Kirche und Wiederbewaffnung.: Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956 9783666557033, 3525557035, 9783525557037


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German Pages [304] Year 1978

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Kirche und Wiederbewaffnung.: Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956
 9783666557033, 3525557035, 9783525557037

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ARBEITEN ZUR K I R C H L I C H E N Z E I T G E S C H I C H T E R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N · BAND 4

ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN

ZEITGESCHICHTE

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte von Georg Kretschmar und Klaus Scholder

R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N Band 4

Johanna Vogel Kirche und Wiederbewaffnung Die Haltung der Ev. Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1978

Kirche und Wiederbewaffnung Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956

von Johanna Vogel

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1978

Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen

ClP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Vogel, Johanna Kirche und Wiederbewaffnung. Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956 [neunzehnhundertneunundvierzig bis neunzehnhundertsechsundfünfzig]. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. 1978. (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darst.; Bd. 4) ISBN 3-525-55703-5

© Vandenhoeck 8c Ruprecht, Göttingen 1978. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Budi oder Teile daraus auf foto- oder akustomedianisdiem Wege zu vervielfältigen. - Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. Bindearbeit: Hubert 8c Co., Göttingen

HELMUT GOLLWITZER

gewidmet

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort der Herausgeber

11

Vorwort

13

Abkürzungen

14

Einleitung

16

Teil I Das sogenannte „Politische Mandat" der Evangelischen Kirche als Ertrag des Kirchenkampfes

19

Kapitel 1 Die evangelische Kirche während der Besatzungszeit

19

1. 2. 3. 4.

19 23 26 27

Die Stuttgarter Erklärung Neue Freiheit der Kirche unter den Besatzungsmächten Resonanz der Kirche in der Bevölkerung Die Kirche im Verhältnis zu den Besatzungsmäditen

Kapitel 2 Das Ringen um Gestalt, Wesen und Auftrag der EKD in den Jahren 1945-1948 1. Die Kirchenkonferenz in Treysa 1945 vor dem Hintergrund des Kirchenkampfes 2. Das Bild vom Kirchenkampf in der Nachkriegszeit 3. Reidisbruderrat und Lutherrat im Ringen um die Führungsrolle innerhalb der EKD 4. Das politische Mandat der EKD als Ertrag des Kirchenkampfes . .

29 29 29 33 41

Teil II Die Auseinandersetzungen in der EKD zur Frage der Wiederbewaffnung bis zur Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland . .

48

Kapitel 3 Die evangelische Kirche und die Entmilitarisierungspolitik der Siegermächte

48

8

Inhaltsverzeichnis

1. Unreflektierte Bejahung der Entmilitarisierung 2. Entmilitarisierung und Schuldfrage 3. Die Entmilitarisierung als moralische Kritik an der deutschen militärischen Tradition 4. Der seelsorgerlidie Dienst am deutschen Kriegsgefangenen im Zeichen der Entmilitarisierung 5. Karl Barths Brief an die kriegsgefangenen deutschen Theologen als Beispiel einer Orientierungshilfe

48 52

Vorbemerkung zu Kapitel 4 - 8

64

55 58 60

Kapitel 4 Erste Phase: Die Wiederbewaffnungsdiskussion in der Zeit des aufkommenden Kalten Krieges 1. Allgemeine Vorbemerkungen 2. Die Geschichte des Kalten Krieges 1945-1949 3. Beginn der Wiederbewaffnungsdiskussion in der EKD in den Jahren 1948/49 4. Friedenskampagne der EKD Ostern 1949 5. Nach der Bundestagswahl 1949 6. Auseinandersetzungen um Interviews von Adenauer und Niemöller im Spätherbst 1949

66 66 67 69 75 77 79

Kapitel 5 „Was kann die Kirche für den Frieden tun?": Die Synode der E K D in Berlin-Weißensee 1950

83

1. Die traditionelle Haltung der evangelischen Kirche zu Krieg und Kriegsdienst (am Beispiel des „Fall Dehn" und H. Liljes Schrift „Der Krieg als geistige Leistung") 2. Der Verlauf der Synode 3. Das Friedenswort der Synode

83 90 100

Kapitel 6 Zweite Phase: Die Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges 1. Der Ausbrudi des Krieges in Korea und seine Auswirkungen auf die außen- und innenpolitische Situation in der Bundesrepublik . . . 2. Die ersten kirchlichen Reaktionen auf den Ausbruch des KoreaKrieges 3. Niemöller und die kirchlichen Bruderschaften gegen die Remilitarisierungspolitik Adenauers im Herbst 1950 4. Die Aufarbeitung der kirchenpolitischen Spannungen des Herbstes 1950 im Rat der EKD und auf der Synode in Hamburg 1951 . . .

116 116 125 130 131

Inhaltsverzeichnis

9

Kapitel 7 Die Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge . . . . 1. Die politische Entwicklung bis zum Scheitern der EVG-Verträge in der französischen Nationalversammlung 2. Die Haltung der EKD gegenüber den wechselnden politischen Konstellationen im Kontext ihres gesamtdeutschen Engagements . . . 3. Die Synode der EKD in Elbingerode im Herbst 1952 4. Die Lage der EKD nach der Synode von Elbingerode Exkurs: Die Geheimverhandlungen des Rates der EKD mit der Bundesregierung über den Abschluß eines Militärseelsorgevertrages . .

154 154 159 171 181 185

Kapitel 8 Dritte Phase: Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht 1. Die politische Entwicklung nach dem Scheitern der EVG bis zur Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO 2. Die Paulskirchenbewegung 3. Die Rezeption der Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge in der EKD 4. Die Entschließung des Rates der EKD „Um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes" und die Kundgebung der Synode von Espelkamp als Antwort auf die Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge in der evangelischen Kirche

189 185 192 197

202

Kapitel 9 Nachspiel: Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht

206

1. Die politische Entwicklung 2. Die Infragestellung der Einheit der EKD durch die DDR nach dem Scheitern der Genfer Deutschlandverhandlungen 3. Die Frage der allgemeinen Wehrpflicht auf der außerordentlichen Synode der EKD in Berlin 1956 4. Die Unterschriftensammlung Exkurs: Die Bemühungen der EKD um den rechtlichen Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen

206

Ergebnis

224

208 211 217 221

Dokumente 1. Aufzeichnung über ein Treffen von Vertretern der ev. Kirche mit hessischen Politikern. März 1950 2. H.-J. Iwand: Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee. April 1950 3. O. Dibelius: Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee. April 1950

231 248 256

10

Inhaltsverzeichnis

4. Η . Katterfeld: „Entwurf für eine Stellungnahme der Kirchenkonferenz der EKD". 14. November 1950 5. Schreiben des Luth. Kirchenamtes der VELKD an das Sekretariat des Leitenden Bischofs der VELKD. 27. November 1951 . . . . 6. W. Künneth: „Entwurf einer Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD zur ,Friedenserklärung' von Weißensee". November 1951 7. Schreiben E. Müllers an Bischof Dibelius. 30. November 1951 . . 8. „Vermerk über die Besprechung der gesamtkirchlichen Situation der EKD". 23. Januar 1952 9. „Mitteilung der Pressestelle des Luth. Kirchenamtes der VELKD". 13. Oktober 1953 10. W. Künneth: „Widerstand gegen die Staatsgewalt?" 16./17. Januar 1954 11. Rundschreiben des Evang.-Luth. Kreisdekans in München. Februar 1955

258 259 260 262 264 266 267 271

Quellen- u n d Literaturverzeichnis

283

Index

293

VORWORT DER HERAUSGEBER Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte sieht es als Aufgabe von steigender Bedeutung an, gerade die Untersuchung der großen Themen der Nachkriegszeit in der deutschen Kirchengeschichte zu fördern. Deshalb freut sie sich, diese Arbeit über „Kirche und Wiederbewaffnung" vorlegen zu können, eine Darstellung, die die Verfasserin selbst als Fallstudie zu dem umfassenderen Thema des „politischen Mandats" der Kirche versteht. Dies ist aber eine bis heute in verschiedenen Aspekten durchaus kontroverse Fragestellung, nur begegnet sie uns heute weniger im Zusammenhang militärpolitischer Entscheidungen in Europa als in Form der Frage, wie Kirche, die unter dem Anspruch und der Verheißung der Nachfolge des gekreuzigten Christus steht, sich zu dem Ruf nach gerechter Revolution etwa im südlichen Afrika oder in Lateinamerika stellen soll. Die neuerlidi aufgeflammte Diskussion um die sogenannte ZweiReiche-Lehre, ihren Mißbrauch zur indirekten Stabilisierung jeweils bestehender Herrschaftsstrukturen, aber auch ihre kritische Funktion gegenüber jeder Kreuzzugsideologie kann dies belegen. Um so aufregender ist der Rückblick auf die Argumentation im gleichen Problemfeld im ersten Jahrzehnt nach dem deutschen Zusammenbruch 1945 in der EKD und der evangelischen Theologie Deutschlands. Dabei wird aber auch schmerzlich deutlich, wie wenig Vorarbeiten wir bisher für die Entwicklung eines Gesamtbildes der Kirchengeschichte dieser Jahre haben, die als Rahmen für eine derartige Fallstudie dienen könnten. Die zur Verfügung stehenden Quellen für einzelne wichtige Themen, ζ. B. die Ausarbeitung des Militärseelsorgevertrages zwischen EKD und Bundesrepublik Deutschland vom 22. Februar 1957, sind bis jetzt weder umfassend gesichtet, geschweige denn ausgewertet worden. Frau Dr. Vogel hatte deshalb in mancher Hinsicht Pionierarbeit zu leisten; dazu gehört, daß sie als Rahmen wesentlich das Geschichtsbild der einen der damals miteinander streitenden Gruppen aufgreift, um in diesem Rahmen dann der anderen Seite einen fairen Raum zu geben. Das schließt auch eine Beschränkung in der Quellenverwertung ein. Wer einen Weg in nicht erschlossenes Gelände schlagen will, kann dies nur engagiert und zielstrebig tun. Es wäre schön, wenn diese Berliner Dissertation zu weiteren Arbeiten in diesem Feld einladen würde. Gerade was in ihr als ein Problem zeitge-

12

Vorwort der Herausgeber

schichtlicher Arbeit als eines Abschnittes kirchenhistorischer Wissenschaft auftaucht, die Nähe des Gegenstandes, ist doch auch Chance und Reiz. Christliche Theologie als Kirchengeschichte ist immer - wenn auch nicht ausschließlich - Selbstkritik der Kirche. Von kirchlicher Zeitgeschichte gilt dies in besonderem Maße. Hierzu bringt die vorliegende Arbeit einen Beitrag und lädt dazu ein, gerade auch da, wo sie Gegenkritik auslöst. Georg Kretschmar

VORWORT Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1975/76 vom Fachbereich 11 (Sozialwissenschaften) der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie nur unerheblicii überarbeitet; so wurde die inzwischen erschienene Literatur zum Thema eingearbeitet, die auftretenden Personen erhielten nach Möglichkeit biographische Anmerkungen, ein Dokumentenanhang wurde hinzugefügt. Der sehr breite Exkurs über „Das Erbe des Kirchenkampfes" wurde herausgenommen, und seine für das Verständnis der Vorgänge in der EKD wichtigsten Ergebnisse wurden in das 2. Kapitel eingearbeitet, das insofern eine Erweiterung erfuhr. Im übrigen wurde die Arbeit nur in formaler Hinsicht nach den Richtlinien für die „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte" druckfertig gemacht. Die Arbeit basiert nicht nur auf den gedruckten Quellen, sondern ebenso auf ungedrucktem Material aus kirchlichen Archiven. Mein Dank riditet sich deshalb an alle, die mir den Zugang zu diesem Quellenmaterial ermöglicht und mir so geholfen haben, meine Arbeit voranzubringen. Herrn Dr. Carsten Nicolaisen in München danke ich für die Zusammenstellung der Kurzbiographien und für die redaktionelle Betreuung der Arbeit sowie für das Druckfertigmachen des Dokumentenanhangs. Ganz besonders danken möchte ich Herrn Professor D. Helmut Gollwitzer in Berlin für die so überaus offene und verständnisvolle Förderung der Dissertation, sowie Herrn Professor Dr. Klaus Sdiolder in Tübingen, der der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte die Annahme dieser Arbeit zum Druck in den „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte" empfohlen hat. München, im Juli 1977

Johanna Vogel

ABKÜRZUNGEN Abs. A K K Hannover Anm. Art. AVELKD BBC bes. BK bzw. CDU CFK CSSR CSU CVJM d. h. DCSV DDR d. Js. EK(i)D epd etc. ev., evang. EVG evtl. geb. gest. GG GVP Jg. JK KJ KPD KTA L K A Darmstadt luth. MdB MdL m. E. NATO NF NZ OKR OLKR ord.

Absatz Ardiiv der Kirdienkanzlei der E K D , Hannover Anmerkung Artikel Archiv der V E L K D , Hannover British Broadcast Corporation besonders Bekennende Kirche beziehungsweise Christlich Demokratische Union Christliche Friedenskonferenz Tschechoslowakische Sozialistische Republik Christlich Soziale Union Christlicher Verein Junger Männer das heißt Deutsche Christlidie Studentenvereinigung Deutsche Demokratische Republik dieses Jahres Evangelische Kirche in Deutschland Evangelischer Pressedienst et cetera evangelisch Europäische Verteidigungsgemeinschaft eventuell geboren gestorben Grundgesetz Gesamtdeutsche Volkspartei Jahrgang Junge Kirche Kirchliches Jahrbuch Kommunistische Partei Deutschlands Kirchlich-Theologische Arbeitsgemeinschaft Zentralarchiv der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt lutherisch Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages meines Erachtens Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft Neue Folge Neue Zeitung, München Oberkonsistorialrat, Oberkirdbenrat Oberlandeskirchenrat ordiniert

Abkürzungen Pfr. Prof. ref. SED SPD Sup. u. a. u. a. m. UdSSR u. E. UN(O) u. ö. USA u. U. VELKD WEU vgl. ζ. B. ZKG

Pfarrer Professor reformiert Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Superintendent und andere, unter anderem und andere (s) mehr Sowjetunion unseres Erachtens Vereinte Nationen und öfter Vereinigte Staaten von Amerika unter Umständen Vereinigte Ev.-Iuth. Kirche Deutschlands Westeuropäische Union vergleiche zum Beispiel Zeitschrift für Kirchengeschichte

15

EINLEITUNG Die Frage der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik wurde im deutschen Volk jahrelang als eine zentrale politische Frage diskutiert und war leidenschaftlich umstritten. Auf ihrer Suche nach einer neuen nationalen und politischen Identität war diese Diskussion für die Deutschen in Ost und West ein entscheidender Vorgang. Auch für die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer war die innenpolitische Auseinandersetzung hierüber von fundamentaler Bedeutung. Je nach ihrem Verlauf mußte sich der Spielraum, der der Regierung für ihre Entscheidung blieb, verbreitern oder verengen. Eine wichtige Stimme im Konzert der Meinungen war angesichts der innenpolitischen Machtverhältnisse auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Ihre Haltung zur Frage der Wiederaufrüstung war um so entscheidender, als sie für den in Frage kommenden Zeitraum die einzige funktionierende gesamtdeutsche Institution war, der als „Anwalt" gesamtdeutscher Interessen besondere Bedeutung zukam. Diese Tatsache verlieh den innerkirchlichen Auseinandersetzungen ein auch politisch enormes Gewicht, dessen sich ihre Repräsentanten wohl bewußt waren. Die EKD selbst litt lange Zeit unter den nicht aufgearbeiteten Spannungen, die sie aus der Zeit des Kirchenkampfes in die Nachkriegszeit mit übernommen hatte. Dieses Erbe belastete auch die Wiederbewaffnungsdiskussion in der EKD. Eine vorurteilsfreie Beurteilung der Vorgänge innerhalb der EKD ist nur dann möglich, wenn diese Faktoren mitberücksichtigt werden. Diese Arbeit bemüht sich, von einem „neutralen" Standpunkt aus die Auseinandersetzungen in der EKD zur Frage der WiederbewafFnung zu verfolgen und auf ihre theologischen und politischen Implikationen hin zu befragen. „Neutral" soll in diesem Falle heißen, daß diese Arbeit sich bemüht, die Haltung der EKD ohne Voreingenommenheit für die eine oder andere Gruppe, für die eine oder andere politische Lösung auf ihre politische Relevanz und ihre christliche Glaubwürdigkeit hin zu befragen. Ansatzpunkt für diese Befragung soll dabei das sogenannte politische Mandat der Kirche sein, also die aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes heraus erhobene Selbstverpflichtung der EKD, sich der öffentlichen Belange anzunehmen. Am Beispiel der Auseinandersetzungen in der Frage der Wiederbewaffnung, die sich über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren hinzogen, soll untersucht werden, wieweit

Einleitung

17

es der E K D gelungen ist, in den sich wandelnden politischen Konstellationen ihre Stimme als Warnerin und Mahnerin eindeutig, vernehmbar und überzeugend zu erheben. Soweit dies nicht geglückt ist, soll nach den Gründen hierfür gefragt werden. Die Arbeit geht dabei von der Vorgabe aus, daß die verantwortliche Inanspruchnahme eines „politischen Mandates" bedeuten würde, in die offene Geschichte hinein so konkret zu sprechen, daß das lebendige Wort Gottes dabei vernehmbar wird. Objekt der Untersuchung ist die E K D als Institution, als gesellschaftliche Größe also, die nach dem erklärten Willen ihrer Begründer das Gegenüber des Staates in den die Öffentlichkeit betreffenden Angelegenheiten der evangelischen Kirche war. Gruppen und Einzelne innerhalb der E K D werden nur insofern berücksichtigt, als sich ihre Stellungnahmen und Aktionen unmittelbar auf die Entscheidungen des Rates oder der Synode der E K D ausgewirkt haben. Diese Eingrenzung der Untersuchung hat zur Folge, daß die inhaltlich oft viel entscheidenderen Klärungsprozesse, wie sie in der theologischen und politischen Arbeit von Gruppen oder größeren kirchlichen Einrichtungen geschahen, gar nicht oder nur am Rande gestreift werden können. So bleibt ζ. B. die Arbeit der Evangelischen Akademien, der Studentengemeinden, der Kirchentage und engagierter Gruppen, obgleich sie für den Prozeß der Meinungsbildung und Urteilsfindung einen gar nicht hoch genug einzuschätzenden Wert hatte, nahezu unberücksichtigt. Auch die akademische theologische Diskussion zur Frage des politischen Mandats der Kirche, zur Zwei-Reiche-Lehre usw., die in dieser Zeit entscheidend vorangetrieben wurde, kann nur insoweit berücksichtigt werden, als dies für die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen unerläßlich erscheint. Weiterhin mußte in dieser Arbeit auch darauf verzichtet werden, die Aufnahme der Wiederbewaffnungsdiskussion in der Ökumene, so interessant gerade dieser Aspekt wäre, oder ihren Widerhall in der katholischen Kirche zu untersuchen. Die Aufarbeitung dieser Aspekte muß einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben1. Die Auseinandersetzung in der EKD zur Frage der Wiederbewaffnung und ihre hieraus erwachsene offizielle Haltung hierzu wird in dieser Arbeit verstanden als ein Fallbeispiel für die Möglichkeiten und Grenzen des sogenannten politischen Mandats der EKD. Diese Betrachtungsweise bestimmt auch die Methode der Arbeit. In ihr nimmt die Darstellung der jeweiligen weltpolitischen Lage einen vergleichsweise breiten Raum ein. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik sowohl ein 1 Eine Arbeit, die diese Lücke schließen wird, ist in absehbarer Zeit von Klaus Geyer in Heidelberg zu erwarten.

18

Einleitung

Problem der internationalen Politik war, das im Kontext weltpolitischer Spannungen gesehen werden muß, als auch eine nationale und moralische Frage, als die sie von den Deutschen primär diskutiert wurde. Die wechselnden außen- und deutschlandpolitischen Konstellationen bilden den Hintergrund, vor dem die E K D ihre Haltung, die sie in sogenannten „Kundgebungen", aber auch in offiziellen Reaktionen auf Äußerungen einzelner ihrer Repräsentanten in der Öffentlichkeit zum Ausdruck brachte, verständlich machen muß. Die Haltung der E K D gegenüber den politischen Herausforderungen wird daraufhin befragt, inwieweit sie ihrem oben beschriebenen Anspruch gerecht wurde. Die aus der kirchlichen Tradition und der unmittelbaren Vergangenheit herrührenden Hemmnisse müssen dabei von Fall zu Fall herausgearbeitet werden. Die Funktion von theologischen Positionen für das gesellschaftliche Engagement der E K D wird kritisch hinterfragt. Einige der zentralen „Kundgebungen" der E K D zu diesem Problemkreis werden analysiert und auf ihren Wirkungsgehalt hin untersucht. Die theologischen Aussagen in den offiziellen Voten der E K D werden auf ihren Vorstellungshorizont hin befragt und die Sprache der Texte auf ihren Kommunikationswert hin geprüft. Diese Arbeit ist keine systematische Arbeit in dem Sinne, daß sie die systematischen Positionen, die hinter den Stellungnahmen der E K D zu erkennen sind, wertet. Dies würde voraussetzen, selbst mit einer vorgegebenen systematischen Position an die zu untersuchende Fragestellung heranzugehen, was sich m. E. im Interesse der Offenheit für den historisch-politischen Kontext verbietet. Doch schließt dieser Verzicht auf eine eigene systematische Position nicht aus, daß die systematischen Prämissen der kirchlichen Stellungnahmen zur Kenntnis genommen werden und gefragt wird, was sie in der Vermittlung der intendierten Inhalte der Sache nach vermögen. Hinter dieser distanzierten Betrachtungsweise steht die Überzeugung, daß sich Einsichten in die Möglichkeiten eines gesellschaftlich verantwortbaren Redens und Handelns der Kirche nur aus einer genauen Befragung ihrer Geschichte gewinnen lassen.

TEIL I

D A S S O G E N A N N T E „POLITISCHE M A N D A T " DER E V A N G E L I S C H E N K I R C H E ALS ERTRAG DES K I R C H E N K A M P F E S

Kapitel 1

Die evangelische Kirche während der Besatzungszeit 1. Die Stuttgarter

Erklärung1

Nur wenige Monate nach dem Zusammenbruch, zu einer Zeit, da der Öffentlichkeit durch die beiden Massenmedien Presse und Rundfunk nur ein Minimum an Informationen zugänglich war, gelang es der Evangelischen Kirche in Deutschland 2 Anhänger, Gegner und Gleichgültige in gleicher Weise zu mobilisieren und eine leidenschaftliche Auseinandersetzung im deutschen Volk in Gang zu setzen. Es war eine neue Kirche, die sich hier präsentierte, eine Kirche, die entschlossen schien, nicht noch einmal durch Schweigen oder Passivität dem politischen Geschehen seinen Lauf zu lassen. Und es war eine unbequeme Kirche - das jedenfalls signalisierte die erbitterte Auseinandersetzung, die das sogenannte Stuttgarter Schuldbekenntnis in Kirche und Öffentlichkeit auslöste 3 . 1

T e x t i n : K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 2 6 ; G . HEIDTMANN, S. 19 f . ; K . KUPISCH, Q u e l l e n 1,

S. 56 f. 2 Unter diesem Namen hatten sich die evangelischen Landeskirchen der ehemaligen Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) kurz nach dem Zusammenbruch in Treysa 1945 zusammengeschlossen. Dieser Zusammenschluß war zunächst nicht viel mehr als eine Absichtserklärung der evangelischen Kirchenführer, die im Kirchenkampf entstandene Gemeinschaft untereinander auch organisatorisch zu verankern. Bis zur endgültigen Verabschiedung einer Grundordnung der EKD im Jahre 1948 war es freilich noch ein langer und dornenvoller Weg. 3 Die zum Teil außerordentlich empfindlichen Reaktionen auf die Stuttgarter Erklärung in der deutschen Öffentlichkeit führt ST. HERMAN (Zeugen, S. 125 f.) auf die Ungeschicklichkeit der deutschen Presse zurück, die den rein kirchlichen Charakter dieser Erklärung nicht deutlich genug herausgestellt habe. Die ausländischen Empfänger hätten demgegenüber große Vorsicht walten lassen, so daß die Erklärung nicht als politisches Manifest habe mißverstanden werden können. - Ähnlich auch: A. BOYENS, Schuldbekenntnis, S. 374 ff., und TH. WURM, Erinnerungen, S. 183.

20

Die evangelische Kirche während der Besatzungszeit

Diese umstrittene Erklärung hatten die Mitglieder des vorläufigen Rates der E K D auf ihre Sitzung am 18./19. Oktober 1945 in Stuttgart einer Abordnung des Weltkirchenrats übergeben, die - für einige Ratsmitglieder überraschend4 - zu dieser Sitzung hinzugekommen war. In ihren für unseren Zusammenhang entscheidenden Passagen lautet sie: „Wir sind für diesen Besuch um so dankbarer, als wir uns mit unserem Volke nicht nur in einer großen Gemeinschaft der Leiden wissen, sondern audi in einer Solidarität der Schuld. Mit großen Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir in unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Zeit hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Nun soll in unseren Kirdien ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Herzen ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche, gehen sie daran, sich von glaubensfremden Einflüssen zu reinigen und sich selber zu ordnen. Wir hoffen zu dem Gott der Gnade und Barmherzigkeit, daß Er unsere Kirchen als Sein Werkzeug brauchen und ihnen Vollmacht geben wird, Sein Wort zu verkündigen und Seinem Willen Gehorsam zu schaffen bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk." 5 Diese Erklärung war an die Adresse der im ökumenischen Rat der Kirchen vertretenen Kirchen gerichtet und sollte ein erster Schritt zur Wiederherstellung der ökumenischen Gemeinschaft sein. Durch die Art der Veröffentlichung in der deutschen Presse und in den Rundfunksendern der Alliierten entstand aber weithin der Eindruck, als habe die evangelische Kirche hier im Namen des deutschen Volkes ein politisches Schuldbekenntnis abgelegt und so den Alliierten für ihre These von einer deutschen „Kollektivschuld" in die Hände gespielt®. Man 4 Zumindest Dibelius wußte (nach A. BOYENS, Schuldbekenntnis, S. 388 f.) von dem für die Ratssitzung am 18./19. Oktober 1945 zu erwartenden ökumenischen Besuch. - Zu Dibelius' Rolle im übrigen: W. JOCHMANN, Neuorientierung, S. 560 f. 5 K J 1945-1948, S. 26. 8 M. BALFOUR (Vier-Mächte-Kontrolle, S. 95 f.) behauptet, eine deutsche „Kollektivschuld" sei keine amtlidie britische oder amerikanische Doktrin gewesen und sei höchstens von alliierten Offizieren vertreten worden; die B B C habe sich vielmehr große Mühe gegeben, zwischen „Schuld" und „Verantwortung" zu unterscheiden. Aber aus der Untersuchung von J . GIMBEL (A German Comunity, S. 7 und S. 71 u. ö.)

Die Stuttgarter Erklärung

21

mochte die Art und Weise, in der die Stuttgarter Erklärung an die Öffentlichkeit gelangte, bedauern: denn sicher hätten manche Mißverständnisse durch eine objektivere, die Umstände berücksichtigende Berichterstattung vermieden werden können. Aber man wird den Stellenwert dieser dadurch entfachten Diskussion über die Schuldfrage so leicht nicht überschätzen können. Auch über das Zustandekommen dieses „Schuldbekenntnisses" gab es viele Gerüchte. So wurde behauptet, diese Erklärung sei dem Rat der E K D gewissermaßen abgepreßt worden, weil der ökumenische Rat der Kirchen die Bewilligung von Hilfsmaßnahmen für das notleidende deutsche Volk davon abhängig gemacht habe. Aber dieser Vorwurf läßt sich nicht länger aufrechterhalten 7 . Vielmehr war das Schuldbekenntnis das Ergebnis einer langen Reflexion einzelner Ratsmitglieder und hatte seine Vorgeschichte sowohl in der Bekennenden Kirche als auch in Kontakten zwischen Mitgliedern der Bekennenden Kirche und des ökumenischen Rates der Kirchen aus der Zeit des Krieges. Beiden Seiten ging es darum, gegen den Haß und die Schrecknisse dieses zu Ende gegangenen Krieges wenigstens innerhalb der Kirchen der Ökumene einen Anfang der Versöhnung zu setzen. Aber die Vorwürfe gegen die Stuttgarter Erklärung zu prüfen, ist nicht Aufgabe dieser Arbeit. In unserem Zusammenhang interessiert sie nicht ihrer politischen Wirkung wegen, sondern als Äußerung eines veränderten kirchlichen Selbstbewußtseins. Dieses veränderte Selbstbewußtsein zeigt sich zunächst in der Tatsache dieser Erklärung als solcher. Zum erstenmal bezogen hier die deutschen evangelischen Kirchen mit einem gemeinsamen Wort zu Fragen des politischen Geschehens unmißverständlich Stellung. Indem die Repräsentanten der evangelischen Kirche in Deutschland dieses Wort der Öffentlichkeit der Welt übergaben, zeigten sie an, daß sie für politische Entscheidungen des deutschen Volkes eine Verantwortung zu übernehmen bereit waren, die sie bislang nicht einmal bejaht hatten. Ein verändertes Bewußtsein zeigte sich auch in dem Mut zum Brükkenschlag. Zum erstenmal geschah es nach einem Kriege, daß sich Vertreter ehemaliger Feindstaaten einander ihre Schuld bekannten. Indem auch Opfer des nationalsozialistischen Systems das Bekenntnis der geht hervor, daß die Kollektivschuld-These in den ersten Monaten nach der Besetzung Deutschlands in Radiosendungen ständig proklamiert wurde und auch sonst in der Besatzungspolitik Verwendung fand. - Auch Asmussen besdiwerte sich in einem Brief an den Erzbischof von Canterbury über den „Mißbraudi der Schuldfrage für propagandistische Zwecke durch den Rundfunk der Besatzungsmächte" (A. BOYENS, Schuldbekenntnis, S. 388; vgl. audi ebd., S. 395). 7 Vgl. ebd., S. 374. A. BOYENS zeigt aber, daß sich dieser Vorwurf bis ins Jahr 1970 hinein erhalten hat.

22

Die evangelische Kirche während der Besatzungszeit

Mitschuld an diesem verbrecherischen Staat mitsprachen, wurde das Schuldbekenntnis in seiner Verbindlichkeit moralisch unanfechtbar 8 . Der besondere Wert des Bekenntnisses für die Kirchengeschichtsschreibung besteht darin, daß es das Eingeständnis des Versagens der gesamten evangelischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus mit einschließt. Es läßt ein kritisches Verhältnis gerade auch zur eigenen Rolle im Kirchenkampf anklingen 9 und ebnet damit den Weg für eine notwendige kritische Reflexion dieses für Legendenbildung so anfälligen Zeitabschnittes der deutschen Kirchengeschichte. Schließlich aber gibt die Erklärung die eigene Anfälligkeit der evangelischen Kirche für den Nationalsozialismus zu, und bekennt sich zur Notwendigkeit einer Reform an H a u p t und Gliedern. Es entsprach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche, daß sie diese Befreiung von nationalsozialistischer Überfremdung selbst vorzunehmen gedachte, und dies auch - allerdings nicht ohne den anfänglichen Widerstand der Besatzungsmächte - durchsetzen konnte. Ob die dabei angewandten Kriterien geeignet waren, das angestrebte Ziel wirklich zu erreichen, steht auf einem anderen Blatt 1 0 . Die für unsere Untersuchung wichtigste inhaltliche Aussage steckt aber in der Formulierung der Aufgaben, die die evangelische Kirche für die Zukunft vor sich sah. Die Kirche hat die „Schuld des Schweigens" erkannt und sich zu der Verpflichtung bekannt, in Zukunft ge8 Mitunterzeichner und späterer leidenschaftlicher Interpret des Stuttgarter Schuldbekenntnisses war ζ. B. Martin Niemöller. E r sagte von sidi selbst, er habe das Stuttgarter Schuldbekenntnis „gewissermaßen gepredigt" (D. KOCH, Heinemann, S. 39, Anm. 35). 8 Damit soll allerdings nicht gesagt werden, daß das Stuttgarter Schuldbekenntnis einem wirklichen Konsensus aller vom R a t der E K D vertretenen Kirchen entsprungen ist. Das zeigt einmal die heftige Kritik, die es gerade auch von kirchlicher Seite gefunden hat; das lehrt aber vor allem ein Blick in die verschiedenen ersten Verlautbarungen kirchlicher Organe kurz nach Kriegsende, die zum Teil recht wenig Schuld-Bewußtsein erkennen lassen. So findet sich ζ. B. im Wort des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands vom 27. August 1945 ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 7) nur Lob für die bekenntnistreue Haltung der lutherischen Kirchen: „Die im ,Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands' zu einem Bund zusammengeschlossenen Landeskirchen haben in dem vergangenen Jahrzehnt in Gehorsam gegen das Bekenntnis der lutherischen Reformation den Irrlehren der Zeit, besonders der Deutschen Christen, widerstanden." - Tatsächlich ist das Stuttgarter Schuldbekenntnis nur von wenigen Landeskirchen übernommen worden. Dennoch verliefen die konfessionellen Grenzen in der Einstellung dazu durchaus fließend. So habe ζ. B. Landesbischof Meiser, einer der Mitunterzeichner, sich später immer zu Stuttgart bekannt (A. BOYENS, Schuldbekenntnis, S. 395 f.). 1 0 Man vergleiche etwa in diesem Zusammenhang das Wort des Bruderrates der E K D zur Reinigung der Kirdie vom Nationalsozialismus mit dem Brief des Rates der E K D an die Amerikanische Militärregierung für Deutschland vom 26. April 1946, besonders „ I I I . Anwendung des Gesetzes auf die Kirdie" ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 187 f.; 191 ff.).

Neue Freiheit der Kirdie unter den Besatzungsmächten

23

genüber dem deutschen Volke ihr Wächteramt besser wahrzunehmen. Damit klingt das Thema an, das die Geschichte der E K D am meisten bestimmen sollte und das ihre Gefährdung am deutlichsten widerspiegelte: das politische Mandat der E K D . Mit der Stuttgarter Erklärung hat die E K D sich selbst gebunden. Niemand konnte später daran vorbeigehen, daß diese Erklärung von Vertretern aller konfessionellen Schattierungen unterschrieben worden war 1 1 . Diese Solidarität des Bekennens blieb der E K D nicht lange erhalten; aber sie hatte doch wenigstens dieses eine Mal das rechte W o r t gesprochen, das nicht nur ein weltweites und positives Echo in der Ökumene fand und einen Strom von Hilfe für das gequälte Volk nach sich zog 1 2 , sondern das auch weit über die Erwartung seiner Urheber hinaus Anlaß zu einer gründlichen und umfassenden Selbstbesinnung im deutschen Volk gegeben hat. Gerade die leidenschaftliche Kritik und Ablehnung, die dieses W o r t der Kirche gefunden hat 1 3 , ist dafür ein deutliches Zeichen.

2. Neue Freiheit der Kirche unter den

Besatzungsmächten

Wie für alle Deutschen, bedeutete das Ende des Zweiten Weltkriegs auch für die Kirche einen Einschnitt, dessen Radikalität gar nicht überschätzt werden kann. Der Kollaps, der mit dem Untergang des „Dritten Reiches" das ganze deutsche Volk erfaßte, Schloß auch die Kirche ein. Zum äußeren Chaos der zerstörten Städte und der vernichteten Staatlichkeit kam das innere Chaos zerbrochener Werte und betroge1 1 Jedes einzelne Ratsmitglied hatte mitunterschrieben. Versuche, K a r l Barth als den eigentlichen Urheber dieser Erklärung hinzustellen, werden von TH. WURM (Erinnerungen, S. 183) energisch zurückgewiesen. - Aus dem offiziellen Sitzungsbericht läßt sidi im übrigen deutlich erkennen, daß die Urheberschaft für die Erklärung in den spontanen Äußerungen der verschiedenen Ratsmitglieder selbst zu suchen ist ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 1 9 f f . ) ; vgl. ζ. B. die Formulierungen von Hans Asmussen: „Ich habe an Eudi gesündigt als Glied eines Volkes, weil ich nicht besser geglaubt habe, weil ich nicht reiner gebetet habe, weil ich nicht heiliger Gott mich hingegeben habe" (ebd., S. 21). 18

S o D . SCHMIDT, N i e m ö l l e r , S . 1 8 8 .

Zur öffentlichen Diskussion über die Frage der deutschen Schuld am Krieg und an den Verbrechen des „Dritten Reiches" haben sich auch außerhalb der Kirche eine ganze Reihe prominenter Deutscher geäußert. Große Beachtung fand ζ. B. Ε WIECHERTS „Rede an die deutsche Jugend", in der er von der Schuld des deutschen Volkes sprach, obgleich er die „Kollektivschuld" ablehnte (S. 31 ff.). - Viel diskutiert und vielfach umstritten war K a r l Jaspers' Unterscheidung zwischen „Verbrechen", „politischer, moralischer und metaphysischer Schuld", wobei er lediglich die Bezeichnung „Verbrecher" für das ganze deutsche Volk ablehnte. Jaspers warb um Verständnis für die Kollektivschuld-These (K. JASPERS, Schuldfrage, S. 10 f. und S. 52 ff.). 13

24

Die evangelische Kirche während der Besatzungszeit

ner Hoffnungen. Was blieb, war die „Gnade des Null-Punkts", war die Chance, aus den Trümmern das zu retten oder neu aufzubauen, was helfen konnte, die Zukunft besser zu bestehen. Man wird sicherlich annehmen dürfen, daß, von den Deutschen Christen und nationalsozialistischen Pfarrern einmal abgesehen, der Zusammenbruch in weiten Kreisen der Kirche als echte Befreiung empfunden wurde. Das galt wahrscheinlich sogar in den Fällen, in denen die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht die grundsätzliche Schärfe angenommen hatte wie in der Bekennenden Kirche. Man erwartete, nicht zu Unrecht, von den Siegern mehr Toleranz und Aufgeschlossenheit gegenüber der Kirche als von den Nationalsozialisten und wurde in dieser Erwartung auch nicht enttäuscht. Immerhin hatte man es in den Siegern vorwiegend mit Vertretern christlicher Nationen zu tun. Und was die Russen betraf, vor denen eine fast mythische Furcht herrschte, so galt doch auch hier, daß bei ihnen die Gegnerschaft gegen die Kirche niemals die fanatische Zuspitzung bekommen hatte wie bei den Machthabern des „Dritten Reiches"14. Insgesamt konnten die Kirchen also wirklich aufatmen, obwohl es übertrieben wäre, von einer durchgängig freundschaftlichen Einstellung der Besatzungstruppen gegenüber der Kirche zu sprechen15 oder gar von einer konstruktiven Kirchenpolitik der Besatzungsmächte. Die kirchenpolitischen Maßnahmen der Besatzungsmächte waren durchweg rein administrativer Natur und beschränkten sich auf die Reaktion auf kirchliche Vorstöße 16 . Die neue Freiheit unter den Siegern war nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein laissez-faire, laissez-aller17. Und genau dies war die Chance der Kirche. Von einer „Obrigkeit" nicht mehr gegängelt, aber auch nicht mehr gefördert, konnte sie nun endlich die ihr gestellten Aufgaben anpacken. Gerade das Fehlen einer konstruktiven Kirchenpolitik der Besatzungsmächte ermöglichte - je14

So jedenfalls nach S T . H E R M A N , Zeugen, S . 1 7 7 ff. S T . H E R M A N schildert aus eigener Anschauung die herbe Enttäuschung, die die Haltung der Besatzungsmächte gerade für viele Bekenntnispfarrer bedeutete, die das Ende des Krieges als eine Befreiung erwartet hatten und nun erlebten, daß sich doch auch die „diristlichen" Alliierten viel eher als Sieger denn als Befreier gebärdetcn (ebd.). 16 Dazu gehörte ζ. B. das bald erlassene Recht der Kirchen auf die Erhebung von Kirchensteuern, die „Aufhebung des Reichsgesetzes über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirdie vom 14. Juli 1933" u. a. m. (vgl. Gesetz Nr. 49 vom 20. März 1947 und später Gesetz Nr. 62 vom 20. Februar 1948, in: A M T S B L A T T DES KONTROLLRATES IN D E U T S C H L A N D 1945-1948, Nr. 1-19). 17 L . C L A Y Ζ. Β . erklärt, daß er der Ansicht gewesen sei, die Militärregierung solle nicht aktiv in das religiöse Leben eingreifen; vielmehr habe er von Anfang an die „volle Freiheit der Religionsausübung" zugesichert. Die „Stelle für religiöse Angelegenheiten" (Religious Affairs Branch) habe wohl helfen, sich aber auf keinen Fall einmischen sollen (Entscheidung, S. 338). 15

N e u e Freiheit der K i r d i e unter den B e s a t z u n g s m ä c h t e n

25

denfalls in den westlichen Zonen - 1 8 nach dem Kriege die fast ungehinderte Tätigkeit aller kirchlichen Organe. Es ist erstaunlich, welch eine Fülle von kirchlichen Aktivitäten und Zusammenkünften schon in den ersten Monaten nach dem Zusammenbruch unter oft äußerst erschwerten äußeren Bedingungen zustande kamen. Synoden und Kirchenausschüsse tagten allüberall, die kirchlichen Werke und Verbände nahmen ihre Arbeit wieder auf, ja selbst neue kirchliche Einrichtungen wurden schon in den allerersten Nachkriegsmonaten geschaffen und wirksam 19 . Alle diese Aktivitäten zeugten von der Entschlossenheit, so schnell wie möglich nach den Jahren des Kampfes und der Verwirrung wieder Ordnung zu schaffen und die Kirche zu einem positiven Faktor des neu zu gestaltenden gesellschaftlichen Lebens zu machen. Fast enthusiastisch beschrieb Joachim Beckmann diese Situation: „Damit war für die Evangelische Kirche in Deutschland eine Lage entstanden, wie sie seit der Reformation noch nie bestanden hatte. Sie konnte sich jetzt in einer solchen Freiheit entfalten, wie sie ihr bisher stets vorenthalten war." 2 0 Beckmann begrüßte diese Freiheit vor allem im Blick auf die nun endlich möglich gewordene Vereinigung der verschiedenen evangelischen Landeskirchen zur Evangelischen Kirche in Deutschland, auf die so vieler Hoffnungen gerichtet waren. Aber auch für den Bereich konkreter kirchlicher Betätigung öffneten sich den Kirchen neue und noch kaum erprobte Möglichkeiten. Mit dem Wegfallen des äußeren Drucks ist die Chance der Kirche, die ich meine, natürlich noch nicht voll beschrieben. Die wirkliche Herausforderung aller Kräfte der Kirche bestand darin, daß ihr nach dem Zusammenbruch von zwei sehr gegensätzlichen Seiten Vertrauen und 18 A u f die z w e i f e l l o s dennoch v o r h a n d e n e n U n t e r s c h i e d e in der B e h a n d l u n g kirchlicher A n g e l e g e n h e i t e n durch die B e s a t z u n g s m ä c h t e in den einzelnen B e s a t z u n g s z o n e n k a n n im R a h m e n dieser A r b e i t nicht näher e i n g e g a n g e n w e r d e n . Sie w a ren a b e r f ü r die S i t u a t i o n der Kirche in der N a c h k r i e g s z e i t i n s g e s a m t nur v o n unterg e o r d n e t e r B e d e u t u n g . Zunächst hielten sich offensichtlich alle vier B e s a t z u n g s m ä c h t e f ü r die B e h a n d l u n g der K i r c h e n a n die in P o t s d a m beschlossenen Richtlinien, in denen R e l i g i o n s f r e i h e i t u n d R e s p e k t i e r u n g der „religiösen E i n r i c h t u n g e n " zugesichert w u r d e ( v g l . I I . Ü b e r D e u t s c h l a n d . Abschnitt A . Politische G r u n d s ä t z e , Z i f f e r 10. I n : Η . E . JAHN, W e h r b e i t r a g . S . 20). N o c h 1948 w a r e n ζ. B. a u d i V e r t r e t e r der s o w j e t i schen B e s a t z u n g s m a c h t bei der G r ü n d u n g der E K D in Eisenach mit d a b e i . 1 9 D i e b e d e u t e n d s t e N e u g r ü n d u n g u n m i t t e l b a r nach d e m K r i e g w a r das H i l f s w e r k der E K D ( 1 9 4 5 ) , d a s schon w ä h r e n d des K r i e g e s insbesondere durch L a n d e s bischof W u r m v o r b e r e i t e t w o r d e n w a r ( A . BOYENS, S c h u l d b e k e n n t n i s , S. 386 f.). Wichtige N e u g r ü n d u n g e n w a r e n a u ß e r d e m die E v a n g e l i s c h e n A k a d e m i e n ( B a d B o l l 1 9 4 5 ) u n d der Deutsche E v a n g e l i s c h e K i r c h e n t a g ( 1 9 4 6 ) . M i t diesen Einrichtungen schuf sidi die evangelische K i r c h e F o r e n f ü r ihre Ö f f e n t l i c h k e i t s a r b e i t , die der „ d i s t a n z i e r t e n K i r d i l i c h k e i t " , die im deutschen P r o t e s t a n t i s m u s eine a l t e T r a d i t i o n h a t , e n t g e g e n k a m (vgl. W. HUBER, K i r c h e u n d Ö f f e n t l i c h k e i t , S . 120 ff.). 20

I n : K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S . 2.

26

D i e evangelische K i r c h e w ä h r e n d der B e s a t z u n g s z e i t

Erwartungen entgegengebracht wurden: vom deutschen Volk selbst, aber auch von den Besatzungsmächten. 3. Resonanz der Kirche in der

Bevölkerung

Auf die erstaunliche Resonanz, die das Stuttgarter Schuldbekenntnis im deutschen Volk fand, wurde schon hingewiesen. Diese Resonanz war in diesem Umfange wohl nur zu einer Zeit möglich, in der die meisten anderen Stimmen, die gewöhnlich öffentliche Meinung machen, verstummt waren oder sich aus anderen Gründen kein Gehör verschaffen konnten. In den allerersten Monaten nach dem Zusammenbruch war diese Situation gegeben. Die Vertreter der Kirchen waren weithin die einzigen im deutschen Volk, die sich - von den Besatzungsmächten weitgehend toleriert 21 - in der Öffentlichkeit ungehindert äußern konnten und dies auch taten. Dabei kam ihnen die Offenheit der Menschen aber entgegen, die die Kirche 50 lange nicht mehr erlebt hatte. „Weite Kreise unseres Volkes sehen heute mit wirklichem Vertrauen auf die Kirche. Sie erkennen an, daß sie das verflossene Regime besser durchschaut hat als die anderen Autoritäten . . . Wir dürfen dieses Vertrauen nicht enttäuschen", so faßte Wurm die Situation in Treysa 1945 zusammen 22 . Wie weit hier sehr opportunistische Erwartungen mit im Spiele waren 23 , und wie weit es sich bei dieser Hinwendung zur Kirche um echte Bedürfnisse gehandelt hat, kann hier nicht untersucht werden. Immerhin ist soviel unbestritten, daß das Ende des „Dritten Reiches" als totaler Zusammenbruch erlebt wurde, nicht nur eines politischen Systems, sondern damit zugleich eines Wertsystems. So erfolgte die Hinwendung zur Kirche oft aus einem echten Bedürfnis nach Orientierung und Wegweisung, oft sicher auch aus der Sehnsucht nach Betäubung oder Überhöhung des trostlosen Daseins 24 . Ob die Kirche diesem zwiefachen und sich widersprechenden bzw. 21

Auf

die b e s o n d e r e S i t u a t i o n der K i r c h e in d e r sowjetischen

Besatzungszone

k a n n hier nicht e i n g e g a n g e n w e r d e n . V g l . h i e r z u aber j e t z t : H . G . KOCH, S t a a t u n d K i r c h e in d e r D D R . - V g l . auch o b e n A n m . 18 u n d u n t e n A n m . 2 6 . 22

KJ

Hitlerzeit

1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 9 f. A u c h W . HOFER m e i n t , d a ß allein die „ K i r c h e in der so e t w a s w i e eine V o l k s b e w e g u n g

gegen

den N a t i o n a l s o z i a l i s m u s

zu-

s t a n d e g e b r a c h t " h a b e ( N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , S. 1 2 6 ) . 23

Zahlreiche A n t r ä g e

auf Wiederaufnahme

in die K i r d i e w u r d e n

gestellt,

die

natürlich nicht i m m e r einem echten religiösen B e d ü r f n i s e n t s p r u n g e n sein w e r d e n , s o n d e r n a u d i k ü h l e r B e r e c h n u n g (vgl. K J

1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 1 1 0 u n d W .

JOCHMANN,

N e u o r i e n t i e r u n g , S. 5 5 5 f . ) . 24

D e r Zweigleisigkeit d e r B e d ü r f n i s s e e n t s p r a c h eine Zweigleisigkeit

E r n e u e r u n g , nämlich 1. d e r ö f f e n t l i c h k e i t s a n s p r u d i

der K i r c h e

(EKD)

kirchlicher u n d 2 . die

Liturgische B e w e g u n g ( B e r n e u c h n e r u. a . ) . ( N a c h : W . STÄHLIN, V i a V i t a e , S. 5 2 2

ff.).

27

D i e K i r c h e im V e r h ä l t n i s z u den B e s a t z u n g s m ä c h t e n

ausschließenden Bedürfnissen wirklich gerecht wurde und gerecht werden konnte, kann gefragt werden. Zunächst jedoch gab es den Kirchen ein neues Selbstbewußtsein, für das die Fülle kirchlicher Aktivitäten ein Symptom war. Es begann die Zeit der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit, der Evangelischen Akademien 25 und der großen Kirchentage, in denen sich die Kirche für weite Kreise der Nachkriegsgesellschaft als begehrter Gesprächspartner erwies. Diese Wiederbelebung kirchlichen Lebens blieb freilich nicht ohne Widerhaken. Denn die Umstände zwangen die Kirchen noch an anderer Stelle zum Engagement und führten sie in das von ihr ungeliebte und ungeübte Geschäft politischer Auseinandersetzungen hinein. 4. Die Kirche im Verhältnis zu den

Besatzungsmächten26

Die Erwartungen der Besatzungsmächte waren zunächst rein pragmatischer Natur. Sie entsprangen der Notwendigkeit, sich bei der Übernahme der Verantwortung für das besiegte Deutschland einigermaßen vertrauenswürdiger Helfer und Berater zu versichern. Da die von Nationalsozialisten fast völlig durchsetzten öffentlichen Ämter und Dienststellen nach dem Zusammenbruch weithin handlungsunfähig waren oder doch so betrachtet wurden, lag es nahe, sich in den die Kommunen betreffenden Angelegenheiten zunächst an die Vertreter der Kirchen zu halten. Immerhin galten die Kirchen als die einzigen gesellschaftlichen Institutionen von Bedeutung, denen es gelungen war, ohne ihren eigenen Einfluß auf das öffentliche Leben völlig zu verlieren, sich doch von einer Einflußnahme seitens der Machthaber des Nationalsozialismus relativ frei zu halten 27 . Das machte die Kirchen nach dem Zusammenbruch für die Besatzungsmächte zu einem einigermaßen vertrauenswürdigen Partner 2 8 und verschaffte ihnen als Beratern der Besatzungsoffiziere - oft gegen ihren Willen - zunächst 25

V g l . den Bericht v o n E . MÜLLER ü b e r die bisherige A r b e i t der

Evangelischen

A k a d e m i e n ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 3 6 8 - 3 8 8 ) . 28

D i e D a r s t e l l u n g ü b e r das V e r h ä l t n i s der K i r c h e zu den B e s a t z u n g s m ä c h t e n g e h t

v o n d e r S i t u a t i o n in den W e s t z o n e n aus, über die a u f g r u n d z a h l r e i c h e r

Untersu-

chungen m i t t l e r w e i l e e i n i g e r m a ß e n gesicherte E r k e n n t n i s s s e v o r l i e g e n . M a n d a r f v e r m u t e n , d a ß in der O s t z o n e a u d i schon w ä h r e n d der B e s a t z u n g s z e i t die D i n g e a n d e r s lagen, o h n e d a ß die nach der G r ü n d u n g d e r D D R b e g i n n e n d e antikirchliche P o l i t i k jedoch schon v i r u l e n t gewesen w ä r e ( v g l . H . - G . KOCH, S t a a t u n d K i r c h e in

der

D D R , bes. S. 4 5 ff.). 27

Κ . D . SCHMIDT stellt fest, d a ß die K i r c h e , so sehr sie auch v e r s a g t habe,

als

„soziologische G r ö ß e " die einzige gewesen sei, die „ihre geistige F r e i h e i t a u f s G r o ß e u n d G a n z e gesehen b e w a h r t h a t " ( W i d e r s t a n d , S. 3 1 ) . 28

D i e b e v o r z u g t e Stellung der K i r c h e n in dieser Z e i t w i r d in vielen U n t e r s u c h u n -

gen b e t o n t ( v g l . z . B . M . BALFOUR, V i e r - M ä c h t e - K o n t r o l l e ; W . JOCHMANN, N e u o r i e n t i e r u n g , S. 5 4 9 ; ST. HERMAN, R e b i r t h , S. 1 0 6 ) .

28

D i e evangelische Kirche w ä h r e n d der B e s a t z u n g s z e i t

großen Einfluß auf das neu zu ordnende öffentliche Leben 29 . Im kommunalen Bereich wurden die Pfarrer oft auf Jahre hinaus die eigentlichen Sachwalter öffentlicher Belange, weil sie auf einer viel unbefangeneren Basis mit den Besatzungsmächten zusammenkommen konnten, als dies den offiziellen Vertretern der Kommunen möglich war. Dennoch waren die konkreten Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und der Kirche bzw. Vertretern der Kirche von Fall zu Fall und von Ort zu Ort sehr verschieden. Auch Enttäuschungen, und zwar für beide Seiten, blieben nicht aus. Denn natürlich begrüßten nicht alle Pfarrer die Sieger als Befreier; viele zögerten audi deshalb, mit den Besatzungsmächten zusammenzuarbeiten, weil sie den Vorwurf, Kollaborateure zu sein, fürchteten 30 . In angelsächsischen Untersuchungen wird immer wieder fast klagend konstatiert, daß das Verhältnis zwischen Besatzungsmacht und Kirche keineswegs so gut gewesen sei, wie man dies hoffen zu dürfen geglaubt hatte 31 . Allerdings kühlte dieses zuerst eher freundliche Verhältnis erst im Laufe der Zeit merklich ab, als nämlich die Auswirkungen der destruktiven Besatzungspolitik für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in den Besatzungszonen immer verheerendere Formen annahmen. Die Politik der Demontagen, die immer mehr Arbeitsplätze kostete und deren Notwendigkeit auch für denjenigen, der das Programm der Entmilitarisierung grundsätzlich bejahte, nidit ohne weiteres erkennbar war, war der eine Stein des Anstoßes. Ein anderes direkt auf die Besatzungspolitik zurückzuführendes Moment, das im deutschen Volk große Unzufriedenheit, ja Verbitterung hervorrief, war die im Laufe des Jahres 1946 in verstärktem Maße anlaufende Entnazifizierungswelle. Zum großen Ärger der Besatzungsbehörden waren die Vertreter der Kirchen bei diesen für die Besatzungspolitik so wichtigen Maßnahmen sowohl auf kommunaler als audi auf überregionaler Ebene immer weniger zur Zusammenarbeit bereit. Selbst Männer wie Martin Niemöller sahen sich schließlich gezwungen, kirchliche Amtsträger und Gemeindeglieder öffentlich zur Ver29 TH. WURM berichtet ζ. B., d a ß er m e h r f a c h g e f r a g t w o r d e n sei, o b er nidit an die S p i t z e einer v o r l ä u f i g e n R e g i e r u n g treten w o l l e ( E r i n n e r u n g e n , S. 176). - A u d i die K i r c h e n f ü h r e r k o n f e r e n z in T r e y s a 1945 n a h m zu diesen neuen A u f g a b e n der P f a r r e r eine w e i t g e h e n d p o s i t i v e S t e l l u n g ein: „Auch der P f a r r e r w i r d sich der N o t w e n d i g k e i t der M i t a r b e i t unter den g e g e n w ä r t i g e n U m s t ä n d e n o f t nidit entziehen d ü r f e n . W o es an geeigneten M i t a r b e i t e r n fehlt, w e r d e n sein R a t u n d seine M i t h i l f e m a n d i m a l nicht z u entbehren sein. D e r P f a r r e r soll in diesem D i e n s t das gute G e w i s sen haben, d a ß er a u d i hier i m D i e n s t seines H e r r n h a n d e l t " ( a u s : W o r t des B r u d e r rats der E K D an die P f a r r e r . I n : F . SÖHLMANN, T r e y s a 1945, S. 92). 3 0 D e s h a l b b e m e r k t ζ. B . W . STÄHLIN, er h a b e sich s d i o n immer d a g e g e n ausgesprochen, d a ß die K i r d i e n in der F r a g e der E n t n a z i f i z i e r u n g mit den Siegermächten z u s a m m e n a r b e i t e n ( V i a V i t a e , S. 4 9 2 ) . 31

V g l . ζ. Β . M . BALFOUR, V i e r - M ä c h t e - K o n t r o l l e , S. 378.

29

Kirchenkonferenz in Treysa 1945

Weigerung der Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten in der Entnazifizierungsfrage aufzufordern, weil die Praxis der Entnazifizierung zu eklatanten Ungerechtigkeiten führte und Denunziantentum und peinliche Selbstrechtfertigungsversuche geradezu provozierte. Auf die sich hieran anbahnende innerkirchliche Kontroverse 32 , bei der ζ. B. die württembergische Sozietät die Haltung der E K D und Niemöllers scharf kritisierte, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Die sicherlich vielschichtigen Gründe und Hintergründe der Gegnerschaft der E K D zur Entnazifizierung zu untersuchen, so lohnend dieses Unterfangen auch für die Frage nach dem Selbstverständnis der E K D wäre, bedürfte einer gründlicheren Analyse, als es in diesem Zusammenhang möglich ist. Darum soll hier auf eine Wertung ganz verzichtet und allein die Tatsache zur Geltung gebracht werden, daß hier in aller Freiheit zwischen Kirche und „Obrigkeit" kontroverse politische Fragen ausgehandelt wurden: Ein neuer Akzent in der Tradition der deutschen evangelischen Kirchen. Man kann feststellen, daß in der Besatzungszeit, aus der Not der Stunde heraus, vielerorts und bei vielen Pfarrern eine Einübung in die Verantwortung der Kirche für öffentliche Fragen geschah, von der man annehmen sollte, daß sie auch späterhin ihre Früchte zeitigen würde. Die Situation zwang immerhin nach dem Kriege auch Vertreter einer streng konservativen Richtung dazu, die bislang so umstrittene öffentliche Verantwortung der Kirche im konkreten Falle zu übernehmen. So wurde im kommunalen Bereich eingeübt, was auf gesamtkirchlicher Ebene für etliche Jahre das Gesicht der E K D prägen sollte: das politische Mandat der Kirche.

Kapitel 2

Das Ringen um Gestalt, Wesen und Auftrag der EKD in den Jahren 1 9 4 5 - 1 9 4 8 1. Die Kirchenführerkonferenz des Kirchenkampfes

in Treysa 1945 vor dem

Hintergrund,

Das Pathos des Neubeginns und die Verantwortung, die der evangelischen Kirche in dieser Zeit äußerster Bedrängung mit einem Male 3 i Zu nennen sind hier insbesondere die Denkschrift der Kirchlich-Theologischen Sozietät in Württemberg, hg. von H . DIEM, sowie die einschlägigen Texte in: K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 1 8 6 - 2 0 8 .

30

Gestalt, Wesen und Auftrag der EKD 1945-1948

zugefallen war, machten auch die sonst widerstrebenden Kräfte des deutschen Protestantismus bereiter, aufeinander zuzugehen. Unter dem Zwang, die kirchlichen Verhältnisse nicht nur auf der Ebene einzelner Landeskirchen, sondern auch auf gesamtkirchlicher Ebene neu zu ordnen, schien die noch immer ausstehende Einigung der evangelischen Christenheit Deutschlands endlich möglich geworden zu sein. Das jedenfalls war das erklärte Anliegen aller, die im August 1945 zur Kirchenführerkonferenz nach Treysa gekommen waren. Bereits während des Krieges hatte der württembergische Landesbischof Theophil Wurm (1868-1953) den Versuch unternommen, die im Verlaufe des Kirchenkampfes zerstrittenen kirchlichen Gruppen 1 , soweit sie nicht den Deutschen Christen zugehörten, in seinem Kirchlichen Einigungswerk miteinander zu versöhnen 2 . Wegen seiner mutigen Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime, die er in vielen tapferen Alleingängen während des Krieges immer wieder bewiesen hatte, fand er bei diesem Bemühen auch die Zustimmung der bruderrätlichen Bekennenden Kirche, zu deren Sprecher er im Krieg geworden war. An diesen Versuch anknüpfend, lud er bald nach Kriegsende mit Zustimmung der Militärbehörden die noch oder neu amtierenden Kirchenführer 3 und die Mitglieder des Reichsbruderrates als Vertreter der Bekennenden Kirche4 zu einer „Kirchenführerkonferenz" nach Treysa ein, die allen Schwierigkeiten zum Trotz vom 27. bis 31. August 1945 dort stattfand. Zu einer Zeit, da Verkehr und Nachrichtenwesen in Deutschland restlos zusammengebrochen waren 1 Gemeint sind hier die nach der Bekenntnissynode von Bad Oeynhausen (1936) entstandenen Gruppierungen der Bekennenden Kirdie um den Rat der Ev.-luth. Kirthe Deutschlands (Lutherrat) als Vertretungsorgan der sog. „intakten" Landeskirdien und um den Reichsbruderrat bzw. die 2. Vorläufige Leitung der DEK (VKL) als Vertretungsorgan der bekennenden Gemeinden der „zerstörten" Kirchen. 2 Vgl. dazu jetzt: J. THIERFELDER, Einigungswerk. 3 Die Deutschen Christen in leitenden kirchlichen Stellungen waren nath dem Krieg meist sehr rasch entweder freiwillig zurückgetreten oder in ihren Ämtern abgelöst worden, meist durch Männer der Bekennenden Kirche (ST. HERMAN, Zeugen, S. 17 ff.). Dieser „Machtwechsel" ging im großen und ganzen lautlos vor sich, wenn dabei audi nicht immer demokratische Spielregeln eingehalten worden sind, was angesichts der verworrenen Verhältnisse wohl auch kaum möglich gewesen wäre (vgl. ζ. B. O. DIBELIUS, Ein Christ ist immer im Dienst, S. 2 0 7 f f . ; W. STÄHLIN, Via Vitae S. 31 f. und S. 427 ff.; außerdem ST. HERMAN, Zeugen, S. 17 ff.). 4 Wurm hatte offenbar zunächst nicht daran gedacht, Mitglieder des Reichsbruderrats als eines selbständigen kirchenleitenden Organs nach Treysa einzuladen. Er akzeptierte den Reichsbruderrat dann aber sofort als noch amtierende legitime Vertretung der Bekennenden Kirdie, als er sah, daß Martin Niemöller den Reidisbruderrat wieder zusammengerufen und damit zu neuem Leben erweckt hatte. - Zur Gesdiichte der EKD in der ersten Zeit nach dem Krieg vgl. jetzt: A. SMITH-VON OSTEN, Von Treysa bis Eisenach.

Kirchenkonferenz in Treysa 1945

31

und alle übergemeindlichen Zusammenkünfte am strikten Verbot der Besatzungsmächte scheiterten, mußte diese erste und noch auf lange Zeit hinaus einzige gesamtdeutsche Konferenz bei Teilnehmern und Beobachtern große Erwartungen und Hoffnungen hervorrufen. Den protestantischen Kirchen war mit dieser Konferenz eine Chance des Neubeginns gegeben worden, die zu verspielen niemand wünschen konnte. So stand die Kirchenführerkonferenz gewissermaßen unter Erfolgszwang. Dennoch war Treysa ein gewagtes Unternehmen. Die nach Treysa zusammengerufenen Kirchenführer repräsentierten ja die unterschiedlichsten theologischen und kirchenpolitischen Haltungen der zurückliegenden zwölf Jahre. Zwar waren die erklärten deutschchristlichen Kirchenführer selbstverständlich nicht mehr mit dabei. Aber audi so bot die Versammlung noch ein außerordentlich uneinheitliches Bild. Die über den Kampf gegen die Deutschen Christen weit hinausgehenden innerkirchlichen Polarisierungen hatten tiefe Wunden hinterlassen, die noch lange nicht vernarbt waren 5 . Theologische Differenzen, persönliche Animositäten und divergierende Machtansprüche machten so diese erste gesamtprotestantische Konferenz nach dem Kriege zu einem spannungsvollen und gefährdeten Unternehmen. Beinahe wäre die Konferenz noch vor ihrem Zusammentreten an diesen Differenzen gescheitert, nach Wurms Darstellung ein Ergebnis der mangelnden Verständigungsmöglichkeiten 6 . Denn Niemöller, der vergeblich auf Nachrichten von Wurm über das Ergebnis seiner Vorbereitungen für Treysa gewartet hatte, hatte inzwischen seinerseits die Initiative ergriffen und den Reichsbruderrat nach Frankfurt/Main eingeladen, der - im Beisein des ebenfalls von Niemöller aus Basel geladenen Karl Barth - 7 den grundsätzlichen Führungsanspruch der Bekennenden Kirche innerhalb der evangelischen Kirche Deutschlands 5 Stichwortartig erwähnt seien hier nur die Auseinandersetzungen um die Anerkennung der Kirdienaussdiüsse (1935-37) und um die sog. Gebetsliturgie der Bekennenden Kirche (1938). Besonders belastend wirkte sich in Treysa auch die Anwesenheit des hannoverschen Landesbischofs August Marahrens (1875-1950) aus, der sich selbst in den Augen seiner bischöflichen Kollegen aus den „intakten" Landeskirchen durch seine allzu kompromißbereite Haltung gegenüber den Machthabern des „Dritten Reiches" kompromittiert hatte (vgl. dazu: K J 1933-1944, S. 256 ff.). 6

V g l . T H . WÜRM, E r i n n e r u n g e n , S . 1 7 9 .

Das Erscheinen des Baseler Theologen wurde auch von den Mitgliedern des Reichsbruderrats nicht einhellig begrüßt (vgl. W. STÄHLIN, Via Vitae, S. 502), da seit Barths Brief an seinen Prager Kollegen Josef L. Hromadka anläßlich der Tschechenkrise 1938 (vgl. K . BARTH, Götze, S. 157 f.) eine gewisse Entfremdung zwischen ihm und der Bekennenden Kirche eingetreten war, die dazu geführt hatte, daß die Bekennende Kirche sich aus Loyalitätsgründen gegenüber Deutschland von Barth distan7

zierte (vgl. K J 1 9 3 3 - 1 9 4 4 , S. 2 5 8 f.).

32

Gestalt, Wesen und Auftrag der E K D 1945-1948

behauptete 8 . Der Lutherrat, der ebenfalls noch vorher zusammengetreten war, machte seinerseits diesen Führungsanspruch geltend 9 . Wie problematisch die Ausgangsposition für ein Gelingen der geplanten E K D unter diesen Voraussetzungen war, mußte also jedem Beobachter klar sein. Und auch der Verlauf der Kirchenführerkonferenz bestätigte nur, daß die E K D keinen leichten Start haben würde. Die alten Fronten waren nach wie vor vorhanden, der Kirchenkampf noch lange nicht vorbei. Für viele der anwesenden Kirchenführer war es nicht leicht, einsehen zu müssen, daß die moralische Legitimation der evangelischen Kirche Deutschlands in dieser Stunde bei den Vertretern der Bekennenden Kirche lag, und das hieß konkret, bei dem eben aus siebenjähriger H a f t heimgekehrten Martin Niemöller 10 . Das Alibi der evangelischen Kirche Deutschlands war die Bekennende Kirche, und die Bekennende Kirche war in dieser Stunde vor allem Martin Niemöller. Die Vertreter der Bekennenden Kirche waren sich dessen wohl bewußt. Bereits auf der Tagung des Reichsbruderrates wurde festgestellt, daß die Kirchenführerkonferenz für sich nicht das moralische Recht habe 11 . Die Kirchenführerkonferenz selbst trug dieser Sachlage Rechnung, indem sie auf Vorschlag des Reichsbruderrates zur vorläufigen Leitung der E K D Bischof Wurm, Martin Niemöller und Hanns Lilje 12 berief und so den Führungsanspruch der Bekennenden Kirche indirekt bestätigte. Aber der weitere Verlauf der Entwicklung machte deutlich, daß diese Entscheidung unter dem „moralischen" Druck der Stunde und gegen die eigentlichen Kräfteverhältnisse innerhalb der E K D das Gesicht der E K D auf die Dauer nicht zu prägen vermochte. Vgl. K J 1945-1948, S. 2-4. In der Erklärung des Rates der Evang.-Luth. Kirdie Deutschlands vom 27. August 1945 heißt es: „Bei der Neuordnung der D E K die Lutherische Kirdie Deutschlands zur Darstellung zu bringen, betrachten sie als ihre vornehmste Aufgabe" 8 9

( F . SÖHLMANN, T r e y s a 1 9 4 5 , S . 1 8 0 ) . 10 Martin Niemöller, geb. 14. 1. 1892, seit 1931 Pfr. in Berlin-Dahlem, hatte im September 1933 den Pfarrernotbund als Keimzelle der Bekennenden Kirdie mitbegründet und galt von da an als der repräsentative Sprecher der kirchenpolitischen Opposition. Am 1. 7. 1937 wegen Verstoßes gegen den Kanzelparagraphen verhaftet, wurde er vom Gericht freigesprochen, kam im März aber dennoch als persönlicher Gefangener Hitlers ins Konzentrationslager, wo er bis Kriegsende blieb. In Treysa 1945 wurde Niemöller in den Rat der E K D berufen und zum Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes ernannt; beide Ämter behielt er bis 1957. Von 1947 bis 1964 war Niemöller Kirdienpräsident der Ev. Kirdie in Hessen und Nassau, von 1961 bis 1968 einer der Präsidenten des Weltkirchenrats. 1 1 Vgl. K J 1945-1948, S. 3, Abs. II/4. 1 2 Hanns Lilje, geb. 20. 8. 1899 in Hannover, gest. 6. 1. 1977 in Hannover, 1925 Generalsekretär des D C S V , 1934 des Luth. Weltkonvents, 1947 Oberlandeskirchenrat, 1947-1969 Landesbischof in Hannover, 1952-1957 Präsident des Luth. Weltbundes, 1955-1969 Leitender Bischof der V E L K D .

Bild vom Kirdienkampf in der Nachkriegszeit

33

2. Das Bild vom Kirchenkampf in der Nachkriegszeit Die Spannungen, die das Werden der EKD von Anfang an begleiteten, sind ein Ergebnis vieler unaufgearbeiteter Probleme aus der Zeit des Kirchenkampfes. Sie wurden in den ersten Nachkriegsjahren noch durch eine einseitig gefärbte Darstellung der Ereignisse verstärkt. Vor allem in der Ökumene hatte sich ein fast legendäres Bild vom Kirchenkampf gebildet. Dafür kann eine Rede Bischof Beils von Chichester vom Februar 1946 als Beispiel dienen. Er sagte unter anderem: „Vor dem Kriege waren die Protestanten gespalten in drei große Gruppen, entsprechend ihrer Reaktion auf den Hitlerismus. Die eine Gruppe war die der .Deutschen Christen'. Sie waren fanatische Nazis und in großer Zahl wirklich Heiden in ihrem Glauben. Ihr Führer war Ludwig Müller, der durch Hitler selbst zum Reichsbischof gemacht war. Eine zweite, die ,gemäßigte' Gruppe, bestand in der Hauptsache aus solchen, die „Sicherheit" wünschten. Viele von ihnen hofften, daß der Nationalsozialismus von seinen Auswüchsen zu heilen sei. Ihr bekanntester Führer hat sich schließlich selbst hoffnungslos mit der Nazisache vereinigt. Die dritte und lebendige Gruppe war die Bekennende Kirche. Sie war wirklich das Herz der Kirche und das Herz des Widerstandes. Sie hieß Bekennende Kirche, weil sie ihren Standpunkt bei dem Glaubensbekenntnis der Kirche einnahm. Sowohl vor wie während des Krieges klagte sie den Antisemitismus und andere Barbareien öffentlich an. Ihre Hauptführer waren Martin Niemöller, Otto Dibelius und Bischof Wurm. Als die Befreiung kam, war es Sache der Bekennenden Kirche, die Führung zu übernehmen." 13 Daß dieses hier geschilderte Bild vom Kirchenkampf den wirklichen Zusammenhängen nicht gerecht wird, darf heute als bekannt vorausgesetzt werden. Es ist aber typisch für die vereinfachte Sicht der Ereignisse nach dem Kriege, die auf objektive Informationsquellen nicht zurückgreifen konnte. Was man damals über die kirchlichen Ereignisse im Hitlerdeutschland wissen konnte, entstammte den von Jahr zu Jahr spärlicher werdenden Informationen, die aus den Kreisen der Bekennenden Kirche ins Ausland gedrungen waren, und war schon aus diesem Grunde einseitig und tendentiös 14 . Dennoch profitierte die EKD zunächst von diesem einseitigen Kirchenkampfbild in der Ökumene. Denn der Kampf der Bekennenden Kirche war überall im westlichen Ausland mit Anteilnahme und Auf13

14

I n : VERORDNUNGS- UND NACHRICHTENBLATT DER E K D N r . 5 , F e b r u a r 1 9 4 6 .

W. STÄHLIN gesteht, er habe seinerzeit Bischof Bell gewarnt, Informationen aus Kreisen der Bekennenden Kirdie für bare Münze zu nehmen (Via Vitae, S. 302).

34

Gestalt, Wesen und Auftrag der Ε K D 1945-1948

merksamkeit verfolgt worden 15 . Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), in der Ökumene als Jugendvertreter bekannt und geschätzt und wichtiger Informant über die kirchlichen Ereignisse in Deutschland, war noch Ende Mai 1942 als Mittelsmann des deutschen Widerstandes in Stockholm mit dem Bischof von Chichester zusammengetroffen und galt als Repräsentant der Bekennenden Kirche; daß er als bewußter Widerstandskämpfer auch innerhalb der Bekennenden Kirche immer ein Außenseiter geblieben war 16 , war damals in der Ökumene nicht gesehen worden. Es ist sicher bezeichnend, daß Bonhoeffer nach seiner Gefangennahme nicht auf der Liste derjenigen stand, für die die Bekennende Kirche Fürbitte tun sollte, und daß auch nach dem Krieg seine Rehabilitierung in der evangelischen Kirche nur zögernd erfolgt ist17. Aber im Ausland hatten seine Verhaftung und Hinrichtung noch kurz vor Kriegsende sowie die langjährige H a f t Niemöllers überall tiefste Anteilnahme ausgelöst. Ihr Martyrium, in dem man den Kampf der ganzen Bekennenden Kirche sich widerspiegeln sah, war der eigentliche Grund für den Vorschuß an Vertrauen, den die deutsche evangelische Kirche in dieser Zeit tiefsten Mißtrauens gegen alles Deutsche für sich buchen konnte. Mitte der 50er Jahre hat die wissenschaftliche Erforschung der Epoche des Kirchenkampfes begonnen. Die Aufarbeitung des inzwischen in reichem Maße zugänglichen Quellenmaterials und die Fülle von Spezialuntersuchungen haben viel dazu beigetragen, ein differenzierteres Bild der tatsächlichen Vorgänge und der Hintergründe des Kirchenkampfes zu vermitteln. Wenn auch noch immer viele Fragen offen sind, so ist doch inzwischen deutlich geworden, daß zu einer Heroisierung des Kirchenkampfes wenig Anlaß besteht. Der Versuch, den Kirchenkampf als eine Widerstandsbewegung gegen Hitler zu deklarieren, muß wohl ein für allemal als gescheitert betrachtet werden. Denn die Bekennende Kirche trat 1933 keineswegs - wie es nach dem Krieg häufig dargestellt wurde - gegen den Nationalsozialismus an, den sie vielmehr wie die allermeisten Deutschen als eine Befreiung begrüßte, sondern gegen die Machtansprüche der Deutschen Christen innerhalb der evangelischen Kirche. Ihr Widerstand richtete sich gegen die Verquickung nationalsozialistischen Gedankengutes mit der christlichen Lehre und gegen Versuche, die Freiheit der Verkündigung anzutasten. Es war ein Kampf, der innerhalb der evangelischen Kirche ausgetragen wurde und der sich erst im Laufe der Entwicklung audi nach 15

Vor allem K. Barth hatte immer wieder darauf aufmerksam gemacht und so die Rückkehr der evangelischen Kirche Deutschlands in die ökumenische Gemeinschaft vorbereiten helfen (vgl. K. BARTH, Beteiligung). 16 Vgl. E. BETHGE, Bonhoeffer, S. 80, 85 u. ö.; A. BOYENS, Ökumene I, S. 187. 17

V g l . H . ASMUSSEN, K i r d i e n g e s c h i c h t e , S . 8 7 .

Bild vom Kirdienkampf in der Nachkriegszeit

35

außen verlagerte. Aber auch dann richtete er sich nicht gegen den nationalsozialistischen Staat als solchen, sondern fast ausschließlich gegen die Übergriffe dieses Staates auf den Raum der Kirche und blieb also letztlich eine innerkirchliche Angelegenheit. Sogar Martin Niemöller, der als Kronzeuge des kirchlichen Widerstandes galt und sieben Jahre als persönlicher Gefangener Hitlers im KZ eingesessen hatte, gestand noch nach seiner Befreiung zur unangenehmen Überraschung der ganzen westlichen Welt in einem Interview, daß seine Gegnerschaft gegen Hitler „mehr religiöser als politischer Art" gewesen sei18. Zu einer erklärten Konfrontation der Kirche mit der Ideologie des Nationalsozialismus ist es, wenn man von den mutigen Alleingängen vieler einzelner Pfarrer absieht, tatsächlich nie gekommen. Als oppositioneller Faktor gegen den Nationalsozialismus fiel die Bekennende Kirche kaum ins Gewicht. Dies gilt audi für die bruderrätliche Bekennende Kirche, die sich nach dem Kriege als die eigentliche Repräsentantin des kirchlichen Widerstandes gegen Hitler verstand. Sie war nach dem Bruch zwischen den sogenannten „intakten Kirchen", denen sich eine ganze Reihe bruderrätlich geführter bekennender Gemeinden angeschlossen hatten, und den sogenannten „Dahlemiten" auf der Synode von Oeynhausen zu einem recht schwachen und einflußlosen Häuflein zusammengeschmolzen. Bischof Wurm hat sie später sogar als Freischar bezeichnet19. Auch sie hat alles zu vermeiden gesucht, was den Eindruck hätte erwecken können, sie stünde nicht loyal zu den Zielen des Nationalsozialismus. Das Dilemma, in dem sich die Bekennende Kirche in Wirklichkeit befand, zeigte sich deutlich während der Tschechenkrise 1938, als sie einerseits durch die Gebetsliturgie auf das Unrechtshandeln des NS-Staates aufmerksam machte, andrerseits sich aber von Karl Barth wegen seines berühmten Briefes an Hromadka aus Loyalitätsgründen gegen eben diesen Staat scharf distanzierte 20 . Daß es ihr dennoch nie gelungen ist, Hitlers Mißtrauen zu zerstreuen, hatte sie weniger ihrem politischen Engagement zu verdanken als ihrer Kompromißlosigkeit in der innerkirchlichen Auseinandersetzung, deren theologische Motivation Hitler unverständlich bleiben mußte. Indem sich die bruderrätliche Bekennende Kirche nicht nur mit den „intakten" Kirchen jeder Gleichschaltung mit dem Staate widersetzte, sondern auch - im Ge18

19

D . SCHMIDT, N i e m ö l l e r , S. 1 7 2 f .

Vgl. Wilhelm Nieseis Äußerung über einen Artikel Wurms auf der Sitzung des Reichsbruderrats am 7./8. Januar 1948 in Kassel: „In diesem findet sich der Satz, daß die ganze BK in den nichtintakten Kirdien eigentlich nur eine Freisdiar gewesen s e i . . . Ich habe darüber inzwischen mit Wurm gesprochen. Das Erschütternde war dabei, daß Wurm audi noch jetzt fest davon überzeugt ist" (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 71 a). 20 Vgl. auch oben Anm. 7.

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Gestalt, Wesen und Auftrag der E K D 1945-1948

gensatz zu ihnen - zu keinerlei taktischen Kompromissen bereit war, geriet sie auch innerhalb der evangelischen Kirche in eine Außenseiterposition und bot so den staatlichen Zugriffen eine leicht verletzbare Flanke. Es ist sicher richtig, daß die (Rest)Bekennende Kirche die eigentliche Last des Kirchenkampfes getragen hat. Und auch der Vorwurf Asmussens, aus dem Rückblick formuliert, daß die Bekennende Kirche immer darunter gelitten habe, daß sie von den Bischöfen der „intakten" Kirchen niemals offiziell Anerkennung gefunden habe, bleibt gültig21. Aber zu einer offenen Konfrontation mit dem Nationalsozialismus hat auch sie, entgegen dem idealisierten Bild vom Kirchenkampf, wie es in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorherrschte, nicht gefunden. So bleibt als Ergebnis und als Herausforderung für den Neubeginn der evangelischen Kirche nach dem Kriege dies: Die evangelische Kirche ist zwar bestenfalls eine „Widerstandsbewegung wider Willen" 22 gewesen; aber dennoch hat sie als einzige Institution dem nationalsozialistischen Staat bis zuletzt erfolgreich widerstanden. Es ist ihr gelungen, sich seinem Totalitätsanspruch zu entziehen und dadurch den totalen Erfolg des Systems zu verhindern 23 . Daß der Auftrag der Kirche nicht allein in der Reinerhaltung des Bekenntnisses besteht, sondern ein Einstehen für die Rechte des Menschen verlangt, und zwar in einer politisch wirksamen Weise, hat sie aus ihrem Versagen gelernt. Die neue Freiheit unter einer neuen „Obrigkeit" nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems bot Gelegenheit zu erweisen, ob die evangelische Kirche nun ihre Verantwortung ohne Zugeständnisse an die staatliche Macht wahrzunehmen bereit und fähig war. Die Auseinandersetzungen zwischen „Lutherrat" und „Bruderrat" um die Führungsrolle innerhalb der EKD müssen audi unter dieser Fragestellung gesehen und beurteilt werden.

3. Reichsbruder rat und Lutherrat der EKD

im Ringen um die Führungsrolle

in

Die Kirchenversammlung in Treysa 1945, das Stuttgarter Schuldbekenntnis, eine an den verschiedensten Stellen in die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung eingeschaltete Kirche gaben, wie gezeigt wurde, zu der Erwartung Anlaß, die evangelische Kirche werde die 21

Kirchengeschidite, S. 73. Diese Prägung stammt von E. WOLF, Art. „Kirchenkampf", RGG 3 , Bd. 3, Sp. 1444; vgl. auch E. BEYREUTHER, Kirchenkampf, S. 10; ähnlich audi Α. BOYENS (Ökumene I, S. 139), der meint, diese Formel werde audi dem Selbstverständnis der Bekennenden Kirdie am besten gerecht. 22

23

V g l . K . D . SCHMIDT, W i d e r s t a n d , S. 31.

Reidisbruderrat und Lutherrat innerhalb der EKD

37

jahrhundertelang geübte Observanz gegenüber dem Staat nun endgültig ablegen und zu einem neuen evangelischen Selbstverständnis finden. Die Hintergründe und der Verlauf der Kirchenführerkonferenz in Treysa 1945 hatten freilich auch deutlich gemacht, daß die im Kirchenkampf entstandenen innerkirchlichen Fronten das von allen erstrebte Zusammenfinden der deutschen evangelischen Christenheit zu einem mühsamen und langwierigen Prozeß gestalten würden. Tatsächlich dauerte die Übergangsphase bis zur Annahme einer Grundordnung der EKD durch die Gliedkirchen noch gut drei Jahre. In diesen drei Jahren schien das schwierige Werk mehr als einmal gefährdet durch die Unnachgiebigkeit der einen oder der anderen kirchenpolitischen Gruppierung. Die Themen waren seit dem Kirchenkampf die gleichen geblieben: Kirchenbegriff, Verhältnis zum Staat, Abendmahlsfrage, Gottesdienst. Die im Kirchenkampf entstandenen Fronten hatten sich eher verhärtet. Im Ringen um die Gestalt einer neuen Kirche entstanden zusätzlich neue Gruppierungen, die die Entwicklung teils hemmend, teils fördernd beeinflußten24. Die beiden wichtigsten kirchenpolitischen Kontrahenten, Lutherrat und Reichsbruderrat, die sich in der letzten Phase des Kirchenkampfes im Kirchlichen Einigungswerk zu gemeinsamem brüderlichem Zusammengehen bereit gefunden hatten, hatten sich bereits vor der Kirchenversammlung in Treysa 1945 neu formiert. Während sich der Luther24

Neben Reidisbruderrat und Lutherrat sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung: 1. Der „Detmolder Kreis", ein Zusammenschluß von nicht dem Lutherrat zugehörigen lutherischen Kirchen und Gemeinden, der sich im Kontext der Auseinandersetzungen um die Grundordnung der EKD auf Initiative Hans Asmussens zusammengefunden hatte. Er nahm zwischen den unionistischen Bestrebungen der Bekennenden Kirche (Reidisbruderrat) und den konfessionalistisdien des Lutherrates eine vermittelnde Rolle ein. 2. Als radikale Linke ist außerdem die „Kirchlich Theologische Arbeitsgemeinschaft für Deutschland" (Kirchlich Theologische Sozietät) zu nennen, die - mit Hermann Diem an der Spitze - eine radikale und kompromißlose kirchliche Erneuerung auf der Grundlage der Barmer Theologischen Erklärung anstrebte. Sie erkannte die EKD nicht als die Nachfolgeorganisation der Bekennenden Kirdie an (vgl. den Brief Diems an den Bruderrat der EKD, z. H d . von J. Beckmann, vom 24. September 1948; L K A DARMSTADT, 3 6 / v o r l . 71 c).

Hans Asmussen, geb. 21. 8. 1898 in Flensburg, gest. 30. 12. 1968 in Heidelberg, 1923-1934 Pfr. in Flensburg, Albersdorf, Altona, 1934 pensioniert, dann im Präsidium der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen, 1936 Gründer und erster Leiter der Kirdil. Hochschule Berlin, 1945-30. 9. 1948 Präsident der Kirchenkanzlei der EKD, 1948-1955 Propst von Kiel. Hermann Diem, geb. 2. 2. 1900 in Stuttgart, gest. 27. 2. 1975 in Tübingen, 1934 bis 1950 Pfr. in Ebersbadi und Leiter der Kirchlich-Theologischen Sozietät in Württemberg, 1950 Lehrauftrag, 1955 a. o. Prof., 1957 ord. Prof. für Syst. Theologie in Tübingen.

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Gestalt, Wesen und Auftrag der EKD 1945-1948

rat 1945 trotz seines ideologischen Führungsanspruches offensichtlich noch ganz der Linie des kirchlichen Einigungswerkes verpflichtet fühlte 25 , wurde der Reichsbruderrat, jetzt Bruderrat der EKD, rasch durch den an den kirchlichen Entwicklungen der Kriegszeit nicht mehr beteiligten Martin Niemöller kirchenpolitisch radikalisiert und zum einzig legitimen „Sprecher" und „Leitungsorgan" der Bekennenden Kirche aufgebaut. In seinem Grußwort zu Beginn der Bruderratssitzung vom 21. bis 23. August 1945 in Frankfurt/Main machte Niemöller deutlich, daß er die Übernahme der kirchenleitenden Befugnisse in den neuzuordnenden Landeskirchen durch Männer der Bekennenden Kirche wünschte und von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Kirchenkonferenz von Treysa beseelt war: „Wenn wir nicht die böse Vergangenheit in eine noch bösere Zukunft mitschleppen wollen, dann muß die Kirche in ihrer Gesamtheit auf die Linie der Bekennenden Kirche ausgerichtet werden." 26 Mit dieser Forderung, die praktisch einen Rückgriff auf die frühe Phase des Kirchenkampfes darstellte und die späteren Entwicklungen außer acht ließ27, hat Niemöller nicht nur, wie sich im weiteren Verlauf zeigte, den Reichsbruderrat in seiner damaligen Zusammensetzung theologisch und kirchenpolitisch überfordert, sondern auch manche überflüssigen Kontroversen mitprovoziert. Zur Kirchenführerkonferenz in Treysa entsandte der Reichsbruderrat eine zehnköpfige Delegation, u. a. mit Karl Barth, dessen Erscheinen wegen seiner Haltung in der Tschechenfrage28 auch in Kreisen der Bekennenden Kirche als unangenehme Überraschung empfunden wurde. Schon vorher hatte der Reichsbruderrat dem einladenden Bischof Wurm eine Entschließung überreicht29, in der er die wichtigsten 25 Allerdings hat es unmittelbar nadi Kriegsende aber auch ernsthafte lutherische Pläne zur unverzüglichen Ausrufung einer VELKD gegeben, was praktisch nur den Sinn haben konnte, einen weitergehenden Einfluß der Bekennenden Kirche auf eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse so weit wie möglich auszuschalten (vgl. A. SMITH-VON OSTEN, Von Treysa bis Eisenadi, S. 84 ff.). Danach ist die sofortige Ausrufung der VELKD nodi vor der Kirchenführerkonferenz in Treysa nur am Veto Wurms gescheitert. 29

LKA DARMSTADT, 36/vorl. 37. Niemöller übersah die Relevanz des Zusammenschlusses im Kirchlichen Einigungswerk. Damit überging er auch das Anliegen vieler Mitglieder der Bekennenden Kirche, den alten Streit endlich begraben sein zu lassen. In dieser Fehleinschätzung liegt m. E. die Ursache für eine ganze Reihe audi im Bruderrat zutage getretener Unstimmigkeiten. - D a ß Niemöller selbst seine „Unzeitgemäßheit" gelegentlich schmerzlich empfunden hat, zeigt A. SMITH-VON OSTEN (Von Treysa bis Eisenach, S. 2 4 ff.). 27

20

Vgl. oben Anm. 7. KJ 1945-1948, S. 2-4. - TH. WURM erinnert sich, daß er darüber sehr beunruhigt gewesen sei (Erinnerungen, S. 179 ff.). 20

Reithsbruderrat und Lutherrat innerhalb der E K D

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kirdienpolitisdien Entscheidungen von Treysa, wie die Zusammensetzung des Rates der E K D , die Wahlvorschläge für den Ratsvorsitzenden etc., vorwegnahm und seinen Führungsanspruch geltend machte. Da die Kirchenversammlung unter dem moralischen Druck der Stunde diesem Führungsanspruch des Reichsbruderrates, wenn auch nach zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen, Rechnung trug, hatte die Bekennende Kirche damit, jedenfalls für die Dauer der vorläufigen Ordnung der E K D , auf die endgültige Gestaltung der E K D einen erheblichen Einfluß. Dieser Einfluß machte sich bereits darin bemerkbar, daß in den „Erläuterungen zur vorläufigen Ordnung der E K D " unter 1. vermerkt wird, der Reichsbruderrat habe seine kirchenleitenden Funktionen vorläufig auf den Rat der E K D übertragen 30 . Er machte sich noch einmal - zum letztenmal - darin geltend, daß der Rat der E K D in seiner Einführungsverordnung zur Grundordnung der E K D eine Ratifizierung der Grundordnung durch den Bruderrat vorsah. Diese Ratifizierung ist 1948 tatsächlich audi erfolgt 31 . Erst danach erklärte der Reichsbruderrat den Kirchenkampf als beendet und seine kirchenleitenden Funktionen als erloschen. Dennoch erfolgte zur nicht geringen Überraschung der kirchlichen Öffentlichkeit kurz danach - im Januar 1949 - eine Neukonstituierung der Bekennenden Kirche 32 . Diese Neukonstituierung bezeichnet freilich nicht so sehr einen neuen Anfang als vielmehr das Ende zum Teil erheblicher Auseinandersetzungen in den Reihen der Bekennenden Kirche und insbesondere des Reichsbruderrates selbst, in deren Verlaufe praktisch alle diejenigen Kräfte ausschieden, die theologisch und kirchenpolitisch nicht auf der Linie von Karl Barth und Martin Niemöller lagen 33 . Die Bekennende Kirche hatte sich damit im Verlaufe der Entwicklung, wie kaum anders zu erwarten war, von einer repräsentativen Vertretung der besten Kräfte der deutschen evangelischen Kirchen, in der auch mancher konservative Lutheraner sich zu Hause fühlen konnte, zu einer kirdienpolitisdien „Gruppe" verengt 34 . Wenn 3 0 Vgl. K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 17. Dieser Passus kam auf Betreiben Niemöllers in die „Erläuterungen" hinein. 3 1 Entschließung des Bruderrats der E K D vom 15. Juli 1948 ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 106 f). 3 2 Die Entscheidung fiel in der Sitzung des Reichsbruderrates vom 6./7. Januar 1949 in Detmold ( L K A DARMSTADT, 36/vorl. 46 a). 3 3 Besonders schmerzlich war in diesem Zusammenhang die Kontroverse um Asmussen, den Leiter der Kirchenkanzlei der E K D , der während des Kirchenkampfes ein führender Mann der Bekennenden Kirche und Mitverfasser der Barmer Theologischen Erklärung gewesen war. Asmussen repräsentierte den lutherischen Flügel innerhalb des Reichsbruderrates, der ihm unter Karl Barths Einfluß zu einseitig und zu radikal wurde. 3 4 Dieser Prozeß der Verengung zur „Gruppe" wurde von der Bekennenden Kirche offensichtlich erst langsam und zögernd wahrgenommen, dann aber ganz bewußt

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Gestalt, Wesen und Auftrag der E K D 1945-1948

ich sie trotzdem nicht mit Karl Kupisch als „Veteranenkorps" 35 bezeichnen würde, dann deshalb, weil sie gerade durch diese kirchenpolitische Verengung für politisch engagierte Theologen der nachfolgenden Generation wieder attraktiv wurde und in der Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung als kirchenpolitische Gruppe und „Unruhe" 36 der EKD eine wichtige Rolle spielte. Da sich der Reichsbruderrat in der Nachkriegszeit jedoch zunächst nicht als „Gruppe", sondern als legitime Vertretung der evangelischen bekennenden Gemeinden verstand, mußte er vom Lutherrat, der proporzmäßig die weitaus stärkere Position besaß, als eine gefährliche Herausforderung verstanden werden. Sein Führungsanspruch trug wesentlich dazu bei, daß auf lutherischer Seite der Zusammenschluß zur VELKD verstärkt betrieben wurde und daß im übrigen die Autonomie der Landeskirchen eine immer größere Bedeutung bekam. Nur durch einen engeren lutherischen Zusammenschluß glaubten die lutherischen Kirchen den „unionistischen" Bestrebungen der Bekennenden Kirche und dem „Feuer der calvinistischen Theologie" 37 erfolgreich widerstehen zu können. Man muß jedoch gerechterweise anmerken, daß die lutherischen Kirchen an keiner Stelle des oft außerordentlich harten Kampfes um die Gestalt der EKD den Gedanken erwogen haben, die EKD zu boykottieren, oder - was angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der lutherischen Kirchen ein leichtes gewesen wäre ihr Zustandekommen überhaupt zu verhindern. Daß sie es nicht taten, ist eher eine erstaunliche Tatsache, wenn man den zum Teil erheblichen moralischen Beschüß der Lutheraner durch die Bekennende Kirche in Rechnung stellt. Man muß daraus und aus der Leidenschaftlichkeit, mit der der Kampf um die Gestaltung der EKD geführt wurde, schließen, daß tatsächlich im Kirchenkampf jenseits aller trennenden konfessionellen Schranken eine Erfahrung der Zusammengehörigkeit entvollzogen. Er stand ja zunächst in eklatantem Widerspruch zu dem Anspruch des Reichsbruderrates, „die Verantwortung für das Ganze der EKD" wahrzunehmen, wie es Wilhelm Niesei in der Bruderratssitzung am 15./16. Oktober 1948 in Bad Boll formulierte. - Dem stellte Niemöller entgegen: „Wir sind eine kirchliche Gruppe gewesen. Ich habe gar keine Angst, wieder eine kirchliche Gruppe zu sein" (LKA DARMSTADT, 3 6 / v o r l . 7 1 c ) . 35

Quellen I, S. 13. Dieser Ausdruck fiel mehrfach auf der Sitzung am 14./15. Juli 1948, in der der Reichsbruderrat die Grundordnung der EKD ratifizierte und damit endgültig Abschied von seinen „kirchenleitenden Befugnissen" nahm: „Wir haben unsere kirchenleitenden Funktionen abzugeben, aber wenn ein neuer Notstand entstände, hätten wir sofort als BK aktiv zu werden. Bis dahin haben wir unsere widitigen Ämter abzugeben und sozusagen die Unruhe zu sein" (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 71 b; Votum von Middendorf). 37 So Walter Künneth in seinem Referat auf der Luth. Generalsynode in Eisenach 36

1 9 4 8 ( L U T H . GENERALSYNODE 1 9 4 8 , S. 3 3 ) .

Das politisdie Mandat der E K D

41

standen ist, die von allen beteiligten Gruppen als unverzichtbarer Anspruch erlebt wurde 3 8 . Der Hinweis auf die Gemeinden, die eine neuerliche Zersplitterung der evangelischen Christenheit Deutschlands nicht verstehen könnten 39 , reicht zur Erklärung dieses erstaunlichen Tatbestandes ebensowenig aus wie etwa die Überlegung, daß die E K D als einzige Institution die Einheit Deutschlands repräsentiere. Sicherlich hat die E K D im späteren Verlauf der Geschichte gerade auch diese Rolle gespielt. Für die Phase ihrer Gründung in der Nachkriegszeit war aber dieses nationale Element noch nicht so bedeutsam, weil sich die drohende Spaltung Deutschlands erst in der Hoch-Zeit des Kalten Krieges anbahnte. 4. Das politische Mandat der EKD als Ertrag des Kirchenkampfes So blieb der Wille zur E K D als ein Kontinuum erhalten. Die Frage freilich nach Wesen und Auftrag dieser E K D blieb kontrovers und konnte letztlich nur durch weitgehende Kompromisse beider Seiten gelöst werden. Die Fragen, die in diesem Zusammenhang am heißesten umstritten waren, spielen für unsere Untersuchung nur eine untergeordnete Rolle: ob die E K D angesichts des unterschiedlichen Bekenntnisstandes der einzelnen Gliedkirchen Kirche im Vollsinne des Wortes sein könne; ob demzufolge innerhalb der E K D eine volle Abendmahlsgemeinschaft bestehen könne; ob die Barmer Theologische Erklärung den Charakter eines alle Gliedkirchen bindenden Bekenntnisses habe usw. Es ist hier nicht der Ort, dem Gang der Auseinandersetzungen um 3 8 So schrieb ζ. B. Landesbischof Meiser am 13. März 1947 an den Bruderrat der E K D u. a.: „Daß wir, was die tatsächlichen Entscheidungen des Kirchenkampfes betrifft, nicht hinter diese zurückgehen und die Gemeinschaft mit den anderen von daher nicht aufgeben wollen, haben wir auch ohne die direkte Erwähnung von .Barmen' [in der Verfassung der VELKDJ deutlich genug ausgesprochen. Man soll dies ernstnehmen und es uns glauben" ( L K A DARMSTADT, 36/vorl. 23 b). Mir scheint, daß dieser Satz die prinzipielle Haltung des Lutherrats zur E K D durchaus zutreffend beschreibt. Im übrigen mag auch ein gewisses lutherisches Sendungsbewußtsein den Willen zur E K D bestärkt haben. So sagte etwa Lilje auf der luth. Generalsynode 1948: „Idi beginne sentimental zu sprechen, daß wir uns den Brüdern, die unsere Gemeinschaft wollen, vor Gott nicht verweigern dürfen. Sie fallen sonst dem Enthusiasmus anheim, oder sie verfallen einem merkwürdigen Tiefsinn oder werden Diagnostiker der N o t mit ihren Entgleisungen" (LUTH. GENERALSYNODE 1948, S. 146). Künneth spradi fast bis in die Wortwahl von einer „Sendung für die E K D " und fuhr fort: „Im lutherischen Bekenntnis ist das Fundament gegen die Welle des Enthusiasmus, der auch vor den Kirchenmauern nicht haltmacht, gegeben (ebd.,

5. 45). 3 9 Wurm auf seiner Begrüßungsansprache in Treysa 1945 (F. SÖHLMANN, Treysa 1945, S. 16).

42

Gestalt, Wesen und Auftrag der Ε K D 1945-1948

diese Fragen im einzelnen nachzugehen. Aber bereits ein flüchtiger Blick in die endgültige Fassung der Grundordnung der EKD lehrt, daß eine Klärung in diesen Fragen nicht erzielt werden konnte, daß die EKD also als ein „Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen" weitergehende Erwartungen bitter enttäuschen mußte. In diesen Fragen hat der lutherische Konfessionalismus über die Hoffnungen der Bekennenden Kirche, die „rabies theologorum" über die Erwartungen der Laien gesiegt. Die EKD wurde insofern nicht ein stolzer „Tempel" sondern, wie Wurm es formulierte, nur eine bescheidene „Baracke"40. Angesichts dieses bescheidenen Ergebnisses ist es um so erstaunlicher, daß der EKD ein so breiter und weitreichender Katalog von Aufgaben zugestanden wurde 41 . Wenn man den Gang der Auseinandersetzungen anhand von Sitzungsprotokollen und Rundsdireiben verfolgt, muß man fast zu der Feststellung kommen, daß über den dogmatischen und kirchenpolitischen Differenzen die für das faktische Gewicht einer späteren EKD so wichtigen Fragen nach deren Auftrag praktisch untergegangen sind. Es scheint, daß zumindest auf lutherischer Seite die Relevanz dieser Fragen nicht erkannt worden ist. Sie wurde jedenfalls kaum diskutiert und spielte auch bei den Beratungen zur Verfassung der VELKD, die ja in dauernder Korrespondenz zur Grundordnung der EKD entstand, nur eine untergeordnete Rolle. Auf der Lutherischen Generalsynode, die der verfassunggebenden Kirchen Versammlung der EKD 1948 unmittelbar vorausging, wurde die Frage der Zuständigkeiten für die EKD zwar angeschnitten, aber nicht in der der Wichtigkeit der Sache eigentlich zustehenden Breite verhandelt. Die Versammlung ging vielmehr überraschend schnell über die in der Grundordnung formulierten Aufgaben der EKD, zu denen ζ. B. die Vertretung der evangelischen Kirche nach außen gehörte sowie das Recht, im Namen der deutschen evangelischen Christen Kundgebungen zu erlassen, hinweg 42 . Ohne Widerspruch stimmte die Synode dem Kommentator des Verfassungsentwurfes der VELKD zu, der die Auffassung vertrat, diese Aufgaben überlasse man besser der umfassenderen Organisation 43 . 40

Wurm am Ende der verfassunggebenden Kirchenversammlung in Eisenadi 1948 (vgl. KJ 1945-1948, S. 95). 41 Vgl. Art. 6 - 2 0 der Grundordnung der E K D (KJ 1945-1948, S. 97 ff.). 42 Nur der damalige Leiter des Katedietischen Seminars in Erlangen, Hermann Dietzelfelbinger, schnitt das Problem an, das an dieser Stelle eigentlich für jeden bekenntnistreuen Lutheraner hätte auftaudien müssen, und fragte, welche kirchenleitenden Befugnisse eigentlich nicht das Bekenntnis beträfen: „Was kann in den Kundgebunden der Evang. Kirche in Deutschland eigentlich alles stehen?" (LUTH. GENERALSYNODE 1 9 4 8 , S . 1 2 7 ) . 43

Ebd., S. 61.

Das politische Mandat der E K D

43

Diese „Achtlosigkeit" der Lutheraner gegenüber dem Aufgabenkatalog für die EKD könnte damit zu erklären sein, daß bereits in der Verfassung des Kirchenbundes von 1922 diese Fragen geregelt worden waren 44 , daß also das Bewußtsein einer historischen Kontinuität zum Kirchenbund dies nahelegte. Als Argument tauchte dieser Zusammenhang allerdings in den inhaltlichen Diskussionen zur Grundordnung der EKD nur am Rande auf 45 . Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit mit ihren Kämpfen, ihren Enttäuschungen und mit ihrer Schuld waren noch so lebendig, so präsent, daß letztlich alle, die an der Ausgestaltung der EKD fördernd - oder hemmend - mitarbeiteten, von der Vorstellung beseelt waren, ein „Neues zu pflügen". Wenn dies aber stimmt, dann kann die nur von wenigen Lutheranern problematisierte Beauftragung der EKD mit einem „öffentlichen Mandat" nur bedeuten, daß man die Relevanz eines gesellschaftsbezogenen Engagements der Kirche für Theologie und Kirche nicht erkannt hat. Sonst wäre die so offenkundige und auch oft geäußerte Sorge vor einer calvinistischen Unterwanderung der EKD in der Bestimmung der Aufgaben der EKD viel stärker wirksam geworden 46 . Um so intensiver beschäftigte sich der Reichsbruderrat mit diesen Fragen. Er hatte die Entwicklung hin zur VELKD von Anfang an mit Mißtrauen verfolgt. Er witterte darin - nicht zu Unrecht - den Versuch, eine Gegenmacht zur Bekennenden Kirche aufzurichten. Um die kirchenpolitische Entwicklung möglichst im Sinne der Bekennenden Kirche zu beeinflussen, wurde deshalb eine Abordnung des Reichsbruderrates beauftragt, mit dem Lutherrat Gespräche aufzunehmen 47 , in denen die zwischen Bruderrat und Lutherrat kontroversen Punkte geklärt werden sollten. Diese sogenannten „Neuendettelsauer Gesprä44 Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dr. Klaus Scholder. Vgl. auch: J. HOSEMANN, Kirchenbund, und jetzt: J. R. C. WRIGHT, Kirchenführer. 45 Lilje wies offenbar als einziger auf der Tagung des Lutherrats in Fulda vom 15./16. Oktober 1947 einmal auf diesen Zusammenhang hin, ohne daß sein Beitrag jedoch aufgenommen und diskutiert wurde, und stellte fest, daß die „theologische und kirchenrechtliche Substanz des Verfassungsentwurfs der EKD dieselbe sei wie

1 9 2 2 u n d 1 9 3 3 " ( v g l . A . SMITH-VON O S T E N , V o n T r e y s a b i s E i s e n a c h , S. 3 6 1 ) . 48

Wohl wurden in dem mit einiger Verspätung vorgelegten lutherischen Gegenentwurf zum Entwurf der Grundordnung der E K D vom 29. August 1947 als strittiger Punkt audi die „Kompetenzen der EKD" genannt; es wurde festgestellt, die E K D könne kein Hirten- und Wächteramt haben (ebd. S. 379), und eine Überarbeitung dieses Punktes gefordert; aber schließlich verzichtete der Lutherrat doch darauf, den Aufgabenkatalog der EKD - trotz vorhandener Bedenken - zu beanstanden (vgl. die „Stellungnahme des Lutherrates zur Grundordnung der E K D und zugleich Vorschlag für eine Neuformulierung des Entwurfes II - Fassung vom 9. März 1948 Kassel - " , Teil II, Punkt 4; ebd., S. 387), um anderen Prioritäten zum Sieg zu verhelfen. 47 Vgl. den Bericht über die Tagung des Reichsbruderrates am 5./6. Mai 1946 in Treysa, S. 5 (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 22 b).

44

Gestalt, Wesen und A u f t r a g der E K D 1945-1948

che" drohten mehrfach zu scheitern. Ohne Ergebnis waren sie aber dennoch nicht. Wenn auch in den entscheidenden Fragen des Kirchencharakters der E K D und der vollen Abendmahlsgemeinschaft nur Kompromisse ausgehandelt wurden, so verhinderten diese Gespräche doch ein völliges Auseinanderbrechen dieser beiden wichtigen Gruppierungen und bewahrten die E K D davor, zu einer bloßen organisatorischen „Dachorganisation" 48 zu verengen. Parallel zu den Verhandlungen mit dem Lutherrat begann eine Kommission des Reichsbruderrates an einer Verfassung für die E K D zu arbeiten. Es ging dem Bruderrat darum, durch die Vorlage eines eigenen Verfassungsentwurfes, an dem der Rat der E K D nicht einfach würde vorbeigehen können, aktiv an der Gestaltung der E K D mitzuwirken und sicherzustellen, daß die aus dem Kirchenkampf gewonnenen Einsichten in der Verfassung der E K D zum Tragen kämen 49 . Die Gespräche mit dem Lutherrat hatten dabei die Funktion, nach Möglichkeit den Zusammensdiluß der lutherischen Kirchen zur V E L K D zu verhindern und die Grenzen abzustecken, innerhalb deren es möglich sein würde, die Vorstellungen der Bekennenden Kirche in die Gestaltung der E K D einzubringen. Die Verhandlungen mit dem Lutherrat gestalteten sich schwierig. Nicht weniger schwierig freilich erwiesen sich die Verhandlungen im Reichsbruderrat selbst. Denn der Reichsbruderrat repräsentierte in seiner Zusammensetzung keineswegs eine einheitliche kirchenpolitische Front, sondern bot - wenn auch die Führungsrolle Martin Niemöllers unbestritten blieb - in den ersten Nachkriegsjahren ein einigermaßen verwirrendes und gelegentlich höchst kontroverses Bild. Im Blick auf die im Reichsbruderrat vorhandenen Zielvorstellungen für die E K D lassen sich mindestens zwei divergierende Positionen feststellen. Die eine Gruppe mit Martin Niemöller und Herbert Mochalski an 4 8 Wie aus einem Rundschreiben Modialskis v o m 15. Dezember 1946 über die Sitzung des Reichsbruderrats v o m 5./6. Dezember 1946 hervorgeht, bestand hier die Angst, d a ß es einer solchen „Dachorganisation, die sogenannte gemeinsame Interessen gegenüber dem S t a a t zu vertreten h a t " , verwehrt sei, „ f ü r das G a n z e der E K D ein Wort an die Christenheit in Deutschland oder in der Welt zu richten, wie er [der Rat der EKD] es im O k t o b e r 1945 in S t u t t g a r t getan h a t " ( L K A DARMSTADT, 36/vorl. 22 c). 4 9 In einem Brief an J . Beckmann v o m 31. Dezember 1946 forderte H . Mochalski, so schnell wie möglidi einen eigenen V e r f a s s u n g s e n t w u r f der Bekennenden K i r che f ü r die E K D v o r z u l e g e n : „ N u r so werden wir nicht nur negativ in der K r i t i k und Abwehr, sondern auch positiv mit g a n z konkreten Vorschlägen dem P r o j e k t der V E L K D entgegenzutreten vermögen und . . . auf der geplanten Kirchenversammlung von vornherein die D i n g e in der H a n d haben k ö n n e n " (ebd., vorl. 23 a).

Joachim Beckmann, geb. 1901, 1933-48 P f r . in D ü s s e l d o r f , 1945 Mitglied der Rheinischen Kirchenleitung, 1 9 5 8 - 1 9 7 1 P r ä s e s ; Mitglied des Reichsbruderrates und des Bruderrates der E K D .

Das politische Mandat der E K D

45

der Spitze strebte eine E K D an, die sich unmittelbar als Nachfolgeorganisation der Bekennenden Kirche verstand und deren theologische und kirchenpolitische Zielvorstellungen verwirklichen wollte 5 0 . Die andere Gruppe, zu der mit Hans Asmussen die meisten lutherischen Vertreter gehörten, stellte sich die E K D als Nachfolgeorganisation des Kirchlichen Einigungswerkes vor 5 1 . Diese unterschiedlichen Vorstellungen waren zunächst nur ungenau als kontroverse theologische Positionen erkennbar. Die eigentliche Auseinandersetzung um die Interpretation der lutherischen Zwei-Reidie-Lehre, die in den 50er Jahren zum beherrschenden Thema der theologischen Diskussion innerhalb der E K D wurde, stand noch aus. Aber die grundlegenden Tendenzen zeichneten sich dennoch schon deutlich ab und bestimmten die inhaltliche Diskussion des öffentlichen Mandats des E K D im Reichsbruderrat. Die Anhänger der Theologie K a r l Barths im Reichsbruderrat definierten das öffentliche Mandat der Kirche von einer christozentrischen Weltanschauung her als völlige Durchdringung des öffentlich-politischen Bereichs mit dem unmittelbaren Gehorsamsanspruch Jesu Christi. Von daher bezogen sie die Begründung für ihr militantes politisches Engagement in den folgenden Jahren. Die lutherischen Vertreter im Reichsbruderrat orientierten sich an der traditionellen Ausgestaltung der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre, mit der die prinzipielle U n terschiedenheit des „geistlichen" und „weltlichen" Regimentes Jesu Christi untermauert wird. Dem weltlich-politischen Bereich wird in diesem Denken eine Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit zugesprochen, was ein direktes christliches Votum zu politischen Fragen sehr erschwert und praktisch häufig unmöglich machte. Gegen das gelegentlich übersteigerte prophetische Sendungsbewußtsein einer christozentrischen Theologie war diese Position gefeit. Anfällig war sie dagegen für eine allzu kritiklose Anpassung an jede politische Strö5 0 Diese Prämisse, daß es eindeutige theologische und kirchenpolitische Einsichten aus dem Kirdienkampf gebe, fand freilich viel Widerspruch, auch im Reichsbruderrat selbst, und läßt sich wohl schwerlich aufrechterhalten. Diese Eindeutigkeit bestand nur für denjenigen, der sich von Barmen her konsequent der theologischen Führung Karl Barths anvertraut hatte, dessen dominierende Rolle im Reichsbruderrat seit 1945 vor allem durch Niemöller garantiert war. Herbert Modialski, geb. 28. 10. 1910, 9. 3. 1936 ordiniert durch die Bekennende Kirche, Pfarrdienst in Oberwaiden/Schlesien, 16. 8. 1937 dort ausgewiesen, 1941 bis 1945 Verwalter der Pfarrstelle M. Niemöllers in Berlin-Dahlem, 1 9 4 8 - 1 9 5 1 Geschäftsführer des Reichsbruderrats, 1 9 5 1 - 1 9 6 1 Studentenpfarrer in Frankfurt. 5 1 Auf diese im Reichsbruderrat zahlenmäßig geringere Gruppe sind die Zugeständnisse an die lutherischen Einigungsbestrebungen zurückzuführen, die sich in den „Gedanken zur Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland" vom 20. Januar 1947 finden ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 73 ff.).

46

Gestalt, Wesen und Auftrag der Ε K D 1 9 4 5 - 1 9 4 8

mung, da sie eine Relativierung aller politischen Uberzeugungen beförderte. Wenngleich diese theologisch-politischen Gegensätze im Reichsbruderrat damals noch nicht die Ausprägung gefunden hatten, die sie in der Auseinandersetzung zwischen Luthertum und Calvinismus späterhin bekamen, so resultierten aus ihnen doch tiefgreifende Spannungen, die durch das Bewußtsein einer gemeinsamen Verantwortung für die Ausgestaltung der E K D nur mühsam überdeckt werden konnten. Als Folge der dominierenden Rolle der Anhänger Karl Barths im Reichsbruderrat setzte sich aber bei der Arbeit an der Grundordnung der E K D doch der politische Aspekt in der Beauftragung der E K D durch. Während der Bruderrat in den Fragen des Bekenntnisses mit Rücksicht auf den lutherischen Konfessionalismus Zugeständnisse machen mußte, die weit hinter den Vorstellungen von Barmen zurückblieben, wollte er sich von dem öffentlichen Mandat der E K D nichts abhandeln lassen. Einigkeit bestand ja im Reichsbruderrat in einem Punkte: die E K D sollte eine Kirche sein, die sich ihrer öffentlichen Verantwortung nicht wieder, wie im „Dritten Reich", entzog, sondern ihr Wächteramt gegenüber den Entwicklungen in Staat und Gesellschaft verantwortlich wahrnahm 52 . Daß dieses öffentliche Mandat in der Praxis verschiedene Auslegungen zuließ, wurde zwar gesehen, aber nicht übermäßig problematisiert. Die prinzipielle Beauftragung der E K D damit war nicht kontrovers, und in dem Bestreben, ihr möglichst viel realen Einfluß und Repräsentanz zuzuweisen, waren sich alle einig. Schließlich konnte trotz der Kontroversen im Reichsbruderrat selbst und unter Einbeziehung der Ergebnisse der Neuendettelsauer Gespräche ein Verfassungsentwurf des Reichsbruderrates ausgearbeitet und der Öffentlichkeit vorgelegt werden 53 , der trotz mancher späterer Abänderungen noch deutlich die Handschrift des Reichsbruderrates trug und die endgültige Fassung der Grundordnung der E K D wesentlich beeinflußte 54 . Man kann sicher sagen, daß die E K D , wie sie sich auch heute noch versteht, in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung weitgehend von den Zielen und Vorstellungen der Bekennenden Kirche geprägt ist. Daß die evangelische Kirche gegenüber den politischen und sozialen Aufgaben der Zeit ein Wächteramt wahrzunehmen willens war, dokumentierte sie in den vielen Kundgebungen und Denkschriften, die sie seit ihrem Bestehen immer wieder herausgegeben hat. Es läßt sich 5 2 Dafür ist grundlegend die „Erklärung des Bruderrates der E K D vom 20. März 1946", besonders Punkt I X (ebd., S. 69 ff.). 5 3 Der Verfassungsentwurf wurde in Form eines Flugblatts versandt, was der Heidelberger Systematiker Edmund Schlink in einem Brief vom 10. April 1947 an J . Bedemann kritisierte ( L K A DARMSTADT, 36/vorl. 23 b). 5 4 Vgl. die Gegenüberstellung der verschiedenen Entwürfe mit der endgültigen Grundordnung bei H . BRUNOTTE, Grundordnung, S. 316 ff.

Das politische Mandat der E K D

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aber nicht übersehen, daß diese Selbstverpflichtung der E K D auf ein öffentliches Mandat nur zustande gekommen ist, weil beide kirchenpolitischen Gruppen in den entscheidenden Gesprächen um die Ausgestaltung der Grundordnung der E K D zunächst darauf verzichtet haben, eine gemeinsame theologische Basis für das öffentliche Reden und Handeln der Kirche zu erarbeiten. Damit wurde zwar der Anspruch auf das öffentliche Mandat gerettet. In der Folge führte dieser Verzicht aber dazu, daß der Einfluß der Bekennenden Kirche auf die inhaltliche Ausgestaltung des politischen Mandats der E K D im konkreten Fall unter dem Druck der realen Kräfteverhältnisse innerhalb der E K D immer stärker zurückging und in der weiteren Entwicklung kompromißlerischen Entscheidungen Platz machen mußte.

TEIL

II

DIE AUSEINANDERSETZUNGEN I N DER EKD ZUR FRAGE DER WIEDERBEWAFFNUNG BIS ZUR E I N F U H R U N G DER ALLGEMEINEN WEHRPFLICHT I N DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

Kapitel 3

Die evangelische Kirche und die Entmilitarisierungspolitik der Siegermächte 1. Unreflektierte

Bejahung der

Entmilitarisierung

Erklärtes Ziel der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges war die völlige Entmilitarisierung und Entnazifizierung Deutschlands1. Nachdem Europa innerhalb eines Vierteljahrhunderts zweimal von Deutschland in einen Weltkrieg hineingezogen worden war, sollte der deutsche Militarismus ein für allemal mit der Wurzel ausgerottet werden, so daß die Welt nie wieder einen deutschen Angriffskrieg zu fürchten haben würde. In den Vorstellungen der Siegermächte hing dieser Militarismus den Deutschen wie eine Erbkrankheit an, so daß nur eine völlige Entwaffnung der Deutschen - auf 25, ja sogar auf 40 Jahre hinaus2 - und ein vollständiger Abbau der Kriegsindustrie genügende Sicherheit vor einem neuerlichen deutschen Angriffskrieg zu versprechen schien. Die mit einer vollständigen Entwaffnung Hand in Hand gehenden politischen, wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Fragen wurden in diesem Stadium der Kooperation der Siegermächte 1 In der Directive JCS 1067 vom April 1945 heißt es: „c) Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung des Weltfriedens zu werden. Wichtige Schritte zur Erreichung dieses Zieles sind die Ausschaltung des Nazismus und Militarismus in jeder Form, die sofortige Verhaftung der Kriegsverbrecher zum Zwecke der Bestrafung, die industrielle Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands mit langfristiger Kontrolle des deutschen Kriegspotentials und die Vorbereitungen zu einem späteren Wiederaufbau des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage" (vgl. P. NOACK, Nachkriegszeit, S. 187). 2 Der Byrnes-Plan sah 25 Jahre Entwaffnung vor; der sowjetische Außenminister Molotow verlangte sogar 40 Jahre (vgl. TH. VOGELSANG, Deutschland, S. 30).

Unreflektierte Bejahung der Entmilitarisierung

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wenn schon gesehen, so doch nicht zu Ende gedacht. Die fundamentalen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion (und auch Frankreichs, das allerdings auf der Potsdamer Konferenz noch nicht mitvertreten war) diktierten die Pläne für die Behandlung Deutschlands nach dem Kriege und bestimmten die Richtlinien der Besatzungspolitik 3 . Trotz der schon seit längerer Zeit schwelenden Differenzen zwischen den Siegermächten, insbesondere zwischen der Sowjetunion und England, die während der Potsdamer Konferenz zum offenen Ausbruch kamen und auch auf den Verhandlungsabiauf Einfluß nahmen, war man sich in diesem einen grundsätzlichen Ziel zunächst noch einig. So wurde im Potsdamer Abkommen eine Übereinkunft erzielt, die für die ersten Jahre der Besatzungsherrschaft eine gemeinsame Strategie der Behandlung Deutschlands ermöglichte4. Eine gemeinsame Politik gegenüber Deutschland war de facto von Anfang an nicht möglich, da die unterschiedlichen weltanschaulichen Ideologien zu einer sehr unterschiedlichen Interpretation so entscheidender Begriffe wie ζ. B. „Demokratie" oder „Militarismus" führten und damit zu weit auseinandergehenden innenpolitischen Maßnahmen in den verschiedenen Besatzungszonen. Es kann deshalb nur in einem sehr allgemeinen Sinne von der Entnazifizierungs- und Entmilitarisierungspolitik der Besatzungsmächte gegenüber Deutschland gesprochen werden 5 , obwohl die im weiteren ' G. WETTIG geht in seiner umfassenden Studie ausführlich auf diese mit der Entmilitarisierung zusammenhängenden Fragen ein (besonderes Kap. I, 1 und 2). Er stellt fest: „Der Gedanke der deutsdien Entmilitarisierung dürfte in allen gegen Deutschland kämpfenden Ländern emotional-unreflektiert lebendig gewesen sein" (Entmilitarisierung, S. 24), so daß infolgedessen „die Frage der deutschen Entmilitarisierung isoliert außerhalb des gesamtpolitischen Zusammenhanges gesehen wurde" (S. 26). Diese isolierte Betrachtungsweise, die die Lösung des Problems des deutsdien Militarismus im wesentlichen in der Zerschlagung des deutschen Militärapparates und in der moralischen Umgewöhnung der Deutschen sah, habe vor allem die angelsächsische Entmilitarisierungskonzeption bestimmt (S. 23-26). Die sowjetische Einstellung sei demgegenüber stärker von ideologischen Maximen beherrscht gewesen. Hier gelte der Militarismus als eine typische Erscheinungsform des Kapitalismus, der mit der Vernichtung der ökonomischen Struktur der Ausbeutergesellschaft zum Verschwinden gebracht werden könne (S. 26 ff.). Moskau habe sich nur solange und insofern der Entmilitarisierungskonzeption der Westalliierten angeschlossen, als es nicht damit rechnete, einen dauernden direkten Einfluß in Deutschland bzw. einem Teildeutschland zu bekommen (S. 66). 4 G . WETTIG stellt fest: „Die alliierten Differenzen beeinträchtigten die deutsche Entmilitarisierung nicht" (ebd., S. 104). 5 Auf die zum Teil höchst unterschiedlichen Konzeptionen der Besatzungsmächte für ihre jeweilige Politik der Behandlung Deutschlands nach dem Kriege kann hier nicht näher eingegangen werden. Neben der bereits genannten Arbeit von G . WETTIG, die ausschließlich an einer außenpolitischen Fragestellung interessiert ist, hat sich H.-P. SCHWARZ in seiner Studie zur innenpolitischen Situation Nachkriegsdeutsch-

50

Die ev. Kirche und die Entmilitarisierungspolitik

Verlaufe doch recht unterschiedlichen Durchführungsmaßnahmen in den einzelnen Besatzungszonen von den Deutschen als Ausfluß eines einheitlichen Siegerwillens erlebt wurden. Eine differenziertere Betrachtung der erklärten Ziele der Sieger war ja in den ersten chaotischen Nachkriegsjahren „den Jahren des kleinen Mannes" 6 , ohnedies nicht denkbar. Die simplen Fakten aber einer nahezu lückenlosen Entwaffnung der deutschen Streitkräfte und der Vernichtung oder des Abtransportes deutschen Kriegsmaterials wurden kaum kritisiert. Vielmehr identifizierten sich die Deutschen bald in einem die Siegermächte überraschenden Maße mit deren politischen Zielen der Entmilitarisierung, im übrigen völlig absorbiert von den anstehenden vorrangigen Überlebensfragen 7 . Erst die 1946 anlaufenden Demontagen und der damit verbundene Verlust langfristiger Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Potenz gaben je länger je mehr zu herber Kritik Anlaß und förderten den Unwillen gegenüber der Politik der Besatzungsmächte in Deutschland 8 . Auf die Kriegsverbrecherprozesse, die im Zusammenhang dieser Politik zu sehen waren, reagierte das deutsche Volk eher lethargisch. Erst mit dem Anrollen der Entnazifizierungsmaßnahmen (1946-1948), die auch den kleinen Mann trafen und zu vielen ungerechtfertigten Härten führten 9 , kam eine lebhafte innenpolitische Diskussion, weniger der Erziehungsziele als der Erziehungsmaßnahmen der Alliierten, in Gange und wurde inhaltliche Kritik laut. Aber eine öffentliche Diskussion der Entmilitarisierungspolitik im engeren Sinne fand erst statt, als die ersten Pläne zu einer Wiederbelands diesen zum Teil sehr diffizilen Fragen ausführlich gewidmet (Reich; besonders: Erster Teil: Die Sieger und die Deutsdien, S. 39 ff.). 6

7

P . NOACK, N a c h k r i e g s z e i t , S. 16.

Diese Kritiklosigkeit gegenüber einer für den Besiegten so restlos entwürdigenden und demütigenden Maßnahme läßt sich nidit leicht interpretieren. Die allgemeine Kriegsmüdigkeit, eine tiefe Resignation, die sich des deutschen Volkes bemächtigt hatte, und die weithin zu beobachtende Hingabebereitschaft an ein als unabwendbar empfundenes Sdiicksal, verbunden mit dem jede Niederlage dumpf begleitenden Sdiuldbewußtsein, mögen psychologische Erklärungen dieses Phänomen sein. A. MITSCHERLICH weist auf den Verdrängungscharakter dieses emotionalen Umschwungs unter den Deutsdien hin, der die Möglichkeit bot, die vorherige Bejahung durch eine allgemeine Dämonisierung des Krieges und des Kriegshandwerkes zu kompensieren. In der Identifizierung mit den Idealen der Sieger konnte das Sdiuldbewußtsein kompensatorisch bewältigt werden (Unfähigkeit, S. 13-85). 8 Insbesondere die Internierungen lösten heftige Kritik aus. 9 TH. KOCH (Entscheidung, S. 36) weist nicht zu Unrecht darauf hin, daß die ganze Härte der Entnazifizierung in den ersten Nadikriegsjahren gerade die „kleinen Leute" traf, während die wirklidien Nazis, deren Fälle längerer Ermittlungen bedurften, vom später nachlassenden Interesse der Alliierten profitierten. - Vgl. audi KJ 1945-1948, S. 208 f.: „Erklärung der Kirchen der britischen Zone" (zum Entnazifizierungsverfahren).

Unreflektierte Bejahung der Entmilitarisierung

51

waffnung der Bundesrepublik bekannt wurden. Dann aber zeigte sich, daß diese Politik erfolgreicher gewesen war, als es unter den gewandelten weltpolitischen Konstellationen den jeweiligen Sicherheitsinteressen der Alliierten lieb sein konnte. Auch innerhalb der evangelischen Kirche blieb eine grundsätzliche Diskussion der Ziele der Besatzungspolitik aus, obwohl das angesichts der im ersten Teil beschriebenen privilegierten Situation der Kirchen10 zumindest in den Westzonen ohne weiteres möglich gewesen wäre. Dies den Kirchen als Opportunismus auszulegen, verbietet sich schon deshalb, weil die Kirchen zu Mißständen der Besatzungspolitik, ζ. B. zu den Internierungen, zu politischen Maßnahmen in der Ostzone, zum Entnazifizierungsgesetz und zur Art und Weise seiner Durchführung zum Teil sehr scharfe und untaktische Kritik laut werden ließen 11 . Es war also nicht so, daß man prinzipiell die Auseinandersetzung scheute. Vielmehr wurden die Ziele der Besatzungspolitik grundsätzlich gebilligt 12 . Von Vertretern der Bekennenden Kirche wurde die Redlichkeit dieser Einstellung gelegentlich bezweifelt. Es wurde der Verdacht geäußert, daß bestimmte Kreise innerhalb der E K D es mit der Bejahung der Umerziehungsziele nicht ganz so ernst meinen könnten und daß in mancher scheinbar sachlichen Kritik an Mißständen der Entnazifizierungsverfahren sich eine grundsätzliche Gegnerschaft zu den Zielen dieser Politik verberge 13 . Diesen Verdacht halte ich, von Ausnahmen abgesehen, für unbegründet. Eine besonders bei Lutheranern anzutreffende Skepsis gegenüber demokratischen Idealen 14 ist in der Geschichte des deutschen Protestantismus begründet und sagt nichts aus über die Frage, wie es die E K D mit dem Ziel der Entnazifizierung und Entmilitarisierung hielt. Auch die insgesamt kritische Einstellung der E K D zu den Entnazifizierungsmaßnahmen und -gesetzen 15 kann man m. E. nicht als Zeichen einer im Grunde unbelehrten, weil unbelehrbaren Haltung Vgl. oben S. 23 ff. Vgl. dazu die Quellen in: K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 191 ff. 1 2 So hieß es ζ. B. in einem Schreiben des Rates der E K D an die amerikanische Militärregierung vom 26. April 1 9 4 6 : „ . . . wir sind nicht weniger als die Besatzungsmächte der Uberzeugung, daß der Nationalsozialismus ein Verbrechen w a r " , oder in einer Stellungnahme der Kirchenführerkonferenz in Treysa am 2. Mai 1 9 4 6 : „Die Notwendigkeit einer solchen Reinigung wird von der Kirche anerkannt" ( K J 1945 bis 1948, S. 196; 198). 1 3 Diesen Verdacht äußerste ζ. B. B. W . KOCH, Motor oder Bremse?, S. 25. 1 4 Zu nennen wären hier etwa H . Asmussen und W. Künneth. 1 5 Einer der heftigsten Kritiker der Entnazifizierung wurde Martin Niemöller (vgl. ζ. B. die Kanzelabkündigung zur Jahreswende 1947/48, die von der Kirdienleitung von Hessen-Nassau erlassen wurde; K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 206 ff.). 10

11

52

Die ev. Kirche und die Entmilitarisierungspolitik

der Mehrheit kirchlicher Amtsträger interpretieren 16 . Neben dem Bestreben, Ungerechtigkeiten abzuwenden, scheint mit hier vielmehr vorherrschendes Motiv die Einsicht gewesen zu sein, daß sich die Schuld der Deutschen am Nationalsozialismus und am Zweiten Weltkrieg nicht so aufrechnen und auseinanderdividieren läßt, wie es die entsprechenden Gesetze und Direktiven vorsahen. Auch das Eintreten der Kirche für mehr oder minder Belastete mußte nicht unbedingt ein Zeichen von Uneinsichtigkeit sein, sondern läßt sidi mit ebenso guten Gründen als ein Akt der Solidarität interpretieren, die den erhobenen Zeigefinger scheut. So besteht kein Anlaß, der EKD das prinzipielle Einverständnis mit der Entnazifizierung und Entmilitarisierung abzusprechen. Ich meine, daß sich das Dilemma, in dem sich die evangelische Kirdie befand, gerade dann am deutlichsten erweist, wenn man ihr Bemühen um eine verantwortliche Teilnahme ernst nimmt. Die Kritik der EKD an der Entnazifizierung ist gerade nicht als Distanzierung von den Umerziehungszielen der alliierten Besatzungspolitik zu interpretieren, sondern als ernstgemeinter Versuch, durch aufbauende Kritik den nidit kritisierten Zielen zum Erfolg zu verhelfen. Μ. E. läßt sich kein vernünftiger Einwand dagegen vorbringen, daß die EKD, aufs ganze gesehen, die Ziele der Besatzungspolitik sich zu eigen gemacht und insbesondere die Forderung nach einer völligen Entmilitarisierung Deutschlands als Selbstverständlichkeit hingenommen und bejaht hatte. Um so wichtiger ist freilich unter dieser Annahme die Frage, ob und in welcher Weise die EKD zur Aufarbeitung der durch die Entnazifizierung und Entmilitarisierung aufgeworfenen Schuldfrage, die zum Identitätsproblem des ganzen deutschen Volkes geworden war, beigetragen hat.

2. Entmilitarisierung

und

Schuldfrage

Seit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis war die Diskussion der Schuldfrage im deutschen Volk und insbesondere in der evangelischen Kirche nicht mehr zum Verstummen gekommen. Sie entzündete sich ganz selbstverständlich immer wieder an den Fragen, die die bei der Entnazifizierung erfolgende Einstufung des ganzen deutschen Volkes in mehr oder weniger Schuldige, mehr oder weniger Unschuldige für den Einzelnen und für die Gemeinschaft der Deutschen aufwarfen. Während nun die Entnazifizierung, die den Einzelnen zum Angeklagten " Im übrigen würde in diesem Falle auch hier weniger eine bewußt unredliche Haltung zu vermuten sein als vielmehr derselbe Verdrängungsmedianismus, der im deutsdien Volk audi sonst am Werke war (vgl. Anm. 7).

Entmilitarisierung und Schuldfrage

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machte, auf zum Teil heftige emotionale Kritik stieß, fand die Entmilitarisierung eine weitgehende, nicht nur passive Zustimmung, obwohl sie in das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Gefüge Deutschlands eher noch stärker eingriff als die Entnazifizierung. Audi die EKD hat, wie gezeigt wurde, die Entmilitarisierung Deutschlands nicht in Frage gestellt, sondern sich - wo sie überhaupt darauf Bezug nahm - bewußt zu ihr bekannt. Diese Zustimmung zur Entmilitarisierung fand einen sehr markanten theologischen Ausdruck in dem Satz: „Gott hat uns die Waffen aus der Hand geschlagen." 17 In der 1950 ausbrechenden Diskussion um die Wiederbewaffnung wurde diese geschichtstheologische Deutung der Entmilitarisierung so etwas wie Schlachtruf der Bekennenden Kirche. Sie spielte in Gustav Heinemanns Begründung seines Rücktritts als Bundesinnenminister eine auch politisch nicht ganz folgenlose Rolle, insofern sie der emotional tiefsitzenden Ablehnung jeder Wiederbewaffnung im deutschen Volk einen an prophetische Rede gemahnenden Ausdruck verlieh: „Hier erhebt sich... die Frage, ob es nicht etwa so ist, daß wir durch Gottes Gericht waffenlos gemacht worden sind um deswillen, was wir mit der Waffe angerichtet haben." 18 Historisch gesehen leitet dieses Wort die Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung ein; dennoch ist es m. E. erlaubt, auf den politischen Kontext in diesem Zusammenhang zu verzichten19. Denn diese Aussage hat ihre Rechtfertigung nicht in den aktuellen politischen Ereignissen, sondern in einer Grundhaltung, die durch das Stuttgarter Schuldbekenntnis geprägt ist und für die ersten Nachkriegsjahre die Stimmung weitester kirchlicher Kreise wiedergibt 20 . Die auch in diesem Wort anklingende Beurteilung der totalen Niederlage als Gericht 17 So der Synodale Hugo Stössinger auf der Synode von Weißensee (BERLINWEISSENSEE 1950, S. 137). - Oder: „Ein klares Wort gegen eine Remilitarisierung

D e u t s c h l a n d s " (FLUGBLATT DER JAHRESVERSAMMLUNG DES DEUTSCHEN VERSÖHNUNGSBUNDES IN BAD PYRMONT, PFINGSTEN 1 9 5 0 ) u n d ö f t e r . 18 So Heinemann in Punkt VII seiner Rücktrittsbegründung „Deutsche Sicherheit" (vgl. KJ 1950, S. 184). Gustav Heinemann, geb. 23. 7. 1899 in Sdiwelm/Westf., gest. 7. 7. 1976 in Essen, Rechtsanwalt in Essen, aktiv am Aufbau der Bekennenden Kirche beteiligt, 1946 bis 1949 Oberbürgermeister von Essen und zugleich Justizminister von NordrheinWestfalen, 1949-1950 Bundesinnenminister in der ersten Regierung Adenauer, 1952 Austritt aus der C D U , 1953 Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei, 1957 Mitglied der SPD, 1966-1969 Bundesjustizminister, 1969-1974 Bundespräsident; 1945 bis 1967 Mitglied des Rates der EKD, 1949-1955 Präses der Synode der EKD. 19 Zu Heinemanns Rücktritt vgl. unten S. 120 if. 20 D a ß es sich hierbei nicht um einen originalen Gedanken Heinemanns handelt, belegt einmal die auffällige Parallele zu der oben zitierten Äußerung Stössingers und anderer (vgl. Anm. 17), zum anderen die Tatsache, daß diese Äußerung Heinemanns - ganz im Gegensatz zu seinen politischen Argumenten - in kirchlichen Kreisen nidit hinterfragt wurde.

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D i e ev. Kirche und die Entmilitarisierungspolitik

Gottes liegt deutlich auf der Linie des Stuttgarter Schuldbekenntnisses. Sie entsprach auch ohne Zweifel den ursprünglichen Intentionen der alliierten Kriegskoalition gegen Hitlerdeutschland, die die Niederwerfung und Entmachtung Deutschlands mit einem moralischen Anspruch versah, der an das Pathos der Kreuzzüge erinnerte. Die hier zur Diskussion stehende Denkweise, für die Heinemanns Frage ein Beispiel ist, akzeptierte diesen Anspruch als Rechtens und interpretierte seine Vollstreckung als Gottes Gericht am deutschen Volk. Daß die deutsche Katastrophe von 1945 eine solche geschichtstheologische Betrachtungsweise nahelegte, ist ohne Zweifel richtig. Die Maßlosigkeit dieses Krieges hatte ein so maßloses Fiasko zur Folge, daß eine rationale Deutung des Geschehens sich scheinbar verbot. Eine einigermaßen ruhige, an Sachfragen orientierte Betrachtung der Gründe und Hintergründe des deutschen Zusammenbruchs war in den ersten Nachkriegsjahren kaum möglich und, wo sie versucht wurde, verdächtig, lediglich der Selbstrechtfertigung zu dienen. Das außergewöhnliche Geschick verlangte nach einer außergewöhnlichen Deutung, was sich auch im Pathos der theologischen Argumentation niederschlägt. Auch die Deutung des militärischen Zusammenbruchs als Gericht Gottes liegt m. E. auf dieser Linie. Ihre seelsorgerliche Intention soll dabei nicht übersehen werden. Heinemann und seinen Freunden ging es darum, einem voreiligen Schielen nach erneuter staatlicher Repräsentanz - deren sichtbarer Ausdruck eine militärische Streitmacht wäre, „wie sie die Völker haben" 21 , - eine andere Dimension des Denkens entgegenzusetzen, die befähigen könnte, die Demütigung der auferlegten Waffenlosigkeit zu akzeptieren. Diese andere Dimension beschreibt er mit dem Versuch, die über die Niederlage hinausgehende totale Entwaffnung als Gottes Gericht zu interpretieren. Darin lag die Möglichkeit, sich mit dem Unabänderlichen zu versöhnen und in der Annahme des Gerichtes eine neue Identität zu gewinnen 22 . Wie die Reaktion der Öffentlichkeit auf diesen Aspekt in Heinemanns Rücktrittsbegründung zeigt, wurde sein Anliegen nicht verstanden, sondern löste zum Teil heftige, ja sarkastische Kritik aus 23 . Das Vgl. 1. Samuel 8, besonders Vers 5. „Durch Stillesein u n d H o f f e n w ü r d e t ihr stark sein" (Jes. 30, 15). Dieses von H e i n e m a n n im gleichen Z u s a m m e n h a n g zitierte Prophetenwort beschreibt einprägsam diese neue Identität. D a ß H e i n e m a n n mit diesen G e d a n k e n nicht allein stand, sondern in der Kirche auf positive R e s o n a n z stieß, hat auch D . KOCH gezeigt, der auf einen Brief Wurms an H e i n e m a n n hinweist (Heinemann, S. 187, A n m . 44). 2 3 V g l . ebd., S . 200. A b e r D . KOCH macht es sich m. E . zu leicht, wenn er die Kritiker an H e i n e m a n n s theologischer A r g u m e n t a t i o n k u r z e r h a n d als Anhänger der Adenauerschen Politik einstuft, die über dem „unbequemen D e n k e r zur T a g e s o r d n u n g " übergingen. D i e v o n KOCH vertretene A u f f a s s u n g , d a ß H e i n e m a n n s politische 21

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Die Entmilitarisierung als moralische Kritik

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Problem einer Interpretation der nationalen Katastrophe als Gericht Gottes lag darin, daß sie nicht rational verifizierbar ist. Sie setzt „Glauben" voraus und ist insofern subjektiv. Die geschichtstheologische Sinndeutung der deutschen militärischen Entmachtung konnte wohl der Verständigung zwischen Christen dienen, die sich ihrer eigenen Schuld und ihres eigenen Versagens bewußt waren 2 4 , als Argument in der öffentlichen Diskussion einer politischen Frage aber mußte sie die politischen Sachargumente entwerten und sich dem Ideologieverdacht aussetzen, weil hier eine subjektive Glaubenserfahrung mit einem objektivierend-verallgemeinernden Anspruch versehen wurde.

3. Die Entmilitarisierung tärischen Tradition

als moralische Kritik an der deutschen mili-

Aus der Beurteilung der Entmilitarisierung als Gericht Gottes ergibt sich noch ein anderes sachliches Problem, das in der nachfolgenden Debatte um die Wiederbewaffnung eine große Rolle spielte. Es ist das Problem der in diesem Denken immer wieder vollzogenen GleichsetReflexion von seinem „Glauben" ursächlich bestimmt sei und sich aus ihm ableiten lasse, leuchtet mir nicht ein. KOCH sagt wörtlich: „Sein Glaube verstärkte ,nur' die Beweiskraft rein rationaler Argumente" (S. 191). Gerade das läßt sich aber nicht nachweisen. KOCH muß selbst zugeben, daß sogar „in zwei seriösen Publikationsorganen" wie der Neuen Zürcher Zeitung oder dem Europa-Archiv Heinemanns theologische Argumentation mißverstanden und u. a. von „Flucht in mystische Spekulation" gesprochen worden sei (S. 199). KOCH scheint sich eine angemessene Politik ohne den „Glauben an Gottes W i r k e n " nicht denken zu können. Jedenfalls argumentiert er recht naiv, wenn er vermutet, daß bei Heinemanns Kritikern „im einzelnen das Unverständnis säkularisierter Bürger gegenüber dem Glauben an Gottes Wirken" (S. 200) zum Ausdruck komme. Natürlich! Es war höchstens eine Frage der Fairneß und des Respekts vor der persönlichen Integrität Heinemanns, nicht aber eine Sachfrage, ob man seine theologischen Auslassungen in der Diskussion um seinen Rücktritt zum inhaltlichen Angelpunkt erhob oder nicht. 2 4 K a r l Barths Brief an die kriegsgefangenen deutschen Theologen, den ich weiter unten als Beispiel einer gelungenen Kriegsgefangenenseelsorge interpretiere, hält sich streng in diesem Rahmen. H i e r spricht der christliche Bruder zum christlichen Bruder. Ähnliches gilt für das Stuttgarter Schuldbekenntnis als Bekenntnis der Schuld der Kirche - nicht des deutschen Volkes! - oder für Niemöllers Reden zur Schuldfrage.

Das Bekenntnis zum Handeln Gottes im eigenen Leben oder in der persönlich erfahrenen Geschichte, das im christlichen Gespräch u. U . von höchster Brisanz und Glaubwürdigkeit sein kann, muß - als öffentliches Argument gebraucht - den Eindruck der Naivität oder der Ideologieabhängigkeit hinterlassen. Mir scheint in D . BONHOEFFERS Überlegungen zu einer christlichen „Arkandisziplin" (Widerstand und Ergebung, S. 180; 185) ein Ansatz zu stecken, der bei dieser Frage weiterhelfen könnte.

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zung von Militarismus und Nationalsozialismus 25 , mit der die ganze deutsche militärische Tradition dem Verdikt des Verbrecherischen ausgesetzt wurde. Nur als Konsequenz dieser Gleichsetzung war es ja möglich, die Entmilitarisierung als Strafmaßnahme gegenüber dem deutschen Volk zu rechtfertigen. Diese Gleichung Nationalsozialismus - Militarismus - deutsche Wehrmacht - deutscher Soldat, war bereits von den Siegermächten vollzogen worden 26 . Sie wurde aber, und hier liegt das Problem, vom deutschen Volk zunächst nicht reflektiert, sondern weithin übernommen. Die allgemeine Kriegsmüdigkeit und eine weitverbreitete Resignation mögen hierfür eine Erklärung sein. Da diese Gleichung aber ungenau und darum ungerecht war, diente sie dem deutschen Volk, das sie mitvollzog, nicht zu einer wirklichen Befreiung vom Militarismus, sondern bildete - wie jede Verdrängung sich rächt27 - den Keim zu großer Bitterkeit bei ehemaligen Kriegsteilnehmern und u. a. eine Wurzel für das Wiederaufleben von Soldatenverbänden und rechtsradikalen Strömungen. Hier, so meine ich, haben gerade die radikalen Kräfte der Bekennenden Kirche sich vom Stuttgarter Schuldbekenntnis und von der positiven Resonanz, die es in der Ökumene gefunden hatte, zu einem gefährlichen und pauschalierenden Schuldkomplex verführen lassen, der sie zur notwendigen differenzierenden Behandlung dieser Frage ungeeignet machte28. Es findet sich auch in den kirchlichen Äußerungen zur Schuldfrage, zur Not des deutschen Volkes, zur Entnazifizierung usw. kaum ein Versuch einer sorgfältigen Analyse der Fragen, die sich aus der unbestreitbaren Schuld des deutschen Volkes am Zweiten Weltkrieg im Blick auf das militärische Handeln und den soldatischen Dienst des Einzelnen ergeben. Das ist eigentlich überraschend; denn viele Anhänger der Bekennenden Kirche und Gegner des nationalsozialistischen Regimes hatten den Dienst in der deutschen Wehrmacht als letzte Zuflucht vor einer völligen Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus gewählt. Nicht nur der Putschversuch des 20. Juli 1944 war außerdem Indiz dafür, 25 Daß auch Heinemann, trotz seines im Text seiner Rücktrittsbegründung (vgl. Anm. 18) bekundeten Verständnisses für die Probleme des deutschen Militärs diese Gleichsetzung mitvollzog, ergibt sich m. E. bereits aus der Tatsache, daß in seiner Argumentation kein Bekenntnis zum Pazifismus als solchem enthalten ist, von dem sich Heinemann audi sonst distanzierte, sondern lediglich ein Bekenntnis zu einer deutschen militärischen Abstinenz. 2 * Sie ist die Voraussetzung der Entnazifizierungsgesetze, und begründet u. a. das harte Vorgehen der Sowjetunion gegenüber den deutschen Kriegsgefangenen. 27 Zum ganzen Problem vgl. A. und M. MITSCHERLICH, Unfähigkeit. 28 Vgl. dazu das von Erica Küppers verfaßte Protokoll der 32. Tagung des Reichsbruderrates am 19./20. November 1951 in Darmstadt, in dem sidi die Empörung über eine Tagung der Ev. Akademie Bad Boll mit ehemaligen Soldaten im Herbst 1951 niederschlägt (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 74b).

Die Entmilitarisierung als moralische Kritik

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daß in der deutschen Wehrmacht, wenn auch aus einer konservativen politischen Motivation heraus, noch starke Kräfte eines moralischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus vorhanden gewesen waren. Die deutsche militärische Tradition konnte keineswegs für das Aufkommen und die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich gemacht werden 29 . Wenn es überhaupt legitim war, Nationalsozialismus und deutschen Militarismus in einem Atemzug zu nennen, so deswegen, weil der Nationalsozialismus zur Erreichung seiner Ziele auch das ganze zivile Leben mit paramilitärischen Strukturen durchsetzt hatte, nicht aber, weil etwa die deutsche Wehrmacht sein stärkster Verbündeter gewesen wäre. Was auch über die deutsche Schuld an Entstehung und Verlauf des Zweiten Weltkrieges zu sagen ist, die pauschalierende Beurteilung, die auch die evangelische Kirche mitvollzog oder doch nicht genügend bekämpfte, wurde der Komplexität des Problems nicht gerecht. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis war zweifellos eine notwendige Tat der evangelischen Kirche, notwendig gerade im Blick auf die Mitschuld der Kirche an der deutschen Kriegsschuld. Daß ihm jedoch nicht in gleicher Weise ein Votum korrespondierte, das der Opfer an Menschenleben, an Lebensqualität und Idealismus einer betrogenen Jugend gedachte, das die Gnade Gottes über das Heer der Heimgekehrten und der noch nicht Heimgekehrten und über die Opfer eines sinnlosen Sterbens aussprach, macht die leidenschaftliche Auseinandersetzung um die Geltung des Stuttgarter Schuldbekenntnisses in der evangelischen Kirche noch einmal zu einem rein innerkirchlichen Rechtsstreit. Das Verständnis im deutschen Volk wäre größer gewesen, wenn dennoch der sinnlose - Dienst und Einsatz des Soldaten Würdigung erfahren 30 und die Kirche so einen Beitrag geleistet hätte zur Verarbeitung einer umfassenden Identitätskrise eines großen Teiles der deutschen Bevölkerung. Daß sie es nicht tat, aus ihrer Mitbetroffenheit heraus vielleicht auch nicht tun konnte, ist bedauerlich. Denn so blieb die Bearbeitung dieser Frage den politisch rechten und kirchenpolitisch konservativen Kräften der Kirche überlassen 31 . 2 9 Mit dieser allgemeinen Feststellung ist nichts darüber ausgesagt, inwieweit die vom preußischen Militärstaat herzuleitende deutsche militärische Tradition nidit ganz bestimmte Verhaltensweisen und Denkgewohnheiten beförderte, die sich faktisch dann verhängnisvoll auswirkten, als der verbrecherische Charakter des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges offenkundig wurde. 3 0 Vgl. TH. JÄNICKE, der auf das fehlende Verständnis für die wirklichen Probleme der Gefangenen eingeht (Synode, S. 29), und A. SCHÜBEL, der mehrfach darauf hinweist, daß das Stuttgarter Schuldbekenntnis bei den deutschen Soldaten auf wenig Verständnis gestoßen sein (Soldatenseelsorge, z . B . S. 132). 3 1 Die verschiedentlich beklagte Tatsache, daß Rechtfertigungsversuche hoher Militärs so großen Anklang fanden (vgl. ζ. B. UNTERWEGS 3/49), zeigt die Folgen des

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Die ev. Kirche und die Entmilitarisierungspolitik

4. Der seelsorgerliche Dienst am Kriegsgefangenen Entmilitarisierung

im Zeichen der

Inwiefern die Nachkriegspredigt zur Bewältigung dieser Identitätskrise beitrug oder doch beizutragen versuchte, ist einer zusammenfassenden Untersuchung wert. Da hier aber nicht so sehr nach der Arbeit des einzelnen Pfarrers gefragt wird als vielmehr nach der evangelischen Kirche, sofern sie ihren öffentlichen Auftrag wahrnahm, muß dieser Aspekt der Frage außer acht gelassen werden. Hier soll nur noch ein Blick auf den für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg besonders wichtigen Zweig der kirchlichen Gefangenenbetreuung geworfen werden 32 und gefragt werden, ob hier Hilfestellung zu einer Bewältigung dieser Identitätskrise gegeben wurde oder nicht. Die deutschen Kriegsgefangenen waren insofern in einer unvergleichlichen Situation, als sie entgegen den Gepflogenheiten früherer Kriege oft jahrelang von den Siegern in Lagern festgehalten und zu Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Die moralische Begründung für diese Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen sah man u. a. in dem verbrecherischen Charakter des Hitlerkrieges, durch den praktisch jeder deutsche Soldat als potentieller Kriegsverbrecher 33 verdächtig war. Damit kam zu den typischen Problemen jeder Kriegsgefangenschaft wie Freiheitsentzug, Entbehrung, Trennung von der Familie und Heimat das Identitätsproblem in seiner ganzen Schwere hinzu. Der Kriegsgefangenenbetreuung fiel damit eine entscheidende Aufgabe zu. Diese Betreuung wurde zunächst natürlich von den Siegern selbst mit Inhalten gefüllt. Sie war insbesondere auf die Umerziehung der Deutschen gerichtet und hatte die jeweiligen Ideologien zum Maßstab. In den Gefangenenlagern der westlichen Siegermächte entwickelte sich darüber hinaus, vom ökumenischen Rat der Kirchen initiiert und tatkräftig gefördert, ein reges geistiges und kirchliches Leben. Sogar ein Theologiestudium konnte während der Kriegsgefangenschaft absolviert werden. Die sogenannte Kriegsgefangenenkirche hat sicher manches dazu beigetragen, eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der damit verbundenen Fragen zur eigenen Teilnahme am Krieg (Schuldfrage, Sinnfrage) zu ermöglichen. Eine echte Reflexion dieser Fragen war freilich selten 34 . Mehr noch als auf anderen Gebieten der Seelsorge hing hier alles ab von der Person und dem tatsächlichen Bebeschriebenen Defizits. Vgl. dazu auch in Anm. 28 erwähnte Diskussion im Reichsbruderrat. 32

Vgl. allgemein dazu A. SCHÜBEL, Soldatenseelsorge, S. 131-137 und S. 265 ff. Vgl. dazu die ζ. B. bei W. STÄHLIN erwähnten Klagen über die Behandlung der deutschen Offiziere durch britische Militärs (Via Vitae, S. 496 f.). 34 Besonders unter ehemaligen Offizieren wurde die Schuldfrage jedoch heftig diskutiert (A. SCHÜBEL, Soldatenseelsorge, S. 132). 38

Der seelsorgerlidie Dienst am Kriegsgefangenen

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wußtsein desjenigen, der sich - oft freiwillig - zur seelsorgerlidien Betreuung der Kriegsgefangenen bereit gefunden hatte. Die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen seitens der E K D lag beim Evangelischen Hilfwerk f ü r die Kriegsgefangenen und Internierten. Die Leitung dieses Hilfwerkes hatte auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch der ehemalige Leiter des Kirchlichen Außenamtes D. D r . Theodor Heckel 35 . Sicherlich war die organisatorisch-technische Seite der Betreuungsarbeit bei ihm in bewährten Händen. O b er aber f ü r die seelsorgerliche Betreuung der Kriegsgefangenen im Sinne einer kritisch-reflektierenden Aufarbeitung der Sinn- und Schuldfrage die geeigneten Kriterien zur H a n d hatte, kann mit Fug bezweifelt werden. In seinem Artikel im Evangelischen Staatslexikon zum „Dienst der Kirche im Kriegsgefangenenwesen" beschreibt er die Fragestellung, wie er sie sieht: „Der Dienst der Kirche am Κ[riegsgefangenen] ist ein Sonderfall ihrer Aufgabe am gefangenen Menschen überhaupt, enger auf diese bezogen, wenn Gegnerschaft im Kriege einem ganzen Volk als Verbrechen angerechnet, der einzelne unklar miteinbezogen wird und als K. ein Stadium durchläuft, in dem er in Gefahr steht, mit allen Kriegsgefangenen seines Volkes von Siegermächten als potentieller Kriegsverbrecher angesehen und behandelt zu werden." 3 6 Hier wird Kriegsgefangenenseelsorge isoliert als Hilfe zur Selbstrechtfertigung verstanden. Das konnte ebensowenig die Aufgabe sein wie die isolierte Predigt der deutschen Schuld, die die Identitätskrise außer acht ließ, in der sich der Kriegsgefangene befand. Die offiziellen Organe der E K D haben f ü r die Seelsorge an den deutschen Kriegsgefangenen und an den Heimkehrern keine eigenen Kriterien aufgestellt. Abgesehen von Appellen an die Siegermächte auf baldige Entlassung der Kriegsgefangenen 37 , allgemein gehaltenen Aufrufen zur Durchführung von Fürbittgottesdiensten 38 und der Bereitstellung von freiwilligen Lagerpfarrern geschah in dieser Richtung nichts. Das Votum f ü r eine gerechtere Beurteilung der Tätigkeit ehemaliger hoher Offiziere 39 bleibt doch ganz auf der Linie einer - hier nicht zu verurteilenden - Selbstrechtfertigung, wie sie auch Heckel betrieb. Ein Wort, das hätte Hilfestellung geben können bei der Verarbeitung des Problems der engagierten Teilnahme eines ganzen Vol35

Theodor Heckel, geb. 15. 4. 1894 in Kammerstein, gest. 24. 6. 1967 in München, 1928 Oberkonsistorialrat im Kirchenbundesamt, 1934-1945 Bischof und Leiter des Kirchlichen Außenamtes, in Treysa 1945 abgesetzt, 1950-1964 Dekan in München; seit 1939 Leiter des Ev. Hilfswerks für Internierte und Kriegsgefangene. 36 1. Aufl., Sp. 1152. 37 Vgl. KJ 1949, S. 40 ff. u. ö. 38 Ebd., S. 41 f. 39 Vgl. Schreiben des Rates der E K D an die amerikanische Militärregierung vom 26. April 1946 (KJ 1945-1948, S. 191 ff., dort bes. S. 194 f.).

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kes am „totalen Krieg" sowie der Schuld und dem Schicksal des Einzelnen als Folge dieser Teilnahme, blieb die EKD und auch die Bekennende Kirche dem deutschen Volke schuldig40. 5. Karl Barths Brief an die deutschen kriegsgefangenen Theologen als Beispiel einer Orientierungshilfe Es ist sicher nicht von ungefähr, daß in Karl Barth ein Außenstehender als erster, gewissermaßen stellvertretend für die deutsche evangelische Kirche, diese seelsorgerliche Aufgabe in die Hand nahm. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch, am 8. Juli 1945, versandte er über den ökumenischen Rat der Kirchen in Genf einen Brief „An die deutschen Theologen in der Kriegsgefangenschaft" 41 . Dieser Brief, der hektographiert in kurzer Zeit auch sonst in Deutschland Verbreitung fand, kann als Lehrstück einer Seelsorge gelten, die einen solchen Prozeß der Verarbeitung der Sinn- und Schuldfrage in Gang zu setzen in der Lage war. Gleich im ersten Abschnitt stellt Barth die Verbindung zu seinen bekannten und unbekannten Lesern her, indem er sich zur Legitimation nicht ohne einen leisen ironischen Anflug auf den „character indelebilis des einstigen deutschen Theologieprofessors" beruft (S. 89). Eine Lockerheit im Anfang, die die in diesem Brief zum Ausdruck kommende Solidarität mit dem geschlagenen deutschen Volk im ganzen und den kriegsgefangenen Theologen im besonderen desto wärmer erscheinen läßt: „Liebe Brüder, ich sehe Ihre schwere und bedrängte Lage. Ich empfinde und erleide sie mit Ihnen. Ich möchte Ihnen allen 40

Das haben Ausländer eher gesehen als Deutsche. Vgl. ζ. B. den Artikel „Ein Engländer sieht die Deutsche Kirche" (UNTERWEGS 6/1947, S. 29 f.), in dem es heißt: „Außer gelegentlichen Protesten gegen die alliierte Politik . . . bleiben die Kirchen schweigsam. Sie geben weder den Alliierten noch dem deutschen Volk positiven Rat; auf politischem Gebiet erwarten sie nicht das Vertrauen der Besatzungsmächte oder des Volkes und erhalten es audi nidit." Der Schreiber sieht die Ursache in der lutherischen Tradition; mir scheint aber, daß die Ursache dafür mehr noch in Unsicherheit gegenüber den Existenzfragen des deutschen Volkes und ihrer Verdrängung zu finden sind. Bei H . GOLLWITZER („ . . . und führen wohin du nicht willst") ist das Bestreben erkennbar, aus der Situation des existentiellen Mitbetroffenseins heraus sich dieser Identitätskrise zu stellen. Das Echo, das sein Bericht über die Zeit seiner russischen Kriegsgefangensdiaft in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung gefunden hat, ist sicher zu einem großen Teil darin begründet, daß hier - über den aktuellen Bericht hinaus - eine Aufarbeitung dieser Identitätskrise der Deutschen wenigstens in Ansätzen versucht wurde. Das Buch hat damit insbesondere bei der Generation der Kriegsteilnehmer auch eine wichtige seelsorgerliche Funktion erfüllt. - Vgl. auch unten S. 194 ff. 41 Abgedruckt in: K A R L B A R T H ZUM KIRCHENKAMPF, S. 89 ff.

Barths Brief an die kriegsgefangenen deutschen Theologen

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gerne ins Auge sehen und die Hand geben können" (S. 90). Mit jedem Wort, jedem Satz drückt sich die Fähigkeit aus, mit-zu-leiden, sich hineinzuversetzen in die Situation des deutschen Volkes, in das Elend dieser ersten Nachkriegswochen, das allgemeine Chaos, die totale Entwurzelung, die persönliche Not der vielen Einzelnen, besonders aber der Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Und präzise benennt Barth sofort die eigentliche Not hinter allem äußeren Elend: „daß der deutsche Name heute . . . von Schande bedeckt . . . ein gehaßter und verachteter Name geworden ist" (S. 90). Ohne jede Verharmlosung der deutschen Katastrophe, ohne jede Beschönigung der deutschen Schuld, speziell aber der Schuld der Kirche wird dies gesagt. Diese Schuld ist da, sie muß benannt werden, und sie muß jetzt eben auch nach Gottes Willen gesühnt werden. „Was heute ist, und worunter Sie . . . heute so schmerzlich zu leiden haben, das ist auch nach meiner wohlerwogenen Einsicht eine notwendig gewordene göttliche Antwort auf eine Verirrung . . . " (S. 91). Aber nicht vom hohen Roß aus trifft Barth diese Feststellung, sondern als einer, der sich gerade deswegen den Deutschen jetzt verbunden fühlt: „Sehen Sie, eben das ruft mich heute aufs neue mäditig an Ihre Seite, daß das Nein zum nationalsozialistischen Wesen, das nun so lange das deutsche sein durfte, heute so gesprochen ist, daß alle Worte, in denen es unsereiner zu sprechen versuchte" (Barth bezieht sich hier auf seine eigene Opposition, die er von der Schweiz aus geleistet hat), „daneben ein törichtes Gestammel geworden sind" (S. 91). Was ihn an die Seite der Deutschen ruft, ist ihre totale Armut: „Sie, meine deutschen Brüder, sind ja heute, indem Sie auf jenem Weg des Unrechts endgültig gescheitert sind, nur noch arm" (S. 91 f.). Aber - und hier liegt der zentrale seelsorgerliche Gedanke dieses Briefes - um diese Armut des armen „Lazarus" oder des „Zöllners" aus dem Gleichnis, dem gegenüber die Sieger, die Neutralen und Unschuldigen in der Rolle des Pharisäers dastehen, sind die Deutschen fast zu beneiden. Denn: „Wo sollte Gott näher . . . sein, als da, wo er so gewaltig gerichtet und erniedrigt hat?" (S. 93). Die so viel beschworene „Chance des Nullpunkts", diese Illusion, man könne noch einmal ganz von vorne anfangen, hatte nicht unerheblich dazu beigetragen, daß die vorangegangenen zwölf Jahre so perfekt verdrängt werden konnten. Sie wird auch hier scheinbar gepredigt, aber sie wird sofort theologisch gewendet und damit als Gnadenangebot Gottes, und nur als solches, verifiziert: „Deutschland . . . hat heute einen Vorzug vor allen Völkern: ihm bleibt nichts übrig, als mit dem Anfang anzufangen - man möchte meinen: ihm bleibt nichts übrig, als mit Gott neu anzufangen, mit dem Tod und mit der Auferstehung Jesu Christi und mit der in ihm offenbaren und tätigen freien Barmherzigkeit, die ja

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immer und ausschließlich eben den Elenden zugewendet war und zugewendet sein wird" (S. 92). Aus dieser Erkenntnis ergibt sich nun audi die seelsorgerliche Zuspitzung des Briefes für den Adressatenkreis, für die deutschen kriegsgefangenen Theologen: ihre Beauftragung zu einem neuen Anfang in ihrem Dienst als Pfarrer und Prediger des Evangeliums. Nicht ohne Sorge vor einer kirchlichen Restauration geht Barth gegen Ende des Briefes auf die Frage ein, wie seiner Meinung nach eine neue „Theologische Existenz heute" aussehen müsse. Was er hierzu sagt, ist Anregung, Stoff zum Nachdenken, aber audi Warnung: konkreter als 1933, unmittelbarer bezogen auf die Probleme von Volk und Staat müßte sie gelebt werden; nicht „in altgewohnter Weise", sondern nach vorne gerichtet müßte die Verkündigung sein. Barth lag daran, den deutschen Theologen als wichtigstes Erbe des Kirchenkampfes gerade die 5. Barmer These, die das Verhältnis von Kirche und Staat beschreibt, ins Gedächtnis zurückzurufen oder neu einzuprägen. Ahnte er die spätere Auseinandersetzung um die Zwei-Reiche-Lehre voraus? Wurde der spätere Konflikt in der E K D schon hier annonciert? Uber die Reaktion der Adressaten auf diesen Brief kann hier nichts gesagt werden. Aber mir scheint doch, daß es Barth gelungen ist, eine echte Orientierungshilfe zu geben. Er hat die Identitätskrise, in der sich die Deutschen befanden und von der auch die Theologen nicht ausgeschlossen waren, wirklich beim Namen genannt. Aber er hat zugleich auch - und das war die seelsorgerliche Leistung - die Chance dieser „crisis" aufgezeigt, die darin bestand, „daß Sie in dieser Zeit leben und mit Ihrem Volk zusammen noch einmal mit dem Anfang, nun erst recht mit dem alle Dinge tragenden Wort Gottes anfangen dürfen" (S. 93). Wahrscheinlich konnte nur ein Außenstehender so Seelsorge üben. Daß die evangelische Kirche in der Nachkriegszeit aufs Ganze gesehen diesen Beitrag schuldig blieb, lag mit an ihrem eigenen Beteiligtsein. Wo sie Zusprudi zu üben versuchte, gerann ihr das Wort zur unsolidarischen Selbstrechtfertigung, sofern sie ihre eigene Mitschuld unterstrich, das Bekenntnis der Schuld zu pharisäischer Gesetzlichkeit. So bleibt als Ergebnis dieses Kapitels folgendes zu konstatieren: Die Stellung der evangelischen Kirche zur Entmilitarisierungspolitik der Siegermächte läßt sich nur diffus aus der ausgebliebenen Polemik als unkritische Hinnahme erkennen. Sie wird offensichtlich, darin den Intentionen der Besatzungsmächte folgend, als ein Teilaspekt der Entnazifizierungspolitik gesehen und akzeptiert. D a eine explizite Kritik an der Entmilitarisierung nicht zu erkennen ist, darf - angesichts der Tendenz der E K D , so oft wie nötig das Wort zu ergreifen und Kritik

Barths Brief an die kriegsgefangenen deutschen Theologen

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zu üben - mit einer im allgemeinen positiv bejahenden Einstellung zum Programm der Entmilitarisierung Deutschlands gerechnet werden. Eine Aufarbeitung der Fragen und Probleme, die sich aus der Abwertung der deutschen militärischen Tradition durch die Sieger für das deutsche Volk und insbesondere für die Generation der Kriegsteilnehmer ergaben, hat die E K D nicht geleistet. Wo überhaupt - wie in bestimmten Kreisen der Bekennenden Kirche - eine solche Aufarbeitung versucht wurde, war sie so eng an die Intentionen des Stuttgarter Schuldbekenntnisses gebunden, daß sie die geschichtliche Realität aus den Augen verlor und darum der existentiellen Situation der Kriegsteilnehmer nicht gerecht wurde 42 . Das aufgezwungene Bekenntnis der Schuld konnte nicht einer Generation helfen, der es an der Erfahrung der Gnade gebrach. Zum alleinigen Maßstab der Beurteilung erhoben, mußte es notwendigerweise in Gesetzlichkeit pervertieren, die zur Selbstrechtfertigung gerade herausforderte und Selbstkritik unmöglich machte. Die stets wiederholte Aufforderung zur Einsicht in die deutsche Schuld machte die Haltung des Zöllners zum pharisäischen sine qua non. Sie belegt zudem das tatsächlich fehlende Gesdiichtsbewußtsein, das die Schuldfrage zwar zu einem gewissen Grade relativiert hätte, wohl aber brauchbare Kriterien für die Bearbeitung der Zukunft in die Hand hätte geben können. Es steht zu vermuten, daß die Situation des deutschen Volkes nadi dem Zusammenbruch etwas anderes als die Einnahme einer dieser beiden typischen Nachkriegspositionen entweder des „Unbeteiligten" oder des „Schuldigen" nicht gestattete, weil dies den totalen Verlust der persönlichen Identität zur Folge gehabt hätte. Die mehr oder minder kritiklose Hingabe an die Umerziehungsideale der Siegermächte durch die evangelische Kirche erweist, daß audi sie insgesamt demselben Verdrängungsmedianismus erlegen ist und deshalb zur Wahrnehmung einer öffentlichen „Seelsorge" am deutschen Volk in dem angesprochenen Sinne nicht fähig war. Die Schärfe der späteren Auseinandersetzungen zur Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik hat u. a. in diesem Versäumnis ihre Wurzel. 4 2 M a r t i n N i e m ö l l e r , der zweifellos der eifrigste Prediger des Stuttgarter Schuldbekenntnisses war, liefert f ü r diese sich ex silentio ergebende These den überzeugendsten Beweis. D a b e i muß man allerdings sehen, d a ß Niemöller perspektivisch in erster Linie die Kirche mit ihrer Schuld vor A u g e n hatte und - einseitig auf ihre U m kehr bedacht - die notwendigerweise gesamtgesellschaftlichen Implikationen seiner „ S c h u l d p r e d i g t " übersah. Ein ähnlich negativer B e f u n d ergibt sich auch aus der Durchsicht der einschlägigen Zeitschriften wie: „ J u n g e Kirche", „ S t i m m e der G e m e i n d e " , „ U n t e r w e g s " etc., oder selbst so eng auf die Heimkehrergeneration bezogener Blätter wie „Kirche und Mann".

Vorbemerkungen zu Kapitel 4 - 8 Die Diskussion der Frage einer Wiederbewaffnung der Bundesrepublik verlief in drei deutlich voneinander zu unterscheidenden Phasen: Die erste Phase (ca. 1947-1950) ist gekennzeichnet durch die Entstehung des Kalten Krieges, der zu einer enormen Verschärfung der weltpolitischen Spannungen führte und zu einer unmittelbaren Bedrohung des von den sich bekämpfenden Siegermächten abhängigen Deutschland. Politisches Ergebnis dieser Phase war die Gründung zweier deutscher Staaten und deren Einverleibung in jeweils einen der beiden großen Machtblöcke. Die politische Ohnmacht Deutschlands in dieser Periode ließ die Annahme eines eigenen politischen oder gar militärpolitischen Beitrags zur Lösung der Konfliktsituation nicht zu. Die innenpolitische Diskussion verlief in dieser Phase deshalb in erster Linie als eine Diskussion grundsätzlicher ideologischer und moralischer Fragestellungen. Innerhalb der EKD wurde in dieser Phase die Frage der Stellung der Kirche zu Krieg und Frieden neu aufgegriffen und mit Vehemenz diskutiert. Diese Diskussion, von der aktuellen politischen Situation provoziert, zeigte, daß sich innerhalb der EKD, auch bei den traditionell lutherischen Kirchen, ein Umdenkungsprozeß vollzogen hatte, der - im Gefolge der ökumenischen Diskussion (Amsterdam 1948) - zu einer grundsätzlich veränderten Einstellung der evangelischen Kirche und ihrer Theologie in dieser Frage führte. Die kaum widersprochene Absage an den Krieg als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung, die zwar im weiteren Verlauf der Wiederbewaffnungsdiskussion von einigen Gruppen wieder abgeschwächt wurde, ist das entscheidende Ergebnis dieser ersten Phase der innerkirchlichen Auseinandersetzung. Die zweite Phase (ca. 1950-1954) wurde eingeleitet durch den Ausbrudi des Krieges in Korea, der an dem scheinbar vergleichbaren Fall eines anderen geteilten Landes die unmittelbare militärische Bedrohung Westdeutschlands demonstrierte und zum erstenmal die Frage nach einer möglichen Selbstverteidigung der Bundesrepublik politisch aktuell werden ließ. In dieser Phase wurde die Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung mit der vollen Härte und Verbissenheit geführt, die das existentielle Betroffensein der Deutschen mit sich brachte. Jetzt wirkte sich die Reeducation-Policy aus, die den Widerwillen der Deutschen

Vorbemerkungen zu Kapitel 4 - 8

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gegen jede Art militärischen Engagements entscheidend mitgeprägt hatte. Die außerparlamentarische Opposition gegen die Wiederbewaffnungspläne der Bundesregierung verfügte in diesem Zeitraum über ein beachtliches Kräftepotential. Eingeleitet wurde diese Phase innenpolitischer Auseinandersetzungen mit dem Sicherheitsmemorandum Adenauers vom August 1950, das die Diskussion in aller Schärfe herausforderte; sie klang aus mit der Annahme der EVG-Verträge durch den deutschen Bundestag 1954. Innerhalb der E K D wurde diese Diskussion entscheidend mitbestimmt durch die Fragen, die der Rücktritt ihres Synodalpräses Heinemann als Bundesinnenminister aufriß. Seine teils politische, teils theologisch-religiöse Begründung für diesen Schritt stellte auch die Kirche neu vor die Frage nach der politischen Verantwortung des Christen. Weite Kreise der evangelischen Kirche schlossen sich in dieser Phase der außerparlamentarischen Opposition gegen die Remilitarisierung an und bewirkten, daß auch auf den Synoden und Kirchentagen um eine Stellungnahme gerungen wurde, die dem neuen gesellschaftspolitischen Anspruch der E K D entsprach. Die dritte Phase ( 1 9 5 4 - 1 9 5 6 ) ist gekennzeichnet durch die Wiederaufnahme und den endgültigen Abschluß der Remilitarisierungsdebatte mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 1956. Das Scheitern der EVG-Verträge in der französischen Nationalversammlung 1954 hatte die Pläne zur Einbeziehung einer bundesrepublikanischen Truppe in eine Europaarmee vereitelt. Die zugespitzte weltpolitische Lage führte aber dazu, daß nun sehr rasch durch die sogenannten Pariser Verträge eine Einbeziehung Westdeutschlands in die N a t o realisiert wurde, die zugleich eine weitgehende politische Selbständigkeit der Bundesrepublik auch in außenpolitischer Hinsicht mit sich brachte und die Diskussion um die Wiederbewaffnung mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht praktisch gegenstandslos machte. In der E K D erfuhr die Diskussion in dieser Phase ihre Zuspitzung durch die mit der Gründung und mit dem Scheitern der Gesamtdeutschen Volkspartei entstandene kirchenpolitische Isolierung Heinemanns und seiner kirchlichen Freunde (insbesondere Niemöllers), die die Einheit der E K D aufs äußerste gefährdete. Unabhängig davon wurde die Frage des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen als gesamtkirchliches Anliegen diskutiert und zu einem auch politisch erfolgreichen Abschluß gebracht. Mit dem sich jahrelang hinziehenden Streit um die Unterschriftensammlung anläßlich der Synode von Berlin· Weißensee 1956 und mit dem Abschluß des Militärseelsorgevertrages fand diese letzte Phase ihren unrühmlichen Ausklang. Im weiteren Verlauf verlagerte sich die Diskussion mehr und mehr auf die Frage

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Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

der Atombewaffnung der Bundesrepublik, womit unter Hinzuziehung zum Teil völlig neuer Argumente die Fragen einer politischen Abrüstungs- und Friedensstrategie in den Vordergrund rückten und von den mehr am Deutschlandproblem orientierten Diskussionen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ablenkten.

Kapitel 4

Erste Phase: Die Wiederbewaffnungsdiskussion in der Zeit des aufkommenden Kalten Krieges 1. Allgemeine

Vorbemerkungen

Zu einem Zeitpunkt, als die Entmilitarisierungspolitik der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges im vollen Gange war und das wirtschaftliche und militärische Potential der Deutschen im verstärkten Maße durch die Demontagen vernichtet wurde, wurden in den Generalstäben der westlichen Welt bereits sehr weitgehende Überlegungen über eine Beteiligung deutscher Kontingente an einer westlichen Verteidigungsstreitmacht angestellt1. In Kenntnis solcher Überlegungen unterzeichnete der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (1875-1967) noch am 22. November 1949 das Petersberger Abkommen, das die Entmilitarisierung scheinbar auf lange Zeit festschrieb, obwohl zu diesem Zeitpunkt seine eigenen Generalstäbler bereits Pläne zur deutschen Remilitarisierung in ihren Schubladen hatten, deren Existenz audi den alliierten Generalstäben nicht unbekannt gewesen sein dürfte 2 . Hochgespielte Gerüchte und ebenso bombastische Dementis vernebelten lange Zeit den Blick für die wirklichen politischen Sachfragen und beweisen noch im Nachhinein die Ohnmacht und tatsächliche Abhängigkeit, in der sich die deutsche Politik zu diesem Zeitpunkt und noch für lange befunden hatte. Außenpolitisch betrachtet fiel diese erste Phase einer Diskussion der Remilitarisierung Westdeutschlands (1945-1951) mit der Entstehung des Kalten Krieges zusammen und läßt sich aus den für Deutschland damit zusammenhängenden Problemen unmittelbar ableiten. Zur Entstehungsgeschichte des Kalten Krieges ist inzwischen viel 1

V g l . G . WETTIG, E n t m i l i t a r i s i e r u n g , S. 2 7 3 - 2 8 1 u. ö .

2

Ebd., S. 281.

Geschichte des Kalten Krieges 1 9 4 5 - 1 9 4 9

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geschrieben worden3. Spätestens seit der Studie von Horowitz 4 kann es als erwiesen gelten, daß - entgegen der öffentlichen Meinung in den westlichen Ländern - der Kalte Krieg nicht allein aus dem unbändigen sowjetischen Expansionsstreben abzuleiten war, sondern daß seine Entstehung mindestens ebensosehr zu Lasten einer gewandelten politischen Konzeption der US-Außenpolitik ging. Die These von der kriegslüsternen Aggressivität des Kommunismus, die die westliche Propaganda jahrelang eingeschärft hatte (und der eine entsprechende Propaganda auf östlicher Seite korrespondierte), dürfte aufgrund der inzwischen bekannt gewordenen Fakten endgültig widerlegt sein. Ob ein heißer Krieg im Europa der Nachkriegszeit jemals ernstlich gedroht hat, darf heute mit Fug bezweifelt werden. Für die Diskussion um einen deutschen Wehrbeitrag ist diese Feststellung jedoch nur von untergeordneter Bedeutung; denn die Einsicht in diese Zusammenhänge war dem deutschen Beobachter der weltpolitischen Szene für den in Frage kommenden Zeitraum praktisch unmöglich gemacht. Wo sich Zweifel an den Motiven der amerikanischen Politik regten, und - im weiteren Verlauf des Kalten Krieges - an den Motiven der Bundesregierung, konnten auch sie zur Erhärtung nicht viel mehr als eben Mutmaßungen anführen und blieben deshalb im politischen Vorfeld, und d. h. im Bereich rein moralischer oder ideologischer Argumentation hängen. Die Beurteilung der innerkirchlichen Diskussion muß dieser Sachlage dadurch Rechnung tragen, daß sie sich innerhalb der Grenzen damaliger Informationsmöglichkeiten um ein Urteil bemüht und „objektive" Beurteilungsmaßstäbe vermeidet. Dennoch seien die wichtigsten Stationen der Entstehung des Kalten Krieges im folgenden kurz anvisiert und in Bezug gesetzt zu den verschiedenen Phasen der innerkirchlichen Argumentation um Wiederbewaffnung, Krieg und Frieden. 2. Die Geschichte des Kalten Krieges

1945-19495

Der entscheidende Umschwung in den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen vollzog sich nach dem Tode Präsident Roosevelts im April 1945 mit der Politik Präsident Trumans, der von Anfang an - entgegen der Warnung Roosevelts noch kurz vor seinem Tode6 - gegen3 Vgl. dazu ebd.; D. HOROWITZ, Kalter Krieg; auch H . - J . BENEDICT, Hiroshima, S. 35 ff. 4 Vgl. Anm. 3. 5 Zum Ganzen vgl. D. HOROWITZ, Kalter Krieg; G. WETTIG, Entmilitarisierung. 6 Vgl. dazu Roosevelts letzte Botschaft an den englischen Premier W. Churchill,

68

Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

über der Sowjetunion einen harten Kurs steuerte7 und auf ihre außenpolitische Isolierung, ζ. B. auch in der U N O (in der die USA bis 1953 praktisch die absolute Vormacht innehatte), hinarbeitete. Durch diese gezielte Politik der moralischen und politischen Isolierung Rußlands wurde die Sowjetunion praktisch gezwungen, ihre Sicherheitsinteressen durch Festigung und Ausbau ihres Einflußbereiches in Osteuropa zu wahren. Diese neue amerikanische Politik führte zunächst zu den bekannten Spannungen auf der Potsdamer Konferenz, die einem ständigen Schlagabtausch der Großmächte gleichkam und nur noch mühsam eine einheitliche politische Linie für die Behandlung Deutschlands auf der Grundlage von Malta zustande brachte. Gestärkt fühlte sich Washington für diesen gewandelten Kurs gegenüber der Sowjetunion durch seine neue Waffe, die Atombombe, die kurz vor der Potsdamer Konferenz erfolgreich erprobt worden war und bald darauf, im August, im Krieg gegen Japan eingesetzt wurde, um die Sowjetunion an einem Kriegseintritt in Japan zu hindern. Nun, nach dem Besitz der Atombombe, brauchte man Rußland nicht mehr zur Erreichung seiner Ziele 8 und konnte sich deshalb einen Bruch mit dem ehemaligen Koalitionspartner leisten. Die Außenministerkonferenz am 11. September 1945 in London bestätigte den vollzogenen Bruch und signalisierte damit den endgültigen und auf lange Zeit hinaus unwiderruflichen Beginn des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Trotzdem konnte in den Jahren 1945-1947 noch ein Minimum an Kooperation aufrechterhalten werden, die insbesondere die Verteilung der Kriegsbeute betraf und die Behandlung der ehemaligen Hitlerkoalition. Während der Moskauer Außenministerkonferenz, die vom 10. März bis 24. April 1947 stattfand, vollzog sich der endgültige Bruch durch die Verkündigung der sogenannten „Truman-Doktrin" 9 am 12. März in der es heißt: „Ich möchte das allgemeine sowjetische Problem als so geringfügig wie möglich gesehen wissen, weil solche Probleme in der einen oder anderen Form anscheinend jeden Tag auftauchen, wobei die meisten von ihnen geklärt werden wie im Falle des Berner Treffens. Wir müssen jedoch fest bleiben, und unser Kurs hat sich bisher als richtig erwiesen" (zitiert nach: D. HOROWITZ, Kalter Krieg, Bd. 1, S. 22). 7 Ebd., S. 22 f. 8 Vgl. dazu Churchill: „Wir besaßen Kräfte, denen man keinen Widerstand entgegensetzen k o n n t e . . . unsere Zukunftsaussiditen hatten sich gewandelt" (zitiert ebd., S. 50). • „Die eine Art zu leben gründet sich auf den Willen der Mehrheit und zeichnet sidi durch freie Institutionen, eine repräsentative Regierungsform, freie Wahlen und durch garantierte Freiheit der Person, der Rede und des religiösen Bekenntnisses sowie durch Freiheit von politischem Zwang aus. Die zweite Art zu leben basiert auf dem Willen einer kleinen Minderheit, der der

Beginn der Wiederbewaffnungsdiskussion in der EKD

69

1947, die von der Aufteilung der Welt in zwei Machtsphären ausging· Der Marshallplan, zum erstenmal im Sommer 1947 verkündet und zunächst scheinbar auch den Ostblockstaaten offen, erwies sich de facto als die stärkste Waffe für die Durchsetzung der Trumandoktrin, indem er die westlichen europäischen Länder eng an die USA anband. Mit dem Inkrafttreten des Marshallplanes im Frühjahr 1948 verschärfte sich die Spannung auf der weltpolitischen Szene fühlbar. Unmittelbare Folge für die Länder Osteuropas war die - im Anschluß an die bisherige materielle Ausbeutung vollzogene - politische Einverleibung der bis dahin relativ unabhängigen Staaten durch Stalin. Signal war der „Staatsstreich" in der CSSR am 25. Februar 1948, dem die Vertreibung der sogenannten Titoisten aus den Regierungen der übrigen osteuropäischen Staaten folgte, und - last not least - die Blokkade Berlins Juni 1948 - Mai 1949 als ein Versuch, Westberlin durch Aushungern dem Ostblock einzuverleiben. Die Verschärfung der weltpolitischen Lage zwang gleichzeitig zu einer verstärkten Aufrüstung und forderte den Ostblockstaaten, deren wirtschaftlicher Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg um der militärischen Aufrüstung willen nunmehr brutal gestoppt werden mußte, hohe Opfer ab. Das vorläufige Endergebnis dieser ersten Phase des Kalten Krieges für Deutschland war die Gründung der beiden deutschen Staaten im September/Oktober 1949 und - als Folge davon - deren endgültige Eingliederung in die beiden gegnerischen Machtsphären. Fanal für die nun folgende Entwicklung war im August 1949 die erste sowjetische Kernexplosion, die das Ende der unbestrittenen militärischen Vormachtstellung der USA ankündigte und die Frage nach einer Wiederaufrüstung Westdeutschlands immer lauter werden ließ.

3. Beginn der Wiederbewaffnungsdiskussion

in der EKD

1948/49

Der seit 1947/48 offenkundig gewordene Bruch zwischen den ehemaligen Siegermächten wirkte sich natürlich unmittelbar auf die innenpolitische Situation in Deutschland aus. Das Wettrüsten in West und Ost, die Gefahr eines Krieges zwischen den beiden Großmächten, die Anzeichen einer sich vertiefenden Spaltung Deutschlands (vgl. ζ. B. die Vorbereitung eines Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat seit Sommer 1948) mußten die Frage einer Option für den Westen oder Mehrheit gewaltsam aufgezwungen wird. Sie beruht auf Terror und Unterdrückung, einem kontrollierten Presse- und Rundfunkwesen, vorher festgelegten Wahlergebnissen und auf der Unterdrückung persönlicher Freiheiten" (zitiert ebd., S. 60).

70

Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

den Osten, die Frage nach der Verteidigungsbereitschaft zwangsläufig nach sich ziehen. Latent tauchte diese Frage auch innerhalb der E K D schon sehr früh auf, obwohl die politische Lage als solche zunächst kaum diskutiert wurde und jedenfalls vor den organisatorischen und sozialen Aufgaben zurücktrat. Aber die Versdiärfung der außenpolitischen Spannungen provozierte unter dem Gesichtspunkt des daraus resultierenden deutschen Schicksals sehr rasch audi eine ganze Reihe wichtiger kirchlicher Äußerungen 10 . Daß die E K D von den zunehmenden Spannungen zwischen den Siegermächten existentiell ganz anders betroffen war als ζ. B. die katholische Kirche, ergibt sich aus ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis. Sie, die sich an der Forderung nach der endgültigen Realisierung der Einheit der evangelischen Kirchen Deutschlands nahezu aufgerieben hatte und diesem Ziel mit der Verabschiedung der Grundordnung der E K D nur mühsam näher gekommen war, war durch die sich vertiefende Spaltung Deutschlands in besonderer Weise provoziert. In dem Augenblick, als die Einheit der deutschen evangelischen Christenheit endlich erreicht zu sein schien, stellten die politischen Verhältnisse ihre Realisierung wieder in Frage. Verschärfend kam das konfessionelle Problem hinzu: nahezu die Hälfte aller deutschen evangelischen Christen lebte jenseits des Eisernen Vorhangs. Hier waren die traditionell wichtigsten protestantischen Kirchen Deutschlands beheimatet. Deshalb mußte die sich abzeichnende Spaltung Deutschlands in besonderer Weise als ein Aderlaß am deutschen Protestantismus erfahren werden. Es ist insofern nicht zufällig, daß sich die leidenschaftlichsten Verfechter einer auf den Ausgleich mit dem Osten gerichteten Politik und einer Wiedervereinigungspolitik im protestantischen Lager fanden. Es wurde mit Recht verschiedentlich darauf hingewiesen 11 , daß ζ. B. der katholische Adenauer wegen seiner nicht nur räumlichen sondern auch geistigen Ferne zum deutschen Osten für die Frage der Einheit Deutschlands niemals D. HOROWITZ vertritt nachhaltig die Auffassung, daß dieser hier von Truman ausgedrückte Wertkonflikt „eine bewußt forcierte Vereinfachung" ausgedrückt habe (ebd., S. 60). Bald fand die Truman-Doktrin auch auf östlicher Seite eine entsprechende Variante, die in Form einer Erklärung des Kominform im November 1945 veröffentlicht wurde: „ . . . Es haben sich zwei entgegengesetzte politische Linien herausgebildet: auf der einen Seite die von der UdSSR und den demokratischen Ländern verfolgte Politik, deren Ziel der Sturz des Imperialismus und die Festigung der Demokratie ist; auf der anderen Seite die Politik der U S A und Englands, die auf eine Stärkung des Imperialismus und eine Unterdrückung der Demokratie abzielt" (ebd., S. 67). 1 0 Vgl. die Quellen in: K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 ; K J 1949; G. HEIDTMANN, Kirche. 11

S o ζ . B . A . BARING, A u ß e n p o l i t i k , S . 4 8 f f . ; H . - P . SCHWARZ, R e i c h , S . 4 2 3 f f . ;

D . K O C H , H e i n e m a n n , S . 1 0 5 ff.

Beginn der Wiederbewaffnungsdiskussion in der EKD

71

dasselbe Interesse aufzubringen in der Lage war wie protestantische Politiker und wie die EKD. So war es nur folgerichtig, daß die EKD in dieser ersten Phase des Kalten Krieges gegen die drohende Vertiefung einer ideologischen und politischen Spaltung Deutschlands zu Felde zog. Daß dies mit größerer Vehemenz geschah, wo nicht ein falsch verstandenes Luthertum hinderlich im Wege stand, ist freilich ebenso klar. Die erste wichtigere kirchliche Äußerung in diesem Kontext stellt die Kanzelerklärung des Rates der EKD vom 27. März 194712 dar, die unmittelbar die Beratungen der Moskauer Außenministerkonferenz vom 10. März bis 24. April 1947 zum Gegenstand hat. Diese Erklärung, in einem ohnmächtig-anklagenden Ton gehalten und gespickt mit politischen Maximalforderungen, geht jedoch, bewußt oder unbewußt, auf die politischen Hintergründe der zwischen den Siegermächten aufgetretenen Spannungen nicht ein. Die Truman-Doktrin wird nicht erwähnt. Es ist jedoch deutlich, daß der Rat der EKD ihre Voraussetzungen teilt, da sich die in der Kanzelerklärung formulierten Anklagen hauptsächlich gegen Maßnahmen des Ostens richten. Worin der seelsorgerliche Wert dieser Kanzelerklärung liegen soll, bleibt jedoch unklar. Vielmehr wird in der Art und Weise, wie hier der „Frieden" abhängig gemacht wird vom Wohlverhalten der Alliierten, unbewußt ein zusätzlicher Beitrag zur Verschärfung der Spannungen des Kalten Krieges geleistet. Das Wort des Bruderrats der EKD „Zum politischen Weg unseres Volkes", das sogenannte „Darmstädter Wort" 13 , das ein paar Monate später, am 8. August 1947, erschien, ging im Gegensatz zu der genannten Kanzelerklärung des Rates der EKD sehr viel konkreter auf die Fragen ein, die sich aus der Truman-Doktrin ergaben. Zwar wird die Truman-Doktrin auch hier expressis verbis nicht erwähnt. Aber der ganze Tenor des Wortes ist eindeutig gegen die hinter den Ost-WestSpannungen liegende Schwarz-Weiß-Malerei westlicher Propaganda gerichtet und muß als ein Versuch gewertet werden, sich ihren Zwängen zu widersetzen. Allerdings ist diese aktuelle Zuspitzung eingebettet in den größeren Rahmen einer Analyse des „politischen Wegs" des deutschen Volkes, bei der die geschichtlichen Dimensionen politischer Gegenwartsfragen durchsichtig werden. In sieben Punkten wird der Versuch unternommen, die verhängnisvollen Traditionen deutscher Politik zu analysieren, Probleme der aktuellen politischen Lage zu kommentieren, falsche politische Weichenstellungen zu hinterfragen und Chancen aufzuspüren, um weitere politische Fehlentwicklungen zu ver12

V g l . G . HEIDTMANN, K i r c h e , S . 3 0 ff.

13

E b d . , S. 3 3 ff.; K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 2 2 0 ff.; K . KUPISCH, Q u e l l e n 1, S. 5 7 ff.; v g l .

dazu jetzt H. LUDWIG, Entstehung.

72

Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

meiden. Dies alles geschieht nicht in der Form eines Beitrags zur politischen Bewußtseinsbildung, sondern als geistlich motivierter Zuspruch an die Gemeinden. Dieses „Wort von der Versöhnung der Welt mit Gott in Christus" wird als Voraussetzung einer Neuorientierung auch des politischen Wollens und Handelns aufgezeigt (Punkt 1). Eine solche Neuorientierung setzt aber voraus - dies jedenfalls impliziert der Gedankengang - , daß politische Irrtümer als solche erkannt und für die zukünftige politische Orientierung vermieden werden. Unter Punkt 2 bis 5 werden deshalb vier gravierende Fehlhaltungen der deutschen politischen Tradition formuliert: „Wir sind in die Irre gegangen", heißt die stereotype Einführung hierzu jedes Mal. Die Kenntnis geschichtlicher Zusammenhänge als Voraussetzung eines verantwortlichen politischen Handelns scheint den Verfassern am Herzen zu liegen. Jedoch werden diese geschichtlichen Zusammenhänge nicht offen aufgezeigt, sondern lediglich postulatorisch angedeutet. Es bleibt dem Leser überlassen, den „Sitz im Leben" für die hier gemeinten politischen Irrwege der deutschen Geschichte und Gegenwart zu finden. Als erster und wohl auch nach Meinung der Verfasser schwerwiegendster Irrweg wird die deutsche nationale Überheblichkeit genannt, die sich im „Traum einer besonderen deutschen Sendung" ausgedrückt, letztlich zur Despotie im Innern und zur militärischen Machtentfaltung nach außen geführt hat (Punkt 2) und - was nicht mehr ausgeführt wird - im „Dritten Reich" ihren schrecklichsten Ausdruck fand. Als ein zweiter, nicht minder verhängnisvoller Irrweg wird das Versagen, besonders auch der Kirche, gegenüber den sozialen Fragen genannt. Statt Protagonist einer besseren sozialen Gerechtigkeit zu sein, hat sie die Konservierung der gesellschaftlichen Verhältnisse des Frühkapitalismus mitzuverantworten, und ist dadurch - was hier wiederum nur angedeutet wird - mitschuldig an der Entfremdung der Arbeiterklasse von der Kirche, die bis in die Gegenwart wirksam ist. Die Möglichkeit einer künftigen Zusammenarbeit mit der SPD als der Partei der Arbeiterschaft ist zwar noch nicht ausdrücklich formuliert, aber doch tendenziell bereits vorbereitet (Punkt 3). Die falsche, soziale, weltanschauliche und politische Frontenbildung, die in Wirklichkeit das Angebot der Gnade Gottes an alle verneint, wird als ein weiterer Irrweg deutscher Politik aufgezeigt. Der aktuelle Bezug zur politischen Lage, die in der durch die Truman-Doktrin gekennzeichneten Frontenbildung des aufkommenden Kalten Krieges bestand, ist deutlich (Punkt 4). Als Irrweg wird auch die totale Absage an den ökonomischen Materialismus (Marxismus) qualifiziert, weil ja gerade er die Kirche an ihre Verpflichtung gemahnen sollte, „die Sa-

Beginn der Wiederbewaffnungsdiskussion in der E K D

73

che der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reiche zur Sache der Christenheit zu machen". Im Kontext des Kommunismusdekrets von Pius XII. dürfte gerade diese Aussage als eine scharfe Kritik an bestehenden kirchlichen Koalitionen gemeint gewesen sein (Punkt 5). Daß letzten Endes das ganze Wort „zum politischen Weg unseres Volkes" gegen die Frontenbildung der Truman-Doktrin gerichtet war, der auch die Kirche zu verfallen drohte, wird im 6. Punkte deutlich. „Nicht die Parole: Christentum und abendländische Kultur, sondern Umkehr zu Gott und Hinkehr zum Nächsten . . . ist das, was unserem Volk und . . . vor allem uns Christen selbst nottut" (Punkt 6). Dies sei der neue, bessere Dienst der Gemeinde Jesu Christi. Das Wort endet damit, daß noch einmal positiv die Aufgaben formuliert werden, die aus diesen als Irrwege erkannten geschichtlichen Erfahrungen erwachsen. Sie liegen in der Verantwortung für den „inneren Frieden" und die „Versöhnung der Völker" und fordern eine entschlossene Abkehr von allen „Spekulationen um einen kommenden Krieg", die das politische Klima zu zersetzen drohen (Punkt 7). In seiner deutlich erkennbaren Zuspitzung auf die aktuelle politische Situation verrät das Wort des Bruderrats, gemessen an der Kanzelerklärung des Rates der EKD vom 27. März 1947 nicht nur eine größere Bewußtheit, sondern auch eine stärkere Bereitschaft, die erkennbaren Chancen zur Veränderung der politischen Zwänge zu nutzen. Innerhalb der evangelischen Kirche löste dieses sogenannte „Darmstädter Wort" eine erste heftige Kontroverse aus 14 , obwohl es in der kirchlichen Öffentlichkeit nicht die Verbreitung fand, die es eigentlich verdient hätte. Als ein Orientierungsversuch in der ideologischen Auseinandersetzung, die durch den Kalten Krieg ausgelöst worden war, hätte es größere Beachtung verdient. Daß zwar nicht sein Versuch einer ersten Stellungnahme zur Herausforderung durch den Marxismus 15 , wohl aber sein Bestreben, sich einer allzu einseitigen Propaganda zu verschließen, nicht ganz fruchtlos gewesen war, zeigte aber das Wort der Kirchenversammlung von Eisenach zum Frieden 16 . Die Eisenacher Kirchenversammlung vom 10. bis 13. Juli 1948 fand auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges statt. Im Zeichen der sich verfestigenden Spaltung Deutschlands (Berlin-Blockade, Währungsreform) verabschiedete sie, immerhin mit Duldung aller vier Besatzungsmächte, die „Grundordnung" als neue Verfassung der EKD. Ein Bollwerk gegen die Spaltung? Oder schon damals ein Anachronismus? Das 14

V g l . J . BECKMANN, i n : K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 2 2 0 .

15

Vgl. dazu M. SCHUMANN, Niemöller, S. 159 ff. Text in: G. HEIDTMANN, Kirche, S. 52 f.

18

74

Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

von der Kirchenversammlung verabschiedete „Friedenswort", ein erster Versuch der neu konstituierten EKD, ihr politisches Mandat wahrzunehmen, verdient angesichts dieser Vorzeichen besondere Beachtung. Im Reichsbruderrat vorbereitet, wurde es von der Kirchenversammlung ohne größere Diskussion nahezu einstimmig angenommen. Trotz der sehr allgemein gehaltenen Bezugnahme auf die Friedlosigkeit der Welt ist „Sitz im Leben" deutlich die aktuelle Situation des deutschen Volkes im Kalten Krieg. Zur Interpretation des OstWest-Gegensatzes trägt dieses Wort jedoch wenig bei. Damit spiegelt es zunächst ganz einfach die politische Ohnmacht des Deutschlands der Nachkriegszeit wider, das sich „in der Gewalt anderer Mächte" und „seiner Freiheit beraubt" fühlt. Die Sprache verrät neben dem Gefühl der Ohnmacht allerdings auch ein Selbstmitleid, das sich vom Standort des Stuttgarter Schuldbekenntnisses weit entfernt und schon wieder einen richterlichen Standort eingenommen hat. Der Beitrag zum Frieden, den zu bringen die Kirche verspricht, besteht in einem vage gehaltenen Bekenntnis zum Frieden und in der Beteuerung, in „Angehörigen einer anderen Nation, welche es auch sei, nicht mehr Feinde, sondern Brüder und Schwestern" zu sehen. Die Aufforderung an die Gemeinden, sich vom „Geist des Hasses" freizuhalten und sich nicht „zum Werkzeug einer Propaganda" machen zu lassen, die Feindschaft sät, bedeutet in ihrer Allgemeinheit gegenüber dem Darmstädter Wort einen Rückschritt. Hier offenbart sich das grundsätzliche Dilemma der EKD, die aufgrund ihrer pluralistischen Zusammensetzung ständig zu Kompromissen gezwungen wurde. Was dem Bruderrat als einer - damals noch - relativ geschlossenen Gruppe möglich war, nämlich konkret, und das heißt parteilich zu reden, war der Kirchenversammlung faktisch unmöglich. In ihrer exponierten Situation zwischen den Fronten des Kalten Krieges war wahrscheinlich dieses Friedenswort bereits das Äußerste, was die EKD zu sprechen gemeinsam wagen konnte. Ein Novum gegenüber früher war zweifellos die klare Absage an den Krieg als Mittel der Politik 17 . Als offizielle kirchliche Stellungnahme schien bereits dies einigen Teilnehmern der Kirchenversammlung zu gewagt zu sein. Jedenfalls ergibt sich das aus der Kontroverse, die sich während der Kirchenversammlung zwischen dem damaligen pommerschen Landesbischof Karl von Scheven (1882-1954) und Martin Niemöller entspann über die Frage, ob die Kirche „schon die 17

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!" lautete der Satz, mit dem die ökumenische Christenheit auf der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam zu den Gefährdungen durch den Kalten Krieg zum erstenmal in der Geschichte der christlichen Kirchen sich offen vom Krieg als einem Mittel der Politik lossagte. - Zum Problem als Ganzes vgl. unten S. 83 ff.

Friedenskampagne der E K D Ostern 1949

75

Vollmacht dazu habe/«/, so in den politischen Raum hineinzustoßen" 18 . Wie ungeübt die evangelische Kirche in der Wahrnehmung ihres politischen Mandats noch war, verrät gerade diese kleine Kontroverse. Dennoch verdient dieses Wort der Kirchenversammlung von Eisenach im Kontext der beginnenden Wiederbewaffnungsdiskussion Beachtung, weil es den Versuch darstellt, zwischen den Fronten des Kalten Krieges eine vermittelnde und verobjektivierende Position zu vertreten, jedenfalls im Namen der Kirche eine Parteinahme für die eine oder andere Seite zu vermeiden und dadurch die Kirche als Protagonisten eines friedliebenden Deutschland vorzustellen.

4. Friedenskampagne

der EKD Ostern

1949

Dennoch konnte die Beteuerung des Friedenswillens auf die Dauer nicht genügen. Die gespannte weltpolitische Situation verlangte über die Proklamation des Friedenswillens der Deutschen hinaus nach handfesten politischen Konsequenzen. Die Frage nach der Rolle, die die Deutschen in diesem Kampf zwischen den zwei Machtblöcken zu spielen gewillt waren, ließ sich nicht länger nur moralisch beantworten. Es ging konkret darum, ob und in welcher Form die Deutschen in ihrer exponierten Lage zwischen den Fronten Partei nehmen würden. Zwar noch nicht in der evangelischen Kirche, aber in der deutschen Publizistik kam es um die Jahreswende 1948/1949 zu einem ersten Höhepunkt der Wiederbewaffnungsdiskussion 19 . Diese Diskussion war ausgelöst worden durch einen Leitartikel von Richard Tüngel, dem Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit", zu der provozierenden Frage: „Soll Westdeutschland aufrüsten?" Auch hinter verschlossenen Türen, so in den Beratungen des Parlamentarischen Rates, spielte die Frage einer deutschen Wiederbewaffnung eine nicht unwesentliche Rolle. Die EKD griff in diese Diskussion als solche zunächst nicht ein. Jedoch sah sich der Rat der EKD genötigt, in der zugespitzten weltpolitischen Situation mit einer eigenen öffentlichen Kundgebung vor die evangelische Christenheit Deutschlands hinzutreten. So kam es Ostern 1949 zu der Friedenskundgebung des Rates der EKD in der Paulskirche in Frankfurt/Main, bei der Otto Dibelius, Martin Niemöller und Hanns Lilje sprachen. Diese Kundgebung wurde über die Rundfunkanstalten übertragen und fand zunächst ein großes Echo. 18

V g l . EISENACH 1 9 4 8 , S . 1 8 3 .

19

Vgl. dazu K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 19 ff.

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Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

Da die drei Reden für das Selbstverständnis der EKD aufschlußreich sind, sei ihr Inhalt hier in Kürze wiedergegeben. Dibelius ging in seiner Ansprache „Deutschland und der Friede der Welt" 20 direkt auf die aktuelle politische Situation ein. Noch einmal bezog er sich dabei auf das Wort der Kirchenversammlung von Eisenach und wiederholte die dort getroffene Feststellung, daß für die Christen Krieg und Feindschaft mit den anderen Völkern beendet seien und daß sie nur noch Brüder kennten. Die weltpolitischen Spannungen interpretierte er aus der „Diesseitsgesinnung" dieses Jahrhunderts, „dem der materielle Wohlstand zu dem einzigen Ziel geworden ist, für das es lebt". Nur ein gründliches „Umdenken" könne hier wirklich helfen. Es gelte, den „Punkt außerhalb" zu finden, die Wirklichkeit Gottes, damit der Friede gelingen könne. Dieser Versuch einer Interpretation der zeitgeschichtlichen Problematik geht jedoch an den wirklichen politischen Problemen vorbei. Das wirtschaftliche Machtstreben - sicherlich ein wesentlicher Hebel aller Politik - war keineswegs so einfach und ausschließlich Anlaß für die Spannungen zwischen den Großmächten. Mit dieser Behauptung erlag Dibelius einem ziemlich klischeehaften Denken. Er übersah die aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges herrührenden fundamentalen Sicherheitsinteressen der Großmächte, die im Falle der Sowjetunion ja gerade einen langjährigen Verzicht auf wirtschaftliche Machtentfaltung nach sich zogen. Seine Behauptung ist aber auch insofern eine grobe Vereinfachung, weil sie das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den beiden Großmächten außer Betracht ließ. Die Probleme des Kalten Krieges waren mit dem Aufruf zum einfachen Leben sicher nicht adäquat angesprochen. Niemöller verzichtete in seiner ökumenisch orientierten Ansprache von vornherein auf den Versuch einer politischen Interpretation der Spannungen des Kalten Krieges und beschrieb den Beitrag, den die Christenheit zur Verminderung der weltpolitischen Spannungen tun kann, primär als einen moralischen Beitrag. Sie könne, indem sie selbst - wie die Ökumene es ζ. B. mit der deutschen Kirche getan habe Versöhnung praktiziere, ein neues Klima schaffen helfen, in dem der Friede eine reellere Chance erhalte. Gleichzeitig berief Niemöller sich auf den Satz der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam „Krieg soll nach Gottes Wille nicht sein". 20

Vgl. KJ 1949, S. 34 ff. Ebd. audi die Reden Niemöllers und Liljes. - Otto Dibelius, geb. 15. 5. 1880 in Berlin, gest. 31. 1. 1967 in Berlin, 1925 Generalsuperintendent der Kurmark, 1933 suspendiert, 1945-1966 Bischof von Berlin-Brandenburg, 1949-1961 Ratsvorsitzender der EKD, 1954-1961 einer der Präsidenten des Weltkirchenrats.

Nach der Bundestagswahl 1949

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Lilje ging in seiner Ansprache „Die Kirche in der Friedlosigkeit unserers Volkes" auf die großen weltpolitischen Spannungen überhaupt nicht ein, sondern blieb beim deutschen Schicksal und seiner adäquaten Verarbeitung stehen: „Wir können als Deutsche nicht von der Welt den Frieden fordern, wenn wir selber nicht bereit sind, einige wesentliche Voraussetzungen zu erfüllen, damit es bei uns zu diesem Frieden kommen kann." Als ein Bekenntnis zum Frieden, als Ausdruck des Friedenswillens eines neuen Deutschland hatte diese österliche Veranstaltung des Rates sicherlich ihre Bedeutung. Ob sie freilich auf das politische Klima in einem Deutschland, das zwischen den Fronten des Kalten Krieges hinund hergerissen wurde, irgendeinen Einfluß ausübte, kann angesichts der bemerkenswerten politischen Abstinenz, mit der der R a t allen Konkretisierungen auswich, mit Fug bezweifelt werden. Eine größere Diskussion hat diese Ratsveranstaltung dann auch in der Öffentlichkeit trotz der von J . Beckmann behaupteten Bedeutung 21 nicht ausgelöst 22 .

5. Nach der Bundestagswahl

1949

Ein neuer Höhepunkt der Diskussionsrunde zur Frage einer Remilitarisierung entspann sich nach der Bundestagswahl im Herbst 1949. Die Gründung zweier deutscher Staaten und ihre Einbeziehung in die zwei gegnerischen Machtsphären verlieh nicht nur der nationalen Frage als solcher ein enormes Gewicht, sondern rückte darüber hinaus vor allem auch die Sicherheitsfrage, die Gefahr eines dritten Weltkrieges und die Frage der Beteiligung deutscher Soldaten an einem neuen Krieg ins grelle Licht des allgemeinen Bewußtseins. Die E K D äußerte sich im Oktober 1949 mit einem sehr vorsichtigen Wort des Rates zur Gründung der beiden deutschen Staaten 23 zur Sache. Dieses Wort ging von den Fakten aus, ohne deren Berechtigung K J 1949, S. 34. U m so größer war das Echo, das auf die Veranstaltungen des ersten Nachkriegskirchentages in Hannover vom 27. Juli bis zum 1. August 1949 folgte. Dieser Kirchentag befaßte sich ausführlich mit der politischen Verantwortung des Christen in der gegenwärtigen Krise und konnte naturgenäß an vielen Stellen viel direkter und offener auf die tatsächlichen politischen Probleme eingehen als der Rat der E K D . D a sich diese Untersuchung darauf beschränkt, die offizielle Haltung der E K D in der Wiederbewaffnungsfrage zu analysieren, muß der Beitrag des Kirchentages als einer unabhängigen Laienveranstaltung hier wie an anderer Stelle im wesentlichen unberücksichtigt bleiben. Das ist ein Mangel dieser Arbeit, der hoffentlich bald durch eine entsprechende Untersuchung von anderer Hand behoben wird. 2 3 Text in: G. HEIDTMANN, Kirche, S. 68 f. 21 22

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Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

als solche in Frage zu stellen, und begnügte sich mit einem moralischen Appell an die Regierungen der beiden neuen Staaten, die Wiedervereinigung anzustreben, und an die Regierten, „ihren Gehorsam gegen die nun geschaffene staatliche Ordnung in jener Freiheit zu üben, die aus der persönlichen Verantwortung vor Gott entspringt". Wesentlich mehr konkrete Sprengkraft enthielt das Wort des Bruderrats „Gebt Gott recht"24, das nach mehrmonatigen Beratungen am 14. Oktober 1949 zusammen mit einer Einführung von Heinrich Vogel25 herausgegeben wurde und das Wort des Rates kritisch ergänzte. Dieses Wort ist gewissermaßen als Ergänzung oder Fortsetzung des Darmstädter Wortes des Bruderrates zu sehen und führte wesentliche Gedanken von damals mit Blick auf die aktuelle politische Situation des Herbstes 1949 weiter. Es ging dabei insbesondere darauf ein, daß die verschärften politischen Spannungen zwischen den beiden Großmächten auch zu einer verschärften ideologischen Indoktrination der beiden Deutschland von ihren jeweiligen „Gönnern" geführt hätten und warnte vor den Konsequenzen, die sich aus dieser Tatsache ergeben. Es ist das besondere Anliegen dieses Wortes, den Ideologiegehalt der Parteinahme für den Westen oder den Osten, wie sie den Deutschen abgefordert und von ihnen weithin auch geleistet wurde, aufzudecken. Das Wort warnte davor, durch eine zu voreilige Identifikation mit der einen oder anderen Ideologie die „Theologie des Kreuzes" zu einer „Kreuzzugsideologie" umzumünzen. Auf diese Gefahr hatte bereits Heinrich Vogel in seiner Einführung eindringlich hingewiesen. Die Welt von heute drohe an den falschen Fragestellungen, wie Bolschewismus-Kapitalismus, Ost-West usw. zugrunde zu gehen. Aber die Kirche könne weder die „Sache des Westens noch die Sache des Ostens mit der Sache Gottes gleichsetzen". Angesichts der enormen Indoktrination beider Teile Deutschlands entweder mit westlicher oder mit östlicher Ideologie war dieser Versuch des Reichsbruderrates, bewußt einen Platz zwischen den Fronten zu akzeptieren, eine notwendige Korrektur. Ganz absichtslos war diese betonte Ideologieunabhängigkeit des Reichsbruderrates aber sicher nicht. Unübersehbar ist der Seitenblick auf die westliche Politik einer „Verteidigung des sogenannten christlichen Abendlandes", die durch das sogenannte Kommunismusdekret Pius XII. eine starke moralische Unterstützung erfahren hatte. Im Frühjahr 1949 hatte Pius XII. in diesem berühmten Dekret eine Ex24

Ebd., S. 75 ff.; KJ 1949, S. 100 ff. Ebd., S. 96 ff. Heinrich Vogel, geb. 9. 4. 1902 in Pröttlin/Westpriegnitz, 1928 Pfr. in Oderberg, 1932 in Dobbrikow, 1935 Dozent, 1946-1972 Prof. für Syst. Theologie an der Kirchl. Hodischule und bis 1973 zugleidi an der Humboldt-Universität Berlin. 25

Interviews von Adenauer und Niemöller

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kommunikation aller Kommunisten ausgesprochen. Damit war praktisch der ganze Osten unter den Bann getan (erst Johannes XXIII. hat das Kommunismusdekret wieder aufgehoben!). Mit Unterstützung und Förderung des Papstes war statt dessen die Democrazia Christiana unter de Gasperi zur führenden Partei in Italien und im Gefolge davon in praktisch allen katholischen Ländern geworden. Auch die CDU profitierte selbstverständlich von dieser päpstlichen Förderung. Da zudem auch die Marshallplanhilfe nur solchen Ländern zugebilligt wurde, die keine kommunistische Regierung hatten, waren die Abhängigkeiten von dieser westlichen Ideologie fest zementiert. Die Schärfe mancher Äußerungen aus den Kreisen des Bruderrates, die vielmumstrittene Formulierung Niemöllers, die „derzeitige westdeutsche Regierung ward empfangen im Vatikan und geboren in Washington" 26 , all dieses ist audi als Reaktion auf die vatikanische Politik zu sehen. 6. Auseinandersetzungen im Spätherbst 1949

um Interviews von Adenauer und Niemöller

Die Diskussion des Bruderratswortes „Gebt Gott recht" kam trotz des Versuches, es in möglichst vielen kirchlichen und anderen Organen zu verbreiten, nicht mehr recht in Gang 27 . Zwei andere Ereignisse zogen bald danach alle Aufmerksamkeit auch der kirchlichen Öffentlichkeit auf sich und sorgten dafür, daß die Frage nach der Rolle der Deutschen im Konflikt der Großmächte und damit die Frage nach einer Wiederbewaffnung der Bundesrepublik neu ins Bewußtsein trat. Am 4. Dezember 1949 gab Konrad Adenauer sein berühmtes Plain-Dealer-Interview 28 , dem kurze Zeit danach, am 26 Eine Formulierung, die Niemöller gegenüber der amerikanischen Korrespondentin Marguerite Higgins gebraucht hatte, um die Abhängigkeiten, in denen die Bundesrepublik stand, zu beschreiben. - Vgl. KJ 1949, S. 241. 27 Zwar wurde das Wort nach einigem Hin und Her dodi noch vom Rat der EKD zur Verlesung im Gottesdienst empfohlen und auch in der Presse häufiger zitiert, aber eine wirkliche öffentliche Bedeutung hat es nicht in dem Maße gefunden, wie das seiner Intention und seiner Bedeutung entsprochen hätte. Daß audi die Esoterik der Sprache ihm viel von seiner Bedeutung genommen hat, wird aus Schreiben einiger Zeitungen deutlich. Die Wochenzeitung „Christ und Welt" wies in ihrem Absagebrief vom 30. November 1949 an Mochalski darauf hin, daß sie wegen der Sprache dieses Textes eine Veröffentlichung in ihrem Blatt für untragbar halte. Die Sprache habe den „Charakter des Feierlich-Irrealen" und eigne sich deshalb nicht, das Anliegen dem normalen Laien verständlich zu machen. Ähnliche Kritik wurde auch von anderen Blättern geäußert (vgl. LKA DARMSTADT, 36/ vorl. 5b). 28 Inhaltlich wiedergegeben bei: G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 284 ff.; A. BA-

RING, A u ß e n p o l i t i k , S . 7 5 .

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Die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges

14. Dezember 1949, Martin Niemöller mit seinem Higgins-Interview 29 antwortete. Während Adenauer sich am 16. Dezember 1949 im Bundestag den Fragen der Opposition stellen mußte und damit die erste Bundestagsdebatte zu einem deutschen Wehrbeitrag provoziert hatte, löste Niemöllers Interview in der evangelischen Kirche eine nicht minder heftige Kontroverse aus, die noch weit in das Jahr 1950 hinein nachwirken sollte. Beide Interviews hatten dieselbe politische Problematik zum Gegenstand, nämlich die Frage, wie die Deutschen ihre Rolle in dem Konflikt zwischen den beiden Großmächten verstehen und wahrnehmen könnten. Die Ergebnisse, zu denen die beiden Interviewten kamen, sind allerdings trotz der ähnlichen Ausgangsfragestellung diametral entgegengesetzt. Adenauer, der von Anfang an eine Westintegration der Bundesrepublik angestrebt hatte 30 , arbeitete mit ihr als einer undiskutierbaren Prämisse und versuchte lediglich, sie so teuer wie möglich zu verkaufen. Zwar hatte er nicht - wie behauptet wurde - eine deutsche Wiederbewaffnung direkt angeboten; aber indem er von ihr als einer nur unter bestimmten Umständen überhaupt denkbaren Möglichkeit sprach („Ich bin ganz und gar gegen eine Remilitarisierung"), suggerierte er seinen politischen Partnern genau diese Möglichkeit, wissend, daß sie im Interesse eines starken westlichen antikommunistischen Europa gar nicht auf einen deutschen Beitrag verzichten konnten. Niemöller, der sein Interview sicherlich nicht zufällig kurze Zeit nach dem Adenauerschen Interview gab, durchschaute offensichtlich diese Logik. Ihr setzte er die Behauptung entgegen, daß die Deutschen um der Wiedervereinigung willen auf die heilige Kuh des westlichen Wohlstandes und der westlichen Freiheit gern verzichten und um dieses nationalen Gutes willen sogar den Kommunismus in Kauf nehmen würden 31 . Niemöllers Vorschlag einer strikten Neutralität eines wiedervereinigten Deutschland zwischen den Machtblöcken, die durch eine U N O » Wortlaut K J 1949, S. 240 ff.; ebd. audi die na Afolgende Diskussion. Das arbeitet besonders A. BARING heraus (Außenpolitik). 3 1 Diese Äußerung Niemöllers wurde zu Unredit von seinen politischen Gegnern als eine Sympathieerklärung für den Kommunismus interpretiert, dem Niemöller zeitlebens fremd gegenüberstand. Ihm ging es mit seiner pointierten Behauptung lediglich darum, die unbedingte Priorität des Wiedervereinigungswillens der Deutschen vor allen anderen politischen Zielen zu unterstreichen. Zu Einzelfragen, die sich aus dem Inhalt des Niemöllerschen Interviews ergeben, soll hier nur insoweit Stellung genommen werden, als sie für die Wiederbewaffnungsdiskussion innerhalb der E K D von Bedeutung waren. Ausführlicher mit dem Inhalt und der sich daran anschließenden Diskussion befassen sich D. KOCH (Heinemann, S. 109 ff.) und M . SCHUMANN (Niemöller, S. 203 ff.). 2

30

Interviews von Adenauer und Niemöller

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Besetzung unter gleichzeitiger Aufgabe der strategischen Positionen der Alliierten garantiert werden müßte, tauchte in der Wiederbewaffnungsdiskussion später noch häufiger auf. Die Frage, ob dieser Vorschlag praktikabel gewesen wäre, soll hier nicht untersucht werden. Es spricht viel dafür, daß Niemöller - wie sollte er das auch gekonnt haben - die tatsächlichen politischen Gegebenheiten des Kalten Krieges nicht zu überblicken in der Lage war. Einer solchen, bald wieder mächtigen neutralen Pufferzone zwischen sich, die sich dann rasch wieder nach links oder rechts würde orientieren können, hätten die Siegermächte wohl kaum zugestimmt. Daß zumindest vom deutschen nationalen Standpunkt aus aber eine solche Lösung eine echte Alternative darstellte, wird niemand bezweifeln wollen 32 . Die Heftigkeit der Reaktion auf Niemöllers Interview nicht nur in kirchlichen Kreisen, macht deutlich, daß Niemöller tatsächlich den Finger auf die wunde Stelle gelegt hatte. Er hatte, indem er so pointiert einen politisch unbequemen und unerwarteten Standpunkt in aller Öffentlichkeit vertrat, die Frage nach den wirklichen Prioritäten gestellt und zugleich die wirklichen Abhängigkeiten, in denen sich die beiden Deutschland befanden, beim Namen genannt. Die evangelische Kirche hatte er, wie die sich anschließende innerkirchliche Auseinandersetzung zeigte, damit in eine echte Verlegenheit gebracht. Denn das nationale Anliegen in Niemöllers Argumentation, dem auch die E K D als einzige funktionierende gesamtdeutsche Institution verpflichtet war, konnte von ihr nicht einfach beiseite geschoben werden. So konnte Niemöller von kirchlicher Seite nicht in der Sache, sondern nur in der Form kritisiert werden. Sein Bedauern über den Aderlaß am Protestantismus blieb kaum widersprochen. Seine spätere Erklärung, letztlich ginge es ihm nur darum zu sagen, „daß nicht Deutsche gegen Deutsche kämpfen dürfen", war ein - für das nationale Denken - unschlagbares Argument. Daß es freilich auch innerhalb der E K D andere Prioritäten gab, erwies die sich anschließende Kontroverse 33 . Erst sie machte offenbar, 3 2 M. SCHUMANN stellt mit Bedauern fest, daß Niemöllers Vorschlag einer U N O Besetzung Deutschlands durdi seine konfessionspolitischen Äußerungen im selben Interview völlig an den R a n d der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sei und nicht die Beachtung gefunden habe, die er eigentlich verdiente. Immerhin wurde dieser Vorschlag aber auch in der S P D ernsthaft diskutiert. So betonte Dr. Arndt in einem Gespräch am 13. März 1950: „Ich behaupte, daß wir einen Rechtsanspruch haben, daß die UNO-Besetzung geschieht" (vgl. Anhang, Dokument 1). 3 3 Diese Kontroverse setzte sich bis in die Sitzungen des Reichsbruderrates fort. Aus einem Briefwechsel zwischen Herbert Mochalski und dem Erlanger Dekan Eduard Putz bzw. dem württembergischen Dekan Theodor Dipper geht hervor, daß in „Christ und Welt" aufgrund einer Falschmeldung im Ev. Pressedienst die Nach-

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D i e Z e i t des a u f k o m m e n d e n K a l t e n K r i e g e s

wie recht Niemöller hatte mit seiner Warnung vor einer einseitigen Indoktrination der Deutschen für die westliche oder östliche Ideologie. Tatsächlich hatte sich die antikommunistische Propaganda zu diesem Zeitpunkt bereits so wirkungsvoll des Denkens der allermeisten Deutschen bemächtigt, dabei unterstützt von den fühlbaren Auswirkungen des audi die Bundesrepublik bedenkenden Marshallplanes, daß nur sehr wenige Kreise noch fähig waren, den Überlegungen Niemöllers überhaupt zuzuhören. Die These von der Unvereinbarkeit des Christentums mit dem Kommunismus war nicht nur durch das Kommunismusdekret Pius X I I . aus demselben Jahr erhärtet worden 34 , sondern gewann täglich neue Nahrung durch die Nachrichten, die die Flüchtlinge mit ihrer „Abstimmung mit den Füßen" in den Westen brachten, so daß tatsächlich ein hohes Maß an geistiger Unabhängigkeit dazu gehörte, sich trotzdem einen Standort zwischen den Fronten zu erlauben. Hier hat Niemöller innerhalb der E K D eine wichtige Funktion wahrgenommen. Zwar konnte die Kontroverse um sein Interview durch die Ratserklärung vom 17. Januar 1950 35 notdürftig abgeschlossen werden. Indem Niemöller diese Erklärung mitunterschrieb, unterstellte er sich, trotz seiner abweichenden Position, gewissermaßen einer gesamtkirchlichen Disziplin; denn daß die Ratserklärung bei aller scheinbaren Unvoreingenommenheit deutlich ein Votum für die westliche Demokratie darstellte, hat u. a. Schumann herausgearbeitet 36 . Aufs ganze gesehen machte die Auseinandersetzung um Niemöllers Interview innerhalb der E K D noch einmal deutlich, daß die oben beschriebene Position der E K D als Klammer zwischen den beiden Deutschlands im konkreten politischen Falle nicht ideologisch durchzuhalten war.

rieht g e b r a d i t w o r d e n w a r , der B r u d e r r a t h a b e e i n m ü t i g hinter F o r m u n d I n h a l t der Ä u ß e r u n g e n N i e m ö l l e r s g e s t a n d e n . E i n e F l u t e m p ö r t e r Z u s c h r i f t e n verschiedener B r u d e r r a t s m i t g l i e d e r macht deutlich, w i e s t a r k a u d i i n n e r h a l b des R e i c h s b r u d e r r a t e s die M e i n u n g e n über politische S a c h f r a g e n a u s e i n a n d e r g i n g e n u n d w i e w e n i g die P o sition N i e m ö l l e r s d o r t R ü c k h a l t hatte. D i e s e brieflichen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n b e z o gen sich a u f eine A u s s p r a c h e im B r u d e r r a t a m A b e n d des 8. F e b r u a r 1 9 5 0 z u den V o r g ä n g e n des N i e m ö l l e r - I n t e r v i e w s . H e s s e u n d J o c h u m h a t t e n den A n t r a g gestellt, der R e i c h s b r u d e r r a t m ö g e sich hinter N i e m ö l l e r stellen. D i e anschließende D i s kussion machte a b e r deutlich, d a ß eine solche S t e l l u n g n a h m e des R e i c h s b r u d e r r a t e s a u f g r u n d der unterschiedlichen theologischen u n d politischen P o s i t i o n e n nicht m ö g lich w a r . E i n e E i n i g u n g im S i n n e des A n t r a g e s k a m nicht z u s t a n d e (die e r w ä h n t e n B r i e f w e c h s e l u n d eine h e k t o g r a p h i e r t e A b s c h r i f t des P r o t o k o l l s der B r u d e r r a t s s i t z u n g L K A DARMSTADT, 3 6 / v o r l . 2 1 a ) . 34 35 36

V g l . o b e n S . 78 ff. T e x t u. a. i n : G . HEIDTMANN, Kirche, S . 8 5 f . N i e m ö l l e r , S. 2 1 2 ff.; v g l . auch D . KOCH, H e i n e m a n n , S . 116 f.

Kapitel 5

„Was kann die Kirche für den Frieden tun?": Die Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950 1. Die traditionelle Stellung der evangelischen Kirche zu Krieg und Kriegsdienst (am Beispiel des „Fall Dehn" und H. Liljes Schrift „Der Krieg als geistige Leistung") a) Allgemeine Vorbemerkungen „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein." Diese Feststellung der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam aus dem Jahre 1948 signalisiert einen entscheidenden Umschwung in der Einstellung der evangelischen Christenheit gegenüber dem Problem des Krieges. Fortan ist die mehr oder weniger kritiklose Hinnahme des Krieges als eines von Zeit zu Zeit auftretenden „Naturereignisses" oder gar eine Heroisierung des Krieges durch die Kirche eigentlich nicht mehr möglich. Die verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges, die Sieger und Besiegte in gleicher Weise getroffen hatten, hatten audi die in der Kirche bis dahin übliche Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen als im tiefsten Sinne fragwürdig entlarvt. Daß „Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll", steht auch in der evangelischen Kirche in Deutschland außer Zweifel. Dafür ist die Synode von Weißensee mit ihrer Frage nach den Möglichkeiten der Kirche zur Erhaltung und Förderung des Friedens ein deutlicher Beleg. Wenn auch Verlauf und Ergebnis der Synode zeigen, daß die evangelische Kirche mit dieser neuen Einsicht noch nicht einfach die alten Denkschemata über Bord geworfen hat, so ist die Synode doch ein Beleg dafür, daß der alte Geist freudiger Bejahung des Krieges als einer vaterländischen Aufgabe endgültig dahin ist. Für den Beobachter der kirchlichen Entwicklung in Deutschland ist dies eine eher erstaunliche Tatsache. Denn die in der Christenheit schon immer vorhandenen pazifistischen Strömungen und Tendenzen hatten gerade in der deutschen evangelischen Kirche nie einen stärkeren Widerhall gefunden 1 . Noch der Erste Weltkrieg war als vaterländisches Ereignis von den meisten evangelischen Christen und von der Kirche insgesamt begeistert begrüßt worden. Wilhelm Presseis Untersuchung2 bietet hierfür eine Fülle von Belegen. Die von Ernst Troeltsch 3 erhoffte Abkehr der deutschen evange1 2 3

Vgl. hierzu heute W . HUBER/J. SCHWERDTFEGER, Krieg und Frieden. Kriegspredigt. Spectatorbriefe.

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Synode der E K D in Berlin-Weißensee 1950

lischen Kirche von ihrer militärischen Tradition vollzog sich auch nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg nur sehr langsam und ohne nennenswerten Durchbruch in Richtung auf ein neues Durchdenken der Einstellung der Kirche gegenüber dem Krieg. Audi das Buch von Otto Dibelius „Und Friede auf Erden" kann bestenfalls als ein tastender Versuch in Richtung auf eine christliche Friedensstrategie gewertet werden und signalisierte noch keineswegs eine Tendenzwende in der Einstellung der Kirche gegenüber der Kriegsfrage (Neu und „revolutionär" war bei Dibelius lediglich der Gedanke, daß die Kirche das Zeugnis des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen als die Darstellung einer christlichen Alternative ernst nehmen und ihm Schutz gewähren müsse (S. 197 f.). Wie schwer sich die evangelische Kirche in dieser Frage auch noch lange Zeit nach dem Ersten Weltkrieg tat, soll an zwei exemplarischen Beispielen verdeutlicht werden. Die Behandlung des „Fall Dehn" durch die evangelische Kirche in den frühen dreißiger Jahren und die kleine Schrift von Hanns Lilje „Der Krieg als geistige Leistung", die während des Zweiten Weltkrieges erschien, können schlaglichtartig die Tendenzen und Entwicklungslinien erhellen, die das Denken der an den Auseinandersetzungen in der E K D um die Frage der Wiederbewaffnung Beteiligten geprägt haben, und zum besseren Verständnis der Haltung der E K D gegenüber dieser Frage beitragen. b. Der „Fall Dehn" 4 Günther Dehn, der eine zeitlang dem Religiösen Sozialismus nahe gestanden hatte und Mitglied der sozialdemokratischen Partei gewesen war, gehörte theologisch dem Lager der dialektischen Theologie zu. Er hatte 1928 in einem Gemeindevortrag in Magdeburg zum Thema „Der Christ und der Krieg" gesprochen. Dieser Vortrag gab den Anstoß zu heftigen Auseinandersetzungen um die Person Dehns, die nicht nur zum „Berufsverbot" für ihn als Theologie-Professor führten und damit den Auftakt des Kirchenkampfes bildeten, sondern die ihn auch innerhalb seiner Kirche als einen völligen theologischen Außenseiter erkennen ließen. Das Neue und Aufsehenerregende an Dehns Ausführungen in jenem Vortrag lag darin, daß er sich gegen jede Verherrlichung des Krieges wandte und von einer biblisch-theologischen Grundlegung her Vgl. G. DEHN, Kirche und Völkerversöhnung; E. BIZER, Fall Dehn. Günther Dehn, geb. 18. 4. 1882 in Schwerin, gest. 17. 3. 1970 in Bonn, 1908 Domhilfsprediger, 1911 Pfr. in Berlin, 1931 Prof. für Prakt. Theologie in Halle, 1933 dienstentlassen, 1936 Dozent an der Kirdil. Hochschule Berlin, 1941 inhaftiert, 1942 bis 1945 Pfarrverweser in Ravensburg, 1946-1954 Prof. für Prakt. Theologie in Bonn. 4

Traditionelle Haltung der ev. Kirche zu Krieg und Kriegsdienst

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die Diskrepanz zwischen christlichem Friedenswillen einerseits und der Idealisierung des Krieges - auch durch die Kirche - andererseits aufdeckte. „Es scheint mir vor allem eins nötig zu sein, daß wir den Krieg so sehen, wie er ist, und ihn all des romantisch-idealistischen Schmucks entkleiden, mit dem man ihn zu behängen pflegt", so forderte er5. Für Dehn gab es keinen „heiligen" Krieg, obwohl er die Möglichkeit eines „gerechten" oder doch „notwendigen" Krieges8 - im Sinne von Notwehr - offenließ. Aber immer ist für ihn Krieg Ausdruck der gefallenen Welt, etwas, das „nach Gottes Willen nicht sein soll" (ein Vorgriff auf die Aussage der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam 1948, mit dem Dehn damals sehr allein dastand). Es sei aus diesem Grund besser - so sein Gedankengang - , wenn die Kirche, statt mit dem Gedanken des Krieges zu spielen, sich an den Rat des Apostels hielte: „Soviel an euch ist, haltet Frieden mit jedermann." 7 Dennoch lehnte es Dehn ab, sich als Pazifisten zu bezeichnen. Ja, er distanzierte sich sogar ausdrücklich vom grundsätzlichen Pazifismus, den er für illusionistisch und naiv hielt 8 . Er konnte sich, darin Kind seiner Zeit, eine Welt ohne Krieg nicht vorstellen. Aber Dehn war eben auch kein Nationalist. Und deshalb betonte er, daß die Verherrlichung des Krieges nur möglich sei, wo man das Lebensrecht und die Geschöpflichkeit des Gegners nicht sehe. Zum erstenmal in der deutschen Theologie kam damit der Gedanke ins Spiel, daß das Lebensrecht der Völker ein höherer Wert sei als das nationale Interesse. Das ist ein Gedanke, dem er allerdings nur sehr vorsichtig Ausdruck verlieh 9 , weil er damit rechnen mußte, bei seinen Hörern damit auf völliges Unverständnis zu stoßen. Jedenfalls zwang er seine Hörer aber dazu, das Problem des Krieges auch vom Gegner her zu bedenken. Weil Dehn eine Idealisierung des Krieges ablehnte, lehnte er auch eine Heroisierung des Soldatentodes ab. Er meinte, die Kirche solle ihrerseits besser auf eine Gefallenenehrung verzichten, um eine Verbindung zwischen dem Opfertod Jesu und dem Soldatentod zu vermeiden. Der Soldatentod habe mit dem Opfertod Jesu schon deshalb nichts gemein, weil ja der Soldat durchaus bereit gewesen sei, auch sei5

Kirche und Völkerversöhnung, S. 15. 7 8 • Ebd., S. 18. Ebd., S. 20. Ebd., S. 15. 9 „Sind Ruhm, Ehre, Herrlichkeit einer Nation wirklich christliche Anliegen? Ist die Ausnützung jeder Entwicklungsmöglichkeit für ein Volk wirklich Gottes Wille? . . . Gott hat die Menschen geschaffen und die Völker. Er will also die Existenz des Menschen und der V ö l k e r . . . Allerdings ist auch hier sofort zu bedenken: Auch dem Gegner hat Gott das Leben gegeben, audi er hat die Pflicht, es zu verteidigen, und ich habe die Aufgabe, es als eine Gottesgabe zu achten und zu schützen" (ebd., S. 17 f.).

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Synode der Ε K D in Berlin-Weißensee 1950

nerseits zu töten 10 . D a ß die Auseinandersetzung gerade an diesem Punkt einsetzte, zeigt, daß Dehn hier die Tabus seiner Hörer offenbar empfindlich getroffen hatte. Nach der ruhig verlaufenen Aussprache über den Vortrag kam es zwischen ihm und einer jungen Dame zu einem Wortwechsel. Später wurde ihm nachgesagt, er habe die Soldaten als „Mörder" beschimpft. Obwohl sich dieser Vorwurf sachlich als völlig unhaltbar erwies, wich das Magdeburger Konsistorium doch vor den Beschwerdeführern, u. a. ehemaligen hohen Offizieren, die freilich bei dem Vortrag gar nicht persönlich anwesend gewesen waren, zurück und sprach Dehn einen Tadel aus wegen seiner unvorsichtigen Äußerungen. Wegen dieses Vorfalles scheiterte eine Berufung Dehns auf einen Lehrstuhl in Heidelberg 1930. Er nahm statt dessen eine gleichzeitig laufende Berufung an die Universität Halle an. Sein Antritt in Halle führte zu einer ersten großen „Machtprobe" der nationalsozialistischen Studentenschaft. Bei Vorlesungsbeginn kam es zu tumultuarischen Szenen. Die Studenten drohten, aus der Universität Halle auszuziehen, wenn dieser „Pazifist" und Verleugner der Ehre der Nation an der Universität Halle lehren dürfe. Da sich aber die Fakultät und der akademische Senat geschlossen hinter Dehn stellten, konnte er - wenn audi unter ständigem Beschüß der nationalsozialistischen Studenten - seine Vorlesungstätigkeit während des Wintersemesters 1931 und des Sommersemesters 1932 ungehindert ausüben. Dann allerdings beantragte er einen einjährigen Forschungsurlaub, den er auch bekam. Inzwischen brach das „Dritte Reich" aus. Dehn war einer der ersten, der in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Die Auseinandersetzungen um die Person Dehns waren natürlich weit über den Bereich der Universität Halle hinaus zur Kenntnis genommen worden. Es kam zu verschiedenen Gegenkundgebungen von Theologie-Professoren. Aber so gutgemeint diese Gegenkundgebungen audi waren, so zeigten sie doch erst, wie isoliert Dehn mit seinen Anschauungen damals in der evangelischen Theologie stand. Nur eine Gruppe von fünf (später nur noch vier) Theologieprofessoren hatte sich öffentlich, auch von der Sache her, mit Dehn solidarisiert (K. Barth, K . L. Sdimidt, O. Piper, M. Dibelius und zeitweise auch G. Wünsch). Eine zweite Unterschriftensammlung, bei der sehr viel mehr Theologieprofessoren unterschrieben hatten, nahm zu inhaltlichen 1 0 „Wir wollen ganz gewiß diesem Tod seine Würde und audi seine Größe lassen, aber ebenso gewiß wollen wir auch die Wahrheit sagen. Es wird bei dieser Darstellung eben außer acht gelassen, daß der, der getötet wurde, eben auch selbst hat töten wollen. Damit wird die Parallelisierung mit dem christlichen Opfertod zu einer Unmöglichkeit" (ebd., S. 21 f.).

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Fragen ausdrücklich nicht Stellung11. Ein Votum Göttinger Professoren zeigt die ganze Tragweite dieses Konfliktes: diese Professoren, die zwar das disziplinarische Verhalten der Studenten tadelten, forderten gleichzeitig Verständnis für deren Anliegen. Die Kirche selbst aber schwieg; wie wenig sie die Tragweite dieser Vorgänge um Dehn erfaßt hatte, zeigte eine Bemerkung des damaligen Generalsuperintendenten Otto Dibelius, das Ganze sei „nur ein Problem akademischer Pädagogik" 12 . Worum es in Wirklichkeit ging, machte die Denkschrift der Halleschen Studentenschaft deutlich: „Trägt Herr Dehn zum Daseinskampf, zum Freiheitskampf unseres Volkes bei oder hilft er den niederziehenden Mächten moderner Humanitätsduselei und Weichlichkeit, die vor allem unserer Wehrkraft entgegenstehen, zu weiterem Vordringen? . . . Wir brauchen . . . Professoren, die nach der Allmacht Gottes uns die Liebe zu Volk und Nation mit heißem Herzen lehren." 13 Der „Fall Dehn" wird gewöhnlich als der eigentliche Auftakt des Kirchenkampfes bezeichnet. Dabei wird das Vorgehen der nationalsozialistischen Studentenschaft von Halle mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten gegen die Kirche verglichen. Aber bezeichnend ist m. E. nicht so sehr die Agitationsweise der Studenten, die psychologisch erklärt werden kann und auch in ganz anderem politischen Lager ihre Entsprechungen hat, als vielmehr die Tatsache, daß in der evangelischen Kirche ein Pfarrer, der sich gegen die Verherrlichung des Krieges gewandt hatte, so isoliert sein konnte, daß es möglich war, seinen Fall bis zu einem Fall solchen Ausmaßes hochzuspielen. Hierin wurde das ganze Ausmaß der Entfremdung der Kirche von ihrem Auftrag recht eigentlich deutlich. Der „Fall Dehn" ist nicht ein Vorspiel des Kirchenkampfes, sondern - wie Dehn selbst es bereits im Herbst 1931 voraussah 14 - ein Vorspiel des mit dem Nationalsozia11

W. STÄHLIN bemerkt, daß diese Unterschriftensammlung, die von ihm mitveranlaßt wurde, eigens so allgemein abgefaßt wurde, daß möglichst viele Unterschriften zusammenkämen (Via Vitae, S. 263 f.). 12 Nach: E. WOLF, Barmen, S. 35. 13 Ebd. 14 „Vielleicht ist das, was sich in Heidelberg und Halle ereignet hat, nur ein Vorspiel kommender Ereignisse, w o ein rein machtpolitisdi orientierter Staat, der von seiner Verantwortung Gott gegenüber nichts mehr weiß, von der Kirche entweder völligen Gehorsam verlangen oder sie für staatsgefährlich erklären wird. Es kann sein, daß die Kirdie der Gegenwart an der Schwelle schwerster Kämpfe mit dem modernen Nationalismus steht, in denen sie in ihrer Existenz gefordert sein wird. Sollte ich diesen kommenden Auseinandersetzungen dadurch ein trübes Vorzeichen geben, daß ich feige nachgebe und im Interesse meiner persönlichen Ruhe dem Angriff ausweiche? Hier muß Widerstand geleistet werden. Man pflegt der Jugend in ihren gegenwärtigen Kämpfen ja meist einen, wenn auch irregeführten Idealismus zuzugestehen. Ich möchte dagegen doch ernste Bedenken äußern. Verzerrter Idealis-

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lismus heraufkommenden Totalitarismus, der selbst eine noch so geringfügige Selbständigkeit des Denkens nicht ertragen konnte. Die Kirche jedoch, die fähig gesesen wäre, der Herausforderung durch den Nationalsozialismus zu begegnen, gab es nicht. Der „Fall Dehn" blieb leider, was die Klarheit der Erkenntnis betraf, auch innerhalb der Bekennenden Kirche ein singulärer Fall. Es mußte noch der ganze Zweite Weltkrieg und die Erfahrung einer totalen Niederlage dazukommen, ehe die Gedanken, die Dehn 1928 in seinem berühmten Gemeindevortrag geäußert hatte, als Substanz christlichen Denkens in der evangelischen Kirche selbstverständliche Anerkennung fanden. c. Hanns Lilje: „Der Krieg als geistige Leistung" Diese kleine Schrift von Hanns Lilje ist im Jahre 1941 erschienen. Besonders von den kirchenpolitischen Gegnern des Luthertums wurde sie in der Nachkriegszeit als Beispiel der Anfälligkeit des deutschen Luthertums für militaristische Tendenzen häufig zitiert - nicht ganz zu Recht, wie mir scheint. Die Polemik wurde dabei in aller Regel einfach am Titel festgemacht, der, soweit es die Intention des Verfassers betrifft, irreführend ist. Gerade aber, wenn man Liljes Schrift gegen solche zu kurz gegriffene Polemik in Schutz nimmt, wird sie als ein typisches Zeugnis einer lutherischen Einstellung zur Frage des Krieges erkennbar. Lilje will sich bewußt von einer geschichtsphilosophischen Sicht absetzen, die den Krieg als „das Urprinzip alles geschichtlichen Lebens" darstellt (S. 3). Allerdings überzeugt die A r t und Weise, wie er diese Aufgabe zu lösen versucht, nicht. E r gesteht zwar ein, daß es Kriege gegeben hat, „deren zerstörende Wirkung größer war als alles, was sie geschaffen haben" (S. 4) - als Beispiel nennt er den 30jährigen Krieg - ; aber die Daseinsberechtigung des Krieges grundsätzlich in Frage zu stellen, wagt er nicht. Angesichts dieser Forderung, die jedes Nachdenken über den Krieg begleiten müßte, wirkt sein Verweis darauf, daß für Luther der Krieg „Gottes W e r k " gewesen sei in dem Sinne, „in dem alle Geschichte gleicherweise Zeichen seiner Gnade wie mus ist Dämonie. Es ist ja einfach nicht wahr, daß diese fanatische, meinetwegen religiös gefärbte, tatsächlich aber von Gott gelöste Vaterlandsliebe dem Vaterland wirklich hilft. Im Gegenteil, sie wird das Vaterland ins Verderben führen. Weil hier Maß und Ziel für sachliches, wirklich verantwortungsvolles Handeln, wie es nur der an Gott gebundene Mensch haben kann, fehlen. Wir haben keinen Anlaß, die Jugend in ihrem vielfach bedenkenlosen Handeln womöglich noch zu feiern, sondern wir sind verpflichtet, ihr auf das Ernsteste entgegenzutreten, sie zu warnen und zum Gehorsam gegen Gott zurückzuführen. Es besteht sonst die Gefahr, daß ihr Tun ganz und gar in undeutsdien Zynismus ausartet, der nur noch zerstörend wirken kann. Nur wer Gott wirklich über alle Dinge setzt, kann auch seinem Vaterland wirklich dienen" (Kirche und Völkerversöhnung, S. 89 f.).

Traditionelle Haltung der ev. Kirche zu Krieg und Kriegsdienst

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seines Zornes ist" (S. 4), fast wie eine Platitüde. Moralisch kann Lilje den Krieg offenbar überhaupt nicht in Frage stellen. Denn „darin, daß der Krieg dem Werden einer neuen geschichtlichen Ordnung dient, besteht seine Würde" (S. 5). „Der Krieg ist weder eine Katastrophe, die mit naturgesetzlicher Wucht über ein Volk hereinbricht, noch auch einfach das schöpferische Prinzip der Geschichte; sondern er ist die zusammengeballteste Form, unter der ein Volk seinem geschichtlichen Schicksal begegnet" (S. 6 f.). Der Verfasser ist also noch weit entfernt von der Einsicht der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam 1948, daß der „Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll". Der Grund hierfür ist unter anderem darin zu suchen, daß bei ihm der Partner des Krieges, der „Feind", völlig aus dem Bewußtsein verdrängt zu sein scheint. Der Krieg wird nicht gesehen als eine Infragestellung des Gegners (einen Angriff auf die physische Existenz des Nächsten), sondern ausschließlich als eine Infragestellung der eigenen Existenz (bzw. der Existenz eines einzelnen Volkes). Für Lilje ist der Krieg ausschließlich ein existentielles Problem. Diese subjektivistische Verkürzung der Perspektive ist denn auch der Grund dafür, daß der Tod im Kriege (im Gegensatz zu Günther Dehn) trotz anderslautender Beteuerungen - die Erkenntnis der Bedroh theit des Lebens verbiete „eine leichte Glorifizierung der kriegerischen Situation" (S. 9) - heroisiert wird. Denn der Krieg offenbart, was „das Leben am meisten adelt". „Der Krieg deckt es mit stürmischer Hand auf, ob einer in Furcht und Schande nur an sein eigenes Ich gebunden ist oder ob die Kräfte der Hingabe und des Opfers in ihm lebenskräftig sind" (S. 13). Daß die Frage nach dem Tode im Kriege, und damit die ganze Schrift, enden kann mit dem Jesus-Wort, „wer sein Leben lieb hat, wird es verlieren" (S. 14), zeigt diese absolut subjektivistische Perspektive des Krieges noch einmal in ihrer ganzen Fragwürdigkeit auf. Das Fehlen einer soziologischen, am Recht des anderen orientierten Perspektive ist nun freilich nichts, was dem Verfasser der Schrift persönlich zur Last gelegt werden könnte. Mit dieser subjektiven, letztlich nur am Schicksal des Einzelnen orientierten Fragestellung, deren seelsorgerlicher Impetus nicht geleugnet werden soll, steht Lilje in der verhängnisvollen Tradition lutherischen individualistischen Denkens überhaupt. Diese Perspektive hat zwar schon immer ungeheure Kräfte des Leidens und Erduldens freilegen helfen (und so aber auch den idealen Untertanen erzeugt)15, sie hat aber nicht vermocht, die Phantasie auf eine verantwortliche Weltgestaltung hin anzuregen und zum politischen Denken zu erziehen. 15

K. BARTH, Ein Brief nach Frankreich, in: Eine Sdiweizer Stimme, S. 115.

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Man wird gerechterweise zugestehen müssen, daß der Verfasser ein primär seelsorgerliches Anliegen verfolgte. Er wollte gewissermaßen dem vom Kriege unausweislich Betroffenen Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Grenzsituation aufweisen, indem er ihm zeigte, wie gerade in der aktuellen Bedrohung der Existenz „die Grundsituation des Menschen überhaupt" plötzlich „erhellt" wird. Aber man wird insgesamt urteilen müssen, daß er keinen Beitrag zu liefern imstande war, der den Krieg als Problem der politischen Ethik hatte reflektieren helfen können. Die vielfachen Hinweise auf die gerade im Kriege geforderten moralischen und charakterlichen Leistungen (S. 6; 10 u. ö.) sind für dieses Versäumnis kein Ersatz, so sehr sie hinwiederum als seelsorgerlicher Zuspruch von Wert sein mochten. Zu fragen, inwiefern Lilje sich vielleicht durch Rücksichten auf die aktuelle historische Situation zu einem Ausweichen vor der moralischen Frage gezwungen gefühlt haben mochte, kann nicht Aufgabe dieser Überlegungen sein. Ein Hinweis darauf könnte vielleicht in der Tatsache liegen, daß der Verfasser bemerkenswert allgemein vom Problem des Krieges redete und jedem aktuellen Bezug, der doch nahegelegen hätte, aus dem Weg ging.

2. Der Verlauf der Synode Unter dem Eindruck der noch immer schwelenden Auseinandersetzungen um das Niemöller-Interview und die dabei aufgerissenen Fragen zum Deutschlandproblem entschloß sich der Rat der EKD auf seiner Sitzung vom 17./18. Januar 1950, die bevorstehende Synode unter das Thema zu stellen: „Was kann die Kirche für den Frieden tun?" Obwohl die Vorbereitungszeit kurz war, wurden sowohl in der Kammer für öffentliche Ordnung der EKD als auch im Reichsbruderrat wichtige Vorarbeiten geleistet und Vorlagen für das Friedenswort erarbeitet 16 . Niemöller veranstaltete zusätzlich am 13. März 1950 ein Treffen mit hessischen Politikern zum Thema der Synode 17 , auf dem eine ganze Reihe interessanter politischer Aspekte angesprochen wurden, so daß die Synode nicht ungerüstet zusammentraf. Wer die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen in der EKD zum Niemöller-Interview mitverfolgt hatte, mußte vom ruhigen Verlauf dieser Synode überrascht sein. Atmete doch gerade diese Synode den 19 Vgl. Protokoll der Sitzung des Reichsbruderrats vom 9./10. Februar 1950 in Darmstadt (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 21b) und Niederschrift über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung der E K D am 27. März 1950 in Frankfurt/ Main (ebd.). 17 Vgl. Anhang, Dokument 1.

V e r l a u f der S y n o d e

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Geist einer Kirche, die im Bewußtsein ihrer öffentlichen Verantwortung um eine gemeinsame Stellungnahme der Kirche zu den Fragen von Krieg und Frieden bemüht war. Die Diskussion zu den beiden Grundsatzreferaten Willem A. Visser't Hoofts und Hanns Liljes sowie das Friedenswort in seiner endgültigen Formulierung spiegeln allerdings deutlich die Schwierigkeiten wider, die sich aus den vorhandenen theologischen Differenzen für die Synode ergaben. Erstmalig wurde auf dieser Synode auch die Frage einer Wiederbewaffnung Deutschlands diskutiert. Die verschiedenen theologisch-politischen Positionen, die sich während der Wiederbewaffnungsdiskussion in den folgenden Jahren gegenüberstanden, wurden auf dieser Synode bereits bezogen. Dies rechtfertigt wohl den Versuch, durch eine ausführliche Wiedergabe des Verlaufs und der Ergebnisse der Synode von Berlin-Weißensee die Spannbreite des theologischen und politischen Selbstverständnisses innerhalb der E K D aufzuzeigen. Die Synode fand auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges statt. Die Gründung der beiden deutschen Staaten im Herbst 1949 hatte in aller Deutlichkeit gezeigt, daß die Differenzen zwischen den ehemals befreundeten Siegermächten unüberbrückbar geworden waren. Die ersehnte Wiedervereinigung der vier deutschen Besatzungszonen war in weite Ferne gerückt. Die Spaltung Deutschlands in einen westlichen und einen östlichen Teil war besiegelt, und es gab auf der Synode durchaus Stimmen, die die Endgültigkeit dieser Teilung nicht mehr für ausgeschlossen hielten. Noch freilich waren die Fäden zwischen Ost und West eng genug geknüpft, um dies als unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. Noch konnte die EKD-Synode ohne Behinderung in Ostberlin stattfinden. Allen Beteiligten war allerdings auch klar wie nie zuvor, welche Verantwortung dieser E K D aufgebürdet war als der einzigen Institution, die nach dem Kriege noch Gesamtdeutschland repräsentierte und für die Christenheit in Gesamtdeutschland sprechen konnte. Mehrfach tauchte deshalb die Frage auf, ob dadurch nicht auch das Geschick des ganzen deutschen Volkes in besonderer Weise der E K D angelegen sein müsse 18 . Kirchenpolitisch betrachtet war eine Notwendigkeit für den Zusammenschluß der evangelischen Kirchen Deutschlands angesichts der Sachlage ja nicht mehr gegeben. Darauf machte Dibelius in seinem Ratsbericht aufmerksam. Das mächtige staatliche Gegenüber, wie es die Reichsregierung dargestellt hatte, dem etwa Widerpart hätte geleistet werden müssen, war nicht mehr vorhanden. Die Probleme der Kirche des Ostens waren andere als die Probleme der Kirche des We1 8 Vgl. das V o t u m H e i n e m a n n s (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 18 f f . ) ; ähnlich der R a t s v o r s i t z e n d e Dibelius in seinem Bericht (ebd., S. 27). D i e Seitenzahlen weiterer Zitate finden sich im T e x t .

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stens. „Die Klammer, die die evangelischen Kirchen Deutschlands zueinander gezwungen hatte, ist zerbrochen. Fortan kann ein Zusammenschluß nur noch von innen her kommen, nur noch aus kirchlicher Verantwortung und aus geistlichen Beweggründen" (S. 24). Die alte Frage, welchen Sinn und welches Gewicht die EKD haben sollte, durchzog infolgedessen auch diesmal die Diskussion. Dennoch machten sich auf dieser Synode unter dem Eindruck der gemeinsamen Aufgabe am Frieden, die allgemein von einer gesamtdeutschen Verantwortung her interpretiert wurde, die Spannungen nicht so schmerzlich bemerkbar wie früher. Die nationale Aufgabe der EKD erwies sich als eine Klammer, die die unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Gruppierungen zum gemeinsamen Reden und Handeln zwang. Das Friedenswort, das die Synode verabschiedete, war zwar theologisch ein Kompromiß, ließ aber doch ein gemeinsames Anliegen erkennbar werden. Sicher, so meinte Dibelius am Schluß der Synode, mag das Wort manchen zu viel, manchen zu wenig sagen. Aber deutlich werde doch eins sein, „daß die Kirche Jesu Christi für den Frieden steht und eine Macht des Friedens sein möchte in Gottes Namen zwischen den Völkern und in den Völkern, und daß sie mit diesem Willen ihrer großen Aufgabe gerecht werden möchte, so etwas wie das Salz der Erde zu sein" (S. 390). Daß die in dem Friedenswort versteckt enthaltene einseitige Option für den Westen sich als friedensstörendes Element auswirken mußte, wollte oder konnte die Synode dabei offenbar nicht sehen. Mittelpunkt der Synode bildete die durch die beiden Referate zum Thema angeregte Diskussion der Frage: „Was kann die Kirche für den Frieden tun?" Visser't Hooft 1 9 sprach als Vertreter der Ökumene gleichzeitig von einer reformierten, Lilje als Vertreter der EKD von einer lutherischen Position aus. Visser't Hooft ging in seinem christologisch orientierten Referat von den drei Ämtern Christi aus, die - wie er ausführte - die Friedensbemühungen der Kirche in dreifache Richtung wiesen. Das königliche Amt Christi erweise ihn als den „Friedensfürsten", der schon jetzt über die „Herrscher und die Völker" herrsche. Die Kirche müsse in der Art und Weise, wie sie ihre ökumenische Gemeinschaft darstelle - „als eine ökumenische Gemeinde, in der die Gegensätze der Völker und Rassen überwunden sind" (S. 75) - die zur Erreichung des Friedens zwischen den Völkern notwendige Solidarität zwischen den Völkern darstellen. Das Christentum sei nicht nationalistisch (S. 78). Obwohl Visser't Hooft den präsentischen Aspekt der 10

Willem A. Visser't Hooft, geb. 20. 9. 1900 in Haarlem, 1924 Sekretär im Weltbund des CVJM, 1931 im Christlidien Studenten-Weltbund, 1938-1966 Generalsekretär des (bis 1948 in Bildung begriffenen) ökumenischen Rates der Kirchen.

Verlauf der Synode

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Herrschaft Christi „schon jetzt" stark betonte, verlor er die endgeschiditliche Perspektive dabei nicht aus den Augen. Die totale Erneuerung der Welt sei die „Zukunftsgabe, die wir betend erwarten" (S. 76). Das hohepriesterliche Amt zeige Jesus als denjenigen, der Frieden stifte, indem er „durch sein Kreuz" die Menschen mit Gott versöhne. Die Kirche habe demzufolge die Aufgabe, durch Buße und Vergebung, die in ihrer ökumenischen Gemeinschaft realisiert werde, zur Versöhnung zwischen den Völkern beizutragen (S. 79). (In diesem Zusammenhang verwies Visser't Hooft auf die noch immer fehlende Versöhnung der Kirche mit den Juden [S. 80], dem Proletariat usw. - , ein Gedanke, den auch Lilje in seinem Referat wieder aufgriff [S. 102], und der dann auf Vorschlag Heinrich Vogels [S. 115 f.] zur spontanen Behandlung eines Wortes zur Judenfrage durch die Synode führte.) Das prophetische Amt Jesu weise darauf hin, daß „das Recht Gottes und das von Gott den Menschen verliehene Recht" ( = Menschenrecht) eingehalten werden müsse, wenn es wirklich Frieden geben solle (S. 81 f.). Deshalb müsse sich die Kirche für die Einhaltung des Menschenrechtes einsetzen. In diesem Zusammenhang sprach sich Visser't Hooft gegen die Behauptung einer Staatssouveränität aus (S. 82 f.), die über den allgemeinen Menschenrechten stehe. Im Schlußteil seines Referates fragte Visser't Hooft noch einmal, was die Kirche für den Frieden tun könne: sie habe, so meinte er, zwar keine „Rezepte zur Lösung der Tagesprobleme", aber gerade deshalb habe sie die Aufgabe, „deutliche Zeichen seines (Gottes) Friedens in der Welt" aufzurichten und zugleich den zukünftigen Frieden im Reich Gottes zu verkündigen (S. 85). Audi Lilje wies in seinem Referat auf den eschatologischen Gehalt des Friedens hin, den die Kirche zu vertreten habe. Aber stärker als Visser't Hooft betonte er das „schon jetzt". Dieser Friede sei schon da, durch Christus zwischen Gott und den Menschen geschlossen (S. 87). Die Aufgabe der Kirche bestehe in erster Linie darin, diesen „vollzogenen Friedensschluß Gottes mit der Welt zu proklamieren" (S. 89). Die Frage, was die Kirche für den Frieden tun könne, die mit Recht ja auch von außen an die Kirche gestellt werde, sei für „unsere Generation" gleichbedeutend mit der Frage nach „der Wirklichkeit Gottes in dieser Welt" (S. 92). In einer solchen Lage habe die Kirche vor allem eine diagnostische Aufgabe. Sie müsse den Verfall des Menschenbildes konstatieren und feststellen, daß die Welt von sich aus keinen Frieden halten könne. Wie einleitend schon Visser't Hooft, wies auch Lilje in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es derzeit nicht um den Gegensatz zwischen Krieg und Frieden gehe, sondern um den Widerstreit verschiedener Friedensideologien und um die Frage, „mit

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welchen Methoden der Friede in der Welt herbeigeführt werden kann" (S. 93). Lilje warnte davor, das Problem theologisch zu isolieren. Es gehe „niemals um die Einzelfrage, ob ein Christ die Waffen ergreifen darf oder nicht, sondern es geht um das gesamte Problem der Gewalt in der Welt. Es geht nicht um die Frage nach Waffen von verschiedener Gefährlichkeit, sondern nach der Herrschaft der Ungerechtigkeit und Gewalttat in dieser Welt" (S. 93). Es gehe auch nicht um die Abschaffung des Krieges - dieser Gedanke wurde von Lilje in die Nähe des Schwärmertums gebracht - und eine Höherentwicklung der Menschheit hin zu einem internationalen Friedenszustand. Es gehe höchstens ganz praktisch um die Frage, ob der Krieg unter den gegebenen Umständen überhaupt noch ein Mittel der Politik sein könne (S. 95). Bei Lilje ist deutlich das Bestreben erkennbar, die hinter der theologischen Thematik der Synode stehenden politischen Fragen in ihrer Relativität zu behaften. Alle Entscheidungen in der Politik seien von relativer Bedeutung und müßten als echtes Wagnis vollzogen werden (S. 98). Diese Relativität der Fragestellung galt nach Liljes Meinung audi für die Frage einer möglichen Wiederbewaffnung. Auch diese Frage könne nicht grundsätzlich mit der Frage gekoppelt werden, ob ein Christ zu den Waffen greifen dürfe, sondern müsse von viel realistischeren Vorstellungen und Überlegungen her betrachtet werden, z. B. von der Überlegung her, was denn eine deutsche Wiederbewaffnung politisch heute bedeuten würde, nämlich eine Verschärfung der politischen Spannungen in der Welt. Dazu müßten auch die Gefühle der Deutschen bedacht werden. (In diesem Zusammenhang verwies Lilje auf die Pflicht der Kirche, sich für die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen einzusetzen; S. 96.) Ähnlich wie Visser't Hooft sprach er sich für eine Einschränkung der nationalen Souveränität aus, aber im Gegensatz zu diesem nicht aus „christlichen", sondern aus realpolitischen Gründen (S. 99; 83). Trotz erkennbarer, wesentlich unterschiedlicherer Akzentsetzungen kamen die beiden Referenten in der Beurteilung politischer Einzelfragen zu vergleichbaren Ergebnissen und ergänzten insofern einander gut. Die tatsächlich vorhandenen theologischen Differenzen kamen weniger zum Tragen, weil sich die beiden Referenten spürbar um eine differenzierte Argumentation bemühten, die auch der theologischen Gegenseite gerecht zu werden versuchte. Zwar gelang es Visser't Hooft deutlicher, die Kirche auf ihre konkreten Aufgaben und Möglichkeiten hinzuweisen, so ζ. B. wenn er die Ökumene als den Ort beschrieb, wo durch die Kirchen internationaler Frieden vorgelebt und vorgeübt werden könne. Die Position Liljes, der die Kirche primär bei

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ihrem Verkündigungsauftrag behaftete, hatte aber ihre Stärke darin, daß sie die Politik freisetzte von christlich begründeten ideologischen Abhängigkeiten für eine an den politischen Möglichkeiten orientierte Politik. In der Beurteilung der politischen Realitäten wurde deshalb Lilje konkreter als Visser't Hooft. Die anschließende Diskussion zu den beiden Grundsatzreferaten ließ die vorhandenen theologischen und politischen Positionen in ihrer Differenziertheit deutlich hervortreten. Zwar bestand Einigkeit unter den Synodalen darin, daß die Kirche für den Frieden einzutreten habe, und in der Ablehnung des drohenden Dritten Weltkrieges. Aber in der Motivation für diese Haltung und in der Begründung gingen die Argumente weit auseinander. Ein die ganze Diskussion betreffendes Manko bestand darin, daß das Thema nahezu ausschließlich als nationale Frage bzw. als Frage der EKD diskutiert wurde, nicht aber in seinem weltpolitischen bzw. ökumenischen Zusammenhang. Darauf machte insbesondere Visser't Hooft aufmerksam 20 . Genaugenommen diskutierte die Synode nicht zu dem Thema „Was kann die Kirche für den Frieden tun?", sondern zur Frage, welche Haltung die EKD bzw. die Deutschen im Falle einer kriegerischen Entladung der Ost-West-Spannung einnehmen sollten. Auch hier noch wurde die Frage weitgehend reduziert, nämlidi auf die Frage nach der Stellung der Kirche zum Krieg. Im Rahmen dieser auf die aktuelle Situation des deutschen Volkes reduzierten Perspektive kam die Vielfalt der vorhandenen Positionen jedoch deutlich zum Ausdruck. Dabei zeichneten sich bei aller Meinungsvielfalt zwei Grundpositionen ab, die in etwa den in der EKD vorhandenen bekenntnismäßigen Gegensätzen entsprachen. Die eine vom traditionellen deutschen Luthertum geprägte Position, die am deutlichsten von Walter Künneth 21 vertreten wurde, vertrat die Auffassung, der Kirche stehe eine direkte Einflußnahme auf politische Friedensbemühungen nicht zu. Ihre Aufgabe bestehe vielmehr ausschließlich darin, in der Predigt den Frieden Jesu Christi zu proklamieren, der in allem Unfrieden dieser Welt von den Glaubenden schon hier und heute erfahren werden könne. Die andere Position, die deutlich von Karl Barth beeinflußt war, 20

„Ich habe ζ. B. den Eindruck, daß viel zu viel von dem, was hier heute gesagt worden ist, . . . nodi aus einer Lage heraus gesprochen ist, die vorbei ist, nämlich als ob es eine deutsche Situation gäbe, von der aus man zu der Friedensfrage Stellung nehmen könne" ( B E R L I N - W E I S S E N S E E 1950, S. 152). 21 Walter Künneth, geb. 1. 1. 1901 in Etzelwang, 1927 bzw. 1932-1937 Dozent und Leiter der Apologetischen Zentrale in Berlin-Spandau, 1930 Privatdozent in Berlin, 1938 Pfr. in Starnberg, 1944 Dekan in Erlangen, 1946 zugleich Honorarprof., seit 1953 ord. Prof. für Syst. Theologie in Erlangen, gegenwärtig repräsentativer Vertreter der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium".

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wurde am einprägsamsten von Martin Niemöller vertreten. Sie besagte: die Kirche, wenn sie denn wirklich um den Frieden Jesu Christi weiß, habe alles daran zu setzen, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der Einflußnahme dafür einzustehen, daß der nächste Krieg vielleicht noch vermieden werden könne, wie der barmherzige Samariter 22 einsprang, als er der konkreten Not begegnete. Zwischen diesen letztlich unvereinbaren Positionen spannte sich ein weiter Bogen divergierender Meinungen und Vorstellungen. Schon in der Beurteilung der politischen Spannungen gingen die Meinungen weit auseinander. Die Konfrontation der beiden Großmächte im Kalten Krieg fand eine sehr unterschiedliche Wertung. Es gab durchaus Stimmen auf der Synode, die die Auffassung vertraten, der Ost-West-Gegensatz sei künstlich hochgespielt und viel mehr das Ergebnis einer entsprechenden politischen Propaganda als echter unvereinbarer Gegensätze. Vertreter dieser Position, die aufs ganze gesehen freilich nur eine Minderheit darstellten, fanden sich vor allem in den Reihen des Reichsbruderrates. Sie vertraten, allerdings vorwiegend im Interesse einer Wiedervereinigung, dezidiert die Forderung nach einer politischen Neutralität Deutschlands und bemühten sich, die E K D für ein eindeutiges Votum in dieser Richtung zu gewinnen 23 . Andere sahen im Ost-West-Konflikt die Konfrontation zweier Ideologien, deren eine - die marxistische — auf einen Verrat am „Menschenbild" hinausliefe. Diese, letztlich an der Rettung des „christlichen Abendlandes" und des von ihm verwalteten Menschenbildes interessierte Gruppe wurde am klarsten von Lilje vertreten. Sie zeichnete sich durch ein vorsichtig formuliertes Bekenntnis zur westlichen Politik aus und lehnte demzufolge den Gedanken einer gänzlichen Neutralität ab 24 . Daß die Synode in ihrer großen Mehrheit bei aller behaupteten politischen Neutralität und Ideologieunabhängigkeit der zweiten Position zuneigte, beweist das von ihr „einmütig" verabschiedete Friedenswort, auf das noch ausführlicher eingegangen werden soll. An der prinzipiellen „Option für den Westen" 25 seitens der E K D kann kein 2 2 Dieses Beispiel wurde zuerst von Niemöller gebraucht, um die Situation der E K D zwischen den Fronten des Kalten Krieges zu bezeichnen; es tauchte dann während der Synode wiederholt auf, ζ. B. Vogel (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 112); Niemöller (ebd., S. 129). 2 3 So das leidenschaftliche Votum Niemöllers (ebd., S. 130-132); ähnlich Vogel (S. 108 ff.); Prof. Hans-Joachim Iwand (S. 119 ff.); Prof. Otto Heinrich von der Gablentz (S. 141 ff.). 24 Neben Lilje äußerten sidi ähnlich ζ. B. der Synodale Ernst (ebd., S. 118); Dekan Dipper (S. 133 ff.). 2 5 Daß die E K D von Anfang an in praktisch allen ihren Voten eine mehr oder

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Zweifel bestehen. Die Gründe hierfür dürften nicht so sehr in der „kapitalistischen" Gebundenheit der E K D zu suchen sein als vielmehr in der Fixierung der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auf die Atheismus-Diskussion 26 . Große Diskrepanzen in der Argumentation zeigten sich bei der Diskussion der Frage nach der Stellung der Kirche zum Krieg, auf die sich die Frage, was die Kirche für den Frieden tun könne, weitgehend reduziert hatte. In der prinzipiellen Ablehnung dieses - wie man glaubte - gerade jetzt drohenden Krieges waren sich alle einig. N u r wenige Stimmen sprachen sich jedoch für eine grundsätzliche Ächtung des Krieges durch die Kirche aus und meinten, die Kirche habe in dieser Frage ihre frühere Einstellung zu revidieren 27 . Dieser grundsätzlich pazifistischen Auffassung stand eine bedingt pazifistische gegenüber, die den Krieg in der modernen Situation, die durch die vorhandenen Massenvernichtungsmittel gekennzeichnet ist, als Mittel der Politik ablehnte 28 . Einige wenige Stimmen ließen erkennen, daß sie u. U . auch in der jetzigen Situation verteidigungswerte Werte erkennen könnten. In diesem Zusammenhang wurde darauf verwiesen, daß auch in Zukunft Kriege weitgehend mit konventionellen Waffen geweniger versteckte, aber deutliche „Option für den Westen" geleistet hat, hat H . J . BENEDICT herausgearbeitet (Politische Voten). 2 6 Alle Äußerungen von Vertretern der evangelischen Kirche nicht nur auf dieser Synode wiesen darauf hin, daß der Kommunismus nicht als eine alternative Gesellschaftsordnung gesehen wurde, sondern als ein alternativer „Glaube". Dabei wurde die marxistische Religionskritik sowohl von kirchlicher als audi von kommunistischer Seite mißverstanden. Die Kirche blieb lange Zeit blind für die Einsicht, daß es sich bei der marxistischen Religionskritik auch um eine befreiende Kritik an den durdi die Dogmatisierung von Glaubensinhalten festgemachten kirchlichen Machtpositionen handeln könne; die kommunistische Seite hingegen übersah, daß die marxistische Religionskritik u. a. auf einer aus einer bestimmten Zeit heraus zu verstehenden Analyse kirchlich sanktionierter Unreditsverhältnisse beruhte, ohne sich jedoch mit dem zentralen Anliegen des Christentums wirklich auseinanderzusetzen.

Eine echte Verständigung zwischen Kommunismus und Christentum war aber solange unmöglich, als sich der Kommunismus auf einen militanten Atheismus festgelegt hatte und die Kirche der Säkularisation ablehnend gegenüberstand. Erst der in den 60er Jahren anlaufende „Dialog" zwischen Christen und Marxisten schuf schließlich die Voraussetzungen, die eine positive Verarbeitung der marxistischen Lehre in der evangelischen Kirche auf breiterer Ebene ermöglichten. 2 7 So ζ. B. Paul G r a f Y o r k von Wartenburg (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 151): „Und wenn Sie mich fragen, dann sollte die Kirche vor die Welt hintreten und ihren Irrtum über die Lehre vom Krieg und von der Gewalt bekennen, die sie seit J a h r hunderten in das Volk hineingestreut hat, und sich dazu bekennen, daß sie nein sagt, aber generell und nicht speziell." Dagegen äußerte Visser't H o o f t , daß er immer eine gewisse Angst habe, wenn er sehe, „daß die Kirchen . . . so relativ leicht ihre ganze theologische Position in diesen Dingen ändern" (ebd., S. 152). 2 8 In dieser Richtung liefen die Voten der allermeisten Synodalen, die sich zu dieser Frage überhaupt äußerten.

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führt werden würden 29 , so daß in der Frage des Krieges also nicht grundsätzlich von einer veränderten Ausgangslage ausgegangen werden könne. Die Mehrheit äußerte sich auf dieser Synode allerdings in der Weise, daß sie einen Krieg angesichts der bestehenden politischen Situation für die deutsche evangelische Kirche ablehnen müsse. Dabei gingen eine Reihe von Argumenten durcheinander: Die einen meinten, in der spezifischen deutschen Situation einen Krieg ablehnen zu müssen, da es sich dabei um einen Bruderkrieg 30 handle - , ein Gedanke, dessen Ideologiegehalt von einigen kritisiert 31 wurde, ohne daß in dieser Frage jedoch eine Klärung erfolgt wäre. Insbesondere Dipper, aber audi Visser't Hooft u. a. wiesen auf den nationalistischen Aspekt dieser Argumentation hin 32 . Andere zogen bei ihrer Argumentation die klassische Unterscheidung von „gerechten" und „ungerechten" Kriegen 33 heran. Dabei wurde für die damalige Konfliktsituation auf den ideologischen Gehalt des Konfliktes aufmerksam gemacht; es tauchte in diesem Zusammenhang sogar der Begriff des Religionskrieges auf 3 4 . Während nun die einen den ideologischen Krieg als ungerechten Krieg bezeichneten 35 , machten andere darauf aufmerksam, daß die Christenheit ja gerade ideologische Kriege in früheren Zeiten als gerechte Kriege bezeichnet hatte 36 . Insgesamt wurde bei der Diskussion der Frage nach der Stellung der Kirche zum Krieg deutlich, daß zwar die frühere Heroisierung des Krieges auch durch die Kirche innerhalb der E K D keine Anhänger mehr hatte 37 , daß man aber noch weit entfernt war von einer theologisch überzeugenden Basis für die Beantwortung dieses Fragenkomplexes. Das allgemeine Unbehagen an dieser Ratlosigkeit fand einen positiven Ausdruck schließlich in der gemeinsamen Entscheidung, sich hinter die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu stellen 38 . Diese wirklich konkrete Entscheidung muß - neben dem Wort zur Judenfrage 3 9 , das aber schon längst fällig gewesen wäre - als das positivste Ergebnis dieser Synode betrachtet werden. 3 0 So nach Bericht Dipper (S. 315). So Ernst (ebd., S. 118). Graf York von Wartenburg (S. 371); Dipper (S. 134). 3 2 Dipper (S. 133); Visser't H o o f t (S. 152). 3 3 Dipper (S. 134); gegen diese Unterscheidung wandte sich O K R Ehlers (S. 137 ff.). 34 So Vogel (S. 114). 3 5 So Niemöller (S. 132). 3 6 Graf York von Wartenburg wies z . B . auf Augustin hin (S. 149); ähnlich äußerte sidi auch Dipper (S. 134). 37 Vgl. dazu oben S. 83 ff. 3 8 Vgl. dazu unten S. 113 ff. 29

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BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S . 3 1 9 f . ; K J

S . 9 4 f.

1 9 5 0 , S . 5 f . ; G . HEIDTMANN, K i r c h e ,

Verlauf der Synode

99

Die Frage, wie die EKD einer deutschen WiederbewafTnung gegenüberstehen würde, wurde auf dieser Synode logischerweise auch angesprochen. Die meisten Stimmen, audi von lutherischer Seite, sprachen sich noch eindeutig gegen einen solchen Gedanken aus: Die Beurteilung der Entmilitarisierung als Gericht Gottes40 spielte dabei ebenso eine Rolle wie der Verweis auf die „Gefühle" der Deutschen41 bzw. die Angst, in einen „Bruderkrieg" 42 hineingezogen zu werden. Auch der negative politische Stellenwert einer deutschen WiederbewafTnung (Verschärfung der internationalen Spannungen) wurde als Gegenargument dabei mehrfach ins Feld geführt 43 . Nur ganz vorsichtig äußerten einige Synodale sich auch in dem Sinne, daß man ja nicht einfach erwarten könne, „daß andere draußen ihre Felle zu Markte" trügen44. Die insgesamt zu beobachtende Einmütigkeit in der Ablehnung einer westdeutschen Wiederbewaffnung zum derzeitigen Zeitpunkt hatte freilich, wie sich in der fortschreitenden Auseinandersetzung dann erweisen sollte, keinen verbindlichen Charakter, sondern zeigte nur, daß dieser Gedanke - noch! - bei den kriegsmüden Deutschen auf starke Tabus stieß und zudem - ebenfalls noch! - einer ernsthaften politischen Aktualität entbehrte. Es kann angesichts dieses kontrastierenden Meinungsbildes nicht wundernehmen, daß die Synode zu einer eindeutigen Stellungnahme nicht in der Lage war. Das Friedenswort der Synode, das - neben dem Wort zur Judenfrage - trotz mancherlei grundsätzlicher Bedenken schließlich doch einmütig verabschiedet wurde, mußte demzufolge Kompromißcharakter haben. Da ihm aber von der Synode selbst eine hohe Bedeutung beigemessen wurde 45 und es auch von den Gemeinden und der Öffentlichkeit mit einigen Erwartungen aufgenommen wurde, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, anhand einer Analyse des Textes das Wort auf seinen Wirkungsgehalt hin zu untersuchen und die dominierenden theologischen und politischen Tendenzen innerhalb der EKD aufzudecken.

40

Vgl. dazu oben S. 53 ff.

41

S o L i l j e (BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S . 9 6 ) .

42 Der Bruderkriegsgedanke hat sich auch in dem Wort der Synode niedergeschlagen, wenngleich auch auf die diesem Gedanken zugrunde liegende Ideologie hingewiesen worden ist (vgl. oben S. 98 f. 43

44

S o ζ . B . v o n L i l j e (BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S. 9 6 ) .

So der Synodale Preuß (ebd., S. 145). 45 Die positive Beurteilung des Friedenswortes durch die Synode selbst ist deutlich; vgl. dazu das Schlußwort Heinemanns (ebd., S. 396 f.) und das Votum Dibelius' (S. 389 ff.). - Zum Friedenswort als Ganzem vgl. unten S. 100 ff.

100

Synode der E K D in Berlin-Weißensee 1950

3. Das Friedenswort der Synode Vorarbeiten zum Friedenswort Das Friedenswort war selbstverständlich schon vor dem Zusammentreten der Synode vorbereitet worden. Es gab mindestens drei Vorlagen: eine war von Iwand für den Ausschuß des Reichsbruderrates 46 und eine zweite von Dibelius 47 für die Kammer für öffentliche Ordnung der E K D , außerdem gab es die offizielle Vorlage für die Synode. Nach der Vorstellung des Rats der E K D sollte die Erklärung folgende Hauptpunkte enthalten: 1. Die heutige Friedlosigkeit und ihre Ursachen; 2. Appell an die Christen unter Vermeidung jeglichen Defaitismus; 3. Wort an die Staatsmänner 48 . Ein Vergleich des Entwurfes von Iwand mit dem von Dibelius soll als Beispiel dafür dienen, welche unterschiedlichen Intentionen von Anfang an innerhalb der E K D vorhanden waren. Iwands Entwurf geht sehr präzise und konkret auf die anstehenden politischen und theologischen Fragen ein. Unter der Dreiteilung I. Gebot des Friedens, II. Die Hindernisse des Friedens, I I I . Gerechtigkeit und Frieden bietet er so etwas wie einen Leitfaden dafür an, was die E K D in der konkreten Situation des geteilten Deutschland und im Zeichen des Kalten Krieges für den Frieden tun könne. Im ersten Teil beschreibt Iwand die Forderungen, die sich seiner Meinung nach für jedermann einsichtig aus den Erfahrungen des letzten - totalen - Krieges ergeben: allgemeine Abrüstung, Abschied von nationalistischer Isolation, grundsätzliche Absage an den Krieg durch die Kirche. Als Hindernisse des Friedens nennt er im II. Teil die Probleme, die sich aus dem Antagonismus der Siegermächte auf deutschem Boden ergeben haben: Spionage, künstlich hochgespielte ideologische Gegensätze, usw. Die Entnazifizierung sei zur Farce geworden, weil der Westen gegen den Osten und der Osten gegen den Westen entnazifiziere 49 . Die Aufrüstung, die auf beiden Seiten natürlich defensiv beText des Entwurfes von Iwand vgl. Anhang, Dokument 2. Hans-Joachim Iwand, geb. 11. 6. 1899 in Schreibendorf/Sdilesien, gest. 2. 5. 1960 in Bonn, 1923 Stiftsinspektor des Lutherheims, 1926 Privatdozent in Königsberg, 1934 Prof. am Herderinstitut in Riga, 1935 Direktor des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Ostpreußen, 1937 Pfr. in Dortmund, 1945 Prof. für Syst. Theologie in Göttingen, 1952 in Bonn; seit Juli 1946 Vorsitzender des Theologischen Ausschusses des Reichsbruderrats. 40

Text des Entwurfes von Dibelius vgl. Anhang, Dokument 3. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kammer für öffentliche Ordnung am 27. März 1950 in Frankfurt ( L K A DARMSTADT, 36/vorl. 21b). 4 » Vgl. unten S. 253. 47

48

Friedenswort der Synode

101

gründet werde, verschärfe die Gefahr eines Bruderkrieges. Um diese Friedenshindernisse zu beseitigen, erhebt Iwand die Forderung nach Räumung Deutschlands durch die Besatzungsmächte und stellt die Bitte, einheitliche freie Wahlen zu ermöglichen. Im III. Teil zeigt er auf, daß Gerechtigkeit und Frieden einander bedingen. Aber die Einschränkung der persönlichen Freiheit im Osten und die Verhinderung der sozialen Gerechtigkeit im Westen, die er als die Hauptprobleme im geteilten Deutschland ansieht, seien auf friedliche Weise lösbar und rechtfertigten keinen Krieg. Die Synode selbst habe keine politische Vollmacht und repräsentiere keine Wählergruppen, sie vertrete auch keine eigenen Interessen, sondern stelle sich „unter Gottes Gebot und Verheißung": „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!" Der Entwurf endet mit der Bitte an Gott, „daß der letzte dieser Kriege die Wendung der Menschheit zum Frieden einleitete" und daß der „creator spiritus" komme. Iwands Entwurf ist konkret und direkt auf die Probleme im geteilten Deutschland bezogen. Er stellt präzise politische Forderungen auf wie allgemeine freie Wahlen, Abzug der Besatzungstruppen usw., mit denen eine Lösung dieser Probleme eingeleitet werden könne. Dabei vermeidet er jede einseitige Parteinahme und versucht von beiden Seiten zu lernen. Daß er die Schuld der Deutschen in seine Überlegungen einbezieht, gibt seinem Wort die existentielle Zuspitzung. Die Forderung nach einer pazifistischen Festlegung der Kirche wird theologisch eingebettet zwischen prophetischer Verheißung und Bergpredigt. Dibelius stellte in seinem sehr viel kürzeren Entwurf 50 die Kirche als die Handelnde vor. Ausgehend von dem Bibelwort „Er ist unser Friede" meint Dibelius, der erfahrene „innere Friede" dränge zu helfen. Die größte Not sei heute die Angst vor einem Dritten Weltkrieg. An die Staatsmänner richtet Dibelius deshalb eine Reihe konkreter Wünsche, nämlich 1. Friedensverträge zu schließen, 2. allen Menschen ein Recht auf das Leben in Freiheit und in der angestammten Heimat zu garantieren, 3. demokratische Wahlen (nicht gelenkte Abstimmungen) zu ermöglichen, 4. die ideologischen Machtsphären zugunsten einer internationalen Zusammenarbeit aufzuheben, und 5. einheitliche Wahlen in Deutschland zu ermöglichen, und damit diese Kriegsgefahr zu bannen. Die Kirchenleitungen bittet Dibelius um mehr Zusammenarbeit, und um die Durchführung von Fürbittegottesdiensten für den Frieden. Der Entwurf von Dibelius läßt eine Einsicht in die politischen Ursachen des Kalten Krieges und das Bewußtsein der eigenen Mitschuld 50

Vgl. Anm. 47.

102

Synode der Ε K D in Berlin-Weißensee 1950

daran vermissen. Die „Kirche" stellt hier von hoher Warte aus ihre Forderungen, wobei bei aller scheinbaren Unparteilichkeit deutliche Kritik am Osten erkennbar ist: die gegen die sowjetische Politik gerichteten Tendenzen der Forderungen an die „verantwortlichen Staatsmänner" sind unüberhörbar. Der Entwurf, den der R a t der E K D schließlich der Synode zur Bearbeitung und Beschlußfassung vorlegte, war - wie sich aus dem Bericht über die Arbeit im Ausschuß der Synode zu der Friedensresolution entnehmen läßt 5 1 - bereits ein Kompromiß zwischen diesen beiden Vorentwürfen. Nach noch einmal langen und offenbar zähen Verhandlungen in diesem Ausschuß wurde der Synode eine erste endgültige Fassung vorgelegt, die - mit einigen kleinen, zum Teil aber schwerwiegenden Änderungen - als „einmütiges Wort" der Synode verabschiedet wurde. Während dieses Wort in seinem A u f b a u und äußeren Duktus noch deutlich den Entwurf Iwands als Vorlage erkennen ließ, hatte in der politischen Tendenz ebenso deutlich Dibelius mit seinen Vorstellungen die Oberhand behalten 5 2 . An die Stelle der erfrischenden Konkretionen, die den Entwurf Iwands ausgezeichnet hatten, waren vage und verschwommene theologisch-politische Allgemeinplätze getreten. Für die Möglichkeiten und Grenzen der E K D ist dieses Ergebnis von beispielhafter Bedeutung, und zwar gerade deswegen, weil es von allen Beteiligten als ein den Umständen entsprechendes positives Ergebnis empfunden worden war 5 3 .

51

V g l . BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S . 3 0 7 f f .

a) Wichtigste Änderung, die trotz der Bedenken einiger Synodaler vorgenommen wurde, war in III der Zusatz: „ . . . auch nicht einer Friedenspropaganda, die in Wirklichkeit H a ß sät und den Krieg fördert" (ebd., S. 362). Zur Diskussion um diesen Zusatz mit seiner eindeutig gegen den Osten gerichteten Spitze vgl. ebd., S. 374 f. b) Dibelius kann sicher nicht einfach als unkritischer Parteigänger des Westens bezeichnet werden; aber seine militant antikommunistische Einstellung, die mit seinem kirchenpolitischen Machtdenken zusammenhing („Jahrhundert der Kirche") schlug bei seinen Äußerungen zu politischen Fragen immer wieder durch. Als „Mann der Mitte" wurde er nichtsdestoweniger von den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Synode respektiert, so daß bei fast allen Äußerungen des Rates und der Synode der E K D sein Einfluß sich entscheidend geltend machte. Zur Rolle von Dibelius innerhalb des Rates der E K D vgl. ζ. B. audi H . - J . BENEDICT, Politische Voten, S. 5 f. 5 3 Vgl. ζ. B. die Äußerungen Dibelius' (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 389 f.) und Heinemanns (ebd., S. 397 f). Nicht ganz so zufrieden, aber doch audi im Ganzen zustimmend, äußerte sidi Iwand: „Ich glaube nidit, daß dieses Wort das erfüllt, was wir erhofften, als wir hierher kamen. Idi glaube aber, . . . daß sich in diesem Wort der gute Wille vieler vereinigt h a t . . . Es ist ein Ausdruck der Gemeinsdiaft derer, die von verschiedenen theologischen und audi politischen Standpunkten . . . auf dieses eine Ziel zugehen" (ebd., S. 378 f.). 62

Friedenswort der Synode

1C3

Analyse des Friedenswortes der Synode54 Dieses Friedenswort liest sich beinahe wie eine Synopse der Argumente, die auf der Synode zur Frage nach der Friedensaufgabe der Kirche abgegeben wurden, und spiegelt getreulich die tiefe Ratlosigkeit wider, in der sich die EKD gegenüber der selbstgestellten Aufgabe befand. In Aufbau und Gliederung hält sich das Wort an die drei vom Rat vorgeschlagenen Hauptpunkte: 1. Die heutige Friedlosigkeit und ihre Ursachen. 2. Appell an die Christenheit. 3. Appell an das deutsche Volk und die Staatsmänner, und zum Schluß: Aufforderung zum Gebet (vgl. den Entwurf von Dibelius). In der Einleitung zum Friedenswort beschreibt die Synode den „Sitz im Leben": Berlin als Mahnmal des erfahrenen Gerichtes Gottes am deutschen Volk, das „noch nicht zu Ende" ist. Noch zweimal wird in dem Text auf das Gericht reflektiert, so bei der Schilderung der Friedlosigkeit der Welt („In all dem Geschehen trifft uns das Gericht Gottes") und dann als Begründung für die Aufforderung zu allgemeinen Gebetsgottesdiensten („Noch ist Gottes Zorneshand über uns ausgestreckt"). Diese Vorstellung von der Niederlage und ihren Folgen als „Gericht Gottes" zieht sich seit der Kirchenkonferenz von Treysa wie ein roter Faden durch die öffentlichen Voten der EKD 55 . Scheinbar handelt es sich dabei um einen Konsensus in der Beurteilung der deutschen Niederlage, auf den sich die evangelische Kirche geeinigt hat 56 und durch den sie sich - im Gegensatz zu ihrer Haltung nach dem Ersten Weltkrieg - als bußfertige Kirche erweisen wollte. Daß sie in ihrer Gesamtheit nicht im gleichen Maß bußfertige Kirche war, legt der Gesamttenor nicht nur dieses Votums nahe, in dem Anklagen und politische Maximalforderungen tonangebend sind - , ein Urteil, mit 54

T e x t i n : BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S . 3 0 8 ff.; K J 1 9 5 0 , S . 7 ff.; G . H E I D T M A N N ,

Kirche, S. 87 ff. 55 Vgl. das Wort der Kirdienkonferenz in Treysa 1945, das beginnt: „Gottes Zorngeridit ist über uns hereingebrochen. Gottes H a n d liegt schwer auf uns" (ebd., S. 16), oder das „Wort christlicher Kirchen in Deutschland für einen gerechten Frieden und gegen die Zerreißung des deutschen Volkes" vom 10. März 1948, das endet: „Unseres Volkes Zukunft steht in Gottes Hand. Diese H a n d kann sehr hart sein im Gericht, aber sie ist immer audi voll Gnade für die, die Ihn fürchten" (ebd., S. 40), oder das Wort des Rates der E K D vom 12. Oktober 1949, in dem es heißt: „In der N o t der Zerrissenheit, in die wir auf diese Weise hineingestellt sind, enthüllt sich aber audi das Gericht Gottes über das, was wir versäumt haben. Diese N o t können wir nur dadurch überwinden, daß wir alle zu den Geboten Gottes zurückkehren" (ebd., S. 68). 58 Audi auf der Synode von Berlin-Weißensee wurde von fast allen Rednern in irgendeiner Weise das Gericht Gottes am deutschen Volk erwähnt, so von Lilje (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 103); Vogel (S. 115); Iwand (S. 1 2 2 f f . ) ; v o n Scheven (S. 126); Niemöller (S. 132; 365; 367; 369); Graf York (S. 150); Lücking (S. 287 f.; 359); Middendorf (S. 376).

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Synode der E K D in Berlin-Weißensee 1950

dem der Synode nicht absichtliche Täuschung unterstellt werden, sondern nur der Widerspruch zwischen theologischen und politisch-konkreten Aussagen festgestellt werden soll. Auf die Abhängigkeit der Voten der E K D von einer alttestamentlichen Geschichtstheologie wurde schon an anderer Stelle verwiesen 57 . Sie schlägt audi in diesem Text eindeutig zu Buche. H . - J . Benedikt macht darauf aufmerksam, daß der „theologische Vorstellungshorizont" der E K D „über die lutherische Reformation aus dem A T , genauer vom Deuteronomisten" stammt, und ziemlich genau der Geriditsdoxologie" des deuteronomistischen Geschichtswerkes entspricht (Abfall Israels vom Wort Jahwehs - Hinwendung zu anderen Göttern - Gericht Gottes vor allem in kriegerischen Katastrophen Schreien zu Gott und Umkehr zu seinen Geboten - Rettung 5 8 ): „Das ,Hören auf die Stimme Jahwes* war dabei das einzige Kriterium für die Ermöglichung der gnädigen Zuwendung Gottes." 5 9 Deutlich ist dieses Schema auch in dem Friedenswort der Synode wiederzuerkennen, wenn es heißt: Ungezählte „Menschen in der ganzen Welt schreien heute nach Frieden" - und wenn dann das deutsche Elend beschrieben und festgestellt wird, daß dies das Gericht sei als Ergebnis des „Aufruhrs gegen Gott". Die Aufgabe der Kirche sei es, mit ihrer Verkündigung auf Jesus Christus als den Weg zum Frieden hinzuweisen und damit Umkehr und Rettung zu ermöglichen. Man wird nicht zuviel sagen, wenn man davon ausgeht, daß dieses theologische Selbstverständnis der E K D , selbst wenn man so etwas wie eine Erweckungsbewegung für die Nachkriegszeit in Rechnung stellt 60 , von einer Fehleinschätzung kirchlicher Möglichkeiten zeugt. Die Mehrheit der Deutschen war religiös in dieser Weise schon längst nicht mehr ansprechbar. In einer Welt, die lebte „etsi deus non daretur", waren derart vorgetragene theologische Gedankengänge sicher nicht geeignet, die Deutschen zu einer Aufarbeitung ihrer Schuld am Nationalsozialismus im Sinne einer echten „Trauerarbeit" zu veranlassen. Gleich im 1. Abschnitt des I. Teiles, in dem die heutige Friedlosigkeit beschrieben wird, verrät sich der vorwiegend akklamatorische Charakter des Schuld-Bewußtseins der Synode. Die politische Notlage des deutschen Volkes wird nicht, wie dies Iwand in seinem Entwurf zumindest versucht hatte 61 , aus seiner historischen „Schuld" ab5 8 Politische Voten, S. 20 f. Vgl. oben S. 53 ff. 6 0 Vgl. oben S. 26. Ebd., S. 21. 6 1 „Die ehemalige Hauptstadt des nunmehr geschlagenen Deutschen Reiches ist bis zur Stunde ein unübersehbares Zeichen, das vornehmlich uns Deutschen . . . kund madien könnte, daß Gott sich nicht spotten läßt . . . und daß Macht und Glanz irdischer Reiche auf Sand gebaut sind, wenn sie nicht den Frieden suchen und der Gerechtigkeit dienen" (vgl. unten S. 249). 57

58

Friedenswort der Synode

105

geleitet, d. h. in den historischen und politischen Zusammenhängen aufgezeigt, sondern als übermächtiges Schicksal beschrieben: das deutsche Volk ist „wehrlos in die Hände der Mächte gegeben . . . " , „der ,Eiserne Vorhang' zerschneidet den Leib unseres Volkes". Ein ähnlich schuldunbewußtes Denken zeigt sich auch im III. Teil in dem Wort an die „Mächte, die unser Land besetzt halten": die an sie gerichteten Forderungen stimmen im wesentlichen mit dem von Dibelius aufgestellten Katalog von Forderungen überein und lassen auch nicht im entferntesten so etwas wie ein Bewußtsein spüren davon, daß diese Leiden - Besetzung durch fremde Mächte, Wehrlosigkeit, Vertreibung etc. - nicht einfach als blindes Geschick über das deutsche Volk gekommen sind, sondern als Konsequenz einer vom deutschen Volk mitzuverantwortenden verbrecherischen Politik. Aber das Wort der Synode zum Frieden präsentierte sich nicht in den Dimensionen politischen Denkens und politischen Verantwortungsbewußtseins. Es zeugt vielmehr von einer merkwürdig statisch empfundenen mythischen Welt, in der nicht Politik gemacht wird, sondern in der der Mensch sich „Dämonen", „Geistern" und finstren „Mächten" ausgeliefert sieht. Niemöllers treffend-ironischer Kommentar zur Einführung des Satans in die Diskussion richtet sich auch nicht gegen dieses mythische Denken an sich, das er teilt, sondern gegen seine Mißverständlichkeit: „So schön es ist, daß nun der Satan glücklich seinen Platz in unserer Mitte gefunden hat, so halte ich es für durchaus entbehrlich, ihn an dieser Stelle zu nennen. Denn entweder glauben die Leute und wissen etwas vom Satan, dann werden sie ihn schon merken. Aber die Leute, die wir auf den Satan hin anreden, ohne daß sie etwas von ihm wissen, die überzeugen wir, indem wir seinen Namen nennen, nicht davon, daß er wirklich dahinter ist. Also ich möchte dringend bitten, sich doch sehr wohlweislich zu prüfen, ob wir in diesem Abschnitt, statt eine existentielle Aussage zu machen, nicht in die Gefahr geraten, theologische Allgemeinheiten und Platitüden auszusprechen."62 Es ist schade, daß Niemöller seine im Ansatz treffende Kritik an der exklusiven Sprechweise der Synode und ihrer Voten nicht deutlicher ausgezogen und auf die gesamte mythologische Bildersprache, die hier in Anwendung gekommen ist, angewendet hat. Denn das von Niemöller an anderer Stelle kritisierte allgemeine Dahertheologisieren, „wo die Kriege herkommen" 63 , interessiert nicht nur niemanden, es ist vielmehr geradezu dazu angetan, demokratisches Verantwortungsbewußtsein zu verhindern. 62

BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S.

63

Vgl. ebd., S. 367.

368.

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Synode der E K D in Berlin-Weißensee 1950

Die aus der apokalyptischen Vorstellungswelt genommenen Bilder das gilt auch für den theologischen Abschnitt des II. Teiles die die Entstehung und den Verlauf von Kriegen beschreiben, haben ein solches Eigengewicht, daß ein Nachdenken über politische Zusammenhänge in ihrem Umkreis überhaupt nicht zulässig erscheint. So ist der Zuhörer, der sich ihrer Argumentationsweise anvertraut, der verantwortlichen politischen Teilnahme enthoben. Indem sich die Synode zur Beschreibung der Ursachen von Kriegen scheinbar unanfechtbarer theologischer Vorstellungen bediente, und ζ. B. den Krieg - allgemein - als Gericht Gottes für den Abfall des Menschen von Gott - ebenfalls allgemein - beschreibt, statt, wie ζ. B. Niemöller 64 , nach den konkreten politischen Hintergründen zu fragen, entzog sie sich der Notwendigkeit, die Ursachen klären zu helfen und konkrete Fragen an die Vergangenheit und Gegenwart zu stellen. Die wirklichkeitsfremde Sprache 65 dokumentiert die Unsicherheit in der Beurteilung der aktuellen politischen Lage und verrät das Ausweichen der Synode vor der konkreten politischen Verantwortung. Die politische Aporie der Versammlung äußert sich als Flucht in die zeitlose Sprache des Mythos. Der II. Teil, der Appell an die Christenheit, ist zweigliedrig aufgebaut. Der erste theologische Teil schildert in Gegensatzpaaren - zwar /aber —, wie sich der im Glauben erfahrene Friede Jesu Christi dem aktuellen Unheil zum Trotz als Realität erweist. Gegen den äußeren Anschein wird das „schon jetzt" des Friedens in Jesus Christus proklamiert: „Aber mitten in dieser Welt hat Gott seinen Weg des Friedens erschlossen. Durch Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, hat er Frieden gemacht mit der Welt. Christus ist unser Friede." Theologisch hat sich hier die lutherische Position durchgesetzt. O f fenbar hat die Synode aber die Gefahr erkannt, die diesem primär an seelsorgerlichen Fragen orientierten Denken innewohnt. Gegen den Verdacht, sie wolle mit diesen Gegensatzpaaren über die Friedlosigkeit in der Welt hinwegtrösten und zum Rückzug auf einen an dieser Welt nicht mehr wirklich interessierten „inneren Frieden" 6 6 aufrufen, 6 4 „Wir haben danach zu fragen: Wodurch ist die akute Kriegsgefahr, in der wir stecken, bedingt? Wenn wir die Ursachen finden, müssen wir fragen: Kann man audi etwas tun, um diese Ursachen zu beseitigen? Und dann: Was können wir etwa dazu beitragen, damit sie beseitigt werden?" (ebd., S. 132). 6 5 Auf das Sprachproblem kirchlicher Verlautbarungen wurde schon in anderem Zusammenhang hingewiesen (vgl. oben S. 97, Anm. 27). " Im Entwurf von Dibelius wird der „innere Friede" ausdrücklich als Zusammenfassung der Friedensbotschaft Jesu Christi genannt: „Die Kirche Jesu Christi verkündet der Welt die Friedensbotschaft ihres Herrn. Es ist der Friede des Herrn höher als alle Vernunft, den Jesus Christus bringt, der Friede des befreiten Gewissens,

Friedenswort der Synode

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hat sie sich dadurch abzusichern versucht, daß sie alttestamentliche Heilsvorstellungen mit ihrer innerweltlichen Transzendenzerwartung aufnimmt und in Anlehnung und - sicher nicht zufälliger - Abwandlung an die Johannesapokalypse christologisch interpretiert: es geht auf die „Vollendung der Herrschaft Jesu Christi zu. An seinem Tage wird er eine neue Erde(!) schaffen, in der Gerechtigkeit wohnt" 67 . Die tatsächliche Aporie der Synode war durch diesen heilsgeschichtlichen Ausblick freilich nicht gebannt. Die unausgeglichen nebeneinanderstehenden Vorstellungen eines „inneren Friedens" einerseits und eines eschatologischen Friedens andererseits, in dem allein die Friedlosigkeit der Welt aufgehoben werden kann, spiegeln das Dilemma der Theologie heute deutlich wider. Α und Ο der christlichen Verkündigung ist ja der Satz, daß in Jesus Christus das Heil in die Welt gekommen sei. Diese Behauptung ist aber durch die politische Realität nicht gedeckt. Verzichtet die Kirche als Konsequenz aus dieser Tatsache darauf, die Relevanz des Friedens Jesu Christi auch für den politischen Bereich zu behaupten, so ist sie in der modernen Welt entbehrlich und hat höchstens noch als Refugium einiger Zukurzgekommener Bedeutung. Beharrt sie aber auf der Aussage, daß der Friede Jesu Christi der ganzen, audi politischen Welt gelte, so muß sie den Beweis schuldig bleiben. Das „schon jetzt" des Friedens Jesu Christi ist für den politischen Raum nicht evident zu machen, der heilsgeschichtliche Ausblick allein aber politisch bedeutungslos. Deutlich enthält das Friedenswort aber den Versuch, mit diesem Dilemma fertig zu werden. Welche Beziehung der eschatologische Friede zu der politischen Friedensproblematik hat, wird auf dem Wege eines Analogieschlusses deutlich zu machen versucht: der ökumenische Frieden der Kirchen untereinander als Abbild des eschatologischen Friedens und - so soll man folgern - als Vorbild für eine friedlichere Weltgemeinschaft 68 . Dabei wird betont, daß solcher Friede nur da möglich ist, wo Vergebung praktiziert wird: Die Kirche ist die „Stätte des Friedens", weil „Jesus Christus der Herr ist". Vergebung und Versöhnung innerhalb der Ökumene - der Anklang an der Friede unter dem Kreuz. Wir haben keine größere Botschaft an die Welt als diese: er ist unser Friede." ®7 Vgl. Jes. 65, 17: „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nidit mehr zu Herzen nehmen wird", und Off. 21, 1: „Und idi sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen, und das Meer ist nicht mehr." 68 Sowohl Visser't Hooft als auch Lilje hatten, wie gezeigt wurde, diesen Gedanken bereits in ihren Referaten ausgeführt ( B E R L I N - W E I S S E N S E E 1950, S. 81; 101 u. ö.; vgl. oben S. 92 ff.).

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das Stuttgarter Schuldbekenntnis ist deutlich - sind „Zeichen dieses seines Friedens". Der Hinweis auf den Vorbildcharakter des ökumenischen Friedens hat zweifellos etwas Bestechendes. Aber audi hier bleiben die objektiven politischen Gegebenheiten und die Zwänge, denen auch die Kirchen im politischen Raum unterworfen sind, außer acht. Das Fernbleiben der russisch-orthodoxen Kirche vom ökumenischen Rat der Kirchen war dafür ein ebenso aktuelles Beispiel wie die Tatsache, daß im Krieg noch immer auch Christen auf Christen geschossen haben. Insofern hat also auch dieser Gedanke eher den Charakter eines Wunschtraumes als einer Realität. Was bleibt, ist die Aufforderung an die Christenheit, ihren Anspruch, eine Bruderschaft der Menschen aller Rassen und Nationen zu sein, mit der Tat zu beweisen. Dieser insbesondere von Visser't Hooft in seinem Referat entfaltete Aspekt einer via analogiae beispielhaften Existenz der ökumenischen Christenheit 69 , in der die „Tugenden" einer zukünftigen friedlichen Weltgesellschaft gewissermaßen vorgeübt werden können, wird aber nicht durchgehalten. Zu rasch wird in dem Text der gesellschaftliche Bezug wieder preisgegeben, um - aus einem, wie es scheint, seelsorgerlichen Interesse heraus - auch die individuelle Tat des Einzelnen, „jedes Wort der Vergebung, das wir mit dem Hausgenossen oder dem Nachbarn tauschen", als „eine Tat des Friedens" zu würdigen. So wichtig und richtig solche Hinweise in der Individualseelsorge auch sein mögen, im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Fragestellung wirken sie notwendigerweise verharmlosend und laufen praktisch auf eine Zurücknahme des gesamtgesellschaftlichen Anspruches der EKD hinaus. Es ist deutlich, daß die individualistischem Denken verhaftete lutherische Tradition mit ihrer Rückbindung an die Zwei-Reiche-Lehre über das christozentrische Denken des Barthianismus, das eine Inanspruchnahme des gesamten auch politischen Lebens durch Jesus Christus behauptet, den Sieg davongetragen hat. Dies erweist sich sogleich im III. Teil, dem Appell an das deutsche Volk und an die Machthaber in und über Deutschland, in dessen ganzer Anlage das lutherische Obrigkeitsverständnis besonders deutlich durchschlägt. Statt Überlegungen darüber anzustellen, worin der eigentliche konkrete Beitrag von Christen und Kirche zur friedlichen Veränderung der politischen Szenerie bestehen könnte und von daher eine eigene politische Strategie zu entwickeln bzw. politische Vorschläge zu erarbeiten, entledigt sich die Synode ihrer Aufgabe durch moralische Appelle und politische Forderungen, aus denen deutlich zu ersehen ist, daß sie das Gesetz des Handelns einseitig bei den „Macht· · Vgl. ebd., besonders S. 81.

Friedenswort der Synode

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habem" sieht. Demokratisches Bewußtsein schlägt sich in dem Friedenswort auch in diesem der Politik gewidmeten Teil nicht nieder. In beschwörend eindringlichem Ton wird zunächst das deutsche Volk zu friedfertigem Wohlverhalten aufgerufen: „Haltet Euch fern dem Geist des H a s s e s . . . " , „Laßt Euch nicht zum Werkzeug einer Propaganda machen, durch die Feindschaft zwischen den Völkern gefördert und Krieg vorbereitet wird . . . " , „Verfallt nicht dem Wahn . . . " , „Werdet eindringlich und unermüdlich vorstellig bei allen, die in politischer Verantwortung stehen . . ." 7 0 D a die Synode unparteiisch sein will, weicht sie jeder Konkretisierung aus. Es bleibt dem Hörer selbst überlassen, seine Schlüsse zu ziehen. Was gemeint ist, wer hier den Geist des Hasses schürt und kriegstreibende Propaganda macht, wird nicht ausgesprochen. Scheinbar gilt der Appell beiden politischen Lagern, ist an jede Adresse gerichtet, scheinbar handelt es sich um allgemeingültige politische Verhaltensregeln, etwa vergleichbar den Haustafeln der Briefe im Neuen Testament. Aber sowenig jene Haustafeln in Wahrheit ideologieunabhängig waren, so wenig ist es diese Anrede an das deutsche Volk. In einem Nebensatz, der in der ursprünglich der Synode vorliegenden Fassung noch nicht vorgesehen war 7 1 , verrät sich die heimliche Option für den Westen: „Laßt euch nicht zum Werkzeug einer Propaganda machen . . . , auch nicht zum Werkzeug irgend einer Friedenspropaganda, die in Wirklichkeit Haß sät und den Krieg betreibt." 72 Daß hier eindeutig der Kommunismus apostrophiert ist, der allein damals eine zugleich haßerfüllte Friedenspropaganda betrieb, liegt auf der Hand. D. Koch stellt aber mit Recht die Frage, „ob d a m i t . . . schon bewiesen war, daß diese Propaganda nicht doch den Frieden meinte" 73 . Es mag dahin gestellt bleiben, ob die Synode, wie Koch urteilt, „aus psychologisch verständlicher Furcht vor sowjetischen Gewaltmethoden und 70 Es ist kennzeichnend für das politische Bewußtsein der Synode, daß sie, wo sie den Staatsbürger auf seine politische Verantwortung hin anredet, ihn als Bittsteller sieht, nicht aber als einen, der eine legitime Macht hat, die er ζ. B. mit anderen zusammen in einer politischen Aktion zum Zuge bringen könnte. Die politische Verantwortung des Staatsbürgers ist in diesem Denken beschränkt auf die Rolle desjenigen, der einmal alle vier Jahre ein Parlament zu wählen hat (vgl. dazu auch Künneths Votum; oben S. 95). 7 1 Vgl. oben S. 102, Anm. 52 a). 7 2 Angesprochen sind hier wohl insbesondere die Christen in der D D R , die vom Staat immer wieder zur Teilnahme an Friedenskampagnen aufgefordert wurden. Die Weltfriedensbewegung, die C F K in ihren Anfangszeiten und andere von östlicher Seite unterstützte Friedensinitiativen standen lange Zeit in der evangelischen Kirche im Geruch, in Wirklichkeit der östlichen Seite zur Kriegsvorbereitung Schützenhilfe zu geben (vgl. die Stellungnahme der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen zur Weltfriedensbewegung und zur Politik des Staates; K J 1950, S. 132 ff.). 7 3 Heinemann, S. 125.

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S y n o d e der E K D in B e r l i n - W e i ß e n s e e 1 9 5 0

ebenso verständlichem Abscheu vor haßerfüllter Propaganda einen Schritt zu weit (ging)" 7 4 oder ob sie nicht ganz einfach aufgrund einer ideologischen Voreingenommenheit gegen den militant atheistischen Kommunismus sich - gegen die Überzeugung einiger weniger Synodalen 75 - zu dieser deutlichen Distanzierung entschlossen hat. Die latente Parteilichkeit der Synode erweist sich auch ζ. B. in dem Katalog von Forderungen, der an die „Mächte, die unser Land besetzt halten", gerichtet ist, und in dem Aufruf „an die Regierungen unseres Volkes". Nur im Osten wurde ja das heilige Recht, „das Gott am Menschen hat", nicht zur - behaupteten - Grundlage der staatlichen Rechtsprechung und Gesetzgebung gemacht. Auch „Zwang und Terror" in „Glaubens- und in Gewissensfragen" gab es nur im Osten. Nur die Sowjetunion hielt zu diesem Zeitpunkt noch „die Gefangenen" zurück, die ihr durch den Krieg in die „Hände gefallen" waren. Nur sie, so jedenfalls behauptete es die westliche Propaganda, hintertrieb allgemeine und freie Wahlen in Gesamtdeutschland. Es soll mit der Aufdeckung dieser einseitig zu Lasten des Ostens gehenden Kritik nicht gleichzeitig die Berechtigung solcher Kritik in Zweifel gezogen werden. Es muß aber doch gefragt werden, ob die Kriterien, mit denen die zweifellos vorhandenen Mißstände im Osten hinterfragt wurden, den politischen Sachfragen angemessen waren, oder ob sie nicht vielmehr eine prinzipielle ideologische Voreingenommenheit für den Westen verraten. Hier werden religiöse, kirchenpolitische und moralische Forderungen und Erwartungen undifferenziert nebeneinander gestellt. Aber daß die Rücksichtnahme des Staates auf Forderungen der Kirche in der staatlichen Rechtsprechung keine Garantie dafür bietet, daß die „Würde und die Freiheit des Menschen" gewahrt bleibt, hat die Geschichte hinlänglich bewiesen; audi ein Blick in das Spanien der jüngsten Vergangenheit mit seiner an das „Recht Gottes" gebundenen Verfassung hätte da Warnung sein können. Diese Kriterien waren nicht geeignet, in einer so diffizilen Frage wie der nach mehr Gerechtigkeit und Freiheit audi im sozialistischen Lager weiterzuführen. Der eigene Beitrag der E K D zur Entspannung im Ost-West-Konflikt hätte nicht so sehr in einem mit patriarchalischem Anspruch vorgetragenen moralischen Appell bestehen dürfen, sondern eher in dem Versuch, den Iwand in seinem Entwurf angestrebt hatte, durch Würdigung der Leistungen des Sozialismus 76 und durch EinfühEbd. Ζ. B . I w a n d , der sich leidenschaftlich f ü r eine versöhnlichere H a l t u n g g e g e n über d e m O s t e n einsetzte (BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S . 122 f . ) . A u s taktischen G r ü n d e n sprach sich der S y n o d a l e O K R W a l d e m a r Schröter f ü r die Streichung dieses S a t z e s a u s (ebd., S . 374 f ) . 74

75

7 e In seinem E n t w u r f d e u t e t e I w a n d diesen G e d a n k e n z u m i n d e s t an, w e n n er den O s t e n u n d den Westen a u f ihren j e w e i l s spezifischen U n g e r e c h t i g k e i t e n

Friedenswort der Synode

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lung in die Leiden des Ostens77 anstelle von Haß und Mißtrauen Ansätze einer Entspannungspolitik zu setzen. Politisch eindeutiger und zugleich praktisch-konkret wird das Friedenswort aber an einer anderen Stelle, nämlich da, wo es um die Frage geht, wie sich die Deutschen in einem - genauer in dem - kommenden Krieg verhalten sollen, bei dem es vielleicht darum geht, daß „Deutsche gegen Deutsche kämpfen". Hier bezieht die Synode Stellung, wird - entgegen ihrer Absicht - eindeutig: „Wir legen es jedem auf das Gewissen, zu prüfen, ob er im Falle eines solchen Krieges eine Waffe in die Hand nehmen darf." Hier hat die in der Synode nicht unwidersprochene Unterscheidung von Bruderkrieg und Krieg allgemein den vor einer pazifistischen Festlegung der EKD zurückschreckenden Synodalen Kriterien in die Hand gegeben, die ihnen ein vorsichtiges Votum gegen eine Wiederbewaffnung der Deutschen möglich machte. Die Synode, die sich aufgrund ihrer konfessionellen Differenzen zu einer eindeutigen Absage an den Krieg als ein Mittel der Politik unter den Gegebenheiten des Kalten Krieges nicht verstehen konnte 78 , konnte jedoch sehr wohl aufgrund ihrer nationalen Motivation einhellig davor warnen, daß „Deutsche gegen Deutsche" kämpfen 79 : ein Pazifismus, nicht aus Prinzip, nicht aufgrund politischer Überlegungen, sondern aus Motiven, die tief im Irrationalen ihre Wurzeln haben. hin beschrieb: „Wir sehen zudem mit Sorge, daß im Osten die persönliche Freiheit durch staatlichen Druck mehr als gut und nötig beschränkt wird, wir sehen umgekehrt, daß sich im Westen eine wirtschaftliche Restauration vollzieht, die den wirtschaftlichen Aufstieg gefährdet, weil er einer möglichst großen Zahl von Menschen zugute kommt." 77 „Wenn unsere Synode ein solches Wort sprechen könnte, . . . das auch die Gräber im Osten schließt, wenn wir begriffen, daß der Friede Gottes ein unteilbarer ist, eine wirkliche iustificatio imperii [sic!], dann würden wir hier ein Wort sprechen, . . . welches dem Raum angemessen wäre, in dem wir tagen" (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 122). 78 Dies ist kein Widerspruch zu der Feststellung, daß die Mehrheit aller Synodalen in der Diskussion der Auffassung zuneigte, daß ein Krieg heute kein Mittel der Politik mehr sei. Zwischen einer Einsicht und der Bereitschaft, für diese Einsicht in aller Öffentlichkeit einzutreten, ist ein Unterschied. Man könnte auch so sagen, daß die Summe der Meinung aller Einzelnen einer Gruppe noch nicht identisch ist mit einer Gruppenmeinung, für deren Zustandekommen eine ganze Reihe zusätzlicher Faktoren mitverantwortlich sind (vgl. auch oben S. 99). 79 Daß auch um diese sehr starke Verpflichtung der Gewissen in der Synode hart gerungen wurde, widerlegt nicht die Annahme, daß es sich bei der Warnung vor der Teilnahme an einem „Bruderkrieg" der Deutschen um eine Gruppenmeinung handelt. In der Diskussion um diese Formulierung hieß es: „Darum kommt zuerst dieser Aufruf an die Volksgenossen . . . , wo aber nun in besonders eindringlicher Weise vor dem Bruderkrieg gewarnt und jedem gesagt wird, er habe sich zu prüfen, ehe er in einem solchen Kriege zur Waffe greife" (BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 315). Der bayerische Synodale Prof. Hans Meinzolt sah in dieser Aussage „die Grundlage der objek-

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Dieses Festhalten der Synode an nationalen Zielen verrät auch nodi in anderen Formulierungen seine Irrationalität, so, wenn festgestellt wird, daß der „Eiserne Vorhang" den „Leib unseres Volkes" zerschneidet, daß die „Zonengrenze . . . unser Volk zerreißt", und wenn die, „die Verantwortung tragen", darum gebeten werden, den „Heimatlosgewordenen" usw. den „Raum zum Leben zu gewähren". Solche Formulierungen assoziieren Vorstellungen, wie sie letztlich auch in der Blut- und Boden-Ideologie des „Dritten Reiches" vorhanden waren, die das Volk als natürlichen Organismus, „Leib", „Volkskörper", mit einem naturgegebenen Anspruch auf „Raum" verstanden hat. Mit dieser Beobachtung soll keine Abhängigkeit der Synode von diesen verhängnisvollen Ideologien postuliert werden. Es soll lediglich gezeigt werden, wie zumindest in der Sprache jener Zeit noch die Denkgewohnheiten von damals durchscheinen. Natürlich ging es den Verfassern um alles andere als um die Durchsetzung nationaler Machtansprüche. Das hatte die Diskussion auf der Synodaltagung deutlich bewiesen. Sie hatten das Leid unzähliger getrennter Familien vor Augen, die gewaltsame Zerstörung von Freundschaften und Nachbarschaften. Es ging ihnen um die Uberwindung von Schranken und um die Ermöglichung von Solidarität mit denen, die ein gemeinsames Schicksal und eine gemeinsame Geschichte aneinander gewiesen hatte. Daß sie sich die Realisierung dieser Solidarität aber nicht anders als in Gestalt der nationalen Restauration vorstellen konnten, zeigt die Grenze im Denken der Mehrheit der Synodalen auf. Dieses Festhalten an der nationalen Einheit steht auch im deutlichen Widerspruch zum Eintreten der Synode für eine Aufhebung der nationalen Schranken im Interesse einer „neuen Gemeinschaft des Rechts". Zu Ende gedacht, hätte dieses Votum ja als eine echte Alternative für die unerfüllbaren nationalen Hoffnungen gemeint sein können. Der Gedanke, daß die Spaltung Deutschlands als Folge einer verfehlten Politik möglicherweise nicht einfach ein Unrecht am deutschen Volk sei, sondern - wenn man die berechtigten Sicherheitsinteressen der ehemals von Deutschland angegriffenen europäischen Staaten in Rechnung stellt - eine politische Notwendigkeit, taucht hier nicht auf. Statt dessen wird die Spaltung Deutschlands - drohend - als ein ständiger Gefahrenherd geschildert80, eine Aussage, der - von den tiven Entscheidung des Gewissens insofern etwas verschoben, als man bei diesem Duktus eigentlidi herauslesen kann: wir erwarten, daß sich zwar jeder gewissensmäßig prüft, aber dann doch zu einem negativen Ergebnis kommt" (ebd., S. 373). Gegen Meinzolt wandte sich Iwand: „Ich glaube, die Synode h a t . . . audi die Veranwortung, die Gewissen dieser Menschen in einer bestimmten Hinsicht zu binden . . . und wir haben hier die Verantwortung . . . daß wir die Gewissen der Menschen in den kommenden Entscheidungen recht leiten" (ebd., S. 379). 8 0 Audi in anderen Voten der E K D wird diese „Drohung" immer wieder ausge-

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nationalistischen und revanchistischen Untertönen einmal ganz abgesehen - jede Phantasie dafür abzugehen scheint, daß in der Einwilligung in die deutsche Teilung auch eine Chance liegen könne für eine zeitgemäßere Gestaltung des Zusammenlebens der Völker. Es mußte auch in der EKD noch eine lange Zeit voll bitterer Enttäuschung hingehen, ehe sie, im Zugzwang durch die immer sichtbarer sich verfestigende Spaltung, den gesamtdeutschen Anspruch aufzugeben bereit war. Die Kritik insbesondere Visser't Hoofts 81 aber auch einiger anderer Synodaler an der nationalen Brille der Synode ist durchaus berechtigt. Es liegt in der Konsequenz dieses Denkens, daß die Spannungen des Kalten Krieges von der „nationalen Not" her interpretiert werden. Sie ist der Nenner, von dem aus die Synode die Frage nach Krieg und Frieden, nach dem Kriegsdienst des Christen und nach einem möglichen deutschen Wehrbeitrag ins Auge faßt. Ihr Votum gegen eine Teilnahme der Deutschen an einem nächsten Krieg wird damit begründet, daß es ein „Wahn" sei, anzunehmen, daß „ein Krieg eine Lösung und Wende unserer Not" bringen könne. Adressat dieser beschwörenden Feststellung sind die beiden deutschen Regierungen. Sie sind offenbar audi gemeint, wenn die Synode im selben Absatz „alle Regierungen der Welt" bittet, den Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen Schutz zu gewähren. Daß die Erfüllung dieser Bitte, soweit sie an die DDR gerichtet war, nicht unbedingt erwartet werden konnte, liegt auf der Hand. Es sollte sich noch herausstellen, daß auch bei der Bundesregierung die Bereitschaft zu größeren Zugeständnissen in dieser Frage nicht ohne weiteres vorhanden war 82 . Um so größeres Gewicht mußte demzufolge der Tatsache zukommen, daß die Kirche sich selbst verpflichtete, für die Kriegsdienstverweigerer einzutreten. Die hier ausgesprochene Selbstverpflichtung der Kirche hat grundsätzlichen Charakter. Später freilich sollte es über ihre Interpretation sprodien, ζ. B. in dem „Wort christlicher Kirchen in Deutschland" vom 10. März 1948 mit dem Titel: „Laßt Frieden werden"; dort heißt es: „Alle Mahnungen zu friedlicher Gesinnung müssen abprallen an der leidenschaftlichen Sehnsucht eines ganzen Volkes, die zerstörte Gemeinschaft wieder zu erlangen. So kommt Europa nicht zur Ruhe. So wird nicht Friede "(G. HEIDTMANN, Kirche, S. 39). Oder in dem Schreiben der Evang. Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an den Kontrollrat für Deutschland vom 4. Dezember 1947, in dem es heißt: „Wenn es aber zu einem dauerhaften Frieden in der Welt kommen soll, so dürfen dem deutschen Volk keine Bedingungen auferlegt werden, die es für lange Zeit versklaven oder in Elend und Ohnmacht verkommen lassen: „Das würde geschehen, wenn man Deutschland in Teile zerrisse" (ebd., S. 36 f.). 81

V g l . BERLIN-WEISSENSEE 1 9 5 0 , S . 1 5 2 .

82

Vgl. dazu unten S. 221 ff.

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noch zu erheblichen Auseinandersetzungen kommen 83 . Wenn man für die Interpretation den formalen Aufbau des Textes heranzieht, legt sich der Gedanke nahe, daß den Verfassern als ein denkbarer Gewissensgrund in erster Linie eben das nationale Motiv vor Augen schwebte. Derjenige Kriegsdienstverweigerer, der nicht mit seiner Regierung dem Wahn verfällt, der deutschen Not könne durch einen Krieg abgeholfen werden, hat Gewissen. Den Verfassern wahrscheinlich unbewußt, hat in der formalen Einbettung des Passus über den Kriegsdienstverweigerer also wiederum die Bruderkriegsideologie Pate gestanden. Dieser einschränkenden Kritik zum Trotz muß allerdings gewürdigt werden, daß hier zum erstenmal in der deutschen Geschichte die Kirche als solche ein klares Votum für den Schutz von Kriegsdienstverweigerern abgegeben und sich damit von einer jahrhundertealten Tradition der unantastbaren Loyalität gegenüber den Kriegswünschen des Staates losgesagt hat. Der Protest des christlichen Gewissens gegen Maßnahmen des Staates ist damit zum erstenmal in der Geschichte des deutschen Protestantismus kirchenoffiziell denkmöglich geworden 84 . Allerdings ist er damit zugleich noch keineswegs audi selbstverständlich geworden, so daß Pazifisten noch immer in der Nähe der „schwachen Gewissen" von 1. Kor. 8-10 angesiedelt bleiben, die der Schonung bedürfen. So revolutionär die Selbstverpflichtung der Kirche praktisch politisch war, so konservativ war sie theologiegeschichtlich, hat sie doch die im lutherischen Denken schon immer beheimatete individualistische Denkweise auch für den politischen Bereich nur weiterhin festgeschrieben. Der Hinweis auf die Unverletzlichkeit des Gewissens ist ja genaugenommen die Rezeption einer nie, nicht einmal von der katholischen Kirche in Frage gestellten alten christlichen Tradition, der im Protestantismus schon immer ein hoher Stellenwert eingeräumt worden war. Indem die evangelische Kirche sich auch für den Bereich der Verweigerung des Kriegsdienstes öffentlich dazu bekannte, bestätigte sie nur ihr eigenes lutherisches Erbe, und tat, was sie schon lange zu tun schuldig gewesen wäre. Auf den konkreten Fall der Synode von Weißensee bezogen, die sich immerhin mit der Frage befaßte, was die Kirche für den Frieden tun könne, bedeutet die mehrmalige Betonung der Unverletzlichkeit des Gewissens eher ein Ausweichen vor der selbstgestellten Aufgabe, und - auf die Kriegsdienstverweigerung bezogen - die Einlösung einer schon längst fälligen Verpflichtung. Der Satz: „Wer um des GeVgl. dazu unten S. 221 ff. Gefordert wurde eine solche Entscheidung der offiziellen Kirche allerdings von verschiedenen Seiten schon seit dem Ersten Weltkrieg (vgl. O. DIBELIUS, Friede auf Erden, bes. S. 199; H . FRICK, Kirche und Krieg, S. 4; 35 ff.). 83

84

Friedenswort der Synode

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wissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und Fürbitte der Kirche gewiß sein", ist solange eine Leerformel, als die Kirche, die diesen Satz ausspricht, nicht bereit ist, ihr eigenes moralisches Gewissen zur Diskussion zu stellen. Zusammenfassende Würdigung Das Friedenswort der Kirche wurde dem hohen Anspruch sicher nicht gerecht. Die im prophetischen Pathos vorgetragenen Gedankengänge spiegeln insgesamt deutlich die ganze Ratlosigkeit der E K D gegenüber der selbstgestellten Aufgabe wider. Der mit langen und schwierigen theologischen Vorstellungen überfrachtete Text 8 5 verrät noch in der Sprache die eigentliche Sprachlosigkeit der Synode gegenüber der Frage, was die Kirche für den Frieden tun könne. H a t die Synode wirklich geglaubt, von den angesprochenen Gruppen überhaupt verstanden werden zu können? Die Selbstverständlichkeit, mit der die Synode hier nicht nur Christen, sondern das ganze deutsche Volk, ja sogar die Staatsmänner und Regierungen anredete, steht im krassen Widerspruch zu den Einflußmöglichkeiten der Kirche und ihrer realen Bedeutung in einer säkularisierten Welt. Diese Tatsache allein braucht freilich kein Grund zu sein, nicht zu reden. D a die Synode sich aber einer nur dem Eingeweihten verständlichen Sprache bediente, muß sie sich die Rückfrage gefallen lassen, ob sie den Angesprochenen wirklich etwas zu sagen hatte. Nicht nur die fehlende politische Sachkenntnis und der allgemeine Informationsmangel sowie die pluralistische Situation innerhalb der E K D standen dem Vorhaben im Wege. Die Synode befand sich auch insofern in einer Zwangslage, die ihr ein eindeutigeres Sprechen praktisch unmöglich machte, als sie als einzige noch intakte gesamtdeutsche Institution vermeiden mußte, als Parteigängerin für die eine oder andere Seite abgestempelt zu werden 86 . Daß dem Friedenswort angesichts dieser Mängel keine größere Bedeutung zukommen konnte, liegt auf der Hand. Die wenigen Konkretionen zeigen jedoch, daß die E K D sich ihrer Verantwortung bewußt war. Das Votum für die Kriegsdienstverweigerer band die Kirche und spielte auch in der Frage der WiederbewafFnung und der Diskussion der Wehrgesetzgebung noch eine entscheidende Rolle. Die vorsichtig formulierte Absage an eine Beteiligung Deutscher an einem kommenden Kriege, die die in dem Friedenswort von 1948 an8 5 Ein wohlwollender Kritiker des Wortes nennt ihn „eine lange, komplizierte Epistel", die sich „den gespannten Hoffnungen der Gemeinden und der weiteren Öffentlichkeit . . . dann zuletzt nur nach vielen Bemühungen und Anstrengungen" angeboten habe (M. O. Dietrich in seinem Bericht über die Synode in: NEWS BULLETIN official organ of The Lutheran World Federation, Vol. IV, N o . 5, vom 15. Mai 1950, S. 8. 8 6 Vgl. dazu oben S. 91 f.

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Wiederbewaffnungsdiskussion nadi Ausbruch des Korea-Krieges

gedeutete Linie fortsetzte, und die Interpretation des Krieges als Abfall von Gott zeigen gleichwohl ein verändertes Bewußtsein der evangelischen Kirche an, das die in der E K D vorhandenen konfessionellen Differenzen zeitweilig überbrücken half. Weitaus wichtiger freilich als die schließlich gefundene kompromißbereite Formulierung des Friedenswortes war der Verlauf der Synode selbst. Die harten, aber im großen und ganzen fairen Auseinandersetzungen hatten gezeigt, daß die Synode als Diskussionsforum innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft für notwendige Fragen der politischen Willensbildung eine wichtige Rolle spielen konnte. Die in dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn vorhandene gemeinsame Basis verpflichtete alle Beteiligten zu ernsthaftem gemeinsamen Nachdenken und bewährte sich darüber hinaus als Korrektiv, das persönliche Animositäten im Interesse der Sache zu entschärfen in der Lage war. Weitergehende Erwartungen, die Gemeinden und Öffentlichkeit an diese Synode gerichtet haben mögen, konnte und kann die E K D freilich nicht erfüllen, jedenfalls solange nicht, als sie die fragile Einheit der E K D nicht aufs Spiel setzen wollte.

Kapitel 6

Zweite Phase: Die Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges 1. Der Ausbruch des Krieges in Korea und seine Auswirkungen auf die außen- und innenpolitische Situation in der Bundesrepublik A m 25. Juni 1950 begann der Krieg in Korea 1 , in dessen Gefolge die Diskussion um eine Wiederbewaffnung des westdeutschen Teilstaates einen ersten Höhepunkt erreichte. Nordkoreanische Einheiten 2 überschritten den 28. Breitengrad, der 1948, nach Rückzug der amerikanischen und sowjetischen Besatzungstruppen, als Grenze zwischen N o r d - und Südkorea festgesetzt worden war, und drangen binnen kurzer Zeit weit ins Innere des Südens vor. UN-Truppen unter amerikanischem Oberkommando kamen den Süd1 Zur Geschichte des Korea-Krieges vgl. G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 306 ff.; D. HOROWITZ, Kalter Krieg, Bd. 1, S. 100 ff.; H . - J . BENEDICT, Hiroshima, S. 55 ff. 2 Bis zum heutigen Tage ist nicht restlos geklärt, weldie Seite mit den kriegerischen Handlungen begonnen hat; aber jedenfalls gab es audi westliche (südkoreanische) Pläne zum Einmarsch in Nordkorea (vgl. D. HOROWITZ, Kalter Krieg, S. 107 u. ö.).

Ausbruch des Krieges in Korea und Auswirkungen auf die B R D

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koreanern zur Hilfe. Diese Polizeiaktion der U N O war deshalb möglich geworden, weil die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt ihren Sitz im Weltsicherheitsrat nicht eingenommen hatte und deshalb ihr VetoRecht nicht ausüben konnte. Der nordkoreanische Angriff wurde im Westen allgemein als eine sowjetisch gesteuerte Operation interpretiert 3 . Man vermutete ein sowjetisches Täuschungsmanöver, „das die amerikanischen Truppen aus Europa auf einen asiatischen Nebenschauplatz locken und so die wichtigste Front von ihren Verteidigern entblößen sollte" 4 . Tatsächlich stellte sich die Frage, ob bei einem weiteren kommunistischen Angriff ζ. B. auf Westeuropa nach Ausbruch des Koreakrieges noch genügend amerikanische Reserven einsatzbereit gewesen wären 5 . Wieweit der Krieg in Korea die Westmächte wirklich unvorbereitet traf, bleibe dahingestellt 6 . Tatsache ist, daß jedenfalls in der westlichen Öffentlichkeit die allgemeine Unruhe spürbar zunahm. In ihrem Gefolge wurde die westeuropäische Außenpolitik in verstärktem Maße darauf ausgerichtet, die amerikanische Politik an die Verteidigung Westeuropas zu binden. Das schon vorher gelegentlich erkennbare Interesse der westlichen Alliierten an einem europäischen Verteidigungssystem nahm merklich zu, zugleich wurde die Stärkung und Festigung der N A T O vorangetrieben. Da ein europäisches Verteidigungssystem ohne Beteiligung der Bundesrepublik als wichtigstem Vorfeld keinen ausreichenden Schutz garantiert haben würde, sprach man jetzt in den westeuropäischen Hauptstädten immer offener auch von der Notwendigkeit eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages 7 . „Der Gedanke an eine deutsche Wiederbewaffnung breitet sich bei den Siegermächten aus wie ein Ölfleck" 8 , konstatierte Paul Sethe drei (!) Wochen nach Ausbruch des Koreakrieges in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als erster sprach sich Winston Churchill, damals britischer Oppositionsführer, in aller Öffentlichkeit für die Möglichkeit einer deutschen 3 D. HOROWITZ vertritt allerdings die Ansicht, beim Korea-Krieg habe es sich ursprünglich, vor Ausweitung des Konflikts, um einen ausgesprochenen Bürgerkrieg gehandelt, von dessen Ausbruth selbst die Sowjets überrascht worden seien. Nur so sei ζ. B. ihre Abwesenheit bei der entscheidenden Abstimmung im Weltsicherheitsrat verständlich. An eine Ausweitung des Konfliktes, so meint er, könnten die Angreifer gar nicht gedacht haben, da ja der amerikanische Außenminister Dean Acheson selbst in seiner Erklärung am 12. Januar 1950 Korea nicht in den inneren Verteidigungsgürtel der USA miteinbezogen habe, so daß die Sowjets mit einem Eingreifen der USA nicht geredinet haben könnten (ebd., S. 110 f.). Ähnlich äußert sich aus G. WETTIG (Entmilitarisierung, S. 306, Anm. 1 u. ö.). 4 Ebd., S. 306. 5 Ebd., S. 307. 6 Vgl. zu dieser Frage D. HOROWITZ, Kalter Krieg, Bd. 1, S. 107 ff. 7

G . W E T T I G , E n t m i l i t a r i s i e r u n g , S. 3 1 8 ff.

8

Zitiert nach: K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 26.

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Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges

Beteiligung an einem europäischen Sicherheitssystem aus, und zwar in seiner berühmten Rede vor der beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg am 11. August 1950®. Ihm schlossen sich, wenn auch zögernd und mit unterschiedlichen Motiven, im Laufe der nächsten Monate die drei westlichen Regierungen an. Obwohl der Gedanke an eine deutsche Wiederbewaffnung bei allen drei westlichen Partnern auf starke psychologische Hemmungen stieß und niemandem gefallen konnte 10 , schien je länger je mehr unter dem Eindruck der Bedrohung aus dem Osten der Gedanke einer wirksamen westlichen Verteidigung ohne westdeutsche Kontingente illusorisch. In der Bundesrepublik wurde der Ausbruch des Korea-Krieges mit besonderer Sorge aufgenommen. Man verwies auf die parallele Situation im geteilten Deutschland und fürchtete, dem Vorstoß in Korea würde ein ähnlich motivierter Vorstoß - „Befreiung der Brüder vom amerikanischen Imperialismus" - in die Bundesrepublik folgen, sowohl durch Infiltration von Truppen aus der DDR als auch durch kommunistische Aufstände im Innern. Zwar hielt man diese Gefahr nicht in allen Kreisen für gleich akut 11 , und gelegentlich wurden auch die Unterschiede in der Situation Koreas im Vergleich zu der Deutschlands herausgestellt. Aufs ganze gesehen aber dominierte die Angst, die die Vorgänge in Korea nicht anders denn als Schulbeispiel12 dafür anzusehen in der Lage war, was der wehrlos dastehenden Bundesrepublik vom kommunistischen Osten drohte. Die Sicherheitsfrage war plötzlich zum Thema Nr. 1 geworden. Auch die Bundesregierung selbst trat nun in die Diskussion über die Frage einer deutschen Wiederbewaffnung ein13. So beauftragte Bunβ „Ich freue mich sehr, daß die Deutschen bei all ihren eigenen Problemen hierher gekommen sind, um unsere Gefahren zu teilen und unsere Kraft zu stärken. Sie hätten schon im vorigen Jahr hier sein müssen. Ein Jahr ist vertan, aber noch ist es nicht zu spät. Es gibt kein Wiedererstehen Europas, keine Sicherheit der Freiheit für irgendeinen unter uns, sofern wir nicht geeint und unerschütterlich zusammenstehen. Ich bitte diese Versammlung, unseren deutschen Freunden zu versichern, daß, wenn sie ihr Los mit dem unserigen vereinen, ihre Sicherheit und Freiheit uns ebenso heilig sein wird wie unsere eigene" (nach: K. BAUER, Verteidigungspolitik, S. 49). 10 11

Zu dieser Frage vgl. besonders K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 26 ff. Zur innenpolitischen Diskussion dieser Frage vgl. D. KOCH, Heinemann, S.

1 4 3 f f . ; K . VON SCHUBERT, W i e d e r b e w a f f n u n g , S . 2 1 f f . 12 Der Deutschland-Union-Dienst der C D U vom 27. Juni 1950 bezeichnete diese Entwicklung als einen „Lehrfilm" (vgl. G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 310). 13 Nach A. BARING kam der Korea-Krieg dem Bundeskanzler insofern gelegen, als er die Chance in sich trug, die Bundesrepublik schneller in einem westeuropäischen Sicherheitssystem als gleichberechtigten Partner zu integrieren. Die tatsächliche Gefahr habe Adenauer aus diesem Grunde weit übertrieben dargestellt (Kanzlerdemokratie, S. 81 f.). Ähnlich äußerte sich auch H . BUCHHEIM in seinem Referat „Adenauers Sicherheitspolitik 1950-1951" auf einer Tagung des Militärgeschithtlidien Forschungsamtes vom 8. bis 10. Man 1974 in Kirchzarten (in: ASPEKTE, S. 119 ff.).

Ausbrudi des Krieges in Korea und Auswirkungen auf die BRD

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deskanzler Adenauer unmittelbar nach Ausbruch des Korea-Krieges seinen Sicherheitsbeauftragten, Gerhard Graf von Schwerin14 (und später General Hans Speidel 15 ) damit, Vorschläge zu deutschen Sicherheit auszuarbeiten, die über die schon vorher von ihm erhobene Forderung nach Verstärkung der Polizeieinheiten des Bundes deutlich hinausgingen. Schon Mitte August 1950 lag dem Bundeskanzler eine Denkschrift Speidels zur Wiederbewaffnung vor. Am 17. August bereits trug Adenauer - durch Churchills Rede vor dem Europarat ermutigt - den West-Alliierten während der Petersberg-Gespräche die Bitte vor, bis zum Frühjahr 1951 eine aus Freiwilligen bestehende deutsche Verteidigungsstreitmacht in Höhe von 150 000 Mann aufstellen zu lassen, damit ein etwaiger kommunistischer Volkspolizei-Vorstoß aufgehalten werden könne 16 . Diesen Gedanken einer nationalen Streitmacht hat Adenauer aber, wie sich aus dem Sicherheitsmemorandum vom 29. August ergibt, rasch wieder fallen lassen. Ihm lag nicht an einer nationalen Streitmacht, die er aus vielerlei Gründen für gefährlich hielt, sondern sein eigentliches Ziel war die politische Gleichberechtigung der Bundesrepublik in der westeuropäischen Staatengemeinschaft, die er durch das Angebot, deutsche Kontingente für eine internationale europäische Verteidigungsstreitmacht aufstellen zu lassen, am raschesten zu erreichen hoffte 17 .

14

G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 300; 310; 322. Nach H . BUCHHEIM umfaßte der Auftrag an Schwerin lediglich Fragen der inneren Sicherheit (Aspekte, S. 123 ff.). In der diesem Referat folgenden Diskussion in Kirchzarten widersprach Schwerin allerdings dieser Darstellung, indem er darauf verwies, daß unmittelbar nach Ausbruch des Korea-Krieges von amerikanischer Seite die „massive Aufforderung" ergangen sei, mit der Aufstellung von deutschen Verbänden zu beginnen. Sein Amt habe seit dieser Zeit mit General H a y diesbezügliche Geheimverhandlungen geführt, die schließlich zur umstrittenen „Himmeroder Denkschrift" geführt hätten (ebd., S. 134 und 137). Vgl. dazu jetzt H.-J. RAUTENBERG/N. WIGGERHAUS, Denkschrift. 15 Speidels Auftrag betraf dagegen eindeutig Fragen einer künftigen Wiederbewaffnung (vgl. G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 321 f.); die von ihm am 7. August 1950 vorgelegte Denksdirift hatte den klaren und eindeutigen Titel: „Gedanken über die äußere Sicherheit der Bundesrepublik" und dürfte im wesentlichen auch die Grundlage für Adenauers Sicherheitsmemorandum abgegeben haben (vgl. hierzu auch das in Anm. 13 erwähnte Referat H. BUCHHEIMS, S. 125 f.). 16 Adenauer betonte dabei, es könne ja wohl nidit angenommen werden, daß die USA wegen Überfällen seitens der Volkspolizei der D D R eine Konfrontation mit der Sowjetunion riskieren würden (K. ADENAUER, Erinnerungen 1945-1953, S. 340). Nach H. BUCHHEIMS in Anm. 13 erwähnter Darstellung waren die 150 000 Mann lediglich ein „Gedankenspiel" Adenauers, das den Zweck hatte, die Alliierten dazu zu bewegen, sich auch für den Fall eines Volkspolizeiangriffes als zuständig zu erklären, d. h. einen evtl. Angriff der Volkspolizei nicht als eine „innere Angelegenheit" der Deutschen zu betrachten (S. 128 f.). 17 Vgl. oben Anm. 13.

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Wiederbewaffnungsdiskussion nadi Ausbruch des Korea-Krieges

Der deutschen Öffentlichkeit war von diesen Angeboten nichts bekannt. Mit Rücksicht auf die in dieser Frage ausgesprochen ablehnende öffentliche Meinung wurden diese Überlegungen weitgehend hinter verschlossenen Türen angestellt. Nicht einmal das Bundeskabinett war eingeweiht 18 . Es wurde lediglich - nachträglich - darüber informiert, daß Adenauer am 29. August 1950 dem amerikanischen Hochkommissar McCloy ein „Memorandum über die Sicherung des Bundesgebietes nach innen und außen" überreicht habe mit der Bitte, es den drei westlichen Außenministern bei ihrem bevorstehenden N e w Yorker Treffen vorzulegen. Dieses Sicherheitsmemorandum, das ohne Konsultation der Kabinettsmitglieder direkt im Kanzleramt formuliert worden war und dem Kabinett erst nachträglich und auch dann nur auszugsweise19 bekannt gegeben wurde, gab den Anlaß zur ersten schweren innenpolitischen Krise der Regierung Adenauer. In ihren Gefolge trat der damalige Bundesinnenminister Heinemann von seinem Amt zurück. Heinemann hielt es für unverantwortlich, weiterhin einen Ministerposten innezuhalten, wenn es unmöglich gemacht wurde, in einer so entscheidenden Frage vorher im Kabinett zu einer gemeinsamen Willensbildung zu kommen 20 . Erschwerend für ihn persönlich kam noch hinzu, daß nicht einmal er als der für Polizeifragen zuständige Ressortminister vorher vom Kanzler zu Rate gezogen worden war. Heinemann war damit der erste Minister, der öffentlich gegen den autori18 Adenauer „informierte" lediglich. Am 15. August ließ er durch den Bundesminister Wildermuth den Inhalt der Denkschrift Speidels vortragen (A. BARING, Kanzlerdemokratie, S. 82); am 25. August eröffnete er dem Bundeskabinett, daß er von den Hochkommissaren aufgefordert worden sei, seine Ansichten zu den Problemen der äußeren und inneren Sicherheit darzulegen. Der Inhalt der Diskussion im Kabinett hierzu ist nicht bekannt geworden (G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 334), aber verbindliche Beschlüsse können, wie sich aus dem späteren Rüdetritt des damaligen Bundesinnenministers Heinemann ergibt, nicht gefaßt worden sein. 19 Von dem Memorandum wurde ein einziger Abschnitt in der Neuen Zeitung vom 25. November 1950 veröffentlicht (vgl. unten Anm. 27). Der volle Wortlaut findet sich im Bundesardiiv/Militärarchiv in Freiburg (vgl. K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 39). In seinen Memoiren geht Adenauer nur inhaltlich auf das Memorandum ein, ohne es im Wortlaut zu zitieren, obwohl er den Wortlaut des Memorandums zur Neuordnung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten an derselben Stelle wiedergibt (K. ADENAUER, Erinnerungen 1945-1953, S. 342 bis 346). 20 In seinem in Anm. 13 erwähnten Referat widersprach H . BUCHHEIM dieser Behauptung Heinemanns und behauptete seinerseits, Adenauer habe in dem Memorandum nicht von der „Bundesregierung" sondern ausdrücklich nur vom „Bundeskanzler" gesprochen, außerdem sei das Dokument am 25. August ausführlich im Kabinett beraten worden und schließlich stünde fest, daß das Innenministerium an der Abfassung des Entwurfs beteiligt gewesen sei und daß auf seinen Wunsch in den Abschnitten 3 und 4 Änderungen vorgenommen wurden (S. 129).

Ausbruch des Krieges in Korea und Auswirkungen auf die BRD

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tären Kurs Adenauers aufbegehrte. In seinen Erinnerungen unterschlägt Adenauer allerdings diese Version und erinnert sich nur noch, daß Heinemann zurückgetreten sei, weil er mit seiner Politik nicht einverstanden gewesen sei 21 . Natürlich hatte auch dieser Punkt bei der Kontroverse eine Rolle gespielt und mag u. a. dafür ausschlaggebend gewesen sein, daß der Kanzler nach mehr als vier Wochen das Rücktrittsgesuch Heinemanns annahm. Zunächst bemühte sich Adenauer allerdings, den Minister zu halten 2 2 . Wieweit es sich bei diesen Bemühungen um ein Scheingefecht handelte, wieweit es ihm tatsächlich ernst damit war, ist heute nur noch schwer auszumachen. Wenn man dem glauben darf, was Adenauer in seinen Memoiren sagt, so hatte er von Anfang an die Absicht gehabt, das Rücktrittsgesuch anzunehmen, „da die Bundesregierung eine einheitliche Linie in dieser Frage einnehmen müßte" 2 3 . Wenn diese Version stimmt, dann wird die Aussprache zwischen Adenauer und Heinemann am 11. und 12. September 1950 hauptsächlich unter dem Druck der öffentlichen Meinung zustande gekommen sein. Baring behauptet allerdings, Adenauer habe den Innenminister wirklich halten wollen, weil er ihn als protestantisches Paradepferd in seiner Regierung brauchte 24 . Jedenfalls fürchtete Adenauer - wie er sich gegenüber McCloy äußerte - die hinter Heinemann stehenden kirchlichen Kreise und wollte vermeiden, „daß Niemöller und Heinemann in der Öffentlichkeit als die Freunde des Friedens und die Bundesregierung als Anhängerin einer kriegerischen Lösung hingestellt würden" 2 5 . Der Ausgleichsversuch hatte allerdings keinen Erfolg. Weder in der Frage des Regierungsstiles noch in der Sache selbst kam eine Einigung zustande. Dabei mögen zum Schluß tatsächlich die inhaltlichen Differenzen überwogen haben. In Adenauers Sicherheitsmemorandum ging es um folgende Punkte 2 6 : 1. Adenauer ging aus vom Krieg in Korea und dem Sicherheitsbedürfnis der Bundesrepublik. 2. Dann stellte er die militärische Situation dar, die er als ein ausgesprochenes Ungleichgewicht der Kräfte beschrieb. Angesichts der sowjetrussischen militärischen Präsenz in Europa und der Volkspolizeieinheiten sei die Bundesrepublik durch die alliierten Divisionen nur 21

Vgl. K. ADENAUER, Erinnerungen 1945-1953, S. 373 f.

22

Z u m G a n z e n v g l . A . BARING, K a n z l e r d e m o k r a t i e , S. 1 6 6 - 1 6 8 .

23

K. ADENAUER, Erinnerungen 1945-1953, S. 360. Kanzlerdemokratie, S. 167.

24 25

K . ADENAUER, E r i n n e r u n g e n 1 9 4 5 - 1 9 5 3 , S. 3 6 0 .

28

Nach: G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 335 ff.

122

Wiederbewaffnungsdiskussion nadi Ausbruch des Korea-Krieges

unzureichend geschützt; die Polizei der Bundesrepublik sei viel zu klein, um die notwendige innenpolitische Sicherheit zu garantieren. 3. Schließlich erörterte er die Sicherheitsfrage. Der Schutz nach außen könne u. a. durch einen deutschen militärischen Beitrag innerhalb einer westeuropäischen Armee mitgesichert werden, obwohl - wie Adenauer unterstrich - die eigentliche Verantwortung für die Sicherheit der Bundesrepublik bei den Besatzungstruppen liege27. Der Schutz nach innen müsse durch eine Verstärkung der Polizeieinheiten sichergestellt werden. In diesem Zusammenhang forderte Adenauer eine Bundespolizei. Aus den nachfolgenden Rückfragen ergab sich, daß er bei dieser Forderung daran gedacht hatte, eine Schutzpolizei aufzustellen, die ebenso stark sei wie die Volkspolizei und gegebenenfalls zur Sicherung gegen diese ausreiche28. (In der späteren Auseinandersetzung spielte das Thema „Schutzpolizei" noch eine große Rolle, weil man den Verdacht hatte, Adenauer habe dabei eine latente Remilitarisierung im Auge gehabt.) Heinemanns sachliche Kritik an Adenauers Sicherheitsmemorandum betraf vor allem die Deutschlandfrage. In seiner Erklärung „Deutsche Sicherheit" vom 15. September 195029 und noch deutlicher in seiner Rede anläßlidi der Gründung der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas" 30 im November 1951 warf er Adenauer vor, daß er eine Politik betreibe, die die Wiedervereinigung unmöglich mache oder jedenfalls in weite Ferne rücke. Kein europäisches Land, weder im Westen noch im Osten sei an einem wiedervereinigten und wiederaufgerüsteten Deutschland interessiert. Das eine schließe das andere aus. Außerdem sei der Zeitpunkt für eine solche Frage sowohl aus psycholo27 Der entscheidende Passus lautete: „Das Problem der Sicherheit des Bundes stellt sich zunächst unter dem äußeren Gesichtspunkt. Die Verteidigung des Bundes nadi außen liegt in erster Linie in den Händen der Besatzungstruppen. Der Bundeskanzler hat wiederholt um die Verstärkung dieser Besatzungstruppen gebeten und erneuert diese Bitte hiermit in dringendster Form, denn die Verstärkung der alliierten Besatzungstruppen in Westeuropa kann allein der Bevölkerung sichtbar den Willen der Westmächte kundtun, daß Westdeutschland im Ernstfall auch verteidigt wird. Eine solche Verstärkung der alliierten Truppen ist aber audi deshalb notwendig, weil nur hinter dem Schutz einer ausreichenden Zahl gut ausgerüsteter alliierter Divisionen die gegenwärtig in Westeuropa anlaufenden Verteidigungsmaßnahmen ungestört durchgeführt werden können. Der Bundeskanzler hat ferner wiederholt seine Bereitschaft erklärt, im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten. Damit ist eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß der Bundeskanzler eine Remilitarisierung Deutschlands durch Aufstellung einer eigenen militärischen Macht ablehnt" (vgl.

Η . E . JAHN, W e h r b e i t r a g , S . 2 2 ) . 88

V g l . G . WETTIG, E n t m i l i t a r i s i e r u n g , S . 3 3 7 .

29

Text in: KJ 1950, S. 179 ff. Text in: G. HEINEMANN, Deutschlandpolitik, S. 18 ff.

30

Ausbruch des Krieges in K o r e a und Auswirkungen auf die B R D

123

gischen31 als audi aus sozialen 32 als auch aus theologischen33 Gründen noch verfrüht. In diesem Zusammenhang verwendete Heinemann den Gedanken, den Adenauer in seinen Erinnerungen so sarkastisch kommentiert 34 , daß Gott uns die Waffen aus der Hand geschlagen habe und daß wir sie deshalb nicht verfrüht wieder in die Hand nehmen dürften 35 . Aber nicht darin, sondern in der Deutschlandfrage sowie im Hinweis darauf, daß man den Volkswillen nicht übergehen und vergewaltigen dürfe 36 , lag Heinemann eigentliches Anliegen. Audi in der Beurteilung der Sicherheitsfrage vertrat Heinemann eine andere Auffassung als Adenauer. Zwar teilte er seine Sorge um die Sicherheit der Bundesrepublik und fand sich in der antikommunistischen Einstellung mit ihm eins. Aber die Lösung des Sicherheitsproblems sah er nicht in einer Wiederaufrüstung. Die deutsche Sicherheit sei vielmehr durch die Westmächte in ausreichendem Maße garantiert, die dabei ihre ureigensten Interessen mitverfolgten. Im übrigen überschätze man die Gefahr eines sowjetrussischen Angriffs. Die Sowjetunion sei viel zu schwach; deshalb betreibe sie eine so aggressive Friedenspropaganda. Obwohl Heinemann deutlich eine prowestliche, antikommunistische Haltung vertrat, hielt er eine Wiederaufrüstung zum damaligen Zeitpunkt im Blick auf die Sidierheitsfrage für unnötig und im Blick auf die Deutschlandfrage für schädlich. Ihm ging es darum, den Weg für eine friedliche Bereinigung der deutschen Teilung so lange wie möglich offenzuhalten. Eine Remilitarisierung, die notwendigerweise mit einer endgültigen politischen Westintegration der Bundesrepublik verbunden sein mußte, würde aber seiner Meinung nach eine friedliche Wiedervereinigung in den Bereich der Illusion schieben. Hier bot Heinemann eine politische Alternative an, die im weiteren Verlauf der Wiederbewaffnungsdiskussion noch eine große Rolle spielen sollte, wenn sie auch nicht in der Lage war, den eingeschlagenen politischen Kurs zu verändern. 3 1 Zurückhaltung in der F r a g e der Wiederbewaffnung sei der f ü r die N a c h b a r völker Deutschlands immer noch beste und notwendigste Beweis einer „Gesinnungsänderung des deutschen V o l k e s " ( K J 1950, S. 181). 3 2 Ebd., S . 182 f. 3 3 V g l . ebd., S. 184. 3 4 „Ich möchte hier über G o t t v e r t r a u e n an sich und über Frömmigkeit im allgemeinen nichts sagen, aber ich hatte H e r r n H e i n e m a n n , als er midi beschwor, in der Sache der Verteidigung der Bundesrepublik nichts zu tun, erwidert, daß nach meiner A u f f a s s u n g G o t t uns den K o p f zum D e n k e n gegeben habe und die A r m e und H ä n d e , um damit zu h a n d e l n " ( K . ADENAUER, Erinnerungen 1945-1953, S. 360). 3 5 Zur theologischen Motivierung der politischen H a l t u n g H e i n e m a n n s vgl. oben S. 53 ff. 3 6 G . HEINEMANN verweist u. a. d a r a u f , d a ß ζ. B. audi M c C l o y diese Ansicht vertreten habe ( K J 1950, S. 185).

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Wiederbewaffnungsdiskussion nadi Ausbruch des Korea-Krieges

Die schweren innenpolitischen und innerkirchlichen Auseinandersetzungen des Herbstes 1950 müssen im Kontext dieser Kontroverse um die politischen Implikationen des durch den Korea-Krieg multiplizierten Sicherheitsbedürfnisses der Bundesrepublik gesehen werden. Dabei ist die Frage, ob sich aus den Ereignissen in Korea wirklich zu Recht via analogiae eine unmittelbare Bedrohung der Bundesrepublik habe ableiten lassen, nur von untergeordneter Bedeutung. Zwar führt D. Koch stichhaltige Belegen dafür an, daß auch schon vor Ausbruch des eigentlichen Krieges in Korea genügend Informationen verfügbar gewesen seien, die eine Parallelität der Situation der Bundesrepublik mit der Situation Koreas widerlegten 37 . Einige deutsche Presseorgane haben zu Beginn der Kampfhandlungen in Korea sich auch solcher Informationen bedient, um vor einer unnötigen Panikstimmung zu warnen38. Koch, der eben diesen Presseorganen zum Vorwurf macht, sie hätten ihre ursprünglich differenziertere Beurteilung der Vorgänge in Korea zugunsten der allgemeinen Panikmache verlassen39, berücksichtigt aber nicht genug, daß die Stichhaltigkeit dieser Informationen für den Zeitgenossen nicht überprüfbar gewesen sein dürfte und durch die Fülle anderslautender Berichte rasch an Glaubwürdigkeit verlieren mußte. Die durch die jahrelange antikommunistische Propaganda des Kalten Krieges indoktrinierte öffentliche Meinung war, wie auch Koch bemerkt 40 , durch anderslautende beruhigendere Kommentare ohnedies nicht mehr wirklich korrigierbar. Für die Beurteilung der nun einsetzenden innenpolitischen und innerkirchlichen Auseinandersetzungen kann deshalb nicht von den objektiven Gegebenheiten ausgegangen werden, sondern von dem, was das subjektive Bewußtsein der Deutschen als gegeben annahm. Die Frage, unter der an diese Auseinandersetzungen herangegangen werden muß, lautet demzufolge, wie unter dem Gefühl der Bedrohung durch die - in Korea anschaulich gewordene - Expansionslust des Kommunismus die Sicherheitsfrage gestellt und beantwortet wurde. Für die innerkirchliche Auseinandersetzung waren in diesem Zeitraum vor allem die durch Adenauer einerseits und durch Heinemann andererseits vertretenen politischen Positionen bedeutungsvoll, weil sich die verschiedenen kirchlich-theologischen Positionen in erster Linie an der Stellungnahme zu deren Kontroversen festmachten41. Neben den Befürwortern der Adenauerschen prowestlich orientierten „Politik der Stärke", die einer mit einer politischen Westintegration (Euro37

Heinemann, S. 145 ff.; bes. S. 145, Anm. 14; S. 151 f., Anm. 50. So ζ. B. „Die Welt" oder der „Industriekurier" (vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 145). 39 40 Ebd., S. 146 f. Ebd., S. 150, bes. Anm. 44. 41 Ebd., S. 174 f. 38

125

Erste kirchliche Reaktionen

paidee!) Hand in Hand gehenden deutschen Wiederbewaffnung zuzustimmen geneigt waren 42 , fanden sich im Raum der evangelischen Kirche alle Schattierungen einer mehr hinhaltenden 43 oder neutralistischen44 oder prokommunistischen45 politischen Einstellung zusammen. Der gemeinsame Nenner, unter dem sich die Gegner der Wiederaufrüstungspolitik innerhalb der EKD fanden, lag bei ihrem gesamtdeutschen Interesse. Eine merkwürdig schwankende Sonderstellung nahm im Rahmen dieser Fragestellung der Rat der EKD ein46.

2. Die ersten kirchlichen Krieges

Reaktionen

auf den Ausbruch

des

Korea-

Im Osten hatte der Ausbruch des Korea-Krieges einen Propagandafeldzug für die Weltfriedensbewegung 47 zur Folge, im Westen begann die Remilitarisierungsdebatte mit großer Schärfe. Einen ersten Höhepunkt dieser Diskussionsrunde brachte der Essener Kirchentag 1950, insbesondere die leidenschaftliche Diskussion im Ausschuß für Flüchtlingsfragen. Das Hauptargument, das auch sonst eine Rolle spielte, war hier, daß dann der sozialen Not überhaupt nicht wirksam begegnet werden könne 48 . Als Vertreter der zwei politischen Gegenpositionen traten während des Kirchentages Heinrich Albertz und Eugen Gerstenmaier 49 auf, die mit ihren viel beachteten Referaten weit über den kirchlichen Raum hinaus für die Wiederbewaffnungsfrage die Argumente lieferten. Während Gerstenmaier, der sich schon 42

Zu dieser Gruppe gehörten u. a. Eugen Gerstenmaier und Eberhard Müller. Hierher gehörten in gewissem Sinne audi Helmut Gollwitzer (vgl. unten S. 126 f.) und Heinemann; die meisten Lutheraner sind ebenfalls einer dieser ersten beiden Gruppen zuzurechnen. 44 Wie ζ. B. Niemöller, Mochalski und die kirchlichen Bruderschaften (vgl. unten S. 136 ff.). 45 Vgl. dazu KJ 1950, S. 119 ff.; 123 ff.; D. KOCH, Heinemann, S. 157, Anm. 14. 46 Vgl. dazu unten S. 127-130. 47 Vgl. dazu KJ 1950, S. 119 ff. Obwohl diese Propaganda schon vorher begonnen hatte, wie sich ζ. B. auf der Synode von Weißensee gezeigt hat, kam sie erst nach Ausbruch des Korea-Krieges voll zum Tragen. 48 Das betonten besonders Gollwitzer und Iwand (vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 153 f.). Helmut Gollwitzer, geb. 29. 12. 1908 in Pappenheim, 1938 Nachfolger Niemöllers als Pfr. in Dahlem, 1940 ausgewiesen, 1945-1949 in russischer Kriegsgefangenschaft, 1950 Prof. für Syst. Theologie in Bonn, 1957-1971 an der Kirchl. Hochschule, seit 1971 an der Freien Universität Berlin. 49 Heinrich Albertz, geb. 22. 1. 1915 in Berlin, ordiniert 27. 9. 1939, 1. 3. 1942 Pfr. in Röstfelde/Schlesien, 1948-1955 Staatsminister in Niedersachsen, 1961-1963 Senator für Inneres in West-Berlin, Dez. 1966-Sept. 1967 Regierender Bürgermeister in West-Berlin, jetzt Pfr. in Berlin-Schlachtensee. 43

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Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges

auf der Tagung des Europarates in Straßburg im Anschluß an die Rede Churchills für eine Europaarmee mit deutscher Beteiligung ausgesprochen hatte, diesen Standpunkt auch auf dem Kirchentag vertrat, und für eine Aufrüstung Westdeutschlands zur Verteidigung der christlichen Werte plädierte50 forderte Albertz den Abbau der sozialen Ungerechtigkeit als des einzigen wirksamen Schutzwalls gegen einen drohenden Krieg und einen Sinneswandel, der sich in Buße und Umkehr erweisen müsse51. Schon vor dem Kirchentag war Gollwitzer Anfang August mit seinem Vortrag „Der Christ zwischen Ost und West" für eine vermittelnde Rolle der Kirche im Konflikt der Großmächte eingetreten52. Obwohl Gollwitzer in diesem Vortrag den Christen zur Freiheit von der Angst vor dem Kommunismus aufrief, vertrat er keine wirklich neutrale Position. Vielmehr meinte er, daß es die Sache wert sei, sich gegen den Totalitarismus des Ostens, den er als das eigentliche Problem ansah53, zu wehren, und daß im Interesse der westlichen Freiheit, die er als eine Freiheit zur positiven Veränderung der audi hier vorhandenen Ungerechtigkeiten definierte, eine Aufrüstung und Verteidigung mit Waffengewalt für den westlichen Staatsmann geboten sein könne54. Gollwitzer unterschied sich in dieser prinzipiellen Haltung zur Frage einer Wiederaufrüstung damals ausdrücklich von der Position, die Niemöller und der Schriftsteller Reinhold Schneider (1903 bis 1958) vertraten55. Trotzdem äußerte er - ähnlich wie Heinemann, wenn auch mit anderer Akzentuierung - eine Reihe von gewichtigen Bedenken gegen eine „Remilitarisierung" Westdeutschlands zu diesem Zeitpunkt, und zwar, wie er selbst betonte, aus „politischen" Gründen. Er meinte, daß „der deutsche Beitrag zur Verteidigung des Westens nicht in der Aufstellung militärischer Einheiten bestehen könne, wenn nicht der Schaden für alle Beteiligten größer sein soll als der Nutzen" 56 . Die von Gollwitzer stichpunktartig aufgeführten Argumente gegen eine deutsche Wiederbewaffnung — „eben erst überwundene militaristische Mentalität, ungefestigte Demokratisierung des Staatsapparates und der Gesinnung, ungelöste soziale und FlüchtlingsproEugen Gerstenmaier, geb. 25. 8. 1906 in Kirdiheim/Teck, 20. 4. 1936 theol. Referent, 10. 8. 1942 Konsistorialrat im Kirchl. Außenamt, 1937 Privatdozent in Berlin, im Zusammenhang mit der Widerstandsbewegung gegen Hitler am 20. 7. 1944 verhaftet und zu Gefängnisstrafe verurteilt, 1945 Begründer und Leiter des Hilfswerks der E K D , 1947 Oberkonsistorialrat, 1949 MdB (CDU), 1 9 5 4 - 1 9 6 9 Präsident des Deutschen Bundestages. 50

V g l . D . K O C H , H e i n e m a n n , S. 1 5 6 f . ; 1 4 3 f.

51

Vgl. ebd., S. 154. In: Forderungen der Freiheit, S. 125 ff. Ebd., S. 134 f.; 139, Anm. 7. Vgl. ebd., S. 137.

52 53 55

M 5»

Ebd., S. 136 f. Ebd., S. 137, Anm. 6.

Erste kirchliche Reaktionen

127

bleme, Zweiteilung Deutschlands, fehlende Gleichachtung des deutschen Volkes als Nachwirkung der Hitlerzeit, besonderer Aggressionsverdacht gegen jedes deutsche Militär" 5 7 - spielten tatsächlich in der politischen Diskussion der Frage einer westdeutschen Aufrüstung eine zum Teil entscheidende Rolle; sie wurden aber wenigstens teilweise durch die dann gefundene politische Lösung - Integration deutscher Truppen in eine Europa-Armee, Aufhebung des Besatzungsstatuts usw. - gegenstandslos. Die Gefahr einer Rückkehr der Deutschen zu einer „militaristischen Mentalität" hat Gollwitzer zweifellos, wie die ganze nachfolgende Entwicklung zeigt, überschätzt 58 . Tatsächlich hat die Bundeswehr unter den Folgen der erfolgreichen Entmilitarisierung der Deutschen bis heute zu leiden. Noch während des Kirchentages in Essen trat am 27. August 1950 auch der Rat der E K D mit einem Wort zur Frage der Wiederaufrüstung an die Öffentlichkeit 59 . Aktueller Bezugspunkt war dabei die durch die „Vorgänge im Fernen Osten" aufgeworfene Sicherheitsfrage. Obwohl der Rat auf die politischen Hintergründe des Korea-Krieges nicht einging, wer deutlich, daß er die verbreitete Auffassung teilte, daß die Vorgänge im fernen Osten die unmittelbare Bedrohung der Bundesrepublik evident machten: „Darum sind wir auch in diesen ernsten und bewegten Tagen ruhig und getrost. Angst ist Unglaube und bringt die Gefahr des Krieges näher." Gerade in der akklamatorischen Aussage, in „christliche/r/ Glaubenszuversicht" nicht den „stärkeren Bataillone/n/", sondern Gott zu vertrauen, kam die existentielle Betroffenheit zum Ausdruck. Die Leiden und Probleme der von diesem Krieg unmittelbar Betroffenen traten dabei freilich nicht in den Blick. Nur unter dem Aspekt der nationalen Frage war der Krieg in Korea von Belang. Er diente zur Bestätigung der von der E K D schon vorher immer vertretenen These, daß „der Frieden durch nichts so sehr bedroht wird, als wenn man ein Land durch willkürliche Grenzziehung in zwei Teile aufgespalten hält" 6 0 . Die Lösung der durch den Korea-Krieg aufgeworfenen Sicherheitsfrage sah der Rat folgerichtig in der Ermöglichung der Wiedervereinigung. Sie allein wäre nach seiner Meinung ein Beweis dafür, daß „die Friedensbeteuerungen der politischen Mächte ehrlich gemeint sind". Für den Rat ist die nationale Einheit conditio sine qua non, und der Appell an die U N O , auf die Beendigung der „Aufspaltungen überall" hinzuwirken, wird fast zur Nötigung: „Es darf nicht zum zweiten Male heißen: Zu spät!" Man wird davon ausgehen müssen, daß auch im Rat über die wirklichen 57 58 59 90

Ebd., S. 127, Anm. 6. Vgl. dazu oben S. 51. K J 1950, S. 165 f.; G. HEIDTMANN, Kirdie, S. 98 ff. Vgl. dazu oben S. 112 f. und unten S. 135.

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Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges

ja tatsächlichen nationalistischen - Hintergründe des Korea-Krieges keine genauen Vorstellungen vorhanden waren, daß man ihn also nur vage als Ausdruck der allgegenwärtigen Bedrohung durch den von Sowjetrußland gesteuerten aggressiven Kommunismus empfand. Wenn diese Voraussetzung stimmt, ist aber die Annahme des Rates, ein wiedervereinigtes und neutralisiertes Deutschland werde gewissermaßen von selbst diese Bedrohung gegenstandslos machen, politisch wenig überzeugend. Oder signalisieren die wiederholten Hinweise auf die Gefährdung des Friedens durch die Spaltung Deutschlands die Meinung des Rates, daß die zerstörte nationale Gemeinschaft als solche wegen der einer Nation innewohnenden Kohäsionskraft die Betroffenen zum Kriegführen anreize? Die vom Rat der E K D immer wieder in dieser Weise in den Vordergrund gestellte Forderung auf Wiederherstellung der Einheit der Nation um der Sicherung des Friedens willen war in sich jedenfalls nicht ohne Aggressivität. Sie mußte zudem im Kontext mancher Äußerungen Niemöllers den Eindruck hervorrufen, daß es dem Rat nicht nur um die Interessen des deutschen Volkes gehe, sondern auch um sehr eigene Interessen, wie ζ. B. das der Wahrung der deutschen protestantischen Einheit. Das nationale Pathos der deutschen evangelischen Kirche setzte sich in dem uneingeschränkten Eintreten der E K D für die Wiedervereinigung fort. Es stand auch damals schon im Gegensatz zu den politischen Realitäten und nicht minder im Gegensatz zu den Hoffnungen vieler Deutscher wenn man von den Heimatvertriebenen einmal absieht —, denen der Gedanke an ein vereintes Europa sehr bald schon an die Stelle der betrogenen nationalen Hoffnungen und der zerstörten nationalen Identität getreten war. Für die junge Generation war die Wiedervereinigung bereits in den beginnenden 50er Jahren kein Ziel mehr, für das sie sich einsetzen wollte 61 . In der Frage der Remilitarisierung wich der Rat genaugenommen aus: „Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden", und behalf sich dafür mit einer Wiederholung der schon im Friedenswort der Synode von Berlin-Weißensee 62 bezeugten Friedfertigkeit der Kirche, sowie mit der Aufforderung an die Gemeinden und das ganze deutsche Volk, sich jeder „verlogene/«/ Propaganda" zu verschließen - gemeint ist wahrscheinlich die Friedenspropaganda e l Obwohl es keine eigene Untersuchung zur Frage nach den politischen Idealen der deutschen Jugend der frühen 50iger Jahre gibt, scheint mir außer Zweifel zu sein, daß die Mehrheit der deutschen Jugend im Westen sich - sofern sie überhaupt politische Interessen entwickelte - ganz dem Europagedanken zuwandte, mit dem sie die enttäuschten und mißbrauchten nationalen Ideale kompensierte (vgl. dazu auch K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 90 ff.). M Vgl. dazu oben S. 103 ff.

Erste kirchliche Reaktionen

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des Ostens - , der „Gesinnung des Hasses . . . ein entschlossenes Nein entgegen/zw/setzen" und sich weder der „Kriegshetzerei noch an Angstpsychosen mitschuldig [zu] machen". Eindeutigkeit ist nur im Bekenntnis zur Notwendigkeit eines „ausreichenden Polizeischutzes" zu erkennen - eine Feststellung, die in ihrer Selbstverständlichkeit keine politische Parteinahme bedeuten konnte in der Wiederholung der Forderung von Berlin-Weißensee, die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu schützen, und in der Absage an einen Bruderkrieg: „Daß Deutsche jemals auf Deutsche schießen, muß undenkbar bleiben." Es dürfte deutlich geworden sein, daß dieses Wort des Rates der EKD über den aktuellen Anlaß hinaus gegenüber dem Wort der Synode von Berlin-Weißensee - und im Grunde auch gegenüber früheren Worten - keine neuen Gesichtspunkte brachte. Der Korea-Krieg wurde nicht zum Anlaß, anhand der aktuellen politischen Situation die früher bezogene theologisch-politische Position neu zu überdenken, geschweige denn, daß er selbst Gegenstand der politischen Reflexion geworden wäre. Er diente vielmehr nur der Bestätigung der von der EKD einmal bezogenen Position als Garant und Fürsprecher der deutschen Einheit, die als politisches Ziel weder hinterfragt noch gar in ihrem schon damals illusionären Charakter durchschaut wurde. Die Sicherheitsfrage wurde allein vom nationalen Standpunkt aus betrachtet, ohne daß die Sicherheitsinteressen der westlichen oder östlichen Nachbarn Deutschlands, von denen Deutschland ja politisch abhängig war, mit berücksichtigt worden wären. Damit bewegte sich die Warnung vor einer deutschen Wiederaufrüstung im politischen Vorfeld eines rein an nationalen Motiven orientierten moralischen Appells, der zwar Emotionen ansprach, aber keine politischen Lösungsmöglichkeiten vor Augen stellte und praktisch der Stärkung des ohnehin vorhandenen vagen Ohne-Mich-Standpunktes diente. Obwohl es sich bei dem Essener Wort des Rates der EKD also keineswegs um eine klare Stellungnahme gegen eine Wiederaufrüstung handelte 63 , sondern bestenfalls um eine Distanzierung von entsprechenden Überlegungen aufgrund einer nationalen Voreingenommenheit, sah sich der Rat bald gezwungen, selbst von diesem Votum abzurücken: „Audi die Frage, ob eine wie immer geartete Wiederauf63 Trotz der späteren Differenzen über das Zustandekommen dieses Wortes - so beklagte Dibelius auf der EKD-Synode 1951 die mangelnde Einmütigkeit (HAMBURG 1951, S. 19) - wurde dieses doch von dem normalen Leser nicht als Parteinahme verstanden. Zu Recht stellt Η . E. JAHN fest, daß man „den wenigen einschlägigen Verlautbarungen über die Frage des Wehrbeitrages selbst den Verzicht auf eine verbindliche Stellungnahme anmerkt" (Wehrbeitrag, S. 151), wobei Η. E. JAHN als Beispiel ausdrücklich das Essener Wort des Rates der E K D zitiert.

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Wiederbewaffnungsdiskussion nadi Ausbruch des Korea-Krieges

rüstung unvermeidlich ist, kann im Glauben verschieden beantwortet werden." 64 In den drei Monaten, die zwischen diesen beiden Erklärungen ihres Rates lagen, war die E K D durch die innerkirchliche Kontroverse um die Frage der Remilitarisierung in eine ihrer größten und gefährlichsten Krisen geraten, von der sie sich lange Zeit nicht mehr recht erholen sollte. Hervorgerufen wurde diese Krise durch die im Anschluß an die Auseinandersetzung zwischen Adenauer und Heinemann in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Kontroversen Niemöller/Adenauer und Kirchliche Bruderschaften/Adenauer, auf die deshalb im Folgenden näher eingegangen werden muß.

3. Niemöller und die kirchlichen Bruderschaften sierungspolitik Adenauers im Herbst 1950

gegen die

Remilitari-

Die Kontroverse zwischen Adenauer und Heinemann rief die Bekennende Kirche auf den Plan. Was Adenauer befürchtet hatte, trat ein: die kirchlichen Gruppen um Heinemann und Niemöller meldeten sich zu Wort und formierten sich als eine starke Opposition gegen die Wiederaufrüstungspolitik des Bundeskanzlers. Die erste große innerkirchliche Debatte zur Frage der Wiederaufrüstung kam in Gang. Sie gedieh zu einer so in der Geschichte der E K D bisher noch nicht dagewesenen Polarisierung zwischen den linken Gruppen der Bekennenden Kirche und den der C D U nahestehenden Kreisen der evangelischen Kirche 65 . Sie führte gleichzeitig zu einem tiefen Riß innerhalb des Reichsbruderrates und gefährdete die Einheit der E K D ernstlich. Niemöller, Wilm, die kirchlichen Bruderschaften wandten sich in offenen Briefen gegen die Politik Adenauers. Heinemann veröffentlichte seine Erklärung „Deutsche Sicherheit", mit der er seinen Rücktritt in der Öffentlichkeit noch einmal ausführlich begründete. Auch Karl Barth griff in die Debatte ein. In öffentlichen Veranstaltungen, Tagungen und Konferenzen aller Art wurde die Wiederaufrüstungsfrage wieder und wieder aufgegriffen und diskutiert. Eine allgemeine Bewegung gegen jede Art von Remilitarisierung griff um sich und signalisierte weit über den kirchlichen Raum hinaus die absolute Gegnerschaft der breiten Masse der Deutschen gegen jeden Gedanken an eine deutsche Aufrüstung. Selbstverständlich meldeten sidi auch Gegenstimmen zu Wort. In der Presse wurde ja schon seit langem ganz offen die Frage einer Ein64 Erklärung des Rates der E K D zu Fragen des öffentlichen Lebens vom 17. November 1950 (G. HEIDTMANN, Kirche, S. 101 f.). 65 Vgl. dazu die Dokumentation in: K J 1950, S. 160-227.

Niemöller und die kirchlichen Bruderschaften

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gliederung deutscher Verbände in eine westeuropäische Verteidigungsstreitmacht diskutiert und weithin gutgeheißen66, wobei die Gründe hierfür in der Regel sicherheits-, aber auch machtpolitischer Natur waren. Auch aus dem kirchlichen Raum wurden Gegenstimmen gegen diese Art von kirchlicher Opposition gegen die Sicherheitspolitik Adenauers laut. Vor allem wandten sich die evangelischen Delegierten des Parteitages der C D U von Goslar gegen das Vorgehen Niemöllers und seiner Freunde67. Die Bayerische Landeskirche und die Hannoversche Synode distanzierten sich öffentlich von Niemöller 68 . Abgeordnete der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche- von Hannover beantragten sogar, Niemöller aus der Leitung des kirchlichen Außenamtes zu entfernen, da er laufend seine Kompetenz überschreite69. Vor allem die Flugschrift „An die Gewehre? Nein!" wurde heftig diskutiert und führte auch im Reichsbruderrat zu schweren Auseinandersetzungen70. Dies alles spielte sich im Oktober 1950 ab. Die bereits stark überreizte Spannung innerhalb der EKD erreichte ihren Höhepunkt, als am 30. Oktober das Kommunique eines Treffens zwischen Vertretern der Bekennenden Kirche und der SPD veröffentlicht wurde, in dem Gemeinsamkeiten in der Ablehnung der Wiederbewaffnung zum Ausdruck kamen 71 ; denn nun tauchte der Verdacht auf, es habe sich hierbei um ein Komplott zum Sturze der Regierung Adenauer gehandelt 72 . ββ Vgl. dazu K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, bes. S. 25 f.; D. KOCH, Heinemann, S. 145-147. 67 In der „Entschließung der evangelischen Delegierten" heißt es zum Schluß: „Wir sind von tiefer Sorge erfüllt über die Erklärungen, die Männer der evangelischen Kirche, insbesondere Kirchenpräsident Niemöller, in letzter Zeit zu politischen Fragen unseres Volkes abgegeben haben. Sosehr wir die Pflicht der Kirche bejahen, die Verantwortung für die Gestaltung unseres öffentlichen Lebens mit zu tragen, so sehr erwarten wir, daß solche Erklärungen nicht voreilig, sondern nur nach gewissenhafter Sachprüfung, nach brüderlicher Beratung und in gemeinsamer Verantwortung veröffentlicht werden" (KJ 1950, S. 191). ββ 70 «8 Ebd., S. 193 f. Ebd. Vgl. dazu unten S. 135. 71 Diese Aktivität Niemöllers wurde als eine besondere Herausforderung verstanden, da die - aus der Geschichte begründete - kirdienfeindliche Haltung der SPD Gespräche mit ihr zu einem Politikum ersten Ranges für die EKD machen mußten. Deutlich ist im Bericht des Ratsvorsitzenden auf der Synode von Hamburg zu spüren, wie sehr Dibelius sich gerade durch diese Eigenmächtigkeit Niemöllers getroffen gefühlt hatte (HAMBURG 1951, S. 23 f.) - Daß diese Begegnung zwischen Vertretern des Reichsbruderrats und Vertretern der SPD von Niemöller bewußt als Umgehung des Rates geplant war, geht aus seinen Briefen an Albertz und Diem vom 2. Mai 1950 hervor. In diesen Briefen beriditet Niemöller von seinem Gespräch mit Dr. Schumacher vom 1. Mai, in dem vereinbart worden sei, „daß wir für ein weiteres Gespräch nicht auf die offizielle Linie des Rates der EKD lossteuern wollen, sondern auf ein Sachgespräch . . . unter Hinzuziehung von Brüdern aus dem Reichsbruderrat" (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 26). 72 Das wird deutlich aus einer Bemerkung von J. Beckmann (KJ 1950, S. 220).

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Innerhalb weniger Wochen war damit das ohnehin schwankende Gleichgewicht der EKD in gefährliche Bewegung geraten, so daß sich der Ratsvorsitzende gezwungen sah, für den 17. November 1950 kurzfristig eine Kirchenversammlung einzuberufen, auf der die durch Heinemann und Niemöller aufgeworfenen Fragen verhandelt werden sollten73. Das Kommunique dieser Kirchenversammlung verrät noch deutlich, in welche gefährliche Krise die EKD durch die Vorgänge des Monats Oktober geraten war 74 . Obwohl danach keine schwerwiegenden Vorkommnisse mehr zu dieser Frage zu verzeichnen waren, da ein Brief des Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Otto Grotewohl (1894-1964), zur Wiedervereinigung vom 30. November 195075, sowie der schleppende Fortgang der Verhandlungen bei den westlichen Bündnispartnern andere Fragen in den Vordergrund rückten, wirkten sich die Vorgänge des Herbstes 1950 innerhalb der EKD bis in die Synode in Hamburg 1951 aus, wo im Anschluß an den Bericht des Ratsvorsitzenden, wenn auch nun in einer etwas geglätteten Atmosphäre, der ganze Fragenkomplex noch einmal gründlich zur Sprache kam 76 . Trotz der seit Bekanntwerden der Kabinettskrise angespannten innenpolitischen Situation brach der offene Konflikt zwischen Adenauer und der Bekennenden Kirche um die Wiederaufrüstungsfrage erst nach der New Yorker Außenministerkonferenz des September 1950 aus. Aus dem Kommunique der Außenminister vom 19. September ebenso wie aus dem Kommunique des Nordatlantik-Rates vom 26. September ging deutlich hervor, daß nicht nur ganz allgemein über die Frage einer möglichen Beteiligung deutscher Truppen an der westeuropäischen Verteidigung gesprochen worden war, sondern daß hierzu auch einschlägige Vorschläge von deutscher Seite vorgelegen hatten 77 . 73 Ihr war eine Sitzung des Lutherrats (Bischofskonferenz der VELKD) am 16. November 1950 vorausgegangen, die ebenfalls Niemöllers Vorstoß in der Wiederbewaffnungsfrage zum Gegenstandt hatte und zu einer Überprüfung der Stellung der lutherischen Landeskirchen gegenüber der EKD führen sollte (vgl. epd Nr. 141 vom 11. und Nr. 145 vom 21. November 1950). 74 KJ 1950, S. 223; zum Ganzen vgl. unten S. 141 ff. 75 Vgl. G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 495, Anm. 31. 76

77

V g l . HAMBURG 1 9 5 1 , S . 1 8 ff.; 9 0 ff. u n d u n t e n S . 1 4 9 ff.

So hieß es im Kommuniqu6 der Außenminister der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreidis vom 19. September 1950: „Die Minister sind völlig übereinstimmend der Ansidit, daß die Wiedererrichtung einer deutschen nationalen Armee nicht im Interesse Deutschlands oder Europas liegen würde . . . Die Minister haben jedoch von den kürzlich in Deutschland und andernorts zum Ausdruck gebrachten Einstellungen Kenntnis genommen, die eine deutsche Beteiligung an der Verteidigung der europäischen Freiheit befürworten (vgl. K. BAUER, Verteidigungspolitik, S. 54), und im Kommunique des Nordatlantikrates vom 26. September 1950: „Die Verwendung deutscher Menschen und deutsdier Hilfsquellen wurde im

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Damit schienen sich alle Befürchtungen bestätigt zu haben, daß eine deutsche Wiederbewaffnung unmittelbar bevorstünde. Als erstes erschien am 29. September 1950 ein „Wort des Bruderrates der EKiD zur Wiederaufrüstung" 78 . Dieses Wort war von langer Hand vorbereitet und vermied in seiner wohlausgewogenen und abgerundeten Form bewußt alle Schärfen, die die nachfolgenden Veröffentlichungen Niemöllers und der Bruderschaften kennzeichneten. Inhaltlich nahm es Gedanken des Friedenswortes der Synode von Weißensee und der Essener Ratserklärung auf und präzisierte sie im Sinne einer Warnung vor einer Wiederaufrüstung zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Rücksicht auf die gesamtdeutsche Problematik und die ungelösten sozialen Probleme der Bundesrepublik. Es waren die politischen und theologischen Argumente Heinemanns und Gollwitzers, die diesem ausgewogenen Wort seine Bedeutung verliehen. Leider ist es aber nicht mehr zu einer wirklich sachlichen Diskussion dieses Bruderratswortes in der kirchlichen Öffentlichkeit gekommen, weil kurze Zeit danach, am 4. Oktober 1950, Niemöller zusammen mit den Kirchlidien Bruderschaften seinen alle Aufmerksamkeit herausfordernden Vorstoß gegen die Politik Adenauers machte. Gleichzeitig gingen am 4. Oktober drei Veröffentlichungen aus dem Kreise der Kirchlichen Bruderschaften an die Presse: ein Offener Brief Martin Niemöllers an den Bundeskanzler, ein Offener Brief der Kirchlidien Bruderschaften an den Bundeskanzler und die „Handreichung an die Gemeinden zur Wiederaufrüstung" 79 . Die Bruderschaften der Bekennenden Kirche, die fortan den Stoßtrupp der radikalen kirchlichen Opposition gegen die Wiederbewaffnung bildeten, waren auf Initiative Mochalskis und Niemöllers zum erstenmal im März 1950 wieder zusammengerufen worden 80 . In den Bruderschaften sammelten sich vor allem Theologen, die in der Zeit des Kirchenkampfes als Vikare und junge Pfarrer illegal gearbeitet hatten und die die linke Gruppe der Bekennenden Kirche repräsentierten. Das erste Treffen am 15. März war offensichtlich unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen um das Niemöller-Interview einberufen worden und stand unter dem bezeichnenden Thema: „Erfordert die Lage der EKD eine Sammlung der BK?" Das zweite Treffen fand nach mehrmaligen Terminverschiebungen am 4. Oktober 1950 statt. Sein Thema war aus aktuellem Anlaß: „Wiederaufrüstung?" Lichte der vor kurzem von demokratischen Führern in Deutschland und anderwärts vorgebrachten Ansichten erörtert" (ebd., S. 56). 78 Text in: KJ 1950, S. 167 f. 79 Texte ebd., S. 169 ff. 80 Ober die Hintergründe, die zur Sammlung der kirchlichen Bruderschaften führten, vgl. die entsprechenden Briefwechsel (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 57a).

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Der Referent des Tages war Paul Schempp, nachdem Helmut Gollwitzer schon Monate vorher für einen der vorher geplanten Termine aus prinzipiellen Erwägungen heraus eine Mitarbeit zum derzeitigen Zeitpunkt abgelehnt hatte 81 . Ergebnis dieses Treffens, an dem etwa 60 junge Pfarrer teilgenommen hatten, war einmal die „Handreichung", zum anderen der Offene Brief der Bruderschaften an Bundeskanzler Adenauer. Ein weiteres spektakuläres Ergebnis dieses Bruderschaftstreffens war die Herausgabe des Flugblattes „An die Gewehre? Nein!" Dieses Flugblatt erregte in der Öffentlichkeit erhebliches Aufsehen und zog unter anderem eine schwere Krise im Reichsbruderrat nach sich. In diesem Flugblatt waren nämlich neben den beiden Offenen Briefen an Adenauer und der „Handreichung" auch das Wort des Reichsbruderrates zur Wiederaufrüstung vom 29. September abgedruckt 82 . Diese Zusammenstellung des einigermaßen abgerundeten Textes des Reichsbruderrates mit den anderen, in Stil, Ton und Inhalt wesentlich polemischeren Texten löste bei einer ganzen Reihe von Mitgliedern des Reichsbruderrates eine heftige Verstimmung aus83. Nicht ganz zu Unrecht wurde dabei darauf hingewiesen, daß durch diese Publikation in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von den Intentionen und Vorstellungen des Reichsbruderrates entstanden sei, da den meisten Lesern der Unterschied zwischen den Kirchlichen Bruderschaften und dem Bruderrat der EKD nicht geläufig sei. Insbesondere die Vertreter Bayerns, Eduard Putz und Hans Schmidt, aber auch andere, wandten sich scharf gegen dieses Vorgehen und distanzierten sich von dieser einseitigen politischen Festlegung des Reichsbruderrates. Eine Flut von Briefen, die teilweise auch vervielfältigt einem weiteren Kreis zugänglich gemacht wurden, ergoß sich über Niemöller und Mochalski. Die weithin formale Kritik - am Stil, und Art und Weise der Veröffentlichung - konnte den inhaltlichen Dissensus jedoch nicht überdecken. Mehrfach, insbesondere seitens der bayerischen Bruderratsmitglieder, wurde der Vorwurf der Schwarmgeisterei laut, oder weniger abwertend - einer zu einseitigen politischen Fixierung. Theodor Dipper, der sich in besonderer Weise um einen Ausgleich bemüht zeigte, stellte heraus, daß es ja Gegnern und Befürwortern der Wiederbewaffnung um die Erhaltung des Friedens ginge; nur über den Weg, auf dem der Frieden gesichert werden könne, bestünde Uneinigkeit. 81

Vgl. Schreiben Gollwitzers an Mochalski vom 13. Juli 1950 (ebd.). Paul Schempp, geb. 4. 1. 1900 in Stuttgart, gest. 4. 6. 1959 in Bonn, 1925 Repetent am Tübinger Stift, 1929 Religionslehrer, 1933 aus politischen Gründen entlassen, bis 1939 Pfr. in Iptingen/Württ., aus dem Dienst der Landeskirche entlassen, Wehrdienst, 1946 Pfr. in der ref. Gemeinde Stuttgart, 1949 Studienrat in Stuttgart, 1958 Prof. für Syst. und Prakt. Theologie in Bonn. 82 So nach: D. KOCH, Heinemann, S. 212, bes. Anm. 19. e3 Vgl. den ausführlichen Briefwechsel (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 49b).

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Politische Ermessensfragen dürften aber nicht mit prophetischem Pathos vertreten werden. Diese konziliante Beurteilung der militanten Gegensätze setzte sich freilich nicht durch. Vielmehr versteiften sich die Gegensätze in dem Maße, in dem die öffentliche Auseinandersetzung sich verschärfte, dabei die Spannungen innerhalb der E K D getreulich widerspiegelnd. Die auf Wunsch von Putz, Schmidt und einigen anderen Bruderratsmitgliedern nach mehrmaligen Terminverschiebungen endlich am 15. Januar 1951 in Berlin stattfindende Sondersitzung des Reichsbruderrates konnte den durch dieses Vorgehen entstandenen Riß nicht mehr wirklich heilen. In der Folgezeit schmolz der Reichsbruderrat immer stärker zu der kirchenpolitischen „Gruppe" zusammen, die Niemöller in ihm schon lange gesehen hatte, und wurde so zusammen mit den jungen Bruderschaften der eigentlichen Träger der kirchlichen Opposition gegen die Wiederbewaffnung. Das Flugblatt „An die Gewehre? Nein!", ob die Zusammenstellung seiner Texte nun ein „Unfall" war oder ob eine klare politische Absicht dahinter steckte, bildete den unüberhörbaren Auftakt einer anhaltenden Frontenbildung innerhalb der EKD, die auch im öffentlichen Leben der Bundesrepublik nicht mehr übersehen werden konnte. Es ist den beiden Offenen Briefen und der „Handreichung" deutlich anzumerken, daß sie gegenüber dem Wort des Bruderrates, das offenbar als zu lau empfunden wurde, deutlichere Akzente setzen wollten. Tatsächlich lag das „Wort des Bruderrates der EKiD zur Wiederaufrüstung" vom 29. September 1950 8 4 ja noch deutlich auf der vorsichtig-warnenden Linie des Friedenswortes von Weißensee85 und des Wortes des Rates der E K D von Essen86, wenn es auch in seiner Tendenz, wie schon die vorhergehenden Bruderratsworte dies taten, klarere Akzente zu setzen wagte. Diese größere Klarheit macht jedoch evident, doß audi der Reichsbruderrat die für die E K D im Ganzen schon mehrfach konstatierten politischen Vorentscheidungen teilte 87 ; die Beurteilung der Aufspaltung Deutschlands als Bedrohung des Friedens, die Absage an eine gewaltsame Lösung, das Votum für den Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, die antikommunistische Grundhaltung, die in einem deutlichen Bekenntnis zu den Werten des „Christlichen Abendlandes" gipfelte. Über die offiziellen Voten der E K D ging dieses Wort insofern hinaus, als es sich klar gegen die „Aufstellung deutscher Verbände innerhalb einer westeuropäischen Armee" ebenso wie gegen „die Schaffung einer eigenen deutschen Wehrmacht" aussprach. Die Absage an eine Wiederbewaffnung zum 84 86

K J 1950, S. 167 f. Vgl. dazu oben S. 127 f.

85 87

Vgl. dazu oben S. 103 ff. Vgl. dazu oben S. 96 f.

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gegenwärtigen Zeitpunkt wurde dabei unter Bezugnahme auf das Wort von Weißensee mit der ungelösten deutschen Frage begründet, die es zur „ernsten Frage" erhoben habe, „ob ein deutscher Mann heute in dieser Lage mit guten Gewissen eine Kriegswaffe in die Hand nehmen darf". Als positiven Beitrag zum Frieden in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus verwies das Wort ausführlich - in Anlehnung an Niemöllers Vortrag „Kriegsschauplatz oder Brücke"88 - auf die Notwendigkeit, bei uns soziale Gerechtigkeit herzustellen. Die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit bei uns sei das wirksamste Mittel gegen die „verführerische Ideologie, die die Freiheit des Menschen für eine angebliche soziale Gerechtigkeit verkauft", und die beste Rückenstärkung für die „Brüder auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs". „Sie werden im Vertrauen gestärkt, daß es wirklich eine geistige Macht zur Uberwindung dieser Ideologie gibt, und werden die Hoffnung schöpfen, daß diese Uberwindung auf geistigem Wege und auch ohne Waffengewalt geschehen wird." Dieses Wort des Bruderrates ist deshalb so interessant, weil es viel deutlicher noch als die offiziellen Voten der EKD die Option für den Westen, die die EKD bei aller behaupteten Neutralität leistete, aufzeigte. Die hierin ausgesprochene Hoffnung auf eine friedliche „Uberwindung dieser Ideologie . . . auf geistigem Wege und auch (!) ohne Waffengewalt", läßt eine andere Interpretation nicht zu. Im Kalten Krieg mußte es trotz seiner verbalen Warnung vor einer Wiederaufrüstung de facto deshalb eher der Verfestigung der Fronten dienen. Die „Handreichung an die Gemeinden zur Wiederaufrüstung" vom 4. Oktober 195089 brachte gegenüber dem Wort des Bruderrates deutliche Akzentverschiebungen an, die einen klaren politischen Willen verraten: 1. Gegenüber der Westoption des Bruderratswortes enthält die „Handreichung" die klare Aufforderung zu politischer Neutralität: „Wir Deutschen müssen uns aus dem Konflikt der Weltmächte heraushalten. Wir dürfen nicht für die eine oder andere Seite Partei nehmen." Als Begründung wurde dabei das schon von Weißensee her viel verwendete Argument angeführt, daß es sich bei dem gegenwärtigen Konflikt zwischen den beiden Großmächten um den Kampf von Ideologien handele. Es kann freilich nicht übersehen werden, daß die „Handreichung" ihrerseits die geforderte Neutralität insofern verletzt, als sie als Beispiel nur eine Ideologie anführte: den „Mythos des christlichen Abendlandes", während die kommunistische Ideologie als solche nicht einmal apostrophiert wird. Nebenbei und sicher nicht von ungefähr wurde so das Wort des Reichsbruderrats zur Wiederaufrüstung 88 89

Text in: M. N I E M Ö L L E R , Reden 1945-1954, S. 170-177. KJ 1950, S. 169 ff.

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in einem sehr wesentlichen Punkte korrigiert. Die Gegnerschaft gegen die Wiederaufrüstung wurde damit nicht mehr primär von der ungelösten Deutschlandfrage her abgeleitet, sondern von einer neutralistisch-antiwestlichen Position aus - eine freilich nicht mehr belanglose Akzentverschiebung. 2. Gegenüber der eher zögernden Anfrage des Bruderratswortes an die Gewissen, sich zu prüfen, ob sie in einem solchen Falle die Waffe in die Hand nehmen dürfen, richtete die „Handreichung" sich deutlich gegen jede Remilitarisierung: „Wir lehnen eine Remilitarisierung Deutschlands ab, weil wir im Glauben an Jesus Christus weder von fremden Militärmächten noch von irgendeiner militärischen Macht die Hilfe für unser Volk erhoffen." Die Begründung für diese Entscheidung lag dabei - da ausdrücklich der Verdacht des „politischen Pazifismus" oder von „antimilitaristischem Ressentiment" abgelehnt wurde - allein in der nicht in Frage gestellten nationalistischen Zielsetzung. Die Nation, das Volk ist auch hier eine Größe von geradezu theologischem Gewicht und verrät sich damit als ein Tabu, das keine Befragung verträgt. Daneben wurden noch eine Reihe von konkreteren politischen Argumenten angeführt: eine Wiederaufrüstung würde einen Krieg geradezu provozieren, denn „Rüstungspotential ist . . . eine dynamische Kraft, die zur Anwendung drängt". Ferner tauchte in diesem Zusammenhang zum erstenmal die Forderung nach einer Volksbefragung auf: „Die Remilitarisierung gegen den Willen des größten Teiles des Volkes würde statuieren, daß die Freiheit, die verteidigt werden soll, bereits verloren ist." 3. Die Kriegsdienstverweigerung wurde nicht dem einzelnen Gewissen überlassen, sondern als eine grundsätzliche Kriegsdienstverweigerung proklamiert: „Darum verweigern wir in der heutigen Lage Deutschlands den Kriegsdienst ohne Rücksicht darauf, ob das Recht dazu verfassungsmäßig gesichert bleiben wird oder nicht", denn: „Die Entscheidung i s t . . . so ernst, daß die Gemeinden sie nicht einfach dem starken oder schwachen Gewissen des einzelnen auf dem versuchsreichen Kampffeld der öffentlichen Diskussion anheimstellen dürfen." In diesem Argument zeigt sich, daß eine klare politische Stellungnahme, die einen anderen Weg ausschließt, folgerichtig zum Griff nach der Freiheit des Gewissens werden muß. Die Sprengkraft, die in dieser Absage an einen grundlegenden theologischen Konsensus der E K D , aber nicht nur der E K D lag, mußte darum notwendigerweise jenseits aller Parteinahme für die eine oder andere politische Lösung zum Eklat führen. Die politische Radikalisierung der Kirchlichen Bruderschaften führte sie hier von ihrem calvinistischen Erbe her zu einem ethischen Rigorismus, mit dem sie sich innerhalb der E K D als Sekte isolieren mußten.

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4. Gegenüber dem Essener Wort des Rates der EKD, das in seinem Ja zu einem „ausreichenden Polizeischutz" sich offensichtlich hinter entsprechende Pläne zur Verstärkung der Bundespolizei stellen wollte, lehnte die „Handreichung" eine Verstärkung der Polizei ab, weil sie die Gefahr heraufkommen sah, daß sich die Bundesrepublik, wie im „Dritten Reich" geschehen, in einen Polizeistaat verwandele, in dem der Andersdenkende keinen Rechtsschutz mehr genieße. Die „Handreichung" erweist sich so bei näherem Zusehen als Dokument eines tiefsitzenden Mißtrauens gegen die Politik der damaligen Bundesregierung, und - in ihrer kompromißlosen Forderung auf jeden Verzicht einer Wiederbewaffnung und nach politischer Neutralität Deutschlands - als letztlich politische Romantik, für die trotz aller Opposition gegen jedes Militärwesen bei der Bevölkerung der Bundesrepublik kein Rückhalt vorhanden war. Dem ausgewogenen politischen Urteil Heinemanns und Gollwitzers erwies diese Art der einseitigen Parteinahme keinen Dienst, da sie dem politischen Gegner zu bequeme Angriffsflächen bot und damit eine ernsthafte Diskussion von deren Anliegen eher verhinderte 90 . Theologisch weniger angreifbar, dafür aber politisch um so provozierender waren die beiden Offenen Briefe an Adenauer 91 , von denen verständlicherweise Niemöllers Offener Brief die höchsten Wogen schlug; er mußte dem Bundeskanzler besonders unangenehm sein, da Niemöller zum damaligen Zeitpunkt im Ausland noch immer als der Vertreter des „besseren Deutschland" hohes Ansehen genoß. In seinem Brief beschuldigte Niemöller den Bundeskanzler, unter Hintergehung der Öffentlichkeit bereits konkrete Maßnahmen zur Remilitarisierung Westdeutschlands eingeleitet zu haben. Er forderte ihn auf, entweder eine Volksbefragung durchzuführen oder Neuwahlen ausschreiben zu lassen, da der gegenwärtige Bundestag nicht legitimiert sei, im Namen des Volkes „Kriegsrüstung oder Kriegsbeteiligung" zu betreiben. Konkret warf Niemöller dem Kanzler vor: 1. Es seien hohe Offiziere der alten Wehrmacht seit dem 1. Oktober in Organisationsstäben mit der Aufstellung deutscher Einheiten beschäftigt. 2. Es seien Rüstungsaufträge an die deutsche Industrie erteilt worden. 3. Der Kanzler habe McCloy und dem britischen Hochkommissar die baldige Bereitstellung deutscher Divisionen für eine westeuropäische Streitmacht zugesichert. Zum ersten Vorwurf machte Niemöller später in seiner berühmten Rede über die Freiheit auf dem Männersonntag in Frankfurt/Main 90 91

Vgl. audi D. KOCH, Heinemann, S. 213. KJ 1950, S. 174 ff.

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am 15. Oktober 92 genauere Angaben, die dazu beitrugen, daß dieser Vorwurf auch in der Presse ausführlich diskutiert wurde. Während der zweite Punkt seiner Vorwürfe wahrscheinlich wirklich auf Fehlinformationen beruhte 93 , traf der dritte um so mehr ins Schwarze. Er fand seine Bestätigung durch den unmittelbar darauf endgültig vollzogenen Rücktritt Heinemanns. Nun konnten keine Beschwichtigungsversuche mehr die tatsächlich vorhandene Krise in Adenauers Kabinett vertuschen. Auch der Bundeskanzler, der den Rücktritt Heinemanns herunterzuspielen trachtete, mußte nun öffentlich zu den aufgetretenen Anschuldigungen Stellung nehmen. Dies tat Adenauer am 11. Oktober in einer Rundfunkrede 94 . Es war seine erste Rede an das deutsche Volk, in der er widerwillig seine Politik rechtfertigte. Wer von dieser Rede des Kanzlers freilich eine klare und unzweideutige Antwort oder audi nur eine klare Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Zum Rücktritt Heinemanns, der die Öffentlichkeit stark beunruhigt hatte, nahm er überhaupt nicht Stellung. Tags darauf über den Inhalt eines Interviews befragt, das Heinemann gegeben hatte, sagte er nur sarkastisch: „Ich lehne es ab, diese Erklärung Heinemanns überhaupt zu lesen. Im übrigen habe ich bis jetzt geschwiegen, und ich kann audi weiter schweigen."95 Auf Heinemanns politische Argumente, die immerhin eine ernst zu nehmende Alternative zu seiner eigenen politischen Konzeption darstellten, ging er weder an dieser noch an anderer Stelle ernsthaft ein, sondern tat Heinemann schlicht als religiösen Schwärmer ab 96 . Auch Niemöller, dessen Offener Brief ihm ausgesprochen ungelegen gekommen sein mußte, wurde mit keiner Silbe erwähnt. Adenauer sprach lediglich von den „öffentlichen Briefen einiger deutscher Stellen . . . die übrigens nidit von besonders großem Verantwortungsgefühl zeugen"97, und stellte fest, daß die Verfasser von der politischen Wirklichkeit offenbar keine Ahnung hätten; denn sonst würden sie nicht so absurde Behauptungen aufstellen. Statt also zu den konkreten Befürchtungen und Vorwürfen Stellung zu nehmen, stellte Adenauer seine Ansprache unter das Thema „Die internationale Lage und Deutschland" und unterstrich den unschätzbaren Wert der alliierten Sicherheitsgarantie angesichts der gefährlichen internationalen Lage. „Ich glaube", so folgerte er, „das deutsche Volk muß mit großer Befriedigung und Freude davon Kenntnis neh92

Vgl. ebd., S. 186 ff.; bes. S. 187.

93

V g l . D . KOCH, H e i n e m a n n , S. 2 0 1 ; 2 0 9 ff.

94

Vgl. N Z , 6. Jg., Nr. 242 vom 12. Oktober 1950. Vgl. ebd., Nr. 243 vom 13. Oktober 1950. Vgl. auch K. ADENAUER, Erinnerungen 1945-1953, S. 360.

95 96

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men, daß der früher einmal ausgesprochene Gedanke von einer hinhaltenden Verteidigung bis zum Rhein damit endgültig der Vergangenheit angehört." 98 Die eigentlich brisante Frage, nämlich die, ob er - wie Niemöller und Heinemann behaupteten - deutsche Soldaten angeboten habe, beantwortete er ausweichend. Die Bundesregierung sei keinerlei „Verpflichtungen" eingegangen und niemand sei mit einer diesbezüglichen Frage an sie herangetreten". Demjenigen, der gegen die Politik des Bundeskanzlers mißtrauisch geworden war, konnte diese Antwort freilich nicht genügen. Sie mußte vor allem auch deswegen unbefriedigt lassen, weil er in seiner Ansprache mit keinem Wort auf das Problem des geteilten Deutschland eingegangen war, das ja das Hauptargument gegen eine Wiederbewaffnung war und blieb. Die Forderung nach einer Volksbefragung oder Neuwahl lehnte Adenauer kategorisch mit dem Hinweis darauf ab, daß das Grundgesetz so etwas nicht vorsehe. Er war sich selbstverständlich darüber im klaren, daß die Mehrheit des deutschen Volkes zu dem damaligen Zeitpunkt jede Wiederbewaffnung ablehnte und daß Neuwahlen oder eine Volksabstimmung einen schweren Rückschlag für sein Konzept einer in die westliche Gemeinsdhaf t voll integrierten Bundesrepublik bedeutet hätten. Immerhin ist es erstaunlich, daß er seine Konzeption so unbeirrt weiterverfolgen konnte und daß die Stimme der Opposition die damals praktisch nur außerhalb des Parlaments laut wurde und sich auf den linken Flügel der Bekennenden Kirche sowie einzelne Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens 100 beschränkte - keine Massenbasis fand. Zu erklären ist dieser Umstand eigentlich nur damit, daß das deutsche Volk damals von der durch die Marshallplanhilfe unterstützten Aufgabe des wirtschaftlichen Wiederaufbaus so fasziniert war, daß die anderen brennenden politischen und nationalen Themen davon völlig überdeckt wurden. Zudem bestanden wenig Möglichkeiten, sich vorurteilsfrei über politische Sachverhalte zu informieren, so daß der Widerstand gegen eine Wiederbewaffnung nur dumpf gefühlt wurde, sich aber nicht sachgemäß artikulieren konnte. Diesem rein gefühlsmäßigen Widerstand des „Ohne mich!" trug Adenauer durch seine Politik des Schweigenkönnens Rechnung, darauf spekulie8 8 Vgl. ebd. Vgl. oben A n m . 94. In seiner A n t w o r t auf diese ausweichende A u s k u n f t Adenauers stellte H e i n e m a n n in der E r k l ä r u n g „Deutsche Sicherheit" fest: „ I n der Radioansprache a m 11. O k t o b e r erklärt der Bundeskanzler, daß keine Verpflichtungen zu einer Beteiligung eingegangen seien. D a s hatte niemand behauptet. Zur E r ö r t e r u n g steht lediglich eine Bereitwilligkeitserklärung. D a r ü b e r wird deutscherseits geschwiegen. Was also steht nun im M e m o r a n d u m des Bundeskanzlers v o m 29. August, dem die Bundesregierung a m 31. August zugestimmt h a t ? " ( K J 1950, S. 181). 97 09

1 0 0 D a z u gehörten auch M ä n n e r wie Reinhold Schneider, der aber in der katholischen Kirche ziemlidi isoliert d a s t a n d .

Aufarbeitung der kirdienpolitisdien Spannungen

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rend, daß auch für das Volk die alte Regel gelte: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!"

4. Die Aufarbeitung der kirchenpolitischen Spannungen des Herbstes 1950 im Rat der EKD und auf der Synode in Hamburg 1951 Die Wirkung des Vorgehens Niemöllers und der Kirchlichen BruderBruderschaften in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit war beträchtlich. Auf der nächsten Tagung der EKD-Synode, die vom 1. bis 5. April 1951 in Hamburg stattfand, resümierte Niemöller selbst: „ . . . von Sydney über N e w Y o r k bis nach London und heute in Paris ist ja dieser Schrei nun gehört worden. Und . . . ich . . . bin . . . allerdings der Meinung, daß wir eine plötzliche Katastrophe im allerletzten Augenblick verhindert haben." 1 0 1 Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Schlußfolgerung stimmt 1 0 2 oder ob nicht auch ohne diesen „Schrei" die politischen und die psychologischen Vorbehalte bei einer ganzen Reihe westlicher Staaten ein allzu rasches militärisches Wiedererstarken der Deutschen verhindert haben würden. Die von G. Wettig und K . von Schubert zusammengegetragenen Fakten sprechen für diese Vermutung 1 0 3 . Richtig war aber an Niemöllers Selbsteinschätzung in dieser Frage so viel, daß seine Angriffe gegen die Politik des Bundeskanzlers den ehemaligen Kriegsgegnern als Bestätigung ihrer ohnehin vorhandenen Ressentiments 104 gegen eine deutsche Wiederaufrüstung dienten und insofern indirekt zu einer Verzögerung entsprechender Anstrengungen beitrugen. In der deutschen Öffentlichkeit und auch in der evangelischen Kirche wog aber vor allem die Tatsache, daß Niemöller endlich einmal „zur Ordnung und zur Klarheit 1 0 5 gerufen und damit die Diskussion einer so entscheidenden Frage wie die einer deutschen Wiederbewaffnung zu einer öffentlichen Sache gemacht hatte. Erst die durch ihn ausgelöste öffentliche Diskussion machte ja die Gegnerschaft weitester 101

HAMBURG 1 9 5 1 , S . 9 3 - 9 5 .

Vgl. das Votum Gerstenmaiers, in dem es heißt: „Ich glaube nicht, daß es richtig ist, wie er [Niemöller] die geschichtliche Bedeutung seiner Parteinahme heute beurteilt. Ich glaube nicht, . . . daß die Gefahr, vor der das deutsche Volk und die Völker E u r o p a s . . . gestanden haben, überwunden i s t . . ( e b d . , S. 98). 102

103

V g l . G . W E T T I G , E n t m i l i t a r i s i e r u n g , S . 3 1 8 f f . ; K . VON SCHUBERT,

Wiederbe-

waffnung, S. 26 ff. 1 0 4 So griff Adenauer Niemöller auf dem Parteitag der C D U in Goslar an und warf ihm vor, daß „Niemöllers Vorgehen in Frankreich Beachtung finden wird und bei der SED größten Beifall ausgelöst habe" ( K J 1950, S. 191 f.). Audi Dibelius verwies in seinem Beridit vor der Hamburger Synode auf die überaus positive Reaktion des Ostens gegenüber Niemöllers Vorstößen (HAMBURG 1951, S. 21). 1 0 5 So Heinemann (vgl. K J 1950, S. 198).

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Kreise des deutschen Volkes gegen jeden Gedanken an eine Wiederaufrüstung sichtbar. Was Heinemann mit seinem Rücktritt nicht gelungen war, gelang Niemöller. Selbst Kritiker haben diesen Aspekt gewürdigt 106 . Freilich trug die impulsive Art seines Vorgehens viel zur Personalisierung der Diskussion bei und provozierte damit eine falsche, der Sache selbst nicht eben dienliche Polarisierung in der EKD zwischen den Freunden Niemöllers auf der einen und seinen kirchenpolitischen Gegnern auf der anderen Seite. Diese Polarisierung verhinderte, daß die Sachargumente Heinemanns und Gollwitzers in ihrer Differenziertheit gewürdigt wurden 107 . Statt dessen orientierten sich beide Seiten an einem sehr vereinfachenden Feindbild. Was eigentlich Stilfrage war, wurde von lutherischer Seite als typisches Beispiel für die verderblichen Auswirkungen Barthscher Theologie betrachtet 108 . Umgekehrt wurde von den meisten Freunden Niemöllers die lutherische Kritik an Art und Weise des Eingreifens Niemöllers als heimliche Unterstützung der Remilitarisierungspolitik Adenauers betrachtet 109 . Diese Schlußfolgerungen und Unterstellungen finden sich übrigens noch bei D. Koch in seiner Heinemann-Monographie 110 und erweisen die Hartnäckigkeit einmal gewonnener Freund-Feind-Klischees. Es gab auch Versuche, diesen unzulässigen Verallgemeinerungen entgegenzuwirken, und zwar in beiden theologischen Lagern. Bestes Beispiel auf lutherischer Seite ist die von Erwin Wilkens verfaßte Stellungnahme des Theologischen Konvents der Bekenntnisgemeinschaft der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zu der Flugschrift „An die Gewehre? Nein!" 111 . Diese Stellungnahme steht in Tenor und Tendenz in wohltuendem Gegensatz zu den teilweise außerordentlich scharf gehaltenen öffentlichen Protesten, die von lutherischer Seite gegen Niemöller und seine Freunde vorgebracht worden ιοβ Vgl. ζ. B. die Stellungnahme des Theol. Konvents der Bekenntnisgemeinschaft der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers zu der Flugschrift „An die Gewehre? Nein!" (ebd., S. 196 ff.). 107

Das beklagt audi D. KOCH (Heinemann, S. 213). Vgl. unten S. 150 ff. ίο» Vgl. die Erklärung der Kirdilidi-theologischen Arbeitsgemeinschaft für N i e dersadisen vom 15. November 1950 (KJ 1950, S. 194 ff.). 110 D. KOCH verfällt ganz deutlich derselben Sdiwarz-Weiß-Malerei, wenn er allgemein von der „lutherischen Kritik" spricht, die sich unpolitischer gab als sie war, und in diesem Zusammenhang auch E. Wilkens nennt, als wäre auch dieser insgeheim ein Verfechter der politischen Linie Adenauers gewesen (Heinemann, S. 211); ähnlich auch M. SCHUMANN (Niemöller, S. 260 f., Anm. 52). 111 KJ 1950, S. 196 ff. Erwin Wilkens, geb. 11. 7. 1914 in Lingen/Ems, 1939-1945 Kriegsdienst, 1941 Pfr. in Hannover, 1947 in Vöhrum/Kreis Peine, 1951 theol. Referent und Leiter der Pressestelle der VELKD im Luth. Kirchenamt, 1964 Referent für Öffentlichkeitsarbeit, 1975 Vizepräsident der Kirdienkanzlei der EKD. 108

Aufarbeitung der kirchenpolitischen Spannungen

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waren. Es ist deutlich, daß sich Wilkens unausgesprochenermaßen von diesen Protesten, insbesondere den Erklärungen des bayerischen Landeskirchenrats112 und der hannoverschen Synode 113 distanzierte 114 , die in den Kreisen der Bekennenden Kirche Erinnerungen an das Verhalten der lutherischen Seite in Zusammenhang mit der Gebetsliturgie von 1938 hervorrufen mußten 115 . Wilkens bemühte sich, den peinlichen Eindrudk, den diese lutherischen Erklärungen hervorgerufen hatten, abzumildern. Den Vorwurf der latenten politischen Parteilichkeit, der von Anhängern Niemöllers und den Bruderschaften gegen diese Erklärungen erhoben worden war, versuchte er dadurch zu entkräften, daß er sie als primär theologisch motiviert interpretierte. Indem er ausführlich das politische Anliegen der Freunde Niemöllers würdigte und sich selbst als ihr politischer „Gesinnungsgenosse" bezeichnete, machte er evident, daß die politischen Gegensätze nicht einfach mit den theologischen Gegensätzen identisch waren. Niemöller und seine Freunde seien nicht politisch zu kritisieren, sondern von der ZweiReiche-Lehre her. Wilkens' Kritik richtete sich - bei ausdrücklicher Billigung des politischen Anliegens Niemöllers - gegen den „prophetischen Anspruch", mit dem der Kreis um Niemöller seiner Meinung nach auftrat. Hier werde nicht die Möglichkeit offen gehalten, daß jemand aus christlicher Verantwortung heraus aufgrund einer anderen Beurteilung der politischen Lage zu einer gegensätzlichen Einstellung in der Frage der WiederbewafFnung komme. Die Christlichkeit des politischen Gegners werde damit in Frage gestellt. 112

Ebd., S. 193 (24. Oktober 1950). Ebd., S. 194 (25. Oktober 1950). 114 Die Richtigkeit dieser Interpretation seiner „Stellungnahme" hat mir Wilkens mündlich bestätigt. 115 Der peinliche Eindruck einer Parallele zu dem damaligen Verhalten der lutherisdien Bischöfe wurde durdi Unterschiede im Ton, auch zwischen der hannoverschen und der bayerischen Erklärung kaum gemildert. Beide Erklärungen bestritten die Legitimation Niemöllers, sich im Namen der Kirche zu politischen Fragen zu äußern und distanzierten sich von seiner einseitigen Stellungnahme, „ohne zu der Frage der Wiederbewaffnung . . . Stellung zu nehmen" (!). Die Entschließung der hannoverschen Synode warf Niemöller vor, sein „hohes kirchliches Amt" mißbraucht zu haben und war, da sie jede eigene Standortbestimmung vermissen ließ, nichts weiter als eine öffentliche Rüge. Die Erklärung des bayerischen Landeskirdienrats war wenigstens im Ton verbindlicher gehalten. Sie würdigte Niemöllers Verdienste im Kirdienkampf und bedauerte, sidi von ihm - gedacht war offenbar in erster Linie an den Stil seines Vorgehens absetzen zu müssen. Ein politisches Mandat der Kirche wurde grundsätzlich nicht bestritten; „aber dabei hat sie das Amt zu achten, das Gott der Obrigkeit gegeben hat". Unter indirekter Bezugnahme auf die Zwei-Reiche-Lehre wurde der Verkündigungsauftrag jedoch grundsätzlich unterschieden von der Verpflichtung des einzelnen Christen, in „politischen Tagesfragen" aus seinem Gewissen heraus zu einer verantwortlichen Entscheidung zu kommen. 113

144

Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbrudi des Korea-Krieges

Damit hatte Wilkens zweifellos den neuralgischen Punkt der Kontroverse aufgezeigt: Wenn, wie der Tenor der Veröffentlichungen der Bruderschaften dies nahelegte, mit der Frage der Wiederbewaffnung der status confessionis gegeben war, dann war die Gemeinschaft innerhalb der E K D tatsächlich in Frage gestellt - , und zwar an diesem Punkt nicht in erster Linie durch den lutherischen Konfessionalismus, auch nicht durch Niemöller selbst, sondern durch das prophetische Sendungsbewußtsein der Anhänger Niemöllers, die hier weit über Niemöller hinausgingen 116 . Als Beispiel dafür, daß es in manchen Kreisen der kirchlichen Opposition gegen die Wiederbewaffnung tatsächlich auch um die Frage ging, ob die Einheit der E K D noch aufrechterhalten werden könne oder ob nicht bereits wieder eine Kirchenkampfsituation bestehe, sei ζ. B. die Anfrage aus dem Unterwegs-Kreis erwähnt, auf die Karl Barth sich in seinem „Brief an einen Pfarrer" zum Schluß bezieht 117 . Daß im Kreis der Kirchlichen Bruderschaften, also der Gruppe um Mochalski, diese Frage diskutiert wurde, wurde bereits erwähnt 118 . Karl Barth ließ die Antwort auf diese Frage offen. Sein Brief 1 1 9 ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie - ohne zusätzlich Gräben aufzureißen - die Diskussion um die Frage einer Wiederbewaffnung auch hätte geführt werden können: nämlich als politische Sachdiskussion 120 . Karl Barth vermied nahezu jede theologische Absicherung, sondern argumentierte rein politisch, wobei sich seine Argumente weithin mit denen Heinemanns und Gollwitzers deckten: Bejahung der westlichen Demokratie, Ablehnung des Kommunismus (dessen aggressive Tendenzen nadi Meinung Barths durch einen westlichen Sozialismus rechtzeitig abgewehrt werden müßten), Warnung vor der Gefahr einer Provokation der Sowjetunion durch eine westdeutsche Aufrüstung, Rücksichtnahme auf psychologische Hemmnisse bei den ehemaligen Kriegsgegnern der Deutschen, und auf die Gefühle der eben erst entmilitarisierten deutschen Soldaten, und - last not least - eigene lie N; e m öller und Heinemann selbst haben immer an der Einheit der EKD festgehalten und können insofern nicht mit den entsprechenden Tendenzen etwa der Kirchlichen Bruderschaften identifiziert werden. 1 1 1 „Sie fragen mich, ob man es wegen der in dieser Sache bestehenden Differenz innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands auf einen neuen Kirchenkampf ankommen lassen dürfe und solle?" (KJ 1950, S. 220). 1 1 8 Vgl. oben S. 133. " » K J 1950, S. 214 ff.; vgl. auch K. BARTH, Der Götze wackelt, S. 150 ff. 1 2 0 H. G. JUNG weist darauf hin, daß weder in den Predigtpublikationen noch in seinen politischen Vorträgen Karl Barth das „Pathos und die Argumentation der politischen Prophetie an sich" habe: „Merkwürdigerweise ist der Ton politischer Prophetie seiner eigenen Predigt ganz fremd" (Befreiende Herrschaft, S. 121, bes. Anm. 165).

Aufarbeitung der kirchenpolitischen Spannungen

145

Ressentiments (!) gegenüber dem Wiedererstehen deutscher Soldatentugenden. Aber diese sachbezogenen Gesprächsbeiträge des Herbstes 1950 von Karl Barth und Erwin Wilkens blieben für die Situation der E K D nahezu ohne Belang. Sie konnten nicht darüberhinwegtäusdien, daß die alten Fronten wieder aufgebrochen waren, daß auf beiden Seiten alte Animositäten wieder neue Nahrung bekommen hatten und daß die Atmosphäre in der E K D wieder aufs äußerste angespannt war. Die auf Wunsch der lutherischen Bischöfe 121 für den 17. November 1950 nach Spandau einberufenen Kirchenkonferenz konnte die Spannungen nur notdürftig überbrücken. Die nach langen und harten Auseinandersetzungen schließlich verabschiedete gemeinsame Entschließung von Rat der E K D und Kirchenkonferenz 122 war, wie Dibelius später bitter vermerkte - ebenfalls nicht einmütig angenommen worden 123 und ist ein Dokument der Handlungsunfähigkeit des Rats der E K D in dieser Situation. Die Entschließung stellt zunächst fest, daß trotz aller Spannungen die Einheit der E K D außer Frage stehe. Diese Beteuerung, so erleichtert sie von vielen aufgenommen worden sein mag, bestätigt noch im Nachhinein, wie tief die Kluft tatsächlich geworden war. Eine Stellungnahme zur Frage der Wiederbewaffnung, etwa eine Bestätigung des Essener Wortes des Rates der EKD 1 2 4 , wie sie von der Bekennenden Kirche zumindest erwartet worden war, aber konnte der Rat nicht abgeben. Nun rächte sich die Tatsache, daß das Essener Wort des Rates der E K D praktisch nur durch einen Abstimmungstrick - ohne die Stimmen der Lutheraner 125 - zustande gekommen war. Dem Rat der E K D blieb jetzt nichts anderes übrig, als seine damalige Äußerung 1 2 1 Beschluß der Bischofskonferenz der V E L K D vom 26. Oktober 1950 ( A V E L K D , 234). In einem offiziellen Schreiben bat Meiser als Leitender Bisdiof der V E L K D den Ratsvorsitzenden Dibelius am 27. Oktober 1950 im Auftrag der Bischofskonferenz, gemäß Art. 28 Abs. 3 der Grundordnung der E K D die Kirchenkonferenz einzuberufen und „im Anschluß daran in einer Ratssitzung die notwendigen Beschlüsse zu fassen" (ebd., 533/1). 1 2 2 Vgl. K J 1950, S. 223 f. 1 2 3 HAMBURG 1951, S. 22. - Proteste gegen die Entschließung gab es von Links und Redits, so ζ. B. von der Neuendettelsauer Gesellschaft (vgl. unten Anm. 128), von deren Einsprudi sich wegen der Form und des darin enthaltenen „Verdammungsurteils" der oldenburgische Bischof Wilhelm Stählin in einem Brief an Pfr. H a gen Katterfeld, den persönlichen Referenten Meisers, vom 30. Dezember 1950 distanzierte ( A K K HANNOVER, 345/11). 124 K J 1950, S. 165; vgl. oben S. 127 f. 1 2 5 D a s geht aus Meisers Bericht als Leitender Bisdiof der V E L K D auf der Luth. Generalsynode vom 17. bis 21. Mai 1951 in Rostock hervor (GENERALSYNODE 1951, S. 307).

146

Wiederbewaffnungsdiskussion nadi Ausbruch des Korea-Krieges

(„einer Wiederbewaffnung können wir das Wort nicht reden") zurückzunehmen und die Frage der Wiederbewaffnung ausdrücklich zur politischen Ermessensfrage zu erklären, die „im Glauben verschieden beantwortet werden kann". Niemöllers und Heinemanns Anliegen wird in seinem Ernst und seinem Gewicht gewürdigt; der Stil, in dem die Auseinandersetzung zwischen Niemöller und Adenauer stattgefunden hat, bedauert. Damit hat, gemessen an den Vorüberlegungen in der lutherischen Bischofskonferenz, eine mittlere Linie gesiegt. Bestrebungen, den Rat dahingehend zu beeinflussen, „die Ämter D. Niemöllers als Mitglied des Rates und als Leiter des Kirchlichen Außenamtes vorläufig ruhen zu lassen"126, waren schon auf der Sitzung der Bischofskonferenz am 16. November 1950 endgültig verworfen worden. Auch die im letzten lutherischen Vorentwurf 127 vorgesehene grundsätzliche Absage an jede politische Betätigung kirchlicher Amtsträger und die indirekte Rüge „führender Männer unserer Kirche", „weil sie in verhängnisvoller Weise politische und kirchliche Urteile vermengt haben", hat sich nicht durchgesetzt, sondern wurde durch gleichmäßige Kritik an Niemöllers und Adenauers Verhalten neutralisiert. So war die Spandauer Erklärung für Linke und Rechte eine Enttäuschung. Insbesondere von lutherischer Seite wurde die Erklärung als so unbefriedigend empfunden, daß immerhin Überlegungen angestellt wurden, ob die VELKD nicht ein eigenes Votum zur Niemöller-Frage abgeben müsse128. Von die120 Vgl. den im Anhang als Dokument 4 abgedruckten Entwurf Katterfelds für eine Stellungnahme der Kirchenkonferenz der EKD vom 14. November 1950. Zwei weitere Entwürfe aus der H a n d des Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD, Heinz Brunotte, und des Eisenacher Oberkirdienrats Gerhard Lötz wurden auf der Sitzung der Bischofskonferenz am 16. November 1950 zusammen mit dem Entwurf Katterfelds von einer kleinen Arbeitsgruppe zu dem endgültigen Entwurf der Bischofskonferenz der VELKD für die Kirdienkonferenz der EKD umgearbeitet (AVELKD, 234/1 und 7511/1). 127 Ebd., 7511/11. 128 Dies geht aus einem Beschluß der Kirdienleitung der VELKD vom 7. Dezember 1950 hervor, der ausdrücklich festhält, daß „von einer besonderen Stellungnahme der Vereinigten Kirche zum Fall Niemöller" abgesehen werden soll (ebd., 224). Überlegungen in dieser Richtung waren durch den Einspruch der Neuendettelsauer Gesellschaft gegen die Entschließung des Rates der EKD vom 17. November 1950 zum Fall Niemöller provoziert worden. Daß dieser Einspruch offenbar der Tendenz der Mehrzahl der Mitglieder der Kirchenleitung der VELKD entgegengekommen wäre, ergibt sidi aus einem Brief Katterfelds an Brunotte vom 19. Dezember 1950, in dem Katterfeld folgende Ergänzungen für das Protokoll der Kirdienleitungssitzung vorschlägt: „Die Kirdienleitung hat in Form einer allgemeinen Zustimmung davon Kenntnis genommen, aber zugleich zum Ausdruck gebracht, daß in bezug auf den im Einspruch ausgesprochenen Wunsch (Niemöller möchte aufgefordert werden, seine Ämter zur Verfügung zu stellen), kein Beschluß gefaßt werden könne und solle, zumal der Rat sich damit nicht befaßt hatte" (ebd.).

Aufarbeitung der kirdienpolitisdien Spannungen

147

sen Überlegungen nahm man mit Rücksicht auf die ohnedies gespannte Atmosphäre in der EKD zwar wieder Abstand 129 , die Kirchenleitung der VELKD beschloß statt dessen auf Vorschlag Meisers130 auf ihrer Sitzung am 7. Dezember 1950 eine eigene Stellungnahme zum Thema „Kirche und Politik" zu erarbeiten und zu veröffentlichen, die „im Hinblick auf die allgemeine Verwirrung in der Frage ,Kirche und Politik' . . . bezeugt, was es bedeutet, daß Christen Bürger zweier Welten sind"131. Die Vorarbeiten zu dieser geplanten Kundgebung der lutherischen Bischofskonferenz nahmen mehr als ein Jahr in Anspruch132. Sie trugen aber mit dazu bei, daß das Unbehagen an dem Ergebnis der Spandauer Kirchenkonferenz sich nicht in weiteren ungeschützten persönlichen Anwürfen Luft machte, sondern zu einem grundsätzlichen Nachdenken innerhalb der VELKD führte. Der enttäuschenden Wirkung des Spandauer Ergebnisses war man sich auch im Rat der EKD wohl bewußt. „Wir haben uns während dieser ganzen Jahre nicht gescheut, in das öffentliche Leben unseres Volkes hineinzusagen, was wir im Namen des Herrn Christus sagen zu müssen glaubten. Wir sind dabei jetzt offenbar an eine Grenze gestoßen" 133 , so beschrieb Dibelius in seinem Bericht auf der Synode von Hamburg die Situation. Die „Grenze", an die die EKD gekommen war, war erreicht worden, weil - von wenigen radikalen Vertretern der kirchlichen „Linken" abgesehen - niemand ernstlich be12» Vgl. Brief Meisers an Dr. von Krause, Neuendettelsauer Gesellschaft, vom 19. Dezember 1950: „In der Kirchenleitung . . . haben wir den Einspruch mit Zustimmung zur Kenntnis genommen, konnten jedoch in der augenblicklichen Lage dem darin ausgesprochenen Wunsch nicht durch konkrete Beschlüsse Rechnung tragen" (ebd., 7510/1). 130 Vgl. Brief Katterfelds an Hübner vom 20. November 1950. Katterfeld erwähnt zunächst die Enttäuschung Meisers über den Verlauf der Spandauer Sitzungen. Wegen Niemöller und „anderer Schwärmer" sei nach Meinung Meisers jetzt eine klare lutherische Äußerung zur Frage der beiden Reiche nötig, die von einem kleinen Ausschuß vorbereitet werden solle: „Die Sache ist ja deshalb so dringend, weil wir auf keinen Fall dabei stehen bleiben dürfen, nur das zu sagen, was wir an Niemöller und seinen Freunden auszusetzen haben. Das allein ist nur negativ zu werten, wenn wir nicht auch sagen können, was der echte .politische Auftrag' der Kirdie ist. Wenn wir das nicht sagen können, begeben wir uns jeglichen Rechts zur Kritik. Manches Widerstreben der Niemöllerianer gegen alles, was von unserer Seite kommt, liegt ohne Zweifel darin begründet, daß wir nur ,nein* sagen, aber nicht wissen, wie die Kirche sidi nun in rechter Weise in diesen Dingen verhalten soll" (ebd., 7511/1). Dieser Ansatz einer lutherischen Selbstkritik war sicher mit ein Grund, weshalb die Kirchenleitung der VELKD auf eine Erneuerung lutherischer Distanzierungen von Niemöller verzichtete, und die Arbeit an der Kundgebung zur politischen Verantwortung der Kirdie vom 12. März 1952 vorantrieb (vgl. ebd., 7510). 131

Vgl. Schreiben der VELKD vom 20. Dezember 1950 an Wilkens, Ellwein, Andersen, Kunst, Hoffmann (ebd., 7511/1). 132 Die Kundgebung wurde am 12. März 1952 erlassen (vgl. dazu unten S. 167). 1SS

HAMBURG 1951, S. 2 3 .

148

Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges

reit war, die Einheit der E K D aufs Spiel zu setzen. Der feste Wille, diese Einheit aufrechtzuerhalten - wobei kirchenpolitische und nationale Gründe sich die Waage gehalten haben dürften - hatte alle so unter Druck gesetzt, daß eine klare Stellungnahme oder gar eine „Entscheidung" vom Rat nicht mehr gegeben werden konnte. So mußte die Wiederbewaffnungsfrage zur reinen Ermessensfrage heruntergespielt werden, wollte man sich nicht grundsätzlich vom politischen Mandat der E K D an dieser Stelle verabschieden. Daran hatte offensichtlich niemand gedacht. Auch auf lutherischer Seite hielt man ja ausdrücklich daran fest, daß es wohl auch einmal geboten sein könnte, im Namen der Kirche zu politischen Fragen Stellung zu beziehen134. D a der Rat in dieser Frage Stellung nicht beziehen konnte, mußte er die Öffentlichkeit mit der Erklärung zu befriedigen versuchen, daß der status confessionis noch nicht gegeben sei. Diese Erklärung mußte freilich wie eine Ausflucht wirken - was sie audi zugegebenermaßen war - , da die Leidenschaftlichkeit der innerkirchlichen Auseinandersetzung in dieser Frage ja ein deutlicher Beleg dafür war, daß die Frage der Remilitarisierung von allen Beteiligten als eine Schicksalsfrage des deutschen Volkes empfunden und verstanden worden ist. Insgeheim und audi offen hatte man wohl auch in der deutschen Öffentlichkeit auf eine Stellungnahme des Rates der E K D gegen eine Wiederaufrüstung gewartet, war doch - wie alle Umfrageergebnisse aus dieser Zeit erweisen135 - das deutsche Volk zum damaligen Zeitpunkt gegen jeden Gedanken an eine Wiederaufrüstung allergisch. Ein klares Votum des Rates der E K D gegen die Wiederaufrüstung wäre zum damaligen Zeitpunkt sicher nicht ohne politische Wirkung gewesen, sondern hätte der Politik Adenauers einen schweren Rückschlag versetzt, was seine Erregung über die Offenen Briefe Niemöllers und der Bruderschaften erklärt. Daß dieses Votum nicht kam, mußte sich umgekehrt als eine Bestätigung der Politik Adenauers auswirken und wurde jedenfalls auch weithin so verstanden. Der Hinweis darauf, daß „die Kirche entschlossen sei, dem Frieden in der Welt zu dienen", konnte diesen Gesamteindruck des Verzichts der E K D auf eine verbindliche Stellungnahme13® nicht verwischen. „Niemand", so stellte Dibelius rückblickend fest, „konnte erwarten, daß sie [die Erklärung] in der Öffentlichkeit oder auch nur in den evangelischen Gemeinden mit besonderer Befriedigung aufgenommen 134 Vgl. z 3 die Erklärung des bayerischen Landeskirchenrates vom 24. Oktober 1950 ( K J 1950, S. 193) und die Stellungnahme des Theol. Konvents der hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft (ebd., S. 196 ff.; bes. S. 198, 200). 135

138

E . NOELLE-NEUMANN, J a h r b u c h 1 9 4 7 - 1 9 5 5 , S . 3 5 5 ff.

Vgl. H.-E. JAHN, Wehrbeitrag, S. 151.

Aufarbeitung der kirchenpolitischen Spannungen

149

w ü r d e . . . Die Erklärung wollte und sollte dokumentieren, daß die evangelische Kirche nicht gewillt ist, die brüderliche Gemeinschaft ihrer Glieder durch Gegensätze politischer Art zerreißen zu lassen. Darin lag ihre Bedeutung - eine Bedeutung, die in der Polemik des Tages nur von wenigen verstanden werden konnte." 137 Für diejenigen, die - wie die Kirchlichen Bruderschaften - die evangelische Kirche als gesellschaftliche Kraft für eine grundsätzliche politische Opposition gegen die Politik Adenauers hofften mobilisieren zu können 138 , war die Rettung der Einheit der EKD freilich kein Trost. Dies zeigten spätestens die im Herbst 1951 erneut aufflammenden Auseinandersetzungen, die wieder zu der Frage führten, ob die Bekennende Kirche nicht den kirchlichen Notstand für wieder gegeben erklären müsse. Die Synode von Hamburg (1.-5. April 1951) stand eigentlich unter dem Thema „Der diakonische Auftrag der Kirche" 139 . Dennoch war sie mit einiger Spannung erwartet worden, weil man sich eine abschließende Stellungnahme zu den turbulenten Ereignissen des Herbstes 1950 erwartete. Tatsächlich brachte die Aussprache über diesen Fragenkomplex eine gewisse Entspannung in der EKD, was ζ. B. Meiser in seinem Bericht auf der Generalsynode der VELKD 1951 mit Genugtuung vermerkte 140 . Anstoß zu der klärenden Aussprache in Hamburg gab der Ratsvorsitzende Dibelius, der im ersten Teil seines Berichtes ausführlich auf die Auseinandersetzung in der Kirche um die Frage der Wiederaufrüstung einging141. Aus seiner Schilderung der politischen Ereignisse geht hervor, daß Dibelius in der Beurteilung der politischen Lage die verbreitete Meinung teilte, der Ausbruch des Korea-Krieges habe die Bedrohung der Bundesrepublik evident gemacht. Die wichtigsten Verlautbarungen und Aktivitäten, die nach Bekanntwerden der Initiativen Adenauers im Bereich der EKD von sich reden gemacht hatten, gab Dibelius im großen und ganzen kommentarlos wieder. Ausgesprochen allergisch reagierte er lediglich auf das Treffen zwischen Vertretern der Bekennenden Kirche und der SPD, weil die gemeinsame Verlautbarung zur 137

HAMBURG 1 9 5 1 , S. 2 2 .

138

„Der Versuch der Gegner der Wiederbewaffnung, die Kirche zwar nicht für eine politische Richtung, aber für die Opposition gegen eine parlamentarische Entscheidung zu mobilisieren, mußte gerade wegen seines missionarischen Charakters, um dessentwillen er unternommen wurde, schließlich scheitern." Die „Verbandsräson" hat „die politische Fixierung im Interesse der Unparteilichkeit verhindert" (P. MOLDT, Opposition, S. 65 f.). 139

V g l . HAMBURG 1 9 5 1 .

140

V g l . LUTH. GENERALSYNODE 1 9 5 1 , S. 14.

141

HAMBURG 1 9 5 1 , S. 18 ff.

150

Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbrudi des Korea-Krieges

Frage der WiederbewafFnung, die den Eindruck einer Aktionseinheit zwischen SPD und EKD zum Sturze der Regierung Adenauer hinterlassen habe 142 , eine unzulässige Politisierung der Kirche dargestellt habe. Das zusammenfassende Urteil über die Ereignisse gipfelte in der Feststellung, daß die „politischen Leidenschaften" in der Kirche noch immer sehr groß seien. Es sei wieder einmal deutlich geworden, „wie groß die Gefahr ist, daß das Leben und Denken der evangelischen Kirche durch politische Motive und politische Fragestellungen überfremdet werden könnte". „Wir werden mit doppelte Vorsicht darauf zu achten haben, daß die Kirche sich die Fragen, auf die sie in ihren Auseinandersetzungen eine Antwort sucht, nicht dauernd von der Welt her stellen läßt, sondern daß sie die Welt vor ihre Fragen stellt." 143 Dibelius bedauerte besonders die Gruppenbildungen in der Kirche und den weltlichen Stil der politischen Auseinandersetzungen, um dann abschließend noch einmal zu betonen, daß das entscheidende Ergebnis jener bitteren Wochen sei, daß die EKD an den politischen Gegensätzen nicht zerbrochen sei. Wie nicht anders zu erwarten, entzündete sich die zwei Tage später folgende Diskussion dieses Teiles des Ratsberichts insbesondere an der Frage, ob die Art und Weise des Eingreifens Niemöllers und seiner Freunde eine unzulässige Politisierung der Kirche dargestellt habe oder nicht. Die Stilfrage wurde dabei verhältnismäßig rasch erledigt, weil Niemöller selbst freimütig zugestand, auf dem „Parkett der Politik" ausgerutscht zu sein, und mit der Bemerkung, „man kann ja auch da wieder aufstehen" 144 , möglichen weiteren Kommentaren zu dieser Frage den Wind aus den Segeln nahm 145 . So ging es in der Aussprache neben mehr oder weniger sachlichen Beiträgen zur Stellungnahme Niemöllers hauptsächlich um die Frage der richtigen Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre, deren grundsätzliche Relevanz von niemandem bestritten wurde. Als Gegenspieler Niemöllers und seiner Freunde trat auf dieser Synode erstmals Eberhard Müller in Erscheinung, der sich in den folgenden Jahren immer mehr zum kämpferischen Anwalt der lutherischen Position entwickeln sollte146 und durch sein Vorgehen viel dazu bei142

Diese Vermutung wurde von Dibelius zwar nur angedeutet, aber aus der Erwiderung Niemöllers geht hervor, daß in der ursprünglichen Fassung des Ratsberichtes eine solche Behauptung vorgesehen war (ebd., S. 25 f., 93). 143 144 Ebd., S. 23 f. Ebd., S. 95. 145 Nur Lilje ging noch einmal ausführlicher auf die Stilfrage der ganzen Auseinandersetzung ein, die die Gefahr in sich getragen habe, „daß wir einander den Brudernamen absprachen" (ebd., S. 104). 146 Vgl. dazu unten S. 164 ff. Eberhard Müller, geb. 22. 8. 1906 in Stuttgart, 1938 Studentenpfr. in Stuttgart, 1945 Gründer und bis 1971 Leiter der Ev. Akademie Bad Boll, 1947-1972 Vor-

Aufarbeitung der kirdienpolitisdien Spannungen

151

trug, daß die theologischen Gegensätze innerhalb der EKD als in Wahrheit auch politische Gegensätze erlebt wurden - eine Sicht, die Müller freilich immer mit Vehemenz bestritt 147 . Die Auseinandersetzung zwischen ihm und den Anhängern Niemöllers auf dieser Synode soll wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung wenigstens in ihren Grundlinien skizziert werden. Niemöller, hierbei unterstützt von dem westfälischen Präses Ernst Wilm, der die Aussprache über den Ratsbericht eröffnete 148 , verteidigte einleitend sein Vorgehen. Er habe aus einer Notsituation heraus gehandelt. Es sei darum gegangen, eine Katastrophe vom deutschen Volk abzuwenden, nämlich die - so erläuterte er später diese Bemerkung daß die Deutschen mit der Wiederbewaffnung überfahren werden könnten. Wieder, wie schon in früheren Zusammenhängen, verwies er dabei auf das Beispiel vom barmherzigen Samariter, der auch nicht gefragt habe, ob er mit seiner Hilfeleistung an dem Verwundeten in ein fremdes Amt eingreife 149 . Das Nein zur Wiederaufrüstung sei, so kommentierte Wilm das Vorgehen Niemöllers und der Bruderschaften, „aus der heißen Sorge um den Menschen" gesagt worden 150 . Gegen diese Begründung wandte sich Eberhard Müller als erster Gegenredner. Er konstruierte, um seine Kritik festzumachen, ein Beispiel, das danach von mehreren Diskussionsrednern aufgegriffen wurde: „Wenn ich", so sagte er, „eines Tages im D-Zug fahre, und ich wäre der Überzeugung, daß der Lokomotivführer offenkundig seine Sache nicht richtig macht und daß die Gefahr besteht, daß er vielleicht Signale überfährt, und ich würde dann auf die Lokomotive gehen und ich würde sagen, das machst Du falsch, und würde in seine Handgriffe eingreifen" - so wäre das nach E. Müllers Deutung zwar subjektiv sicher gut gemeint, aber objektiv eben doch ein unerlaubter Eingriff in ein fremdes Amt. Die Begründung für das Vorgehen der Bruderschaften gelten zu lassen, würde - so Müller weiter - bedeuten, daß „dann die Kirche in jede konkrete Frage als Kirche eingreifen" könne, „bloß wenn sie die Überzeugung hat, daß es hier um Menschen geht". Das aber sei nach Müllers Meinung ein Generalangriff auf die Lehre von den beiden Reichen: „Dann würde die Lehre von den beiden Reichen und damit die Lehre von dem Unterschied des Amtes von Kirche und Staat einfach gestrichen werden." 151 sitzender des Leiterkreises der Ev. Akademien, 1964 Vorsitzender für Soziale Ordnung der EKD. 147

V g l . HAMBURG 1951, S. 109 ff. 148 Ebd., S. 89 ff. Ebd. und S. 9 3 151 152 Ebd., S. 9 7 . Ebd., S. 106. 148

ff.

150 153

Ebd., S. 9 0 . Ebd., S. 9 8 ff.

152

Wiederbewaffnungsdiskussion nach Ausbruch des Korea-Krieges

Den politischen Aspekt dieser scheinbar theologischen Kritik versuchte Hans-Joachim Iwand zu analysieren: er verwies auf das mangelnde demokratische Bewußtsein dieser Denkweise, die in ihrer Konsequenz - wie schon das von Müller gebrauchte Bild vom Lokomotivführer andeute - eine Rückkehr zum Führerprinzip bedeuten würde 152 . Mit dieser Kritik hatte Iwand zweifellos die eigentliche Schwäche der lutherischen Position getroffen. Leider fand sein Denkanstoß aber keine echte Resonanz, wenn man einmal davon absieht, daß Eugen Gerstenmaier schon vorher zum Ausdruck gebracht hatte, daß ihm - trotz mancher Bedenken - das Engagement der Freunde Niemöllers lieber sei als politische Enthaltsamkeit oder pures Desinteresse153. Nur Hermann Dietzfelbinger nahm Iwands Faden noch einmal auf und fragte zurück, ob mit der Wahrnehmung der politischen Verantwortung durch die Christen denn „Amt und Auftrag und Ehre dessen verschwunden und überholt ist, was im Neuen Testament und bei Luther Obrigkeit heißt" 154 . Tatsächlich lag genau hier das Problem. Konnte eine Kirche, die staatliche Macht immer noch als obrigkeitliche Macht verstand, überhaupt politische Verantwortung tragen? Konnten die im Luthertum tradierten Denkschemata, die sich unter obrigkeitlichen Herrschaftsverhältnissen entwickelt und „bewährt" hatten, auch unter den total anderen Bedingungen einer Demokratie brauchbar bleiben? Mußte die Kirche nicht, solange sie an diesen Denkschemata festhielt - und niemand auf dieser Synode, ausgenommen vielleicht Iwand, stellte sie in Frage - zwangsläufig immer wieder in die Rolle des „Untertanen" zurückfallen? Zweifellos gab es auch andere Möglichkeiten, die lutherische Tradition zu respektieren und für die Frage nach der politischen Verantwortung der Kirche fruchtbar zu machen. Dafür lieferte Bischof Eivind Bergrav von Norwegen mit seinem Referat auf der Tagung des lutherischen Weltbundes in Hannover 1952 ein viel beachtetes Beispiel155. Aber im deutschen Luthertum mit seiner ganzen anderen Geschichte steckte diese Diskussion zum damaligen Zeitpunkt noch ganz in den Anfängen. Auf der Synode von Hamburg lieferte allein Iwand mit seinem Beitrag ein Beispiel dafür, wie - in Konsequenz Barthscher Theologie — die Frage nach der richtigen Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre neu überdacht werden könne. Die württembergischen Pietisten und selbstverständlich Karl Barth - so führte Iwand aus - hätten gelehrt, daß man die Hoffnung des Alten Testaments nicht spiritualisieren und die Lehre von den beiden Reichen nicht so entwickeln dürfe, daß „die Erde nicht des Herrn ist und der Erdboden nicht dem gehört, der ihn 154 155

Ebd., S. 120. Vgl. dazu unten S. 170.

Aufarbeitung der kirdienpolitischen Spannungen

153

geschaffen hat, und daß wir die Verheißung des Alten Testamentes, daß alle blutige Rüstung verbrannt werden wird und die Kleidung derer, die mit Ungestüm rüsten, weil uns ein Sohn geboren ist, . . . daß wir das nicht spirituell und idealistisch verstehen dürfen, sondern daß das für diese Erde gilt und für das Volk Gottes". Zwar müsse man beide Reiche unterscheiden, aber beide Reiche gehörten unter Gottes Herrschaft; darum gebe es auch nur eine „relative Unterscheidung der beiden Reiche"156. Diese Interpretation blieb selbstverständlich nicht unwidersprochen157, aber zu einer gründlichen Klärung der theologischen Standpunkte kam es nicht. Es fehlte hierfür nicht nur an Zeit, sondern die Synode war auch blockiert durch den Anlaß, der hinter dieser Aussprache steckte: die konkrete Opposition des Kreises um Niemöller gegen Wiederbewaffnungspläne der Bundesregierung. Aber auch in dieser politischen Frage kam es nicht zu einer klärenden Aussprache. Sinn der Aussprache über den Ratsbericht war so deutlich die Rechtfertigung der vorher bezogenen Positionen, die man sich nur als eine theologische Rechtfertigung denken konnte, daß die eigentliche politische Frage nur gelegentlich und fast verschämt angeschnitten wurde 158 . Allein Niemöller hatte die der politischen Lage einzig angemessene Frage gestellt, ob nämlich wirklich eine Wiederaufrüstung Westdeutschlands ein Beitrag zur Erhaltung des Friedens sein sollte159, aber statt sich dieser politischen Sachfrage zu stellen, wich die Synode in ihrer großen Mehrheit auf die Ebene theologischer Argumentation aus. Man würde freilich das wirkliche Dilemma, in dem sich die EKD mit dem von ihr beanspruditen politischen Mandat befand, unterschätzen, wenn man nicht sähe, daß tatsächlich die Interpretation und Verarbeitung ihrer lutherischen Tradition, die mit dem Reizwort Zwei-Reiche-Lehre nur unzureichend beschrieben ist, ihr Hauptproblem war. So war das scheinbare Ausweichen vor der Konfrontation mit den tatsächlichen politischen Problemen in die Diskussion der theologisch „richtigen" Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre, wie es 156

157

V g l . HAMBURG 1 9 5 1 , S. 1 0 7 f.

Kritisch äußerten sich außer E. Müller (ebd., S. 109 ff.) noch Putz (S. 112 ff.), Dietzfelbinger (S. 119 ff.) und Dipper (S. 117 ff.), der an Iwands Interpretation vor allem den eschatologisdien Aspekt vermißte. Zu einer gründlicheren Aussprache über diese wichtige theologische Frage kam es aber nicht; sie wurde vielmehr auf Antrag Müllers auf eine spätere Synode vertagt (S. 97). 158 Vgl. die Voten E. Müllers (ebd., S. 97 f.), Liljes (S. 103 ff.) und Gerstenmaiers, der sagte: „Ich finde nicht, daß die Wiederaufrüstung ein Thema für die EKD wäre, die ein solches Gremium wie die Synode auch nur von ferne beschäftigen dürfte" (S. 99). 159 Vgl. ebd., S. 94 f.

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Auseinandersetzungen angesidits der ΕVG-Verträge

nicht nur auf der Hamburger Synode beobachtet werden konnte, doch auch Ausdruck einer echten Aporie. Der stete Verweis auf die ZweiReiche-Lehre, die Frage, ob Niemöller in ein „fremdes Amt" eingegriffen habe, und die Frage nach der Würde der Obrigkeit zeigten nur, daß ein klares Verhältnis zur Demokratie fehlte und daß die EKD noch weit davon entfernt war, ihr politisches Mandat jenseits aller theologischen Rechtfertigung als ein selbstverständliches demokratisches Recht in Anspruch zu nehmen. So mußte die neuerliche Vergewisserung der in Eisenach 1948 gefundenen Formel, das die evangelische Kirche für den Frieden sei, als Konsensus genügen, der die Aufrechterhaltung der Einheit der EKD rechtfertigte1®0. Daß dieser Konsensus in Wirklichkeit nicht genügte, zeigte die im Herbst 1951 wieder aufbrechende Diskussion.

Kapitel 7

Die Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge 1. Die politische Entwicklung bis zum Scheitern der in der französischen Nationalversammlung1

EVG-Verträge

a. Die Bemühungen um eine Integration deutscher Kontingente in eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft Die Kontroverse um das Flugblatt „An die Gewehre? Nein!" beschäftigte die EKD noch weit bis in das Jahr 1951 hinein. Vom eigentlichen Anlaß, nämlich der durch den Korea-Krieg provozierten Sicherheitsfrage, entfernte man sich dabei immer mehr, voll damit beschäftigt, die einmal bezogenen theologischen und kirchenpolitischen Positionen zu verteidigen. Währenddessen gingen im westlichen Nato-Bündnis die Verhandlungen zur Schaffung eines wirksameren Verteidigungssystems zügig voran. Problematisch war jedoch die Frage der Einbeziehung westdeutscher Streitkräfte in dieses Verteidigungssystem. Die prinzipielle amerikanische Offenheit für eine westdeutsche Wiederbewaffnung im 180 Aus fast allen Beiträgen auf der Hamburger Synode wurde deutlich, daß man diesen Grundkonsensus nidit gefährden wollte; vgl. ζ. B. die Voten Niemöllers (ebd., S. 94), Wilms (S. 91), E. Müllers (S. 97 f.), Liljes (S. 105). Uneinigkeit bescheinigte man sich nidit im grundsätzlichen Willen zum Frieden, sondern in der Erkenntnis, wie dieser Friede am besten erhalten werde; diesen Dissensus formulierten am deutlichsten Niemöller (S. 94) und E. Müller (S. 98). 1 Zum Folgenden vgl. G. W E T T I G , Entmilitarisierung, S . 353 ff.; K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 34-37; D. KOCH, Heinemann, S. 225 ff.

Politische Entwicklung bis zum Scheitern der ΕVG-Verträge

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Rahmen des Nato-Bündnisses wurde von den übrigen Nato-Partnern nur zögernd geteilt und stieß im Falle Frankreichs auf grundsätzliche Ablehnung. Jedodi schien ein vollständiger Verzicht auf eine deutsche Beteiligung sowohl aus macht- als auch aus sicherheitspolitischen Uberlegungen heraus nicht mehr denkbar zu sein. Man mußte also nach einem Kompromiß suchen, der die Bedenken Frankreichs im ausreichenden Maße berücksichtigte. Das zähe Ringen um diesen Kompromiß zwischen den beteiligten Partnern - Nato, Europarat, Besatzungsmächte, Bundesregierung - bestimmte den Lauf der politischen Ereignisse bis in das Jahr 1954 hinein. Zunädist legte der französische Ministerpräsident Rene Pleven schon vier Wochen nach der New Yorker Außenministerkonferenz einen Alternativvorschlag vor, der an Stelle der Eingliederung der Bundesrepublik in das Nato-Bündnis die Schaffung einer europäischen Armee in einem vereinten Europa vorsah. Die beratende Versammlung des Europarates stimmte den Vorstellungen dieses sogenannten Pleven-Planes am 24. November 1950 mit großer Mehrheit in den Grundzügen zu. Jedoch erhoben die Nato-Staaten Einwendungen gegen militärische Vorstellungen des Pleven-Planes. Schließlich einigte man sidi aber am 3. Dezember auf den sogenannten Spafford-Plan, der in Abwandlung der Vorstellungen des Pleven-Planes als nationale Grundeinheit einer Europaarmee statt des Bataillons die Kampfgruppe mit 6000 Soldaten vorsah. Auf der Basis des Spafford-Planes gingen die Verhandlungen dann weiter. Bereits am 24. Juli 1951 wurden in einem Zwischenbericht die Grundzüge eines Vertrages über eine Europäische Verteidigungsgemeinsdiaft festgesetzt. Am 27. Mai 1952 schließlich wurde der EVGVertrag in Paris feierlich unterzeichnet. Die deutsche Bundesregierung selbst hatte den Vorstellungen zur Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter Einbeziehung deutscher Kontingente von Anfang an unter der Bedingung zugestimmt, daß „die vollständige Gleichstellung deutscher Verbände mit allen anderen Kontingenten zugesichert"2 werde. Am 9. Januar 1951 begannen bereits Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren, die die militärischen Voraussetzungen eines deutschen Verteidigungsbeitrages prüfen sollten. Erklärtes Verhandlungsziel des Bundeskanzlers war dabei von Anfang an die vollständige Gleichberechtigung der Bundesrepublik in einem europäischen Verteidigungssystem, die Ablösung des Besatzungsstatuts als Voraussetzung einer deutschen Beteiligung und die Wiedererlangung der außen- und innenpolitischen Handlungsfreiheit der Bundesregierung. 2

Adenauer in seiner Regierungserklärung vor dem Parlament am 8. November

1950 (vgl. K . BAUER, Verteidigungspolitik, S. 61).

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Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

Diese gekoppelten politischen Zielvorstellungen, an denen Adenauer zäh festhielt, trugen mit dazu bei, daß die Verhandlungen über die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit deutscher Beteiligung langsamer vorankamen, als es insbesondere den Vereinigten Staaten lieb war. Die Forderung auf Gleichberechtigung deutscher Kontingente in einer Europaarmee wurde auf der Pariser Konferenz über eine Europaarmee, an der seit dem 15. Februar 1951 auch die Bundesregierung teilnahm, durchgesetzt. Außerdem beschloß die Konferenz der drei westlichen Außenminister, die vom 10. bis 14. September 1951 in Washington tagte, den Abschluß eines „annehmbaren gegenseitigen Abkommens" 3 zwischen den drei Westmächten und Deutschland herbeizuführen, mit dem der Forderung der Bundesregierung nach außen- und innenpolitischer Souveränität Rechnung getragen werden sollte. Dieser deutsch-alliierte Vertrag sollte zusammen mit dem EVG-Vertrag in Kraft treten. Einem Entwurf dieses sogenannten Generalvertrages stimmten die drei westlichen Außenminister und Bundeskanzler Adenauer am 22. November 1951 zu. Am 26. und 27. Mai 1952 wurden die beiden Verträge unterzeichnet. Am 19. März 1953 wurden sie in 3. Lesung vom deutschen Bundestag verabschiedet. Der überragende Sieg der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1953 bestätigte diese Politik der Bundesregierung, so daß einer Ratifizierung der Verträge nichts mehr im Wege stand. Am 30. März 1954 war das Ratifizierungsverfahren für die EVG-Verträge beendet, nachdem auch die Beneluxstaaten bis zu diesem Zeitpunkt bereits ratifiziert hatten. Dennoch scheiterte der Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Von Anfang an waren bei den ehemaligen Kriegsgegnern starke Vorbehalte gegen deutsche Truppen in einem westlichen Verteidigungssystem vorhanden gewesen. Sie äußerten sich in immer neuen Versuchen, deutsche Kontingente in möglichst großer Abhängigkeit von nichtdeutschen Befehlsstäben zu halten. Am stärksten waren diese Vorbehalte begreiflicherweise bei den französischen Verhandlungspartnern, da sie sich einer erheblichen Opposition im eigenen Volk gegenüber wußten. Wie stark und einflußreich diese Opposition und wie groß die Vorbehalte gegen deutsche Soldaten noch Jahre nach dem Krieg wirklich waren, zeigte sich, als die EVG-Verträge am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung abgelehnt wurden. Damit war der Versuch, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu schaffen, gescheitert. 3 Vgl. G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 447; K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 35.

Politische Entwicklung bis zum Scheitern der ΕVG-Verträge

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Die Frage einer Wiederaufrüstung der Bundesrepublik war damit freilich nicht vom Tisch. Die Entscheidung über die Westorientierung der Bundesrepublik und ihre Einbeziehung in eine westliche Verteidigungsgemeinschaft war zu diesem Zeitpunkt vielmehr - wie auch der rasche Abschluß der Pariser Verträge unterstrich - längst gefallen. b. Die Deutschlandfrage als Anknüpfungspunkt für die außerparlamentarische Opposition gegen die WiederbewafFnung der Bundesrepublik Während die grundsätzliche Orientierung der Politik der Bundesregierung seit dem Spätherbst 1950 in ihren Prinzipien entschieden war - dies jedenfalls hat A. Baring, wie mir scheint, schlüssig nachgewiesen4 - , ging die innenpolitische Auseinandersetzung um die Frage der Wiederbewaffnung in den frühen 50er Jahren noch lange Zeit in ganz anderer Richtung 5 . Dabei erfuhr die Auseinandersetzung gegenüber dem Herbst 1950 insofern eine entscheidende Veränderung, als sie sich immer mehr von den Fragen der Sicherheit, wie sie der KoreaKrieg provoziert hatte, auf die Deutschlandfrage verlagerte. Adenauers politisches Ziel hieß politische und militärische Stärkung des Bundesgebietes durdi Westintegration und von dieser Basis aus Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands („Politik der Stärke") 6 . Die politische Alternative der Gegner der Wiederaufrüstung hieß dagegen: Verzicht auf militärische und politische Stärke, und statt dessen Wiedervereinigung und Sicherheit durch Neutralisierung Deutschlands. Angesichts der Dominanz nationaler Motive dieser politischen Alternative konnte es gelegentlich sogar zu einer Zweckkoalition linker und rechter Gegner der Adenauersdien Politik kommen. Diese nationalen Interessen der antimilitaristischen Opposition in der Bundesrepublik wurden durch gezielte politische Angebote aus dem Osten mobilisiert. Schon kurze Zeit nach Bekanntwerden der 4 5

Kanzlerdemokratie, bes. S. 48 ff. Zur innenpolitischen Auseinandersetzung besonders: K. VON SCHUBERT, Wieder-

b e w a f f n u n g ; Η . P . MOLDT, O p p o s i t i o n ; F . KRAUSE, O p p o s i t i o n ; M . SCHUMANN, N i e -

möller, S. 224 ff.; Η . E. JAHN, Wehrbeitrag. β Daß Adenauer das Interesse der Westmächte an einem deutschen Verteidigungsbeitrag dazu benutzte, Schritt für Schritt die politische Gleichstellung der Bundesrepublik zu erreichen, wurde schon mehrfach betont. Neuere Arbeiten stellen dabei heraus, daß die damit verbundene Westorientierung seiner Politik von Adenauer immer im Sinne einer Integration Deutschlands in eine größere internationale Gemeinschaft verfolgt wurde, um Deutschland gewissermaßen „vor sich selbst" zu schützen (vgl. K . GOTTO, Deutschland- und Ostpolitik, S. 166). Einen „genuin deutschen Wiedervereinigungsnationalismus" habe Adenauer dagegen für „geradezu selbstmörderisch" gehalten, weil dies ein „bedenkenlos eigensüchtiges Handeln" der anderen heraufbeschworen hätte (Η. P. SCHWARZ, Konzept, S. 83).

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Pläne zur Einbeziehung der Bundesrepublik in ein westeuropäisches Verteidigungssystem war die Sowjetunion auf dem Weg über eine Erklärung der Warschauer-Pakt-Staaten zur Deutschlandfrage vom 21. Oktober 1950 aktiv geworden. Diese Erklärung versprach die Wiedervereinigung und den Abschluß eines Friedensvertrages für Gesamtdeutschland, ohne daß die dabei bisher üblichen Forderungen auf eine vorherige „Demokratisierung" Westdeutschlands darin erhoben worden wären. Am 30. November 1950 folgte ihr Otto Grotewohl mit einem Brief an den deutschen Bundeskanzler, in dem er die Konstituierung eines gesamtdeutschen Rates vorschlug, der entsprechende Vorschläge ausarbeiten sollte. Es war offenkundig, daß die Sowjetunion, die sich auch noch direkt mit der Anregung einer Vier-MächteKonferenz über Gesamtdeutschland einschaltete, für die Verhinderung einer Wiederbewaffnung und Westintegration der Bundesrepublik einen vergleichsweise hohen Preis zu zahlen gewillt war. In der im Frühjahr 1951 anrollenden Kampagne gegen die Remilitarisierung, die von östlicher Seite zielstrebig unterstützt und gesteuert wurde, spielten diese Verhandlungsangebote eine entscheidende Rolle. Der Gedanke einer Wiedervereinigung in einem neutralisierten und entmilitarisierten Deutschland bestimmte bis weit in das Jahr 1952 hinein die innenpolitische Diskussion. Auch innerhalb der E K D trat man ihm naturgemäß nicht unwillig gegenüber. Er wurde nidit nur von Niemöller und den kirchlichen Bruderschaften vertreten, sondern mehr und mehr auch von Leuten wie Heinemann aufgegriffen und auf seine politischen Implikationen hin geprüft 7 . Die politische Zieldiskussion wurde dabei zeitweise jedoch fast vollständig überlagert von der Forderung nach einer Volksbefragung, mit deren Hilfe die Gegner der Adenauerschen Politik ihre politischen Vorstellungen durchzusetzen hofften. Die Propagierung und schließlich Durchführung einer Volksbefragung zur Remilitarisierung durch die Kommunisten für den Bereich der DDR fand aber im Westen keine offizielle Entsprechung, wobei die Bundesregierung sich darauf berief, daß das Grundgesetz diese Form einer direkten politischen Willensbildung nicht vorsehe8. Die Frage nach dem jeweiligen Demokratieverständnis von Gegnern bzw. Befürwortern der Volksbefragung muß in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben9. Sicher ist, daß die Regierung Adenauer 7

V g l . D . KOCH, H e i n e m a n n , S . 2 3 4 ff.

Der Ruf nadi einer Volksbefragung wurde am lautesten von der radikalen Linken erhoben und war Instrument der kommunistischen Propaganda zum Sturze Adenauers. Von daher muß auch Adenauers Empfindlichkeit gegenüber der Aktionseinheit kirchlicher Persönlichkeiten mit diesen Gruppen verstanden werden. 9 Vgl. aber den Briefwechsel zwisdien Martin Niemöller und Theodor Heuß zu dieser Frage, der nidit wenig Aufsehen erregte (KJ 1951, S. 153 ff.). 8

Haltung der E K D

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eine derartige Volksbefragung zum damaligen Zeitpunkt politisch auch nicht hätte brauchen können, da sie die Prioritäten der Politik Adenauers in Frage stellte. Schließlich steht und fällt das Urteil über diese Politik mit der Antwort auf die Frage, in welchem Umfang die östlichen Angebote ernst gemeint waren. Handelte es sich bei ihnen, wie Adenauer behauptete, lediglich um „Fallen", die auf eine Versklavung auch des westlichen Deutschland hinausliefen, oder handelte es sich um Angebote, zu denen sich die Sowjetunion durch ihre eigene innenpolitische Situation gezwungen sah10, und denen man deshalb im Interesse der Wiedervereinigung - größeres Gewicht hätte beilegen müssen? Mit aller Dringlichkeit muß diese Frage vor allem bei der Behandlung der Stalinnote vom März 195211 durch die Bundesregierung gestellt werden. Wie immer man die Aussichten für eine gesamtdeutsche Regelung zum damaligen Zeitpunkt auch beurteilen mag, so bleibt der Vorwurf gegen die Regierung Adenauer bestehen, daß sie nicht einmal den Versuch unternommen hat, die östlichen Verhandlungsangebote auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Hier lag denn auch der Hauptansatzpunkt für die im Frühjahr 1951 in aller Schärfe anlaufende außerparlamentarische Opposition gegen die Remilitarisierungspolitik der Bundesregierung, die die innenpolitische Situation in der Bundesrepublik bis zu den Wahlen im September 1953 bestimmte. Auf Einzelheiten dieser innenpolitischen Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik kann hier nicht eingegangen werden. K. von Schubert hat ihr in seiner Untersuchung breiten Raum eingeräumt, so daß hier auf seine Arbeit verwiesen werden kann. Hier soll diese innenpolitische Auseinandersetzung nur insofern berücksichtigt werden, als sie unmittelbar die Verhältnisse innerhalb der EKD betraf und Auswirkungen auf die Situation der EKD als gesamtdeutscher Institution hatte.

2. Die Haltung der EKD gegenüber den wechselnden politischen Konstellationen im Kontext ihres gesamtdeutschen Engagements Es kann als ein Ergebnis der quälenden innerkirchlichen Auseinandersetzungen des Herbstes 1950 angesehen werden, daß die Gegner der Adenauerschen Remilitarisierungspolitik ihr politisches Engagement mehr und mehr mit dem anderer, nicht kirchlich gebundener 10 Mit den innenpolitischen Problemen der Sowjetunion als einem wichtigen Motiv für ihr Entgegenkommen in der Deutschlandfrage befaßt sich D. HOROWITZ (Kalter Krieg, Bd. 1, S. 18 ff.). 11 Vgl. dazu K. VON SCHUBERT, Wiederbewaffnung, S. 165 ff.

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A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n angesichts der E V G - V e r t r ä g e

Gruppen verbanden und auf eine direkte Mobilisierung der E K D zugunsten der antimilitaristischen Opposition zunächst verzichteten. Vom Jahreswechsel 1950/51 an verstärkten Heinemann und Niemöller mit ihren kirchenpolitischen Freunden in zunehmendem Maße ihre Kontakte zur außerparlamentarischen Opposition, bis sie schließlich, nach vielen Fehlschlägen und mißdeutbaren Koalitionen, ihre politischen Ziele in die Gründung der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas" und später der Gesamtdeutschen Volkspartei einmünden ließen12. Zwar blieben die üblichen Querelen innerhalb der E K D um Niemöller und seine Freunde auch fortan nicht aus - es fand sich noch manche Gelegenheit, an seinem permanenten „Mißbrauch seines hohen kirchlichen Amtes" Anstoß zu nehmen - ; aber die E K D insgesamt wurde von dieser Seite nicht mehr in so starkem Maße ins Schußfeld der öffentlichen Kritik gebracht. Erst im Herbst 1951 verschärfte sich die Situation innerhalb der E K D erneut, diesmal freilich provoziert durch Vorstöße der politischen „Rechten" innerhalb der E K D , wie sie in der Person Eberhard Müllers fortan am klarsten vertreten sein sollte. Dem von ihm veranstalteten sogenannten „Königswinter-Gespräch" 13 schlossen sich auf lutherischer Seite eine ganze Reihe weiterer Initiativen an 14 , deren „politischer" Gehalt offenkundig war. Der Reichsbruderrat dagegen begnügte sich zunächst damit, den Rat der E K D zu eigener Aktivität anzuregen (September 1951) 15 - ein Vorgang, der freilich von lutherischer Seite auch nicht ohne Verdruß zur Kenntnis genommen wurde. Um die Jahreswende 1950/51 herum wurde aber zunächst der Rat der E K D selbst durch die östlichen politischen Organe zum Eingreifen herausgefordert. Es fanden sogar direkte Kontakte zwischen der Regierung der D D R und Vertretern des Rates der E K D statt, die zum Ziel hatten, die E K D für Vermittlungsversuche in der Deutschlandfrage zu gewinnen. Solche offiziösen Begegnungen häuften sich offensichtlich im Zeichen der neuen östlichen Deutschlandpolitik bis zum Sommer 1952 16 . Sie beweisen, daß die E K D als einzige funktionierende ge1 2 D a z u v g l . die a u s f ü h r l i c h e D a r s t e l l u n g bei D . KOCH, H e i n e m a n n , bes. S . 234 bis 304. 13

V g l . d a z u u n t e n S. 164 ff.

B e s o n d e r e s A u f s e h e n erregte die E r k l ä r u n g „ W e h r b e i t r a g u n d christlidies G e w i s s e n " v o m F e b r u a r 1 9 5 2 ( K J 1952, S . 14 ff.), die die U n t e r s c h r i f t einer R e i h e lutherischer B i s c h ö f e t r u g u n d in die Entstehungsgeschichte des E v a n g e l i s c h e n A r b e i t s kreises der C D U / C S U h i n e i n g e h ö r t (vgl. D . KOCH, H e i n e m a n n , S . 296, A n m . 19). 14

15

V g l . d a z u u n t e n S. 162 f .

A n s p i e l u n g e n d a r a u f finden sich s o w o h l in d e m Bericht, den D i b e l i u s v o r der S y n o d e in H a m b u r g g a b (HAMBURG 1951, S . 28 f.), als auch in seinen E r i n n e r u n g e n , o h n e d a ß freilich n ä h e r e E i n z e l h e i t e n g e n a n n t w ü r d e n ( E i n C h r i s t ist i m m e r im D i e n s t , S . 2 8 4 f.). Auch D . KOCH gibt H i n w e i s e a u f diese K o n t a k t e zwischen der 16

Haltung der E K D

161

samtdeutsdie Institution zumindest während dieser Phase auch von der D D R als ernst zu nehmender Faktor in ihr politisches Kalkül einbezogen werden konnte. Nicht zu Unrecht konnte sich die D D R auf die nationalen, an einer gesamtdeutschen Regelung interessierten Motivationen in der evangelischen Kirche verlassen. In dieser Frage politisch „aktiv" zu werden, war für den R a t der E K D kein Problem. Wenn Dibelius zu diesem Faktum aus der Rückschau meint, er habe es damals abgelehnt, den R a t für eine politische Parteinahme zu aktivieren 17 , so unterschätzt er zweifellos den politischen Stellenwert seiner statt dessen in dieser Sache eifrig betriebenen Kabinettspolitik. Sowohl ein Sonderkurier der E K D als auch der Ratsvorsitzende selbst wurden im Interesse einer Unterstützung der sowjetischen Deutschlandpolitik der frühen 50er Jahre mehrfach bei der Bundesregierung vorstellig 18 . Für die E K D brachte diese Vermittlungsbereitschaft des Rates in der Frage direkter Kontakte zwischen den beiden deutschen Regierungen unmittelbar einlösbare Vorteile. Es kam vorübergehend zu einer fühlbaren Entspannung der kirchlichen Lage in der D D R , die nur durch die ablehnende Haltung der E K D gegenüber der für den Bereich der D D R durchgeführten Volksbefragung zeitweilig wieder verschärft wurde. Im Zuge dieser Entspannung war es möglich geworden, den Deutschen Evangelischen Kirchentag 1951 in Berlin abzuhalten. Mit seinen 3 0 0 0 0 0 Teilnehmern war er zweifellos das beeindruckendste kirchliche Ereignis des Jahres 1951. E r war einerseits ein überzeugendes Dokument des Wunsches der Deutschen nach einer baldigen Wiedervereinigung und andererseits als solches ein wichtiger Trumpf in der Deutschlandpolitik der Sowjetunion und der D D R . Die unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne für einen „Generalvertrag" verschärft wieder einsetzende Verfolgung der Kirche in der D D R belegt m. E. jedoch die Interpretation, daß der Berliner Kirchentag nicht in erster Linie eine „Aktivität" der E K D war, sondern ein Aktivposten im politischen Kalkül der Regierung der D D R und der Sowjetunion 19 . Regierung in Ostberlin und dem Rat der E K D im Frühjahr 1951 (Heinemann S. 2 4 2 f.). 1 7 „Ich wurde bedrängt: Der R a t müsse etwas Tapferes tun . . . Ich lehnte es ab, den Rat zusammenzurufen und ihn vor eine Entscheidung zu stellen, die in die Ö f fentlichkeit hinausgehen könnte. Die Kirche hatte nach meiner Auffassung nicht das Recht, sich in die Verantwortung der politischen Stellen einzumischen . . . Es mußte genügen, daß ein Mitglied des Rats in eigener Verantwortung nach Bonn fuhr, um dort zu berichten" (Ein Christ ist immer im Dienst, S. 284 f.). 1 8 Vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 2 4 3 ; O. DIBELIUS, Ein Christ ist immer im Dienst, S. 2 8 5 ; außerdem auch K. ADENAUER, Erinnerungen 1 9 5 3 - 5 5 , S. 52 f. 1 9 R . VON THADDEN überschätzte den aktiven Beitrag der E K D bei weitem, wenn er resümierte: „Was vom politischen Standpunkt ausgeschlossen schien, das wurde

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Bei den kirchlichen Bruderschaften stieß die zurückhaltende Taktik des Vermitteins, wie sie vom Rat der EKD in dieser Zeit betrieben wurde, auf zunehmende Kritik. Hier wollte man nicht eine letztlich unverbindliche Kabinettspolitik sehen, sondern konkrete politische Stellungnahme - ζ. B. in einem Eintreten der evangelischen Kirche für eine Volksbefragung zur Remilitarisierung. Falls der Rat der EKD in der Frage der Remilitarisierung nicht aktiv werde - so forderten die Bruderschaften - müsse man überlegen, ob nicht eine Bekenntnissynode einberufen werden müsse20. Auch im Reichsbruderrat versuchte man, wenngleich auf geschicktere Weise, die EKD zu einem nochmaligen Engagement in der Frage der Wiederbewaffnung zu bewegen. Als es im Spätsommer 1951 den Anschein hatte, als ob das Parlament in Kürze eine Entscheidung in der Frage der WiederbewafTnung treffen werde, fand am 4./5. September 1951 eine Sondersitzung des Reichsbruderrates in Darmstadt statt. In dieser Sitzung wurden die bisherigen Friedensworte der EKD noch einmal einer eingehenden Prüfung unterzogen. Ergebnis dieser Sitzung war ein vertraulicher Brief des Reichsbruderrates an den Rat der EKD mit vier konkreten Forderungen: 1. Der Rat möge das Wort zum Frieden von Weißensee erneut in den Gemeinden verlesen lassen und wo auch immer abdrucken; 2. der Rat möge vorbereitende Gespräche zwischen Juristen und Theologen zur Frage des Rechtsschutzes der Kriegsdienstverweigerer beginnen; 3. der Rat möge, falls die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werde oder freiwillige Verbände aufgestellt werden sollten, eine außerordentliche Synode einberufen; 4. außerdem weist der Brief des Reichsbruderrates auf die Gefahr des Wiederauflebens von Soldatenbünden etc. hin 21 . Diesen Brief legte Niemöller dem Rat der EKD auf seiner Sitzung in Tutzing am 6.17. September 1951 vor. Es kam zu einer ausführlichen Diskussion. Der Rat kam den Wünschen des Reichsbruderrates jedoch nur teilweise entgegen. So wurde zwar die nochmalige Verlesung und Behandlung des Friedenswortes von Weißensee empfohlen während des Evangelischen Kirchentages in Berlin auf kirchlichem Boden zur Tatsache: die Schranken fielen . . . Einfach durch das Zustandekommen dieser elementaren Wiedervereinigung gelang dem Kirchentag etwas, was auf politischer Ebene offenbar gänzlich unmöglich war. Er schuf damit eine Tatsache, die durch ihre bloße Existenz ein politisches Ereignis erster Ordnung bedeutet" (aus dem Bericht über den Berliner Kirchentag; KJ 1951, S. 38 f.). 20 Das geht aus einem Briefwechsel zwischen Handrich und Mochalski vom 2. / I I . Juli 1951 hervor (LKA DARMSTADT, 36/vorl. 57a). 21 Vgl. KJ 1951, S. 156 ff. (5. September 1951).

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und ein Ausschuß ins Leben gerufen, der eine kirchliche Stellungnahme zur Frage der Kriegsdienstverweigerung ausarbeiten sollte. Aber die politisch eigentlich brisante Forderung des Reichsbruderrates auf Einberufung einer Sondersynode im Falle der Wiederbewaffnung fand keine Mehrheit im Rat. Statt dessen wurde beschlossen, in diesem Falle eine andere Ratssitzung einzuberufen 22 . Dies war zweifellos für Niemöller und seine Freunde im Reichsbruderrat eine Enttäuschung. Als um die Jahreswende 1951/52 der Abschluß der Verträge in greifbare Nähe gerückt zu sein schien, versuchte Niemöller deshalb, auf dem Weg über eine private Unterschriftensammlung bei gleichgesinnten Synodalen doch noch die Forderung auf eine Sondersynode durchzusetzen 23 - , ein Vorgehen, das bei Dibelius Verärgerung hervorrief, während die VELKD, als sie von diesen Plänen Wind bekam, aus taktischen Gründen beschloß, einer Sondersynode nichts in den Weg zu stellen 24 . Dennoch blieb der Vorstoß des Reichsbruderrates beim Rat der EKD nicht ohne konkrete Ergebnisse. Die Arbeit des Ausschusses zur Frage der Kriegsdienstverweigerung, die sich über Jahre hinweg erstreckte, muß rückblickend als der eigentliche positive Beitrag der EKD in der ganzen Diskussion um die Wiederaufrüstung betrachtet werden 25 . Und auch die neuerliche Bekanntmachung des Friedenswortes von Weißensee blieb zumindest innerhalb der EKD nicht ohne Resonanz. Einige Reaktionen von lutherischer Seite machten deutlich, daß man diesem - inhaltlich zweifellos wenig konkreten - Wort im Kontext der damaligen innenpolitischen Diskussion dennoch eine geradezu programmatische Bedeutung beimaß. Eberhard Müller ζ. B. wertete den Antrag des Reichsbruderrates als einen geschickten Schachzug Niemöllers und seiner Freunde, mit dem sie die EKD wieder zu einer einseitigen politischen Festlegung auf eine neutralistische Wiedervereinigungspolitik und zur offenen Gegner-

22 Vgl. Niederschrift der 24. Sitzung des Rates der E K D ( A K K HANNOVER); Rundschreiben des Bruderrats der EKD vom 7. September 1951 mit Anlagen (AKTEN

GOLLWITZER, N r . 3 0 ) . 23 „Ich verlange auf Grund von Art. 25 der Grundordnung der E K D das alsbaldige Zusammentreten der Synode zu einer außerordentlichen Tagung. Einziger Punkt der Tagesordnung: Die Stellung der Evangelischen Kirche in Deutschland zu der dem Bundestag vorliegenden Wehrgesetzgebung" (Schreiben vom 30. Dezember 1 9 5 1 ; Α VELKD, 7510/1). 24 Das geht aus einem Vermerk hervor, den Wilkens über die Sitzung der K i r chenleitung der V E L K D vom 23. Januar 1952 verfaßt hat. Dieser Vermerk madit deutlich, daß man in der V E L K D dem Kreis um Niemöller kirchenpolitisch eine weitaus größere Bedeutung beimaß, als er de facto gehabt haben dürfte (vgl. Anhang, Dokument 8). 25 Zum Problem der Kriegsdienstverweigerung vgl. unten S. 221 ff.

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Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

schaft gegen die Politik Adenauers verführen wollten 26 . Wenn er diesen Verdacht später auch wieder zurücknahm27, so zeigt dieser Vorgang doch deutlich, daß im Luthertum auch gegen das Friedenswort von Weißensee immer stärkere Bedenken Raum bekamen, da man seinen „politischen Mißbrauch" im Sinne einer einseitigen politischen Stellungnahme befürchtete. Vorstöße Künneths, eine eigene lutherische Erklärung zum Friedenswort herauszubringen28, führten zwar zu keinem Ergebnis29, zeigen aber doch deutlich die allgemeine Verwirrung und Desorientierung, die sich innerhalb der EKD inzwischen angesichts ihres politischen Anspruchs eingestellt hatte. Dennoch wäre das Jahr 1951 in der EKD relativ friedlich zu Ende gegangen, wenn nicht - dieses Mal von lutherischer Seite - ein Vorstoß in den unmittelbaren politischen Raum erfolgt wäre, der neuerliche Verwicklungen heraufbeschwor. Eberhard Müller hatte namens der Evangelischen Akademie Bad Boll zum 5. November 1951 evangelische Kirchenführer zu einem Gespräch mit Adenauer nach Königswinter eingeladen30. Dieses Gespräch zum Fragenkomplex Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung sollte im wesentlichen informativen Charakter haben. Aber schon in der Auswahl der Eingeladenen wurde eine ganz bestimmte politische Tendenz unverkennbar. Zwar waren Vertreter aller kirchenpolitischen Gruppierungen eingeladen worden, nicht aber Heinemann, Niemöller und der westfälische Präses Ernst Wilm, die bekanntesten Gegner der 26

Vgl. Briefwechsel zwischen Müller und Dibelius vom 30. November/13. De-

z e m b e r 1 9 5 1 ( A K K HANNOVER, 3 4 5 / 1 1 ) . 27 Vgl. Schreiben Müllers an Pfr. Dieter Linz vom rheinischen epd vom 17. Dezember 1951 (ebd.). 28 Künneth legte am 27. November 1951 den „Entwurf einer Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD zur .Friedenserklärung' von Weißensee" vor, die aus der Besorgnis heraus entstanden sein will, „daß der Beschluß der Berliner Synode da und dort immer wieder eine Auslegung erfahren hat, die geeignet ist, in der politischen Welt Verwirrung und in den Gemeinden Unsicherheit zu wecken" (vgl. Anhang, Dokument 5 und 6). Künneth geht dabei insbesondere auf die Interpretation des Abschnitts über die Kriegsdienstverweigerung ein. 28 „Die Bischofskonferenz billigt das Anliegen Prof. Künneths und des Theologischen Ausschusses, die sogenannte Friedenserklärung von Weißensee durch eine Interpretation von seiten der Vereinigten Kirche vor einem Mißbraudi zu schützen. Sie glaubt aber, daß es die politische Entwicklung in Deutschland erforderlich macht, die mit der Weißenseer Synodalerklärung angeschnittene Frage der Kriegsdienstverweigerung in den größeren Zusammenhang der Frage des Krieges, des Waffendienstes und der dazu zu erwartenden staatlichen Gesetzgebung zu stellen" (Niederschrift der Sitzung der Bischofskonferenz der VELKD vom 5. Dezember 1951, Punkt 8; Α VELKD, 234/1). 30 Für die folgende Darstellung vgl. die Berichte E. Müllers und Heinrich Heids (KJ 1951, S. 175 ff.) sowie den Bericht über die Sitzung des Reidisbruderrats vom

19./20. N o v e m b e r

1951

(LKA

DARMSTADT, 2 6 / v o r l .

74b). Vgl. audi

Kanzlerdemokratie, S. 215 ff. und D. KOCH, Heinemann, S. 294 ff.

A.

BARING,

165

Haltung der E K D

Adenauerschen Remilitarisierungspolitik. Außerdem wurde der rein informative Charakter des Gespräches dadurch widerrufen, daß entgegen Vorabsprachen mit den Kirchenführern durch die Art der Berichterstattung in der Presse und eigene Berichte Eberhard Müllers 31 der Eindruck entstanden war, es habe sich bei dem Königswinter-Gespräch um eine offizielle Begegnung zwischen Staat und Kirche gehandelt, bei der eine völlige Übereinstimmung der evangelischen Kirche mit der Politik Adenauers in der Frage der Wiederbewaffnung festgestellt worden sei 32 . Der daraufhin ausbrechende Sturm innerhalb der evangelischen Kirche war durchaus vergleichbar dem, was sich im Herbst 1950 nach der Veröffentlichung der Flugschrift „An die Gewehre? Nein!" abgespielt hatte, nur daß dieses Mal die kirchenpolitische Rechte ins Schußfeld geraten war. Es gab sowohl im Reichsbruderrat 33 als auch im Rat der E K D 3 4 lange und harte Auseinandersetzungen über die durch die einseitige Berichterstattung Eberhard Müllers ausgelöste Frage nach Sinn und Inhalt des Königswinter Gespräches. Insbesondere Dibelius fühlte sich durch die Darstellung Eberhard Müllers brüskiert; denn er hatte sich ja im Auftrag des Rates der E K D wiederholt für die vorrangige Behandlung der Wiedervereinigungsfrage vor der Frage der Remilitarisierung eingesetzt und diesen Aspekt auch bei dem Gespräch in Königswinter vertreten. Obgleich Dibelius mit seinem Beitrag in „Christ und Welt" vom 25. Oktober 1951 von der Essener Position des Rates im August 1950 vorsichtig abgerückt war 3 5 , so konnte er doch - im Blick auf die Situation der Kirchen in der D D R - den eindeutigen Pro-Adenauerschen Zungenschlag in der Darstellung des Königswinter-Gespräches durch Eberhard Müller nicht dulden. So sprach denn der Rat der E K D auf seiner Sitzung am 7. Dezember 1951 Eberhard Müller eine deutliche Rüge aus 36 , die ihm in einem Brief Dibelius' übermittelt wurde 37 . Daß der Rat sich zu dieser Rüge veranlaßt sah, zeigt, welchen politischen Stellenwert er diesem Vorfall - mit Recht beimaß. Seine Bedeutung liegt in erster Linie darin, daß sich nunmehr 31

V g l . ζ . B . FRANKFURTER N E U E PRESSE v o m 1 3 . N o v e m b e r

1951.

D . KOCH hat m. E . überzeugend nachgewiesen, daß die Tendenz der Müllerschen Beridite einen anderen Sdiluß nicht zuläßt (Heinemann, S. 295). 3 3 Vgl. oben Anm. 30. 3 4 Vgl. Protokoll der Sitzung des Rates der E K D vom 7. Dezember 1951 ( A K K HANNOVER, Ratsprotokolle 1 9 4 5 - 5 1 ) . 3 5 Hier spricht Dibelius bezeichnenderweise nicht mehr von Remilitarisierung, sondern von allgemeiner Wehrpflicht: „Die evangelische Kirdie kann der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht nidit das W o r t reden" (vgl. K J 1951, S. 174). 32

33

Vgl. Anm. 34 .

37

A K K HANNOVER, 0 4 6 B e i h .

166

A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n angesichts der E V G - V e r t r ä g e

die kirchlichen „Rechte", die bislang nur als diffus-theologische Opposition gegen Niemöllers „Politisieren" erkennen gewesen war, zum erstenmal audi als ein politischer Faktor artikuliert hatte. Denn anderslautenden Beteuerungen Eberhard Müllers zum Trotz 3 8 kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Königswinter-Gespräch bewußte politische Aktion 39 war, mit der Müller eine wirksame Gegenoffensive gegen die Initiativen des Reichsbruderrats starten wollte. Der Zusammenhang zwischen dem Tutzinger Besdiluß des Rates der E K D , der auf den Antrag des Reichsbruderrats vom 5. September 1951 zurückging, und dem Königswinter-Gespräch wird denn auch nicht nur durch die Gegendarstellung Heids zum Königswinter-Gespräch belegt, sondern auch durch Müller selbst 40 . Daß, wie A. Baring betont, Adenauer das Ergebnis der Königswinter-Begegnung mit Genugtuung betrachten konnte und betrachtet hat 41 , unterliegt keinem Zweifel. Die Auseinandersetzung um das Königswinter-Gespräch war kaum verebbt, als ein neuerlicher kirchenpolitischer Vorstoß von derselben Seite die jetzt deutlich gewordene Formierung der politischen Rechten innerhalb der E K D bestätigte. Mitte Februar 1952 erschien eine Kundgebung westdeutscher Kirchenführer und politisch engagierter evangelischer Laien mit dem Titel „Wehrbeitrag und christliches Gewissen" 42 , die inhaltlich deutlich die Linie des Königswinter-Gesprächs fortsetzte. Initiator dieser mit namhaften Unterschriften versehenen Kundgebung war wiederum Eberhard Müller 43 . Auch hier war die politische Stoßrichtung gegen die kirchlichen Gegner der Wiederbewaffnungspolitik unverkennbar. Trotz der eingangs behaupteten po8 8 V g l . d a s o b e n in A n m . 2 7 e r w ä h n t e Schreiben, in d e m M ü l l e r sein V o r g e h e n „ a l s ein Zeichen der leidenschaftlichen S o r g e f ü r die R e i n e r h a l t u n g unserer K i r c h e v o n einseitigen politischen S t e l l u n g n a h m e n " g e w e r t e t wissen w o l l t e u n d sich seinerseits gegen jeden solchen V o r w u r f v e r w a h r t e . 3 9 V g l . Schreiben H e i n e m a n n s a n E . M ü l l e r v o m 23. N o v e m b e r 1951: „Königsw i n t e r ist a b e r politische A k t i o n g e w e s e n " (nach D . KOCH, H e i n e m a n n , S . 2 9 5 , A n m . 16). 4 0 V g l . den Bericht H e i d s ( K J 1951, S . 178 ff.) m i t d e m Schreiben M ü l l e r s a n D i belius v o m 30. N o v e m b e r 1951, in d e m er sein V o r g e h e n im F a l l e des K ö n i g s w i n t e r - G e s p r ä c h s d a m i t b e g r ü n d e t , d a ß der R a t der E K D a u f seiner T u t z i n g e r S i t z u n g d e m R e i c h s b r u d e r r a t a u f g e s e s s e n sei, dessen eigentliche Absicht gewesen sei „eine neue kirchliche A k t i o n g e g e n die W i e d e r b e w a f f n u n g in G a n g z u s e t z e n " ( v g l . A n h a n g , D o k u m e n t 7). 4 1 „ D e r B u n d e s k a n z l e r k o n n t e die V e r s a m m l u n g nach 3 1 /2 S t u n d e n m i t der Ü b e r z e u g u n g v e r l a s s e n , d a ß er in der E K D a u f einige U n t e r s t ü t z u n g rechnen k ö n n e , j e d e n f a l l s m i t keiner geschlossenen O p p o s i t i o n zu rechnen h a b e " ( A . BARING, K a n z lerdemokratie, S. 216). 4 2 K J 1952, S . 14 ff. 4 3 D a ß die I n i t i a t i v e zu dieser K u n d g e b u n g v o n E . M ü l l e r a u s g i n g , ist aus der kritischen S t e l l u n g n a h m e einiger westdeutscher K i r c h e n f ü h r e r zu der E r k l ä r u n g a b zulesen (vgl. ebd., S . 17 f.).

Haltung der E K D

167

litischen Neutralität wurde die Kundgebung allgemein in der Öffentlichkeit als Votum für die Adenauersche Politik verstanden: „Keine göttliche Weisung gegen Wehrbeitrag" oder „Bischöfe warnen vor Waffenlosigkeit" lauteten die Uberschriften weitgehend zustimmender Pressekommentare dazu 44 . Audi die von Müller veranlaßten Unterschriften - die als Gegner der Adenauerschen Politik bekannten Kirchenführer waren erst gar nicht angefragt worden 45 - sind ein Beleg für die in Wahrheit höchst politische Intention dieses Vorgehens. Dabei soll selbstverständlich zugestanden werden, daß manche Unterzeichner der Kundgebung subjektiv des Glaubens gewesen sein mögen, hier außerhalb des politischen Bereiches geblieben zu sein. Daß sie es nicht geblieben waren, wurde ihnen durch die alsbald einsetzende Kritik jedoch klar gemacht. Die Kritik richtete sich, wie schon im Falle des Königswinter-Gespräches, einmal dagegen, daß hier unter dem Deckmantel scheinbarer politischer Abstinenz, die „über dem J a oder Nein zu stehen versucht", doch deutlich das „ J a " zur Wiederaufrüstung dominiere, „gegen das es keine ernsthaften Gründe gäbe" 4 6 . Zum anderen aber - und hier reagierten die Freunde Heinemanns und Niemöllers besonders allergisch - wurde moniert, daß die Entschließung das Mißverständnis erweckt habe, es handele sich hier um eine gemeinsame Erklärung aller evangelischen Kirchen in Westdeutschland. Diese Einwände gegen die Kundgebung „Wehrbeitrag und christliches Gewissen" konnten freilich in der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck einer im wesentlichen wiederaufrüstungswilligen evangelischen Kirche nicht verwischen. Die endlich am 12. März 1952 veröffentlichte Kundgebung der Bischofskonferenz der V E L K D „Die politische Verantwortung der Kirche" 4 7 , die gründlich vorbereitet worden war 4 8 , kam unter diesen Umständen als Gesprächsbeitrag zur politischen Verantwortung der Kirche von lutherischer Seite schon zu spät. Zwar wird D. Koch der Intention dieser Kundgebung sicher nicht gerecht, wenn er urteilt, durch sie habe „die kirchliche Öffentlichkeit" beruhigt werden sollen 49 . Schon die sehr lange und sorgfältige Vorbereitungszeit spricht gegen diese Interpretation. Aber die Wirkung dieser ausführlichen theologischen Reflexion der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre, die als Beitrag zum Gespräch mit den Anhängern der Barthschen Theologie und besonders mit Heinemann und Niemöl4 5 Vgl. Anm. 43. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd. und Propst Karl Herberts „Fragen an die Entschließung ,Wehrbeitrag und christliches Gewissen'" (ebd., S. 18 ff.). " Ebd., S. 27 ff. 4 8 Die Vorarbeiten hatten im Dezember 1950 begonnen (vgl. oben S. 147). 4 9 Heinemann, S. 299. 44

48

168

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

ler geplant gewesen war, mußte im Kontext der aktuellen Konfrontation tatsächlich eher als Ablenkungsmanöver erscheinen. So brachte nicht diese Kundgebung der lutherischen Bischofskonferenz, sondern erst die EKD-Synode von Elbingerode im Herbst 1952 wieder eine gewisse Beruhigung in die erneut aufgebrochenen kirchlichen Fronten, freilich - wie nicht anders zu erwarten - um den Preis des endgültigen Verzichtes auf jede konkrete Stellungnahme in der Frage der Remilitarisierung. Die offenkundige Schwenkung prominenter Vertreter des Luthertums hin zu einer mehr oder weniger uneingeschränkten Befürwortung der Adenauerschen Politik fand einen weiteren Ausdruck in einer gleichzeitig erscheinenden „Entschließung zur Frage des Verteidigungsbeitrages und der deutschen Wiedervereinigung", die auf der evangelischen Arbeitstagung der CDU in Siegen erarbeitet worden war und Adenauers Politik volle Unterstützung zusicherte50. Zwar gab es auch jetzt noch Gegenstimmen auf lutherischer Seite gegen diese Politik, wie etwa die Erklärung von 45 aus Ostpreußen vertriebenen Pastoren der ev.-luth. Landeskirche Hannovers 51 (dem sog. Beienroder Konvent), die aber den Gesamteindruck eines implizit und explizit mit Adenauers Politik konformen deutschen Luthertums nicht verändern konnten. Innerkirchlich äußerte sich diese stärkere politische Fixierung des Luthertums auf eine Bejahung der offiziellen westdeutschen Politik in einer gezielten Kampagne zur Festigung der kirchenpolitischen Position des Luthertums innerhalb der EKD. Dem diente einmal die Bemühung, die - erwartete - Sondersynode zur Frage der Wiederbewaffnung gründlicher als bisher vorzubereiten 52 , zum anderen der Versuch, die Machtverhältnisse in den Bruderräten, insbesondere aber im Bruderrat der EKD zugunsten des Luthertums zu beeinflussen oder den Rückzug von Pfarrern der VELKD aus den Bruderräten zu erreichen53. Die Sondersynode kam trotz des Vorstoßes des Reichsbruderrates und eines Antrages der Rheinischen Kirchenleitung nicht zustande, da 50 KJ 1952, S. 33 f. In der Entschließung heißt es: „Wir sind nach ernster Prüfung zu der Überzeugung gekommen, daß ein anderer Weg als der von der Bundesregierung beschrittene Weg deutscher und europäischer Politik heute nicht möglich ist. Unmöglich ist insbesondere jede Form einer Neutralisierung." 51 Ebd., S. 35 ff. 52 Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung der VELKD vom 23. Januar 1952 (AVELKD, 224/11). Noch aufschlußreicher ist ein Vermerk Wilkens' über die Sitzung (Anhang, Dokument 8). 53 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung der VELKD vom 8. Juni 1952 (AVKELD, 224/11).

H a l t u n g der E K D

169

sich dafür im Rat der E K D keine Mehrheit fand 5 4 und auch die von Niemöller als ultima ratio geplante Unterschriftensammlung offenbar nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hatte. Um so intensiver liefen die Bemühungen in der V E L K D , die geplante Herbstsynode durch gezielte Vorbereitungen inhaltlich in die Hand zu bekommen. Dabei wurde der Einfluß der Anhänger Heinemanns und Niemöllers innerhalb der Synode der E K D ganz unverhältnismäßig hoch eingeschätzt. Die Befürchtung, die Synode würde unter dem Einfluß Niemöllers zu einer deutlichen Absage an die Adenauerschen Wiederbewaffnungspläne bereit sein, die schon gegenüber der geplanten Sondersynode bestanden hatte 55 , vermehrten sich noch, als deutlich wurde, daß die Synode trotz der inzwischen zunehmenden Verschärfung der Lage in der D D R doch in Elbingerode stattfinden würde. Da dies, wie man vermutete, insbesondere dem Einfluß Iwands und Niemöllers zu verdanken sei, erwartete man unter dem Druck der in der D D R herrschenden politischen Verhältnisse einen klaren Sieg der Anhänger Niemöllers und Heinemanns in der Wiederbewaffnungsfrage 56 . Daß die Synode in Elbingerode schließlich trotz aller Befürchtungen einen ganz andren und - soweit es das Klima innerhalb der E K D betraf - positiveren Verlauf nahm, dürfte auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein. Der wichtigste Grund dürfte wohl darin zu suchen sein, daß sich im Laufe des ersten Halbjahres 1952 nicht nur die extreme Rechte, sondern audi die extreme Linke innerhalb der E K D zusehends isoliert hatte. Das von Herbert Mochalski veranstaltete Treffen der jungen Generation in Darmstadt am 2. März 1952, in dessen Gefolge auch die unliebsamen Ereignisse um die Essener Jugendkarawane zu sehen waren 57 , stieß schließlich sogar auf Kritik bei Heinemann und Niemöller 5 4 Vor allem Dibelius wollte nicht. E r zeigte sich empört über das „unbrüderliche V o r g e h e n " Niemöllers, der auf diese Weise die Scharte einer Abstimmungsniederlage im R a t der E K D rückgängig machen wolle (vgl. den in A n m . 52 erwähnten Vermerk Wilkens' und K J 1952, S. 24). V g l . auch das Schreiben Dibelius' an den Reichsbruderrat v o m 7. Februar 1952 ( L K A DARMSTADT, 36/vorl. 74b). 5 5 V g l . den in A n m . 52 erwähnten Vermerk Wilkens'. 5 6 V g l . d a z u das Schreiben an Brunotte, Lilje und Meiser v o m 14. August 1952, in dem Z i m m e r m a n n Bedenken gegen die A b h a l t u n g der S y n o d e in Elbingerode äußerte, weil deutlich sei, d a ß „die Regierung der D D R sich damit jetzt eine Gelegenheit hat schaffen wollen, die S y n o d e in der A t m o s p h ä r e der D D R und damit unter einem Einfluß der N i e m ö l l e r - G r u p p e stattfinden zu lassen". Meiser bestätigte diese Befürchtungen in seinem Antwortschreiben v o m 23. August 1952: „Ich sehe die A n g e legenheit deshalb f ü r so bedenklich an, weil auf diese Weise die S y n o d e zu einem Werkzeug der Männer um N i e m ö l l e r , H e i n e m a n n usw. gemacht w i r d " ( A V E L K D , 7511/11). 5 7 V g l . d a z u K J 1952, S. 25 f. und S. 44 ( A u f r u f Duisburger P f a r r e r zur Kriegsdienstverweigerung) .

170

Auseinandersetzungen angesichts der E V G - V e r t r ä g e

und war audi im Reichsbruderrat heftig umstritten 5 8 . Auch soweit man die politischen Ziele der Darmstädter Aktionsgruppen, etwa den Aufruf an die deutsche Jugend zur aktiven Wehrdienstverweigerung, teilte, mißbilligte man doch die Tatsache, daß sie sich der Unterstützung kommunistischer Gruppen, wie sie dabei zutage getreten waren, nicht überzeugender zu erwehren versucht hatten. Die Frage, ob Mochalski unter diesen Umständen noch als Geschäftsführer des Reichsbruderrats tragbar sei, wurde zu einem beherrschenden Thema der Sitzungen des Reichsbruderrates und lähmte ihn immer mehr in seiner Handlungsfreiheit 59 . So fiel der Reichsbruderrat als Agens der geplanten Synode weitgehend aus. Aber audi die Rechte war inzwischen kirchenpolitisch isoliert. Außerdem hatte die Tagung des Lutherischen Weltbundes in Hannover, und hier insbesondere der Anstoß, den der norwegische Bischof Eiwind Berggrav mit seinem Referat gegeben hatte 6 0 , dazu beigetragen, daß es zu einer stärkeren Verunsicherung innerhalb des deutschen Luthertums gekommen war, die den vorherigen theologischen Anspruch etwas dämpfte. Diese Entwicklung war der allgemeinen Gesprächsbereitschaft auf der Synode zweifellos förderlich. Insbesondere hatte aber der Verlauf des Stuttgarter Kirchentages, und da besonders das Ergebnis der Arbeitsgruppe III 6 1 , mit dazu beiVgl. ebd., S. 26. Überlegungen, die Krise des Reichsbruderrats zu bewältigen, gingen einmal in die Richtung, „die Brüder, die immer wieder eine klare Stellungnahme verhindern", um das O p f e r ihres Rücktritts zu bitten (vgl. D . KOCH, Heinemann, S. 358, Anm. 17), - ein Gedanke, der audi ähnlich in Kreisen der V E L K D erwogen wurde, da nicht ersichtlich sei, wie sich die lutherischen Brüder „des Monopolansprudies Niemöllers auf das, was Bekennende Kirche" ist, erwehren könnten (vgl. Schreiben W i l kens' an den Hermannsburg/Loccumer Akademiedirektor Adolf Wisdimann vom 26. Juni 1952; A V E L K D , 562). - Die Frage nach dem Verbleiben der lutherischen Mitglieder im Reichsbruderrat wurde im Sommer 1952 in der V E L K D ausführlich erörtert (vgl. A V E L K D , 562 und 224). 6 0 Berggrav, ein Mann des norwegischen Widerstandes gegen Hitler, vertrat in seinem Referat „Staat und Kirche heute in lutherischer Sicht" die Auffassung, daß die traditionelle lutherische Obrigkeitshörigkeit auf einem Mißverständnis der lutherischen Zweireichelehre beruhe. Voraussetzung der lutherischen Lehre von Staat und Kirche sei vielmehr, daß dieser Staat ein Rechtsstaat sei. Zugleich betonte Berggrav die Pflicht jedes Christen, auch des Pfarrers, zur aktiven Mitarbeit in der Politik: „Seid nicht totes Fleisch im Gesellschaftskörper, nicht stumpfes Wählervieh, sondern seid eifrige Teilnehmer an der Verantwortung aller Wohlwollenden, seid Sauerteig, seid Salz, auch sogar gefährliches Salz." So der Schlußsatz seines Referats (DAS LE58

59

BENDIGE W O R T , S . 8 6 ) . 6 1 Mittelpunkt dieser Arbeitsgruppe war das Referat von H . GOLLWITZER zum Thema „Was geht den Christen die Politik an?" ( I n : Forderungen der Freiheit, S. 60 ff.). Gegenüber der Frage der Wiederbewaffnung vertrat Gollwitzer eine eher zurückhaltende Position, sichtlich um Ausgleich zwischen den zerstrittenen kirchlichen Gruppen bemüht. Entscheidend sei, was eher dem Frieden diene: „Ein letztes

Synode der E K D in Elbingerode

171

getragen, die Hoffnung schon vorher zunichte zu machen, man könne die EKD zu einer eindeutigen Stellungnahme in der Frage der Wiederbewaffnung mobilisieren. Gerade weil diese Arbeitsgruppe zur politischen Verantwortung des Christen so außergewöhnliches Interesse gefunden hatte, war sie mit ihrem Ergebnis ein klares Spiegelbild der divergierenden Ansidaten zur Wiederaufrüstungsfrage innerhalb der evangelischen Kirche. „Die Erörterung des Wehrbeitrages erwies einen tiefgreifenden Gegensatz der Meinungen . . . Eine gegenseitige Befreiung der Gewissen zu einer gemeinsamen Antwort ist nicht erreicht worden. Wir empfinden es aber als bedeutungsvoll, daß die Gewissensbeunruhigung, die für den Christen mit der Teilnahme am Waffendienst verbunden ist, in ihrer Schwere zum Ausdruck kam und von allen Seiten ernst genommen wurde", so resümierte Kirchenrat Otto Wehr in seinem Schlußbericht über die Arbeitsgruppe 62 . Wie sollte, was dem von kirchenpolitischen Rücksichtnahmen viel unabhängigeren Kirchentag nicht gelungen war, einer Synode gelingen?

3. Die Synode der EKD in Elbingerode

im Herbst

1952

Vom 6. bis 10. Oktober 1952 fand in Elbingerode im Harz die Synode der EKD statt. Das Thema der Synode „Die öffentliche Verantwortung des Christen" ging auf einen Antrag Eberhard Müllers auf der Synode von Hamburg zurück63. Damit waren die Bestrebungen Niemöllers und des Reichsbruderrates, die Haltung der EKD zur Frage der Wiederbewaffnung zum Thema einer Synode zu erheben, endgültig gescheitert. Die Wahl eines allgemein-theologischen Themas, das die aktuelle Problematik nur unscharf zum Ausdruck brachte, machte von vornherein deutlich, daß nicht mit einem konkreten VoUrteil darüber wird niemand unter uns sprechen können, da auf beiden Wegen, auf dem Wege des Ja wie des Nein zum Wehrbeitrag Gefahren für den Frieden sichtbar sind" (ebd., S. 63 f.). Ebenfalls starkes Interesse fand Hermann Ehlers mit seinem Referat „Wie sehen wir die Zukunft?" Ehlers verteidigte die Entscheidung für die Wiederaufrüstung als politische Notwendigkeit. - Sein profiliertester Gegenredner in der anschließenden Diskussion war zweifellos Ernst Wilm. Er faßte die Argumente der kirchlichen Gegner der Wiederaufrüstung in folgenden Punkten zusammen: 1. Die Wiederaufrüstung führe in den Krieg; 2. Gefahr des Wiedererstehens nationalistischer und militaristischer Tendenzen; 3. prinzipielles Nein zu allem, was einen Krieg fördern könne; 4. Wiedervereinigung sei dann ausgeschlossen (AKTEN GOLLWITZER, Nr. 89). Hermann Ehlers (1904-1954), 1945 O K R in Oldenburg, 1950-1954 Bundestagspräsident (CDU). Ernst Wilm, geb. 27. 8. 1901, 1929 Pfr. in Lüdenscheid, 1931 in Mennighüffen, 1942-45 im KZ Dachau, 1948 Präses der Ev. Kirche in Westfalen. 02

K J 1 9 5 2 , S. 6 1 .

93

V g l . HAMBURG 1 9 5 1 , S . 9 7 .

172

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

tum der Synode der EKD für oder gegen die Wiederaufrüstung gerechnet werden konnte. Die politischen Spannungen in der EKD sollten vielmehr durch eine theologische Grundsatzdiskussion in ihren Auswirkungen neutralisiert werden. Daß die Synode trotz dieser Voraussetzungen zu einigen recht konkreten Beschlüssen kam, war die Überraschung dieser Synode für Beteiligte und Zuschauer. Schon die innerhalb der EKD umstrittene Wahl des Tagungsortes64 war ein Politikum. Daß sich die Behörden der DDR bereit gefunden hatten, die Erlaubnis zum Abhalten einer gesamtdeutschen Veranstaltung in einem Ort der DDR nahe der Grenze zur Bundesrepublik zu geben, schien manchen westlichen Synodalen eher ein verdächtiges Omen zu sein, das auf bestimmte politische Absichten der DDR-Behörden Rückschlüsse zulasse. Tatsächlich stand das Entgegenkommen der Regierung der DDR gegenüber der Synode der EKD im krassen Widerspruch zu der feindseligen Haltung, die sie seit Unterzeichnung des Generalvertrages gegenüber der Kirche in der DDR eingenommen hatte 65 , und die ζ. B. die Teilnahme von Christen aus der DDR am Stuttgarter Kirchentag verhindert hatte. Im Kontrast zur Kirchenpolitik der vorausgegangenen Monate stand auch das außerordentliche Entgegenkommen, mit dem die Behörden der DDR den Verlauf der Synodaltagung erleichterten66. Diese Tatsache unterstrich noch die Vermutung, daß die DDR aus der Ermöglichung dieser Synode politisches Kapital zu schlagen beabsichtigte. Denn inzwischen waren in der Deutschlandfrage neue Initiativen von östlicher Seite ergriffen worden67, die das Bestreben erkennen ließen, nun, nach Unterzeichnung des Generalvertrages durch die Bundesregierung, doch wenigstens seine Ratifizierung zu verhindern oder zu verzögern. Wie weit sich die Behörden der DDR durch die Erlaubnis zum Abhalten der Synode Einflußmöglichkeiten auf deren inhaltlichen Verlauf versprochen hatten, bleibe dahingestellt. Die Befürchtungen einer einseitigen politischen Beeinflussung bewahrheiteten sich jedoch, wie der Verlauf und das Ergebnis der Synode zeigten, nicht68. Die beiden Grundsatzreferate von Walter Künneth als Vertreter der lutherischen Position und von Martin Fischer als Vertreter Barthscher Theologie brachten gegenüber den bereits bekannten Argumen64 Vgl. dazu oben S. 169. Dibelius hatte von Anfang an Spandau als Ausweichort im Auge (vgl. den in Anm. 56 erwähnten Briefwechsel zwischen Zimmermann und Meiser). 65 Vgl. dazu KJ 1952, S. 183 ff.; S. 211 ff. ββ

V g l . e b d . , S . 7 7 f . u n d UNTERWEGS 6 , 1 9 5 2 , S . 2 9 3 f .

67

V g l . G . W E T T I G , E n t m i l i t a r i s i e r u n g , S . 4 9 7 ff.

68

Das wurde von der Bischofskonferenz der VELKD auf ihrer Tagung in Fulda am 28. Oktober 1952 ausdrücklich festgehalten (AVELKD, 234/1).

Synode der E K D in Elbingerode

173

ten nur wenig Neues 69 . Sie bestätigten nur die bereits auf der Synode von Weißensee 1950 deutlich zutage getretenen theologischen Differenzen innerhalb der EKD und können als eine Fortsetzung der damaligen Auseinandersetzung betrachtet werden. Künneths Ausführungen beschränkten sich im Wesentlichen auf eine neuerliche Darstellung der Zwei-Reiche-Lehre. Dabei war gegenüber früheren Darstellungen dieser Lehre jedoch deutlich insofern eine Verbreiterung der Argumentationsbasis erkennbar, als er sich bemühte, die neuen Denkanstöße Berggravs etwa zur Frage des Widerstandsrechtes oder zum Problem des Wohlfahrtsstaates aufzugreifen und sich ihnen zu stellen70. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der Gedanke, daß es bei der - von ihm nicht bestrittenen - Aufgabe des Christen zur Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung immer um die Erhaltung des Ordnungsgefüges der von Gott geschaffenen Welt gehe. Je nachdem, ob es der Christ mit einer relativ gültigen öffentlichen Ordnung zu tun habe oder mit einer pervertierten Ordnung, gebe es für ihn zwei verschiedene Konsequenzen. Im ersten Falle sei von ihm angesichts der totalen Tendenzen des Wohlfahrtsstaates (Berggrav!) eine kritische Mitarbeit verlangt; im zweiten Falle jedoch die Passion, die in einer Distanz zum öffentlichen Leben und im schweigenden Zeugnis christlicher Geduld zum Ausdruck komme. Denn grundsätzlich bejahe der Christ die Obrigkeit im Sinne von Römer 13 als Werkzeug Gottes. Dabei lehnte Künneth es ab, mit Berggrav danach zu fragen, wie diese Obrigkeit an die Macht gekommen sei. Der wichtigste Aspekt der öffentlichen Verantwortung des Christens sei deshalb das Gebet für die Obrigkeit, das „mehr wert" sei als „noch so tiefsinnige Diskussion" (S. 82). Auf den konkreten politischen Fall bezogen sei die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung jedoch abhängig vom Maße der Sachkenntnis und der jeweiligen Lagebeurteilung. Insofern gebe es keine politische Prophetie mehr (S. 83). Die gewissenmäßig zu verankernde Entscheidung des Einzelnen dürfe man nicht verallgemeinern. Entsprechend dem tradierten lutherischen Verständnis von Obrigkeit und gottgewollter Ordnung postulierte Künneth eine Verschie«» V g l . E L B I N G E R O D E 1 9 5 2 , S . 7 0 f f . u n d S . 9 0 ff. -

Martin Fischer, geb. 9. 8. 1911 in Magdeburg, 1934 Vikar der Bekennenden Kirche in Sadisen, 1935 Sekretär des DCSV, 1936 Leiter des Studentenamtes der Vorläufigen Kirdienleitung, 1945 Dozent, seit 1950 Prof. für Prakt. Theologie an der Kirchlichen Hochschule Berlin, 1967 Mitglied der Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg, 1970-1976 Vizepräsident und Leiter der West-Berliner Dienststelle der Kirchenkanzlei der EKU. 70 ELBINGERODE 1952, S. 77 und S. 87. Angabe weiterer Seitenzahlen von Zitaten im Text.

174

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

denheit der Verantwortung, die sich danach bemesse, in welchem Beruf der einzelne Christ stehe und in welchem Umfange er eine öffentliche Funktion innehabe. „Abgenommen ist dem Staatsbürger . . . die Verantwortung für die Entscheidungen der ,großen Politik', über das bestmögliche Wirtschaftssystem, über Wehrdienst oder über Krieg und Frieden" (S. 86). Ein Recht auf Gehorsamsverweigerung gegenüber dem Staat besteht nach Künneth nur, wo es sich um Konflikte mit der christlichen Verkündigung handelt (S. 87). In diesem Kontext bejahte er auch das Recht des Einzelnen auf Kriegsdienstverweigerung. Eine prinzipielle Ablehnung des Wehrdienstes durch die Christen stand für ihn jedoch außerhalb des Denkbaren. Vielmehr habe der Staat grundsätzlich das Recht, eine Wehrmacht zu besitzen und seine Bürger zum Waffendienst aufzurufen, um Staat und staatliche Ordnung zu verteidigen. Die Schwäche von Künneths Ausführungen lag vor allem in dem Mangel an Konkretion. Die „Zeitlosigkeit" seiner Ausführungen sein Referat ließ jeden Bezug zur aktuellen politischen Lage vermissen - offenbarte eine totale Geschichtsunbewußtheit. Diese Geschichtsunbewußtheit war allerdings - wie bereits mehrfach ausgeführt wurde 71 - dem deutschen Luthertum von jeher eigen und muß auch für die kirchlichen Erklärungen der Nachkriegszeit immer wieder konstatiert werden. Der Verzicht Künneths auf jede Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen Lage und mit den Problemen des geteilten Deutschland im Jahre 1952 war jedoch nicht nur ein Mangel, der mit fehlender politischer Sachkenntnis hätte entschuldigt werden können, sondern - wie Fischer in seinen Ausführungen anschließend zu Recht einwandte - praktisch eine Bestätigung der Politik der Bundesregierung 72 . Indem Künneth das prinzipielle Recht des Staates auf eine Armee postulierte, ohne zu fragen, was dieses „Recht" in der konkreten Situation des zweigeteilten, entmilitarisierten und politisch von zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen abhängigen Deutschland bedeutete, stimmte er den Wiederaufrüstungsplänen der Bundesregierung mit allen ihnen inhärenten Konsequenzen für dieses Deutschland bedenkenlos zu. Eine andere Folge des fehlenden Geschichtsbewußtseins in der von Künneth vertretenen Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre war das dabei zutage tretende Mißverständnis von Demokratie. Die für sich genommenen zweifellos richtige Forderung nach Sachkenntnis führte in der Konsequenz seines Denkens praktisch zu einer Entmündigung des Bürgers. Statt daß die Forderung nach Sachverstand in die Aufforderung an den Christen mündete, sich sachverständig zu machen, 71

Vgl. oben S. 63 u. ö.

72

V g l . ELBINGERODE 1 9 5 2 , S . 1 2 1 f .

Synode der E K D in Elbingerode

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entließ er ihn - dem alten lutherischen Ordnungsdenken verhaftet in eine höchst gefährliche und undemokratische Verantwortung zweiten Grades, die sich praktisch auf die Abgabe des Stimmzettels beschränkt. An diesem Punkte setzte dann auch mit Recht die Kritik ein, die sich sogar bis in die Tagung der lutherischen Bischofskonferenz fortsetzte 7 3 . Der aktuelle Wert von Martin Fischers Referat lag demgegenüber darin, daß er sich - anders als Künneth - den politischen Tagesfragen stellte und zu unpopulären Denkschritten herausforderte. Fisdier bekannte sich einleitend nicht nur zur öffentlichen Verantwortung des Christen, sondern in bewußter Korrektur des am Einzelnen orientierten Themas der Synode zur öffentlichen Verantwortung der verfaßten Kirche 7 4 und zum apostolischen Auftrag der Gemeinde, die zu einer wachsamen Beobachtung der Entscheidung ihrer einzelnen Glieder aufgefordert sei (S. 100). Worte der Synode sind für ihn eine legitime Möglichkeit der Kirche, öffentliche Verantwortung wahrzunehmen und die allein gelassenen Gewissen der Einzelnen anzuleiten (S. 91 und S. 95). Das eigentliche Dilemma der aktuellen politischen Lage sah Fischer darin, daß es in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Kampf zwischen zwei Ideologien gehe (S. 102 f.). Hier griff Fischer auf die Überlegungen zurück, die Hans-Joachim Iwand bereits auf der Synode von Weißensee entfaltet hatte 7 5 . Gegen diese Ideologien, die eine Folge des modernen Nihilismus seien, müsse die Kirche ankämpfen, anstatt sich, gedeckt durch die Zwei-Reiche-Lehre, zum Anwalt der Ideologie des Westens zu machen. Der E K D warf Fischer vor, daß sie die Sache der Kirche praktisch mit der Sache des Westens gleichsetze und - als Konsequenz dieser Einstellung - die Pfarrer im Osten der Verfolgung als Agenten aussetze (S. 121). Das Ausweichen der Kirche vor einer Entscheidung in der Remilitarisierungsfrage auf eine „formgerechte Wiedergabe der Lehre von den zwei Reichen" (S. 121) werde zu Recht überall in der Welt, nicht nur im Osten, als ein J a zur Remilitarisierung ausgelegt. Man müsse sich aber den wirklichen Fragen stellen, die durch die gegenwärtige politische Situation in Deutschland aufgeworfen werden. 7 3 Vgl. ebd., S. 152 f. (Metzger). Auf der lutherischen Bisdiofskonferenz am 28. Oktober 1952 kritisierte der württembergische Landesbisdiof Martin Haug das Referat Künneths: „Er habe audi nicht stark genug die Mitverantwortung des Christen am staatlichen Leben und die ständige Beunruhigung des Gewissens von der Bergpredigt her betont. Diese starke Spannung, in der der Christ immer in der Welt stehe, bewahre ihn vor einem ,servilen J a ' (Berggrav) zur Obrigkeit, das die Schwärmer immer wieder herausfordert" ( A V E L K D , 234/1). 7 4 ELBINGERODE 1952, S. 91. Seitenzahlen weiterer Zitate im Text. 7 5 Vgl. oben S. 100 ff.

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Auseinandersetzungen angesidits der EVG-Verträge

Seine Gegnerschaft gegen die Wiederaufrüstung begründete Fischer mit der Deutschlandfrage. Die Einwilligung in eine West- bzw. Ostorientierung bedeute praktisch einen Verrat an den Brüdern: außerdem sei dies gleichbedeutend mit der Einwilligung „in die ideologische Zerreißung der Welt". In diesem Zusammenhang sprach sich Fischer dagegen aus, daß der Artikel 4 des Grundgesetzes nur für grundsätzliche Pazifisten gelten solle. Die Möglichkeit eines gerechten Krieges sei gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen schwer glaubhaft zu machen (S. 124 f.). Tatsächlich wurde durch Fischers Referat der Gegensatz zu der von Künneth vorgetragenen theologischen Position „in wünschenswerter Klarheit" 7 6 deutlich. Die Schwächen dieser Position hat er scharf herausgearbeitet, die in Wahrheit immens politische Wirkung der von Künneth vertretenen Theologie aufgedeckt. Seine gegen die Wiederaufrüstungspolitik vorgetragenen Argumente ließen sich, sofern man mit ihm der Wiedervereinigung Priorität einräumte, nicht leicht widerlegen. Sie deckten sich weitgehend mit den Argumenten der politischen Freunde Heinemanns. Es ist Fischer aber m. E. nicht gelungen, überzeugend darzulegen, inwiefern die von ihm propagierte Entscheidung gegen die Wiederaufrüstung qualitativ mehr sein sollte als eine Ermessensentscheidung, die bestimmte politische Prioritäten setzt. Die Schwäche seiner theologischen Position lag in der indirekten Behauptung, daß die von ihm vertretene politische Entscheidung gegen die Wiederaufrüstung prophetischen Charakter habe und über das Niveau einer politischen Ermessensentscheidung hinausgehe. Die Feststellung, daß an bestimmten politischen Entscheidungen der Abfall von Christus manifest werden könne 77 , war grundsätzlich sicher richtig. Die Schlußfolgerung, daß es deshalb auch heute noch so etwas wie ein prophetisches Urteil gebe (S. 107), für sich genommen auch. Da Fischer aber die Frage, inwiefern die Entscheidung für eine Wiederaufrüstung Abfall von Christus sein könne, nicht untersuchte, blieb diese Aussage ohne praktische Relevanz und mußte lediglich sofern es um die Ablehnung der Wiederaufrüstung ging - als Ausdruck eines überzogenen Sendungsbewußtseins erscheinen. Die an irrationalen Ansprüchen festgemachte Argumentationsweise Fischers führte zu einer gelegentlich schwer entwirrbaren Vermengung von Glaubensurteilen mit politischer Diagnose, ein Einwand, der in der Aussprache besonders von Hanns Lilje erhoben wurde (S. 149 ff.). Gegenüber dieser Gefahr erweist sich die Zwei-Reiche-Lehre, die für die Wahrnehmung politischer Verantwortung nidit in erster Linie 76

V g l . D . KOCH, H e i n e m a n n , S. 3 6 5 .

77

ELBINGERODE 1 9 5 2 , S . 1 0 6 f .

Synode der E K D in Elbingerode

177

theologische Erkenntnis, sondern politischen Sachverstand zum Maßstab setzt, besser gefeit. Die Aussprache im Plenum und im Hauptausschuß brachte neben einer weiteren Klärung der unterschiedlichen theologischen Standpunkte auch den Versuch einer Verständigung über die aktuelle politische Problematik. Zum erstenmal wurden hier in einer Synode der E K D bedrängende politische Probleme nicht nur am Rande gestreift, sondern mit einer gewissen Gründlichkeit aufgearbeitet. Die Politiker unter den Synodalen kamen ausführlich zu Wort. Neben Ehlers, von der Gablentz, Heinemann u. a. war besonders der Beitrag, den der FDP-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Pfleiderer, der als Gast zugegen war, einbrachte, von großer Bedeutung. Allerdings fand eine wirklich offene politische Aussprache erst im Hauptausschuß 78 statt, die im Gegensatz zu Plenumsdiskussion nicht öffentlich war. Die Aussprache kreiste hauptsächlich um die These Martin Fischers, daß die Verschärfung der politischen Situation im Osten eine unmittelbare Reaktion auf die politischen Schritte des Westens sei, daß, wer die Ratifizierung der Verträge betreibe, audi die „Verantwortung für das, was dann hinter dem Eisernen Vorhang . . . geschieht", übernehmen müsse: Die Wiederaufrüstung im Westen werde unweigerlich die Wiederaufrüstung im Osten nach sich ziehen usw. (S. 121 ff.) 79 . Obwohl Rückwirkungen der Politik der Bundesregierung auf die Politik des Ostens von niemandem grundsätzlich bestritten wurden, blieb diese zugespitzte These Fischers im Hauptausschuß nicht unwidersprochen. Es wurde insbesondere darauf verwiesen, daß die Politik des Ostens durch die ideologischen Voraussetzungen ja schon in bestimmter Weise vorprogrammiert sei und daß audi ein Verzicht der Bundesregierung auf eine Ratifizierung der Verträge die Bewaffnung im Osten nicht mehr werde aufhalten können. Gerade aus dem Osten wurden sogar Stimmen laut, die sich eine Verbesserung ihrer Lage von einem Erstarken des Westens erhofften. Insbesondere Hermann Ehlers vertrat die Meinung, daß die politische Entwicklung in der Bundesrepublik praktisch unausweichlich sei; außerdem vertrat er die Ansicht, daß der Politiker nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, für die ihm anvertrauten 50 Millionen Menschen des Westens zu handeln, die sonst verhungern müßten 80 , eine Ansicht, die auch von östlicher Seite her Unterstützung fand. Wenn D. Koch urteilt, daß sich in diesen Argumenten - „und dies 1952" - eine Verengung der politischen Sicht zeigte 81 , so übersieht 7 8 Vgl. ebd., S. 230 ff. und ELBINGERODE. Die Kirche im politischen Raum. Sonderheft der J K , S. 32^15. 79

ELBINGERODE 1 9 5 2 , S . 1 3 3 .

81

Heinemann, S. 369.

»» V g l . e b d . , S . 2 3 1 .

178

Auseinandersetzungen angesichts der ΕVG-Verträge

er m. E., in welche Abhängigkeiten sich die Bundesrepublik durch die Annahme der Marshallplanhilfe, die allerdings das Hungern und Verhungern der 50 Millionen konkret verhindert hat, begeben hatte 82 . Unter Berücksichtigung dieser vorgegebenen Abhängigkeit tendierten denn auch die meisten Gesprächsteilnehmer nicht einfach in Richtung auf eine strikte Ablehnung der Verträge, sondern forderten gewissermaßen eine Verzögerungstaktik, die vorher Vier-Mächte-Verhandlungen über eine Wiedervereinigung anstreben solle. Denn die Annahme, daß der Osten jemals bereit sein könne, einer Wiedervereinigung zuzustimmen, die - wie in § 7 des Deutschlandvertrages vorgesehen - praktisch auf eine Herausgabe der DDR an die Nato hinauslaufe, wurde von den meisten als völlig irreal angesehen. Nur Ehlers und der Fuldaer Synodale Walter Bauer verteidigten die „Politik der Stärke", wobei Ehlers ζ. B. darauf hinwies, daß bei dem Empfang der Ostdelegation ein Brief der Volkskammer überreicht worden sei, in dem stehe, daß das Vertragswerk die Wiedervereinigung „erschwert", woraus er ableitete, daß also auch die DDR deshalb noch nicht alle Türen zuschlagen werde 83 . Eine interessante mittlere Position vertrat Karl-Georg Pfleiderer im Hauptausschuß. Pfleiderer, der auf Vermittlung Heinemanns zur Synoder eingeladen worden war 84 , unterstützte in einem gewissen Sinne dessen politische Vorstellungen, indem er als erstes die Aufnahme von Vier-Mächte-Verhandlungen über Deutschland forderte. Er hielt es für möglich, daß die Sowjetunion zu einer Herausgabe der Zone gebracht werden könne, dann nämlich, „wenn die Herausgabe der Zone vorteilhafter ist als der Besitz". Vorteilhafter aber sei die Herausgabe dann, wenn Rußland Einfluß nehmen könne auf das wiedervereinigte Deutschland, oder wenn seine Sicherheit nachher größer geworden sei als vorher. Pfleiderer dachte dabei an die Möglichkeit, daß Deutschland innerhalb der EVG eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Nato bewahren könne, die es ihm erlaube, mit dem Osten einen NichtAngriffspakt auszuhandeln. Hier meinte er, sei ein von der Bundesregierung noch auszulotender Verhandlungsspielraum gegenüber dem Westen, der die Wiedervereinigung unter Beibehaltung der Westintegration in den Bereich des Möglichen rücke. Einen Verzicht auf eine Westintegration im Sinne Heinemanns hielt Pfleiderer dagegen nicht für denkbar 85 . Es war deutlich, daß angesichts der unterschiedlichen Einschätzung der politischen Probleme, die mit der Frage der Wiederaufrüstung und 82

Vgl. dazu oben S. 69.

53

ELBINGERODE ( v g l . A n m . 7 8 ) , S . 3 3 .

84

V g l . D . KOCH, H e i n e m a n n , S. 364, A n m . 33.

85

V g l . ELBINGERODE ( v g l . A n m . 7 8 ) , S . 3 6 f f .

Synode der E K D in Elbingerode

179

der Ratifizierung des Deutschlandvertrages verbunden waren, der Hauptausschuß nicht in der Lage sein würde, ein klares Votum für oder gegen die Wiederaufrüstung zu erlassen. Die gründliche und sachbezogene Aussprache hatte aber doch den Boden bereiten helfen für eine Reihe erstaunlich konkreter Vorschläge und für einige vergleichsweise konkrete öffentliche Erklärungen der Synode, die das Plenum ohne größere Diskussionen passierten. Neben den Texten für ein „Wort an die Gemeinden" und für eine „Kundgebung" der Synode, auf die weiter unten noch eingegangen werden soll, verabschiedete die Synode auf Vorschlag des Hauptausschusses ein Schreiben an die Abgeordneten des deutschen Bundestages, sowie ein Telegramm an die vier Schutzmächte, das den Regierungen in Bonn und Pankow ebenfalls bekannt gemacht werden sollte 86. Die Abgeordneten wurden gebeten, bei der Entscheidung über den Generalvertrag „ihre Entscheidung, die sie stellvertretend für das ganze deutsche Volk zu bedenken haben, nur nach reiflicher Prüfung ihres Gewissens zu treffen". Außerdem wurde der Rat der EKD von der Synode beauftragt, an die Mitglieder der Volkskammer der DDR ein ähnliches Wort zu richten, wenn dort ähnliche Entscheidungen anstünden. Das Telegramm an die vier Mächte gipfelte in der Bitte, „die Voraussetzungen einer friedlichen Gestaltung der deutschen Verhältnisse dadurch zu sichern, daß sie durch baldige Besprechungen den Weg zu einer Wiedervereinigung Deutschlands freigeben". In beiden Anschreiben wurde die innerhalb der EKD strittige Haltung zur Frage der Wiederaufrüstung ausgeklammert. Erneuert wurde dagegen die alte These von Weißensee, daß die Aufspaltung Deutschlands eine Gefährdung des Friedens bedeute. Der nationale Gedanke hatte sich damit auch dieses Mal wieder als die eigentliche Klammer der EKD erwiesen. Er bildete auch den heimlichen Tenor der Kundgebung 87 und des Wortes an die Gemeinden 88 . Auch hier diente wieder die These, daß die Aufspaltung Deutschlands eine Bedrohung des Weltfriedens darstelle, der Untermauerung der latenten Forderung auf Wiederherstellung der nationalen Einheit. Die angestrebte Wiederaufrüstung Westund Ostdeutschlands unterstrich dabei nach Ansicht der Synode nodi die Bedrohlichkeit dieser Situation. Der in der Weißenseer Erklärung beobachtete fordernde Charakter dieser These wurde in der Elbingeroder Kundgebung jedoch dadurch abgeschwächt, daß als eine der Ursachen der Bedrohung des Weltfriedens - in Anknüpfung an das Stuttgarter Schuldbekenntnis - eigenes 86 88

Texte KJ 1952, S. 83-88. Ebd., S. 85 f.

87

Ebd., S. 83 ff.

180

Auseinandersetzungen angesichts der Ε VG-Verträge

Versagen und die mangelnde eigene Buße genannt wurden. Gegenüber dem Friedenswort von Weißensee bedeutete dieses Eingeständnis der Mitverantwortlichkeit der Kirche eine nicht unerhebliche Selbstbescheidung. Mit dieser Einschränkung bekannte sich die Synode von Elbingerode in ihren beiden Erklärungen ausdrücklich noch einmal zu den Formeln des Friedenswortes von Weißensee und bekundete so die Kontinuität in der Haltung der EKD zu den politischen Grundfragen. Eine Konkretion im Blick auf die aktuelle politische Problematik enthielten die beiden Erklärungen freilich nicht. Der Aufruf „zu Taten des Friedens" 89 mußte vielmehr die konkrete politische Stellungnahme zur Frage der Wiederaufrüstung und zum Generalvertrag ersetzen. Denn, so bekannte die Synode: „Wir sind nicht in der Lage, den verantwortlichen Politikern ihre Entscheidungen vorzuschreiben oder abzunehmen." 90 An der Entscheidungsunfähigkeit der Synode der EKD in den politischen Fragen hatte sich nichts geändert. Dennoch enthielten die Erklärungen von Elbingerode gegenüber anderen Erklärungen der EKD Ansätze zu einer stärkeren politischen Standortbestimmung. Denn wenn die Synode audi das Fehlen eines Konsensus gegenüber den anstehenden politischen Entscheidungen eingestehen mußte, so ließ sie doch zugleich eine betonte Zurückhaltung gegenüber den Verträgen erkennen 91 . Dadurch gab sie unmißverständlich kund, daß sie der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vor anderen politischen Zielen Priorität einräumte. Auch in der Anrede an die „Brüder im Westen" wurden vorsichtig Abgrenzungen vollzogen, die in diese Richtung wiesen. So warnte die Kundgebung der Synode vor der Gefahr einer allzu unkritischen Hingabe an die Ideale des Westens, weil darin die Gefahr liege, „im Namen christlicher Weltanschauung und Kultur das Kreuz Christi zu verleugnen" und im „Eintreten für die Freiheit, der Propagierung des Hasses und der unbarmherzigen Diffamierung des Gegners zu verfallen" 92 . Angesichts der, wie es schien, unmittelbar bevorstehenden Wiederaufrüstung beider deutscher Staaten war es darüber hinaus von politisch weittragender Bedeutung, daß sich die Synode noch einmal ausdrücklich dazu bekannte, für die Kriegsdienstverweigerer auch vor den „politischen Instanzen" einzutreten. Indem dieses Versprechen der Synode von Weißensee93 mit einer ausdrücklichen Betonung am Schluß 89

Ebd., S. 83. Ebd.; ähnlich auch in dem „Wort an die Gemeinden" (ebd., S. 86). 91 „Ein falsches Trauen auf Verträge und Bündnisse hat viele unter uns ergrif92 fen" (ebd., S. 86). Ebd., S. 84. 93 „Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und der Fürbitte der Kirche gewiß sein" (vgl. KJ 1950, S. 9). - Vgl. zum Ganzen oben S. 98 f. und oben S. 113 ff. 90

Lage der E K D nach der Synode von Elbingerode

181

der Kundgebung der Synode von Elbingerode wiederholt wurde, wurde doch auch politisch ein Signal gesetzt. Die erneute Selbstverpflichtung der E K D , sich für die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen einzusetzen, erhielt durch die hervorgehobene Placierung am Ende der Kundgebung doch auch gegenüber Weißensee eine neue Akzentuierung. Sie liegt in der darin zum Ausdruck kommenden Anerkenntnis einer echten Aporie gegenüber der Frage des Wehrdienstes 94 . 4. Die Lage der EKD nach der Synode von

Elbingerode

Daß die Synode trotz der allgemeinen Verschärfung der politischen Situation in der „Ostzone" in Elbingerode hatte stattfinden können, wurde als politischer Schachzug der DDR-Regierung interpretiert. Für die E K D selbst brachte der erstaunlich positive Verlauf der Synode dagegen eine weitgehende Entschärfung der innerkirchlichen Spannungen. Die Auseinandersetzungen, die in den Jahren vorher die E K D immer wieder bis an die Grenzen ihrer Tragfähigkeit belastet hatten, gingen vorläufig nicht weiter, sondern machten einer Phase der Besinnung auf die theologischen Grundfragen und die eigene politische Position Platz 9 5 . Zwar verstummte die Diskussion der Wiederaufrüstungsfrage nicht völlig; es traten aber doch bis zum Wiederaufflammen der Auseinandersetzung mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge im Herbst 1954 für die E K D zunächst andere Probleme in den Vordergrund. Insbesondere wurde die Aufmerksamkeit der E K D im Jahr 1952/ 53 von der Zuspitzung der politischen Situation in der D D R in Anspruch genommen 96 . Ende 1952 hatte eine Massenflucht nach West9 4 „Wir achten jede Gewissensentscheidung, die vor Gottes Angesicht im Blick auf den Gehorsam, den die Obrigkeit fordert, getroffen wird. Wir sind audi nicht in der Lage, einen für alle in gleicher Weise verbindlichen Gewissensrat zu geben. Den vielen aber unter euch, die sich in einer Lage sehen, in der sie nur mit verletztem Gewissen zur Waffe greifen könnten, sagen wir noch einmal, daß wir gewillt sind, nicht nur in der Fürbitte vor Gott, sondern auch vor den politischen Instanzen für die einzutreten, die aus Gründen des Gewissens den Kriegsdienst verweigern" ( K J 1952, 5. 85). 9 5 Vor allem in der V E L K D war durdi die provozierenden Thesen Berggravs in Hannover 1952 der Prozeß einer neuen theologischen Reflexion des Verhältnisses von Kirche und Staat ausgelöst worden. Auf Vorschlag von Oberstaatsanwalt Hans Dombois wurden in Hemer Studienkonferenzen mit dem Thema „Kirche und Staat in der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes Hannover 1952° abgehalten. Zum Ergebnis dieser Hemer-Tagungen vgl. H . DOMBOIS/E. WILKENS, Macht und Recht; vgl. auch Schreiben Meisers an Berggrav vom 1. Dezember 1953 ( A V E L K D , 7510). 9 8 Vgl. K J 1952, S. 183 ff.

182

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

Berlin eingesetzt: der Ausbau der Grenzbefestigung entlang der Grenzen zur Bundesrepublik hatte unter der Bevölkerung der DDR ganz offensichtlich eine Panik ausgelöst. Auch die evangelische Kirche selbst geriet unter immer stärkeren Druck seitens der DDR. Es kam zu einer heftigen Kampagne gegen die evangelische Kirche, die durch die Synode von Elbingerode nur vorübergehend unterbrochen worden war. Neben energischen Vorstößen gegen die kirchliche Jugendarbeit und die Diakonie kam es zu zahlreichen Verhaftungen, und zu Relegationen von den Schulen. Es ist nur zu verständlich, daß angesichts der konkreten Ausmaße dieses Kirchenkampfes in der „Ostzone" alle anderen politischen Fragen, mochten sie noch so eng mit dieser Verschärfung der kirchlichen Lage in der DDR zusammenhängen, in den Hintergrund traten. Erst am 10. Juni 1953 trat in der Politik der DDR-Regierung eine Wende ein, die auch zu einer fühlbaren Entspannung der kirchlichen Lage in der DDR führte 97 . Es muß in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob diese neuerliche Schwenkung der Kirchenpolitik der DDR-Organe in erster Linie ein Beitrag zu den bevorstehenden Wahlen zum zweiten Deutschen Bundestag war oder ob die DDR-Regierung sonst ein Überfluten der innenpolitischen Krise, wie sie dann am 17. Juni zum Ausdruck kam, fürchtete. Jedenfalls ließ der Druck auf die Kirche spürbar nach. Deutlichster Beweis dafür war die Tatsache, daß am Hamburger Kirchentag, der vom 12. bis 16. August 1953 stattfand, wieder Tausende aus der DDR teilnehmen konnten. Wieder einmal dokumentierte der Kirchentag den Wiedervereinigungswillen der Deutschen in überzeugender Weise. Er war Thema nicht nur auf diesem Kirchentag, besonders in der Arbeitsgruppe Politik, sondern bestimmte die gesamte Wahlkampfdiskussion in der EKD. Durch eine Erklärung Martin Niemöllers zur Bundestagswahl vom 15. Juli 195 398, in der er sich gegen die herrschende Partei für eine wirkliche Politik der Wiedervereinigung einsetzte, kamen die Differenzen innerhalb der EKD wieder einmal in wünschenswerter Klarheit zum Ausdruck. Dieses Mal sah sich selbst die Synode von Hessen-Nassau zum Eingreifen gezwungen; sie berief 97

Der Grund hierfür dürfte wohl in den Entspannungsbemühungen der Sowjetunion nach Stalins Tod im Frühjahr 1953 zu finden sein. Diese Entspannungsbemühungen hatten selbstverständlich auch Auswirkungen auf die DDR, deren innenpolitische Situation nach den Ergebnissen einer Umfrage im Auftrage der Sowjets psychologisch betrachtet verheerend war. Am 9. Juni 1953 beschloß deshalb die Volkskammer innenpolitische Reformen, die vor allem für Kleinbürger und Bauern zu einer fühlbaren Erleichterung führten. Auch die Kirche profitierte selbstverständlich von diesem neuen Kurs (vgl. G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 629 ff.). 88 Vgl. KJ 1953, S. 41 f.

Lage der EKD nach der Synode von Elbingerode

183

eine Sondersynode wegen Niemöllers Wahlkampferklärung ein, die am 4. August ohne Niemöller stattfand". Der überragende Wahlsieg der CDU/CSU am 6. September 1953 beendete jedoch audi diese Auseinandersetzung rasch. Als vom 25. Januar 1954 bis zum 18. Februar 1954 in Berlin die Vier-Mächte-Konferenz tagte, fand sie wenig Echo100, audi in der EKD. Hatte sich inzwischen Resignation breitgemacht, war der Wiedervereinigungswillen der Deutschen schon erlahmt? Das „Wort der Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland an die vier Außenminister" vom 12. Februar 1954101 kam spät und beschränkte sich auf eine Wiederholung der bekannten Position der EKD: 1. Forderung auf Wiedervereinigung, ohne die der Friede in Europa gefährdet bleibe, 2. Forderung nach freien Wahlen ohne Gewissensbedrängung und Furcht, und 3. Bitte, nach konstruktiven Lösungen für die Sicherheitsfrage zu suchen. Da das „Wort" wiederum jeder Analyse der bestehenden politischen Lage und jeder Konkretion auswich, erfüllte es freilich nicht viel mehr als die Funktion einer Pflichtübung. Das Wort war so allgemein formuliert, so unangreifbar in seinen Forderungen, daß es beliebig erscheint, anwendbar auf jede Konferenz zur deutschen Frage in jeder politischen Lage. Irgendein nennenswertes Echo hat dann dieses Wort an die Vier-Mächte-Konferenz auch nicht gefunden, nicht in der kirchlichen Öffentlichkeit und schon gar nicht bei den eigentlichen Adressaten. Die Synode der EKD in Berlin-Spandau, vom 14. bis 15. März 1954, die sich mit dem Fragenkomplex Familie - Ehe befaßte, enthielt sich vollends jeglicher Stellungnahme zum politischen Geschehen. Die Wiederaufrüstung als Thema war erschöpft, da die Ratifizierung der EVG-Verträge und damit ihr endgültiges Inkrafttreten gesichert schien. Die Auseinandersetzung um die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik war endgültig im Sande verlaufen. In der zweiten Phase der Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung wurde zunehmend der Einfluß des rechten lutherischen Flügels in der EKD spürbar. Er hatte in Eberhard Müller einen Repräsentanten gefunden, der auch politisch zu agieren verstand. Die - unter Berufung auf die Zwei-Reiche-Lehre - behauptete politische Neutralität des Luthertums wurde unter seinem Einfluß militant zur Aufrechterhaltung der bestehenden politischen Machtverhältnisse eingesetzt. Auch vorhandene kritische Potenzen im Luthertum traten in dieser Phase zurück und machten einer selbstverständlichen Einwilli99

V g l . d a z u e b d . , S. 5 2 - 5 6 .

100

Vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 432.

101

G . HEIDTMANN, K i r c h e , S. 1 8 4 f .

184

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

gung in die politischen Entscheidungen der Regierung Adenauer Platz. Dabei fand die immer schon vorhandene Anfälligkeit des Luthertums für obrigkeitshöriges Verhalten in der Person Konrad Adenauers als eines patriarchalischen Vertreters eines „besseren Deutschland" ein bequemes Alibi. Die zunehmende Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik trug mit dazu bei, die Sorge vor den Konsequenzen einer Wiederaufrüstung schwinden zu lassen. Für die E K D als gesamtkirchliches Organ bedeutete diese Entwicklung eine immer stärkere Einengung ihres Handlungsspielraumes im politischen Bereich. Die Versuche des Reichsbruderrates, die E K D noch einmal für ein Votum gegen die Wiederaufrüstung mobilisieren zu können, mußten deshalb fehlschlagen. Die E K D , in den Anfangsjahren der Bundesrepublik immerhin noch als eigenständige politische Potenz erkennbar, wurde nun immer mehr zu einem integrierenden und integrierten Faktor der herrschenden politischen Linie. Lediglich in der Betonung der Priorität der Deutschlandfrage leistete die E K D in dieser Phase einen eigenständigen Beitrag zum Problem der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik. Dafür sind nicht nur die öffentlichen Voten, sondern auch die zeitweiligen Vermittlungsbemühungen zwischen beiden deutschen Regierungen ein Beleg. Diese Vermittlungsbereitschaft entsprang jedoch nur scheinbar einer politisch neutralen Haltung. Zwar war in der E K D als einer gesamtdeutschen Institution das Gefühl der Solidarität mit den Deutschen in der D D R sicher fester verankert als anderswo. Das Gefühl der Verantwortung füreinander und der Wunsch nach einer Wiedervereinigung war hier immer noch am stärksten beheimatet. Aber als politische Alternative zur Westintegration war die Wiedervereinigung in dieser Phase weitgehend aus dem Blickfeld geraten. Die Formel von der „Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit", die Adenauer für seine Politik gefunden hatte, wurde nun audi von der E K D insgesamt aufgenommen und prägte den Tenor ihrer Verlautbarungen zur Deutschlandfrage immer mehr. Daß diese Formel die Wiedervereinigung politisch ins Reich der Utopie verwies, durchschauten nur wenige Männer wie Heinemann und Niemöller mit ihren Freunden. In der E K D selbst fanden sie für ihre Sicht der politischen Lage keine größere Anhängerschaft, so daß sie ihre politischen Aktivitäten immer stärker mit denen der außerparlamentarischen Opposition verbanden und für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele außerhalb der E K D nach Bundesgenossen suchten. Die E K D als ganze jedoch konnte ihr Bekenntnis zur Priorität der Wiedervereinigung nur noch als „Glaubensbekenntnis" formulieren, dem jede politische Entschiedenheit abging. Sie wurde dadurch, trotz

Geheimverhandlungen des Rates der EKD

185

ihrer unleugbaren Voreingenommenheit für eine gesamtdeutsche Lösung der deutschen Frage, tatsächlich mehr und mehr zum Erfüllungsgehilfen der Adenauerschen Politik. Die Wiederbewaffnung aber wurde wenn schon nicht begrüßt, so doch als unvermeidbar akzeptiert, und das bereits zu einem Zeitpunkt, da selbst die Presse dies noch nicht zu denken wagte. Schon seit 1951 liefen heimliche Verhandlungen zwischen dem Rat der EKD und der deutschen Bundesregierung wegen eines Militärseelsorgevertrages 102 , ein Verhandlungsgegenstand, der die behauptete strikte Neutralität der E K D in der Wiederaufrüstungsfrage zumindest in einem zweideutigen Lichte erscheinen lassen mußte. Aus der Sorge heraus, sich vielleicht nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen den gewünschten Einfluß sichern zu können, hatte sie sich, jedenfalls in ihren führenden Vertretern, nur allzuschnell auf die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik eingerichtet. Die Wiederbewaffnung hatte die E K D damit am Ende dieser Phase faktisch akzeptiert.

Exkurs Die Geheimverhandlungen des Rates der EKD mit der Bundesregierung über den Abschluß eines Militärseelsorgevertrages103 Die offiziellen Äußerungen des Rates, der Synode und der Kirchenkonferenz der E K D lassen die E K D als in der Wiederaufrüstungsfrage zurückhaltend-neutral erscheinen und primär interessiert an einer gesamtdeutschen Lösung der politischen Spannungen. Die Wiedervereinigung blieb erklärtes Anliegen der EKD. So jedenfalls mußte es dem unbefangenen Beobachter der kirchlichen Szenerie trotz aller auch erkennbaren Differenzen in den politischen und theologischen Einzelfragen erscheinen. In einem gewissen Widerspruch zu dieser offiziellen Haltung der EKD stehen aber von Anfang an die Aktivitäten, die der Rat der EKD über seinen Beauftragten beim Bundeskanzleramt entfaltete. Seit November 1949 gab es einen „Bevollmächtigten des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland", Hermann Kunst 104 , der 102 103

Vgl. dazu unten S. 186 ff. Zum folgenden vgl. die Protokolle der Sitzungen des Rates der EKD (AKK

HANNOVER); K . STEUBER, Militärseelsorge, bes. S. 1 2 - 2 9 ; S. 1 0 5 - 1 2 8 ; W . HUBER,

Kirche und öffentlidikeit, S. 247-271. 104 Hermann Kunst, geb. 21. 1. 1907 in Ottersberg, 1932 Pfr., 1940 Sup. in Herford, Wehrdienst, seit 1945 in der Kirchenleitung der westfälischen Kirche, 1949 Leiter des Landeskirchenamtes Bielefeld, 1950-1977 Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung, 1957-1972 Militärbischof.

186

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

die Aufgabe hatte, bei allen das Verhältnis Kirche und Staat betreffenden Angelegenheiten tätig zu werden. Schon seit Oktober 1951 war dieser Bevollmächtigte vom Rat mit der Aufgabe betraut worden, mit Bonn Verhandlungen zu beginnen, einmal über die Gestaltung der „Seelsorge in etwaigen deutschen Verbänden" und zum anderen darüber, daß bei einem etwaigen Wehrgesetz „ordinierte Geistliche von der Wehrpflicht ausgenommen werden" sollten105. Diese Verhandlungsthemen, mit denen später Oberkirchenrat Edo Osterloh 106 beauftragt wurde, waren selbstverständlich streng geheim. Ihnen wurde als weiteres Verhandlungsthema die Sicherung des rechtlichen Schutzes der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen hinzugefügt. Nur über den letzteren Verhandlungsgegenstand, für den es ja seit der Synode von Weißensee eine offizielle Selbstverpflichtung der EKD gab, wurde von Anfang an in der kirchlichen Öffentlichkeit auch Bericht erstattet - zumindest soweit es das Faktum als solches betraf 107 . Uber das Faktum von Verhandlungen über einen Militärseelsorgevertrag mit der Bundesregierung wurde die Synode der EKD aber praktisch erst zu ihrer außerordentlichen Sitzung in Berlin vom 27. bis 29. Juni 1956 unterrichtet 108 . Zu diesem Zeitpunkt waren die entscheidenden Weichen aber schon längst gestellt, der Vertragsentwurf fertig 109 und Kunst als Militärbischof der EKD bereits beauftragt 110 . Die Synode der EKD konnte praktisch nur noch durch entsprechende Beschlußfassungen die bereits gefällten Entscheidungen sanktionieren, ohne daß Zeit gewesen wäre, eine eigene Meinungsund Willensbildung der Synode zu dieser Frage in Gang zu bringen und in die rechtliche Gestaltung dieser außerordentlich heiklen Materie einzubeziehen. Wie wenig die Synode in dieser Sache in Wirklichkeit vom Rat der EKD befragt und ernst genommen wurde, zeigt sich auch darin, daß nicht nur die Paraphierung des Vertragswerkes, sondern auch seine endgültige Unterzeichnung noch vor der hierfür entscheidenden nächsten ordentlichen Synode in Berlin-Spandau im März 1957 erfolgte 111 . LOS Vgl. Protokoll der 25. Sitzung des Rates der EKD am 25. Oktober 1951, P u n k t 15 ( A K K HANNOVER). 108 Edo Osterloh, geb. 2. 4. 1909 in Rotenhalm/Oldenburg, ertrunken 25. 2. 1964 in der Kieler Förde, 1934 Assistent in Bethel, 1935 Dozent in Berlin, 1945 OKR in Oldenburg, 1949-1953 in der Kirchenkanzlei der EKD, 1956-1964 Kultusminister von Schleswig-Holstein. 107

Vgl. KJ 1950-1956.

108

V g l . BERLIN 1 9 5 6 .

loe Vgl Protokoll der 7. Sitzung des Rates der EKD vom 15./16. Dezember 110 1955 (AKK HANNOVER, 046 Beih.). Ebd. 111 Laut Protokoll der 19. Sitzung des Rates der EKD vom 7-/8. Februar 1957 (ebd.).

Geheimverhandlungen des Rates der E K D

1S7

Ernsthafte Bedenken gegen die Eile, mit der seitens des Rates die Verhandlungen über den Abschluß eines Militärseelsorgevertrages von Anfang an betrieben wurden, wurden im Rat selbst vor allem von Martin Niemöller vorgebracht. In einem Brief an die Kirchenkanzlei der E K D vom 26. Mai 1953 erhob er Einspruch gegen den Beschluß des Rates vom 7./8. Mai 1953, „einen Ausschuß einzusetzen, der die grundsätzlichen, organisatorischen und persönlichen Fragen" im Zusammenhang mit der „Einrichtung einer etwaigen künftigen Militärseelsorge" prüfen solle. „Die evangelische Kirche", so schreibt Niemöller, „hat sich mit derartigen Fragen solange nicht zu beschäftigen, als es keine militärischen Verbände gibt, und solange es nicht einmal feststeht, ob militärische Verbände verfassungswidrig sind oder nicht. Wenn aber für Militärseelsorge gesorgt werden muß, dann kann der Ausschuß, der diese Frage prüft, unmöglich aus lauter ehemaligen Feldgeistlichen und Parteimitgliedern bestehen. Und daß die evangelische Kirche einen ,Feldgeneralvikar* stellt, das dürfte immerhin nicht nur ein Novum, sondern auch ein gewisses Non-plus-ultra bedeuten." 1 1 2 Aber ungeachtet dieser grundsätzlichen Bedenken wurden die Verhandlungen zügig weitergeführt. Da ihr Inhalt auch weiterhin der Geheimhaltungspflicht unterlag, mußte auch die Kritik Niemöllers wirkungslos bleiben. Durch diese Darstellung soll keine grundsätzliche Kritik am Zustandekommen der Militärseelsorge geübt werden 113 . Auch die Tatsache, daß die Verhandlungen mit dem „Amt Blank" zu diesem Gegenstand unter strenger Geheimhaltung geführt wurden, soll hier nicht grundsätzlich kritisiert werden. Es gab sicherlich eine ganze Reihe gewichtiger Gründe, an dieser Stelle außerordentlich vorsichtig zu verfahren, nicht nur aus Rücksicht auf die ohnedies schwierige Situation der evangelischen Kirchen in der D D R . Auch im Hinblick auf die noch ungefestigten innenpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik mochte es sich nahelegen, eine öffentliche Diskussion der Frage, ob die Kirche eine Militärseelsorge einrichten solle, nicht vor Verabschiedung einer entsprechenden Wehrgesetzgebung in Gang zu bringen, da dies zweifellos als eine Unterstützung militaristischer Tendenzen durch die evangelische Kirche interpretiert worden wäre und entsprechenden Gruppen in der Bundesrepublik einen unerwünschten Prestigezuwachs verliehen hätte. Wie die E K D aber angesichts dieser Tatsache noch weiterhin die 1 1 2 Anlage zum Protokoll der 37. Sitzung des Rates der E K D vom 11./12. Juni 1953 (ebd.). 113 Vgl. dazu inhaltlich W. HUBER, Kirche und Öffentlichkeit, S. 247 ff.

188

Auseinandersetzungen angesichts der EVG-Verträge

Fiktion aufrechterhalten will, sie habe bei der Auseinandersetzung um die Wiederaufrüstung niemals die Priorität der Wiedervereinigung aus den Augen verloren, erscheint mir schwer verständlich. Vielmehr ist auch diese Tatsache ein weiterer Beleg dafür, daß die EKD schon sehr früh aufs ganze gesehen nicht nur ideologisch durch einen deutlichen Antikommunismus für den Westen optiert, sondern auch praktisch die mit dieser Westoption verbundenen rüstungspolitischen Entscheidungen bejaht und mitgetragen hat. Den Verhandlungspartnern der Bundesregierung und des Amtes Blank kann hierfür jedenfalls ebensowenig wie dem Ratsvorsitzenden Otto Dibelius Naivität und Ahnungslosigkeit über die entsprechenden Implikationen unterstellt werden. Folgerichtig wurde die EKD dann auch von der Regierung der DDR entsprechend interpretiert. Die für den 3.-8. März 1957 in Halle geplante EKD-Synode wurde aus Protest gegen die Militärseelsorge abgesagt und mußte nach Berlin verlegt werden. Die DDR sah in der Einrichtung der Militärseelsorge eine „Zustimmung der Kirche zur Wehrpflicht" 114 . Zwar verwahrte sich Heinrich Grüber 115 in einem Antwortschreiben an den stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten Otto Nuschke namens des Rates und des Präses der Synode der EKD dagegen, „daß der geplante Vertrag der Evangelischen Kirche in Deutschland mit der Bundesregierung... auf eine moralische Stärkung der N A T O hinausläuft oder eine allgemeine Wehrpflicht bejaht", indem er darauf verwies, daß die Kirche auch hier nur ihren selbstverständlichen Auftrag an ihren Mitgliedern wahrnehme 116 ; aber überzeugen konnte dieses Dementi sicher nicht. Die EKD hatte sich in Wahrheit durch die Verhandlungen über die Militärseelsorge und den Abschluß eines entsprechenden Staatsvertrages als allzu bequemer Partner der von Adenauer betriebenen „Politik der Stärke" exponiert.

114

Vgl. Protokoll der 18. Sitzung des Rates der EKD am 17./18. Januar 1957

( A K K HANNOVER, 0 4 6 Beih.). 115

Heinrich Grüber, geb. 24. 6. 1891 in Stolberg/Rheinland, gest. 29. 11. 1975 in Berlin, 1920 Pfr. in Dortmund, 1934 in Berlin, 1937 Gründer und Leiter der Ev. Hilfsstelle für nichtarische Christen („Büro Grüber"), 1940-1943 KZ Sachsenhausen und Dachau, 1945 Propst in Ost-Berlin, 1950-1958 Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Regierung der D D R . 116 Vgl. Anlage zum Protokoll der 19. Sitzung des Rates der EKD am 7./8. Februar 1957 (AKK HANNOVER, 046 Beih.).

Kapitel 8

Dritte Phase: Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht 1. Die politische Entwicklung nach dem Scheitern der EVG bis zur Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO1 Die Ablehnung der EVG-Verträge durch Frankreich löste überall bei den westlichen Bündnispartnern Enttäuschung und Empörung aus. Insbesondere die USA fühlten sich durch das Scheitern der in mehr als 2 1/2jährigen Verhandlungen ausgehandelten Verträge in der französischen Nationalversammlung brüskiert und drängten nun auf eine rasche Alternative. Die Aufnahme der Bundesrepublik in die Nato erschien ihnen dabei als die einfachste Lösung. So setzte unmittelbar nach dem Scheitern der EVG eine rege diplomatische Aktivität ein, wobei in Vorgesprächen zwischen den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik und teilweise unter Umgehung Frankreichs als des Störenfrieds die Modalitäten einer Aufnahme der Bundesrepublik in die Nato vorgeklärt wurden. Vom 28. September bis zum 3. Oktober 1954 fand dann in London eine Neun-Mächte-Konferenz statt, in der die Grundlinien der sogenannten Pariser Verträge ausgehandelt wurden. Sie sahen - mit Rücksicht auf den französischen Verhandlungspartner — die Eingliederung der Bundesrepublik in ein europäisches Verteidigungssystem (WEU) auf der Grundlage des Brüsseler Paktes von 1948 vor und ihre gleichzeitige Aufnahme in die Nato 2 . Gemessen an den Idealen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der die Idee einer späteren politischen Einigung Europas zugrunde gelegen hatte, mußte der Rückgriff auf den Brüsseler Pakt als eine ausgesprochene Notlösung erscheinen3. Immerhin blieb aber auch im Brüsseler Pakt wenigstens dem Anspruch nach ein Minimum an 1

Die folgende Darstellung der politischen Entwicklung bis zum Eintritt der Bundesrepublik in die N a t o stützt sich im wesentlichen auf G. WETTIG (Entmilitarisierung, S. 590 ff. und S. 620 ff.). 2 Der Brüsseler Pakt von 1948 war ursprünglich als Zusammenschluß gegen etwaige Angriffe der Bundesrepublik deklariert gewesen, obwohl er seiner Intention nach von Anfang an mehr noch ein getarntes Schutzbündnis gegen die UdSSR war. D a er die Möglichkeit eines Beitritts weiterer Staaten vorsah, ließ er sich relativ leicht soweit uminterpretieren, daß auch Italien und die Bundesrepublik Mitglied werden konnten. 3 D a ß es sich bei den Pariser Verträgen um eine Notlösung handele, die hinter dem ursprünglichen Ziel einer europäischen Einigung weit zurückbleibe, wurde in der Bundestagsdebbatte zu den Pariser Verträgen am 15./16. Dezember 1954 von Adenauer und Abgeordneten der C D U mehrfach unterstrichen (vgl. DEUTSCHE PARLAMENTSDEBATTEN, B d . 3 , S . 1 4 4 f f . ) .

190

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

europäischer Gemeinsamkeit erhalten; vor allem aber bot dieses Instrument den Sicherheitsbedürfnissen Frankreichs gegenüber der Bundesrepublik eine Garantie, die die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der N a t o als der weitaus größten Organisation für sich allein (15 Mitglieder gegenüber 7 im Brüsseler Pakt) nicht geboten hätte. Trotz der französischen Widerstände, die auch in London wieder zu spüren waren, konnten die Vorstellungen der 9-Mächte-Konferenz rasch realisiert werden. Adenauer selbst hatte fünf Zugeständnisse der Bundesregierung genannt, mit denen er die Bedenken Frankreichs zerstreuen wollte. Dazu gehörten u. a. die Bereitschaft, die Streitkräfte der Bundesrepublik auf ein Maximum von 12 Divisionen zu begrenzen, diese Streitkräfte für die volle Integration in eine supra-nationale Armee bereitzuhalten und der freiwillige Verzicht der Bundesrepublik auf die Produktion von atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Außerdem bot er später der N a t o noch eine Nichtangriffserklärung der Bundesrepublik an, durch die garantiert werden sollte, daß die N a t o von der Bundesrepublik nicht zur gewaltsamen Erlangung ihrer nationalen Ziele in einen Krieg hineingerissen werden würde 4 . Als Gegenleistung verlangte Adenauer jedoch die volle Souveränität für die Bundesrepublik, eine Forderung, die er von Anfang an stets als Vorbedingung einer Zustimmung zu einem deutschen Verteidigungsbeitrag genannt hatte 5 . Nach der grundsätzlichen Einigung auf der Londoner 9-MächteKonferenz wurden die Einzelheiten des Vertragswerkes noch im Laufe des Oktobers in Paris ausgearbeitet. Die französische Regierung holte sich bereits am 12. Oktober das grundsätzliche J a der Nationalversammlung. Am 23. Oktober 1954 konnten die Verträge unterzeichnet 4 „Nach ihrem Beitritt zum Nordatlantikpakt und zum Brüsseler Vertrag erklärt die Bundesrepublik, daß sie sich aller Maßnahmen enthalten wird, die mit dem streng defensiven Charakter dieser beiden Verträge unvereinbar sind. Insbesondere verpfliditet sich die Bundesrepublik Deutschland, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und alle zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten gegebenenfalls entstehenden Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lösen." - Als Gegenleistung erklärten die übrigen beteiligten Mächte, „die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung zu betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet wurde und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes zu internationalen Angelegenheiten zu sprechen", und als ein Ziel ihrer Politik „die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel" zu betrachten (nach

N . TÖNNIES, W e g z u d e n W a f f e n , S . 1 5 5 ) . 5 P. NOACK urteilt, daß die „Bundeswehr für Adenauer wesentlich einen instrumentalen Charakter zum Erreichen außenpolitischer Ziele hatte", ein Mittel zum Zweck, das er auch „getauscht" hätte, wenn er damit sein eigentliches Ziel, die Bundesrepublik unwiderruflich an die westeuropäischen Staaten anzubinden, hätte erreichen können (Militärische Entscheidungen, S. 154 f.).

Politische Entwicklung nach dem Scheitern der EVG

191

werden. Am 30. Dezember ratifizierte Frankreich, am 27. Februar stimmte der Deutsche Bundestag zu. Am 6. Mai 1955 trat die Bundesrepublik offiziell der Nato bei. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik war damit endgültig entschieden. Diese rasche Wendung kam für alle Seiten unerwartet. Nicht nur die innen- sondern auch die außenpolitischen Gegner einer Wiederaufrüstung der Bundesrepublik hatten sich von dem Scheitern der EVGVerträge Chancen für ihre eigenen politischen Vorstellungen erhofft. Insbesondere die Sowjetunion zeigte sich nach wie vor sehr daran interessiert, die Eingliederung der Bundesrepublik in ein westliches Verteidigungsbündnis zu verhindern. Diesem Ziel dienten zuerst Warnungen an die Adresse Frankreichs vor einem Wiedererstarken des deutschen Militarismus. Später reagierte die Sowjetunion mit einer Reihe von konkreten Angeboten auf die Pariser Verhandlungen, die einerseits die deutschen Interessen, andererseits die Sicherheitsinteressen Europas zum Inhalt hatten. Schon am 6. Oktober, wenige Tage nach dem offenkundig erfolgreichen Verlauf der Londoner NeunMächte-Konferenz, schlug der sowjetische Außenminister Molotow in Berlin Verhandlungen über ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem vor, verbunden mit dem Angebot einer Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage der Stalinnote vom 2. März 1952. Eine Deklaration der Ostblockstaaten vom 2. Dezember 1954 zielte in die gleiche Richtung. Die sowjetische Deutschlanderklärung vom 15. Januar 1955 ging sogar noch weiter und bot freie Wahlen in Gesamtdeutschland unter internationaler Aufsicht an. Wie sehr der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt noch daran gelegen haben mußte, eine Wiederaufrüstung und Westintegration der Bundesrepublik zu verhindern, geht auch daraus hervor, daß einen Tag nach der Billigung der Pariser Verträge durch den Deutschen Bundestag der damalige sowjetische Binnenhandelsminister Anastas Mikojan auf der Leipziger Messe erklärte, die Deutschlandfrage könne immer noch gelöst werden, wenn die Bundesrepublik außerhalb der westlichen Allianz bleibe®. Auf den Verlauf der Pariser Gespräche und die Verhandlungen über den Nato-Beitritt der Bundesrepublik hatten diese sowjetischen Angebote jedoch keinen Einfluß mehr. Auch der Absdiluß des österreichischen Staatsvertrages spielte wohl in der innenpolitischen Auseinandersetzung, nicht aber in der Außenpolitik der Bundesregierung eine Rolle. Die Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion in der Deutschlandfrage wurde audi dieses letzte Mal, da konkrete Angebote vorlagen, weder von der Bundesregierung noch von den westlichen Verbündeten getestet. Die Entscheidung für eine Wieder8

V g l . G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 6 3 8 .

192

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

aufrüstung und Westintegration wurde keiner wirklichen Überprüfung mehr unterzogen. 2. Die

Paulskirchenbewegung

Das Scheitern der E V G war von den Gegnern der Wiederaufrüstung in der Bundesrepublik mit Erleichterung aufgenommen worden. Noch einmal schien damit eine Chance für die Wiedervereinigung Deutschlands gegeben zu sein. Eine Atempause zugunsten neuer Deutschlandsinitiativen schien gekommen. So äußerte sich Gustav Heinemann: „Nach dem Scheitern der E V G ist der Zeitpunkt gekommen, wo die politischen Konzeptionen der letzten Jahre neu geprüft werden sollten!" 7 Um so größer war die Enttäuschung über die Pariser Verträge. Eine Welle des Protestes erhob sich im Laufe des Oktober/November 1954, die sowohl in ihrer Intensität als auch in ihrer politischen Wirksamkeit die voraufgegangenen oppositionellen Strömungen eher noch übertraf. Selbstverständlich fühlten sich auch kirchliche Kreise durch die neue Entwicklung wieder zu besonderem Engagement herausgefordert 8 . Während jedoch in den Jahren 1951/52 die Opposition gegen die Wiederaufrüstung in viele kleine und kleinste Gruppen auseinandergefallen war und insgesamt darunter gelitten hatte, daß es ihr nicht gelungen war, sich gegen den Verdacht kommunistischer Unterwanderung abzusichern, fand die Opposition des Jahres 1954/55 eine breite, auch parlamentarische Unterstützung in der Öffentlichkeit. Als sogenannte „Gesamtdeutsche Aktion" mündete sie in einer groß angelegten Kampagne gegen die Unterzeichnung der Pariser Verträge, die in der Paulskirchenkundgebung vom 29. Januar 1955 ihren öffentlichen Höhepunkt fand 9 . Die über den aktuellen Anlaß hinausreichende Bedeutung der Paulskirchenbewegung bestand darin, daß hier zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik, ja der deutschen Geschichte Vertreter der SPD, der Gewerkschaften, der GVP und der beiden großen Kirchen sich zu einer politischen Aktionseinheit zusammenfanden. Die Übertragung der Kundgebung im Rundfunk und ihre Kommentierung in Presse und Öffentlichkeit verlieh der Opposition gegen die Pariser Verträge ein Gewicht, das die Kampagne gegen die Remilitarisierung der Jahre 1951/52 nie gewonnen hatte. 7

V g l . D . KOCH, H e i n e m a n n , S. 439, A n m . 2.

Vgl. dazu die Überblicke in: K J 1954, S. 75 ff. und K J 1955, S. 4 ff. • Zu Hintergründen und Verlauf der Paulskirdienbewegung vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 438 ff. 8

Paulskirdienbewegung

193

Der eigentliche Ansatzpunkt für die kirchliche und parlamentarische Opposition gegen die Pariser Verträge lag in der Hast, mit der diese Verträge nach dem Scheitern der E V G über die parlamentarischen Hürden gebracht werden sollten. Dabei ging es dieses Mal nicht so sehr um grundsätzliche Bedenken gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik oder um die Darlegung der unterschiedlichen theologischen, ideologischen und politischen Standpunkte als vielmehr um konkrete, aus der Analyse der gegenwärtigen politischen Situation sich ergebende Einwände. Die Deutschlandfrage war ihr eigentliches Thema. Die Initiatoren der „gesamtdeutschen Aktion" wollten auf der Grundlage einer möglichst breiten Öffentlichkeit die Bundesregierung dazu zwingen, in Verhandlungen über die Wiedervereinigung mit der Sowjetunion einzutreten, ehe die Pariser Verträge ratifiziert würden. Sie beriefen sich dabei auf die wiederholten Versicherungen der Sowjets, daß nach Ratifikation der Verträge eine Verhandlung über die Frage der Wiedervereinigung zwecklos sein würde 10 . Hauptforderung der „Gesamtdeutschen Aktion", wie sie auch im „Deutschen Manifest" der Paulskirchenkundgebung formuliert wurde, war deshalb, daß die Wiedervereinigung vor einer militärischen Blockbildung Priorität haben müsse. „Die Verständigung über eine VierMächte-Vereinbarung zur Wiedervereinigung muß vor der militärischen Blockbildung den Vorrang haben. Es können und müssen die Bedingungen gefunden werden, die für Deutschland und seine Nachbarn annehmbar sind, um durch Deutschlands Wiedervereinigung das friedliche Zusammenleben der Nationen Europas zu sichern." 11 Das Gefühl, daß mit der Verabschiedung der Pariser Verträge eine letzte Chance zur Wiedervereinigung verspielt sein könnte, verlieh der Opposition des Herbstes 1954/55 ihre Kraft. Hier spielten sich die Vertreter von Gewerkschaft, Kirche und SPD mit ihren Argumenten gegenseitig in die Hände und legten die schwachen Stellen in der politischen Argumentation Adenauers bloß. Adenauers Position hing ja ganz an der Prämisse, daß sich an der aggressiven Politik der Sowjetunion gegenüber dem Westen nichts geändert habe. Nach dem Tode Stalins habe sie zwar eine „Änderung ihrer Taktik und Methoden eingeschlagen", sei aber „in der Verfolgung des Ziels der Weltbeherrschung völlig unnachgiebig geblieben" 12 . Das Scheitern der E V G sei „der größte Erfolg der Sowjetunion auf dem europäischen Schauplatz des Kalten Krieges gewesen". Aus Sicherheitsgründen sei deshalb der rasche Abschluß der Pariser Verträge unerläßlich. Gegen den Vorwurf, ihm läge die Wiedervereinigung nicht vorrangig am Herzen, berief 10 11 12

Vgl. ebd., S. 441, Anm. 15. Vgl. ebd., S. 446; K J 1955, S. 15. D E U T S C H E PARLAMENTSDEBATTEN, B d . 3 , S . 1 5 2 .

194

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

sich Adenauer auf die Zusicherung der Mitgliedstaaten der N a t o , daß „die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschland durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel ihrer Politik sei". Auf Heinemanns Rolle als Initiator oder doch treibende K r a f t der Paulskirchenbewegung geht D. Koch ausführlich ein 13 . Für Heinemanns politisches Wollen war die „Gesamtdeutsche Aktion" nach dem praktischen Scheitern der G V P ein notwendiger Versuch, seiner an der Priorität der Deutschlandfrage orientierten politischen Zielsetzung doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Sein Auftritt in der Paulskirche neben Erich Ollenhauer (SPD), Georg Reuter (Gewerkschaft) und anderen ließ ihn selbstverständlich in erster Linie in seiner Rolle als Parteipolitiker erscheinen. So war es verhältnismäßig leicht, seine Argumente als die eines politischen Außenseiters, eines Linken, Moskauhörigen usw. abzutun. U m so stärkeres Gewicht hatte dafür in der Öffentlichkeit die T a t sache, daß neben den Parteipolitikern audi Theologen als Redner auftraten. Vor allem Helmut Gollwitzers N a m e in der Rednerliste der Paulskirchenbewegung sprengte diesen Rahmen des politisch Festgelegten, Einordnenbaren und wirkte deshalb von vornherein verunsichernd. Aus der Fülle von Zuschriften, die Gollwitzer vor oder nach der Kundgebung erhalten hat 1 4 , läßt sich diese Verunsicherung deutlich herauslesen. Gollwitzer war unendlich vielen Deutschen durch seinen zuerst 1951 erschienenen Gefangenschaftsbericht „ . . . und führen, wohin du nicht willst", der wohl als das seelsorgerliche Ereignis der frühen 50er Jahre bezeichnet werden kann, bekannt und scheinbar vertraut. Die Erfahrung von Millionen Deutschen in russischer Kriegsgefangenschaft und bei der Vertreibung hatte er aufarbeiten helfen, hatte Kriterien an die H a n d gegeben für die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sowjetrussischer Prägung und hatte - eine unbeabsichtigte Nebenwirkung - auf den ideologisch begründeten Antikommunismus westlicher Prägung stabilisierend gewirkt. D a ß Gollwitzer, der doch „den Russen durchschaut" hat wie kaum einer sonst, für Verhandlungen eintrat, die Frontlinien des Kalten Krieges zu durchbrechen riet und Adenauers Politik der Stärke kritisierte, wirkte beunruhigend. Ein Hörer schreibt, noch auf dem Stuttgarter Kirchentag habe er Gollwitzer auf der Seite derjenigen zu sehen geglaubt, die einen Wehrbeitrag bejahen 15 . E r solle sich doch ja nicht von der SPD mißbrauchen lassen, rät man ihm. 13 14 15

Heinemann, S. 438 ff. Vgl. AKTEN GOLLWITZER, N r . 134 (Briefe pro und contra Paulskirchenaktion). Ebd.

Paulskirchenbewegung

195

Tatsächlich war Gollwitzers Haltung in der Frage der Wiederaufrüstung ja zunächst sehr differenziert 16 ; einer Vereinnahmung für linke oder pazifistische Bestrebungen hat er sich in dem in Frage kommenden Zeitraum immer widersetzt. Zu einer deutlichen Ablehnung der Wiederaufrüstung ist er erst spät, im Zusammenhang mit der Atomdebatte, gekommen. Durch die Möglichkeit von Massenvernichtungsmitteln schien ihm die Frage nach der Stellung des Christen zum Krieg eine qualitativ andere Bedeutung bekommen zu haben, die eine Aufrüstung ad absurdum führte. Doch die Atomfrage stand 1955 noch nicht im Vordergrund der Überlegungen, obwohl sie von ihm wie auch von einigen Gegnern der Wiederaufrüstung schon gesehen wurde 17 . Es ging noch immer primär um die Frage der Wiedervereinigung. Hier war denn audi der Ansatz für Gollwitzers Argumentation. Audi er setzte sich für den Vorrang der Wiedervereinigung vor einer militärischen Blockbildung ein. Die aus der Ablehnung der Pariser Verträge durch den deutschen Bundestag zu erwartende Krise der europäischen Politik sei immer noch eher zu verkraften als die Verewigung der deutschen Teilung. Gollwitzer vertrat die These, daß eine Regelung der europäischen Probleme unmöglich sei ohne die deutsche Wiedervereinigung. Nur sie schaffe die Voraussetzung für die europäische Einigung und die Befriedigung des sowjetischen Sicherheitsbedürfnisses. Dabei veranschlagte er das sowjetische Sicherheitsbedürfnis höher als das von ihm auch gesehene Expansionsstreben des Kommunismus: „Die besten Rußlandkenner sind sich heute darüber einig, daß auch dem Kreml heute ein langer Frieden in Europa wichtiger ist als die kommunistische Expansion." 18 Daß nach der westdeutschen Wiederbewaffnung eine Wiedervereinigung noch erreichbar sei, hielt Gollwitzer für ausgeschlossen, weil diese Tatsache die Sowjets zu einer endgültigen Einverleibung der DDR in ein osteuropäisches Militärbündnis zwingen würde. Eine Wiedervereinigung sei deshalb, wie aber auch die bisherigen Angebote der Sowjets zeigten, nur um den Preis des Verzichtes der Deutschen auf eine Integration in ein westliches Militärbündnis zu erreichen. Nur ein bündnisfreies Gesamtdeutschland sei für das sowjetische Sicherheitsbedürfnis annehmbar. 18

Vgl. dazu oben S. 126. Die Diskussion der Atomwaffenfrage begann in der evangelischen Kirche zwar schon Anfang 1954 (vgl. KJ 1954, S. 67 ff.), sie wurde aber erst durch die innenpolitischen Auseinandersetzungen angesichts der Forderung des frisch ernannten Verteidigungsministers Franz Josef Strauß am 17. Oktober 1956 in London nach Atomwaffen für die Bundeswehr ein öffentliches Thema, das eigenständiges politisches Gewicht bekam (vgl. K. BAUER, Verteidigungspolitik, S. 30). 18 Rede auf der Paulskirchenkundgebung in Frankfurt am 29. Januar 1955 (KJ 1955, S. 11 ff.; Zitat S. 13. Seitenzahlen weiterer Zitate im Text). 17

196

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

Gollwitzer setzte sich in diesem Zusammenhang auch mit dem Haupteinwand gegen eine Neutralisierung Deutschlands auseinander, nämlich mit der Angst, ein neutrales Deutschland werde zur billigen Beute für das kommunistische Expansionsstreben. Dies zu verhindern, so meinte er, liege im ureigensten Interesse des Westens und könne durch entsprechende vertragliche Neutralitätsgarantien des Westens sichergestellt werden. Dabei maß er einer solchen deutschen Entscheidung für militärische Blockfreiheit über den nationalen Aspekt hinaus zukunftsweisende weltweite Bedeutung bei. Denn nur eine Befreiung von dem starren Denken in zwei Blöcken, das er als „gestriges Denken" bezeichnete, könne dazu verhelfen, den Problemen des heraufkommenden Atomzeitalters durch neue pluralistische Lösungen gerecht zu werden: „Auflösung der starren Zweiteilung der Welt, des starren Denkens in zwei Lagern, ein neuer Pluralismus der Mächte ist nötig, wenn wir zu einer Bändigung der Atomgefahr, zu einer allgemeinen Abrüstung und zum lebensnotwendigen Völkerrecht der Atomzeit kommen wollen" (S. 13). Aber nicht diese weltpolitischen Aspekte standen im Vordergrund seiner Argumentation, sondern der Hinweis auf die 18 Millionen Deutschen, die es gelte vor der sonst unaufhaltsamen Sowjetisierung zu bewahren. Gollwitzer wehrte mit diesem Gedankengang den Vorwurf nationalstaatlichen Denkens, wie er gegen die leidenschaftlichen Verfechter der Priorität der Wiedervereinigung schon damals immer wieder erhoben wurde, entschieden ab. Nicht Nationalismus mache ihnen die deutsche Zweiteilung unerträglich, „sondern unmittelbare menschliche Pflicht gegenüber 18 Millionen Deutschen", für die „wir . . . die Nächsten" seien (S. 12). Mit dieser Interpretation des Wiedervereinigungswillens der Deutschen, die zuerst von Martin Niemöller gebraucht worden war, hatte Gollwitzer ein Moment in die Paulskirchenbewegung hineingetragen, das unmittelbar an die antisowjetischen Gefühle der Deutschen appellierte: die Wiedervereinigung als Rettung von wenigstens 18 Millionen Deutschen vor der endgültigen Bolschewisierung und kommunistischen Unterjochung, als ein Teilsieg also gegen das Vordringen der kommunistischen Weltrevolution. Durch diese, auch von den übrigen Rednern geteilte Interpretation der „Gesamtdeutschen Aktion", sollte jeder Vorwurf einer insgesamt östlich-kommunistisch gesteuerten Bewegung von den Veranstaltern der Paulskirche abgewehrt werden, und die von ihr erzeugte „Unruhe" (S. 11), als eine letztlich den geheimen Zielen der Bundesregierung förderliche Unruhe gedeutet werden. Der Paulskirchenbewegung war kein Erfolg beschieden. Insofern ist es müßig, die antikommunistische Akzentsetzung dieser „Gesamtdeut-

Rezeption der Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge

197

sehen Aktion" zu kritisieren. Daß sie der Überzeugung der Mehrheit der Veranstalter entsprach, darf unterstellt werden. Für die Repräsentanten der evangelischen Kirche unter ihnen wurde ja schon mehrfach konstatiert, daß ihre behauptete Neutralität gegenüber den westlichen und östlichen Ideologien einer genaueren Überprüfung nicht standhält; daß die evangelische Kirche von ihrer geheimen Zielsetzung her politisch immer prowestlich orientiert und insofern unfähig war, zwischen den Fronten des Kalten Krieges zu vermitteln, wurde häufig sichtbar. Dennoch war es der Paulskirchenbewegung, war es audi Gollwitzer nicht gelungen, den Verdacht einer linken Aktion von sich abzuwehren 19 . Für die innenpolitische Gesamtsituation ist dieses Ergebnis bezeichnend. So sehr hatte in acht Jahren die Truman-Doktrin mit ihrer These von der Aufteilung der Welt in zwei unvereinbare ideologische Lager das Denken der allermeisten Deutschen geprägt, daß schon der leiseste Zweifel an ihrer Unumstößlichkeit als Verrat an der guten Sache der Demokratie erscheinen mußte. Die „Unruhe", die z.B. Gollwitzers Auftreten in diesem Zusammenhang immerhin auszulösen vermochte, war weit entfernt von der „Unruhe", die er sich von der Paulskirchenaktion erhofft hatte. Sie war aber doch ein kleiner Schritt hin zu ein wenig mehr Mobilität und Offenheit im politischen Klima der Bundesrepublik und insofern, trotz des vordergründigen Scheiterns der „Gesamtdeutschen Aktion", ein Lernschritt auf dem Weg zu einer demokratischeren Gesellschaft. Hierin dürfte die größte Bedeutung dieser Bewegung gelegen haben.

3. Die Rezeption in der EKD

der Auseinandersetzungen

um die Pariser Verträge

Die vielen kritischen Stellungnahmen, die aus Kreisen der evangelischen Kirche zu den Pariser Verträgen abgegeben wurden 20 , stellten die EKD erneut vor die Frage, wo die Grenzen einer politischen Parteinahme seitens der Kirche und ihrer Amtsträger liegen. Die Aktualität dieser Frage war noch dadurch unterstrichen worden, daß Eingaben an die Bundestagsabgeordneten zur ersten Lesung der Pariser Verträge von kirchlichen Gruppen, so insbesondere die sogenannte Düsseldorfer Erklärung 21 , auf der Bundestagsdebatte am 15. Dezember 1954 eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatten 22 und die nachfol19 20 22

Vgl. oben Anm. 14. Vgl. oben Anm. 8.

21

KJ 1954, S. 87 f.

V g l . D E U T S C H E PARLAMENTSDEBATTEN, B d . 3 , S . 1 9 2 ( O l l e n h a u e r ) u n d S . 2 3 6 f .

(Erler).

198

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

gende Kooperation zwischen der S P D und Vertretern der evangelischen Kirche in der Paulskirchenbewegung schon erkennen ließen. Gegenüber den früheren Auseinandersetzungen um die Wiederaufrüstungsfrage war die Situation dieses Mal dennoch eine andere; der offene Konflikt zwischen den verschiedenen kirchlichen Gruppen blieb dieses Mal aus 23 . Für diese gewisse Zurückhaltung der auseinanderstrebenden Kräfte in der E K D gab es mehrere Gründe. Ein Grund mag darin bestanden haben, daß sich die wichtigsten kritischen Verlautbarungen 24 streng auf die aktuelle politische Situation bezogen und sich prinzipieller theologischer oder ideologischer Überlegungen enthielten. Die Frage, ob durch die militärische Integration der Bundesrepublik in die Nato die Wiedervereinigung nicht ein für allemal unmöglich gemacht werde, war das beherrschende Thema dieser Kritik. Ihre sachbezogene Argumentation erzwang gewissermaßen eine sachliche Erwiderung, wofür etwa der Beitrag des Evangelischen Arbeitskreises der C D U 2 5 oder der Beitrag des Hamburger Systematikers Helmuth Thielicke 26 Beispiele bieten. Die Auseinandersetzung blieb aber auch deswegen sachbezogener, weil bestimmte Namen, die in der vorausgegangenen Ära der Auseinandersetzung immer wieder die öffentliche Kritik auf sich gezogen hatten, wie ζ. B. Martin Niemöller, Herbert Mochalski, auch Eberhard Müller, dieses Mal nicht an hervorgehobener Stelle erschienen. Gollwitzer aber, der sein öffentliches Auftreten in der Paulskirche mit der politischen Ausnahmesituation verteidigte 27 , war zu diesem Zeitpunkt politisch noch nicht abgestempelt, bot von seiner Person her keine Angriffspunkte, die eine bequeme Personalisierung der politischen Auseinandersetzung erlaubt hätten. Der Hauptgrund für die gewisse Ratlosigkeit der E K D lag aber in der aktuellen politischen Situation als solcher. Denn an den Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge offenbarte sich der ganze Zwie2 3 D. KOCH zeigt in seiner Arbeit, daß - etwa bei der Behandlung der PräsesFrage auf der Synode von Espelkamp wie bei den Auseinandersetzungen um das Kirchliche Außenamt - die alten Spannungen weiterwirkten. E r führt audi eine Reihe von Beispielen dafür an, daß hierfür die politische Konzeption Heinemanns und Niemöllers ausschlaggebend waren (Heinemann, S. 448 ff.). - Dies zugestanden, fällt aber doch auf, daß die lutherische Kritik diesmal verhaltener, um nicht zu sagen verschämter, vorgetragen wurde, und daß in der Auseinandersetzung um die Pariser Verträge die sonst oft so schrillen Töne fehlten. 2 4 Neben der Düsseldorfer Erklärung und der Rede Gollwitzers in Frankfurt ist hier insbesondere noch die Eingabe des Kreises um den hessischen Pfarrer Lie. Hermann Sauer (Geisenheim) zu nennen ( K J 1954, S. 85 ff.). Vgl. auch die Erklärung von 59 Jugendarbeitern des Kirchenkreises Dortmund und die einer Pfarrerversammlung aus Frankfurt vom Januar 1955 ( K J 1955, S. 16 f.). 2 5 Ebd., S. 17 2 » Ebd., S. 7 ff. ff. 2 7 So ζ. B. am Sdiluß seiner Paulskirchenrede (ebd., S. 14).

Rezeption der Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge

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spalt, in dem sich die EKD in ihrer selbstgewählten Doppelrolle als Garantin der deutschen Einheit und als Hüterin der Werte des „christlichen" Abendlandes befand. Die Angebote der Sowjetunion für eine Regelung der Deutschlandfrage auf der Grundlage der Stalinnote vom März 1952 waren offensichtlich ernst gemeint, aber unmißverständlich an den Verzicht einer militärischen Westintegration der Bundesrepublik geknüpft. Es bedurfte keines allzugroßen Weitblicks, um sich auszumalen, daß nach Abschluß der Verträge die ohnedies bereits in Gang gesetzte Wiederaufrüstung der DDR durch ihre Einbeziehung in ein östliches Militärbündnis perfektioniert werden würde, was notwendigerweise zu einem weiteren Auseinanderleben der beiden deutschen Staaten führen mußte. Die Wiedervereinigung mußte damit notwendigerweise in immer weitere Ferne rücken, was selbst dann, wenn man Adenauers Beteuerungen, auch ihm gehe es um die Wiedervereinigung, Glauben schenkte28, im Blick auf die Situation der Menschen in der DDR nicht wünschenswert sein konnte 29 . Vor allem aber stellte die Zementierung der deutschen Teilung auch die Grundlagen der EKD in Frage. Sicherlich wurden solche Schlußfolgerungen, so sehr sie sich aufdrängen mußten, von der Mehrheit innerhalb der EKD nicht bewußt vollzogen. Aber da die Wiedervereinigung als Priorität in der EKD nie öffentlich kontrovers gewesen war 30 , konnten auch die Befürworter der Adenauerschen Politik gegen die Forderung, vor Abschluß der Pariser Verträge erst den Verhandlungsspielraum mit dem Osten auszuloten, keine grundsätzlichen Einwendungen vorbringen. Sie waren deshalb gezwungen, statt billiger Polemik die Sachargumente des kirchlichen Kontrahenten aufzugreifen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dies geschah von lutherischer Seite ζ. B. in einer Reihe von Akademietagungen, auf denen die Frage der Wiederbewaffnung zum Thema erhoben wurde 31 . Am 28. Januar 1955 fand in Hannover auf Beschluß des Rates der EKD eine Kirchenkonferenz der westlichen Gliedkirchen der EKD 28

Vgl. dazu heute ASPEKTE. Merkwürdigerweise wird der Zeitfaktor aber bei der Frage, erst Verabschiedung der Pariser Verträge oder erst Verhandlungen über die Wiedervereinigung audi von den Gegnern der Wiederbewaffnung kaum gesehen. Dabei lag m. E. hier ein ganz wesentliches Moment, das für sofortige Verhandlungen spradi, und zwar einmal im Interesse der Menschen in der D D R , deren Notlage so rasch wie möglich hätte beendet werden sollen, und zum anderen, um die wachsende Entfremdung zwischen beiden Teilen Deutschlands nicht noch zu vergrößern. 30 Gemeint ist hier die offizielle Selbstdarstellung der E K D in ihren Voten und Deklarationen (der sidi auch die VELKD ansdiloß), nicht die gelegentlich durchaus kontroversen Meinungsäußerungen einzelner Synodaler. 31 Tagung der Ev. Akademie Bad Boll Mitte Januar 1955 (vgl. KJ 1955, S. 5 f.), Loccum 21./22. Februar 1955 und Hemer 28. Februar/3. März 1955. 29

200

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

statt, auf der die durch die Pariser Verträge aufgeworfenen Fragen der Wiedervereinigung bzw. Wiederaufrüstung und die kirchlichen Kundgebungen der voraufgegangenen Monate hierzu besprochen wurden32. Dabei kamen nicht nur die üblichen Meinungsverschiedenheiten über das richtige Maß der erlaubten oder geforderten politischen Parteinahme kirchlicher Amtsträger zur Sprache, sondern es wurden offenoffensichtlich auch grundsätzliche Bedenken gegen die Pariser Verträge erörtert und weitergegeben. Der Beauftragte der EKD bei der Bundesregierung, Hermann Kunst, wurde daraufhin beauftragt, grundsätzliche rechtliche Bedenken, die gegen die Wiederbewaffnungspläne erhoben worden waren, gegenüber den zuständigen staatlichen Stellen vorzutragen 33 . Die offizielle Kirchenkonferenz der EKD am 3. Februar 34 befaßte sich ebenfalls noch einmal mit dieser ganzen Problematik. Nach einem Bericht Liljes über die Konferenz der westlichen Gliedkirchen vom 28. Januar erläuterten Kunst und Grüber die politische Situation aus ihrer Sicht, während Heinemann über Ziele und Verlauf der Paulskirchenaktion Auskunft gab. Niemöller, der sich in der Öffentlichkeit zurückgehalten hatte, offenbar mit Rücksicht auf die Paulskirchenpläne, machte nun darauf aufmerksam, daß es sich bei alledem nicht nur um politische Fragen handele, sondern um schwerwiegende seelsorgerliche Probleme. Er beklagte bitter, daß die Pfarrer von ihren Kirchenleitungen zu den anstehenden Fragen nach der Stellung des Christen zur Wiederaufrüstung und zur Kriegsdienstverweigerung keine Anleitung bekämen, wie sie sich hierzu verhalten sollten, und 32

V g l . A K K HANNOVER, 0 4 5 .

33

Es handelt sich dabei um Bedenken, die der Braunschweiger Oberlandeskirchenrat Dr. Breust vorgetragen hatte. Er hatte in seinen Ausführungen vor der Konferenz der westlichen Gliedkirdien der EKD auf den Widerspruch zu geltendem Recht (dem Kontrollratsgesetz Nr. 16) hingewiesen (vgl. Schreiben OKR Gottfried Niemeiers von der Kirchenkanzlei der EKD an Bischof Kunst vom 9. Februar 1955; AKK HANNOVER, 345/11). Die Stellungnahme des Justizministers zu diesen rechtlichen Bedenken wurde unter dem 28. Februar 1955 allen westdeutschen Kirchenleitungen zur Kenntnis gebracht. Folgende Punkte wurden aufgeführt: 1. Das Gesetz Nr. 16 der Alliierten Hohen Kommission über die Ausschaltung des Militarismus in Deutschland sei kein Kontrollratsgesetz, sondern sei von den westlichen Alliierten erlassen. 2. Dieses Gesetz werde spätestens mit Inkrafttreten des Wehrgesetzes aufgehoben. 3. Es sei kein deutsches Recht. 4. Es sei ein „politisches" Gesetz, „durch das nicht etwa ein bestimmtes Verhalten moralisch verurteilt wird, sondern durch das die Siegermächte ihre politische und militärische Stellung gegen eine für möglich gehaltene deutsche Wiederbewaffnung sichern" wollten. „Sie steht in keiner Beziehung etwa zu dem Gedanken der Ächtung des Krieges oder zu dem Grundgedanken des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes" (ebd.). 34

V g l . A K K HANNOVER, 0 4 5 .

Rezeption der Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge

201

sprach in diesem Zusammenhang von einem „seelsorgerlichen Notstand". Wie die auf der gemeinsamen Sitzung von Rat und Kirchenkonferenz am 2./3. Februar 1955 zustande gekommene Stellungnahme „Um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes" 3 5 zeigt, drang Niemöller mit diesem Anliegen nicht durch. Dennoch blieb diese Kirchenkonferenz, insbesondere der Hinweis Niemöllers auf den „seelsorgerlichen Notstand" unter den Pfarrern nicht ohne Echo. Ein interessantes Beispiel dafür ist neben den schon erwähnten Akademietagungen die Reaktion des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrates in Bayern. Dieser versandte unter dem 14. Februar 1955 mit einem Rundschreiben neben der genannten Ratsentschließung vom 3. Februar Thesen, „die der theologischen Klärung dienen und Hilfe für die Seelsorge im Einzelgespräch und in Gemeindekreisen" geben und „Gedanken zur Frage der Wiederaufrüstung" von Oberkirchenrat Arnold Schaben, die ebenfalls der „seelsorgerlichen Beratung und Hilfe" dienen sollten 36 . Schaberts Beitrag ist ein fast klassisches Zeitdokument für eine bestimmte lutherische Position, die ihr mangelndes Demokratieverständnis aus der Zwei-Reiche-Lehre herleitete und eine Opposition gegen Maßnahmen der „Obrigkeit" allenfalls als Ergebnis einer echten „Gewissensnot" zu verstehen in der Lage war, nicht aber als das selbstverständliche Recht und gegebenenfalls Pflicht jedes Bürgers in einem demokratischen Staatswesen. Schaberts Versuch, den „Primat der Wiedervereinigung vor der Wiederaufrüstung" in den kirchlichen Stellungnahmen und die Rede vom möglichen „Bruderkrieg" zu „entmythologisieren" 37 gerann ihm unter der Hand nicht nur zu einer neuerlichen Mythologisierung der „Obrigkeit", sondern auch der Pflicht zur Verteidigung der „uns anvertrauten Menschen". Obwohl sich Schabert darum bemühte, die Relativität der in Frage stehenden politischen Entscheidungen zu unterstreichen und zu einer vorurteilsfreien Diskussion in Gemeindekreisen usw. zu ermutigen 38 , ließ sein Beitrag keinen Zweifel daran, daß er eine andere als die Entscheidung für die Pariser Verträge und gegen die Überbetonung der Gefahr des „Bolschewismus" allenfalls als Ausdruck eines „schwachen Gewissens" akzeptieren konnte. Auf die durchaus differenzierten Argumente gegen die Pariser Verträge, wie sie ζ. B. Gollwitzer auf der PaulskirchenkundK J 1955, S. 15; vgl. audi G. HEIDTMANN, Kirche, S. 207 und unten S. 202 f. Vgl. Anhang, Dokument 11. Arnold Schabert, geb. 26. 2. 1904 in Moskau, gest. 31. 8. 1961, ord. 1928, 1931 Pfr. in Riga, 1940 in Polen, 1946 in Bayreuth, 1951 Kirchenrat, 1952 O K R und Kreisdekan in München. 35

36

37 38

Vgl. unten S. 280. Vgl. unten S. 281.

202

Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

gebung vorgetragen hatte, etwa auf das Problem der Nächstenschaft für die Deutschen in der DDR, ging Schabert ebenso wenig ein wie auf den ganzen Umkreis der damit zusammenhängenden weltpolitischen Probleme. So ist Schaberts Beitrag gerade in seinem redlichen Bemühen ein bedrückendes Zeugnis für die mangelnde politische Bewußtheit weiter kirchlicher Kreise innerhalb der EKD 39 . Ob er eine Hilfe in dem von Niemöller konstatierten „seelsorger liehen Notstand" der Pfarrer sein konnte, darf bezweifelt werden.

4. Die Entschließung des Rates der EKD »Um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes" und die Kundgebung der Synode von Espelkamp als Antwort auf die Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge in der evangelischen Kirche Auch die bereits erwähnte Entscheidung des Rates der EKD vom 3. Februar 195540 als Ergebnis der Kirchenkonferenz spiegelt den Zwiespalt, in dem sich die EKD befand, deutlich wider. Die bekannten Formulierungen, mit denen der unveränderliche Wiedervereinigungs- und Friedenswillen der evangelischen Kirche hervorgehoben werden sollte, und die üblichen Warnungen vor dem Versuch einer kriegerischen Lösung des deutschen Problems konnten dieses Dilemma nur oberflächlich überspielen. Vielmehr ist gerade diese Entschließung ein Beleg dafür, daß die EKD in Wirklichkeit außerstande war, eine irgendwie verbindliche Stellung zu beziehen. Die Behauptung, „was die Kirche zu dieser Wiedervereinigung beitragen kann, wird sie tun", wurde durch den nachfolgenden Passus praktisch schon wieder zurückgenommen: „Durch Stimmen aus der evangelischen Kirche ist auf den Ernst der gegenwärtigen politischen Weltlage nachdrücklich hingewiesen worden. Es ist dadurch der unrichtige Eindruck entstanden, als müsse die evangelische Kirche als solche in Erfüllung ihres eigentlidhen kirchlichen Auftrages eine ganz bestimmte Entscheidung zu den Pariser Verträgen vollziehen. Wir sind aber der Uberzeugung, daß allein vom Evangelium her zu dieser Entscheidung bindende Weisungen nicht gegeben werden können. Aus diesen Gründen empfehlen wir aufs neue allen Pfarrern größte Zurückhaltung in allen öffentlichen Äußerun39

Wenn hier Sdiabert beispielhaft herausgegriffen wird, so darf dabei freilich nidit außer acht gelassen werden, daß zwischen seiner - Walter Künneth nahestehenden - Denkweise und etwa der theologisdi und politisch weitaus differenzierteren Denkweise Liljes und Thielickes audi innerhalb der VELKD noch erhebliche Unterschiede bestanden haben. 40 Vgl. oben Anm. 35.

Entschließung des Rates der EKD und Kundgebung der Synode

203

gen. Es handelt sich hier um Fragen der politischen Einsicht und der politischen Verantwortung, die nach unserer gemeinsamen Überzeugung von dem an Gott gebundenen Gewissen entschieden werden müssen." Die Entscheidung für oder gegen die Pariser Verträge, die ausdrücklich erwähnt werden, wurde also zur politischen Ermessensentscheidung 41 erklärt. Damit entzog sich die EKD aber in Wahrheit der im selben Text zuvor abgegebenen Selbstverpflichtung, für die Wiedervereinigung das ihr mögliche zu tun. Indem diejenigen Kräfte innerhalb der EKD zurechtgewiesen wurden, die „auf den Ernst der gegenwärtigen politischen Weltlage nachdrücklich hingewiesen" haben, die Parallele zur Distanzierung von Niemöller aus dem Jahre 1950 drängte sich auf 42 - verließ die EKD aber zugleich den behaupteten neutralen Standort des Evangeliums wieder. Denn die öffentliche Distanzierung von jeglicher kirchlichen Kritik an der Politik der Bundesregierung mußte sich praktisch als Unterstützung eben dieser Politik auswirken. Damit, so konstatiert H. J. Benedict zu Recht43, „hatte sich in Zurückdrängung der Erkenntnis aus der Zeit der Bekennenden Kirche die lutherische Position von der Priorität der Obrigkeitstreue wieder durchgesetzt". Daß dies nicht beabsichtigt war, sondern eine eher ungewollte Folge der von allen kirchlichen Gruppen geteilten „Einheitsideologie" der Kirche, soll hier nur der Gerechtigkeit halber ausdrücklich angemerkt werden. „Da sich nämlich auch die kirchlichen Bruder41 Götz Harbsmeier hat in einem für die Tagung in Loccum (vgl. oben Anm. 31) bestimmten Referat diese damals häufig im Sinne einer Beliebigkeit der politischen Entscheidung gebrauchte Formulierung interpretiert als eine unausweichlich in die eigene Verantwortung vor Gott fallende Sachentscheidung, die gerade nicht beliebig ausfallen könne, sondern im höchsten Maße zwingend sei. „Falsch ist es daher, die uns von Gott gestellte Ermessensfrage so zu betrachten und zu behandeln, als wäre sie so etwas wie ein uns überlassener sturmfreier Raum außerhalb unserer eigenen Verantwortung vor Gott . . . Nein! Die hier gewährte Autonomie ist die uns gewährte Freiheit, nicht aber die von uns herausgenommene freche Willkür. Darum ist die Ausübung des Ermessens nicht ein angemaßter Herrschaftsakt, zu dem Gott die Augen zudrückt, sondern ein Gehorsamsakt des dankbaren Verfügens über das, was Gott uns anvertraut hat. Die Dankbarkeit in diesem Verfügen ist dann aber das Maß und der Takt des Ermessens" (vgl. A K T E N GOLLWITZER, Nr. 155). Harbsmeier hat damit die Schwäche dieser und ähnlicher Formulierungen, die die scheinbare Neutralität des Evangeliums gegenüber der Politik ausdrücken sollen, benannt, ohne daß von seinen Überlegungen, die er auch nicht mündlich vortragen konnte, ein nennenswerter Impuls ausgegangen wäre. Götz Harbsmeier, geb. 13. 8. 1910 in Weißenburg/Elsaß, 1937-1939 Pfr. in Wilhelmshaven, 1943 in Reiffenhausen bei Göttingen, 1953 Prof. an der Päd. Hochschule Lüneburg, dann in Göttingen. 42 Vgl. dazu oben S. 82. 43 Politische Voten, S. 9.

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Von den Pariser Verträgen zur allgemeinen Wehrpflicht

schaften der Einheitsideologie verschrieben hatten, mußten die konfessionell bedingten und damit aufhebbaren Unterschiede in politicis, um nicht ständig Anlaß zu Konflikten zu geben, zur generellen Neutralität des Evangeliums rationalisiert werden." Es kann angesichts dieser Sachzwänge, unter denen die EKD seit ihrem Bestehen litt, nicht überraschen, daß auch die Synode der EKD in Espelkamp in ihrer Kundgebung vom 11. März 19 5 5 44 keine Alternative zu der Ratsentschließung vom 3. Februar brachte, sondern das dort Gesagte insgesamt bestätigte. Dies gilt insbesondere für die Auslassungen über die Grenzen politischer Meinungsäußerungen in der „Vollmacht der Kirche" und die von hier abgeleitete Disziplinierung politisierender Pfarrer. Zwar nahm die Kundgebung die durch das Wort des Rates der EKD ausgesprochene Maßregelung der oppositionellen kirchlichen Vertreter vorsichtig etwas zurück, indem „keinem Christenmenschen" das Recht bestritten wird, „aus politischer Verantwortung seine Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben, wo er Gefahr für seinen Nächsten sieht". Aber dies war im gesamten Kontext kaum mehr als eine leichte Verbeugung gegenüber dem scheidenden Präses der Synode, mit der noch nachträglich seine Abwahl in ihrer politischen Brisanz abgeschwächt werden sollte45. Das Recht auf eine eigene Stellungnahme der Synode implizierte dieses Zugeständnis gerade nicht und ließ sich deshalb in ihrem Wort auch nicht finden. Es blieb also bei dem allgemein gehaltenen Bekenntnis zur Wiedervereinigung und zum Friedenswillen der evangelischen Kirche, wie es auch das Ratswort enthielt. Im übrigen stellte die Kundgebung der Synode die in der Ratsentschließung gemachten Äußerungen jedoch in den größeren Rahmen eines seelsorgerlichen Zuspruchs an die Gemeinden in Ost und West. Dies war unbestreitbar ein legitimes Anliegen. Aber ob die Synode diesem Anliegen wirklich gerecht wurde, bleibt zu fragen. Die Aufforderung an die Verantwortlichen, die friedensgefährdende Aufteilung Deutschlands zu beenden und dem deutschen Volk „ein gemeinsames Leben in Freiheit" zu ermöglichen, stellte lediglich eine Wiederholung der bekannten Maximalforderungen dar und bot keine Lösung für die in der Kundgebung mehrfach apostrophierten Leiden der Menschen im geteilten Deutschland. Für das Fehlen einer Analyse der politischen Lage nach der Verabschiedung der 44

45

K J 1 9 5 5 , S. 4 7 f . ; G . HEIDTMANN, Kirche, S. 2 0 9 ff.

Heinemanns Abwahl, die er selbst als die Abwahl nicht des Politikers, sondern des Oppositionellen apostrophierte, mußte im Kontext der öffentlichen Maßregelung oppositioneller kirchlicher Vertreter als weitere offene Unterstützung der Adenauersdien Politik durch die EKD ankommen (zum Hintergrund der Präses-Wahl auf der Synode von Espelkamp vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 448 ff.).

Entschließung des Rates der E K D und Kundgebung der Synode

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Pariser Verträge und einer daraus abzuleitenden politischen oder „christlichen" Strategie war dies kein Ersatz. Immerhin klingt wenigstens im Schlußabsatz, in dem von der Möglichkeit gesprochen wird, Gott könne „unsere sehnlichen Wünsche nicht erfüllen und uns einen Weg führen, der uns nicht gefällt", eine Ahnung davon durch, daß die Chancen für eine Wiedervereinigung nunmehr verspielt sein könnten. Zu einem Zweifel an der von der EKD insgesamt mitzuverantwortenden politischen Entwicklung in der Deutschlandfrage führte dies freilich nicht. Die selbstkritische Frage, ob die evangelische Kirche wirklich alles ihr mögliche getan habe, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen, wurde nicht gestellt. „Gottes Fügung" als Begründung einer gescheiterten Politik und eines verweigerten politischen Engagements mußte vielmehr die fällige Überprüfung der offiziellen kirchlichen Haltung in dieser Frage ersetzen46. Helmut Gollwitzer nannte die Kundgebung der Synode von Espelkampf nachträglich ein „Gnadengeschenk" Gottes 47 . Mag sein, daß diese Formulierung dem Bestreben entsprang, die Kritik an der insgesamt wenig ergiebigen Synode aufzufangen und die zwischenmenschliche Verständigung, die durch die Aussprache zwischen den gegnerischen Gruppen zweifellos zustandegekommen war, für die Zukunft der Gemeinschaft in der EKD zu retten. Der objektiven Bedeutung nach sprengte auch diese Kundgebung den Rahmen nicht, den sich die EKD selbst gesteckt hatte, als sie die Aufrechterhaltung der Einheit der EKD über die Notwendigkeit einer klaren Standortbestimmung gestellt hatte. Mit der Synode von Espelkamp waren die jahrelangen Auseinandersetzungen in der EKD zur Frage der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik praktisch abgeschlossen. Schon die Aussprache über den Bericht des Ratsvorsitzenden 48 stand deutlich unter dem Zeichen der geschaffenen Fakten. Es ging deshalb nicht mehr eigentlich um die Frage der Wiederaufrüstung, sondern allenfalls um die nachträgliche Rechtfertigung bezogener Standpunkte, um das Problem der politi48 In diesen und ähnlichen Formulierungen wird der Alibi-Charakter des „Glaubens" besonders deutlich. Immer dann, wenn die EKD konkrete Verantwortung beiseite schob, weil sie in den politischen Fragen zu keinem Konsensus durchdringen konnte, berief sie sich auf religiöse Abhängigkeit, entweder von „Dämonen und Mächten" oder von „Gottes Fügung". Auch der Hinweis auf die „Obrigkeit" hat diese Alibi-Funktion und muß das Ausweichen vor der Verantwortung verschleiern. 47 Vgl. epd-Meldung vom 23. März 1955: „Prof. Gollwitzer: Espelkamp - wie es wirklich war" (AKTEN GOLLWITZER, Nr. 135). In einem Schreiben vom 11. April 1955 geht Hans Helmut Felbick sehr kritisch, aber zugleich nachdenklich auf dieses Urteil Gollwitzers ein und formuliert die ganze Enttäuschung über eine in Wahrheit handlungsunfähige E K D (ebd.). 48

V g l . ESPELKAMP 1 9 5 5 , S . 7 5

ff.

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Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge

sehen Neutralität des Evangeliums und um die Frage der politischen Parteinahme von Pfarrern. Auf Antrag Gollwitzers 49 war außerdem noch die Frage der Kriegsdienstverweigerung angeschnitten worden, die in der nachfolgenden Zeit zum eigentlichen Ansatzpunkt der innerkirchlichen Auseinandersetzung werden sollte50. Die Synode ernannte einen Sachverständigenausschuß, der eine Stellungnahme zur Frage des rechtlichen Schutzes der Kriegsdienstverweigerer erarbeiten sollte. Im übrigen hatten die politischen Ereignisse die weitere Diskussion der Frage, ob die Bundesrepublik aufrüsten solle, überflüssig gemacht. In der nachfolgenden Zeit ging es auch in der EKD allenfalls noch um Einzelfragen, wie die Frage der Militärseelsorge oder der Einberufung von Pfarrern 51 ; außerdem um Modalitäten der Aufrüstung und Wehrgesetzgebung und um die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und des damit zusammenhängenden rechtlichen Schutzes der Kriegsdienstverweigerer. Aber die grundsätzliche Entscheidung war gefällt. Die Pariser Verträge waren angenommen worden, die Aufrüstung mit dem Eintritt der Bundesrepublik in die Nato am 5. Mai 1955 praktisch vollzogen. Die EKD hatte sich dem nicht widersetzt. Die nachfolgende Wiederaufrüstung der DDR und ihre Eingliederung in den Warschauer Pakt konnte daher wohl bedauert werden: angesichts der Logik dieser Entwicklung war aber der EKD die Möglidikeit eines Einspruchs hierzu genommen. Die EKD war wieder zu einer tragenden Stütze der Staatsmacht geworden.

Kapitel 9

Nachspiel: Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1. Die politische

Entwicklung1

Die Verabschiedung der Pariser Verträge durch den Deutschen Bundestag führte zunächst nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, zu einer 49

Ebd., S. 176. Vgl. dazu unten S. 221 ff. 51 Beide Fragen waren jedodi längst hinter verschlossenen Türen Verhandlungsgegenstand zwischen dem Rat der EKD und der Bunde« regierung gewesen (vgl. oben S. 185 ff.). 1 Zum Ganzen vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 452 ff.; G. WETTIG, Entmilitarisierung, S. 638 ff. 50

Politische Entwicklung

207

Verschärfung der Ost-West-Spannungen, sondern zu neuen Initiativen der Sowjetunion in der Deutschlandfrage. Schon der Hinweis Mikojans auf der Leipziger Messe am 27. Februar 1955, die Deutschlandfrage könne immer noch gelöst werden, wenn die Bundesrepublik außerhalb der westlichen Allianz bleibe2, deutete auf eine weitere Gesprächsbereitschaft der Sowjets hin. Der Abschluß des österreichischen Staatsvertrages Mitte Mai 1955 konnte dabei im Sinne eines Modells für die Lösung der deutschen Frage betrachtet werden 3 . Österreich verpflichtete sich in diesem Staatsvertrag zu immerwährender Neutralität, während die Besatzungsmächte dafür ihre Truppen aus Österreich zurückzogen. Von Gegnern einer Neutralitätspolitik für ein wiedervereinigtes Gesamtdeutschland wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß eine solche Lösung angesichts der strategisch hervorgehobenen Lage Deutschlands im Herzen Europas undurchführbar sei. Dennoch wäre im Jahre 1955, in der Zeit beginnender AbrüstungsVerhandlungen auf der Basis des atomaren Kräftegleichgewichts zwischen den USA und der Sowjetunion, eine Lösung im österreichischen Sinne von der Interessenlage der beiden Großmächte her gesehen nicht undenkbar gewesen. Auf dem ersten der von der Sowjetunion angeregten Deutschlandgespräche der vier Außenminister in Genf vom 18. bis 23. Juli 1955 legte z.B. der englische Außenminister Anthony Eden einen Plan vor, der die Schaffung einer militärisch verdünnten Zone zwischen dem Atlantikpakt und dem inzwischen begründeten Warschauer Pakt vorsah 4 . Dieser Vorschlag war für die Sowjets jedoch unannehmbar, da im Verlauf der Gespräche von westlicher Seite deutlich gemacht wurde, daß man als mittlere Linie dieser verdünnten Zone die Oder-Neiße-Linie im Auge habe 5 . Audi die zweite Genfer Außenministerkonferenz vom 27. Oktober bis zum 16. November 1955 verlief dementsprechend ergebnislos. Praktisch führte sie zu einer unmittelbaren Verschärfung der Lage und zu einer Vertiefung der deutschen Teilung. Die Sowjets zeigten sich in der Folge an einer weiteren Verhandlung über eine Wiedervereinigung Deutschlands wenig interessiert. Die offizielle Eingliederung der DDR in den Warschauer Pakt, der Abschluß eines Vertrages zwischen der Sowjetunion und der DDR unmittelbar nach dem Besuch Adenauers in der Sowjetunion im Sommer 1955 und auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik waren vielmehr deutliche Zeichen dafür, daß die Sowjetunion in der Zukunft die Existenz zweier deutscher Staaten als die endgültige Lösung der deutschen Frage betrachtete. 2

Vgl. ebd., S. 638.

4

V g l . D . KOCH, H e i n e m a n n , S. 4 5 3 .

5

Vgl. ebd., S. 454.

3

Vgl. ebd.

208

Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge

Audi die Bundesregierung selbst schien an eine Wiedervereinigung in naher Zukunft nicht ernsthaft gedacht zu haben. Der Besuch Adenauers in der Sowjetunion in der relativ entspannten internationalen Atmosphäre des Sommers 1955 diente neben der Vorbereitung diplomatischer Beziehungen vor allem dazu, die Rückkehr der letzten noch immer in russischer Kriegsgefangenschaft befindlichen deutschen Soldaten zu erwirken. Darin eine Initiative im Interesse der Wiedervereinigung zu sehen, verbietet sich schon deshalb, weil die Bundesregierung von ihrer Forderung allgemeiner freier Wahlen in Deutschland und der grundsätzlichen Freiheit eines wiedervereinigten Deutschlands, Bündnisse einzugehen, nicht abging. Diese Forderung, die angesichts der innenpolitischen Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands praktisch auf eine Herausgabe der russisch besetzten Zone an das NatoBündnis hinausgelaufen wäre, war aber für die Sowjetunion unannehmbar. So blieb die verbal audi danach stets wiederholte Formel von der Priorität der Wiedervereinigung in der Politik der Bundesregierung eine Leerformel, die die Wiedervereinigung berücksichtigende Revisions-Klausel im Deutschlandvertrag 6 aber eine nie ernsthaft erwogene Möglichkeit. Die Hallstein-Doktrin rundete diese Politik ab, indem sie die Anerkennung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik für Gesamtdeutschland zur Voraussetzung diplomatischer Beziehungen mit anderen Staaten machte. Angesichts der wirtschaftlichen Übermacht der Bundesrepublik gegenüber der D D R war diese Doktrin für die Bundesregierung, ausgenommen die Sowjetunion, mit der ja seit 1955 diplomatische Beziehungen bestanden, relativ leicht durchsetzbar. Einer Politik der friedlichen Wiedervereinigung und der Verständigung mit der D D R diente sie freilich nicht.

2. Die Infragestellung der Einheit der Ε KD nach dem Scheitern der Genfer Deutschlandverhandlungen Das Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz brachte nach der kurzen Phase der Entkrampfung im Sommer 1955 die deutsch-deutschen Beziehungen auf einen Tiefpunkt. Die Folgen bekamen vor allem die evangelischen Kirchen in der D D R zu spüren, und zwar in β Im Artikel 10 des Deutschlandvertrages heißt es: „Die Unterzeichnerstaaten überprüfen die Bestimmungen dieses Vertrages und der Zusatzverträge: a) auf Ersuchen eines von ihnen im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands oder einer unter Beteiligung oder mit Zustimmung der Staaten, die Mitglieder dieses Vertrages sind, erzielten internationalen Verständigung über Maßnahmen zur Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands oder der Bildung einer europäischen Föderation" (H. SIEGLER, Deutschlandfrage III, S. 121).

Infragestellung der Einheit der E K D durch die D D R

209

einer Weise, die deutlich machte, daß hier die Einheit der E K D ganz unmittelbar getroffen werden sollte. Seit 1955 wurde in der D D R die Jugendweihe propagiert, ein Schachzug, der ganz offensichtlich gegen die Konfirmation als ein wesentliches Element des volkskirchlichen Charakters der Kirche gerichtet war. Wenn es gelang, die Konfirmation durch eine staatliche Feier zu ersetzen, war die evangelische Kirche an einer zentralen Stelle geschwächt. Die evangelischen Kirchen in der D D R reagierten auf diese Herausforderung sofort, indem sie die Unvereinbarkeit von Konfirmation und Jugendweihe feststellten 7 . Im Frühjahr 1955 fand die Jugendweihe dann auch noch wenig Echo in der Bevölkerung. Es war aber deutlich, daß auf die Dauer für die Jugendlichen und deren Eltern eine Nicht-Teilnahme an der Jugendweihe wegen der zu befürchtenden Repressalien immer schwerer durchzuhalten sein würde, so daß es zu verschärften Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat kommen mußte. Gegen Jahresende 1955 vermehrten sich die Zeichen einer Verschärfung des Konfliktes, wobei neben einer wieder verstärkt einsetzenden Propaganda für die Jugendweihe vor allem Druck auf die Junge Gemeinde und die Studeiitengemeinde ausgeübt wurde. Den Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern wurden Propaganda und sogar Spitzeldienste für die N a t o vorgeworfen usw 8 . Einen Höhepunkt fand diese antikirchliche Propaganda durch eine Verhaftungswelle gegen Mitarbeiter der Bahnhofsmission 9 Anfang Januar 1956. Ihnen wurde Spionagetätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst ( C I A ) und die N a t o vorgeworfen. Damit geriet die gesamte Bahnhofsmission, deren Zentrale in Westberlin lag, in Verruf. Z w a r verlief die Affäre schließlich im Sande. Alle Beschuldigten wurden im Laufe der nächsten Monate wieder entlassen. Aber durch eine Reihe von Nachfolgemaßnahmen war die Arbeit der Bahnhofsmission in der D D R so schwer getroffen worden, daß sie im Laufe des Jahres 1956 fast vollständig zum Erliegen kam. Bei einer Besprechung zwischen einer Delegation der kirchlichen Ostkonferenz und DDR-Innenminister Karl Maron, die der Vorbereitung einer grundsätzlichen Aussprache über die kirchliche Situation mit Ministerpräsident Grotewohl dienen sollte, überreichte Maron der 7 Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat über die Jugendweihe ist umfassend dokumentiert in: K J 1955, S. 113 ff. Sie wird von mir hier bewußt einseitig unter dem Aspekt des Kampfes zwischen Kirche und Staat um Einfluß bei der Bevölkerung gesehen. Diese Sidit läßt die primär theologischen und ideologischen Aspekte dieser Frage außer acht, um auf den machtpolitischen Kontext aufmerksam zu machen, in dem auch diese Auseinandersetzung zu sehen ist. 8 Vgl. ebd., auch S. 146 ff., und K J 1956, S. 144 ff. β Ebd.

210

Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge

Delegation am 10. Februar eine Anklageschrift 10 gegen die evangelische Kirche. Diese Anklageschrift enthielt zusätzlich zu den bereits erwähnten Streitpunkten eine ganze Reihe, zum Teil sehr konkreter Vorwürfe insbesondere gegen Veranstaltungen der Kirche, die allesamt darauf hin zielten, die evangelische Kirche als NATO-hörig hinzustellen 11 . Sie empfange vom gesamtdeutschen Ministerium Geld, fördere den Kalten Krieg und hindere die Bürger der D D R daran, sich ihrem Staat gegenüber loyal zu verhalten. Diese Anklageschrift wurde kurz nach der Besprechung der Presse übergeben 12 . Natürlich arbeitete die Ostkonferenz eine Stellungnahme dazu aus und übergab sie dem Innenminister am 3. März 1956 13 . D a aber diese Erwiderung, in der auch eine ganze Reihe von detaillierten Beschwerden der evangelischen Kirche gegen staatliche Restriktionsmaßnahmen aufgeführt wurden, in der D D R nicht veröffentlicht werden konnte, blieben die Anklagepunkte gegen die Kirche im Räume stehen. Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, die Stichhaltigkeit der gegen die evangelische Kirche in der D D R erhobenen Vorwürfe zu überprüfen. Sicher wurden die Beobachtungen der DDR-Abwehr in ihren Schlußfolgerungen den Intentionen der insbesondere kritisierten gesamtkirchlichen Einrichtungen und Aktivitäten nicht gerecht. Die E K D , die als gesamtdeutsche Institution mit einem hohen Grad an Öffentlichkeit vor allem an einem Fortbestehen ihrer Einrichtungen und Institutionen interessiert sein mußte, hat sicherlich alles zu vermeiden gesucht, was auch nur den Schimmer eines Verdachtes der Agententätigkeit für den Westen auf sie lenken konnte. Trotzdem ist es angesichts der außerordentlich gespannten Atmosphäre des Kalten Krieges eher verwunderlich, daß nicht mehr und nicht viel schwerere Vorwürfe gegen sie erhoben wurden. Eine so gut funktionierende Organisation mit so ausgezeichneten Kontaktmöglichkeiten hinüber und herüber, wie es die E K D war, mußte doch notgedrungen als Schaltzentrale für allerhand Nebeninformationen verstanden werden und nolens-volens auch so wirken. Daß die E K D für die D D R , wie sie sich verstand, ein Sicherheitsrisiko darstellte, konnte m. E. niemand verwundern. So lange im Interesse einer wie auch immer verstandenen Wiedervereinigungspolitik menschliche Kontakte wünschenswert erVgl. ebd., S. 150 ff. „Wir haben den Eindruck gewonnen, daß seit den Dezember-Beschlüssen der N A T O in Paris und der Annahme der Wehrgesetze in Westdeutschland einige führende Mitarbeiter der Kirche unter dem Einfluß dieser NATO-Politik stehen . . . In Westdeutschland werden von den NATO-Politikern Kirchenleitungen dafür gewonnen, aktiv die Remilitarisierung zu unterstützen" (ebd., S. 153). 1 2 Vgl. ebd., S. 154. 1 3 Vgl. ebd., S. 155-169. 10

11

Frage der allgem. Wehrpflicht auf der Synode der E K D Berlin 1956

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schienen, mochte dieses Sicherheitsrisiko für die D D R kalkulierbar gewesen sein. Die rigide oder großzügige Handhabung der Reisemöglichkeiten zu den jeweiligen gesamtkirchlichen Veranstaltungen, insbesondere zu den Kirchentagen, war folgerichtig eine getreuliche Widerspiegelung der jeweiligen Deutschland-politischen Absichten der D D R bzw. der Sowjetunion. Daß nach der Eingliederung der beiden deutschen Staaten in zwei sich feindlich gegenüberstehende Militärbündnisse dieses „natürliche" Sicherheitsrisiko, das die E K D darstellte, zu groß zu werden schien, konnte nicht überraschen. Die Pressionen der D D R gegen die evangelische Kirche sind als Ergebnis der politischen Entscheidungen der Bundesregierung fast selbstverständlich. Die Anklageschrift des Innenministers enthielt kaum versteckte Drohungen gegen die Kirche. Sie endete mit dem Hinweis, daß ein Abbau der bestehenden Spannungen zwischen Staat und Kirche nur durch eine Art Loyalitätserklärung der Kirche gegenüber dem Staat der D D R erreicht werden könne 1 4 . Angesichts dieser Lage war die E K D zum Handeln herausgefordert. Nach langem Hin und Her im Rat und in der Kirchenkonferenz der E K D einigte man sich schließlich darauf, eine außerordentliche Synode der E K D zur Frage der Einheit der E K D einzuberufen. Diese Synode fand vom 27. bis 29. Juni 1956 in Berlin statt.

3. Die Frage der allgemeinen Wehrpflicht auf der Synode der EKD in Berlin 1956

außerordentlichen

Die außerordentliche Synode mit dem Thema „Raum für das Evangelium in Ost und West" war eigentlich einberufen worden, um die Kirchen in der D D R , die zu der Zeit unter starkem staatlichen Drude standen, zu stützen und die dadurch ebenfalls gefährdete Einheit der E K D zu festigen. Insofern hatte diese Synodaltagung eine hohe politische Brisanz und wurde in der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt 1 5 . Die Gründlichkeit der Vorbereitung, die sorgfältige 1 4 „Ich bedaure, daß ich auf Grund der geschilderten Vorgänge genötigt bin, Ihnen eine solche ernste Mahnung auszusprechen. Ich möchte Sie aber mit allem gebotenen Ernst darauf hinweisen, daß ohne Änderung dieser Haltung führender kirchlicher Stellen zur Deutschen Demokratischen Republik die bestehenden Spannungen nicht überwunden werden können. Ich bin überzeugt, daß eine positive Stellung der kirchlichen Organe zur Deutschen Demokratischen Republik, für die Achtung ihrer Gesetze und für die Friedenspolitik der Deutschen Demokratischen Republik die Grundlage sein wird für positive Gespräche über die Beziehungen von Staat und Kirche" (ebd., S. 154). 1 5 Das galt auch von den Regierungen beider deutscher Staaten, was durch zwei im Zusammenhang mit der Unterschriftensammlung (vgl. dazu unten S. 217 ff.) laut ge-

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D i e L a g e nach Abschluß der Pariser V e r t r ä g e

Auswahl der Redner und der Diskussionsteilnehmer 16 zeigte schon, einen wie hohen Stellenwert man dem Gelingen oder Mißlingen dieser Synode im Blick auf die Einheit der E K D und die kirchliche Lage in der D D R beimaß. Daß der neuerliche Druck auf die evangelischen Kirchen in der D D R in ursächlichem Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik stand, lag ja auf der Hand und wurde audi auf der Synode insbesondere von den Synodalen aus der D D R mehrfach ausgesprochen. Zudem war auf diesen Zusammenhang audi in der bereits genannten Anklageschrift des DDR-Innenministers deutlich genug hingewiesen worden. „Ich möchte dabei auf einige Zusammenhänge hinweisen", so heißt es darin, „die Ihnen vielleicht bisher entgangen sind oder deren Tragweite Sie nicht voll erkannt haben. Der Kurs auf das Wiedererstehen des aggressiven deutschen Militarismus und die Einbeziehung Westdeutschlands in den gefährlichen Militärpakt der N A T O , die den Frieden in Europa und die Einheit Deutschlands bedroht, haben eine neue Lage geschaffen, die audi ihre Auswirkung auf die Kirche hat." 1 7 So war es kein Wunder, daß die Frage, wie die evangelische Kirche zur allgemeinen Wehrpflicht stehe, trotz der bemühten Beschränkung der Referenten auf das Thema der Synode immer wieder durchdrang. Besonders von den Teilnehmern aus der D D R wurden im Ausschuß und in vielen persönlichen Gesprächen immer wieder die schwersten Bedenken gegen die Wiederaufrüstung zum Ausdruck gebracht 18 . Man fürchtete, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik nicht nur zu einem weiteren Druck auf die Kirche in der D D R und zu neuerlichen schweren Attacken gegen die Einheit der

wordene, nicht voll bestätigte Behauptungen unterstrichen wird. H e i n e m a n n schrieb a m 26. J u l i 1956 an K u n s t , A d e n a u e r habe das Z u s t a n d e k o m m e n der S y n o d e zu verhindern versucht, und berief sich dabei auf namentlich nicht genannte Gewährsleute sowie auf einen Artikel des „ S p i e g e l " v o m 27. J u n i 1956 (vgl. AKTEN GOLLWITZER, N r . 168). - In diesem Z u s a m m e n h a n g w u r d e auch behauptet, d a ß der stellvertretende D D R - M i n i s t e r p r ä s i d e n t Nuschke v o n den evangelischen Bischöfen und Generalsuperintendenten in der D D R einen T a g vor Beginn der S y n o d e ein Wort gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik verlangt und d a f ü r E r leichterungen f ü r die Kirche in der D D R in Aussicht gestellt habe ( K J 1957, S. 69). "

Vgl. d a z u die Unterlagen AKTEN GOLLWITZER, N r . 168. K J 1956, S. 153. 1 8 Dies geschah vor allem im Ausschuß I I I , der sich mit E i n g a b e n zur allgemeinen Wehrpflicht, zur Kriegsdienstverweigerung usw. zu befassen hatte, aber auch schon im S y n o d a l r e f e r a t des Cottbuser Generalsuperintendenten Günter J a c o b (BERLIN 1956, S. 1 7 - 2 9 ) . Vgl. außerdem E . Müllers gezielte Indiskretionen in dem Rundbrief v o m 23. August 1957 ( K J 1957, S. 67 ff.). 17

Frage der allgem. Wehrpflicht auf der Synode der EKD Berlin 1956

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EKD führen würde, sondern zu einer ähnlichen Entscheidung in der DDR, die mit einer verstärkten Hetze gegen die Bundesrepublik verbunden sein würde. So war es also kein Wunder, daß sich die Synode doch stärker als geplant auch mit der Frage der allgemeinen Wehrpflicht befassen mußte. Schon vor der Synode waren eine ganze Reihe von Anträgen eingegangen, die teils die Frage der allgemeinen Wehrpflicht, teils die Frage des rechtlichen Schutzes der Kriegsdienstverweigerer und teils auch die Frage einer kirchlichen Militärseelsorge betrafen 19 . Alle diese Anträge wurden dem Ausschuß III zugeleitet. Der in diesem Zusammenhang vor allem interessierende Antrag zur allgemeinen Wehrpflicht, der aus der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland kam, wurde als sogenannter Antrag Locher im Ausschuß III lange und ausführlich verhandelt. Er lautete: „Die Synode bittet die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie den Bundestag und die Volkskammer, von der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht in einem geteilten Deutschland Abstand zu nehmen und sich bis zur Wiederherstellung der Einheit unseres Volkes über eine Begrenzung der beiderseitigen bewaffneten Kräfte zu verständigen." 20 Es war wohl von vornherein nicht zu erwarten, daß ein solcher Antrag angesichts der Kräfteverhältnisse in der EKD eine Chance hatte, angenommen zu werden. Eine so konkrete politische Forderung mußte von den lutherischen Synodalen ungeachtet ihrer persönlichen Einstellung zu dieser Frage als eine ganz und gar unerlaubte Einmischung in das politische Amt der Obrigkeit verstanden und darum abgelehnt werden. Umso überraschender war das von der Arbeitsgruppe III vorgelegte Ergebnis. Abgesehen von einem längeren Votum, das Wünsche der Synode zur Einheit Deutschlands ausdrückte21, legte der Ausschuß, gewissermaßen als Ersatz für den Antrag Locher, einen eigenen Vorschlag zur Beschlußfassung vor. Da dieser Vorschlag, entgegen dem Wunsch des Ausschusses, zu einer längeren, sehr konkreten Plenumsdiskussion über Bedenken gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht führte, die zu einer wesentlichen Veränderung des Vorschlages des Ausschuß III führte, wird diese Vorlage hier im vollen Wortlaut wiedergegeben: „Die Synode beauftragt mit Zustimmung des Rates eine Kommission, bestehend aus fünf Männern aus unseren Rei10

20

V g l . A K T E N GOLLWITZER, N r .

167.

Ebd. Benjamin Locher, geb. 16. 6. 1909 in Elberfeld, ord. 11. 4. 1937, 1937-1940 Studieninspektor am ref. Predigerseminar Elberfeld, 1946 Pfr. in Elberfeld (ref.), 1958 Landespfarrer. 21 Vgl. KJ 1956, S. 21 f.

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Die Lage nach Absdiluß der Pariser Verträge

hen, davon drei aus der Deutschen Demokratischen Republik und zwei aus dem Gebiet der Bundesrepublik, mit folgenden Zielen: 1. Bundesregierung und Bundetag der Bundesrepublik Deutschland von den schweren Besorgnissen in Kenntnis zu setzen, die von Synodalen über die Rückwirkungen der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht auf die Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik geäußert worden sind; 2. bei der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vorstellig zu werden, daß nicht, wie vielfach berichtet worden ist, Zwang zum Eintritt in die Nationalen Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik und zur Teilnahme an vormilitärischer Ausbildung ausgeübt wird." 22 Diese Vorlage ist aus mehreren Gründen interessant und läßt einige nicht unerhebliche Rückschlüsse auf die Auseinandersetzungen im Ausschuß III zu. Sie zeigt zunächst einmal, daß die Bedenken gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht seitens der DDR-Vertreter in der Synode im Blick auf die Lage in der DDR so gravierend gewesen sein müssen, daß es selbst den lutherischen Vertretern des Westens nicht möglich war, das Anliegen des Antrages Locher völlig vom Tisch zu wischen. Sie zeigt zum anderen, daß jedenfalls im Ausschuß keine Mehrheit zu finden war, die „an sich" gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik war. Der Vorschlag, statt eines Kompromißvotums eine Kommission zu entsenden, in der die DDR-Vertreter überwogen, zeigt drittens, daß im Ausschuß Gravamina zur Sprache gekommen sind, die sich einer schriftlichen Formulierung grundsätzlich entzogen. Die politische Brisanz der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, dies zeigte sich auch in der dann doch stattfindenden Diskussion dazu, war also selbst ihren prinzipiellen Befürwortern durchaus bewußt. Tatsächlich wurden ja audi keine prinzipiellen Einwendungen gegen den Vorschlag des Ausschusses erhoben. In einer wenig veränderten Fassung, die die Aussprache im Plenum berücksichtigte, wurde der Vorschlag mit nur zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen von der Synode angenommen 23 . In der Diskussion der Vorlage wurden vor allem von Helmut Gollwitzer eine Reihe gewichtiger Einwendungen gegen die Erstfassung des Punktes 1 der Vorlage erhoben. Zunächst einmal wies er darauf hin, daß die nach seinen Informationen im Ausschuß vorgetragenen Bedenken nicht nur Rückwirkungen innerhalb der DDR betrafen, sondern auch die Verbindungsmöglichkeiten zwischen den Menschen der beiden Teile Deutschlands (Beispiel: Reisebeschränkungen auch von 22

BERLIN 1 9 5 6 , S . 1 3 2 .

23

Ebd., S. 179.

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westlicher Seite für Angehörige der Bundeswehr). Ein weiterer Punkt, der nach Gollwitzers Meinung von der Kommission hätte vorgetragen werden müssen, lag in der „Uberstrapazierung der Autorität des Staates", der einer Bevölkerung, einer Jugend etwas zuzumuten sich anschicke, was diese noch nicht zu leisten imstande sei. Nach Gollwitzers Meinung mußte die vorzeitige Einführung einer Wehrpflicht das ohnedies noch außerordentlich fragile Verhältnis der Jugend zu ihrem Staat, der ja immerhin ein Provisorium war, noch fragwürdiger machen. Gollwitzer kritisierte in diesem Zusammenhang, daß die Lutheraner ihre berechtigte Sorge um ein „Wachsen des Staatsbewußtseins" in der Bevölkerung nur im Appell ζ. B. an die potentiellen Kriegsdienstverweigerer ausdrücken, dem Staate zu geben was des Staates ist: „Ich würde die Frage viel dringender aussprechen gegenüber der Regierung." 24 Gollwitzers Überlegungen wurden offensichtlich von der Mehrheit der Synodalen nicht verstanden. Jedenfalls ging niemand auf diesen so wichtigen Punkt ein, der in der Zukunft die Bundeswehr so schwer belasten sollte. Denn nicht das Wiederaufleben des alten Militarismus, wie es die Propaganda der D D R oder die besorgten Stimmen aus dem westlichen Ausland glauben machen wollten, wurde das eigentliche Problem der Bundeswehr, sondern das Fehlen jeglichen Staatsbewußtseins der deutschen Jugend, das sich im „Ohne mich" verdrossen manifestierte. Daß die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht zudem, wie Gollwitzer weiter ausführte, alle Ansätze eines Umdenkungsprozesses, alle Bestrebungen zu einer Einkehr und Buße illusorisch machen würden, war ein Bedenken, das auch von anderen, lutherischen Synodalen, wie ζ. B. Walter Künneth, geteilt wurde (S. 166). Insofern war Gollwitzers Prognose eines bevorstehenden Bündnisses zwischen „Klerus, Kapital und Generalen" (S. 153) für die angesprochenen lutherischen Vertreter schwer zu verkraften, ihren Intentionen gegenüber nicht ganz gerecht, und doch nicht ohne Grundlage. Gollwitzer berief sich für seinen Verdacht auf Informationen aus dem Ausschuß. Danach habe man ein Votum der Synode gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verhindern wollen aus Angst vor politischen Rückwirkungen. „Darum fürchte ich", Schloß Gollwitzer, „daß diejenigen, die dagegen waren, im Gefängnis politischer Interessen standen" (S. 154). In dieser scharfen Äußerung wird deutlich, unter welch einem starken, auch emotionalen Druck diese Synode stand. Ihr entsprach von lutherischer Seite die nicht minder scharfe Reaktion Künneths, der unter Hinweis auf den Antrag Locher sagte, die Zustim24

Ebd., S. 152. Seitenzahlen weiterer Zitate im Text.

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Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge

mung der Synode zu diesem Antrag würde „einen glänzenden Sieg der Sowjetunion hier in der E K D bedeuten" (S. 168). Man wird rückblickend zu diesen Vorwürfen sagen müssen, daß sie beide ein Stück Wahrheit enthielten, sofern man die möglichen oder tatsächlichen politischen Auswirkungen im Auge hat: der Verzicht auf Kritik an den politischen Maßnahmen der Bundesregierung machte die E K D für diese zu einem bequemen Partner, die kirchliche Kritik daran wurde von der D D R gezielt in ihr Kalkül eingebaut. Mir scheint aber unabweisbar zu sein, daß innerhalb der E K D nur wenige, wie vielleicht E. Müller, Gollwitzer, Heinemann und Lilje diesen Mechanismus wirklich durchschauten und sich seiner ihren politischen Absichten entsprechend bedienten. Den von Gollwitzer geäußerten Bedenken gegen die einseitige Formulierung der Vorlage des Ausschusses Schloß sich die Synode nach einer längeren Aussprache an. Auch wenn nicht alle Synodalen die Einwendungen Gollwitzers zu teilen vermochten, so ließen sie sich doch durch die in der Aussprache vorgebrachten Überlegungen anderer davon überzeugen, daß es nicht angebracht sei, lediglich von Rückwirkungen der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik auf die D D R zu sprechen. Dies jedenfalls kann allein der Sinn der Endfassung des Punktes 1 der Ausschußvorlage sein, „Bundesregierung und Bundestag der Bundesrepublik Deutschland von den Gesichtspunkten und Besorgnissen in Kenntnis zu setzen, die von Synodalen über Auswirkungen einer Wehrpflicht geäußert worden sind" (S. 178). Diese Gesichtspunkte und Besorgnisse hatte am klarsten Gollwitzer vorgetragen, der Ausschußvorsitzende Prof. Ludwig Raiser teilte sie ausdrücklich (S. 160), und Locher unterstrich sie noch durch eine Neuformulierung seines ursprünglichen Antrages (S. 160 ff.). Die Bedenken teilte selbst Künneth (S. 165 f.), der rheinische Präses Heinrich Held wollte sie ausdrücklich in die Formulierung mitaufnehmen (S. 170), Niemöller schlug vor, die allseitigen Bedenken mündlich vorzutragen und auf eine Nennung von D D R und B R D zu verzichten (S. 171). Niemand aber auf der Synode widersprach ihnen grundsätzlich, nicht einmal Eberhard Müller. Angesichts dieser Sachlage wäre es absurd zu vermuten, die Synode habe nicht mit allen Konsequenzen bedacht, was sie da beschloß. Ein solcher Beschluß war in jedem Falle ein Politikum. Er bezweckte eine Einflußnahme auf die unmittelbar bevorstehende Bundestagsdebatte zur allgemeinen Wehrpflicht und war - wenn er überhaupt einen Sinn haben sollte - als ein mehr oder weniger wirksames Gegengewicht gegen die Entscheidung für eine allgemeine Wehrpflicht zu verstehen. Nicht erst die Unterschriftensammlung hat diese Synodalentschließung zu einem Politikum gemacht.

Unterschriftensammlung

4. Die

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Unterschriftensammlung

Die Unterschriftensammlung wurde von den Synodalen Helmut Gollwitzer, Gustav Heinemann und Heinrich Vogel initiiert. Ihr Wortlaut war: „Die Unterzeichneten schließen sich den Bedenken gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bzw. gegen Zwangsmethoden bei der Werbung für den Wehrdienst an, die durch die von der Synode beauftragte Delegation in Bonn und Ostberlin vorgetragen werden." 25 Nach übereinstimmendem Zeugnis der Initiatoren war diese Unterschriftensammlung zur Unterstützung des Votums der Delegation gedacht 26 . Durch die Unterschriften sollte deutlich gemacht werden, daß es sich bei den Synodalen, auf deren Bedenken sich die Delegation beriefe, nicht nur um eine kleine Minderheit der Synode handele. Die Sammlung der Unterschriften erfolgte am dritten Verhandlungstag vor und während der Debatte über den entsprechenden Vorschlag des Ausschusses III. Es wurden sechs Listen (Durchschläge mit dem Wortlaut des Textes am Kopf) teils in den Reihen der Synode weitergereicht, teils einzelnen zur Unterschrift zugeschoben. Der Präses der Synode war von dem Unternehmen nicht unterrichtet. Es handelte sich also um die Privatinitiative der Obengenannten. Ebenfalls nicht unterrichtet waren einige Synodale, von denen man mit Sicherheit annehmen mußte, daß sie nicht unterzeichnen würden. Insgesamt hatten 62 Synodale unterzeichnet. Das war bei insgesamt 120 Synodalen, von denen zum Zeitpunkt der Unterschriftensammlung nur noch 105 anwesend waren, ein beachtliches Ergebnis. Die Listen mit den Unterschriften wurden der Delegation noch vor Beendigung der Synode ausgehändigt und spielten dann auch, wie beabsichtigt, bei der Parlamentsdebatte eine wichtige Rolle 27 . Wie die Initiatoren vorausgesehen hatten, wollte die CDU/CSUFraktion im Bundestag die Vorsprache der Synodaldelegation zunächst als die Bedenken einiger weniger Synodaler herunterspielen. Der Hinweis des SPD-Abgeordneten Fritz Erlers auf die 62 Unterschriften hatte dann natürlich einen gewissen Effekt. Adolf Cillien (CDU/CSU) versuchte, die Privatheit der Unterschriftensammlung gegen sie auszuspielen, während Herbert Wehner (SPD) die Zahl herausstellte. Dieser publizistische Erfolg der Unterschriftensammlung, 25

KJ 1956, S. 74. Vgl. dazu das Schreiben Gollwitzers, Heinemanns und Vogels vom Juli 1956 an den Präses der Synode (ebd., S. 76 f.) und weitere Briefwechsel (ebd., S. 75 f.; 26

AKTEN GOLLWITZER, N r . 1 6 8 ) . 27 Die für diesen Zusammenhang wichtigsten Teile aus der Bundestagsdebatte zur 3. Lesung der Wehrpflichtgesetze am 6. Juli 1956 vgl. KJ 1956, S. 50-72.

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Die Lage nadi Absdiluß der Pariser Verträge

ihre Behandlung und Beurteilung in der Bundestagsdebatte und in Presseberichten brachte die kirchliche Rechte auf den Plan und führte zu einem höchst unerfreulichen Nachspiel der Synode, das sich bis in das Jahr 195828 hinein erstreckte. Die eigentliche Schlüsselfigur dieser in aller Öffentlichkeit ausgetragenen „innerkirchlichen" Auseinandersetzung war Eberhard Müller, der damit seine 1951 bereits bezogene Position als politisierender Repräsentant der kirchenpolitischen Rechten29 bestätigte. Nachdem von Synodalen aus Hannover und Bayern Protestsdireiben wegen der öffentlichen Verwendung der Unterschriftensammlung an alle Synodalen gegangen waren, denen die drei Initiatoren mit einer Klarstellung entgegentraten, brachte er den Stein endgültig ins Rollen. Am 23. Juli 1956 sprach Müller auf einer Gemeindeversammlung in Bonn, zu der von der CDU/CSU nahestehenden Gemeindegliedern mit Hinweis auf Vorkommnisse auf der Synode der EKD in Berlin eingeladen worden war 30 . Einziger Redner des Abends war Eberhard Müller, Gesprächsleiter Staatssekretär Straß/CDU vom Bundesinnenministerium. Wegen starker Beteiligung wurde die Veranstaltung von einem Bonner Hotel in die Kreuzkirche verlegt. Hier verlas Müller ein mehrseitiges Dokument mit der Überschrift „Die Verfälschung der Synode" 31 , das inhaltlich schon vor der Versammlung der Presse übergeben worden war. Der Hauptvorwurf gegen die Unterschriftensammlung bestand darin, daß die Initiatoren die Synode bewußt für ihre politischen Zwecke mißbraucht hätten. Die Unterschriftensammlung bedeute eine bewußte Irreführung der Synode, weil zum Zeitpunkt der Unterschriftensammlung der Auftrag der Delegation noch einen viel begrenzteren Inhalt gehabt habe als nach der endgültigen Abstimmung und weil den Synodalen zugesichert worden sei, daß von der Unterschriftensammlung kein öffentlicher Gebrauch gemacht werde. Außerdem sei die Unterschriftensammlung von der Geschäftsordnung der Synode her unstatthaft gewesen. Zur Untermauerung seiner Ausführungen führte Müller dabei eine Reihe von Beobachtungen, Spekulationen und Kombinationen an, die vor allem auf eine Diffamierung Heinemanns und Heids hinausliefen, wobei ihm die politische Außenseiterstellung Heinemanns zugute kam. 28

Vgl. KJ 1957, S. 67-72. Vgl. oben S. 150 u. ö. 30 Auf die Hintergründe dieser Einladung ging Gollwitzer in einem Schreiben an den Präses der EKD-Synode, Prof. D. Dr. Constantin Freiherr von Dietze, vom 25. Juli 1956 ausführlich ein: die Einladungen seien von der Geschäftsstelle des evangelischen Arbeitskreises der C D U verschickt worden (AKTEN GOLLWITZER, Nr. 168). 31 Vgl. dazu KJ 1956, S. 77 ff. 29

Unterschriftensammlung

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In Gegendarstellungen Heinemanns und Gollwitzers konnten die meisten Angriffe als unsachlich oder unrichtig entlarvt werden. Ein Hauptvorwurf gegen Heinemann - er habe das Ergebnis der Unterschriftensammlung und die Tatsache, daß auch Dibelius mitunterzeichnet habe, an die Ostpresse weitergegeben - wurde erst im Januar 1958 von Dibelius zurückgenommen und dann auch offentlich richtiggestellt32. Damit waren die peinlichsten Momente dieser Affäre Müller-Heinemann beigelegt. Die eigentliche Frage aber, nämlich die nach der Berechtigung oder Notwendigkeit dieser „Privatunternehmung", also die durch die publizistische Auswertung der Unterschriftensammlung aufgeworfene Frage nach dem Standort der Synode in der Frage der allgemeinen Wehrpflicht blieb unbeantwortet. Die Art der Behandlung dieser Affäre durch den Rat der EKD machten vielmehr deutlich, daß mindestens die politischen Sympathien des Rates auf Seiten Eberhard Müllers lagen 33 - die Ratserklärung vom 13. August 1956 etwa konnte kaum anders verstanden werden 34 . Sie wurde der Schwere der insbesondere gegen Heinemann erhobenen Vorwürfe in keiner Weise gerecht und mußte im Gegenteil als eine nochmalige öffentliche Maßregelung der Initiatoren der Unterschriftensammlung gelesen werden. Selbst der Präses der Synode, der seinerseits erhebliche Einwände gegen die Unterschriftensammlung hatte, war mit dieser Ratserklärung nicht einverstanden. Er „hielt es nicht für gut, daß der Rat überhaupt eine Erklärung veröffentlicht, die etwas anderes besagt, als unser Bericht" 35 . Präses von Dietze hatte dem Rat für seine Sitzung am 12./13. August 1956 den Bericht des Präsidiums der Synode vorgelegt, das dieses zusammen mit Heinemann, Gollwitzer und Müller über „das Zustandekommen, den Sinn und die Verwendung der Unterschriften32

Vgl. KJ 1957, S. 71 f. Aus einem Brief Heinemanns an Gollwitzer vom 5. September 1956 geht hervor, daß Dibelius bereits im August 1956 die Unhaltbarkeit seines Vorwurfs gegen Heinemann hätte bezeugen können, da er gewußt habe, wer seinen Namen als Mitunterzeidiner der Unterschriftssammlung an die Ostpresse weit e r g e g e b e n h a b e (AKTEN GOLLWITZER, N r . 168). 33 Vgl. das Schreiben Heinemanns an Gollwitzer vom 5. September 1956, in dem es heißt: „Es mag bedauerlich sein, daß idi am 13. August an der Frankfurter Ratssitzung nicht teilgenommen habe; um so deutlidier ist dabei herausgekommen, daß die große Mehrheit im Rat im innersten Herzen trotz allem auf der Seite Eberhard Müllers ist" (ebd.). 54 Vgl. KJ 1956, S. 107 f. sowie Schreiben des westfälischen Präses Ernst Wilm an den Rat der E K D vom 29. August 1956 und Sdireiben Gollwitzers an Dibelius

v o m 1 5 . A u g u s t 1 9 5 6 ( A K T E N GOLLWITZER, N r . 1 6 8 ) . 35 Vgl. Sdireiben von Dietzes an die Mitglieder des Präsidiums der Synode vom 14. August 1956 (ebd.).

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Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge

Sammlung" gefertigt hatte. Wäre dieser Bericht 36 , der die wesentlichsten Klarstellungen enthält, rechtzeitig und nicht erst zwei Monate später veröffentlicht worden, wären manche Bitterkeiten vielleicht gar nicht erst entstanden 37 . Aber so kam es zu einer wahren Flut von Briefen, Berichten und Presseerklärungen, die dem Ansehen der E K D zweifellos erheblich schadeten. Vor allem Eberhard Müller hielt sich an keinerlei Stillhalteabkommen und war zu einem Einlenken bzw. einer Entschuldigung nicht bereit 38 . Selbst nachdem Ende 1956 die leidige Sache so einigermaßen beigelegt zu sein schien, brachte er sie vor dem Bundestagswahlkampf 1957 erneut in die Öffentlichkeit, wo er seine alten Vorwürfe gegen Heinemann scheinbar erhärtete 39 . Daß eine an sich so relativ harmlose politische Aktion einiger Synodaler wie die Unterschriftensammlung zu einer Affäre solchen Ausmaßes geraten konnte, zeigt die ganze Zerrissenheit der E K D am Ende der langjährigen Auseinandersetzungen um die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Man wird ja kaum davon ausgehen können, daß die formalen Mißgriffe dieser Aktion für sich genommen so viel öffentliche Empörung hätten auslösen können. Gegen diese Annahme spricht ζ. B. das faire und vermittlungsbereite Verhalten des Präses der Synode der - ob er von den Initiatoren nun absichtlich oder unabsichtlich übergangen wurde - persönliche Empfindlichkeiten hintanstellte und sich mit Entschiedenheit für eine Klärung und die persönliche Rehabilitierung der von Müller angegriffenen Synodalen einsetzte. So waren dann auch nicht die formalen Fragen die eigentliche causa belli. Die Schärfe der öffentlichen Angriffe Eberhard Müllers, der zwar nicht im Stil, aber doch in der Sache vielfache Schützenhilfe erfuhr, nicht zuletzt durch die unbefriedigende Erklärung des Rates der E K D vom 13. August 1956, ist vielmehr ein Ausdruck der tatsächlichen politischen Brisanz dieser Aktion. Die Entsendung der fünfköpfigen Kommission, die nur unter dem Druck der Vorstellungen der Synodalen aus der D D R beschlossen worden war - die noch 1958 von Müller aufgestellte Behauptung, Nuschke habe auf einer Entscheidung K J 1956, S. 109 ff. Weshalb die Veröffentlichung des Berichtes solange hinausgezögert wurde, läßt sich nicht mehr genau eruieren, v. Dietze nennt in einem Schreiben an Wilm vom 8. Oktober 1956 u. a. als Grund, daß Synodale aus der D D R Bedenken gegen die Veröffentlichung geäußert hätten. Schließlich wurde der Bericht unter starkem Druck von Niemöller, Wilm u. a. auf der Sitzung des Präsidiums der Synode am 17. Okto3e 37

b e r 1 9 5 6 freigegeben (AKTEN GOLLVITZER, N r . 1 6 8 ) . 3 8 E r nahm am 17. September 1956 erneut in einem Brief an die Fraktionen des Landtags von Baden-Württemberg und des Bundestags zu den Vorgängen Stellung (ebd.; ebenfalls die Erwiderung Dr. Adolf Arndts, MdB, vom 2. Oktober 1956). 3 9 K J 1957, S. 67 ff.

Bemühungen um rechtlichen Schutz der Kriegsdienstverweigerer

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der Synode gegen die allgemeine Wehrpflicht bestanden, darf m.E. ruhig als gegeben hingenommen werden 40 - war ganz offensichtlich angesichts der Kräfteverhältnisse in der E K D bereits ein non plus ultra. Dies jedenfalls hat die Unterschriftensammlung, die wirklich nicht mehr war als eine moralische Unterstützung der fünfköpfigen Delegation, in aller Klarheit ans Licht gebracht. Die Angriffe gegen die Unterschriftensammlung kamen aus dem Westen, nicht aus dem Osten. Sie übersahen vollkommen, daß durch die Unterschriften ja nicht nur Bedenken gegen die Politik der Bundesregierung unterstützt wurden, sondern in weitaus größerer Klarheit Kritik an Maßnahmen der DDR-Regierung. Um so mehr drängt sich der Eindruck auf, daß zu diesem Zeitpunkt schon der leiseste Zweifel an der Politik Konrad Adenauers der Mehrheit der E K D unannehmbar war. Die E K D hatte sich so weitgehend mit dem Westen arrangiert, daß sie die kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen geradezu als existenzbedrohend empfinden mußte. Der fast verzweifelte Kampf der von Müller angegriffenen Initiatoren um ihre öffentliche Rehabilitierung machte deutlich, daß die Bekennende Kirche innerhalb der E K D endgültig in die Außenseiterrolle abgedrängt worden war (Die fast gleichzeitige Entfernung Niemöllers aus dem kirchlichen Außenamt kann in dieser Entwicklung als ein Gipfel betrachtet werden). Am Ende der langjährigen Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung stellte sich die E K D als krank, in ihrem moralischen Prestige geschwächt und zutiefst zerstritten dar.

Exkurs: Die Bemühungen der EKD um den rechtlichen Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen Die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, auf die Durchführung von Anerkennungsverfahren für die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen bis auf weiteres zu verzichten, bedeutet das einstweilige Ende einer langjährigen, oft zähen und insgesamt wenig erfreulichen Auseinandersetzung zwischen dem Staat und den an der Kriegsdienstverweigerung interessierten Gruppen um die Auslegung des im Grundgesetz garantierten Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Damit ist audi für die E K D ein wichtiger Bereich ihres öffentlichen Engagements zu Ende gegangen. Die Frage, wie das im Grundgesetz garantierte Recht des Einzelnen auf Kriegsdienstverweigerung ausgelegt und rechtlich abgesichert wer40

Ebd., S. 69.

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Die Lage nach Abschluß der Pariser Verträge

den könne, hatte die E K D ja über viele Jahre hinweg beschäftigt. Ihr zielstrebiges Engagement an dieser Stelle war gewissermaßen ein Nebenprodukt der innerkirchlichen Auseinandersetzungen um die Frage, wie sich die E K D gegenüber der drohenden Wiederaufrüstung der Bundesrepublik verhalten solle. Während ein Konsensus in der Frage der Wiederaufrüstung nicht erreicht werden konnte, wurde die Selbstverpflichtung der E K D , sich für die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen einzusetzen, seit der Synode von Berlin-Weißensee41 von niemandem grundsätzlich in Frage gestellt. Audi in ihren nachfolgenden Voten hat sich die E K D vielmehr immer wieder zu dieser Selbstverpflichtung bekannt 42 . Hier blieb die E K D auch nicht in reinen Absichterklärungen stedsen, sondern wurde frühzeitig auch gegenüber den staatlichen Stellen aktiv. Zunächst wurde die Kammer für öffentliche Verantwortung 43 des Rates der E K D und seit der Synode von Espelkamp ein eigener Ausschuß44 mit der Frage der Kriegsdienstverweigerung befaßt. Sie hatten die Aufgabe, die Diskussion zu dieser Frage laufend zu verfolgen und Stellungnahmen des Rates der E K D vorzubereiten 45 . Daneben erarbeiteten sie Materialien, mit denen der Beauftragte des Rates der E K D in Bonn, Hermann Kunst, für die Verhandlungen mit den staatlichen Organen zur Wehrgesetzgebung ausgestattet wurde. Diese Verhandlungen des Rates wurden von einer lebhaften innerkirchlichen Diskussion begleitet. Eine Flut von Stellungnahmen kirchlicher Gruppen, Synoden und Einzelpersonen zu dieser Frage 46 bezeugen, wie dringlich die Frage der Kriegsdienstverweigerung innerhalb der E K D empfunden wurde. Daß die unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Positionen sich bei aller Ubereinstimmung in dem grundsätzlichen J a zum Schutz des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen auch hier widerspiegelten, bfedarf wohl keiner weiteren Begründung. Den theologischen, rechtlichen und politischen Vgl. dazu oben S. 98 ff. Vgl. G. HEIDTMANN, Kirche, S. 98 ff., 160 ff., 213 ff., 218 ff., und oben S. 181. 43 Vgl. Besdiluß des Rates der E K D vom 25./26. August 1950 (AKK HANNOVER, 0,46 Beih.). 44 Vgl. ebd., 345 und 345/Beiheft. 45 Hierher gehören insbesondere 1. Entwurf einer Stellungnahme des Rates der E K D zu Fragen der Gesetzgebung über Kriegsdienstverweigerung um des Gewissens willen vom 28. November 1951, 2. Ratschlag zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer vom 16. Dezember 1955, 3. „Ratsamer Vorschlag für eine Stellungnahme zur Wehrgesetzgebung in der Bundesrepublik", der laut Besdiluß des Rates vom 18./19. Oktober 1956 nicht veröffentlicht wurde, aber von Kunst in den Verhandlungen mündlich vertreten werden sollte (ebd., 2. bei G. HEIDTMANN, Kirche, S. 218 ff.). 41 42

48

V g l . K J 1 9 5 0 - 1 9 5 6 u n d A K K HANNOVER, 345.

Bemühungen um rechtlichen Schutz der Kriegsdienstverweigerer

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Argumenten nachzugehen, die dabei zur Diskussion standen, ist nicht Aufgabe dieser Arbeit 4 7 . Es sollen hier aber doch wenigstens die wichtigsten Fragen benannt werden, die innerhalb der E K D verhandelt wurden, weil bereits sie ein Spiegelbild der schwierigen innerkirchlichen Gesprächssituation sind. Insbesondere kreiste die Diskussion um die folgenden Fragenkomplexe: Was ist das Gewissen? Soll der Schutz nur denjenigen Gewissen zugebilligt werden, die grundsätzlich jede Gewaltanwendung ablehnen (also den prinzipiellen Pazifisten), oder auch denjenigen, die aus der Beurteilung der aktuellen politischen Situation heraus zur Kriegsdienstverweigerung kommen? Soll der Schutz nur dem religiös gebundenen Gewissen gelten? Wie soll die „Gewissensbindung" des Kriegsdienstverweigerers überprüft werden? Darf die Kirche zur Kriegsdienstverweigerung ζ. B. in der derzeitigen politischen Situation (angesichts der noch andauernden Spaltung Deutschlands) aufrufen? Ist der Kriegsdienstverweigerer zur Ersatzdienstleistung verpflichtet? An praktischen Problemen wurden in den Ausschüssen der E K D neben der gesetzlichen Formulierung insbesondere Fragen des Anerkennungsverfahrens diskutiert ( z . B . : Wer trägt die Beweislast?), Fragen der Gestaltung des Ersatzdienstes, später die Frage der Beistandstätigkeit von Pfarrern usw. Die im Ausschuß erarbeiteten Vorlagen bildeten als das erreichbare Ergebnis dieser langjährigen innerkirchlichen Diskussion die Grundlage für Verhandlungen mit den zuständigen Stellen der Bundesregierung. Wenngleich nicht alle Vorstellungen der E K D verwirklicht werden konnten, haben die Vorarbeiten und das Engagement der E K D zweifellos einen wesentlichen Einfluß auf die endgültige Formulierung der entsprechenden Paragraphen der Wehrgesetzgebung gehabt. Es bleibt ein unbestreitbares Verdienst der E K D , daß sie an dieser Stelle die frühere Haltung der Kirche revidiert und durch ihr praktisches Engagement für die Kriegsdienstverweigerer mit dazu beigetragen hat, die Ablehnung des Kriegsdienstes mit der Waffe als christliche Möglichkeit verständlich zu machen. Der Wandel in der Einstellung der evangelischen Kirche zu Krieg und Kriegsdienst, der in der Nachkriegszeit erkennbar wurde 48 , hat hier erste praktische Früchte getragen. Die „Ersatzfunktion", die das Engagement der E K D für die Kriegsdienstverweigerer im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Frage der Wiederbewaffnung hatte, darf dabei freilich nicht übersehen werden 49 . 4 7 Vgl. dazu besonders B. W. KUBBIG, Kriegsdienstverweigerung (mit ausführlichen Literaturangaben!). 4 8 Vgl. dazu oben S. 83 ff. 4 8 Vgl. dazu oben S. 114.

ERGEBNIS Die Untersuchung über die Haltung der E K D in der Wiederbewaffnung hat ergeben, daß die Wahrnehmung des sogenannten „politischen Mandats" der E K D nicht zu einer Beteiligung der Kirche an den politischen Entscheidungen geführt hat, sondern allenfalls als Aufforderung an die Kirche wirksam wurde, die hinter den politischen Fragen liegenden theologisch-ethischen Probleme zu reflektieren. Dieser Sachverhalt hat sich aus der Analyse der widerspruchsvollen Einstellung der E K D zu dieser Frage unter den sich wandelnden politischen Konstellationen ergeben. Die Gegenüberstellung von zeitgeschichtlicher Analyse und innerkirchlicher Diskussion zu diesem politischen Thema zeigt, daß die E K D in der Handhabung ihres Öffentlichkeitsanspruches eine charakteristische Entwicklung durchgemacht hat. Während sie in der Nachkriegszeit als eine relativ geschlossene Größe in Erscheinung trat, die zu den Lebensfragen des deutschen Volkes selbstbewußt und unabhängig Stellung bezog und ihr moralisches Prestige für die Beurteilung gesellschaftlicher und politischer Vorgänge in die Waagschale zu werfen wagte, wurde sie in dem Maße, in dem die Konsolidierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse fortschritt, zunehmend entscheidungsunwilliger und in ihren öffentlichen Äußerungen unbestimmter. Die Gründe hierfür sind in der Geschichte der E K D selbst zu finden. Die Evangelische Kirche in Deutschland als Nachfolgerin der Bekennenden Kirche war das Ergebnis eines kirchenpolitischen Kompromisses, mit dem die innerhalb des deutschen Protestantismus von jeher bestehenden konfessionellen Differenzen und die aus der Zeit des Kirchenkampfes herrührenden Animositäten zwischen den verschiedenen kirchenpolitischen Gruppen nur mühsam überdeckt worden waren. D a ß die E K D in der Nachkriegszeit dennoch zunächst als eine relativ homogene Gruppe erscheinen konnte, hatte zweierlei Gründe: Zum einen war der E K D , die lange Zeit die einzige funktionsfähige gesellschaftliche Kraft in Deutschland war, dank ihres hohen internationalen Prestiges für die Aufbauphase nach dem Zusammenbruch eine große gesamtgesellschaftliche Verantwortung zugefallen, die zu einer geschlosseneren Haltung einfach zwang. Zum anderen waren die Leitungsorgane der E K D nach dem Zusammenbruch von 1945 entgegen den tatsächlichen Kräfteverhältnissen mit Rück-

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sieht auf das ökumenische Ansehen der evangelischen Kirche überwiegend mit prominenten Vertretern der Bekennenden Kirche besetzt worden, die im politischen und kirchenpolitischen Engagement erprobt waren und sich auch nun entsprechend einsetzten. Der Einfluß Martin Niemöllers und Gustav Heinemanns ζ. B. auf die Entscheidungen und Kundgebungen der EKD kann für diese Phase kaum überschätzt werden. Seit dem Herbst 1950 aber ist deutlich ein Schwinden des Einflusses der Bekennenden Kirche auf die unmittelbaren Entscheidungen der EKD zu erkennen. Mit den durch Heinemanns Rücktritt als Bundesinnenminister ausgelösten Diskussionen traten die bisher eher latenten Meinungsverschiedenheiten in der EKD immer deutlicher ans Licht und beeinflußten im zunehmenden Maße ihre Stellungnahmen. Die Maßregelung Niemöllers durch die Erklärung des Rates der EKD vom 17. November 1950 kündigt diesen Umschwung deutlich an. Eine im Essener Wort des Rates noch klar erkennbare Distanz gegenüber den Wiederbewaffnungsplänen der Regierung Adenauers wurde aufgegeben und ersetzt durch die Auskunft, es handele sich bei dieser Frage um ein Adiaphoron, um eine Frage, die „im Glauben so oder so beantwortet werden" könne. Damit war die Formel gefunden, mit der Rat und Synode der EKD in der weiteren Auseinandersetzung ihren Verzicht auf eine klare politische Standortbestimmung gegenüber der Frage der Wiederaufrüstung legitimierten. Dieser Umschwung in der Haltung des Rates der EKD führte allmählich zu einer Verlagerung der Handlungsebene. Zwar blieb die Wiederbewaffnung bis zum Schluß immer geheimes oder offenes Thema von Kirchenkonferenzen, Ratssitzungen und Synoden der EKD, aber eine eindeutige Stellungnahme war praktisch nicht mehr erreichbar. Die eigentliche Auseinandersetzung wurde außerhalb der offiziellen Organe der EKD weitergeführt. Gruppen und Einzelne traten dabei immer stärker hervor und verdeutlichten mit ihren Stellungnahmen, daß die evangelische Kirche als solche in sich die ganze Breite des gesellschaftlichen und politischen Spektrums der beiden deutschen Staaten repräsentierte. Die politische und nationale Brisanz des Themas führte dabei zu einer zunehmenden Polarisierung, die die EKD an den Rand eines neuerlichen Kirchenkampfes brachte und ihre Einheit aufs stärkste gefährdete. Die Rolle des Rates und der Synode der EKD beschränkte sich nunmehr zunehmend darauf, Wogen zu glätten und Spannungen zu mildern. Die zahlreichen Ratserklärungen und Kundgebungen von EKD-Synoden in diesem Zeitraum konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die EKD sich mit der Wahrnehmung ihres Öffentlichkeitsauftrages unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenüber befand.

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Das Dilemma lag in dem Fehlen einer von allen Gruppen akzeptierten gemeinsamen theologischen Basis für die EKD. In den ersten Nachkriegsjahren war dieses Manko durch die pragmatische Aufgabenstellung überdeckt worden. Nun aber, mit der Konsolidierung der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik, traten die alten Gegensätze wieder neu ans Licht. Dabei wurde immer deutlicher, daß den unterschiedlichen theologischen Positionen zum Teil auch konträre politische Ziele und Interessen entsprachen. Die Gegner der Wiederbewaffnung beriefen sich auf eine Geschichtstheologie, die im Prophetentum des Alten Testamentes ihre Entsprechung hatte. Indem sie ihre geschichtstheologische Denkweise, die sie zu einer Beurteilung der Niederlage als Gericht Gottes geführt hatte, konsequenterweise auf die Wiederbewaffnungsfrage anwendeten, kamen sie zu einer Ablehnung der Wiederbewaffnung unter Hinweis auf eben dieses Gericht Gottes. Die Lutheraner, die von der Zwei-ReicheLehre her diese Denkschritte nicht mitmachen konnten, sondern dem politischen Bereich eine Eigengesetzlichkeit zugestanden, wurden dadurch oft gegen ihre Absicht in die Rolle von Befürwortern der Wiederbewaffnungspolitik Adenauers gedrängt. Die Zwei-Reiche-Lehre trug die Gefahr der politischen Indifferenz in sich, während die an einem geschichtstheologischen Denken orientierte Theologie politische Argumente oft mit einem Absolutheitsanspruch versah, der der Vielschichtigkeit der politischen Problematik nicht gerecht wurde und darum nicht überzeugte. Angesichts dieser unaufgearbeiteten theologischen Kontroversen war es gar nicht zu vermeiden, daß die Auseinandersetzungen in der EKD zur Frage der Wiederaufrüstung immer wieder auf grundsätzliche theologische Fragen zurückführten und darin steckenblieben. Die Überzeugung, daß eine politische Stellungnahme der Kirche theologisch legitimiert werden müsse, versetzte die EKD in die Zwangslage, vor jeder Stellungnahme zu aktuellen politischen Problemen audi theologische Kompromisse suchen zu müssen, und hinderte sie daran, sachbezogen und unmittelbar um eine christlich relevante und politisch praktikable Stellungnahme zu ringen, mit der sie ihr gesellschaftspolitisches Gewicht für die eine oder andere politische Lösung oder auch für einen dritten Weg ins Spiel hätte bringen können. Die Überprüfung der Voten der EKD vor dem jeweiligen politischen Hintergrund hat gezeigt, daß die EKD sich zwar durch die aktuelle politische Lage immer wieder anstoßen ließ, sich öffentlich zu äußern - zu nahezu allen entscheidenden Nahtstellen in der außenund innenpolitischen Entwicklung bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht finden sich Voten oder Kundgebungen der EKD - ; aber alle diese Voten blieben nicht nur in ihrem theologischen, sondern audi

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in ihrem politischen Gehalt ungenau und erschöpften sich in einer stereotypen Wiederholung der von der EKD einmal gefundenen Formeln, mit denen politische Maximalforderungen für die Regelung der deutschen Verhältnisse angemeldet und verbale Beschwörungen einer friedlichen Zukunft vorgetragen wurden. Die in diesen Voten um der Einheit der EKD willen immer durchgehaltene scheinbare politische Unparteilichkeit war freilich so unparteilich nicht, sondern lief in der Wirkung praktisch auf eine Stabilisierung der politischen Situation in der Bundesrepublik hinaus und wirkte sich als Unterstützung der offiziellen Politik der Bundesregierung aus. Dennoch kann man die EKD nicht einfach als Parteigängerin der Regierungspolitik Adenauers bezeichnen. Dies ergibt sich schon aus ihrer Interessenlage als gesamtdeutscher Institution. Der nationale Aspekt stand folgerichtig bei fast allen Voten und Kundgebungen der EKD in dieser Zeit im Vordergrund der Argumentation. Auch die Frage der Wiederbewaffnung wurde von der EKD, bei aller Differenzierung im einzelnen, in erster Linie als nationale Frage diskutiert. Die nationale Einheit wurde dabei fast wie eine theologische Größe behandelt. Naturrechtliche Vorstellungen unterstützten hierbei die nationalen, gelegentlich audi humanitären Motive des Wiedervereinigungsideals und versperrten der EKD den Weg zu einem politischen und d. h. an den realen Möglichkeiten orientierten Denken. Die offizielle politische Propaganda in der Bundesrepublik kam diesen Tendenzen in der EKD entgegen: das Ziel der nationalen Einheit wurde aufrechterhalten, auch dann noch, als schon längst niemand mehr ernstlich an seine Realisierung glaubte. Die EKD, die dieses Ziel in ihren Kundgebungen audi theologisch motivierte, nahm hierbei, gesellschaftlich betrachtet, die Rolle der „Gralshüterin" ein. In einem gewissen Sinne war sie das „Feigenblatt" der Bundesregierung, und zwar noch zu einem Zeitpunkt, als diese praktisch schon längst mit der heimlichen oder auch offenen Zustimmung der Bundesbürger die Wiedervereinigung als Nahziel zugunsten einer Westorientierung der Bundesrepublik aufgegeben hatte. Daß die Diskussion der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik innerhalb der EKD über viele Jahre hinweg mit solcher Leidenschaftlichkeit geführt werden konnte, lag u. a. daran, daß über einen Verzicht auf die Wiedervereinigung nicht ernstlich reflektiert werden konnte, obwohl jeder wissen mußte, daß Wiedervereinigung und Wiederaufrüstung der Bundesrepublik einander ausschlossen. Zusammenfassend ist festzuhalten: So sehr auf den EKD-Synoden um einen Konsensus in der Frage der Wiederaufrüstung gerungen worden war, so wenig war es doch gelungen, eine einigermaßen verbindlich zu machende kirchliche Meinungsbildung zu erreichen. Als

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gesellschaftliche Größe blieb die EKD deshalb im innenpolitischen Streit um die Wiederbewaffnung praktisch bedeutungslos. Sie mußte bedeutungslos bleiben, da alle ihre Verlautbarungen zu dieser Frage Kompromißcharakter hatten und die politischen Entscheidungen dem Gewissen des einzelnen überließen. Auch die kirchlichen Gruppen, die sich entschieden gegen die Wiederaufrüstung wandten, haben durch ihr faktisches Verhalten diesen Kompromißcharakter mit unterstützt, weil sie die Einheit der EKD, von wenigen Ausnahmen wie den Kirchlichen Bruderschaften abgesehen, über die Einheit des Gewissens (der Überzeugung) stellten. Die Einheit der EKD, die theologisch nie verifiziert werden konnte, aber als Hoffnung konstitutives Element dieser Organisation war und blieb, erwies sich als die eigentliche Klammer, die Gegner und Befürworter der Wiederaufrüstung zu bändigen verstand. Die disziplinierende Funktion der Einheit der EKD im Kontext der innerkirchlichen Diskussion der Wiederaufrüstung kann nicht übersehen werden. Demgegenüber wurde die Wiederbewaffnung als ein prinzipielles Problem christlicher Ethik innerhalb der EKD kaum oder nur zögernd diskutiert. Beinahe alle Gesprächspartner beeilten sich jeweils zu betonen, daß sie keine grundsätzlichen Pazifisten seien und distanzierten sich von diesbezüglichen Tendenzen in der Ökumene oder in der EKD. Die direkt pazifistischen Argumente können in der Wiederbewaffnungsdiskussion als ausgesprochene Randerscheinungen bezeichnet werden. Das bedingte Nein zum Krieg als Mittel der Politik hatte die EKD seit Eisenach 1948 zwar aufrechterhalten - niemand sprach sich für einen Krieg aus! - , das konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß audi die leidenschaftlichsten Gegner einer Wiederaufrüstung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu einer grundsätzlichen Absage an jede Rüstungspolitik in der damaligen Auseinandersetzung nicht bereit waren. So war es nur konsequent, daß die einzige gelungene Meinungsbildung innerhalb des Themenkomplexes Wehrdienst und Wiederbewaffnung die Forderung nach dem rechtlichen Schutz des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen betraf. Das Gewissen des einzelnen mußte den „prophetischen Auftrag" der Kirche ersetzen und enthob so die EKD der Aufgabe, in den bedrängenden politischen Fragen ihren Anhängern und Gegnern mit einem „Wort des Herrn" eine klare, verbindlich zu machende christliche Entscheidung entgegenzustellen. Der im Kirchenkampf gewonnene, bei der Gründung der EKD behauptete Anspruch, gegenüber Staat und Gesellschaft ein „Wächteramt" zu haben, konnte von der EKD nicht eingelöst werden. Trotz dieses angesichts des Anspruchs der EKD negativen Befundes waren die Auseinandersetzungen in der EKD zu dieser Frage gesell-

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schaftspolitisch und moralisch nicht einfach irrelevant. Die Heftigkeit, mit der gerungen wurde, war ja nicht nur Ausdruck bestehender Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlicher theologischer Positionen, sondern auch ein Hinweis auf die Intensität, mit der sich die streitenden Gruppen von Jesus Christus in Anspruch genommen fühlten. Das Bewußtsein aller an dieser Auseinandersetzung Beteiligten, diesem Anspruch verpflichtet zu sein, zwang zu einer Gründlichkeit und Schonungslosigkeit der Reflexion, wie sie auf anderen gesellschaftlichen Ebenen zu dieser Frage kaum stattgefunden hatte. Gerade das vergebliche Ringen um eine verbindliche kirchliche Haltung machte deutlich, daß dieses Problem jeden betraf, und forderte das demokratische Verantwortungsbewußtsein von Gruppen und Einzelnen heraus. Die Kirche, die unfähig war, ihr Wächteramt zu erfüllen, war eine ohnmächtige Kirdie, ohnmächtig als politische Potenz, die ihre Machtansprüche hätte durchsetzen können. Mächtig dagegen in ihrer Ohnmacht war sie als „Unruhe", als Forum politischer Meinungsbildung „sub specie aeternitatis". Sofern die E K D ihr Wächteramt verstand nicht als ein Amt, das über die richtige Durchführung des göttlichen Willens wacht, sondern als ein Amt, das wachsam die wichtigsten Fragen im Auge behält und darauf dringt, daß ihnen nicht ausgewichen wird, hatte sie also eine gesellschaftlich dennoch nicht zu unterschätzende Funktion, gerade auch in der Auseinandersetzung um die Frage einer Wiederaufrüstung der Bundesrepublik in den frühen fünfziger Jahren. Für die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des sogenannten Öffentlichkeitsauftrages der E K D ist dies ein freilich bescheidenes Ergebnis. Ohne ein systematisches Urteil fällen zu wollen, läßt sich aber aus der Beobachtung der Auseinandersetzungen in der E K D zur Frage der Wiederaufrüstung doch entnehmen, daß eine so große Institution, wie es die E K D war, eo ipso nicht die Voraussetzungen dafür bot, ein prophetisches Amt wahrzunehmen. Die Bemühungen der E K D , zu den politischen Problemen Stellung zu beziehen, waren zwar ehrenwert. Die politische Wachheit, mit der sie die Probleme im geteilten Deutschland verfolgte, war beachtlich und, gemessen an der Teilnahmslosigkeit früherer Zeiten, ein Beweis dafür, daß sich in der evangelischen Kirche ein Umlernprozeß vollzogen hatte. Aber die Möglichkeiten, aus dieser Anteilnahme in politicis zu einer verpflichtenden politischen Parteinahme zu kommen, waren gering, weil im Zweifelsfalle immer wieder der Zwang, die Einheit der E K D allen theologischen und politischen Differenzen zum Trotz zu bewahren, obsiegte. Solange die E K D ihren volkskirchlichen Charakter nicht aufzugeben bereit ist, wird sie deshalb wohl auch in Zukunft ein „Wäch-

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teramt" im ursprünglich intendierten Sinne gegenüber der Öffentlichkeit nicht wahrnehmen können. Die Bedeutung, die Einzelpersonen, wie ζ. B. Niemöller, Heinemann oder später Gollwitzer in dieser Auseinandersetzung hatten, bestätigt noch die Vermutung, daß eine wirkliche „prophetische" Wirkung nur dann möglich ist, wenn das prophetische Urteil gedeckt ist durch das konkrete Engagement einzelner oder engagierter Gruppen, die bereit sind, sich selbst für die von ihnen vertretene Einsicht aufs Spiel zu setzen. Daß diese Bereitschaft zum existentiellen Risiko fehlte, machte die zahlreichen Kundgebungen der EKD, gemessen an dem dahinter stehenden Anspruch, letzten Endes so wirkungslos und unverbindlich. Die EKD selbst hat später diesem ihrem Dilemma dadurch Rechnung getragen, daß sie auf die Herausgabe von „Worten" und „Kundgebungen" weitgehend verzichtet und statt dessen in „Denkschriften" das Gespräch zu politischen Entscheidungsfragen voranzutreiben sich bemühte. Sie hat damit eine Form gefunden, die nicht nur ihrem pluralistischen Charakter besser entspricht, sondern auch geeigneter erscheint, der Vielschichtigkeit politischer Fragestellungen gerecht zu werden 1 .

1 W . H U B E R setzt sich mit der hier angedeuteten Entwicklung gründlich auseinander (Kirche und Öffentlichkeit, S. 580 ff.). Er sieht in dem seit 1958 erkennbaren Umsteigen der EKD von Kundgebungen zu Denkschriften einen Wandel von grundsätzlicher Bedeutung: „Mit den Denkschriften tritt die Sachautorität einer Gruppe von Experten tendenziell an die Stelle der Amtsautorität kirchenleitender G r e m i e n . . . ; ein argumentativer Stil löst . . . prinzipiell die bekenntnishaft - pastorale Sprache ab; anstatt zur Annahme von Glaubensüberzeugungen wird zum kritischen Prüfen von Argumenten aufgefordert" (S. 582 f.). W. H U B E R meint allerdings, daß die in der „Denkschrift über die Denkschriften" verwendeten Kategorien der „Schriftgemäßheit" und der „Sachgemäßheit" erweitert werden müßten durch die Kategorie der „Gemeindegemäßheit". Aber wenn die Gemeinde so in den Prozeß kirchlicher Meinungsbildung und Urteilsfindung miteinbezogen werde, könnten die in der „Denkschrift über die Denkschriften" angewandten Kategorien sehr wohl als Grundlage für eine politische Ethik von Bedeutung sein: „Die intensive Kommunikation zwischen Sachverständigen unter Berücksichtigung der einschlägigen und verfügbaren Informationen und die Konfrontation einer dadurch gewonnenen Sachanalyse mit den humanen Kriterien, die sich aus den Impulsen der christlichen Tradition ergeben, wird deshalb zum paradigmatischen Vorgang für ethische Urteilsbildung überhaupt. Die Bildung ethischer Urteile über die zentralen Probleme des gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Lebens ist nur in einem solchen vielseitigen Kommunikationsprozeß möglich; ihre wissenschaftliche Erarbeitung bedarf deshalb der interdisziplinären Kooperation" (S. 604).

ANHANG

Dokument 1 Aufzeichnung über ein Treffen von Vertretern der evangelischen Kirche mit hessischen Politikern am 13. März 1950 in Darmstadt1 [Darmstadt LKA Darmstadt, 36/vorl. 26. - Maschinenschriftlicher

1950

März]

Durchschlag.

Thema: Was kann die evangelische Kirche für den Frieden tun? Einleitendes Referat von Kirchenpräsident D. Niemöller. 1 Ναώ der Teilnehmerliste (LKA Darmstadt, 361vorl. 26) nahmen an dem Treffen teil: Kaufmann Georg Ackermann, Beerfelden; Dr. Adolf Arndt, Hofheim/Taunus; Regierungspräsident Arnoul, Neu-Isenburg; Prof. Dr. Theodore Bachmann, Bad Nauheim; Wilhelm Bauer, Wiesbaden; Pfr. Herbert Baum, Wiesbaden; Studienrat Dr. Gottfried Bell, Bingen; Dr. Beyer, Wiesbaden; Ludwig Bill, Darmstadt; Bürgermeister Dr. H. Brühne, Ingelheim; George F. Donovan, Wiesbaden; Prof. Dr. A. Erler, Ingelheim; Stadtkämmerer T. G. Feick, Darmstadt; Landgericbtspräsident Adolf Fitschen, Wiesbaden; Volkswirt Dr. Walter Franke, Frankfurt; F. ]. Furtwängler, Oberursel; Dr. Paul Gerhardt (Ev. Verlagswerk), Stuttgart; Steuerberater Dr. Erich Großkopf, Herborn; Dr. Konrad Gumbel, Gießen; Arzt Dr. Richard Hammer, Darmstadt; Mechaniker Ferdinand Hartmann, Hofheim/Taunus; Landgerichtsdirektor Dr. Friedrich Hess, Wiesbaden; Kurt Heyd, Darmstadt; Geschäftsführer Alfred Hooge, Frankfurt; Dr. Hans Ilau, Kronberg/Taunus; Dr. Hans Kallenbach, Offenbach; Staats- und Finanzminister a. D. Otto Klepper, Frankfurt; Pfr. Bernhard Knell, Darmstadt; R. Koch-Erpach (Ev. Pressedienst), Frankfurt; Otto Köth, Alsfeld; Landrat Heinrich Kress, Gelnhausen; Rektor E. Landgrebe, Frankfurt; Dr. Franz Leitz, Wiesbaden; Oberbürgermeister Ludwig Metzger, Darmstadt; Prof. Dr. Ernst Wilhelm Meyer, Wiesbaden; Dr. Konrad Michael, Offenbach; Pastor Herbert Modhaiski, Darmstadt; Pfr. Lie. Ernst zur Nieden, Offenbach; Kirchenpräsident D. Martin Niemöller, Wiesbaden; Regierungspräsident a. D. Martin Nischalke, Wiesbaden; Dr. A. Oswalt, Frankfurt; Karl Gottfried Philipp, WatzenbornSteinberg; Ministerialrat Hans Puttfarcken, Wiesbaden; Kaufmann F. Reusch, Wiesbaden; Angestellter Georg Rösch, Rothenbergen; Dr. Hildegard Schaeder (Kirchliches Außenamt), Frankfurt; Konrad von der Schmitt, Langen; Pfr. Robert Scholl, Pfungstadt; Psychologin Johanna Spangenberg, Frankfurt; Vizepräsident Gerhard Stratenwerth (Kirchliches Außenamt), Frankfurt; Pfr. Wolf gang Sucker, Bensheim; Hermann Tilmann, Wettesingen; Heinrich Weiss, Hofheim/Tausnus; Rechtsanwalt Dr. Hans Wilhelmi, Frankfurt; Pfr. Kurt Wolf, Rodenbach; Rechtsanwalt Dr. Gerhard Wolff, Offenbach.

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Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leiter der Ev. Akademie in Nassau-Hessen, Herrn Pfarrer zur Nieden2, und einer Besinnung von Pfarrer Wolf 3 folgen die Ausführungen von Kirchenpräsident Niemöller. Landrat Gess4 beginnt die Diskussion mit verschiedenen Fragen an Niemöller bezüglich seines Interviews. Es geht vor allem um die beiden Punkte: 1. Der Vorschlag Niemöllers mit den 5000 Schweden zur neutralen Besetzung Deutschlands, 2. die konfessionelle Frage. Ferner um den angeblichen Angriff Niemöllers auf die deutschen Politiker in seiner Wiesbadener Rede. Es wird gebeten, möglichst rasch zur Tagesordnung zu kommen, da die Gefahr besteht, wenn auf die begonnene Diskussion eingegangen wird, [daß] die ganze Frage, die zur Behandlung steht, im politischen Tagesgespräch stecken bleibt. Es sollen daher nur die Dinge geklärt werden, die von grundsätzlicher Bedeutung für die Behandlung der Gesamtfrage sind und [bei denen] ein Ausräumen von Mißverständnissen erforderlich erscheint. Niemöller stellt daher die Unklarheiten über obige Punkte wie folgt klar: Zu Punkt 1 verweist er auf seine Ausführungen im „Wiesbadener Tageblatt". Man habe aus seinem 1 V2stündigen Interview, in dem er auf die Frage nach Krieg und Frieden geantwortet habe, eine völlig andere Frage gemacht: auf welche Seite die Deutschen im Kriegsfalle sich stellen würden. Ihm sei es aber allein um die Erhaltung und die Sicherung des Friedens gegangen. Hierüber habe aber weder die „Neue Zeitung" noch „Die Welt" berichtet. Es ging mir um die Frage: Kann man irgend etwas tun, um die Gefahr der Zweiteilung, die durch den Eisernen Vorhang entstanden ist, zu beseitigen? Durch die Schaffung zweier Regierungen in Deutschland sind wir vom Frieden weiter entfernt wie je zuvor. Da die Aufhebung des Eisernen Vorhanges daran hängt, daß in Deutschland eine e i n h e i t l i c h e Verwaltung hergestellt wird, war ich der Meinung, daß die Besatzung geändert werden müsse, daß man eine e i n z i g e Besatzungsmacht einsetzt. Da die Vereinten Nationen sich zum Ziel 2 Ernst zur Nieden, geb. 30. 4. 1903, gest. 18. 4. 1974, 1929-1933 Jugendpfr. in Offenbach, anschließend dort Gemeindepfr., 1936 Leiter des Männerwerks, 1945 Leiter der Ev. Akademie in Hessen und Nassau, 1950-1969 Propst des Visitationsbezirks Süd-Nassau. 3 Kurt Wolf, geb. 1. 10. 1912, 1946-1951 Pfr. in Rodenbach, 1951 beurlaubt, 1957 aus dem Dienst der Ev. Kirche in Hessen-Nassau entlassen, Diakon bei den Anstalten Bethel und Nazareth. * Gemeint ist Heinrich Kress, geb. 1. 8. 1902, Landrat in Gelnhausen, 1946-1950 MdL (CDU).

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gesetzt haben, die Gefahrenherde aus der Welt zu schaffen, könnte ich mir denken, daß die Vereinten Nationen zu dem Entschluß kommen, die jetzige Besatzung in Deutschland durch eine UNO-Besatzung abzulösen. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, könne es genügen, wenn hier 5 0 0 0 schwedische Soldaten im Auftrage der U N O Deutschland besetzten, um dadurch die erste Vorbedingung zu schaffen, um die Verschiedenheit zwischen Ost und West zu beseitigen und zu einer einheitlichen deutschen Verwaltung am Ende doch noch zu kommen. Ich habe bis zur Stunde noch keinen anderen Vorschlag gehört. Es kümmert sich heute tatsächlich ernstlich auch kein Mensch um diese Frage. Zu Punkt 2 : Ich habe darauf hingewiesen, daß wir durch die Abtrennung der Ostprovinzen an evangelischer Bevölkerung einen erheblichen Mangel erlitten haben. Im Westen leben 9 0 % Katholiken, im Osten nur 10 %, dagegen leben fast 50 % Evangelische im Osten. Wenn nun die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang weiter verelenden, so können sich neun katholische Familien im Westen zusammentun um eine katholische Familie im Osten zu erhalten, dagegen fällt auf eine evangelische Familie im Westen auch eine evangelische Familie im Osten. Wir sind heute Objekte von Interessenpolitik von Ost und West. An der Erhaltung des westdeutschen Staates ist wesentlich Amerika interessiert. Ich glaube nicht, daß Roosevelt, später Truman, 10 Jahre einen Sonderbotschafter, Taylor, in Rom ohne besonderen Grund unterhalten haben, sondern er hat dort eine ganz bestimmte politische Aufgabe gehabt. Das W o r t „In Washingtown gezeugt, in R o m geboren" habe ich übrigens zuerst in Amerika gegenüber meinen protestantischen Freunden dort geprägt, um ihnen zu zeigen, was gespielt wird, wobei ich mich auf die vorliegenden Tatsachen stütze. Zu Punkt 3 : In Wiesbaden habe ich gesagt, es könne kaum schlechtere Politik gemacht werden im Blick auf den Frieden, wie sie seit 1945 gemacht worden ist. Dies bezog sich doch nicht auf die deutschen Politiker, sondern auf die Politiker überhaupt. Ich stehe zu dieser Behauptung, denn der Frieden ist weiter entfernt denn je. Die in diesem Zusammenhang von Gress 4 vorgebrachten persönlichen Angriffe auf Niemöller weist dieser zurück, da er (Gress 4 ) hierzu kein Recht habe, da er (Niemöller) nicht sein (Gress 4 ) Kirchenpräsident sei. Nach dieser Klarstellung kommt man auf allgemeinen Wunsch auf die Tagesordnung mit dem Thema: Was kann die evangelische Kirche für den Frieden tun? zurück. Es ist zu überlegen, was die evangelische Kirche, in der der Eiserne Vorhang nicht existiert, tun kann, um die dringende N o t der Menschen in Deutschland, in Europa und in der

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Welt zu lindern und um der verhängnisvollen Entwicklung, die seit 1945 immer schlimmer geworden ist, zu wehren. Großkopf (CDU) 5 : Es handelt sich im letzten Grunde um die Frage, welchen Beitrag können wir zur Erhaltung des Friedens leisten? Wir haben 1945 das Gefühl gehabt, daß das Chaos nicht erhalten werden darf. Dies gab uns die Veranlassung, den Versuch zu machen, der Not zu steuern. Wenn dann in diesem Bemühen die internationalen Auseinandersetzungen sehr bald die Gefahr eines Krieges auftauchen ließen, so fühlen wir uns an dieser Entwicklung schuldlos, dies gibt uns aber kein Recht, uns nun nicht Gedanken zu machen, wie dem Krieg zu wehren ist. Wir in der Politik wissen auch nicht um den entschiedenen Ausweg. Was uns bedrückt, ist, glaube ich, im Grunde dasselbe, was die evangelische Kirche bedrückt. Wer hat nicht auch schon eine Müdigkeit an sich selbst gespürt, hervorgerufen durch die Schwere der Probleme? Die Müdigkeit hat aber noch eine zweite Ursache: das zunehmende Desinteressement des Volkes an der Politik. Im Jahre 1946 war ein gewisses politisches Interesse vorhanden. Jetzt hat eine Art Nihilismus Platz ergriffen, nicht nur in der Politik, sondern auch im religiösen Raum. Wir sollten darum gemeinsam versuchen, den Krieg zu verhüten. Fangen wir also im kleinen Raum an. Es ist immer sehr bedenklich, wenn sich der Politiker in den religiösen Raum begibt und der kirchliche Mensch in den politischen Raum übergreift. Ich gehöre einer Partei an, die für den Ausgleich im innerpolitischen Raum arbeitet. Ich glaube, daß eine solche Politik von Nöten ist. Ich weiß, daß die Mitte nur da sein kann, wenn es rechts und links gibt. Ich bin auch der Meinung, daß die Kirche den Auftrag hat, von einer höheren Warte her dafür Sorge zu tragen, daß jedes politische Denken gemäßigt wird. Audi uns Deutschen frommt es, für Mängel und Fehler in der großen Politik der Weltmächte Verständnis zu haben und nicht gouvernantenhaft den Finger zu erheben. Denn auch dort arbeitet der Mensch mit seinen Schwächen und Fehlern. Darum müssen die Aussprachen zwischen der Kirche und der Politik sein. Die Kirche muß auch die ungeheure Schwere der Probleme würdigen und der Politik nicht nur Versagen und völlige Sinnlosigkeit vorwerfen. Lastenausgleich, Frage der Arbeitslosigkeit sind solche schweren Probleme. Die Lösungen werden niemals in der Kritik des christlichen Gewissens bestehen. Aber notwendig ist, daß denen, die sich um diese Probleme mühen, konzediert wird, daß sie es nach bestem Wissen und Gewissen tun. Wir müssen uns von dem Gedanken leiten lassen, alles

5 Erich Großkopf, geb. 1. 12. 1903, Steuerberater, Diplom-Volkswirt, 1946-1970 MdL (CDU), Stellv. Fraktionsvorsitzender, 1952-1966 Fraktionsvorsitzender, 1966-1970 1. Vizepräsident des Landtags.

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zu vermeiden, was im Kleinen Unfrieden schafft. Die Aufgabe der Kirche sehe ich darin, daß sie mit dazu beiträgt, den Frieden zu erhalten durch Besonnenheit, Ausgleich und soziale Arbeit, Reserve, geduldiges Beharren auf dem unverrückbaren Grundsatz, daß in Europa das Christentum erhalten werden muß. Dr. Kunkel (SPD) 6 : In dem ersten Teil des Referates von D. Niemöller ist das Wort gefallen: was nicht aus dem Glauben an Christus fließt, ist Sünde. Dies kann ich nicht unterschreiben. Ich kann mir sehr wohl denken, daß die Menschen, die den Glauben an Christus nicht haben, aus Liebe zum Menschen handeln können. Das zweite unterstreiche ich hundertprozentig, daß von Niemöller der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird. Deshalb bin ich auch als Sozialdemokrat ein begeisterter Verfechter des Friedens geblieben. Ich bin überzeugt, wenn die Kirche früher den Standpunkt eingenommen hätte, wie sie ihn heute vertritt, vielleicht der Erste Weltkrieg und auch der Zweite hätten vermieden werden können, wenn von den Kanzeln der Friede gepredigt worden wäre. Ob es heute nicht zu spät ist? Ob heute nicht die politischen Verhältnisse das Friedensbemühen der Kirche überspült haben? Aber die Kirche soll sich trotzdem bemühen. Es ist der Auftrag der Kirche, weil es hier um den Menschen geht. Aber ich befürchte, daß der Kirche nicht der Erfolg beschieden ist, wie er ihr vielleicht vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg beschieden gewesen wäre. Ich bin im übrigen audi der Meinung, daß Kirche und Politiker zusammenkommen sollen. Ich freue mich über diese heutige Veranstaltung und wünschte, daß solche Zusammenkünfte noch sehr oft stattfinden. Niemöller zu Dr. Kunkel 6 : Ich habe das Neue Testament zitiert: „Was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde". Ich möchte darauf hinweisen, daß die Kirche nicht sagen kann: Du mußt das und jenes tun, da[nn] ist es gut. Was wir als gut ansehen, kann die Kirche nur als das r e l a t i v Gute ansehen. Wir haben [uns] auch da, wo es um die politische Entscheidung geht, mit diesen Menschen, die das - Gute - wollen, zu verbinden. Ich wollte n i c h t sagen, eine wirklich gute Antwort zu unsern heutigen Fragen kann nur ein Christ geben. In der Politik geht's mir gar nicht darum, ob der Vorschlag von einem Christen kommt oder einem Atheisten. Es geht allein darum, welcher Vorschlag b e s s e r ist. Hier bewegen wir uns im Rahmen der relativen Entscheidungen, wir versuchen das Zusammenleben der Menschen zu ordnen. Ich bin bereit, in der Politik mit jedem Menschen zusammenzuarbeiten, der einen besseren Vorschlag machen kann. 9

Gemeint ist Dr. Konrad Gumbel, geb. 20. 10. 1886, gest. 29. 12. 1962, gierungsrat a. D. 1946-1954 MdL (SPD).

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Pfr. Scholl7: Wer ist die Kirche? Wer hat zu reden, die Pfarrer oder die politischen Fachleute, die Christen sind? Soll der Pfarrer von der Kanzel reden oder der Christ als politischer Fachmann? Wir leben doch in einer Welt, in der alles spezialisiert ist, so daß jeder nur zu den Dingen reden kann, in denen er Fachmann ist. Was haben wir als Pfarrer nun zu sagen? Uns ist die Heilige Schrift gegeben, daß wir sie auslegen. Wir haben zu sagen, was dieses Wort sagt über den Menschen und über den Willen Gottes und über seine Wirklichkeit: daß dieser Mensch diesen Willen Gottes eben praktisch nicht tut und wir damit mitten drin sind in der Lehre von der Sünde und freilich auch in der Lehre von der Gnade. Hier habe ich nun eine Frage. Gottes Wille ist absolut gut, wie er uns offenbart ist in der Heiligen Schrift und erfüllt ist im Evangelium. Demgegenüber steht, daß es in der Welt nicht möglich ist - weil der Mensch so beschaffen ist - , gut zu handeln; das Wissen um Gut und Böse macht ihn nicht fähig, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Wer sagt uns denn, was das kleinere Übel ist? War es nicht auch nach 1933 so, daß viele meinten, das kleinere Übel gewählt zu haben und nachher zeigte es sich, daß es das größere Übel war? Niemöller: Die christliche Gemeinde lebt als eine soziale Größe (von außen gesehen) mitten in dieser Welt. Sie ist schon dadurch, daß ihre Glieder zugleich Bürger in dieser Welt sind, mit in diese Welt einbezogen. Für mich liegt daher der Ton darauf, daß sich die Gemeinde Jesu Christi repräsentiert in der Ortsgemeinde bzw. der Synode und hier zu den Dingen Stellung nehmen und sprechen muß. Sie kann sich nicht zurückziehen auf den Auftrag, den sie in der Verkündigung hat. Bruder Scholl, was Sie eben gesagt haben, könnten Sie auch ohne das Kreuz Christi sagen. Wir haben nun als Kirche in dieser politischen Welt, von der wir wissen, daß sie eine gefallene Welt ist, eine Verantwortung. Gott hat uns für diese Welt absolut verantwortlich gemacht, um der Menschen willen, die Gott geliebt hat. Hier haben wir uns zu fragen, was unsere Schuldigkeit ist. In der Heiligen Schrift ist uns nicht gesagt, welches das kleinere Übel ist. Wir können selbstverständlich irren. Hier sind wir im Bereich der Irrtumsfähigkeit. Wir wissen mit Luther, daß wir uns irren können. Wir dienen dem Menschen in seiner Not und helfen ihm heraus, soweit wir es verstehen. Darum zieht das Beispiel von 1933 nicht. Ich habe den Weg von 1933 vom ersten Augenblick als das größere Übel angesehen. Wir dürfen uns doch trotz der Irrtumsmöglichkeit nicht unserer Verantwortung begeben, wenn wir dies täten, hätten wir das größere Übel gewählt. 7 Robert Scholl, geb. 23. 4. 1913, 1946 Pfr. in Pfungstadt, 1951 beurlaubt, aus dem Kirchendienst entlassen, Beamter des Landes Rheinland-Pfalz.

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Dr. Schmidt ( K P D ) 8 als Vertreter für Müller: Ich danke der hessischen Kirchenleitung, daß sie ohne Scheuklappen die Dinge sieht. Wir gehen aus von dem Grundsatz der Toleranz. Wir wenden uns nur gegen die Kirche, wenn sie einen politischen Machtanspruch geltend macht. Dies soll hier heute gar keine Rolle spielen. Wo wir mit Niemöller in weitem Maße zusammengehen können ist: in dem Bestreben für den Frieden. Wie sich Ost und West auseinandergelebt hat, wird an dem beschämenden Beispiel der Bachfeiern (Übertragungen aus Leipzig) deutlich. Gerade die Kirche hat sich die Unbefangenheit in der Behandlung der Ost-West-Frage bewahrt. Es sind dadurch gewisse Vorurteile gegen die Kirche ausgeräumt. Wir wehren uns gegen den Mißbrauch der Redensart von der abendländischen Kultur, wenn man damit den Kapitalismus verewigen will. Gerade die Kirche hat hier Gelegenheit, ein Band zu schlingen von Ost zu West. Wer hat den Eisernen Vorhang geschaffen? Er wird nur vom Westen her benutzt. Niemöller hat ihn gelüftet. Wir haben weiter gehört, daß die Pfarrer in der Welt stehen. Wenn so die Pfarrer immer gesprochen hätten 1914 - , dann hätte es anders laufen können. Ich freue mich, daß Niemöller konkrete Fragen angeschnitten hat: Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte. - Ich bin nicht mit der Angst hierher gekommen, mich in die Höhle des Löwen zu wagen, sondern ich muß sagen, ich bin gern hierher gekommen. Mochalski: Von Niemöller ist ausgeführt worden, was die Kirche für den Frieden tun könnte. Es ist in der letzten Diskussion deutlich geworden, daß zu unterscheiden ist zwischen dem, was der Christ als einzelner tun kann und die Kirche als Ganzes zu tun hat. Wenn ich das Gespräch heute recht verstehe, schließt es wohl in sich ein, daß die Politiker ihrerseits äußern sollen, was die Kirche wohl von ihrer Sicht für den Frieden beitragen kann, ζ. B. bei der Frage der Überflutung durch Propaganda und Beseitigung der Reibungsfläche. Sehen wir eine Möglichkeit, etwa zu dem ganz konkreten Vorschlag einer UNO-Besetzung von seiten der Politiker Stellung zu nehmen und ihn als einem möglichen Vorschlag anzusehen, den die Kirche unterstützen sollte? Wir wären dankbar, wenn Sie aus Ihrem Bereich zu diesen ganz konkreten Fragen Stellung nehmen würden. Es ist bis heute tatsächlich noch kein anderer Vorschlag gemacht worden. Es gab bisher immer nur eine Parteinahme für die eine oder andere Seite. Es müßte doch nun möglich sein, als evangelische Christen mit den Parteien darüber nachzudenken, welche relative Möglichkeit für einen Ausgleich zu finden wäre. 8 Gemeint ist Konrad von der Schmitt, geb. 30. 1. 1887, gest. 15. 9. 1951, schulrat, 1949-1950 MdL (KPD).

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[ ? ] : Ich vertrete die Auffassung, daß, wenn wir in der Kirche vom Frieden reden, daß auch das Wort vom Frieden bei den Hörern Fuß fassen wird. Ich habe mich außerordentlich gefreut, durch die Zeitungen zu hören, daß die Kirche sich audi in die Politik stellt. Bisher hat die Kirche die Realitäten übersehen, so daß viele Menschen den Weg nicht mehr zu ihr fanden. Wenn sich die Kirche heute konkret hineinstellt, glaube ich, wird wieder ein viel größerer Menschenkreis herangebracht werden. Frau Spangenberg (SPD) 9 : Das Problem des Friedens ist letztlich das Problem jedes einzelnen, der Familie, des deutschen Volkes als des Besiegten. Uns allen geht es so, daß wir vor der Tatsache erstaunt sind, daß das Christentum nach 2000 Jahren nicht mehr gefruchtet hat. Dabei steht es so konkret in den Gegenwartsfragen. Der Lastenausgleich ist ζ. B. ja so eindeutig gebracht (Wer zwei Röcke hat, gebe dem einen, der keinen hat). Meine Herren, man ist hier audi wieder viel zu sehr bestrebt, als Männer allein das Friedensproblem zu gestalten. Ich will nicht als Frauenrechtlerin sprechen, aber wir haben eindeutig männliche Kulturen, die Praxis der Religion ist auf dem männlichen Prinzip aufgebaut. Das männliche Prinzip ist das entzündende, das organisierende Prinzip. Das weibliche Prinzip ist das lebenerhaltende. Wir haben heute noch nicht erreicht, daß dieses Prinzip voll eingebaut ist. Hier könnte die evangelische Kirche sehr viel Erweiterndes und Lösendes in bezug auf diese Fragen tun. Erst in Verbindung dieser beiden Prinzipien könnte das „Friedenskind" geboren werden. Soweit die Kirche die Erziehung in Händen hat, müßte sie in diesem Sinne wirken. Dr. Arndt (SPD) 1 0 : Mochalski wollte mit Recht das Thema wieder aufnehmen, zu dem wir hier zusammen gekommen sind. Zu der Frage der UNO-Besetzung sage ich politisch: ja. Ich erinnere mich, daß Prof. Meyer 11 und ich einen Aufsatz verfaßt haben, in dem wir darauf hinweisen. Ich behaupte, daß wir einen R e c h t sansprudi haben, daß die UNO-Besetzung geschieht. Wenn ich mich trotzdem negativ äußere, so darum, weil ich die schwersten Bedenken habe, wenn die Kirche konkret Partei ergreift. Wenn die Kirche in einer konkreten politischen Frage Partei ergreift, begibt sie sich in die 9 Johanna Spangenberg, geb. 1. 7. 1894, Psychologin, Ministerialrätin a. D., 1946-1950 MdL (SPD). 10 Adolf Arndt, geb. 12. 3. 1904 in Königsberg, gest. 13. 2. 1974 in Kassel, Landrichter, 1933-1944 Rechtsanwalt, 1945 Oberstaatsanwalt in Marburg, bis 1949 im hessischen Justizministerium tätig, 1949 MdB (SPD), 1949-1963 Geschäftsführer ser SPD-Fraktion im Bundestag, 1956 Mitglied des Parteivorstands, 1963-1964 Senator für Kultur in Berlin. 11 Ernst Wilhelm Meyer, geb. 2. 4. 1892, gest. 1}. 5. 1963, seit 1949 Prof. für Staats- und Völkerrecht in Frankfurt.

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Sphäre des Irrtums. Damit übernimmt aber die Kirche eine politische Verantwortung die ihr nicht zukommt und die sie nicht tragen kann. Sie dürfen das nicht nur von einer Seite her sehen. Wir sehen heute ein sehr starkes Vordringen der Kirche in den politischen Raum („Christ und Welt", „Sonntagsblatt"). Der Frieden fängt sehr im Kleinen an. Die Kirchenleitung sollte sich nicht daran beteiligen, was heute wieder in Deutschland Gang und Gebe ist, nun sozusagen als Unreine sich außerhalb der Gemeinde zu stellen. (Zu Niemöller): Sie haben gesagt, daß die Politik nicht erlösen könne und daß Sie an das Programm nicht glauben könnten, welches Sie vertreten. Dies ist ein gewisses Element der Friedensstörung. Nicht helfen können uns p o l i t i s c h e Maßnahmen. Demokratie ist erst einmal nur ein schönes Wort. Es ist ja heute notgedrungen so, daß die Politik als überflüssig und unanständig angesehen wird. Herr Prof. Iwand hat einmal gesagt, wenn irgendjemand heute der politischen Hetze unterliegt, müßte eine höhere Instanz da sein, die rein menschlich für diese Person eintritt. Man sollte kirchlicherseits denen nicht den subjektiven Glauben absprechen, die verantwortlich in der Politik stehen und sich ernsthaft bemühen, daß sie das Beste wollen. Die Kirche sollte alles tun, um im politischen Kampf die religiöse Munition zu verbieten. In Bonn ist es schon weitgehend so, daß diejenigen Politiker, die zu Adenauer neigen, christliche Politiker sind, die andern dagegen böse Leute sind. Sie müssen die Presse in Köln lesen, da gibt es in der Politik nur Christen und Marxisten, die einen sind Gott wohlgefällig, die andern sind gottlos. Dies ist ein außerordentlich friedensstörendes Moment. Zu Schwarzkopf 12 : Ich kenne kein Christentum, ich kenne nur Christus. Eine politische Aufgabe, das Christentum zu erhalten, gibt es für mich nicht. Dies führt sonst zum Kreuzzug. Hier könnte seitens der Kirche ein versöhnendes Wort gesprochen werden. Ferner gebe ich Niemöller meine vollste Zustimmung, daß mit Rüstung noch niemals ein Frieden gewonnen worden ist. Was die Kirche tun kann, ist immer wieder dies, daß sie immer wieder prüft, ob wir wirklich auf dem richtigen Wege sind, um dem Frieden zu dienen, daß man hier im Westen nicht nur lebt aus der Reaktion und aus der Opposition gegenüber dem Osten und vor allem aus der Angst vor dem Osten, aus den ständigen Gedanken nur der Abwehr, sondern daß es gelingt, eine eigene freie Position zu errichten, aus der heraus man dem Frieden dient und ihn positiv zu realisieren versucht. Denn eine nur „Anti"-Existenz ist unmöglich und unfruchtbar. Schwarzkopf: Die Kirche muß das tun, was der Gesamtatmo12

Gemeint ist Elisabeth

Schwarzhaupt,

geb. 7. 1. 1901, Oberkirchenrätin,

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Sphäre dienlich ist. Ich stimme mit Arndt überein, daß dem Politiker etwas mehr Verständnis entgegengebracht wird. Unsere Frage ist, was wir tun können, um in unserem Gebiet eine Atmosphäre zu schaffen, die dem Frieden dient. Der Respekt vor den Einzelpersönlichkeiten muß geschützt und der Anstand gewahrt werden. In der Ost-West-Frage handelt es sich um ein viel zu kompliziertes Problem, als daß die Äußerung einer Kirche hier ausschlaggebend sein könnte. Hier muß darum die Kirche zurückhaltend sein. Sie muß aber nach Ost und West die Frage aufwerfen, welches die Bedingungen für eine Befriedung schlechthin sind. Hier hat die Kirche nicht die Aufgabe, sich zu einer bestimmten Seite zu schlagen, sondern immer wieder die warnende Stimme unter dem Gesichtspunkt der Friedenserhaltung zu erheben. Ich bin mir im Klaren darüber, daß, sowie sich die Politik in einer Krise befindet, sich auch die Kirche in einer echten Krise befindet, wie dies auch aus den Ausführungen von Niemöller deutlich wurde. Zunächst separierte Niemöller die Botschaft Christi von den Dingen dieser Welt, stellte dann aber daneben den Gedanken, daß die Lehre Christi ein Bewähren in dieser Welt fordert. Jedoch riskiert die Kirche den Irrtum, wenn sie hineingeht in den politischen Raum. Es bestehen zwei Möglichkeiten: 1. Wenn die Kirche in der Wirklichkeit eine Aufgabe sieht, dann muß sie sie mit ganzer Entschlossenheit angreifen. 2. Wenn die Kirche glaubt, sie könne nicht ohne Gefahr ihre Existenz in dieser politischen Welt aufs Spiel setzen, dann muß sie sich absondern. Diesen zweiten Weg kann die Kirche aber nicht gehen, denn sie kann sich nicht distanzieren. In diesem Sinn ist sie daher berufen, die i n n e r e n Fragen tatkräftig anzufassen. Sie wird nicht im großen politischen Raum das Gute tun können, wenn sie es im kleinen Raum unterlassen hat. Ich bin überzeugt, daß mit dieser Aufgabe die Kirche ihre Zukunft wieder fest untermauert. Dr. Illau (CDU) 13 : Ich glaube, daß der kommunistische Abgeordnete Dr. Schmidt sich außerordentlich freuen wird. Ich glaube, d i e s sollte Stoff zum Nachdenken geben. Wenn die anderen Redner sich nicht wie Dr. Schmidt über die Ausführungen von D. Niemöller gefreut haben, so darf man daraus nicht den Schluß ziehen, daß sie weniger Friedensfreunde wären. Man muß scharf unterscheiden zwischen den Idealen und dem Ziel einerseits und den Methoden der Durchsetzung andererseits. Die Frage aber der Methode ist die Frage der Politik. In der ersten Frage hat die Kirche unbeschränkte Betätigungsfreiheit. In der zweiten Frage ζ. B. über die Methoden der sozialen Gerechtigkeit bis 1947 in der Kirchenkanzlei der DEK bzw. der EKD, seit 1948 im Kirchlichen Außenamt, 1953 MdB (CDU), 1961-1966 Bundesministerin für Gesundheit. 13 Gemeint ist Dr. Hans Ilau, geb. 14. 10. 1901, gest. 4. 5. 1974, Handelskammergeschäftsführer, 1946-1950 MdL.

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usw. zu urteilen, ist die Kirche nicht berufen. Dies ist ausschließlich eine politische Entscheidung. Hierdurch würde die Kirche nur in ihrem eigentlichen Auftrag behindert. Sie hat das Gewissen eines jeden einzelnen wachzuhalten, aber sie hat sich nicht hineinzumischen in die Frage der Methoden und zu entscheiden, welches die richtige ist. Was kann die Kirche für den Frieden tun? Die Kirche ist nicht der richtige Ort, diese ungemein schwierige Frage zu entscheiden. Man kann mit sehr gutem Grunde der Ansicht sein, daß vom Standpunkt des Zieles her, die Politik, die es empfiehlt, die ungeeignetste ist, es zu erreichen, nämlich die kommunistische. Damit habe ich ein Faktum festgestellt. Ich möchte als Warnung aussprechen, daß die Kirche, wenn sie sich auf das Gebiet der Politik begibt, Opposition wachruft, die ihrem zentralen Gebiet, was wir heute nötiger denn je brauchen, Abbruch tut. Prof. Meyer 1 4 : Schon lange ist die Frage, ob und wieweit sich die Kirche mit Politik befassen soll, vor allem auch im Ausland, diskutiert worden. In Genf hat man immer wieder die Grenzen festgestellt und war der Meinung, daß die Kirche ungefähr bis zur Formulierung mittlerer Axiome gehen sollte. Die ist im Wesentlichen auch heute noch die Haltung der Kirche (ζ. B. Visser't Hooft). Man war sich aber voll bewußt, daß, wenn die Kirche nur bei a l l g e m e i n e n Formulierungen bleibt - bei Prinzipien - , daß sie sich dann der eigentlichen Einflußnahme auf die Menschen und auf den Menschen begibt und die Menschen im Letzten unbefriedigt sind. Opposition ist aber nicht das schlimmste, sondern die bleierne Stille, das Sich-Nicht-Beschäftigen. Wenn man Unrecht antrifft und man sagt es nicht, dann ist man Mitteilhaber an der Sünde. Es ist eine erste Pflicht der Geistlichen, auch heute Propheten ihres Volkes zu sein. (Zu Scholl:) Wohin kommen wir, wenn wir immer nur nach den Fachkräften fragen? Ein Uberbetonen der Fachkräfte führt zum Vergessen der grundlegenden Prinzipien für das Zusammenleben der Menschen. Ich glaube, daß NichtFachleute oft gerade etwas Entscheidendes zu sagen haben (ζ. B. Dr. Bell, der Bischof von Chichester). Ich möchte meinen, hier könnten wir uns auf dem Gebiet der Außenpolitik und der Kirchenpolitik durchaus auf die Richtlinien der 10 Gebote verlassen. Bei der Frage, was kann die Kirche für den Frieden tun, möchte ich erst einmal sagen, was die Kirche n i c h t tun soll. Sie soll es nicht zur Betonung von Dingen kommenlassen, die dann als antikonfessionell ausgelegt werden. Ich sage dies in ganzer Hingabe zur Sache des Protestantismus. Jedes Wort, was in dieser Beziehung gesagt wird, ist auf die Waagschale zu legen. Auch die Verlautbarungen über Taylor im 14

Vgl. Anm.

11.

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„Christian Century" ist mir nicht sehr sympathisch, da sie eine zu stark antikatholische Note tragen. Ferner soll die Kirche nicht irgendeine Kreuzzugsstimmung fördern, unter Vorantragen irgend eines christlichen Kreuzes gegen Rußland zu ziehen. Positiv kann ich mir sonst alle Forderungen zu eigen machen, die Niemöller aufgestellt hat. Zur Methode der Zusammenkünfte der Kirche möchte ich als Wunsch äußern: Wenn man nach dem kleineren Übel Ausschau hält, das Wie zu berücksichtigen. Wir haben uns daran gewöhnt, daß der Zweck die Mittel heiligt. Das Mittel der fortdauernden Teilung Deutschlands und die fortdauernde Besetzung muß als äußerst bedenklich erkannt werden. Dies sind einfach sündhafte Mittel. Diese greifen ganz weit in das Soziale über. Wenn die Kirche gegen die Propagandawelle Stellung nimmt, ist das gut. Wenn die Kirche sich gegen die Demontagen wendet, habe ich nichts dagegen. Der Papst hat bei den Vertreibungen nicht nur die Methode angegriffen, sondern hat gegen die Vertreibung als solche Stellung genommen. Eine Trennung zwischen Außen- und Innenpolitik ist hier nicht möglich. Dr. Gerhard: Ich möchte sagen, daß, wenn überhaupt die Synode eine Kundgebung zur Friedensfrage erläßt, diese nur Sinn hat, wenn sie ganz konkret ist. Selbst die mittleren Richtlinien genügen noch nicht. Aus der Praxis der kirchlichen Publizistik spreche ich und meine, es muß so konkret wie möglich gesprochen werden. Gress15: Sobald Niemöller theologisch sprach, sagte er, daß die Welt nicht in Ordnung zu bringen ist. Vom Praktischen her müsse aber doch etwas getan werden. Diese Spannung in unserer Kirche ist das Kardinalproblem in der gegenwärtigen Situation. Frau Küppers 16 : Wir sind uns immer noch nicht einig über die Frage, ob die Kirche konkret Stellung nehmen soll oder nicht. Ich möchte hinzufügen, daß im Dritten Reich die Stellungnahme der Pfarrer der neutralen Mitte folgende war: Die Politik gehört nicht auf die Kanzel. Damit entzogen sie sich zugleich der Entscheidung. Prof. Meyer hat mit Recht auf das Prophetenamt der Kirche verwiesen. Bei Prof. Meyer ist deutlich geworden, es geht nicht darum, das Christentum oder die Existenz der Kirche zu verteidigen, es geht nicht um christliche Prinzipien und Weltanschauungen. Der Christ ist nicht an ein Programm oder bestimmte Prinzipien gebunden. Der evangelische Christ hat sich in evangelischer Freiheit der Sache entsprechend zu entscheiden. Ζ. B. wird dies deutlich bei Jesaja, der sich 15

Vgl. Anm. 4. Erica Küppers (1891-1968), Theologin, 1950 Vikarin, Seelsorgerin im Frauengefängnis Frankfurt-Preungesheim, Schriftleiterin der Zeitschrift „Bekennende Kirche auf dem Weg", später „Stimme der Gemeinde". 18

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bald für den Osten, bald gegen den Osten, bald gegen ein Bündnis mit dem Westen ausspricht, da er von oben her seine Weisungen empfängt. Dieses ist der entscheidende Gegensatz zwischen katholischer und evangelischer Stellungnahme. Mir ist nicht ganz klar, warum man so empfindlich ist gegen alles, was die katholische Seite kränken könnte, während man mit Gemütsruhe das Dekret hinnimmt, welches ja kaum intoleranter sprechen kann. Ich möchte Dr. Arndt unterstützen. Die Aufgabe der Kirche ist im Blick auf einen bestimmten Krieg, eine bestimmte Weisung zu geben (vgl. Amsterdam, wo man sich gefragt hat, ob überhaupt noch von einem gerechten Krieg zu reden ist). Die Welt wartet darauf, daß die Kirche hier ein entschiedenes Wort abgibt. Ζ. B. wäre das Wort der K T A zum Frieden ein solches klares Wort. Dr. Arndt: Ich habe nicht sagen wollen, daß alles Sprechen der Kirche gleichbedeutend mit Parteinahme ist. Die Kirche mußte ζ. B. sagen, daß Hitler und die NS-Herrschaft unchristlich ist. Sie kann aber nicht sagen, daß die Demokratie christlich ist. Die Kirche sollte sagen, daß der Eiserne Vorhang sündlich und unchristlich ist, aber sie kann nicht sagen, daß der UNO-Vorschlag der einzig mögliche christliche Vorschlag ist. Niemöller: Ich bin dankbar diesem Gespräch gefolgt. Ich möchte mit Nachdruck unterstreichen: Wenn darauf angespielt wurde, daß die Kirche sich darum zu sorgen hätte, daß mehr Leute in die Kirche kommen, so ist das gewiß richtig, aber das darf die Kirche niemals dadurch zu erreichen versuchen, indem sie sich beliebt macht, sondern nur so, daß sie den Auftrag ausführt, den sie bekommen hat. Für die Sorge um ihre eigene Existenz ist in der Kirche kein Raum. Sie hat ja eine Verheißung. Ich habe mit dieser Verheißung meine guten Erfahrungen gemacht. Die Kirche lebt nicht vom Wohlwollen der Menschen. Die Kirche darf auch nicht vor dem Bolschewismus Angst haben. Eher müßte der Bolschewismus Angst vor der Kirche haben. Die Kirche ist frei, sich nun um die Dinge dieser Welt in voller Verantwortung zu kümmern. Die Sorge der Kirche ist: Was wird aus den Menschen? Es geht nicht zunächst um die Wiedervereinigung Deutschlands. Es könnte ja Gottes Wille sein, unser Volk nicht wieder zusammenzubringen. Eine solche Situation entbindet uns aber in keiner Weise davon, ernsthaft alles zu tun, um von den Menschen das Elend fernzuhalten. Es geht nicht um einen theologischen Bruch, wie vorhin gesagt wurde. Diese Linie geht zurück bis ins Alte Testament. Weshalb sind der Priester und der Levit an dem Mann vorübergegangen? Der Samariter hat den Willen Gottes in dieser Situation g e t a n . Ich habe von Gott her den Ruf, diesen Samariterdienst dem Menschen zu tun. Die Kirche hat also im Leben dieser Welt eine a b s o l u t e Verantwor-

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tung. Es ist sehr schön herausgekommen, wie es sich nun bei dieser absoluten Verantwortung verhält. Die Kirche hat es immer mit r e l a t i v e n Aufgaben zu tun. Die Kirche ist vor der Parteinahme gewarnt worden. Ich bin der Überzeugung, daß der Auftrag der Kirche allen Menschen das Evangelium zu bringen, ernst genommen werden muß; in dem Augenblick, wo die Kirche Partei ergreift, ist sie nicht mehr Kirche. Wir haben den Menschen zu dienen und haben uns diesem Dienst an den Menschen, die in einer der gegenüberliegenden Parteien sind, nicht zu entziehen. Die Sorge um die Menschen stellt uns heute vor die Frage, was wird aus der Situation Krieg - Frieden? Die Not hätte stärker herauskommen müssen: Es geht hier doch um Millionen von Menschen, die unter der Entwicklung der gegenwärtigen politischen Spannungen in neues Elend kommen. Es ist darum eine ganz genuine Aufgabe der Kirche, die Frage nach dem Frieden in allem Ernst zu stellen. Es geht nicht so, daß die Kirche Prinzipien aufstellt und die Methoden und die Durchführung einfach dem Zufall überläßt. Die Kirche hat immer wieder zu fragen, ob sich jemand um diese Dinge annimmt. Die Kirche muß es wohl noch deutlicher sagen, daß diese ihre Verantwortung ihre Erfüllung finden muß, wenn sie an den Menschen nicht schuldig werden will. Ich bin mit Dr. Arndt ganz einverstanden, wenn er sagt, es ist viel leichter zu sagen, was g e g e n den Willen Gottes ist, als von einer konkreten Sache her zu sagen, das ist der Wille Gottes. Aus dieser Feststellung darf man aber nicht die Folgerung ziehen, also darf sich die Kirche nicht um die Einzellösungen mühen und mit in sie hineinstellen. Ich habe ja nicht gesagt, mein Vorschlag mit der U N O ist d e r christliche Weg. Ich fühlte mich nur verpflichtet die Frage zu stellen, sollte dies nicht überhaupt ein Weg sein? Wir dürfen nur nicht sagen, diesen Vorschlag machen wir im Namen Jesu Christi, sondern wir schlagen eben einen Gedanken vor, der zu erwägen ist. Wir wollen dadurch nur dazu nötigen, andere und bessere Gedanken und Vorschläge zu fassen. Aber an dieser Stelle muß politisch angefangen und gedacht werden. Partei darf die Kirche nicht werden. Es muß deutlich werden in der Art und Weise, wie die Kirche zum Frieden spricht, daß sie um der Menschen willen da ist, für die sie sich absolut verantwortlich weiß, um ihnen in ihrer Not zu helfen, wenn wir auch wissen, daß wir immer nur relativ helfen können. Luther nennt es den Dienst der Kirche „zur linken Hand", ich füge immer hinzu, diese Hand kommt aber vom Herzen. Es ist nicht so, als triebe die Kirche, wenn sie in der Politik nachdenkt, eine Liebhaberei, sondern sie treibt etwas, wovon ihre ewige Seligkeit abhängt, von dieser Aufgabe können wir uns nicht dispensieren. Unser Zusammensein hier war ja nicht immer so ganz ohne das Ge-

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fühl der Grenzen, aber es ist doch etwas, daß wir hier zusammen sein können von der C D U bis hin zur K P D . Ich rechne es mir doch als eine Gabe an, daß wir miteinander hier über eine Sache verantwortlich haben sprechen können. Dies ist mir die große Entdeckung in den acht Jahren K Z gewesen. Ich habe gemerkt, daß ein evangelischer Pastor mit einem Kommunisten und einem Bibelforscher sprechen konnte. Wir verstanden als M e n s c h e n miteinander zu reden. Wir fanden den Menschen. Das ist etwas, was wir festhalten sollten. Wenn die evangelische Kirche auch hierzu ihren Beitrag leisten darf, leistet sie einen echten Beitrag, der der Kirche in dieser Welt empfohlen ist. Es folgt das Referat von Prof. Bachmann 17 : Christlicher Glaube und Politische Verantwortung. Unser Anknüpfungspunkt ist, daß wir alle getaufte Christen sind. Die Zeiten sind ungeheuer ernst, und wir müssen jede Gelegenheit wahrnehmen, Brücken zu schlagen in der gemeinsamen sozialen Verantwortung. Churchill hat gesagt: „Dieses 20. Jahrhundert ist das schrecklichste Jahrhundert". Das ist es auf manche Weise geworden. Die Menschen sind beunruhigt, daß es sich um letzte Dinge handelt, daß sich die Eschatologie hier irgendwie spürbar macht. Die Menschen wissen, daß es keine Phrase ist, wenn man über Völkervernichtung und über Vernichtung der Menschen spricht. Drei Bilder schweben mir vor. 1. 30 amerikanische Atomphysiker haben sich mit einer Mahnung an ihr eigenes Volk beschäftigt. Es ist von Bedeutung, daß gerade vom Standpunkt der Atomphysiker nach der Frage der Wasserstoffbombe sich dieses Problem auf das Gewissen jedes einzelnen drängt. Sie sagen, daß diese H-Bombe nicht mehr eine Kriegswaffe, sondern ein Mittel zur Vernichtung der ganzen Menschheit ist. Kann diese Möglichkeit ohne weiteres von einem Volk angenommen werden, ohne daß sich es in die Gewissen der Menschen einprägt, daß damit audi die ganze christliche Zivilisation untergeht? 2. 1938 hat ein Freund von mir ein Bild gemacht von einem, dessen Gesicht ganz erloschen war. Es kam heraus, daß es einen darstellte, der später als O. d. F. bezeichnet wurde. Man sieht in diesem Gesicht, daß dieser Mensch durch die letzten Nöte hindurch gegangen ist, daß es einer ist, der sich nur noch auf den Tod vorbereitet. - Wenn man heute unter den Flüchtlingen gerade solche Menschen sieht, dann wacht man plötzlich auf: dies ist ein T y p des modernen Menschen; nicht der T y p eines Pilgers, sondern eines Fremdlings, eines Flüchtlings. Er lebt 17 Theodore Bathmann, geb. 13. 10. 1911 in Philadelphia (USA), 1938 Ρ fr., 1942 Prof. für Kirchengeschichte am Luth. Theol. Seminar in Chicago, 1952-1961 in Berkeley, 1946-1947 erster Verbindungsmann der United Lutheran Church in America zum ökumenischen Rat und den luth. Kirchen Deutschlands.

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in einer Welt, die ihren eigenen Weg geht; der Mensch fürchtet nicht mehr Gott, sondern seinen Mitmenschen. Es ist ein Unterschied, was Gott in seiner Treue den Menschen gegenüber tut und was die Menschen ihren Mitmenschen gegenüber tun. 3. Auf einer Weihnachtskarte aus Ungarn ist über das Bild der heiligen Familie der Stempel aufgedruckt: „Christus ist euer Aberglaube. Der Sozialismus ist euer Glaube". Hier kommt etwas hervor. Ein politischer Glaube, eine Ersatzreligion. Man könnte das Thema umstellen: Politischer Glaube und christliche Verantwortung - nämlich dafür, daß solcher politischer Glaube aufkommen konnte. Die biblisdien Begriffe sind alle auf eine andere Ebene gebracht worden. Dies ist der Anknüpfungspunkt für die Entstehung des politischen Glaubens. Man sieht hier geschichtlich verschiedene Zusammenhänge (ζ. B. auch in USA gibt es so etwas wie demokratischen Glauben). Unser politisches Leben hat seine Leibhaftigkeit aus dem kirchlichen Leben gewonnen. Auf diese Weise sagt man, haben die verschiedenen Nationalitäten in USA zusammenfinden können, und man ist in USA der Meinung, wenn dieses Zusammenfinden dort möglich war, so müsse es auch woanders möglich sein. In den Dreißiger Jahren entstand in Deutschland so etwas wie eine politische Erweckungsbewegung, die dann als fanatischer politischer Glaube propagiert wurde („Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt"); ebenso wird beim kommunistischen Glauben propagiert. Eine politische Religion wird hier ganz groß und mächtig und man fragt sich: Warum? Hat die Kirche hier versagt? Elull sagt, daß die Kirche auf dreifache Weise, wenn auch unwillkürlich, versagt habe: 1. Sie habe die Fürsorge und den Schutz für den Menschen anderen überlassen und sich zurückgezogen. 2. Die Kirche hat die Verantwortung für die Revolution anderen überlassen. Hat die Kirche dies getan, so hat sie vergessen, daß das gesellschaftliche Leben sich immer neu gestalten muß. 3. Die Kirche hat das geistliche Leben anderen überlassen, und dadurch sind die politischen Religionen erwachsen. Die Kirche hat nicht mehr gewußt, wie sie an das Volk herantreten soll. Jetzt sieht man die Folgen dieses unwillkürlichen Versagens der Kirche. Denn die Kirche entzieht sich nicht immer freiwillig vom öffentlichen Leben. Was ist nun aber der c h r i s t l i c h e Glaube im Verhältnis zur politischen Verantwortung? Der christliche Glaube, wenn er ein passiver und individualistischer Glaube gewesen wäre, hätte niemals bis ins 20. Jahrhundert hineingereicht. Bei dem christlichen Glauben handelt es sich immer um den Menschen, die Gott für sich selbst haben will. Luther sagt in der „Freiheit eines Christenmenschen": Der Gläu-

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bige muß seinem Mitmenschen ein Christus werden. Vielleicht hat die Kirche dies zu leicht vergessen. Es ist viel schwerer, diesen Dienst am Mitmenschen zu tun, als einen Katechismus auswendig zu lernen. Dieser Glaube beschränkt sich nicht nur auf Theologen oder Lehrer. Denn was ist die Kirche? Wir sind es alle als getaufte Christen (Priestertum aller Gläubigen). Priester sein heißt: sich selbst aufopfern für die anderen im Dienst am Nächsten. Ich vermute manchmal, daß es für einen Laien schwerer ist, Christ zu sein, als für einen Pfarrer. Sie können leichter darüber predigen wie man offen und ehrlich lebt im Geschäft, in der Fabrik, aber es dort nun auch zu tun. - Auf unserer Zusammenkunft hier wird klar, daß Theologen und Laien einander gebrauchen. Die Lage muß erst im Austausch zwischen beiden geklärt werden. Viktor Gollancz schilderte neulich zwei Gefahren: 1. die des antireligiösen Humanismus, 2. die der antihumanistischen Religiosität. Die erste führt zur Ersatzreligion, die zweite zum Nicht-Ernstnehmen des Menschen. - Es wird deutlich, wie wichtig es ist, daß sich Leute aus der Politik und aus der Kirche treffen, sind sie doch auch alle zugleich Bürger (politische Verantwortung) und Christen (Mitglieder der Kirche). Nur in einem g e m e i n s a m e n Gespräch und in einem gemeinsamen Anpacken des Problems können wir vorankommen. Heute trägt jeder eine politische Verantwortung, und die Kirche, glaube ich, gibt eine Basis, die schon längst dagewesen ist, aber zu wenig benutzt wurde, auf dieser Basis sollen nicht nur Gespräche geführt, sondern auch Verständigungen vollzogen und Entscheidungen gefällt werden. Aber es soll nicht so sein, daß die Kirche dabei politischer Partner wird, sondern die Stelle, an der der Mensch zur Selbstbesinnung kommt. Die Parteien müssen wieder lernen, den Menschen ernstzunehmen und nicht ihr Parteiprogramm. Hier kann die Kirche helfen. Diskussion. Weiss18: Hat die Kirche nicht in den letzten Jahrzehnten versagt? Der Papst segnete die Waffen, die Kirche betete für Hitler. Mir liegt daran, daß wir bis in die kleinen Gemeinden hinein beantworten können, was hier im Großen geschehen ist. Ich möchte vorschlagen, möglichst bald wieder zusammenzukommen und zu besprechen, wodurch den Menschen draußen geholfen werden kann. Frau Küppers: Das zuletzt Gesagte führt uns auf die Schuld der Kirche. Jedes Gespräch mit dem Arbeiter müßte beginnen mit dem Eingeständnis unserer Schuld. 18 Heinrich Weiss, geb. 2. 8. 1893, gest. 5. 11. 1966, Kraftfahrzeugmeister, 1946 bis 1966 MdL (SPD), 1954-1966 Vorsitzender des Ausschusses für Wiedergutmachungsfragen.

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Gress 19 : Ich höre immer wieder die Anklage, daß die Kirche versagt hat. Ich erwarte aber audi, daß dieses Versagen audi von allen menschlichen Organisationen gesagt wird. Herzerfrischend waren die Ausführungen von Prof. Bachmann, in denen er unsere evangelische Kirche zur Besinnung ruft. Wir müssen die Dinge ganz gegenwartsnah sehen. Ich wäre dankbar, wenn wir in dieser Krise zu praktischem Arbeiten kommen können. Sup. Baum 20 : Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es audi Vertreter unseres christlichen Glaubens gegeben hat, die sich auf dem verlorenen Schlachtgebiet bewährt haben (gibt Einzelbeispiele aus Schlesien). Schlußwort von Prof. Bachmann: Wenn man als Christ die Kirche für ihre Schwächen verantwortlich hält, tut man nur das, was jeder Christ aus seiner eigenen Verantwortung heraus tun muß. Man muß den Mut haben, seine eigene Schuld zu bekennen. Wer sollte das besser können als ein Christ? Wir als Kirche sehen jetzt, wie wir versagt haben und immer noch versagen. Dies hängt teilweise mit unserer menschlichen Gebrechlichkeit zusammen. Man wundert sich, daß Gott dieser Kirche so immer wieder erneut weitergeholfen hat. Wirklich weiterhelfen tut Gott, wenn der einzelne und alle zusammen ihre Schuld anerkennen. Einem Patienten kann man auch erst helfen, wenn ihm geholfen werden will. Es ist Gottes Macht, mit uns etwas a n z u fangen und auszurichten, mit Dir und mir. Unsere Selbstzufriedenheit muß gesprengt werden, aber dann nimmt Gott uns als seine Mitarbeiter an seinem Werk.

Dokument 2 Hans Joachim Iwand: Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950 [.Berlin 1950

April]

LKA Darmstadt, 36/vorl. 21 b. - Maschinenschriftliche Vervielfältigung mit handschriftlichen Vermerken Mochalskis: Berlin Spandau. Entwurf I w a n d . und weiteren handschriftlichen Korrekturen Mochalskis.

Ach, daß ich hören sollte, was Gott der Herr redet; daß Er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf daß sie nicht auf eine Torheit geraten. Ps. 85,9 19

Vgl. Anm. 4. Herbert Baum, geb. 20. 6. 1888, gest. 25. 4. 1964, 1927 Superintendent in Leobschütz/Kreis Ratibor, nach 1945 Anstaltsgeistlicher in Rottenberg und Ρ fr. in Wiesbaden. 20

Η . J. I w a n d : Entwurf eines Friedenswortes. A p r i l 1950

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"Das Gebot des Friedens* Es sind jetzt 5 Jahre vergangen, seitdem einer der schrecklichsten aller Kriege sein Ende fand. W i r reden von der Stelle aus, von welcher er ausging und an der er endete; je länger er währte, desto verwüstender wirkte er auf den Geist der Menschen und auch manchmal auf ihre Jahrhunderte alten zivilisatorischen Leistungen. Hier in Berlin entfaltete er in seiner letzten Phase noch einmal den ganzen Schrecken und die totale Gesetzlosigkeit, die Sieger und Besiegte lange Zeit nicht vergessen werden. Die ehemalige Hauptstadt des nunmehr geschlagenen Deutschen Reiches ist bis zur Stunde ein unübersehbares Zeichen, das vornehmlich uns Deutschen, aber darüber hinaus den Völkern und Staatsmännern der Welt kund machen könnte, daß Gott sich nicht spotten läßt, daß, wer Wind säet, Sturm ernten wird, und daß Macht und Glanz irdischer Reiche auf Sand gebaut sind, wenn sie nicht den Frieden suchen und der Gerechtigkeit dienen. Denn beide, Frieden und Gerechtigkeit, sind nicht voneinander zu trennen. „Wenn du die Gerechtigkeit nicht liebst, kannst du den Frieden nicht haben" (Augustin) (Migne SL X X X I I I 1078). Wir leben in einer Zeit, in der Glück und Glanz sehr schnell umschlägt in Elend und Jammer. Darum sollten wir nicht säumig werden in unseren Maßnahmen und uns vor allem nicht dem falschen Wahn hingeben, daß die Dinge, unter denen wir leiden, von selbst in Ordnung kommen könnten. Wenn der Krieg erst einmal - gleich unter welchem Vorwande - vorbereitet wird, wird er auch ausbrechen, und wenn er von neuem ausbricht, wird er mit unvorstellbarem Schrecken über die ganze Welt ergehen, ohne daß jemand in der Lage ist, dem Unheil Zügel anzulegen. Die Mittel der modernen Technik, die Beeinflussung des Denkens der Massen durch die Propaganda, die damit in Gang "gesetzte" Herabsetzung und Entrechtung des Gegners, dem das Menschenrecht genommen und jeder Anspruch auf Schonung abgesprochen wird, die totale Führung des Krieges, die sich in erster Linie an den wehrlosen Bewohnern des Landes, Arbeitern und Bauern, Bürgern und Gelehrten, Frauen und Kindern auswirken muß, lassen es notwendig erscheinen, daß wir das bisher übliche, auch von der christlichen Kirche vertretene Urteil über den Krieg als das „kleinere Übel" revidieren. Der moderne, totale Krieg nähert sich in besorgniserregender Weise einem von oben her organisierten Mord, so daß "auch0 die Staaten, die ihn führen und radikalisieren müssen, dadurch die sitt-

a - a Handschriftlich b - b Korrigiert c-c

Gestrichen.

eingefügt.

in: gebrachte,

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lichen Grundlagen ihrer eigenen Autorität 'Verlieren'1. Nie war der Ruf nach "echter Demokratie gerechtfertigter, nie war er aber zugleich größeren Hindernissen ausgesetzt als heute'. Die Menschen unseres Zeitalters haben erfahren, wie Feuer vom Himmel fiel, ihre Augen haben gesehen, was der Prophet über Jerusalem sagte: „Es lagen in den Gassen auf der Erde Knaben und Alte; meine Jungen und Jünglinge sind durchs Schwert gefallen. Du hast erwürgt am Tage Deines Zornes; Du hast ohne Barmherzigkeit geschlachtet" (Klagelieder 1.2,21). Wenn wir uns über die Niederungen eines nationalistischen Denkens erheben und mit den Augen der Engel Gottes die blutige Wohnstatt überschauen könnten, die der letzte Krieg in Europa und Asien hinterlassen hat, wir würden nicht Menschen sehen, getrennt nach Nationen, sondern Menschen, die Unrecht tun und Menschen, die Unrecht leiden. Die einen werden an den anderen schuldig und 'verstecken sich hinter dem Vorwand nationaler Verantwortung'. In Wahrheit versündigt sich dieser Nationalismus gegen die Menschlichkeit des Menschen. Ein Nationalismus, der die Voraussetzung echten Volkslebens und friedlichen Zusammenlebens der Nationen in dieser Weise aufhebt, ist in Wahrheit reif, von uns als überständig angesehen und hinter uns gelassen zu werden. Er ist morsch und faul und taugt nicht als Ausgangspunkt für eine neue gesellschaftliche, völkerrechtliche und wirtschaftliche Ordnung. Die Menschen 8unserer Zeit g , zumal aber die, welche die Schrecknisse des Krieges am unbarmherzigsten erlitten haben, neigen dazu, an den sittlichen Idealen zu verzweifeln, die unser Leben auf Erden lebenswert machen, und sich einem verantwortungslosen "Nihilismus1' zu überlassen. Die Kirchen kämpfen einen verzweifelten Kampf gegen diesen "Defaitismus", der bis tief in ihre eigenen Reihen hineinreicht. Angesichts dieser Gefahr müssen wir unserer Überzeugung Ausdruck geben, daß die Voraussetzung für den Wiederaufbau innerlich wie äußerlich der Friedenswille und die faktische Sicherung des Friedens durch Abrüstung ist, ohne die die menschheitlichen Ideale leer bleiben und zu Schlagworten in der Propaganda der sich bekämpfenden Systeme werden. Lassen wir die Dinge 'so weiter' treiben', kommt es erst dahin, daß von neuem de facto der Krieg der Endzweck aller d-d Korrigiert in: zerstören. e-e Korrigiert in: einem friedlichen u. verantwortlichen Miteinanderleben [gestrichen: Zusammenleben] der Menschen in Gemeinde, Staat u. Völkerwelt größer als heute. f - f Handschriftlich unterstrichen. Randvermerk: Nationalismus Gegner der Nation. g-g Korrigiert in: in solchen Übergangszeiten. h-h Korrigiert in: Fatalismus. i-i Gestrichen. j Eingefügt: und.

Η. J. Iwand: Entwurf eines Friedenswortes. April 1950

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geistigen und wirtschaftlichen Maßnahmen", leben wir unbußfertig und unbekümmert in diesen unwiederholbaren Jahren der 'Besinnung1, dann mwirdm es bald zu spät sein, dem neuen, dritten Ausbruch des Wahnsinns und der politischen Unfähigkeit ein Halt zu gebieten. Es werden dann Dinge geschehen, die die Menschen mit endzeitlichem Schrecken erfüllen, so daß sie zu den Bergen sagen werden: decket uns! und zu den Hügeln: Fallet über uns! Darum erheben wir noch einmal unsere Stimme, heute vernehmlicher als im Jahre 1938, als die wenigen noch freien Führer der Bekennenden Kirche jenes Gebet für den Frieden anordneten, wofür sie dann audi in H a f t und Kerker gingen. Inzwischen haben sich die Aussichten, gehört und verstanden zu werden, gebessert. Wenn wir 1948 auf unserer ersten Synode in Eisenach dem Kriege absagten und erklärten, daß wir mit den Vertretern der vier Besatzungsmächte den Frieden suchen, wenn die ökumenische Versammlung in Amsterdam kurz hernach die Entscheidung zwischen Frieden und Krieg als eine solche des Bekenntnisses zu Jesus Christus verstand und proklamierte, dann sind das Zeichen, die uns voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft erscheinen. Dazu kommt, daß in Deutschland die Abkehr vom Krieg in einem weit mehr als hundert Jahren nicht mehr gekannten Maße zunimmt. Die Motive sind dabei verschieden, aber hier dürfte Jesu Wort gelten: „Wer nicht wider mich ist, ist für mich". Alle, die den Frieden suchen, und an ihm arbeiten, stehen unter seiner Seligpreisung. Selbst die Kreise unseres zerschlagenen Volkes, die am meisten durch den Ausgang des Krieges "gelitten haben", die 12 Millionen Flüchtlinge, welche ihre Heimat verloren, eine Heimat, in der °sie° seit mehr als 800 Jahren "gewirkt und geschaffen" haben, wissen, daß der Frieden über alles geht. Der Friede ist die einzige Möglichkeit, auch das Problem der Vertriebenen zu lösen. Er allein läßt die Vernunft wieder zu Wort kommen. Es kann darum nur einen Weg zur Umkehr und des Aufbaus geben, den Weg zu einem "gerechten und dauerhaften" Frieden, dem keine sachlichen, wohl aber viele und schwere ethische und psychologische, sowie ideologische Hindernisse entgegenstehen. Aber 'der Mensch und seine' Wohlfahrt sollte uns höher stehen als alles andere. Gott sucht den Menschen! k Eingefügt: wird. 1-1 Korrigiert in: Entscheidung. m - m Korrigiert in: kann. n - n Korrigiert in: litten. o - o Korrigiert in: ihre Väter. p - p Korrigiert in: gelebt. q - q Korrigiert in: dauerhaften, gerechten. r-r Korrigiert in: die Menschen und ihre.

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II s . „Was toben die Völker und sinnen die Nationen Eitles?" (Ps. 2). Sehen wir uns 'aber 1 die politische Wirklichkeit an, in der die Welt heute 'wieder1 steht, sehen wir die Wirklichkeit, wie wir sie hier in Deutschland erleben, so zeigen sich unverkennbare Zeichen neuer, gefährlicher Spannungen. Wir müssen sie nennen, denn wer den Frieden will, darf die Wahrheit nicht scheuen. Noch stehen die "Besatzungen der Siegerheere" in Deutschland. Die "Einigkeit" der vier Besatzungsmächte hat einem offen eingestandenen Antagonismus Platz gemacht, der gerade für die unsauberen Elemente Unterschlupf, Erwerbsmöglichkeit und servile Hörigkeit "bedeutet". Eine Seite begründet dabei ihr Verbleiben in Deutschland mit der Gefährlichkeit der anderen. Beide Seiten begründen die neu in Gang gebrachte Aufrüstung defensiv, aber anders sind Aufrüstungen nie begründet worden. Diese Art von Begründung ist nur ein Vorhang, hinter dem sich neues Unheil zusammenbraut. Genauso begründete Hitler sein Tun, die Abschließung Deutschlands, den Bau des Westwalls, die Konzentrierung der politischen Gegner, die Knebelung der Presse, die Installierung von linientreuen Parteigenossen in führenden Stellungen, die Rechtfertigung "des Gewaltrechtes1 anstelle der parlamentarischen Verfassung und der damit gegebenen Freiheit der Legislative. Man spricht, ohne schamrot zu werden, in der ganzen Welt vom „kalten Krieg", und macht sich kaum klar, daß man eben damit wieder den Κ r i e g in das Denken, die Politik, die Rechtsprechung und Beeinflussung einer ohnehin sehr abhängigen Presse einführt. Der Schritt vom kalten zum warmen Krieg kann durch jede Unbedachtsamkeit ausgelöst werden. y Dann y hat man den Krieg geistig wieder ins Recht gesetzt. „Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger". Deutschland selbst, dieses um ein Drittel seiner Größe eingeengte Land mit seiner Überfülle von Menschen, leidet darunter außerordentlich. Politische Unfreiheit und wirtschaftliches Elend sind gefährliche Bundesgenossen jeder Desperadopolitik. Jede Partei meint, im Lager des Anderen einen Bundesgenossen zu haben. Audi die Kirche hat es schwer, ihren Weg hier gerade aus zu gehen. Es entsteht eine allgemeine Besorgnis vor Spionage, welche die Gemeinschaft in Stadt und Land, von Deutschen gegen Deutsche zersetzt und Furcht s Eingefügt: Die Hindernisse des Friedens, t - t Gestrieben. u - u Korrigiert in: Besatzungstruppen der Sieger, v - v Korrigiert in: Zusammenarbeit, w - w Korrigiert in: verlangt, x - x Korrigiert in: der Gewalt, y - y Korrigiert in: damit.

Η. J. Iwand: Entwurf eines Friedenswortes. April 1950

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und Lüge hochkommen läßt. Während die Mächte, die ein Volk leiten, ein Vorbild der Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit sein sollen, verdichten sich die Verhältnisse nach oben zu immer mehr, so daß auch der, der guten Willens ist, sich dieser Nötigung nicht entziehen kann. Der Mensch wird vom System verbraucht. Die Zertrennung Deutschlands hält aber auch jenen Riß weiter offen, den Hitler als Mittel seiner Parteibildung erstmalig methodisch angewandt hat, den zwischen zwei politisch verfeindeten Lagern. Wenn im Osten heute der Kommunismus die Führung beansprucht, kann man sich nicht wundern, daß die "nationalsozialistischen2 Ideen im Westen - und nicht nur im deutschen Westen - fröhliche Urständ feiern. Dadurch bekommt unser ganzes Leben etwas Gespensterhaftes. Ein Gegensatz, der längst hinter uns liegt, der sittlich und praktisch "nicht zu halten ist', wird künstlich "auf dem Thron" erhalten. Die Entscheidung ist keine Entscheidung. Hier 0 neutral sein, ist christliche Entschiedenheit. Darum muß auch die Entnazifizierung als Farce wirken, weil der Westen uns gegen den Osten und der Osten uns gegen den Westen entnazifiziert. Es muß das Urteil über die Kriegsverbrecher in Nürnberg als eine willkürliche Justiz anmuten, wenn man heute wieder die Aufrüstung Deutschland verlangt und betreibt, die einen, ohne davon zu reden, die anderen, nicht ohne ihren Schritt moralisch zu begründen. Dabei fühlen sich beide Parteien als Befreier - aber die Freiheit selbst kommt nicht wieder. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Deutschen in ihrer gemeinsamen Not und gemeinsamen Verantwortung ist noch nicht vorhanden, es wird "künstlich" gestört und behindert. Dadurch sind uns die "ersten6 ethischen Voraussetzungen für eine Mitarbeit am Frieden genommen. Auf der Basis des Satzes: „Wes Brot ich esse, des Lied ich singe" kann [man] keine Demokratie und keine gesunde Wirtschaftsethik aufbauen, denn beide setzen voraus, daß die Bürger eines Staates die innere und äußere Freiheit als 'ihr höchstes' Gut ansehen und zu schätzen wissen. Ein Friede, der nicht von dem freien Willen der Bürger getragen wird, ist ein unsicherer Zustand. Es kommt noch hinzu, daß die Befürchtung besteht, in einem kommenden Krieg könnten Deutsche stehen. Es ist heute schon so weit, daß im Osten die deutsche Jugend aufgefordert wird, Berlin zu „erobern" und im Westen geschrieben wird - ganz kalt und ohne daß die Leser protestieren - daß dann z - z Korrigiert in: nationalistischen, a - a Korrigiert in: bankrottgeredit war. b-b Korrigiert in: am Leben, c Eingefügt: zu widerstehen und. d-d Korrigiert in: gewaltsam, e-e Gestrichen. f - f Korrigiert in: hohes.

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eben geschossen würde. Das sind die geistigen Voraussetzungen, aus denen neue KZs entstehen müssen und durch die die alten weiter in Gebrauch bleiben. Angesichts all dieser inneren und äußeren Nöte ist die Haltung des deutschen Volkes bisher bestimmt gewesen von dem Willen zur Einsicht, zur Geduld und zur Zusammenarbeit. Wir bitten darum die beiden deutschen Notregierungen, die Wege zur Bildung einer einheitlichen, durch freie Wahlen zustande gekommenen Regierung frei zu geben und bitten die Besatzungsmächte, einheitliche freie Wahlen in ganz Deutschland zu "gestatten". Das würde der erste solide Schritt zur Aufhebung des kalten Krieges sein. Wir bitten weiter, nicht wieder solange zu warten, wie man mit gewissen fälligen Maßnahmen nach 1918 wartete, bis wir erleben, daß einer alles bekam, der den Mut hatte, die Sprache von List und Gewalt zu sprechen. Wir" haben schwere Schuld auf uns geladen, aber internationale Katastrophen sind auch gegenseitig bedingt und wir können heute nicht aus dem Chaos herausfinden, wenn nicht auch bei den anderen beteiligten Nationen die Einsicht in gravierende Fehler und 'Zuversicht1 zu neuen Wegen Platz greifen. Wir sehen nur einen Weg, das deutsche Problem zu lösen, die Räumung Deutschlands und seine Eingliederung in die europäische Völkerfamilie, die nicht mehr durch einen eisernen Vorhand um ihre natürliche Zusammengehörigkeit gebracht ist. Wenn die Staatsmänner der Welt heute den Mut und den Glauben fänden, 'schnelle und revolutionäre' Schritte in dieser Richtung zu machen, sie würden das Gebet und die Gefolgschaft aller Menschen, die guten Willens sind, 'hinter sich wissen" dürfen. Denn bei diesem Weg wird Gott mit uns sein, wir werden seine Verheißung über uns haben: „Alle Rüstung derer, die mit Ungestüm rüsten und die blutigen Kleider werden verbrannt werden. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Er heißt Wunderbar, Rat, Ewig-Vater, Friedefürst." Wollte Gott, daß, wenn das Jahr sich rundet, es mit Recht unter uns heißen könnte: F r i e d e auf E r d e n . Es könnte dies Wirklichkeit werden, wenn wir das andere Ernst nehmen und tun: E h r e s e i G o t t i n der Höhe.

g-g Korrigiert in: ermöglichen, h Eingefügt: Deutschen, i-i Korrigiert in: der Entschluß. j-j Korrigiert in: mutige und schnelle, k-k Korrigiert in: gewiß sein.

Η . J. I wand: Entwurf eines Friedenswortes. April 1950

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III. 1 Verlasset euch nicht auf die Lügen, wenn sie sagen: hier ist des Herrn Tempel, sondern bessert euer Leben und Wesen, daß ihr recht tut einer gegen den anderen (Jer. 7,4 f.). Wir haben hier als Synode der evangelischen Christenheit in Deutschland nicht die Vollmacht, das politische Geschick unseres Volkes zu bestimmen. Wir können auch nicht sagen, daß wir im Namen der 35 Millionen evangelischen Christen in Deutschland sprechen. Denn eine Synode ist nicht eine Versammlung von Repräsentanten, die die Meinung ihrer Wähler zum Ausdruck zu bringen hätte. Wir reden im Namen unserer Kirchen, aber doch zugleich zu unserer eigenen Kirche, zu unseren Gemeinden diesseits und jenseits des eisernen Vorhangs. Wir bezeugen ihnen, daß wir nicht unseren Wünschen und Hoffnungen das Wort reden, sondern uns unter Gottes Gebot und Verheißung stellen. Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein. Wir wissen, wie unabsehbar die Leiden des Krieges sind, unter denen Hoch und Niedrig bei uns steht. Wir wissen um die Ausweglosigkeit, der sich die Jugend gegenübersieht. Wir wissen um die Not der Heimatvertriebenen, zumal der Bauern und Landwirte. Wir sehen zudem mit Sorge, daß im Osten die persönliche Freiheit durch staatlichen Druck mehr als gut und nötig beschränkt wird, wir sehen umgekehrt, daß sich im Westen eine wirtschaftliche Restauration vollzieht, die den wirtschaftlichen Aufstieg gefährdet, weil er nicht einer möglichst großen Zahl von Menschen zugute kommt. Wir glauben, daß beide Probleme lösbar sind. Wir glauben, daß der Gegensatz von Kapitalismus und Kommunismus - auch unter reinen Nützlichkeitsgesichtspunkten gesehen - einen neuen Krieg nicht wert ist. Wir glauben, daß es ein gemeinsames Drittes gibt, und daß die Völker auf der ganzen Welt heute dieses Dritte suchen - und auch finden werden. Wir bitten auch darum, laßt euch nicht hindern, das Rechte zu tun und zu sagen. Leidet für die Gerechtigkeit und macht euch durch nichts schuldig. Gebt Gott die Ehre und wisset, daß Er den nicht verläßt, der in seinen Geboten wandelt. Wir wünschen den Aufstieg des großen russischen Reiches und unseres östlichen Nachbarn, aber wir müssen gerade darum uns weigern, Dinge zu tun, die wir im Dritten Reich als verwerflich erkannt haben. Andererseits warnen wir alle, die sich heute von Zauber des Geldes bestechen lassen. Wirtschaftlicher Aufstieg ist nicht identisch mit der Anbetung des Geldes und kapitalistischen Wirtschaftsformen. Die solideste Grundlage eines wirtschaftlichen Aufstiegs ist soziale Gerechtigkeit und untadelige Lebensführung der maßgeblichen Männer in Ländern und Städten. Armut ist 1 Eingefügt:

Gerechtigkeit und Frieden.

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keine Schande, aber Reichtum ist eine große Gefahr. Wir vermissen die Solidarität der Not, audi und gerade in unseren christlichen Gemeinden. Es fangen die starken Gemeinden an, den schwachen und bedrängten zu dienen, aber die Gefahr ist groß, daß sich die Landeskirchen isolieren und so die Gemeinden fern gehalten werden von dem einen großen Kampf der Christenheit, um den Frieden zu gewinnen und das Recht wieder in Kraft zu setzen"1. Die Gemeinde Christi ist überall da, wo man des guten Hirten Stimme hört, seine eigenen und falschen Wege aufgibt und ihm nachfolgt. S e i n Wort, nicht unsere fragwürdigen Kirchen- und Konfessionsgrenzen, scheidet die Lämmer von den Böcken. Darum wissen wir uns eins mit der ganzen Christenheit auf Erden, wenn wir jetzt schweigen und I H N das letzte Wort sprechen lassen: „Er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen; Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen". Wir bitten Gott, daß der letzte dieser Kriege die Wendung der Menschheit zum Frieden einleitete und daß, was jener zerstörte an Leib und Seele, eine neue und junge Generation aufbauen könne, zur Ehre Gottes und in der Kraft unseres Erlösers, Jesus Christus. Wir kommen von Ostern her und gehen Pfingsten entgegen. Hinter uns steht die Tat der Versöhnung der Welt mit Gott und der Sieg des gekreuzigten Jesus von Nazareth über den Tod. Wir sind eingeschlossen in seinem Triumph. Vor uns steht die Verheißung des Pfingstgeistes, der den Geist von Babel mit seiner Sprachenverwirrung aufzuheben vermag. Wir wissen, daß wir nichts anderes sein können als Gottes Zeugen in der Welt und vor der Welt. Wir können aber Gott anrufen in unserer Not und alle, die es zu glauben vermögen, daß Gott Wunder tut, sollten sich vereinigen mit uns in dem e i n e n Ruf: Komm Schöpfer Geist! Veni creator spiritus. Dokument 3 Otto Dibelius: Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950 [Berlin LKA Darmstadt,

36/vorl.

21 b. - Maschinenschriftliche

1950

April]

Vervielfältigung.

Die Kirche Jesu Christi verkündet der Welt die Friedensbotschaft ihres Herrn. Es ist der Friede des Herrn höher als alle Vernunft, den m Eingefügt:

indem wir ein Beispiel durch Liebe geben.

Ο. Dibelius: Entwurf eines Friedenswortes. April 1950

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Jesus Christus bringt, der Friede des befreiten Gewissens, der Friede unter dem Kreuz. Wir haben keine größere Botschaft an die Welt als diese: er ist unser Friede! Der innere Friede aber öffnet die Augen für alle Not der Menschen und drängt die Kirche, ihren Brüdern und Schwestern hilfreich zu sein, wo immer sie der Hilfe bedürfen. In der Gegenwart ist keine Not so groß als die, daß die Welt, durch einen mehr als 10jährigen Kriegszustand zermürbt, in ständiger Angst und Sorge lebt, daß ein neuer Weltkrieg kommen und Waffen der Vernichtung zur Anwendung bringen könnte, die aller menschlichen Gesittung auf Erden ein Ende machen. Den Alpdruck dieser Angst zu bannen, muß heute die vornehmste Pflicht aller derer sein, die sich von der Liebe Jesu Christi gedrungen wissen. Um dieser Liebe willen wenden wir uns an die verantwortlichen Staatsmänner in aller Welt und bitten sie: 1. Sorgt dafür, daß in allen Ländern, in denen der Kriegszustand noch nicht rechtskräftig beendet ist, unverzüglich Friedensverträge geschlossen werden; 2. Sorgt dafür, daß in diesen Friedensverträgen das Recht aller Menschen festgelegt werde, in ihrer angestammten Heimat ein Leben in Freiheit zu führen; 3. Sorgt dafür, daß alle zivilisierten Nationen über die Form ihres staatlichen Lebens in Freiheit entscheiden dürfen, nicht durch gelenkte Abstimmungen, sondern durch echte, demokratische Wahlen; 4. Sorgt dafür, daß die Staatsgrenzen, namentlich in Europa, nicht länger Trennungsmauern zwischen feindseligen staatlichen Machtsphären bleiben, sondern durch wirtschaftliche und kulturelle Zusammenschlüsse ihrer den Frieden bedrohenden Auswirkungen allmählich entkleidet werden; 5. Sorgt dafür, daß der unnatürlichen Aufspaltung Deutschlands, die eine ständige Kriegsgefahr bedeutet, durch einheitliche Wahlen ein Ende gemacht werde. Um aber zu solcher Befriedigung der Nationen auch durch die Kirchen beizutragen, bitten wir die Kirchenleitungen Europas, unbeschadet ihrer sonstigen Zusammenschlüsse, zu gemeinsamen Tagungen zusammenzutreten, um die Atmosphäre des Mißtrauens und der Eifersucht zwischen den Völkern überwinden zu helfen. Wir bitten die Kirchen, in ihren Gottesdiensten für den Frieden zwischen den Völkern regelmäßig Fürbitte zu tun und sich an bestimmten Tagen zu gemeinsamen Fürbitten zu vereinigen. Laßt uns im Namen Jesu Christi allem widerstehen, was H a ß zwischen Menschen, Klassen und Völkern zu säen geeignet ist, und laßt uns die Welt mit neuen Zungen verkündigen, daß wir zur Liebe gerufen sind und zur gemein-

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samen Verantwortung dafür, daß der Mensch des Menschen Bruder sei und nicht sein Feind! Der Gott aller Gnade aber, vor dem wir uns gemeinsam mit allen Größen der Welt in Demut beugen, gebe uns Kraft, alte Schuld in seiner Vergebung zu überwinden. Er erneuere die Welt und schenke uns die Umkehr, die uns nottut! Sein Wille geschehe, und sein Reich komme! Ja, komm, Herr Jesu!

Dokument 4 Hagen Katterfeld: „Entwurf für eine Stellungnahme der Kirchenkonferenz der EKD" 1950 November 14 AVELKD, 533. - Maschinenschriftliche Vervielfältigung mit handschriftlichem Vermerk: H . Katterfeld. 14.11. 50.

Vorbemerkung Für den Fall, daß die Kirchenkonferenz zu keinem Ergebnis kommt, ist es geraten, daß die Bischofskonferenz der Vereinigten Luth/mschen] Kirche sich diese oder eine ähnliche Stellungnahme zu eigen macht und dem Rat der Evanglelischen] Kirche i[n] D[eutschland] übergibt. Aus diesem Grunde wird die Bischofskonferenz jeweils in Klammern erwähnt. Die Kirchenkonferenz (Bischofskonferenz) hat sich eingehend mit den Vorgängen befaßt, die durch Äußerungen und Aktionen des Herrn Kirchenpräsidenten D. Niemöller und bestimmter Kreise der Bekennenden Kirche im Zusammenhang mit der Frage der Beteiligung Westdeutschlands an einer Verteidigung West-Europas ausgelöst worden sind. Die Kirchenkonferenz (Bischofskonferenz) erklärt dazu folgendes, indem sie sich zugleich an den Rat der Evang. Kirche i. D. wendet: 1. Die Kirche hat den Auftrag der Verkündigung von Gesetz und Evangelium. In Erfüllung dieses Auftrages hat sie audi Recht und Pflicht, der Obrigkeit ein mahnendes, warnendes oder wegweisendes Wort zu sagen. 2. Es kann und darf jedoch nicht Aufgabe der Kirche und ihrer Leitung sein, der Obrigkeit politische Weisungen zu erteilen, ihre Verantwortung vor Gott und für das Volk in Abrede zu stellen, ihr den Gehorsam aus politischen Gründen aufzusagen und selbst Politik zu treiben. 3. Dieses alles hat D. Niemöller durch seine Äußerungen in den

Η. Katterfeld. 14. Nov. 1950. - Lutherisdies Kirdienamt. 27. Nov. 1951

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letzten Wochen wiederholt getan und damit den eigentlichen Auftrag der Kirche verleugnet. 4. Es wird ausdrücklich betont, daß die evangelische Kirche Gott für den treuen Zeugen Martin Niemöller in der Zeit des Dritten Reiches dankbar ist und bleibt und daß sie vor seiner persönlichen Überzeugung als Mann und Christ Achtung hat. Es wird aber zugleich ausgesprochen, daß das Verhalten Niemöllers mit seinen hohen kirchlichen Ämtern unvereinbar ist. Die Kirche vertritt im Osten wie im Westen Deutschlands die Überzeugung, daß alle ihre Pastoren und damit auch ihre führenden Männer sich von der einseitigen politischen Stellungnahme fernhalten sollen. 5. Die Kirchenkonferenz (Bischofskonferenz) bittet daher den Rat der Evang. Kirche i. D. zu beschließen, die Ämter D. Niemöllers als Mitglied des Rates und als Leiter des Kirchlichen Außenamtes vorläufig ruhen zu lassen. 6. Die Mitglieder der Kirchenkonferenz (Bischofskonferenz) bitten Martin Niemöller als ihren Bruder, sich zu entscheiden, ob er weiterhin seine kirchlichen Ämter kirchlich führen oder einen Weg beschreiten will, der auf einer anderen Ebene liegt. Sie bitten ihn zu sehen, daß beides zugleich um der Kirche und um der Welt willen nicht möglich ist. Die Kirche ist das Wort vom Kreuz allen schuldig, die es begehren und denen Gott es durch sie sagen lassen will. Sie darf dieser Verkündigung - das war die Erkenntnis des Kirchenkampfes - nicht durch Festlegung auf eine bestimmte politische Haltung gleich in welcher Frage im Wege stehen. Dokument 5 Schreiben des Lutherischen Kirchenamtes der VELKD an das Sekretariat des Leitenden Bischofs der VELKD in München Hannover-Herrenhausen

1951 November

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AVELKD, 753. - Entwurf.

Betreff: Entwurf einer Bischofserklärung zur sogenannten Friedenserklärung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland von Weißensee. Der Theologische Ausschuß der Vereinigten Kirche hatte in seiner letzten Sitzung vom 6. bis 8. Oktober d. Js. in Bückeburg beschlossen, die Bischofskonferenz der Vereinigten Kirche um eine öffentliche Erklärung zur Interpretation der obengenannten Weißensee'er Friedens-

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erklärung zu bitten. Im Auftrage des Theologischen Ausschusses legt Herr Professor D. Künneth den Entwurf einer solchen Erklärung vor (vergleiche kleines Protokoll der Bückeburger Sitzung Ziffer 6). Herr Rektor D. Merz bittet uns, dem Sekretariat des Herrn Leitenden Bischofs diesen Entwurf zur Behandlung anläßlich der nächsten Sitzung der Bischofskonferenz in Berlin in Abschrift zuzusenden. In Vertretung gez. Wilkens, Pastor Dokument 6 Walter Künneth: „Entwurf einer Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD zur,Friedenserklärung' von Weißensee" [Erlangen

1951

November]

AVELKD, 753. - Maschinenschriftliche Abschrift als Anlage zum Schreiben Luth. Kirchenamtes der VELKD an das Sekretariat des Leitenden Bischofs VELKD in München vom 27. November 1951.

des der

Mit Besorgnis mußten wir feststellen, daß der Beschluß der Berliner Synode da und dort immer wieder eine Auslegung erfahren hat, die geeignet ist, in der politischen Welt Verwirrung und in den Gemeinden Unsicherheit zu erwecken. Außerdem hat sich die weltpolitische Lage und damit die Situation unseres Volkes seit der Berliner Synode von 1950 wesentlich geändert. Der Konflikt von Korea sowie die politische Forderung eines deutschen Verteidigungsbeitrages in der Bundesrepublik machen es offenkundig, daß nach wie vor die Großmächte der Welt mit der Möglichkeit gewaltsamer Auseinandersetzung rechnen. In dieser ernsten Stunde ist die Evangelische Kirche in Deutschland gefragt, ob und inwieweit ihre „Friedenserklärung" von Weißensee Gültigkeit besitzt. Wir halten es daher für unsere Pflicht, gemäß dem Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche die Richtlinien herauszustellen, die sich aus dem rechten Verständnis der „Friedenserklärung" von Weißensee für unsere heutige Aufgabe ergeben: 1. Nach der Berliner „Friedensbotschaft" ist es grundlegende und erste Aufgabe der Kirche, der ruhelosen und bedrohten Menschheit den „Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft" zu verkünden. „Wohl steht es nicht in unserer Hand, die Sünde, den Krieg und den Tod von der Erde zu verbannen. Aber mitten in dieser Welt hat Gott s e i n e n Weg des Friedens erschlossen. Durch Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, hat er Frieden gemacht mit der Welt, Christus ist unser Friede". Dieser für alle Zeiten verheißene Christus-

W. Künneth: „Entwurf einer Erklärung der Bischofskonferenz". N o v . 1951

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friede darf mit den irdischen Friedensmöglichkeiten nicht verwechselt werden. 2. Die Kirche Jesu Christi macht allen Regierenden und Machthabern der Staaten und Völker die Verantwortung groß und dringlich, gewissenhaft zu prüfen, auf welche Weise der Weltfrieden erhalten werden kann, und alles zu versuchen, um einen kriegerischen Konflikt zu vermeiden. Es gilt daher alle Möglichkeiten auszuschöpfen, auch den äußeren Friedenszustand den Völkern zu erhalten. 3. Die „Friedenserklärung" redet ferner von der Möglichkeit einer „Kriegsdienstverweigerung" aus „Gewissensgründen". „Wir begrüßen es dankbar und voller Hoffnung, daß Regierungen durch ihre Verfassung denjenigen schützen, der um seines Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert. Wir bitten alle Regierungen der Welt, diesen Schutz zu gewähren. Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und der Fürbitte der Kirche gewiß sein". Diese Sätze wenden sich gegen die unheilvolle Vergewaltigung der Gewissen, wie sie in einem Totalstaat immer wieder in Erscheinung getreten ist. Gleichwohl darf dieses Urteil nicht dahin mißverstanden werden, als ob jede Verweigerung des Wehrdienstes sich auf das Gewissen berufen dürfte oder als ob es in jedem Falle christliche Pflicht sei, sich einer solchen staatlichen Forderung zu entziehen oder solche Bestrebungen in jedem Falle von sich aus zu fördern. Es ist umgekehrt eine ernste seelsorgerliche Verantwortung, den Gewissen zu helfen, zu einer Entscheidung zu gelangen, welche nicht durch egoistische Motive bestimmt ist und die nicht im Dienste politischer Ziele oder Ideologien steht. Sicher ist, daß nach dem Zeugnis unseres Bekenntnisses (Augustana 16) die Verweigerung des Waffen- und Kriegsdienstes aus echter Gewissensentscheidung nur einen Ausnahmefall darstellt und der Stand „rechtmäßiger" Waffenträger eines Staates nicht mißachtet, sondern als eine Pflicht aufgefaßt wird, der sich ein Christ unterziehen kann und darf. „Fürsprache und Fürbitte" der Kirche vermögen nur dem angefochtenen Gewissen zu gelten. 4. So sehr es dem Auftrag der Kirche zuwiderlaufen würde, eine politische Stellungnahme zu vollziehen, politische Tagesparolen auszugeben und politische Maßnahmen und Entscheidungen zu beurteilen, so ist es doch ihr priesterlicher Dienst, im Gebet für den Frieden der Völker einzutreten und fürbittend der Männer zu gedenken, welche notvolle politische Entscheidungen zu vollziehen haben. In diesem Verständnis besitzt die „Friedenskundgebung" der Berliner Synode auch in der gegenwärtigen Lage verbindliche Gültigkeit und vermag den Gemeinden auch heute noch zur Klärung und zur Richtschnur zu dienen.

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Dokument 7 Schreiben Dr. Eberhard Müllers an Bischof D. Dibelius, BerlinDahlem Bad Boll 1951 November AKK Hannover, Durchschlag.

34i. - Handschriftlich

unterzeichneter

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maschinenschriftlicher

Hochverehrter Herr Bischof! Pfarrer Linz, der Leiter des Presseamtes der Evangelischen Kirche im Rheinland und Herausgeber eines in der ganzen EKD bekannten Pressedienstes, schrieb mir in einem Brief am 27.11. 51 u. a. das Folgende: „Was mich bei der ganzen Sache bekümmert ist die Tatsache, daß die in Weißensee nach tage- und nächtelanger Beratung gewonnene und dann einstimmig gezogene Linie, daß wir einer Aufrüstung nicht das Wort reden können - zu der sich ja auch der Rat der EKD in seiner Sitzung in Tutzing erneut bekannt hat wieder und wieder gebrochen und daß dadurch die Haltung der EKD vor der Öffentlichkeit deklamatorisch und unglaubwürdig wird. Und das zweite, was mir immer wieder Not macht, ist dies, daß ich mich nicht davon überzeugen kann, daß bei den Amerikanern und bei Rom, das ja mit Amerika einen Kurs steuert, der Wille zum Frieden die einzig treibende Kraft ist. Ich bin vielmehr überzeugt, daß nicht nur die innere Gesetzmäßigkeit und Mächtigkeit der Wiederaufrüstungspolitik zum Kriege führt, sondern daß es auch Leute genug gibt, die diesen Krieg, von dem sie sich die Ausrottung des Bolschewismus versprechen, wollen. Sie alle aber tarnen sich mit der feierlichen Beteuerung des Friedenswillens. Das ist aber eine ganz andere Politik als die: ,Gläubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!', die wahrhaftig nicht blind ist für politische Gegebenheiten, die aber die Sicherungen nicht da sucht, wo sie η i c h t zu finden sind." Daraus geht hervor, daß einer der maßgeblichsten evangelischen Publizisten in Deutschland - und mit ihm höchstwahrscheinlich große Teile der Kirche - der Überzeugung sind, daß der Rat in seiner Tutzinger Entschließung beabsichtigte, gegen die Adenauerschen Pläne der Wiederbewaffnung Einspruch zu erheben. Wenn sogar der maßgebliche Publizist der westdeutschen Kirche die Essener Warnung des Rats vor der Wiederbewaffnung mit dem Weißenseer Beschluß der Synode verwechselt, dann ist sicher, daß die Befürchtungen der Akademieleiter, die wir in unserem letzten Brief Ihnen, hochverehrter Herr Bischof, gegenüber ausgeführt haben, im vollen Umfang bestätigt sind. Diese Befürchtungen gehen dahin, daß der Rat, als er in Tutzing den

Ε. Müller an Bisdiof Dibelius. 30. November 1951

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Antrag des Bruderrats positiv aufnahm, sich nicht in vollem Umfang darüber klar gewesen ist, was die Antragsteller mit dem Antrag beabsichtigten und was insbesondere die Wirkung eines entsprechenden Ratsbeschlusses sein würde. Die Mitglieder des Rats waren beeindruckt durch die maßvolle Art und Weise, in der der Antrag des Bruderrates eingebracht und begründet wurde, und verfielen dadurch einem Mißverständnis über die Absichten und die Wirkung dieses Antrags. Tatsächlich war die Absicht dieses Antrags, eine neue kirdilidie Aktion gegen die WiederbewafFnung in Gang zu setzen. Es sollte hier eine vorbereitende kirchliche Unterstützung für jene Aktion gemacht werden, die, wie wir bei unserer Akademieleiterkonferenz bereits vorausgesagt haben, inzwischen von Dr. Heinemann und Frau Wessel gestartet worden ist. Die Tutzinger Ratsentschließung sollte diejenigen Pfarrer, die politisch auf der Seite Heinemanns stehen, ermutigen und berechtigen, die Heinemannschen Gedanken zum Gegenstand einer kirchlichen Belehrung zumachen. Zum mindesten ist im ganzen Rheinland jetzt die Überzeugung vorhanden, daß der Rat von neuem in der Kirche aufgerufen hat, gegen die Wiederbewaffnung Stellung zu nehmen. Die Verwirrung, die hier in der Kirche entstanden ist, kann nur dadurch behoben werden, daß der Rat eindeutig zum Ausdruck bringt, daß Derartiges nicht beabsichtigt ist. Sollte der Rat aus seinen inneren Spannungen heraus sich nicht dazu entschließen, dies offen zum Ausdruck zu bringen, so würde er nach meiner Meinung eine ernste innere Gefährdung der Kirche heraufziehen lassen, ohne sein Wächteramt wahrzunehmen. Er würde es erlauben, daß eine rein politische Ermessensfrage zum Gegenstand kirchlicher Verkündigung gemacht wird und außerdem die kirchlichen Kreise gegen die Politik der Regierung mobilisiert werden, ohne daß dafür irgendein sittlich berechtigter Grund vorhanden ist. Ich bitte Sie, hochverehrter Herr Bischof, meine Besorgnis zu verstehen, die keineswegs in erster Linie darin begründet ist, daß ich politisch in mancher Hinsicht mich von den Heinemannschen Gedanken unterscheide. Ich erwarte vom Rat in keiner Weise eine kirchliche Bestätigung der Adenauerschen Politik. Ich glaube aber erwarten zu dürfen, daß der Rat klar und eindeutig den Mißdeutungen widerspricht, als beabsichtigten seine Erklärungen, die politischen Maßnahmen der Regierung zu durchkreuzen oder gar eine Widerstandsbewegung gegen von der Regierung geplante Maßnahmen in Gang zu bringen. Mit dem Ausdruck meiner aufrichtigen Verehrung grüßt Sie Ihr Ihnen sehr ergebener Dr. Müller

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Im Durchschlag gleichzeitig an Landesbischof Dr. Lilje, D. Meiser und Prälat Dr. Hartenstein, sowie an die kirchlichen Teilnehmer des Gesprächs in Königswinter.

Dokument 8 „Vermerk über die Besprechung der gesamtkirdilidien Situation der Evangelischen Kirche in Deutschland anläßlidi der Sitzung der Kirchenleitung der Vereinigten Kirche am 23. Januar 1952 in HannoverHerrenhausen" [Hannover-Herrenhausen AVELKD, 224/11. - Maschinenschriftlicher zeichnung Wilkens'.

1952 Januar

Durchschlag mit handschriftlicher

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Unter-

1. Der Leitende Bischof D. Meiser weist hin auf die akute Gefährdung der Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland und des kirchlichen Auftrages durch den Plan D. Niemöllers, anläßlich der Einbringung eines Wehrgesetzes an den Bundestag die Einberufung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zu erzwingen. 2. Nach dem Bericht Präsident D. Brunottes 1 beurteilt der Ratsvorsitzende D. Dibelius die gewagten politischen Behauptungen D. Niemöllers in der Öffentlichkeit sowie dessen unbrüderliches Vorgehen in Sachen der Synode als besonders schwerwiegend. D. Brunotte ist der Meinung, daß alle Erwägungen, auf irgendeine Weise das Zustandekommen der Synode zu verhindern, der verfassungsrechtlichen Lage sowie dem Ernst der Situation nicht gerecht werden. Wir sollten eine gute Erklärung dazu erarbeiten, was eine christliche Synode von lutherischer Sicht her in der gegenwärtigen politischen Situation sagen könnte und müßte. Diese Erklärung könnte vorweg veröffentlicht oder besser noch für die Synode bereit gehalten werden. 3. Landesbischof D. Lilje spricht von der entscheidenden Stunde der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Frage nach ihrer Einheit ist jetzt gestellt. D. Lilje rät, der Synode unter gar keinen Umständen zu widerstehen, sondern ihre Einberufung zu akzeptieren. Es gelte, von unserer Seite die möglicherweise kommende Synode in streng geistlicher und sachlicher Haltung vorzubereiten und sie dann auch entsprechend zu beeinflussen. 1 Heinz Brunotte, geb. 11. 6. 1896 in Hannover, 1927-1936 Pastor in Hoyershausen, 1936-1946 Oherkonsistorialrat in der Kirchenkanzlei der DEK bzw. EKD, 1946-1949 Oberlandeskirchenrat in Hannover, 1939-1965 Präsident der Kirchenkanzlei der EKD, bis 31. 5. 1963 zugleich auch des Luth. Kirchenamtes der VELKD in Hannover.

Besprechung der gesamtkirchlichen Situation. 23. Januar 1952

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Drei Punkte sind nach dem Urteil D. Liljes besonders klarzustellen: 1. Die unbrüderliche Haltung des Niemöller-Kreises und das leichtfertige Spiel mit der Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland. 2. Die rücksichtslose Geltendmachung eines subjektiven politischen Standpunktes, so daß alle anderen als Befürworter der Aufrüstung gelten. 3. Belastung des Ansehens der Kirche durch falsche Behauptungen. Wie wolle Niemöller verantworten, daß er das, was er predigt, als Evangelium ausgibt. Von rechter Auferbauung der Gemeinde könne dabei nicht die Rede sein. Darum gelte es für uns, mit Ruhe und geistlicher Überlegenheit in die Synode hineinzugehen. D. Lilje zweifelt nicht daran, daß der Kreis um Niemöller einem entschlossenen Widerstand gegenüber ausweichen wird. Wenn nicht, so habe die Vereinigte Kirche die Aufgabe, dann die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland stellvertretend zu repräsentieren. 4. Die Aussichten, auf der Synode rein mehrheitsmäßig Niemöller zu überwinden, wurden im allgemeinen jedoch im Gegensatz zu der Zuversicht D. Liljes nicht so positiv beurteilt. Als besonderer Unsicherheitsfaktor gilt das Verhalten der Synodalen aus der DDR. Hier könnte die besondere seelische Belastung die Freiheit der Entscheidung behindern. 5. Oberkirchenrat D. Herntrich 2 hält es für notwendig, daß wir in diesem Augenblick ein positives Wort zur Frage der Obrigkeit und des Gehorsams ihr gegenüber finden. Im ganzen beurteilt er die Lage der lutherischen Kirche in Deutschland im Blick auf die Synode keineswegs optimistisch. Unsere Position sei in den vergangenen Jahren einer fortwährenden Schwächung unterworfen. Es müsse hier einmal zur endgültigen Entscheidung kommen, auch wenn die Vereinigte Kirche unterliege. 6. Landesbischof D. Meiser faßt das Gespräch folgendermaßen zusammen: a. An der Einberufung der Synode sollte von uns nichts geändert werden. b. Wir sollten nicht versuchen, an der Tagesordnung der Synode zu ändern. Hier gebühre die Verantwortung voll dem Kreis um Niemöller. 2 Volkmar Herntrich, geb. 8. 12. 1908, tödlich verunglückt 14. 9. 1958, 1932 Pfr. und Universitätsdozent in Kiel, 1934-1939 Dozent an der Theologischen Schule Bethel, 1940-1942 Leiter des Burckhardthauses Berlin-Dahlem, 1942 Hauptpastor in Hamburg und Leiter der Alsterdorfer Anstalten, 1948 Oberkirchenrat, 1949 Prof. für Alttestamentliche Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Hamburg, 1956 Landesbischof von Hamburg.

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c. Vor der Synode müssen sich die Mitglieder der Kirchenleitung und der Bischofskonferenz der Vereinigten Kirche einer entschlossenen Haltung gegenseitig versichern. Ein Kompromiß ist unter keinen Umständen tragbar. d. Zum weiteren Vorgehen wurde der Beschluß gefaßt, wie er in der Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung enthalten ist. Wilkens

Dokument 9 „Mitteilung der Pressestelle des Lutherischen Kirchenamtes der VELKD zur Berichterstattung über die Behandlung des Staatsproblems in der Sitzung der Kirchenleitung der VELKD am 29. September 1953 in Tutzing" Hannover

1953 Oktober

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AVELKD, 7510. - Maschinenschriftliche Vervielfältigung.

Die Kirchenleitung der Vereinigten Lutherischen Kirche hat sich in ihrer Sitzung am 29. September ds. Js. in Tutzing mit der Frage der theologischen Sicht des Staatsproblems befaßt. Auf Grund einer unsachgemäßen, zusammenhanglosen und unklaren Berichterstattung in einem süddeutschen Pressedienst sind in einer Reihe von Tageszeitungen, namentlich im süddeutschen Raum, Nachrichten, Kommentare und Glossen erschienen, die nahezu völlig den hier vorliegen [den] Tatsachen widersprechen. Wir stellen zur Behandlung des Staatsproblems in der genannten Sitzung der Kirchenleitung folgendes fest: 1. Die Kirchenleitung hat in ihrer Tutzinger Sitzung über das Staatsproblem weder eine Aussprache geführt noch einen Beschluß gefaßt. Sie nahm lediglich den kurzen Bericht eines Referenten über eine kürzlich durchgeführte Arbeitstagung zu diesem Problem entgegen. 2. Diese Arbeitstagung wurde im September vom Lutherischen Kirchenamt in Verbindung mit dem Christophorus-Stift in Hemer im Rahmen des auch sonst weitergeführten Gespräches über die Thesen von Bischof Berggrav-Oslo zum Staatsproblem durchgeführt. Diese Arbeit hat noch zu keinem greifbaren Ergebnis geführt und wird weiter fortgeführt. 3. Bischof Berggrav kommt bekanntlich von seinem Begriff des Rechtsstaates her nicht nur zu der Forderung der Gehorsamsverweigerung des Christen gegenüber widergöttlichen Gesetzen und Anordnungen des Staates. Die Pflicht zu solcher Gehorsamsverweigerung ist

Pressestelle. 13. Okt. 1953. - W. Künneth: „Widerstand . . . ? " 16./17. Jan. 1954

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von lutherischer Seite nie in Frage gestellt worden und wird selbstverständlich auch heute von jedem lutherischen Theologen vertreten. Umstritten sind dagegen die pointierten Thesen von Bischof Berggrav hinsichtlidi einer prinzipiellen aktiven Widerstands- und Revolutionspflicht des Christen gegen den Staat des Unrechtes. 4. Zur Weiterführung des Gespräches bedarf es einer Klärung des Begriffs des Rechtsstaates. Die bisherige Arbeit hat gezeigt, daß dieser Begriff sowohl staatsrechtlich wie theologisch gesehen ein sehr vielschichtiger und audi vorbelasteter ist. Daher ist mit Ernst zu prüfen, ob er geeignet ist, theologisch hier weiterzuhelfen. Jedenfalls ist der Begriff des Rechtsstaates von Vorstellungen und Hoffnungen freizuhalten, als ob bestimmte Staatsformen und Einrichtungen den Zustand der gefallenen Welt überwinden könnten und eine zum Urständ zurückgeleitete Gesellschaftsordnung herstellen könnten. 5. Erst nach der erforderlichen Klärung des Begriffes des Rechtsstaates kann im Zusammenhang mit der von Berggrav neu veranlaßten Diskussion die Frage einer Revolutionspflicht weitergeführt werden. Mit dieser Spezialfrage hat sich die Arbeit in Hemer bisher noch nicht ausdrücklich befaßt. 6. Die lediglich als persönliche Information gedachte Mitteilung an den Vertreter des oben genannten Pressedienstes hielt sich im Rahmen der vorstehenden Punkte. Wir bedauern, daß eine unzureichende Weitergabe zu Kombinationen geführt hat, die vollends den Boden des Tatsächlichen verlassen. gez. Kirchenrat E. Wilkens

Dokument 10 Walter Künneth: „Widerstand gegen die Staatsgewalt?" Süddeutsche Zeitung 10. Jg. Nr. 12 vom 16.117. Januar 1954, Sp. 4. -

Druck1.

Wir können die Staatsprobleme heute nicht mit denselben Augen wie in den früheren Jahrzehnten betrachten. Wer die Totalität eines staatspolitischen Zwanges, die Sinnwidrigkeit absoluter Befehle, die einen Kadavergehorsam fordern, und das Grauen einer das Recht ins Unrecht verkehrenden Staatsdämonie erlebt hat, vermag nicht mehr naiv und unbeschwert über politische Dinge zu denken. 1 Abschrift dieses Artikels wurde von der Pressestelle des Luth. Kirchenamtes der VELKD mit Rundschreiben vom 22. Februar 1954, in dem auf weitere einschlägige Veröffentlichungen Künneths hingewiesen wurde, an die Mitglieder der Kirchenleitung und der Bischofskonferenz der VELKD und an die Kirchenleitungen der Gliedkirchen der VELKD versandt (AVELKD, 751).

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Es scheint nun freilich eine Eigenart des deutschen Menschen zu sein, sich beständig in radikalen Gegensätzen zu bewegen. So ist man geneigt, heute gerade den Akzent auf das zu legen, was einst übersehen wurde. Während früher das politische Pendel nach der Seite der Vergötzung der Staatsautorität und der Hörigkeit der Untertanen ausschlug, ist heute weithin umgekehrt die verächtliche Rede über alles, was die Regierenden tun, die pseudodemokratische Überheblichkeit, die jede Unter- und Uberordnung im Staatsgefüge nivellieren möchte, bis hin zur Ächtung jeder Autorität an der Tagesordnung. Aus solcher veränderten politischen Stimmung ergibt sich eine geradezu erschrekkende Verständnislosigkeit gegenüber dem Staat als einer elementaren Ordnungsmacht und das vorschnelle und allzubillige J a zu einem Widerstand gegenüber der Obrigkeit. Die christliche Kirche und ihre Theologie haben die Aufgabe, auch diese fundamentalen Fragen des politischen Ethos zu klären und zur Wiedergewinnung politischer Reife und Besonnenheit einen Beitrag zu leisten. Es ist nun allerdings tragisch, daß gerade über die staatspolitische Haltung der evangelisch-lutherischen Kirche viel Verwirrung und Mißdeutung im Umlauf ist. An dieser Vernebelung ist freilich auch eine so verdienstvolle Persönlichkeit wie der Schweizer Theologe Karl Barth nicht ganz unschuldig, der nicht müde wurde, der zentralen Lehre Luthers von den beiden Regimenten, von dem weltlichen Reich der Obrigkeiten und dem geistlichen Reich Gottes, den Vorwurf zu machen, sie würde die politische Sphäre einer gottlosen Verweltlichung preisgeben. Es ist jedoch ein erstaunlicher Irrtum, diese lutherische Lehre so zu verstehen, als handle es sich hier um eine Aufspaltung von Welt und Überwelt, von Weltreich und Gottesreich derart, daß dadurch eine Autonomie der politischen Ordnungen und damit eine selbstherrliche Willkür der Obrigkeit begründet und gerechtfertigt werden könnte. Im Gegensatz zu diesem verhängnisvollen Mißverständnis sind die Grundgedanken des staatspolitischen Ethos der evangelisch-lutherischen Kirche in folgendem zu suchen: Die Amtsleute Gottes Staatsordnung und Staatsautorität sind nicht in das Belieben der Menschen gestellt, nicht Produkt eines Zusammenschlusses der Menschen aus Zweckmäßigkeitsgründen, auch nicht die Funktion der politischen Willensbildung des Volkes, sondern zutiefst eine Stiftung Gottes. Die politische Autorität der Obrigkeit gründet demnach in einer göttlichen Anordnung, in einem „Mandat", das überirdische Dignität besitzt. Die Verpflichtung dieser „von Gott gesetzten" Obrigkeit besteht darin, die Menschheit durch Macht zu erhalten, die Welt vor dem

W. Künneth: „Widerstand . . . ? " 16./17. Jan. 1954

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„Ansturm des Chaos" durch Anwendung von Gewaltmitteln zu schützen. Obrigkeiten sind daher, wie Luther es oft ausspricht, Amtsleute Gottes, nicht eigenmächtige Herren, sondern sie haben im Namen Gottes einen stellvertretenden Dienst zum Wohl des anvertrauten Landes und Volkes zu vollziehen, sie stehen daher in unmittelbarer Verantwortung vor Gott. Wo immer, wie im Staate, sich Macht zusammenballt, droht ihr Mißbrauch. Gesichert gegen die Entartung der staatlichen Macht zu politischer Willkür ist eine Obrigkeit nur dann, wenn sie sich ihrer verantwortlichen Bindung an Gottes Autorität und ihrer Verpflichtung, der Erhaltung zu dienen, bewußt bleibt. Eine durch Machtmißbrauch entstellte Staatsautorität bedroht den Rechtscharakter der Staatsordnung und führt zu ihrer Auflösung und Zerstörung. Die entscheidende Frage ist aber nun die: Wie haben sich die Staatsbürger gegenüber der die staatliche Autorität repräsentierenden Obrigkeit zu verhalten? Im Normalfall handelt es sich um die Gehorsamspflicht, in der sich die Anerkennung der staatlichen Ordnung um der Autorität Gottes willen dokumentiert. Weil die Staatsgewalt überhaupt erst das geordnete und sinnvolle Zusammenleben der Menschen ermöglicht und durch ihren auf Macht beruhenden Rechtsschutz garantiert, gebührt dieser Obrigkeit in ihrem erhaltenden Amtsvollzug höchste Ehre, Dankbarkeit, ja sogar die Fürbitte der Christen, da sie besser als die Nichtchristen um die eigentliche gottgewollte Bedeutung der Staatsordnung wissen. So ist für Christen nicht bloß eine politische Indifferenz ausgeschlossen, sondern ihre im Gottesglauben fundierte staatspolitische Loyalität wird zur wertvollsten Stütze einer sich ihrer Verantwortung bewußten Obrigkeit. Also wird nun doch von dem Christen eine kompromißlose Staatshörigkeit gefordert? Das ist keineswegs der Fall, denn es kann weder einen unbedingten Gehorsamsanspruch der Obrigkeit, noch eine unbedingte Gehorsamspflicht der Staatsbürger geben. Unbedingte Bindung gibt es nur gegenüber der Autorität Gottes, und diese allein vermag einen bedingungslosen Gehorsam zu verlangen. Dem entspricht es auch, daß die mit Recht von einer Obrigkeit geforderte Eidespflicht eine durch Gottes Autorität begrenzte Verpflichtung darstellt. Die Eidesleistung des Beamten oder Soldaten ist kein Freibrief für willkürliche Befehle einer Obrigkeit, unter Berufung auf die Eidespflicht einen schrankenlosen Gehorsam zu erzwingen. In diesem Mißbrauch des Eides war eine der verbrecherischen Entwicklungen des vergangenen Systems begründet. Der Eid, der sinnvoller Weise immer nur im Angesicht Gottes, mit oder ohne religiöse Eidesformel geleistet wird, hat sowohl in bezug auf den Eidgeber als auch auf den Eidnehmer

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seine notwendige Schranke an Gottes Gebot. Wo immer eine irdische Macht diese Grenzen überschreitet und damit die Verantwortung vor Gott negiert, wird sie selbst dämonisiert. Die Verweigerung des Gehorsams wird hier ethisch christliche Pflicht. Wenn eine Staatsordnung derartige Zeichen des Verfalls offenbart, daß tyrannische Willkür systematisch das Recht beugt und eine allgemeine Rechtsunsicherheit bewirkt, daß durch Degradierung des Menschen zur Sache seine Personwürde verletzt und die grundlegenden Lebensordnungen von Ehe und Familie bedroht werden, ist anstelle der Erhaltungsordnung Gottes eine dämonische Unordnung getreten. Dieser damit gegebene staatspolitische Notzustand läßt die ethische Frage nach dem Recht oder sogar die Pflicht eines aktiven Widerstandes zur Beseitigung der Tyrannis und der Wiederaufrichtung gerechter Ordnungen akut werden. Diese allgemeine Erkenntnis ist aber keineswegs von einer tiefgreifenden Problematik befreit. Die geschichtliche Situation eines politischen Notstandes ist nicht eindeutig, sondern liegt im Zwielicht mannigfacher Ermessensurteile. Wo läuft die Grenze zwischen „Rechtsstaat" und „Unrechtsstaat", zwischen Obrigkeit und Tyrannis? Die letzte Entscheidung Angesichts solcher Fragwürdigkeit gilt auf jeden Fall der Grundsatz, daß nicht jeder Staatsbürger dazu berufen ist, zu aktivem Widerstand zu schreiten, sondern daß diese gewissenhafte Erwägung und ihre Realisierung nur solchen Persönlichkeiten zukommen kann, denen eine außergewöhnliche Verantwortung im politischen Leben eignet. Entsprechend ihrer besonderen sachlich begründeten Vollmacht sind diese Persönlichkeiten allein in der Lage, die Frage zu entscheiden, ob, wann und wie ein gewaltsamer Widerstand möglich und zu verwirklichen ist. Gemäß einer abgestuften stellvertretenden Verantwortung im Staatsganzen vermögen nur wenig Berufene die Entscheidung für oder gegen einen Widerstand als Ultima ratio, als letzten Ausweg, zu treffen. Jeder gewaltsame Widerstand führt, auch dort, wo er sittlich berechtigt erscheint, in eine äußerste Gefahrenzone, in der auch noch vorhandene Ordnungsreste zerstört und die Staatsautorität in Frage gestellt wird. Daher ist ein solches politisches Unternehmen letztlich nicht ethisch zu rechtfertigen und zu moralisieren, sondern nur als Wagnis in verantwortlicher Entscheidung vor Gott zu vollziehen. /Anmerkung der Redaktion] Mit dem folgenden Artikel wird eine Auseinandersetzung wieder aufgenommen, die schon einige Zeit zurückliegt, bei unseren Lesern

Rundsdireiben des Kreisdekans in München. Februar 1955

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aber damals leidenschaftlidie Teilnahme erweckte: die Auseinandersetzung über Gehorsamspflicht und Widerstandsrecht im Verhältnis des Christen zum Staat. Wir glauben, daß der Beitrag von Prof. Künneth den Standpunkt der evangelischen Landeskirchen in dieser Frage erschöpfend wiedergibt, gleichzeitig aber der Auffassung des Bischofs Berggrav - es müsse einer ungerechten Obrigkeit gegenüber ein Widerstandsrecht und eine Widerstandspflicht geben - Gerechtigkeit widerfahren läßt. Allerdings scheint uns an einer Stelle ein Widerspruch zu klaffen, auf den wir unsere Leser hinweisen müssen: wenn der Verfasser überhaupt zugibt, daß das Gewissen eine Instanz ist, an der die Gehorsamspflicht ihre Grenze findet, so kann er u. E. dieses Zugeständnis nicht nur auf solche Persönlichkeiten beschränken, „denen eine außergewöhnliche Verantwortung im politischen Leben eignet". Eine solche Unterscheidung zwischen Verantwortung erster und zweiter Ordnung ist in dieser Frage, deren Aktualität so eklatant gegeben war und eines Tages wieder gegeben sein könnte, wohl kaum zu rechtfertigen, da sie die geforderte Gewissensentscheidung wieder aufheben würde. Dokument 11 Rundschreiben des Evang.-Luth. Kreisdekans in München an die Dekane, Pfarrer und Vikare des Kirchenkreises München München 1955 Februar AKK Hannover,

34}. - Vervielfältigte

Abschrift.

Liebe Brüder! Beiliegend übersende ich Ihnen einige Gedanken zur Frage der Wiederaufrüstung. Zwei Gründe sind es, die mich veranlaßt haben, dieses zu tun: 1. Die Auseinandersetzung über die Frage der Wiederaufrüstung hat Formen angenommen, die nicht nur für unser Volk, sondern auch für die Kirchen Westdeutschlands in steigendem Maße die Gefahr einer nicht mehr zu überbrückenden Spaltung in sich bergen. 2. Ratlosigkeit, Irreführung und Gewissensnot sind auch in den Gemeinden unserer Landeskirche im Wachsen begriffen und stellen uns Pfarrer unausweichlich vor die Pflicht der seelsorgerlichen Beratung und Hilfe. In den beiliegenden Ausführungen habe ich versucht, Gedanken, die mich in der Frage der Wiederaufrüstung, seitdem sie von der Politik auf die Tagesordnung gesetzt wurde, bewegen, zum Ausdruck zu bringen. Diese Frage war auch Gegenstand eines eingehenden und frucht-

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baren Gespräches auf der letzten Dekanskonferenz des Kirchenkreises München. Vieles von dem, was dort gesagt wurde - die Teilnehmer werden es merken —, ist von mir mitverarbeitet worden. Das bedeutet aber nicht, daß ich nicht die Alleinverantwortung für das Gesagte tragen würde. I. In der gegenwärtig zur Entscheidung stehenden Frage der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen der Pariser Verträge haben wir kein mandatum dei, das aus Schrift und Bekenntnis geschöpft werden könnte. Es geht vielmehr um eine Entscheidung, die nur auf Grund unserer Einsicht in die politische Lage und unter sorgfältiger Prüfung unseres Gewissens gefällt werden kann, und d. h. um eine Entscheidung, die an der Relativität und an dem Risiko aller menschlichen Entscheidungen Anteil hat. Daraus folgt, daß im Raum der Kirche sowohl für das Pro wie für das Contra Platz ist und daß, wie immer diese Entscheidung vom einzelnen gefällt wird, durch sie die Einheit von Kirche und Gemeinde nicht gefährdet und die Bruderschaft nicht zerrissen werden darf. Diese Gefährdung der Einheit tritt überall dort ein, wo neben dem Worte Gottes für ein anderes, in diesem Fall für eine bestimmte Deutung der geschichtlichen und politischen Situation, eine für alle verbindliche Letztgültigkeit in Anspruch genommen wird. Die Folge ist, daß die eine politische Entscheidung dann die Würde der Orthodoxie und die andere den Stempel der Häresie bekommt und eine gegenseitige Verketzerung Platz greift. Es muß deutlich werden, daß aus Sätzen wie den folgenden: „Gott hat uns zweimal die Waffen aus der Hand geschlagen, also dürfen wir sie nicht zum drittenmal ergreifen", oder: „Die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik macht eine Wiedervereinigung unmöglich", ebenso wenig eine für den Christen Verbindlichkeit beanspruchende Glaubensentscheidung abgeleitet werden darf, wie aus einer für notwendig erachteten Erhaltung des „christlichen Abendlandes" oder Bewahrung demokratischer Freiheiten. Dieser Anspruch wirkt kirchenspaltend. Darum haben wir diesen Anspruch, von welcher Seite er immer erhoben wird, mit aller Klarheit und Entschiedenheit unter Berufung auf das Wort Gottes zurückzuweisen, und uns dafür einzusetzen, daß die Freiheit einer politischen Entscheidung in der Kirche gewahrt bleibt. Ich bin mir bewußt, daß meine Ausführungen subjektiv sind und audi schon darum anfechtbar sein können. Aber ich glaubte, daß für mich der Augenblick gekommen ist, einem unter Umständen ungesicherten Reden den Vorzug vor einem längeren Schweigen geben zu sollen. Ich möchte für Kritik offen und dankbar sein.

Rundschreiben des Kreisdekans in Mündien. Februar 1955

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Gott helfe uns allen in einer auch für unsere Gemeinden ernsten Stunde zur rechten Klarheit zu kommen und das rechte Wort zu finden! Es grüßt Sie in amtsbrüderlicher Verbundenheit Ihr Kreisdekan gez.: A. Schabert II. [Anlage] Die bedenkliche Direktheit, mit der für politische Entscheidungen der Wille Gottes in Anspruch genommen wird, ist uns ein Zeichen, daß die Unterscheidung der beiden Regimente Gottes nicht ernst genommen wird. Was der römischen Kirche einerseits auf Grund ihres Kirchenbegriffes und dem Calvinismus andererseits auf Grund seiner Aristokratischen Sozialethik möglich ist, nämlich die direkte Einflußnahme auf Entscheidungen im politischen Raum, ist uns verwehrt durch die in unseren Bekenntnisschriften verankerte Lehre von den zwei Reichen. Wir wollen die Warnung vor dem dualistischen und autonomistischen Mißverständnis dieser Lehre ernstlich hören, uns aber durch die möglichen Mißdeutungen an der Glaubenserkenntnis unserer Kirche nicht irre machen lassen, daß Gott in beiden Reichen auf zweierlei Weise sein Regiment ausübt. Daraus folgt: 1. Unabhängig von der Gewissensentscheidung des einzelnen in der Frage der Wiederaufrüstung ist das Recht der Obrigkeit, mit den ihr von Gott gegebenen Mitteln, die Bedrohung von innen und außen abzuwehren, ein legitimes Recht. Wo dieses Recht in Frage gestellt wird, da kann man am Einbruch des Chaos schuldig werden. Es soll nicht verhehlt werden, daß manche Äußerung, die in der Diskussion über die Pariser Verträge von Amtsträgern der Kirche getan wurden, geeignet erscheinen, die „gute Ordnung von Gott geschaffen und eingesetzt" zu erschüttern, weil sie als Aufruf zu Ungehorsam und Widerstand verstanden werden können. 2. Eine Vergöttlichung des Staates ist uns gewiß verboten und Gott hat es so gefügt, daß der Christenheit neben dem Staat von Rom. 13 der von Apk. 13 sehr deutlich in den letzten Jahren und Jahrzehnten in das Blickfeld gerückt ist. Aber stehen wir nicht jetzt bei uns im Westen - bei allen Fragen, die wir an den Staat zu richten haben! - in der Gefahr zu übersehen, daß Gott frei ist, uns auch eine Staatsgewalt zu schenken, deren Züge er uns durch Rom. 13 deutet? Der Staat muß nicht der Staat von Apk. 13 sein! Zu dem täglichen Brot, das wir mit Danksagung empfangen sollen, gehört audi „gut Regiment". Es muß gefragt werden, ob in der Debatte über die Pariser Verträge von uns die 4. Bitte noch ernst genommen wird. Muß Gott denn wirk-

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lieh sich des Staates als Geißel bedienen, um die 4. Bitte in seiner Christenheit zu Ehren zu bringen? 3. Die Obrigkeit übt den ihr von Gott erteilten Auftrag mit den ihr gegebenen Mitteln und auf Grund der ihr verliehenen Einsicht aus. Gottes Regiment zur Linken wird nicht nur dort angetastet, wo die Legitimität seiner Mittel in Frage gestellt wird, sondern auch dort, wo man so tut, als wären Einsichten in politische Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die den Amtsträgern gegeben sind, auch dem Herrn Omnes ohne weiteres zugänglich. Zur Respektierung des Regiments zur Linken gehört auch die Bescheidenheit, mehr Bescheidenheit, als sie oftmals in dem Kampf um die Wiederaufrüstung an den Tag gelegt worden ist. Es ist nun einmal nicht jedermanns Ding, darüber zu entscheiden, ob und in welchem Maße, ζ. B. bei den heutigen Atomwaffen der Schutz deutschen Landes noch möglich oder nicht möglich ist, oder ob ein aufgerüstetes Westdeutschland einer Vereinigung unseres zerrissenen Vaterlandes förderlich oder hinderlich ist. Es ist von daher doch sehr zweifelhaft, ob ein T h e o l o g e wirklich die Verantwortung tragen kann für die Gleichung: J a zu den Pariser Verträgen - Nein zur Wiedervereinigung Deutschlands. Aus all dem Angeführten ergibt sich: wir haben bei aller notwendigen Respektierung der Gewissensentscheidung des einzelnen davor zu warnen, daß die beiden Reiche vermischt werden und uns dafür einzusetzen, daß audi das Reich zur Linken erkannt und bedankt wird als eine gute Ordnung Gottes, in der die Obrigkeit mit den ihr gegebenen Mitteln und auf Grund der ihr verliehenen Einsichten im Auftrage Gottes legitim zu walten hat.

III. Aus zwei Gründen kann ein Versuch der Klärung der Wiederaufrüstungsfrage am Problem des Bolschewismus nicht vorbeigehen: a. durch eine verharmlosende Beurteilung des Bolschewismus, die von einer ferngelenkten Propaganda in ihrer Wirkung nodi wesentlich verstärkt wird, kommt der Ernst der vorliegenden Entscheidung nicht zur Geltung, b. in der geforderten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus mit n u r geistigen Mitteln tritt die Vermengung der beiden Reiche in besonders deutlicher Weise in Erscheinung. Es sei ausdrücklich bemerkt, daß durch den hier gemachten Versuch einer Beurteilung des Bolschewismus nicht doch noch die „weltgeschichtliche Stunde" oder „die Situation" mit einem für alle Christen verbindlichen Anspruch eingeführt wird. Diese Beurteilung kann sich vielmehr auf nichts anderes als auf eine beschränkte Einsicht berufen,

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kann aber um des Gewissens willen im vorliegenden Zusammenhang nicht unterlassen werden. 1. Der Bolschewismus ist ein System, in dem eine Lehre, die den Anspruch auf absolute Wahrheit und unbedingte Norm für das gesamte Leben und Handeln des Menschen erhebt, eine Verbindung eingegangen ist mit der uneingeschränkten Macht des Staates. Beide stützen sich gegenseitig: die Lehre rechtfertigt die Macht, und die Macht sorgt für die Anerkennung der Lehre. Dabei ist es nicht belanglos, daß die zum System gehörende Lehre nicht unabhängig vom Christentum, sondern in einer Antithese zu diesem entstanden ist. Als eschatologische Botschaft versteht sich diese Lehre als Proklamation einer unabwendbar kommenden neuen Weltordnung, in der grundsätzlich für das Christentum kein Platz ist. Die Macht hat dabei den Auftrag, über dieser Entwicklung zu wachen, sie vor Rückschlägen zu bewahren und der sich in unaufhaltsamer Auflösung befindlichen nichtbolschewistischen Ordnung zu gegebener Zeit soz[usagenj den Gnadenstoß zu geben. Von da aus ergibt sich eine Umwertung aller Werte. Alles, was dieser Entwicklung, d. h. der Auflösung der einen und dem Fortschritt der anderen Ordnung dient, ist gerechtfertigt und alles, was sie hemmt oder aufhält, ist zu verurteilen. Die Folge dieser Orientierung der Werte vom Ziele her ist wiederum, daß die gleichen Worte und Begriffe einen völlig verschiedenen Inhalt bekommen, je nachdem man sie von der bestehenden oder von der heraufkommenden Ordnung her versteht. Mit den Begriffen: Frieden, Freiheit, Demokratie, Vertrag, Ko-Existenz wird jenseits des eisernen Vorhanges etwas grundsätzlich anderes gemeint als diesseits. Das macht die bolschewistische Propaganda so wirksam, daß es ihr möglich ist, das Gleiche zu sagen und etwas total anderes zu meinen. Und das hat des weiteren zur Folge, daß die Meinung, man hätte es im Osten grundsätzlich im gleichen Sinne mit einem Verhandlungspartner zu tun wie im Westen, Norden oder Süden, irrig ist. Mit dem Partner im Osten verbindet uns nicht die für eine jede Partnerschaft notwendige Voraussetzung: ein Minimum der gleichen Begriffe und Normen. Von daher ergibt sich - schon aus diesem Verständnis des Systems - , daß es im politischen Raum dem Bolschewismus gegenüber keine andere wirksame Position gibt, als die der Macht. 2. Entscheidend ist die totale Einbeziehung des Menschen in diese Verbindung von Lehre und Macht. Der Mensch kann hier nicht anders verstanden werden als eine Funktion der objektiven (materiellen) Entwicklung. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, ihn zum rechten Verständnis der Welt und seiner selbst zu führen (Propaganda, Schulung, Materialistische Bekenntnisschulen), bzw. ihn zu zwingen und notfalls zu vernichten, wenn er sich widersetzt und damit die unauf-

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haltsame Entwicklung hemmt (Terror, Zwang, Liquidation). Auch jedem einzelnen Menschen gegenüber rechtfertigt die Lehre die Anwendung der Macht und sorgt die Macht für die Anerkennung der Lehre. Der Mensch hat keinen Eigenwert, sondern nur einen Wert im Dienst der Entwicklung, die auf sein ganzes Leben Anspruch hat und keinen Bereich des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens freigibt. Mit anderen Worten: der Mensch hat keine Existenz in der Verantwortung vor Gott, er ist nicht Mensch im Sinne der Bibel. Wir haben es im Bolschewismus mit einem System der Vernichtung des Menschen zu tun, dem gegenüber es grundsätzlich nur eine dreifache Wahl gibt: sich zerbrechen zu lassen, d. h. Gott abzusagen, sich zu tarnen, d. h. ein Doppelleben, ein ständig von der Lüge bedrohtes Leben zu führen oder das Leiden auf sich zu nehmen. Die Geschichte des Bolschewismus in den östlichen Ländern ist eine Geschichte dieser drei Möglichkeiten. 3. An diesem System hat sich nichts geändert und kann sich nichts ändern. Es entsteht aber der Eindruck der Variabilität und Elastizität dadurch, daß sich die Diagnose der jeweiligen Weltlage und damit die Taktik ändert. Man kann zu verschiedenen Zeiten verschiedener Meinung darüber sein, ob innerhalb (Bauernschaft!) oder außerhalb des eigenen Machtbereiches der Zerfall der vergehenden Ordnung soweit gediehen ist, daß der „Gnadenstoß" angezeigt ist oder ein weiteres Warten zweckmäßig erscheint. Darum können „Atempausen" eingelegt werden, nach außen durch Abschluß von Verträgen, im Innern kann ζ. B. der Kirche eine Atempause gewährt werden (meist an Bedingungen geknüpft, die von Rußlandreisenden übersehen werden) oder auch bestimmten Gesellschaftsklassen und Völkern (Satelliten). Diese Atempausen ändern aber nichts daran, daß die totale Herrschaft über die Welt und über jeden einzelnen Menschen ein integrierender Bestandteil, ja das Wesen dieses Systems ist, auf das es nicht verzichten kann, ohne sich selbst preiszugeben. Auch der Einwand, daß es den Machthabern im Kreml nicht mehr um die Ideologie, sondern nur noch um die Macht geht, ist nicht stichhaltig. Auch wenn dem so wäre: die Macht stützt sich auf die Ideologie, sie steht und fällt mit ihr. 4. Die Herrschaft dieses Systems im Osten, diese Gegenkirche ohne Gott, stellt die Gemeinden und jeden einzelnen Christen in der „freien Welt" unausweichlich vor die Frage, was es um unseren Glauben, unsere Liebe und unsere Hoffnung ist. Wir werden danach gefragt, ob das alles nur Beiwerk und sonntägliche Erscheinungsform unserer bürgerlichen oder bäuerlichen Existenz ist oder die Existenz selber ist. Der drüben proklamierte Satz: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein", gibt uns nicht Veranlassung, auf einen christlichidealistischen Primat des „Bewußtseins" zu pochen, sondern uns da-

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nach fragen zu lassen, ob wir noch das neutestamentliche Sein in Christo ernst nehmen. Es kann keine Frage sein, daß die Kirchen des Westens durch das Bestehen der Gegenkirche im Osten zur geistlichen Selbstbesinnung gerufen werden, und es kann einen nur mit Angst und Sorge erfüllen, daß dieser Ruf so wenig gehört und verstanden wird. Aber wir dürfen auch nicht übersehen, daß der Bolschewismus eine Verbindung von Geist und Macht ist. Und damit stehen wir vor der Frage, deren Ernst niemand erspart bleiben darf, ob wir es verantworten können dafür einzutreten, daß der Staat darauf verzichtet, mit den ihm zukommenden Mitteln die ihm anvertrauten Menschen vor der Bedrohung dieser Macht zu schützen. Jeder steht als Vater oder Sohn, Ehemann oder Bruder vor der Entscheidung, ob er es für Recht und Pflicht hält, die ihm anvertrauten Menschen mit den im Reiche zur Linken legitimen Mitteln vor einer Herrschaft zu schützen, die dem Menschen ein Leben vor Gott untersagt, ihn zerbricht, zur Lüge zwingt oder das Leiden auferlegt. Wo aber in Kenntnis dieser Lage zur Wiederaufrüstung trotzdem Nein gesagt wird, da muß gefordert werden, daß dieses Nein ebenso vernehmlich und unmißverständlich gegen die Vergewaltigung des Menschen im Osten gesprochen wird. Denn sonst kann es geschehen, daß man schuldig wird an der Irreführung der Menschen und daß man - schuldhaft - mißbraucht wird von einer ferngelenkten Propaganda. IV. Die Gewissensentscheidung in der Frage der Pariser Verträge kann niemand abgenommen werden, aber wir sind berufen, einander zu helfen, daß es zu einer echten Gewissensentscheidung kommt. Das heißt z . B . : Ein Nein, um den Lebensstandard nicht zu gefährden, wobei die Garantie dieses Lebensstandards andern überlassen wird, ist keine Gewissensentscheidung, sie ist es auch dann nicht, wenn sie sich eines sozialen Pathos bedient. Wer die Frage: „Wohnungen oder Kasernen?" stellt, muß wissen, daß in dieser Welt bisher immer noch Wohnungen nur gebaut werden konnten, weil die Kasernen nicht leer standen. Glaubt man, daß die Zeit gekommen ist, daß diese Ordnung aufgehoben werden muß, so gehört zur Echtheit einer solchen Entscheidung, daß man unmißverständlich ausspricht, daß nicht gemeint ist: die Wohnungen für die Deutschen.. ., die Kasernen aber für die Amerikaner. Die Konsequenzen des Verzichtes auf die Aufrüstung aus Gewissensgründen ist auch der Verzicht auf fremden Schutz. Das gleiche gilt, wenn man seine Gewissensentscheidung religiös begründet. Wenn es etwa in einem von 70 württembergischen Pfarrern unterschriebenen Wort zur Wiederaufrüstung heißt: „Gott hat mit Deutsch-

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land deutlich genug geredet; er hat unserem Volk auch, vielleicht zum letztenmal in seiner Geschichte, eine große Möglichkeit gegeben, nämlich auf dem Wege der so dringend notwendigen allgemeinen Abrüstung den andern einen Schritt vorauszugehen und ein Beispiel dafür zu geben, wie man durch soziale Gerechtigkeit, durch eine Politik des Ausgleichs, der Verständigung und des Vertrauens sich wirksamer schützt als durch alle Methoden des Mißtrauens, der Drohung und der Gewalt. Wir jedenfalls müssen es so sehen. Von unserer Erkenntnis der heutigen Lage und von unserem Verständnis des Evangeliums aus können wir nur b i t t e n . . . " (zitiert nach „Stimme der Gemeinde" 1954, S. 260 f.), so vermißt man in diesem Wort nur eines: die Forderung des sofortigen Abzuges der westlichen Besatzungsmächte! Es darf nun aber auch nicht übersehen werden, daß sich hinter der Ablehnung der Wiederaufrüstung oft eine wirkliche Gewissensnot verbirgt, die unter allen Umständen gehört werden muß und von einer audi noch so gut begründeten Theologie nicht überfahren werden darf. Das wache Gewissen hat Angst davor, schuldig zu werden. Das ist oft auch das letzte Motiv für das uns theologisch so bedenklich erscheinende Argumentieren aus der Situation heraus. Die Logik argumentiert: Gott hat uns zweimal die Waffen aus der Hand geschlagen, also dürfen wir sie nicht zum dritten Mal ergreifen - , in die Sprache des Gewissens übersetzt, könnte das aber heißen: wir haben auf uns Schuld gehäuft noch und noch, wir wollen nicht noch einmal schuldig werden. Sollte nach 1945 nicht doch mehr Buße getan worden sein, als wir wahrgenommen haben? Dem erschrockenen Gewissen gilt es in sehr behutsamer Weise die Frage vorzulegen, ob man nicht auch schuldig werden kann, wenn man die Bewaffnung ablehnt. Und dem erschrockenen Gewissen gegenüber muß man audi warten können. Und schließlich darf nicht übersehen werden, daß es audi ein JaSagen zur Wiederaufrüstung gibt, das allzu direkt ist. Und es könnte sein, daß dieses allzu direkte Ja in den kommenden Zeiten immer lauter seine Stimme erhebt. Es ist das Ja, bei dem alles befragt ist, das Gefühl, die Vernunft, vielleicht auch die Theologie, bei dem aber e i n e Instanz nicht gebührend zu Wort gekommen ist: das Gewissen! Wer zur Waffe greift, muß wissen, daß er in sehr, sehr tiefe Schuld fallen kann. Man braucht im Buch der Geschichte unseres Volkes und audi des eigenen Lebens nicht allzu weit zurückzublättern, um das sehr anschaulich werden zu lassen! Warnen wir nur beizeiten vor allzu direkten Kontakten zwischen dem Worte Gottes und patriotischer Gesinnung! Gott bewahre uns vor christlichem Waffenlärm! Wir sind gerufen, einander zu helfen, daß es bei der heute in unserem Volk und Kirche zur Diskussion stehenden Frage zu echten

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Gewissensentscheidungen kommt. Das heißt: es muß herausgestellt werden, daß eine Gewissensentscheidung immer die Bereitschaft zur Übernahme eines Wagnisses einschließt. Das heißt, daß das wache und ängstliche Gewissen geschont und nicht vergewaltigt, und das heißt, daß das sichere Gewissen gewarnt werden muß.

V. Es geht unseres Erachtens, wie oben ausgeführt, bei unserer Stellung zur Wiederaufrüstung um die Entscheidung, ob wir als Christen zum Schutz der uns anvertrauten Menschen mit den Mitteln, die Gott der Obrigkeit gegeben hat, Ja sagen können oder nicht. Mit dem biblischen Begriff des Nächsten bekommt die zur Entscheidung stehende Frage, die ihr gebührende Lebensnähe und Nüchternheit. Wir dürfen nicht die Hand dazu bieten, daß sich um diese Lebensnähe und Nüchternheit der Nebel von allerlei Mythologien breitet. Es gilt zu „entmythologisieren", jedenfalls nicht der Mythologisierung Vorschub zu leisten. Die zur Entscheidung stehende Frage wird mythologisiert ζ. B. durch die Einführung der Begriffe „Europa", „Christliches Abendland", „Demokratische Freiheit". Es darf aber auch nicht übersehen werden - so schmerzlich es für viele sein mag - , daß für weite Kreise unserer Jugend auch die Begriffe „Vaterland" und „Volk" Mythen geworden sind, mit denen sie nichts anzufangen wissen (vgl. Bericht über den Heidelberger Studententag). Wir haben kein Gebot, weder dem Aufkommen neuer mythischer Werte die Wege zu ebnen, noch erschütterte Werte zu stabilisieren. Nicht anders steht es auch mit der These des Primats der „Vereinigung von Ost und West in Frieden und Freiheit" vor der Wiederaufrüstung, auch wenn diese These ins Kirchenpolitische gewandt wird in dem Sinne, daß nur diese Wiedervereinigung den Protestantismus auf unserem Kontinent vor der tödlichen Umklammerung durch den Romanismus im Westen und den Bolschewismus im Osten retten könne. Wir wissen nicht, ob unsere Primate auch vor Gott Primate sind, und wir wissen auch nicht, ob und in welcher Weise Gott den Protestantismus auf unserem Kontinent retten will und wird. Es wäre audi zu fragen, mit welchem Recht auch in den offiziellen kirchlichen Kundgebungen die Frage der Wiedervereinigung und der Aufrüstung (in dieser Reihenfolge!) überhaupt miteinander verbunden werden. Schließlich gehört in diesen Zusammenhang die Ablehnung der Wiederaufrüstung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines „Bruderkrieges". In welchem Sinne wird hier das Wort „Bruder" gebraucht? Ist es aus dem Neuen Testament oder aus dem „Wilhelm Teil" („wir sind ein einig Volk von

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Brüdern") genommen? Ist biblisch gesehen ein „Bruderkrieg" eine größere Not und ein furchtbareres Geschehen als jeder Krieg? Mythen vermögen eine Zeitlang Leidenschaften wachzurufen und beachtliche Kräfte auszulösen, aber ihr Feuer verbrennt wieder und hinterläßt ausgebrannte Herzen. Die Kirche aber ist jedesmal noch unglaubwürdig geworden, so oft sie ihr Wort mit einem Mythus verbunden hatte. Wir wollen „entmythologisieren", jetzt in der Debatte um die Wiederaufrüstung, und vielleicht wird das noch nötiger sein, falls einmal erst die neue Wehrmacht steht und das Suchen nach ihrer ideologischen Grundlage beginnt. VI. Es bleibt noch die Frage, was wir Pfarrer angesichts der gegenwärtigen Situation zu tun haben. Dazu zum Schluß noch einige Hinweise. 1. Die Frage der Pariser Verträge gehört nicht in dem Sinne auf die Kanzel, daß wir in der Predigt dafür oder dagegen Stellung nehmen, womöglich noch mit dem Anspruch einer auch für die Gemeinde verbindlichen Stellungnahme. Nach dem oben Ausgeführten bedarf das keiner weiteren Begründung. 2. Das Folgende aber gehört heute in unsere Verkündigung und audi in die Sonntagspredigt: a. In der Gemeinde Jesu ist Raum für die verschiedenen gewissensmäßigen Entscheidungen audi in aktuellen politischen Fragen. Wer Gewissensfragen zu Glaubensfragen macht, zerreißt die Einheit der Gemeinde, und das ist Sünde! b. Wir sind aus den Ordnungen dieser Weltzeit noch nicht entlassen. Audi der Staat mit den ihm gegebenen Mitteln ist eine Notverordnung Gottes und hat seine Autorität von Gott. Es ist uns Christen nicht erlaubt, unseren Gewissensentscheidungen gegen die Maßnahmen des Staates in einer Weise Ausdruck zu geben, die seine Autorität untergräbt. c. Wir sind aus der Verantwortung für die uns anvertrauten Menschen und aus dem Opfer für sie niemals entlassen. Wo immer der Mensch Gottes Gewalt erleidet, haben wir uns in Wort und Tat vor ihn zu stellen. Jedes „ohne mich", das dieses nicht will, ist Sünde. d. Eine Gewissensentscheidung ist dann echt, wenn sie Gott allein die Sicherung des Lebens überläßt und die Bereitschaft zum Leiden einschließt. Wir haben in der Gemeinde Jesu einander den brüderlichen Dienst zu tun, daß wir einander nach der Echtheit unserer Entscheidung befragen, das zarte Gewissen schonen und das sichere wach rufen. e. Wo politische Leidenschaften entbrennen, da sind Mächte und

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Mythen am Werk. Wir haben darauf zu achten, daß diese von uns nicht Besitz ergreifen und wir in unserem Denken, Wollen und Handeln ihnen nicht Untertan werden.

Eine direkte Stellungnahme zu den Pariser Verträgen in der Predigt soll unterbleiben. Dagegen ist es - wie schon von maßgeblicher Seite hingewiesen - durchaus erwünscht, daß eine Klärung der Frage der Wiederaufrüstung auf Pfarrkonferenzen, in Männerabenden, Jugendkreisen und vor älteren Schulklassen in Angriff genommen wird. Es ist nicht richtig, daß das Schweigen die Gemeinschaft erhält und das Reden zu Spaltungen führt. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn in rechter Weise geredet wird. Eine Frage, die die Gemeinde in einem Ausmaße bewegt wie die vorliegende, kann nicht „hinter verschlossenen Türen" der Pfarrkonferenzen erledigt werden, um dann mit einer fertigen Antwort vor die Gemeindeglieder zu treten. Das offene Gespräch, bei dem alle Standpunkte in völliger Freiheit, aber auch in der Gebundenheit der Verantwortung vor Gott und für den Bruder zu Worte kommen, ist notwendig. Nicht zu Wort kommen darf die Parteipolitik! Das Gespräch soll der theologischen Grundlegung nicht aus dem Wege gehen und unter allen Umständen das Ziel der seelsorgerlichen Hilfe nicht aus dem Auge verlieren. Hinweise auf Literatur zu Vorbereitung fallen schwer. Zum Grundsätzlich-Theologischen wäre auf die Sozialethiken hinzuweisen, etwa „Künneth: Politik zwischen Dämon und Gott". Das Aktuelle muß aus Zeitungen, Kirchenblättern und Pressekorrespondenzen zusammengesucht werden. Ganz einseitig-polemisch, aber sehr instruktiv, auch im Blick auf die möglichen theologischen Irrwege ist „Die Stimme der Gemeinde".

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS I. U N V E R Ö F F E N T L I C H T E QUELLEN Zentralarchiv

der Ev. Kirche von Hessen und Nassau (LKA

DarmstadtJ.-

Bestand 36, Bruderrat der EKD 36/vorl. 5b

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36/vorl. 21a 3 6/vorl. 21b 36/vorl. 22a 36/vorl. 22b 36/vorl. 22c 36/vorl. 23a 36/vorl. 23b 36/vorl. 23c 36/vorl. 26 36/vorl. 37 36/vorl. 36/vorl. 36/vorl. 36/vorl.

46a 49b 57a 71a

36/vorl. 71b 36/vorl. 71c 36/vorl. 74b

Registratur der Kirchenkanzlei der EKD (AKK Nr. Nr. Nr. Nr.

045/11 046/Beih. 345/11 345/III

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VOGELSANG,

INDEX ABC-Waffen 190 Abendland 78, 96, 135 f., 199, 272 - vgl. auch Kultur Abendmahlsfrage/-gemeinschaft 37, 41, 44 Abrüstung 66, 196 - vgl. auch Entmilitarisierung Acheson, Dean, Außenminister 117 Adenauer, Konrad, Bundeskanzler 15, 53, 65 f., 70, 74 f., 118 ff., 121 ff., 124, 130 ff., 134, 138 f., 141, 142, 146, 148 ff., 156 ff., 159, 164 f., 167 ff., 184 f., 193 f., 199, 204, 212, 221, 227, 262 Akademie, evangelische 16, 25, 27, 56, 151, 164, 199, 201, 232 Albertz, Heinrich, Staatsminister 125, 131 Alleinvertretungsanspruch/-recht 190 Alliierte 20, 24, 48, 50 f., 54, 60, 66, 71, 81, 117, 119, 121 f., 200 - vgl. auch Besatzungsmächte; Großmächte; Hohe Kommissare; Kontrollrat Altes Testament 104, 107, 152 f., 226, 243 Amerika vgl. Militärregierung; USA; Westmächte Amsterdam - Weltkirchenkonferenz 74, 76, 83, 85, 89, 243 Amt 40, 143, 151, 154, 160, 229 f. Amt Blank 187 f. - vgl. auch Bundesrepublik Amt Christi 92 f. An die Gewehre? Nein! 131, 134 f., 142, 154, 165 Andersen, Wilhelm, Missionsinspektor 147 Antikommunismus 80, 82, 102, 123 f., 135, 188, 194, 196 - vgl. auch Kommunismus; Sowjetunion Apokalypse 106 f., 273 Arbeiterklasse, Arbeiterschaft 72, 93 Arbeitslosigkeit 234

Arndt, Adolf, MdB 81, 220, 238, 240, 243 f. Asmussen, Hans, Pfr. 21, 23, 36, 37, 39, 45, 51 Atheismus 97, 110, 235 Atombewaffnung/-rüstung 66 Atombombe 68 f., 245, 274 Atomdebatte 195 Auferstehung 61 Aufruf an die deutsche Jugend 2ur aktiven Wehrdienstverweigerung 170 Aufrüstung 66, 69, 100, 144 Außenministerkonferenz 68, 71, 120, 132, 156 Außenpolitik 49, 66, 67, 70, 117, 191 Bad Boll vgl. Akademie Bad Oeynhausen 30, 35, 37 - vgl. auch Bekenntnissynode Bachmann, Theodore, Kirchenhistoriker 245, 248 Bahnhofsmission 209 Barmen 39, 41, 45, 62 - Barmer Theologische Erklärung 37 - vgl. auch Bekenntnissynode Barmherzigkeit 61 Barth, Karl, Systematiker 23, 31, 34, 35, 38 f., 45 f., 60, 62, 86, 95, 130, 144 f., 152, 268 Barthianismus 108, 142, 152, 167, 172 Bauer, Walter, Synodale 178 Baum, Herbert, Pfr. 248 Bayerische Landeskirche 131, 134, 143, 148, 201 Beckmann, Joachim, Pfr. 25, 44 Beienroder Konvent 168 Bekennende Kirche 21, 24, 30, 32 ff., 35 f., 38 ff., 42 ff., 45 ff., 51, 53, 56, 60, 63, 88, 130 ff., 133, 140, 143, 145, 149, 170, 203, 221, 225, 258 - Führungsanspruch 31 f., 33 - vgl. auch Bekenntnissynode; Bruderrat; Kirchenkampf Bekenntnis 22, 41 f., 46, 95, 260 f., 273 - lutherisches vgl. Luthertum

294

Index

- reformiertes 92 Bekenntnissynode 25, 35, 37, 39, 41 f., 45, 65, 162, 236, 242, 265 f. - vgl. auch Bekennende Kirche Bell, George, Bischof 33 f., 241 Berggrav, Eivind, Bischof 152, 170, 173, 175, 181, 266 f., 271 Bergpredigt 101, 175 Berlin vgl. Blockade; Ostberlin; Synode; Westberlin Berlin-Weißensee vgl. Synode Berufsverbot 84 Besatzungsmächte 19, 22, 24, 25, 27 ff., 48 ff., 51 f., 56, 58 ff., 61 ff., 64, 69 ff., 73, 81, 91, 100 f., 116 f., 120, 122, 155, 200 Besatzungspolitik 28, 51, 60 Besatzungsstatut 127, 155 Besatzungszone 25 ff., 49 ff., 64, 91, 181 -- vgl. auch Ostzone; Westzone Bevollmächtigter des Rates der E K D am Sitz der Bundesrepublik Deutschland vgl. Kunst Bischof vgl. Reichsbischof; Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Bischofserklärung 259 f. Bischofskonferenz vgl. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Blockade 69, 73 Blockfreiheit 196 Bolschewismus 274 f., 277, 279 - vgl. auch Kommunismus Bonhoeffer, Dietrich, Privatdozent 34 Breust, O L K R 200 Bruderkrieg 98 f., 101, 111, 114, 129, 134, 201, 279 f. Bruderrat (Reichsbruderrat) 22, 30 f., 32, 35, 37 ff., 40, 41, 44 ff., 56, 58, 70, 73 f., 77 ff., 81 ff., 90, 96, 100, 130 f., 133, 134 ff., 160, 162 f., 166, 168 f., 170, 184, 263 - Führungsanspruch 36, 39 f. - vgl. auch Bekennende Kirche; Wort Bruderräte 168 Bruderschaften, kirchliche 125, 130, 133, 135, 137, 141, 143, 144, 148 f., 151, 158, 162, 203 f., 213 - Offener Brief 134, 148 Brüsseler Pakt 189 f. Brunotte, Heinz, Präsident 146, 169 Bürgerkrieg 117

Bundesrepublik Deutschland 48, 51, 63 f., 66, 82, 116 ff., 120, 122 ff., 127, 138, 140, 149, 172, 177 f., 182 f., 184, 187, 189 f., 206, 212 f., 214, 216, 227 - Bundesregierung 15, 53, 65, 79, 113, 118, 120, 121, 138, 153, 155 f., 159, 161, 174, 177 f., 185, 188, 193, 196, 211, 214, 216, 221, 223, 227, 233 - Bundeskanzleramt 120, 185 - Bundestag 65, 80, 138, 156, 179, 191, 195, 213 f., 216, 264 - - Debatte 197 - - Wahl 77 (1949), 156, 182 (1953), 220 (1957) - vgl. auch Parlamentarischer Rat Bundespolizei 122, 138 Bundeswehr 127, 190, 215 - vgl. auch Wehrmacht Buße 93, 103, 104, 126, 180, 215, 278 Calvinismus 40, 43, 45, 137, 273 Central Intelligence Agency 209 Christ und Welt 79, 81, 239 Christen, Christenheit 55, 78, 83 ff., 94, 98, 103, 106, 108, 115, 126, 170, 195, 228, 235 f., 269, 273 Christentum 82, 92, 97, 235, 238 f., 275 Christian Century 242 Christlich Demokratische Union (CDU), Christlich Soziale Union (CSU) 79, 118, 130 f., 156, 183, 189, 217 f., 245 - Ev. Arbeitsgemeinschaft 160 - Ev. Arbeitskreis 198, 218 - Ev. Arbeitstagung 168 - Deutschland-Union-Dienst 118 - vgl. auch Parteitag Christliche Friedenskonferenz 109 - vgl. auch Frieden Christlicher Studentenweltbund 92 Christologie 45, 72, 92, 104, 106 ff., 116, 137, 229, 273 Churchill, Winston, Premierminister 68, 117, 119, 126, 245 Cillien, Adolf, MdB 217 Confessio Augustana 261 Darmstadt - Aktionsgruppen 170 - Treffen 169 - Wort 71, 73 f., 78 Dehn, Günther, Praktologe 84 f., 86 - Fall 83 f., 87 f. Democrazia Christiana 79

Index Demokratie 48, 49, 51, 70, 82, 105, 109, 144, 152, 154, 158 174, 197, 201, 229, 239, 243, 246, 268, 272, 275, 279 Demokratisierung 126, 158 Demontagen 28, 50, 66, 242 Denkschrift 29, 46, 119, 230 Detmolder Kreis 37 Deutsche, deutsches Volk 50, 52 f., 56 ff., 58, 60 f., 62 f., 66, 72, 74 ff., 79, 82, 91, 94 f., 98 f., 103 ff., 108 f., 112 f., 115, 118 f., 124, 127 f., 139, 141, 179, 182, 184, 202, 232 Deutsche Christen 24, 30 f., 33 Deutsche Demokratische Republik 27, 109, 113, 118 f., 121 f., 158, 161, 169, 172, 178 f., 181 f., 184, 188, 195, 199, 202, 206, 209 ff., 212 ff., 216, 220 f., 232, 259 - Regierung 160 f., 169, 181 f., 188 - Kirche 161, 165, 172, 182, 187, 209 ff., 212 Deutsche Evangelische Kirche 19, 24, 32 - vgl. auch Kirche, evangelische Deutscher Evangelischer Kirchentag 16, 25, 27, 65, 211 - H a n n o v e r 77 - Essen 125 ff. - Berlin 161 f. - Stuttgart 170 ff., 194 - Hamburg 182 Deutsches Manifest 193 Deutsches Reich 104 Deutschland 48 ff., 52 f., 60 ff., 64, 68 f., 70, 74 ff., 77, 81 f., 91, 96, 101, 108, 110, 122, 174 f., 178, 200, 246 - frage 90, 122 f., 136 f., 157 ff., 160 f., 172, 176, 183 ff., 191, 193 f., 199, 205, 211 - vertrag 178 f. - vgl. auch Spaltung; Staaten, deutsche Deutschlanderklärung, sowjetische 191 Diakonie 182 Dibelius, Martin, Neutestamentier 86 Dibelius, Otto, Bischof 20, 33, 75 f., 84, 87, 91 f., 99, 100 ff., 105 f., 129, 131, 141, 145, 148 ff., 160, 161, 163 ff., 166, 169, 172, 188, 219, 256, 262 Die Zeit 75 Diem, Hermann, Systematiker 37, 131 Dietze, Constantin Freiherr von, Präses der Synode 218 f f .

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Dietzfelbinger, Hermann, Landesbischof 42, 152, 153 Dipper, Theodor, Dekan 81, 96, 98, 134, 153 Dogmatik 42 Dombois, Hans, Jurist 181 Drittes Reich vgl. Nationalsozialismus Düsseldorfer Erklärung 197 f. Ehlers, Hermann, Bundestagspräsident 171, 177 f. Eidesleistung des Beamten 269 Einberufung vgl. Pfarrer Einheit - deutsche 41, 70, 112, 128 f., 179, 199, 212 f. - der Ε K D 145, 148 f., 154, 209, 211 ff., 225, 227 f., 264 f. Einrichtungen, kirchliche 16 Eisenach vgl. Ev. Kirche in Deutschland, Kirchen Versammlung; Synode Elbingerode vgl. Kundgebung; Synode Ellwein, Eduard, Neutestamentier 147 England 49, 58, 60, 189 Entmilitarisierung 28, 48 ff., 51 f., 58, 62, 66, 99, 127, 144, 158, 174, 196 Entmythologisierung 201, 279 - vgl. auch Mythos Entnazifizierung 22, 28, 29, 48 f., 51, 52 f., 62, 100 - vgl. auch Nationalsozialismus Entschließung zur Frage des Verteidigungsbeitrages und der Deutschen Wiedervereinigung 168 Entspannungspolitik 111 E n t w a f f n u n g vgl. Entmilitarisierung Erler, Fritz, MdB 217 Ermessensfragen 203, 225, 263, 270 Ernst, Synodale 96 Ersatzdienst 223 - vgl. auch Kriegsdienst Erweckungsbewegung 104 Eschatologie 93, 107, 153, 245 Espelkamp vgl. Kundgebung, Synode Essen - Jugendkarawane 169 - Wort des Rats 127, 133, 135, 138, 145, 165, 225, 262 Ethik 90, 137, 228, 230, 268, 273, 281 Europa 80, 112, 117 f., 121 f., 128, 132, 160, 183, 191, 193, 195, 212, 235, 258, 279

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Index

- vgl. auch Osten; Westen Europarat 118 f., 126, 155 Europäische Verteidigungsgemeinschaft 117 ff., 126 f., 132, 135, 138, 155 f., 158 - Verträge 65, 117, 131, 154, 156, 177 f., 183, 191 ff. Evangelische 233 - vgl. auch Akademie; Gemeinde; Kirche (n); Landeskirchen Evangelische Kirche in Deutschland passim - Kirchenkanzlei 37, 39, 142, 187 - Kirchenversammlung 42, 44, 73 ff., 76, 132 - vgl. auch Einheit; Friedenswort; Grundordnung; Hilfswerk; Kammer; R a t ; Synode Evangelischer Pressedienst 81, 164 Evangelium 62, 73, 203 f., 206, 236, 244, 258, 265, 278 Exkommunikation 78 f. Felbick, Hans Helmut 205 Fischer, Martin, Praktologe 172, 174 ff., 177 Frankfurter Allgemeine Zeitung 117 Frankreich 49, 155, 156 f., 189 f f . Freiheit 23 ff., 27, 68 f., 74, 78, 80, 101, 110 f., 118, 126, 132, 136 ff., 180, 184, 203 f., 242, 246, 272, 275, 279 - vgl. auch Religionsfreiheit; Verkündigung; Wahlen Frieden 64, 66, 71, 73 f., 76 f., 83 ff., 90, 92 f., 95 f., 101 f., 103 f., 107, 109, 121, 123, 127 f., 134 f., 153 f., 180, 183 f., 195, 204, 212, 231, 234 f., 237 ff., 275, 279 - vgl. auch Weltfrieden Frieden Jesu Christi 95 f., 101, 106 ff. - vgl. auch Kirche, Krieg und Frieden Friedensvertrag 101, 158 Friedenswort der E K D 74, 90 ff., 99 f., 103, 105, 115 f., 128, 133, 135 f., 162 f., 164, 180, 248, 256, 259 f f . Friedlosigkeit 103 von der Gablentz, O t t o Heinrich, Politologe 96, 177 Gasperi, Alcide de, Ministerpräsident 79 Gebetsliturgie 35, 143 Gebot 101, 103, 104, 241, 270

Gebt Gott recht 78 f. Gefangenenseelsorge 58 Gehorsam gegen den Staat 78, 87 f., 181, 266, 269 f. - vgl. auch Kriegsdienst Gemeinde 40 f., 74, 99, 115, 116, 137, 175, 201, 204, 209, 230, 236, 273, 280 f. Generalsynode vgl. Vereinigte Evangelisch Lutherische Kirche Deutschlands Generalvertrag 156, 172, 179 f. Gerechtigkeit 100 f., 104, 107, 126, 136, 240, 278 Gerhardt, Paul 242 Gericht Gottes 53 ff., 61, 99, 106, 226 Gerstenmaier, Eugen, Leiter des Hilfswerks der E K D 125, 141, 152, 153 Gesamt-Deutschland 15, 31, 113, 125, 158 f., 161, 172, 185, 191, 195, 227 - vgl. auch Wiedervereinigung Gesamtdeutsche Aktion 192 f., 196 f. Gesamtdeutsches Ministerium 210 Gesamtdeutscher Rat 158 Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) 53, 160, 192, 194 Geschichte 16, 63, 70, 72, 76, 88 f., 112, 114, 130, 174, 192, 278 - vgl. auch Kirchengeschichte; Zeitgeschichte Geschichtstheologie 53 ff., 104, 226 Gesellschaft, Gesellschaftspolitik 65, 72, 97, 108, 225, 228 f. Gesellschaftssystem 174 Gesetz und Evangelium 258 Gesetzlichkeit 62 f. Gewalt 94 Gewerkschaften 192 f. Gewissen 106, 111, 114 f., 137, 143, 171, 175, 179, 181, 203, 221, 223, 234, 241, 261, 271 ff., 277, 279 f. - vgl. auch Wehrbeitrag Glauben 55, 97, 106, 130, 137, 146, 176, 205, 225, 235, 239, 245, 280 Glaubensbekenntnis 33, 184 Gleichberechtigung, politische 119, 155 f., 157, 190 Gnade Gottes 57, 61, 63, 205 Gollancz, Viktor, Schriftsteller 247 Gollwitzer, Helmut, Systematiker 60, 125, 126 f., 133 f., 138, 142, 144, 170, 194 f., 196, 198, 201, 205 f., 214 ff., 217, 219, 230

Index Gott 61, 123 - vgl. auch Gericht; Gnade; Wille; Wort Gottesdienst 37 Großkopf, Erich, MdL 234 Großmächte 69, 76, 79, 96, 126, 260 Grotewohl, Otto, Ministerpräsident 132, 158, 209 Grüber, Heinrich, Propst 188, 200 Grundgesetz 69, 140, 158, 176, 187, 200 f. Grundordnung 19, 37, 39 f., 42 f., 44, 46 f., 70, 73, 163 Gruppen, kirchliche 16, 30, 37, 39 f., 41, 47, 51, 64, 121, 130, 135, 150 ff., 160, 170, 203, 205, 222, 225, 226, 228 Gumbel, Konrad, MdL 235 Häresie 272 Halle vgl. Synode Hamburg vgl. Synode Handrich, Karl, Pfr. 162 Hannover - Synode 43, 131 - Konvent der Bekenntnisgemeinschaft 142, 148 Harbsmeier, Götz, Praktologe 203 Hartenstein, Karl, Prälat 264 Haug, Martin, Landesbischof 175 Hay, General 119 Heckel, Theodor, Dekan 59 Heilsgeschichte 107 Heimkehrer 59 - vgl. auch Kriegsgefangene Heinemann, Gustav, Synodalpräses 53 f., 56, 65, 99, 102, 120, 123, 125, 126, 130, 132 f., 138 ff., 141, 142, 144, 146, 158, 160, 164, 166, 167, 169, 176 ff., 184, 192 f., 194, 198, 200, 204, 212, 216 ff., 219 f., 225, 230, 263 Held, Heinrich, Präses 164, 166, 216, 218 Hemer, Tagungen 181 Herntrich, Volkmar, Alttestamentler 265 Hesse, Bruderratsmitglied 82 Hessen 90 - Kirchenleitung 237 Heuß, Theodor, Bundespräsident 158 Higgins, Marguerite, Journalistin 79 ff. Hilfsmaßnahmen 21 Hilfswerk der EKD 25, 59

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Himmeroder Denkschrift 119 - vgl. auch Denkschrift Hitler, Adolf 33 ff., 35, 58, 243 Hoffmann, Georg, Praktologe 147 Hohe Kommissare 120, 138, 155, 200 - vgl. auch Alliierte Hromadka, Josef L., Systematiker 31, 35 Humanität 87, 230, 235 Idealismus 87 Identitätsproblem 52, 57 ff., 60, 62 f. Ideologie, ideologisch 35, 49, 55, 58, 64, 67, 73, 78, 82, 93, 95 f., 98, 100 f., 109 f., 112, 114, 136, 175 ff., 188, 194, 197 f., 203, 209, 261, 276, 280 Hau, Hans, Geschäftsführer 240 Imperialismus 70 Individualismus 89, 114 Innenpolitik, 49 f., 64 f., 120, 124, 228 120, 124, 228 Internationalismus 94, 101, 112, 119, 139, 234 Irrationalität I I I f., 176 Italien 79 Iwand, Hans-Joachim, Systematiker 96, 100, 102 ff., 110, 125, 152 f., 169, 175, 239, 248 Jacob, Günter, Generalsuperintendent 212 Jänicke, Theodor, Pfr. 57 Jahwe 104 Japan 68 Jaspers, Karl, Philosoph 23 Jesaja 242 Jochum, Bruderratsmitglied 82 Judenfrage 93, 98 f. Jugendarbeit 182 Jugendweihe 209 Junge Gemeinde 209 - vgl. auch Gemeinde Kammer - für öffentliche Verantwortung 100, 222 - für soziale Ordnung 151 Kanzlererklärung 71, 73 - vgl. auch Kundgebung; Wort Kapitalismus 49, 72, 97, 237 Katholizismus 79, 233, 242 - vgl. auch Kirche, katholische Katterfeld, Hagen, Pfr. 145, 258

90,

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Index

Kirche, evangelische passim - Außenamt 32, 59, 131, 198, 221, 259 - Ausschüsse 25, 31 - Einigungswerk 30, 37 f., 45 - Kirchenbund 43 - Kirchenführer 19, 30, 32, 36, 164 ff., 167 - Kirchenführerkonferenz 28 ff., 37, 51, 103, 185 - Kirchenkonferenz 145 ff., 183, 200 ff., 211, 225, 258 f. - Kirchenleitung 39 f., 42, 101, 200 - vgl. auch Bekennende Kirche; Bruderrat; Deutsche Evangelische Kirche; Evangelische Kirche in Deutschland; Grundordnung; Hilfswerk; Kammer; Rat; Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Kirche, katholische 16, 70, 114 - vgl. auch Katholizismus; Papst; Vatikan Kirche, russisch-orthodoxe 108 Kirche - Krieg und Frieden 64, 77, 83 f., 90, 96 f., 101 ff., 107 f., 114 f., 126, 143, 148, 152, 175, 187, 192, 202 f., 223, 226, 229, 235 f., 238 f., 244, 258, 272 - und Politik 147 150 - und Staat 37, 62, 108, 114, 165, 170, 181, 186, 209, 211 Kirchen, lutherische 22, 64 - vgl. auch Landeskirchen; Luthertum; Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands; Weltbund; Weltkonvent Kirchenbegriff 37, 41, 43 f., 273 Kirchengeschichte 17, 22, 70 Kirchenkampf 15, 19, 22, 25, 29 f., 33 f., 36 ff., 39, 41, 44, 60, 62, 84, 87, 133, 143 f., 225, 228, 259 - vgl. auch Bekennende Kirche Kirchenpolitik 3 1 , 3 8 ff., 42 ff., 45, 47, 57, 88, 91, 102, 110, 172, 182 Kirchenrecht 43 Kirchenreform 22, 26, 28 Koexistenz 275 Königswinter 160, 164 ff., 264 Kollektivschuld 20 f., 23 - vgl. auch Schuld Kommunikation 17 Kommunismus 67, 79 f., 82, 97, 109 f., 117 ff., 124 f., 128, 136, 144, 158,

170, 192, 194 f., 196, 241, 245 f. - dekret 73, 78, 243 - vgl. auch Antikommunismus Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 237, 245 Konferenz der drei westlichen Außenminister vgl. Außenministerkonferenz Konfessionalismus 37, 42, 46, 111, 144, 232 Konfirmation 209 Konservatismus 39, 57, 114 Kontrollrat, Alliierter in Deutschland - Amtsblatt 24 - Gesetz 200 Korea/-Krieg 64, 116 ff., 119,121,124 f., 127 ff., 149, 154, 157, 260 Kress, Heinrich, MdL 232 f., 242, 248 Krause, Wolfram von, Missionsinspektor 147 Kreuz Christi vgl. Theologie des Kreuzes Kreuzzugsideologie 78 Krieg 50, 58, 64, 73 f., 84, 88 ff., 97 f., 105 f., 110 f., 113, 116, 126, 164, 171, 190, 195, 200, 223, 228, 262 - gerechter, ungerechter 83, 85, 98, 176, 243 - heiliger 85 - kalter 41, 64, 66 ff., 69, 71 ff., 74 ff., 77, 81, 91, 96, 100 f., 111, 113, 124, 136 193, 210 - totaler 60, 100 - vgl. auch Kirche, Krieg und Frieden; Weltkrieg Kriegsdienst 83, 113, 223 - Verweigerung 84, 94, 98, 113 f., 129, 135, 137, 162 ff., 174, 180 f., 186, 200, 206, 212, 213, 215, 221 ff., 228, 261 - vgl. auch Wehrpflicht Kriegsgefangene 56 ff., 62 Kriegsschuld 57 - vgl. auch Schuld Kriegsverbrecher 48, 50, 58 f. Kultur, abendländische 237 - vgl. auch Abendland Künneth, Walter, Systematiker 40, 51, 95, 164, 172, 174 ff., 202, 215 f., 260, 267, 271, 281 Küppers, Erica, Schriftleiterin 56, 242, 247 Kundgebung 17, 42, 46, 75, 225 ff., 230, 242, 279

Index - Synode Elbingerode 179, 181 - Synode Espelkamp 202, 204 - vgl. auch Wehrbeitrag und christliches Gewissen - zur politischen Verantwortung der Kirche 147, 167 f. - vgl. auch An die Gewehre; Aufruf; Entschließung; Essen, Wort; Friedenswort; Gebt Gott recht; Synode, Wort Kunst, Hermann, EKD-Bevollmächtigter 147, 185 f., 200, 212, 222 Laie 42, 77, 79 Landeskirchen 19, 21 f., 25, 29 f., 38 ff. - intakte 30 f., 35 f. - zerstörte 30 Lastenausgleich 234, 238 Leipziger Messe 191 Lilje, Hanns, Landesbischof 32, 41, 43, 75 f., 83 f., 88 f., 91 ff., 94, 96, 99, 103, 107, 150, 153, 154, 169, 176, 200, 202, 216, 264, 265 Linz, Dieter, Pfr. 164, 262 Liturgie 26 Loccum, Tagung 199, 203 Locher, Benjamin, Pfr. 213 ff., 216 London - Neun-Mächte-Konferenz 189 ff. - vgl. auch Außenministerkonferenz Lötz, Gerhard, O K R 146 Lücking, Karl, Pfr. 103 Luther, Martin 152, 244, 246, 268 Lutherrat vgl. Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Luthertum 38 f., 40 ff., 45 f., 51, 60, 64, 71, 88, 92, 95, 99, 104, 106, 114, 125, 132, 142 ff., 145 f., 148, 152, 160, 164, 167 f., 170, 172 f., 183 f., 198 f., 201, 203, 213 ff., 226, 260, 264, 267 - vgl. auch Kirchen, lutherische Machtblöcke 64 Männersonntag 138 Magdeburg - Konsistorium 86 Malta, Konferenz 68 Mandat, politisches 15 f., 19, 23, 29, 41, 43, 45 ff., 58, 74 f., 91, 143, 147 f., 153 f., 164, 224 f., 229, 268 - vgl. auch Ethik; Öffentlichkeitsarbeit; Politik; Verantwortung mandatum dei 272 Marahrens, August, Landesbischof 31

299

Maron, Karl, Innenminister 209, 212 Marshallplan 69, 79, 82, 140, 178 Materialismus 72 Marxismus 72 f., 96 f. McCloy, John Jay, Hochkommissar 120 f., 138 Meinzolt, Hans, Verwaltungsjurist 111 Meiser, Hans, Landesbischof 22, 41, 145, 147, 149, 169, 172, 181, 264 f. Mensch, Menschenrechte 26, 89, 93, 96, 235 Merz, Georg, Rektor 260 Meyer, Ernst Wilhelm, Staatsrechtler 238, 241 f. Middendorf, Friedrich, Kirchenpräsident 103 Mikojan, Anastas, Handelsminister 191 Militär 54 ff., 57, 64, 66, 72, 84, 121 f., 126 f., 141, 195 - vgl. auch Offiziere; Soldaten; Wehrmacht Militärbischof 186, 195 Militärbündnis 195, 211 Militärregierung, amerikanische 22, 24, 30, 51 Militärseelsorge 57 f., 185 ff., 188, 206, 213 Militarismus 48 f., 56 f., 87 f., 126 f., 171, 187, 191, 200, 212, 215, 278 Mitschuld 21, 57, 62 - vgl. auch Schuld Mochalski, Herbert, Pfr. 44 f., 79, 81, 125, 133 f., 144, 162, 169 f., 198, 237 f., 248 Molotow, Wjatscheslaw, Außenminister 191 Moral 64, 67, 89 f., 108, 110, 115, 129, 200, 221, 229 Moskau vgl. Außenministerkonferenz Müller, Eberhard, Akademieleiter 125, 150 ff., 153 f., 160, 163 ff., 166 f., 171, 183, 198, 212, 216, 218 ff., 221, 262 Müller, Ludwig, Reichsbischof 33 Mythos 105, 106, 136, 279 f. Nachkriegszeit 15, 33, 36, 41, 44, 50, 53 f., 58, 61 f., 104, 174, 223, 226 Nächster 196, 202, 204, 247, 279 Nassau - Hessen vgl. Akademie Nation vgl. Staat Nationalismus 41, 55, 72, 80 f., 85, 87, 92, 94 f., 98, 100, 111, 112 f., 114,

300

Index

119, 127 ff., 137, 157, 161, 171, 190, 196, 227 Nationalsozialismus 20 ff., 23 f., 26, 30 f., 34 f., 36, 46, 50, 52, 56 ff., 61, 72, 86, 88, 104, 112, 127, 138, 242 f., 259 - vgl. auch Entnazifizierung Nationalversammlung, französische 156 N A T O 117, 132, 154 f., 178, 188 ff., 194, 198, 209 f., 212 - Beitritt der Bundesrepublik 191, 206 Naturrecht 227 Neuendettelsauer Gesellschaft 145 f. Neuendettelsauer Gespräche 43, 46 Neues Testament 152, 235

Neue Zeitung 120, 232

Neuorientierung, politische 72 Neutralität 61, 80 f., 96, 125 f., 128, 136 ff., 157 f., 163, 167, 183 ff., 197, 203 f., 206, 232 New York vgl. Außenministerkonferenz Nichtangriffserklärung 190 Nichtangriffspakt 178 zur Nieden, Ernst, Propst 232 Niemeier, Gottfried, OKR 200 Niemöller, Martin, Kirchenpräsident 22, 28 ff., 32, 34, 38 ff., 44 f., 51, 63, 74 ff., 79 ff., 82, 90, 96, 103, 105, 121, 125 f., 128, 130, 132-144, 146, 150, 151 ff., 154, 158, 160, 162 ff., 169 f., 182 f., 184, 187, 196, 198, 200 ff., 203, 216, 220 f., 225, 230 ff., 235 ff., 239 f., 242, 258 ff., 264 f. - Interview 79, 80, 90, 133, 232 - Offener Brief 148 Niesei, Wilhelm, Moderator 40 Nihilismus 175, 234 Nordatlantik-Rat 132 Notgemeinschaft für den Frieden Europas 122, 160 Nuschke, Otto, Stellv. Ministerpräsident 188, 212, 220 Obrigkeit 24, 29, 36, 108, 143, 152, 154, 170, 173, 175, 181, 184, 201, 203, 205, 213, 258, 268 ff., 271, 273 f., 279 Öffentlichkeitsarbeit der Kirche 25, 27, 225 - vgl. auch Mandat, politisches Offener Brief vgl. Bruderschaften; Niemöller Ökumene 16, 20, 23, 33 f., 56, 64, 74, 76, 92 ff., 107 f., 225, 228

ökumenischer Rat der Kirchen 20 f., 32, 58, 60, 76, 92, 108 österreichischer Staatsvertrag 191 Offenbarung vgl. Apokalypse Offiziere 58 f. - vgl. auch Militär Ollenhauer, Erich, Parteivorsitzender 194 Opfertod Jesu 85 f. - vgl. auch Christologie Opposition 193, 204 - antimilitaristische 157, 160 - außerparlamentarische 65, 140, 149, 156 f., 159 f., 184, 192 Ordnung 78, 173 ff., 268, 270, 273 ff., 277, 280 - vgl. auch Kammer Orthodoxie 272 Ostberlin 91 - vgl. auch Deutsche Demokratische Republik Osterloh, Edo, OKR 186 Osten, Ostblockstaaten 68 f., 100 ff., 110 f., 118, 122, 125, 129, 141, 157, 177 f., 191, 195, 221, 233, 275 Ostkonferenz der EKD 209 Ost-West-Frage 96, 110, 237, 240 Ostzone 26 f., 51, 181 - vgl. auch Besatzungszone Pädagogik 87 Papst 79, 242, 247 - vgl. auch Katholizismus Paris - Konferenz 156, 191 - Verträge 157, 181, 189, 191 ff., 195, 197 f., 200 ff., 203, 205 f., 272 ff., 280 f. Parlamentarischer Rat 69, 75 - vgl. auch Bundesrepublik Parteitag der C D U 131, 141 - vgl. auch Christlich-Demokratische Union Paulskirchenbewegung 75, 192 ff., 196 ff., 200 ff. Pazifismus 56, 83, 85, 97, 101, 111, 114, 137, 176, 195, 223, 228 Petersberg - Abkommen 66 - Gespräche 119 Pfarrer 24, 28, 35, 58 f., 62, 87, 133 f., 168, 170, 200 ff., 206, 209, 223, 236 f., 242, 263, 271

Index - Einberufung 206 Pfarrernotbund vgl. Bekennende Kirche Pfleiderer, Karl-Georg, MdB 177 f. Pharisäer 61 ff. Pietisten 152 Piper, Otto, Neutestamentier 86 Pius XII. 78 f., 82 - vgl. auch Papst Plain-Dealer-Interview 79 Pleven-Plan 155 Pluralismus 115 f., 196, 230 Politik 16 f., 53, 55, 57, 64, 66, 71 f., 74, 76 ff., 80 f., 82, 90 f., 94 ff., 104 f., 107, 109, l l l f . , 121 f., 124, 126, 139, 178, 188, 194, 229 - vgl. auch Außenpolitik; Besatzungspolitik; Gesellschaft; Kirchenpolitik Polizei 120, 122, 138 - vgl. auch Bundespolizei Potsdam - Abkommen 25, 49 - Konferenz 49, 68 Predigt 58 f., 63 Presse 69, 124, 130, 133, 139, 165, 167, 185, 192, 218 ff., 281 Preuß, Landeskirchenrat, Synodale 99 Preußen 57 Priestertum aller Gläubigen 247 Proletariat 93 - vgl. auch Arbeiterklasse Prophetie 45, 101, 115, 135, 143 f., 176, 226, 228 ff., 241 f. Protestantismus 25, 30 f., 51, 70, 81, 114, 121, 128, 233, 241, 279 Putz, Eduard, Pfr. 81, 134 f., 153 Raiser, Ludwig, Jurist 216 Rat - EKD 16, 20 ff., 39, 53, 59, 71, 75, 77, 82, 90, 102, 125, 127, 128 f., 131, 141, 145 f., 148, 160 ff., 163, 165, 169 179, 185 f., 188, 201 f., 211, 219, 220, 222, 225, 258, 262 - vgl. auch Evangelische Kirche in Deutschland - Ev.-Lutherische Kirche Deutschlands (Lutherrat) 22 f., 30, 32, 37, 41, 43 f., 132 Führungsanspruch 32, 36, 38 - vgl. auch Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Rechtsstaat 266 f.

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Reeducation vgl. Umerziehung Reformation 25, 104 Reichsbischof 33 - vgl. auch Deutsche Christen Reichsbruderrat vgl. Bruderrat Reichsregierung 91 Religiöser Sozialismus 84 - vgl. auch Sozialismus Religion 97, 238, 246 Religionsfreiheit 24 f., 68 Religious Affairs Branch 24 - vgl. auch Militärregierung Remilitarisierung 158, 192 Restauration 62, 111 f. Reuter, Georg 194 Revolution 114, 196, 246, 267 Rheinland 164, 213 Romanismus 279 Roosevelt, Franklin Delano, US-Präsident 67, 233 Rüstung vgl. Aufrüstung Rundfunkwesen 69 Russen vgl. Sowjets Sachautorität 230 Sachverständigenausschuß 206 Säkularisation 97, 115 Satan 105 Sauer, Hermann, Pfr. 198 Schabert, Arnold, O K R 201 f., 271 Schempp, Paul, Studienrat 134 von Scheven, Karl, Landesbischof 74, 103 Schlink, Edmund, Systematiker 46 Schmidt, Hans, Pfr. 134 f. Schmidt, Karl Ludwig, Neutestamentier 86

Schmidt, Konrad von der, MdL 237 Schneider, Reinhold, Schriftsteller 126 Scholl, Robert, Pfr. 236, 241 Schrift und Bekenntnis 41, 272 - vgl. auch Bekenntnis Schröter, Waldemar, O K R 110 Schuld, Schuldfrage 20 ff., 50, 52, 55 f., 57 ff., 101, 104 f., 247 - vgl. auch Kollektivschuld; Kriegsschuld; Mitschuld; Stuttgarter Schuldbekenntnis Schumacher, Kurt, Parteivorsitzender 131 Schutzpolizei vgl. Polizei Schwarzhaupt, Elisabeth, OKR 239

302

Index

Schwerin, Gerhard Graf von, Sicherheitsbeauftragter 119 Seelsorge 58 ff., 61 ff., 89 f., 106, 108, 186, 194, 200 ff., 204, 261, 271, 281 Selbstrechtfertigung 57, 59, 62 f. Selbstverständnis, kirchliches 70, 76, 91, 104 Sendungsbewußtsein 72, 176 Sethe, Paul, Journalist 117 Sicherheitsfrage 49, 51, 68, 76 f., 112, 118 f., 121 f., 123 f., 127, 129, 131, 139, 154 f., 157, 183, 190 f., 193, 195, 210 f. Sicherheitsmemorandum 65, 119 f., 121 f. Siegermächte vgl. Alliierte; Besatzungsmächte Soldaten 57, 77, 85 f., 140, 144, 156 - vgl. auch Militär Soldatenverbände 56 f., 61, 162 Sondersynode vgl. Synode der EKD Sonntagsblatt

239

Souveränität vgl. Gleichberechtigung Sowjetunion 24 f., 49, 56, 68 ff., 102, 109, 116 f., 119, 121, 123, 128, 144, 158 f., 161, 178, 182, 189, 191, 193, 195, 211, 216, 242 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 81, 84, 131, 149 f., 192 ff., 198, 217, 230 Sozialismus 110, 144, 246 - vgl. auch Religiöser Sozialismus Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 141 Sozietät, Kirchlich-Theologische 29, 37 Spafford-Plan 155 Spaltung Deutschlands 69 ff., 73, 91, 100 f., 112, 127 f., 135, 179, 204, 213, 223, 242 - vgl. auch Gesamtdeutschland; Staaten, deutsche Spandau vgl. Kirche, evangelische; Kirchenkonferenz; Synode Spangenberg, Johanna, MdL 238 Speidel, Hans, General 119 f. Spionage 100 Sprache, kirchliche 105 f., 115 Staat, Staatsbürger 93, 108 ff., 114, 174, 215, 221, 228, 266 ff., 270 f., 273 ff., 280 Staat und Gesellschaft 46, 87 - vgl. auch Kirche und Staat Staatsmänner 101 f., 115

Staaten, deutsche 64, 69, 77, 91, 118, 123, 140, 161, 174, 180, 195, 199, 211, 225 - vgl. auch Gesamtdeutschland; Spaltung Stählin, Wilhelm, Landesbischof 58, 145 Stalin, Joseph, Generalsekretär der K P der UdSSR 69, 182, 193 Stalinnote 159, 191 Stellungnahmen, kirchliche vgl. Kundgebung; Wort Stössinger, Hugo, Synodale 53 Straß, Staatssekretär 218 Straßburg vgl. Europarat Streitkräfte 190 Studenten 86, 92 Studentengemeinde 16, 209 Stuttgarter Schuldbekenntnis 19 ff., 26, 36, 44, 52 ff., 56 f., 63, 74, 108, 179 Subjektivismus 55, 89 Sünde 106, 116, 176, 235, 242 Synode 25 - EKD 16 ff., 83, 90, 102, 177, 186, 213 ff., 220, 225, 264 - - Berlin 162 f., 183, 211 f., 218 - - Berlin-Spandau 183, 186 - - Berlin-Weißensee 53, 74, 83, 90 ff., 99 f., 103, 105, 115 f., 125, 128 f., 133, 136 f., 162 ff., 173, 175, 179 f., 186, 222, 248, 256, 259 f., 262 - - Eisenach 40, 73, 75 f., 154, 228 - - Elbingerode 168 f., 171 f., 177 ff.. 180 ff. - - Espelkamp 198, 204 f., 222 - - Halle (Plan) 188 - - Hamburg 131 f., 141, 149, 152 f., 154, 160, 171 - vgl. auch Bad Oeynhausen; Bekenntnissynode; Hannover; Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Systematik 17, 229 Taylor, Sonderbotschafter 233, 241 Theologen 194 Theologie 17, 35, 38 ff., 43, 45 ff., 84, 114, 142, 148 - des Kreuzes 78, 93, 107, 180, 236, 259 Thielicke, Helmut, Systematiker 198, 202 Toleranz 237 Totalitarismus 88, 126

Index Tradition - kirchliche 17, 25, 230 - lutherische 89, 95, 108, 152 - militärische 57, 63, 84 - politische 71 Transzendenz 107 Trauerarbeit 104 Treysa 1945 19, 26, 29 f., 36 ff., 39, 41, 51, 103 Troeltsch, Ernst, Geschichtsphilosoph 83 Truman, Harry S., US-Präsident 67, 233 Truman-Doktrin 68 ff., 197 Tschechenkrise 35, 38 Tschechoslowakische Sozialistische Republik 69 Tüngel, Richard, Chefredakteur 75 Tutzing - Ratsbeschluß 166 UdSSR vgl. Sowjetunion Umerziehung 43 f. 49, 50 ff., 58 Umkehr vgl. Buße Unionismus 37, 40 United Nations Organization (UNO) 68, 80 ff., 117, 127, 232 f., 237 ff., 243 f. Unterschriftensammlung 163, 169, 211, 216 ff., 220 f. Unterwegs-Kreis 144 USA 67 f., 70, 117, 119, 132, 156, 189, 233, 246 Vaterland 88, 279 Vatikan 79 Verantwortung 29, 36, 58, 65, 77 f., 105, 109, 131, 139, 143, 152, 171, 173, 175 f., 180, 204, 236, 239, 243, 245 f., 248 - vgl. auch Kirche; Mandat Verbände, kirchliche 25 Vereintes Europa 128 - vgl. auch Europa Die Verfälschung der Synode 218 Vergebung 93, 107 f. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands 38, 40, 42, 43 f., 146, 163, 169 f., 181, 202 - Leitung 147, 163, 168, 264, 266 - Leitender Bischof 32, 259 - Generalsynode 40, 42, 145, 149 - - Theol. Ausschuß 164, 259

303

- Bischofskonferenz 145 f., 164, 168, 172, 175, 258 ff., 266 - Kirchenamt 142, 259 - vgl. auch Kirchen, Lutherische; Luthertum; R a t ; Weltbund; Weltkonvent Verfassungswidrigkeit 187 Verkündigung 34, 62, 95, 104, 107, 143, 174, 258 f., 280 Versöhnung 72 f., 93, 107 Verteidigung 70, 117 ff. - vgl. auch Europäische Verteidigungsgemeinschaft Vier Mächte 178 f., 183 - vgl. auch Besatzungsmächte Visser't Hooft, Willem Α., Generalsekretär 91 ff., 94 f., 97, 98, 107, 108, 113, 241 Völkerrecht 85 Vogel, Heinrich, Systematiker 78, 93, 217 Volk 62, 87, 147, 279 Volksbefragung 137 f., 140, 158 f., 161 f. Volkskammer 178 f., 182, 213 - vgl. auch Deutsche Demokratische Republik Volkskirche 209, 229 Volkspolizei 119, 121 f. Wächteramt der Kirche 23, 228, 229 f., 263 - vgl. auch Mandat, politisches Währungsreform 73 Waffen 53, 68 f., 97, 111, 123, 136 f., 181 Wahlen 68 f., 101, 109 f., 138, 140, 182 f., 191 Warschauer-Pakt-Staaten 158, 206 - vgl. auch Osten Washington 79 - vgl. auch Außenministerkonferenz Wehner, Herbert, MdB 217 Wehr, Otto, Kirchenrat 171 Wehrbeitrag und christliches Gewissen 160, 166 Wehrgesetzgebung 115, 163, 187, 20C, 206, 222 f., 264 Wehrmacht, deutsche 56 f., 138, 280 - vgl. auch Militär Wehrpflicht 48, 162, 165, 186, 188, 189, 206, 211 ff., 215 ff., 219, 221, 226, 228 - vgl. auch Kriegsdienst

304

Index

Weiss, Heinrich, MdL 247 Weltanschauung, christliche 242 Weltbund - des Christlichen Vereins Junger Männer 92 - Lutherischer 32, 145, 170 - vgl. auch Luthertum; Weltkonvent Weltfrieden 48, 76, 108 f., 125, 179, 261 - vgl. auch Frieden Weltgemeinschaft/-ordnung 107 f., 275 Weltkirchenkonferenz vgl. Amsterdam Weltkirchenrat vgl. ökumenischer Rat Weltkonvent, lutherischer 32 Weltkrieg - Erster 83 f., 103, 235 - Zweiter 23, 48, 52, 56, 58, 66, 69, 76, 83 f., 88, 156, 235 - Dritter 95, 77, 101 Weltmächte 136, 234 Weltpolitik 51, 67, 75 f., 95, 196 Weltrevolution vgl. Revolution Weltsicherheitsrat 117 - vgl. auch United Nations Organisation Wessel, Helene, MdB 263 Westalliierte vgl. Alliierte Westberlin 69, 209 Westen 100 ff., 117 f., 122, 125, 136, 141, 157 f., 177, 188, 195, 221, 227, 237 Westdeutsche Regierung vgl. Bundesrepublik, Bundesregierung Westeuropa 117, 122, 258 - Westeuropäische Union 189 - Integration der Bundesrepublik 80, 123 f., 178, 191 f., 199 - vgl. auch Europa Westmächte 117, 122 f., 157 Westzonen 27, 51, 64 - vgl. auch Besatzungszone Widerstand 33 ff., 57, 173, 267, 270 Wiechert, Ernst, Schriftsteller 23

Wiederbewaffnung passim Wiedervereinigung 70, 78, 80, 91, 122 f., 127 f., 132, 157 ff., 161 ff., 164 f., 171, 176, 178 f., 182 ff., 185, 188, 190, 191 ff., 195 f., 198 ff., 201 f., 203 ff., 210, 221, 227, 243, 272, 274, 279 - vgl. auch Gesamtdeutschland Wiesbadener Tageblatt 232 Wildermuth, Eberhard, Wiederaufbauminister 120 Wilkens, Erwin, Pfr. 142 ff., 145, 147, 168 f., 267 Wille Gottes 61, 83, 89, 273 Wilm, Ernst, Präses 130, 151, 154, 164, 171, 219, 220 Wirtschaft 66, 69, 76, 111 Wischmann, Adolf, Akademieleiter 170 Wohlfahrtsstaat 173 Wohlstand 76, 80 Wolf, Kurt, Pfr. 232 Wort - kirchliches 21, 42, 56, 62, 70 f., 73, 77, 82, 93, 102 f., 111, 113, 115, 127, 135 f., 166 ff., 175, 179, 183, 200, 202, 222 ff., 225, 228, 230 - Gottes 16, 20, 62, 228, 272 - des Bruderrats 22, 39, 46, 71, 73, 78 f., 133, 136 f. Wünsch, Georg, Sozialethiker 86 Wurm, Theophil, Landesbischof 25 f., 28, 30 ff., 33, 35, 38, 41 York von Wartenburg, Paul Graf, Synodale 97, 103 Zeitgeschichte 76 - vgl. auch Geschichte Zimmermann, Walter, Vizepräsident 169, 172 Zwei-Reiche-Lehre 16, 45, 62, 108, 143, 150 ff., 153 f., 167, 170, 173 ff., 176, 183, 201, 226, 268, 273 f.