115 35 9MB
German Pages [128] Year 1965
HYPOMNEMATA H E F T 11
HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR A N T I K E UND ZU I H R E M
NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Wolf-Hartmut Friedrich / Christian Habicht Bruno Snell Heft 11
JUTTA
KIRCHBERG
Die Funktion der Orakel im Werke Herodots
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N
© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1965. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen 8271
MEINEN ELTERN
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die neu durchgesehene Fassung meiner Hamburger Dissertation vom Dezember 1963. Sie wurde angeregt und gefördert durch meinen verehrten Lehrer, Herrn Professor Hartmut Erbse. Für seine Unterstützung und Anteilnahme am E n t stehen dieser Arbeit und für seine Hilfe beim Lesen der Korrektur schulde ich ihm größten Dank. Meine Untersuchungen zu Herodot wären nicht möglich gewesen ohne die sorgfältige Ausbildung und die persönliche Förderung, die mir meine akademischen Lehrer in Tübingen, Oxford und Hamburg zuteil werden ließen. I n besonderer Dankbarkeit bin ich der Studienstiftung des deutschen Volkes verpflichtet, die mir das Studium ermöglichte. Den Herausgebern der „Hypomnemata" sei aufrichtiger Dank gesagt f ü r die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe. Hildesheim, im Oktober 1964
J u t t a Kirchberg
INHALT Einleitung I n t e r p r e t a t i o n der Orakel
9 11
Kroisos
11
Kleinasien
32
Ägypten
43
Kyrene Sparta Athen Die Perserkriege
51 59 70 84
Zusammenfassung der Ergebnisse
116
Literaturangaben
120
Register
123
Einleitung Das Werk Herodots, entstanden in der großen Zeit Griechenlands zwischen den Perserangriffen und dem peloponnesischen Krieg, trägt alle Züge jener Epoche des Aufbruchs von archaisch gebundenem Denken zu individuellen, empirisch bedingten Anschauungen. Überzeugter Glaube an traditionelle Normen und unbefangene Kritik am Unwahrscheinlichen prägen seine Darstellung in gleicher Weise. Jede Interpretation, die Herodot auf einen dieser Aspekte festlegt, bleibt einseitig, wie es denn überhaupt schwierig ist, die Vielfalt der herodoteischen Sehweisen angemessen zu würdigen. Die Forschung der letzten zehn Jahre hat sich bemüht, dem „Historiker" Herodot neben dem „Theologen" sein Recht zu lassen. Nicht nur der objektive Wert historischer Angaben, sondern auch und besonders seine Leistung auf dem Gebiet der politischen und natürlichen Motivation des Geschehens wurden neu und überzeugend betont 1 . Ein eindringlicher Hinweis auf den diesseitig ausgerichteten Historiker muß also einer Arbeit vorangehen, die sich mit übernatürlichen Erscheinungen im Werk Herodots beschäftigt und deren Schwergewicht im Bereich der göttlichen Motivation liegt. Zwar lassen sich die beiden Ebenen nirgends scharf trennen; wohl aber wird diese Arbeit versuchen, dem Wesen göttlichen Einflusses nachzuspüren und seinen Wirkungsbereich im sichtbaren Ablauf des Geschehens zu erkennen. Unter den vielfachen Kundgaben göttlichen Willens wiederum sind es nur die Orakel, denen diese Untersuchung gilt. Träume, Naturwunder, Götterzeichen können außer Betracht bleiben, ohne daß darum unser Bild unvollständig würde: sie sind in ihrer Funktion den Orakeln verwandt, sind jedoch ihrem Wesen nach weniger komplizierte, meist eindeutige Manifestationen eines Schicksalsplanes. Die Orakel hingegen — Wort gewordener Wille der Gottheit — verbergen ihre Offenbarung nicht selten in dunklen Bildern, fügen Weisungen und Warnungen hinzu und fordern so den Menschen auf, sich ihre Aussagen nachdenkend verständlich zu machen. In archaischer Zeit wurde der Mensch als wesentlich Erleidender von den göttlichen Mächten gleichsam getrieben und gelenkt durch Träume, Zeichen und Orakel. Daher mag die verbreitete Auffassung 1 Z.B. Strasburger, Latte (1956), Immerwahr, Huber. Die Stellung der Herodotforschung im einzelnen wird im Verlauf der Untersuchung aus den Anmerkungen hervorgehen. Man vgl. auch die zusammenfassende Einleitung zu W. Margs Sammelband „Herodot", Wege der Forschung X X V I , Wissensch. Buchgesellschaft, Darmstadt 1962. (Im folgenden abgekürzt: WdF)
10
Einleitung
rühren, daß auch bei Herodot die Orakel selbst etwas Wirkendes seien und das Geschehen herbeiführen, daß daher der Mensch sich ihnen nicht widersetzen könne. Nun spricht Herodot oft genug von der Unabwendbarkeit des Schicksals, und die Frage nach dem Ausgeliefertsein des Menschen und nach seiner Freiheit gegenüber einer solchen Bestimmung ist immer neu gestellt worden. Herodot gibt uns keine fertige Lösung, und die Antworten, die man fand, reichen vom resignierenden Defaitismus bis zur Verherrlichung des dennoch-freien Willens. Wir wollen versuchen, diesem Problem durch die Interpretation von Orakeln, in denen sich eine Verbindung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt exemplifiziert, erneut nachzugehen. Unberücksichtigt bleiben dabei die objektive Gültigkeit von Orakeln, ihre historische Bedeutung, quellenkritische Fragen nach ihrer Entstehung, Form- und Sprachprobleme. Sie sind ausführlich behandelt in den Untersuchungen von Parke-Wormell, „The Delphic Oracle" 1 , und in Crahays eindringender Quellenanalyse der von Herodot erwähnten Orakel. Hier geht es allein um ihre Funktion im Werk Herodots, wie und warum er sie so reichlich verwendet. Es steht heute außer Zweifel, daß Herodot an die Untrüglichkeit von Orakeln fest glaubte, daß er alle Prophezeiungen, die er ohne Einschränkung wiedergab, für echt gehalten hat 2 . Daher zielt diese Untersuchung nicht auf eine religionsgeschichtliche Analyse etwa der herodoteischen Zeit, sondern wird allein der persönlichen Aussage Herodots nachforschen. Die Interpretation soll ausschließlich aus dem Text seines Werkes hervorgehen und wird in erster Linie eine Untersuchung der kompositionstechnischen Verwendung von Orakeln sein. Wo immer aber Herodot die Gestalten seines Werkes sich mit solchen göttlichen Zeichen auseinandersetzen läßt, fassen wir zugleich etwas von seiner eigenen Deutung des Geschehens aus den Faktoren des Göttlichen und des Menschlichen. Es wird sich, so hoffen wir, als berechtigt erweisen, daß wir nicht dem üblichen Einteilungsschema nach Art der Orakelbefragungen und -antworten gefolgt, sondern einfach dem Text Herodots nachgegangen sind. Eine Einteilung in inhaltlich zusammengehörige Komplexe ergab sich von selbst. Etwa außerhalb eines größeren Zusammenhanges stehende Orakel sind sinngemäß als Parallele zu ähnlichen Berichten eingefügt worden. 1 Besonders B d . II, Prolegomena, V I I — X X X V I . Man sollte jedoch die Bedenken, die Berve in seiner Rezension z.T. gegen die Prolegomena geltend macht, berücksichtigen (Gnomon 30, 1958, 419—421). 2 Eine Zusammenstellung aller Zeugnisse für den Glauben Herodots und seiner Zeit an Orakel findet sich bei Klees, 71 ff. —
Interpretation der Orakel Kroisos Kaum ein Schicksal im Werk des Herodot vollzieht sich so deutlich unter dem Einfluß göttlichen Wirkens wie das des Kroisos, das Herodot programmatisch als ersten Logos im ersten Buch seines Werkes darstellt. Nach dem zweiten Prooimion, das dem Werk sein inneres Motiv von der Unbeständigkeit menschlichen Glückes zusammenfassend voranstellt (1,5, 4), setzt der eigentliche Beginn des historischen Berichtes unmittelbar ein mit dem Stichwort „Kroisos" Zunächst wird er nur erwähnt als der erste Barbar, der Hellenen unter seine Herrschaft brachte. Aber im Rückgriff auf die Vorfahren des Kroisos wird das zweite Motiv sogleich mit aufgenommen. Denn lange schon, ehe er selbst in Erscheinung tritt, steht über seinem Leben der Fluch des Vergehens seines Ahnen Gyges. 1,7,4 Gyges übernahm die Herrschaft über Lydien von Kandaules, der aus dem Geschlecht der Herakliden stammte. Diese hatten sie von den Nachkommen des Lydos erhalten: mxpa TOUTCOV 'HpaxXetSai s 7 U T p a c p •9-EVTEC; EAYOV TTJV a p x " ^
•9-EO7TPO7RIOU
(1, 7,
4).
Wie die Regierung von Kandaules an Gyges übergeht, wie Kroisos sie dann verliert, wird Herodot ausführlich berichten. Den Wechsel vom Geschlecht des Lydos auf das des Herakles kann oder will er nicht näher erklären als durch ein religiöses Motiv. Wir begegnen hier mit den Worten ex -ö-so-rcpoTÜou zum ersten Mal dieser Art von Motivation. Sie kann nicht sparsamer angegeben werden als durch eben diese zwei Worte. Dennoch verliert sie auch so nicht an Gewicht als Ursache einer Veränderung der Lage. Nicht weniger als 17 der etwa 90 Orakel im Werk Herodots sind auf diese oder eine ähnlich knappe Form beschränkt, wobei die Ausdrücke -9-E07tpo7uov, Xoyia, ¡xavTTjiov, ypTjCTjj-ot;, xpv](7T7)piov beliebig und offenbar ohne Unterschied in der Bedeutung gebraucht werden1. Für Herodot ist es selbstverständlich, daß auf Grund eines Orakels ein Regierungswechsel erfolgen kann 2 . Weitere Motivationen braucht er nicht, gibt sie jedoch oft 1 Die Stellen sind 1, 7, 4 ; 1, 64, 2 ; 1, 165, 1; 2, 134, 4 ; 2, 158, 5 ; 3, 16, 6 ; 3 , 6 4 , 4 ; 4, 1 4 9 , 2 ; 5 , 1 , 2 ; 6 , 1 1 8 , 3 ; 7 , 1 1 7 , 2 ; 7 , 1 8 9 , 1 ; 7 , 1 9 7 , 1 . 3 ; 8, 141, 1; 9, 4 2 , 3 ; 9 , 9 3 , 1 . Andere Stellen kommen diesen in der Knappheit des Berichtes nahe. 2 So außer hier z . B . in 2, 139; 2, 147; 4, 161; 5, 92 e; 6, 52, 5.
12
Interpretation der Orakel
genug, nämlich immer, wenn ein solcher Umsturz aus menschlicher Initiative hervorgeht. Dann kann ein Orakel als entscheidende Bestätigung der schon bestehenden Lage fungieren und ihr Gültigkeit verleihen. So geschieht es in der Gyges-Geschichte: 1, 13 Der Bericht vom Übergang der Lyderherrschaft von den Herakliden auf die Mermnaden, von Kandaules an Gyges, enthält sich jedes moralischen Urteils über das Handeln des Gyges 1 . Sowohl die Entehrung der Frau als auch der Mord an Kandaules sind Handlungen, die Gyges wider seinen Willen, unter dem Zwang der Notwendigkeit ausführt 2 . Ein Vorwurf scheint ihn nicht zu treffen; sein Tun wird scheinbar gerechtfertigt durch ein Orakel, das ihn als König der Lyder bestätigt, avsiXe ts Syj tö ypTjoT^piov y.c.i eßacriXeixre outq 'HpaxAsiSflao zimc, yfezi e? tov 7refX7TTov a7royovov rüysw (1, 13, 2). Hier erst wird das Orakel in ausführlichem Wortlaut wiedergegeben — ein Zeichen, welche Bedeutung Herodot diesem Teil des Orakels zumißt, gegenüber dem zur Bestätigung der Herrschaft 3 . Und hier erst erhält mit dem Wort „ R a c h e " die Gygestat ihr ethisches Gepräge und wird nachträglich als Freveltat hingestellt, die ihre Vergeltung fordert. Obwohl Herodot die E n t scheidung des Gyges als unfreiwillig und erzwungen geschildert hatte, macht er ihn mit den Worten des delphischen Orakels für seine T a t verantwortlich 4 . Die Erfüllung der Vergeltung wird zeitlich festgelegt, 1 Herodot ist überhaupt nicht eigentlich „moralisch". Das verkennt Stoessl, der meint, Herodot habe den Menschen als moralisches Wesen und sein Handeln als moralisches Problem für die geschichtliche Darstellung entdeckt (483). E r exemplifiziert das besonders an Gyges und Kroisos. 2 In 1, 1 1 , 3 . 4 wird in wenigen Sätzen dreimal das Wort äva-yxatrj bzw. cä^to wiederholt. In den Worten I, 10, 1: 6 uiv Sr; ¿>c, oüx eSuva-ro Siacpu-yelv, Tp 2x01^0? klingt die Aussage des Apollon in 1, 91, 1 mit an: ttjm 7vs7ip