aufteilung der E K U in Ost und West eine geistliche Tiefe und ein Gewicht, dem nicht mit nur organisatorischen Anpassungen genügt wird.

Veränderung und Umbruch in der Welt und in der Kirche

Ohne Zweifel stehen wir in einer Zeit, dig uns zum Umdenken oder besser gesagt zu einem erweiterten Denken in der Kirche nötigt. Die alten Begriffe reichen nicht mehr aus, um der neuen Wirklichkeit gerecht' zu werden. Aber die alten Begriffe sind auch erweiterungsfähig auf neue Herausforderungen. Ja, man kann vielleicht sagen, die alten Begriffe sind zu eng interpretiert worden. Sie enthalten in sich mehr an Aussage und sind der modernen Welt näher, als es gemeinhin in der kirchlichen Tradition ausgesprochen wurde. Darum ist ein „Umsprechen" der Botschaft der Bibel notwendig, freilich noch nicht geglückt, sondern als größte Aufgabe vor der Kirche stehend. Es braucht nur erinnert zu werden, welche menschlichen und damit auch theologischen Probleme die „Eroberung des Weltraumes", die moderne Molekularbiologie oder auch die Geburtenbeschränkung aufwerfen, um zu erkennen, in welchen Koordinaten in den kommenden Jahren die Botschaft vom Kreuz und von der Auferstehung verkündigt werden muß. Wie alle Kirchen in der Welt steht auch die E K U vor Wandlungen, die zu neuen Wegen herausfordern. Von diesem Weltwandlungshorizont mag noch einmal die Frage nach der Aufteilung unserer Kirche zwischen Ost und West gestellt oder die Hineingabe der E K U in größere kirchliche Einheiten bedacht werden. Muß es nicht als eine Selbsttäuschung

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beurteilt werden, wenn die Eingliederung in den „Bund der Evangelischen Kirchen in der D D R " oder der westlichen Gliedkirchen in die „Amoldshainer Konferenz" und in die „Rest-EKD" als Aufgehen in eine größere Einheit bezeichnet wird? Wird dabei nicht in Wirklichkeit die größere Einheit in einer erneuerten EKD aufgeben? Schon ist der Gedanke einer „Vereinigten Kirche Christi in Europa" aufgetaucht. Sind nicht unsere jetzigen Alternativen den eigentlichen und unausweichlich kommenden Perspektiven gegenüber zu klein? Vielleicht könnte das Festhalten an der Einheit derEKU in der Regie Gottes mehr bedeuten, als wir kurzsichtig wahrzunehmen in der Lage sind. Jedenfalls ist die Möglichkeit zu bedenken, daß unsere gegenwärtigen vernünftigen Überlegungen sehr schnell durch weitergreifendere Gesichtspunkte überholt und als zu kurz angelegt erwiesen werden. Die Kirche ist immer eine andere und doch immer dieselbe. Die Spannung zwischen der Selbigkeit des Geistes und der Kirche und ihrer irdischen Wandelbarkeit und Veränderlichkeit will in der augenblicklichen Situation mit Geduld ertragen, mit Weisheit bedacht und mit Entschlossenheit neu gelöst werden. Zwei Worte Martin Luthers - die diese Spannung, in der auch die E K U steht, verdeutlichen. Luther sagt: Ecclesia Semper nascitur et Semper mutatur in successione fidelium; alia et alia est ecclesia et tarnen

Semper eadem, „Die Kirche ist immer im Geborenwerden und in beständiger Wandlung in der Kontinuität der Gläubigen; anders ist sie und wieder anders und dennoch immer ein- und dieselbe." Und das zweite Wort Luthers aus der Schrift gegen den römischen Theologen Latimos in Löf wen (Belgien): Variant saecula sed idem Spiritus. „Die Zeitalter verändern sich, aber der Geist bleibt derselbe."

VERZEICHNIS

Leitungsorgane, Dienststellen und Einrichtungen der Evangelischen Kirche der Union Stand vom 1. Dezember 1971 a) Synode der EKU Regionalbereich Ost: Präses: Rechtsanwalt Helmut Waitz, 301 Magdeburg, A m Dom 2 Regionalbereich West: Präses: Präses i.R. D. Ernst Wilm, 4801 Theesen, Rehwinkel 394

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Die unierten Kirchen b) Rat der EKU

Vorsitzender: Bischof O. Hans-Joachim Frankel, 89 Görlitz, Berliner Straße 62 Stellvertreter: Präses D. Hans Thimme, 48 Bielefeld, Altstädter Kirchplatz 5 Generalsuperintendent Dr. theol. Horst Lahr, 15 Potsdam, Eisenhaitstraße 18 Propst Dr. Dittmann, 1 Berlin 12, Jebensstraße 3 c) Kirchenkanzlei der EKU Dienststelle Regionalbereich Ost: 104 Berlin, Auguststraße 80 Dienststelle Regionalbereich West: 1 Berlin 12, Jebensstraße 3 Leiter: Präsident D. Franz-Reinhold Hildebrandt, 104 Berlin, Auguststraße 80 Stellvertreter: Vizepräsident Prof. D. Martin Fischer DD, 1 Berlin 12, Jebensstraße 3 d) Einrichtungen der EKU Evangelisches Predigerseminar Wittenberg 46 Wittenberg, Collegienstraße 34 Ephorus: Paul Gerhard Keyser Evangelisches Predigerseminar Gnadau 3301 Gnadau / bei Magdeburg Ephorus: Dr. theol. Heino Falcke Evangelisches Predigerseminar am Domstift zu Brandenburg 18 Brandenburg/Havel, St. Petri 6 Ephorus: Dr. theol. Gottfried Forck Bibliographie Julius Müller: Die evangelische Union, ihr Wesen und ihr göttliches Recht. 1854. F.J. Stahl: Die lutherische Kirche und die Union. 18J9. Erich Foerster: Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelm des Dritten. Tübingen 1905/07, 2 Bände. Walter Elliger: Die Evangelische Kirche der Union. Witten 1967. Walter Hubatsch: Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens. Göttingen 1968, 3 Bände. Joachim Beckmann: Die unierten evangelischen Kirchen, in: H. Lamparter, Und ihr Netz zerriß. Stuttgart 1957. Hans Emil Weber: Von Recht und Sendung evangelischer Union. Essen 193$. Gerhard Ebeling: Die Kirchentrennende Bedeutung von Lehrdifferenzen. Tübingen 1963. Hans Asmussen: Abendmahlsgemeinschaft? Beiheft 3 zur Evangelischen Theologie. München 1937. Günther Härder: Unio und Confessio am Beispiel der Evangelischen Kirche der Union. Beiheft „Kirche in der Zeit", Düsseldorf 1966.

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Peter Brunner: Das lutherische Bekenntnis in der Union. Gütersloh 1952. Wilhelm von Rohden: Unio und Confessio. Witten 1956. Helmut Gollwitzer: Die Bedeutung des Bekenntnisses für die Union. Festschrift für E. W o l f . München 1962. Hans-Joachim Schoeps: Die Preussische Union von 1817, in: Union und Ö k u mene 1968. Oskar Söhngen: Hundert Jahre Evangelischer Oberkirchenrat der A P U . Berlin I9JO. Wilhelm Niemöller: Die evangelische Kirche im dritten Reich. Handbuch des Kirchenkampfes. 1956. Emst Wolf: Barmen 19J7. Schriftenreihe „Das christliche Deutschland 1937 bis 194$", herausgegeben von Erik Wolf. Tübingen 1946 ff. Wilhelm Niemöller: Kampf undZeugnis der Bekennenden Kirche. Bielefeld 1948. Wilhelm Niesei: U m Verkündigung und Ordnung der Kirche - Die Bekenntnissynoden der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Bielfeld 1949. Kurt Dietrich Schmidt: Der Widerstand der Kirche im Dritten Reich. Lutherische Monatshefte, i.Jg., Heft 8, 1962. Emst Wolf: Der Kirchenkampf als Krise des Protestantismus und als protestantische Aufgabe. „Kirche in der Zeit", 11. Jg., Heft j , 1956. Ernst Wolf: Die evangelischen Kirchen und der Staat im Dritten Reich, in: Theol. Studien, Heft 74, Zürich 1963. Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes. 18 Bände, noch unabgeschlossen, Göttingen 1 9 5 8 f r . In dieser Reihe besonders Band 18. Angelika Gerlach: Die Kirche vor der Eidesfrage. Göttingen 1967. Joachim Beckm ann: Neuordnung der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. A ntwort an ihre Kritiker. 1950. Briefwechsel zwischen Bischof D. Hans Meiser und Präses Dr. Lothar Kreyssig. A b g e druckt in: Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 5,1951, S. 201 ff., 3 0 2 f r . Kirchliches Jahrbuch 1930. Gütersloh 1951, 77. Jg., S. 62 ff. Tätigkeitsberichte der Kirchenkanzlei an die Synoden der EKU ab 1953. Als Manuskripte gedruckt. Synodalberichte der Evangelischen Kirche der Union. Das Verfassungsrecht der Evangelischen Kirche der Union. Berlin 1963. Das Dienstrecht der Evangelischen Kirche der Union. Berlin 1968. Friedrich Winter: W i e versteht sich die Evangelische Kirche der Union theologisch? Referat auf der Generalsynode der V E L K in der D D R in Eisenach 1968. Teilabdruck im Tätigkeitsbericht der Kirchenkanzlei 1970. Paul Gabriel: Der Heidelberger Katechismus. Berlin 1954. Ferdinand Schlingensiepen (Hrsg.): Union und Ökumene, 150 Jahre Evangelische Kirche der Union. Berlin 1968.

Kapitel 3 DIE

PFÄLZISCHE

LANDESKIRCHE

(Vereinigte Protestantisch-Evangelisch-Christliche Kirche der Pfalz) THEO SCHALLER

nter den Unionskirchen in Deutschland trägt die Pfälzische Kirche am stärksten den Charakter einer Consensus-Union. Ihre heutige Gestalt ist entscheidend durch ihre Geschichte bestimmt. Sie kann in ihrem Werden kein Modell für die heutigen Unionsbestrebungen abgeben - dazu ist sie zu sehr von den besonderen Gegebenheiten ihrer Geschichte, auch den speziell nichttheologischen Fakten, bestimmt. Andererseits aber bedeutet ihre Existenz eine nicht zu überhörende Frage nach dem Verhältnis der Kirchen der Reformation zueinander. „Ich übergebe meinen Lesern in den folgenden Blättern die Kirchengeschichte eines Landes, dessen Verfassung, seitdem Reichsgesetze und Friedensschlüsse das gegenseitige Verhältnis der christlichen Religionen in Deutschland bestimmt haben, eines der seltsamsten Phänomene in den deutschen Provinzen geworden ist." So beginnt ein ungenannter Verfasser sein Werk über die „Neueste Geschichte der reformierten Kirche in der unteren Pfalz", das 1791 in Dessau erschinen ist. Auf der Titelseite steht das Lukrez-Zitat: „tantum religio potuit suadere malorum". Das eine wie das andere könnte man einem Überblick über die Pfälzische Kirche voranstellen. Wenige Landeskirchen in Deutschland haben den konfessionellen Zwiespalt durch die Jahrhunderte so teuer bezahlt wie die Kirche am Oberrhein - wenige wurden und werden sosehr als „eines der seltsamsten Phänomene" angesehen. Zunächst freilich: die Probleme, die heute die Pfälzische Kirche bewegen, sind die gleichen wie in allen deutschen Landeskirchen, die mit dem Ende der Identität von „Bürgergemeinde und Christengemeinde" gestellt sind-wenngleich hier die „volkskirchlichen" Elemente und Kräfte noch stark das Bild der Kirche bestimmen. Die Versuche, ihnen zu begegnen, liegen in der gleichen Problematik und oft auch der gleichen Ratlosigkeit. Der Wille, den Dienst der Kirche in dieser Zeit recht auszurichten, ist der gleiche wie überall. Manches aber trägt doch seine besonderen Züge, wie es die Kleinheit einer Kirche, ihre Vergangenheit und ihr besonderer Charakter mit sich bringt. Man kann wohl sagen, daß im Unterschied zu den großen Lan-

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deskirchen hier Kirche und Land noch in einem starken Maße den Charakter der „Provinz" tragen. Zwischen Saar und Rhein, zwischen Weißenburg im Elsaß und Worms umfaßt die Pfälzische Landeskirche das Gebiet der ehemaligen bayrischen Rheinpfalz (seit 1816). Ihr Gebiet gehört zwei Bundesländern an: Rheinland-Pfalz und Saarland. Hier ist der kleinräumige Bereich ohne große wirtschaftliche und industrielle Zentren, auch ohne eine Universität, seitdem das alte Zentrum der Kurpfalz mit Mannheim und Heidelberg abgetrennt wurde. Da ist die oberrheinische, sonnige Ebene, uralter keltischer und römischer Kulturboden, schon im 4. Jahrhundert christliche Gemeinden tragend, mit ihren Spezialkulturen: Wein, Tabak, Obst. Da ist weiter westlich das große Waldland, das größte zusammenhängende Waldgebiet in Deutschland, das zu den Vogesen hinüberzieht. Da ist im Westen die Industrielandschaft mit Hütten und Gruben ins Saarland hineinreichend. Da ist im Norden weiträumiges Bauernland - auf kleinem Raum vielfältige Gestalt („Vielgestaltung ohne Einheit"). Das Land ist noch weithin von ländlicher und kleinstädtischer Struktur. Von den 627 Gemeinden (1961) haben unter 200 Einwohnern 31 Gemeinden, von 200 bis 500 166, von 500 bis 1000 189, von 1000 bis 2000 137, von 2000 bis 5000 76, 5000 und mehr Einwohner 28 Gemeinden. Über 50000 Einwohner zählt nur Pirmasens, die Schuh-Metropole, über 100000 Kaiserslautern, die Stadt zahlreicher Industrien und seit 1945 Amerikaner-Stadt, und Ludwigshafen, die Chemiestadt - BASF. In diesem Raum ist der Bereich der „Vereinigten Protestantisch-Evangelisch-Christliche Kirche der Pfalz". - Übersichtlich und darum begrenzt sind ihre Möglichkeiten. Ihre äußere Gestalt sei durch einige Angaben beschrieben. Die Zahl ihrer Mitglieder betrug bei der Union im Jahre 1818 236170, 1940: 592075, 1950: 620601, 1964: 756408, 1970: ca. 800000. Die Abendmahlsbeteiligung beträgt zur Zeit 30 Prozent. Die kath. Kirche (Bistum Speyer) zählt im gleichen Bericht etwa 100000 Glieder weniger. Die Landeskirche ist eingeteilt in 20 Dekanate. Sie hat 453 Kirchengemeinden, davon 289 mit dem Sitz eines Pfarrers und 160 ohne den Sitz eines Pfarrers, und 4 Gesamtkirchengemeinden. Im Dienst der Kirche stehen im ganzen 420 „Geistliche". Die Theologiestudenten studieren vor allem in Heidelberg, Mainz, Tübingen, Göttingen. Aber der Bogen der besuchten Universitäten reicht von Utrecht, w o ein altes Stipendium für Pfälzer Theologen besteht, bis Zürich, und von Paris bis Wien. Interessant ist eine Übersicht über die Herkunft des theologischen Nachwuchses. Von den Studenten, die seit 1947 zum 1. theologischen Examen kamen, stammen 49,7 Prozent aus der Pfalz, 22,7 Prozent aus dem übrigen Westdeutschland, 24,4 Prozent aus Mittel- und Ost-

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deutschland und 3,2 Prozent aus dem Ausland (England, Italien, Korea). Die Arbeitsmöglichkeiten der Landeskirche gegenüber den gegenwärtigen Aufgaben ermißt man am leichtesten aus ihren finanziellen Verhältnissen. Das Einkommen aus Kirchensteuern betrug im Jahre 1948 1,5 Millionen DMark, 1958 10,3 Millionen, 1965 29,8 Millionen, 1970 47,3 Millionen, der Gesamthaushalt 1970: 65,7 Millionen DMark. Im Verhältnis zu den übrigen Landeskirchen ist die Pfalz aber immer weniger leistungsfähig geworden. Der Umlageschlüssel zur Evangelischen Kirche in Deutschland betrug 1948 2,58 Prozent, 1959 1,93 Prozent, 1965 1,85 Prozent, 1970 1,70 Prozent. Die Gründe dieses langsamen Absinkens sind wirtschafts-struktureller Natur und zeichnen auch ihrerseits den provinziellen Charakter des Gebietes der Landeskirche nach, weisen aber auch auf die Notwendigkeit eines kirchlichen Finanzausgleiches hin. Die Struktur der Kirche ist seit ihrem Bestehen presbyterial und synodal. Die Presbyterien kommen durch allgemeine Wahl zustande, aus ihnen die Bezirkssynode und die Landessynode. Die Leitung liegt bei der Landessynode (63 Mitglieder, davon 28 „Geistliche" und 35 „Weltliche"), der Kirchenregierung und dem Landeskirchenrat in Speyer. Man hat in der Pfalz sehr aufmerksam* die nach 1945 neugeschaffenen Grundordnungen der verschiedenen Landeskirchen beobachtet und ist nur zögernd, zum Teil um aus den Fehlern und Vorzügen der anderen zu lernen, an die Schaffung einer eigenen Grundordnung gegangen. Die Arbeiten werden in absehbarer Zeit zum Abschluß kommen. Sie sollen erneut den presbyterial-synodalen Charakter betonen. Bis dahin gilt noch die nach dem Ende des Enten Weltkrieges geschaffene Verfassung von 1920. Dort ist auch ihre bis heute gültige Grundlage ausgesprochen: ,,§ 1 : (1) Die Vereinigte Protestantisch-Evangelisch-'Christliche Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) bekennt mit der evangelischen Gesamtkirche Jesus Christus als den Herrn und das alleinige Haupt seiner Gemeinde. (2) Die Pfälzische Landeskirche bildet in sich selbst ein Ganzes und erstrebt organische Verbindung mit den übrigen evangelischen Kirchen Deutschlands. § 2: Das Bekenntnis der Pfälzischen Landeskirche ist ausgesprochen in ihrer Vereinigungsurkunde und deren gesetzliche Erläuterungen." Über Vereinigung und Vereinigungsurkunde wird später noch etwas zu sagen sein. Die Pfälzische Kirche trägt den Charakter einer Consensus-Union, in der alle Gemeinden die gleiche Bekenntnisgrundlage haben und überall der gleiche Katechismus gilt. Dieser Unions-Katechismus in seiner jetzigen Gestalt aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts trägt auch die

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Spuren seiner Zeit. Die Schaffung eines neuen ist seit langem geplant. Die nicht nur in der Pfalz unternommenen Versuche dazu zeigen die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens. Gern würden die Pfälzer sich einem modernen evangelischen Katechismus anschließen, wenn es in Deutschland einen solchen schon gäbe. Wenn die Pfälzische Kirche sich bis heute als Landeskirche versteht, so liegt ihr nicht an der Wahrung überlieferter territorialer Grenzen. Es liegt ihr aber an der lokalen Bekenntniseinheit. Sie fühlt sich auch darum nicht von den Kirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland abgetrennt, sondern möchte in ihr viel mehr „Kirche" sehen, als dies vielfach der Fall ist, und als eine Dienst- und Arbeitseinheit in einer solchen großen Kirche stehen. Sie bejaht daher bewußt die Evangelische Kirche in Deutschland und bedauert alles, was diese Einheit noch hindert und schwächt. Die Pfälzische Landessynode hat schon im Jahre 1948 den Evangelischen Kirchen in Deutschland Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft angeboten, seitdem dieses Angebot verschiedentlich erneuert und möchte auch hier gemeinsam mit den anderen weiteren Schritte tun können. Es ist verständlich, daß gerade eine kleine Kirche die lebendige Gemeinschaft mit den anderen braucht und sucht und bereit ist, das Ihre mit in diese Gemeinschaft hineinzugeben. Für die Ökumene ist man im Grenzland seit alters offen. Vielfältige Beziehungen führen nicht nur ins Elsaß und nach Lothringen, sondern zur französischen Kirche im ganzen. Nach 1945 hat für lange Jahre ein Deutsch-französischer Bruder-Rat hier seinen Ausgang genommen. Es ist deutlich geworden, daß auf diesem Wege gerade die Pfälzische Kirche und ihr früherer Präsident, D . Dr. Stempel, auch einen wertvollen Beitrag zu diesem Zueinandertreffen der beiden Völker leisten konnte. Ungewollt und auf seltsame Weise wurde die Pfälzische Kirche in den Jahren nach dem Kriege zu einer Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft mit der Kongregationalistischen Kirche (International Congregational Council) geführt. Sie ist darum in Deutschland viel gescholten worden. Als aber zu Ostern 1957 in der Protestationskirche zu Speyer Pfälzer und Kongregationalisten aus aller Welt gemeinsam zum Heiligen Abendmahl gingen - im folgenden Jahr geschah dasselbe in London glaubte man, einen nicht unwesentlichen Dienst für die wachsende Ökumene getan zu haben. Auf anderen Wegen wurde die Pfälzische Landeskirche zur Betreuung der Evangelischen in Jugoslawien und zu einer immer enger werdenden Verbindung mit der Brüderkirche in der Tschechoslowakei geführt. Über Stipendiaten entstand ein freundschaftliches Verhältnis zu der Orthodoxen Kirche auf Kreta, als dessen besondere Frucht die Orthodoxe Akademie in Gonia/Chania anzusehen ist.

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Charakter und Gestalt dieser Pfälzischen Kirche haben sich geformt in einem jahrhundertelangen Werde-Prozeß, in dem die nichttheologischen Faktoren mindestens ebenso viel Anteilhatten, wie die theologischen und kirchlichen. Es ist das Bild einer Kirche, ausgesetzt und preisgegeben den Strömen und Stürmen der Geschichte, hin und her getrieben von ihnen, oft dem Untergang geweiht, und doch immer wieder eigentümlich erhalten und bewahrt, ja, wie es scheint, gerade durch diese Wirrungen einem ihr bestimmten Ziele zugeführt. Das Land am Oberrhein, Grenzlandschaft und Brückenlandschaft - die Pfälzische Kirche ist die einzige unter den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, die ganz auf linksrheinischem Gebiete liegt - , ist seit den Tagen der Römerkämpfe ein Land voller Unruhe und Bewegung, voller Wechsel, Aufbau und Abrisse, über das die Ströme europäischer Geschichte unablässig hin und her fluteten. Es ist kein hortus conclusus, geschlossen und geborgen, sondern freies Gelände, den Stürmen - den Weststürmen zumal - offen. Hier konnte es keine ungebrochene Entwicklung geben, keine Zeit ungestörter Entfaltung, sondern immer wieder wurde die Saat, kaum gestreut, zertreten. „Der Kampf am Rhein", jahrhundertelang das Thema der europäischen Politik, hat in allen seinen Phasen auch die Kirche des Landes in seine zerstörenden Kreise hineingezogen. Dieses Element der Unruhe wurde verstärkt durch die Zersplitterung des Landes in eine Fülle selbständiger Territorien, teils Folgen alten fränkischen Erbrechtes, teils Ergebnis wechselnder Schicksale. Als durch die französische Revolution zum ersten Male ein einheitliches Verwaltungsgebiet geschaffen wurde, waren es 44 autonome Territorien gewesen und nach dem Schicksal der deutschen Reformation 44 verschiedene Landeskirchen - von der Kurpfalz und dem Herzogtum Zweibrücken zu den Rheingrafen und den Sickinger-Herren bis zum König von Frankreich, der in Landau seine stärkste Festung hatte, und der lutherischen Reichsstadt Speyer. Man kann heute noch keine Geschichte der Kirche in der Pfalz schreiben, weil zuvor die Geschichte dieser 44 Territorien geschrieben sein müßte - sich ähnlich in den großen Zügen, differenziert aber in der Fülle der Einzelheiten. In diesem Räume wurde die Reformation sehr früh aufgenommen. Es. war eine Bewegung von unten, ehe sie von den Landesherren geordnet wurde, voller Unruhe zugleich durch die wandernden Prediger der Täufer, die auf der alten Heerstraße zwischen der Schweiz und den Niederlanden hier Herberge fanden. Die Einflußsphären haben sich früh und immer wieder überschnitten, da die Ströme der Reformation von W i t tenberg, von Zürich, von Genf und vor allem von Straßburg sich hier begegneten, bekämpften, berührten und vermischten. Das bedeutete:

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Kampf auf der einen, Befruchtung und Vermischung auf der anderen Seite. Als charakteristisch mag gelten, was von dem Heidelberger Hof um die Mitte des 16. Jahrhunderts gesagt wurde: „Heidelberg wurde zum Asyl für viele protestantischen Flüchtlinge aus Westeuropa. So entstand allmählich das Religions- und Völkergemisch, das die Gesellschaft der pfälzischen Hauptstadt nun fast zwei Jahrzehnte auszeichnete und der Stadt einen Hauch freier Geistigkeit verlieh, der sie in einer Zeit beginnender konfessioneller Enge weit über die anderen deutschen Residenzen emporhob." Ihre besondere Problematik bekam die Entwicklung der Reformationskirchen, als man mit Friedrich dem Frommen (1563 Heidelberger Katechismus) für die Kurpfalz und eine Reihe der Territorien der Übertritt zum Calvinismus der Kirche eine neue Prägung gab - 5 Jahre nach der Einführung des lutherischen Bekenntnisses unter Ottheinrich. Uber Stürme und theologische Kämpfe - Lutheraner, Philippisten und Calvinisten in Heidelberg - brachte dieser Schritt die Kurpfalz in eine fast völlige Isolierung von den anderen evangelischen Reichsständen, andererseits öfSiete er zugleich in einem großen Maße die Türen zum westlichen Protestantismus. Es ist dabei nicht nur an einen Kreis von Theologen zu denken, der sich aus ganz Europa in den kurpfälzischen Städten zusammenfand, nicht nur, um die weitwirkenden theologischen Grundlagen der Kirche zu legen, auch um sich aufgrund des neuerkannten Gotteswortes der beginnenden Gegenreformation entgegenzustellen. Dazu gehört auch, daß diese Pfälzer Fürsten - sowohl die Heidelberger als die Zweibrücker - fast die einzigen waren, die den Todeskampf des Evangeliums in Westeuropa sahen und Hilfe leisteten. Zwei Beispiele nur: Wolfgang von Zweibrücken, Lutheraner noch, der sterbend den Hugenotten den Frieden von St. Germain erkämpfte - Johann Casimir, der Sohn Friedrichs des Frommeir, der nach Frankreich und nach den Niederlanden zog, um in die Gläubenskämpfe einzugreifen - hier hat sich schon das Bekenntnis mit dem Schwert verbunden, unentwirrbare Verflechtung der Motive; ein Vetsuch, eine Front des Widerstandes gegen die Gegenreformation von England bis Genf zu bilden, scheiterte, wie alle diese Versuche, weil die Pfalz zu schmal und zu isoliert war für die ihre Kraft übersteigenden Aufgaben. Gegenströme: Flüchtlinge aus dem Westen kamen in die Pfalz; Wallonen, Flamen, Niederländer, Franzosen. Man wird ihren Einfluß, der noch nicht genügend untersucht ist, nicht hoch genug einschätzen. Aber eine neue Problematik kam mit ihnen zu den alten Fragen: Neben die calvinistische Staats- und Volkskirche traten die Fremdengemeinden mit ihrer eigenen Prägung, ihrer besonderen Kirchenzucht - Reichtum und Anlaß

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neuer Spannungen zugleich. Später werden die Mennoniten kommen, die in zwei großen Zügen nach den Kriegen (nach 1650 und nach 1709) aus der Schweiz kamen und die leer gewordenen Höfe besiedelten. Ihre tragische Tiefe bekam die Geschichte der Kirche in der Pfalz aber, seitdem 1621 Tilly den Krieg an den Rhein trug und die alten Städte zum ersten Male in Flammen standen. Nun wird bis zu Napoleons Ende fast 200 Jahre immer Krieg sein. Nun wird der Krieg, den Frankreich um den Rhein führt, immer auch ein Krieg der Gegenreformation sein. Die Hand, die 1685 das Toleranz-Edikt für die Hugenotten in Frankreich zerriß, wird auf dem eroberten Lande nicht leichter liegen. Tausende werden das gequälte Land verlassen, um irgendwo zwischen Pennsylvanien und der Wolga eine Heimat zu finden. Für Generationen wird die Pfalz das Land der Auswanderer, deren Kirchengründungen im Osten und Südosten zum größten Teil untergegangen sind, in den Vereinigten Staaten aber die Kirchengeschichte mitgeprägt haben und zum Teil bis heute bestehen. Ein Wunder Gottes, daß in diesen Jahrzehnten das Evangelium nicht völlig erstickt wurde. Aus der gegenseitigen Bereicherung wurde nun mehr und mehr - zumal durch die Verflechtung mit der Gewalt der politischen Geschicke - der Jammer und die Not der sich selbst zerstörenden Christenheit. Aus engstem Raum vollzogen sich diese tödlichen Auseinandersetzungen. Verschärft wurden sie noch durch die durch mancherlei Umstände verursachten häufigen Konversionen der Fürstenhäuser. So wurde, um ein Beispiel zu nennen, Zweibrücken, das zweitgrößte Territorium, 1533 lutherisch, 1588 reformiert, 1661 lutherisch, 1718 katholisch, 1731 lutherisch, 1755 katholisch. Jenes Titelblatt von 1791 trägt das Wort des alten Lukrez zu Recht als Motto über diesen!* Geschehen. So wurde neben dem Kampf das Problem der Toleranz früh gestellt und fand mancherlei erstaunliche Lösungen. Das Gesamtergebnis aber für das Verhältnis der Kirchen zueinander war, als mit der französischen Revolution eine neue Epoche begann, wohl das: Ekel und Überdruß an dem Streit, Nivellierung durch die geistigen Mächte des 18. Jahrhunderts und eine ungeheure Sehnsucht nach Frieden. So ist wohl verständlich, daß auf diesem Boden und unter diesem Schicksal die Frage nach der Einheit der Kirchen - der reformatorischen und darüber hinaus der christlichen im ganzen - früh und immer wieder gestellt wurde. Wie ein oft verborgener, manchmal ans Licht tretender Strom begleitet sie den Weg der Kirche, seitdem 1559 Philipp Melanchthon den Heidelberger Theologen ein Gutachten über die Abendmahlslehre gab, indem er ihnen 1. Kor. 1 0 , 1 6 auslegte, das Wort von der xoivcovla rot» alftarog tOV

XQMJTOV.

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Sie ist nie verstummt, oft in der Gestalt der Frage nach der biblischen Mitte der Reformationskirche gestellt, nie zur Frage der Theologen allein, sondern eine Lebensfrage vieler. N u r wenige Beispiele: Schon der Heidelberger Katechismus ist ein Versuch einer frühen ..Union", indem er die zentrale calvinistische Lehre zurückstellt und das Gemeinsame sucht in einer leidenschaftlichen Betonung der Schrift über alle menschlichen Autoritäten hinaus. Da ist der weite Bereich der heute wieder entdeckten pfälzischen theologischen „Irenik". D a ist der Schlesier David Pareus in Heidelberg mit seinem Buch: „Irenicum sive de unione et synodo evangeliorum Uber votivus" von 1614 - ein Ruf zum Frieden, ehe die deutsche Christenheit im Strudel des Dreißigjährigen Krieges versinkt. Z u seinen Füßen übrigens saß in Heidelberg Jan Arnos Komensky, der etwas v o n dieser Botschaft in seine böhmische Heimat nahm - eine der vielen Beziehungen zwischen der pfälzischen und der tschechischen Kirche. D a ist der Kurfürst Karl-Ludwig, Sohn des vertriebenen Winterkönigs, Flüchtlingskind, der nach der Heimkehr nach dem Dreißigjährigen Krieg mit unzulänglichen Mitteln die Wiedervereinigung der christlichen K o n fessionen erstrebte, gescheitert als Unionsversuch von oben, bewegend zugleich als Ausdruck einer großen Sehnsucht. In den Einweihungsakt der Mannheimer Konkordienkirche 1680, w o die drei Konfessionen beteiligt waren, war die Taufe eines Juden, eines Negers und eines Knaben aus Ost-Indien eingebaut. Das sei erwähnt nicht als Kuriosum, sondern als ein Zeichen „ökumenischer Ahnung". Das sind die „Stillen im Lande" - soweit wir heute wissen, waren Herrnhuter Kreise Ende des 18. Jahrhunderts in 92 Pfälzer Orten vertreten Verkünder der Christus-Liebe in dem Streit der Konfessionen. D a ist in seiner Auswirkung vielleicht das Bedeutsamste die eigentümliche Entwicklung des Gottesdienstes, der mehr und mehr die reformatorischen Kirchen nicht trennte, sondern verband. Darüber schreibt W o l f gang Jung in seinem schönen Buch „ Z u r Geschichte des evangelischen Gottesdienstes in der Pfalz" (1959) abschließend: „ D i e Form des Gottesdienstes war - mit der einzigen Ausnahme der Zweibrücker Kirchenordnung des Pfalzgrafen W o l f g a n g von 1557, die aber (was man bedauern mag) nur eine relativ kurze Episode war und im Pfälzer Räume ohne besondere Auswirkungen blieb - die oberdeutsche, also eine Gottesdienstform, wie sie, nach vorreformatorischen Ansätzen im wesentlichen v o m südwestdeutschen Luthertum geprägt und dann, auf dem U m w e g über Straßburg und Calvin, auch von den Reformierten übernommen wurde. Die Formen des Gottesdienstes waren also - wenn w i r v o n dem Zweibrücker Intermezzo absehen dürfen - sowohl auf lutherischer w i e auf reformierter Seite einander mindestens sehr ähnlich. Im Laufe der

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Zeit wurde dann die Angleichung der jeweiligen Gottesdienstformen es vollzog sich-da wohl eine Art Abschleifungsprozeß - immer größer, so daß - wie wir gesehen haben - etwa in der Kurpfalz am Ende des 18. Jahrhunderts der Unterschied zwischen Lutheranern und Reformierten auf gottesdienstlichem Gebiet fast nur noch darin bestand, daß die Lutheraner Perikopen hatten und die Reformierten nicht. Die Kurpfälzische lutherische Kirchenordnung von 1782, eine Art Arper-Zillessen des 18. Jahrhunderts, wurde von beiden Teilen gleich emsig benützt. So ist also die Einführung der Union von 1818, wenigstens auf gottesdienstlichem Gebiete, keineswegs ein tiefgehender Einschnitt, sondern lediglich die Konstatierung und Legalisierung schon länger bestehender Tatsachen gewesen." Die große Wende brachte die französische Revolution, die die linksrheinischen Gebiete in ihren Strudel zog und zugleich unter Schmerzen die Voraussetzungen für eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse schuf. Aus der Fülle der Vorgänge während der 20jährigen Zugehörigkeit zu Frankreich seien zwei genannt: Revolution und Neuordnung, vor allem unter Napoleon, beenden mit der Aufhebung der Territorien auch das alte Landeskirchentum. Es bleiben zunächst nur die Ortsgemeinden, ein für Deutschland einzigartiger Vorgang, verbunden mit einer weitgehenden Demokratisierung der Kirche. Damit fielen die Faktoren, die trennend zwischen den Gemeinden der verschiedenen Bekenntnisse standen. Nach Beendigung des Kampfes wurde diesseits und jenseits der Vogesen wieder Glaubensfreiheit und .Rechtssicherheit gewährt. Menschen, über die auch in Glaubensdingen immer von anderen entschieden wurde, durften nun selbst entscheiden. So begann, zaghaft zunächst, von unten her immer stärker werdend, eine Bewegung, die schließlich zur Union in der Pfalz führte. Noch in der Franzosenzeit schlössen einzelne Gemeinden ihre LokalUnion. Das setzte sich im Reformationsjahr 1817 fort. „Wir heben von jetzt an mit so viel größerer Freude, je heißer und länger schon der fromme Wunsch in unseren Herzen glühet, im äußeren Bekenntnis eins zu sein, wie wir es im Glauben waren, die bisher stattgehabte äußere kirchliche Trennung zwischen uns auf . . . " (Annweiler 1817). Das vollendete sich dann unter der bayerischen Herrschaft im Jahre 1818 im Abschluß der Union, über die eine Volksbefragung entschied. 40167 Hausväter stimmten dafür, 539 dagegen. Eine Generalsynode in Kaiserslautern vollzog die Vereinigung - kein obrigkeitlicher Akt, sondern einem Volksfest gleich, das seinen Höhepunkt darin fand, daß endlich nach allen Trennungen die Kinder der Reformation das Heilige Abendmahl gemeinsam feierten. Unter dem Bild in der Speyerer Dreifaltigkeits-

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kirche, das diese Feier festhält, steht der Satz: „ W i r feyern Christi Mahl wie er es selbst befahl." Aus der Vorgeschichte mag dieser Vorgang nicht nur als verständlich, sondern als notwendiges Ergebnis langer Entwicklungen erscheinen. Die bis heute gültige Grundlage der Pfälzischen Kirche ist die 1818 in Kaiserlautern beschlossene und nicht ohne Auseinandersetzungen mit dem bayrischen Oberkonsistorium genehmigte Vereinigungs-Urkunde. Aus ihr sei einiges genannt, was den Charakter der jungen Kirche beschreibt. § 1: „Inskünftig wollen die Protestanten des Rheinkreises fest und brüderlich vereinigt sein und bleiben, als protestantisch-evangelisch-christliche Kirche." Zu dieser Selbstbezeichnung tritt später noch das W o r t „vereinigt". Sie war, dem Brauch der Zeit entsprechend, deutlich, und das W o r t christlich hieße, wenn es heute gesprochen würde, „ökumenisch". § 3: „Die protestantisch-evangelisch-christliche Kirche hält die allgemeinen Symbole und die bei den getrennten protestantischen Konfessionen gebräuchlichen, symbolischen Bücher in gebührender Achtung, erkennt jedoch keinen anderen Glaubensgrund noch Lehmorm als die Heilige Schrift." § 4 : „Die bisherigen strittigen Lehrpunkte sind, nach wohlerwogenen Gründen, durch eine den klaren Aussprüchen des Evangeliums gemäße Ansicht beseitigt worden." § 5: „Diesem nach erklärt die protestantisch-evangelisch-christliche Kirche das Heilige Abendmahl für ein Fest des Gedächtnisses an Jesum und der seligsten Vereinigung mit dem für die Menschen in den T o d gegebenen, vom Tode auferweckten, zu seinem und ihrem Vater aufgenommenen Erlöser derselben, der bei ihnen ist alle Tage bis an der Welt Ende. Die Protestanten des Rheinkreises erklären sich dabei öffentlich für seine Bekenner." W e r diese Paragraphen, kommentieren will, wird den Geist jener Zeit bedenken; er wird den- Überschwang der Freude heraushören, endlich die Einheit der Kirchen der Reformation gefunden zu haben; er wird die Überzeugung vorfinden, in dem sola scriptura die konsequente Ausprägung des Anliegens der Reformation ausgedrückt zu haben; er wird über den Aussagen zum Abendmahlsverständnis meinen, man habe es sich leicht gemacht, aber auch etwas davon ahnen, daß es darum ging, allein hinzuweisen auf den, der der Herr seines Mahles ist; er wird aber auch erkennen, daß diese Sätze, wenn sie heute Grundlage einer Kirche sein sollen - und sie sollen es sein - neues Durchdenken und Interpretieren notwendig machen. Die Union war nicht einfach ein Akt des Zusammenschlusses der bisher

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getrennten Kirchen. Sie bedeutete zugleich Selbstbehauptung des christlichen Glaubens gegenüber der atheistischen Aufklärung und eine Erneuerung der Kirche in Geist und Gestalt. Daß dies nicht in der Rückkehr zu den Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts geschah, aber auch nicht in der Erweckung neupietistischer Art, sondern im Geiste eines gemäßigten Rationalismus, hat für die Pfälzische Kirche Bedeutung für das ganze 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart gehabt. In langen, teilweise mit den politischen Bewegungen von 1832 und 1948/49 verflochtenen Auseinandersetzungen prägte sich die Gestalt der Unionskirche endgültig aus. Die Kämpfe führten alle nur zur Bestätigung und Befestigung der 1818 geschlossenen Union. Ein Synodalbeschluß von 1853, unter dem Einfluß politischer Reaktion erfolgt, daß „die Augsburger Konfession von 1540 - als Darstellung der in der Evangelisch-Protestantischen Kirche der Pfalz gültigen gemeinsamen Lehre rezipiert werde", blieb ohne Bedeutung für die kirchliche Entwicklung. Nach einer erneuten Demokratisierung durch die Verfassung von 1920, nach der Trennung vom Staate, steht die Pfälzische Kirche heute vor den gleichen Problemen und Aufgaben wie alle deutschen Landeskirchen. Der Kirchenkampf während der nationalsozialistischen Epoche hat durch die Herrschaft der „Deutschen Christen" und die Beseitigung des synodalen Charakters, auch durch mancherlei Opfer, auch die Pfalz berührt. Aus verschiedenen Gründen hat er aber nicht die Schärfe wie anderwärts erlangt. Von zukunftsweisender Bedeutung wurde, daß in den Jahren 1940 bis 1945 die Betreuung der Evangelischen in Lothringen von der Pfälzischen Kirche übernommen werden konnte - erste Ansätze einer mitten im Kriege beginnenden neuen ökumenischen Epoche.

VERZEICHNIS Leitung: Protestantischer Landeskirchenrat der Pfalz; Kirchenpräsident Walter Ebrecht, Speyer, Domplatz 5. - Pfälzische Landessynode; Präsident: Justizminister Fritz Schneider, Kaiserslautern-Hohenecken. Größe: Südlicher Teil des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, östlicher Teil des Bundeslandes Saarland; etwa 800000 Mitglieder; 453 Kirchengemeinden, 420 Pfarrer, etwa 400 Diakonissen. Ausbildungsstätten und Institute: Protestantisches Predigerseminar Landau, Pfalz; Fachhochschule für Sozialberufe, Ludwigshafen; Fachhochschule für Kindergärtnerinnen, Speyer; Evangelische Akademie, Bad Dürkheim. Diakonie: Diakonisches Werk der Pfälzischen Landeskirche, Speyer; Evangelische Diakonissenanstalt, Speyer; Diakonisches Zentrum, Kirchheimbolanden.

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Presse: EPD Pfalz, Speyer, Domplatz 4; Ev. Kirchenbote, Gemeindeblatt für die Pfalz, Speyer; „Der Turmhahn", Blätter für das künstlerische Scha ffen in der Pfälzischen Landeskirche.

LITERATUR E. Mayer: Pfälzische Kirchengeschichte. 1939. L. Stamer: Kirchengeschichte der Pfalz. (1936-1955 kath.). G. Biundo: Die evangelischen Geistlichen der Pfalz seit der Reformation. 1968. W. Eger: Handbuch der Pfälzischen Landeskirche. 1967. J. Müller: Die Vorgeschichte der Pfälzischen Union. 1957. R. Bergmann: Documenta 1933 bis 1944. i960. H. Stempel: Vom Kirchenkampf in der Pfalz. Landeskirche. 1970. Blätterfür Pfälz. Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde. Seit 1920. Pfälzisches Kirchenlexikon. Hrsg. H. Stempel und Th. Schaller. Seit 1962.

Kapitel 4 DIE E V A N G E L I S C H E L A N D E S K I R C H E IN B A D E N HERMANN ERBACHER

ie großen Veränderungen auf der politischen Landkarte zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachten konfessionell verschiedene Ländereien zusammen, während andere Gebiete Von ihren bisherigen Obrigkeiten gelöst wurden. Die Verluste standen oft in keinem Verhältnis zu den Entschädigungen. So erhielt z. B . Preußen fünffachen, Hessen-Darmstadt achtfachen und Baden sogar zehnfachen Ersatz. Hierbei handelte es sich weniger um ein Rechtsgeschäft als mehr um ein Politikum, wenngleich dies durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) in ein reichsgrundsätzliches Gewand gehüllt worden war. Für das junge Kurfürstentum Baden, das sich nach dem Landgewinn vom Bodensee bis zum Main längs des Rheins hinstreckte, bedeutete dies nichts anderes, als daß jetzt knapp ein Drittel der Einwohner protestantisch war, von denen noch ein Teil als Reformierte nicht mit dem lutherischen Bekenntnis des Landesherrn übereinstimmte. Es lag daher nahe, daß wenigstens die Augsburgischen Religionsverwandten einen Zusammenschluß anstrebten. Weshalb sollte eine kirchliche Union in der Zeit des Staatskirchentums nicht zugleich auch eine Stütze für den jungen Staat bedeuten, der, abgesehen von verschiedener stammhaftcr Vergangenheit, unterschiedliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verflechtungen aufzuweisen hatte? Insofern bedeutet die Vorgeschichte der Union, ja die Union selbst „ein Stück staatlicher Reformgeschichte" (Bauer).

I. D I E V O R G E S C H I C H T E

DER

UNION

Der beim Augsburger Religionsfrieden (1555) aufgestellte Grundsatz des „Cuius regio eins religio" hatte die konfessionelle Spaltung Deutschlands besiegelt, indem er einerseits die „Verwandten der Augsburgischen Konfession" reichsrechtlich anerkannte, andererseits aber durch das „Reservatum ecclesiasticum" die Erhaltung der römisch-katholischen Kirche sicherte. Damit war in der Regel die konfessionelle Geschlossenheit der deutschen Territorien erhalten geblieben. Doch sprechen die mehrfachen Konfes-

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sionswechsel z. B . in der Markgrafschaft Baden-Baden und in der Kurpfalz, verursacht durch die regierenden Häuser, eine beredte Sprache für die Untertanen, die diesem Wechsel ausgesetzt waren. In diesem Lichte ist jener Versuch des reformierten Karl Ludwig von der Pfalz (1649 bis 1680) zu sehen, der deshalb eine Union anstrebte und mit dem Bau der den drei christlichen Konfessionen gewidmeten Mannheimer Konkordienkirche ein sichtbares Zeichen zu setzen suchte. Leider ist die damals in den evangelischen Gemeinden wahrscheinlich nur handschriftlich vorhanden gewesene Agende verschollen. Auch in der Markgrafschaft Baden-Durlach waren infolge des Einströmens von (Glaubens-)Flüchtlingen um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert 5 reformierte Gemeinden entstanden. Karl Wilhelm (1709-1738) hatte bei der Gründung seiner Landes- und Residenzstadt Karlsruhe (1715) aus eigenem Entschluß freie Religionsübung und den Bau einer eigenen Kirche für die reformierten Siedler gewährt. Ebenfalls erlaubte er den Bruchsaler Kapuzinern, daß sie die Messe in Karlsruhe in einem weltlichen Gebäude feiern, predigen und die Beichte hören konnten. Auf allen Kanzeln wurde Polemik gegenüber Andersgläubigen ausdrücklich untersagt. Die lutherischen Pfarrer, die sich seit 1579 (1629 erneuert) auf die Konkordienformel zu verpflichten hatten, lehnten freilich in den Durlacher Thesen 1723 ausdrücklich eine Union mit den Reformierten ab. Beim Anfall der bernhardinischen Linie 1771 mußte der Erbe Karl Friedrich (1738 bis 1 8 1 1 ) sein Wort einlösen, das er mit dem 1765 geschlossenen Erbvertrag gegeben hatte: Er mußte den Katholiken den Bekenntnis- und Besitzstand zusichern. So war die evangelische Bevölkerung in dem neuen Staat (1803/06) geradezu zur konfessionellen Minderheit geworden (1810 ca. 32 Prozent Lutheraner und 10 Prozent Reformierte). Daher suchte der lutherische Kirchenratsdirektor N. Brauer in Karlsruhe eine staatskirchenrechtliche Lösung dadurch herbeizuführen, daß er die in seiner Schrift (1803) niedergelegten „Gedanken über einen Kirchenverein beeder [!] protestantischer Religionsparthieen" zu verwirklichen suchte. „Mich dünkt würklich, es habe Gott zu einer solchen das wahre Christenthum ehrenden Vereinigung noch nie die politische, die kirchliche und die wissenschaftliche Lage in der Welt in eine günstigere Constellation gebracht als eben jezt[!]" (S. 3). Bereits 1788 war in der Markgrafschaft der Kanzelaustausch unter Lutheranern und Reformierten empfohlen worden, ebenso die Zulassung zu bedingter Abendmahlsgemeinschaft, d. h. „ w o sie keine Kirche und keinen Pfarrer haben", unter Beibehaltung ihres Glaubensbekenntnisses. Brauer stellte sich eine schrittweise Vereinigung vor: Z u nächst unter den Augsburgischen Religionsverwandten im eigenen

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Lande, dann in Deutschland, zuletzt in Europa (S. 9). Die „wenigen dogmatischen Verschiedenheiten beider protestantischer Kirchen" sollten „bei Seite liegen" bleiben. Diese Einstellung gründete auf der Anschauung der Aufklärung wie auf pietistischen Einflüssen zugunsten einer gefühlsbetonten Frömmigkeit. Die künftige linierte Kirche sollte die Gemeinschaft mit den beiden bestehenden Kirchen aufrechterhalten, doch unter keinen Umständen eine von ihnen getrennte dritte Konfession, „eine eigene dritte Parthie" (S. 10,14) bilden. Keine Konfession dürfte die andere unterwerfen, weshalb „nach schlichtem Bibelsinne" (S. 11) ein Kompromiß durch Angleichung der Lehrunterschiede anzustreben sei. Die schon in der Kirchenratsinstruktion (1797) ausgesprochene strenge Scheidung zwischen Glaubens- und Lehrfreiheit, deren Beachtung erst die Kämpfe innerhalb des badischen kirchlichen Liberalismus im 19. Jahrhundert verständlich macht, ließ es Brauer unnötig erscheinen, ein neues umfassendes Glaubensbekenntnis (S. 13) für die erhoffte Unionskirche zu fordern oder zu formulieren, zumal er als Jurist die durch die Augsburgische Konfession reichsrechtlich verankerte Stellung der evangelischen Kirche nicht gefährden wollte. Im 2. Abschnitt seiner Schrift, überschrieben „Vergleich wegen der Dogmen" (S. 19-52), versuchte Brauer als Laientheologe, die Lehrunterschiede in den Artikeln vom Abendmahl und von der Gnadenwahl auszugleichen. So sah er z. B. im Abendmahl, „indem Brod f.] und Wein als Nahrungs- und Stärkungsmittel des körperlichen Lebens genossen würden, auch jene Nahrung und Stärkung des geistigen Lebens, welche Jesus durch Hingebung seines Leibes und Vergießung seines Blutes bereitet hatte, jedem Communicanten dargeboten" (S. 21 f.), d.h.:Er schloß die Identität der eucharistischen Elemente mit Leib und Blut Christi aus und suchte zugleich die von ihm fälschlich als „streng calvinisch" bezeichnete Lehre von der Analogie („wie ein bloßes Schattenbild zur Sache", S. 29) auszuklammern. In der näheren Erklärung des Lehrsatzes bestimmte er das Verhältnis zwischen den eucharistischen Elementen und Leib und Blut Christi als das „eines Körpers zu einem ihn belebenden Geist" (S. 28). Die unierte Kirche sollte aber mit Annahme dieser Erklärung weder die lutherische noch reformierte Lehre bevorzugen oder verwerfen. Nur liturgische Formel und katechetischer Unterricht sollten an den Lehrsatz gebunden sein, die nähere Erklärung war jedem Geistlichen freizustellen (S. 29). Bei den verbindlichen allgemeinen Lehrsätzen bezog sich Brauer auf den „gemeinverständlichen Sinn der Bibel"und verzichtete bei der näheren Erklärung der Lehrsätze auf die Allgemeingültigkeit seiner Gedanken.

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Bevor nun dieses heute noch lesenswerte, aber hier nur teilweise besprochene Büchlein erschienen war, hatte Brauer mit dem i. Organisationsedikt (1803) das kurpfälzische lutherische Konsistorium in Heidelberg aufgelöst und in den badischen lutherischen Kirchenrat in Karlsruhe eingegliedert. Die reformierten Gemeinden der Markgrafschaft wurden dem reformierten Kirchenratskollegium in Heidelberg unterstellt. Als Baden 1806 Großherzogtum wurde, löste Brauer 1807 trotz des Widerstandes der Reformierten und ihres Kirchenrats in Heidelberg diesen durch das x. Konstitutionsedikt auf und bildete eine gemeinsame, aus Mitgliedern beider Konfessionen bestehende Kirchenbehörde in Karlsruhe, den gemeinsam paritätischen „Oberkirchenrat" unter ausdrücklicher Betonung der Kirchenherrlichkeit des Staates. Damit war in der Zentralkirchenbehörde wie auch durch ein besonderes Besetzungsverfahren der Dekane als Mittelinstanzen eine gemeinsame administrative Leitung auf beiden Ebenen, die Verwaltungsunion geschaffen. Sie war die erste innerhalb der evangelischen Kirchen in Deutschland und damit war der Anfang der badischen Landeskirche gemacht. „Das (Oberkirchenrats-)Kollegium unterliegt gleich den übrigen Staatsstellen der freiwilligen Anordnung des souveränen Regenten" (Brauer). 1809 wurde der Oberkirchenrat unter dem zentralistisch eingestellten Freiherrn von Reitzenstein in das Evang. Kirchendepartement des Ministeriums des Innern überführt und unter Beibehaltung des nach wie vor herrschenden strengen Staatskirchentums zur Evang. Kirchensektion im 2. Departement des Ministeriums des Inneren sozusagen herabgewürdigt. Wenn auch in den folgenden Jahren einige Änderungen aus verwaltungstechnischen oder finanziellen Gründen bei Einrichtungen kultischer und pädagogisch-schulischer Art (z. B. Festlegung der Fest- und Feiertage, Zusammenschluß von konfessionsverschiedenen Schulen) zugunsten einer Vereinigung der evangelischen Kirchen vorgenommen wurden, so konnte Brauer (f 1813) in der Folgezeit nicht seine weiteren Pläne durchsetzen, nicht einmal, wie er sagte, den „unseligen Confessionsgeist ... ersticken". Seine Bemühungen scheiterten an der Abneigung der Reformierten und an der Gleichgültigkeit der Lutheraner. Politische Organisationen, ja die „Organisationswut, jene nervöse Jugendkrankheit des Staatswesens" (W. Andreas) erschütterten den ruhigen Gang. Auch jener begabte, zielbewußte Diplomat von Reitzenstein stellte mit seiner dritten großen staatlichen Verwaltungsreform (1809) Brauer, den „badischen Bismarck" (A. Ludwig), immer mehr in den Schatten. So geriet das lehr- und verfassungsmäßige „Ineinanderschmelzen" (Brauer) der beiden Kirchen in Verzug. Die in Fluß gekommene Vorarbeit für die gemeinsame Agende und einen Katechismus erlahmte. Die Kirchen-

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reform „von oben" war gescheitert. „Die Union scheint nur ein angenehmer Traum (gewesen) zu sein" (Brauer).

II. D A S Z U S T A N D E K O M M E N DER U N I O N Ein entscheidender Anstoß erfolgte mit der Jubelfeier der Reformation (1817). Obwohl die Kirchenbehörde es peinlichst vermieden hatte, bei ihren Anordnungen die Fragen des Bekenntnisses zu berühren, machte man sich zwangsläufig Gedanken über Gemeinsamkeiten der getrennten Kirchen. Es zeigte sich, daß sie in großer Zahl vorhanden waren. Gerade der Blick nach Preußen und zu Hessen-Darmstadt bzw. -Nassau ermunterte dazu, die Sache „von der Gemeinde aus" in die Hand zu nehmen. Der Impuls, daß „die bisherigen Unterscheidungszeichen der beiden Kirchen in Glaubensangelegenheiten aufhören" möchten, ließ den Gemeinschaftswillen mächtig werden. Die Befürchtung der zerspaltenen Evangelischen, im Großherzogtum gegenüber der katholischen Mehrheit zu kurz zu kommen, löste den Einigungswillen aufs neue aus. Theologische oder andere Unstimmigkeiten schienen nicht vorzuliegen. Die Hl. Schrift war in beiden Konfessionen uneingeschränkt in Geltung. Kleine gegenseitige Reibereien wurden.beiseitegestellt. Die gemeinsame Berufung und Gründung auf das Wort und die Lutherbibel waren stark genug, eine Einigungsbewegung auszulösen. Aus Mannheim, Schönau und Heidelberg kamen Bittschriften von Gemeindegliedem an die' Kirchenbehörde in Karlsruhe. Sie forderten die Vereinigung, wobei die Geneigtheit zur Union bei den lutherischen Gemeinden und Pfarrern in der ehemaligen Kurpfalz größer war, was seinen Grund darin hatte, daß die reformierte Kirche ein größeres Vermögen besaß, die lutherische dagegen sehr arm war. Die Kirchenleitung war dem Unionsgedanken nicht abhold, widersprach aber vernünftigerweise von vornherein der von Schönau beantragten Einigung nur auf Ortsebene. Man steuerte daher, gestützt auf die schon ein Jahrzehnt geübte Verwaltungsunion, eine Amalgamierung der beiden Kirchen an. Zugleich forderte man mit Nachdruck, daß sich die Union auch auf die lutherischen Gemeinden des Oberlandes erstrecke. Großherzog Karl (1811-1818) stimmte dem Antrag der Kirchensektion auf Vereinigung (November 1818) zu. A m 5. Juni 1819 erklärte auch sein Nachfolger Ludwig (1818-1830) öffentlich, daß bei der von ihm gewünschten Vereinigung die Gewissen geschont werden müßten. Eine grundsätzliche Einigung erbrachte die Karlsruher Konferenz, die die von der Kirchensektion ausgearbeitete Darstellung mit zwei refor-

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mierten und zwei lutherischen Geistlichen (November 1819) beraten hatte. Auch bei der Provinzialsynode zu Sinsheim (Januar 1820) mit 12 reformierten und 14 lutherischen Geistlichen wurde trotz verschiedener Auffassung keine prinzipielle Gegnerschaft laut. Beide Protokolle wurden im Februar/März 1820 den Diözesansynoden vorgelegt, die keinen Widerspruch erhoben. In 46 Paragraphen wurden „Grundlinien und Vorschläge zur Vereinigung beider evangelischer Konfessionen . . . " von der Kirchensektion zusammengefaßt. Offengeblieben war lediglich die Frage über die Zusammensetzung der Generalsynode. Doch sprachen sich zwei Diözesen (Mosbach, Kork-Rheinbischofsheim) für eine Unionssynode und für immer wiederkehrende Generalsynoden mit Laienmitgliedern aus, um dadurch „den erschlafften Sinn für Religion und Kirchentum wieder zu wecken, den Mißbrauch im Kirchenwesen in den ersten Keimen entgegenzuarbeiten und dadurch das Prinzip der protestantischen Kirche - stetes Fortschreiten zum Besseren - kräftig zu unterstützen". Jedoch gab es auch Stimmen, die fragten: „Sind bis jetzt die Geistlichen nicht die gesetzmäßigen Repräsentanten ihrer Gemeinde?" A m 7. Juli 1820 genehmigte der Großherzog aufgrund des Rechtes eines Summepiskopus die Einberufung einer „die gesamte Landesgeistlichkeit und die evangelischen Gemeinden des Großherzogthums repräsentierende . . . und das Resultat davon in den Entwurf einer förmlichen Uns zur Genehmigung vorzulegenden Vereinigungsurkunde [ = Uu] zusammenfassenden Synode". Z u dieser Generalsynode wurden 8 Geistliche von jeder Konfession durch freie Wahl der Bezirke als in ihrem Namen und Auftrag Abgeordnete und ebensoviele weltliche Kirchenvorsteher beider Konfessionen von sämtlichen evangelischen Gemeinden als im Namen der Kirche Abgeordnete ernannt, von der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität in Heidelberg je ein Mitglied jeder Konfession nach eigener Wahl der Fakultät „kommittirt". 6 Vertreter waren von der Kirchensektion „deputirt", an erster Stelle Johann Peter Hebel als Prälat, sodann die geistlichen Kirchenräte Sander (luth.) und Ewald (ref.), daneben ein lutherischer und zwei reformierte Weltliche. Präsident war der Großherzogliche Kommissär, Staatsminister Freiherr von Berckheim. Die sich selbst als eine die Landeskirche repräsentierende „Versammlung" bezeichnende Generalsynode begann am 2. Juli 1821 in Karlsruhe (Luth. Stadtkirche). Großherzog bzw. Regierung hatten es „für genehm gehalten, daß die Eröffnung der Synode ohne weitere öffentliche Feierlichkeiten stattfinde". „Bei geschlossenen Türen" sang man das Lied „ O heiiger Geist kehr bei uns ein", Prälat Hebel sprach ein Gebet und der landesherrliche Kommissär erklärte die Sitzung für eröffnet. Kirchenrat San-

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der, eines der tatkräftigsten, zielbewußtesten und für die Union tätigsten Mitglieder der Kirchensektion, übergab nach einer einführenden Rede 5 Vorlagen, die sich auf das künftige „gemeinschaftliche Lehrbuch" (Katechismus), auf die Kirchenverfassung, Kirchenordnung und Liturgie, auf die Kirchengemeindeordnung und die Kirchenvermögensverhältnisse bezogen. Die alsbald gebildeten Ausschüsse hatten genug Arbeit mit den Vorlagen. Da die Verhandlungsprotokolle im Gegensatz zu den Vorverhandlungen kurzgefaßt sind, ist es oft schwierig, die Kontroversen bei einzelnen Punkten näher zu analysieren, zumal es damals noch keine „Parteien" gegeben hatte. Die Kommissionsberatungen gingen schnell vonstatten. So verhandelte man schon am xo. Juli im Plenum den schwierigsten Punkt, die Lehre vom Hl. Abendmahl. Uber diesen nach der Auffassung der Synode „einzigen Trennungspunkt" hatte die Katechismuskommission zuvor beraten. Man kam überraschend schnell zu einer Einigung. Das Protokoll sagt in aller Kürze: „Nachdem nun so unter Gottes Beistand der Grund der Vereinigung der beiden protestantischen Kirchen zu einer gemeinschaftlichen Darstellung der Lehre vom Hl. Abendmahl gelegt war, so schritt man ...". Man stimmte auch nicht ab, um jeden Schein einer Gewissensvergewaltigung zu vermeiden und nahm die Fragen des Lehrbuchs, über das Abendmahl „durch feierliches Schweigen" als allen genehm an. „Nach Verlauf von etwa 5 Minuten" nahm der Präsident an, daß über diesen Lehrpunkt Einmütigkeit bestünde und „hiermit also der Grund der Vereinigung in Gottes Namen gelegt" sei. Diese Einigung war aber nur möglich durch eine reinliche Scheidung zwischen Theologie und Religion. Das Religiöse war die von beiden Konfessionen behauptete „innigste Vereinigung des Christen mit Christus". „Aber", so erklärte die Unionssynode weiter, „das ,Wie' bleibt aus der Religionslehre mit Recht weg, weil es jedem unbenommen sein muß, sich diese Vereinigung mit Christo, die nur im Glauben stattfindet, weiter zu denken, wie er will; denn darüber ist uns nichts geoffenbart, und so geben wir diese weiteren Bestimmungen auf." Somit war das Doktrinelle freigegeben. Daß sich dabei trotzdem Schwierigkeiten ergaben, beweist das Schwanken zwischen den verschiedenen Ausdrücken im Bezug auf das Abendmahl. Der erste Entwurf enthielt nämlich, daß unter sichtbaren Zeichen unsichtbare Gnaden und Güter dargestellt und „zugesichert" werden (ref.), der zweite, daß sie „gegeben" werden(luth.). Die lutherische Fassung kam in die Unionsurkunde. Und wenn man sich mit dem paulinischen Wort von der „Gemeinschaft mit Leib und Blut Christi" (1. Kor. 10, 16) begnügte, so hatte man Melanchthon auf seiner Seite. Ein Generalsynodaler wies gleichzeitig auf diese Schwierig-

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keiten hin mit den Worten: „Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt" (Schiller). Damit war der Höhepunkt der Unionssynode erreicht und die Union vollzogen. Alle anderen Verhandlungsgegenstände verblaßten im Vergleich zur Abendmahlsfrage. Auch sie wurden im Geiste des Verständigungswillens erledigt und selbst jener, der beinahe zu einem Konflikt mit der Staatsregierung geführt hätte, nämlich ob die vereinigte Kirche auf regelmäßig wiederkehrenden Generalsynoden kraft ihrer Verfassung ihre Sachen von sich aus ordnen dürfe oder ob sie auch dabei vom Willen der Staatsregierung abhängig bleiben solle. Aus den Niederschriften ist deutlich erkennbar, daß man damals schon die Umklammerung der Kirche durch den Staat als schädlich klar erkannte. Nachdem der Großherzog am 23. Juli die Sanktion (Genehmigung) erteilt hatte, wurde die Unionsurkunde von allen Mitgliedern unterschrieben, ein Gottesdienst nach der neuen Gottesdienstordnung gehalten und die Synode feierlich geschlossen. Die eigentliche Unionsfeier in den Gemeinden wurde für den 28. Oktober 1821 angeordnet. Sie wurde in Festgottesdiensten mit Verlesung der Unionsurkunde und gemeinsamer Abendmahlsfeier begangen, wobei möglichst Geistliche beider Konfessionen, vor allem in der ehemaligen Pfalz, an der Austeilung des Abendmahls zu beteiligen waren. Die Geistlichen selbst sollten zu Anfang der Kommunion „das Nachtmahl" nehmen. Die Kirchenregierung konnte von „starker und freudiger Teilnahme der Gemeinden" berichten und „die Union wurde allgemein als segensvoller Fortschritt anerkannt".

III. DIE V E R W I R K L I C H U N G DER U N I O N U m nicht bloß in einen} formalrechtlichen Akt stecken zu bleiben, erforderte die neubegründete Einheit eine große Nacharbeit. Hier wurde der jungen Landeskirch? ein reiches Betätigungsfeld mit auf den Weg gegeben. Da es sich in dieser Darstellung nur darum handeln kann, das eigenartige Profil der badischen Landeskirche herauszuarbeiten, so kann dies nur durch ein bewußtes Beschränken auf Schwerpunkte ihrer Geschichte geschehen. Der Bekenntnisstand Die hierfür entscheidenden Sätze der Unionsurkunde (§ 2) lauten: „Diese vereinigte evangelisch-protestantische Kirche legt den Be-

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kenntnisschriften, welche späterhin mit dem Namen symbolischer Bücher bezeichnet wurden, und noch vor der wirklichen Trennung in der ev. Kirche erschienen sind, und unter diesem namentlich und ausdrücklich der Augsburgischen Konfession im allgemeinen, sowie den besonderen Bekenntnisschriften der beiden bisherigen evangelischen Kirchen im Großherzogtum Baden, dem Katechismus Luthers und dem Heidelberger Katechismus das ihnen bisher zuerkannte normative Ansehen auch ferner mit voller Anerkenntnis desselben insofern und insoweit bei, als durch jenes erstere mutige Bekenntnis vor Kaiser und Reich das zu Verlust gegangene Prinzip und Recht der freien Forschung in der Hl. Schrift als der einzigen sicheren Quelle des christlichen Glaubens und Wissens wieder laut gefordert und behauptet, in diesen beiden Bekenntnisschriften aber faktisch angewendet worden, demnach in demselben die reine Grundlage des evangelischen Protestantismus zu suchen und zu finden ist." Zum besseren Verständnis ist zu bemerken: a) Der Gedanke, die Bekenntnisfrage bzw. den Bekenntnisstand in der Unionsurkunde festzulegen, d. h. also die Geltung inhaltlich konkurrierender Bekenntnisschriften zu regeln, war Sache des Augenblicks. Auf Drängen der reformierten Geistlichen, die ausdrücklich den öffentlichrechtlichen Wert der alten Bekenntnisse, besonders aber der CA, festgestellt wissen wollten, da auf ihrer Anerkennung die rechtliche Existenz der evang. Kirche beruhe, nahm man völlig überrascht Zuflucht zu den inzwischen schon im Zusammenhang mit der Verfassungsfrage erörterten Paragraphen 20 und 21 der „Grundlinien und Vorschläge" (Teil 2: „Äußere und politische Verhältnisse"). Schon bei diesen Verhandlungen hatte man aus kirchenpolitischen Gründen den Gegensatz zur katholischen Kirche gestrichen. Dabei war man aber der Auffassung, daß die beiden Katechismen die „populäre Anwendung der mehr theologischen Augustana" wiedergeben sollten. Über ihr gegenseitiges Verhältnis gab es anscheinend keine große Diskussion. b) Nun hatte aber die Kommission für die Unionsakte die verkürzte Formulierung des Verfassungsentwurfes (gleichfalls schon mehrfach korrigiert) nur z. T. übernommen. Auch einige andere Formulierungen fielen mit Rücksicht auf die Souveränität des Großherzogs weg, ja weil sie der Regierung weder bequem noch genehm waren. c) Das Ergebnis war indes (im Vergleich zum Verfassungsentwurf) ein verstümmelter, darum schwer verständlicher und hernach in seiner Auslegung sehr umstrittener § 2. In ihm wurde - getreu dem angetretenen

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Prinzip! - kein neues Bekenntnis formuliert, sondern nur der Bekenntnisstand festgelegt, d. h. die C A steht an erster Stelle als das beiden Konfessionen gemeinsame Bekenntnis. Ihm folgen die „besonderen Bekenntnisschriften der beiden bisherigen evangelischen K i r c h e n . . . " , wobei man anscheinend nicht bedacht hatte, daß der Heidelberger Katechismus in der ref. Kirche der Kurpfalz nie Symbol gewesen w a r ! Diese sollten freilich nur Geltung haben, „soweit" sie „die Grundlehren der hl. Schrift und des in allgemeinen Bekenntnissen der ganzen Christenheit ausgesprochenen Glaubens bezeugen". Das „insofern und insoweit" sollte unzweifelhaft den Begriff des bisher zuerkannten normativen Ansehens der Katechismen einschränken. d) Somit werden die Bekenntnisse als N o r m für die unierte Kirche bezeichnet, nicht weil sie mit der Schrift übereinstimmen, nicht einmal insofern und insoweit, sondern insofern und insoweit sie das Prinzip der freien, durch keine Tradition gebundene Schriftforschung erneut gefordert und angewendet haben. Sie sind N o r m , damit auch die Kirche wie sie selbst stets an der Forderung und Anwendung der freien Schriftforschung festhält; sie sind N o r m , weil sie die evangelische Kirche darauf hinweisen, immer aus der Schrift „als der einzigen und sicheren Quelle des christlichen Glaubens und Wissens" zu schöpfen. Nicht das, was sie als Schriftinhalt darstellen, ist N o r m , vielmehr daß sie und insofern sie die Schrift in diesem Sinne verwenden, begründet ihr normatives Ansehen für die unierte Kirche in Baden. e) W o h l an keiner Stelle, selbst nicht in der C A , ist „Prinzip und Recht der freien Forschung" in der Hl. Schrift so klar ausgesprochen wie hier. Vielleicht haben, wie Hundeshagen annimmt, „die besser unterrichteten Theologen der Generalsynode" die Stelle C A praefat. p. 6 im Kopfe gehabt: offerimus ... nostram confessionem, cujusmodi doctrinam ex scriptum sanctis etpuro verbo Dei hqctenus Uli (sc. concionatores nostri)... tractaverint. f) Der Begriff der „freien Forschung" will sicherlich in Anlehnung an die Kirchenratsinstruktion von 1797 besagen: Einerseits ist der Einzelne daran gehalten, in der Schrift zu suchen und zu forschen und das, was er in ihr gefunden hat, zur Grundlage seines Glaubens zu machen und zur Weiterbildung seines christlichen Glaubensverständnisses zu nutzen. A n dererseits ist aber die geistliche Autorität der Schriftauslegung die Kirche in ihrer Gesamtheit, d. h. sie gibt durch die ihr zugrundegelegten B e kenntnisse den Rahmen, innerhalb dessen der einzelne sich bewegen kann und muß. Mit anderen Worten: Die Bekenntnisse halten den gemeinsamen Rahmen f ü r die öffentliche Predigt fest, die Schriftauslegung, die der einzelne betreibt, ist frei, darf aber der Gemeinde nicht aufoktroyiert werden.

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In dieser Weise wollte die authentische Interpretation, die die Generalsynode 1855 beschlossen hatte, verstanden sein. In diesem Zusammenhang muß noch als Probe auf das Exempel das Buch von Daniel Schenkel „Charakterbild Jesu" (1864) erwähnt werden, das insofern Erschütterungen in den Gemeinden auslöste, als sich der Oberkirchenrat gegen den öffentlichen Protest von 119 Pfarrern sowie von 97 evangelischen Gemeinden mit 5334 Unterschriften stellen mußte. Sie verlangten, „daß die amtlichen Organe der Kirche nach der aufgrund der Kirchenverfassung obwaltenden Verpflichtung für die Entfernung des Herrn Dr. Schenkel von seinem Amt als Seminardirektor Sorge tragen". Die Antwort des Oberkirchenrats vom 17. August 1864, deren prinzipieller Teil von Richard Rothe stammte, betonte unter Bezug auf Uu § 2, die Erläuterung von 1855 und den Beschluß der Generalsynode von 1861, die evang. Kirchenbehörde sei kein wissenschaftlicher Gerichtshof für die Beurteilung theologisch-literarischer Erzeugnisse. Sie sei deshalb nicht ermächtigt, eine theologische Lehrweise zu autorisieren oder zu verpönen. Die Generalsynode 1867 stimmte dieser Entscheidung mit 40 gegen 14 Stimmen zu.

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Unionskatechismen

Im § 5 der Uu waren 8 Sätze über das Abendmahl in der Form von katechetischen Fragen und Antworten zusammengestellt. Sie waren in den neu zu redigierenden gemeinsamen Katechismus aufzunehmen (und sind darin bis heute noch enthalten!). Doch sollten „in Hinsicht auf die in diesen Sätzen niedergelegten Vorstellüngen die Gewissen nicht gebunden" sein. Da man wohl befürchtet hatte,- daß die Landeskirche als eine bekenntnislose hingestellt werde, erklärte Professor Schwarz sogleich: „Die Einheit liegt keineswegs im Nichts, d. i. im Indifferentismus, sondern in dem ewigen Wesen der Menschheit, das ist im Glauben an Jesus den Heiland der Welt." Aus diesem Grunde wehrte sich auch Prälat Hebel, daß im Religions- und Konfirmandenunterricht nur ein Spruchbuch (d. h. eine Sammlung von Bibelstellen) verwendet werde, „das jeder ganz nach seiner individuellen Ansicht erklärt, und in dem er selbst von Christus finden kann, was er gerade sucht, den ewigen Sohn Gottes, den Seelenbräutigam, oder den Weisen von Nazareth". Auf der Unionssynode selbst wurde im Beschluß das schwierige Thema der inhaltlichnormativen Geltung des Katechismus ausgeklammert, weil bis dahin nur ein Teil des Katechismusentwurfes vorlag. Binnen Jahresfrist sollte die Katechismuskommission einen Entwurf zur Revision der Theologischen

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bei der Taufe) „bekannt" oder in referierender Form „vernommen . Die Agendenentwürfe von 1912 bzw. 191 j sind, wie die 1926 erschienenen „Anbetungsgottesdienste" der Liturgischen Konferenz in Baden, als Zwischen- und Verbindungsglieder zum Kirchenbuch 1930 anzusehen. 1958 beschloß die Landessynode, indem sie jetzt sozusagen die Bähr'sche Konzeption von 1855 sanktionierte, die Einführung der „erweiterten Ordnung des Hauptgottesdienstes", die eine völlige Neubearbeitung der Agende nach sich zog. Der im Kirchenbuch 1930 schon ansatzweise aufgenommene dialogische Charakter des Gottesdienstes wie auch die Erfahrungen aus dem Kirchenkampf (1933-1945), in der die Gemeinde „auf das verkündigte Wort gemeinsam in Gebet und Bekenntnis" (Vorwort) antwortete, fanden hierbei starke Berücksichtigung. Ebenso hat die engere Verbindung der in der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammengeschlossenen Kirchen, die zugleich die Gemeinschaft der Ökumene suchten, sich in der neuen Agende (Bd. 1, 1965) niedergeschlagen. „Die Agende gibt nicht etwa nur Anregungen und Vorlagen, vielmehr will sie im Gesamtaufbau, in den festen Stücken des Gottesdienstes ... sowie in der Fülle der wechselnden Stücke ... der heutigen Gemeinde das anbieten, was von jeher Gemeinde auferbaut hat." Die Predigttexte anlangend legte die Unionsurkunde fest, daß künftig jährlich im Wechsel nach Evangelien, Episteln und Freitexten gepredigt werde. Die Ordnung von 1834 wählte 3 Reihen unter dem Gesichtspunkt der „Predigt" aus. Die 3. Reihe bestand aus Evangelien, Apostelgeschichte und zu einem geringen Teil aus dem Alten Testament als Freitexte. Gegenüber der fünfreihigen Ordnung der Markgrafschaft (1795) bedeutete das eine Verarmung. Mit der da und dort aufgenommenen Altarschriftlesung (1858) erwies sich der dreijährige Turnus als nicht sehr günstig. Deshalb beschloß die Generalsynode 1876 ein Lektionarium und somit eine Revisioh der Perikopen. Der vierjährige Turnus von 1881 mit 2 obligatorischen und 2 fakultativen Reihen erfuhr 1893 bzw. 1930 Revisionen. Von da her gesehen bedeutete die Übernahme (1953) der „Ordnung der Predigttexte, hrsg. von der Lutherischen Liturgischen Konferenz Deutschlands" (1951) keinen großen Schritt. Sie liegen jetzt in der 18. Auflage des Kirchengesangbuchs für Baden (1970) ausgedruckt vor. Mindestens 7 Gesangbücher waren zur Zeit des Zusammenschlusses 1821 innerhalb der jungen Landeskirche im Gebrauch. Diese wurden zunächst wegen „bedrückenden Zeitumständen" beibehalten, setzte aber sofort eine Gesangbuchkommission ein, die 1831 einen Entwurf „Sammlung christlicher Lieder ..., Pforzheim 1831" vorlegte, worauf die General-

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synode 1834 das neue Gesangbuch beschloß. Nach der Auffassung der Synodalen war es ein Buch, „das rücksichtlich dessen, daß es auf eine ganz vorzügliche Weise seiner Bestimmung ... entspricht, rücksichtlich der Trefflichkeit der darin enthaltenen Lieder und ... der guten Anordnung, Rubrizierung und Einrichtung des Ganzen eine der ersten Stellen unter den Erscheinungen dieser Art einnehmen und behaupten wird". Ein Kommissionsmitglied rühmte sich, 401ml den Teufel aus dem Gesangbuch ausgetrieben zu haben. Jedoch wünschte man bald (1841 ff.) die Wiederherstellung des Urtextes. Ein landesherrlicher Rezeß von 1856 verlangte ein neues Gesangbuch. Die Absicht der Generalsynode, eine Sammlung von etwa 1 jo klassischen evangelischen Kirchenliedern, die in allen deutschen Landeskirchen nach dem Wunsch der Eisenacher Kirchenkonferenz heimisch werden sollten, im Einvernehmen mit allen deutschen Kirchenregierungen herzustellen und damit den Weg zu einem „Einheitsgesangbuch" zu bahnen, wurde nicht verwirklicht. Man beschloß daher 1881/82 ein eigenes Gesangbuch, das „irgendmöglich die Originale unverkümmert reden" ließ. Zugleich wurde der rhythmische Choralgesang wieder eingeführt. Um 1910 wurde ein Anhang beigefügt. Nach dem Ersten Weltkrieg erkannte man klar die Revisionsdürftigkeit des eigenen wie des „Deutschen Evangelischen Gesangbuches, vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß den evangelischen Gemeinden des Auslandes dargeboten" (1926). Deshalb machte sich 1930 eine badische Gesangbuchkommission an die Arbeit. Infolge der Ereignisse nach 1933 konnte der Entwurf nicht eingeführt werden. Ein im Auftrag der badischen Volksmission bearbeitetes Liederheft „Nun lob mein Seel den Herren" drang nur in jenen Gemeinden ein, die der Bekennenden Kirche nahestanden. 1941 lag der offizielle Anhang „Singende Gemeinde. Lieder der Erneuerung des Gemeindegesangs" im Konzept vor, konnte aber infolge der Zeitumstände erst 1945 erscheinen. 1951 nahm die Landessynode das „Ev. Kirchengesangbuch", das von 394 rund 200 Lieder des bisherigen badischen Gesangbuchs enthielt, an. Diesem wurde ein landeskirchlicher Anhang und eine Sammlung von Gebeten beigegeben. Ende 1970 ist die 18. Auflage erschienen.

Die Kirchenverfassung und die Kirchengemeindeordnung Das von Anbeginn in der Landeskirche sehr stark hervortretende synodalpresbyteriale Element wurde keineswegs, wie man vermuten könnte, aus der pfälzisch-reformierten Tradition übernommen; denn den in der Kurpfalz mit großen Unterbrechungen tagenden Generalsynoden ge-

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Fakultät in Heidelberg vorlegen, „damit dieser von der evangelischen Ministerialsektion zum allgemeinen Gebrauch [in Kirchen und Schulen, beim Konfirmandenunterricht und den Sonntagskatechisationen] für so lange eingeführt werde, bis sich entweder bei nächster Generalsynode ... wird ergeben haben, ob derselbe der Idee eines Landeskatechismus zugleich mit der Eigenschaft einer Bekenntnisschrift entspreche, oder ein anderer solcher Landeskatechismus aufgrund der bisherigen, mit Berücksichtigung des obigen Lehrbuchs ausgearbeitet und erschienen seyn wird." Seit dieser Zeit sind 4 Katechismen eingeführt gewesen. Auf den „mäßigrationalistischen" von 1834, der große Kämpfe auslöste, folgte (2.) ein „reformatorischer" von 1855, sodann 1882 (als 3.) ein „liberaler" und (4.) der heute noch gültige Katechismus von 1928. Diesen Katechismen sollte es nicht gelingen, eine Legierung der beiden Metallprägungen, d. h. des Kleinen Katechismus Luthers und des Heidelberger Katechismus, zu finden. Dieses war weder Sache des Augenblicks (1821) noch Sache der Zukunft. Daß auch der derzeitige Katechismus als Kompromiß angesehen wird, verschwieg der Kirchenpräsident D. Wurth am Ende der Landessynode (1928) nicht: „ . . . Sie sehen, daß man tagelang darüber verhandeln kann, wie ein idealer Katechismus Zustandekommen möchte ... Seit die Landeskirche besteht, hat sie jeweils nur einen KompromißKatechismus gehabt und sie hat auch darunter gelitten, daß sie solche hatte ... Ich glaube nicht, daß Luther und sein Katechismus keine Gelegenheit gehabt hätten, all die sozialen Fragen, Nöte, Bedrängnisse miserer heutigen Tage zu erfassen und unter das Licht, unter das Gericht und unter den Segen des Wortes Gottes zu stellen, man wird schon warten müssen, bis in einem anderen Jahrhundert ... bis ein Prophet aufsteht, der das, was christlicher Glaube ist, in drei Sätzen gewaltig, so umfangreich, so persönlich und wiederum so sozial zusammenfaßt, wie er es getan hat in seinen großen, übertrefflichen Sätzen ... In allem aber, was wir beschließen, bedenken wir ja, daß wir fehlbare Menschen sind, aber mit Treue und Fleiß arbeiten für unsere Kirche, für unsere Kinder, für unsere Schule. Und dies wollen wir festhalten, daß wir dabei nichts treiben als das Evangelium, in kurzen Zügen zusammengefaßt, den Kindern verständlich, den Alten zur Lehre, dem ganzen zur Förderung."

Die Gottesdienstordnung und die liturgischen Bücher

Schon vor der Vereinigung standen beide Kchen irin gemeinsam oberdeutscher liturgischer Tradition. Zwar schien es so, als ob die Interims-

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agende von 1821 bald von der in Preußen erschienenen „Kirchenagende für die Hof- und Domkirche in Berlin" (1821, in vermehrter und veränderten Auflage 1829) unter der Protektion des Großherzogs Ludwig, der gewiß das jus liturgicum hatte, abgelöst werde. So war am 21./22. Dezember 1829 der Befehl ergangen, „die kgl.-preußische Agende" in den Schloßkirchen in Karlsruhe, Mannheim, Bruchsal und Rastatt einzuführen. Ihnen schlössen sich etwa 30 Pfarrgemeinden (z. B . Durlach, Freiburg, Pforzheim) an. Die Kirchensektion, die sich auf die mehr oder weniger verwerfenden Voten der sog. Kirchen- und Prüfungskommission stützte, lehnte deren Einführung strikt ab. Nach Ludwigs Tod (1830) erledigte sich die Sache von selbst; denn Großherzog Leopold (1830 bis 1852) ließ die Agendenkommission mit dem bisherigen Auftrag weiterarbeiten. Mit dem an alle Pfarrämter und an die Theologische Fakultät zu Heidelberg ausgelieferten Agenden-Entwurf (1831) legte sich der „Agendensturm". Freilich kam mit dem von der Preußischen Agende befruchteten Entwurf und der Agende von 1836 ein neues Element in die bisherige Tradition, wenn auch in stark gemildeter Form. Einschneidender war das 1855 beschlossene „Kirchenbuch", das vor allem durch die liturgischen Arbeiten Bährs beeinflußt war. Er wollte x. eine „linierte" Liturgie, in der er das Sündenbekenntnis - wohl aus reformierter Tradition heraus - stark betonte, 2. eine „gesamtkirchliche" Gemeinschaft mittels der Liturgie anstreben und 3. die Gemeindeaktivität vom zentralen Mittelpunkt kirchlichen Lebens, nämlich vom Gottesdienst aus fördern. Die auf historischer und systematischer Grundlage ausgearbeitete responsorische Liturgie des Hauptgottesdienstes, der man trotz Einarbeit zeitgenössischer Reformgedanken katholisierende Tendenzen unterschoben hatte, führte sogar zum Sturz des positiven Kirchenregiments (Ullmann). Damit zeigte sich aber, daß weder die Zeit reif noch die Gemeinde genügend vorbereitet waren. In der Praxis beschränkte man sich auf die „einfache" Gottesdienstordnung („Minimum"). Das sogenannte „Maximum" konnte sich nicht durchsetzen. Das nächste „Kirchenbuch" wurde 1877 eingeführt. Es hatte kein Ordinarium mehr. „Die Struktur von 1855 war zwar noch erkennbar, doch hatte man an gewöhnlichen Sonntagen Loblied, Kollekte, Schriftlesung und Predigtlied fakultativ gemacht, an Festtagen das Gloria in excelsis. Immerhin blieben an den Festtagen Loblied und Kollekte vorhanden" (Schulz). Die Tradition war auch dadurch gewahrt, als man zwischen die aus der Agende 1858 übernommenen Gebete weitere zur Bereicherung und Befriedigung „liberaler" Bedürfnisse einschaltete. Nur das Gloria in excelsis, das normalerweise vom Liturgen gesprochen wurde, sollte eigentlich gesungen werden. Das Glaubensbekenntnis wurde (wie

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hörten nur Theologen (meist Superintendenten) an; in den Gemeinden gab es jedoch Presbyterien, deren Mitglieder sich durch Ernennung und Kooptation ergänzten. Die in der Markgrafschaft Baden amtierenden Kirchenzensoren waren für die Kirchenzucht eingesetzt, die allmählich nur mit der Verwaltung der Gemeinden betraut wurden. Das Hereinnehmen von „Weltlichen Abgeordneten" in die Unionssynode war schlechthin etwas völlig Neues, jedoch keine demokratische Angelegenheit im Sinne moderner allgemeiner Wahlen. Auch wurden seit 1821 die Kirchenältesten entweder in kleinen Gemeinden von allen stimmfähigen, d. h. selbständigen ... männlichen Gemeindegliedem gewählt oder in großen in ihrem Namen von einem Wahlausschuß (Wahlmänner) auf begrenzte Zeit unter bestimmten Voraussetzungen. Es kam ihnen „eine in reinem evangelischen Geiste aufgefaßte Sittenleitung zur Erhaltung und Förderung der christlichen Ordnung in der Kirche" zu. Jedenfalls aber waren die Synodalen auf den drei Ebenen (Kirchengemeinde, Kirchenbezirk und Landeskirche) „nicht kirchliche Volksvertreter, denen die geistlichen Mitglieder als Vertreter der Pfarrerschaft gegenüberstanden, sondern sie waren Träger eines vom Pfarramt unterschiedenen, aber gleichgewichtigen kirchlichen Leitungsamtes" (v. Tiling). Kein Amtsträger war dabei dem anderen übergeordnet oder hatte das andere Amt zu kontrollieren. „Diese Konzeption eines dienstbezogenen Neben- und Miteinander verschiedener kirchlicher Organe, besonders in der kirchlichen Spitze ist bis heute richtungweisend geblieben" (v. Tiling). Aus verschiedenen Gründen bahnte sich aber immer mehr die Verselbständigung der Kirche im konstitutionellen Staate an, wozu die Auseinandersetzungen zwischen badischem Staat und katholischer Kirche maßgebend beigetragen hatten. Die evangelische Landeskirche erhielt damit eine freiere, paritätischere Stellung. Durch Staatsgesetz (9. Oktober 1860) wurde ihr die Anerkennung als öffentliche Korporation zuteil, womit sie das Recht hatte, „ihre Angelegenheiten frei und selbständig zu ordnen und zu verwalten". Allerdings blieb die Selbstverwaltung durch staatliche Gesetze eingeschränkt. In der Kirchenverfassung 1861 wurde bei direkter W a h l das synodal-presbyteriale Element insofern gestärkt, als neben dem Kirchengemeinderat noch die Kirchenversammlung eingeführt wurde, womit durch die Verteilung der Verantwortung für die Gemeinde (im Geiste Richard Rothes) ein noch größeres Engagement erzielt werden sollte. Das Jahr 1919 brachte nach einer gemäßigten Revolution das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments. Der Umbau der Kirchenverfassung nach staatlichem Vorbild gab der Kirche einen demokratisch-parlamentarischen Einschlag (Verhältniswahl sowie Urwahl zur Landessynode).

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An Stelle des Summepiskopus fungierte eine neunköpfige Kirchenregierung. Der Kirchenpräsident war zugleich Vorsitzender des Oberkirchenrats, der Prälat „erster Geistlicher der Landeskirche". Frauen erhielten das aktive und passive Wahlrecht, im Verfassungsaufbau änderte sich nicht viel. Organe erhielten andere Bezeichnungen, behielten aber meist ihre alten Aufgaben bei. Erst mit der Einführung des Amtes eines Landesbischofs (1933) wurde das autokratische Amt des Kirchenpräsidenten im großen Umfange abgeschafft, wobei die Funktionen des Kirchenpräsidenteu und des ehemaligen Prälaten teils auf den Landesbischof teils auf den Oberkirchenrat als kollegiales Gremium übergingen. Als vierte Verfassungsreform verwertete die Grundordnung 1958 das im Kirchenkampf neu gewonnene Verständnis von Kirche und Kirchenrecht. Daher erbat sich die Landessynode während der Vorarbeiten ein Gutachten der Heidelberger Theologischen Fakultät (vom 22. Juni 1953), den Bekenntnisstand aufs neue zu klären. Darin wurde festgestellt, daß CA und Heidelberger Katechismus in 19 Punkten übereinstimmen und nur noch unbedeutende Differenezn zwischen den Bekenntnissen vorliegen, nachdem die Tauf- und Abendmahlsfrage in § 5 Uu ihre Entscheidung gefunden haben. Von liier aus gesehen liegt es durchaus in der Linie, daß sich die Badische Landeskirche nach wie vor für die Abendmahlsgemeinschaft mit den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland wie auch mit der Ökumene einsetzt. In diesem Zusammenhang erscheint es daher nicht mehr nötig, näher auf die Grundordnung einzugehen, die zur Zeit einer Novellierung unterzogen wird. Ihre Grundlage bleibt indes davon unberührt, die sich in ihrem Vorspruch eindeutig zu ihrer Geschichte bekennt und als unierte Kirche erklärt: „(1) Die Evangelische Landeskirche in Baden glaubt und bekennt Jesus Christus als ihren Herrn und als alleiniges Haupt'der Christenheit. (2) Sie gründet sich als Kirche der Reformation auf das in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments bezeugte Wort Gottes die alleinige Quelle und oberste Richtschnur ihres Glaubens, ihrer Lehre und ihres Lebens und bekennt daß das Heil allein aus Gnaden, allein im Glauben an Jesus Christus empfangen wird. (3) Sie bezeugt ihren Glauben durch die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse: Apostolicum, Nicaenum und Athanasianum. (4) Sie anerkennt, gebunden an die Unionsurkunde von 1821 und ihre gesetzliche Erläuterung von 1855, namentlich und ausdrücklich das Augsburger Bekenntnis als das gemeinsame Grundbekenntnis der Kirchen der Reformation sowie den Kleinen Katechismus Luthers und den Heidelberger Katechismus nebeneinander, abgesehen von denjenigen

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Katechismusstücken, die zur Sakramentsauffassung der Unionsurkunde i m Widerspruch stehen. (5) Sie bejaht die Theologische Erklärung v o n B a n n e n als schriftg e m ä ß e B e z e u g u n g des Evangeliums gegenüber Irrlehren und E i n griffen totalitärer G e w a l t . (6) Sie w e i ß sich verpflichtet, ihr Bekenntnis i m m e r w i e d e r an der Heiligen Schrift z u prüfen und es in Lehre und O r d n u n g zu bezeugen und lebendig z u halten."

VERZEICHNIS Sitz der Kirchenleitung: 7$ Karlsruhe I, Blumenstr. I Landesbischof: Prof. Dr. Hans-Wolfgang Heidland Oberkirchenrat: Der Landesbischof als Vorsitzender und 8 Referenten Landeskirchenrat: Vors. Landesbischof Prof. Dr. Hans-Wolfgang Heidland Landessynode: 84 Mitglieder Präsident: Dr. Wilhelm Angelberger, Landgerichtspräsident, Mannheim Amt für Volksmission und Gemeindeaufbau: Kirchenrat Zeilinger, Karlsruhe, Blumenstraße 5 Amt für fugendarbeit: Pfr. Schellenberg, Karlsruhe, Blumenstraße 1 Männerwerk: Pfr. Wernz, Karlsruhe, Blumenstraße j und 7 Frauenwerk: Pfarrerin Pfisterer, Karlsruhe, Blumenstraße 5 Evang. Akademie: Akademiedir. Pfr. Dr. Böhme, Karlsruhe, Blumenstraße 7, Akademiedir. Pfr. Gegenheimer, Karlsruhe, Blumenstraße 7 Landeskirchl. Archiv u. Bibliothek: Kirchenoberarchivrat Erbacher, Blumenstraße I Diakonisches Werk der Landeskirche: Kirchenrat Hans Herrmann, Karlsruhe, Kriegsstraße 124 mit 10 Diakonissenmutterhäusern und ca. 2000 Diakonissen, 41 Ausbildungsstätten mit 1282 Plätzen, 220 Heime und Einrichtungen mit 16094 Plätzen, 1026 offene und halboffene Einrichtungen (Bezirksstellen, Gemeindedienste, Kindergärten, Bahnhofsmission usf.) Evang. Presseverband für Baden: Pfr. Dr. Stürmer, Karlsruhe, Blumenstraße 7 Kirchl. Rundfunk- und Fernsehbeauftragter (der Landeskirchen Baden, Pfalz Württemberg, Hessen, Rheinland): Pfr. Rudolf Bösinger, Baden-Baden, Lessingstraße 8 Amt für Weltmission: Pfarrer Beck, Karlsruhe, Blumenstraße 1 LITERATUR Willy Andreas: Geschichte der badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung in den Jahren 1802-1818. Leipzig 1913. K[arl Christian Wilhelm Felix] Bahr: Der protestantische Gottesdienst v o m Standpunkte der Gemeinde betrachtet. Heidelberg 1850.

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Die unierten Kirchen

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Die Evangelische Landeskirche in Baden

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Die unierten Kirchen

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STATISTIK 1952

i960

1970

1088 700

1 326000

1 501000

Kirchengemeinden Filialkirchengemeinden Kirchl. Nebenorte Diasporaorte Kirchenbezirke (Dekane) Kirchenkreise (Prälaten)

411 102

415 119 615 335 27 3

421 118

Gemeindepfarrer Religionslehrer (Volltheologen) Pfarrer, Pfarrdiakone (ohne Vollstudim) Beurlaubte Pfarrer (Äußere u. Innere Mission, im Ausland)

525 21

562 22 32

602 45 75

50

104

Seelenzahl

— —

26 3



18

755 195 28 •3

Kapitel 5 DIE K L E I N E N U N I O N E N IN D E U T S C H L A N D HERMANN VOGT

D

ie Unionsschlüsse, die innerhalb unseres Themas zu behandeln sind, entsprechen bis zu einem gewissen Grade auch einem einheitlichen Muster. Der durch diese Unionen herbeigeführte Ausgleich der kirchlichen Strukturen in einem Territorium erstreckt sich auf die Verbindung bisher getrennter Gemeinden auf der lokalen Ebene, auf die Vereinheitlichung der kirchenleitenden Ämter und die Zusammenfassung der kirchlichen Zentralverwaltung. Hinzu kommen jeweils noch die Regelung der Vermögensverhältnisse der die Union schließenden Kirche und die Einführung möglichst einheitlicher Gottesdienstformen unter streckenweiser Übernahme lutherischer und reformierter Traditionselemente. Demgegenüber wird nur selten eine gewissenhafte theologische Grundsatzdiskussion geführt, um durch einen weiterführenden Lehrkompromiß eine Union zu bilden. Eher ist der Eindruck zu gewinnen, daß die theologische Tiefendimension der Union zwischen Lutheranern und Reformierten sich aufgelöst hat in die Regelung kirchnrechtlicher, liturgischer und gemeindepädagogischer Fragen. Die Union ist in den meisten Fällen schon da, bevor die Verhandlungen darüber beginnen. Die Motive zum Unionsschluß stellen sich differenziert da. So kann die Union durch den Landesherrn angeregt und stark gefördert werden (Nassau), oder sie erfährt, nachdem sie von seiten der Pfarrer eingeleitet wurde, durch den Landesherrn uneingeschränkte Unterstützung (Hanau). Andererseits kann der Fortgang der Union durch Regierung und Landesherr verzögert und behindert werden bis hin zu dem Punkt, daß ein Unionsschluß nicht stattfinden kann (Rheinhessen bzw. Großherzogtum Hessen). Trotz der Begeisterung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist nachträglich auch zu konstatieren, daß die Unionen zu einer Einheit der evangelischen Kirchen Deutschlands während des ganzen Jahrhunderts nicht geführt haben. Die eine Bundeskirche vorbereitenden Tendenzen innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland werden sich mit Notwendigkeit an der Entwicklung der Unionen im 19. Jahrhundert zu informieren und zu orientieren haben mit der Maßgabe, die alten Fehler diesmal zu vermeiden, und dies wird zu geschehen haben durch die theologische Arbeit an dem Problem.

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Die mierten Kirchen I. U N I O N E N IM BEREICH DES H E U T I G E N L A N D E S HESSEN

Im Bereich des heutigen Landes Hessen fanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Unionsversuchen zwischen lutherischen und reformierten Kirchen statt, die einmal die Entwicklung in anderen deutschen Ländern anregten, zum anderen aber in diesem begrenzten Bereich die ganze Problematik der Unionsversuche in Deutschland verdeutlichen. Die verschiedenen Unionsschlüsse bestätigen unter kirchengeschichtlicher Betrachtung die Meinung von Heinz Brunotte, daß wir „die Unionen des 19. Jahrhunderts als einen untauglichen Versuch ansehen müssen, das Zusammenleben der bekenntnisbestimmten Kirchen in Deutschland neu zu gestalten" 1 . Nassau In engem zeitlichem Anschluß an die Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. von Preußen vom 1. März 1817, daß die Säkularfeier der Reformation zur Vereinigung von Lutheranern und Reformierten genutzt werden möchte, erfolgte in dem Herzogtum Nassau die Vorbereitung und Einführung der Union. Der junge Regierungspräsident Karl Ibell hatte Herzog Wilhelm von Nassau überzeugt, daß die Anregung zur Union am besten von der Geistlichkeit auszugehen habe. Die beiden Generalsuperintendenten, der Lutheraner Georg Emmanuel Christian Theodor Müller und der Reformierte Friedrich Giesse, stimmten in Methode und Ziel mit der Regierung überein. A m 5. August 1817 trat ( in Idstein die Generalsynode zusammen. Berufen waren I i lutherische und 17 reformierte Synodale. Der die Synode leitenden landesherrlichen Kommission gehörte auch Karl Ibell an. Die Generalsynode war einstimmig bereit, die Union durchzuführen, und erarbeitete bis zum 9. August als Grundlage des Konfessionszusammenschlusses ein Dokument, das am 1 1 . August vom Herzog unterzeichnet und als das Nassauische Unionsedikt bekannt wurde. Das Unionsedikt stellt im Eingang fest: „Diese Versammlung (seil. Generalsynode) hat sich in ihrer übereinstimmenden Ansicht dahin vereinigt, daß keine zureichenden Gründe vorliegen, eine Trennung der beiden protestantischen Kirchen fortdauern zu lassen2". Die vereinigte Kirche soll zukünftig als „evangelisch-christlich" bezeichnet werden. Zum Abendmahl werden im Unionsedikt nur formale Punkte (Größe der Hostien, Liturgie der Abendmahlsfeier, Fortdauer älterer Formen bei Bedarf) geklärt, während die Lehrseite der Union ganz außer Betracht

Die kleinen Unionen in Deutschland

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bleibt. Diese Unterbewertung der theologischen Unterscheidungslehren entspricht der Meinung der Generalsynode von Idstein, die nicht in der Lage war zu sagen, warum man bisher getrennt gewesen war. Mit der Veröffentlichung des Edikts im Nassauischen Verordnungsblatt (23. August 1817) war die Union rechtskräftig geworden. Die landesherrliche Verordnung galt für alle Gemeinden, die nur noch auf die Bedeutung der Reformationsfeiern unter dem Gesichtspunkt der Union hingewiesen wurden. Dieses geschah in den Gottesdiensten am 7. September 1817 (Predigttext 1. Kor. 1,10-13) und am 26. Oktober 1817. Beide Generalsuperintendenten nahmen weiterhin ihre Leitungsaufgabe wahr mit der Vereinbarung, daß der am längsten im Amt seiende nach dem Ausscheiden des anderen Generalsuperintendenten die Landeskirche allein führen sollte. Nach dem mit gesundheitlichen Rücksichten begründeten Rücktritt von Friedrich Giesse wurde Generalsuperintendent Müller am 29. Dezember 1827 evangelischer Landesbischof. Die Angliederung von Nassau, Frankfurt und des hessischen Hinterlandes an Preußen stellt für die nassauische Landeskirche die Frage der kirchlichen Organisation. Es wurde überlegt, ob die Kirche mit der Rheinischen Kirche etwa verbunden werden könnte, um so den Anschluß an ein größeres Kirchengebiet zu erreichen. Ein erheblicher Widerstand gegen derlei Pläne (Immediatgesuch von Pfarrern, Kirchenvorstehem und Gemeindegliedern an den preußischen König am 30. Januar 1867) bestand in Verantwortung für die Nassauische Union auf einer eigenen kirchlichen Oberbehörde, weil nur eine selbständige Landeskirche in gleichberechtigte Verbindung mit anderen preußischen Landeskirchen treten könnte. Diesem von Seiten der Kirche geäußerten Wunsch trug die königliche Verordnung vom 22. September 1867 Rechnung durch die Errichtung eines nassauischen Konsistoriums in Wiesbaden. Der Unionscharakter der nassauischen Landeskirche blieb damit voll erhalten und wurde auch nicht durch die vom Wiesbadener Konsistorium eingeleitete Reform der kirchlichen Verfassung (Einführung einer Kirchengemeinde- und Synodalordnung 1877) verändert. Die 1866 auch an Preußen gefallenen Landeskirchen Frankfurt und Kurhessen blieben ebenfalls kirchlich selbständig.

Rheinhessen

Der Provinzname Rheinhessen ist eine Prägung der Zeit, in der das in Frage kommende Gebiet Teil des Großherzogtums Hessen wurde. Vor 1789 teilten sich eine Vielzahl von größeren und kleineren Herrschaften

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Die unierten Kirchen

in den. Besitz des Gebietes (z. B. Bistum Mainz, die Reichsstadt Worms, Kurfürstentum Pfalz, Grafschaft Sponheim; insgesamt über 30 Territorien). Mit dem Übergang des linksrheinischen Gebiets in die französische Verwaltung (Friede von Campo Formio 1797) und seiner Abtretung an Frankreich (Friede von Luneville 1801) wurden die später die Provinz Rheinhessen konstituierenden Territorien in das größere Departement Donnersberg eingebracht und von dem Regierungssitz Mainz aus verwaltet. Der Pariser Friede (30. Mai 1814) gab die gemeinsame Verwaltung von Mainz an Preußen und Österreich, während das zwischen Mosel und Rhein gelegene Gebiet von Bayern und Österreich verwaltet wurden. Die Aufteilung des Gebietes (April 1816) an die beiden Verwaltungsmächte brachte Rheinhessen zunächst an Österreich, aber schon der in Frankfurt abgeschlossene Vertrag zwischen Preußen, Österreich und dem Großherzogtum Hessen vom 30. Juni 1816 machte Rheinhessen zu einer großherzoglich-hessischen Provinz mit Sitz der Provinzialregierung in Mainz. In Rheinhessen bestanden 52 lutherische und 53 reformierte Pfarreien, als die Provinz 1816 an Hessen fiel. Die besondere geschichtliche Vergangenheit des Gebietes drückte sich auch in dem eigenen W e g zur Union aus, den die rheinhessischen Gemeinden einschlugen. A m 19. August 1817 trugen neun rheinhessische Pfarrer von Dexheim aus in einem Rundbrief an ihre Kollegen die Bitte vor, die Trennung zwischen lutherischen und reformierten Gemeinden durch eine Union zu beenden. Diese Union schien den Verfassern leicht erreichbar zu sein und auch unter dem Gesichtspunkt begriindbar, damit „künftighin alle Protestanten dieses Landes sich nur als Glieder einer evangelischen Kirche" betrachten möchten. Nahezu alle Pfarrer stimmten dem Unionsvorschlag zu. Die Mainzer Regierungskommission gab am 29. September 1817 die Bitte der Pfarrerschaft an das Staatsministerium in Darmstadt weiter. Dieses entschied am 27. Oktober, daß die Union nur bei breiter Zustimmung der Gemeinden durchgeführt werden dürfte. Die Union konnte also hinfort nur noch unter der Beteiligung der Gemeinden gelingen (zu dem Verfahren der Laienbefragung vgl. die Union in der Pfalz). Das Ergebnis gab den Unionsplänen der Pfarrer Recht, indem die weit überwiegende Mehrheit der Pfarrer zustimmte. Im Auftrag des Staatsministeriums teilte die Regierungskommission in Mainz den Inspektoren (der Inspektor entspricht dem Dekan) unter dem 31. März mit, daß ein die Union vorbereitender Ausschuß der Geistlichen erwünscht sei. Jeweils acht Pfarrer benannten einen Vertreter für diesen Ausschuß, der insgesamt aus 21 Mitgliedern (13 Pfarrer, 7 Inspektoren sowie ein Mainzer Pfarrer) bestand. Da diese Versammlung nicht recht arbeitsfähig war,

Die kleinen Unionen in Deutschland

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bildete man aus je drei lutherischen und reformierten Pfarrern einen Sonderausschuß zur Behandlung der theologischen Fragen im engeren Sinn. In gemeinsamer Sitzung in Wörrstadt (Dezember 1818) legte der Sonderausschuß seine Ergebnisse dem Plenum vor, das die verschiedenen Punkte annahm. Das Ergebnis des Sonderausschusses ging am 12. Januar 1819 an die Regierungskommission, die an den Beschlüssen jedoch bemängelte, daß das Abendmahl unzureichend behandelt sei. Daraufhin erarbeitete der kleine Ausschuß einen Text zum Abendmahl (am 8. Juni 1819 in Oppenheim), der als § 2 Eingang in die Unionsurkunde fand. Erst jetzt ging der ergänzte Ausschußbericht nach Darmstadt. Das Staatsministerium verfügte am 23. August 1819, indem es den Vollzug der Union weiter verschleppte, daß nunmehr zunächst die Pfarrer und dann die Gemeinden zu den einzelnen Punkten (Form des Abendmahls, Abendmahlslehre, Vaterunser, Kirchenvermögen) befragt werden sollten. Diese zweite Abstimmung seit 1817 wurde von September 1819 bis Frühjahr 1820 durchgeführt und ihr positives Ergebnis in Gestalt der Abstimmungslisten am 7. April 1820 nach Darmstadt übersandt. Am 23. Juni reichte die Regierungskommission einen zweiten Bericht über einen vorgelegten Unionskatechismus (lediglich aus Kleinem Katechismus Luthers und Heidelberger Katechismus unter Veränderung der Abendmahlslehre im Sinne des Oppenheimer Textes vom 8. Juni 1819 zusammengesetzt; daher der Name „Buchbinderunion") nach Darmstadt weiter. Für zwei Jahre ruhte die Unionsangelegenheit in Darmstadt, bis eine rheinhessische Delegation nach Darmstadt reiste und auch Ende Juni 1822 vom Großherzog empfangen wurde. Das Ministerium des Innern und der Justiz bestätigte endlich am 31. Juli 1822 die Union in Rheinhessen. Gleichzeitig wurde in Mainz der Kirchenrat als Oberbehörde errichtet. Die Verzögerungstaktik des Staatsministeriums in Sachen der rheinhessischen Union ist im letzten in der Sorge begründet, daß zu große kirchliche Freiheiten im Synodalwesen die innere Ordnung des Staates stören könnten. Dieser Besorgnis entspricht auch, daß einige Teile der Wörrstädter Beschlüsse vom Dezember 1818 in die Unionsurkunde nicht aufgenommen wurden. U m so beachtenswerter ist die Hartnäckigkeit, mit der sich die rheinhessischen Pfarrer mit ihren Gemeinden gegen den hinhaltenden staatlichen Widerstand durchsetzten. Die „Urkunde über die Vereinigung der beiden bisher getrennt gewesenen protestantischen Konfessionen in der Provinz Rheinhessen zu einer vereinten evangelisch-christlichen Kirche" wurde am 28. November 1822 nach der Genehmigung des Großherzogs in Mainz ausgefertigt. Die Unionsgottesdienste fanden am 25. Dezember statt und waren verbunden

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Die unierten Kirchen

mit der Verlesung der Vereinigungsurkunde und der Feier des gemeinsamen Abendmahls3.

Großherzogtum Hessen Das Interesse an einer kirchlichen Union im Großherzogtum Hessen entsprach nach Ursprung und Denkrichtung den Vereinigungsbestrebungen in dem angrenzenden Nassau und in dem hessischen Landesteil Rheinhessen. Daß es nicht zu einer allgemeinen Union im Großherzogtum kam, ist eine Folge der unionsunfreundlichen Kirchenpolitik des Landesherrn. Der Historiker Christoph Rommel forderte am 19. Juli 1817 den Gießener Superintendenten Justus Balthasar Müller auf, für die Union einzutreten, die bei der Bereitschaft der Geistlichen auch als durchführbar erschiene und sogar an eine Konfessionsvereinigung in Verbindung mit dem Kurfürstentum Hessen denken ließe. Die von Luther und Landgraf Philipp von Hessen begonnene Reformation sei noch nicht abgeschlossen und fordere zur Weiterarbeit auf. In einem Begleitschreiben an das Staatsministerium schloß sich der Superintendent dem Vorschlag Rommels an und meinte, daß der „ohne hinlänglichen Grund beibehaltene Unterschied in der Abendmahlslehre endlich ... aufgehoben und ein gemeinschaftlicher Genuß des Heiligen Abendmahls, welcher bisher noch nicht stattfand, unter Lutheranern und Reformierten eingeführt werden möchte". Das Staatsministerium befaßte sich am 27. August 1817 mit der Frage der Union, doch entschied der Großherzog am 3. September ebenso lakonisch wie kurz: „Es kann füglich auf sich beruhen." Das Schreiben des Staatsministeriums an die unionswilligen rheinhessischen Pfarrer vom 27. Oktober 1817, das eine Befragung der rheinhessischen Gemeinden postulierte, ging auch an die Kirchen- und Schulxäte in Gießen und Darmstadt und bekam so den Charakter einer programmatischen Stellungnahme zur Unionsfrage im ganzen Großherzogtum. Das verspätete Eintreffen des Schreibens bedingte, daß eine Reihe von Gemeinden am 31. Oktober 1817 auf eigene Faust die Union durchführten (Alsfeld, Niedereschbach, Rödelheim, Assenheim, Büdingen, Grüningen, Vilbel u. a.), andererseits aber die Unionsbewegung in nichtkoordinierten Einzelaktionen steckenblieb. Die zögernde Entwicklung der rheinhessischen Union erhielt das Thema auch für die rechtsrheinischen Teile des Großherzogtums am Leben. Der Gießener Kirchen- und Schulrat berichtete am 29. Mai 1820, daß alle Pfarrer Oberhessens für die Konfessionsvereinigung eingestellt seien. Erst

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am 26. April 1821 teilte der Kirchen- und Schulrat in Darmstadt ebenfalls mit, daß die meisten Pfarrer in Starkenburg die Union zwar befürworteten, hingegen die rheinhessischen Vorschläge ablehnten. Diese Unsicherheit in der Argumentation gab dem Staatsministerium dann die Handhabe, die öffentliche Diskussion über eine Union wieder zu beenden. Die landesherrliche Bestätigung der Union in Rheinhessen (Erlaß vom 31. Juli 1822) hatte für Oberhessen und Starkenburg die Folge, daß eine Reihe von Gemeinden die Union neu einführten. Die Ablehnung einer das ganze Territorium umgreifende Union durch den Landesherrn fand im Großherzogtum eine schwache Kompensation durch die Möglichkeit, lokale Konfessionsvereinigungen durchführen zu können. Diese Entwicklung zeigt deutlich, wie wenig die staatlichen Einsprüche kirchlich-theologisch begründet waren 4 .

Frankfurt Die Reformationsfeier 18x7 war in Frankfurt mit einem Vereinigungsgottesdienst in der lutherischen Katharinenkirche begangen worden. A m Nachmittag des gleichen Tages stellte der lutherische Pfarrer Fresenius in der deutsch-reformierten Kirche fest: „Die Konfessionen haben einerlei Ursprung, ein und dasselbe Schicksal. Es sind dieselben Wohltaten, die beide der Reformation verdanken. Beide Gemeinden sind in einem Glauben verbunden; die wenigen Unterscheidungslehren geben keinen Grund zur Trennung." Gleichzeitig predigte der reformierte Pfarrer Spieß in der Katharinenkirche. Die Stadt Frankfurt gab wie 1617 und 1 7 1 7 eine Gedenkmünze mit der Umschrift „Ein feste Burg ist unser Gott" und dem Bibel-Zitat „Ein Herr, ein Glaube, ein Gott und Vater aller" heraus. Dennoch ergab sich in Frankfurt keine organisatorische Kirchenunion. Der lutherische Gemeindevorstand hatte 1820 seine ausdrückliche Absicht erklärt, die Union in Frankfurt zu erreichen. Hindernisse ergaben sich aber aus dem bedeutenden Vermögen, das die deutsch-reformierte und französisch-reformierte Gemeinde selbständig verwalten wollten. Die lutherische Gemeinde war bis zur Festlegung ihrer Dotation (1830) auf die finanzielle Hilfe der Stadt angewiesen. Gleichzeitig verwaltete sie mehrere Stiftungen, die an die Gültigkeit des Augsburgischen Bekenntnisses in der Gemeinde gebunden waren, so daß eine Union die Grundlage der Stiftungen aufgehoben hätte. Von den lutherischen Pfarrern kam jedoch die Bitte an den lutherischen Gemeindevorstand und die beiden reformierten Presbyterien, eine Union anzustreben. Von 1822 bis 1826 arbeitete eine Kommission und entwarf eine „Verfassung und Ordnung

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Die unierten Kirchen

der vereinigten evangelischen Kirche der Freien Stadt Frankfurt am Main und ihres Gebietes". Es war daran gedacht, keine heue Partei bei der Vielzahl verschiedener Bekenntniskirchen zu bilden, sondern vielmehr das lutherische, reformierte und unierte Bekenntnis gelten zu lassen. Lehrnorm sollte neben der Bibel das Apostolicum, die Augsburgische Konfession und das Frankfurter reformierte Bekenntnis von 1554 sein, soweit diese in keinem Gegensatz zueinander standen. Für die Abendmahlslehre und die Lehre von der Gnadenwahl wollte man keine gemeinsame Lehre aufstellen, was der kirchlichen Vereinigung Frankfurts höchstens den Status einer Verwaltungsunion mit bekenntnismäßig getrennten Sonderlehren verliehen hätte. Schließlich beschloß der lutherische Gemeindevorstand 1828, in Sachen der Union keine weiteren Schritte mehr zu unternehmen. Damit blieb in Frankfurt das verwaltungsmäßige Miteinander in Verbindung mit der konfessionellen Trennung von lutherischer und reformierten Gemeinden erhalten. Unionsgemeinden kamen erst nach Fraqkfurt, als am 1. April 1924 Heddernheim und Rödelheim mit der Nassauischen Unionsurkunde als Lehrgrundlage und am 1. April 1929 die nach den Hanauischen Unionsartikeln unierten Gemeinden des Kirchenkreises Bockenheim der Frankfurter Landeskirche angegliedert wurden.

Hanau Die Union im Fürstentum Hanau, int» Großherzogtum Fulda und im kurhessichen Teil des Fürstentinns Isenburg wird verkürzt die Hanauer Union genannt. Ihre Bedeutung kann darin gesehen werden, daß mit dieser Union die Konfessionsvereinigungen, die seit 1817 an mehreren Stellen in Deutschland durchgeführt wurden und gerade im Großherzogtum Hessen verschiedengeartete Ausdrucksformen fanden, nach Kurhessen übergriffen. Das Hanauer Geschehen, das sich teilweise eng den vergleichbaren Unionsschlüssen anglich, vollzog sich vor den Toren Frankfurts und angrenzend an großherzogliches Gebiet6. Das lutherische und das reformierte Konsistorium in Hanau berieten vom 8. Oktober bis 5. Dezember 1817 mehrfach über eine Vereinigung beider Konfessionen. Der Kurfürst genehmigte am 5. Dezember die Einberufung einer Provinzialsynode. Die Pfarrer und Presbyterien wurden vorher unterrichtet, worauf am 25. März 1818 die Konsistorien zu der Synode einluden. Die Pfarrer als die Vertreter ihrer Gemeinden (55 reformierte und 21 lutherische Pfarrer) berieten ab 27. Mai über den Unionsschluß. Die Verhandlungen waren am 30. Mai beendet. In dem Sonn-

Die kleinen Unionen in Deutschland

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tagsgottesdienst am 31. Mai wurde das Abendmahl in der vereinbarten Form (Hanauer Unionsartikel, Vorschläge zur Vereinigung Nr. 5) gehalten. Nach der Synode machten die Konsistorien dem Kurfürsten Mitteilung von dem positiven Ergebnis. Die landesherrliche Bestätigung erfolgte bereits am 4. Juli. Aus den beiden seitherigen Konsistorien wurde das evangelische Konsistorium am 20. August gebildet. Die Einführung der Union in den Gemeinden war am i j» September 1818'.

Waldeck und

Pyrmont

Das Fürstentum Waldeck hatte 1821 knapp 50000 überwiegend lutherische Einwohner, im Fürstentum Pyrmont waren es etwa 5000 Lutheraner. Reformierte und Katholiken befanden sich in einer verschwindenden Minderheit. Der Unionsschluß in Waldeck und Pyrmont lief darum praktisch auf eine Integration der wenigen Reformierten in die Landeskirche hinaus. Erste Besprechungen zwischen Vertretern beider Konfessionen, die unmittelbar die volle Bereitschaft zur Union erbrachten, fanden am 9. November 1818 in Arolsen statt. Uber die Spendeformeln, die Form der Hostien beim Abendmahl und den Wortlaut des Vaterunsers wurde Einmütigkeit erzielt. Schwierigkeiten ergaben sich in der Gemeinde Arolsen wegen besonderer Vermögensfragen und in Wildungen wegen der Weigerung der Reformierten, ihre traditionellen Abendmahlsformen aufzugeben. Nach der Beseitigung dieser Hindernisse genehmigte der Fürst am 21. Dezember 1820 die Union, die durch Verfügung vom 23. Januar 1821 den Kircheninspektoren mitgeteilt wurde. Die Unionsurkunde folgt dem „einladenden Beispiel anderer Staaten" und fußt gleichzeitig weit mehr als andere Unionsurkun,den auf einer aufklärerischen Grundlage: „Die aufgeklärten Wortführer beider Konfessionen, der lutherischen und reformierten, sind nur von dem Gedanken geleitet worden, alle Angehörigen einer gemeinschaftlichen. Religion auch in dem Schöße einer gemeinschaftlichen Kirche vereinigt zu sehen ,.." 7

II. A N H A L T Die Unionsentwicklung im Bereich der anhaltischen Landeskirche ist bestimmt durch die politische Teilung des Territoriinns am Beginn des 19. Jahrhunderts. Anhalt-Köthen war seit 1523 lutherisch, während Anhalt-Dessau sich erst 1534 der Reformation anschloß. Die V ereinigung

148

Die unterteil Kirchen

aller Landesteile in einer Hand (1570) ermöglichte den gemeinsamen Ubergang zum Calvinismus (Abschluß 1596 durch Johann Georg). Das Land wurde 1606 erneut geteilt. Der Bekenntnisstand der Landeskirchen Dessau, Zerbst, Kothen und Bernburg bestand in dem Augsburgischen Bekenntnis von 1540 und dem Heidelberger Katechismus. Erst nach 1648 bildeten sich wieder lutherische Gemeinden, so daß um 1800 2/s der Bevölkerung reformiert und Vs lutherisch waren. Die Union in Bemburg wurde von dem Landessuperintendenten F. A. Krummacher ausgelöst, der am 5. Dezember 1817 die Pfarrerschaft nach ihrer Haltung zu einer möglichen Union befragte (nur zwei ablehnende Voten). Alexius Friedrich Christian, Herzog von Anhalt, empfahl am 1. August 1820 die Vereinigung der Konfessionen, welche die Synode am 26. und 27. September 1820 in Bernburg beschloß. Nach der Bestätigung wurde das Unionsstatut in den Gemeinden angewandt. Im Landesteil Dessau waren in einigen Gemeinden schon 1817 lokale Unionen entstanden. A m 7. Juni 1826 empfahl der reformierte Superintendent de Marées die Beratung der Union in allen Gemeinden AnhaltDessaus. Die Pfarrer begrüßten die Union (12. Juli 1826), was de Marées am 3. August 1826 Herzog Leopold Friedrich anzeigte. Dieser genehmigte die Union in seinem Landesteil (14. April 1827). Das Unionsstatut, in enger Anlehnung an das in Beniburg konzipiert, wurde am 16. Mai 1827 von den Pfarrern angenommen und die Union in einem Vereinigungsgottesdienst in der Dessauer Schloß- und Stadtkirche vollzogen. Der Landesteil Kothen war trotz mehrerer Versuche nicht zur Union gekommen. Die Vereinigungsverhandlungen von 1827/28 scheiterten ebenfalls. Mit der Wiedervereinigung der anhaltischen Territorien 1863 stand die noch nicht unierte Landeskirche in Kothen in naher Beziehung zu den unierten Kirche in Bemburg und Dessau. Neue Unionsberatungen mit den Gemeinden in Kothen sowie die zusammenfassende Wirkung der gemeinsamen Kirchengemeindeordnung vom 6. Februar 1875 und der Synodalordnung vom 14. Dezember 1878 führten in der Köthener Verordnung von 1880 zur Union im ganzen Land 8 .

III. B R E M E N Im Bereich der Hansestadt Bremen wurde die Union nur auf der Ebene einzelner Gemeinden durchgeführt. Das war möglich, weil die Gemeinden Bremens im 19. Jahrhundert weitgehende Autonomie in Sachen des gemeindlichen Bekenntnisstandes und ihrer Organisation genossen. Der Senat, dem die Episkopalgewalt zustand, übte diese im allgemeinen nur

Die kleinen Unionen in Deutschland

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zögernd aus. Regelmäßig wurde dieses Aufsichtsrecht wahrgenommen bei der Bestätigung der in den Gemeinden autonom entworfenen und festgestellten Kirchenordnungen. Der lutherische bzw. reformierte Bekenntnisstand einer Gemeinde verhinderte nicht, daß auch unierte Pastoren angestellt werden konnten, sofern diese nach ihrer Wahl bereit waren, den Bekenntnisstand der Gemeinde anzunehmen. In den meisten Kirchenordnungen der Gemeinden wird weiterhin vorgesehen, daß die Union als zukünftiger Bekenntnisstand eingeführt werden kann: vgl. Kirchliche Ordnung für die St.-Michaelis-Gemeinde vom 15. Juni 1870, vor allem § 32, wonach ein Pastor der reformierten Gemeinde der späteren Einführung der Union nicht widersprechen kann; ähnlich § 27 der Kirchenverfassung der Gemeinde zu St. Remberti (bestätigt am 7. Juli 1882) und § 38 der Kirchlichen Ordnung für die St.-Ansgarii-Gemeinde vom 8. Oktober 1861. Auf lutherischer Seite gilt eine entsprechende Offenheit des Bekenntnisstandes: nach § 26 Abs. 1 der Verfassung der Gemeinde St.-Petri-Domkirche vom 22. April 1879 sind sowohl lutherische wie unierte Pastoren wählbar. (Zu den Texten der Kirchenordnungen, vgl. Emil Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen, 2. Abteilung, Freiburg i. Br. 1885). Die Bremische Kirchenvertretung (Statut vom 2. Juni 1876) stellte nur einen Verwaltungszusammenschluß dar, der über das Bekenntnis der Gemeinden nicht zu verhandeln hatte (§ 5 des Statuts, vgl. Friedberg a.a.O. 987). Die Verfassung der Bremischen Evangelischen Kirche vom 14. Juni 1920 behielt die Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit der Gemeinden bei und stellte keinen gemeinsamen Bekenntnisstand aller Gemeinden fest (§ 1 Abs. 2).

ANMERKUNGEN 1

Hein2 Brunotte: Das Zusammenleben der Konfessionen in der Evangelischen Kirche in Deutschland. In: Luthertum Heft 9, Berlin 2. Aufl. 1953, S. 38. ' Vgl. Alfred Adam: Die Nassauische Union von 1817, in: Jahrbuch der Kirchengeschichtlichen Vereinigung in Hessen und Nassau, Bd. 1 (1949), S. 35-215 (mit Quellenanhang). Text des Nassauischen Unionsedikts vom 11. August 1817 bei Heinrich Steitz: Die Unionsurkunden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung, Bd. 11 (i960) ,S. 12-14. 3 Zum Text der Rheinhessischen Vereinigungsurkunde vgl. Heinrich Steitz, a.a.O., S. 24-27. 4 Durch Gebietsveränderungen von 1866 wurden Gemeinden zum Großherzogtum Hessen geschlagen, die sowohl in Nassau die Unionsurkunde vom

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Die unierten Kirchen

I i . August 1817 wie im Bereich der Hanauer Union die Unionsartikel vom 4. Juli 1818 angenommen hatten. Das südliche Hessen wird dadurch zum Gebiet der kleinen Unionen, die vom 19. Jahrhundert her bereits den Charakter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau im 20. Jahrhundert als einer „Union der Unionen" vorherbestimmten. 5 Vgl. Carl Henß (Hrsg.): Die Hanauer Union. Festschrift zur Jahrhundertfeier der evangelisch-unierten Kirchengemeinschaft im Konsistorialbezirk Cassel am 28. Mai 1918. Hanau 1918. • Die Beschlüsse der Provinzialsynode blieben formal (Brotform beim Abendmahl, Spendeformeln). W i e andernorts hat der Wunsch nach der Union die theologische Dimension des Unionsschlusses fast ganz verdrängt: man wollte „evangelisch" sein und war es schon beim Gedanken an die Konfessionsvereinigung. Die innere Übereinstimmung zwischen den Konfessionen war in den praktischen Ansatz vorverlegt und machte die Anstrengung des theologischen Begriffs überflüssig. - Kurfürstliches Dekret und Text der Hanauer Unionsartikel vom 4. Juli 1818: vgl. Heinrich Steitz, a.a.O., S. 15-17. 7 Text der Urkunde: vgl. Heinrich Steitz, a.a.O., S. 74-76. 8 Köthener Verordnung § 1: „Die reformierte sowie die lutherische Kirche in den früher Cöthenschen Teilen unseres Herzogtums bilden fortan mit der bisher schon bestehenden linierten Kirche unseres Landes eine linierte evangelische Landeskirche" (vgl. Heinrich Steitz, a.a.O., S. 98f.).

Kapitel 6 DIE U N I T E D C H U R C H OF

CANADA

ARTHUR G . REYNOLDS

Der Hintergrund der Unionshewegung ie Gründung der United Church of Canada im Jahre 1925 durch den Zusammenschluß der kongregationalistischen, methodistischen und presbyterianischen Kirchen bildete den Höhepunkt eines langen Prozesses, in dessen Verlauf die Kirchen untereinander und mit der Nation zusammengewachsen waren. Durch Einwanderungswellen, vor allem aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Europa nahm seit Beginn der englischen Epoche im Jahre 1763 die Bevölkerung Kanadas rapide zu. Infolge der Mannigfaltigkeit der Nationalitäten wurde Kanada schon früh zur Heimstätte vieler Kirchen. Obwohl beabsichtigt war, die Kirche von England zur Staatskirche zu erklären, wurde dieser Plan durch politische Erwägungen vereitelt, die vor allem auf den Widerstand der anderen Kirchen gegen einen solchen Schritt zurückzuführen waren. Die Folge war ein ungehinderter Konfessionalismus, der sich seither in ganz Kanada durchgesetzt hat. Die Kirchen wurden in der Anfangszeit mit schweren Problemen konfrontiert. Zunächst einmal ist Kanda ja ein riesiges Land, das sich über 5000 km vom Atlantik zum Pazifik und vom 42. Breitengrad bis zu den Inseln des Eismeeres erstreckt. Der größte Teil ist für Siedler unzugänglich, und selbst das gut besiedelte Gebiet wird durch natürliche Schranken in fünf sehr verschiedene geographische Regionen unterteilt, zwischen denen die Verbindung bis vor weniger als einem Jahrhundert schwierig war. Unter diesen Voraussetzungen waren auch Pfarrer, die von ihren Kirchen in England ausgesandt worden waren, weithin auf sich selbst angewiesen. Die Verbindungen zu den Heimatkirchen in England waren langwierig und unsicher. Diese Kirchen mußten sich mit ihren eigenen Problemen herumschlagen; sie handelten nur langsam, sie waren unfähig, die Sorgen und Nöte Kanadas zu verstehen, und sie konnten oder wollten nicht mitarbeiten und finanzielle Mittel bereitstellen, um die Ausbreitung des Evangeliums in dem neubesiedelten Land zu fördern. Die Pfarrer be-

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gannen deshalb schon bald zu erkennen, daß die Arbeitsweisen ihrer Heimatkirchen und deren Verständnis der Kirchengesetze bis zu einem gewissen Grade einer Anpassung der Arbeitsweisen und einer Auslegung der Gesetze weichen mußten, die sich nach den örtlichen Gegebenheiten zu richten hatten. Besonders von Seiten der Laien bestand die Tendenz, über konfessionelle Unterschiede hinwegzusehen, und es fanden einige Zusammenschlüsse von Kirchen statt, die von einer gemeinsamen Mutterkirche abstammten. Nach diesem Zeitraum aber brachte die stark gewachsene Einwanderungsquote aus Großbritannien zwischen 1820 und 1850 konfessionelle Unterschiedlichkeiten mit sich - besonders unter den Methodisten und Presbyterianern. Im weiteren Verlauf wuchsen die Kirchen rapide, und ihre Zahl nahm zu; beispielsweise zählte man im Jahre 1850 in Kanada acht presbyterianische und sechs methodistische Kirchen. In diesem Zeitraum wurden die jungen kanadischen Kirchen durch verschiedene Schwierigkeiten - wie der Gründung und Erklärung der Kirche von England zur Staatskirche von Kanada, das Ringen um eine verantwortungsbewußte Regierung und dem Konkurrenzkampf im Bereich der höheren Schulen - in Spannungen und* Unruhen verwickelt, die sie untereinander auszutragen hatten. Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigte das Verhältnis der entstandenen Kirchen untereinander endgültig Anzeichen einer Stabilität. Zwar blieben viele Spannungsfelder bestehen, das Konkurrenzdenken ging weiter, und die Haltung der Kirchen untereinander kam im besten Fall als „zurückhaltende Duldung" und schlimmstenfalls durch heftige Beschimpfungen zum Ausdruck. Trotzdem waren einige wichtige Fragen geklärt, und bald bot ein ausgewogener, konfessioneller Pluralismus ein gewohntes Bild. Zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten einige politische und wirtschaftliche Faktoren deutlich, daß die britischen Provinzen in Nordamerika darauf angelegt waren, sich politisch zu vereinigen und sich in das unermeßliche Präriegebiet des kanadischen Westens und darüber hinaus nach Britisch-Kolumbien auszudehnen. Die Kirchen teilten die Auffassung von der zukünftigen, größeren Nation und sahen ihren Beitrag, um Kanada dieses Ziel zu sichern, darin, ihre Mittel ausreichend zu verstärken und überall einzusetzen, um das Evangelium über das ganze Land von Ozean zu Ozean zu verbreiten. Die Kirchen wurden weiterhin durch die Einwanderungswellen herausgefordert, die besonders nach der Fertigstellung einer transkontinentalen Eisenbahnlinie im Jahre 1885 nach Westen rollten. Sie wurden mit dem ungeheuren Problem konfrontiert, den Einwanderern bei der Niederlassung und der Einführung in die kanadische Lebensweise behilflich zu

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sein. Die Kanadier verfügten über einige klar umrissene moralische, soziale, kulturelle und politische Ideale, und seitens der Kirchen fragte man sich, ob diese Ideale auch dort zu überleben vermochten, wo weite Landstriche von Menschen besiedelt wurden, denen einige dieser Ideale völlig fremd waren. Auch die Auswirkungen der städtischen Industrialisierung in den pilzartig sich erweiternden Städten gab den Kirchen zu ernster Sorge Anlaß; die Notstände in den Slums und der Wandel sozialer Gewohnheiten, wirtschaftlicher Absichten und moralischer Werte. Diese Faktoren beeinflußten nicht nur in den Städten, sondern auch in den ländlichen Gebieten die geistliche Ausrichtung und die religiösen Gewohnheiten der Kirchenglieder. Die Kirchen erkannten, daß sie zuerst ihre Mittel zusammenlegen mußten, wenn sie die Aufgabe zu übernehmen bereit waren, ihre Auffassung von einem christlichen Kanada in die Wirklichkeit umzusetzen. Durch vier Unionen in den Jahren 1860-1875 schlössen sich die Presbyterianer zu einer Kirche zusammen. Die Methodisten brachten durch zwei größere Unionen das gleiche Ergebnis zustande. 1891 waren sowohl die Methodistische Kirche als auch die Presbyterian Church beide größer als irgendeine protestantische Kirche in Kanada - sie machten zusammen 34,07 Prozent der Landesbevölkerung aus. Diese beiden Kirchen arbeiteten im Westen unter der Führung zweier energischer Missions-Superintendenten, die sich beide ihren eigenen Kirchen sehr verbunden wußten. Konkurrenzdenken war gang und gäbe. Das Ziel jeder Kirche bestand darin, eine Gemeinde in jedem Ort zu gründen, und zwar möglichst noch vor der anderen; und es war deshalb nicht verwunderlich, daß Klagen über angebliche Übergriffe auf bereits bestehende Arbeit hinüber und herüber drangen. Schon 1885 wurde der Vorschlag gemacht, daß irgendeine Art der Zusammenarbeit zwischen Methodisten und Presbyterianern gefunden werden sollte, um sinnlose Überschneidungen in ihrer Arbeit auszumerzen. Bis zum Jahre 1903 brachte man aber nur wenig zustande, aber von da an, bis zur Union im Jahre 1925, existierte tatsächlich eine Art Zusammenarbeit oder ein Zusammenschluß im lokalen Bereich, vpr allem in den Prärieprovinzen. An dieser Stelle des Berichtes, der bis jetzt den mannigfaltigen äußeren Druck schildert, der zu Unionsverhandlungen führte, muß noch versichert werden, daß zusätzlich zu dem pragmatischen Interesse, dem Land einen angemessenen Dienst in geistlicher Hinsicht zu erweisen, an sich schon ein echter Wunsch nach christlicher Einheit vorhanden war. Obwohl die Verhandlungen stattgefunden hatten, bevor das ökumenische Zeitalter angebrochen war, lag die Kirchenunion in der Luft. Schon

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Die unierten Kirchen

1886 schlugen die Anglikaner ein Unionsgespräch zwischen Methodisten und Presbyterianern vor. Aber das eigentliche Gespräch wurde erst nach der Lambeth-Konferenz im Jahre 1888 geführt, als sich als eine der vier Voraussetzungen für die von den Anglikanern vorgeschlagene Union das historische Bischofsamt herausstellte, dem sowohl die Methodisten als auch die Presbyterianer unmöglich zustimmen konnten. In den folgenden Jahren blieben ein Versuch mit Unionsgesprächen zwischen kongregationalistischen und presbyterianischen Kirchen und ein Vorschlag von seiten der Methodisten für einen Kirchenbund ebenso wirkungslos. Aber diese Fehlschläge auf dem Wege zu konkreteren Ergebnissen waren dennoch nicht ohne gewisse Bedeutung. Sie waren eine Mahnung, daß die Einheit der Kirche das Ziel aller Kirchen bleiben muß. So erwies sich das Ringen um eine Nationale Kirche in Kanada, die die Nation durch die Gemeinschaft im Evangelium zusammenschweißen sollte, auch als Ausdruck eines Versuches, das Gebet des Herrn „auf daß sie alle eins seien" zu erfüllen. Dieses Gebet sollte später in lateinischer Sprache auf dem Siegel der United Church of Canada zu finden sein.

Die Unionsverhandlungen

Die Zeit der Zusammenarbeit und der Zusammenschlüsse im lokalen Bereich von 1903 bis 1925 war auch die Zeit, in der Verhandlungen für eine organische Union geführt und die Union zwischen kongregationalistischen, methodistischen und presbyterianischen Kirchen vollendet wurde. Diese Kirchen waren miteinander verwandt, deshalb für eine Union geeignet und für die in Aussicht genommenen Aufgaben zujänglich gerüstet. Es waren bezeichnenderweise kanadische Kirchen, die schon zu einem frühen Zeitpunkt ihre Autonomie erklärt hatten, um sich besser auf die kanadischen Verhältnisse einstellen zu können. Sie waren der Ansicht, daß die vornehmsten Interessen des Staates auch Anliegen der Kirchen sein müssen. Sie hatten mitgeholfen, die Lebensweise, die Kultur und das Bewußtsein des kanadischen Volkes zu prägen. Ihre Mitglieder, ihre Gemeinden und ihre Missionsstationen waren alle über das ganze Land verstreut. Sie hatten gelernt, zusammenzuleben, sie hatten sich gegenseitig beeinflußt und waren im Begriff, einander ähnlicher zu werden. Zwei oder drei Kirchen verfügten über Mittel, die, wenn sie zusammengelegt wurden, der Herausforderung gewachsen waren, mit der sie konfrontiert wurden. 1901 hatten die Methodistische Kirche und die Presbyterian Church beide annähernd eine Million Mitglieder und

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Freunde bei einer Gesamtbevölkerungszahl von etwas mehr als 5 Millionen. Sie waren, gemessen am Reichtum, einflußreich. Ihre Colleges und Universitäten bildeten die meisten ihrer Pfarrer aus, obwohl es immer zu wenig gab. Das war die Lage im Jahre 1902, als Mitglieder einer Delegation, die Grüße der Presbyterian Church an die Generalkonferenz der Methodisten überbrachte, ein leidenschaftliches Plädoyer für den Zusammenschluß ihrer Kirchen hielten. Die Generalkonferenz ernannte später einen Unionsausschuß und forderte die Presbyterian Church und die Congregational Church auf, ähnliche Ausschüsse zu berufen. Zwei Jahre darauf kamen die Ausschüsse der drei Kirchen zusammen und bildeten bald einen gemeinsamen Ausschuß für eine Kirchenunion. Im Verlauf seiner Arbeit lud der Gemeinsame Ausschuß die Kirche von England und Kanada und die Baptist Conventions ein, sich an den Verhandlungen zu beteiligen. Die Baptisten waren der Ansicht, daß ihre besonders geprägte Lehre es erforderte, „eine getrennte Organisation aufrechtzuerhalten". Die anglikanische Antwort wurde so verstanden, daß als Verhandlungsbedingung die Annahme des Bischofsamtes durch die anderen Kirchen notwendig sei - der Gemeinsame Ausschuß bedauerte, daß es ihm „nicht möglich sei, auf diese Bedingung einzugehen". So wurde die Chance, daß sich die Baptisten und Anglikaner an den Gesprächen beteiligten, schnell zunichte gemacht. Die Episode bestätigt die Uberzeugung der verhandelnden Kirchen, daß sie einander in Lehre, Kirchenverfassung, Gottesdienstformen und allgemeiner Ausrichtung nahe genug gekommen waren, so daß auch das hartnäckigste Problem schließlich einem geduldig geführten Gespräch weichen mußte. Die Fragen, mit denen sie im Gemeinsamen Ausschuß konfrontiert wurden, erwiesen sich zumindest als bekannt und schienen, da sie überwiegend praktischer Art waren, eine Lösung durch gegenseitige Zugeständnisse zu versprechen. Aber ein Eingehen auf die baptistiche Ablehnung der Säuglingstaufe beispielsweise und die anglikanische Betonung des historischen Bischofsamts hätte ihrer Ansicht nach die bisher erreichte Annäherung in der Unionsfrage bedroht. Obwohl sich der Gemeinsame Ausschuß nur einmal im Jahr traf, war er schon nach der fünften Sitzung davon überzeugt, eine Basis für eine Union geschaffen zu haben, die einer Prüfung durch die Kirchen wert war. Ihr Endziel war praktischer Natur: die Vereinigung der missionarischen Kräfte der Kirchen, um den Erfordernissen der städtischen und im Westen Kanadas liegenden Siedlungsgebieten nachkommen zu können. Es war ihnen klar, welche Art Kirche sie anstrebten: eine Kirche, die sich nicht zu sehr von einer der drei unterschied, denn die Worte der methodistischen Resolution von 1902 fanden Zustimmung, daß die drei Kirchen „sich hinsichtlich

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des Niveaus und der Zielvorstellungen des kirchlichen Lebens, der Gottesdienstformen und der kirchlichen Struktur schon stark angenähert hätten." Ihr Ziel bestand dann darin, das Beste der durch die verschiedenen Kirchen vertretenen Traditionen zu bewahren, und zwar in dem Glauben, das jeweilige Preisgeben verschiedener traditioneller Elemente hätte auch eine gegenseitige Bereicherung der neuen Lage zur Folge. Es ging nicht so sehr darum, eine völlig neue Kirche zu bilden, sondern die drei Kirchen in die Lage zu setzen, die ihnen eigentümlichen Wesenszüge in die Union einzubringen. Der Gemeinsame Ausschuß überließ die Formulierung „einer geeigneteren verstandesmäßig erfaßbaren Darlegung der unveränderlichen und unerschöpflichen Wahrheit des Evangeliums" der Zukunft, übernahm die dogmatischen Leitlinien der verhandelnden Kirchen, ohne sie in Frage zu stellen, und wandte sich der „kurzen Erklärung über den reformierten Glauben der Presbyterian Church der U S A (1902)" als konfessionellem Modell zu. Hier stieß man auf nebeneinanderstehende calvinistische und arminianische Sätze, die die Anliegen der Presbyterianer und der Methodisten abzusichern schienen. Die Kongregationalisten hatten an keinem Artikel der Erklärung etwas auszusetzen, erhoben aber gegen eine so sorgfältig ausgearbeitete Zusammenfassung der Glaubenslehre Einspruch. Sie vertraten die Auffassung, die Erklärung müsse einfacher gehalten werden; die „christliche Erfahrung und das christliche Verhalten" im Leben der Kirche müsse höher bewertet werden als theologische Formeln, zudem sollte bei der Auslegung der Lehre eine größere Freiheit eingeräumt werden. Der Gemeinsame Ausschuß sah keine Möglichkeit, die Erklärung zu kürzen oder zu vereinfachen, aber er einigte sich darauf, daß die Ordinanden das Prüfungsgremium nur davon zu überzeugen brauchten, sie seien „im wesentlichen mit der Glaubenserklärung einverstanden" und akzeptierten sie, da sie „in der Substanz mit der Lehre der Heiligen Schrift übereinstimme". Die Struktur der Unierten Kirche stellte wie ihre dogmatische Erklärung eine Mischform dar. Die Hauptschwierigkeit bestand in der Verschmelzung des Kongregationalismus mit den Kirchen, deren Gemeinden keine autonomen Entscheidungen fällen konnten. Aber es stellte sich heraus, daß die Kongregationalisten bereit waren, dieser synodalen Struktur näherzukommen - umgekehrt zeigten die Methodisten die Bereitschaft, sich der kongregationalistischen Struktur anzunähern. Das Resultat war eine presbyterianische Struktur. Den höheren Organen wurden Bezeichnungen verliehen, die von den drei Kirchen verwendet worden waren das Presbyterium, die Konferenz und der Generalrat. Dem Presbyterium kam die Aufgabe zu, die Oberaufsicht über die Kandidaten für das geist-

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liehe Amt, die Pfarrer und die Seelsorgebezirke zu führen. Die Konferenz war für die Ordination zuständig. Der Generalrat fungierte als Legislative für die ganze Kirche, aber drei wichtige Voraussetzungen wurden geschaffen, um seine legislative Befugnis einzuschränken: keine Verordnung, die die Lehre, den Gottesdienst, die Mitgliedschaft und die Kirchenleitung betraf, konnte in Kraft treten, bevor sie nicht vom Presbyterium gebilligt worden war; es durften nur die Bedingungen für eine Zulassung zur kirchlichen Vollmitgliedschaft gelten, die vom Neuen Testament festgelegt worden waren; die Freiheit der Gottesdienstformen, der sich die verhandelnden Kirchen erfreut hatten, sollte in der Unierten Kirche nicht beeinträchtigt werden. Das kritische Problem war das einer Regelung für die Amtszeit der Pfarrer. Die Methodisten hatten ein Wandersystem, demzufolge ein Pfarrer alle drei, sicher aber alle vier Jahre seine Gemeinde zu wechseln hatte; die Amtszeit wurde von einem „Stationierungsausschuß" jeder Konferenz geregelt. Die kongregationalistische Gemeinden beriefen sich natürlich ihre Pfarrer jeweils selbst. Bei den Presbyterianern berief jeweils die Gemeinde ihren Pfarrer, wobei das oder die entsprechenden Presbyterien den Wechsel überwachten und ihn auch zu ermöglichen suchten. Eine Einigkeit in dieser Angelegenheit wurde dadurch erzielt, daß zwei Grundsätzen zugestimmt wurde. Der erste schloß das methodistische Wandersystem aus, der zweite erhob das methodistische Verfahren, Pfarrer zu ernennen, zur unumgänglichen Regel: Das geistliche Amt sollte grundsätzlich zeitlich unbeschränkt gelten, und soweit wie möglich mußte jedem Pfarrbezirk ein „ununterbrochenes Pfarramt" zukommen; jedem dienstfähigen Pfarrer mußte ein Bezirk zugewiesen werden. Nur ein Ernennungsverfahren, das dem Pfarrer seine Gemeinde zuwies, konnte dem zweiten Grundsatz Wirkung verleihen. Nur eine Kirche, die ihr Kräftepotential in einer nationalen Spannweite einsetzen konnte, vermochte der Aufgabe gerecht zu werden, die den Unionsplan der Kirchen ja begründet hatte. Faktisch kam diese Amtszeitverordnung einem Berufungsverfahren gleich, bei dem der Pfarrer, der seine Verbindung zu einer Gemeinde zu lösen wünschte, oder der Pfarrbezirk, der einen Pfarrer suchte, das Anstellungsverfahren über das oder die entsprechenden Presbyterien in Gang setzte. Einem Pfarrer stand es frei, einen Ruf anzunehmen, ebenso wie es einem Pfarrbezirk frei stand, einen Ruf ergehen zu lassen. Der Anstellungsausschuß der Konferenz sollte die Angelegenheit nach folgender Anweisung entscheiden: „Während das Nominierungsrecht beim Anstellungsausschuß bleibt, soll dieser soweit wie möglich den vom Pfarrer und den Gemeinden geäußerten Wünschen willfahren."

Die unierten Kirchen Ein Parlamentsgesetz wurde erforderlich, um der neuen Kirche Körperschaftsrechte zu verleihen, damit sie instand gesetzt wurde, Besitz halten und erwerben zu können, ihre legislativen Organe zu bestätigen und zu gewährleisten, daß das Eigentum der verhandelnden Kirchen in den Besitz der Unierten Kirche überging. Der Gemeinsame Ausschuß gelangte 1908 zu dem Schluß, daß er seine Arbeit zu Ende geführt hatte, und er schickte die Unionsbasis den drei Kirchen zur Prüfung und Entscheidung zu. Im Jahre 1912 erklärten sowohl die Kongregationalisten als auch die Methodistische Kirche mit überwältigender Mehrheit ihre Absicht, der Union beizutreten. Die Generalsynode der Presbyterianer billigte die Unionsbasis, und eine Zweidrittelmehrheit der Presbyterianer stimmte für die Union, aber im Jahre 1910 verschob die Synode eine Entscheidung über den Beitritt, weil sich ihr eine ansehnliche Minderheit widersetzte, in der Hoffnung, man könne später den Schritt praktisch einmütig vollziehen. Eine wirkliche Einmütigkeit kam nie zustande. Der Widerstand gegen die Union wurde schon 1910 organisiert, und während die Kongregationalisten und Methodisten „still der Morgendämmerung harrten", wurde die Presbyterian Church durch einen Konflikt zerrissen, der bis zur endgültigen Entscheidung im Jahre 1925, sich mit den anderen Kirchen zu vereinigen, andauerte. Die Minderheit, die sich dann noch der Union widersetzte, war fast gleich groß wie die von 1910 und umfaßte etwa 30 Prozent der Mitglieder. Als Folge der Spaltung in der Presbyterian Church mußte die vorgesehene Gesetzesvorlage geändert werden, um Vorkehrungen für die eventuelle Rückkehr der abgesprungene^ Minderheit zu treffen. Es wurde vereinbart, daß der für die Union stimmenden Mehrheit einer Gemeinde der Besitz zugewiesen werden sollte, während die Minderheit dann zu entscheiden hatte, ob sie weiter in der Gemeinde verbleiben oder austreten wollte. Zusätzlich dazu sah das Gesetz auch einen Besitzrechtsausschuß vor, der die Aufgabe hatte, das Eigentum und die Finanzen der Presbyterian Church in gerechter Weise zwischen der die Union ablehnenden Minderheit und der United Church of Canada aufzuteilen. Das Parlamentsgesetz wurde im Juli 1924. verabschiedet und trat am 10. Juni 1925 in Kraft, dem Tag, an dem die Union endlich vollendet wurde. Es fällt nicht leicht, über die Spaltung in der Presbyterian Church, die durch die Union verursacht wurde, Rechenschaft abzulegen. Zweifellos fühlten sich viele, vielleicht der Großteil der Presbyterianer, ihrer Kirche, ihrer Struktur und ihrer Gottesdienstform, ihrer reformierten Lehre und ihrer faszinierenden Geschichte tief verbunden. Aber die Methodisten

Die United Church of Canada und die Kongregationalisten waren ihren Kirchen schließlich auch ergeben. Die Presbyterianer schottischer Abstammung aber neigten dazu, schottische Traditionen weiterzupflegen und ein enges Verhältnis zur Heimat aufrechtzuerhalten, und für manchen Presbyterianer war dieses Schottentum gleich der presbyterianischen Lehre, der Struktur und der Frömmigkeit Teil der presbyterianischen Ausdrucksform. Einige mögen eine Aversion gegen den Methodismus gezeigt haben, aber zum großen Teil kann das einfach die Kehrseite ihrer unerschütterlichen presbyterianischen Einstellung gewesen sein. Eine solche Gruppe mußte ja fast den Ruf nach einer starken unierten Kirche, die die Einwanderer zu kanadisieren und den Westen zu erschließen hatte sowie Kanada zu einer großen christlichen Nation wachsen lassen sollte, überhören. Es wurde auch Widerspruch gegen die Konzeption einer Großkirche überhaupt, gegen die Ansichten der Sozialradikalen und gegen die Befürworter eines Verbotes alkoholischer Getränke in der Methodistischen Kirche angemeldet. Nach zwanzig Verhandlungsjahren wurde die United Church of Canada in Toronto am xo. Juli 1925 durch eine feierliche Weihe der Union und einen Abendmahlsgottesdienst begründet. Der Weg zum Zusammenschluß war mühevoll gewesen und im Blick auf die Spaltung innerhalb der Presbyterian Church furchtbar enttäuschend. Trotzdem empfanden die Mitglieder der United Church of Canada an diesem Tag ein Triumpfgefühl und waren von großer Hoffnung erfüllt. Nach allem verkörperte für sie die Union das, was Gott mit seiner Kirche vorhatte und was Kanada brauchte; außerdem war sie ja die erste Kirchenunion dieser Art. Die Methodistische Kirche trat geschlossen der Union bei, und zwar mit 4797 Pfarrbezirken, denen etwa zwei- bis dreimal soviel Gemeinden entsprachen. Von den Pfarrbezirken der Kongregationalisten traten 1 7 1 der Union bei - alle außer acht. Die Zahl der presbyterianischen Bezirke belief sich auf 3728, was etwa 82 Prozent der Gesamtzahl ausmachte, aber nur 70 Prozent der Mitglieder schlössen sich der Union an. Eine vierte Kirche, die äls Local Union Churches bekannt war, stieß ebenfalls zur Union. Diese Kirche mit sechs Presbyterien und einem Generalrat setzte sich aus etwa 150 Gemeinden zusammen, die fast alle im westlichen Kanada lagen. Sie waren durch örtliche Zusammenschlüsse auf der Unionsbasis, die 1908 angenommen wurde, gegründet worden, und zwar mit der ausdrücklichen Absicht, Bestandteil der United Churches of Canada zu werden, sobald diese zustande gekommen war.

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Die unierten Kirchen Die Organisation der neuen Kirche

Die Aufgaben, denen sich die neue United Church of Canada gegenübergestellt sah, waren wahrhaft gewaltig. Der erste Generalrat, der sich unmittelbar nach dem Eröifnungsgottesdienst konstituierte, mußte notwendigerweise die Marschroute abstecken und die ersten Sitzungen der Presbyterien und der Konferenzen festlegen. Die Zusammenlegung der verschiedenen Abteilungen, Dienststellen und Finanzen der drei sich vereinigenden Kirchen wurde in die Hände einer Kommission gelegt, die dem zweiten Generalrat Bericht erstattete. Die Kommission empfahl die Zusammenfassimg von neunundzwanzig Verwaltungsgremien zu acht Behörden sowie die Freistellung einer bestimmten Anzahl von Beamten und die Einrichtung ständiger Kommissionen für den Generalrat. Eine dieser Behörden war für die Verwaltung eines einzigen Finanzhausbaltes zuständig, der die Missions- und Erziehungsarbeit sowie die diakonischen Aufgaben der Kirche in der Heimat und in Ubersee weiter zu ermöglichen und die laufenden Kosten für die Arbeit des Generalrats und seiner Amter, Abteilungen und Ausschüsse zu decken hatte. Mit bestimmten Fragenkomplexen der nun zur dauerhaften Organisation gewordenen United Church, hauptsächlich mit solchen, die die Finanzen der Presbyterian Church betrafen, konnte man sich endgültig erst befassen, als die Aufteilung des Besitzes der Presbyterian Church erfolgt war, die durch die antiunionistische Haltung vieler Gemeinden dieser Kirche notwendig geworden war. Diese Aufgabe war in die Hände der Besitzrechtskommission für kirchliches Eigentum und sechs Provinzkommissionen gelegt worden. Die Besitzrechtskommission war für die gerechte Verteilung des Eigentums verantwortlich, das einschließlich großer Finanzmittel der Denomination gehörte; die Zuständigkeit der sechs kleinen Kommissionen betraf das Eigentum, das die Ortsgemeinden besaßen. Das Gesamtergebnis sah so aus, daß den presbyterianischen Gemeinden, die die Union abgelehnt hatten, etwa 31 Prozent des Eigentums und der Finanzen der Presbyterian Church, der United Church etwa 69 Prozent davon zugesprochen wurden, was annähernd dem Stimmenverhältnis gegen und für die Union entsprach. Die in den presbyterianischen Gemeinden verbliebenen antiunionistischen Minderheiten verursachten ein weiteres Problem, für dessen Lösung es kein Patentrezept gab - aber im ganzen gesehen wurde den Minderheiten, die in echte Bedrängnis geraten waren, entweder durch örtliche Verfügungen oder durch die Vermittlung der Provinzkommissionen Erleichterung zuteil. Ein weiterer Grund für Schwierigkeiten stellte die Verwendung des

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Namens „Presbyterian Church of Canada" durch die antiunionistischen Gemeinden dar. Die United Church machte auf Grund der Richtlinien der presbyterianischen Verfassung geltend, daß die Presbyterian Church in Canada nun in der United Church of Canada weiterlebte und dieser Tatbestand im Gesetz der United Church of Canada verankert war, das der Kirche Körperschaftsrechte verliehen hatte. Sie vertrat die Auffassung, daß sie durch den Beschluß der höchsten Behörde dieser Kirchen, die gemäß der Verfassung für die ganze Kirche handelte, die Nachfolge der Presbyterian Church in Canada auch bezüglich des Namens angetreten hatte. Die Anti-Unionisten gingen einfach von der These aus, daß die, die für die Union gestimmt hatten und ihr beigetreten waren, sich von der Presbyterian Church in Canada getrennt hatten und, die Gegner der Union weiter diese Kirche konstituierten. Die anti-unionistischen Gemeinden verwendeten diesen Namen freimütig und zählten ihre Vollversammlung fortlaufend von 1875 an. 1938 wurde zwischen den beiden Kirchen eine Ubereinkunft erzielt, nach der den anti-unionistischen Gemeinden das Recht verliehen wurde, den Namen zu verwenden, aber mit der Auflage, daß dies die Rechte und Befugnisse der United Church nicht beeinträchtigen dürfe, und daß diese Bedingungen durch einen Zusatz in das Staatsgesetz über die United Church of Canada aufgenommen werden sollten. Innerhalb der United Church selbst war das Problem, das unmittelbar nach dem Zusammenschluß das größte Unbehagen verursachte, die Aufteilung und Zuweisung der Pfarrstellen. Die Schwierigkeit beruhte auf dem Pfarrerüberschuß, der auf zwei Gründe zurückzuführen war: einmal auf die 187 Pfarrer, die für die Union gestimmt hatten und deshalb gezwungen waren, ihre gegen die Union eingestellten Gemeinden zu verlassen, und zum anderen auf die zahlreichen Gemeindefusionierungen, die auf die Unionsgründung folgten. An diese Möglichkeit hatte man nicht gedacht, obxyohl es auf der Hand lag, daß viele presbyterianische Pfarrer ihre Pfarrbezirke verlassen mußten und daß die Zahl der verfügbaren Bezirke rec{uziert werden würde. Dieses Problem, das durch die Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre erschwert und verschlimmert wurde, fand schließlich teils durch die Beibehaltung beider Pfarrer im Falle einer Fusionierung, bis einem von ihnen eine Stelle angeboten wurde, und teils durch einen Notstandsfonds eine Lösung, der geschaffen wurde, um Pfarrern ohne Gemeinde beizustehen. Es muß hinzugefügt werden, daß einige Pfarrer, die wohlbestallte Gemeinden verlassen hatten, freiwillig auf die Missionsfelder gingen und daß ein wirksamer Einsatz der Mittel trotz der Wirtschaftskrise erzielt werden konnte.

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Die unierten Kirchen

In den zehn Jahren, die dem Zusammenschluß folgten, fusionierten 642 Pfarrbezirke oder wurden neu gegliedert, andererseits aber wurden 291 neue Bezirke geschaffen. Das A m t für Heimatmission weitete seine Mittel aus, um 1100 Pfarrbezirken und 1336 Pfarrern, Laienpredigern und weiblichen Mitarbeitern zu helfen, deren Reaktion auf die Herausforderung der Zeit nichts weniger als heldenhaft war. Das A m t organisierte Hilfe für die durch Dürre heimgesuchten Präriegebiete. Hunderte von mit Kleidung, Früchten und Gemüse beladenen Güterwagen wurden aus dem übrigen Kanada dort hingeschickt. Es bleibt zweifelhaft, ob die neue Kirche für ihre Vereinigung besonderer äußerer Umstände bedurft hätte, aber daß sie so kurz nach ihrem Zusammenschluß ihre brüderliche Verbundenheit dadurch unter Beweis stellte, daß sie ihre Mittel mit anderen teilte, trug im eigenen Bereich viel zur Bildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls von Küste zu Küste bei. In anderer Hinsicht vollzog sich der Zusammenschluß ohne viel vordergründige Schwierigkeiten. Presbyterianer, Methodisten und Kongregationalisten vermischten sich ungehindert, und zum größten Teil war es fast unmöglich, sie auseinanderzuhalten. Und es bleibt eine bemerkenswerte Tatsache, daß entlang der denominationellen Grenzen in keiner Behörde der United Church of Christ eine Meinungsverschiedenheit zu verzeichnen war.

Freiheit, Autorität und Lehre Trotz der Tatsache, daß die die United Church konstituierenden Kirchen sich einander in Gottesdienstfragen, der Struktur und der theologischen Grundhaltung angenähert hatten und in eine Kirche zusammengefaßt worden waren, um dem kanadischen Volk in jeder Region wirksamer dienen zu können und die Nation durch das Eintreten für hohe moralische und geistliche Ideale zu einigen, langte die Kirche selbst bei einer eintönigen Gleichschaltung an, was ihr Wesen, ihre Lehre oder ihre ethische und soziale Grundhaltung betrifft. Die Kanadier sind von Region zu Region verschieden - und entsprechend verhält es sich auch mit den Mitgliedern der United Church. Die Bewohner der östlichen Provinzen neigen zu einer konservativeren Grundhaltung, die Menschen in den Prärieprovinzen tendieren zu einer liberalen Einstellung, und die Bewohner der mittleren Provinzen und der Westküste liegen irgendwo zwischen diesen Positionen. Trotz regionaler Unterschiede hat die Kirche eine Fähigkeit entwickelt, gangbare Entscheidungen zu fällen, ihren Grundsätzen treu zu bleiben und eine Einheit in Zielsetzung und Hand-

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lungsweise zu bewahren. Ihre unteren Organe - die Sitzungen, Presbyterien und Konferenzen - sind bevollmächtigt, das Leben der Kirche zu regeln und den Frieden aufrechtzuerhalten; der Generalrat übt gesetzgebende Gewalt über die ganze Kirche aus. Außerhalb der festliegenden Grundsätze, die in der Unionsbasis enthalten sind, wurden - wenn überhaupt - nur wenige kirchenamtliche Verordnungen erlassen, denn man ging davon aus, daß auf demokratischem Wege erzielte Entscheidungen das gesunde Empfinden der Christen, den guten Willen und die Toleranz des Volkes eher ansprechen würden. Obwohl die Kirche extreme Gedanken und Unternehmungen duldet, vermeidet sie sie im allgemeinen selbst bei kirchenamtlichen Maßnahmen oder Äußerungen. Diese Haltung kann auf dem Hintergrund der kanadischen Kirche verstanden werden. Wie oben ausgeführt, wurde die Entwicklung eines denominationeilen Pluralismus durch konfessionelle Konsolidierung und durch mannigfaltige Form der Zusammenarbeit und beiderseitige Gespräche so gesteuert, daß ein besseres Verständnis und eine Wertschätzung anderer Traditionen ein Maß an Toleranz und guten Willen zwischen den Kirchen zustande brachte. Die Union selbst war natürlich teilweise ein Ergebnis dieser toleranten Gesinnung, und in der United Church herrschte von Anfang an die Bereitschaft, divergierende Ansichten gleichberechtigt nebeneinander gelten zu lassen. Besonders soziale Fragen, aber auch andere Angelegenheiten führten in der United Church zu Meinungsverschiedenheiten, und oft werden zwei Fragen gestellt: 1. Welchen Standpunkt vertritt die Kirche hinsichtlich des Glücksspiels, des sozialen Wohnungsbaues und eines nationalen Krankenversicherungswesens? 2. Wer spricht für die United Church of Canada? Von der United Church kann gesagt werden, daß sie zu jeder Frage Stellung bezogen hat, wenn der Generalrat diesbezüglich eine Verordnung erließ oder wenn er seine Zustimmung oder Ablehnung gegenüber einer bestimmten Auffassung oder einer bestimmten Maßnahme zinn Ausdruck brachte. Ein solch offizieller Schritt bedeutet aber nicht, daß sich nun jedes Mitglied der Kirche damit einverstanden erklärt. Die Kirche besteht aus Menschen aller kanadischen Regionen und jeder gesellschaftlichen Schicht und es läßt sich nicht vermeiden, daß ihre Mitglieder in vielen Fragen verschiedener Ansicht sind. Der Herausgeber des offiziellen Organs, des „United Observer", braucht sich in seinen Leitartikeln nicht an kirchenoffizielle Standpunkte zu halten, obwohl von ihm erwartet wird, daß er diese Standpunkte bekanntmacht. Der Moderator der Kirche mag sich im Widerstreit zu einer offiziellen Erklärung befinden und kann das auch öffentlich äußern, aber in diesem Fall spricht er nur für sich und

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nicht für die Kirche. Nur der Generalrat oder jemand, der von ihm bevollmächtigt wurde, kann für die United Church sprechen. Den Verwaltungsbehörden oder den Abteilungen der Kirche muß aber ein gewisser Spielraum für die Auslegung der vom Generalrat erlassenen Verordnungen und bei deren Verwirklichung eingeräumt werden. Und das wiederum bedeutet, daß die für die Arbeit solcher Gremien Verantwortlichen Erklärungen abgeben müssen, die sie in Kontroversen verwickeln können. Aber die Kirche hat gelernt, mit unterschiedlichen Meinungen zu leben. Sie will die Freiheit ihrer Mitglieder nicht beschneiden; aber sie anerkennt auch als Zielvorstellung der Christen, daß sie „vollkommen eines Geistes sind". Deswegen bemüht sich die Kirche mit Hilfe geduldiger, gebetsreicher und unvoreingenommener Arbeit und Gesprächen eine gemeinsame Gesinnung zu erreichen und, auch wenn Differenzen weiterbestehen, ihre Einheit in Christus zu bekräftigen und „in Eintracht miteinander zu leben". Es bestehen Differenzen hinsichtlich des Verständnisses dogmatischer Fragen. Die offizielle Glaubenserklärung sind immer noch die zwanzig Artikel der Unionsbasis, auf die man sich im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts geeinigt hatte. Zusätzlich erklärt die Basis auch, daß sich die Kirche „den großen Glaubensbekenntnissen der alten Kirche verpflichtet fühlt". Es wird dabei auch die Ansicht vertreten, es sei an der Zeit, daß die Kirche ihrem Glauben einen der Sprache und Denkweise der Gegenwart entsprechenden Ausdruck verschaffe. Anderen genügen die zwanzig Artikel, und sie sind froh, daß sie sich auf eine offizielle Erklärung berufen können, die ihrer konservativen Haltung entgegenkommt. Und doch gibt es aus diesem Grund in der Kirche keine ernsthafte Spaltung. Die meisten Gemeinden sind aus konservativen und liberalen Elementen gemischt, die friedvoll nebeneinander leben, gemeinsame Gottesdienste halten und zusammenarbeiten. Interessanterweise scheinen sich theologische Standpunkte nicht entsprechend der erläuterten regionalen Unterschiede, sondern nach dem Grad der Beeinflussung eines Ortes durch die städtische Lebensweise zu verändern. Es gab deshalb keinen Versuch, die offizielle Lehrerklärung durch eine andere zu ersetzen; statt dessen zielte das Vorgehen der Kirche eher darauf ab, diese Erklärung zu ergänzen. 1940 wurde eine Glaubenserklärung veröffentlicht, die zwölf Artikel enthielt (tatsächlich aber länger war als die zwanzig Artikel); der Generalrat gab seine „grundsätzliche Zustimmung" und empfahl, sie „der Kirche zur Unterweisung der Jugend und zur Anleitung der Gläubigen". Sie war in dem Glauben erarbeitet worden, daß „Christen jeweils in jeder Generation dazu berufen sind, den Glauben der Kirche erneut nach der Denkweise ihrer

Die United Church of Canada eigenen Zeit und mit der für ihre Zeit notwendigen Akzentverlagerung" auszusagen, und mit dem Wunsch, „der Schrift und dem Zeugnis der allumfassenden Kirche treuzubleiben". Die Erklärung kann als liberal bezeichnet werden. Sie trägt eher affirmativen als erklärenden Charakter und vermeidet dadurch interpretierende Erklärungen, die Kontroversen hervorrufen könnten. Weil die Kirche aus dem Beweggrund, daß jede Auslegung dazu neigt, einige von der Gemeinschaft auszuschließen, es entschieden zurückwies, eine „offizielle" Auslegung der zwanzig Artikel vorzulegen, gab sie ein Buch mit dem Titel „This is Our Faith" von John Dow in Auftrag, das die Glaubenserklärung erläutern und damit den Lesern helfen soll, sich ein eigenes Verständnis über die darin enthaltenen Lehren zu bilden. Das Buch von Dow schlägt eine liberale Richtung ein, behandelt aber die Materie in durchaus biblischer und evangelischer Weise. Erst in jüngster Zeit hat die Kirche ein kurzes Glaubensbekenntnis von 90 Worten, das in zeitgenössischer Sprache gehalten ist, als mögliche Alternative zum Apostolischen Glaubensbekenntnis zur versuchsweisen Verwendung autorisiert. Die Dokumente, die seit Gründung der Union weithin bar jedes Dogmatismus vorgelegt worden sind, haben manchmal den Eindruck erweckt, daß die Theologie der United Church zu umrißhaft und verschwommen sei. Ein gutmeinender Kritiker drückte das so aus: , 3 s ist wahrscheinlich schwierig, innerhalb der United Church Häretiker zu sein: gegen was soll man denn rebellieren?" Eine dem wirklichen Tatbestand gerecht werdende Antwort müßte vielleicht so lauten, daß das Ziel der Kirche darin besteht, nicht Rebellen, sondern Jünger hervorzubringen, und zu diesem Zweck kann eine allgemein gehaltene Glaubenserklärung zusammen mit Andachtsliteratur, erläuternden Büchern und kleinen Schriften ihre Mitglieder befähigen, im Glauben eine Bedeutimg und Relevanz zu finden und ein Glaubensverständnis zu erlangen, das ihre Hingabe an Christus zu vertiefen und sie zu seinem Dienst auszurüsten vermag. Das fordert den Dialog, aber verhindert Häresieprozesse - sie sind glücklicherweise außerordentlich selten und bleiben grundsätzlich wirkungslos. Obwohl die glaubensmäßige Verschiedenheit groß sein mag und Unzufriedenheit darüber auch einige dazu führen kann, aus der United Church of Canada auszutreten, ist ihre Einheit nicht merklich geschwächt worden. Es widerspricht der ganzen Ausrichtung der United Church völlig, eine Zustimmung zu ihrer Lehrerklärung erzwingen zu wollen. Sie vertritt die Auffassung, daß Glaube nicht auferlegt werden kann, sondern daß es sich hier eher um etwas handelt, das Menschen innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft durch Gottesdienst

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und Unterweisung widerfährt. Eines der wenigen unbeugsamen Gesetze der United Church erklärt, daß nur die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Kirche gelten dürfen, die vom Neuen Testament festgelegt sind. Bei der Konfirmation werden nur wenige und einfache, den Glauben betreffende Fragen an den Konfirmanden gerichtet; sie sind in ihrem Bezug alle trinitarisch. Und wenn ein Kandidat für das geistliche Amt im Blick auf die Ordination geprüft wird, wird er nur gefragt, ob er der Lehrerklärung „im wesentlichen" zustimmen könne und sie als „in der Substanz der Lehre der Heiligen Schrift vereinbar" anerkenne.

Bildung, Arbeit und Gottesdienst

Die christliche Bildungsarbeit durch Sonntags- (oder Kirchen-)Schulen und während der Woche zusammentretender Gruppen wurde von der United Church of Canada und ihren Vorgängerinnen seit fast anderthalb Jahrhunderten in die Hand genommen. Während des größten Teils dieser Zeit vermochte sie mit Erfolg der Jugend das Wesentliche des Glaubens zu vermitteln, indem sie sie in das Leben und die Aktivitäten der Kirche miteinbezog und ihr Verantwortungsbewußtsein in der Kirche und in der Bürgergemeinde heranbildete. Außer dem Konfirmandenunterricht, den gewöhnlich der Pfarrer hielt, wurde diese Arbeit weitgehend von Laienkräften getragen. Das Material, das in Sonntagsschulen Verwendung fand, setzte sich aus zwei verschiedenen Teilen zusammen: aus Unterrichtsentwürfen, die Bibelabschnitte für Schüler behandelten, und Einzelblättern mit Geschichten für verschiedene Altersgruppen, die darauf abgestimmt waren, sowohl zu erbauen als auch gesunde Unterhaltung zu bieten. Im Jahre 1964 wurde ein neuer Lehrplan als Ergebnis einer zehnjährigen Vorarbeit in Gebrauch genommen. Einige wenige kritisierten, er sei voh modernistischem Denken verdorben - in Wirklichkeit beruht er zwar auf einem kritischen Verständnis der Bibel, weiß sich aber auch der Offenbarungslehre verpflichtet, nach der die Bibel den lebendigen Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist bezeugt. Dem neuen Lehrplan war zunächst Erfolg beschieden, aber die sechziger Jahre waren der United Church und vielen anderen Denominationen in Kanada nicht gerade hold. Sonntagsschulen und Wochengruppen für die Jugend hatten an Mitgliedszahlen und Besuch drastische Einbußen zu erleiden. Die Ursache dafür muß weitgehend beim Säkularismus gesucht werden, der die rasend um sich greifende Industrialisierung und Modernisierung der letzten drei Jahrzehnte begleitete. Nicht nur der Sonntags-

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schulbesuch nahm ab, sondern auch das Potential an verantwortlichen Kräften, die Mitgliederzahl der Kirche, der Gottesdienstbesuch und die finanziellen Beiträge verringerten sich. Offensichtlich hat das Interesse der Mitglieder und der Freunde der Kirche nachgelassen, und das, so scheint es, deutet auf eine Auszehrung des Glaubens hin. U m die Situation besser einschätzen zu können, müssen wir einen Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte werfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte für Kanada eine Zeit rapiden Wachstums ein, die hauptsächlich durch Einwanderung bedingt war. Zwischen 1951 und 1961 nahm die Bevölkerungszahl der drei größten kanadischen Städte 110141, 43 und 51 Prozent zu, und zwei andere Städte verdoppelten in dieser Zeit ihre Einwohnerzahl. Viele Einwanderer, vor allem aus nichtenglischsprachigen Ländern, ließen sich im Zentrum der Städte nieder, was oft zur Folge hatte, daß jede große Sprachgruppe ein Stadtviertel übernahm, während die früheren Hausbesitzer in die Vorstädte zogen. Zwischen 1945 und 1965, als Kanada den bisher blühendsten Aufschwung erlebte, wurden 1500 Kirchen oder kirchliche Anbauten und 600 Pfarrhäuser erstellt. Mit der zunehmenden Verstädterung hoffte die United Church of Canada einen Platz in der pluralistischen Gesellschaft als Gemeinschaft auszufüllen, die sich für die Milderung der rassischen, nationalen und gesellschaftlichen Spannungen einsetzte, die durch den raschen Zustrom von Menschen aus vielen Nationen verursacht waren. Aber die Wahrnehmung dieser Rolle erwies sich als schwierig. Nach einer neueren Untersuchung ist die Verstädterung für eine liberalisierende Tendenz nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in der Grundhaltung und der sittlichen Einstellung der Gesellschaft verantwortlich. Alteingebürgerte Sitten und Gesetze sind einem radikalen Wandel unterworfen. Eine strikte Einhaltung des Sonntagsgebotes, die vom nationalen Sonntagsgesetz 1906 gestützt wurde, veränderten die verschiedenen Provinzen drastisch, die zwar Gesetze zur Sonntagsheiligung nicht „verhindern", aber doch „erlauben" konnten. Dieser Wandel hat sich weitgehend als Folge des Einflusses europäischer Traditionen vollzogen. Der gleiche Einfluß machte sich bei der Liberalisierung der Gesetze, die den Genuß und Verkauf schwerer alkoholischer Getränke regelten, bemerkbar, die eine Zeitlang im ganzen Land verboten waren, aber schließlich der Kontrolle der Provinzregierung unterstellt wurden. Die Filmzensur und die Beschränkungen, denen Veröffentlichungen unterlagen, wurden ebenfalls stark liberalisiert. Die United Church, die mit dieser Entwicklung in engem Zusammenhang gebracht wurde, kam zu der Auffassung, daß diese liberalisierende Bewegung auf das Dahinschwinden einer übereinstimmenden Meinung

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ihrer Mitglieder zurückzuführen war, die gerade in den Fragen bestanden hatte, die einst ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl bewirkt hatten. In jüngerer Zeit machten kulturelle Umwälzungen revolutionären Ausmaßes deutlich, wohin sich die Kirche auf ihrem nur mittelmäßigem Ansehen, ihrer moralischen Selbstgefälligkeit und ihrem Reichtum hatte treiben lassen. Es brachen Fragen auf, die die Effektivität der Kirche, die Relevanz ihrer Worte und Taten und die Brauchbarkeit ihrer Struktur hinsichtlich ihrer Aufgaben in der Gesellschaft betrafen. Es kann nicht vorausgesagt werden, was diese Situation ergeben wird, aber sie stellt die Kirche vor schwerwiegende Probleme. Schätzungsweise 49 Prozent der Gemeinden der United Church in vor- und innerstädtischen Gebieten mußten klare Einbußen der Mitgliederzahlen hinnehmen und 14 Prozent vermochten überhaupt keine neuen Mitglieder hinzuzugewinnen. Die Ergebnisse einer neueren Untersuchung über die Tendenzen in Ballungszentren von Toronto, die auf schwere Mitgliederverluste und einen Rückgang der finanziellen Beiträge hindeuten, haben zu noch größeren Sorgen Anlaß gegeben. Falls sich das Beispiel von Toronto als typisch erweist, und wenn es zutrifft, daß geistliche und ethische Werte ebenso wie die der Kultur'im weiteren Sinne sich jeweils von den Städten auf das flache Land ausbreiten, dann steht die United Church einer Krise größeren Umfanges gegenüber. Hoffentlich führt die Erkenntnis der Kirche, daß sie zu stark vom kulturellen Bestand abhängig war, zu einer Erneuerung des Glaubens. Für ihre Erneuerung hat sich die United Church in der Vergangenheit immer auf irgendeine Form der Evangelisation verlassen. Das Ziel bestand dann weitgehend darin, die Menschen mit dem Wesentlichen des Glaubens vertraut zu machen und sie aufzufordern, ihr Leben ehieut Christus zu widmen. Die gegenwärtige Einstellung hinsichtlich des für die Erneuerung des Glaubens Notwendigen geht dahin, den Glauben tätig weden zu lassen; nicht so sehr Information, sondern vielmehr Engagement ist erforderlich, nicht so sehr Reflexion über eine gesellschaftliche Neustrukturierung, als vielmehr aktives Eintreten für die Linderung von Not, Leiden und Armut ist das Gebot der Stunde. All das steht mit der Gesamtkonzeption der United Church in Einklang. In gewisser Beziehung war sie immer eine Kirche der Aktivisten. Wie oben dargelegt, machten sich die sie konstituierenden Kirchen zum Gewissen der Nation. Sie waren sich früh der Notwendigkeit einer sozialen Reform bewußt. Sie ergriffen Partei für Abstinenz und eine strikte Einhaltung des Sonntagsgebots und bekämpften das Glücksspiel und die Prostitution. Später führte das Gewahrwerden des Elends in den Slums zur Gründung von Anstalts- und Schulmissionen. Die sich vertiefende Kluft zwischen reich

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und arm und die traurige Lage der ungelernten Arbeiter und der nichtorganisierten Arbeiterschaft führten zur Social Gospel-Bewegung und verlangten nach einer Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Man kann nicht sagen, daß hinsichtlich des Social Gospel Einmütigkeit in der Kirche herrschte, aber es wurde von vielen Methodisten stark befürwortet und in der United Church in den dreißiger Jahren wiederbelebt, und sicherlich hatte es großen Einfluß auf die steigende soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und die Entwicklung von sozialen Wohlfahrtsprogrammen in Kanada. Zwar hört man heute vom Social Gospel wenig, aber die Kirche weiß noch lebhaft um ihre Verantwortung, sich der Gesellschaft gegenüber kritisch zu verhalten und deren Lebensquellen zu reinigen. Und infolge der heute herrschenden Auffassung, ein klares christliches Zeugnis könne am ehesten auf die Weise erfolgen, daß kirchlich eingestellte Menschen sich in die säkulare Umwelt begeben, um ihr zu dienen (was also bedeutet, die Kirche in die Welt hinauszutragen, anstatt zu versuchen, die Welt in der Kirche zu vereinnahmen), engagierten sich in zunehmendem Maße einzelne Christen in Fragen wie der Slum-Säuberung und des Sozialen Wohnungsbaues, der Lokalpolitik, der Sorge um die alten Menschen, des Alkoholismus und der Rauschgiftsucht, Häuser der Offenen Tür für Jugendliche, Tageskinderkrippen, Gemeindezentren etc. Solche Tätigkeiten können entweder auf individueller Basis erfolgen oder sie werden organisiert und als Projekt einer Ortsgemeinde gefördert. Darüber hinaus arbeitet die United Church über verschiedene Ämter in ähnlicher Weise, indem sie Krankenhäuser, Schulen und Gemeindezentren, aber auch Kirchen in den neubesiedelten Gebieten Kanadas unterhält. Zusätzlich zu den ordinierten Pfarrern setzt sie Laienprediger, Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Berater und Pfarrer mit Sonderauftrag ein. Heute gibt es Beratungszentren wie ein Institut für Familienfragen, ein Seelsorgeinstitut und ein Hilfszentrum für besondere Notfälle. Einige Kirchen werden als Treffpunkt für nicht zur Kirche gehörende Jugendgruppen und Altersvereine benützt; andere werden dazu verwendet, um von der Schule verwiesene Jugendliche durch Lehrer beraten zu lassen, die sich freiwillig für diesen Dienst zur Verfügung stellen. Ein nationales Projekt für Evangelisation und Diakonie wurde von der Kirche in Gang gesetzt, um jeder Gemeinde dazu zu verhelfen, ihren Sendungsauftrag entsprechend den Bedürfnissen des Ortes, zu dem sie gehört, zu verstehen. Die United Church scheint denn auch einfallsreich auf die gegenwärtige Situation zu reagieren. Bis jetzt bestand die Tendenz, dem Nachlassen des Interesses an der Kirche oder einem Rückgang der Mitglieder- oder

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Beitragszuwachsrate mittels der Durchführung eines Evangelisationsfeldzuges oder einer finanziellen Sammelaktion entgegenzuwirken. In der Vergangenheit sah sie ihren Mittelpunkt in sich selbst, und dies mag notwendig gewesen sein zu einer Zeit, da sie sich bemühte, gegen recht widrige Umstände eine Kirche von Gläubigen aufzubauen, die imstande war, das Gesicht der kanadischen Gesellschaft entscheidend mitzuprägen. Heute versteht sie ihren Sendungsauftrag dahin, eine säkulare, urbanisierte Gesellschaft mit dem Evangelium der Liebe des durch Jesus Christus geoffenbarten Gottes zu durchdringen, und zwar mit Hilfe von Christen, die in ihrer säkularen Umwelt arbeiten. Die Antriebskraft für den missionarischen und diakonischen Dienst soll im Gottesdienst gefunden werden, und besonders in den vergangenen paar Jahren haben sich die üblichen Gottesdienstformen in der United Church bedeutend gewandelt. Kurz nach dem Zusammenschluß (1930) gab die Kirche ihr erstes Gesangbuch heraus, das so angelegt war, daß es Choräle aller Epochen der Kirchengeschichte enthielt, dazu aber auch solche, die den „Geist, die Geschichte und die Tradition" der Kirchen, die die Union gebildet hatten, verkörperten. Von einem ähnlichen Gesichtspunkt ließ man sich bei der Vorbereitung des Book of Common Order leiten, das 1932 veröffentlicht wurde. Es war darauf ausgerichtet, in Einklang mit dem christlichen Gottesdienst und der Frömmigkeit der verschiedenen Zeitalter zu stehen, gleichzeitig aber auch die Tradition der „geordneten Freiheit im gemeinsamen Gottesdienst" anzuerkennen, die für die konstituierenden Kirchen charakteristisch war. Die Verwendung der Gottesdienstformen des Book of Common Order ist nicht obligatorisch, mit Ausnahme eines Teils des Ordinationsgottesdienstes. In der Gottesdienstordnung und den Verzeichnissen für den Sonntagsgottesdienst und das Abendmahl wimmeln die Anweisungen von Zugeständnissen und Alternativen - damit suchte man der Freiheit gerecht zu werden, die ausdrücklich der „Führung des Geistes Christi folgen" will. Ein neues Gesangbuch wurde von einem Gemeinsamen Ausschuß der Anglican Church of Canada und der United Church im Blick auf die Union vorbereitet, über die beide Kirchen nun verhandeln. Es enthält etwa 500 Choräle, die alle Epochen der einen allumfassenden Kirche von den Anfängen bis zum Jahre 1970 repräsentieren. Etwa zwei Fünftel von ihnen finden sich auch in den früheren Gesangbüchern der zwei Kirchen; etwa 50 entstammen dem Gesangbuch von 1930 und 80 dem anglikanischen Gesangbuch; den Rest, etwa 170, bilden Choräle, die seit 1930 veröffentlicht oder speziell für das neue Gesangbuch geschrieben wurden. Das Book of Common Order wird auch ersetzt, aber durch drei Bücher

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statt durch eines. Zwei Gottesdienstbücher, eines für den Gebrauch der Pfarrer und das andere für die Gemeinde, sind bereits veröffentlicht worden; ein Gottesdienstbuch für den Gebrauch in Kirchgemeinderäten befindet sich noch in Vorbereitung. Wie im Fall des Book of Common Order räumen die Gottesdienstbücher ein großes Maß an Freiheit ein. Weder die Gottesdienstordnung noch die gedruckten Gebete sind in irgendeinem Sinne vorgeschrieben. Ein Merkmal, das verglichen mit dem Book of Common Order diesen Büchern eigen ist, besteht darin, daß sie für eine viel stärkere Beteiligung der Gemeinde sorgen. Früher beschränkte sich die Beteiligung der Gemeinde hauptsächlich auf das Singen von Chorälen und das Lesen von Psalmen, aber heute wird der Gemeinde Gelegenheit geboten, bei den Gebeten mitzusprechen, wie sie in den verschiedenen, gedruckten Ordnungen vorgeschlagen sind - einschließlich des Hochgebets im Abendmahl. Zusätzlich dazu wird ein großer Teil von Gottesdienstmaterial, vor allem Gebete, in beiden Büchern abgedruckt und steht so dem Gemeindegebrauch zur Verfügung. 100 ausgewählte Abschnitte aus den Psalmen haben im Gemeindebuch Eingang gefunden, die alle verschiedenartige Beteiligungsmöglichkeiten bieten, weil sie den Pfarrer, einen Laiensprecher, den Chor und die Gemeinde miteinbeziehen. Ein zweites spezifisches Merkmal der Gottesdienstbücher besteht darin, daß viele traditionelle Gebete und sogar ganze Gottesdienstordnungen und Psalmabschnitte vereinfacht und abgekürzt sind und ihre archaische Sprache ausgemerzt wurde. Einige der gedruckten Gottesdienstordnungen sind in traditioneller Form gehalten, reden Gott mit „thou" (dem „ D u " der Sprache des 17. Jahrhunderts (Anmerkung des Übersetzers) an, während andere in zeitgenössischer Gestalt das gebräuchliche „you" („Du") verwenden. Es läßt sich leicht feststellen, daß sich der Gottesdienststil in der United Church verändert hat. Ihre sie konstituierenden Kirchen maßen zweifellos der Freiheit und der Spontaneität im echten Gottesdienst große Bedeutung zu und hielten sie vielleicht für unabdingbar; sie tendierten dahin, über die in offiziellen Ausgaben verfügbaren Gottesdienstordnungen hinwegzugehen. Beim Sakramentsgottesdienst aber war der Gebrauch der vorgedruckten Gottesdienstordnungen weit verbreitet, obwohl die Pfarrer eine gewisse Formlosigkeit und das Sprechen freier Gebete bevorzugten. In den ersten Jahren der United Church zeichnete sich der Gottesdienst durch die gleiche Freiheit und Spontaneität aus; aber etwa in den letzten 25 Jahren ist als Reaktion gegen eine unpassende Sprache und den Wiederholungscharakter mancher freier Gebete die Verwendung vorbereiteter Gebete weithin üblich geworden. Nur bei

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seltenen Gelegenheiten war das Gebet noch wirklich spontan, gewöhnlich war es ein uneinheitliches Durcheinander, das durch ein gedankenloses Hinweggehen über das zentrale Anliegen des üblichen Gebetes oft nicht die Gedanken und Wünsche der Gottesdienstteilnehmer auszudrücken vermochte. Das neue Gottesdienstbuch erwuchs deshalb aus einem eindeutigen Bedürfnis nach Modellen und Material für den Gottesdienst, welche eine gewisse Würde und Ordnung mit einer zeitgenössischen Sprache verbinden. Sie haben nicht die Absicht, die Spontaneität zu unterbinden oder der Freiheit keinen Platz mehr zu lassen; in Wirklichkeit können sie viel dazu beitragen, beides zu fördern.

Amt und Sendungsauftrag Ein weiterer Faktor, der sich auf die missionarischen und diakonischen Vorhaben einer Kirche auswirkt, stellt ihr Amtsverständnis dar. Auch in dieser Hinsicht gewinnt die United Church neue Einsichten und erfährt Veränderungen. Sie glaubt, daß im Amt Gott in Christus handelt, der seine erlösende Tat durch die Kirche in die Welt hinaus ausdehnt; daß „das A m t " nicht wie einmal weithin verstanden, die Pfarrerschaft umfaßt, sondern das ganze Volk Gottes; und daß die, die in Gehorsam und Dienst dem Ruf Gottes Folge leisten, durch Taufe und Konfirmation in Dienst gestellt werden, das Amt der Kirche wahrzunehmen. Dies impliziert einen Wandel in dem bisher üblichen Amtsverständnis, nach dem der Pfarrer das Amt in Wort und Sakrament in einer Gemeinde ausübt und der Stellenwert der Laien in dem einen und unteilbaren Amt der Kirche neu eingestuft wird. Innerhalb des Amtes des Volkes Gottes hat die United Church eine Amtsordnung, die sie als das hauptberufliche Amt bezeichnet und das sich in ein ordiniertes Amt und in ein Laienamt mit Dienstauftrag gliedert. Im allgemeinen besteht die Aufgabe des hauptberuflich ausgeübten Amtes darin, die Kirche dazu zu befähigen, ihren Auftrag zu erfüllen. Das ordinierte Amt, zu dem seit 1936 auch Frauen zugelassen sind, umschließt nicht nur die, die eine seelsorgerliche, predigende oder missionarische Funktion wahrnehmen, sondern auch die, die im Lehramt und der Verwaltung beschäftigt sind. Ebenso sind Pfarrer mit Sonderauftrag miteinbezogen, die von Gemeinden oder Denominationen unabhängigen Institutionen getragen werden; es ist selbstverständlich, daß solche Pfarrer weiterhin ihrer Denomination angehören und ihrer Ordnung unterstehen. Das Laienamt mit Dienstauftrag umfaßt Diakonissen und nicht-ordinierte

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Geistliche, denen entweder Pfarrbezirke zugewiesen sind oder die sich in die Arbeit mit ordinierten Geistlichen teilen. Eine starke Bewegung, die ganze Mitgliedschaft der Kirche in ihr Amt einzubeziehen, führte zu einer Aufwertung der Rolle der Laien sowohl innerhalb der Struktur der Kirche als auch hinsichtlich des Verständnisses ihres Sendungsauftrages. 1968 wurde beschlossen, daß ein Laie für das Amt des Konferenzpräsidenten gewählt werden kann; und interessanterweise kann festgestellt werden, daß im gleichen Jahr der Generalrat einen Laien, einen langjährigen Missionsarzt, zum Moderator der Kirche gewählt hat. Ein Versuch, die Wahl eines Laien zum Vorsitzenden des Offlcial Board, dem obersten Leitungsgremium eines Pfarrbezirks, möglich zu machen, schlug fehl. Eine stärkere Vertretung der Frauen und der Jugend in den Vorständen und Verwaltungsgremien der Kirche und vor allem jüngere Kirchenvorstände konnte in den letzten Jahren bemerkt werden. Den Konferenzen wurde das Recht verliehen, die Mitglieder der Exekutive des Generalrats, der während der Zweijahresperiode zwischen den Ratssitzungen die Geschäfte führt, und die Mitarbeiter für die Verwaltungsämter der Kirche zu wählen, anstatt sie zu nominieren. Die Ausbildung zum Pfarrer erfolgt in acht theologischen Colleges mit Unterstützung der kirchlichen Abteilung für Ministry and Education. Die Colleges, von denen zwei integrierte Abteilungen von Universitäten sind, die mit der United Church in Verbindung stehen, sind autonom, arbeiten aber mit der Kirche in Lehrplanfragen und bei der Berufung von Professoren eng zusammen, um auch wirklich die für das Pfarramt nötige Ausbildung bieten zu können. Die Colleges oder Universitäten verleihen theologische Grade und zusätzlich dazu den Pfarramtskandidaten, die sich entsprechend qualifiziert haben (normalerweise wird ein Bachelor of Arts oder ein gleichwertiger Grad und eine dreijährige theologische Ausbildung verlangt) das Zertifikat, daß sie die ausbildungsmäßigen Voraussetzungen für die Ordination erfüllt haben. Die Ausbildung, die die Studenten in den Colleges erhalten, besteht gewöhnlich aus theoretischen und praktischen Fächern, die alle soweit wie möglich aufeinander abgestimmt sind. Gemeinsam mit den meisten anderen theologischen Seminaren auf dem amerikanischen Kontinent legen diejenigen der United Church Wert auf eine hinreichende Ausbildung in den praktischen Fächern, was durch praktischen Einsatz in den Gemeinden und durch die Ausbildung am Krankenbett erreicht wird. Eine Bestrebung zielt in der Weise auf die Reduzierung der Zahl der theologischen Colleges ab, daß einige von ihnen andere Funktionen zugewiesen bekommen, wie etwa die der Weiterbildung der Pfarrer, in

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der Hoffnung, daß durch die Unterstützung zahlenmäßig weniger theologischer Colleges die Kirche imstande sein wird, das Niveau und die Leistungsfähigkeit der verbliebenen Colleges zu heben. Aber noch größere Bedeutung kommt der Tatsache zu, daß sich eine theologische Ausbildung auf ökumenischer Basis, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre, nun verwirklicht hat. Ziel der Bewegung ist nicht in erster Linie die Fusionierung von Colleges, obgleich das gelegentlich geschehen kann, sondern die Ausbildung für den Pfarrerberuf in einem ökumenischen Bezugsrahmen erfolgen zu lassen. Die Bewegung entsprang der Erkenntnis, daß in dieser ökumenischen Zeit eine theologische Ausbildung in einer ausschließlich konfessionellen Umgebung in höchstem Maße inadäquat ist. Das erste theologische Seminar auf ökumenischer Basis in Kanada wurde in Toronto gegründet, als sieben Colleges, die die anglikanische, presbyterianische, römisch-katholische Kirche und die United Church vertraten, eine Föderation bildeten, der als Toronto School of Theology Körperschaftsrechte verliehen sind. Während die beteiligten Colleges im wesentlichen autonom bleiben und jeweils ihre eigenen akademischen Grade verleihen, setzen sie ihre Mittel gemeinsam ein, so daß die Studenten zu fast allen Vorlesungen aller Colleges zugelassen sind. Vor kurzem wurde in Halifax die Atlantic School of Theology gegründet, aber mehr auf einer Integrationsbasis als auf einer föderativen Grundlage. Die integrierten Seminare vertreten die anglikanische, römischkatholische und die unierten Kirchen. Die United Church erbte nicht nur die missionarische Perspektive und den missionarischen Enthusiasmus der sie konstituierenden Kirchen, sondern auch die meisten ihrer Missionsfelder in Übersee. Das Ziel ihrer Missionsarbeit besteht darin, allen Menschen und der ganzen Menschheit zu dienen. Ihrer Auffassung nach schließt Mission Evangelisation, Bildungsarbeit, Gesundheitswesen, Diakonie, wirtschaftliche Unterstützung und Hilfe in Notfällen mit ein. Von Anfang an existierte in Übersee das Element der Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, aber der Eifer, der von den methodistischen und presbyterianischen Kirchen herrührte, hatte dazu geführt, sich nach Missionsfeldem auszustrecken, die die Kirchen dann ihr eigen nennen konnten. Gleichzeitig entwickelte sich eine Einsatzfreude und eine Hilfsbereitschaft, die der Missionsarbeit weitverbreitete Unterstützung zukommen ließ. Die Kirchen vermieden aber auch eine Verdoppelung des Kräfteeinsatzes. Die kanadischen Kongregationalisten begannen ihre Arbeit 1882 in Angola in Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kongregationalisten. Die Tendenz zur Zusammenarbeit wuchs unter den

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drei Kirchen, besonders entlang der konfessionellen Trennlinien während des 19. Jahrhunderts, aber schon früh im 20. Jahrhundert wurde die Zusammenarbeit auf eine ökumenische Basis gestellt. Die United Church of Canada wußte sich von Anfang an einem weltweiten Missionsauftrag und einer ökumenischen Zusammenarbeit in der überseeischen Mission verpflichtet. Zwar ist die ganze Kirche durch ihren Generalrat für die Mission verantwortlich, aber verwaltungsmäßig ist das Amt für Weltmission für dieses Unternehmen in Ubersse zuständig, das für seine Arbeit annähernd ein Viertel der für denominationelle Zwecke bestimmten Gelder erhält. Entscheidungen, die sich auf die Strategie beziehen, werden gewöhnlich nicht vom Amt für Mission oder dem Generalrat, sondern auf dem Missionsfeld selbst getroffen, wo die Fragen auf dem Tisch liegen und wo sie lebendig und dringlich sind. Allerdings werden solche Entscheidungen vom Amt bestätigt und vom Generalrat gebilligt. Im Verlauf ihrer Missionsarbeit kam die United Church teilweise unter dem Druck nationalistischer Bewegungen in den Missionsfeldern selbst zur Erkenntnis, daß das Ziel der Mission, wo immer sie am Werk ist, die Entwicklung autonomer, finanziell unabhängiger und sich selbt ausbreitender christlicher Kirchen zu sein hat. In den ersten Jahren der Missionsarbeit (1927/28) kamen die Missionskirchen in China unter die Aufsicht der chinesischen Christen. Seit dieser Zeit spielte die United Church in Übersee immer mehr die Rolle einer Schwesterkirche, die ihre materiellen und personellen Mittel mit autonomen Kirchen teilte. So hat die United Church den Punkt erreicht, wo sie Mission partnerschaftlich betreibt. Immer noch gewährt sie den jungen Kirchen Unterstützung, aber nur auf deren Bitte hin. Missionare der United Church werden kostenlos an diese Kirchen ausgeliehen und kommen unter deren Leitung und Ordnung; auch zur Verfügung gestellte Mittel werden ihrer Aufsicht unterstellt. Die Art und Weise des Vorgehens wird nun von den Kirchenvorständen der Ortsgemeinden geregelt und die Missionare beteiligen sich, an der Strategieplanung und an anderen Entscheidungen nur dann, wenn sie als Mitglieder den Vorständen dieser Kirche angehören. In den letzten Jahren hat das riesige Ausmaß und die Schnelligkeit des allgemeinen Umbruchs die United Church gezwungen, ihre Missionsziele und ihre Missionsstrategie immer wieder zu überprüfen. Daraus gewann sie die Erkenntnis, daß größtmögliche Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit erforderlich sind, um den Wandel im Begriffsvermögen des Menschen in der Beherrschung seiner Umwelt und in seiner Lebensauffassung gerecht zu werden. Dementsprechend zielt die gegenwärtige

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Strategie darauf ab, Mission eher als Arbeit, die getan werden muß, zu verstehen, als einfach in bestimmten Gebieten ihren Dienst weiter zu tun. So können Missionare und Geldmittel dort zur Verfügung stehen, wo sie gerade benötigt werden, nicht nur in den traditionellen Missionsfeldern der United Church. Deshalb arbeiten zur Zeit 278 Missionare in 24 Ländern in Ubersee. Nur sechs dieser Missionsfelder wurden 1925 von der United Church übernommen und nur drei Felder wurden seit 1925 neu erschlossen. In diesen neuen Feldern - Angola, Brasilien, Hongkong, Indien, Jamaika, Japan, Korea, Trinidad und Sambia - arbeitet die United Church partnerschaftlich mit autonomen Kirchen zusammen. In den übrigen fünfzehn Gebieten tauchte das dringende Bedürfnis nach Missionaren mit speziellem Dienstauftrag auf - nach Evangelisten, Ärzten, Buchdruckern, Theologie-Professoren, Technikern, Sozialarbeitern, Lehrern usw. Außerdem können natürlich noch Geldmittel in andere Gebiete oder an - gewöhnlich ökumenische - Organisationen für ganz bestimmte Zwecke überwiesen werden. Einige der gegenwärtigen Sorgen der United Church bestehen darin, Menschen zu finden und so auszubilden, daß sie mittels eines Dialogs einen fruchtbaren Kontakt mit Christen herzustellen vermögen; weiter, Leute auszubilden, die in nichtkirchlichen Organisationen arbeiten; ihre Mitglieder, die entweder als Touristen oder als Geschäftsreisende nach Übersee kommen, so zu schulen, daß sie ein wirksames christliches Zeugnis ablegen; und schließlich geht es auch darum, ein engeres Verhältnis mit anderen Organisationen zu entwickeln, die mit ähnlicher Arbeit in Übersee befaßt sind.

Ökumenizität und Wiedervereinigung

Es kommt wahrlich nicht von ungefähr, daß die United Church of Canada von Anfang an ökumenisch ausgerichtet war. Eines ihrer ersten Anliegen bestand darin, sich in die drei weltweiten Konfessionskirchen aufnehmen zu lassen: den Internationalen Kongregationalistischen Rat, den Weltrat der Methodisten und den Reformierten Weltbund nach Ordnung der Presbyterianer; die Mitgliedschaft wurde in allen drei Organisationen gewährt. Der eigentliche Grund für dieses Anliegen zur Zeit der Unionsgründung war, dem Anspruch der United Church Rechtskraft zu verleihen, daß in ihr die Congregational Church, die Methodistische Kirche und die Presbyterian Church weiterbestünden. Auch andere Gründe könnten angeführt werden. Es war z. B. wichtig, andere Kirchen der Welt wissen zu lassen, daß drei Traditionen in einer

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organischen Union vereinigt werden können, ohne daß dabei wesentliche Werte aufgegeben werden müssen. Zusätzlich hielten die konfessionellen Kirchen die Erinnerung an die Traditionen aufrecht, die die United Church übernommen zu haben beanspruchte und ließen im Bewußtsein der Kirche die Frage lebendig bleiben, ob sie sich im Einklang mit diesem Erbe befinde. Obwohl diese Beziehungen mit den weltweiten Konfessionskirchen allen Seiten zum Vorteil gereichte, hat die United Church doch erkannt, daß in zunehmendem Maße noch umfassenderen ökumenischen Beziehungen Gewicht beigemessen werden muß. So wurde sie Mitglied im Canadian Council of Churches und dem Ökumenischen Rat der Kirchen, als diese 1944 bzw. 1948 zustande kamen. Sie beteiligte sich an deren Gründung, gewährte ihnen Unterstützung und verdankt der Verbindung mit ihnen ungezählte Vorteile. Und sie freut sich darauf, bis man unter deren Leitung durch Konsultation und Begegnungen zu einer noch größeren Tiefe der Verständigung der Kirchen untereinander finden wird, die sie wiederum zu ökumenischen Vorhaben für den Dienst in der ganzen Welt führen kann. Der Predigttext beim Eröflnungsgottesdienst 1925 lautete: „Wenn ein Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht." Die konstituierenden Kirchen glaubten, daß sie selbst absterben müßten, um zu leben und viel Frucht zu bringen, und der erste Generalrat erklärte, daß die United Church, wenn die Zeit komme, auch bereit wäre, ihre Eigenständigkeit zu opfern, um eine noch größere Einheit in Christus zu erreichen. Aber die Resolution enthielt eine Satz, der darauf hindeutete, daß die beabsichtigte Union sich „mit anderen evangelischen Kirchen" vollziehen sollte. 1935 erklärte die Exekutive des Generalrats, daß es der Zielsetzung der United Church entspreche, nicht mehr eine vereinigte, sondern eine vereinigende Kirche zu sein. Ein Jahr darauf drückte der Rat den Wunsch aus, mit „jeder anderen christlichen Kirche . . . , die in Einklang mit dem protestantischen Erbe steht" zusammenzuarbeiten oder sich zu vereinigen. Wirkliche Ökumenizität lag offensichtlich noch in fernerer Zukunft, und trotz ihrer Ankündigung führte die Kirche keinen allzu gewaltigen Kreuzzug für eine Kirchenunion. Es bleibt zweifelhaft, ob in den anderen Kirchen wirklich ein großes Verlangen nach Unionsgesprächen bestand, denn eine Zeitlang schien ein völlig neues, recht gefährliches Phänomen die Zukunft der Kirche herauszufordern, wenn nicht sogar in Frage zu stellen: die United Church hatte das Stigma - wenn es das wirklich ist der „Größe" zu bekämpfen. Das nur zögernde Zugehen der United Church auf eine weitere Union

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wird teilweise auf Grund der Befangenheit verständlich, die das Erlangen eines eigenen Zusammengehörigkeitsgefühls und das Zustandekommen eines eigenen Bewußtseins ausgelöst hatte. A m Ende der großen Wirtschaftskrise war das Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer unzweifelhaften Tatsache geworden, und die Plage der jahrelangen Unionsverhandlungen mögen ebensoviel wie die Wirtschaftskrise dazu beigetragen haben, die drei Kirchen zu einer einzigen zusammenzufügen. Etwas anders verhält es sich mit dem zustande gekommenen eigenen Bewußtsein, denn eine Kirche benötigt für die Entwicklung eines eigenen Charakters Zeit. In den vierundvierzig Jahren ihres Bestehens hat sich die United Church nicht speziell auf eine der sie konstituierenden Kirchen hin entwickelt, obwohl sie mit Erfolg deren wichtige Merkmale zu ihren eigenen machte. Einige Wesenszüge ragen heraus: energische Forderung der Reform in moralischen und gesellschaftlichen Fragen, das missionarische Anliegen und die geradezu angriifslustige Ausdehnungsmöglichkeit, dazu die Übernahme von Verantwortung in gemeinsamen Bemühungen und ökumenischen Beziehungen. Die Lebenskraft dieser kirchlichen Gemeinschaft wurde bemerkt, (und einige nannten die United Church einen „ruhmreichen Diakonieverein") ebenso die große Rolle, die die Laien spielten, der theologische Wagemut der Kirche, ihre Offenheit gegenüber liturgischen Neuerungen und ihr Erfolg beim Aufbringen von Geldmitteln. In der Zwischenzeit schleppte sich der kirchliche Zusammenschluß in Kanada hin. In den Jahren 1932 bis 1964 traten acht Gemeinden, die zu fünf verschiedenen Denominationen gehörten, der United Church bei. Unionsgespräche wurden mit drei kleineren Denominationen eine Zeitlang geführt, liefen sich dann aber tot. Eine von ihnen, die Canada Conference of the Evangelical United Brethren Church, aber nahm später die Verhandlungen wieder auf und schloß sich 1968 als erste Denomination der United Church of Canada an. Eine größere Bewegung setzte 1943 ein, als die Synode der Church of England in Canada „die christlichen Konfessionen in Kanada" einlud sich an Gesprächen zu beteiligen und ihr „Hoffen und Sehnen nach einer wiedervereinigten Christenheit" zu teilen. Die United Church nahm die Einladung an und nach dreijährigen Gesprächen legten die Ausschüsse der beiden Kirchen einen Entwurf über „ein gegenseitig anerkanntes A m t " vor. Ein solcher Entwurf, wäre er angenommen worden, lütte das Problem der organischen Union umgangen, für das die Kirchen noch nicht gerüstet waren, lütte aber dennoch eine Zusammenarbeit ermöglicht - die große Forderung der Stunde. Auf beiden Seiten wurde Kritik am Plan laut, und die Erklärung der anglikanischen Kirche, nur Priester

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könnten ihren Gemeinden die Sakramente verwalten, versetzten jedem ernst zu nehmenden Maß an Zusammenarbeit einen tödlichen Schlag. Nach langem Schweigen auf anglikanischer Seite erklärte der Generalrat der United Church 1958, daß Gespräche in Richtung auf eine Kirchenunion wiederaufgenommen oder formell beendet werden sollten. Die sechziger Jahre waren den Verhandlungen günstiger gewogen. Im Jahre 1965 einigten sich die Ausschüsse auf die Grundsätze der Union zwischen der Anglican Church of Canada und der United Church, die bald von den leitenden Gremien der Kirchen gebilligt wurden. Im Jahre 1969 nahm die Christian Church (Disciples of Christ) in Canada in vollem Umfange an Unionsverhandlungen teil. Zu Beginn des Jahres 1971 würde der anglikanischen Generalsynode und dem Generalrat der United Church ein Unionsplan unterbreitet, den sie zunächst dem Studium der Pfarrer und Laien empfohlen, wobei dann eine weitere Prüfung durch die leitenden Gremien im Jahre 1972 in Aussicht genommen wurde. Während man nicht sagen kann, daß eine weitverbreitete große Begeisterung und ein Enthusiasmus über die Aussicht auf eine Union in diesen Kirchen besteht, trifft es zu, daß ein tiefer und überall vorhandener Wunsch danach und eine wachsende Verständigung und eine Wertschätzung der Kirchen untereinander vorhanden ist. Die Zeit für eine Union ist reif. Vielleicht ist es ganz gut, daß die gegenwärtige Stimmung nicht nur aus Begeisterung und Enthusiasmus gespeist wird, die sich ja auch noch später gut einstellen können. Jetzt werden klares Denkvermögen, offene Gespräche und eifriges Beten gebraucht. Das geschieht in der Arbeit der Gemeinsamen Kommission und wird hoffentlich die Diskussionen in den Kirchen begleiten, wenn der Unionsplan vorliegt. Kirchenunion bleibt eine entscheidende Angelegenheit, und die Zukunft der drei Kirchen hängt von ihrer Verwirklichung ab.

LITERATUR Stewart Crysdale: The Changing Church in Canada: Beliefs and Social Attitudes of United Church People. Toronto. Board of Evangelism and Social Service. The United Church of Canada. 1965. The Churches and the Canadian Experience. Hrsg. von John Webster Grant. Mit einem Vorwort von David W . Hay. Toronto. The Ryerson Press. 1963. John Webster Grant: The Canadian Experience of Church Union. Ecumenical Studies in History, N o . 8. London. Lutterworth Press. 1967. George Pidgeon: Toronto. The Ryerson Press. 1962. Record of Proceedings of General Councils of The United Church of Canada. Ver-

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öffentlicht 1925, 1926; später alle zwei Jahre. The United Church House, 85 St. Clair A v e . East, Toronto 7, Canada. Claris Edwin Silcox: Church Union in Canada: Its Causes and Consequences. N e w York. Institute of Social and Religious Research. 1933. Year Book of The United Church of Canada. Jährliche Veröffentlichung. (Adresse wie bei Record of Proceedings).

VERZEICHNIS Kirchenverwaltung: 85. St. Clair Avenue East, Toronto 7, Ontario. Mitglieder der Kirchenleitung: Bischof A . B. B. Moore (Moderator) Pfarrer Emest E. Long (Generalsekretär). Abteilungen: Kommunikation, Finanzwesen, A m t und Bildung (mit Personalabteilung), Heimatmission. Amt für Weltmission Organisationen: United Church Men, United Church W o m e n , Kairos (für Jugendliche). Theologische Colleges: Emmanuel College, Toronto, Ontario; Pine Hill Divinity Hall, Halifax, Nova Scotia; Queen's Theological College, Kingston, Ontario; St. Andrew's College, Saskatoon, Saskatchewan; St. Stephen's College, Edmonton, Alberta; United Theological College, Montreal, Quebec; Vancouver, School of Theology (ökumenisch), Vancouver, British Columbia; Faculty of Theology, University of Winnipeg, Winnipeg, Manitoba. Schule für Laienmitarbeiter: Centre for Christian Studies, Toronto, Ontario. Universitäten und naturwissenschaftliche Colleges: Huntingdon College, Sudbury, Ontario; Mount Allison University, Sackville, N e w Brunswick; Victoria University Toronto, Ontario. Kommunikationsmittel: The United Church Observer, 8j St. Clair Avenue East, Toronto 7; Berkeley Studio (Radio, Fernsehen und Audiovision), 315 Queen Street East, Toronto, Ontario.

Kapitel 7 DIE C H U R C H OF C H R I S T IN C H I N A

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WALLACE C . MERVIN

ie Geschichte der Church of Christ in China stellt in jeder Arbeit über linierte Kirchen einen wichtigen Bestandteil dar. Sie erwuchaus einer der ersten Bemühungen des 20. Jahrhunderts, ein weites kirchliches Spektrum verschiedenen Ursprungs und unterschiedlicher Traditionen im Geist der christlichen Einheit zusammenzuführen. Geplant und verwirklicht wurde die Kirche während einer tiefgreifenden politischen Krise, als ein Bürgerkrieg im Gange war und fremde Truppen ins Land kamen, die normalen Verkehrsverbindungen unterbrochen und die Nation politisch gespalten war. Als aber ein kommunistisches Regime an die Macht kam, das grundsätzlich jeder religiösen Betätigung ablehnend gegenüberstand, wurde sie auf ihre härteste Probe gestellt. Aber trotz dieser sehr großen Schwierigkeiten vermochte sie in beträchtlichem Maße zu wachsen und sich zu entfalten, und im Ganzen gesehen kann das Unternehmen als erfolgreich veranschlagt werden.

Geschichtlicher Überblick Die Church of Christ in China war die erste Kirchenunion, die die denominationellen Grenzen in China überwand. In diesem riesigen Land, in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine verwirrende Fülle protestantischer Gruppierungen aus dem Westen, die jede dogmatische Schattierung vertraten, anzutreffen war, konnte es nicht ausbleiben, daß Kirchen mit ähnlichen Traditionen sich zueinander hingezogen fühlten. V o r der Gründung der Church of Christ in China fanden zumindest Fusionen in lockerer Form innerhalb ohnehin schon zusammenarbeitender Vereinigungen der Anglikaner (1912), Lutheraner (1920) und der reformierten Gruppen statt. In einer dieser Gruppen, dem Bundesrat der presbyterianischen Kirchen in China, wurde im Januar 1919 ein Plan für eine „United Church of Christ in China" entworfen. O b w o h l er in seinen Grundzügen presbyterianisch geprägt war, ist doch bezeichnend, daß sich Ve!rtreter der Londoner Missionsgesellschaft und dem

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amerikanischen Amt für Beauftragte der Außenmission beteiligten; beide waren zu jener Zeit kongregationalistisch ausgerichtet, obwohl sie als überkonfessionelle Organisationen gegründet worden waren. Der Plan nahm Gestalt an, als in Nanking im April 1918 eine Vollversammlung der Presbyterian Church in China einberufen wurde, in der auch kongregationalistische Kirchen vertreten waren und w o ein Ausschuß ernannt wurde, der einen Unionsplan entwerfen sollte. 1919 bildeten Kirchen mit presbyterianischer und kongregationalistischer Struktur in den Provinzen von Kwangtung und Fukien im südlichen China gemeinsame Regionalräte. Im April 1922 traf sich eine provisorische Generalversammlung in Shanghai. Sie nahm eine Verfassung und den Namen „Church of Christ in China" an, wobei Einzelgemeinden gestattet wurde, überkommene konfessionelle Bezeichnungen in Klammern hinzuzufügen. Dieser Name war zuerst von einer unabhängigen chinesischen Gemeinde verwendet worden, der Mi-Shih-Street-Gemeinde in Peking, die früher mit der Londoner Missionsgesellschaft in Verbindung gestanden hatte. Ch'eng Ching-yi, der in den ersten Jahren der Union eine lebenswichtige Rolle spielen sollte, hatte einige Jahre dieser Gemeinde als Pfarrer gedient. 1926 wurden Synoden der Church of Christ in China in Kwangtung (wo sieben Missionsgesellschaften zusammenarbeiteten), Süd-Fukien (fünf Missionsgesellschaften), Hunan und Hupei (vier Missionsgesellschaften) und Nord-Fukien (nur kongregationalistische Gemeinden) organisiert. A m 1. Januar 1927 schlössen sich 16 konfessionelle Gruppierungen an, während drei zusätzliche Gruppen sich im Vorbereitungsstadium zur endgültigen Mitgliedschaft befanden. Die erste Vollversammlung der Kirche fand, als sie offiziell als nationale Körperschaft ins Leben gerufen wurde, in Shanghai im Oktober 1927 statt. Delegierte aus 27 Provinzen waren zugegen, die ein Vidrtel bis ein Drittel der protestantischen Kirchenglieder in China vertraten. Es ist bezeichnend, daß sich dieses wichtige Ereignis in der Kirchengeschichte Chinas mitten während des nördlichen Feldzugs der nationalistischen Armeen vollziehen konnte, als ein Bürgerkrieg großen Ausmaßes tobte und starke antichristliche Gefühle bei gewissen Elementen der nationalistischen Kräfte, die die kommunistische Sache unterstützten, zutage traten. Pfarrer Ch'eng Ching-yi, eine hervorragende Führungskraft, auf den die weltweite Kirche auf der im Jahre 1910 stattgefundenen Weltmissionskonferenz in Edinburgh aufmerksam geworden und der damals Sekretär des National Christian Council of China gewesen war, wurde zum ersten Moderator gewählt. Pfarrer A . R . Kepler, ein presbyterianischer Missionar, der an den vorbereitenden Schritten für

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die Gründung und Planung stark beteiligt war, wurde zum Generalsekretär gewählt. Eine provisorische Satzung wurde gebilligt und der Name „Church of Christ in China" offiziell gutgeheißen. Dr. Ch'eng wurde 1933 ?um Generalsekretär der C C C gewählt. Die erfolgreiche Entfaltung der Kirche war besonders in ihren ersten Jahren nicht zum geringsten Teil der überragenden Führung dieses bemerkenswerten Mannes zuzuschreiben, der als einer der fähigsten Männer in der chinesischen Kirchengeschichte zu gelten hat. In einer in Edinburgh 1910 gehaltenen Rede erregten die folgenden Worte viel Aufmerksamkeit: „Offen gesagt, hoffen wir in naher Zukunft eine Vereinigte Chinesische Kirche ohne denominationeile Unterschiede entstehen zu sehen ... den Konfessionalismus hat das chinesische Denken nie interessiert." Diese Aussage erwies sich als prophetisch, und er selbst sollte mehr als sonst jemand zu ihrer Erfüllung beitragen. Dr. Ch'eng, der der wichtigen Jerusalemer Konferenz des Internationalen Missionsrates 1928 als Vizepräsident gedient hatte, stellt der Church of Christ in China bis 1938 seine eindrucksvollen Führungsqualitäten zur Verfügung, bis sein angeschlagener Gesundheitszustand ihn zum Rücktritt zwang. Er starb 1939. Der Biographical Dictionary of Republican China (erschienen bei Columbia University Press, 1968) beschloß den Bericht über sein Leben mit folgenden Worten: „Seit seiner denkwürdigen Rede in Edinburgh im Jahre 1910 war Ch'eng Ching-yi der lautstärkste Befürworter einer überkonfessionellen Zusammenarbeit und einer unabhängigen chinesischen Kirche. Während er im allgemeinen als Verwaltungsmann der zwei führenden, zusammenarbeitenden protestantischen Kirchen gesehen wird, übte er einen persönlichen Einfluß - als Initiator, Leiter und Berater auf faktisch jedes bedeutsame protestantische Unternehmen in China während der 30 Jahre seiner aktiven Laufbahn aus." Fast alle Mitgliedskirchen im Jahre 1927 waren calvinistischen Ursprungs und wiesen eine presbyterianische oder kongregationalistische Struktur auf, aber zur Union gehörten auch die United Brethren und die United Church of Canada, die teilweise auch methodistisch geprägt waren. Im Dezember 1927 schlössen sich auch die Shantung Baptisten, eine Schwesterkirche der englischen Baptisten, der Union an. Damit vollzog sich vielleicht das erstemal - als eine der wenigen Ausnahmen - der Beitritt einer baptistischen Gruppe in eine Unierte Kirche. Dr. Kenneth Scott Latourette, der nicht lange nach diesem Ereignis seine „History of Christian Missions in China" schrieb, nannte sie „umgreifender als jede kirchliche Union, die je in einem Land gegründet worden war" (S. 801). In den nun folgenden unruhigen Jahren zeigte die Kirche ein Wachstum

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nicht nur im Blick auf die Zahl der Einzelmitglieder, was für die meisten protestantischen Kirchen in dieser Zeit bis zum kommunistischen Sieg zutraf, sondern auch, weil laufend weitere Kirchen zur Union stießen. Zu ihnen zählten presbyterianische und reformierte Kirchen, die mit Missionsgesellschaften von Australien, Kanada, England, Irland, Neuseeland, Schottland und den Vereinigten Staaten in Verbindung standen und kongregationalistische Kirchen, die auf englische und amerikanische Missionsgesellschaften zurückgingen, sowie Kirchen, die den Evangelical United Brethren, der Schwedischen Freikirche, der Church of the Brethren, den Disciples of Christ und den Baptisten angegliedert waren. Eine kleine, aber gewichtige Gruppe bestand aus unabhängigen chinesischen Gemeinden, die in den meisten Fällen ursprünglich auf die Missionsarbeit zurückgingen, zu jener Zeit aber schon völlig autonom waren. Ständige „Neuerwerbungen" fanden in der Zeit von 1945 bis 1949 statt, und mindestens eine Gruppe kam noch dazu, als die Kommunisten die Macht ergriffen hatten. Es handelte sich um die weiterbestehende Presbyterian Church in China, die beträchtliche Mitgliederzahlen in der Shantung-Provinz aufwies, und es früher abgelehnt hatte, der Union beizutreten. Obwohl sich die Kirche überwiegend aus calvinistisch geprägten Mitgliedern zusammensetzte, hatte sie in Wirklichkeit eine große konfessionelle Bandbreite. Die Kirchenleitung war weise genug, nicht nach Gleichförmigkeit zu streben. Auf Grund einer gemeinsamen Übereinkunft wurde kein Glaubensbekenntnis angenommen, obwohl ein umfassendes „dogmatisches Band der Einheit" in die Satzung eingefügt wurde (Teil I, Artikel 3): Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Kirche ihren Glauben jeweils selbst formulieren muß, soll das „Band der Union" bestehen aus: (1) Unserem Glauben an Jesus Christus als unseren Erlöser und Herrn, auf den die christliche Kirche gegründet ist, und aus unserem ernsthaften Wunsch nach der Errichtung seines Reiches in der ganzen Welt. (2) Aus unserer Annahme der Heiligen Schrift, des Alten und Neuen Testaments als dem inspirierten Wort Gottes, als der höchsten Autorität in Fragen unseres Glaubens und Dienstes. (3) Aus der Anerkennung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses als Ausdruck der fundamentalen Lehren unseres gemeinsamen evangelischen Glaubens." Später wurde eine Kommission bevollmächtigt, eine „Glaubenserklärung" vorzubereiten, aber sie wurde infolge der politischen und militärischen Wirren der damaligen Zeit nie zum Abschluß gebracht. Einen vorgeschriebenen Ritus für die Taufe oder die Ordination gab es nicht,

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und den Synoden stand es frei, in diesen Fragen selbst über ihr Vorgehen zu entscheiden - ein wichtiges Zugeständnis an die Baptisten und Kongregationalisten in der Kirche im Blick auf Fragen wie die der Säuglingstaufe, der Taufe durch Untertauchen und der Gültigkeit der von der Gemeinde vollzogenen Ordination. Obwohl die Kirche bei der Nationalregierung im Jahre 1937 als Körperschaft mit Besitzstand eingetragen wurde (als erste und möglicherweise einzige protestantische Kirche in China) übernahmen die führenden Persönlichkeiten nur widerwillig die entsprechende Verantwortung und zeigten sich der Zeit nach 1945 weniger bereit, den Besitz des kirchlichen Eigentums anzutreten, als einige der Missionsgesellschaften bereit waren, ihr Eigentum in die Hände der Kirche zu übergeben. Diese Konzeption einer Art föderativen Union mit einem Mitarbeiterstab für die Vollversammlung, der nur „leicht im Sattel saß" und Synodal - undDistriktsvereinigungen, die eine beträchtliche Autonomie ausübten, wurde häufig von den C C C Führungsspitzen vorgetragen und in die Präambel der Verfassung mit folgenden Worten aufgenommen: „Die Church of Christ in China erkennt an, daß ein verschiedenartiges Wirken des Geistes für das echte Wohlergehen der Kirche ebenso unabdingbar ist wie das Einssein im Geist, und sie stimmt dem Grundsatz zu, daß die Befugnis der Vollversammlung auf die Angelegenheiten beschränkt werden soll, die für die Förderung und Wahrimg der echten Einheit wesentlich sind; jeder regionale Rat, jede Distriktsvereinigung und jede Ortsgemeinde sollen die größtmöglichste Freiheit haben, ihre Struktur, ihrem Gottesdienstleben und ihrem diakonischen Dienst, soweit sie mit der Einheit übereinstimmen, selbst Ausdruck zu verleihen." In ihrer ganzen Geschichte hielt die C C C die Tür für weitere Mitglieder weit offen. Es deutet auf das Fehlen eines engstirnigen Denominationalismus hin, daß Dr. H. H. Ts'ui, der Generalsekretär der Kirche seit 1938, Pfarrer der Methodistischen Kirche war, und im Verlauf der Jahre, die er der C C C diente, weiterhin ein hochangesehenes Mitglied seiner lokalen methodistischen Konferenz blieb, ohne daß innerhalb der C C C Druck ausgeübt wurde, diese Beziehung aufzugeben. Die Bindungen zur frühen ökumenischen Bewegung waren stark, und die Planung und Gründung der Kirche lassen sich direkt auf die große Missionskonferenz von Edinburgh im Jahre 1910 zurückführen. Soviel ich weiß, handelte es sich um die erste chinesische Kirche, die Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirche wurde (die Mitgliedschaft wurde übrigens nie offiziell aufgekündigt). Sie war ebenfalls Mitglied im Weltbund der Presbyterianischen Kirchen und dem Internationalen Kongre-

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gationalistischen Rat und entsandte Delegierte zu den Sitzungen dieser Organisationen, solange dies möglich war. Auf ihrer ersten Vollversammlung im Jahre 1927 ließ die Kirche eine Einladung an andere Kirchen ergehen, sich ihr anzuschließen, und die Einladung wurde auf jeder der ihr folgenden Vollversammlungen erneuert. Es lohnt sich, sie hier zu zitieren: „An alle evangelischen Kirchen in China, ob sie .junge' Kirchen der alten historischen Konfessionen sind, oder ob sie kleinere, weniger bekannte kirchliche Gruppierungen darstellen, oder ob es sich um die weit verstreuten, aber doch sichtbaren, unabhängigen Kirchen handelt - an jede und alle spricht die Church of Christ in China die herzliche Einladung aus, einzeln oder vereint im Blick auf eine beiderseitig wirksame organische Union zu verhandeln." Vertreter der C C C leisteten einen großen Beitrag bei der Vorbereitung der überkonfessionellen Hymns of Universal Praise, einem im allgemeinen ausgezeichneten Gesangbuch, das 1936 erschien. Ein Book of Common Worship, das kurz danach herauskam, war ein weiterer Baustein, der das Gottesdienstniveau zu steigern vermochte. Organisatorisch gesehen lag die Kirche auf der presbyterianischen Linie: sie wies Leitungsgremien in Ortsgemeinden auf, die sich aus ordinierten Ältesten oder Presbytern zusammensetzten. Distriktsvereinigungen mit Laien- und ordinierten Delegierten der Ortsgemeinden, Regionalsynoden und eine Vollversammlung. Es gab auch einen Generalrat mit 27 Mitgliedern, der je nach dem als Arbeits- oder ständiger Ausschuß zwischen den Vollversammlungen fungierte. Die Vierte Vollversammlung (1937) legte Pläne für eine Koordinierung der Zusammenarbeit mit den aussendenden Kirchen durch zwei Überseeräte (dem Londoner Rat der C C C und einem nordamerikanischen Beratungsausschuß) und für einen Missionsrat für die Zusammenarbeit in China mit Beratungsaufgaben fest. Diese Maßnahmen erwiesen sich aber infolge der'Kriegswirren weithin als unwirksam, und der in Aussicht genommene Missionsrat für Zusammenarbeit trat nie voll in Funktion. Fünf Vollversammlungen fanden zusätzlich zur provisorischen Vollversammlung im Jahre 1922 statt. Die erste und für die Organisation der Kirche entscheidende Versammlung, die 1927 in Shanghai zusammentrat, setzte sich aus 88 Delegierten, davon 66 Chinesen, zusammen und vertrat 1 1 Synoden und 53 Distriksvereinigungen. Die zweite Versammlung fand in Kanton im Jahre 1930 statt, die dritte in Amoy im Jahre 1933 und die vierte in Tsingtau 1937, kurz vor dem Ausbruch des Krieges mit Japan, mit 93 Delegierten, davon 75 Chinesen. Eine geplante fünfte Versammlung, die 1941 in Hankow hätte zusammentreten sollen, wurde

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auf G r a n d der militärischen Lage abgesagt. D i e fünfte (und letzte) V e r sammlung fand 1948 in S o o c h o w statt. Das Revised Directory of the Protestant Christian Movement in China, das v o m National Christian Council of China 1950 herausgegeben wurde, führte zu jener Z e i t 176983 abendmahlsberechtigte Mitglieder auf, zu denen noch annähernd 30000 zusätzliche Mitglieder gerechnet w e r d e n müssen, die durch den Beitritt der Presbyterian Church of China zur U n i o n (1951) dazukamen, oder etwa mehr als ein Fünftel der gesamten protestantischen Mitglieder, die das Verzeichnis angibt. Es gab 21 S y n oden (einschließlich Malayas, w o sich die Synode später auflöste, da es die politische Lage in beiden Ländern erforderte und es sich als u n m ö g lich erwies, die Verbindungen aufrechtzuerhalten); 496 ordinierte Pfarrer, 1053 organisierte Gemeinden und 1714 weitere Predigtplätze. Generalsekretär w a r H . H . Ts'ui, Sekretär der Missionsabteilung C . T . Ts'ai, Bildungssekretär C . S. C h u , und chinesische Pfarrer w a r e n für die drei Missionsprogramme der Kirche verantwortlich, auf die unten noch B e z u g genommen wird. Eine Monatszeitschrift, Kung Pao, deren Erscheinen in den 50er Jahren eingestellt wurde, erzielte eine A u f l a g e v o n 3200 Exemplaren. Es gab vierzehn theologische Schulen, die mit der Kirche in Verbindung standen (faktisch alle selbst überkonfessionell), zehn Universitäten, 78 Mittelschulen und 82 Krankenhäuser in Zusammenarbeit mit 19 Missionsämtern b z w . -gesellschaften. D i e Z a h l der kirchlichen Institutionen w a r v o r 1937 beträchtlich gewachsen. W ä h r e n d des Krieges mit Japan w u r d e n viele Institutionen geschlossen oder zerstört und eine Anzahl verstaatlicht. Z u den wichtigsten geplanten Vorhaben zählte das Hilfsprogramm, das unter dem N a m e n National Council for Service of Wounded Soldiers in Transport bekannt w a r und in den Jahren 1937 bis 1939 als Maßnahme im Blick auf die unglaublichen Leiden und die Verwahrlosung der V e r wundeten in den ersten chaotischen Jahres des Krieges mit Japan durchführt wurde. Später entstand daraus eine unabhängige Organisation, die völlig v o n der Regierung unterstützt wurde. D r e i Missionsunternehmen wurden v o n der Kirche durchgeführt. D i e Church Mission w u r d e 1937 v o n der Vierten Vollversammlung als verantwortungsbewußtes Bemühen v o n Seiten der C C C , die abgelegene und vernachlässigte Provinz v o n K w e i c h o w i m Südwesten Chinas zu erreichen, begonnen. Das Z i e l bestand darin, diese Mission vollständig m i t Finanzmitteln und Mitarbeitern der chinesischen Kiche auszustatten, aber während der turbulenten Kriegsjahre w u r d e n v o n einigen m i t arbeitenden Missionsbehörden gewisse Unterstützungen gewährt.

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Die Border Mission wurde 1939 organisiert, um bei den in Stämmen lebenden Ureinwohnern in den wilden, gebirgigen Grenzgebieten nahe Tibets zu arbeiten. Die Arbeit geschah vorwiegend unter Tibetanern und Angehörigen des primitiven Lolo-Stammes. Die Tibetaner waren Anhänger des lamaistischen Buddhismus, während die Lolos Animisten waren, die Geister verehrten. Die Lolos zählten etwa zwei Millionen. Sie verhielten sich gegenüber den Chinesen seit jeher feindselig, die in dieses Gebiet vorgedrungen waren und sie nach dem gleichen Schema ausbeuteten, auf das man in vielen Teilen der Welt stößt: entwickelte Völker breiten sich in unterentwickelten Gebieten aus. Die chinesische Regierung unterstützte das Vorhaben der Mission und gab finanzielle Hilfe für pädagogische, medizinische und soziale Dienste, während die Kirche die ganzen Kosten der evangelistischen Arbeit übernahm. Die pädagogische und medizinische Arbeit bestand zum großen Teil aus „Volksschulen" und Kliniken, die den weitgehend analphabetischen Stammesangehörigen zur notwendigsten medizinischen Versorgung und zu einer Allgemeinbildung verhalfen. Schulen und Gesundheitsdienste konnten gewöhnlich in Lamatempeln unter Zusammenarbeit und mit Hilfe der Ortseinwohner und der Priester.arbeiten. Im allgemeinen unterstützten die Lolohäuptlinge das Programm und begrüßten es geradezu begeistert; in vielen Fällen baten sie die Kirche, weitere Programme in Notstandsgebieten in Gang zu setzen. Ein drittes Missionsprojekt war das der Yuttnan Mission, die organisiert wurde, um bei den diakonischen Aufgaben an den Menschen dieser weitentlegenen südwestlichen Provinzen mitzuhelfen, einschließlich vieler Flüchtlinge aus den japanisch besetzten Gebieten weiter östlich. Besonderes Gewicht gelegt wurde auf den Dienst an den .vielen Studenten, die in diese Gegend gekommen waren, da es hier viele Universitäten gab. Sie waren aus dem von den Japanern besetzten Küstengebiet geflohen und lebten nun von ihren Familien völlig getrennt in großer Entbehrung. Es bestand von Anfang an eine freundschaftliche Zusammenarbeit unter den christlichen Kräften, die schon in der Gegend arbeiteten, was sich auch bei der Gründung neuer Gemeinden auswirkte, die größtenteils aus Flüchtlingen aus dem Osten bestanden, aber auch Neuzugänge Einheimischer miteinschlossen. Seit dem Regierungswechsel im Jahre 194.9 w a r jede kirchliche Tätigkeit in zunehmendem Maße Beschränkungen unterworfen. Faktisch waren keine denominationeilen Treffen möglich, und während die Regierung keine Anstrengungen unternahm, eine Kirchenunion zu erzwingen, sind die denominationellen Grenzen vor allem aus praktischen Gründen hinfällig geworden. Die einzige kirchliche Organisation, die mit der Regie-

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rung .verhandelte, war die „The Three Seif Reform Movement" (was sich auf die Selbständigkeit in finanzieller, verwaltungsmäßiger und missionarischer Hinsicht bezog), die von führenden Persönlichkeiten organisiert war und von der Regierung zumindest als Vermittler zwischen den protestantischen Kirchen und der Regierung geduldet wurde. Dr. H. H. Ts'ui, Generalsekretär der C C C , engagierte sich stark (freiwillig oder unfreiwillig) an der Entwicklung dieser Bewegung, die bald zu Ausschüssen auf nationaler, provinzieller und lokaler Ebene führte. Unter ihrer Schirmherrschaft - oftmals in Zusammenarbeit mit Regierungsinitiativen - wurden nationale und andere Treffen abgehalten, bei denen zum Teil Anklagen und Anschuldigungen gegen chinesische oder Missionarskollegen vorgebracht wurden. 1959 mußte Dr. Ts'ui selbst als Zielscheibe solcher Anklagen herhalten. Das China Bulletin vom 1 1 . November 1959 (Band IX, Nr. 20) berichtete auf Grund einer Information aus einer chinesischen christlichen Zeitschrift namens T'ien Fetig folgendes: „Pfarrer H. H. Ts'ui ist vor kurzem als Generalsekretär der Church of Christ in China zurückgetreten. Dies war die Folge davon, daß er als .schlechtes Element' (einer Kategorie, die sich vor derjenigen eines .Rechten' unterschied und mit der man gewöhnlich nachsichtiger umging) eingestuft wurde, weil er in den Jahren 1950-1951 und vor allem, als er Hongkong einen Besuch abstattete, in Verbindung mit Missionaren stand. Er wurde jetzt einem .Untersuchungsausschuß' des United Protestant Publishing House zugewiesen. Dieser Ausschußzählt über 20 Mitglieder, deren Aufgabe darin besteht, jedes historische Beweismittel über korrupte Tätigkeit durch protestantische Missionare und protestantische Kirchen aufzuspüren und sie dem CVJM-Sekretär Kiang Wen-han zu berichten, der als verantwortlicher Herausgeber dieses Material für eine Veröffentlichung vorbereitet." Im Juni 1962 enthielt ein Bericht im China Bulletin (Band XII, Nr. 6) über Einzelheiten der Januar/Februar-1962-Ausgabe von T'ien Feng, in denen auf einen in Shanghai stattgefundenen Neujahrsempfang des Three Seif movement Bezug genommen wurde, folgendes Zitat: „Dr. H. H. Ts'ui war anwesend, und seine derzeitige Tätigkeit, eine Geschichte der Religion als imperialistisches Instrument zusammenzustellen, wurde zur Kenntnis genommen". (Eine der besten Darstellungen der Verhältnisse der protestantischen Kirchen in dieser Zeit findet sich bei Francis P. Jones, The Church in Communist China, a Protestant Appraisal, erschienen bei Friendship Press im Jahre 1962.) Einzelinformationen aus dieser Zeit waren dürftig, und offensichtlich kam

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jeder konfessionelle Apparat zu einem völligen Stillstand. Im Jahre 1958 nach einer Zeit der Anschuldigungen gegen Kirchenführer, die sich gegenüber der Regierung kritisch geäußert hatten, als der Vorsitzende zur offenen Kritik zu ermutigen schien - vollzog sich eine allgemeine Vereinheitlichung des Gottesdienstes. Einzelne Kirchen wurden „freiwillig" geschlossen und leerstehende Kirchengebäude wurden dem Staat zur öffentlichen Benutzung übergeben. In Peking wurde die Zahl der Gemeinden von 65 auf 4 reduziert, in Shanghai von über 200 auf 23 oder weniger. 1966, während der „Großen Proletarischen Kulturrevolution", in deren Verlauf vor allem Institutionen und Denkweisen der Vergangenheit attackiert wurden, kam es zu einer Schließung aller Kirchen, und viele Kirchengebäude wurden geschändet oder einem fremden Zweck zugeführt. Mit möglicherweise sehr wenigen Ausnahmen werden jetzt nirgendwo in China noch öffentliche Gottesdienste gehalten. Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß die Church of Christ in China als organisierte Größe schon längst nicht mehr existiert, und es bietet sich keine Möglichkeit, derzeit in Erfahrung zu bringen, ob sie im Laufe der Jahre und einer eventuellen Erneuerung des kirchlichen Lebens in China je wieder in Erscheinung treten wird.

Der Rat von Hongkong

Während es allem Anschein nach dip Church of Christ in China als organisierte Größe nicht mehr gibt, führt ein Teil dieser Kirche weiterhin ein Sonderdasein. Es handelt sich um den Rat von Hongkong der Church of Christ in China, der ursprünglich eine Distriktsvereinigung der Kwangtung Synode der C C C bildete. Die Kirche entstand als Ergebnis der Arbeit der Londoner Missionsarbeit, die mit ihrem Dienst in den ersten Jahren dieser Kolonie begann. Hongkong war, obwohl es an China angrenzte und hauptsächlich von Chinesen bevölkert wurde, als britische Kronkolonie während über 100 Jahren eine besondere politische Einheit. Folgerichtig erklärte sich der Rat von Hongkong der Church of Christ von China 1951 aufgrund der politischen Situation und des faktisch völligen Zusammenbruchs der Verbindungswege mit China zur autonomen Körperschaft. Als solche setzte er sein Eigenleben fort und legte ein beträchtliches Maß von Vitalität an den Tag. Er betrachtet sich als „Tochterkirche" der C C C . Missionsbehörden in Großbritannien, Australien, Neuseeland, Kanada und den Vereinigten Staaten arbeiten mit dieser Kirche zusammen. Im Jahre 1968 veranschlagte der Rat von Hongkong der C C C für sich

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annähernd 20000 Mitglieder (womit er zahlenmäßig hinter den Baptisten gleich an zweiter Stelle der protestantischen Gruppierungen steht), verglichen mit 7000 Mitgliedern im Jahre 1958, was einen Zuwachs von mehr als 100 Prozent bedeutet. In dieser Zeit zählte man 26 organisierte Gemeinden; bedeutende Bildungs- und Sozialprogramme wurden von der Kirche durchgeführt. Das Bildungsprogramm des Rates umfaßte 1968 vierzehn Kindergärten, 31 Volks- und elf Mittelschulen, die im Jahre 1970 von schätzungsweise 40000 Schülern besucht wurden. Der Rat kommt für eine Klinik auf, für ein Gesundheitsprogramm für die Schule, für Sommerlager, für Kinder- und Jugendprogramme in den Neubausiedlungen (von der Regierung erstellte Sozialwohnungen für den großen Zustrom von Menschen aus dem Festland, die in den Nachkriegsjahren in die Kolonie gekommen waren)und für ein Café für junge Arbeiter. Er ist eine der Abteilung für Philosophie und Religion des Ch'ung Chi College (New Chinese University of Hongkong) angeschlossenen Körperschaften, wo seine Theologiestudenten ihre Ausbildung erhalten.

Die Bedeutung der Church of Christ in China

Man folgerte voreilig, wenn man behauptete, dieser Abschnitt der Kirchengeschichte sei ohne Bedeutung oder Wert geblieben. Hier haben wir es mit einem Versuch zu tun, christliche Einheit von bemerkenswerter Tiefe trotz der Verschiedenartigkeit der Beteiligten herzustellen, der darin erfolgreich war, Christen unterschiedlicher Tradition zu vereinen und zur Zusammenarbeit zu führen, was wiederum das Leben der christlichen Bewegung in China und die Nation entscheidend mitprägte. Die Union wurde aufgrund der hingebungsvollen Arbeit einer Handvoll Männer, Chinesen un4 westlicher Missionare, erreicht, die sich der Sache der christlichen Einheit als Erwiderung auf das Gebet des Herrn „auf daß sie alle eins seien" zutiefst verpflichtet wußten. Die Schwierigkeiten bei der Gründung und dem Wachsen der C C C waren ungeheuerlich. Wir wiesen schon darauf hin, daß die Zeit ihrer aktivsten Lebensjahre durch große Wirren, politischen Umsturz, Unruhe und Krieg erschüttert wurde, was eine für die modernere Geschichte fast beispiellose Zersetzung des täglichen Lebens zur Folge hatte. Innerhalb der Kirche selbst gab es ernsthaften Widerstand degen die Union. Teilweise war er auf die Haltung in gewissen moralischen Fragen, wie dem Wein- oder dem Tabakgenuß, zurückzuführen. Sehr konservative Elemente vor allem, aber nicht nur aus der Gruppe der Missionare, widersetzten sich jeder Art der Union. Ironischerweise weigerte sich anderer-

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seits eine Gruppierung - die North China Congregational Church - , sich der Union anzuschließen, mit der Begründung, sie sei zu konservativ! Die Bindungen an die Konfession waren teilweise tief verwurzelt, besonders in den ersten Jahren der C C C . In einem Fall - der HopeiProvinz von Nord-China - hielten zwei Synoden presbyterianischen bzw. kongregationalistischen Ursprungs während mehr als 20 Jahren bis nach der Errichtung der Volksrepublik in China getrennte Strukturen und ein kirchliches Eigenleben aufrecht, obwohl beide Synoden der C C C angehörten. Während dieser Zeit war die Kirche zu einem großen Ausmaß auf allen Ebenen von der Unterstützung durch die Missionsgesellschaft abhängig, und die konfessionellen Bindungen mit den sie unterstützenden Kirchen waren oft lebenswichtiger und stärker als die zu anderen chinesischen Kirchen. Gerechterweise muß aber gesagt werden, daß die kooperierenden Missionsbehörden und viele Missionare zum größten Teil die Sache der Union unterstützten. Zu jener Zeit hatte sich noch nicht viel nationales Bewußtsein in China entwickelt und die Bindung an die lokale und regionale Umwelt war sehr stark. Der Werdegang der Union wurde nicht nur durch ungenügende Verkehrsverbindungen aller Art behindert, die durch das zivile und militärische Durcheinander weiter zerrissen wurden, sondern auch durch die weite Zerstreuung der Mitglieder. Ortsgemeinden, besonders außerhalb der großen Städte, waren in vielen Fällen sehr klein. Schließlich bestand ein nicht unbeträchtliches Problem in dem starken Individualismus der meisten chinesischen Führungskräfte, besonders auf lokaler Ebene, und der dem Leben in China anhaftenden Uneinigkeit und dem Provinzialismus. Dies erschwerte es natürlich sehr, die uneingeschränkte Einheit in China zu erreicheil. Andererseits gab es sicher auch Umstände, die die Union begünstigten. Seit Beginn der protestantischen Missionsarbeit in China bestand ein beträchtliches Maß an Zusammenarbeit und, zumindest unter den historisch gewachsenen kirchlichen Missionsgesellschaften, sorgfältig bestimmte und geachtete Absprachen, um Konkurrenz zu vermeiden. Viele der wichtigsten pädagogischen und medizinischen Institutionen beispielsweise wiesen einen konfessionell gemischten Mitarbeiterstab auf und wurden auch von verschiedenen Kirchen gemeinsam getragen. Einen bedeutsamen Einfluß übte zweifellos die Tatsache aus, daß fast alle der theologischen Seminare überkonfessionell waren. Es bestand eine Abneigung und auf Seiten vieler befähigter Kirchenführer einfach keine Bereitschaft, die vom Westen importierten denominationeilen Spaltungen zu übernehmen. Ein deutliches Anzeichen dafür lieferte eine Aussage inLet Us Unite, einer offiziellen Veröffentlichung der C C C im Jahre 193 5:

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„Wir glauben, daß unter allen chinesischen Christen eine wesentliche Einheit besteht und daß wir dem Empfinden der ganzen chinesischen Christenheit Ausdruck verleihen, wenn wir behaupten, daß wir den Wunsch haben und die Möglichkeit sehen, eine rasche Verwirklichung einer organisatorischen Einheit zu bewerkstelligen und wenn wir alle Missionare und Vertreter der westlichen Kirchen anrufen, durch selbstaufopfernde Hingabe an unseren Herrn alle Hindernisse zu beseitigen, damit das Gebet Christi für die Einheit in China in Erfüllung gehen kann." Dies gab den starken Wunsch nach Einheit wieder, der im allgemeinen für die Kirchen, die sich in der CCC vereinigten, charakteristisch war; es waren Kirchen, die zum größten Teil eine starke evangelische Tradition verband und die kaum wesentlich zu nennende Unterschiede in Lehre oder Struktur aufwiesen. Die presbyterianischen Kirchen standen schon in einer organisatorischen Zusammenarbeit und bildeten den Kern für die neue Unierte Kirche, als sie zustande kam. Schließlich fehlte eine starre Haltung gegenüber chinesischen Gepflogenheiten, was sich besonders in der dann so entstandenen Struktur der CCC bemerkbar machte und die Union begünstigte.

Die positiven Ergebnisse der Union Die positiven Ergebnisse der Union waren in der kurzen Lebensdauer der CCC - wenig mehr als eine Generation existierte sie als arbeitsfähige, eigene Größe - nicht unbeträchtlich. Man kann wohl mit Sicherheit annehmen, daß sie, falls die Umstände ihr ein längeres Leben erlaubt lütten, wohl noch größer gewesen wären - sie hätten einen entscheidenden und gewichtigen Einfluß auf das Leben der gesamten christlichen Kirche in China und auf das Leben der Union ausgeübt. Sicher müssen zu den positiven Ergebnissen der Union, die einer Erinnerung wert sind, folgende gerechnet werden: 1. Die CCC war eine echt nationale Kirche in einer Zeit, in der sich ein nationales Bewußtsein heranbildete. Alle Teile der Nation waren vertreten. Nach chinesischer Reihenfolge Süd und Nord, Ost und West. Es gab sogar eine chinesische Kirche in Malaya, während viele Anzeichen auf ein wachsendes Interesse und auf eine Unterstützung von seiten der kleinen christlichen Gemeinden in Südostasien und anderswo außerhalb Chinas hindeuteten. Nach Erfahrung des Beobachters fand eine der bemerkenswertesten Veränderungen im Denken der lokalen Kirchenführer und der Mitglieder nach Beendigung des pazifischen Krieges im Jahre

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1945 statt. Das Bewußtsein wuchs, nicht nur mit einer Ortsgemeinde oder mit dem alten Recht der Denomination verbunden zu sein - so schwer es älteren Leuten fiel, dies fallen zulassen-sondern einer nationalen chinesischen Kirche mitanzugehören. Dieser Wechsel ging natürlich mit einer starken Zunahme des nationalen Bewußtseins Hand in Hand, das im großen Maß auf den langen und erbitterten Kampf um Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit während des Krieges zurückgeführt werden kann, der im Nordosten 14 Jahre und anderswo fast ebensolang andauerte. Es war bewegend zu hören, wie sich die Kirchenglieder nicht mehr als „Presbyterianer" oder „Kongregationalisten" bezeichneten, sondern als Angehörige der C C C - eine Identifizierung, die sich schon seit längerer Zeit angebahnt hatte. 2. Eng damit verbunden wuchs das Selbstbewußtsein der C C C und ihre Identifizierung als chinesische Kirche. Das Stigma, eine „fremde Religion" zu verkörpern, ließ sich verständlicherweise nur schwer ausrotten, aber die Erfahrung der Kriegsjahre, die zunehmende Stärke der chinesischen Führung, der Sinn für ein eigenes Selbstverständnis, der sich während des Kampfes der Nation gegen eine Invasion in einer Zeit großen Leidens und der Gefahr heranbildete, und die Selbstversorgung großer Teile der Kirche, da alle Unterstützung von westlichen Kirchen für Jahre für weite Gebiete der Nation unterbunden war: dies alles stärkte die Stellung der C C C als wirklich chinesische Kirche - eine Tatsache, die immer mehr von Chinesen außerhalb, aber auch innerhalb dieser Kirche anerkannt wurde. Während die C C C in ihrer ganzen, kurzen Geschichte substantielle Hilfe sowohl in finanziellen wie auch personellen Bereich von den mitarbeitenden ausländischen Missionsgesellschaften empfing, setzte sich die Führungsspitze während des größten Teils ihres Bestehens aus Chinesen zusammen. Das war in einer Zeit der Fall, als eine echte chinesische Identifizierung dringend notwendig war, wenn die Kirche überleben wollte, da ja auch der chinesische Nationalismus im Wachsen begriffen war. 3. Eines der hervorragendsten Resultate der Union war die Stellung der C C C als wirklich ökumenische Kirche. Dies trat nicht nur durch ihre Kooperation mit Missionsgesellschaften aus vielen westlichen Ländern zutage, sondern auch durch das echte Empfinden, Teil einer Weltkirche zu sein, das die C C C charakterisierte. Sie konnte auch in der Offenheit für eine Gemeinschaft auf nationaler und internationaler Ebene gesehen werden, die schon erwähnt wurde. Es besteht wenig Zweifel, daß, wenn die Umstände es der chinesischen Kirche erlaubt hätten, in aktiver Gemeinschaft mit anderen Kirchen außerhalb Chinas zu bleiben, die C C C solchen Organisationen wie der East Asia Christian Conference und den

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bemerkenswerten Entwicklungen in ökumenischer Zusammenarbeit und den Konsultationen, die in Asien und in der Weltkirche stattgefunden haben, viele fähige Führungskräfte gestellt hätte. Das eindrucksvolle, hohe Niveau der chinesischen Delegation auf der Internationalen Missionskonferenz 1938 in Madras, die viele Laien und Pfarrer der C C C umfaßte, gab einen Vorgeschmack, wie es hätte kommen können. Der Einsatz von Leuten aus der Mission in Schlüsselpositionen, obwohl sie immer unter der Aufsicht und Leitung der chinesischen Kirche standen und der eben eher aufgrund der jeweiligen Fähigkeit und ihres Beitrages als aufgrund ihres Status als Missionar erfolgte, kann als weiterer Beweis für den wirklich ökumenischen Geist, der diese Kirche durchdrang, und für die Mündigkeit ihrer chinesischen Führung gewertet werden. Die Qualität der missionarischen Führungskräfte, die der C C C dienten, die mit A. R. Kepler beginnt und sich in einer Liste fortsetzt, die zuviele Namen enthält, als daß sie hier erwähnt werden könnten, war recht außergewöhnlich. Auf der anderen Seite war es der großzügigen und offenherzigen Haltung solch fähiger chinesischer Führer wie Ch'eng Ching-yi und H. H. Ts'ui zuzuschreiben, daß sie den geschickten Einsatz solcher Talente ermöglichten, während sie selbst die einsichtige und mutige Führung stellten, die als chinesischer Beitrag für die Lebensfähigkeit der Kirche absolut notwendig war. 4. Ein entscheidender Faktor im Leben der C C C bestand in der Tatsache, daß sie eine Missionskirche war. Es ist allgemein anerkannt, daß ein wesentlicher Bestandteil im Leben einer glaubenswürdigen Kirche ihr Bewußtsein für Mission ist, ohne das eine Kirche mit Sicherheit absterben wird: die C C C war von ihrem ersten Tage an durch ein Verantwortungsbewußtsein für ihren Sendungsauftrag an das chinesische Volk gekennzeichnet, was besonders deutlich in einem Programm für die Heimatmission zutage trat, das oben schon kurz geschildert wurde. Kraft ihrer Union war sie eine Kirche, die stark genug in ihren Mitteln und an innerer Lebenskraft war, um die Nöte der eigenen Nation zu erkennen und um ein Programm für Zeugnis und Dienst entfalten zu können, das sie solange durchzuführen vermochte, als sie selbst Aktionsfreiheit besaß. Zwar entwickelte die C C C selbst kein Programm für die Mission in Übersee, aber ihre Führungskräfte spielten in den unabhängigen chinesischen Missionsgesellschaften, die der C C C vorangingen, eine wichtige Rolle. Dr. Ch'eng Chingyi war in solchen Programmen besonders aktiv; er hatte einige Jahre als Vorsitzender der China Home Missionary Society gedient. 5. Der Einfluß der C C C auf die chinesische Nation war ohne Zweifel gering, aber soweit er sich auswirkte, muß das zu großen Teilen ihrem

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unierten Charakter, ihrem Namen und ihrer zunehmenden Anerkennung als nationale chinesische Kirche zugeschrieben werden. Schon die bloße Existenz einer unierten Kirche in einer gespaltenen Nation festigte fraglos das evangelische Zeugnis der ganzen Kirche in China. Die C C C half, das Gewissen der Nation gegen die bedauerliche Vernachlässigung der verwundeten Soldaten während der ersten Jahre im Krieg mit Japan zu wecken und sorgte mit ihren Programmen, die einen Einsatz an Dienst und Unterstützung ermöglichten, für sie. Ihre Arbeit mit den Stammesangehörigen des Südwestens war ebenfalls ein Beispiel für den selbstlosen Dienst in einem Gebiet, für das das Gewissen der Nation geweckt werden mußte, und zwar vor allem im Hinblick auf die Behandlung der Minderheitenvölker und die traurige Lage der Zinnarbeiter im Südwesten, wo die Arbeitskraft der Kinder in grausamer Weise ausgebeutet wurde. Solche Appelle, die einen weiten Widerhall fanden, und der nationale und umfassende Charakter der C C C sprachen vor allem Studenten und Intellektuelle an, die kein Interesse an den denominationeilen Rivalitäten und westlichen Spaltungen hatten. Falls in voraussehbarer Zukunft die C C C eine Form organisierten Daseins wieder aufnehmen kann, wird der alte Denominationalismus mit ziemlicher Sicherheit tot sein. Es kann hier nur um eine Vermutung gehen - aber es scheint wahrscheinlich, daß, wenn eine christliche Tätigkeit wieder möglich wird, der Einfluß der C C C als Nationale Kirche, die ihrem Wesen nach gemäßigt, in ihrem Geist ökumenisch, in ihrer Haltung offen und die mit einem echten Sinn für Mission ausgestattet ist, ein Modell für eine zukünftige Organisation abgeben kann. Von der Erfahrung anderer Länder (z. B. Japan, wo eine Union aller protestantischen Gruppierungen zum großen Teil durch äußeren Druck herbeigeführt wurde und wo jetzt, 30 Jahre später, mehr protestantische Gruppierungen zu finden sind als vor der Unionsbildung) scheint es unwahrscheinlich, daß eine einzige unierte Kirche entstehen würde. Durchaus vorhandene und ernst zu nehmende Unterschiede in dogmatischen Auffassungen und in der Praxis werden mit Sicherheit eine gespaltene Kirche entstehen lassen. Wir können nur hoffen, daß die schwierigen Erfahrungen, durch die Christen und christliche Kirchen so viele Jahre gemeinsam hindurch mußten, sie im Geist zusammenschließen werden und gewährleisten, daß die Form einer rückhaltlosen Zusammenarbeit und der Hingabe an das Ziel unseres Herrn sie führen wird, wie sie es in der Vergangenheit hinsichtlich der Organisation und der Entwicklung der Church of Christ in China vermochten, damit sie tätig nach der Erfüllung des Gebetes Jesu trachten, „auf daß sie alle eins seien".

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LITERATUR China and Christian Responsibility. New York. Maryknoll Publications and Friendship Press. 1968. The China Christian Yearbook (oder China Mission Yearbook). Jährlich veröffentlicht vom National Christian Council of China. The Chinese Recorder (Christliche Monatszeitschrift in Shanghai veröffentlicht). 1927-1938/39. William H. Clark : The Church in China. New York. Council Press. 1970. William H. Jones: The Church in Communist China, New York. Friendship Press. 1962. Francis P. Jones (Hrsg.) : Documents of the Three Self Movement. Far Eastern Office, Division of Foreign Missions. National Council of Churches. USA. 1963. Kenneth Scott Latourette: A History of Christian Missions in China. New York. Macmillan. 1929. Schriften (in chronologischer Reihenfolge) : „Let Us Unite" (Ho Erh Wei Yi). Church of Christ in China, General Assembly, Peking. 1935. „Church Unity in China and Church and Mission Cooperation". Church of Christ in China, Shanghai General Assembly. 1938. „An Adventure in Church Unity in China" (Ho Erh Wei Yi). North American Advisory Committee of the Church of Christ in China, New York. 1944. „The Church of Christ in China" (vervielfältigt). Church of Christ in China (1948 oder 1949 - allem Anschein nach wurden mehrere Ausgaben veröffentlicht). Diese Schriften sind in der Missionary Research Library in New York zu finden.

Kapitel 8 D I E U N I T E D C H U R C H OF C H R I S T I N J A P A N (KYODAN) MASATOSHI D O I

Geschichtliche Hintergründe

ie United Church of Christ in Japan (im folgenden Kyodan genannt) entstand im Jahre 1941 und vereinigte 34 protestantische Denominationen. Dieser kirchliche Zusammenschluß war insofern ungewöhnlich, als er sich zwischen sogenannten „jungen Kirchen" vollzog. Jugendliches Alter kann für christliche Kirchen verschiedenes bedeuten: sie müssen unter der schützenden Hand und dem Einfluß ihrer Mutterkirchen wachsen, sie haben an eigener Erfahrung nicht allzuviel vorzuweisen und neigen demzufolge, wenn sie auf eine Union zugehen, dazu, sich durch außertheologische Faktoren leiten zu lassen. Sie bringen gegenüber Druck von außen - besonders vonseiten des Staates - noch wenig Widerstandskraft auf. Die ersten protestantischen Missionare, die 1859 nach Japan kamen, waren so weitblickend, daß sie die feste Absicht trugen, die von ihnen zu gründenden Kirchen von denominationellen Spaltungen freizuhalten. Die erste evangelische Kirche, deren Gründung 1872 in Yokohama erfolgte, wurde einfach Assembly of Christ in Japan (Nippon Kirisuto Kokai) genannt. Artikel II ihrer Verfassung lautet: „Unsere Kirche gehört keiner bestimmten Denomination an. Sie ist einfach im Namen Christi gegründet worden. Alle, die an die Bibel als die Richtschnur unseres Lebens glauben, sind unsere Brüder. Wir alle betrachten alle Gläubigen in der Welt als unsere Mitchristen, die zum gleichen Haushalt Gottes gehören. Deshalb nennen wir diese Vereinigung .Assembly of Christ'." Hier tritt die ökumenische Gesinnung der ersten Missionare und der einheimischen Christen in Japan deutlich zutage. An diesem Grundsatz wurde bis zum Jahre 1875 getreulich festgehalten, als Pfarrer C. Carrothers in Tokio eine presbyterianische Kirche gründete. Die Tendenz zu nominationellen Spaltungen konnte im Jahre 1873 nicht ausbleiben, als die Informationsbehörden, die die Verbreitung des Christentums untersagt hatten, im ganzen Land aufgelöst wurden und daraufhin plötz-

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lieh eine große Zahl ausländischer Missionare verschiedener Kirchen ins Land strömten. Selbst die Kirchen, die auf dem ökumenischen Grundsatz beharrten, begannen sich nach den denominationeilen Richtlinien zu organisieren. So war der Denominationalismus keine eigene japanische Angelegenheit - er wurde von Übersee importiert. Den meisten Japanern bedeuteten denominationelle Unterschiede nur sehr wenig. Sie wählten sich ihre eigene Denomination nicht - sie gehörten ihr rein zufällig an. Dennoch muß zugegeben werden, daß die jungen Kirchen in Japan faktisch nicht imstande waren, ohne die Hilfe fremder Missionsgesellschaften zu existieren oder ihre evangelistische Arbeit durchzuführen. Das bedeutet aber nicht, daß die Geschichte der japanischen Kirche einfach eine Geschichte denominationeller Verästelungen war. Im Gegenteil - es bestand von Anfang an ein starkes Streben nach Einheit unter den japanischen Christen. Das hing zum Teil damit zusammen, daß sie sich innerhalb des ganzen Landes in die Rolle einer Minderheit gedrängt sahen. Das Streben nach Einheit äußerte sich zuerst in der häufigen Durchführung von „Gemeinschaftstreffen" (Shimboku-kai). Das erste dieser Treffen fand 1878 in Tokio statt und versammelte etwa 600 einheimische Christen. Das zweite war 1880 in Osaka, das dritte 1883 wiederum in Tokio. Das vierte Treffen, das 1885 in Kyoto stattfand, erlangte große Bedeutung, weil es eine interdenominationelle Organisation mit dem Namen „Liga der evangelischen Christen in Japan" (Fukuin-domei) ins Leben rief, die dazu bestimmt war, eine Vorläuferin des jetzigen Nationalen Christenrates in Japan zu sein. Diese Organisation, die unterschiedlich „Liga der evangelischen Christen in Japan", „Liga der christlichen Kirche", „Japanischer Christenbund" und „Nationaler Christenrat von Japan" genannt wurde, sorgte in entscheidendem Maße dafür, daß sich eine Gesinnung für die christliche Einheit entwickelte. Obwohl es sich dabei in erster Linie um ein Werkzeug für die Gemeinschaft und die Zusammenarbeit unter den christlichen Denominationen handelte, fungierte sie oft als Organisation, die die Kirchenunion vorantrieb. Im Jahre 1925 verabschiedete die Vereinigung christlicher Missionare in Japan auf ihrer Jahresversammlung eine Resolution, in der der Japanische Christenbund dringend darum gebeten wurde, einen Sonderausschuß einzusetzen, der die Möglichkeit erkunden sollte, ob die christlichen Denominationen in Japan in naher Zukunft vereinigt werden könnten. In Erwiderung auf diesen Vorschlag ernannte der Japanische Christenbund 1925 einen Sonderausschuß zur „Untersuchung und Förderung der Kirchenunion" unter Vorsitz von Pfarrer Hiromichi Kozaki; seine Ermittlungsergebnisse wurden 1929 veröffentlicht. 1935

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berief der Japanische Christenbund wieder einen Ausschuß zur Förderung der christlichen Einheit, der im Jahre 1937 seinen Befund ebenfalb publizierte. Gleichzeitig wurde im Jahre 1931 eine Laienbewegung zur Förderung der christlichen Einheit unter der Führung H. Nagaos gegründet. Diese Bewegung war durch die Laienmission aus den Vereinigten Staaten von Amerika angeregt worden, die Japan 1930 besucht hatte. So fehlte es seit den Tagen der „Gemeinschaftstreffen" nie an einer ernst zu nehmenden und dauerhaften Kirchenunionsbewegung, obwohl es ihr nie gelang, vor der Gründung des Kyodan im Jahre 1941 konkrete Gestalt zu gewinnen. Aber es gab auch einige Ausnahmen. Es entstanden Unionen einiger größerer Denominationen mit ähnlicher Tradition. 1877 wurde die Unity Church of Christ in Japan (Nippon Kirisuto Itchi Kyokai) als Folge der Union dreier Missionsgesellschaften, der amerikanischen Presbyterianer, der holländischen Reformierten und der schottischen Unierten Presbyterianer ins Leben gerufen. 1907 schlössen sich die nördlichen und südlichen Methodistenkirchen der USA und die Kanadische Methodistenkirche zusammen, um die Japan Methodist Church mit Pfarrer Honda als erstem Bisshof zu gründen. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Japan stellt eine Fusion verschiedener Denominationen lutherischer Prägung dar. Der bedeutsamste Versuch einer Kirchenunion in der Geschichte der japanischen Christenheit setzte 1886 zwischen der Unity Church of Christ in Japan und der Japan Congregational Church ein. Damals wies erstere 7661 Mitglieder auf, die zweite zählte 7093. Beide waren calvinistischen Ursprungs, aber sie unterschieden sich in ihrer ekklesiologischen Struktur und in ihrer Auffassung des Glaubensbekenntnisses. Die Unity Church of Christ in Japan legte Wert auf die Vollmacht der Presbyterien, wähend die Japan Congregational Church die Autonomie der Ortsgemeinde hervorhob. Hinsichtlich des Glaubensbekenntnisses neigte die erstere dazu, die Freiheit der Auslegung einzuschränken, während die letztere in dieser Beziehung einen liberaleren Standpunkt einnahm. Nach fünf Jahren intensiver Verhandlungen endete dieser Versuch schließlich als Fehlschlag. Einige Beobachter schreiben das Mißlingen Dr. Niishimas hartnäckigem Beharren auf der Aktionsfreiheit der Ortsgemeinden und der amerikanischen kirchlichen Stelle, die seinen Standpunkt unterstützte, zu. Eine wohlwollendere Beurteilung kommt zu dem Schluß, daß der Versuch vorzeitig unternommen worden war. Einige der führenden Persönlichkeiten auf beiden Seiten hatten nicht genug Geduld, die aufgebracht werden mußte, um Übereinstimmungen zu erzielen, und schenkten wichtigen Fragen wie der Kirchenstruktur

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und dem Glaubensbekenntnis nicht die gebührende Aufmerksamkeit. In dieser Situation mag Dr. Niishima, der zehn Jahre lang Erfahrungen mit dem kirchlichen Leben in den U S A sammeln konnte, zur Ansicht gekommen sein, daß eine solch vorzeitige Union nur Schwierigkeiten für die Zukunft gesät hätte.

Die Gründung des Kyodan Eine umgreifendere Union wurde plötzlich 1941 Wirklichkeit, ab 34 protestantische Denominationen sich in der Form des Kyodan vereinigten. Dies geschah gerade sechs Monate vor dem Ausbruch des Pazifischen Krieges. Die militärischen Angriffe Japans hatten sich auf fast alle Gebiete Südostasiens ausgedehnt. Das Verhältnis zwischen den U S A und Japan stand kurz vor dem völligen Bruch. Dié Regierung sah sich genötigt, das gesamte für den Krieg in Frage kommende Potential unter ihre Kontrolle zu bringen. Kulturelle und religiöse Organisationen bildeten keine Ausnahme. Das Gesetz über religiöse Körperschaften wurde erzwungen, das alle religiösen Organisationen der Aufsicht der Regierung unterstellte. Man drängte sehr darauf, daß nur die religiösen Organisationen mit mehr als 50 Gemeinden und mehr als 5000 Mitgliedern als unabhängige religiöse Körperschaft annerkannt werden könnten und daß der Rest wie sonstige Vereinigungen auch der Polizeiaufsicht unterstellt werden sollten. Damals vermochten sich nur sieben Denominationen als religiöse Körperschaften zu qualifizieren. Deshalb wurde es für die Kirchen dringend notwendig, sich zu vereinigen, um überleben zu können. Zu diesem kritischen Zeitpunkt leistete der Japanische Christenbund Hebammendienste für das Entstehen der neuen Kirche. Als erste Maßnahme berief er im Namen der „Christian Assembly" eine Massenversammlung ein, um den 26. Jahrestag der National Foundation feierlich zu begehen. Es fand am 17. Oktober 1940 auf dem Campus der methodistischen Aoyama-gukuion-Universität statt. Etwa 20000 Christen aus dem ganzen Land versammelten sich und verabschiedeten eine Resolution mit dem Inhalt, eine Union aller christlichen Kirchen in Japan zu bilden. Auf Grund dieser Resolution wurde unmittelbar darauf am 18. Oktober unter Vorsitz von Bischof Yoshimune Abe ein Vorbereitungsausschuß ernannt. Nur die (anglikanische) Japan Episcopal Church blieb mit der Begründung fern, sie sei weder protestantisch noch katholisch. Aber einige ihrer Mitgliedsgemeinden schlössen sich später der Union an, als die Umstände es ihnen erschwerten, ihre Unabhängigkeit zu wahren.

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Die Griindungsversammlung des Kyodan fand in der Fujimicho-Kirche am 24725. Juni 1941 unter Vorsitz von Bischof Abe statt. Die wichtigsten Aufgaben dieses Treffens bestanden darin, eine Verfassung anzunehmen und einen Präsidenten zu wählen. Gemäß dem Gesetz über religiöse Körperschaften mußte die Satzung folgendes enthalten: 1. Bestimmungen über den organisatorischen Aufbau, 2. einen Grundriß der Dogmatik, 3. Verordnungen über das Amt, 4. Bestimmungen über die finanziellen Angelegenheiten. Was die Struktur betrifft, enthielt der Kyodan ein „Abteilungssystem", das 34 Denominationen entsprechend der Ähnlichkeit ihrer Traditionen in elf Abteilungen gliederte. Den Abteilungen wurde eine gewisses Maß an Autonomie verliehen, damit sie entsprechend ihrer jeweiligen Traditionen und ihres Brauchtums ihre eigenenen Angelegenheiten „zum gegenwärtigen Zeitpunkt" in die Hand nehmen konnten. Die Klausel „zum gegenwärtigen Zeitpunkt" wurde unterschiedlich ausgelegt. Einige waren der Auffassimg, sie bedeute „für immer", andere meinten, sie bedeute „zwanzig oder dreißig Jahre". Wie dem auch sei, sie stellte eine Interimsmaßnahme dar und dauerte tatsächlich nur ein Jahr. In der ersten Generalversammlung des Kyodan, die vom 24.-25. November 1942 stattfand, machte Präsident Tomita plötzlich den Vorschlag, das „Abteilungssystem" nicht mehr weiter aufrecht zu erhalten. Vermutlich übte die Regierung hinter den Kulissen Druck aus. Diese vorzeitige Abschaffung hinterließ dem K y o dan ein schwerwiegendes Problem, unter dessen Lösungsversuchen er lange Zeit zu leiden hatte. Ein anderer wichtiger Punkt bestand in der Annahme der Glaubenserklärung als Basis für die Union. Nach eingehenden Diskussionen im Vorbereitungsausschuß wurde folgende Erklärung in die Satzung mitaufgenommen: „Der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, offenbart durch unseren Herrn Jesus Christus und bezeugt in der Heiligen Schrift, gewährt den Gläubigen Vergebung der Sünden, rechtfertigt sie und schenkt ihnen das ewige Leben, das das Sühnopfer seines Sohnes bewirkt hat, der um der Sünde der Welt willen und um ihrer Errettung Mensch wurde, starb und vom Tod wiederauferstand. Diese Gläubigen erklärt er für gerecht. Er heiligt sie und schenkt ihnen das ewige Leben. Die Kirche als Leib Christi, die aus denen besteht, die durch Gnade berufen sind, hält Gottesdienste, predigt das Evangelium, verwaltet die Sakramente und wartet in Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn." Die Verfassung fügt noch hinzu, daß das Alte und Neue Testament den Kanon bildet, auf den die Kirche sich stützen sollte und daß das Apostolische Glaubensbekenntnis und andere ökumenische Glaubensbekenntnisse Maßstab für den Glauben und das Leben liefern. Freilich wurde

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diese Erklärung nicht als Glaubensbekenntnis im engeren Sinne des Wortes verstanden. Einige Denominationen, für die die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse eine wichtige Rolle spielen, konnten sich damit kaum zufriedengeben. Die Worte waren einfach als Glaubenserklärung angenommen worden, um den Bedingungen des Gesetzes über religiöse Körperschaften Genüge zu tun. Alle Beteiligten waren sich darüber im klaren, daß nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden hatte, um eine Übereinstimmung in einer solch schwerwiegenden Frage erzielen zu können. Deshalb begann der Kyodan als Kirche ohne Glaubensbekenntnis, was wiederum einen Herd für künftige Schwierigkeiten darstellte. Nach dem Amtsverständnis, auf das sich der Kyodan einigte, gab es nur zwei Ämter: den ordinierten Pfarrer und den Licentiaten. Darüber gab es keine Auseinandersetzungen, denn diese Ämtergliederung war fast allen Denominationen, die sich vereinigt hatten, gemeinsam. In finanzieller Hinsicht war der Kyodan gezwungen, sich selbst zu tragen, weil fast alle ausländischen Missionare, die aus „Feindesland" kamen, in ihre Heimat zurückgeschickt werden mußten, und die jungen Kirchen genötigt wurden, die Beziehungen mit ihren Mutterkirchen abzubrechen. Diese Maßnahmen legten freilich eine fast untragbare Last auf die Schultern der gerade entstandenen Kirche. Es muß aber auch eingeräumt werden, daß damit, hätte man aus diesem Sachverhalt die richtigen Konsequenzen gezogen, dem Kyodan eine einzigartige Gelegenheit gegeben worden wäre, selbst zu einer verantwortungsbewußten, eigenständigen Kirche heranzuwachsen. Der erste und gleichzeitig letzte Mann, der zum Präsidenten des Kyodan gewählt wurde, war Mitsuru Tomita, ein presbyterianischer Pfarrer mit stark ausgeprägten Charaktereigenschaften. Das Gesetz über die religiösen Körperschaften legte eine gewaltige Macht und Verantwortung in seine Hände. Ganz allgemein gesagt, versah er seinen Posten sehr gut, indem er den Kyodan sicher durch stürmisches Wetter lenkte. So nahm der Kyodan unter außergewöhnlichen Umständen - einer nationalen Notlage - Gestalt an. Einige Beobachter der Nachkriegszeit vertreten die radikale Ansicht, daß diese Union nichts anderes darstellt als ein beschämendes Sich-Unterwerfen unter die irdische Macht. Einige führende Persönlichkeiten der Vorkriegsjahre kommen zur Auffassung, dies sei der natürliche, langersehnte Erfolg der fortwährenden Bemühungen japanischer christlicher Führungskräfte um eine Kirchenunion seit den Tagen der „Gemeinschaftstreöen"; die Kriegssituation habe nur den Anlaß dafür geliefert, dieses Ziel zu erreichen. Ehrlichkeitshalber muß aber eingeräumt werden, daß der Kyodan möglicherweise nicht zustande gekommen wäre, wenn der Krieg nicht stattgefunden hätte, ob-

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wohl einige christliche Persönlichkeiten sich schon lange beharrlich und ernsthaft um eine Kirchenunion bemüht hatten. So glaubt die Mehrheit der Mitglieder des Kyodan, die Kirchenunion sei durch göttliche Vorsehung zustande gekommen. Hier ist nicht der geeignete Ort, um sich mit der Tätigkeit des Kyodan im einzelnen zu befassen. Aber ohne einige von ihnen wenigstens zu streifen, kann man der Lage, in der sich der Kyodan befindet, und den Problemen, denen er sich jetzt gegenübergestellt sieht, nicht gerecht werden. Bei oberflächlicher Betrachtung hat es den Anschein, als hätte der Kyodan mit dem Staat und seiner Politik der Kriegsjahre aufs engste zusammengearbeitet. Zum Eingang des Sonntagsgottesdienstes wurden in den Kirchen nationale Riten befolgt. Der Präsident besuchte den IseSchrein, um dem Nationalheiligtum zu huldigen. Kollekten wurden zu dem Zweck gesammelt, einen finanziellen Beitrag für jeweils drei Flugzeuge der Armee und der Marine zu leisten. Teams junger Pfarrer wurden als Boten der Versöhnung in besetzte Gebiete entsandt. 203 Pfarrer unter 45 Jahren wurden in Munitionsfabriken zum Arbeitsdienst abgestellt. Einige waren mit großem Ernst bei dieser Sache, um sich und die japanischen Kirchen vor der völligen Zerstörung zu retten. In den Augen einiger extremer Beobachter der Nachkriegszeit erschienen alle diese Aktionen als bloße Treulosigkeit oder gar als Abfall. Hier werden in unbarmherziger Weise die führenden Persönlichkeiten der Kriegszeit beschuldigt, sie hätten Kompromisse geschlossen. Diejenigen, die die Unterdrückungen der Kriegszeit am eigenen Leibe erfahren haben, werden sich dazu nicht äußern. Sie werden es nicht wagen, sich selbst zu entlasten, aber die tatsächliche Situation war viel schwieriger und komplizierter, als daß nachträgliche Wertungen außenstehender Beobachter ihr gerecht werden könnten. Die Christen in Japan waren immer noch eine kleine Minderheit - sie machten weniger als 1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, um eine Zahl zu nennen. Der Kyodan war noch zu jung und zu schwach, sich der nationalen Strömung der Zeit widersetzen zu können. Alle Mitgliedskirchen hielten mit ihren Mutterkirchen in den „Feindesländern" eine gewisse Verbindung aufrecht. Demzufolge gerieten alle einzelnen Christen mehr oder weniger in Verdacht. Alle Pfarrer, besonders die, die enge Beziehungen zu ausländischen Missionaren pflegten, wurden unter polizeiliche Überwachung gestellt. A m 7. August 1940 wurde die Führungsspitze der Heilsarmee verhaftet. In der Morgenfrühe des 26. Juni 1942 ereilte mehr als 100 Pfarrer, die zu der Holiness Churches gehörten, wegen ihrer eindringlichen Ankündigung der Wiederkunft Christi das gleiche Schicksal, und sie wurden ins Gefängnis gebracht. Die Polizeibehörden warfen dieser Bot-

Die United Church of Christ in Japan (Kyodan) schaft vor, sie stehe in krassem Widerspruch zum nationalen Glauben an das ewige Wohlergehen der kaiserlichen Familie. Einige Theologen des Kyodan verteidigten sich vor Gericht. Eine Anzahl älterer Pfarrer starb im Gefängnis. Weit schlimmere Folgen aber hätte eine mögliche Erregung der Volksmassen gehabt. Wenn durch irgendeinen Zufall ihr Haß gegen die Christenheit zum Ausbruch gekommen wäre, hätte das zu einer Massenverfolgung im ganzen Land führen können. Dann wäre die einzige Alternative für die japanischen Christen das Martyrium oder der Abfall gewesen. Dank der umsichtigen Leitung des Kyodan konnte diese Art Tragödie vermieden werden. Es war deshalb wirklich ein Geschenk der Vorsehung, daß der Kyodan gerade sechs Monate vor dem Ausbruch des Pazifischen Krieges entstand.

Entwicklung in der Nachkriegszeit Der Pazifische Krieg wurde am 15. August 1945 mit dem kaiserlichen Erlaß beendet, der die bedingungslose Annahme der Potsdamer Erklärung verkündete. Der entscheidende Schlag war der Abwurf von Atombomben auf Hiroshima am 6. August und Nagasaki am 9. August gewesen, der in drei Tagen 30000 Opfer forderte. Der Kyodan hatte während des Krieges auch 455 kirchliche Gebäude durch Brände verloren. Die amerikanischen Kirchen kamen sofort zur Hilfe. Die ersten Delegierten, die eintrafen, waren Dr. Douglas Horton, Bischof James C. Baker, Dr. Walter Van Kirk und Dr. Luman J. Shafer. Ihre vordringlichste Aufgabe bestand zunächst darin, auf beiden Seiten die Bande der Einheit zwischen den Kirchen wieder zu knüpfen. Der sogenannte „Ausschuß der Sechs" traf im Juni 1946 ein. Zu ihm gehörten Pfarrer G. Ernest Bott, Dr. Paul S. Mayer, Alice Cary, Dr. Henry G. Bovenkerk, Pfarrer Karl D. Kriete und Pfarrer John B. Cobb. Ihre Aufgaben waren mehr praktischer Art. Sie mühten sich darum, persönliche Kontakte herzustellen, Kirchen und Schulen zu besuchen, Hilfsgüter zusammenzubringen usw. Die größte Arbeit leistete diese Kommission durch den Wiederaufbau kirchlicher Gebäude. Kirchen in den Vereinigten Staaten und Kanada steuerten 3 40409$ Dollar für diesen Zweck bei. Als nächster Schritt erfolgte die Verteilung von Bibeln. Berichten zufolge wurden 2,j Millionen in den USA gedruckte Bibeln nach Japan geschickt und dort verteilt. Im Jahre 1948 wurde das „Interboard Committeefor Christian Work in Japan" in New York als allein zuständige Stelle für gemeinsame Aktionen in Japan gegründet. Ihm gehörten die Congregational Christian Churches, die Disciples of Christ, die Evangelical und Reformed Church,

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die Evangelical United Brethren Church, die Methodistenkirche, die Presbyterian Church in den USA, die Reformed Church in Amerika und die United Church o£ Canada an. Dieser Ausschuß war darauf ausgerichtet, den japanischen Kirchen, Schulen und sozialen Wohlfahrtsinstitutiorien ausschließlich über den „Ausschuß für Zusammenarbeit" zu helfen, seinem japanischen Pendant. Diese gemeinsame Aktion der amerikanischen und kanadischen Kirchen bildete einen der wichtigsten Faktoren, der den Kyodan in der kritischen Zeit nach dem Krieg vor dem Auseinanderbrechen bewahrte. Das erste und tragischste Ereignis, dem sich der Kyodan nach Kriegsende gegenübergestellt sah, bestand in dem nacheinander erfolgenden Abfall früherer denominationeller Gruppierungen wie der reformierten Abteilung der alten Japan Christian Church, der Heilsarmee, den Lutheranern, den „Holiness groups" und anderer Pfingstgemeinden. Hauptsächlich infolge dieser Austritte nahm die Mitgliederzahl des Kyodan von 200 118 im Jahre 1942 auf 115 365 im Jahre 1948 ab. Dieser Rückgang war vermutlich unvermeidbar, weil die Union ja nicht durch eingehende Beratungen und durch gegenseitige Verständigung, sondern unter dem Druck der Regierung erreicht worden war. Sobald die Religionsfreiheit wiederhergestellt war, begannen die eben erwähnten Gruppierungen entsprechend ihrer jeweiligen Tradition ihren eigenen Weg zu gehen. Ihre Mutterkirchen in Ubersee waren teilweise für diese Spaltungen auch mitverantwortlich. Abgesehen von diesen äußeren Veränderungen mußte der Kyodan auch noch einige interne Probleme lösen, uih den Erfordernissen der Zeit gerecht zu werden. Eine der offenen Fragen bestand in der Reform seiner Organisation. Da der Kyodan nach autokratischem Muster aufgebaut war, wie es das Gesetz über religiöse Körperschaften festgesetzt hatte, mußte er nach demokratischem Vorbild neu organisiert werden. Zu diesem Zweck wurde 1948 der Ausschuß für organisatorische Reform gebildet. Er hatte drei Aufgaben zu bewältigen: 1. Demokratisierung der gesamten Struktur; 2. Vereinfachung der zentralen Leitungsbehörde; 3. Stärkung der Funktionen der regionalen Distrikte. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen wurde die Zahl der Delegierten für die Vollversammlung von 300 auf 400 erhöht. Die Abteilungen wurden durch zehn ständige Ausschüsse ersetzt. Die Zahl der Distrikte setzte man von sieben auf dreizehn herauf, und viele Aufgaben, die bislang von der zentralen Leitungsbehörde wahrgenommen worden waren, wurden nun ihnen anvertraut. Diesem Plan stimmte die Vollversammlung im Jahre 1950 zu. Das zweite Problem, dem sich der Kyodan gegenübergestellt sah, war

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schwerer zu lösen. Es ging um die Annahme eines Glaubensbekenntnisses. Wie wir schon feststellten, begann der Kyodan seine Existenz mit einer Glaubenserklärung, um den Erfordernissen des Gesetze über religiöse Körperschaften Genüge zu leisten. Einige Christen, die Denominationen angehört hatten, denen die Glaubensbekenntnisse viel bedeuteten, gaben sich damit nie zufrieden. Sie bestanden darauf, daß ein Glaubensbekenntnis eine notwendige Vorbedingung für die Gründung einer Kirche wäre. Aber der Kyodan war eine Fusion von Denominationen, für die zum Teil die Glaubensbekenntnisse eine zentrale Rolle spielten und von Kirchen, die ihnen andererseits keine Bedeutung zumaßen. Letztere vertraten die Auffassung, ein Glaubensbekenntnis müsse das Ergebnis einer vollständig integrierten Kirche sein und nicht deren Voraussetzung; selbst wenn eine Kirche ein Glaubensbekenntnis hätte, sollte den einzelnen Mitgliedern doch Freiheit bei dessen Auslegung zugestanden werden. Schließlich setzten sich aber doch die Vertreter der ersten Richtung durch, und nach zehnjährigem Ringen wurde der Kyodan durch die Annahme eines Glaubensbekenntnisses im Jahre 1954 eine Konfessionskirche. Das Bekenntnis lautet: „Wir glauben und bekennen: Das Alte und Neue Testament, von Gott inspiriert, bezeugen Christus, offenbaren die Wahrheit des Evangeliums und bilden allein den Kanon, auf den die Kirche angewiesen ist. Durch den Heiligen Geist ist die Heilige Schrift das Wort Gottes, das uns volles Wissen von Gott und die Errettung bringt und den unbeirrbaren Maßstab für unseren Glauben und unser Leben liefert. Der eine Gott, durch Jesus Christus offenbart und bezeugt in der Heiligen Schrift, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist der dreieinige Gott. Der Sohn wurde zur Errettung von uns Sündern Mensch, wurde gekreuzigt und bot sich Gott als vollkommenes Opfer für uns alle dar und gereicht uns damit zur Erlösung. Gott erwählt uns durch seine Gnade, und durch den Glauben in Christus allein vergibt er uns unsere Sünden und rechtfertigt uns. In dieser unveränderlichen Gnade vollführt der Heilige Geist sein Werk, indem er uns heiligt und uns dazu führt, Früchte der Gerechtigkeit zu bringen. Die Kirche ist der Leib Christi, unseres Herrn und die Gemeinde derer, die durch Gnade berufen sind. Die Kirche hält öffentliche Gottesdienste, predigt das Evangelium in der rechten Weise und ist fleißig in Werken der Liebe und wartet in Hoffnung auf die Wiederkunft Christi. So glauben wir und mit den Heiligen aller Zeiten bekennen w i r : " (Dann folgt das Apostolische Glaubensbekenntnis)

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Als dieses Glaubensbekenntnis der Achten Vollversammlung zur sorgfältigen Prüfung vorgelegt wurde, erklärte der Sonderausschuß, der das Glaubensbekenntnis entworfen hatte, dazu, dieses Glaubensbekenntnis beabsichtige weder die traditionellen Bekenntnisse früherer denominationeller Gruppierungen aufzuheben noch die Glaubensfreiheit einzelner Mitglieder einzuschränken; es sollte jeweils spontan von Herzen und freudig bekannt werden. Diese Erklärung zum Glaubensbekenntnis verursachte die Absplitterung eines konservativen Teils der früheren Japan Christian Church. Einige behaupteten, das Apostolikum allein genüge nicht, den evangelischen Glauben zum Ausdruck zu bringen, und daß es zu weit gehe und nicht richtig sei, der Auslegungsfreiheit einen so großen Spielraum zu gewähren. Schließlich trennten sie sich vom Kyodan und bildeten die neue Japan Christian Church. Das dritte Problem, mit dem der Kyodan konfrontiert wurde, bestand in dem Wiederaufleben sektierischer Bewegungen im Rahmen der ehemaligen Denominationen. Es stand in engem Zusammenhang mit der organisatorischen Reform und der Annahme des Glaubensbekenntnisses. Da der Kyodari in der Zeit eines nationalen Notstandes unter Druck der Regierung gegründet wurde, hinterließ er viele schwerwiegende, noch ungelöste Probleme wie das Glaubensbekenntnis, die Kirchenstruktur und das Amtsverständnis. Frühere denominationelle Gruppierungen hatten sich mit Fragen wie den Angelegenheiten der Mitarbeiter, der Verwahrung des Eigentums, gemeinsamen evangelischen Werken und der Gemeinschaft der Ortsgemeinden untereinander zu befassen. Es ist eigentlich natürlich für eine unierte Kirche, eine beträchtliche Zeit in diesem Stadium zu verharren, bevor sie eine völlig integrierte Kirche wird. Aus diesem Grund wird in der Präambel der Verfassung des Kyodan vermerkt, daß „evangelische Gemeinden aus über 30 Denominationen, die auch Gemeinden anderer Traditionen, . . . die die jeweilige charakteristische Ausprägung der anderen Kirchen achten, der Gemeinschaft der Heiligen Katholischen Kirche beitraten." Einige sektiererische Gruppen wollten weitergehen, indem sie ein gewisses Maß an Autonomie für sich selbst beanspruchten. Hätte man diesem Wunsch nachgegeben, wäre der Kyodan eine Art Föderation denominationeller Gruppierungen geworden; deshalb mußte er sich weigern, den denominationellen Gruppierungen noch einen eigenen, offiziellen Status zuzusprechen. Als Folge davon löste sich eine Gruppe ab. Trotz dieser Schwierigkeiten vermochte der Kyodan seine Einheit aufrechtzuerhalten und begann sich Schritt für Schritt zu konsolidieren.

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Neuere Entwicklungen Unmittelbar nach der Beendigung des Krieges befanden sich die Menschen einige Jahre lang immer noch in einem Erstarrungszustand, und der Kyodan selbst war nicht richtig darauf vorbereitet, ihren geistlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Kirchliche Gebäude in größeren Städten waren zerstört, und die Pfarrer mußten sich nach anderen Teilzeitbeschäftigungen umsehen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Seit 1947 aber begannen sich die Angehörigen der jüngeren Generationen in die Kirchen zu drängen. Dies beruhte auf verschiedenen Gründen. Einige mögen die Kirchen einfach aus Neugier aufgesucht haben, andere hungerten wirklich nach geistiger Nahrung. Wieder andere mögen aus Achtung vor dem christlichen Glauben gekommen sein, weil er die Religion der Siegermächte war. Man sprach von einer „christlichen Hochkonjunktur". Die Taufzahlen der Jahre 1948 bis 1952 sehen folgendermaßen aus: 11386 im Jahre 1948, 10831 im Jahre 1949, 13293 im Jahre 1950, 15765 im Jahre 1951 und 11985 im Jahre 1952. Als aber die Ordnung wiederhergestellt und die Lebensbedingungen verbessert waren, begann sich das Interesse vom christlichen Glauben wieder abzuwenden. Während der Kyodan schwere Zeiten durchmachte, weil er seine inneren Schwierigkeiten beizulegen hatte, begann die sogenannte „christliche Hochkonjunktur" wieder in sich zusammenzufallen. Die Zahl der Taufen nahm ab und hat seit 1953 die Zahl 10000 pro Jahr nie mehr überschritten. Mit dieser harten Wirklichkeit konfrontiert, mußte der Kyodan seine Missionsstrategie entwickeln. 1952 setzte er einen Ausschuß für „Innere Mission" ein, mit der Zielsetzung, missionarische Aktivitäten mit Hilfe von Geldmitteln, die er selbst in den Gemeinden aufgebracht hatte, voranzutreiben. Dank dieser Bemühungen konnten 27 verwüstete Kirchengebäude wieder renoviert und 66 neue „Pionierstationen" innerhalb von fünf Jahren errichtet werden. Hand in Hand damit wurde 1950 der Ausschuß für Evangelische Zusammenarbeit gegründet. Es handelte sich um eine gemeinsame Aktion für die Mission zwischen dem Kyodan und dem zwischenkirchlichen. Ausschuß. Mit Hilfe der finanziellen Unterstützung der amerikanischen Kirchen konnte dieser Ausschuß beträchtliche Hilfe beim Wiederaufbau im Kriege zerstörter Kirchen, dem Bau neuer kirchlicher Gebäude, der Unterstützung für Pionierarbeiten und der Werbung für Evangelisationsarbeit in ländlichen und industrialisierten Gebieten usw. leisten. Um zu versuchen, eine evangelistische Einsatzfreude unter seinen Mitgliedern zu entfachen, rief der Kyodan im Jahre 1953, 1955 und 1957

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Massenversammlungen ein. 1953 versammelten sich mehr als 2000 Menschen in Tokio. 1955 wurden Treffen in Tokio und Osaka von jeweils mehr als 1000 Menschen besucht. Die Treffen im Jahre 1957, die gleichzeitig in Kyoto, Tokio und Hirosaki stattfanden, zogen zusammen 5000 Menschen an. Der größte evangelistische Feldzug, der seit Ende des Krieges vom Kyodan durchgeführt wurde, war der sogenannte „Evangelisationsfeldzug zur Erinnerung an das 100jährige Bestehen der Missionsarbeit in Japan", der 1955 begonnen wurde und 1959 seinen Abschluß fand. Der Kyodan hatte sich zum Ziel gesetzt, seine zahlenmäßige Stärke durch dieses Unternehmen zu verdoppeln. Aber es erwies sich als nicht ganz so erfolgreich, wie man sich das erhofft hatte. Die Zahl der Taufen in diesen fünf Jahren beliefen sich auf 7879 im Jahre 1955, 8538 im Jahre 1956, 7521 im Jahre 1957, 7424 im Jahre 1958 und 8026 im Jahre 1959. Trotz all dieser Bemühungen hielt sich die Größe des Kyodan konstant. Die Unionskirche benötigte über ein Vierteljahrhundert, um ihre Mitgliederzahlen im Jahre 1968 wieder auf 200000 zu schrauben. Doch sie bleibt immer noch die größte protestantische Kirche in Japan, U m diesen Stillstand zu durchbrechen, muß der Kyodan eine langfristige Planung für die Evangelisationsarbeit aufstellen. Im Blick auf diese notwendig gewordene Maßnahme trafen sich 97 führende Persönlichkeiten der nationalen und regionalen Ebene mit einigen Experten drei Tage lang vom 23. bis 25. Oktober 1961 in Yugawara und entwarfen eine „Grundkonzeption für Evangelisation". In Ubereinstimmung mit dieser Grundkonzeption nahm der Ausschuß für Evangelisation einen „Zehnjahresplan für Evangelisation" an, der zwei Schwerpunkte enthielt: Verbesserung der kirchlichen Struktur und gemeinsame Aktionen für Evangelisation auf Ortsebene. Eine Strukturverbesserung bedeutet für die Kirche mit ihrer Rolle als „Kirche in der Welt" Ernst zu machen, ihre traditionelle Behausung als ein in sich abgeschlossenes System zu verlassen und sich mit der Masse der Bevölkerung in ihrer jeweiligen konkreten Situation zu solidarisieren. Diesem Grundsatz gemäß werden verschiedene Experimente unternommen einschließlich der Evangelisation im industrialisierten Gebiet und den Siedlungen in den verarmten Kohlenminengebieten. Der Kyodan hat auch bezüglich politischer Fragen wie dem Schutz der neuen nationalen Verfassung, der Bewegung gegen eine Neufassung des amerikanischenjapanischen Sicherheitsvertrages von i960, der Proteste gegen die Einrichtung eines Nationalfeiertages am 1 1 . Februar und ebenso gegen eine geplante Staatsverwaltung des Yasukuni Schreines einen klaren Standpunkt eingenommen. Der Kyodan schloß sich der Bewegung gegen

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einen Nationalfeiertag am I i . Februar an, weil er eine Wiederbelebung des Nationalismus der Vorkriegszeit anzeigte - aber er verlor diesen Kampf, als das Parlament der Regierungsvorlage zustimmte. Der Kyodan widersetzte sich der geplanten Regierungsverwaltung des Yasukuni Schreines, weil dies eine erhebliche Verletzung der Religionsfreiheit bedeutete, wie sie von der Nationalverfassung festgelegt ist. Die Regierung, auf die die Vereinigung der vom Krieg geschädigten Familien starken Druck ausübte, ist darauf vorbereitet, der nächsten Sitzung des Parlaments einen Gesetzentwurf vorzulegen, um den Schrein in ein Nationalheiligtum zur Erinnerung an gefallene Soldaten umzuwandeln. Im Kyodan aber befinden sich eine große Anzahl Leute, die sich darüber beklagen, die Verantwortlichen der Kirche tendierten dahin, sich zu stark in politischen Fragen zu engagieren, die vom Gesichtspunkt des Glaubens sehr oft einen zweideutigen Charakter bekämen. So erzeugen politische Aktionen schwere Spannungen zwischen der älteren und der jüngeren Generation innerhalb des Kyodan. Gemeinsame Aktionen für die Evangelisation auf Ortsebene laufen darauf hinaus, mehrere Gemeinden einer bestimmten Religion zusammenzufassen, so daß sie bei der Durchführung ihrer gemeinsamen Projekte miteinander kooperieren können. In einigen Provinzdistrikten hat sich diese Methode als äußerst wirksam erwiesen. Auch in städtischen Distrikten zeigte dieser Grundsatz den Erfolg, die introvertierte Haltung größerer Gemeinden zu sprengen. Die 15. Vollversammlung, die in Tokio vom 21. bis 24. Oktober 1968 stattfand, war in verschiedener Hinsicht sehr bedeutsam. Gleich zu Beginn der Eröffnungssitzung wurden die Wahlen für den Moderator und seine Stellvertreter durchgeführt. Die derzeitige Kirchenleitung, die von einem starken Interesse*an sozialen Fragen getragen wird, wurde von einer Zweidrittelmehrheit gewählt. Ein Drittel der Gesamtzahl der Stimmen ging an einen anderen Kandidaten, der die Unterstützung derer fand, die die Auffassung vertraten, daß der Gründung von Ortsgemeinden mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Freilich vereinfachen wir jetzt etwas zu stark. Keine der beiden Seiten leugnet, daß die Kirche auch noch einen anderen Auftrag hat, auf den die Gegenseite jeweils besonderes Gewicht legt. Beide Seiten sind sich mehr oder weniger bewußt, daß die beiden Funktionen der Kirche auf dialektische Weise miteinander verknüpft werden sollen. Aber der Unterschied in der Akzentsetzung wiegt schwer, weil er in einem Unterschied der theologischen Standpunkte wurzelt. Keine Gruppe beabsichtigt, einen Bruch im Kyodan herbeizuführen. Da aber keine ernsthaften Anstrengungen unternommen werden, zwischen den Gruppen zu vermitteln, kann die Mehrheit

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das Interesse am Kyodan verlieren. Jedenfalls kann die Wahl als Symptom für das Aufkommen eines neuen Zeitalters gelten. Die besonders wichtigen Punkte, über die die Vollversammlung entschieden hat, können folgendermaßen zusammengefaßt werden: 1 . Das Glaubensbekenntnis sollte emster genommen werden, so daß es wirklich zum Rückgrat für eine umfassende Einheit des Kyodan werden kann. Das bedeutet nicht unbedingt, daß der Kyodan nun die Absicht hegt, auf eine offizielle Interpretation zu drängen. Der Grundsatz bleibt, daß es von Herzen und freudig bekannt werden soll. 2. Es sollen Anstrengungen unternommen werden, um die Auffassung des Kyodan, die Kirchen sollten entsprechend dem angenommenen Grundsatz unterschiedliche traditionelle Gesichtspunkte in Erwägung ziehen, einer Klärung zuzuführen. Das impliziert, daß das gegenwärtige System des Kyodan eine Art Synthese unterschiedlicher Strukturen verschiedener Denominationen wie der Presbyterianer, der Methodisten und der Kongregationalisten bildet - und keine der den Kyodan konstituierenden Gruppen zeigt sich darüber voll befriedigt. Besonders ehemalige Presbyterianer haben darauf bestanden, daß den Distriktkonferenzen ein ähnlicher ekklesiologischer Stellenwert eingeräumt werden müsse wie den Presbyterien, an die sie gewohnt waren. Aus diesem Grunde schlägt der Kyodan jetzt vor, nach einer tieferen Ubereinstimmung hinsichtlich des Kirchenverständnisses und einer befriedigerenden Form der Kirchenleitung zu streben. Gegenwärtig gelten die Distrikte als lokale Gemeinschaften, die vom Kyodan eingesetzt werden, um an seiner Stelle sowohl ekklesiologische als auch administrative Aufgaben wahrzunehmen. Im Blick auf die praktischen Bedürfnisse der Ortsgemeinden aber sind viele Funktionen, die bislang vom Zentralausschuß ausgeübt wurden, nun den Distriktskonferenzen übergeben worden. Man beschloß auch, daß 60% der Kollektengelder der Ortsgemeinden von den Distriktskonferenzen verwendet werden können und der Rest dem Haushalt der Zentralbehörde zugeleitet werden sollte. Bislang war das Zahlenverhältnis genau umgekehrt gewesen. 3. Zwischen beratenden und ausführenden Organen wurde eine klare Scheidung vollzogen. Neu wurde das Amt des Generalsekretärs eingerichtet; es ist das höchste Amt, das für die Ausführung der administrativen Angelegenheit verantwortlich zeichnet. Der Moderator bleibt eine Art Oberaufseher der Dienststelle des Generalsekretärs zwischen den Vollversammlungen. 4. Die zentrale Leitungsbehörde selbst wurde durch die Reduzierung der Ständigen Ausschüsse von elf auf fünf einfacher gegliedert - und demzufolge wurde auch die Gesamtzahl der Ausschußmitglieder von 140 auf

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73 herabgesetzt. Dies ermöglicht vielen Pfarrern, sich auf ihre wirklichen Aufgaben zu konzentrieren, anstatt ihre kostbare Zeit damit zu verbringen, Ausschußkonferenzen abzusitzen. Diese Vereinfachung wird dem Kyodan auch dazu verhelfen, finanziell unabhängig zu werden, da man ja auch Reisekosten einsparen kann. Der Kyodan hatte schon lange den Wunsch gehegt, sich finanziell selbst zu tragen, er zielt aber nicht darauf ab, die Beziehungen zu seinen Schwesterkirchen in Übersee abzubrechen, denen er soviel verdankt. Seine eigentliche Absicht besteht darin, eine wirklich japanische Kirche zu werden, die selbst Verantwortung übernehmen kann. j . Hitzige Diskussionen löste in der Vollversammlung des ersten Tages eine Erklärung aus, die vom Moderator abgegeben wurde. Darin wird ein Schuldbekenntnis abgelegt und die Verantwortung für die vom Kyodan während des Krieges begangenen Sünden und Fehler übernommen, die darin bestanden hatten, mit der ultranationalistischen Politik der Regierung Kompromisse einzugehen. Dies geschah gemäß einer von der 14. Vollversammlung verabschiedeten Resolution, aber es führte innerhalb des Kyodan zu schweren Kontroversen. Eine Gruppe von Pfarrern und Laien protestierte scharf gegen diese Erklärung. Sie vertrat die Auffassung, dies stelle, weil vor einem so schwerwiegenden Schritt der ordentliche Verfahrensweg nicht eingehalten worden war, eine Anklage gegen die Verantwortlichen während des Krieges dar, die ja alle möglichen Anstrengungen - einschließlich einiger unausweichlicher Kompromisse - unternommen hätten, um den Kyodan vor einer totalen Zerstörung zu bewahren, und daß, würde man dem geistigen Ansatz der Erklärung folgerichtig zu Ende denken, sogar die Gründung des Kyodan selbst ein schwerwiegender Irrtum gewesen wäre. Warum wurde da nicht gleich der Antrag gestellt, den Kyodan ganz aufzulösen? U m diese schwerwiegende Kluft zu überwinden, bildete der Zentralausschuß eine Kommission aus fünf Leuten, die den Auftrag hatte, den tatsächlichen Vorkommnissen auf den Grund zu gehen. Nach sorgfältigen Untersuchungen berichtete der Ausschuß, schwerwiegende Verfahrensfehler seien nicht begangen worden; allerdings hätte die ganze Angelegenheit sorgfältiger durchdacht werden müssen, um wirklich das volle Verständnis aller Betroffenen Seiten zu erreichen. Die eigentliche Absicht der Erklärung scheint gewesen zu sein, einen Neubeginn zu setzen und in die Gemeinschaft mit den christlichen Brüdern in Ostasien zu treten; aus diesem Grunde sollte der Kyodan vorher mittels dieses Bekenntnisses die Fehler der Vergangenheit ausmerzen. Weil nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, vermochte die 15. Generalversammlung nicht, die Kontroversen dieser schwierigen Frage zu Ende zu bringen, und die Dis-

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kussionen werden zwischen den betreffenden Seiten weitergehen. Jedenfalls muß Sorge getragen werden, daß sich durch solche Kontroversen nicht irgendein Gefühl des Mißtrauens in den Kyodan einschleicht. 6. Ein weiteres Ereignis von geschichtlicher Bedeutung war die Entscheidung, sich mit der United Church von Okinawa zu vereinigen. Bis zum Ende des Pazifischen Krieges gehörten einige Kirchen in Okinawa zum Kyushu Distrikt des Kyodan, aber mit der Beendigung des Krieges wurde Okinawa unter die Militärregierung der USA gestellt und die Beziehung zwischen dem Kyodan und der Kirche von Okinawa brach ab. Die United Church von Okinawa ergriff im Jahre 1966 die Initiative, als sie den eindringlichen Wunsch äußerte, sich mit dem Kyodan zu vereinigen. Der Kyodan vertrat die Auffassung, er wäre dafür verantwortlich, die Last, die auf den Schultern der kleinen Gruppe christlicher Brüder in Okinawa ruhte, mitzutragen und traf auf dieser Versammlung offizielle Vorkehrungen für eine Union. Das einzige Problem bestand darin, daß Japan die Verwaltungsrechte über Okinawa noch nicht wieder zurückerhalten hatte, so daß Okinawa immer noch ein unabhängiges Territorium bleibt, auch wenn zugestanden wird, daß die eigentliche Souveränität wieder in Händen Japans liegt. Wie aber konnten diese beiden Kirchen dann juristisch vereinigt werden? Man kam zum Schluß, daß beide Kirchen als juristische Personen unabhängig bleiben sollten, aber als religiöse Organisationen in eine Gemeinschaft treten sollten. Auf diese Weise wurde die United Church of Okinawa als eine seiner Distrikte dem Kyodan eingegliedert.

Die gegenwärtige Lage und die Zukunftsaussichten

Wir haben der Schilderung des geschichtlichen Werdegangs des Kyodan beträchtlichen Raum gewidmet, weil wir meinten, dies sei der beste Weg, seine gegenwärtige Lage zu verstehen. Die Tatsache, daß er während eines nationalen Notstandes im Jahre 1941 gegründet worden war, hat seinen künftigen Weg zu einem hohen Maße bis heute geprägt. Aus diesem Grund hatte er unter laufenden Absplitterungen einiger denominationeller Gruppen und auch unter internen Spannungen der sektiererischen Gruppen untereinander zu leiden. Auch heute ist er von dieser Spannung noch nicht völlig frei. Er mußte viel Kraft in die organisatorische Koordinierung und strukturelle Verbesserung investieren, die sonst dazu hätte eingesetzt werden können, die Kirche selbst zu stärken. Einige einflußreiche Verantwortliche gehörten gleichzeitig mehreren Ausschüssen an, und demzufolge waren sie nicht im-

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Stande, sich in angemessener Weise um ihre eigenen Gemeinden zu kümmern. Über zehn Jahre mühevoller Anstrengungen wurden benötigt, bevor der Kyodan im Jahre 1954 eine Konfessionskirche wurde. Noch mehr Anstrengungen müssen unternommen werden, um das Bekenntnis noch stärker auf das Leben der ganzen Kirche zu beziehen. Aber das ist nur eine Seite der Münze. Auf der anderen Seite wurde der Kyodan sehr stark von einer großen Mehrheit seiner Mitglieder unterstützt, zu welchen Gruppierungen sie früher auch immer gehört haben mögen. Sie sind fest entschlossen, um jeden Preis seine Einheit zu erhalten. In 27 Jahren Erfahrung haben sie erkannt, daß die früheren denominationellen Grenzen, die sie getrennt hatten, verglichen mit der erfahrenen, segensreichen Einheit und Zusammenarbeit im Kyodan, verhältnismäßig bedeutungslos geworden waren. Mehr noch - der Kyodan wurde mit fähigen Führungskräften ausgestattet, denen es gelang, ihre Herde sowohl im theoretischen wie auch im praktischen Bereich richtig zu leiten. Mit fortschreitender Zeit kommen immer mehr Führungskräfte der jungen Generation, die die ehemaligen Denominationen aus eigener Erfahrung kaum kennen, ans Ruder. Wahrscheinlich die Hälfte der jüngeren Mitglieder der Ortsgemeinden kennt nicht einmal die Namen der alten Denominationen. So wächst der Kyodan allmählich zu einer ziemlich homogenen Kirche heran. Freilich weist auch diese Tendenz ihre Mängel auf. Einige jüngere Kräfte sind nicht geduldig genug, „die einzigartigen Gaben der anderen Kirchen zu achten", wie es die Präambel der Verfassung festlegt. Sie streben eifrig nach einer Konsolidierung, selbst auf Kosten der besonderen Gaben, die die früheren Denominationen einzubringen vermögen. Als Folge davon macht sich Gleichförmigkeit anstatt Einheit in der Vielfalt breit. Ehemalige Methodisten geben ihre traditionelle Frömmigkeit auf. Die Nachkömmlinge der früherbn kongregationalistischen Gemeinden wissen nicht, welch einzigartigen Beiträge sie für die zukünftige Entwicklung des Kyodan leisten körihen. Ehemalige Presbyterianer haben es durchgesetzt, im theologischen Bereich durch ihr unermüdliches Insistieren auf den grundlegenden Lehren des Calvinismus die Führung zu übernehmen, aber ihr Beharren auf dem presbyterianischen Kirchenaufbau als der einzig wahren Struktur blieb innerhalb des Kyodan lange Zeit ein Spannungsherd. Andererseits übte die ökumenische Bewegung einen starken Einfluß auf die neueren Entwicklungen im Kyodan aus. Konzeptionen wie die „Erneuerung der Kirche" und „Die Kirche in der Welt" wurden von der jungen Generation weithin aufgegriffen. Freilich muß in Erinnerung gerufen werden, daß die Vorstellungen und die Möglichkeiten, sie aus-

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zuführen, in der europäischen Situation wurzeln und für die japanische Umwelt nicht immer relevant sind, wo die Kirchen sich immer noch im Anfangsstadium befinden und eine kleine Minderheit bleiben. Der Frömmigkeitstypus, der sich jetzt im Kyodan durchsetzt, stellt eine Kombination evangelischen Glaubens Barthianischer Prägung und einer sozialengagierten christlichen Haltung dar. Die Beziehung zwischen den beiden Frömmigkeitstypen kann man auf dialektische Weise in den Griff bekommen. Theologisch Interessierte suchen der Barthschen Theologie, wie sie sie verstehen, ihre Auffassung des sozialen Engagements zu entnehmen. Die anderen halten den evangelischen Glauben für selbstverständlich und wenden sich unmittelbar den sozialen Aktionen zu. Die Vertreter der ersten Richtung versuchen ihre Tiefendimension des christlichen Glaubens zu bewahren, während sie sich gesellschaftlich engagieren. Die anderen neigen dazu, sich leichtfertig mit irgendeiner politischen Bewegung oder einer Partei zu identifizieren, ohne sich des dämonischen oder zweideutigen Charakters der politischen Bewegungen bewußt zu sein. Da die wichtigsten denominationellen Gruppierungen, aus denen sich der Kyodan zusammensetzt, wie die Presbyterianer und Kongregationalisten, calvinistischen Ursprungs sind, ist im Kyodan die Tendenz spürbar, die Beziehung Gottes zur Welt, die Beziehung zwischen Christus und der bebauten Erde in Antithesen zu fassen. Auf die Wirklichkeit bezogen bedeutet dies, daß der Kyodan dazu neigt, sich gegenüber dem Status quo kritisch oder gar im Widerstreit zu verhalten. Diese prophetische, kritische Auffassung der Kirche sollte als Beitrag zur Demokratisierung der japanischen Gesellschaft positiv gewertet werden. Freilich muß sie in der Zwischenzeit auch dafür verantwortlich gemacht werden, daß der christliche Glaube in Japan nur allmählich heimisch wird. Solange dieser grundsätzliche Wesenszug bestehen bleibt, wird die Christenheit in Japan weiterhin eine kleine Minderheit darstellen, die von der sie umgebenden Gesellschaft isoliert ist. Über ein Vierteljahrhundert nach seiner Gründung im Jahre 1941 ist der Kyodan nun im Begriff, eine recht homogene und fortschrittliche Kirche zu werden, die mit fähigen Führungskräften ausgestattet ist - aber sie ist finanziell noch lange nicht gesichert. Nur 750 von 1629 Gemeinden und Predigtplätzen haben mehr als 50 abendmahlsberechtigte Mitglieder und können sich selbst tragen. Die übrigen müssen auf diese oder jene Weise unterstützt werden. Aber die Entscheidung steht fest, daß der Kyodan innerhalb weniger Jahre imstande sein muß, sich selbst zu erhalten. Um diesen risikoreichen Versuch ohne den Verlust seiner gegenwärtigen Stärke erfolgreich durchführen zu können, muß der Kyodan

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ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Wenn dieser Versuch gelingt, kann er eine wirklich japanische Kirche werden. In der Zwischenzeit muß er sich als Unierte Kirche nach allen Richtungen hin offenhalten. Als Erstes muß er sich anderen Denominationen öffnen, um eine noch umfassendere Einheit zu verwirklichen. Faktisch stehen ja seine Türen allen anderen Denominationen einschließlich der Pfingstgemeinden weit offen. Die jüngst erfolgte Union mit der United Church of Okinawa liefert dafür ein gutes Beispiel. Als Zweites muß er sich allen Kirchen in der ganzen Welt öffnen, um sich selbst als Teil der universalen Kirche zu erweisen. Um einige Beispiele anzuführen, so klein und dürftig sie auch sein mögen; der Kyodan konnte Missionare nach Taiwan, Thailand, Indien, Pakistan, Ägypten, Bolivien usw. aussenden. Schließlich muß er sich der japanischen Gesellschaft offenhalten, um die gemeinsame Lasten der Nation mitzutragen. Kritik allein genügt nicht. Nur in echter Solidarität mit der Nation, die sich auf einmalige Weise zu verwirklichen hat, kann er eine wirklich einheimische Kirche werden. Die weiteren Aussichten für den Kyodan stehen nicht unbedingt günstig. Ein langer und steiler Weg liegt noch vor ihm. Er muß gegen das drohende Wiederaufleben einer falschen Spielart des Nationalismus angehen. Er muß mit dem sich ausbreitenden Säkularismus fertig werden. Er muß dem Aufbruch neuer Religionen und des Kommunismus begegnen. Um diese Situation erfolgreich meistern zu können, muß der Kyodan alle ihm zur Verfügung stehenden Kräfte mobilisieren. Im gegenwärtigen Stadium kann man wenigstens soviel sagen: Der Kyodan befindet sich auf dem richtigen Weg.

VERZEICHNIS Anschrift: 1 - 5 5 1 , Totsuka-machi, Shinjuku-ku, Tokyo, Japan. Mitglieder der Kirchenleitung: Pfarrer Mitsuho Yoshida (Moderator) Generalsekretär: Pfarrer Toru Takakura Ständige Ausschüsse: Ausschuß für Glauben und Kirchenverfassung Prüfungsausschuß für Pfarrer Ausschuß für persönliche Angelegenheiten der Pfarrer Finanzausschuß Ausschuß für Mission und Evangelisation Amt für Veröffentlichungen

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Theologische Seminare: Unter unmittelbarer Leitung des Kyodan: Tokyo Union Seminary. Vom Kyodan anerkannt: School of Theology, Doshisha University. Theological Seminary, Kansei-Gakuin University. Japan Biblical Seminary. Tokyo Biblical Seminary. School for Agricultural Evangelism. Theological Faculty, Department of Literature, Aoyamagakuin University. Dem Kyodan unterstehende Schulen: 45. Dem Kyodan unterstehende Wohlfahrtsorganisationen: 79. Vom Kyodan betriebene Kindergärten und Kindertagesstätten: 655. Zeitschriften: The Kyodan News (zweimal im Monat) The Friend of Laymen (monatlich) The Friend of Hearts (monatlich) Guides for Church School Teachers (monatlich)

LITERATUR William Axling: Japan at the Midcentury: Leaves from Life, New York 195J. Otis Cary: A History of Christianity in Japan, 2 Bde. New York 1909. C. W. Iglehart: A Century of Protestant Christianity in Japan, Tokyo 1959.

Kapitel 9 D I E C H U R C H OF S O U T H I N D I A F . G . MULIYIL

ieser Beitrag wird sich mit der Geschichte, dem Aufbau, den Einrichtungen und dem Gottesdienst der Kirche befassen, die den Namen „Kirche von Südindien" trägt. Die Zerspaltenheit hat sich in den westlichen Kirchen schon so verfestigt, daß diese Kirchenunion als eine erstaunliche Leistung angesehen wird, die mit Begriffen wie „beispielslos", „geschichtlich", „einzigartig" beschrieben wird. Ich werde auf den folgenden Seiten versuchen, einen etwas nüchterneren und objektiveren Standpunkt einzunehmen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Union, zu der sich nur drei der zahllosen Denominationen, die in ganz Indien ihren Dienst tun, zusammengeschlossen haben. Auch stellt sie keine Union eigentlicher Denominationen, sondern einen Zusammenschluß von Gemeinden dar, die durch die Arbeit denominationeller westlicher Missionsgesellschaften gegründet wurde. Man muß sich vor Augen halten, daß die westlichen Missionare, die in dieser Unionskirche arbeiten, sich nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat einmal mehr wieder in ihre Denominationen begeben. Diese Union steht am Ende vieler Jahre geduldiger Verhandlungen. Sie fanden bezeichnenderweise im Jahre 1947 ihren Höhepunkt, der fast mit der Übertragung der politischen Macht von den fremden Herrschern auf den Indian National Congress zusammenfiel. Seit das Ringen um eine nationale Selbständigkeit, einer eigenen Regierungsform, einem Selbstverwaltungsrecht oder gar nach völliger Unabhängigkeit im Gange war und deren Verwirklichung unaufhaltsam näherrückte, befanden sich die Missionsgesellschaften in einer zunehmenden Verlegenheit, da sie im Kielwasser der kolonialen Expansion gesegelt waren und sich die gleichen Machtstrukturen gegeben hatten. Der kirchliche Zusammenschluß wurde eine pragmatische Notwendigkeit, noch bevor er theologisch notwendig wurde. Die durch die Jahre weitergeschleppten theologischen Gespräche waren akademische Konversationsübungen, da die Masse der neubekehrten Christen theologisch ungebildet und desinteressiert war und es auch weiterhin bleibt. Die latenten Schwierigkeiten bestanden in einem rivalisierenden Parteiengeist und den organisatorischen Hinder-

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nissen. Als die Union dann tatsächlich zustande kam, wurde diese Tatsache den meisten Christen eigentlich kaum bewußt, und sie besuchten weiterhin die gleichen Kirchen und benutzten immer noch die gleichen Gottesdienstformen. Die Vereinheitlichung der Organisation war nur der Anfang. Die Liturgie der Kirche von Südindien ist noch nach 20 Jahren vielen Christen kaum vertraut.

Die Kirche in ihrer Umwelt

Der Name der Kirche weist nur auf ihre geographische Einordnung hin. Das ist theologisch einwandfrei. Die Kirche ist eine, und die Gemeinden stellen ihre örtliche Gestalt dar. Die geographische Ausdehnung der Kirche von Südindien reicht weit. Sie ist über den größeren Teil der indischen Halbinsel und den nördlichen Teil von Ceylon verbreitet und erstreckt sich über vier verschiedene Sprachregionen der indischen Union. Im Norden liegen die Telugu-Diözesen der Kirche - Medak, Dornakai, Kistna-Godaveri und Rayalseema. Im Süden und Südosten liegen die Tamil-Diözesen von Madras, Madura, Coimbatore, Tiruchirapally-Thanjavoor, Tirunelveli und Kanyakumari. Die Diözese von Mysore erstreckt sich vom Zentrum nach Norden und Westen über die Kannada-sprachigen Gebiete. An der Westküste, wo Malayalam gesprochen wird, liegen die Diözesen von Nord-Kerala, Zentral-Kerala und Süd-Kerala. Die Diözese von Jaffna in Nord-Ceylon spricht Tamil. Die Kirche von Südindien ist das Ergebnis der Vereinigung dreier verschiedener Gruppierungen von Christen. Es waren a) die anglikanischen Diözesen von Madras, Travancore und Tirunelveli^ b) die MethoHistische Kirche (der Provinzialsynode von Südindien); und c) die South India United Church. Bei den ersten beiden handelt es sich um für Unionen aufgeschlossene Kirchen, die eine ausgeprägte kirchliche Tradition verkörpern, aber die letztgenannte war selbst schon als Folge eines früheren Zusammenschlusses der kongregationalistischen und presbyteranischen Kirchen in Indien und Ceylon entstanden. Die Kirche von Südindien ist nach dem Vorbild der westlichen Kirche nach bischöflicher Tradition aufgebaut. Die lokale Größeneinheit bildet der Pfarrbezirk, dem ein Presbyter oder ein Diakon dient. In ländlichen Gegenden gehören eine Anzahl Dorfkirchen zu einem Pfarrbezirk. Eine Pfarrbezirkskommission aus repräsentativen Laien, in der der Pfarrer den Vorsitz hat, trägt für das geistliche und zeitliche Wohl der Kirche Verantwortung. Um die Verwaltung und die Zusammenarbeit zu erleichtern, bildet eine Gruppe solcher Pfarrbezirke einen Regionalrat. Der

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Diözesanrat, der jährlich einmal zusammentritt, setzt sich aus allen Presbytern und den gewählten Laienvertretem zusammen. Hier führt der Bischof den Vorsitz. Ausschüsse aus gewählten Vertretern der Presbyter und Laien verrichten die Arbeit des Rates und gewährleisten damit die Mitbeteiligung der Laien. Die Bischöfe aller Diözesen und die gewählten Vertreter der Presbyter und der Laien bilden die Synode der Kirche, die alle zwei Jahre zusammentritt. Dieses Gremium verkörpert die oberste Autorität der Kirche. Aus den Reihen der Bischöfe wird ein Moderator gewählt, der der Synode vorsteht. Die Kirche umfaßt ferner noch eine Missionsbehörde, einen Diakonissenorden, der der Oberaufsicht der Synode unterstellt ist, und eine Organisation, die Eigentum besitzen und verwalten kann. Der „South India Churchman", das offizielle Organ der Kirche, ist eine Monatszeitschrift und bringt Nachrichten und Kommentare. Die Kirche von Südindien ist keineswegs die einzige Kirche in diesem Gebiet. Innerhalb ihrer geographischen Grenzen finden sich verstreut auch Lutheraner, episkopale Methodisten, Baptisten und eine Anzahl Sekten, Pfingstler, Zeugen Jehovas, Adventisten und die Church of the Brethren. Ihnen allen gegenüber und sie in den Schatten stellend steht die römisch-katholische Kirche, die zahlenmäßig alle protestantischen Gruppierungen zusammengenommen weit übertrifft. Ganz im Süden gibt es auch noch die St. Thomas Christen (die Syrische Kirche), die jetzt in verschiedene Parteien aufgespalten ist. Ein Teil dieser ethnischen Gruppierung schloß sich Mitte des letzten Jahrhunderts der Anglikanischen Kirche an, als die Church Missionary Society in Kerala zu arbeiten begann. Diese Gruppe bildet jetzt eine Diözese der Kirche von Südindien in Zentral-Kerala. Die Aufzählung der verschiedenen Kirchen mag den Eindruck erwecken, die Zahl der Christen in Indien sei sehr groß - aber verglichen mit der übrigen Bevölkerung bilden die Christen eine verschwindend kleipe Minderheit.

Der Hintergrund der Union

Der erste Schritt zu einer Union wurde schon 1910 auf der Konferenz von Edinburgh unternommen. Es war das erste Mal, daß sich Vertreter verschiedener Missionsgesellschaften versammelten, um ihre Arbeitsergebnisse zu vergleichen, einen Erfahrungsaustausch abzuhalten und gemeinsam Planungsarbeit für die Zukunft zu leisten. Man diskutierte über die verschiedenen politischen, kulturellen und religiösen Faktoren. Diese Beratungen führten zu recht optimistischen Ausblicken, und die

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Zukunft steckte voll großer Erwartungen. Die Konferenz von Edinburgh wurde als erste ökumenische Konferenz gefeiert - eine Vorläuferin des Ökumenischen Rates der Kirchen. Sie beendete eine Epoche und setzte den Beginn einer neuen. Die vorangegangene Aera war Schauplatz des westlichen Vormarsches in die Länder des Ostens und der westlichen Vorherrschaft in Asien und Afrika gewesen. Die christlichen Missionsgesellschaften waren im Kielwasser der Eroberung und des Handels gefolgt. In Indien wurde die eigentliche Begründung der Mission nie richtig verstanden. War die Mission nun eine unabhängige religiöse Bewegung oder bildete sie einen Bestandteil der kolonialen und kulturellen Expansion Europas im Osten? Sie stellte den Hindu vor ein Rätsel. Freilich fand das humanistische Gedankengut des Westens in den konkreten Vorhaben der christlichen Missionsgesellschaften seinen Ausdruck. Diese humanitären Projekte waren von ungeheurem Wert, denn sie erhöhten das Ansehen der Mission nicht nur in den Augen der hinduistischen Intelligenz, sondern auch bei der Kolonialregierung. Mit ihrer besonderen organisatorischen Begabung institutionalisirten die Missionsgesellschaften ihre Arbeit. Die Kirche wurde eine ihrer vielen Einrichtungen. Das Verhältnis zwischen Mission und Kirche wurde nie geklärt, und die beiden jeweils zukommenden Bereiche wurden nie klar umrissen. Die indischen Kirchen schienen Anhängsel der Missionsgesellschaften zu sein, die sich für die Kirchen, die sie ins Leben gerufen hatten, wie Eltern für ihre Kinder verantwortlich fühlten. So rückte in Edinburgh zunächst die Einheit der Mission ins Blickfeld. Aber die Forderung nach Einheit lief in zwei Stoßrichtungen. Die Einheit der Mission mußte in der Einheit der Kirche ihren Ausdruck finden. Solange die Kirche in den Ursprungsländern der Christenheit lediglich den Versammlungsort für den Gottesdienst anbot und eine gewisse Geselligkeit ermöglichte, drängte das Problem der Einheit nicht. Aber als die Aufgabe der Mission mit den neubekehrten Christen in den entfernten Missionsfeldern geteilt werden mußte, wurde ein gemeinsames Zeugnis überaus wichtig. Die Missionsgesellschaften hatten erkannt, daß sie sich gemeinsam um das gleiche Zeil bemühten, aber sie mußten jetzt die von ihnen gegründeten Kirchen in eben diese Bemühung miteinbeziehen. Im letzten Jahrhundert verhielten sich die Institutionen, aus denen sich die verschiedenen Missionsgesellschaften zusammensetzten, wie imperialistische Unternehmen, die außerhalb Indiens Körperschaftsrechte besaßen und bei denen die Leitung und Strategieplanung in fremden Händen lag. Dieser Sachverhalt mußte geändert werden. Bücher über dieses Thema wurden geschrieben. Das Buch „Our Task in India" von Bernard.

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Lucas war bedeutsam. Die Missionare begannen bald zu erkennen, daß sie die Kirchen von ihrer Unmündigkeit befreien mußten. Die Kirchen konnten nicht für immer Außenposten westlicher christlicher Mächte bleiben. Diese Erkenntnis rief vielfach ein Überdenken der anstehenden Fragen hervor, und auch im christlichen Westen fand man für den Gedanken der Mission eine neue Konzeption. Viele Jahrhunderte lang hatten sich die Kirchen in der Weise entfaltet, daß sie ein gewisses Gemeinschaftsleben ermöglichten oder zu Zentren persönlicher Frömmigkeit wurden. Die religiöse Schwärmerei führte zu religiösem Gruppenverhalten. Erst als die Kirchen mit der Notwendigkeit konfrontiert wurden, eine evangelistische Arbeit zu beginnen, wurden die Spaltungen als Hindernisse bewußt. In jedem Missionsfeld verhindern Kirchentrennungen, daß die Kirchen ihrem Zeugnisauftrag gerecht werden können. In Indien, wo die Menschen in gesellschaftlich exklusiveren Gruppen leben, könnten die denominationeilen Spaltungen tödliche Auswirkungen haben und die eigentliche Botschaft des Neuen Testamentes völlig verwischen. Die Erkenntnis der gemeinsamen missionarischen Aufgabe mußte die Kirchen zu einer organischen Einheit führen. Die Mission ist in Wirklichkeit nicht eine unter verschiedenen Aktivitäten, an denen sich die Kirche beteiligt, sondern sie muß im Leben der Kirche selbst zum Ausdruck kommen. Da der Ursprung der verschiedenen Traditionen und Strukturen nicht in Indien lag und man sich deren geschichtlicher Bedeutung nicht bewußt war, mußte die Zusammengehörigkeit der Kirche und der Mission in Indien ihren konkreten Ausdruck in einer Union verschiedener Kirchen finden. Aber bevor die Frage der Einheit in Betracht gezogen werden konnte, mußte eine grundsätzliche Untersuchung angestellt werden. Worin liegt die Bedeutung und das Wesen der Kirche? Die empfindsameren und mündigeren indischen Christen begannen von dieser Frage umgetrieben zu werden. Eine kleine Gruppe intellektueller indischer Laien, die „Rethinking group", fing an, über das „Heimischwerden der Kirche" zu sprechen und zu schreiben. Sie suchte nach einer indischen Theologie, einer indischen Gottesdienstform, nach einer neuen Gliederung des Amtes. Aber diese Gruppe fand von Seiten der kirchlichen Autoritäten keine Anerkennung, arbeitete isoliert und verschwand schließlich von der Bildfläche. Der Versuch wurde nie unternommen, die Arbeit der „Rethinking Group" mit den Plänen der Kirche inEinklang zu bringen. Die tiefergreifenden Probleme der Auslegung und der Kommunikation fanden nie das Interesse der Baumeister der indischen Kirche. Die Architekten derKirchenunion verloren deshalb denAnschluß an die dynamischsteDenkleistung der indischen christlichen Laien oder ließen sie unberücksichtigt.

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Inzwischen hatte der Westen Krieg und Revolution sowie gesellschaftliche und ideologische Umwälzungen erlebt. Die starke Industrialisierung, die erstaunlichen Errungenschaften der Naturwissenschaft, die sich immer mehr erweiternde Wissensgrenze und ein wachsendes Gefühl der Entfremdung - all dies führte zur Säkularisierung. Die alte Gesellschaftsordnung zerfiel und alte Wertsysteme bröckelten ab. Die Kirche sah sich vor ihre größte Herausforderung gestellt. Wissenschaft und Rationalismus schienen den Sieg davongetragen zu haben - der Westen wurde mit der Tatsache konfrontiert, daß die Kirchen immer leerer wurden und die Pfarrer jeden Einfluß verloren hatten. U m die komplexen Probleme der modernen technologischen Welt richtig anpacken zu können, schien die Beseitigung der kirchlichen Spaltungen das mindeste, was erreicht werden mußte. In den weitentfernten Missionsfeldern erscheinen diese Spaltungen nicht nur irrelevant, sondern auch lächerlich, da sie noch nicht einmal von einer einheimischen Tradition gestützt werden. So war die Zeit für die Einheit gekommen. Der natürliche Lauf der Dinge hatte im praktischen Bereich den christlichen Institutionen ein gewisses Maß an Einheit gebracht. Obwohl viele von ihnen ursprünglich von Denominationen gegründet worden waren, dienten diese Institutionen den menschlichen Bedürfnissen in ihrer jeweiligen Umwelt und waren in den Augen der Öffentlichkeit nicht mehr mit einer bestimmten Mission oder eine bestimmten Kirche verknüpft. Das traf für die christlichen Colleges und Krankenhäuser zu. Aber die Aufgabe, die Kirchen zu vereinigen, bedurfte einer viel genauer ausgearbeiteten, durchdiskutierten und gemeinsameren Planung. Das Manifest von Tranquebar 1919 brachte die Gespräche und Verhandlungen in Gang, die schließlich in der Gründung der Kirche von Südindien ihren Höhepunkt fanden. Zu der Konferenz, die diese Erklärung ausarbeitete, kamen eine Anzahl Pfarrer, die zur South United Church gehörten, und einige Priester der anglikanischen Gemeinschaft in Indien. Die herausragende Persönlichkeit unter den Priestern war ein indischer Bischof, der als erster und letzter unter dem „Establishment" geweiht wurde. Die frühe Periode dieser Kirche war die Sturm- und Drangzeit. Das nächste Stadium war der „Konversation" gewidmet, einem dialektischen Schlagabtausch, bei dem sich die Kirchen miteinander konfrontierten. Eine ganze Reihe von Verhandlungsausschüssen, in denen verschiedene sich vereinigende Kirchen vertreten waren, kamen immer wieder zusammen, entwarfen Pläne für die Union und verwarfen sie wieder oder revidierten sie auf dem Hintergrund ermüdender Debatten und Gespräche. Jede Entwicklungsstufe wurde von den Heimatbehörden der verschiedenen Missionsgesell-

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Schäften sorgfältig beobachtet, die weitab in ihren Ämtern in England oder Amerika saßen. Zu diesem Zeitpunkt besaßen die indischen Kirchen schon ihre Leitungsgremien und Synoden und die indischen Christen hatten sich an den Gesprächen lebhaft beteiligt. Aber in Angelegenheiten des Glaubens, des Gottesdienstes und in Strukturfragen waren ihre Rechte grundsätzlich beschnitten. Da die Vorschläge für eine Kirchenunion die äußere Gestalt der verhandelnden Kirchen direkt betraf, lagen Vorsicht und zögernde Haltung an der Tagesordnung. Für die Inder, die sich an dem Gespräch beteiligten, muß das ein beklemmendes Gefühl gewesen sein. Sehr wenig davon sickerte bis zum „Fußvolk" der Gemeinden durch. Wie groß das Maß an Unwissenheit unter den indischen Laien war, kann daran beurteilt werden, daß einige einfache Christen und Hindi bei der Unionsgründung der Ansicht waren, es handle sich um eine Kirchenvereinigung zwischen römischen Katholiken und Protestanten. Als sie schließlich den wahren Tatbestand erfuhren, konnten sie nicht verstehen, warum soviel Aufhebens gemacht worden war. Die durchschnittlichen Christen aber nahmen die Ergebnisse auf Treu und Glauben hin. Die Mitarbeiter der Missionsgesellschaften ordneten das Werk eines Jahrhunderts neu. Unter ihnen befanden sich einige hochbegabte und lautere Männer, die sich des folgenschweren Charakters ihrer Aufgabe sehr wohl bewußt waren. Die Verhandlungen schleppten sich hin, und Fortschritte vollzogen sich nur ungleichmäßig, und der ganze Vorgang der Verantwortungsübergabe trug eine befremdende Ähnlichkeit mit den zähen Verhandlungen zwischen der englischen Regierung und dem Indian National Congress. Der koloniale Charakter der kirchlichen Autorität spiegelte sich im Kampf um die Union wider. Zweifellos hatten die Geschehnisse im politischen Bereich ihre Rückwirkungen auf den christlichen Raum. Der Indian National Congress, der 1885 gegründet wurde, war ursprünglich eine Behörde, die die indische Auffassung in Fragen der Regierungsform auszuloten hatte. In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts kam er unter die Führung Mahatma Gandhis und wurde zur Speerspitze des Unabhängigkeitskampfes. Die Kirchen hielten sich von diesem Kampf fern, aber die Missionare wurden des Pulsschlages der nationalen Bewegung gewahr. Da konnte es nicht ausbleiben, daß auch die Christen eine Art Selbstregierung forderten. Die Rethinking Group verhielt sich erklärtermaßen nationalistisch. Ihre Forderung nach einer indischen Kirche war ein Ausdruck ihrer nationalen Gesinnung, aber im Gegensatz zu den Pfarrern war sie nicht an einer Umverteilung der Macht interessiert, sondern an einer indisch geprägten Theologie und Liturgie und an einer Kirche, die im kulturellen Leben Indiens verwurzelt

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und begründet war und nicht eine Struktur aufwies, die aus dem Westen importiert worden war. Es könnte das wahre Wesen der Kirche verdecken, wenn man von einer nationalen oder internationalen Kirche spräche. Dieses Problem stiftete recht viel theologische Verwirrung. Wenn man schon Schwierigkeiten hat, nur schon das Wort Kirche in die indischen Sprachen zu übersetzen, wieviel mehr gilt das dann erst für seine inhaltliche Füllung! Das schöpferische Denken dieser Rethinking Group wurde als unorthodox und radikal angesehen. Viele indische Christen schreckten davor zurück, überhaupt in dieser Richtung zu denken. Die Unionsbewegung verlief in einer Richtung, die von den Führern der Mission festgelegt worden war. Die missionarischen Führungskräfte suchten den wachsenden Nationalismus zu steuern und ihn für die Interessen der Einheit zu nutzen. Sie sahen eine Zeit kommen, in der alte, von ihnen gegründete Institutionen endgültig unter die Kontrolle von Indern kommen sollten. Alle diese Institutionen waren stark von ausländischen Mitteln abhängig. Entsprechende Vorkehrungen mußten getroffen werden, bis die Verantwortung schließlich abgetreten werden konnte. So wurden die theologischen Faktoren, die nach Einheit verlangten, weithin von einer pragmatischen Gesinnung unterlaufen. Blickt man auf die frühe Geschichte der Union zurück, dann tut man gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, daß eine systematische theologische Unterweisung noch kaum begonnen hatte. Den indischen Kirchen war kein Mittel in die Hand gegeben, einen Selbsterfahrungsprozeß durchzumachen. Sie hatten kaum Gelegenheit, ein Selbstbewußtsein zu entwickeln. Unter den indischen Christen vertrat die Rethinking Group durch eine Gruppe aufrichtiger, einsatafreudiger und begabter Intellektueller einen intuitiven Zugang zum wirklichen Kern des Problems. Aber die große Masse der Christen konnte mit dieser Denkrichtung nicht viel anfangen. Sie waren im wesentlichen von ihrem Verhältnis zu den Missionsgesellschaften, die die Kirchen gegründet hatten, in Beschlag genommen, deren finanzielle Unterstützung für sie eine lebenswichtige Angelegenheit bedeutete. Es verhielt sich so, wie Dr. John Grant es ausdrückt: Die Kirchen waren isolierte Gruppen, „geschlossene Gesellschaften". Tatsächlich trennte sich ein Diözesan-Distrikt der Kirche von Südindien in Nandyal von der Union, weil die Missionsgesellschaft, der sie ihre Existenz verdankte, ihr auf Grund einer Verordnung keine Zuwendungen mehr hätte gewähren können, wenn sich die Kirche der Union angeschlossen hätte. Wäre die indische Kirche von Anfang an finanziell unabhängig gewesen, hätte sich ihre Geschichte wohl völlig anders gestaltet. Als die Gespräche begannen, wurden die Begriffe „Staatskirche" und

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„Freikirche" geflissentlich vermieden, aber es braucht nicht betont zu werden, daß sie für die Herkunft der Missionare und der kirchlichen Funktionäre in nationaler und geistlicher Hinsicht von entscheidender Bedeutung waren. In einem nichtchristlichen Land schwingen bei diesen Begriffen völlig andere Obertöne mit. Konformität und Nichtkonformität finden außerhalb eines bestimmten kulturellen Umkreises keine Entsprechung. Vom indischen Standpunkt betrachtet waren sie alle Nonkonformisten, fremde Gruppierungen, die Organisationen in einem weit entfernten Land angegliedert waren. Den indischen Christen aber erschien die anglikanische Kirche als offizielle Kirche, vergleichbar etwa mit dem Stellenwert der autorisierten Bibelausgabe. Zu dieser Zeit stellte die anglikanische Kirche den kolonialen verlängerten Arm der Church of England dar und war von daher gesehen eine Staatskirche. Die Gemeinden, die von den Missionsgesellschaften der Kirche von England gegründet waren, standen unter der Aufsicht der anglikanischen Bischöfe, die unter dem „Establishment" Staatsbeamte waren. So genossen die Anglikaner ein Ansehen, das den anderen Kirchen nicht zuteil wurde. Eine Staatskirche in einem überwiegend heidnischen Land ist eine Anomalie. Die Behörden selbst spürten das und enthoben sie im Jahre 1927 ihres staatskirchlichen Status. Aber die britische Herrschaft ging noch 20 Jahre weiter, und der darauf zurückführende Einfluß hielt an. Entscheidende Fragen wie die der Freiheit und der Autorität erhielten bei verschiedenen Menschen eine unterschiedliche inhaltliche Füllung. Diese Diskussionen bewegten sich oberhalb des Fassungsvermögens des durchschnittlichen Kirchgängers, wie das wahrscheinlich für jede Kirche an jedem Ort zutrifft, aber die Führungskräfte der Mission versuchten in ehrlicher Weise die christlichen westlichen Denominationen zu vereinigen in der Hoffnung, Indien eine Kirche zu vermachen, in der die westlichen Unvereinbarkeiten beseitigt waren. Zwei verschiedene Denkrichtungen und Lebensauffassungen mußten in einer wirklich weiterfuhrenden organischen Einheit in Einklang gebracht werden. Eine dieser Richtungen bildet die evangelikale Bewegung, die den Anstoß zut Mission in Ubersee gab und sich durch einen religiösen Enthusiasmus auszeichnet. Die andere Tendenz neigt zu einer Stabilisierung, die mittels der Strukturen erfolgen soll. Die Kongregationalisten vertreten die erste, die Anglikaner die zweite dieser Richtungen. Die Missionsgesellschaften suchten nach einem Einheits- und Autoritätsprinzip unter den Kirchen, die ab Ergebnis ihrer Arbeit entstanden waren. Bis dahin war die Leitungsbefugnis der Missionare unbestritten; als nun aber diese Vollmacht aufgehoben wurde, war die Zukunft nicht mehr vorauszusehen. Konnte nun keine gemeinsame

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Grundlage für Glauben und Kirchenverfassung unter den Kirchen gefunden werden, mußte alle Freiheit dem Diktat einer starken Gruppe oder einer starken Persönlichkeit, Pfarrer oder Missionar, weichen. Die Anglikaner besaßen im Bischofsamt schon ein zentrales Leitungsamt. Gleichzeitig trachteten sie danach, etwas von der Freiheit und der Unabhängigkeit der evangelikalen Gemeinden zu erlangen. So herrschte zwischen ihnen von Anfang an eine Spannung. Die Union der South India United Church hatte die Einheitsgesinnung am Leben erhalten. Während des Ersten Weltkrieges kam die echte Gesinnung für eine christliche Einheit durch die Rettung der Basler Mission, die dann später durch die Hilfe der anderen Missionsgesellschaften der South India United Church wiederhergestellt wurde, zum Ausdruck. Denominationelle Bande begannen sich zu lockern. Die South India United Church förderte die gemeinsame theologische Ausbildung, legte stärkeres Gewicht auf das geistliche Amt und war faktisch für die Gründung des United Theological College in Bangalore verantwortlich. Dies war der erste Schritt, der dazu beitrug, daß man seine jeweilige kirchliche Nachbarschaft entdeckte. Es bedeutete eine ständige Herausforderung an andere Missionsgesellschaften, die zu träge oder nicht bereit waren, den Kirchen Verantwortung zu übertragen. Die Methodisten und Lutheraner waren durchaus auch davon betroffen, aber erstere waren von einer Massenbewegung in Hyderabad in Anspruch genommen, während letztere nicht im Blick auf die Organisation, wohl aber im Blick auf die Theologie sich vorsichtig und zögernd verhielten. In diesem Zusammenhang verdient die Mar-Thoma-Kirche von Kerala Erwähnung. Sie war der protestantische Teil der alten Syrischen Kirche und hatte durch die Church Missionary Society den Geist der evangelikalen Begeisterung eingesogen. Sie pflegte Kontakte mit westlichen Missionsgesellschaften und Institutionen und hatte sich von der Mutterkirche gelöst. Zunächst fühlte sie sich vom Gedanken einer Union angezogen, trat dann aber zurück, als die eigentlichen Verhandlungen begannen, denn sie fürchtete, daß eine Union mit Kirchen der westlichen Traditionen eine eventuelle Wiedervereinigung mit der Jakobitenkirche, von der sie sich abgespalten hatte, verunmöglichte. Aber sie übernahm die Arbeitsweisen derwestlichen Institutionen und errichtete Zentren außerhalb Keralas. Die Gemeinden dieser Kirche bestehen aus Mar-Thoma-Christen, die aus ihren Heimatländern auswanderten und mit den Synagogen in der Zeit der jüdischen Diaspora verglichen werden können. Die Mar-Thoma-Kirche besitzt verschiedene evangelische Zentren, aber dieser Tatbestand birgt einige Spannungsherde in sich, weil das Verhältnis zwischen den Syrern und ihren Proselyten

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zweideutig ist. Wir müssen auf diese Frage zurückkommen, wenn wir uns mit dem Problem der Union befassen.

Der Verlauf der Gespräche Der Unionsplan der Kirchen ist in seinen Grundzügen allgemein als „Lambeth Quadrilateral" bekannt. Er stellte die Minimalbedingungen vom anglikanischen Gesichtspunkt her dar. Die Formel war nicht für diese Gelegenheit erarbeitet worden. Sie geht auf das Jahr 1888 zurück, als in Amerika eine ähnliche Situation bestand. In bestimmter Weise machte sie Aussagen über die Gestalt der Kirche und die Heilige Schrift, die Sakramente, das Glaubensbekenntnis und das Amtsverständnis. In den ersten drei Punkten existierten praktisch keine Meinungsverschiedenheiten. Altes und Neues Testament wurden als verbindliche Richtschnur angesehen, und die beiden Sakramente, Taufe und Abendmahl, werden von allen größeren protestantischen Konfessionen anerkannt. Was die Glaubensbekenntnisse betrifft, so bildete das Apostolische Glaubensbekenntnis die Grundlage für die Unterweisung in allen Kirchen. Das sogenannte Nicänische Glaubensbekenntnis stellt bestimmte Glaubensaussagen heraus, indem es auf einige der Häresien Bezug nimmt, die in den ersten Jahrhunderten entstanden waren. Eine Anzahl nonkonformistischer Kirchen wußte nicht einmal um die Existenz dieses zweiten Glaubensbekenntnisses. Seine Christologie wird mit altmodischen Begriffen und einer archaischen Sprache dargelegt, die an frühe Kontroversen erinnern. Aber die Antworten des Glubensbekenntnisses auf einige moderne Fragen, die die Person Jesu Christi betreffen, sind zu wertvoll, als daß man auf sie verzichten könnte. Die Nonkonformisten hatten mit verschiedenen neuen Glaubenserklärungen experimentiert, aber sie spiegelten alle zu sehr bestimmte Stimmungen und zeitbedingte Gedanken wider und eigneten sich kaum für ein offizielles Bekenntnis. Deshalb wurde gegen ein zweites Glaubensbekenntnis kein Einspruch erhoben. Aber hinsichtlich der Frage der Ämtervereinigung verliefen die Streitigkeiten lautstark und langwierig. Die Schriften der Kirchenväter wurden nach Argumenten für die jeweils eigene Auffassung durchkämmt. In die Diskussion über das Bischofsamt brachte man die ganze Geschichte, deren man sich nur schwach erinnerte, dieser Institution der westlichen Kirche ein - mit ihren staatstreuen Kirchen und den fürstlichen Bischöfen. Ein Inder ließ schon frühzeitig Warnung ergehen: „Eine monarchische oder partriarchalische Regierungsform ist für Indien etwas so Natürliches und initinktiv Richtiges, daß eine große Gefahr bestand, sie

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zu übernehmen ... - darum sollten wir lieber eine etwas demokratischere Form finden." Die Gleichberechtigung der Ämter kennzeichnete von Anfang an den kongregationalistischen Standpunkt, nur - welcher Pfarrer ordiniert und auf welche zentrale Mitte läßt sich die Vollmacht des Amtes zurückführen? Die Gespräche neigten dazu, eine rein legalistische Richtung einzuschlagen und wurden ermüdend. Aber jeder Anflug einer Meinung wurde an die große Glocke gehängt und mit viel Geduld geprüft. Man mußte jedem gerecht werden. Schon lange gehegte Vorurteile und Befürchtungen konnten nicht durch eine augenblicklichen Begeisterung beseitigt werden. Das Ganze ist eine recht menschliche Geschichte, die angefüllt ist mit zähen Verhandlungen, Zugeständnissen und Kompromissen. Aber alle Beteiligten begehrten die Union und waren gleicherweise darauf bedacht, die Gemeinschaft mit den Mutterkirchen aufrecht zu erhalten. So hörte man mit Ehrerbietung auf die Verlautbarungen der Lambeth-Konferenz und die Gremien der Nonkonformisten in den Heimatländern. Das war nur natürlich, da alle diese Kirchen eng mit den Missionsgesellschaften liiert waren. Abgesehen von der finanziellen Abhängigkeit der Kirchen mußte auch noch das Problem der zahllosen Institutionen geregelt werden. Die Zukunftsstrategie und der Unterhalt dieser Institutionen mußte in Zukunft auf den Schultern der unierten Kirchen ruhen. Die Verantwortung wurde nun tatsächlich von den Missionsgesellschaften auf die indischen Christen übertragen, die auch die Verpflichtung eingehen mußten, ausreichende Geldmittel aufzubringen. All dies führte zu einem geistlichen und psychologischen Wandel. Die Gespräche verliefen jahrelang in gemächlichem Tempo. Ohne ein von allen akzeptiertes, gültiges Amt konnte es keine Interkommunion geben. Deshalb richteten sich die Bemühungen der Verhandlungspartner hauptsächlich auf die Harmonisierung der Kirchenordnungen. Es wurde vorgeschlagen, eine bilaterale Kommission zu bilden, die es ermöglichen sollte, die bestehenen Kirchenordnungen der ganzen Kirche nach dem Zusammenschluß dienstbar zu machen. Die Argumente für und gegen das Bischofsamt führten in eine Sackgasse, und die Union schien ferner denn je. Im Jahre 1926 schlössen sich die britischen Methodisten auf Einladung der Vollversammlung der South India United Church den Unionsverhandlungen an. Ihr Beitritt erfüllte die ganze Bewegung wieder mit neuem Leben. Die britischen Methodisten nahmen einen vermittelnden Standpunkt zwischen den Anglikanern und den Kongregationalisten ein. Sie bilden eine kompakte Organisation, in der die Mission und die Kirche über die Kirchenleitung, die der Konferenz in England übertragen war, eng miteinander verzahnt waren. Diese Metho-

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disten verbanden einen großen evangelistischen Eifer mit einer genialen organisatorischen Fähigkeit und waren imstande, eine Vermittlerrolle zu spielen. Als sie mit der Begriiffichkeit der Einheit vertraut waren, schlössen sie sich mit ganzem Herzen den Beratungen an. Allmählich setzte sich bei den Verhandlungspartnern die Erkenntnis durch, daß es sich bei der Union selbst um einen lebendigen Prozeß handelte und nicht einfach um das Ergebnis eines gesetzgebenden Entscheids. Man einigte sich darauf, nach erfolgtem Zusammenschluß einen Zeitraum von fünf Jahren verstreichen zu lassen, bevor die Ämter vereinigt und das endgültige Ziel der organischen Union erreicht werden könnte. In dieser Interimszeit sollten die Pfarrer der betreffenden Kirche als Diener am Wort und Sakrament anerkannt werden, falls sie bereit waren, eine Erklärung abzugeben, daß sie dem Glaubensinhalt und der Verfassung der Unierten Kirche zustimmten. Diese Zustimmung wurde „Versprechen" genannt. Zwei Bedingungen wurden hinzugefügt: a) Ein Pfarrer, der vor der Unionsbildung ordiniert wurde, darf ohne Zustimmung der Gemeinde und des Bischofs nicht in eine Gemeinde berufen werden; b) kein Pfarrer oder Mitglied der sich vereinigenden Kirchen darf die Rechte auf die Gemeinschaft mit anderen Kirchen verlieren, die sie vor der Union besessen hatten. Der Plan wurde revidiert und verschiedene Male auf Grund der Kritik Einzelner und kirchlicher Körperschaften außerhalb Indiens neu herausgegeben. Viele Fragen bleiben in der Schwebe, aber die Absicht der Vorkämpfer lag darin, über die denominationellen Unterschiede in einer Kirche hinwegzugehen, die „umfassend in ihrer Struktur und ökumenisch im Geist" sein sollte. Eine entscheidende Gruppe Christen glänzte durch Abwesenheit. Die europäische Tradition der Reformationskirchen war bei den gemeinsamen Ausschüssen nur unvollständig vertreten. Die Lutheraner bildeten eine große und ihrer theologischen Position bewußte christliche Gruppierung, die nur interessierte Zuschauer blieben. Es hatte den Anschein, als könnten die Lutheraner den indischen Christen nicht zutrauen, daß sie den Glauben unversehrt zu bewahren vermöchten. Dieser Glaube war nicht der Glaube der „Väter", sondern der reformatorischen Tradition. Da England keine Reformation durchlebt hatte und die Verhandlungspartner vorwiegend britische Kirchen waren, wurde der kontinentaleuropäische Standpunkt zuwenig in Betracht gezogen. Bis zu diesem Verhandlungsstadium wurde der Glaubensinhalt als etwas Selbstverständliches angesehen, obwohl sich im Blick auf das Nicänum ein kleines Wortgeplänkel abgespielt hatte. Die Schrift wurde manchmal zitiert, um einen Standpunkt gegenüber den anderen zu legitimieren. Aber im Ganzen gesehen war es nicht die Heilige Schrift, sondern die Kirchen-

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geschichte, die den Maßstab für die Wahrheit lieferte. Da jede Denomination den Anspruch erhebt, trotz einiger Lücken da und dort ihre Geschichte bis in die Anfänge zurückverfolgen zu können, ist es klar, daß traditionelle Systeme die Gestalt und den Aufbau einer Kirche nicht entscheiden konnten. U m all diese Traditionen unter den Begriff „Reichhaltigkeit" zu fassen, muß diesem Vorgehen ein wirkliches Verständnis des Evangeliums und das Fußfassen der Kirche in einem nichtchristlichen Land vorangehen. Wenn sie eine Pilgerkirche ist, dann besteht sie aus Menschen, die die Sicherheit ihrer eigenen Herde aufgegeben haben und in ihrem eigenen Land Fremde geworden sind, wobei sie es dem einen Herren gleichmachen, der in sein Eigentum kam und von ihm verstoßen wurde. In unserer Zeit scheint ein neuer Zugang zur Theologie notwendig zu sein, und zwar unter stärkerer Bezugnahme auf die modernen Lebensauffassungen, statt auf säkulare oder religiöse Denksysteme. In Indien darf das Evangelium nicht im Kontext der theologischen Konflikte des Westens, sondern muß im Blick auf die Grundlagen des hinduistischen Denkens neu formuliert werden. Die eigentliche Prämisse für eine Union kann für uns in Indien nurin einem neuartigen Verständnis des Evangeliums als dem ewigen Wort in unserer Zeit bestehen. Die reformatorische Tradition berief sich, um eben dies zu unterstreichen, auf die Heilige Schrift. Die Verhandlungspartner erkannten, daß hier eine entscheidende Frage berührt wurde, als sie von einem Vertreter der Basler Mission aufgeworfen wurde, die aus der kontinental-europäischen Tradition stammt. Sie brachten den Stein erneut ins Rollen und begannen damit, den Glaubensinhalt neu zu definieren. Sie wandten sich gegen die Autorität der Tradition und der schon lange bestehenden kirchlichen Lebensformen und setzten ihnen die Autorität der Bibel entgegen. Unzählige Sekten in Indien machen das Spiel, einen biblischen Fundamentalismus einer sogenannten kirchlichen Priesterherrschaft entgegenzusetzen. Definitionen von Fragen, die nie objektiv erklärt werden können, müssen immer zu bruchstückhaften Aussagen führen. „Reichhaltigkeit" schließt ein, daß man verschiedene Standpunkte, die miteinander in Spannung liegen, beibehält - eine Spannung, die das eigentliche Leben der Kirche ausmacht. Ohne sie würde die Dogmatik zu einer reinen Mythologie erstarren und der Gottesdienst zu einem bloßen Ritual degenerieren.

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Die Last der Vergangenheit Solche Diskussionen verlängerten die Verhandlungszeit, bis die Geschichte die Kirche überholte. Die britische Regierung war bereit, die Macht an den Indian National Congress abzugeben. Wir wurden fast übereilt in die Kirchenunionen hineingestoßen, als ob es sich um ein Rennen zwischen Kirche und Staat gehandelt hätte. Etwa sechs Wochen, nachdem Indien im Jahre 1947 eine Unabhängige Republik geworden war, wurde die Kirche von Südindien mit feierlichem Prunk und Glanz eröffnet. Die westliche Presse feierte sie als das Ereignis jener Zeit. Der Unionsplan der Kirche von Südindien fand einen größeren Widerhall, als dem Evangelium selbst zuteil wurde. Es handelte sich nicht um eine örtlich begrenzte Angelegenheit - diese Kirche betraf auch den ganzen Protestantismus in den britischen und amerikanischen Kirchen. Die Kirche von Südindien nimmt einen Ehrenplatz im Schaufenster des Ökumenischen Rates der Kirchen ein. Da die indischen Christen Proselyten sind, die nicht aus einer Denomination stammen, die sie selbst geschaffen haben, eignen sie sich hervorragend dazu, die Rolle von Versuchskaninchen in einem westlichen theologischen Experiment zu spielen. Zynikern mag es erscheinen, als sei das Ganze ein erfolgreicher Seiltrick. Lange Zeit wird die Kirche weiterhin die Last ihrer Vergangenheit zu tragen haben. Sowohl Gewinne als auch Verluste wird man verbuchen müssen. Die Verfassung der Kirchen von Südindien hat es sich während der Verhandlungen über die „Basis der Union" in Gestalt von Anmerkungen, Ausnahmeregelungen und Provisorien nur langsam herauskristallisiert. Aber die Unionsbasis war eine Erklärung der Zielrichtung der Kirche in positiven Aussagen, und sie umriß die Grundlagen des Glaubens und der Kirchenordnung, auf die man sich geeinigt hatte. Als solches stellte sie ein geschichtliches Dokument dar, das weder verbessert noch verändert werden kann. Zu einem bestimmten Zeitpunkt erwies es sich als ratsam, die juristischen Teile von der Basiserklärung abzutrennen und sie unter dem Titel „Verfassung" herauszugeben. Den Diözesen wurde die Freiheit eingeräumt, sie den örtlichen Bedürfnissen und Bedingungen anzupassen. Diese Verfassung ist anders als die Basis Änderungen unterworfen, die in Ubereinstimmung mit den bestehenden Grundsätzen getroffen werden können. So besaß die Kirche sogar schon bei ihrer Gründung eine brauchbare Verfassung. Es hätte schon ein Wunder geschehen müssen, wenn über einen Unionsplan, der soviel Furcht und Zittern ausgelöst hatte, nun plötzlich eine volle Einigung hätte erzielt werden können. Einige der kongregationalistischen Räte hielten sich

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zurück, aber die vier südlichen Diözesen der anglikanischen Kirche und die Methodisten fühlten sich dem Plan ganz verpflichtet. Aber die Kirchenräte der South India United Church, die sich ursprünglich zurückgehalten hatten, entdeckten innerhalb weniger Jahre den Vorzug der Union - und zwar sowohl die reibungslose Arbeitsweise der Organisation als auch die neuaufgebrochene Einsatzfreudigkeit. Nur in der anglikanischen Diözese von Nandyal vollzog sich ein ständiger Treuebruch. Diese Diözese liegt im Telugu-Gebiet und entstand als Folge der Arbeit der Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums. Nachdem sich diese Gruppierung der Kirche von Südindien angeschlossen hatte, machte die Gesellschaft die Entdeckung, daß gemäß der geltenden Ordnungen das Evangelium ausschließlich in den Verkündigungsformen der anglikanischen Kirche verbreitet werden konnte. Was auch immer für theologische Fragen vorgelegen haben mögen - als Folge trat die Diözese aus der Union aus, weil die Mission sie nicht weiterhin unterstützen konnte. Selbst während der Verhandlungen hatte es Streitigkeiten und Fehden gegeben, die aus persönlichen Vorurteilen und lokalen Zwisten erwachsen waren und mit der Union nichts zu tun hatten. Dieser Distrikt kehrte zur anglikanischen Kirche zurück und erhielt die Zusicherung, für die Dauer der Arbeit der Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums in Indien unterstützt zu werden. Auch andere Kirchen kehrten der Union den Rücken. In Zentral-Kerala löste sich aus nichttheologischen Gründen ein großer Teil von der Kirche von Südindien. In diesem Fall war die Spannung auf die Reaktion von Christen „zweiter Klasse" zurückzuführen, die sich gegen die Behandlung, wie sie ihnen von den syrischen Christen zuteil wurde, zur Wehr setzten. Sie beschuldigten die privilegierten Christen, sie in i den Fragen der Vertretung in Kirchenräten und bei der Ernennung von Pfarrstellen benachteiligt zu haben. Eine Broschüre von Dr. Ninan Koshy über das Kastenwesen in den Kerala-Kirchen liefert über dieses Problem einen erschöpfenden Bericht. Solange die alte Syrische Kirche von Kerala eine statische Kirche blieb, die sich nur als weitere Kaste, wie irgendeine gesellschaftliche Gruppe der Hindus betätigte, entstand kein Problem. Das änderte sich aber, als sie durch den Einfluß der westlichen Missionen zu evangelisieren begann; denn nun erhob sich zwischen Proselyten und den alten Christen das Problem der Eingliederung. Die Gesellschaftsstruktur in Indien ist etwas so Einzigartiges, daß die Christen gar nicht anders konnten, als eine weitere Gemeinschaft entsprechend der anderen Hindu-Kasten zu bilden. Die Syrische Kirche hatte seit Jahrhunderten als besondere Gemeinschaft mit ihren eigenen gesellschaftlichen Bräuchen und ihrem eigenen Gottesdienst bestanden. Sie

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war nie eine Bewegung gewesen. Auch hatte sie keinen Sinn für eine missionarische Tätigkeit entwickelt, sondern bestand als eine zusätzliche Kaste außerhalb des Bereichs der hinduistischen Gesellschaftsstruktur. Hier wird kein Urteil gefällt, sondern ein Sachverhalt geschildert, aber er verdeutlicht das Schicksal jeder Gruppierung, die sich dafür entscheidet, die Kastenstruktur der hinduistischen Gesellschaft zu verlassen. Dieses Schicksal erwartete die Kirchen, die von ausländischen Missionsgesellschaften gegründet worden waren. Sie sind im Rahmen einer größeren Gesellschaft isolierte Gruppen. Als die denominationellen Grenzen mit den Kastengrenzen zusammenfielen, neigten die Denominationen dazu, an den Merkmalen der alten Kastengruppen mit ihrer exklusiven Haltung und ihren Rivalitäten festzuhalten. W o die Kirche keine Grundlage für eine neue und echte Gemeinschaft bietet, gestaltet sich die neue Lage der Proselyten schlimmer als die alte. Wurde das Ethos einer Kaste in eine Kirche mitübernommen, erwies sich die Stärke der hinduistischen Gesellschaft als Schwäche der Kirche. Welche Maßnahmen für die Einheit und die Verständigung die Missionsgesellschaften auch immer miteinander entwickelten - sie wurden den indischen Kirchen nicht weitervermittelt. Es handelte sich um kultische Gruppen, die voneinander und von der übrigen Gesellschaft isoliert waren. Anglikaner, Presbyterianer und Kongregationalisten bezeichneten besondere Kastengruppen in bestimmten Regionen. Das trifft vor allem für die Gebiete zu, in denen Massenbekehrungen stattfanden. Es hat den Anschein, als ob es dem christlichen Evangelium nicht gelang, eine neue Gesellschaft zu schaffen, in der die alten Kastenschranken eingeebnet wären. Zwar vollzogen sich viele gesellschaftliche Veränderungen, aber die gehen auf das Konto des liberalen westlichen Humanismus, also auf einen säkularen Vorgang. Die Mission der Kirche kann mit diesem historischen Prozeß nicht gleichgesetzt werden. In der zersplitterten indischen Gesellschaft hätte die Unierte Kirche ein bedeutsames Werkzeug sein sollen, um sich von der Vergangenheit loszusagen. Aber die denominationellen Spaltungen waren vorchristlichen Strukturen übergestülpt worden, und als sich die Ausländer zurückzogen, war das Feld frei für eine Fortführung der alten Konflikte. Die Kirche kamen von verschiedenen Traditionen her, und die Proselyten hingen ebenso leidenschaftlich an ihnen, wie sie den alten Kasten ergeben waren. Denjenigen, die von einer Kaste ausgeschlossen waren, ermittelten die Denominationen das Gefühl, einer Kaste anzugehören, so daß für sie die Vorstellung der Union nur formelle Bedeutung erhielt. Da jede kirchliche Organisation Machtstrukturen aufbaut, überrascht es nicht, daß das Gruppendenken in der Kirche von Südindien Christen sogar vor Gerichtshöfe führt.

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Die Unionsbewegung in Indien kann nur dann richtig eingeschätzt werden, wenn man sich ständig die Tatsache vor Augen hält, daß sich die gesellschaftliche Lage in Indien von jedem anderen Missionsgebiet unterscheidet und daß die Spaltungen tiefer gehen als die denominationellen Spaltungen im Mutterland. Denominationen können mit Parteien in der Kirche verglichen werden. Die Lage in Korinth, wie sie das neue Testament schildert, kommt dem am nächsten. Die Antwort des Paulus führt uns auf die vordringlischste Aufgabe der Kirche zurück. „Ich wurde nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen, und wenn ich auch einige von euch taufte, geschah das nicht in meinem Namen, daß ihr getauft wurdet" (i. Kör. i). In Wirklichkeit aber wurden viele Proselyten mit den Namen, sogar den Vornamen von Missionaren belastet, die sie getauft hatten. Selbst heute gibt es noch schlichtere indische Christen, die von sich selbst nicht als Christen sprechen, sondern sagen, „wir gehören der lutherischen Mission an", oder „wir gehören der Arcot-Mission an". Die Lage von Korinth kann irgendwo in jeder Gemeinde wiederauftreten, aber in Indien stehen wir der Situation, wie sie im Galater-Brief beschrieben wird, noch näher. Es geht nicht nur um die Frage verschiedener Überzeugungen, sqndern sozialer Spaltungen, die aus der frühchristlichen Kultur erwachsen sind und die denominationellen Unterschiede nur noch vertieften. Außerdem kam noch der RasSenunterschied zwischen den Missionaren und den neubekehrten Christen hinzu. Die Christen nahmen oft eine unterwürfige, die Missionare dagegen eine paternalistische Haltung ein, manchmal verhielten sie sich sogar arrogant und tyrannisch. Das war ein Bestandteil des Kolonialsystems und seiner Übel. Von den Christen sagte man, sie wären doppelt unterjocht. Die üblen Folgen dieses Vermächtnisses können sogar heute noch in den Machtstrukturen der Institutionen entdeckt werden, die früher zu den Missionsgesellschaften gehörten - genauso wie sich die kaiserliche Tradition noch heute unter indischen Bürokraten breitmacht. Reine Autonomie in der Kirche, auf die Vorkämpfer immer wieder Gewicht legten, kann den Christen nicht die Freiheit gewährleisten, nach der sie sich natürlicherweise sehnen. Sie müssen die bedrückende Last ihrer vorchristlichen Geschichte abschütteln - aber die Denominationen binden sie nur noch fester auf ihren Rücken Versuchte man, diese Unterschiede durch das Konzept der „Reichhaltigkeit" zu beseitigen, so bedeutete das nur, das Problem auf gleiche Weise anzupacken wie im Mutterland. Damit weicht man aber dem zentralen Problem in Indien nur aus. Hier geht es um die Frage des Verhältnisses zwischen Juden und Heiden und nicht um eine alles vereinheitlichende Denomination, sondern um das rechte Verständnis der eigentlichen Botschaft, daß das Evangelium die

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„mittlere Trennmauer" abgerissen hat. Bei der mittleren Mauer handelte es sich nicht um eine Metapher, sondern um die tatsächlich vorhandene Mauer, die den Heiden den Zugang zum Tempelhof verwehrte. Heute illustriert die Mauer symbolisch menschliche Lebensverhältnisse, wie sie überall vorzufinden sind. Der Ökumenismus in Indien muß auch im Rahmen der für Indien charakteristischen kulturellen und kirchlichen Kennzeichen gesehen werden. Ein kulturell enterbtes Volk kann nur wenig beisteuern, wenn es einen neu angenommenen Glauben nicht im Kontext des eigenen Lebens eingebettet weiß. Andernfalls sind Theologie, Ekklesiologie und Gottesdienstformen reine Imitationen. Die Kirche von Südindien ist als unierte Kirche im Ö R K vertreten. Der South East Asia Council setzt sich ausschließlich aus westlichen, im Osten noch getrennten Denominationen oder aus Unionen, wie sie jetzt in Indien verwirklicht werden, zusammen. Solche Unionen sind oberflächlicher Natur und spiegeln nicht die Erfahrungen der Christen wider, die sich bemühen, das Evangelium in der Situation ihres eigenen Lebensbereiches zu verwirklichen. Bereits die ersten Missionare spürten, daß die Kastentrennungen schwerwiegende Folgen auch für die Kirchen haben würden. Schon 1 9 1 2 brachte Bischof Whitehead von Madras folgendes Argument zur Sprache, als er die Vorzüge des Bischofsamtes darlegte: „Ich persönlich glaube, daß - was auch immer den Ausschlag gegeben haben mag - der eigentliche Grund für die Annahme des Bischofsprinzips darin lag, daß es als Absicherung für die Einheit dringend benötigt wurde; und ich glaube auch, daß es heute für diesen Zweck genauso dringend notwendig ist wie damals, ja, daß es Indien noch nötiger braucht als die Alte Kirche. Lege ich mir die Frage vor, wenn ich dieses Prinzip aufgebe, welchem soll ich mich dann zuwenden?, dann bin ich der Überzeugung, daß es nur das sein kann: Jede christliche Gemeinschaft au» Männern und Frauen muß die Freiheit haben, die Amtsfrage selbst z\\ ordnen. Nun habe ich oft an dieses AlternativPrinzip gedacht - und es scheint mir, daß es nicht nur überall Kirchenspaltungen und Schismen die Tür öflnet, sondern es würde, falls wir es für Indien proklamieren wollten, unabwendbar neue Kastenkirchen zur Folge haben. Wenn die indische Gesellschaft von den Zwängender ausländischen Missionsgesellschaften befreitist, dann wird sie, fallssie diesem freiheitlichen Grundsatz zustimmt, notwendigerweise und unausweichlich den Weg des geringsten Widerstandes einschlagen und dann werden wir in Indien Spaltungen erleben, die auf dem Kastenwesen beruhen und wesentlich zahlreicher und jedenfalls tiefergehender sein werden als alles andere, was die Kirche bis jetzt in Ost oder West gesehen hat."

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Eigentlich hatte der gute Bischof das Problem noch vereinfacht. Das Bischofsamt kann die organisatorische Einheit verklammern, aber es kann das Problem dennoch dort belassen, wo es war. Die Wahl der Bischöfe in der Kirche von Südindien ist oft durch Rivalitäten zwischen den einzelnen Kasten beeinträchtigt worden. In eine sehr bedeutsame und alte Diözese wurde ein Ausländer berufen, nicht weil es keine fähigen Inder gegeben hätte, sondern weil sich die beiden Kastengruppen nicht hatten einigen können. Ein englischer Bischof, der die Sprache dieser Gegend sehr gut beherrschte, wurde in einer Diözese, in der die Mündigkeit der Christen den höchsten Stand erreicht hat, einem Inder vorgezogen. Vorfälle wie diese machen aus dem Evangelium eine Torheit. Die Bedeutung des Wortes „Gemeinschaft" muß in Indien neu definiert werden.

Ein Erbe alter Strukturen

In Nord-Kerala hatte es lange Zeit Unruhe gegeben, weil es nicht gelang, eine bestehende Autorität in die Verfassung einer neuen Kirche einzugliedern. Einige führende Persönlichkeiten einschließlich der Missionare fürchteten, ihre Macht und ihr Einfluß würde in einer größeren Kirche schwinden, und deshalb klammerten sie sich an ihre alten Vorrechte. Die Unierte Kirche war für sie eine Partei, die sich gegen diejenigen richtete, die am Glauben ihrer Väter hingen - in diesem Fall der deutschen Missionare. Viele Jahre geduldiger Arbeit und treuen seelsorgerlichen Dienstes werden aufzuwenden sein, um die miteinander streitenden Parteien zu versöhnen. Es herrschte zwischen den kontinental-europäischen Missionsgesellschaften und den von England und Amerika unterstützten Kirchen eine offen zutage tretende Spannung, die die Unierte Kirche in ein Gefühl der Unsicherheit versetzte. Die Parteien, vermochten nur das Pro und das Kontra ihrer unmittelbaren Vorteile abzuwägen. Man war vor die übermenschliche Aufgabe gestellt, wenigstens einen Anschein von Ordnung zu erwecken und eine bereitwillige Anerkennung der Kirchenleitung herbeizuführen. Das diözesane Leitungssystem und die zentrale Leitungsbefugnis der Synode gibt nach außen das Bild der Einheit ab. Aber hinter dieser formalen Einheit verbergen sich tiefe Interessenkonflikte. Die Verzahnung der die Kirche konstituierenden Elemente mit den verschiedenen Missionsgesellschaften stellt schon in sich selbst einen Herd für Schwierigkeiten dar. Die Kirche pflegt Gemeinschaft mit ihren Mutterdenominationen. Sie ist aber auch erheblich von deren finanzieller Unterstützung abhängig. Das

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führt'dazu, daß die indischen Pfarrer eine unterwürfige Haltung einnehmen, während sich die indischen Laien um die Frage der Erhaltung ihrer Kirche selbst nicht kümmern. Die Lage verschlimmert sich noch, wenn ausländische Geldmittel über eine Einzelperson laufen. Der Betreffende schmeichelt sich dann bei denen ein, die ihm Geld für Lieblingsprojekte geben, und er wird gegenüber seinen Mitarbeitern und Untergebenen arrogant und unhöflich. Der westliche Missionar, der zur Arbeit in der Kirche von Südindien ausgesandt wird, verhält sich zunächst als Zuschauer - verlegen, belustigt oder unterwürfig - je nach Veranlagung. Er fühlt sich in keiner Weise verpflichtet und gibt auch keine Kommentare ab. Die, die frei herausreden würden, fänden sich bald außer Landes wieder. Das ist keine gesunde Atmosphäre. Sie erzeugt eine Kluft zwischen den Pfarrern und den Spitzen der institutionalisierten Kirche einerseits und den unbeteiligten Laien andererseits. Mit substantieller fremder Hilfe kann die Kirche zu einer großen Geschäftemacherei werden. Ein weiterer Aspekt dieser Frage kann etwas anders dargestellt werden. Wie kann eine Kirche, die bis vor wenigen Jahren noch Teil einer Missionsgesellschaft war, selbst eine Missionskirche werden? Die Missionsgesellschaften verstanden das Evangelium im Kontext der liberalen Denkweise des 19. Jahrhunderts. Sie hatten ihre Arbeit unter rückhaltloser Zustimmung der Öffentlichkeit und des Staates auf den sozialen Bereich ausgeweitet. So entstanden durch die Missionsgesellschaften in Indien eine Anzahl pädagogischer und medizinischer Einrichtungen. Diese sind nach dem Sozialplan des Staates ausgerichtet und staatlicher Aufsicht unterworfen. Eine Verlagerung der Verantwortung auf die indische Kirche ist sowohl mit praktischen wie mit ideologischen Schwierigkeiten behaftet. Die neuen politischen und sozialen Gegebenheiten verlangen nach einer Neueinstufung dieser Institutionen. Sie werden mit althergebrachten Anrechten ausgestattet, und ihre in der Vergangenheit wurzelnden' Traditionen führen dazu, daß ihre offiziellen Befugnisse nicht beeinträchtigt werden können. Derartige Einrichtungen sind in der westlichen christlichen Kultur am Platz, aber in Indien werden sie Machtfaktoren in dem als „privat" verstandenen Bereich, die zudem noch mit fremder Wirtschaftshilfe verzahnt sind. In Ceylon wurden sie von der Regierung übernommen und im kommunistischen China hat sie der Staat beschlagnahmt. Auf diese Weise war die Kirche von dieser Last befreit. Das Shibboleth des Staatsaufbaues wurde ins Feld geführt, um diese Beteiligung am Erziehungs- und Gesundheitswesen zu rechtfertigen. Aber es gehört zur Pflicht jedes Christen, sich am Aufbau seines Staates zu beteiligen, nicht weil er Christ ist, sondern

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weil er Bürger seines Landes ist. Diese Angelegenheiten zum Programm der Kirche zu erheben und als Alibi dafür zu benutzen, weiterhin Zuwendungen aus dem Ausland zu empfangen, führt die Kirche in eine ungleiche Partnerschaft mit dem Staat und fesselt sie endgültig an die säkulare Macht. Der Vermögensstand der ausländischen Missionsgesellschaften ist beträchtlich. In Diözesanämtern und Synoden wird unverhältnismäßig viel Zeit mit ermüdenden und heftigen Diskussionen verbracht, die klären sollen, für welche Zwecke dieses Geld zu verwenden sei. Die Macht wird mißbraucht, und die Ausschüsse sind von denen besetzt, die schlau genug sind, sich selbst in Machtpositionen zu manövrieren. In einer Diözese wurde ein gewaltiger Komplex im Werte von 700000 Rupien für Warenhäuser und öffentliche Einrichtungen in einem der geschäftsreichsten Zentren der Hauptstadt auf Missionsboden genehmigt. Solche Unternehmungen werden die Kirchenausschüsse in Fragen wie gesetzlicher Verträge und Mieten hineinziehen, die unnötigen Argwohn, Eifersucht und Habgier unter den Gliedern der Gemeinde verursachen werden. In einer Hinsicht wäre es besser, dieses Eigentum in Schenkungen zu verwandeln und es denen zukommen zu lassen, die sich dafür interessieren; das würde die Kirche von solchen Verpflichtungen entbinden. Freilich bedeutete dies, die Strukturen der Kirche völlig zu verändern, was sich aus Gründen der althergebrachten Interessen als unmöglich erweist. So erweitert sich der Teufelskreis eine einfachere Lösung bietet sich nicht an. Die indischen Christen, ganz besonders die Laien, müssen der Kirche höhere Beiträge geben und mehr echte Verantwortung tragen für das, was sich im Leben der Kirche abspielt. In Europa hat die organisierte Religion die Menschen scharenweise aus der Kirche getrieben. Aber Zumindest wuchsen die kirchlichen Strukturen aus der kulturellen und religiösen Umwelt der betreffenden Länder. Anstatt es weiter auszubreiten, gefährdet man das Evangelium, wenn man eben diese Strukturen in einer fremden Kultur verewigt. Schon allein ein Rechtsstreit in der Kirche vermag das Ansehen Jesu Christi in einem nichtchristlichen Land zu schwächen.

Das Leben der Kirche Der schöpferischste Bereich des Lebens der Kirche von Südindien ist derjenige des Gottesdienstes. Die Gottesdienstform einer Kirche bildet eine dramatische und ästhetische Ausdruckform ihres Glaubens. Die alte Syrische Kirche im Süden existierte jahrhundertelang, ohne die Schrift oder eine dogmatische Theologie zu kennen; sie bezog also ihre Kraft

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ausschließlich aus der Liturgie, die sie in ihrem öffentlichen Gottesdienst verwandte. Die Liturgie faßt den Glaubensinhalt und Glaubensaussagen mit Hilfe von altbekannten Worten und symbolischen Handlungen zusammen. Die von den Verhandlungspartnern getroffene Entscheidung erwies sich als klug, die Aufgabe, eine Liturgie zu schaffen, der neuen Unierten Kirche selbst zu überlassen. In bestimmter Hinsicht war sie durch die verschiedenartigen kirchlichen Traditionen, die in die KeralaKirche von Südindien eingeflossen waren, geradezu dafür prädestiniert. Dem Hinduismus ist der Gegensatz zwischen freigestaltetem und geordnetem Gottesdienst unbekannt. Hauptakteur im hinduistischen Gottesdienst ist der Priester, der als Mittler gilt. Die Gottesdienstbesucher sind passive Zuschauer. Die Mohammedaner haben einen inhaltsreichen Gottesdienst, der aus Gebeten und Koranlesungen besteht. Doch sind diese Gebete jedem Gottesdiensbesucher, der sie in der Stille mitvollzieht, bekannt. Der Ruf vom Minarett ist eine öffentliche Verkündigung und ein Bekenntnis. Eines der charakteristischen Merkmale der Liturgie der Kirche von Südindien, besonders des Abendmahls, besteht aus einem größeren Bestandteil, der der Gemeinde im Gottesdienst zugewiesen wird. An diesem zentralen Punkt wird die Gemeinde veranlaßt, ihre Einheit zu verwirklichen, wobei dieser Abschnitt des Gottesdienstes völlig integriert ist und nicht nur ein Anhängsel des übrigen Morgenoder Abendgottesdienstes bildet. Der Vorbereitungsgottesdienst, die Gebete, das Bekenntnis, die Lesungen, die Predigt, die Glaubenserklärung und das Opfer bilden ein einziges Ganzes. Der Gottesdienst besteht zwar aus Gebeten, die sowohl aus der klassischen als auch aus der moderneren Liturgie stammen, aber ihre Anordnung und die Reihenfolge ist eine eigene Schöpfung der Kirche von Südindien. Es handelte sich um die erste Gottesdienstordnung, die der Liturgieausschuß entworfen hatte und die auf allgemeine Zustimmung stieß. Er wird aber nicht von einer zentralen Kirchenleitung den Gemeinden aufgezwungen. Ihnen steht es frei, die Formen zu benützen, an die sie gewohnt sind. Es gibt immer noch Gemeinden, die zögern, die neue Form zu übernehmen. Dieser Gottesdienst kann als Grundlage für die Unterweisung der Jugend im christlichen Glauben verwendet werden. Alles was praktisch und theoretisch mit dem Gottesdienst zusammenhängt, muß einen wichtigen Bestandteil der Pfarrerausbildung ausmachen. Die Lambeth-Konferenz des Jahres 1930 trat ausdrücklich für die Konfirmationsfeier in der Unierten Kirche ein. Einige Kirchen, wie die Kirche in Nord-Kerala, waren mit dem Gedanken vertraut. Nicht überall aber wurde verstanden, daß dieser Gottesdienst im Erwachsenenalter nun die Gelübde bestätigen sollte, die von den Eltern für das Kind bei der Taufe

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abgelegt worden waren. Man wies nicht deutlich genug darauf hin, welch große Bedeutung der ausführlichen Unterweisung im Glauben, die der Konfirmation vorausgehen mußte, zukam. Die Unterweisung der kontinental-europäischen Kirchen beruht auf dem einen oder anderen reformatorischen Bekenntnis. Die Liturgie-Kommission sollte für diesen Zweck ein Handbuch entwerfen, das sich vorwiegend auf die biblischen Aussagen stützt. Der methodische Beitrag zur Liturgie der Kirche von Südindien besteht aus der Liturgie, die den Namen „Bundes-Gottesdienst" trägt. Er wird gewöhnlich am ersten Sonntag eines Jahres oder im Mitternachtsgottesdienst des 31. Dezember gehalten; anschließend daran wird das Abendmahl gefeiert. Als Akt der Selbsthingabe im neuen Jahr läßt sich dieser Gottesdienst einigermaßen rechtfertigen, aber er ist theologisch fragwürdig, da wir keinen Bund mit Gott schließen. Im Gegenteil - Gott schließt durch Jesus Christus einen Bund mit uns, und das ist der Bund in seinem Blut, durch den wir als einzelne und als Gemeinde mit ihm eins werden. Wenn man dazu noch gute Vorsätze hinzufügt, bedeutet das nur, der Feier einen sentimentalen Anstrich zu verleihen. Der Liturgie-Ausschuß hat eine Taufordnung vorbereitet und den Vollzug der Bischofsweihe und die Ordination der Presbyter und Diakone überarbeitet. Er hat weiter eine Ordnung für den Morgen- und Abendgottesdienst entworfen und außer dem Kalender des Kirchenjahres noch einen Leseplan aufgestellt. Der Kalender verbindet die Tage mit den wichtigen Ereignissen des Jahres: Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Die jüngste Veröffentlichung bildet eine Ergänzung zum ,JBook of Common Worship", das Hilfe zur Meditation und verschiedene Gottesdienstformen und Liturgien enthält. Das „Book of Common Worship" hat viel von der Frömmigkeit und dem Glaubensleben der westlichen Kirche aufgenommen. Die Kirche von Südindien hat völlig zu Recht ein reiches Erbe angetreten. Ein Blick auf die Liste der Quellenhinweise offenbart, wie reich und verschiedenartig die Quellen sind, aus denen die Liturgiker ihr Material geschöpft haben. Das Buch ist ein Schatzkästchen der Andachtsliteratur und wird für die Kirche von unermeßlichem Wert sein. Aber die endgültige Fassung der Liturgie liegt in englischer Sprache vor und ist den Gemeinden nur in den Übersetzungen in die vier dravidischen Sprachen des Südens zugänglich. Übersetzungen aber stellen das Haupthindernis jeder christlichen Kommunikation in Indien dar. Die indischen Religionen sind ebenfalls reich an frommen Büchern. Das religiöse Vokabular Indiens muß sorgfältig überprüft werden und mit großem Einfühlungsvermögen bei der Übersetzung sowohl der Bibel als auch theologischer Bücher und Andachtsliteratur gehandhabt werden. Die indischen Christen dürfen nicht eine

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eigene Sprache erfinden, die den Außenstehenden unverständlich bleibt. Dies geschah mit der Bibel, die die ersten Missionare in ihrem Übereifer in die indische Sprache übersetzt haben - aber mit einer Begrifflichkeit, die in den Ohren eines Hindu wunderlich, fremdartig und sogar komisch klingt. Die Liturgie der Kirche von Südindien wird nun ihre Prüfung zu bestehen haben, wenn sie in die Landessprache übertragen wird. Die Schönheit der Diktion muß in der Sprache der Menschen bewahrt werden. In Indien wie auch anderswo in der Welt besteht die Hauptaufgabe darin, die äußere Schale zu durchbrechen und das Wort an die Welt freizugeben. Leider finden sich in der Liturgie der Kirche von Südindien nur zwei oder drei Auszüge aus Werken indischer Schriftsteller. Tamil, eine wichtige Sprache des Südens, ist reich an hymnologischen Elementen. Ebenso verhält es sich mit der bengalischen und der Mahratti-Sprache. Das Übergehen dieser Sprachen bedeutet für die Kirche einen schmerzlichen Verlust, denn es gab namhafte Dichter, die diese Sprachen benutzten. Sanskrit stellt für alle indischen Sprachen eine unerschöpfliche Quelle eines religiösen Vokabulars dar. Man hätte sich wünschen können, daß die endgültige Fassung in einer der südindischen Sprachen erstellt und dann in die Schwestersprachen übertragen worden wäre. Ein großer Prozentsatz der Christen lebt in ländlichen Gebieten Indiens und kann deshalb die Schönheit der englischen Fassung gar nicht würdigen. In der Kirche von -Südindien muß eine wirklich indische Liturgie heranwachsen. Die Aufgaben der Übersetzung, der Vermittlung und der Unterweisung verlangen nach Institutionen, die die Ausbildung und Studienarbeit leisten. Die Missionsgesellschaften, die in Südindien arbeiten, haben die Bedeutung dieser Einrichtungen nie geschmälert. Jede Missionsgesellschaft richtete ihre eigenen Ausbildungszentren ein, aber zu Beginn des Jahrhunderts wurde den nichtanglikanischen Missionen von England und Amerika die Notwendigkeit bewußt, im Blick auf die Ausbildung ihrer Theologen ihre Mittel zu vereinigen. Das United Theological College entstand im Jahre 1911. Es stellte einen Ausdruck der Einheit der christlichen Mission dar und spielte in der Kirchenunionsbewegung eine wichtige Rolle. Unterrichtssprache war Englisch. Aber es war immer ein Mangel unserer theologischen Ausbildung gewesen, daß man das Wissen, das man über eine Fremdsprache erworben hatte, in unsere Wortund Schriftsprache zu übertragen hatte. Die wirklich schöpferische Arbeit wird erschwert, und die Studienarbeit erhält zu sehr nachahmenden Charakter. Die Kirche von Südindien ergriff Maßnahmen, um diesen Mangel zu beseitigen, und heute existieren vier Colleges, die in den entsprechenden Sprachgebieten auf Universitätsniveau unterrichten. Diese

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Colleges bedürfen alle der Unterstützung der Gemeinden. Die Seminare weisen fähige Lehrkräfte auf und bieten ausreichende Möglichkeiten der praktischen Ausbildung und der evangelistischen Arbeit. Überall wo westliche Missionsgesellschaften arbeiteten, bildete das „Muttertreffen" ein Charakteristikum des Gemeindelebens. Dieses Treffen ließ sich durchaus mit der Lehre des Neuen Testamentes verbinden, da das Christentum ja vorwiegend eine Familienreligion ist. Sechs Monate nach der Gründung der Kirche von Südindien wurde die Arbeit der freien Organisationen auf Synodalebene koordiniert und erstreckte sich damit über das ganze Gebiet der Kirche von Südindien. Unter den Missionaren und indischen Christen befanden sich viele Frauen, die in pädagogischen und medizinischen Zentren in ländlichen Gebieten arbeiteten. Dabei handelt es sich um abgelegene Außenposten der Kirche, auf denen sich treue weibliche Mitarbeiter unter harten Lebensbedingungen der evangelistischen Arbeit annahmen. Diese Mitarbeiterinnen bilden heute einen neuen Orden. Die anglikanische Kirche, die schon Erfahrung mit solcher Arbeit hatte, entsandte eine ihrer fähigsten Frauen, um eine Schwesterngemeinschaft zu gründen, die ein Haus in Bangalore unterhält, das alle Mitglieder aufnimmt. Dieses Retraite-Zentrum wird „Vishranti Nilayam", „Haus des Friedens", genannt, wo die Schwestern sich einmal im Jahr treffen und hinkommen, um sich an Leib und Seele zu erfrischen. Das ist ein Teil des pastoralen Dienstes der Kirche. Das Leben und die Arbeit einiger dieser Frauen in weit entfernten Orten stellt vielleicht den vielversprechendsten Aspekt der neuen Kirche dar, obwohl diese Arbeit sehr wenig Widerhall in der Öffentlichkeit findet. Ihr Lebensstil ist einfach - aber eben damit prägen sie das Leben der Hindus, unter denen sie leben, während andere, mehr ins Auge fallende kirchliche Arbeitsweisen keinen Eindruck mehr machen können. Die Kirche von Südindien umfaßt ein großes Gebiet, das fast so groß ist wie eines der kleineren Länder Europas. Es gibt riesige Landstriche, die von der christlichen Mission noch unberührt sind. Die Methodisten eröffneten neue Missionsfelder jenseits des Godaveri, als die neue Kirche gegründet wurde. Im Gebiet von Telugu-Kannada, wo die Londoner Missionsgesellschaft arbeitete, gab es unter den höheren Kasten eine Tendenz, sich der christlichen Kirche anzuschließen. Die nationale Missionary Society hat neue Felder in den Bergregionen in Jawadi im Staat Madras eröffnet. Die Kirche von Südindien hat in der Diözese indirekt die Verantwortung für diese einheimische Missionsarbeit übernommen und unterstützt die Mitarbeiter. Die Diözese von Coimbatore unterstützt ebenfalls die Arbeit, die von der National Missionary Society begonnen wurde. Die National Missionary Society verkündigt das Evangelium,

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aber wenn Gemeinden gegründet werden, zieht sie in andere Gegenden anders als die westlichen Missionen, die im Laufe eines Jahrhunderts nach Vorbild der westlichen Heimatländer voneinander isolierte Gemeinden gründeten. Selbst heute gibt es noch zahlreiche sektiererische Gruppen im Gebiet der Kirche von Südindien. Bis jetzt hat sich noch kein Weg gefunden, mit diesen biblischen Fundamentalisten, die eingefleischte Individualisten sind, „Gespräche" zu beginnen. Aber vor kurzem fand eine evangelistische Versammlung statt, auf der verschiedene fundamentalistische Gruppen mit Gemeinden der Kirche von Südindien zum geistlichen Gewinn beider zusammenarbeiten. Man kann dann Voraussagen über die Wegrichtung, wie eine Union zustande kommt, treffen, wenn es einmal den indischen Christen erlaubt wird, für sich selbst zu sorgen. Wenn die Mutterkirchen sich alle zusammen zurückzögen, könnte man manche Überraschung erleben. Die Kirche von Südindien unterhält eine Mission in Thailand. Es handelte sich dabei ursprünglich um ein Projekt der Londoner Missionsgesellschaft in Zusammenarbeit mit den kongregationalistischen Gemeinden, die sie gegründet hatten. Die Missionsarbeit wurde zunächst in Papua, einem australischen Mandatsgebiet, begonnen. Die indischen Missionare, die dorthin ausgesandt worden waren, arbeiteten mit dem australischen Zweig der Londoner Missionsgesellschaft zusammen. Pfarrer Satya Joseph war der erste Missionar der Kirche von Südindien. Als er zu seinem ersten Heimaturlaub zurückkehrte, beeindruckte er die Gemeinden derart, daß die ganze Kirche diese Mission vorbehaltlos übernahm. Joseph starb in Gavionne/Papua. Aufgrund ihrer schärferen Rassenpolitik genehmigte die Australische Regierung keinen Nachfolger mehr, der wieder dorthin hätte gesandt werden können. Daraufhin zog sich die Kirche von Südindien von Papua zurück und verlegte ihre Missionsarbeit nach Thailand. Gegenwärtig arbeitet ein Tamil aus der Tiruneveli Diözese als Missionar dort. Er und seine Familie haben in großem Maße das Vertrauen der Leute erworben. Sie schicken regelmäßige Berichte, die im „South India Churchman", dem offiziellen Organ der Kirche von Südindien, erscheinen.

Die unvollendete Aufgabe

Bevor die portugiesischen Kanonenboote im Indischen Ozean erschienen, war Indien das Zentrum eines weit ausgedehnten Handelssystems, das sich im Osten bis zu den Inseln des Südlichen Pazifiks und der Ostküste Chinas, und im Westen bis Arabien und Afrika erstreckte. Seit den

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Tagen der kolonialen Expansion des Westens waren die Seevölker in ihren eigenen Ländern gefangengesetzt und entfremdeten sich einander. Selbst in der Kolonialzeit waren die Tamil-Evangelisten in weitentfernte Länder wie Burma und Malaya gegangen. Als Nation sucht Indien mit den Völkern Südost-Asiens in Frieden zusammenzuleben. Die Kirche könnte den Zeitpunkt vorantreiben, daß die Völker in gutem Einvernehmen miteinander leben. Die Kraft der Einheitsbewegung war mit der Gründung der Kirche von Südindien nicht aufgezehrt. Kürzlich schlössen die Gespräche mit den Lutheranern mit einer Erklärung ab, die die theologische Übereinstimmung zwischen der Kirche von Südindien und den Lutheranern beinhaltete. Diese Erklärung wurde veröffentlicht. Die Lutheraner zeigten sich gegenüber der Konzeption eines Bischofsamtes nicht abgeneigt, aber ihre Angst vor Synkretismus macht sie im Blick auf theologische Fragen argwöhnisch und überempfindlich. Offensichtlich weicht ihre Vorstellung von einer Kirchenunion etwas von der in der Kirche von Südindien erreichten Form ab. Sie zielt eher in Richtung auf einen Kirchenbund, in dem die Kirchen untereinander Gemeinschaft pflegen. Aber sie wünschen als Vorbedingung für eine Union die völlige Übereinstimmung in theologischen Fragen. Auf diesen Begegnungen wurden lange Referate über die Lehren des christlichen Glaubens gehalten. Die Gefahr besteht, daß dies alles zu einem geschlossenen System führt, das nie die Möglichkeit in Betracht zieht, das Evangelium in den Gesamtzusammenhang indischen Denkens und Lebens einzubetten. Die Geschichte der Kirche von Südindien kann als Einführung in die gesamte Geschichte der Kirchen betrachtet werden. Unsere Geschichte erstreckt sich über einen Zeitraum von 60 Jahren. Aber hinter dieser Geschichte steht der Koloß von über 2000 Jahren kirchlicher und säkularer Geschichte. In vieler Hinsicht kann dies als historische Zwangsläufigkeit erklärt werden; aber es gibt eine Vorsehung, die die Geschichte kontrolliert und leitet. Der Heilige Geist lockert oft die Bande, die die Menschen geknüpft haben, und ebnet die Mauern ein, die mit viel Mühe aufgerichtet wurden. Wir Menschen können die Kirche nicht bauen. Sie war da, bevor wir geboren wurden. Wir können ihr nur im Glauben beitreten und uns trotz ihrer Unzulänglichkeiten überall als Gottes Volk betrachten. Wenn wir ihren Bau übernehmen, wird der Herr der Kirche nicht in ihr wohnen. „Wenn der Herr nicht das Haus baut, mühen sich die, die es bauen, umsonst." Die Kirche ist eine und gehört dem Herrn. Unsere Aufgabe hat eben erst begonnen. Wir müssen die Kirche in unserem Land aufs neue entdecken und mit Hilfe ihres Lebens und ihrer Arbeit unser Volk zum Glaubensgehorsam bringen.

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VERZEICHNIS Synodalbeamte: Moderator: Bischof P. Solomon, B. D. Stellvertretender Moderator: Bischof Leslie Newbigin, M. A. Sekretär: Daisy Gopalaratnam Schatzmeister: P. I. Chandy, B. Sc. Offizielles Organ: South India Churchman, Cathedral, Madras 6 Schulwesen: Colleges: 14 Sekundärschulen: 143 Grundschulen: 1947 Berufsschulen: 19 Ausländische Mitarbeiter: 31 Außerdem gibt es noch vier Theologische Seminare in den vier Sprachgebieten, die unmittelbar der Aufsicht der Kirche von Südindien unterstellt sind, aber vorwiegend mit ausländischen Mitteln unterhalten werden. Es sind dies die Seminare von Rajamandri (Telugu), Mangalore (Kannada), Arasaradi (Tamil) und Kannamoolai, Trivandrum (Malayalam). Ferner gibt es noch gemeinsame Einrichtungen, die vor allem von den westlichen Missionsgesellschaften getragen werden und an denen die Kirche von Südindien beteiligt ist, wie das United Theological College in Bagalore, das Madras Christian College in Tambaram und das Medical College und Krankenhaus von Vellore. Gesundheitswesen: Krankenhäuser: 62 Polikliniken: 38 Ausländische Mitarbeiter: 66 LITERATUR A. J. Arangadan: Church Union in India: Its Progress and Consummation. Mangalore 1947. The Book of Common Worship der Kirche von Südindien. London u. a. 1963. The Church of South India-Lutheran Conversations, ígjS-igsg: Dokumente und gemeinsame Ergebnisse mit einer Einleitung von J. R. Chandran. Madras 1964. Empty Shoes: A Study of the Church of South India, hrsg. vom National Council of the Protestant Episcopal Church. New York 1956. Michael Hollis: The Significance of South India. London 1966. Rajaiah D. Paul: The First Decade: An Account of the Church of South India. Madras 1958. Renewal and Advance: Bericht des Ausschusses der Kirche von Südindien über Integration und gemeinsame Aktion. Madras 1964. Bengt Sundkler: The Church of South India: The Movement towards Union. 1900-1947. London 1954.

Kapitel io D I E U N I T E D C H U R C H OF C H R I S T IN T H E PHILIPPINES* ENRIQUE C. SOBREPENA

I

m Jahre 1968 beging die United Church auf den Philippinen den 20. Jahrestag ihrer Gründung als selbständige Kirche und blickte gleichzeitig auf 40 Jahre einer organischen Kirchenunionsbewegung auf den Philippinen zurück, die 1928 mit der Bildung eines Ausschusses einsetzte, der beauftragt war, eine Basis und einen Unionsplan für die United Evangelical Church of the Philippines zu entwerfen.

Erste Bemühungen um eine Kirchenunion Eines der Hauptziele der ersten Missionare und den von ihnen bekehrten Christen bestand darin, in den einzelnen Inseln des philippinischen Archipels eine evangelische Kirche zu gründen. Die Evangelische Union, eine Vereinigung amerikanischer Missionsgesellschaften und Missionare in den Philippinen, hatte schon gleich zu Beginn ihres Bestehens einen Ausschuß ernannt, der eine Unionsbasis für die in dem Ausschuß vertretenen Kirchen erarbeiten sollte. Innerhalb eines bestimmten Zeitraumes brachte dieser Ausschuß führende kirchliche Persönlichkeiten'an einen Tisch, die die Möglichkeiten einer Kirchenunion erkundeten. Bestrebungen, alle in der Evangelischen Union vertretenen Konfessionen und Kirchen zu einer kirchlichen Vereinigung zu führen, stießen auf verschiedene Schwierigkeiten und erwiesen sich für einige Kirchen als zu langwierig. Man kam daraufhin überein, daß Kirchen, die sich ohne Bedenken zusammenschließen könnten, auf eine sofortige Union hinarbeiten sollten, wobei sie anderen Kirchen die Türe offen ließen, falls sie sich zu einem späteren Zeitpunkt für einen Beitritt entschließen sollten. Der erste konkrete Schritt auf eine Union hin wurde auf dem Treffen der presbyterianischen und kongregationalistischen Missionsgesellschaf* Dieses Kapitel stellt Auszüge aus den Kapiteln des Buches „That They May Be One" von Enrique C. Sobrepena dar, die sich mit Kirchen Unionen und zwischenkirchlichen Beziehungen befassen.

DU United Church of Christ in the Philippines

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ten in Lanao im Frühjahr 1921 unternommen. Die presbyterianische Mission schlug folgendes vor: „Die Presbyterian Church und Congregational Church fusionieren, und die Einladung, sich der Bewegung anzuschließen, um die Evangelische Kirche in den Philippinen zu gründen, wird auch auf andere Konfessionen ausgedehnt." Die Kongregationalistische Missionsgesellschaften antworteten auf dieses Vorspiel der Presbyterianer auf ihrer Konferenz: „Es wurde beschlossen: Die Missionsgesellschaft nimmt hocherfreut die Mitteilung der Presbyterianischen Mission zur Kenntnis, eine einzige Kirche der philippinischen Inseln zu gründen ... und wir beauftragen den Sekretär, der Presbyterianischen Missionsgesellschaft kundzutun, wie sehr wir diesen Vorschlag zu schätzen wissen." Als Ausführung dieser Resolution wurden die kongregationalistischen Gemeinden von Nord-Mindanao im April 1922 in das Presbyterium von Cagayan umorganisiert; auf einer späteren Sitzung stimmten sie für eine Union und ernannten einen Ausschuß, der mit einem entsprechenden Ausschuß der Presbyterianischen Synode einen Plan für eine Kirchenunion erarbeiten sollte. Die Presbyterien der Presbyterianischen Synode der Philippinen wurden gebeten, im Blick auf den Vorschlag für eine Kirchenunion etwas zu unternehmen. Auf der Synode von 1924 berichteten die Presbyterien von Manila, Cebu, Iloilo und Negros, daß sie der Kirchenunion zustimmen könnten. Einladungen, sich der Union anzuschließen, ergingen ebenfalls an die United Brethren Churches und an andere kirchliche Organisationen. Die United Brethren Church leitete Schritte ein, die schließlich dazu führten, daß der Beitritt in die geplante Unionskirche auf der so zum Ausdruck gebrachten Grundlage Zustimmung fand - ebenso entschied sich das Kongregationalistische Presbyterium von Cagayan. Auch die United Church von Manila, eine unabhängige Einzelgemeinde, billigte den Beitritt in die geplante umfassendere Kirchenunion und ernannte einen Ausschuß für Fragen der Zusammenarbeit. Diese Kirche war im Februar 1924 auf Initiative jener philippinischen Kirchenführer und mit Unterstützung weitblickender Missionare auf lokaler Ebene gegründet worden. Die Verantwortlichen stammten aus verschiedenen Denominationen und die Aufgabenstellung dieser Kirche bestand darin, die Funktionsfahigkeit einer Unierten Kirche unter Beweis zu stellen. Seit ihrer Gründung war die United Church von Manila eine energische Verfechterin jedes kirchlichen Unternehmens auf diesen Inseln, das sich die Zusammenarbeit und eine Kirchenunion zum Ziel gesetzt hatte. Als Pfarrer dienten dieser Kirche in den Jahren, in denen sie sich aktiv um eine zwi-

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schenkirchliche Union bemühte, Pfr. Juan A. Abellera (1924/25), Dr. Frank C. Laubach (1926) und Dr. Enrique C. Sobrepena (1926-52). Im gemeinsamen Ausschuß, der Pläne für eine Unierte Kirche entwarf, waren nun drei Denominationen und eine unabhängige Ortsgemeinde vertreten: die Presbyterian Church, die Congregational Church, die United Brethren Church und die United Church of Manila. Der Ausschuß setzte sich aus Männern mit verschiedenen Konzeptionen und aus verschiedenen Herkunftsbereichen zusammen, aber es gelang ihm dennoch, eine gemeinsame, für alle verbindliche Grundlage zu finden: die Kernaussagen der Bibel. Strukturelle und organisatorische Fragen bereiteten einige Schwierigkeiten. Die Struktur der United Brethren Church war mit der zentralistischen Leitung der bischöflichen Methodistenkirche verwandt, die der Congregational Church mit den demokratischen Formen der Baptisten und der Disciples of Christ, die Struktur der Presbyterian Church wiederum bot einen Mittelweg an. Eine organische Union konnte freilich nicht so schnell erreicht werden. Sie erforderte immer noch eine Zeit geduldigen Wartens und harter Arbeit, bevor sie in den Philippinen Gestalt annehmen konnte.

Die Gründung der United Evangelical Church

Im April 1928 traf sich wiederum ein Ausschuß, dem die vier Kirchen angehörten, um eine breitere Unionsbasis zu erarbeiten. Die Mitglieder dieses Ausschusses waren Pfarrer Irving Channon und Pfarrer Proculo Rodriguez als Vertreter der Congregational Church; Pfarrer J. L. Hooper und Pfarrer Marciano Evangelista, Pfarrer John Dunlop und Pfarrer Dr. Charles R. Hamilton als Vertreter der Presbyterian Church; Pfarrer H. W. Widdoes und Pfarrer C. P. Lorenzana als Vertreter der United Brethren Church und Pfarrer Enrique C. Sobrepena als Vertreter* der United Church of Manila. Dr. Hamilton diente als Vorsitzender. Die Aussagen über die Lehre und die Gestalt der Kirchenleitung, wie sie der Ausschuß entfaltet hatte, wurden den verschiedenen Gruppierungen zur Prüfung vorgelegt. Nachdem die Kirchen die Unionsbasis gebilligt hatten, wählten sie Delegierte für eine Gründungsversammlung. Am 15. März 1929 wurde auf einer Versammlung, auf der die sich vereinigenden Kirchen vertreten waren, die Unionsbasis offiziell angenommen und damit die United Evangelical Church of the Philippines ins Leben gerufen. Es kam deutlich zur Sprache, daß die Kirchen, die sich jetzt zu einer Kirche zusammengeschlossen hatten, sich auch über eine noch umfassendere Union freuen würden, der dann weitere Kirchen beitreten könnten.

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Die ersten leitenden Mitarbeiter der neuen Kirche waren Pfarrer Enrique C. Sobrepena, Moderator der Vollversammlung; Pfarrer George W. Wright, Generalsekretär, und Pfarrer J. L. Hooper, Schatzmeister. Diese führenden Persönlichkeiten wurden auf mehreren aufeinanderfolgenden Vollversammlungen wiedergewählt und standen somit ununterbrochen ein Jahrzehnt im Dienst der Kirche. Es folgten ihnen Pfarrer Leonardo G. Dia, Moderator, Pfarrer Stephen L. Smith, Generalsekretär, und Jose L. Navarro, Schatzmeister. Die neue Kirche nahm von Jahr zu Jahr an Stärke zu und schloß die Mitglieder durch das zunehmende Vertrautsein mit ihrem gemeinsamen Glauben und durch die gemeinsamen Dienstvorhaben noch enger zusammen. In einem Bericht über den Stand der Kirche im Jahre 1937, sieben Jahre nach ihrer Gründung, führte der Moderator der Vollversammlung, Dr. Enrique C. Sobrepena, aus: „Der Gedanke der Einheit ist seit der Gründung der Union unter unseren Kirchengliedern und Gemeinden mit jedem vergangenen Jahr stärker geworden. Wir haben Schritt für Schritt einige der alten Ausdrucksweisen und Gepflogenheiten, die aus den ehemaligen Kirchen in die neue Kirche eingebracht wurden, aufgegeben und benutzen nun in zunehmendem Maße Begriffe und Bräuche, die von der Unionskirche geprägt und durch sie notwendig wurden, und von denen wir alle glauben, daß sie unserer philippinischen Herkunft Rechnung tragen. Man kann mit Sicherheit sagen, daß keine Kirche, weder hier noch in Übersee, in irgendeiner Weise noch tiefer und umfassender vereinigt sein kann als die United Evangelical Church of the Philippines. Trotz der riesigen Weite unseres Gebietes und - verglichen mit anderen Denominationen in den Philippinen - der großen Mitgliederzahl denken wir jetzt in gemeinsamen Bahnen, und wir handeln vereint mit einem gemeinsamen Programm und marschieren als riesige Truppe, die gemeinsam hohe Ziele ansteuert."

Das Intermezzo des Zweiten Weltkrieges

Der plötzliche Ausbruch des Zweiten Weltkrieges brachte den Menschen des pazifischen Raumes nicht nur Not, Zerstörung und Tod, sondern verursachte auch unter den christlichen Kirchen dieser Gebiete ganz erhebliche Schwierigkeiten. Die Invasion der Philippinen durch die Japaner fand gleichzeitig mit der japanischen Bombardierung Pearl Harbors am 7. Dezember 194.1 statt. Im Januar 1942 hatten die japanischen Streitkräfte mit Ausnahme von Bataan und Corregidor ganz Luzon vollständig unter

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Kontrolle. Auch alle anderen strategisch wichtigen Punkte der Philippinen hatten sie erobert. Als sie sich dieser Situation hilflos gegenübersahen, gaben viele Beamte der philippinischen Regierung dem Druck der Japaner nach und bildeten unter den neuen Machthabem eine Regierung. Sie bekannten sich zur Zusammenarbeit mit Japan unter der „Coprosperity Sphere" für Ost-Asien. Nachdem Manila unter die Kontrolle der Japaner gekommen war, aber in Bataan immer noch Widerstand geleistet wurde, in den auch einige protestantische Führer als USAFFE-Pfarrer verwickelt waren, gaben japanische Offiziere für gewisse Pfarrer und Laien der Protestantischen Kirche ein Essen im Manila-Hotel. Bei diesem Essen sagten einige protestantische Kirchenführer die Zusammenarbeit mit den Japanern zu. Kurz nach Beginn der japanischen Besetzung machten sich philippinische Kirchenmänner daran, die Neugliederung der Philippine Federation of Evangelical Churches vorzubereiten. Es wurde ein Ausschuß gebildet, der eine Verfassung zu entwerfen hatte. Diese Aufgabe wurde nach einigen Monaten schließlich zum Abschluß gebracht. Im Oktober 1942 fand eine Konferenz statt, auf der die neukonstituierte Philippine Federation of Evangelical Churches ins Leben gerufen wurde. Die unabhängig von der Church Federation entstandene Evangelical Church

Der Gedanke einer noch umfassendereh Kirchenunion ging im Kampf der widerstreitenden Kräfte nicht unter. Das einzigartige Merkmal einer lebendigen Gruppe von Christen besteht darin, daß sie über Kraftreserven verfügt, auf die sie in Krisenzeiten zurückgreifen kann. Der Pulverdampf des Krieges vermochte weder die Sicht zu trüben noch der leidenschaftlichen Einsatzbereitschaft, Menschen für die Kirche zu retten, Abbruch zu tun. Die Arbeit für Gott wurde weitergeführt und die Kirche Christi setzte sich sogar gegen die Pforten der Hölle durch. Eine neue .und größere Unierte Kirche mit dem Namen Evangelical Church in the Philippines entstand im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Diese neue Kirche wurde im Jahre 1943 gegründet. Sie vereinigte die United Evangelical Church of the Philippines, die 1929 entstanden war, die Church of Christ (Disciples), die Iglesia Unida de Christo, einen Teil der IEMELIF, die Eglesia Evangelical Nacional, einige Gemeinden der Philippine Methodist Church, und eine Anzahl unabhängiger Ortsgemeinden. Verschiedentlich wurde die Behauptung aufgestellt, diese Union sei den Kirchen von den Japanern aufgezwungen worden. Aber schon die Tatsache, daß viele Kirchen der Union nicht beitraten, beweist überzeugend, daß solche Aussagen absolut haltlos sind.

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Die neu gegründete Kirche nahm ein viel kürzeres Glaubensbekenntnis an als die United Evangelical Church, aber in ihm kamen die gleichen grundlegenden Uberzeugungen und Glaubensaussagen zum Ausdruck. Die Evangelical Church in the Philippines wählte einen mit dem Vorsitz der Kirche betrauten Bischof, der auch die Vollversammlung zu leiten hatte; sie wählte weiter Bischöfe, um die verschiedenen Diözesen, in die die Philippinen kirchlich unterteilt waren, einer zentralen Aufsicht zu unterstellen. Abgesehen von diesen Änderungen hatten die Vollversammlungen, die jährlichen Konferenzen und die Ortsgemeinen eine sehr ähnliche Funktion wie die vergleichbaren Größen der ehemaligen United Evangelical Church.

Spaltung innerhalb der Kirche Unmittelbar nach dem Krieg war die Evangelical Church in the Philippines, die während der japanischen Besatzungszeit gegründet worden war, heftiger Kritik unterworfen. Vielfach wurde der Rat gegeben, sie wieder aufzulösen. Obwohl ihre Gründung nie erzwungen worden war, vertrat man doch weithin die Auffassung, daß dies der Fall gewesen sei. Als Folge dieser Kritik und als Folge einiger Agitationen, die auf falschen Informationen beruhten, spalteten sich die Konferenzen in Groß-Manila und dem Gebiet von Bicol Area, und zwar hielt sich jeweils ein Teil an die Evangelical Church in the Philippines und der andere Teil an die Konferenzen von Visayas und Mindanao, um die United Evangelical Church in den Philippines wieder ins Leben zu rufen. Während der Kriegsjahre hatte zwischen*den Luzon-Konferenzen und den Konferenzen von Visayan und Mindanao nur ein geringer Kontakt bestanden. Andererseits verblieben mit Ausnahme der Konferenzen in Manila und Bicol, die sich geteilt hatten, alle anderen Konferenzen in Luzon einschließlich derer von Manila und Bicol in der Evangelical Church in the Philippines, und zwar unter Führung aller ordnungsgemäß eingesetzten Oberhirten der Diözesen. Eine Ausnahme bildete Pfarrer Leonard Dia von den Visayas, der es vorzog, zurückzutreten und sich der Leitung der neu konstituierten United Evangelical Church in the Philippines zu widmen. Die Führung der Evangelical Church stimmten der Neukonstituierung der United Evangelical Church weithin zu, besonders deshalb, weil sie die Konferenzen von Visayas und Mindanao mit einbezog, die in der Kriegszeit mit den Konferenzen von Luzon kaum Kontakt gehabt hatten. Demgemäß setzten sie sich dafür ein, dieser Möglichkeit den Weg zu

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ebnen. Da sie aber andererseits fest davon überzeugt waren, daß die während des Krieges erzielte Union eine Tat Gottes gewesen war, konnten sie sie nicht einfach auflösen. Ebenso verhielt es sich mit den Hunderten von Taufen, die während der Kriegsjahre im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogen worden waren, die auch nicht einfach anulliert werden konnten. Ferner vertrat man die Auffassung, daß die Evangelical Church, sollte sie auch weiterhin aus so vielen neuen Gruppierungen bestehen, diese Gruppen dann auch alle einer noch umgreifenderen Union zuführen könnte, die dann sogar als zukünftige Möglichkeit ins Auge gefaßt wurde - wenn der gute Wille, das Verständnis, wenn Friede und Liebe in noch überzeugenderer Weise wiederhergestellt wären. Die Spaltung, die sich als vorübergehend erwies, teilte die Kirchen in folgende Lager: einmal die United Evangelical Church in the Philippines (Presbyterianer und Kongregationalisten); und zum andern die Evangelical Church in the Philippines (Church of Christ-Disciples, United Brethren, Philippine Methodist Church, Presbyterian Church, Unida de Christo, Evangelico Nacional und eine Anzahl unabhängiger Gemeinden einschließlich derjenigen der IEMELIF).

Das Ansehen ist wiederhergestellt (Die Entstehung der United Church of Christ) Der Krieg richtete in den Philippinen viel Schaden an Eigentum an. E r schädigte in beträchtlichem Maß aber auch das Innere der Menschen. Die erbarmungslosen Grausamkeiten, die im Verlauf der Schlacht und während der gesamten Zeit der feindlichen Besatzung verübt worden waren, verwüsteten die Moral und das geistliche Leben der Menschen. Ressentiments wurden geweckt, Rachegedanken wurden geschürt und in den Herzen der Menschen wuchs der Haß. Während der ersten Kriegsjahre schien es ratsam, neue kirchliche B e ziehungen nicht zu forcieren, sondern abzuwarten, bis einige Wunden verheilt waren. Kirchenführer vertraten die Meinung, zur rechten Zeit würden sich auch in dieser Beziehung die Aussichten wieder besser gestalten. Die Christen wären dann imstande, den gemeinsamen, ihnen zukommenden Ruhm zu erkennen und sich in rechter Weise auf das gemeinsame Ziel einzustellen, das denen winkt, die Gott lieben. Und diese Zeit kam auch tatsächlich; die christliche Gnade stimmte die menschlichen Herzen milde und brachte allen Demut und Reue. Dieser Wandel ebnete den Weg für eine neue Union, die zur Gründung der United Church of Christ in the Philippines führte. A m 25. Mai 1948 trafen sich Delegierte verschiedener Denominationen.

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in der Ellinwood-Malate Church in Manila, um eine neue und umfassendere Kirche ins Leben zu rufen. Der Beglaubigungsausschuß empfahl, daß die Vertreter der Kirche, die zu einer Union bereit waren, eine Gründungsversammlung bilden sollten. Die Kirchen waren dabei wie folgt vertreten: Evangelical Church: vier Mitglieder der Kirchenleitung, sieben Leiter des Jurisdiktionen und 54 gewählte Vertreter - im ganzen 65 Delegierte. Philippine Methodist Church: vier Mitglieder der Kirchenleitung, sieben Distriktssuperintendenten und 12 gewählte Delegierte - im ganzen 23 Delegierte. United Evangelical Church: vier Mitglieder der Kirchenleitung, xi Distriktsmoderatoren und 64 gewählte Vertreter - im ganzen 79 Delegierte. Die Gesamtzahl der beglaubigten Delegierten belief sich auf 167. Zunächst wurde eine vorläufige Organisation aufgebaut und Bischof Enrique C. Sobrepena zum Vorsitzenden der Gründungsversammlung gewählt. Ein Ausschuß bereitete eine Erklärung für die Union vor und übergab sie dieser Versammlung, damit sie sie dann offiziell billigen konnte. Der Ausschuß, der für diesen Entwurf zuständig war, setzte sich aus Dr. Enrique C. Sobrepena, Pfarrer Leonardo G. Dia, Bischof Cipriano Navorro, Pfarrer Stephen L. Smith und dem Rechtsanwalt Evaristo Tagatac zusammen. Nach Überprüfung wurde die Erklärung einstimmig angenommen. Anschließend wurde sie von den Delegierten unterzeichnet. Am 27. Mai 1948 gab der Vorsitzende der Versammlung die Namen der gewählten Mitarbeiter und Bischöfe bekannt. Er machte darauf aufmerksam, daß die Wahl zur Mitarbeit in der Kirchenleitung weniger eine Ehrensache sein, sondern die Gewählten in eine verantwortungsvolle Position versetze. Die gewählten Männer seien „vor eine Aufgabe gespannt worden". Hier ihre Namen: Hauptevangelist: Pfarrer Hugh Bousman Hauptschatzmeister: Jose L. Navarro Generalsekretär: Pfarrer Stephen L. Smith Bischof von Mindanao: Procula A. Rodriquez Bischof von Süd-Luzon: Cipriano Navorra Bischof von Nord-Luzon: Enrique C. Sobrepena. Die United Church of Christ in the Philippines entstand so unter recht vielversprechenden Vorzeichen und war von den guten Wünschen aller begleitet. In dieser Kirchenunion trafen viele verschiedenartige deno-

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minationelle Strömungen aufeinander, darunter die Presbyterianer, die Kongregationalisten, Disciples of Christ, die Unidas, die IEMELIFS, die Evangelikaien, die Philippine Methodist Church und die United Brethren. Die amerikanischen Missionsgesellschaften, die den verschiedenen kirchlichen Gruppierungen jeweils gesondert geholfen hatten, mußten nun daran gehen, ihre Unterstützung und finanzielle Hilfe zu koordinieren, um das Programm dieser einen Kirche zu unterstützen. Die wenigen Seiten erlauben keine namentliche Aufzählung der Männer, die der Kirche in vielen verschiedenartigen Tätigkeitsbereichen gedient haben - einschließlich der später neu hinzugekommenen Mitglieder der Kirchenleitung, der Abteilungs- oder Ausschußsekretäre oder der Mitarbeiter mit koordinierenden Funktionen, der Direktoren und der anderen Mitarbeiter im Außendienst, die sich auf der Ebene der Vollversammlung für die Erweiterung der Kirche einsetzten, ganz zu schweigen von den Moderatoren der jährlichen Konferenzen, den Pfarrern und den zahllosen Laien, die an der Front der praktischen Arbeit standen. Jedenfalls verrichteten alle zusammen mit der Leitung der Vollversammlung ihren Dienst loyal und treu für die gemeinsame Aufgabe und ermöglichten dadurch das hohe Maß an Fortschritt, das erzielt werden konnte. Die Kirche entfaltete sich und kam in allen Bereichen gut voran. Die Zahl der organisierten Gemeinden, der jährlichen Konferenzen und der Mitglieder hat zugenommen. Das Programm der Kirche wurde in jeder Hinsicht ausgebaut und orientierte sich vielfach neu an den Bedürfnissen und den Herausforderungen der sich verändernden Situation. Aus einer von Dr. Leren Lair, dem Exekutivbeamten der Iowa Association of Christan Churches in den Vereinigten Staaten von Amerika angefertigten Übersicht geht hervor, daß die United Church of Christ in the Philippines eine sehr lebendige Kirche ist, die ein treues, wirklichkeitsbezogenes Zeugnis für das Evangelium ablegt und bedeutsame Beiträge für die Lebensgestaltung der heutigen Gesellschaft leistet. Dr. Lair hatte mehrere Monate in den Philippinen verbracht und dabei Einzelpersonen befragt und Ortsgemeinden besucht. Die United Church of Christ in the Philippines hat sich zu der am weitest verbreiteten und zahlenmäßig größten Gruppierung in den Philippinen entwickelt. Während sich die Gemeinden anderer Denominationen auf bestimmte Gebiete konzentrieren, hat die United Church of Christ in the Philippines praktisch in jedem Teil des Landes Gemeinden. Ihre Betonung des evangelistischen und missionarischen Auftrages hat dazu geführt, daß sie eine aktive und zielbewußte Kirche ist. Durch die Aufnahme neuer Mitglieder und die Gründung neuer Gemeinden wird sie laufend weiter gekräftigt. Sie weist jetzt 1173 eigentliche Ortsgemeinden

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und Hunderte nichtorganisierter Gemeinden auf. Die Kirche zählt 145701 kommunizierende Mitglieder und einen Freundeskreis, der auf über eine drittel Million geschätzt wird. Zwar neigen Kritiker zu der Auffassung, unierte Kirchen legten das Hauptgewicht auf ihre Organisation, aber das trifft für die United Church of Christ in the Philippines nicht zu. Zeit ihres Bestehens stand der zentrale Auftrag der Kirche Zeugnis und Dienst - stets im Mittelpunkt dieser Unionsbewegung.

Die Voraussetzungen für die Union

Die Gründungsversammlung der Kirchen, aus der die United Church of Christ in the Philippines hervorgegangen war, einigte sich darauf, das Glaubenserbe, das von jeder der Mitgliedskirchen in die Union eingebracht worden war, zu bewahren, und zwar unter Berücksichtigung und Anerkennung der wesentlichen Glaubensinhalte der sich vereinigenden Kirche, wie sie von den kirchlichen Glaubensaussagen zum Ausdruck gebracht wurden. Die Versammlung beschloß, keine Bekenntniskirche in dem Sinne entstehen zu lassen, daß zuerst ein Glaubensbekenntnis oder eine Glaubenserklärung formuliert werden müßte, die dann von allen Mitgliedern zu unterzeichnen wäre. Für die christliche Unterweisung können einige Glaubensaussagen den Bekenntnissen der sich vereinigenden Kirchen entnommen werden; aber solche Bekenntnisaussagen dürfen nur der Umschreibung und Auslegung des zentralen Glaubensinhaltes dienen, dem sich alle Mitglieder ohne weiteres verpflichtet wissen, nämlich: „Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, unser Herr und Heiland". Der Name des Kirche lautet „Church of Christ" und wird noch durch das Wort „uniert" näher definiert. Damit soll darauf hingewiesen werden, daß die zentrale Botschaft und der Auftrag der Kirche darin besteht, Jesus Christus selbst zum Inhalt der Botschaft zu machen, und daß die Einheit der Kirche ein unabdingbares Mittel ist, um für ihn Zeugnis abzulegen. Die Struktur der Kirche, die sich entwickelt hat, und für die sachgemäße Leitung dieser großen Zahl Christen und die zweckmäßige Verwaltung ihrer Angelegenheiten und Aktivitäten weiterentwickeln wird, besteht aus Elementen, die die verschiedenartigen Kirchen beigesteuert haben, die der Union beitraten. Unserer Ansicht nach beinhaltet die Struktur in zufriedenstellender Weise die besonderen Merkmale der ehemaligen Kirchen: die Autonomie der Ortsgemeinde, über die die Baptisten, die Kongregationalisten und die Disciples so eifersüchtig wachen; eine repräsentative Demokratie, die so sorgsam von den Presbyterianern und

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Reformierten ausgeübt wird, und ein gewisses Maß an Zentralisierung im Bereich der Exekutive und der Verwaltungsaufgaben, wie sie die Evangelical United Brethren und die Methodistenkirchen exemplifizieren. Das System der Kirchenleitung, das jetzt erarbeitet wurde, wird hoffentlich heranreifen, sich weiterentwickeln und sich den Wesensmerkmalen eines Volkes anpassen, das sich dem demokratischen Lebensstil verschrieben hat. Die United Church ist eine demokratische Organisation. Ihre führenden Mitarbeiter werden von den Vertretern der Kirchen gewählt und fungieren als Diener der Kirche, nicht als deren Meister und Herrscher. Ihre Pflichten und Aufgaben werden von den Vertretern der kirchlichen Organisationen festgelegt. Unter Gottes Leitung nehmen die Mitglieder, die Pfarrer und die Mitglieder der Kirchenleitung ihre Pflichten nach demokratischen Gepflogenheiten wahr. An der Spitze der Ortsgemeinde steht ein Pfarrer, der die Gemeinde leitet und ihre Aktivitäten mit Hilfe des Kirchenvorstandes und in Ubereinstimmung mit den Richtlinien lenkt, die von der Gemeinde oder deren offiziellen Vertretung - gewöhnlich Kirchenrat genannt - festgesetzt wurden. Der Moderator steht an der Spitze der jährlichen Konferenz, die mehrere Ortsgemeinden in einem bestimmten Gebiet zusammenfaßt; er wird von der Konferenz auf ihrem jährlichen Treffen gewählt. Der Vollversammlung der Kirche, ihrem höchsten Gremium, steht der Vorsitzende vor, der zusammen mit den anderen Bischöfen die Aufsicht über die Kirche als Ganze führt. Die Bischöfe werden jeweils für eine Amtszeit von vier Jahren von der Vollversammlung auf ihrer alle zwei Jahre! stattfindenden Konferenz gewählt. Ein Bischof kann höchstens für drei aufeinanderfolgende Amtszeiten gewählt werden. Auf der Ebene der Vollversammlung aber werden die administrativen und weiterführenden Aufgaben an den Generalsekretär delegiert, dem diese Dinge unterstehen. Die Vollversammlung und ihr Interimsgremium, der Exekutivausschuß, befassen sich im wesentlichen mit Fragen der allgemeinen Strategie der Kirche. Die Verwaltungs- und Missionsarbeit der Kirche, oder mit anderen Worten: die ständig anfallende Arbeit, wird den Mitgliedern der Kirchenleitung überlassen, welcher die Bischöfe, der Generalsekretär, der Schatzmeister und die Direktoren der Abteilungen der zwei für das gesamte Gebiet zuständigen Kommissionen, der Kommission für christliche Unterweisung und der Kommission für christliches Zeugnis und Dienst, angehören. Ihre Aufgaben sowohl im verwaltungsmäßigen als auch im missionarischen Bereich sind durch die Verfassung und durch Zusatzverordnungen der Kirche klar umrissen und im Kirchlichen Handbuch kurz dargelegt. Diesen Mitarbeitern leisten entsprechende Kom-

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missionen, Abteilungen und Ausschüsse Hilfestellung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Allerdings ist auch eine Maßnahme vorgesehen, die die Bemühungen der verschiedenen Mitarbeiter und Direktoren koordiniert, um hier eine konzertierte und effektive Förderung des Gesamtprogramms der Kirche zu erwirken. Mit dem Ziel, die Arbeit der ganzen Kirche zu planen und zu koordinieren, wurde ein „United Promotions Council" eingesetzt, in der sich alle diese Mitarbeiter in ihrer Eigenschaft als kirchliche Mitarbeiter treffen, um zu beraten, wie sie einzeln oder gemeinsam zusammenarbeiten können, um die Arbeit ihrer Kirche zu fördern. Richtungsweisende Schwerpunktaufgaben werden über einen Zeitraum von vier Jahren denen mitgegeben, die in der missionarischen Arbeit tätig sind, also den Bischöfen oder Evangelisten in den betreffenden Diözesen, sowie auch den Moderatoren für ihre entsprechenden jährlichen Konferenzen. Das Leben der Kirche Die United Church of Christ in the Philippines, eine in diesem Lande autonome Kirche, wird von ihren Mitgliedern unterhalten. Die Ortsgemeinden - ausgenommen die, die als Missions- oder Außenposten eingestuft sind - werden alle mit Mitteln aus dem lokalen Bereich selbst getragen. Dasselbe trifft auch für die Jährliche Konferenz und ihre Projekte zu. Die Finanzmittel aus Übersee werden grundsätzlich nur auf der Ebene der Vollversammlung eingesetzt. Die Projekte, die von der Vollversammlung über ihre Kommissionen und Abteilungen wahrgenommen werden, tragen weitgehend die Beiträge der kooperierenden Kirchen in Übersee, obwohl in den meisten Fällen entsprechende Geldmittel in den Gemeinden für diesen Zweck gesammelt werden. Die Gehälter für die Mitglieder der Kitchenleitung werden ausschließlich aus Mitteln der Ortsgemeinden bestritten. Die Geldmittel aus Übersee fließen in die Arbeitsbereiche, die äls eigentliches Programm und als evangelistisches Projekt der Kirche angesehen werden. In der Kirche wächst die Uberzeugung, daß sie so schnell wie möglich selbst alle Mittel für ihre regelmäßigen Aktivitäten und die Mitarbeiterbesoldung aufbringen müßte. Aiber die Kirche hofft weiterhin, die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Schwesterkirchen in Übersee hinsichtlich der von den Kommissionen wahrgenommenen Projekte weiterzuführen, obwohl die Mittel in zunehmendem Maße aus den Ortsgemeinden kommen sollten. Sie hofft auch, durch die „fraternal workers" und Missionare, die sie zur Hilfe für die gemeinsame Arbeit einladen, noch lange Zeit in einem partnerschaftlichen Verhältnis zu stehen.

2ositiven Inhalts der konfessionellen Bindung; sie muß auch die Frage nach der Identität zwischen den Formen, in denen diese Bindung zum Ausdruck kommt und dem Inhalt, welche diese konfessionellen Bindungen hervorrufen und auf denen sie beruhen, aufwerfen. Es ist keine einfache Sache, im Bereich des gesellschaftlichen Kontextes die geistliche Substanz von den historisch gewachsenen und kulturellen Formen säuberlich zu trennen. Es erfordert von denen, die «ich an den Verhandlungen beteiligen, den Einsatz hochqualifizierter, diplomatischer Gaben. Noch nötiger aber ist es, daß führende Leute und Kirchenglieder die dringende Notwendigkeit erkennen, der christlichen Einheit in noch stärkerem Maße durch sichtbare Organisationsformen für das gottesdienstliche Leben und die Mission Ausdruck zu verleihen. Der Gang der Verhandlungen zwischen den beiden Konfessionen stellte den Wunsch nach einem Zusammenschluß und die Frage, ob die Mittel der Kirchen den Hindernissen auf dem Weg dorthin gewachsen wären,

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auf eine harte Probe. Im Jahre 1944 war die „Basis of Union" vorbereitet worden. Sie erfuhr fünf Überarbeitungen, bevor sie von den sich vereinigenden Kirchen gebilligt wurde. Daraufhin stimmte der General Council of the Congregational Christian Churches im Jahre 1948 einer Reihe von „Erklärungen" zu, ein Schritt, der eine Sondersitzung der Generalsynode der Evangelical and Reformed Church erforderlich machte, die diese „Erklärungen" ebenfalls billigen mußte, worauf sie dann in den einzelnen Distriktsynoden verabschiedet wurden. Dann folgte aber die mit Abstand schwierigste Zeit der Verhandlungen. In den Jahren 1950 bis 1953 kamen die Verhandlungen zum Erliegen, als ein Prozeß gegen den Moderator des General Council of the Congregational Christian Church von einer Gruppe kongregationalistischer Christen angestrengt wurde, der die Gerichte des Staates New York beschäftigte. Obwohl schließlich sogar das höchste Gericht des Staates ein Urteil gegen diejenigen verhängte, die selbst eine gerichtliche Verfügung gegen den Moderator verlangt hatten, war die Wirkung dieses Rechtsstreites im Blick auf die geplante Union nahezu verheerend. Vor einer fast sicheren Niederlage wurden die Verhandlungen nach den Worten Dr. Hortons „voll und ganz durch eine Neuorientierung an Jesus Christus" gerettet14. Aus der Überzeugung, daß die Union dem Willen Christi entsprach, erwuchs ein erneutes Verlangen, die zwei Denominationen zu vereinigen. Selbst dieser kurze Bericht des Verhandlungsverlaufs deutet an, wie groß die Anforderungen waren, die an das kluge und mit Geduld einzusetzende Verhandlungsgeschick der Vertreter >der beiden Denominationen gestellt wurden. Aber selbst das beste Verhandlungsvermögen hätte nicht ausgereicht, die ungeheuren Schwierigkeiten zu überwinden, die ohne einer weithin zugestimmten Konzeption für eine Kirchenunion und ohne die starke Willenskraft, sie zu verwirklichen, aufgetreten wären. Diese Konzeption und die Willenskraft hatten ihre Wurzeln und ihren Nährboden in den entscheidenden konfessionellen Bindungen, deren sich die verhandelnden Kirchen und die United Church selbst bewußt waren.

Das Selbstverständnis der Kirche

Die Präambeln der Unionsbasis und der Verfassung, der die United Church of Christ zugestimmt hatte, bringen zum Ausdruck, wie die Kirche ihre entscheidenden Kennzeichnen, ihre Ziele und Vorhaben verstand. Die Präambeln unterscheiden sich den Worten nach. Die eine führt in ein die Basis beschreibendes Dokument ein, auf Grund dessen

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die beiden Kirchen sich vornehmen, sich zusammezuschließen. Die andere ist eine Präambel einer schriftlichen Verfassung der Kirche, die infolge des Zusammenschlusses neugegründet wird. Die eine enthält die Motive, die die zwei nach Struktur und Tradition unterschiedlichen Denominationen dazu führten, eine einzige Kirche zu bilden. Die andere beschreibt in ihren ersten zwei Absätzen die Ziele, die Bindungen und die Verpflichtungen der Unierten Kirche. Die Unionsbasis hat ihren Zweck erfüllt. Dennoch geben die Beweggründe, die in der Präambel der Unionsbasis zum Ausdruck kommen, auch weiterhin wichtige Impulse an die United Church of Christ. Schon aus diesem Grunde verdient sie Beachtung. Die Präambel der Unionsbasis setzt mit der Erklärung ein, die Vertreter der beiden Konfessionen seien „von der Uberzeugung getragen, daß sie eine gemeinsame Gesinnung und Zielsetzung vereine und daß sie in der Substanz des christlichen Glaubens und dem, was das christliche Leben kennzeichne, übereinstimmten." Einheit in der Gesinnung und in der Zielsetzung und Übereinstimmung in der Substanz des christlichen Glaubens und dem Proprium der christlichen Existenz sind Grund für einen Zusammenschluß. Die dafür gewählten Worte machen deutlich, daß die von diesen beiden Kirchen gefundene Übereinstimmungsgrundlage, die als ausreichend empfunden wurde, um den Zusammenschluß zu rechtfertigen, weder in der Ähnlichkeit historisch gewachsener Formen besteht (ob nun das Gewicht auf der Theologie, dem gottesdienstlichen Bereich oder der Struktur der Kirche lag), in denen der christliche Glauben und die christliche Existenz ihren Ausdruck finden, noch in dem Wunsch nach einer platten Gleichförmigkeit. Diese Einheit in der Gesinnung und in der Zielsetzung und die Ubereinstimmung in der Substanz des Glaubens und dem Proprium der christlichen Existenz läßt eine Pluriformität nicht nur zu, sondern leistet ihr auch Vorschub. Wenn man sich dem gleichen Glauben verbunden weiß, bedeutet das noch nicht, daß man nun in allen Einzelheiten der Lehre oder dem Kodex moralischer Gebote übereinstimmt. Kirchliche Einheit ist ganz entscheidend eine Angelegenheit „der Gesinnung und der Zielsetzung" - und nicht so sehr die Frage, ob sich die Formen, mittels deren diese Gesinnung und die Zielsetzung ihren mehr oder weniger angemessenen Ausdruck und ihre Gestalt finden, völlig decken. Die Präambel der Unionsbasis fährt mit einer gemeinsamen affirmativen Aussage fort: „Wir bekräftigen unsere Treue zu dem einen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, und unsere Teilhabe an der Heiligen Katholischen Kirche, die umfassender ist als jede einzelne Kirche und als alle Kirchen zusammen ...". Dieser Abschnitt redet einem nicht

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näher definierten Monotheismus das W o r t und beschreibt Gott als Vater unseres Herrn Jesus Christus. Mit den Worten des Glaubensbekenntnisses der United Church of Christ: „ W i r glauben an G o t t . . . Vater unseres Herrn Jesus Christus." Und Jesus Christus, der und berief und uns lehrte, Gott „Vater" zu nennen, ist „unser Herr". Der Abschnitt bekräftigt auch „unsere Teilhabe an der Heiligen Katholischen Kirche" und macht dann deutlich, daß keine der sich vereinigenden Kirchen noch die United Church selbst den Anspruch erheben kann, die Heilige Katholische Kirche zu sein. Das Volk Gottes, der Leib Christi, ist umfassender als jede organisierte Gemeinschaft von Christen oder alle diese Organisationen zusammengenommen. Wenn die Heilige Katholische Kirche „größer ist als jede Einzelkirche und als alle Kirchen zusammen", dann existieren die „Denominationen" als „Teile" dieser Kirche und leben und arbeiten in ihr und „sterben ab, wenn es notwendig ist." Schließlich bringt die Präambel, indem sie „die Zerspaltenheit und Feindseligkeit unserer W e l t " beim Namen nennt, die Union der beiden Kirchen mit dem Gehorsam gegenüber dem Willen Christi in Verbindung: „ W i r hören mit einem gesteigerten Verantwortungsgefühl das Gebet unseres Herrn ,auf das sie alle eins seien'". So legt die Präambel der Unionsbasis die grundlegende Glaubensaussagen dar, denen sich die vereinigenden Kirchen verbunden wissen: dem einen Gott und dem einen Herrn. Sie faßt ihr Verständnis der Heiligen Katholischen Kirche in Begriffe, die jede Art „Triumphalismus" ausschließen, ob in bezug auf andere Kirche oder in bezug auf die „ W e l t " und ebenso jeden Anspruch jeder institutionalisierten Kirche (oder aller Kirchen zusammengenommen) abweisen, identisch mit der Heiligen Katholischen Kirche zu sein. Solche Anmaßungen werden nicht deshalb ausgeräumt, um für eine Spielart der „christlichen Einheit" Partei zu ergreifen, die kurz vor der „organischen U n i o n " Halt macht. Doch der Zusammenschluß zweier oder mehrerer Kirchen ist weit davon entfernt, das Gebet „auf daß sie alle eins seien" zu erfüllen. Die gleichen Beweggründe, die zur Union führten, erzeugen und schüren auch die Hoffnung, „daß in möglichst naher Zukunft durch weitere Zusammenschlüsse dieser Kirche mit anderen Kirchen eine noch umfassendere ,United Church' entstehen wird." Als der Generalrat der United Church die Verfassung angenommen hatte, wurde zwar die Unionsbasis hinfällig, aber nicht die Überzeugungen und Zielsetzungen, die die beiden Denominationen dazu geführt hatten, sich zu vereinigen. Sie prägten auch weiterhin das Leben der Kirche. Die Präambel der Verfassung legt die entscheidenden Merkmale der United Church dar. Die drei Ab-

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schnitte der Präambel offenbarten - soweit das eine Erklärung der verbindlichen Glaubensaussagen und Glaubensinhalte und der spezifischen Strukturmerkmale vermag - sowohl durch das, was ausgesagt und durch das, was nicht ausgesagt ist, die Quellen ihres Lebens und die Ziele, auf deren Verwirklichung sie zustrebt. Die Präambel setzt mit einer Darlegung der Ziele ein, welche das Leben in der United Church bestimmen. Die Ziele haben ihren Ursprung in Christus und sind auf seinen Dienst ausgerichtet: „Die Einheit in Christus ihren Mitgliedskirchen noch stärker zum Ausdruck zu bringen, ihr gemeinsames Zeugnis für ihn wirksamer zu machen und seinem Reich in der Welt zu dienen." Die Bindung an Christus vereint diese Ziele, die zweifellos von allen christlichen Kirchen geteilt werden. Diese christologische Bindung, der alle anderen Verbindlichkeiten des Glaubens untergeordnet sind, hält die United Church fest zusammen und sie verläßt sich im Blick auf ihre Einheit auf diese christologische Ausrichtung. Die United Church of Christ „bekennt als ihr einziges Haupt Jesus Christus, den Sohn Gottes und Heiland der Menschen". Die United Church bewegt sich damit auf der großen Linie der christlichen Tradition. Weiter führt die Präambel aus, daß die United Church „alle diejenigen als Brüder in Christo anerkennt, die mit ihr dieses Bekenntnis teilen." So erklärt sie, daß sie auf alle andere Christen und auf die christlichen Kirchen als Brüder zugeht und daß sie sich des Bandes der Einheit bewußt ist, das alle christlichen Kirchen umschließt. Die United Church blickt nicht auf ihr eigenes Vermögen, sondern auf das Handeln Gottes, damit ihre Arbeit in der Welt gelingen kann, Sie „beansprucht den Glauben der historischen Kirche als ihren eigenen", der einst in den alten Glaubensbekenntnissen festgehalten wurde und „noch einmal in den grundlegenden Einsichten der protestantischen Reformatoren ausgesprochen wurde"; damit legt sie Wert auf den Glauben selbst und nicht so sehr auf Glaubensformulierungen. Im gleichen Sinne bekräftigt die United Church „die Verantwortung der Kirche in jeder Generation, sich diesen Glauben im Vollzug des Gottesdienstes, in der Aufrichtigkeit des Denkens und der Ausdrucksweise und der Reinheit des Herzens vor Gott wieder neu anzueignen". Sie ist sich ihrer Verantwortung, aktiv am Prozeß der Traditionsverarbeitung teilzunehmen, bewußt. Sie weiß dankbar um die Identität des Glaubens, den sie bekennt, mit der historischen Kirche und bekräftigt damit ihre Apostolizität und Katholizität. Sie unterstreicht die ihr gestellte Aufgabe, sich diesen Glauben im Gottesdienst, in einem ständigen Denkprozeß und von der Zielsetzung her anzueignen. Das Festhalten an diesem Glauben

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wird nicht als Gleichförmigkeit des Gottesdienstes, als Zustimmung zu den Formulierungen früherer Generationen oder als rein äußere Anpassung verstanden, sondern damit soll die Hingabe und Offenheit für die erneuernde und verwandelnde Kraft Christi zum Ausdruck gebracht werden: Wirklichkeitsbezug im Gottesdienst, Aufrichtigkeit im Denken und dem gesprochenen Wort und Reinheit im Herzen. Der zweite Abschnitt der Präambel schließt mit der Aussage: „In Übereinstimmung mit dem, was unser Herr gelehrt hat, und der Praxis, die sich bei evangelischen Christen durchgesetzt hat, anerkennt sie zwei Sakramente: Taufe und Abendmahl bzw. Heilige Kommunion." Der dritte Abschnitt der Präambel erläutert die Funktion der Verfassung. Dieses Instrument weist verschiedenartige Merkmale auf. Ihre Verordnungen „bestimmen und leiten die Generalsynode und jene Organe ..., die von der Generalsynode anerkannt, eingesetzt oder ihr verantwortlich sind und sie beschreiben die freien und freiwilligen Beziehungen, die die Ortsgemeinden, die Vereinigungen, die Konferenzen und Pfarrer mit der Generalsynode und untereinander pflegen." Dieser Abschnitt spiegelt die sich entgegengesetzten Aspekte der Struktur der United Church wider: Die Gemeinschaft der Ortsgemeinden, der Vereinigungen, der Konferenzen und Pfarrer; und den freien und freiwilligen Charakter dieser Gemeinschaft. Jede Art von Zwang ist ausgeschlossen; die United Church ist nicht nach juristischen Gesichtspunkten konzipiert. Sie schätzt Freiheit und Gemeinschaf t hoch ein und vertritt die Auffassung, daß beide Begriffe in gleicher Weise das Leben der Kirche prägen müssen. Die Grundlage für diese drei Abschnitte, die die Ziele, das Bekenntnis und die Struktur der United Church of Christ darlegen, liefert nach den Worten Dr. Douglas Hortons die Überzeugung, daß „Er (Christus) und sein Volk in Liebe vereint allein das eigentliche Wesen der Kirche ausmachen... und nicht bestimmte Formen des Glaubens und Handelns, obwohl auch sie dazu beitragen können, daß sich die Kirche entfalten kann 13 ." Die beiden Subjekte, das Haupt und sein Leib, und die Beziehung der Liebe, die die beiden vereint, machen allein das wahre Leben der Kirche aus. Diese Überzeugung liegt den schon angesprochenen Zielen zugrunde, die die Bindung an Christus bekräftigen. Die Treue zu ihm ist ein Ausdruck der Liebe. Weiter schließt die Liebe zu Christus ein, daß man das liebt, was auch er hebt: Die Welt, für die er starb und lebt. Auf der gleichen ekklesiologischen Überzeugung basiert auch die konfessionelle Erklärung. Die United Church verwirft die Formulierungen der alten Kirche oder die Bekenntnisse der protestantischen Reformation

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des 16. Jahrhunderts nicht. Sie nehmen in der dankbar übernommenen Tradition einen ehrenvollen Platz ein. Aber prinzipiell besteht die United Church nicht darauf, daß nun allen diesen Formulierungen zugestimmt werden muß. Diese prinzipielle Offenheit hat ihren Grund nicht darin, daß etwa das übernommene theologische Gedankengut als suspekt gilt; es geht vielmehr darum, die Überzeugung der Kirche wirksam zum Ausdruck zu bringen, daß die United Church of Christ sich Christus und nicht einer Lehre über ihn verpflichtet weiß. Die Bindung an Jesus Christus statt an ein Glaubensbekenntnis oder ein konfessionelles Dokument stellt eine ganz entscheidende Angelegenheit dar, die in keiner Weise verdeckt werden darf. Der Akzent liegt mit Recht auf der positiven Aussage - auf dem Bekenntnis zu Jesus Christus - und nicht auf der negativen Eingrenzung, die Glaubensbekenntnisse als „Prüfsteine des Glaubens" abzulehnen. Zwar ist dieser negative Akzent vorhanden, aber nicht um seiner selbst willen, sondern nur deswegen, um die Vorrangstellung des lebendigen Christus im Leben dieser Kirche zu unterstreichen. Selbst die Struktur der Kirche folgt dieser Uberzeugung. Die Autonomie der Ortsgemeinde ist eine der entscheidenden Schwerpunkte der Struktur der United Church. Man mißversteht das ihr beigemessene Gewicht, wenn man es als Ausdruck eines ekklesiologischen „Individualismus" auffaßt, der die Isolierung der Ortsgemeinde begünstigt. Ein Zitat einer in jüngster Zeit erfolgten Erklärung über die Autonomie der Ortsgemeinde, die von der theologischen Kommission der United Church gebilligt wurde, rückt die ganze Frage in das richtige Licht: „Die United Church greift in eigener Weise eine Auffassung auf, die schon seit langer Zeit in den orthodoxen Kirchen des Ostens vertreten wird: Sie ist sich bewußt, daß die Ortsgemeinde die Stelle ist, an der Christus am ehesten Verbindung mit seiner ganzen Kirche hält und wo er besonders beim Abendmahl selbst seinem Volk auf eine viel direktere Art und Weise begegnet als dies auf der Diözesan-, Distrikts-, der Konferenz- oder jeder anderen Ebene möglich ist. Wenn sich eine Ortsgemeinde von allen eigennützigen und introvertierten Vorstellungen abwendet und ihre Bewegungsfreiheit dafür einsetzt, in Liebe und Dienst mit der ganzen Kirche in ihrer historischen und gegenwärtigen Entwicklung eins zu werden, dann erfährt sie von selbst den Grund für die Bedeutung und Ausrichtung der Autonomie der Ortsgemeinde. Sie wird völlig mißverstanden, wenn man sie als Mittel betrachtet, eine Gemeinde von der Kirche als ganzer zu isolieren. Nur die Menschen, die frei sind, wissen um die Fülle der Liebe; und die Ortsgemeinde in der United Church of Christ besitzt diese Freiheit, um nicht einmal schattenhaft

Die mierten Kirchen einen von außen aufkommenden Zwang aufkommen zu lassen, sondern um ausschließlich dem inneren Zwang der Liebe nachzugeben - in ihrem Verhältnis zur alten Kirche, der gesamten dienenden Kirche der Gegenwart und den Nöten der Menschheit, denen sie durch ihren Dienst begegnen will." So wurzelt die Struktur der United Church nicht in einer säkularen Ideologie, sondern im Bewußtsein, daß der lebendige Christus seinem Volke gegenwärtig ist, und im Glauben, daß sich die Normen für das Verhältnis zwischen den Gliedern der Ortsgemeinden, der Ortsgemeinden untereinander und zwischen den Ortsgemeinden und den Verwaltungseinheiten der Denominationen von der christlichen Liebe herleiten lassen.

Auf dem Weg zu einer umfassenderen unierten Kirche Kein Bericht über die United Church of Christ wäre vollständig, ohne daß nicht noch auf die tiefe und weitverbreitete Überzeugung Bezug genommen würde, daß die United Church eine vereinigende Kirche sein sollte. Sie versteht ihren Namen nicht nur in dem Sinne, daß er einen bereits erreichten Tatbestand wiedergibt, sondern daß er eine Hoffnung zum Ausdruck bringt: „Daß in Zukunft durch eine weitere Union zwischen dieser Kirche und anderen Kirchen eine noch umfassendere United Church entstehen wird." 14 Die United Church anerkennt die christliche Einheit als dringende Notwendigkeit unserer Zeit. Sie weiß um ihre Verpflichtung, in der Kirchenunionsbewegung eine aktive Rolle zu übernehmen. Die Überzeugung, daß das Haupt der Kirche will, daß sein Volk eins ist und daß die Einheit um einer größeren Glaubwürdigkeit in der Missionsarbeit willen notwendig ist, bestärkt sie in ihrer Verpflichtung, das ihre zu einer noch größeren kirchlichen Vereinigung beizutragen. Die Hoffnung auf eine „noch umfassendere Unierte Kirche" weist eindeutig über eine Union mit Kirchen aus derselben Konfessionsfamilie hinaus. Unionen dieser Art können dann einen Schritt auf die umfassendere, sichtbare Manifestation der Einheit des Volkes Christi sein. Aber die Hoffnung auf eine umfassendere Unierte Kirche lenkt den Blick auf Unionen mit Kirchen verschiedener Konfessionsfamilien. Es ist eine Hoffnung, die sich auf Gottes Geschenk der Einheit in Christus gründet - eine Hoffnung, die „das entschiedene Verlangen (weckt), sich der Tatsache der Einheit bewußt zu sein und den Preis für sie zu bezahlen." Die Hoffnung auf eine umfassendere Unierte Kirche konnte schon in der

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kurzen Geschichte der United Church of Christ einen gewissen Einfluß ausüben. Der Ausschuß für christliche Einheit, ökumenische Studienarbeit und Diakonie (United Church of Christ) und der entsprechende Ausschuß der Christian Churches (Dsiciples of Christ) trafen sich schon zu fünf gemeinsamen Sitzungen, um die Möglichkeiten einer Union dieser beiden Konfessionen zu erkunden. Bis jetzt sind keine unüberwindlichen Hindernisse aufgetreten, die einem Zusammenschluß im Wege stehen. Aber die zwei Ausschüsse sind überein gekommen, ihren Kirchen zu empfehlen, sie sollten zunächst der noch weitergehenden Union, die von der Consultation on Church Union (COCU) ins Auge gefaßt wird und bei der beide Mitglieder sind, den Vorrang einräumen. Die United Church ist eine der vier Gründungsmitglieder der Consultation on Church Union. In vielfacher Hinsicht hat sie ihre Einsatzbereitschaft für das Ziel der Consultation unter Beweis gestellt. Sollte es der Consultation on Church Union gelingen, zu einem Unionsplan zu kommen, dem alle zustimmen können und der dann den Mitgliedskirchen vorzulegen wäre, dann wird die Bereitschaft der United Church of Christ, sich für diese Kirchenunion einzusetzen, einer harten Prüfung unterworfen. Denn was auch immer dieser Unionsplan enthalten wird, - er erfordert von der United Church und den anderen Mitgliedskirchen der Consultation on Church Union den entschiedenen Willen, zunächst dem Beitrag, den sie in eine noch umfassendere unierte Kirche einbringen können, Vorrang zu gewähren und die Sorge um die Beibehaltung ihrer vertrauten Lebens-, Arbeits- und Organisationsformen zurückzustellen. Bis jetzt ermutigte die United Church ihre Vertreter durch die Generalsynode, die Ziele der Consultation on Church Union weiterzuverfolgen. Die einigende Rolle der Kirche kommt auch sonst noch besonders dadurch zum Ausdruck, wie sie ihre Weltmission betreibt. Ihr kirchliches Leben und ihre Erfahrungen machen offenkundig, daß ein noch sichtbarerer Ausdruck der Einheit und eine größere Glaubwürdigkeit in der Missionsarbeit unlösbar miteinander zusammenhängen. Die Verpflichtung zur Missionsarbeit und zu einer Einheitskonzeption werden von der kirchlichen Strategie und Praxis gestärkt. Die Organe der United Church of Christ trachteten in ihrer Arbeit danach, in allererster Linie Zeugnis für Christus abzulegen und seinem Reich in dieser Welt zu dienen; und sie suchten neue und angemessene Mittel und Wege - besonders mit Hilfe der Zusammenarbeit mit interdenominationellen Organisationen und den anderen Kirchen - die Arbeit weiterzuführen, die ihnen aufgetragen war. Soweit wie möglich betreibt das United Board for World Missions mit

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Billigung der Generalsynode seine Arbeit auf ökumenischer Ebene. Sein Bericht an die Fünfte Generalsynode schließt mit folgendem Abschnitt: „Als vierter Punkt, der in dieser Zeit besonders Beachtung verdient, müssen die Beziehungen genannt werden - die Beziehungen innerhalb unserer eigenen Kirche, zwischen Denominationen in diesem Land, zwischen den Kirchen in aller Welt, zwischen den Mitgliedskirchen und den nationalen, kontinentalen Räten und dem Weltrat der Kirchen. Der Denominationalismus bliebt immer noch eine tiefe Wunde beim Unterfangen des christlichen Glaubens. Ökumenische Programme müssen nach Richtlinien ausgearbeitet werden, die sowohl materiell als auch spirituell Erfolg versprechen. Gemeinsame Aktionen in Mission und Diakonie müssen in geduldiger Arbeit zustande, kommen. Was es auch immer unsere Tradition kosten mag, wir müssen als entscheidende Aufgabe unserer Tage begreifen lernen: Jedes Land ist gleichzeitig sowohl .Heimatbasis' als auch .Missionsfeld' 16 ." Im Jahre 1967 berichtete das Board for World Missions von zwei zwischenkirchlichen Entwicklungen im Mitarbeiterbereich. Eine Mitarbeiterabsprache wurde mit der United Christian Missionary Society der Disciples of Christ getroffen. Als schriftliches Resultat dieser Absprache wurden die beiden ehemaligen Missionsfelder der beiden Konfessionen in Mittelindien zusammengelegt. Eine zweite Mitarbeiterabsprache wurde mit der Commission on Ecumenical Mission and Relations der United Presbyterian Church in den Vereinigten Staaten getroffen. Jeder der beiden Kirchen wählte ein Mitglied des Mitarbeiterstabes der anderen Kirche, dem dann als ihrem Vertreter die Verantwortung für Europa übertragen wurde. Eine weitere Möglichkeit der Zusammenarbeit bietet sich durch die Beteiligung der Missionsbehörde an der Gründung einer interdenominationellen Organisation der Artion for Food Productiön (der die Baptisten, Disciples of Christ, Mennoniten, römische Katholiken und die United Church of Christ angehören) für die regionale Entwicklung der landwirtschaftlichen Mittel und der Wasserquellen in Indien. Gegen Ende des Jahres 1966 belief sich die Zahl der Missionare und der Diakonievertreter der Missionsbehörde auf 465. Im Jahre 1967 erfolgten 41 weitere Ernennungen. Das Board of World Ministries beteiligte sich an einer großen Zahl von Aktivitäten (Evangelisation, Erziehungsprogramme und theologische Ausbildung, Gesundheitswesen, landwirtschaftliche Arbeit, Neuansiedlung von Flüchtlingen, Hilfe für Katastrophenopfer) in sechs Kontinenten. Die sechste Generalsynode billigte auch folgenden Abschnitt im „Bericht des Board for Homeland Ministries":

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„Die Generalsynode heißt die Entscheidung des Board for Homeland Ministries vom April 1966 gut und empfiehlt sie zur Annahme. Danach geht diese Behörde in Zukunft so vor, keines ihrer Mittel für ein Programm, ein Projekt oder einen Antrag auf Hilfe einzusetzen, ohne daß sie sich vorher davon überzeugt hat, ob man sich wirklich in echter Weise bemühte, sich der Angelegenheit wenn möglich in ökumenischem Sinne anzunehmen. Die Generalsynode ist sich dessen bewußt, daß es der besondere und ungewöhnliche Charakter eines bestimmten missionarischen Auftrags als ratsam erscheinen lassen kann, als Einzel-Kirche Maßnahmen zu ergreifen. Die Generalsynode ermutigt aber die Konferenzen, die Vereinigungen und Ortsgemeinden, bei der Durchführung gemeinsamer Aktionen mit anderen Konfessionen zusammenzuarbeiten."16 Dieser Auszug spiegelt den Ansatzpunkt und die Arbeitsweise wider, die der United Church auf allen Ebenen ihres kirchlichen Lebens vorschwebt. Gewiß gibt es innerhalb der United Church genügend Beweise für die Einflußkräfte menschlicher Bindungen, die mit dem Grundsatz der Herzensreinheit in Konflikt geraten. Aber in ihrer kurzen Geschichte finden sich auch Beweise dafür, daß die United Church darauf vorbereitet ist, um ihrer eigenen Integrität und ihrer Glaubwürdigkeit in der Mission willen das Risiko einzugehen, daß aus anderen Verpflichtungen Belastungen und Spannungen erwachsen.

Die United Church und ihr Missionsauftrag

Seit ihrer Gründung im Jahre 1957 wurde die United Church durch die an sie gestellten Anforderungen, die im Laufe der 60er Jahre aus der missionarischen Aufgabe in den Vereinigten Staaten erwuchsen, auf die Probe gestellt. Eine Antwort auf die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten, wie etwa der Prozeß der Verstädterung mit seinem vielschichtigen Einfluß auf die gesellschaftlichen Strukturen und auf die Lebensweise, der beharrliche und alles durchdringende Tatbestand des Rassismus, das ironische Faktum einer weitverbreiteten Armut in einer Wohlstandsgesellschaft und die amerikanische Außenpolitik machten weiterführende Neuansätze, neuartige Planungen und diakonische Projekte erforderlich. Die United Church of Christ beteiligte sich aktiv am Kampf um rassische Gerechtigkeit, für die Beseitigung der Armut, für Chancengleichheit im öffentlichen Bildungswesen und für eine amerikanische Außenpolitik, die auf Frieden und auf eine Stärkung der internationalen politischen Institutionen ausgerichtet ist. Als Reaktion auf die Krise in den

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Städten und den Einfluß der Technik auf die gesellschaftlichen Strukturen und die Lebensweise entfaltete die United Church of Christ eine große Zahl neuer kirchlicher Dienstmöglichkeiten. Die United Church of Christ hat zwei Anliegen weiterverfolgt, die tief in dem von den Congregational Christian Churches bzw. der Evangelical and Reformed Church übernommenen Erbe verwurzelt sind: die Fragen der höheren Schulen und des Gesundheits- und Wohlfahrtswesens. Es gibt 32 Colleges und Universitäten und 13 Theologische Seminare, die der United Church of Christ gehören. 21 der Colleges und Universitäten und acht Theologische Seminare wurden früher von den Congregational Christian Churches betrieben. 81 Organisationen (Krankenhäuser, Altenzentren, Kinderheime, Ämter für Gruppenarbeit und ähnliches) waren 1966 Mitglied im Rat für Gesundheits- und Wohlfahrtswesen. Im Jahre 1966 wurden 604000 Menschen von diesen Organisationen Hilfe geleistet, die zusammengenommen einen 10 717 Personen innfassenden Mitarbeiterstab unterhalten und 63 Millionen Dollar ausgaben. Dieser Bericht vom kirchlichen Leben und der kurzen Geschichte der United Church of Christ ist bruchstückhaft und unvollständig. Viele Arbeitszweige fanden keine Erwähnung: Ihre weiterhelfenden Beiträge zur christlichen Erziehung, den Gottesdienstformen, dem theologischen Gedankengut und der Diskussion wichtiger öffentlicher Fragen. Die Absicht war, einen Bericht über die United Church of Christ vorzulegen, der ihren zentralen Überzeugungen, den sie bestimmenden Zielen und den tief verankerten Glaubensaussagen treu blieb. Eine vollständigere Darstellung ihres Lebens und ihrer Geschichte müßte zwangsläufig dem Einfluß der sozialen und kulturellen Faktoren und den Konflikten, die sich aus einander widerstreitenden Bindungen ergaben, mehr Beachtung schenken. Aber auch ein unvollständiger Bericht kann wahr sein. Wenn dieser hier vorgelegte der Wahrheit entspricht, dann deswegen, weil die United Church of Christ wirklich an den von ihr vertretenen Bindungen und an ihrer Konzeption der christlichen Einheit erkannt werden kann. Ob die von ihr vertretenen Bindungen und ihre Konzeption der Einheit die tatsächliche Lage der United Church of Christ widerspiegeln oder nicht, kann nicht durch Worte belegt werden, sondern muß sich durch die Glaubwürdigkeit ihrer Taten fortwährend neu erweisen.

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ANMERKUNGEN Die Union of the Congregational and Christian Churches, S. I i i . Zitiert in Atkins und Gagley, History of American Congregationalism, S. 357. » a.a.O. 8 Wie Atkins und Fagley, a.a.O., S. 359. 4 Zitiert in: David Dunn u. a., A History of the Evangelical and Reformed Church, S. 289. 5 Carl E. Schneider, „Journey Into Union" in: Dunn u. a., A History of the Evangelical and Reformed Church, S. 279. • K. S. Latourette, A History of Christianity, S. 1422. 7 The United Church of Christ, S. 21. 8 ebd., S. 21. »ebd., S. 22. "ebd., S. 23. 1 1 ebd., S. 24. " ebd., S. 28. 1 8 ebd., S.46. 1 4 „Basis of Union, I. Name." 1 5 „Advanced Reports for the Fifth General Synod", S. 164. 14 „Minutes: Sixth General Synod, United Church of Christ", S. 82. 1

VERZEICHNIS Verwaltungsbehörde: 297 Park Ave. South, New York, New York 10010 Leitende Mitarbeiter der United Church of Christ Präsident: Pfr. Robert V. Moss, Jr. Sekretär: Pfr. Joseph H. Evans Schatzmeister: Charles H. Lockyear Moderator: Richard C. Pfeiffer The United Church Board for Homeland Ministries 287 Park Ave. South, New York, New York 10010. The United Church Board for World Ministries 4 7 J Riverside Drive, New York, New York 10027. Office of Communication 289 Park Ave. South, New York, New York 10010. Council for Christian Social Action 289 Park Ave. South, New York, New York 10010. Council for Church and Ministry 289 Park Ave. South, New York, New York 10010. Council for Lay Life and Work 2 9 7 Park Ave. South, New York, New York 10010. The Stewardship Council 1505 Race St., Philadelphia, Pa. 19102.

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Veröffentlichungen: United Church Herald 297 Park Ave. South, N e w York, New York 10010. Akademien Massanutten Academy Mercersburg Academy

Woodstock, Va. Mercersburg, Pa. Colleges und Universitäten

Beloit College Carleton College Catawba College Cedar Crest College The Defiance College Dillard University Doane College Drury College Elmhurst College Elon College Fisk University Franklin and Marshall College Grinnell College Heidelberg College Hood College Huston-Tillotson College Illinois College Lakeland College LeMoyne-Owen College Maunaolu College N e w College Northland College Olivet College Pacific University Prescott College Ripon College Rocky Mountain College Talladega College Tougaloo College Ursinus College Westminster College Yankton College

Beloit, Wis. Northfield, Minn. Salisbury, N . C. Allentown, Pa. Defiance, Ohio N e w Orleans, La. Crete, Neb. Springfield, Mo. Elmhurst, 111. Elon College, N . C. Nashville, Tenn. Lancaster, Pa. Grinell, Iowa Tiffin, Ohio Frederick, Md. Austin, Tex. Jacksonville, DL Sheboygan, Wis. Memphis, Tenn. Paia, Maui, Hawaii Sarasota, Fla. Ashland, Wis. Olivet, Mich. Forest Grove; Ore. Prescott, Ariz. Ripon, Wis. Billings, Mont. Talladega, Ala. Tougaloo, Miss. Collegeville, Pa. Salt Lake City, Utah Yankton, S. D . Seminare

Andover Newton Theological School Bangor Theological Seminary Chicago Theological Seminary

Newton Centre, Mass. Bangor, Me. Chicago, DL

Die United Church of Christ (USA) Eden Theological Seminary Hartford Seminary Foundation Harvard Divinity School Howard Univ. School of Religion Lancaster Theological Seminary Pacific School of Religion Union Theological Seminary United Theological Seminary Vanderbilt U. Divinity School Yale Univ. Divinity School

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Webster Groves, Mo. Hartford, Conn. Cambridge, Mass. Washington, D. C. Lancaster, Pa. Berkeley, Cal. New York, N. Y . Minn.-St. Paul, Minn. Nashville, Tenn. New Haven, Conn.

LITERATUR Elmer J. F. Arndt: The Faith We Proclaim. Philadelphia. The Christian Education Press, i960. Gaius G. Atkins and Frederick L. Fagley: History of American Congregationalism. Boston, Pilgrim Press, 1942. Gaius G. Atkins: An Adventure in Liberty. Boston, Pilgrim Press, 1961. Boards and Councils of the United Church of Christ. Annual Reports. United Church of Christ, 297 Park Ave. South, New York 10010. Constitution and By-Laws of the United Church of Christ. United Church of Christ, 297 Park Ave. South, New York 10010. David Dunn u. a.: A History of the Evangelical and Reformed Church. Philadelphia. The Christian Education Press, 1961. Douglas Horton: The United Church of Christ. Its Origins, Organization and Role in the World Today. New York, T. Nelson, 1962. Historical Sketches of the Congregational Christian Churches and the Evengelical and Reformed Church, gemeinsam vom Exekutivausschuß des General Council of the Evangelical and Reformed Church und dem Generalrat der Congregational Christian Churches 1955 herausgegeben. Oscar E. Maurer: Manual of the Congregational Christian Churches. Boston, Pilgrim Press, 1951. George W. Richards: History of the Theological Seminary of the Reformed Church in the United States. Lancaster, Pennsylvania, 1952. Carl E. Schneider: The German Church on the American Frontier. St. Louis, Eden Publishing House, 1939.

Kapitel 12 DIE U N I T E D C H U R C H OF Z A M B I A JAMES R . STOCKTON

as Wunschbild einer wirklich afrikanischen Kirche, der sich Christen in ganz Zentralafrika anschließen könnten, wurde zum ersten Mal im Jahre 1893 von Dr. Robert Laws aus Livingstonia, Nyassaland (dem heutigen Malawi) vorgetragen. Dreißig Jahre später schrieb er einem seiner Kollegen: „Wenn wir vom Sambesi oder zumindest vom Shire zum Gebiet von Tanganyika eine einzige Kirche Christi hätten, die Tanganyika und das nördliche Rhodesien umfaßte, bedeutete das einen großen Segen für die Zukunft." Um 1910 waren in der damaligen britischen Kolonie von Nordrhodesien, die seit 1964 den unabhängigen Staat Sambia bildet, viele Missionsstationen errichtet worden. Die Free Church of Scotland Mission, die 1875 in Nyassaland Fuß faßte, hatte afrikanische Evangelisten der Westküste des Nyassasees entlang zur Arbeit ausgesandt und 1895 ihre erste Missionsstation im heutigen Sambia eröffnet. Die Pariser Mission war im Jahre 1884 von Francois Coillard in Barotseland, der jetzigen Westprovinz von Sambia, gegründet worden. Die Londoner Missionsgesellschaft hatte 1875 eine Livingstone Memorial Mission to Tanganyika gegründet und 1883 ihre erste Missionsstation auf sambischem Boden gebaut. Die Weißen Väter betraten den nördlichen Rand des Gebietes um 1891 und errichteten viele Missionsstationen in der heutigen Nordprovinz von Sambia. 1894 eröffneten die Primitive Methodist's eine Station im Süden, und 1899 begann die Nederlandse Gereformeerde Kerken ihre Arbeit im Osten. Im Jahre 190$ errichteten auch die Jesuiten und die Siebenten-TagsAdventisten Missionsstationen im Süden. Im gleichen Jahr eröffnete die Nyassaland Industrial Mission eine Station in dem Zentralgebiet, das jetzt den Namen Copperbelt trägt. 1906 siedelten sich Plymouth Brethren in der nordwestlichen Ecke von Sambia an, und im gleichen Jahr begannen die Bethren in Christ ihre Arbeit im Zentralgebiet. Die Anglikaner errichteten 1909 eine Diözese, und die Wesleyanischen Methodisten setzten im Jahre 1912 mit ihrer Arbeit in der Zentralregion ein. So hatten Missionsgesellschaften vieler Glaubensrichtungen und Traditionen

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in Sambia Fuß gefaßt, aber eine Zusammenarbeit unter ihnen bestand nur im geringen Maße.

Einflüsse auf die Union

Im Jahre 1914 griffen andere die Vorstellungen Law's wieder auf, und die erste Missionskonferenz im nordwestlichen Rhodesien wurde nach Livingstone einberufen. Obwohl nur Vertreter von sechs Gesellschaften teilnahmen (Pariser Mission, Primitive Methodist Missionary Society, Wesleyan Methodist Missionary Society, Universities Mission to Central Africa, die Jesuiten und die Plymouth Brethren) war das erste Ziel, das im Verfassungsentwurf genannt wurde, „die Zusammenarbeit und die brüderliche Gesinnung zwischen den verschiedenen Missionsgesellschaften zu fördern". Auf dieser Sitzung und auf den folgenden Begegnungen führte die General Missionary Conference die Missionare zu der Entdeckung, daß auch andere Denominationen in echtem Sinne Christen sein konnten. Was aber noch wichtiger war: die Konferenz erwies sich als Plattform, auf der man in freundschaftlicher Atmosphäre über Differenzen sprechen, sich über gemeinsame Anliegen austauschen und Pläne für gemeinsame Arbeitsvorhaben machen konnte, um die alle betreffenden Probleme anzupacken. Das Resultat dieser General Missionary Conferences zeigte sich 1939, als sich Vertreter der Londoner Missionsgesellschaft, der Church of Central Africa Presbyterian, der Union Church of the Copperbelt, der Methodisten, der Mission der Nederlandse Gereformeerde Kerken und der Pariser Mission trafen und Pläne für eine zukünftige Unionskirche besprachen. Das Jahr 1942 wurde als möglicher Termin für den Unionsvollzug Vorgeschlagen, und ein Ausschuß von jeweils zwei Vertretern jeder Missionsgesellschaft ernannt, der die Vorbereitungen für die Gründung der Unionskirche weiterzuführen hatte. Die Gründung der United Church of the Copperbelt erwies sich als für die Kirchenunion ebenfalls sehr einflußreicher Faktor. Diese Kirche hatte insofern eine ganz besondere Ausgangslage, weil sie von Christen gegründet worden war, die aus verschiedenen Teilen Zentralafrikas kamen, um in den Kupferminen zu arbeiten. Sie bestand aus Christen vieler Stämme und verschiedener Sprachen, die vielfältige Kontakte zu Missionsgesellschaften und Konfessionskirchen unterhielten, und legte damit Beweis ab, daß die in ihr vertretenen Völker in Jesus Christus alle eins sind. Diese afrikanischen Christen bauten ohne fremde Hilfe einen Versammlungsraum, wählten sich Älteste, um die Arbeit der Kirche in

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Gang zu setzen, und brachten genügend finanzielle Mittel auf, um einen Evangelisten in einer nahegelegenen Minenstadt zu besolden. 1929 berichteten die South African Baptists, daß „eine sich selbst tragende, sich selbst verwaltende mündige Kirche herangewachsen ist, die täglich an Kraft und Erfahrung gewinnt". Die United Missions to the Copperbelt, die 1936 auf Grund einer Empfehlung des Internationalen Missionsrates entstanden waren, damit protestantische Missionsgesellschaften sich zusammenschließen und gemeinsam am Zustandekommen der einen Kirche im Copperbelt arbeiten sollten, bildete den dritten Faktor, der sich positiv auf die Union auswirkte. Pfarrer A. J. Cross, ein Baptist, der Leiter des Teams wurde, und Pfarrer R. J. B. Moore, ein Mitarbeiter der Londoner Missionsgesellschaft, der bei der Union Church of the Copperbelt eingesetzt war, übernahmen auf sehr fähige Weise die Verantwortung, indem sie dazu Mut machten und sich ganz dafür einsetzten, eine noch umfassendere Union zustandezubringen als die United Church of the Copperbelt, der sie selbst angeschlossen waren.

Die Gründung der United Church of Zambia

Die Vorhaben der General Missionary Conference wurden 1939 durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, und bis zum Jahre 1944 fand keine weitere Zusammenkunft mehr statt. Zu diesem Zeitpunkt wurde einigen Gruppierungen klar, daß die Union nicht auf schnellem Wege zustande kommen konnte. Die Vertreter der Union Church of Copperbelt, der Londoner Missionsgesellschaft und der Church of Central Africa Presbyterian blieben freilich weiterhin von Optimismus erfüllt. 1945 wurden Pläne geschmiedet, das Nordrhodesische Presbyterium der Church of Central Africa Presbyterian (CCAP), der Londoner Missionsgesellschaft und der Union Church of the Copperbelt zu vereinigen und die Church of Central Africa in Rhodesia (CCAR) zu bilden. Meinungsverschiedenheiten mit der Nederlandse Gereformeerde Kerken von SüdAfrika hinderten die CCAP in Nyassaland daran, dieser Union beizutreten, aber man hegte die Hoffnung, daß das Nordrhodesische Presbyterium als Mitglied sowohl der CCAP als auch der C C A R ein starkes Bindeglied zwischen den beiden Kirchen abgeben würde. Am Samstag, dem 1. Dezember 1945, konstituierte sich in Chitambo Mission nahe der Stelle, an der David Livingstone gestorben war, die C C A R . Diese Gründung ist bis zu dem heutigen Tag das bedeutsamste Ereignis in der Geschichte der christlichen Kirche in Zentralafrika. Leider gab die Mit-

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gliedschaft des Nordrhodesischen Presbyteriums in der C C A R und der C C A P zu Mißverständnissen Anlaß, was schließlich dazu führte, daß das Presbyterium die Beziehungen zur Mutterkirche in Nyassaland abbrach und völlig der C C A R eingegliedert wurde. Obwohl sich die Union offiziell im Jahre 1945 vollzog, trat sie auf Grund dieses Mißverständnisses faktisch erst im Jahre 1948 in Kraft. Mit dem Aufschwung der Minenarbeit im Kupfergürtel und dem Zuzug einer großen Zahl Vertriebener waren in kürzester Zeit einige Gemeinden von Heimatvertriebenen im Copperbelt entstanden, wo sich die Gemeinden presbyterianischer, methodistischer und kongregationalistischer Herkunft zum Copperbelt Free Church Council zusammengeschlossen hatten. Nach 1948 vertrat man die Auffassung, daß die Zeit nun reif sei, eine Union zwischen der C C A R und dem Copperbelt Free Church Council in Betracht zu ziehen. Eine enge Verbindung zwischen den beiden Kirchen bestand schon seit ihrer Gründungszeit im Jahre 1936, weil viele ordinierte des Teams of the United Missions to the Copperbelt die Leitung der Heimatvertriebenen-Gemeinden übernommen hatten. Ein Verfassungsentwurf wurde erarbeitet und angenommen. A m 26. Juli 1958 wurde im Verwaltungsgebäude der United Missions in Mindolo die Union unter dem Namen United Church of Central Africa in Rhodesia (UCCAR) vollzogen und Pfarrer Isaac Mutabila zum Ersten Vorsitzenden der Synode gewählt. Obwohl die Methodisten und die Pariser Mission (PM) aus den Unionsverhandlungen, die zur Gründung der C C A R führten, ausgeschieden waren, nachdem sie bei den Unionsgesprächen auf der General Missionary Conference 1939 teilgenommen hatten, bekundeten sie auch weiterhin ihr Interesse an einer Union. 1949 gab die P M der C C A R offiziell ihre Einwilligung, die Verhandlungen im Blick auf eine Union wiederaufzunehmen. Aber die Methodisten zögerten, worauf beschlossen wurde, alle die Union vorbereitenden Schritte aufzuschieben, weil man andernfalls befürchtete, die Entstehung einer noch umfassenderen Union zu gefährden. Im Jahre 1951 gaben die Methodisten bekannt, daß sie sich einer Union nicht anschließen könnten. Nun arbeitete man Pläne aus, um die Union zwischen der C C A R und PM bis zum Jahre 1954 zustande zu bringen. Ein Verfassungsentwurf wurde erstellt, aber in letzter Minute verschoben Verhandlungen auf Ortsebene diesen Termin auf das Jahr 1955. Kaum lagen die Pläne fertig vor, ordnete der Direktor der P M an, daß eine Wartezeit von 10 Jahren eingeschaltet werden müsse, bevor die Union vollzogen werden könne. Z u diesem Zeitpunkt hatte der Luftzug der Veränderung begonnen, auch die Methodisten in Bewegung zu setzen, und sie ernannten 1956

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Vertreter, die in Vorbereitungsgespräche für die Möglichkeit einer zukünftigen engeren Zusammenarbeit eintreten sollten. Die Hauptschwierigkeit bei diesen Gesprächen bestand in dem Unterschied zwischen der methodistischen Struktur mit ihrer bischöflichen Autorität, die durch den Superintendenten ausgeübt wurde, und der konziliaren Auffassung, die die Leitungsbefugnisse innerhalb der Kirche den gewählten Gremien übertrug. 1963 waren alle Schwierigkeiten gelöst, und die Methodistische Synode hatte die British Methodist Conference um Erlaubnis gebeten, sich mit der U C C A R zu vereinigen. Es war vorgesehen, die Union im Januar 1965 zu vollziehen, was auch die Zustimmung der Mitglieder der PM fand. Es fügte sich gut, daß der Unionsvollzug in der Kirche stattfinden sollte, die von dem Mann erbaut worden war, der vor 29 Jahren zuerst auf die Einladung Dr. Laws geantwortet hatte, die Vereinigte Kirche in ZentralAfrika zu gründen - Pfarrer R. J. B. Moore. Am 16. Januar 1965 schritten die Vertreter der Methodistenkirche in Nordrhodesien, der PM und der U C C A R zum Abendmahlstisch, wo jeder eine Ausfertigung der Verfassung der United Church of Zambia unterzeichnete. Am folgenden Tag fand eine Massenveranstaltung für die Kirchenglieder und alle beteiligten Gruppierungen in einem offenen Stadion statt und die United Church of Zambia begann mit Lobgesängen für Gott ihr Dasein.

Das Ziel: Eine umfassendere Union

Der Konzeption einer Kirche für Zentral-Afrika war damit nicht Genüge getan, denn sie war auch auf andere Kirchen ausgerichtet. Im Verlauf des Jahres 1958 hatte die Presbyterian Church of Southern Africa (PCSA) vier neue Gemeinden in Nordrhodesien gegründet, obwohl die Vertreter der Presbyterian Church in Nordrhodesien der U C C A R beigetreten waren. Einige Mitglieder des Copperbelt Free Church Council, die sich einer Vereinigung mit der C C A R widersetzten, verließen zu diesem Zeitpunkt die U C C A R und wechselten zur PCSA über. 1965 aber konnte der Synodalsekretär der United Church of Zambia berichten, daß die Verhandlungen mit dem sambianischen Presbyterium der PCSA Fortschritte machten. Auf Grund der sehr bitteren Ressentiments , die in der Tatsache wurzelten, daß die PCSA in Sambia noch 1958 eine neue Arbeit angefangen hatte, und infolge politischer Differenzen zwischen Südafrika und Sambia blieben die Verhandlungen im Versuchsstadium stecken und kamen nun zumindest vorläufig zum Erliegen. Im Verlauf des Jahres 1965 schritten die Verhandlungen für Unions-

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gespräche zwischen der United Church of Zambia und der African Reformed Church (der früheren Mission der Nederlandse Geref ormeerde Kerken in Sambia) gut voran. Als diese Gespräche 1966 begannen, stellten die Vertreter der A R C fest, daß das Verhalten der Orange Free State Synod of South Africa, unter der Jurisdiktion sie gestellt waren, Unionsverhandlungen erschwerten. Sie vertraten die Auffassung, daß die Verhandlungen erheblich erleichtert würden, wenn die A R C volle Autonomie und die Aufsicht über die kirchlichen Angelegenheiten in Sambia erhielte. Ein die Gespräche zwischen der United Church of Zambia und der A R C belastender Faktor besteht darin, daß die United Church of Zambia sich auch an Unionsgesprächen mit der Anglikanischen Kirche in Sambia beteiligt. Die Vertreter der A R C äußerten Bedenken über die unter diesen Umständen geführten Unionsverhandlungen: sie wollten sich an Unionsgesprächen mit einer Kirche beteiligen, mit der sie nur sehr wenig Gemeinsamkeiten aufzuweisen hatten. Die freundschaftlichen Beziehungen werden weiter gepflegt, aber die eigentlichen Unionsgespräche sind zum Erliegen gekommen. Auch die Beratungen über eine Union zwischen der United Church of Zambia und der Anglikanischen Kirche begannen 1965. Ein Jahr später zeigte die Konsultation deutlich, daß für die Verhandlungen und Beratungen wesentlich mehr Zeit aufgewendet werden mußte, als man ursprünglich erwartet hatte. Ebenso wurde offenbar, daß die United Church of Zambia noch länger Zeit brauchte, um noch besser ihr eigenes Selbstverständnis zu finden. Inzwischen wurde eine Unionsbasis veröffentlicht, und beide Gruppierungen untersuchen und prüfen die verschiedenen Gesichtspunkte der geplanten Union. Die Gespräche über die Kirchenunion haben sich verlangsamt, aber vielleicht darf das als Anzeichen dafür gelten, daß solidere Grundlagen für die Zukunft gelegt werden.

Die Konsolidierung der Union

Innerhalb der United Church of Zambia wurde die Zeit nach 1965 der Konsolidierung der Maßnahmen gewidmet, die schon eingeleitet worden waren. Von Seiten vieler wurden manche sehnsüchtige Erinnerungen und Wünsche geäußert, zurückzukehren „in das Land, aus dem wir gekommen sind". Zur gleichen Zeit wuchs ein tiefes Verständnis dessen heran, was Einheit in Christus meint. Das wurde an einem gemeinsamen Arbeitsvorhaben offenbar, das darauf abzielte, durch eine bessere Zeiteinteilung und einen gezielteren Einsatz der Gaben und der Finanzmittel

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ein größeres Maß an Selbständigkeit zu erreichen. „Das ist unsere Kirche - was können wir tun, um unserer Kirche zu dienen?" hört man in zunehmendefn Maße von den Mitgliedern der Kirche. Hoffentlich wird dieses Verhalten bald so überhand nehmen, daß man nicht nur den Bedürfnissen der Kirche in Sambia in stärkerem Maße gerecht werden kann, sondern die Kirche in die Lage versetzt wird, auch in anderen Teilen der Welt für die Sache Christi zu arbeiten. Das Verlangen nach mehr Selbständigkeit ging Hand in Hand mit der Erkenntnis, daß den Laien in der Kirche eine wichtigere Rolle zugewiesen werden müsse. Die Kirche hat einen Weg gefunden, sich die Dienste treuer Laien beiderlei Geschlechts durch ein Teilzeitpfarramt nutzbar zu machen. Dadurch kommen auch die Menschen in entfernt gelegenen Gebieten regelmäßig in den Genuß einer seelsorgerlichen Betreuung und der Hilfestellung in Lebensfragen, anstatt daß ein- oder zweimal im Jahr ordinierte Pfarrer das Gebiet bereisen, wie das früher der Fall gewesen war. Laien werden in Jugendarbeit, Bildungs- und Aktionsprogrammen ausgebildet. Im gleichen Arbeitsbereich wurde ein Jugendrentrum errichtet, das Führungskräfte für das Gebiet des Copperbelt der Kirche heranzieht. Die United Church of Zambia stellt auch weiterhin Lehrer für die Sekundärschulen und die Colleges, die selbst Lehrer ausbilden, zur Verfügung, sowie Ärzte und Krankenschwestern für Spitäler und Kliniken; sie betreibt ein College für landwirtschaftliche Ausbildung. Auf diese und auf manch andere Weise ist die United Church im Gehorsam gegenüber dem Gebot des Herrn „Geht hin in alle Welt" stark engagiert, den Staat Sambia mit aufzubauen und den Bedürfnissen seiner Bevölkerung gerecht zu werden. In der Mindolo Ecumenical Foundation fand der Impuls für die Einheit der Christen eine recht vitale Ausdrucksform. Die Foundation entstand 1958 mit großzügiger Unterstützung der Kirchen Sambias, besonders der U C C A R und der Anglikanischen Kirche, denen die ursprüngliche Verfassung eine Gruppe von je vier verantwortlichen Leitern zuteilt. Die Mindolo Ecumenical Foundation war die Nachfolgerin der kirchlichen Wohlfahrts- und Erziehungswerke im Copperbelt und sollte als Organisation die Kirche und den Staat erneuern helfen und in einer Zeit und einer Gegend Afrikas, die durch akute rassische und politische Spannungen gekeimzeichnet ist, für einen Brennpunkt ökumenischer Einheit sorgen. Die United Church of Zambia wird auch weiterhin die Arbeit von Mindolo kräftig unterstützen, die ein ganzes Spektrum von Programmen umfaßt, welche dem Aufbau des Staates dienen und den Bedürfnissen der afrikanischen Bauern, der Industriearbeiter, der Jugend,

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der Frauen, der Politiker, der Zivilangestellten und der Geschäftsleute angepaßt sind, so daß die Laien glaubwürdige christliche Zeugen in der jungen Republik Sambia sein können. Die Vorstellung der „einen Herde" der Schafe des großen Hirten in Zentralafrika leuchtet immer noch hell in den Herzen der Menschen der United Church of Zambia, und sie mühen sich bis zu diesem Ziel: Auf daß alle bald eins sein werden.

VERZEICHNIS Anschrift der Kirchenleitung: P. O. Box R. W. 122, Lusaka, Zambia, Central Africa. Leitende Mitarbeiter: Pfr. Jackson Mwape, P. O. Box 60, Ndola, Zambia Generalsekretär: Pfr. Doyce Musunsa. Wichtige Ämter und Ausschüsse: Literatur- und Rundfunkausschuß, Evangelisation und Mission der Kirche, Bildungsausschuß, Landwirtschaftsausschuß, Ausschuß für Kirchenunion, Gesundheitsausschuß, Ausschuß für Laienprediger, Jugendausschuß, Finanzausschuß, Hahshalterschaft-Kommission, Bauabteilung, Planungsausschuß, Ausschuß für Frauenarbeit, Ausschuß Christ und Staat. Vereinigung: K. B. B. K. (Christlicher Frauenhilfsverein). Theologisches College: Mindolo Ministerial Training College, P. O. Box 429, Kitwe, Zambia. Adresse der Mindolo Ecumenical Foundation: P. O. Box 1493, Kitwe, Zambia.

Kapitel 13 DIE UNITED C H U R C H OF J A M A I C A A N D G R A N D C A Y M A N ASHLEY SMITH

Is die Congregational Union of Jamaica und die Presbyterian Church of Jamaica (einschließlich des Presbyteriums von Grand Cayman) am 1. Dezember 1965 offiziell zusammenkamen, um die United Church of Jamaica and Grand Cayman zu gründen, wurde die neue Kirche ab „Erstlingsfrucht der Ökumene in Jamaica" bezeichnet. Der Zusammenschluß dieser beiden Denominationen, deren geschichtliche Wurzeln nach England bzw. nach Schottland reichen, bescherte den Unionsverhandlungen einen Teilerfolg, die über ein Jahrzehnt offiziell zwischen fünf Denominationen auf der Insel geführt worden waren. Zu diesen Denominationen gehörten: die Methodisten, deren Ursprung in England hegt, die Brüder-Unität, die aus Mitteleuropa stammt, die Disciples of Christ aus den USA, die Kongregationalisten, die in Großbritannien beheimatet sind und die Presbyterianer, deren Anfänge in Schottland hegen. Aus verschiedenen Gründen - dogmatischen, psychologischen und anderen - ließ das Engagement der anderen drei Denominationen zu Beginn der 60er Jahre nach, und damit war der Weg für die Kongregationalisten und Presbyterianer geebnet, die unter sich weniger Differenzen zu bereinigen hatten und vielleicht eine größere Bereitschaft für eine organische Union mitbrachten, als sowohl die größere Kirche (die Methodisten) oder die beiden anderen Mitglieder der inzwischen aufgelösten Jamaica Church Union Commission. Die United Church of Jamaica and Grand Cayman führte bei der Unionsgründung zwei der kleineren, aber vergleichsweise sehr einflußreichen protestantischen Kirchen in Jamaica zusammen. Auf Grund einer offiziellen Zählung im Jahre i960 umfaßte die Congregational Union einen Freundeskreis von 45000 Personen und etwas mehr als 3000 kommunizierende Mitglieder, während die Presbyterianer an Hand der gleichen Quelle auf 88000 Anhänger und 13000 kommunizierende Mitglieder kamen. Die beiden Kirchen brachten es deshalb zusammen auf eine Anhängerschaft von etwa 133000 Personen, bei einer Zahl von 14000 aktiven erwachsenen Mitgliedern, was sie immer noch zu einer kleinen

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Kirche machte, wenn man sie mit den Anglikanern vergleicht, die einen Freundeskreis von annähernd 440000 Personen und über 60000 erfaßte Mitglieder zählen, oder mit den Baptisten, die eine Anhängerschaft von über 300000 Personen und 30000 aktive Mitglieder aufweisen.

Der Kongretationalismus in Jamaica von 1683 bis 1965 Allgemein gesehen faßte der Kongregationalismus mit den englischen Eroberern im Jahre 1955 auf der Insel Fuß. Genaugenommen aber legte 1685, nur 30 Jahre nachdem die Soldaten Cromwells die Insel von den Spaniern erobert hatten, ein Frachtschiff mit weißen Sklaven, den Restbeständen der besiegten Armee des Herzogs von Monmouthis in Port Royal an, der damaligen Hauptstadt des Zuckeranbaugebietes. Die erste kongregationalistische Gemeinde oder die erste Gruppe von Independenten versammelte sich im Jahre 1690. 1797 beschloß die Londoner Missionsgesellschaft, eine Missionsarbeit in Jamaica zu beginnen, entsandte aber ihren ersten vollbezahlten Missionar erst im Jahre 1834. Gemeinden wurden hauptsächlich in den Siedlungen in der Mitte der Insel gegründet, und bis zum Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts gab es nur eine einzige in der Hauptstadt Kingston. Die Congregational Union of Jamaica, die für ihre ausgezeichneten führenden Laienkräfte bekannt war, unterstützte ein Erziehungswerk, eine Mittelschule, im Zentrum der Insel, die für die Schulen dieses Typs insofern Pionierdienste leistete, als sie Landwirtschaftskunde als Fach für die Cambridge Overseas Examinations einführte, die immer noch die geltende Prüfungsordnung für Mittelschulen im karibischen Raum bilden. Die Presbyterian Church of Jamaica von 1800 bis 1965 Die Presbyterianer begannen ihre Tätigkeit in Jamaica als Missionsarbeit der verschiedenen Zweige der Church of Scotland. So entstand das älteste Missionsfeld der Church of Scotland. Die Mission nahm ihren Anfang im Zuckergürtel in einem der westlichen Gebiete der Insel and ließ sich dann allmählich in den meisten westlichen, südlichen und östlichen Siedlungen nieder; 1849 schloß sie sich zu einer Synode zu sammen, die Jamaicaner als Nachkommen von Sklaven und in Schottland geborene Pfarrer vereinigte, welche nun rechtlich gleichgestellt zusammen in dem höchsten Gremium der Kirche von Jamaica saßen.

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Zum Zeitpunkt der Unionsgriindung bestand die Presbyterian Church of Jamaica (die durch eine Föderation mit der Church of Scotland verbunden war) aus fünf Presbyterien mit 102 Gemeinden (einschließlich des Laienpresbyteriums mit 10 Gemeinden), führte vier mit staatlichen Mitteln unterstützte Mittelschulen, eine private Mittelschule, ein Erzieherinstitut, in dem von der Schule verwiesene Schüler auf den Eintritt in eine Berufsschule vorbereitet wurden, drei Heime für Waisen oder gestrauchelte Kinder und trug weiter die administrative Verantwortung für eine Anzahl Volksschulen. In den letzten Jahren dehnte die Kirche ihre bislang mit der Church of Scotland gepflegten brüderlichen Beziehungen auch auf die United Presbyterian Church in den USA, die United Church of Canada und die Presbyterian Church in Irland aus. Als die Union gegründet wurde, arbeiteten Mitglieder aller dieser Kirchen in der Presbyterian Church in Jamaica and Grand Cayman, wobei die einzelnen Kirchen Beiträge verschiedenen Umfanges, vor allem zur theologischen Ausbildung und zur Gründung neuer Gemeinden in städtischen Gebieten beisteuerten. Schon 1965 wurde die Presbyterian Church of Jamaica Teil der Assembly of the Presbyterian (heute Reformierten) Churches im karibischen Raum, einer Vereinigung von Kirchen, der sowolil presbyterianische Kirchen in Trinidad und Guayana als auch die Kirche in Jamaica angehörten. Die Kirche in Grand Cayman, einer Insel nordwestlich von Jamaica, wurde offiziell 1849 gegründet und wird von Pfarrern betreut, die die Kirche in Jamaica ernennt.

Das Zustandekommen der Union

Die Presbyterianer und Kongregationalisten bemühten sich offiziell schon seit 1903 um eine gegenseitige Annäherung. Seit dieser Zeit wurden mehrere Versuche unternommen, offizielle Gespräche in Gang zu bringen, aber vor allem, weil die aus Jamaica stammenden Führungskräfte der beiden Kirchen faktisch nicht selbständig entscheiden konnten und infolge der Tendenz auf Seiten der Vertreter der jeweiligen Mutterkirchen, die Gespräche zu beherrschen - auch wenn dies oft ohne A b sicht geschah - , fand kein ernsthafter Versuch statt, die zentralen Fragen herauszuarbeiten, bis es den Vertretern dieser beiden Kirchen klar wurde, daß eine Union der fünf oben genannten Kirchen in absehbarer Zukunft nicht erreicht werden konnte. Mit Nachdruck aber muß betont werden, daß ein Faktor, der ganz erheblich das Zustandekommen der Union beschleunigte, in der Mitarbeit

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der Vertreter der United Church of Canada bestand. Zufällig stammten alle Kanadier, die zur Zeit der Gespräche in der Presbyterian Church arbeiteten, ursprünglich aus der Methodistischen Kirche und zeigten sich auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen mit einer Unionskirche den Möglichkeiten einer Union zwischen den beiden Kirchen in Jamaica recht aufgeschlossen. Durch eine Laune der Geschichte oder durch göttliche Vorsehung erwies sich einer dieser Kanadier, der als Direktor der christlichen Erwachsenenbildung in der Presbyterian Church of Jamaica eingesetzt war, als ungewöhnlich gebildet. Pfarrer F. E. Vipond erklärte sich bereit, das Amt des Sekretärs des Gemeinsamen Ausschusses für Kirchenunion zu übernehmen, und dank seines nicht unbeträchtlichen Sinnes für Humor und seiner Erfahrung wurden die Schwierigkeiten, denen sich vereinigende Kirchen normalerweise ausgesetzt sehen, gründlich durchdacht, aber dies geschah ohne übermäßige emotionale Ausbrüche. Die eigentlichen Probleme, auf die man im Verlauf der Gespräche stieß, bezogen sich auf die Fragen nach dem Status der Gemeinden, den Umfang der Laienbeteiligung bei Entscheidungsprozessen auf der höchsten Ebene der kirchlichen Verwaltung, der Gehälter der Pfarrer und den Einflußbereich der Räte und Kommissionen. Laienvertreter der Congregational Church bestanden entschieden darauf, die Rechte der Gemeinden und der Laien zu gewährleisten. Die toten Punkte, die man von Zeit zu Zeit erreichte, betrafen hauptsächlich die Fragen der freien Mitarbeiter »us den verschiedenen kirchlichen Traditionen und konnten deshalb einfach als Fortführung der religiösen und nationalen Konflikte Europas auf karibischem Boden angesehen werden. Daß so bald bei einer Anzahl Punkte Übereinstimmung erzielt werden konnte, machte offenkundig, wie sehr das Bewußtsein einer nationalen Solidarität unter der Bevölkerung von Jamaica seit der Unabhängigkeit (1962) begann, die Bindungen und die Vorliebe für Einzelgruppen zu verdrängen. Als die Gespräche weiter voranschritten, wurde in zunehmendem Maße deutlich, daß die Einsicht für die Notwendigkeit einer einflußreichen karibischen Kirche, die den Bedürfnissen der karibischen Bevölkerung gerecht werden konnte, allmählich viele andere Gesichtspunkte, einschließlich der geschichtlichen und dogmatischen, zurückstellte. Die Tatsache, daß die Union trotz so vieler Probleme zustande kam - auch der Angleichung der Pfarrergehälter - , läßt darauf schließen, wie sehr die Kirchenführer aus Jamaica im Verlauf der Verhandlungen an Reife gewonnen hatten. Es besteht kein Zweifel, daß diese Gespräche für die Kirchenführer aus Jamaica eine Gelegenheit boten, eine gewisse Selbständigkeit zu entwickeln.

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Organisatorischer Außau Aus verwaltungstechnischen Gründen ist die neue Kirche in fünf geographische Gebiete, in sogenannte „Räte", aufgeteilt; vier davon liegen in Jamaica, einer in Cayman. Die Arbeit der Synode wird von Kommissionen wahrgenommen, eine Maßnahme, die nach den Worten der „Unionsbasis" die besten Merkmale der beiden zusammengeschlossenen Kirchen vereinigt. Kurz gesagt, befassen sich diese Kommissionen mit Kirche und Amt, Mission und Dienst, christlicher Erziehung, öffentlicher Bildung, Finanz- und Eigentumsfragen. Jede Kommission wird je nach der zu behandelnden Thematik noch einmal unterteilt. Die Ausschüsse treten vierteljährlich zusammen und lassen ihre Entscheidungen durch einen sogenannten Koordinierungsrat aufeinander abstimmen, dessen Aufgabe darin besteht, die Arbeit der Synode zwischen den Sitzungen weiterzuführen und Beschlüsse zu fassen, die keine finanziellen Transaktionen zur Folge haben, die nicht von der jährlichen Synode gebilligt wurden. Die Synode setzt sich aus Gemeindevertretern zusammen, die auf Grund der Anzahl der Gemeindeglieder gewählt wurden. Gewöhnlich hält die Synode einmal im Jahr eine Sitzung ab. Sie wird von einem Moderator präsidiert, der für ein Jahr gewählt wird, aber so oft wiedergewählt werden kann, wie es dem Wunsch der Synodalen entspricht. Die United Church heute Ende 1970 belief sich die Zahl der kommunizierenden Mitglieder der Kirche auf 16000 Personen und einen weiteren Kreis von über 10000 Jugendlichen und Kindern. Es gibt eine nationale Jugendvereinigung mit über 4000 Mitgliedern und eine nationale Frauenvereinigung jnit über 2500 Mitgliedern. Die Männerarbeit nimmt weiter ab, und nur noch wenige Gemeinden führen sie am Ort weiter. Die Brigade-Bewegung für Mädchen und Jungen wird von der United Church offiziell anerkannt, obwohl es derzeit nur wenige Gemeinden mit Untergruppen dieser oder anderer Organisationen gibt. Das Gesamteinkommen der Kirche belief sich im Jahre 1970 auf annähernd 140000 Jamaica-Dollar. Der Gesamtvermögensstand lautete auf 1234000 Jamaica-Dollar. Die United Church trägt sich mehr oder weniger selbst; Hilfe aus Übersee kommt hauptsächlich in Form der Gehälter für die acht freien Mitarbeiter und in Form von Stipendien für die theologische Ausbildung. 1970 umfaßte der Mitarbeiterstab (einschließlich der Diakonissen) 44 Personen, von denen alle bis auf zwei im aktiven Pfarrdienst stehen.

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Die Kirche unterhält heute fünf Mittelschulen, drei Heime für Waisen und gestrauchelte Jugendliche, einAusbildungszentrum fürMädchen. Dazu liefert sie Beiträge zur Volksschulerziehung und denjenigen ökumenischen Organisationen, die sich besonders mit Rehabilitation und der theologischen Ausbildung befassen. Ihre Pfarrer erhalten ihre Ausbildung hauptsächlich am United Theological College of the West Indies, einer gemeinsamen Institution der Protestantischen Kirchen im Karibischen Raum. Die Kirche pflegt freundschaftliche Beziehungen mit allen Schwesterkirchen, mit denen sich beide Kirchen vor der Unionsgriindung geschichtlich oder sonst verbunden wußten.

Die United Church seit der Union Es ist noch zu früh, die United Church richtig einschätzen zu können, wie sie ihre verschiedenen Bestandteile zu integrieren vermochte und wie effektiv sie wirklich ist. Zum Glück gab es keine Abspaltung und keinen ernsthaften Versuch auf Seiten einer Gemeinde oder Gemeindegruppen, sich gegen die Union zu entscheiden. In keiner der Synoden seit der Unionsgründung zeichneten sich entlang der denominationellen oder traditionellen Grenzen Spaltungserscheinungen ab. Spaltungen vollzogen sich schon eher entlang der Generationsgrenzen und infolge der Unterschiede zwischen Stadt und Land, Laien und Pfarrern, aber sie haben in keinem Fall die Zeit der Synodalsitzungen überdauert. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß es zu einer völligen Integration der beiden vereinigten Traditionen kommt. Der Dienst an der Jugend wurde beträchtlich gestärkt und vermochte damit die Beteiligung der Jugend am kirchlichen Leben erheblich zu intensivieren und zu erweitern. Seit der Unionsgründung wurden die Gespräche zwischen der United Church und der Brüder-Unität in Jamaica und den Disciples of Christ weitergeführt. In den meisten wichtigen theologischen Fragen konnte eine Übereinstimmung erzielt werden. Das Bischofsamt bleibt noch die einzige wesentliche Frage, die einer Klärung bedarf, und diese Hürde wird hoffentlich in den nächsten drei Jahren genommen werden. Die United Church betrachtet sich immer noch als vereinigende Kirchenicht nur in Jamaica »nid Grand Cayman, sondern im gesamten karibischen Raum. Eine dringende Notwendigkeit für die Kirchen im gesamten karibischen Raum besteht darin, im Blick auf die Unterstützung und Hilfe von außen völlig unabhängig zu werden, so daß sie dadurch die Zersplitterung allmählich zu überwinden vermögen, die ein Haupt-

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ärgernis für das Zeugnis der christlichen Kirche in diesem Gebiet darstellt. Die Geschichte hat der United Church of Jamaica and Grand Cayman da eine große Verantwortung anvertraut, und wir hoffen, daß sie in dieser Hinsicht weder Gott noch die Bevölkerung im karibischen Raum enttäuscht.

VERZEICHNIS Anschrift: 24 Hagley Park Plaza Kingston 10 Jamaica/Wesr Indies Generalsekretär: Pfarrer Clement Thomas.

Kapitel 14 D I E C H U R C H OF N O R T H I N D I A JOHN W . SADIQ

Einleitung

S

eit dem großen Durchbruch zur Kirchenunion, der sich 1947 mit der Gründung der Kirche von Südindien vollzog, kann die Fertigstellung des Unionsplanes in Nordindien (und Pakistan) als bedeutendster Fortschritt der christlichen Einheit angesehen werden. Die Absicht dieses Beitrages besteht darin, kurz dem Hintergrund und der Geschichte der Verhandlungen nachzugehen, die zu den historisch wichtigen Ereignissen von Lahore (Pakistan) am 1. und 2. November und Nagpur (Indien) am 29.-30. November 1970 führten, sowie die Voraussetzungen, die Richtlinien und die Wunschvorstellungen darzulegen, die diesem wagemutigen Glaubensunternehmen zugrunde lagen. Wir befassen uns hier mit der Kirche von Nordindien, aber wir müssen in Erinnerung rufen, daß die Unionen in Nordindien und Pakistan aul gleichlautenden Plänen beruhen und daß die beiden Kirchen in voller Abendmahlsgemeinschaft miteinander stehen, obwohl sie aus politischen Gründen ein autonomes Dasein führen müssen. Die Church of Pakistan lief Indien nicht nur im Blick auf den Zeitpunkt der Unionsgründung den Rang ab, sondern auch hinsichtlich der Tatsache, daß es ihr gelungen ist, die Methodist Church in Southern Asia bei der Union zu halten, die in Nordindien im letzten Augenblick zurücktrat, und daß es ihr weiter beschieden war, die Lutherische Kirche miteinzubeziehen und damit das Eis an einer neuen Stelle zu brechen. Es dürfte hilfreich sein, in diesem einleitenden Abschnitt kurz auf die wichtigsten Unterschiede zwischen der Kirche von Südindien und der Kirche von Nordindien hinzuweisen. Sie bestehen erstens darin, daß in Nordindien zusätzlich drei Kirchen zur Union gehören, die an der Glaubenstaufe und an der kongregationalistischen Struktur festhalten, und zweitens in dem Verfahren, die Ämter der unierenden Kirchen zu vereinigen. Die Kirche von Südindien sah sich nicht den Problemen gegenüber, die sich aus entschieden vertretenen, einander ausschließenden Standpunkten in der Tauffrage ergaben. Auch legte sie einen Zeitabschnitt von 30 Jahren fest, in dessen Verlauf alle

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Pfarrer der Kirche von einem Bischof ordiniert werden sollen. In Nordindien wurden die Ämter von Anfang an vereinigt. Die folgenden sechs Kirchen haben ihre Eigenexistenz aufgegeben, um die Kirche von Nordindien zu bilden: Der Rat der Baptistenkirchen in Nordindien (britischer Provenienz) Die Church of the Brethren in Indien Die Disciples of Christ Die Church of India, Pakistan, Burma and Ceylon (in Indien) Die Methodistenkirche (britischer und australischer Zweig) Die United Church of North India. Es soll darauf hingewiesen werden, daß die Kirche von Nordindien enge Bande mit den Kirchen auf dem europäischen, nordamerikanischen und austral-asiatischen Kontinent geknüpft hat, w o Kirchenunionsbewegungen schon im Gange sind. Sie hat ein Verbindungsnetz mit Missionsgesellschaften und Missionsbehörden in Ubersee errichtet. Dieser Tatbestand wurde auf sehr lebendige Weise durch die Anwesenheit von etwa 50 Besuchern aus Übersee bei den Eröffnungsfeierlichkeiten veranschaulicht. Dieser Anlaß bot den Delegierten auch Gelegenheit, eine zweitägige Konsultation mit den Führern der Kirche von Nordindien im Blick auf den Fortbestand der Beziehungen, auf die gegenseitige Verantwortung und die weitere Interdependenz der Kirchen abzuhalten. Die Gründungsfeierlichkeiten bestanden aus zwei Hauptgottesdiensten mit der Vereinigung der Kirchen und ihrer Ämter am ersten Tag und der Weihe neuer Bischöfe und der Ernennung aller Bischöfe für die ihnen zugewiesenen Diözesen am zweiten Tag. An beiden Tagen fand die Gottesdienstordnung der Kirche von Südindien Verwendung, doch das Austeilen von Brot und Wein erfolgte nach der presbyterianischen bzw. der anglikanischen Form. A m ersten Tag belief sich die Zahl der Abendmahlsteilnehmer auf weit über 2000. Diese Gottesdienste und andere Feiern fanden unter einem riesigen, farbenprächtigen shamiana (einem großen Baldachin) statt, der zwischen der Allerheiligen-Kathedrale und der Chatterton Hall aufgestellt war. Die Zahl der Menschen, die an diesen Feiern teilnahmen, schwankte zwischen 3000 und 5000, einschließlich der etwa 50 Besucher und Gäste aus Ubersee sowie etwa der gleichen Zahl Katholiken und einer beträchtlichen Anzahl Nichtchristen. Die säkularePresse berichtete sachlich über die wichtigen Ereignisse, und die indische Regierung hatte eigens einen Fotografen geschickt, um eine Dokumentation vorzubereiten. Der Christliche Rat für Rundfunk und audio-visuellen Dienst stellte sehr farbenfrohe Dekorationen bereit einschließlich des Haupteinganges, der im buddhistischen Stil gehalten war, und einer beleuchteten Landkarte, auf der die 16 Diözesen eingezeichnet

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waren. Man hatte auch für ein sehr ansprechendes einheimisches Kulturprogramm gesorgt. Die Diözese von Chotanagpur sandte eine Gruppe von Stammestänzern und die Diözese von Kalkutta schickte eine Gruppe Jungen und Mädchen, die dramatische Tänze über Themen religiösen Inhalts aufführten. An beiden Tagen fand eine Prozession statt, der sich außer den Teilnehmern auch Besucher und Gäste anschlössen. Die römisch-katholische Kirche leistete viel Hilfe bei der Bereitstellung von Unterkünften für die Gäste und besonders auch für die Bischöfe und deren Retraite in ihrem Seminar. Der römisch-katholische Erzbischof verschob einen Termin, um an der Prozession am ersten Tag teilnehmen zu können. Die öffentliche Versammlung bot Gelegenheit, Botschaften aus aller Welt zu empfangen. Die Premierministerin von Indien, die nicht anwesend sein konnte, entsandte einen Minister aus dem Zentralkabinett als Stellvertreter, um ihre Grüße und guten Wünsche zu überbringen. Die nichtchristliche Öffentlichkeit und die Presse waren von der disziplinierten Art, in der alle Gottesdienste gehalten wurden, tief beeindruckt. Die Bedeutung der Kirche von Nordindien liegt nicht so sehr darin, was nun erreicht werden konnte - obwohl das nicht wenig ist - , sondern darin, was sie in Gang gesetzt hat. Die Kirche vereinigte eine halbe Million Christen in Nordindien unter einem Banner. Sie vermittelte den Teilnehmern an den Eröffnungsfeierlichkeiten eine Kostprobe eines neuen pfingstlichen Gemeinschaftserlebnisses. Viele Probleme sind noch ungelöst, aber diese Strophe bedeutet uns nun doch mehr als früher: Ein Gesang von tausend Stimmen Aus einem Herzen voll erklingt; Eins im Kampf, eins in Gefahren Auf Gottes Weg man sie bezwingt. Eine halbe Million Christen kann nun aus vollem Herzen singen: Ein Herr, ein Ziel, ein-Hoffen, Ein himmlisch Wasserbad; Ein Heil, das allen offen, Ein Geist, ein Glaubenspfad.

Der geschichtliche Hintergrund Dem geschichtlichen Hintergrund dieser Kirche, dem wir nun nachgehen wollen, lassen sich deutlich drei Stränge entnehmen - der Nationalismus, das evangelistische Anliegen und die Zusammenarbeit innerhalb der Mission. Die ersten zwei Elemente kamen aus der indischen Kirche, das dritte aber hauptsächlich aus dem Ausland. Alle drei übten auf die

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Einheitsbewegung einen entscheidenden Einfluß aus und sie entstanden alle - obwohl sie nicht in chronologischer Reihenfolge behandelt werden müssen - in der Mitte des letzten Jahrhunderts, gewannen ihre eigentliche Schwungkraft aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts. W i r wollen sie in Kürze nacheinander betrachten. Der Nationalismus: Es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, daß der Nationalismus (in seinem besten Sinne) in den Ländern, in die Spaltungen und verschiedene Denominationen von außen eingepflanzt wurden, einen ernst zu nehmenden Faktor in den Einheitsbewegungen darstellt. Der indische Nationalismus hatte seinen Ursprung in dem großen A u f stand von 1857. Von den ersten Tagen an haben dabei Christen mit dem richtigen Einfühlungsvermögen in die Situation eine Rolle in diesem Bestreben um politische und kirchliche Emanzipation gespielt. Schon 1870 schlug Pfarrer Lal Behari Day, ein bekannter indischer Patriot, einen kirchlichen Zusammenschluß vor, der die wesentlichen Prinzipien des Bischofsamtes, des Presbyterianismus und des Kongregationalismus einbeziehen sollte. Dieser Wunschtraum sollte hundert Jahre später in Erfüllung gehen! Kali Charan Banerji, einer der Gründer der National Missionary Society im Jahre 1905 setzte sich ebenfalls unermüdlich für den Indian National Congress ein, der 1885 gegründet wurde. D. L. Joshi, ein indischer Pfarrer in Bombay, veröffentlichte ungefähr zu diesem Zeitpunkt einen „Brief an alle indischen Christen", in dem er schrieb: „Wacht auf, indische Christen! Der Swadeshism (Nationalismus) hegt in der Luft. Sollten wir daraus keine Konsequenzen ziehen?" Auf der zweiten Zehnjahreskonferenz (für missionarische Zusammenarbeit) im Jahre 1882 plädierte ein bengalischer Christ dafür, daß die einheimische Kirche ruhig sich selbst überlassen werden sollte. Das Manifest von Tranquebar, das die Kirchenunionsbewegung in Indien in Gang setzte, enthielt die Worte: „ W i r sehen uns gemeinsam vor die riesenhafte Aufgabe gestellt, Indien für Christus zu gewinnen - ein Fünftel der Menschheit. Aber nun, da wir uns einer so überwältigenden Verantwortung gegenübersehen, erweisen wir uns auf Grund unserer unglückseligen Spaltungen als schwach und verhältnismäßig unfähig. Dabei sind es Spaltungen, für die wir nicht verantwortlich sind und die uns, so wie sie waren, von außen auferlegt wurden; Spaltungen, die wir nicht geschaffen haben und die wir nicht verewigen wollen." Der indische christliche Nationalismus investierte Gott sei Dank seine Kraft zum größten Teil dafür, die Kirche in stärkerem Maß zu einer einheimischen anstatt zu einer nationalistisch geprägten Kirche umzugestalten. Selbst spätere Schriften wie „Rethinking Christianity in India", die von einer Gruppe indischer christlicher Patrioten verfaßt wurde, tre-

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ten dafür ein, die Kirche weiterhin in Christus zu verankern, aber sie in Beziehung zur jeweiligen Umwelt zu setzen. In diesem Zusammenhang kann man an das erinnern, was C . H. Dodd in seinem Buch „Christianity and the Reconciliation of the Nations" geschrieben hat; indem er sich auf den Abschnitt im Buch der Offenbarung beruft, der von der großen Zahl aus jeder Nation, jedem Stamm, jedem Volk und jeder Sprache vor dem Thron und dem Lamme spricht, führt er aus: „Die Klarheit und Entschiedenheit, mit der das Neue Testament so die Einheit der Menschheit vor Gott verkündigt, ohne daß die natürlichen Trennungen, die die Menschheitsgeschichte prägten, geleugnet oder verurteilt werden, sind besondere Kennzeichen der christlichen Haltung." Das evangelistische Anliegen: Fast immer waren die ersten Christen in Indien mit ihrer ersten Liebe zu Christus von dem brennenden Verlangen erfüllt, das Evangelium zu verkündigen. 1806 schrieb William Carey in einem Brief nach Hause: „ W i r haben uns der Hilfe der eingeborenen Brüder bedient, seit wir einen Bruder hatten, der es wagte, im Namen Christi zu sprechen, und hauptsächlich ihr Einsatz führte dazu, daß unsere Kirche gewachsen ist. Aber wir haben in letzter Zeit einen Plan entwickelt, um ihre Einsatzbereitschaft in noch stärkerem Maße dienstbar zu machen - nämlich sie zwei und zwei auszusenden ohne einen Bruder aus Europa." George Smith kommentierte die Tatsache, daß die Evangelisierten selbst zu Evangelisten wurden, in seiner Biographie über Carey mit folgender Bemerkung: „Jeder neugetaufte Christ, selbst die Frauen, wurden Apostel für ihr Volk, und keiner konnte als solcher aufgehalten werden." W i r haben die Gründung der National Missionary Society im Jahre 1905 schon erwähnt. Kurz vor diesem Ereignis wurde ein „Ruf an indische Christen" veröffentlicht, der folgende bewegende Worte enthält: „Unsere Herzen wurden durch die schreiende Not der noch unbestellten Felder Indiens wachgerüttelt... Man schätzt, daß nicht weniger als hundert Millionen des indischen Volkes die Botschaft des Evangeliums in dieser Generation nicht mehr hören können. Angesichts dieser Tatsache sind wir sicher, daß Ihr mit uns der Ansicht seid, daß die Zeit nun gekommen ist, in der die indische christliche Kirche sich zu ihrer Verantwortung bekennen muß, dieses Land zu evangelisieren. Indien gehört uns, und wir, die Gott aus diesem Land gerufen hat, um sein eigen zu sein, sind in ganz besonderer Weise verantwortlich für die Seelen unserer Landsleute." Nach der Gründung der Gesellschaft wurde ein Aufruf an die Kirchen in Indien versandt, an deren Ende folgende kraftvolle Worte stehen: „Gibt es einen Menschen, der noch atmet, dessen Seele aber so tot ist, daß er nie zu sich sagen konnte:

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,Das ist mein Eigen, mein Heimatland.'? Es ist doch Dein eigen. Tausendmal wollen wir das aussprechen, bis wir die Wahrheit »fassen. Dies Land ist unser! Nicht, um uns mit Ruhm zu bedecken, nicht nur aus einer Laune des Gefühls, nicht, um andere davon fernzuhalten nur um unserer feierlichen Verpflichtung willen: Sie ergibt sich aus dem Besitzrecht und den offenen Möglichkeiten, aus Aufopferung und Verantwortungslast. Es ist unser. Wir können es gewinnen oder verlieren, bewahren oder verkommen lassen." Ein Teil des Tranquebar-Manifestes von 1919, das von der „riesenhaften Aufgabe" spricht, „Indien für Christus zu gewinnen - ein Fünftel der Menschheit", ist schon zitiert worden. Viel später wurde dieselbe Gesinnung vom maharasthtrianischen Dichter Narayan Vaman Tilak zum Ausdruck gebracht, der nach seiner Bekehrung sang: , .Wann endlich wird meine Sehnsucht gestillt, Die Tag und Nacht meine Seele verzehrt? Wann endlich hat mein Land sich bekehrt Und legt sich vor Christi Füße hin?" Dieses evangelistische Anliegen war wie der Nationalismus der unmittelbare Impuls für das Streben nach kirchlicher Einheit. Das Manifest von Tranquebar darf ruhig noch einmal zitiert werden: „Wir glauben, daß die Herausforderung der Stunde in der Aufbauzeit nach dem Krieg - das Zusammenfinden der Nationen und die gegenwärtige kritische Lage in Indien selbst - uns dazu aufrufen, unsere vergangenen Spaltungen zu beklagen und uns unserem Herrn Jesus Christus zuzuwenden, um in ihm die Einheit des Leibes zu suchen, die in der einen sichtbaren Kirche ihren Ausdruck findet. Wir sehen uns gemeinsam vor der riesenhaften Aufgabe . . . " Die Zusammenarbeit im Bereich der Mission: Man tut gut daran, sich vor Augen zu führen, daß schon Jahrzehnte vor der Konferenz vonEdinburgh im Jahre 1910 die Zusammenarbeit im missionarischen Bereich in Indien eine vollendete Tatsache war. Bengt Sundkler schreibt in seiner Geschichte der Kirche von Südindien: „Missionare in verschiedenen Gebieten gelangten etwa um das Jahr 1850 zu der Überzeugung, daß sie im Interesse ihrer eigenen Arbeit auf Konferenzen zusammenkommen müßten." Es fanden Konferenzen auf lokaler oder provinzialer Ebene

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statt - für Bengalen in Kalkutta (1855), für Nord-West-Indien in Benares (1857), für Südindien in dem Bergkurort Ootacamund (1858), für Panjab in Lahore (1862). Diesen Bemühungen auf Ortsebene folgte die Erste Allgemeine Missionskonferenz für ganz Indien in Allahabad im Jahre 1872, wo sich 136 Missionare über ihre gemeinsamen Erfahrungen aussprachen. Diese lokalen, provinzialen und gesamtindischen Konferenzen fanden weiterhin statt und bereiteten den Folgeerscheinungen von Edinburgh im Jahre 1910 den Weg. Die Gründung der Provinzräte und später des Nationalen Missionsrates, der auf lokaler, provinzialer und nationaler Ebene die Zusammenarbeit in allen Bereichen der Missionsarbeit förderte, war die entscheidende Auswirkung der Weltmissionskonferenz. Auch erzeugte der Missionsrat direkt das Klima und den Anreiz für eine Kirchenunion, obwohl die Fragen von Glauben und Kirchenverfassung lange Zeit vom Bereich dieser auf Zusammenarbeit ausgerichteten Strömung abgehalten wurden. Eine interessante, und wie ich meine, bedeutsame Tatsache muß in diesem Zusammenhang noch vermerkt werden. Obwohl der Internationale Missionsrat und der Ökumenische Rat der Kirchen auf Weltebene bis zum Jahre 1961 getrennte Organisationen blieben und „in Verbindung miteinander" arbeiteten, war man in Indien nie der Auffassung, es seien zwei eigene Organisationen notwendig. Der Nationale Christenrat nahm faktisch diese Doppelfunktion wahr. Die drei verschiedenen Faktoren des Nationalismus, des evangelistischen Anliegens und der missionarischen Zusammenarbeit begannen sich schließlich zu einem mächtigen Strom zu bündeln, der die Spaltungen der Kirche wegschwemmen konnte, da die Indische Kirche nur auf dem Weg über die Einheit jemals die Hoffnung hegen durfte, ihren von Gott gegebenen Sendungsauftrag zu erfüllen und die ihr zukommende Rolle im Wiederaufbau des Vaterlandes aufzugreifen. Wir müssen uns nun deshalb einem kurzen Abriß der Kirchenunionsverhandlungen in Nordindien zuwenden.

Kurze Geschichte der Verhandlungen Die Verhandlungen, die 1920 in Südindien dem Manifest von Tranquebar folgten, waren den nordindischen Verhandlungen im wesentlichen richtungweisend. Die erste Folge dieser Anregung bestand in der Gründung der United Church of Northern India, die die Presbyterian Church und die Congregational Church 1924 zusammenbrachte. Dieses Ereignis unterschied sich von den Geschehnissen, die sich im Jahre 1908 in Süd-

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indien abspielten, nicht wesentlich. Der Ruf von Tranquebar reichte jedoch sehr weit, weil er darauf abzielte, die anglikanische Tradition mit ihrem Festhalten am ordinierten Amt und am Bischofsamt als wesentlichem Element der Kirchenleitung einzubringen. Das Kernstück dieses Vorschlages war das .Quadrilateral', das die dogmatische und ekklesiologische Grundlage bildete, nämlich i . die Heilige Schrift, das Alte und Neue Testament, die alle zum Heil notwendigen Dinge enthält, 2. das Apostolicum und das Nicänum, 3. die beiden Sakramente, die von Christus selbst eingesetzt wurden - Taufe und Abendmahl - , und 4. das historische Bischofsamt, das den jeweiligen lokalen Verhältnissen angepaßt werden mußte. Die Feststellung ist interessant, daß die Versammlung, die zur Gründung der United Church of Northern India führte, die Unierte Kirche dazu anregte, Einladungen an verschiedene andere Kirchen ausgehen zu lassen, um die Möglichkeit einer umfassenderen Union zu erwägen. Die Wesleyan Methodist Church antwortete unverzüglich und schlug neue Rundgespräche vor, zu der alle interessierten Kirchen eingeladen werden sollten. So wurde das erste Rundgespräch am 10./11. April 1929 nach Lucknow einberufen, fast genau zehn Jahre nach Sansibar. Die Kirchen, die an dieser Sitzung teilnahmen, waren die Australian Churches of Christ Mission, die Australian Methodist Church, die Wesleyan Methodist Church, die Episcopal Methodist Church (später in Methodist Church in Southern Asia umbenannt) und die United Church of Northern India. Die Anglikanische Kirche entsandte lediglich einen Beobachter. Beim zweiten Rundgespräch, das vom 18. bis 20. November 1930 in NeuDelhi stattfand, war die Anglikanische Kirche offiziell vertreten, und zusätzlich kamen auch noch Delegierte von der Church of the Brethren und den Quäkern. Die Verbindung mit Südindien wurde durch zwei südindische Vertreter des Gemeinsamen Ausschusses gewährleistet. Dies hatte die Einberufung einer Allindischen Konferenz für Kirchenunionsfragen in Nagpur vom 7. bis 9. November 1931 zur Folge. Auf dieser Konferenz wurde deutlich auf die Notwendikgeit hingewiesen, eine Liturgie oder liturgische Formen zur Amtsvereinigung zu finden. Das zweite Rundgespräch hatte einen Fortsetzungsausschuß ernannt, und dieser Ausschuß arbeitete an dieser Frage und bereitete im Laufe der Zeit einen Grundsatzentwurf für die Verhandlungen vor. Dieser Entwurf wurde auf dem dritten Rundgespräch 1937 überarbeitet und in erweiterter Form im Fortsetzungsausschuß im Juli 1939 veröffentlicht. Z u diesem Zeitpunkt waren einige Kirchen schon ausgeschieden; die Verhandlungen wurden von da an von der United Church of Northern India, der Church of India, Burma and Ceylon (der Anglikanischen Kirche), der Methodist

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Church in Southern Asia, den britischen und australischen Methodistenkirchen und den Baptistenkirchen britischer Provenienz weitergeführt. Parallel zum Ablauf der Rundgespräche wurde von einem Gemeinsamen Rat, der aus der United Church of North India, der Methodist Church in Southern Asia und den Baptistenkirchen bestand, ein weiterer Anlauf unternommen, der sich aber als Fehlschlag erwies. Der Beweggrund war offensichtlich der, die Union unter Ausklammerung der Anglikaner zu beschleunigen. Dies hatte unerfreulicherweise die Folge, daß die Baptisten dem Rundgespräch eine bestimmte Zeit fernblieben. Das vierte Rundgespräch fand im Jahre 1941 statt, und ein entscheidender Fortschritt auf dieser Sitzung bedeutete der Vorschlag, die anglikanischen und methodistischen Bischöfe durch „gegenseitiges Handauflegen unter Gebet und unter Benutzung einer Formel, die keinerlei Bedenken oder Zweifel aufkommen läßt", zu vereinigen. Dem stimmte die Anglikanische Kirche im Jahre 1944 zu. 1947 billigte das vierte Rundgespräch den anglikanischen Vorschlag, alle Ämter durch gegenseitiges Handauflegen unter Gebet zu vereinigen und nahm diese Bestimmung in die Basis mit auf. Die Fertigstellung des Unionsentwurfes in Siidindien im September 1947 „führte zu einer neuen Hoffnung und zu einer neuen Energie, im Norden weiter auf eine Union zuzugehen." Und die Basis, die beim fünften Rundgespräch formuliert wurde, schien die beste Grundlage für die Schlußverhandlungen abzugeben. Die Lambeth-Konferenz im Jahre 1948 unterbreitete bestimmte Vorschläge. Nachdem die Basis eine ausreichende Zustimmung gefunden hatte, wurde das Rundgespräch durch einen „Verhandlungsausschuß" ersetzt, der seine erste Sitzung im März 1961 in Kalkutta abhielt. Bei dieser Sitzung schlössen sich die Baptistenkirchen wieder an. Es war dem Verhandlungsausschuß möglich, 1954 eine überarbeitete Fassung des Plans zu veröffentlichen. Die folgenden drei Jahre wurden der Klärung jind Weiterführung des Unionsplanes gewidmet, besonders im Blick auf die in der vorgesehenen Verfassung enthaltene Bestimmung über di$ Mitgliedschaft und die Vereinigung der Ämter. Als Pakistan die politische Selbständigkeit erhielt, baten die pakistanischen Christen darum, Maßnahmen für zwei autonome unierte Kirchen zu treffen, die aber auf dem gleichen Unionsplan beruhen müßten und in voller Abendmahlsgemeinschaft stehen sollten. Der Plan gliederte sich in zwei Teile, und zwar enthielt der eine die Verfassung der geplanten linierten Kirche, und der andere die Ausführungsbestimmungen und die Gottesdienstform für die Gründungsfeierlichkeiten. Im Jahre 1957 schlössen sich die Church of the Brethren und die Disciples of Christ wieder an, und dem Verhandlungsausschuß, der im April in Pachmarhi zusammentrat, war es möglich, eine dritte Fassung des Unionsplanes fertigzustellen, der den ver-

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handelnden Kirchen zur Entscheidung vorgelegt wurde. Die dritte, 1954 veröffentlichte Überarbeitung des Unionsplanes hätte eigentlich die endgültige Fassung sein sollen. Aber zwei Sachverhalte machten es notwendig, einige Veränderungen vorzunehmen. Der eine war die LambethKonferenz des Jahres 1958, die, obwohl sie an dem Plan theologisch nichts auszusetzen hatte, einige Modifizierungen vorschlug, die die volle Abendmahlsgemeinschaft zwischen der Unierten Kirche und den Kirchen der anglikanischen Gemeinschaft ermöglichen sollte. In der Zwischenzeit fällten die United Church of North India und die britischen und australischen Methodisten eine Entscheidung für die Union, während es der Church of India, Burma, Pakistan and Ceylon und den Brethren nicht gelang, die erforderliche Stimmenzahl zu erreichen. Abgesehen von diesen Verfahrensfragen hatte man nun die Gelegenheit wahrgenommen, auch verschiedentlich aufgeworfene heikle Fragen anzupacken. Einige Mitglieder der Methodist Church in Southern Asia waren mit der besonderen Liturgie für die Vereinigung der anglikanischen und der methodistischen Bischofsämter nicht zufrieden. Einige Baptisten vertraten die Auffassung, daß die Art und Weise, wie Gewissensfragen etwa im Blick auf die Taufe behandelt worden waren, nicht befriedigen könne. Obwohl der Unionsplan sowohl die Säuglings- als auch die Erwachsenentaufe vorsah, entstand das Problem in Verbindung mit einer bestimmten Verordnung. Sie legte nämlich für den Fall, daß jemand, der als Säugling getauft worden war und später Zweifel an der Gültigkeit seiner Taufe hatte, fest, daß der Bischof sich der Angelegenheit in seelsorgerlicher Weise anzunehmen hätte. Diese Verfügung konnte die Baptisten nicht befriedigen, denn der Bischof wäre angesichts des bereits angenommenen Grundsatzes der Unwiederholbarkeit der Taufe völlig hilflos. Der Verhandlungsausschuß trat deshalb im März 1965 zusammen, veröffentlichte die vierte Überarbeitung des Unionsplanes und befaßte sich weiter mit diesen und anderen Problemen, die sich aus dem Entwurf selbst oder aus besonderen Beschlüssen ergeben hatten. Die besondere Liturgie für die Vereinigung der anglikanischen und methodistischen Bischofsämter fand Zustimmung. Es wurden nun Vorkehrungen für einen einzigen repräsentativen Akt der Vereinigung für alle Ämter getroffen, und auch die Teilnahme von vier anderen Kirchen gewährleistet, von denen zwei die historische Bischofstradition aufwiesen, zwei nicht. Es handelte sich dabei um die Kirche von Südindien, die Syrische Mar Thoma-Kirche, die Presbyterian Church in Assam und die Baptistenkirche in Ost-Pakistan. Alle Gewissensfragen, z. B. die schon angeschnittene Tauffrage oder die Ordination der Frauen, wurden der Weisheit der Synode der Unierten Kirche unter Leitung des Heiligen Geistes anvertraut. Durch einen Son-

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derbeschluß wurde der Fortbestand und die weitere Entwicklung der Glaubensgemenschaften begrüßt. Im Rahmen des Plans wurde beschlossen, die Glaubenserklärung der verschiedenen Kirchen in einer speziellen Broschüre mit der Auflage herauszugeben, daß sie den Gemeinden für die Unterweisung der Gläubigen zur Verfügung stehen sollte. Über diese vierte überarbeitete Ausgabe des Jahres 1965 stimmten die sieben verhandelnden Kirchen positiv ab und legten ihre Entscheidungen im Januar 1970 der Schlußsitzung des Verhandlungsausschusses der Kirchen von Nordindien vor, auf der Pläne für die Gründungsfeierlichkeiten der Kirche von Nordindien am 1. Advent 1970 und dem darauffolgenden Tag erarbeitet wurden. Leider hatte sich die Methodist Church in Southern Asia eines anderen besonnen und trat etwa drei Monate vor der Unionsgründung zur Enttäuschung vieler Mitglieder dieser Kirche zurück. Wenn die Nordindische Kirche an diesem Punkt auch eine Niederlage einstecken mußte, so war doch der Pakistanischen Kirche hier ein Erfolg beschieden, und die Hoffnung bleibt bestehen, daß einmal auch die Methodist Church in Southern Asia, so Gott will, ihr reiches spirituelles Erbe in die Kirche von Nordindien einbringen kann.

Die Gestalt der Kirche von Nordindien

U m das Wesen dieser Unierten Kirche richtig einschätzen zu können, ist es erforderlich, die Zielrichtung des Unionsplanes zu erfassen, auf dem die Kirche sich gründet und von dem sie getragen werden soll. Glücklicherweise hat das Vorwort zum Unionsplan einen Abschnitt der Erklärung seiner Zielrichtung gewidmet, und wir könnten nichts Besseres tun, als einen wesentlichen Teil daraus zu zitieren: „Dieses Zusammenfinden in eine sichtbare Gemeinschaft, in der die verschiedenen Erbgüter der sich vereinigenden Kirchen in Nordindien (und Pakistan) vertreten sind, bedeutet keineswegs, daß die Gnadengaben Gottes in Frage gestellt oder zurückgewiesen werden, die in mannigfacher Weise in den jeweiligen Traditionen des Amtes, der Sakramente und der kirchlichen Strukturen innerhalb der einen Kirche Gottes zum Ausdruck kommen." „Die sich vereinigenden Kirchen unternehmen diesen Schritt nicht, weil sie auf ihre eigene Gerechtigkeit, sondern weil sie auf Gottes reiche und mannigfaltige Gaben vertrauen, wobei sie die Einheit des Geistes im Band des Friedens suchen und ernsthaft das Kommen des Tages herbeisehnen, da es in der ganzen Welt wirklich nur noch eine Herde und einen Hirten geben wird."

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„Die Verfassung baut die allgemeinen Grundsätze aus, die die Auffassung wiedergeben, daß die besonderen Einsichten, die jeweils den verschiedenen Kirchen gewährt wurden, nur zur Bereicherung aller in die lebendige Gemeinschaft der Kirche eingebracht werden, wobei deutlich ist, daß die eine Kirche in dieser lebendigen Gemeinschaft auf die noch eindeutigere Führung durch den Heiligen Geist hoffen darf, um seinen Willen zu erfahren." „Der Ordnung . . . des feierlichen Gründungsgottesdienstes für die Union einschließlich der Amtervereinigung ... stimmen alle sich an der Union beteiligenden Kirchen zu, nicht weil es sich dabei um die einzige mögliche Art und Weise handelt, die Union zu vollziehen, sondern weil dieser Schritt der vorgegebenen Situation in Nordindien (und Pakistan) gerecht wird und besonders gegenseitige Demutsbezeugungen und Reue, das Warten auf Gott und das Gebet für die schöpferische und erneuernde Kraft des Heiligen Geistes feierlich bekräftigt." Vielleicht können zwei Abschnitte aus der Erklärung über den Weg zur Einheit, die der Basis von Ghana entlehnt sind und dem gleichen Vorwort entstammen, den Gesichtswinkel verdeutlichen, von dem aus die Kirche von Nordindien betrachtet werden muß. * „ W i r suchen die Union, weil wir glauben, daß die Wiederherstellung der sichtbaren Einheit der Kirche auf Erden dem Willen Gottes entspricht, und weil wir glauben, daß der Heilige Geist uns führt, um die Unterschiede zu beseitigen, die uns gegenwärtig noch trennen. Unser Herr Jesus Christus betete:... auf daß sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir; daß auch sie in uns seien, damit die Welt glaube, du habest mich gesandt (Joh. 17, 21)." „Wir glauben, daß die Einheit, zu der Gott uns führt, die Kirche von Nordindien/Pakistan zu einem wirksamen Werkzeug seiner Arbeit machen wird, das stärker darauf aus und kraftvoller ist, durch Wort und Tat das Evangelium Jesu Christi zu verkündigen, das von mehr Nächstenliebe und Frieden erfüllt und durch den Gottesdienst und die Gemeinschaft bereichert wird." Einige Merkmale des Unionsplanes, der die Verfassung der Kirche von Nordindien enthält, sollen nun noch kurz erwähnt werden. Die theologische Basis ruht, wie schon angedeutet, auf dem „Quadilateral", nämlich auf den Schriften des Alten und Neuen Testamentes „als dem von Gott inspirierten Wort, das alle für das Heil notwendigen Dinge enthält und die höchste und maßgeblichste Richtschnur des Glaubens darstellt"; den Glaubensbekenntnissen, die gemeinhin als Apostolicum und Nicänum bezeichnet werden, die „den Glauben bezeugen und ihn bewahren";

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die beiden vom Herrn eingesetzten Sakramente Taufe und Abendmahl, und auf einem dreifach gegliederten ordinierten Amt mit den Abstufungen Bischof, Presbyter und Diakon, wobei das Bischofsamt als historisch und konstitutiv betrachtet wird. Die gleich zu Beginn erfolgte Vereinigung der Ämter wurde möglich durch die ausdrückliche. gegenseitige Anerkennung der Ämter und durch gegenseitiges Handauflegen unter Gebet zu Gott, er möge jedem Amt die notwendige Gnade und Vollmacht in der Kirche Gottes innerhalb der Kirche von Nordindien schenken. Demut und erwartungsvolle Haltung sind die Ecksteine dieses einzigartigen Gottesdienstes. Hinsichtlich der kirchlichen Struktur gelang es, episkopale, presbyteriale und kongregationalistische Grundsätze durch die Errichtung einer gänzlich synodal verfaßten Kirche zu harmonisieren, wobei die Laien angemessen vertreten sind - Männer und Frauen und Jugendliche auf allen kirchlichen Ebenen - , und dadurch, daß den Ortsgemeinden Beweglichkeit zu Experimenten garantiert wurden. Durch die Ernennung ständiger Ausschüsse wurde die Möglichkeit geschaffen, an den theologischen Erkenntnissen weiterzuarbeiten, Gottesdienstexperimente durchzuführen und die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche aufzugreifen. Die Rücksicht auf Gewissensentscheidungen wurde in Fragen des örtlichen Gottesdienstes und der liturgischen Formen sowie bei der Be*rufung von Pfarrern weitgehend gewährleistet. Andere kontroverse Fragen, die sich etwa aus der Freigabe des Taufalters und aus der Ordination der Frau ergaben, wurden der Synode der Kirche unter Leitung des Heiligen Geistes anvertraut. Die Verfassung der Kirche garantiert die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat in ihrem inneren Leben und in geistlichen Angelegenheiten und ruft den Mitgliedern der Kirche gleichzeitig ihre sozialen und nationalen Verpflichtungen ins Bewußtsein. Die Kirche erklärte ihre Bereitschaft zu einer umfassenderen Union und nahm die Verpflichtung auf sich, „auch in Zukunft am Wachsen der sichtbaren Einheit der Kirche Christi zu arbeiten". Deutlich und ausdrücklich wurde die Hoffnung auf volle Abendmahlsgemeinschaft mit der Kirche von Südindien, der Church of Pakistan, der geplanten Church of Lanka (Ceylon) und mit den Mutterkirchen geäußert. Für die finanzielle Verwaltung werden Zentral-, Regional- und Diözesanämter eingerichtet, wobei man sich von der Hoffnung tragen iäßt, daß die personelle und finanzielle Hilfe aus Übersee in Zukunft über einen zentralen Verteiler läuft. Ein ständiges Programm für Haushalterschaft wird strikt durchgeführt. Der Rücktritt der Methodist Church in Southern Asia wirkte sich auf den Verlauf der Diözesangrenzen und die

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Zahl der Diözesanbischöfe (zur Zeit 17, von denen einige gegenwärtig mehr als eine Diözese verwalten) aus. Er bedeutet auch eine Verringerung der personellen und finanziellen Mittel, die diese Kirche beigesteuert hätte. Die Synode der Kirche von Nordindien wird im Blick auf die Praxis noch viele Einzelheiten auszuarbeiten haben, aber sie hätte sich keinen besseren Beginn wünschen können, als sich von Fürbittgebeten aus vielen Himmelsrichtungen getragen zu wissen.

Was kann man von der Kirche von Nordindien erwarten? Es ist noch zu früh, eine solche Frage zu stellen. Vielleicht ist es noch nicht einmal angebracht, da „der Geist weht, wo er will" und Gottes Geist die Kirche zu unerwarteten Höhen führen kann. Andererseits kann menschlicher Unverstand noch nie dagewesene Probleme schaffen. Glücklicherweise ist die Zukunft unserer Kirche nicht völlig in unsere Hände gelegt, und wir können sicher sein, daß der, der ein gutes Werk in diesem Glaubensunternehmen begonnen hat, es auch bis zum Tage Jesu Christi vollenden wird. Aber wir können der Frage nicht ganz ausweichen. Deshalb wird es gut sein, mit einigen negativen Bemerkungen zu beginnen. Man darf nicht erwarten, daß die Kirche nun alle Probleme lösen kann sie wird noch nicht einmal davor geschützt sein, wieder neue zu schaffen. Schließlich ist der himmlische Schatz in irdische Gefäße gelegt. Sie kann keinen eindeutig richtigen Weg anbieten, die Probleme der christlichen Zerspaltenheit zu lösen. Mit Hilfe der Vorsehung Gottes können noch wirksamere Mittel gefunden werden. Die Kirche wird in naher Zukunft im Bereich der Theologie und des Gottesdienstes wohl kaum eine wirklich einheimische, indische Kirche werden können. Man kann auch nicht von ihr erwarten, innerhalb kurzer Zeit die verschiedenen Aspekte ihres Lebensraumes zu integrieren. Selbst die Gottesdienstformen werden sich wahrscheinlich nur langsam ändern. Schließlich brauchte die Kirche von Südindien 20 Jahre, um ein eigenes Gebetbuch zu erarbeiten. Es ist auch unwahrscheinlich, daß die Kirche sich innerhalb der nächsten zehn Jahre finanziell selbst wird tragen können. Auf der positiven Seite aber darf man verbuchen, daß die Kirche dem Willen unseres Herrn zumindest einen Schritt nähergekommen ist und weiterhin zeichenhaft die Berufung der Kirche zur Einheit darstellt. Sie wird ein Zeichen dafür sein, daß die Kirche nicht eine statische Institution ist, sondern ein pulsierender Organismus, der lebt und sich stän-

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dig in Bewegung befindet und sein Vorhandensein im Herrn der Geschichte selbst begründet weiß, der sie mit einem dynamischen Glauben erfüllt. Sie wird eine gut gelungene Mischung aus alten und neuen Elementen verkörpern. Keine der zentralen Wahrheiten über Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist, die Schrift und das ordinierte Amt wird preisgegeben. Nichts, das seinen Wert in der Praxis und der Tradition unter Beweis stellte, wird übersehen. Aber sie wird darum nicht einfach eine Anhäufung alter Vorstellungen sein - sie ist eine neue Schöpfung in Christus. Deshalb ist es falsch, sie nach den bestehenden Maßstäben zu beurteilen. Wenn die Mittel gerecht verteilt werden und die Planung koordiniert wird, ist sie in der Lage, wirksames Zeugnis für die verwandelnde Kraft Christi abzulegen und Pioniervorhaben in Gang zu setzen, mit denen der Bürgergemeinde und dem Staat gedient werden kann. Wenn sie von den besonderen Gaben der Laien, der Männer, Frauen und der Jugend Gebrauch macht und die Fähigkeiten der ordinierten Amtsträger - bezahlter und ehrenamtlicher - wirklich ausschöpft, kann sie ein eindrucksvolles Bild der Kirche als dem Volk Gottes in Indien abgeben. Da sie innerhalb der eigenen Grenzen Versöhnung gefunden hat, wird sie ein Versöhnungsamt ausüben können, das in diesem Land wahrlich dringend benötigt wird. Schließlich wird sie diejenigen in Unruhe versetzen und provozieren, die für eine christliche Wiedervereinigung bis jetzt nur wenig oder gar kein Interesse gezeigt haben. Die Kirche von Nordindien ist mit Sicherheit eine Tat Gottes und in unseren Augen ein wunderbares Bauwerk.

VERZEICHNIS Vorläufige Anschrift der Kirchenleitung Inter-Mission Business Office, 364 Dr. D. Naoroju Road, P. O. Box 92, Bombay 1 BR. (Voraussichtlich wird die Kirchenleitung ihren ständigen Sitz bald in Neu-Delhi haben!). Mitglieder der Kirchenleitung Moderator: Bischof Eric S. Nasir, Bischofssitz: 1 Church Lane, NeuDelhi 1. Generalsekretär: A. C. Dharmaraj. Schatzmeister: E. M. Fasnacht, Inter-Mission Business Office. Zentrale Behörden und Verwaltungsorgane: Exekutivausschuß. C. N . I. Trust Association. Finanzausschuß.

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8 Ämter (Theologie, Höhere Bildung und Lehrerausbildung, Ausbildung für Grundschul- und Mittelschullehrer, Gesundheitswesen, technische Ausbildung, Diakonie, Landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung, Literatur und Massenkommunikation). 3 Kommissionen (eine theologische, eine liturgische, eine Kommission für Glauben und Leben). Weitere Ausschüsse für Rechtsfragen, Evangelisation, religiöse Unterweisung, Haushalterschaft, Gemeinsame Aktion für Mission, Frauen- und Jugendarbeit. Organisationen: Frauenbund für christliche Diakonie.. Jugendvereinigung (noch ohne Namen). Theologische Colleges: Bischofs-College Kalkutta: Bischof Hubback Theological Colleges, Ranchi; Union Theological School, Barisha, Kalkutta; Verbindungen mit anderen Unionskirchlichen Institutionen wie dem College in Serampore. Höhere Schulen: St. Columba's College, Hazaribagh, Bihar; St. Stephen's College. Delhi; Indore Christian College, Indore, N. P.; Ahmednagar College, Ahmednagar, Mah.; Hislop College, Nagpur, Mah.; Wilson College, Bombay, Mah.; Christ Church College, Kanpur'U. P.; Ewing Christian College, Allahabad, U. P.; St. Andrew's College, Gorakhpur, U. P.; St. John's College, Agra, U. P.; Bankura Christian College, Bankura, W. Bengal; Scottish Church College, Calcutta, W. Bengal; St. Paul's College, Calcutta, W. Bengal. Hauptorgan: North India Churchman (erscheint monatlich). Offizieller Verlag: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge, P. O. Box I5f85, Kashmere Gate. Delhi 6.

LITERATUR Forward to Union, Delhi. Plan of Church Union in North India and Pakistan. 4. Auflage. Madras. James Kellock: Breakthrough for Church Union. Madras 1965.

Kapitel 15 DIE C H U R C H OF P A K I S T A N ANWAR M . BAHKAT

as Aufkommen der ökumenischen Bewegung stellt einen unvergleichlichen, großartigen Tatbestand der Gegenwart dar, dem für die Kirchengeschichte und die Welt umwälzende Bedeutung zukommt. Die ökumenische Bewegung hat die Einheit der Kirche neu ins Bewußtsein gerufen - trotz nationaler, regionaler, denominationeller und sektiererischer Spaltungen. Das Näherrücken der verschiedenen Kirchen hat dazu beigetragen, die starre Haltung mancher Denominationen und die ekklesiologischen Unterschiede stark zu verringern, so daß erforderliche Gespräche nicht nur zwischen protestantischen Denominationen, sondern auch zwischen Katholiken und Protestanten stattfinden können. In unzähligen Fällen arbeiten die katholische und die protestantischen Kirchen sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene zusammen. Der Erfolg der ökumenischen Bewegung darf daran gemessen werden, daß der Vatikan ernsthaft die Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Träger der ökumenischen Bewegung, erwägt. Oft wird behauptet, daß sich seit Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam keine größere Kirchenunion mehr vollzogen habe. Die Gründung der Kirche von Nordindien und der Church of Pakistan haben dieser Kritik jeden Boden entzogen. Die Church of Pakistan wurde an Allerheiligen, dem 1. November 1970, und die Kirche von Nordindien - ohne die Methodisten - am 29. November 1970 feierlich konstituiert. Die Church of Pakistan unternahm also den ersten Schritt zur Erlangung ihrer Selbständigkeit, so daß sie nun ihren eigenen, spezifischen Beitrag zur Theologie und zur Missionsarbeit der weltweiten Kirche leisten kann.

Die

Verhandlungen

Es ist nicht einfach, die Geschichte der Kirchenunionsverhandlungen kurz zusammenzufassen. Diese Geschichte erstreckt sich über die letzten vierzig Jahre. Die erste Konferenz fand 1919 in Tranquebar statt und

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führte zur Union der kongregationalistischen und presbyterianischen Kirchen, die dann 1924 zusammen die United Church of India bildeten. Diese Kirche ließ auch an andere Kirchen Einladungen ergehen, um gemeinsam zu klären, was es bedeutet und wohin es führen könnte, an der in Christus gegebenen Einheit teilzuhaben. Das 1929 begonnene Rundgespräch setzte eine ganze Reihe von Konferenzen, Begegnungen und Gesprächen in Gang, die wiederum die Ausarbeitung und die Annahme eines Planes für die Kirchenunion zur Folge hatten. Diese Bemühungen wurden durch die Gründung der Kirche von Südindien im Jahre 1947 noch kräftig angeregt und unterstützt. Auf Grund dieses konkreten Impulses und des Beispiels der Kirche von Südindien legte der Verhandlungsausschuß in Nordindien und Pakistan im Jahre 1951 einen Plan vor, der 1954, 1957 und schließlich 1965 überarbeitet wurde. Die verhandelnden Kirchen waren die Church of India, Pakistan, Burma and Ceylon (die Anglikanische Kirche), die Church of the Brethren, die Disciples of Christ, der Rat der Baptistenkirchen von Nordindien, die Britischen und Australischen Konferenzen der Methodistenkirche, die United Church of North India (die historisch auf die United Presbyterian Church in den Vereinigten Staaten zurückgeht) und die Methodist Church in Southern Asia. Drei dieser Kirchen waren auch in Pakistan vertreten, außerdem faßte noch die Lutherische Kirche in Pakistan den Entschluß, der Union ein paar Wochen vor ihrer Konstituierung beizutreten. Zweifellos war dies eine recht bunt zusammengesetzte Gruppe von Kirchen, die sich nach Herkunft und Struktur stark voneinander unterschieden. Die vierte, revidierte Fassung des Unionsplanes kam durch zähe Ausdauer und nach sehr sorgsam geführten Verhandlungen zustande. Verschiedentlich hatte es den Anschein, als ob die Verhandlungen einen toten Punkt erreicht lütten und keinen Fortschritt mehr erzielen würden. Aber der Geist Gottes half immer wieder, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, in der man sich .verstehen und Vergeben konnte. Im Bereich von Glauben und Kirchenverfassung stieß man vor allem auf drei schwierige Fragen: 1. Der Stellenwert des Bischofsamtes, 2. Die Anerkennung der Ämter der verschiedenen Kirchen, 3. Die Tradition der Säuglings- bzw. der Glaubenstaufe. Der endgültige Plan ermöglichte es jeder Gemeinde, ihre eigene Gottesdienstform zu wählen. Die Struktur der Kirche kann als Mischung aus episkopalen, presbyterialen und kongregationalistischen Elementen gelten. Jede praktizierte Taufform ist gestattet und wird anerkannt - Säuglings- oder Erwachsenentaufe, die durch Untertauchen oder Benetzen

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vollzogen werden kann. Die Pfarrer sind von einem Bischof ordiniert und den Pfarrern in England gleichgestellt. Den Laien kommt der ihnen angemessene Platz zu. Laienvertreter, Männer und Frauen, stellen ihren Dienst den Pastoralausschüssen zur Verfügimg, die für die geistlichen und aktuellen Fragen der Ortsgemeinde verantwortlich sind. Sie dienen in mindestens ebenso großer Zahl wie die ordinierten Pfarrer auch im Diözesanrat, der für die laufenden Geschäfte der Diözese verantwortlich zeichnet. Selbst auf der Synode, dem höchsten Leitungsorgan der Kirche, ist jede Diözese durch nicht weniger als zwei Laien vertreten. Auf Grund der Anerkennung, die der Stellung der Laien in der Church of Pakistan zuteil wird, wählte die Synode einen Laien zu ihrem ersten Generalsekretär.

Eine ökumenisch orientierte Kirche

Die Church of Pakistan ist eine ökumenisch orientierte Kirche. Zwei ihrer Bischöfe waren ehemalige Generalsekretäre des Westpakistanischen Christenrats. Ihr erster Generalsekretär war einmal Direktor des Ökumenischen Instituts des Ökumenischen Rates der Kirchen in Bossey gewesen. Damit folgt die Church of Pakistan der ökumenischen Gesinnung, die durch die Tradition und die kirchliche Praxis der sieben verhandelnden Kirchen zum Ausdruck kam, die alle an der Gründung und der Arbeit von Organisationen wie dem ehemaligen Internationalen Missionsrat und dem Ökumenischen Rat der Kirchen beteiligt waren. Die Church of Pakistan hat bereits um Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat nachgesucht und ist sicher, sie zu erhalten, wenn die nächste Vollversammlung stattfindet. Sie weiß sich der Entwicklung der ökumenischen Bewegung sowohl im eigenen Land als auch über dessen Grenzen hinaus verpflichtet. Im eigenen Land forderte die Kirche eine Neugliederung und Umstrukturierung des Westpakistanischen Christenrats in einen Rat von Kirchen, damit er so auch wirklich ein repräsentatives Organ der verschiedenen Kirchen darstellt. Jenseits der Landesgrenzen möchte die Kirche an all den Bestrebungen teilhaben, die die ökumenische Arbeit dadurch erweitern und ausdehnen, daß sie die internationalen und interkonfessionellen Verbindungen der ökumenischen Organisationen noch weiter ausbauen. Die Church of Pakistan weiß um die einzigartige Lage, in die Gott sie versetzt hat. Sie befindet sich mitten im größten mohammedanischen Staat der Welt, der ganz bewußt versucht, den Islam den Menschen in konkreten Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens ein-

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zuimpfen. Die Kirche zeigt an diesem ungeheuer bedeutsamen Versuch großes Interesse und möchte in Zukunft mit der mohammedanischen Welt in Pakistan in einen ernsthaften Dialog über religiöse, politische und gesellschaftliche Fragen treten. Durch diesen Dialog hofft die Kirche von Pakistan die Bedeutung des Wortes „Ökumenizität" mit neuem Inhalt zu füllen, da es ja die ganze Menschheit einschließen sollte. Die Church of Pakistan möchte völlig autonom bleiben, ist aber gleichzeitig sehr darauf bedacht, Teil der weltweiten Kirche zu sein. Sie hegt nicht die Absicht, ihre Eigenständigkeit um der ökumenischen Kontakte willen zu kompromittieren. Sie möchte ihre internationalen Verbindungen weiter pflegen, um der weltweiten Mission Christi mehr Bedeutung zu verleihen, möchte diesen Missionsauftrag aber auch im eigenen Land nicht verleugnen. Die Verfassung der Church of Pakistan gewährt der Beweglichkeit und der Freiheit einen beträchtlichen Spielraum, so daß die Organisation und Tradition der Kirche den sich verändernden Bedürfnissen angepaßt werden können. Die pakistanische Gesellschaft ist stark in Bewegung geraten, Veränderungen vollziehen sich innerhalb und außerhalb der Kirche mit großer Geschwindigkeit. Deshalb könnte ein starres Schema für das Leben der Kirche gefährlich werden. Der verfassungsmäßige Rahmen sieht nur ein Minimum an organisatorischer Struktur vor. Der Synode von Pakistan ist ein erhebliches Maß an Entscheidungsbefugnis eingeräumt, um diese Lücken zu füllen, wobei dann jeweils die tatsächlichen Verhältnisse der Church of Pakistan mitberücksichtigt werden können. Es wurden auch Maßnahmen getroffen, auf dem Boden der Heiligen Schrift eine eigenständige Theologie zu entfalten. So setzte schon die erste Synode von Pakistan einen Theologischen Ausschuß ein, der den gesamten Fragenkomplex der theologischen Bildung in der ganzen Kirche überdenken soll. In der ganzen Church of Pakistan gibt es nur ein Theologisches Seminar, und das ist auch nur dem Namen nach ein unionskirchliches Seminar. Die Church of Pakistan ist sich ihrer Grenzen und des Beitrags, den sie leisten kann, wohl bewußt. Sie ist zum Schluß gekommen, daß es nicht genügen kann, Leute für die Arbeit in der Gemeinde auszubilden, wenn man innerhalb der Kirche der Theologie als Wissenschaft einen Platz sichern will. Das Bedürfnis nach einer umfassenderen theologischen Ausbildung, die weit über das hinausgeht, was ein kleines Seminar zu leisten vermag, ist durchaus vorhanden. Die theologische Ausbildung muß die Bildung der Laien in all ihren Lebensbereichen miteinbeziehen. Im Blick auf dieses Ziel empfahl die Theologische Kommission die Errichtung eines Theologischen Instituts, das sich einer theologischen Arbeit

Die Church of Pakistan

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widmet, die den in der pakistanischen Kirche vertretenen Glauben zu bezeugen vermag. Das ist ein in die Zukunft weisendes Ziel, das der Unterstützung der ökumenischen Gemeinschaft bedarf, um verwirklicht werden zu können. Der Theologische Ausschuß erarbeitet ebenfalls eine bekenntnismäßige Erklärung, der die die Church of Pakistan ausmachenden Mitgliedskirchen voll zustimmen können. Es ist keine leichte Aufgabe, ein Glaubensbekenntnis auszuarbeiten, das für ehemalige Anglikaner, Methodisten, Presbyterianer und Lutheraner annehmbar ist, aber in dieser Hinsicht konnte schon ein beträchtlicher Fortschritt verzeichnet werden. Die Church of Pakistan möchte auch ihr gottesdienstliches Leben weiterentwickeln. Der Unionsplan und die Verfassung der Kirche erklärt zu Recht, daß die Church of Pakistan „neue Gottesdienstformen aufnehmen und erarbeiten will, die auf die Bedürfnisse und die im Lande gemachten Erfahrungen zugeschnitten sind". Ein solches Ziel kann nicht über Nacht erreicht werden, sondern erfordert eine fortwährende Reflexion über das Leben der Kirche. Die Church of Pakistan setzte auch einen Ausschuß „Glauben und Leben" ein, um die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens mit dem Alltag und den Problemen der gesellschaftlichen und politischen Existenz des Menschen in Beziehung zu setzen. Er wird ein Licht auf die sozialen, moralischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen werfen, mit denen sich die Kirche eingehend befassen muß. Der Ausschuß wird der Kirche dazu verhelfen, in diesen Angelegenheiten eine prophetische Haltung einzunehmen. Ein Mitglied des Verhandlungsausschusses veröffentlichte vor der Gründung der Church of Pakistan einen Aufsatz. Er führte in prophetischer Weise folgendes über die Hoffnungen und Wünsche der Kirchen aus: „Bei einer Kirchenunion geht es nicht nur um eine organisatorische Übereinkunft, sondern um eine tiefe geistliche Erfahrung, um ein geistliches Abenteuer und ein Wagnis des Glaubens. Die Vollendung der Kirchenunion wird der Anfang und nicht das Ende dieses Wagnisses sein. Wenn die Kirchen zusammenfinden, schlagen sie einen neuen Kurs ein; sie fangen an, als Einheit zusammenzuleben und zu arbeiten. Sie wachsen in eine neue Kirche hinein, in die Church of Pakistan. Wenn sie geistlich auf diesen großen Schritt vorbereitet sind, können Probleme der Kirchenordnung und der Organisation gelöst werden, ohne daß sie das aufkeimende gemeinsame Leben der neuen Kirche zerstören können. Nur geistliche Kraft vermag die Gemeinden und die Christen in die Lage zu versetzen, etwas aufzugeben, an dem sie Freude hatten oder das ihnen viel bedeutete, damit diese substan-

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tiellen Werte, die alle Christen in Christus vereinigen, mit anderen geteilt nnd auf ihnen aufgebaut werden kann. Die vereinigenden Kirchen kommen mit der geistlichen Überzeugung zusammen, daß Gott sie dazu berufen hat, eins zu sein. Die Grundlage dafür ist der Wille Gottes, wie er sich in Christus und der Schrift offenbart. Einheit ist eine Gabe Gottes. Das Volk Gottes muß sich geistlich darauf einstellen, diese Gabe zu empfangen. Diese Vorbereitung ist nur dann wirksam, wenn sie auf der lokalen Ebene in der Ortsgemeinde erfolgt. Sie darf nicht Kirchenführern überlassen bleiben - wir müssen sie selbst übernehmen. Wir - das bezieht natürlich nicht nur die Mitglieder unserer jeweiligen' Denomination ein, sondern auch alle anderen Gemeinden in der Umgebung, die zu einer der sich vereinigenden Kirchen gehören. Wenn wir uns gemeinsam auf diese Gabe Gottes vorbereiten, sollten wir eigentlich damit aufhören, in dem alten Schema .Wir' und ,die anderen' zu denken - , sondern nur noch als ,wir\ da wir ja gemeinsam beten und arbeiten lernen. Die Kirche lebt und wächst, wenn sie ihren Sendungsauftrag an der Menschheit erfüllt. Wenn die Kirchen in Pakistan im Gehorsam gegenüber Gott und unter Führung des Heiligen Geistes in wachsendem Maße gemeinsam dieser Aufgabe nachkommen, wird ihre Einheit dieses Zeugnis noch verstärken. In dem heutigen Pakistan ist die Kirche dazu berufen, dem ganzen Land ein gemeinsames Zeugnis abzulegen. Das ist das Ziel und das Ergebnis der Union." Die Kirche befindet sich in Pakistan auf dem Vormarsch. Die Zukunft wird über den Wert ihres Lebens urteilen und erweisen, ob es wirklich richtig war, diesen „Glaubenssprung" zu wagen, den sie mit der Gründung der Union getan hat. Die Union ist ein Glaubenswagnis, das seine Enttäuschungen und Erfolge mit sich bringen wird. Sie schreitet in der festen Gewißheit voran, daß in Wirklichkeit der Herr selbst ihr eigentlicher Führer und ihr Ziel ist.

VERZEICHNIS Kirchenleitung: Moderator: Bischof Inayat Masih, Bischof von Lahore. Stellvertretender Moderator: Bischof J. V. Samuel, Bischof von Multan. Generalsekretär: Dr. Anwar Barkat, Rektor des Forman Christian College, Lahore 16, West Pakistan. Schatzmeister im Ehrenamt: Karrer George W . Mall. Die Kirche verfügt über einen Exekutiv- und einen Finanzausschuß.

Kapitel 16 DIE B E D E U T U N G DER

KIRCHENUNIONEN

JOHN W E B S T E R G R A N T

ach der Lektüre der vorangegangenen Kapitel dieses Büches ist man im Blick auf die Unierten Kirchen vor oberflächlichen Verallgemeinerungen gewarnt. Die in diesen Kapiteln vorgestellten Kirchen sind alle stark geprägt vom Naturell der sie konstituierenden Kirchen, von den äußeren Umständen, unter denen sie zustande kamen, von den Motiven und Plänen ihrer geistigen Väter und nicht zuletzt von den ersten Erfahrungen nach dem Zusammenschluß, als sie sich auf die Suche nach angemessenen Mitteln und Wegen begeben mußten, Gott in einer sich verändernden Welt zu dienen. Jede Unierte Kirche bedeutet jeweils einen Schritt ins Unbekannte, und alle spiegeln den Versuch wider, den Bedürfnissen einer in sich einzigartigen Situation gerecht zu werden. Im Gegensatz zu den kirchlichen Gruppierungen, die in anderen Bänden dieser Reihe behandelt werden, verstanden sich die Unierten Kirchen nie als Glieder einer weltweiten Konfessionsfamilie und wollten sich selbst auch nie so verstehen. Sie gründeten niemals Organisationen, die dem Lutherischen Weltbund oder dem Weltbund der Baptisten vergleichbar wären, noch wurde jemals ernsthaft ein Vorschlag gemacht, der auf eine solche Organisation abzielte. Die Unierten Kirchen weisen aber trotz ihrer Abneigung, sie formell zum Ausdruck zu bringen, wichtige Bestandteile einer gemeinsamen Identität auf. Sie führen ihre Entstehung alle auf ihr Bemühen »im die christliche Einheit zurück, das sich in den letzten zwei Jahrhunderten in der Kirche ausgebreitet hat. Auf Grund konkreter Erfahrungen kennen sie alle die Macht einer fest zementierten Zerspaltenheit und die Erleichterung, wenn dieser schon zur Gewohnheit gewordene Zustand aufgebrochen werden kann. Sie verstehen sich alle als Übergangsformen, die auf eine noch umfassendere Ausdrucksform der christlichen Einheit in der Zukunft hinweisen. Obwohl auf die Gesamtzahl der Unierten Kirchen nur wenige Verallgemeinerungen zutreffen, kehren in ihrer Geschichte doch einige Themenbereiche mit bezeichnender Häufigkeit wieder. Die Mitglieder der Unierten Kirchen sind sich in zunehmendem Maße

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der Bindeglieder bewußt, die ihnen durch ihre gleichen Erfahrungen auferlegt worden sind. Auf Konferenzen der Weltkonfessionsbünde und des Ökumenischen Rates der Kirchen entdecken ihre Delegierten oft, wie ähnlich ihre Auffassungen sind, und sie sprechen während der Verhandlungspausen auf den Korridoren dann darüber. Auf gelegentlichen Konferenzen, wie etwa derjenigen, die 1970 in Limuru in Kenia stattfand, können sie sich untereinander und mit denen, die irgendwo ähnliche Unionen planen, über ihre gemeinsamen Anliegen austauschen. Die Unierten Kirchen fangen nun an - hauptsächlich ausgelöst durch die Initiative der deutschen Unierten Kirchen - häufigere und formellere Kontakte miteinander zu suchen. Es ist unwahrscheinlich, daß diese wachsende Kenntnis voneinander zur Entstehung einer weiteren Organisation führen wird, mit deren Hilfe ein Teil der Kirche die Möglichkeit seiner jeweiligen Einflußnahme sondieren könnte. Aber es ist denkbar, daß dieses Bewußtsein eine Richtung anzeigt, in der sich eines Tages die gesamte Kirche bewegen könnte.

Der Unionsvollzug Die erste Aufgabe einer Unierten Kirche besteht darin, die ungleichen Teile, aus denen sie sich zusammengesetzt weiß, in eine einzige Organisation zu verschmelzen, die in der Lage ist, die Kirche der Welt gegenüber zu vertreten. Diese Aufgabe fiel nie leicht, und sie wurde selten erfüllt, ohne daß ein Verlust an Spannkraft oder an Bereitschaft zur Mitarbeit eingetreten wäre. Zuweilen nahmen diese Einbußen, die vor und nach dem Zusammenschluß zu verzeichnen waren, ein beträchtliches Ausmaß an. Minderheiten innerhalb einer oder mehrerer der die Union konstituierenden Kirchen lehnten es gelegentlich ab, der Union beizutreten. In Kanada machten die Anti-Unionisten annähernd ein Drittel der größten Kirche aus, die sich an der Union beteiligte. In Südindien führte das in letzter Minute erfolgte Ausscheiden der anglikanischen Diözese von Nandyal zu einem Schock, weil dies ein völlig unerwarteter Rückschlag war, wenn er auch zahlenmäßig nicht stark ins Gewicht fiel. In den Vereinigten Staaten vermochte eine relativ kleine, aber wohlhabende Gruppe von kongregationalistischen Dissidenten die Gründung der United Church of Christ um mehrere Jahre zu verzögern. Solche Meinungsverschiedenheiten entzogen den Unierten Kirchen nicht nur die erhoffte Unterstützung, sondern dämpften auch die Freude über das Zustandekommen der Union und ließen nachhaltige, bittere Ressenti-

Die Bedeutung der Kirchenunion

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ments zurück. Manchmal widerriefen selbst noch nach dem Zusammenschluß an der Gründung beteiligte Gruppierungen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit, wie etwa zeitweilig in den Philippinen und-bis zum heutigen Tag - in Japan. In anderen Fällen verließen einzelne Christen, die sich nicht bereit erklären konnten, einer Unierten Kirche beizutreten oder die mit ihrem Zustandekommen nicht einverstanden waren, ohne großes Aufheben die Kirche, um anderswo eine ihren Vorstellungen eher entsprechende Gruppe zu suchen. Diejenigen, die den Beitritt in eine Unierte Kirche zustimmen können, sehen sich unverzüglich schwerwiegenden Problemen gegenüber, die die notwendige Neuorientierung mit sich bringt. Eine Gemeinde, die von ihrer kirchlichen Tradition her völlig autonom war, kann sich nun unter die Obhut eines Pfarrers gestellt sehen, der es gewohnt war, autokratische Macht auszuüben. Ein gesetzgebendes Organ kann nun aus Delegierten bestehen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise Entscheidungen zu fällen pflegten. Pfarrer wie Gemeinden müssen vielleicht neu lernen, künftig mit einer ihnen nicht vertrauten Methode der Pfarrerberufung auszukommen. Kirchenbeamte müssen ganz bestimmt unvereinbare Arbeitsverfahren zu harmonisieren versuchen und sich überschneidende Kompetenzbereiche aussondern, wenn sie einen arbeitsfähigen Verwaltungsapparat aufbauen wollen. Ein noch so sorgfältig ausgearbeiteter Unionsplan kann nie soviel Hilfestellung geben, damit das Durcheinander bei Verfahrensfragen in den ersten Jahren des gemeinsamen Miteinanderlebens vermieden werden könnte. Noch weniger kann er die Möglichkeit einer Erschütterung im kulturellen Bereich abwenden, die als Folge der Vermengung unterschiedlicher Frömmigkeitsbegriffe und Typen religiöser Ausdrucksformen entstehen kann. Vieles muß einfach improvisiert werden, und die sich daraus ergebenden U n sicherheiten werden selbst nicht zu unterschätzende Unruheherde sein. Dr. Arndt vermerkte ja schon im Blick auf die United Church of Christ, daß „rein theologische Unterschiede" als entscheidende Faktoren den Prozeß des Zusammenwachsens nicht erschwert hätten. Kirchenunionen vereinigen menschliche Gruppierungen und nicht nur theologische Standpunkte oder unterschiedliche Theorien darüber, wie eine Kirchenleitung aussehen müßte. Sie bringen deshalb das komplexe Gefüge der Emotionen, der Vorurteile und - noch schwerwiegender - der Verhaltensweisen der Welt gegenüber ins Spiel, das jede Vereinigung von Menschen kennzeichnet und ihr das eigene Selbstverständnis verleiht. Die Planer einer Kirchenunion streben danach, theologische Differenzen zwischen lutherischen und reformierten oder zwischen bischöflichen und nichtbischöflichen Kirchen zu überbrücken. Als noch erschwerender

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erwiesen sich aber in Wirklichkeit die Unterschiede zwischen menschlichen Gruppen, deren Verhalten durch eine Mehrheit ihrer Mitglieder, beispielsweise durch schon lange Ansässige oder neu Eingewanderte, durch Geschäftsleute oder Industriearbeiter, durch Stadt- oder Landbewohner geprägt war. Theoretische Meinungsverschiedenheiten über Strukturfragen erwiesen sich manchmal ebenfalls als weniger widerspenstig als etwa unterschiedliche Auffassungen zwischen Pfarrern und Gemeindegliedern im Blick auf die Zahl und die Art der Initiativen, die sie von den Angehörigen der Kirchenleitungen erwarten konnten, oder hinsichtlich der Form des kommunalpolitischen Engagements, die nach allgemeiner Auffassung für einen Gemeindepfarrer noch vertretbar ist. In den ersten Jahren der United Church of Canada hatte die einfache Tatsache, daß die Methodisten im Gegensatz zu den Presbyterianem die Pfarrhäuser möblierten, ein beträchtliches Maß an Unannehmlichkeiten, wenn auch keine eigentlichen Notlagen verursacht. Die unparteiische Ämterverteilung zwischen den Vertretern der sich vereinigenden Kirchen bildet ein weiterer Punkt, dem unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit zugewandt werden mußte. Selbst im „Haushalt Gottes" entstanden leider durch Diskrepanzen bei den Pfarrergehältern und durch Ruhestandsgeldein Spannungen. Manchmal hat die Notwendigkeit, schwerwiegende theoretische Hindernisse aus dem Weg zu räumen, den Prozeß der Unionsbildung dadurch beschleunigt, daß an die Stelle wirklich offener Fragen Lappalien traten. Die Wachstumsprozesse, die zur Kirchenunion führten, sind zu vielschichtig, als daß ein ein für allemal gültiges Erfolgsrezept angeboten werden könnte, aber bestimmte Faktoren scheinen sich doch als hilfreich oder als hinderlich erwiesen zu haben. Der Fortschritt Unierter Kirchen ist erschwert und ihre Existenz selbst gefährdet worden, wenn - wie in Japan oder den Philippinen - auch nur der Verdacht eines Druckes von außen aufkam. Schon wenn führende Persönlichkeiten einzelner Denominationen andeuteten, es werde ein ungebührlicher Druck ausgeübt, genügte das oft, um die Begeisterung vieler Kirchenglieder für die Union zu dämpfen. Kirchen, die ihre Existenz der neueren Missionsarbeit verdanken, machten die Entdeckung, daß ihre Abhängigkeit von westlichen Gesellschaften im Bereich finanzieller und personeller Unterstützung ein sehr ernst zu nehmender, die Union erschwerender Faktor war, besonders dann, wenn die Verantwortlichen dieser Gesellschaften die Begeisterung für die Union nicht teilten. In Südindien verursachte das unerwartete Einstellen der Hilfe durch die Gesellschaft zur Förderung des Evangeliums ein schwerwiegendes Schisma, das die Unionsgründung

Die Bedeutung der Kirchenunton

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belastete. Mehrere Austritte aus dem Kyodan in Japan wurden unmittelbar dem Verlangen einiger amerikanischer Geldgeber zugeschrieben, eine gewisse Kontrolle über ihre Missionsarbeit weiter ausüben zu können. Selbst da, wo gar niemand eine Kirchenunion verhindern wollte, führte der feste Wille der Missionsgesellschaften, ihren starken Einfluß nicht aufzugeben, dazu, die Effektivität einer Kirchenunion zu verringern. Lokale Gruppen vermochten sich kaum völlig an die Unierten Kirchen zu binden, wenn sie - wie etwa in China - engere Verbindungen mit den sie unterstützenden Denominationen im Westen unterhielten als mit anderen Teilen der einheimischen Kirche, der sie ja angehörten. Der schon früh aufgekommene Brauch, Ortsgemeinden der Church of Christ in China in Klammern mit denominationellen Bezeichnungen zu versehen, stellt nur ein Beispiel dieser nach Ubersee reichenden Bindung dar, und man kann vermuten, daß es vielen Christen lange Jahre hindurch natürlicher schien, sich mit ihrem traditionellen denominationellen Namen zu identifizieren als mit dem eher schattenhaften der Church of Christ in China. Andererseits konnten Unierte Kirchen mit gutem Erfolg sehr schnell auf die Konsolidierung zugehen, wenn die sie konstituierenden Kirchen ihre jeweils eigenen Identitäten freiwillig und im ganzen Umfang an die Union abtraten. Der Gründung der United Church of Canada ging eine der heftigsten Kontroversen voraus, die je von einem Vorschlag für eine Kirchenunion ausgelöst worden war. Die Zustimmung zur Union \yar alles andere ab einmütig, und zwei ihrer Gründungskirchen standen eine lange Wartezeit durch, die einen Großteil der anfänglichen Begeisterung für die Kirchenunion wieder verfliegen ließ. Kaum aber war die Union vollzogen, wurden alle zur Verfügung stehenden Mittel im ganzen Umfang vereinigt, und die vorhandenen denominationellen Etikettierungen verschwanden völlig. Viele Gemeinden hatten schon gemeinsame Mitgliederkarteien, und die Uberschreibung vieler Glieder aus presbyterianischen Gemeinden, die gegen einen Beitritt zur United Church of Canada gestimmt hatten, erhöhte die Zahl der Gemeinden stark, die sich aus verschiedenen denominationellen Traditionen zusammensetzten. Obwohl auch nach fünfzig Jahren Kirchenunion noch einige Bewußtseinsreste an frühere konfessionelle Bindungen vorhanden sind, gingen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der United Church of Canada bald nicht mehr direkt auf sie zurück. Wenn auch die durch die Angleichung entstandene Belastung manchmal die Moral der Unierten Kirchen untergrub, half doch eine ernsthafte Notlage gewöhnlich dazu, die Kirche wieder zusammenzufügen. Der in letzter Minute erfolgte Wegfall der finanziellen Unterstützung durch die

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Gesellschaft zur Förderung des Evangeliums in Südindien ist als ein Spannungsherd schon erwähnt worden. Andererseits bedeutete die Entscheidung der Missionare dieser Gesellschaft, trotz des Verlusts ihres Gehalts ihren Dienst weiter auszuüben, einen enormen Auftrieb für die noch in den Kinderschuhen steckende Kirche von Südindien, und die Übernahme der Verantwortung für diese Missionare durch Gesellschaften, die früher als Konkurrenten betrachtet worden waren, demonstrierte eindrucksvoll die Solidarität und das Vertrauen, das man in die Union setzte. In Kanada lieferte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nur vier Jahre nach der Unionsgründung ausreichend Gelegenheiten, der Gemeinschaft handgreiflich Ausdruck zu verleihen, was vielen Mitgliedern dazu verhalf, ihre emotionalen Bindungen nun auf die neue United Church of Canada zu übertragen. Der Versuch der Nationalsozialisten in Deutschland, die Kirche in den dreißiger Jahren unter ihre Kontrolle zu bringen, zeigte - obwohl die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union besonders unter Druck gesetzt wurde - auch die Wirkung, daß viele ihrer Glieder angeregt wurden, das Bündnis der Union wieder neu schätzen zu lernen. Freilich muß eingeräumt werden, daß ähnliche Versuchungen sich auch so auswirkten, daß sie andere Christen in ihrem Sonderdasein noch bestätigten. Die Unierten Kirchen waren Zeit ihres Bestehens inneren Belastungen ausgesetzt, aber in dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht von anderen Kirchen. Bezeichnenderweise gingen die schwersten Spannungsherde nur gelegentlich, wenn überhaupt auf die ursprünglichen denominationellen Unterschiede zurück. In Deutschland verlief die entscheidende Trennlinie in den Unierten Kirchen im ganzen 19. Jahrhundert zwischen den theologisch Liberalen und Konservativen, aber nicht zwischen Lutheranern und Reformierten. Dr. Reynolds stellte fest, daß in der United Church of Canada unterschiedliche Verhaltensweisen am ehesten nach Regionen oder nach dem Unterschied zwischen Stadt und Land beschrieben werden können. Die Spannungen in Sambia waren auf die industrielle Entwicklung und die Rassenunterschiede zurückzuführen. In Südindien verliefen sie entlang der Kastengrenzen. In jüngster Zeit bekam der Kyodan ganz konkret die Auswirkungen des hinreichend bekannten Generationenkonfliktes zu spüren. Es fällt schwer, Kirchen zu nennen, die nicht unter ähnlichen Spannungen zu leiden haben. Hatten die Unierten Kirchen einmal das negative Primärerlebnis des sich Aufeinandereinstellens überstanden, dann legten die meisten von ihnen eine bewundernswerte Stabilität an den Tag. Dies konnte zunächst eigentlich nur da erwartet werden, wo - wie etwa in Kanada - das völlige Einswerden der Kirche jede Möglichkeit ausschloß, zum Stand vor der

Die Bedeutung der Kirchenunion

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Unionsgründung zurückzukehren. Aber selbst in Deutschland, w o viele Ortsgemeinden immer noch an den konfessionellen Eigenheiten festhalten, die sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Union einbrachten, vermochten weder äußere Kritik noch innere Krisen der Entschlossenheit der Mitglieder, der Unierten Kirchen Abbruch zu tun, für immer zusammenzubleiben. Die Unierten Kirchen sind schon längst aus dem Versuchsstadium herausgewachsen und haben ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, eine lebensfähige Kirche zu sein. Nur wenige werden überhaupt die Meinung vertreten, eines ihrer größten Probleme bestehe darin, die Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Traditionssträngen aufrecht zu erhalten.

Die Unierten Kirchen in der Vergangenheit

Die erste Frage, die wahrscheinlich an jede Unierte Kirche gestellt wird, lautet: Wie weit gelang es ihr, die Werte, für die die ehemaligen Konfessionen eingetreten waren, unvermindert zu bewahren? Die Frage kann im Blick auf Bereiche wie Kirchenstruktur, Gottesdienst und Glaubensleben gestellt werden, die alle die Grundeinstellung einer spezifischen Denomination ausmachen und in einer Union zwar unauffällig, aber doch erheblich modifiziert werden können. Sie wird gewöhnlich am beharrlichsten in bezug auf Lehrfragen erhoben, die die wesentlichen Züge einer Konfession bestimmen. Die Gegner fast aller Kirchenunions-f plane in der Vergangenheit rechtfertigten ihren Standpunkt mit der Behauptung, die charakteristischen Werte, für die die ehemaligen Denominationen eingetreten sind, würden in einer Union unweigerlich verloren gehen. Selbst noch nach ihrer Gründung mußten sich Unierte Kirchen gegen den Vorwurf der „Bekenntnislosigkeit" zur Wehr setzen, und die meisten Kritiker setzten als selbstverständlich voraus, die mit bestimmten Konfessionen verbundenen Kirchen seien durch eine stärkere dogmatische Prägnanz gekennzeichnet. Die Annahme, eine Kirchenunion bringe zwangsläufig eine dogmatische Unbestimmtheit mit sich oder vernachlässige überkommene Frömmigkeitsformen, entstammt z. T. der tief verwurzelten westlichen Gewohnheit, nach einem institutionellen Schutz für den lieb gewordenen Glauben und die christliche Glaubenspraxis zu suchen, und kann nicht einfach als richtig oder falsch im Räume stehen bleiben. Gewiß stand hinter der Gründung der Unierten Kirchen immer die Absicht, daß sie nun in einer Gemeinschaft die für das christliche Zeugnis wertvollen Glaubensaussagen bewahren sollten, die sie bisher - jede für sich - am Leben erhalten

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Die unierten Kirchen

hatten, und die Verfassungen der Unierten Kirchen sehen fast ohne Unterschied den Fortbestand der schon vorhandenen Bekenntnisse, der Gottesdienstformen und der Kirchenleitungsstrukturen vor. Andererseits kann kaum geleugnet werden, daß das Zustandekommen einer Union die Preisgabe einiger denominationeller Besonderheiten sowie die Bereitschaft, den Verlust weiterer Besonderheiten aufs Spiel zu setzen, erfordert. Besonders in Struktur- und Verfassungsfragen ist es offensichtlich notwendig, eine Wahl unter den Verfahren der sich vereinigenden Kirchen zu treffen. Eine Kirche muß, will sie wirklich eine lebensfähige Kirche sein, Regelungen für die Aufnahmen neuer Mitglieder und für die Ordination der Pfarrer treffen, die dann innerhalb ihres eigenen Bereichs auf allgemeine Anerkennung stoßen. Sie muß sich entscheiden, ob sie Bischöfe haben will oder nicht. Sie muß den regionalen und nationalen Synoden Befugnisse zuweisen und festlegen, ob und wie weit deren Beschlüsse für die Ortsgemeinden verbindlich sind. Sie muß Rechtsverfahren einführen, die für alle ihre Mitglieder gelten. Sie muß einige für alle gültige Gottesdienstformen vorschreiben. In allen diesen Fragen haben die Baumeister der Unierten Kirchen ihre Absicht erklärt, die für das Glaubenszeugnis wesentlichen Bestandteile jeder Denomination weiterbestehen zu lassen - aber die Entscheidung darüber, was wesentlich ist und was nicht, wird von Gruppe zu Gruppe und von Mensch zu Mensch variieren. In anderen Fällen muß eine Unierte Kirche eine größere Pluriformität zulassen als sie üblicherweise in Konfessionen besteht, die auf einem spezifischen dogmatischen Bekenntnis oder einer Form der Kirchenordnung beruhen. Sie muß vielleicht für das Weiterleben formeller oder unformeller Gottesdienstformen sorgen und weiter dafür, ob die Säuglingstaufe durch Benetzen und die Erwachsenentaufe durch Untertauchen vollzogen wird, ob beim Heiligen Abendmahl gesäuertes oder ungesäuertes Brot, Wein oder Traubensaft verwendet wird. Je nachdem muß sie in ihrer Gemeinschaft Verfechtern des lutherischen, calvinistischen und zwinglianischen Abendmahlsverständnisses oder der calvinistischen und arminianischen Gnadenlehre Raum bieten. Einige Unierte Kirchen in Asien lehnten es sogar ab, gemeinsame Glaubenserklärungen zu formulieren, die es den Bekenntnissen der ehemaligen Denominationen erlaubt hätten, in dem von dieser Erklärung abgesteckten Rahmen nebeneinander zu existieren. Es geht bei solchen Vereinbarungen nicht darum, die Bedeutung der Lehre und der Praktiken der sich vereinigenden Konfessionen zu schmälern, sondern ihnen allen zu gestatten, daß sie innerhalb einer einzigen

Die Bedeutung der Kirchenunion

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kirchlichen Gemeinschaft weiterhin stark zur Geltung kommen. Fraglos hatte dies gewöhnlich zur Folge, daß eine der Pluriformität gegenüber tolerante Haltung gefördert wurde, woraus Anhänger vieler Denkrichtungen und Praktiken wiederum leicht einen Vorteil zu ziehen wußten. Für die, die an ihrer jeweiligen Konfession hauptsächlich das Festhalten an bestimmten, klar fixierten Grundsätzen schätzen, muß eine solche Freigabe den Anschein erwecken, daß das Erbe der Vergangenheit zerstört wird. Unruhe entsteht vor allem dann, wenn eine Union gewisse einheitliche Formen beseitigt, die bislang der Bestimmung der denominationeilen Identität dienten: die Verwendung eines gemeinsamen Gebetbuches, die gemeinsame Erfahrung mit einem bestimmten Tauftypus, die allgemeine Zustimmung zu einer konfessionellen Erklärung oder zu einem Katechismus, ja sogar das Durchsetzen einer Reihe allgemein anerkannter moralischer Tabus. Auch beruht der Eindruck, etwas aufgegeben zu haben, den viele Mitglieder in den Unierten Kirchen empfinden, nicht einfach auf der Abschwächung der spezifisch denominationellen Elemente. Viele fühlen sich verunsichert, weil sie das Gefühl vermissen, in einer Kirche zu leben, die innerhalb abgesteckter Grenzen alles zu bieten vermag - ein Gefühl, das fast jedes denominationelles System vermittelt. Zudem versetzt schon die bloße Tatsache, daß die Union existiert, die vorhandenen denominationellen Elemente in eine Lage, in der sie ihre Überlebensfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Wenn es den Kirchengliedern freigestellt bleibt, unter verschiedenen Glaubensaussagen und Praktiken wählen zu dürfen, kann nicht mehr die Garantie dafür übernommen werden, daß sie sich für das Erbgut ihrer ehemaligen Denominationen entscheiden. Das Heranwachsen einer neuen Generation, die nur das Leben in einer Unierten Kirche kennt, ist ein entscheidender Faktor für die weitere Ausformung ihres eigenen Wesens. Die zweite Generation der Union kennt keine tiefergehenden Bindungen an die Dinge, die ihren Vätern besonders wichtig waren. Sie wird wahrscheinlich im Gegenteil kontroverse Fragen hinter sich lassen und selbst das neue Proprium ihrer Kirche suchen. In fast jeder Unierten Kirche kann man gelegentlich Klagen darüber hören, der Beitrag einer der ehemaligen Denominationen käme zu kurz. Meistens schwingt in solchen Klagen eine Unzufriedenheit über die allgemeinen Zeitströmungen mit und nicht so sehr eine Kritik an den eigentlichen Auswirkungen der Union selbst. Zweifellos aber richten Unierte Kirchen eine Art offenen Markt für kirchliche Traditionen ein, auf dem einige Traditionselemente weit besser gehandelt werden als andere. Die Umstände und die Motivation vieler Unionen haben diese natür-

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liehen Tendenzen, die bestehenden Differenzen zerfallen zu lassen, noch gefördert. Glaubensaussagen, an denen ausdrücklich an der exklusiven Gültigkeit eines besonderen dogmatischen oder strukturellen Systems festgehalten wird, bilden immer eines der schlimmsten Hindernisse für die Union. Unierte Kirchen entstanden deshalb häufig in Zeiten eines theologischen Waffenstillstandes und konnten am ehesten von denen Unterstützung erwarten, die dem Pluralismus tolerant gegenüber standen. In Kirchen außerhalb des christlichen Abendlandes, w o westliche Kontroversen immer von einem gewissen Hauch der Irrealität begleitet waren, bestand manchmal der konkrete Wunsch, die Bedeutung der ererbten Unterschiede zu verringern. Die Tatsache, daß sich die Unionsbewegungen mit dem Anliegen des missionarischen Sendungsauftrags verbanden, wies in die gleiche Richtung. Einige Unierte Kirchen wurden in der Zeit gegründet, als das weitverbreitete Motto der ökumenischen Bewegung lautete: „Die Lehre trennt, aber der Dienst vereint", und dieser Wunsch, kontroversen Fragen aus dem Weg zu gehen, wurde gewöhnlich aus der Verhandlungsperiode in das Leben der Unierten Kirche selbst mit übernommen. Andererseits vermag eine Kirchenunion manchmal die konfessionellen Momente neu zu beleben. Wenn die Unierten Kirchen die Auswirkungen und Folgen ihres gemeinsamen Lebens zu erfassen suchen, sehen sich manche früher oder später gezwungen, eine gründliche Überprüfung ihrer theologischen Grundlage in die Wege zu leiten, die selbstverständlich auch eine Rückbesinnung auf die denominationeilen Quellen miteinschließt. Die United Church of Canada, die Church of Christ in Japan und die United Church of Christ beteiligten sich alle hin und wieder an diesem Unternehmen. In den ersten Jahren einer Kirchenunion werden überkommene Traditionen noch recht geschätzt und, manchmal auch künstlich als Erbstücke einer Vergangenheit am Leben erhalten, deren man sich gern erinnert. Später erfreut man sich ihrer als wertvolles Material, das sich bei der Beschäftigung mit aktuellen Problemen als hilfreich erweisen kann. Recht bezeichnend in dieser Hinsicht war die Annahme der Barmer Erklärung von 1934 durch einige Unierte Kirchen in Deutschland, die sie als eines ihrer konfessionellen Dokumente anerkannten. Diese Erklärung, mit der sich Lutheraner, Reformierte und Unierte auf die Lehren der Reformation beriefen, um sich der nationalsozialistischen Forderung nach völliger Unterwerfung aller Deutschen zu widersetzen, liefert einen hervorragenden Beweis dafür, daß die Verbundenheit mit den Zeugnissen der Vergangenheit kein Monopol denominationeller Gruppen darstellt. Es mag bezeichnend sein, daß die Unierten Kirchen in Deutschland den Repressalien der Regierung gegenüber

Die Bedeutung der Kirchenunion

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gleichzeitig am leichtesten verwundbar waren und doch am überzeugendsten auf diesen Druck zu reagieren vermochten, weil sie auf neue und relevante Weise ihr unterschiedliches Erbe fruchtbar machen konnten. Bs stand ihnen etwa im Gegensatz zu den Lutheranern nicht die Möglichkeit offen, als Beweis ihrer Rechtgläubigkeit einfach auf ihre geltenden Bekenntnisse zu verweisen. Sie mußten die Aussagekraft ihrer historischen Bekenntnisse in einer ganz bestimmten Situation der Gegenwart unter Beweis stellen. Das Interesse, traditionelle Elemente der konfessionellen Glaubensaussagen am Leben zu erhalten, drückte den Verhandlungen und den Unierten Kirchen in wachsendem Maße seinen Stempel auf. Die Gestalt früherer Unionen war weitgehend durch das Ubergewicht der liberalen Theologie und durch den aus der praktischen Notwendigkeit erwachsenden Druck bestimmt. Mit dem Aufkommen der Faith and OrderBewegung und ihrer Betonung der theologischen Dimension der Einheit wurde der Harmonisierung divergierender Gesichtspunkte mehr Beachtung geschenkt. In dieser Hinsicht bedeutete die Kirche von Südindien 1947 so etwas wie einen Wendepunkt. Die Vorbereitungen dieser Union wurden in breiter Streuung veröffentlicht, und die Baumeister des Unionsplanes maßen den zahlreichen Kommentaren große Bedeutung zu, die aus den verschiedenen Teilen der Kirche eingingen. Eine Kirchenunion kann dann aber nicht nur das Bewußtsein für bestimmte konfessionelle Traditionen, sondern für das ganze Spektrum der christlichen Tradition wecken. Bei ihrer Gründung zeigen Unierte Kirchen oft wenig Neigung, über ihre unmittelbaren denominationellen Ursprünge hinauszublicken, aber mit der Zeit erscheint es ihnen ganz natürlich, alle Bestandteile des christlichen Erbgutes in Anspruch zu nehmen. Deshalb unterstrich die Evangelische Kirche der Union in ihrer Glaubenserklärung nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Kontinuität mit der alten Kirche ebensosehr wie diejenige mit der protestantischen Reformation. In den Gottesdiensten benutzten die United Church of Canada und die Kirche von Südindien sowohl katholisches und orthodoxes als auch ausgesprochen protestantisches Material. Auch in ganz praktischen Fragen suchen die Unierten Kirchen eher nach Handlungsmodellen, die Bereichen entstammen, auf die ihre denominationell stärker gebundenen Vorgängerinnen nicht gestoßen wären. In den vorhergegangenen Kapiteln über die Einzelkirchen klang ein Ton auffallend häufig an. Den Autoren zufolge sind die Unierten Kirchen dazu geführt worden, ihre Existenz nicht aus ihrer Liebe zu einem bestimmten dogmatischen System, einer Gottesdienstform oder einer Kirchenleitungsstruktur zu begründen, sondern von der Uberzeugung her,

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daß Gott ihre Einheit gewollt hat. Dr. Muliyil schließt seinen Beitrag, indem er in Erinnerung ruft, daß die Kirche das Bauwerk Gottes ist und somit etwas, über das er selbst urteilt und dem er seine Verheißungen zuteil werden läßt. Dr. Arndt verweist auf die Auffassung, daß „sich (die United Curch of Christ) Christus verpflichtet weiß und nicht einer Lehre über ihn". Trotz der Bemerkung, daß es der United Church of Christ in the Philippines freigestellt sei, Glaubenserklärungen zum Zwecke der Unterweisung zu erarbeiten, macht Dr. Sobrepena geltend, daß solche Erklärungen sich in einem vertretbaren Umkreis der Kernaussage des Glaubens bewegen müssen, dem alle Christen ohne weiteres zustimmen können, nämlich „daß Jesus Christus Sohn des lebendigen Gottes, unser Herr und Heiland ist". Der Widerwille der Unierten Kirche, sich ausschließlich bestimmten christlichen Glaubensrichtungen verpflichtet zu wissen, hat - auch wenn diese Haltung manchen als zu vage oder als Ausflucht erscheinen mag - den großen Vorzug, daß sich die Existenz der Kirche dadurch nun wirklich auf das Handeln Gottes und nicht auf das menschliche Antwortverhalten auf dieses göttliche Handeln gründet. Ob die Unierten Kirchen nun die spezifischen, in sie eingeflossenen Traditionsströme gut oder Schlecht bewahrt haben - ihr gemeinsames Leben in der Kirchenunion erinnert sie ständig an die zentrale Uberlieferung