Kernenergie: Kraftwerkstypen, Entwicklungen und Risiken [1 ed.] 9783658315115, 9783658315122

Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen steigt stetig an. Zugleich produzieren sie in der Stromgestehung aufgrund der O

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Inhaltsverzeichnis
1: Einleitung
2: Kernreaktionen
2.1 Grundbegriffe
2.2 Allgemeine Klassifikationen der Kernreaktionen
2.3 Physikalische Grundlagen der Kernenergie
2.3.1 Kernmodelle
2.3.1.1 Radioaktivität
2.3.1.1.1 Alpha-Zerfall (α-Zerfall)
2.3.1.1.2 Betazerfall (ß-Zerfall)
2.3.1.1.3 Gammastrahlung (ɣ-Strahlung)
2.3.2 Durchgang von geladenen Teilchen und ɣ-Quanten durch Materie
2.3.3 Kernreaktionen
2.3.3.1 Grundbegriffe
2.3.3.2 Allgemeine Klassifikation der Kernreaktionen
2.3.3.3 Prinzip der Energieumwandlung
2.3.4 Neutronenausbeute beim Spaltprozess
2.3.4.1 Neutronenfluss und Reaktionsrate
2.3.4.2 Kettenreaktion und kritische Bedingung
2.3.4.3 Moderation der Neutronen
2.3.4.4 Thermisch, epithermische und schnelle Spaltprozesse
2.3.4.5 Homogene und heterogene Anordnungen
2.3.5 Konversion und Brüten
3: Auslegung von Kernreaktoren
3.1 Einleitung
3.2 Transport- und Diffusionsgleichungen für die Neutronenflussdichte
3.2.1 Diffusionsgleichungen für die energieabhängige Neutronenflussverteilung
3.2.2 Neutronenphysikalische Betrachtungen von Materialien
3.2.2.1 Einleitung
3.2.2.2 Mittelung über das thermische Spektrum
3.2.2.3 Der homogene thermische Reaktor (Vierfaktorenformel)
3.2.2.4 Der heterogene thermische Reaktor
3.2.2.5 Numerische Berechnungsmethoden
3.3 Langzeitverhalten von Reaktoren
3.3.1 Der Uran-Plutonium- und der Thorium-Uran-Zyklus
3.3.2 Spaltproduktvergiftung
3.3.2.1 Xenonvergiftung unter stationärem Fluss
3.3.2.2 Xenonaufbau nach dem Abschalten
3.3.2.3 Samariumvergiftung unter stationärem Fluss
3.3.2.4 Samariumaufbau nach dem Abschalten
3.4 Fluss- und Leistungsformfaktor
3.5 Beschickungsmethoden
3.6 Reaktor-Regelung
3.6.1 Reaktivität, Generationsdauer, Reaktorperiode
3.6.1.1 Bor
3.6.1.2 Cadmium
3.6.1.3 Hafnium
3.6.2 Neutronengifte zur Reaktorregelung und Flussglättung
4: Kühlmittel
4.1 Einleitung
4.2 Kerntechnische Eigenschaften
4.2.1 Notwendigkeit geringer Absorption und starker Streuwirkung
4.2.2 Schwache Aktivierung
4.3 Temperaturverlauf im Brennelement
4.3.1 Einführung
4.3.2 Wärmeleitung im zylindrischen Brennelement
4.3.3 Wärmeleitung in einem kugelförmigen Brennelement
4.4 Wärmeleitung in der Brennstoffhülle
4.5 Wärmeübertragung im Spalt zwischen Brennstoff und Hülle
4.6 Axialer Temperaturverlauf im Brennelement und im Kühlmittel
4.7 Kühlmittelströmung
4.7.1 Wärme- und Impulsübertragung
4.7.1.1 Ähnlichkeitsbetrachtung und dimensionslose Kennzahlen
4.7.1.2 Gebrauchsformeln für den Wärmeübergang und den Druckverlust
4.8 Kühlmittelumwälzleistung für einen Kanal
4.9 Radiale Verteilung des Kühlmittelstroms im Reaktor-Core
4.9.1 Umwälzleistung und Netto-Wirkungsgrad
4.10 Fehlerbetrachtung bei der Core-Auslegung
5: Aspekte der Reaktor-Core-Auslegung
5.1 Druckwasserreaktor
5.2 Siedewasserreaktor
5.2.1 Schwerwasserreaktoren (Candu) und (RBMK)
5.3 Gasgekühlter Reaktor
5.3.1 Einführung
5.3.2 Auslegungsprinzipien
5.4 Natriumgekühlte Brutreaktoren
6: Thermodynamische Analyse der Kreisprozesse von Kernkraftwerken
6.1 Einleitung
6.2 Analyse des Clausius-Rankine Prozesses unter Kernkraftwerksbedingungen
6.2.1 Design von Dampferzeugern und Wärmeübertrager
6.2.1.1 Druckwasserreaktor
6.2.1.2 Gasgekühlter Reaktor
6.2.1.3 Natrium gekühlter Reaktor
6.3 Umwälzpumpen
6.3.1 Wassergekühlter Reaktor
6.3.2 Gasgekühlte Reaktoren
6.3.3 Natriumgekühlter Reaktor
6.4 Designkonzepte von Reaktor-Druckbehältern
6.4.1 Druck- und Siedewasserreaktorbehälter
6.4.1.1 Zerstörungsfreie Prüfverfahren
6.4.2 Gasgekühlte Reaktoren
6.4.3 Natriumgekühlte Reaktoren
6.5 Be- und Entladeeinrichtungen
6.5.1 Wassergekühlter Reaktor
6.5.2 Natrium gekühlter Schneller Brüter
6.6 Wirkungsgradanalyse der verschiedenen Reaktortypen
7: Regelsysteme
7.1 Einleitung
7.2 Druckwasserreaktor
7.3 Siedewasserreaktor
7.4 Gasgekühlter Reaktor
7.5 Natrium gekühlter Schneller Brüter
8: Sicherheit von Kernreaktoren
8.1 Einleitung
8.2 Sicherheitskonzepte von Kernreaktortypen
8.2.1 Druckwasserreaktor
8.2.2 Siedewasserreaktor
8.2.3 Gasgekühlter Reaktor
8.2.4 Natriumgekühlter schneller Reaktor
8.3 Analyse des Reaktorcores unter Sicherheitsaspekten
8.3.1 Reaktorcorereaktionen
8.3.1.1 Durchbrechen des Reaktordruckbehälters
8.3.1.2 Wechselwirkungen zwischen Corium und Beton
8.3.1.3 Beispiel für ein Sicherheitssystem
8.3.1.3.1 Karenzzeit
8.3.2 Wahrscheinlichkeitsanalysen
8.4 Biologische Auswirkungen der radioaktiven Strahlung
8.4.1 α-Strahlung
8.4.2 β-Strahlung
8.4.3 γ-Strahlung
8.4.4 Neutronenstrahlung
8.5 Gewebeschädigung
8.5.1 Natürliche Strahlenexposition
8.5.2 Wirkungen einer Strahlenexposition
8.6 Aktivität der Spaltprodukte
8.7 Aktivität des Kühlmittels
9: Abschirmung
9.1 Einleitung
9.2 Neutronenabschirmung
9.2.1 Neutronenquellen
9.2.2 Bestimmung der Neutronenflussverteilung in der Abschirmung
9.3 γ-Strahlen Abschirmung
9.3.1 γ-Strahlungs-Quellen
9.4 Wärmeerzeugung durch Neutronen
9.5 Abschirmwerkstoffe
10: Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren
10.1 Einleitung
10.2 Flüssigsalzreaktoren, MRS (Molten Salt Reactor)
10.3 Gasgekühltes Höchsttemperatur-Reaktorsystem
10.4 Schneller gasgekühlter Reaktor, GFR (Gas-Cooled Fast Reactor)
10.5 Überkritischer Leichtwasserreaktor, SCWR (Super-Critical Water-Cooled Reactor)
10.6 Schneller natriumgekühlter Reaktor, SFR (Sodium-Cooled Fast Reactor)
10.7 Bleigekühltes schnelles Reaktorsystem (Lead-Cooled Fast ReactorSystem (LFR))
10.8 Neue Kernreaktorkonzepte
10.8.1 Schneller gasgekühlter Reaktor
10.8.2 Höchsttemperatur-Reaktor
10.8.3 Schneller natriumgekühlter Reaktor
10.8.4 Schneller bleigekühlter Reaktor
10.8.5 Reaktoren mit Salzschmelze-Kühlung, MRS (Molten Salt Reactors)
10.9 Zeitpläne und technischer Entwicklungsstand
10.10 Kleinreaktoren
10.10.1 Einleitung
10.10.2 In der Entwicklung befindliche Kleinreaktoren
10.10.2.1 Leichtwasser-Kleinreaktoren
10.10.2.2 Gasgekühlte Hochtemperatur (HTR)-Kleinreaktoren
10.10.2.3 Schnelle Kleinreaktoren
10.10.2.3.1 Schnelle Salzschmelze-Kleinreaktoren
10.10.2.4 Flüssigmetall-gekühlte schnelle Kleinreaktoren
10.11 Einsatz künftiger Reaktorkonzepte
11: Brennstoffkreislauf
11.1 Einführung
11.2 Kernbrennstoff Uran
11.2.1 Tiefbau
11.2.2 Tagebau
11.2.3 Lösungsbergbau
11.2.4 Alternative Urangewinnung
11.2.5 Aufbereitung des Uranerzes
11.2.6 Konversion
11.2.7 Anreicherung
11.2.7.1 Anreicherung durch Gaszentrifugen
11.2.7.2 Diffusionsmethoden
11.2.7.3 Weitere Urananreicherungsmethoden
11.2.8 Urandioxid Brennstoff
11.2.8.1 Herstellung von Brennelementen
11.2.9 Urankarbid-Brennstoff
11.2.10 Metallisches Uran
11.3 Kernbrennstoff Thorium
11.3.1 Thoriumgewinnung
11.4 Kernbrennstoff Plutonium
11.4.1 MOX-Brennstoff
11.5 Brennelemente für gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren
11.6 Dispersionsbrennstoffe
11.7 Wiederaufarbeitung
11.7.1 Einleitung
11.7.2 PUREX-Verfahren
11.7.2.1 PUREX-Modifikationen
11.7.3 Pyrochemische Verfahren
11.7.4 Plasmarecycling
11.8 Konzepte für Brennstoffkreisläufe
11.8.1 Offener Brennstoffkreislauf
11.8.1.1 Brennstoffkreislauf mit Natururan
11.8.1.2 Brennstoffkreislauf mit Anreicherung
11.8.1.3 Uran-Thorium-Brennstoffkreislauf
11.8.1.4 Brennstoffkreislauf mit Fluidkernreaktoren
11.8.2 Geschlossener Brennstoffkreislauf
11.8.2.1 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren
11.8.2.2 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren ohne Uran-Plutonium-Auftrennung
11.8.2.3 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit Schnellen Reaktoren ohne Uran-Plutonium Auftrennung
11.9 Entsorgung radioaktiver Abfälle
11.9.1 Arten radioaktiver Abfälle
11.9.2 Analyse der Kavernenmaterialien
11.9.3 Legale Entsorgung in Meergewässern
11.9.4 Lagerung unter freiem Himmel
11.9.5 Illegale Entsorgung
11.9.6 Entsorgung ohne genauen Nachweis
11.9.7 Unfälle mit radioaktivem Abfall
11.9.8 Transmutation
11.10 Stilllegung
12: Die Kernkraft-Kontroverse im Spiegel der Öffentlichkeit
12.1 Einleitung
12.2 Diskurs zwischen Experten: Schneller Brüter contra Hochtemperaturreaktor
12.2.1 Reaktorsicherheit: Argument für den Aufbau regenerativer Energiequellen
12.3 Bemerkungen zum Thema Kernenergie
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Kernenergie: Kraftwerkstypen, Entwicklungen und Risiken [1 ed.]
 9783658315115, 9783658315122

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Hartmut Frey

Kernenergie Kraftwerkstypen, Entwicklungen und Risiken

Kernenergie

Hartmut Frey

Kernenergie Kraftwerkstypen, Entwicklungen und Risiken

Hartmut Frey Esslingen, Deutschland

ISBN 978-3-658-31511-5    ISBN 978-3-658-31512-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31512-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung: Dr. Daniel Fröhlich Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 2 Kernreaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11 2.1 Grundbegriffe������������������������������������������������������������������������������������������������  11 2.2 Allgemeine Klassifikationen der Kernreaktionen ����������������������������������������  24 2.3 Physikalische Grundlagen der Kernenergie��������������������������������������������������  27 2.3.1 Kernmodelle��������������������������������������������������������������������������������������  27 2.3.1.1 Radioaktivität  32 2.3.2 Durchgang von geladenen Teilchen und ɣ-Quanten durch Materie����������������������������������������������������������������������������������������������  49 2.3.3 Kernreaktionen����������������������������������������������������������������������������������  61 2.3.3.1 Grundbegriffe��������������������������������������������������������������������  61 2.3.3.2 Allgemeine Klassifikation der Kernreaktionen������������������  64 2.3.3.3 Prinzip der Energieumwandlung����������������������������������������  67 2.3.4 Neutronenausbeute beim Spaltprozess ��������������������������������������������  70 2.3.4.1 Neutronenfluss und Reaktionsrate ������������������������������������  72 2.3.4.2 Kettenreaktion und kritische Bedingung ��������������������������  78 2.3.4.3 Moderation der Neutronen������������������������������������������������  79 2.3.4.4 Thermisch, epithermische und schnelle Spaltprozesse������  85 2.3.4.5 Homogene und heterogene Anordnungen��������������������������  87 2.3.5 Konversion und Brüten ��������������������������������������������������������������������  90 3 Auslegung von Kernreaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  93 3.1 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������  93 3.2 Transport- und Diffusionsgleichungen für die Neutronenflussdichte����������  94 3.2.1 Diffusionsgleichungen für die energieabhängige Neutronenflussverteilung������������������������������������������������������������������  97 3.2.2 Neutronenphysikalische Betrachtungen von Materialien ���������������� 101 3.2.2.1 Einleitung�������������������������������������������������������������������������� 101 3.2.2.2 Mittelung über das thermische Spektrum�������������������������� 103

V

VI

Inhaltsverzeichnis

3.2.2.3 Der homogene thermische Reaktor (Vierfaktorenformel)���������������������������������������������������������� 104 3.2.2.4 Der heterogene thermische Reaktor���������������������������������� 108 3.2.2.5 Numerische Berechnungsmethoden���������������������������������� 110 3.3 Langzeitverhalten von Reaktoren ���������������������������������������������������������������� 112 3.3.1 Der Uran-Plutonium- und der Thorium-Uran-Zyklus���������������������� 115 3.3.2 Spaltproduktvergiftung �������������������������������������������������������������������� 117 3.3.2.1 Xenonvergiftung unter stationärem Fluss 117 3.3.2.2 Xenonaufbau nach dem Abschalten 119 3.3.2.3 Samariumvergiftung unter stationärem Fluss 120 3.3.2.4 Samariumaufbau nach dem Abschalten 121 3.4 Fluss- und Leistungsformfaktor�������������������������������������������������������������������� 123 3.5 Beschickungsmethoden�������������������������������������������������������������������������������� 124 3.6 Reaktor-Regelung ���������������������������������������������������������������������������������������� 126 3.6.1 Reaktivität, Generationsdauer, Reaktorperiode�������������������������������� 126 3.6.1.1 Bor������������������������������������������������������������������������������������� 129 3.6.1.2 Cadmium���������������������������������������������������������������������������� 130 3.6.1.3 Hafnium ���������������������������������������������������������������������������� 130 3.6.2 Neutronengifte zur Reaktorregelung und Flussglättung ������������������ 131 4 Kühlmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.1 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������ 133 4.2 Kerntechnische Eigenschaften���������������������������������������������������������������������� 133 4.2.1 Notwendigkeit geringer Absorption und starker Streuwirkung�������� 133 4.2.2 Schwache Aktivierung���������������������������������������������������������������������� 134 4.3 Temperaturverlauf im Brennelement������������������������������������������������������������ 135 4.3.1 Einführung���������������������������������������������������������������������������������������� 135 4.3.2 Wärmeleitung im zylindrischen Brennelement�������������������������������� 136 4.3.3 Wärmeleitung in einem kugelförmigen Brennelement �������������������� 138 4.4 Wärmeleitung in der Brennstoffhülle������������������������������������������������������������ 139 4.5 Wärmeübertragung im Spalt zwischen Brennstoff und Hülle���������������������� 140 4.6 Axialer Temperaturverlauf im Brennelement und im Kühlmittel���������������� 140 4.7 Kühlmittelströmung�������������������������������������������������������������������������������������� 144 4.7.1 Wärme- und Impulsübertragung ������������������������������������������������������ 144 4.7.1.1 Ähnlichkeitsbetrachtung und dimensionslose Kennzahlen������������������������������������������������������������������������ 153 4.7.1.2 Gebrauchsformeln für den Wärmeübergang und den Druckverlust���������������������������������������������������������������������� 155 4.8 Kühlmittelumwälzleistung für einen Kanal�������������������������������������������������� 157 4.9 Radiale Verteilung des Kühlmittelstroms im Reaktor-Core�������������������������� 159 4.9.1 Umwälzleistung und Netto-Wirkungsgrad �������������������������������������� 160 4.10 Fehlerbetrachtung bei der Core-Auslegung�������������������������������������������������� 161

Inhaltsverzeichnis

VII

5 Aspekte der Reaktor-Core-Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.1 Druckwasserreaktor�������������������������������������������������������������������������������������� 165 5.2 Siedewasserreaktor���������������������������������������������������������������������������������������� 176 5.2.1 Schwerwasserreaktoren (Candu) und (RBMK)�������������������������������� 181 5.3 Gasgekühlter Reaktor������������������������������������������������������������������������������������ 186 5.3.1 Einführung���������������������������������������������������������������������������������������� 186 5.3.2 Auslegungsprinzipien ���������������������������������������������������������������������� 187 5.4 Natriumgekühlte Brutreaktoren�������������������������������������������������������������������� 196 6 Thermodynamische Analyse der Kreisprozesse von Kernkraftwerken. . . . . . 209 6.1 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������ 209 6.2 Analyse des Clausius-Rankine Prozesses unter Kernkraftwerksbedingungen������������������������������������������������������������������������ 214 6.2.1 Design von Dampferzeugern und Wärmeübertrager������������������������ 218 6.2.1.1 Druckwasserreaktor ���������������������������������������������������������� 221 6.2.1.2 Gasgekühlter Reaktor�������������������������������������������������������� 222 6.2.1.3 Natrium gekühlter Reaktor������������������������������������������������ 223 6.3 Umwälzpumpen�������������������������������������������������������������������������������������������� 227 6.3.1 Wassergekühlter Reaktor������������������������������������������������������������������ 228 6.3.2 Gasgekühlte Reaktoren �������������������������������������������������������������������� 231 6.3.3 Natriumgekühlter Reaktor���������������������������������������������������������������� 232 6.4 Designkonzepte von Reaktor-Druckbehältern���������������������������������������������� 233 6.4.1 Druck- und Siedewasserreaktorbehälter ������������������������������������������ 237 6.4.1.1 Zerstörungsfreie Prüfverfahren 242 6.4.2 Gasgekühlte Reaktoren �������������������������������������������������������������������� 244 6.4.3 Natriumgekühlte Reaktoren�������������������������������������������������������������� 245 6.5 Be- und Entladeeinrichtungen���������������������������������������������������������������������� 247 6.5.1 Wassergekühlter Reaktor������������������������������������������������������������������ 247 6.5.2 Natrium gekühlter Schneller Brüter�������������������������������������������������� 248 6.6 Wirkungsgradanalyse der verschiedenen Reaktortypen ������������������������������ 249 7 Regelsysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������ 251 7.2 Druckwasserreaktor�������������������������������������������������������������������������������������� 256 7.3 Siedewasserreaktor���������������������������������������������������������������������������������������� 258 7.4 Gasgekühlter Reaktor������������������������������������������������������������������������������������ 259 7.5 Natrium gekühlter Schneller Brüter�������������������������������������������������������������� 260 8 Sicherheit von Kernreaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.1 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������ 263 8.2 Sicherheitskonzepte von Kernreaktortypen�������������������������������������������������� 266 8.2.1 Druckwasserreaktor�������������������������������������������������������������������������� 266 8.2.2 Siedewasserreaktor���������������������������������������������������������������������������� 267

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Inhaltsverzeichnis

8.2.3 Gasgekühlter Reaktor����������������������������������������������������������������������� 269 8.2.4 Natriumgekühlter schneller Reaktor ������������������������������������������������ 269 8.3 Analyse des Reaktorcores unter Sicherheitsaspekten ���������������������������������� 270 8.3.1 Reaktorcorereaktionen���������������������������������������������������������������������� 270 8.3.1.1 Durchbrechen des Reaktordruckbehälters ������������������������ 271 8.3.1.2 Wechselwirkungen zwischen Corium und Beton�������������� 272 8.3.1.3 Beispiel für ein Sicherheitssystem ������������������������������������ 273 8.3.2 Wahrscheinlichkeitsanalysen������������������������������������������������������������ 277 8.4 Biologische Auswirkungen der radioaktiven Strahlung�������������������������������� 279 8.4.1 α-Strahlung �������������������������������������������������������������������������������������� 280 8.4.2 β-Strahlung���������������������������������������������������������������������������������������� 280 8.4.3 γ-Strahlung���������������������������������������������������������������������������������������� 281 8.4.4 Neutronenstrahlung�������������������������������������������������������������������������� 283 8.5 Gewebeschädigung �������������������������������������������������������������������������������������� 284 8.5.1 Natürliche Strahlenexposition���������������������������������������������������������� 284 8.5.2 Wirkungen einer Strahlenexposition������������������������������������������������ 285 8.6 Aktivität der Spaltprodukte�������������������������������������������������������������������������� 294 8.7 Aktivität des Kühlmittels������������������������������������������������������������������������������ 296 9 Abschirmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 9.1 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������ 299 9.2 Neutronenabschirmung �������������������������������������������������������������������������������� 303 9.2.1 Neutronenquellen������������������������������������������������������������������������������ 304 9.2.2 Bestimmung der Neutronenflussverteilung in der Abschirmung������ 304 9.3 γ-Strahlen Abschirmung ������������������������������������������������������������������������������ 305 9.3.1 γ-Strahlungs-Quellen������������������������������������������������������������������������ 305 9.4 Wärmeerzeugung durch Neutronen�������������������������������������������������������������� 309 9.5 Abschirmwerkstoffe�������������������������������������������������������������������������������������� 311 10 Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 10.1 Einleitung���������������������������������������������������������������������������������������������������� 315 10.2 Flüssigsalzreaktoren, MRS (Molten Salt Reactor) ������������������������������������ 318 10.3 Gasgekühltes Höchsttemperatur-Reaktorsystem���������������������������������������� 324 10.4 Schneller gasgekühlter Reaktor, GFR (Gas-Cooled Fast Reactor)������������ 326 10.5 Überkritischer Leichtwasserreaktor, SCWR (Super-Critical Water-Cooled Reactor)������������������������������������������������������������������������������� 327 10.6 Schneller natriumgekühlter Reaktor, SFR (Sodium-Cooled Fast Reactor) ���������������������������������������������������������������������������������������������� 329 10.7 Bleigekühltes schnelles Reaktorsystem (Lead-Cooled Fast ReactorSystem (LFR))�������������������������������������������������������������������������������� 335 10.8 Neue Kernreaktorkonzepte ������������������������������������������������������������������������ 336 10.8.1 Schneller gasgekühlter Reaktor���������������������������������������������������� 336 10.8.2 Höchsttemperatur-Reaktor������������������������������������������������������������ 338

Inhaltsverzeichnis

IX

10.8.3 Schneller natriumgekühlter Reaktor �������������������������������������������� 339 10.8.4 Schneller bleigekühlter Reaktor���������������������������������������������������� 342 10.8.5 Reaktoren mit Salzschmelze-Kühlung, MRS (Molten Salt Reactors) �������������������������������������������������������������������������������������� 342 10.9 Zeitpläne und technischer Entwicklungsstand�������������������������������������������� 344 10.10 Kleinreaktoren�������������������������������������������������������������������������������������������� 349 10.10.1 Einleitung�������������������������������������������������������������������������������������� 349 10.10.2 In der Entwicklung befindliche Kleinreaktoren���������������������������� 350 10.10.2.1 Leichtwasser-Kleinreaktoren �������������������������������������� 350 10.10.2.2 Gasgekühlte Hochtemperatur (HTR)-Kleinreaktoren������ 356 10.10.2.3 Schnelle Kleinreaktoren���������������������������������������������� 357 10.10.2.4 Flüssigmetall-gekühlte schnelle Kleinreaktoren���������� 359 10.11 Einsatz künftiger Reaktorkonzepte ������������������������������������������������������������ 361 11 Brennstoffkreislauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 11.1 Einführung�������������������������������������������������������������������������������������������������� 363 11.2 Kernbrennstoff Uran ���������������������������������������������������������������������������������� 365 11.2.1 Tiefbau������������������������������������������������������������������������������������������ 367 11.2.2 Tagebau ���������������������������������������������������������������������������������������� 367 11.2.3 Lösungsbergbau���������������������������������������������������������������������������� 367 11.2.4 Alternative Urangewinnung���������������������������������������������������������� 368 11.2.5 Aufbereitung des Uranerzes���������������������������������������������������������� 369 11.2.6 Konversion������������������������������������������������������������������������������������ 371 11.2.7 Anreicherung�������������������������������������������������������������������������������� 372 11.2.7.1 Anreicherung durch Gaszentrifugen���������������������������� 373 11.2.7.2 Diffusionsmethoden������������������������������������������������������ 375 11.2.7.3 Weitere Urananreicherungsmethoden�������������������������� 376 11.2.8 Urandioxid Brennstoff������������������������������������������������������������������ 380 11.2.8.1 Herstellung von Brennelementen���������������������������������� 382 11.2.9 Urankarbid-Brennstoff������������������������������������������������������������������ 386 11.2.10 Metallisches Uran������������������������������������������������������������������������� 387 11.3 Kernbrennstoff Thorium ���������������������������������������������������������������������������� 387 11.3.1 Thoriumgewinnung ���������������������������������������������������������������������� 388 11.4 Kernbrennstoff Plutonium�������������������������������������������������������������������������� 391 11.4.1 MOX-Brennstoff �������������������������������������������������������������������������� 394 11.5 Brennelemente für gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren������������������������ 395 11.6 Dispersionsbrennstoffe������������������������������������������������������������������������������� 396 11.7 Wiederaufarbeitung������������������������������������������������������������������������������������ 396 11.7.1 Einleitung�������������������������������������������������������������������������������������� 396 11.7.2 PUREX-Verfahren������������������������������������������������������������������������ 397 11.7.2.1 PUREX-Modifikationen ���������������������������������������������� 398 11.7.3 Pyrochemische Verfahren�������������������������������������������������������������� 401 11.7.4 Plasmarecycling���������������������������������������������������������������������������� 403

X

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11.8 Konzepte für Brennstoffkreisläufe�������������������������������������������������������������� 403 11.8.1 Offener Brennstoffkreislauf���������������������������������������������������������� 403 11.8.1.1 Brennstoffkreislauf mit Natururan�������������������������������� 403 11.8.1.2 Brennstoffkreislauf mit Anreicherung�������������������������� 403 11.8.1.3 Uran-Thorium-Brennstoffkreislauf������������������������������ 404 11.8.1.4 Brennstoffkreislauf mit Fluidkernreaktoren ���������������� 405 11.8.2 Geschlossener Brennstoffkreislauf������������������������������������������������ 406 11.8.2.1 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren ������������������������������������������������ 406 11.8.2.2 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren ohne Uran-Plutonium-Auftrennung������������ 407 11.8.2.3 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit Schnellen Reaktoren ohne Uran-Plutonium Auftrennung������������ 408 11.9 Entsorgung radioaktiver Abfälle ���������������������������������������������������������������� 410 11.9.1 Arten radioaktiver Abfälle������������������������������������������������������������ 412 11.9.2 Analyse der Kavernenmaterialien������������������������������������������������ 417 11.9.3 Legale Entsorgung in Meergewässern������������������������������������������ 421 11.9.4 Lagerung unter freiem Himmel���������������������������������������������������� 421 11.9.5 Illegale Entsorgung ���������������������������������������������������������������������� 422 11.9.6 Entsorgung ohne genauen Nachweis�������������������������������������������� 423 11.9.7 Unfälle mit radioaktivem Abfall �������������������������������������������������� 424 11.9.8 Transmutation ������������������������������������������������������������������������������ 424 11.10 Stilllegung �������������������������������������������������������������������������������������������������� 426 12 Die Kernkraft-Kontroverse im Spiegel der Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 429 12.1 Einleitung���������������������������������������������������������������������������������������������������� 429 12.2 Diskurs zwischen Experten: Schneller Brüter contra Hochtemperaturreaktor ������������������������������������������������������������������������������ 436 12.2.1 Reaktorsicherheit: Argument für den Aufbau regenerativer Energiequellen������������������������������������������������������������������������������ 440 12.3 Bemerkungen zum Thema Kernenergie������������������������������������������������������ 454

1

Einleitung

Unsere Welt, in der wir leben, hat die unangenehme Eigenschaft, dass wir für fast alles was wir tun Energie benötigen. Die Energie muss irgendwo herkommen. Fossile Brennstoffe sind Jahrmillionen alt und auf unserem Planeten endlich. Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen steigt stetig an. Zugleich produzieren sie aufgrund der Oxidationsprozesse Kohlendioxid (CO2), das dann in die Atmosphäre entweicht und dort als Treibhausgas die Wärmestrahlung adsorbiert und remittiert. Der Klimawandel wird beschleunigt, die Temperaturen steigen, Pole und Gletscher schmelzen. Die Meere versauern, der Meeresspiegel steigt, die Wüsten breiten sich aus. Das vernichtet zusätzlich Fischbestände sowie Landflächen, die bisher als Wohnraum und Ackerflächen genutzt werden. Ein komplettes Verbrennen der fossilen Energieressourcen, die konservativ auf 5  Billionen Tonnen Kohlenstoff geschätzt werden, würde hingegen zu einem weltweiten  Temperaturanstieg  von ca.  6,4 bis 9,5  °C führen, was sehr starke negative Auswirkungen auf  Ökosysteme, menschliche  Gesundheit, Landwirtschaft, die Wirtschaft usw. hätte. Da die wachsende Menschheit, unter der gegenwärtigen Zunahme der Erdbevölkerung, im Jahre 2050 werden rund 10 Milliarden Menschen auf dem Erdball leben.1 Abb. 1.1,2 ständig weitaus mehr fossile Energie verbraucht als diese sich regeneriert, ist es notwendig den Verbrauch an fossiler Energie zu reduzieren. Es ist daher einerseits erforderlich, die Effizienz des Energieverbrauchs zu verbessern und regenerative Energiequellen einzusetzen, andererseits auf Energiequellen zurückzugreifen, die während ihres Betriebs klimaneutral sind.

 Vereinte Nationen, Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten, Bevölkerungsabteilung (2018) World Population Prospekts: The 2019 Revision, UBS Switzerland AG. 2  Vereinte Nationen, Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten, Bevölkerungsabteilung (Überarbeitung 2018). 1

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 H. Frey, Kernenergie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31512-2_1

1

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2 12 10 8 6 4 2 0 1950

1960

Weltweit

1970

1980

1990

2000

2010 2020E 2030E 2040E 2050E

Gut entwickelte Länder

Weniger entwickelte Länder

Abb. 1.1  UN-Prognose zur Entwicklung der Weltbevölkerung in den Jahren 2010 bis 2050

Auch weiteren Zubau regenerativer Energiequellen, wird es zwei Energiesysteme vorausgesetzt  – ein zentrales System zur Grundlastversorgung und Netzstabilisierung sowie eine Mischung aus zentralen und dezentralen regenerativen Energiequellen. Ohne eine robuste Grundlast zur Stromversorgung geht nichts. Erzeugen Windräder und Solarzellen zu viel Strom, müssen Anlagen entweder abgeschaltet oder der Strom gespeichert werden. Stromspeicher können Batterien, Pumpspeicherkraftwerke oder Windgas (Power-to-gas) sein, um regenerativ erzeugten Überschussstrom aufzunehmen. Sicher – Stromspeicher könnten die Lücken füllen, wenn Windräder pausieren, oder die Sonne nicht scheint, was jede Nacht der Fall ist. Speicher könnten auch aus einem drittklassigen Energiefluss, dem volatilen Wind- und Solarstrom, einen vollwertigen machen, der jederzeit bedarfsgerecht nutzbar ist. Der Bedarf an Speicherkapazität wäre allerdings enorm. Was bleibt ist die Kernenergie, die den anderen Quellen zur Seite und schließlich an die Stelle der fossilen Energiequellen treten könnte. Betrachtet man die gesamte Prozesskette vom Bau über den Betrieb bis zur Entsorgung und insbesondere bei der Urangewinnung und Brennstoffherstellung ist auch die Kernenergie keineswegs CO2-frei. So erfordern der Abbau und die Verarbeitung von Uranerz, die Anreicherung des spaltbaren Urans mittels Zentrifugen und die Brennelementherstellung Energie. Auch der Bau eines Kernkraftwerkes und die Gewinnung der dazu erforderlichen Materialien sind energieintensiv. Für viele Prozesse werden fossile Primärenergieträger eingesetzt und so Treibhausgase erzeugt. Diese Vorgänge bezeichnet man als vorgelagerte Prozesskette. Diese betreffen nicht nur die Kernenergie. Für jeden anderen Kraftwerkstyp, auch für die Umwandlung regenerativer Energie in Strom, sind ebenfalls Herstellung, Energieträgergewinnung und Transporte zu berücksichtigen.

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3

Tab. 1.1  Energieinhalt verschiedener Brennstoffea Brennmaterial Ungefährer Energiegehalt je Tonne (GJ) Holz 14 Kohle 2ß Öl 42 Erdgas (flüssig) 46 Uran (LWR; offener Brennstoffkreislauf) 630.000 KERNENERGIE-AGENTUR, ORGANISATION FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT UND ENTWICKLUNG

a

Die Energiedichte von Kernbrennstoffen ist extrem groß, so dass ein Kernreaktor sehr viel Energie mit geringen Mengen von Brennstoff liefern kann, Tab. 1.1.3 Dies bedeutet, es müssen relativ geringe Mengen an Brennstoff gewonnen, verarbeitet und transportiert werden. Dies wird ein Stück weit dadurch relativiert, dass  Uranerze meist nur sehr geringe Konzentrationen von spaltbarem Material enthalten, wodurch die zu fördernden Erzmengen wie auch die Mengen von Abraum weitaus höher sind als die gewonnene Menge von Kernbrennstoff. Außerdem wird meist davon nur der geringe Anteil Uran 235 genutzt (nur ca. 0,7 % des Natururans). Trotzdem haben die Bergbauaktivitäten, die z. B. für den einjährigen Betrieb eines Kernkraftwerks notwendig sind, einen sehr kleinen Umfang verglichen zu denjenigen für ein  Kohlekraftwerk. Deshalb sind Kernbrennstoffe bezogen auf die enthaltene Energiemenge preisgünstig im Vergleich zu fossilen Brennstoffen; in der Tat spielen die Brennstoffkosten für die Gesamtkosten nur eine untergeordnete Rolle. Eine weitere positive Folge der hohen Energiedichte ist, dass große Energiemengen auf kleinem Raum gespeichert und leicht transportiert werden können. Dies erlaubt es, die Abhängigkeit von Brennstofflieferungen zu vermindern. Die Kernenergienutzung hat jedoch auch Nachteile. So können Reaktorunfälle Gebiete radioaktiv kontaminieren. Dieses Risiko lässt sich ausschließen, wenn man dazu übergeht Kernkraftwerke unterirdisch zu bauen. Dieses Konzept wurde bereits in den siebziger Jahren durchgerechnet mit dem Ergebnis, dass sich die Baukosten etwa um das 1,5-fache erhöhen würden.4 Ein Problem der Kernenergie ist die Entsorgung des abgebrannten Kernbrennstoffs, da dieser radioaktiv ist. Da der Zerfall des radioaktiven Abfalls extrem langlebig, Tab. 1.2, ist, bleibt diese Radioaktivität für hunderttausende von Jahren bestehen. Deswegen ist es erforderlich, auf Transmutationen der Spaltprodukte von Kernreaktionen zu setzen, um den Atommüll schneller abklingen zu lassen. Eine politische Lösung könnte auch die Lagerung des hoch radioaktiven Abfalls aus Kernreaktoren in menschenleeren Gebieten, z. B. in Kavernen in Wüsten unter der Kontrolle der UN sein. Bei der Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstoffe, um die Reserven spaltbaren Materials zu erhöhen, besteht die Gefahr, dass es dabei zu radioaktiven Emissionen  KERNENERGIE-AGENTUR, ORGANISATION FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT UND ENTWICKLUNG. 4  Wolfgang Kröger, Studie an der ETH Zürich, 1978. 3

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Tab. 1.2  Radioaktive Isotope, die bei der Kernspaltung entstehen Isotop Strontium 90 Cäsium 137 Americium 241 Americium 243 Plutonium 239 Technetium 99

Ungefähre Halbwertszeit 29 Jahre 30 Jahre 430 Jahre 7400 Jahre 24.000 Jahre 213.000 Jahre

kommt, was sich durch Abgasreinigung weitestgehend vermeiden lässt.5 Durch die Wiederaufarbeitung wird weniger Natururan benötigt, so dass die mit dem Uranbergbau und der Urananreicherung verbundenen Gefahren und Umweltbelastungen reduziert werden. Ist die Kernspaltung von den Uranvorkommen abhängig, ist das Rohmaterial (Deuterium und Tritium  – Wasserstoffisotopen) für Kernfusionsreaktoren unerschöpflich und etwas weniger mit langlebigen radioaktiven Nebenprodukten belastet. Von einem Treibhauseffekt während des Betriebs zwar frei, analog den Kernreaktoren, würde die Kernfusion in verschwenderischem Gebrauch doch ein Problem der Umwelterhitzung mit sich führen, das ausschweifenden Träumen von einer in technologischer Üppigkeit lebenden, vielfach vermehrten Menschheit der Zukunft eine unerbittliche Grenze setzt. Denn jeder Gebrauch von Energie endet in Wärme. Das Ausmaß des Gebrauches steht daher im irdischen Raum nicht frei. All die Wärme muss abgeführt werden, und dafür steht bisher nur die irdische Umgebung, nicht das Weltall zur Verfügung. Die Unmöglichkeit aber den Energieverbrauch von den thermalen Folgen zu trennen, ist letztlich dieselbe wie die Unmöglichkeit, ein Perpetuum mobile zu bauen: die Überwindung der Entropie, Energie degeneriert letztendlich zu Wärme, und dadurch erhöht sich die globale Temperatur. Seit geraumer Zeit werden in einigen Ländern neue Kernkraftwerke gebaut. Die weltweite Akzeptanz der Stromerzeugung durch Kernenergie hat durch die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima gelitten, wobei Tschernobyl auf menschliches Versagen beruhte, während die Reaktorblöcke in Fukushima optimal auf Erdbeben ausgelegt waren, nicht aber auf den eines Tsunami. Eine Umkehr hin zu mehr Kernenergie ist aufgrund der Entwicklung des Klimas mehr als notwendig. Die Baukosten für ein Kernkraftwerk sind gering im Verhältnis zu den Auswirkungen des Klimawandels. Rund 30 Länder weltweit nutzen die Kernenergie zur Stromerzeugung. Im weltweiten Durchschnitt dagegen liegt dieser Anteil bei 16 %,6 Abb. 1.2.7 Verglichen mit dem gesamten Energieumsatz (nicht nur für elektrische Energie, sondern auch Wärme etc.) ist der globale Anteil der Kernenergie recht gering: Weltweit deckt  Anderle. F, H. Frey, G. Lerch: Tieftemperatur-Rektifikationsanlage zum Abscheiden von Krypton 85 und Xenon 133 aus kerntechnischen Anlagen, Kerntechnik Nr. 11, 1977. 6  Quelle: Internationale Energie-Agentur. 7  UBS Switzerland AG, 2019. 5

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5

Abb. 1.2 Weltstromerzeugung, aufgeteilt nach Energieträgern Stand 2014

Sonstige 1.9 Wasserkraft 15.9

Kohle 40.1

Kernenergie 15.8 Gas 19.4

Öl 6.9

Insgesamt: 16 661 TWh

die Kernenergie zur Zeit 2,5  % des  Endenergiebedarfs ab, oder rund 6  % der  Pri­ märenergie.8 Von daher würde beispielsweise ein relevanter Beitrag der Kernenergie zum  Klimaschutz voraussetzen, dass die entsprechenden Kapazitäten massiv ausge­ weitet werden. Der World Nuclear Industry Status Report 2017 berichtet detailliert über die Aufgabe von Kernenergie-Projekten in vielen Ländern, massive Probleme mit vielen aktuellen Bauprojekten weltweit und über dramatische Kursverluste der Aktien von Firmen, die Kernkraftwerke bauen oder betreiben. Hier zeigt sich das entscheidende Problem, Klimawandel kann man nicht mit den Prinzipien einer auf Konsum basierenden Marktwirtschaft aufhalten. Der Energiebedarf steigt mit weltweit wachsendem Konsum – und zwar auch in ärmeren Ländern. Treibhaus-Gigant ist China geworden.9 Vor allem aber, weil die reichen, westlichen Industriestaaten die beschlossenen Klimaschutz-Vorgaben viel zu langsam umsetzen, Abb. 1.3. Der Weltklimarat geht davon aus, dass wir wahrscheinlich erst im Jahr 2100 eine Erwärmung von 4  °C erreichen werden. Aber er berücksichtigt dabei keine so genannten „Feedback-Cycles“. Die Welt wird wärmer, weil mehr CO2 in der Atmosphäre ist. Weil es wärmer wird, gibt es häufiger Waldbrände, die wiederum CO2 freisetzen – ein klimatischer „Feedback-Cycle“. Das gilt auch für die Weltmeere: Durch das CO2 werden sie saurer und wärmer. Dadurch stirbt Phytoplankton. Diese winzig kleinen Algen binden ungefähr die Hälfte unserer CO2-Emissionen. Je mehr CO2 wir ausstoßen, desto schneller sterben sie. Je schneller sie sterben, desto weniger CO2 binden sie. Auch Gletscher dienten bisher als gigantische Spiegel, die Sonnenenergie zurück ins All reflektierten. Jetzt schmelzen sie. Für alle drei Mechanismen gilt: Je wärmer es wird, desto schlechter schützen sie unser Klima. Und je schlechter sie unser Klima schützen, desto wärmer wird es. Ein Teufelskreis. 8 9

 UBS Switzerland AG, 2019.  ZEIT-Grafik/Quellen: Bundesministerium für Umwelt, Weltbank.

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6 Abb. 1.3 CO2-Ausstoß und Anteil der Weltbevölkerung einzelner Weltregionen

USA und Kanada

15,9

4,8 Australien und Südpazifik

11,6

0,5 Russland

11,5

1,9 Deutschland

9,5

1,1 Naher Osten

7,5

4,4 China

7,4

18,6

EU28 (ohne Deutschland) 6,2 5,8 ehem. Sowjetrepubliken (ohne Russland) 5,4 1,9 Rest Europa 0,3

5,2

Lateinamerika 3,0

Globaler Durchschnitt: 4,8 t pro Kopf 5,8

Asien (ohne China und Indien) 2,9 Nordafrika 2,2 3,2 Brasilien 2,2 2,8 Indien

17,3 CO2-Ausstoß

in Tonnen pro Kopf Anteil an der Weltbevölkerung in Prozent

1,9

Subsahara-Afrika 0,7

17,8

13,6

1 Einleitung

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Doch Wissenschaftler können nicht genau berechnen, wie schnell sich dieser Teufelskreis dreht, und deshalb berücksichtigen die Berichte des Weltklimarats diese „Feedback-­ Cycles“ nicht. Sie verkünden nur, worauf sich alle Mitgliedsländer einigen können, das, was zweifellos erwiesen ist. Die Prognosen sind deshalb sehr präzise  – aber auch sehr zurückhaltend. Der Klimawandel kann in einer ausufernden Konsumgesellschaft auch mit einer modernen Form der Kernenergienutzung nicht aufgehalten werden, hinauszögern kann sie den Klimawandel allemal. Hierfür benötigt man Kernreaktoren, die einerseits die nuklearen Brennstoffe weitaus effizienter nutzen, und andererseits weniger langlebige radioaktive Abfälle produzieren. Dies ist mit Brutreaktoren, diese wurden 1977 unter dem Aspekt der Proliferation von dem damaligen amerikanischen Präsidenten Carter abgelehnt, und mit neu konzipierten, inhärent sicheren, kleinen Reaktoren in Modulbauweise möglich, nicht jedoch mit den heute fast ausschließlich genutzten Leichtwasserreaktoren. Der Brutreaktor erzeugt Energie  und gleichzeitig weiteres spaltbares Material. Ein nicht spaltbares Nuklid wird in ein spaltbares umgewandelt, das dann wieder als Kernbrennstoff verwendet werden kann. Diese Umwandlung findet in jedem Kernreaktor statt, aber von einem Brutreaktor spricht man erst dann, wenn er mehr Brennstoff herstellt, als er in der gleichen Zeit selbst verbraucht. Aus natürlichem Uran kann mit Brutreaktoren rund 60-mal mehr Energie gewonnen werden als mit Leichtwasserreaktoren. Die einzigen Brutreaktoren im kommerziellen Betrieb der BN-600 und der BN-800 mit einer Leistung von 400 und 800 MW laufen in Russland. Ein Brutreaktor mit einer Leistung von 500 MW soll demnächst in Indien in Betrieb gehen. Die Chinesen planen einen Brutreaktor mit einer Leistung von 600 MW, der 2023 in Betrieb gehen soll. Darüber hi­ naus sind einige Versuchs-Brutreaktoren in Betrieb, Bau oder Planung. Im Vergleich etwa zu Leichtwasserreaktoren erfordert der Betrieb eines Brutreaktors zusätzliche Sicherheitseinrichtungen. Dazu haben Brutreaktoren außer den normalen Steuerstäben weitere, unabhängige Sätze von Sicherheits- oder Abschaltstäben, die im Bedarfsfall in den Reaktorkern hineinfallen oder hineingeschossen werden können. Ausgelöst wird eine solche Abschaltung durch redundante Sicherungssysteme zur Feststel­ lung von Übertemperaturen und von Siedevorgängen. Durch die Nutzung Künstlicher Intelligenzmethoden, wie Multiagentensysteme gekoppelt mit neuronalen Netzwerken lassen sich Anomalitäten bereits früher erkennen als durch die menschliche Beobachtung von Anzeigen in der Reaktorwarte. Im Prinzip als inhärent sicher gilt der Hochtemperaturreaktor. In diesem wählt man die Konzentration des Spaltmaterials so, dass die Schmelztemperatur grundsätzlich nicht erreicht werden kann. Und je heißer der Reaktor wird, desto weniger Kernspaltungen finden darin statt. Hochtemperaturreaktoren mit einer Leistung bis zu 200 MW lassen sich auch so bauen, dass die Luftzirkulation ausreicht, um den Reaktorkern ohne zusätzliche Kühlsysteme abzukühlen. Eine Kernschmelze ist dadurch ausgeschlossen. Die Steuerung der Kettenreaktion erfolgt wie bei anderen Reaktortypen durch Steuerstäbe.

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Eine Besonderheit des Hochtemperaturreaktors ist es, dass er aus Thorium im laufenden Reaktorbetrieb in den Brennelementen spaltbares Uran erbrütet und teilweise sofort mitverbrennt. Laut dem Physiknobelpreisträger Carlo Rubbia könnte eine Tonne Thorium so viel Energie produzieren wie 200 Tonnen Uran. Man könnte die Welt damit theoretisch für Tausende von Jahren mit Energie versorgen. Thorium strahlt, aber es muss nicht angereichert werden, und es ist nicht waffenfähig. Es entsteht deutlich weniger radioaktiver Müll als in Urankraftwerken, und wenn man Thorium klug verfeuert, strahlt der Abfall für 500 Jahre – das ist lang, aber doch beileibe nicht so lang wie 20.000 und mehr. Einige Wissenschaftler halten sogar Thorium-Reaktoren für denkbar, in denen man die Abfälle aus alten Kernkraftwerken verfeuern kann, und sogar das Plutonium aus Atomwaffen. Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology haben bereits 2003 untersucht, welche Kernenergie-Infrastruktur basierend auf Leichtwasser- und Siedewasserreaktoren in der Zukunft nötig wäre, um den Ausstoß an Treibhausgasen bedeutend zu verringern. Die Studie legt eine Steigerungsrate des weltweiten Stromverbrauchs zwischen 1,5 bis 2,5 Prozent pro Jahr im Zeitraum 2000 bis 2050 zu Grunde. Soll die Kernenergie ihren bisherigen Anteil an der weltweiten Stromversorgung beibehalten oder diesen sogar auf etwa 25 Prozent ausbauen, so ergäbe sich für das Jahr 2050 eine erforderliche Bandbreite der installierten Kraftwerksleistung zwischen 650 und 1545 GWel. Bei einer installierten Leistung von 1000 GWel könnte die Kernenergie dann im Jahr 2050 1800 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten einsparen. Dies entspräche etwa zehn Prozent der heutigen weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Um einen aus Sicht dieser Studie bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, müssten daher im Jahr 2050 zwischen 1000 und 1500 Reaktoren mit jeweils 1000 MWel installiert sein. Zum Vergleich: Heute gibt es weltweit 442 Kernkraftwerke. Es stellt sich die Frage, ob denn die Kernenergie die geeignete Option ist, um solche CO2-intensiven Energieträger wie die Kohle abzulösen und welcher Zubau denn dazu erforderlich wäre. Manche Institutionen und Verbände sehen diese Möglichkeit. Die World Nuclear Association, ein Lobbyverband der Kernenergie, stellt Prognosen auf, nach denen bis zum Jahr 2060 1130 bis 3500 Gigawatt elektrischer Leistung (GWel) aus Kernkraftwerken bereitgestellt werden könnte, bis ins Jahr 2100 sogar 11.000 GWel. Werden Reaktoren mit einer Leistung von 1600 Megawatt elektrischer Leistung (MWel) zu Grunde gelegt, wären dies bis zu 6800 neue Reaktoren oder eine Steigerung gegenüber der heutigen Anzahl an Reaktoren um den Faktor 15. Die Rolle des Klimawandels hat in der Untersuchung des MIT nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Schäden, die sich durch den Klimawandel abzeichnen sind bisher nur grob abzuschätzen, sie sind äußerst verwickelt, abhängig vom Wirtschaftssystem, der geltenden Rechtsordnung und von der Bereitschaft einer Gesellschaft sich mit Risiken in Forschung und Entwicklung auseinanderzusetzen. Die modernen Analysenmethoden sozialer, ökologischer und ökonomischer Kausalitäten, unterstützt durch immer komplexere Algorithmen, deren Ergebnisse von Rand- und Anfangsbedingungen abhängen, bieten Extrapolationen in die Zukunft. Diese, so unsicher wie sie sein mögen, befreien das Zukunftsdenken als solches von der bloßen Analogie auf Prozesse in der Vergangenheit und

1 Einleitung

9

deren Übertragung in die Zukunft mittels wiederholender Induktion der Erfahrung in die Deduktion des noch-nicht Gewesenen; also aus dem Erraten in die Berechnung der Zukunft. Gleichzeitig nimmt die Macht öffentlicher Kontrollen über das soziale Geschehen zu, d. h. die intervenierende Eigenkausalität des politischen Willens erfolgt immer häufiger gemeinsam mit der Bürokratie. Dem steht die immer unübersichtlicher werdende Komplexität des theoretisch und praktisch zu meisternden Gesellschaftsgeschehens mit seinen Machtstrukturen gegenüber (also auch der erforderten Modelle ökologischen Verhaltens); die Zahl der Unbekannten steigt zugleich mit dem Inventar der bekannten Größen  – ein eigentümlicher Wettlauf zwischen dem Wissen und der Eigenbewegung der Ökologie, wobei sich der psychologische Feedback des jeweiligen (vermeintlichen oder wirklichen) Wissens sich den Unbekannten den Simulationen hinzufügt. Ob die Simulationen durch genauere Rand- und Anfangsbedingungen tatsächlich genauer geworden sind, steht dahin. Die Kernenergie zählt zu den wenigen Energiequellen, die praktisch keine Luftschadstoffe oder Treibhausgase emittieren. Schätzungen zufolge werden im gesamten nuklearen Brennstoffkreislauf, einschließlich des Uran-Erzabbaus und der Errichtung von Kernkraftwerken, je kWh erzeugten Stroms 2,5–6 Gramm CO2 emittiert. Das ist rd. 20–27-mal geringer als die Emissionen aus gasbefeuerten Kraftwerken, der saubersten aller verfügbaren fossilen Energiequellen,10 Abb. 1.4. Somit ist die Kernenergie eines der besten verfügbaren Technologien, um CO2-­ Emissionen in die Umwelt zu begrenzen. Allein in den OECD-Ländern (OECD Organisation for Economic Co-operation and Development, weltweit 36 Mitgliedsländer) wird Mio. Tonnen je GWe jährlich 0.5

Rauchgasentschwefelung Asche Gasgewinnung Radioaktive Abfälle Giftige Abfälle

0.4 0.3 0.2 0.1 0

Kohle

Öl

Erdgas

Abb. 1.4  Gesamte Abfallproduktion je Energieträger

 Quelle IAEO, USB.

10

Holz

Kernkraft

Solar Photovoltaikzellen

10

1 Einleitung

durch den Einsatz von Kernkraftwerken der Ausstoß von etwa 1200 Mio. t CO2 jährlich vermieden. Unter der Annahme, dass alle Kernkraftwerke der Welt durch moderne Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen ersetzt würden, nähme die CO2-Emissionen des Energiesektors weltweit um rd. 8 % zu. Bei der Kernenergie werden auch keine lokal wirksamen luftverschmutzenden Gase und Partikel wie Schwefel und Stickoxide emittiert, die mit dem sauren Regen und Atmungskrankheiten assoziiert werden. Die Menge an festen Abfällen, die je Stromeinheit entsteht, ist bei nuklearen Energiequellen sehr viel geringer als bei jedem anderen fossilen Energieträger. Langsam ist ein Bewusstseinswandel in Gang gekommen, wie es ihn zuvor nie gegeben hat. Die Menschen beginnen, die Überwindung der Vorstellung „macht euch die Erde untertan“, als aktuelle Aufgabe zu empfinden. Und sie müssen so empfinden, wenn sie auf das Überleben der Menschheit hoffen wollen. Auch der Grund dieses Bewusstseinswandels ist diesseitig und aktuell. Er liegt in der zerstörerischen Kraft mit der sich die Natur gegen zu schnelle Änderung ihres Gleichgewichtszustands wehrt. Weltweit scheitert der Umweltschutz an einer bindenden, akzeptablen und globalen durchsetzbaren Rechts­ordnung. Soll die Nutzung fossiler Energie weltweit so weit reduziert werden, dass das Zwei-­ Grad-­Ziel der Klimaerwärmung erreicht wird, bedeutet dies, dass das Ende der fossilen Weltordnung mit der Frage, was aus Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien wird, die ohne den Export fossiler Energie nicht lebensfähig sind. Die Verengung menschlichen Handlungsoptionen scheint sich in der Klimaveränderung, hervorgerufen durch die zunehmende Nutzung fossiler Energie, auf die Auseinandersetzung von verschiedenen Lobbygruppen hinauszulaufen. Es könnte daher im 21. Jahrhundert auf die Frage hinauszulaufen, mehr Prävention oder mehr Katastrophenmanagement? Erhalt von Handlungsoptionen zur nachhaltigen Energieerzeugung oder Warten auf unabweislichen Notlagen?

2

Kernreaktionen

2.1

Grundbegriffe

Ein Kernreaktor ist im Prinzip ein Heizkessel. Heißes Wärmeträgermedium wird in einem Wärmeübertrager abgekühlt und strömt wieder in den Reaktor in einem geschlossenen Kreislauf zurück,1 Abb. 2.1. 1. Reaktor: Der Kernbrennstoff (grün) heizt das Wasser im Druckbehälter auf. Die Steuerstäbe (grau) absorbieren Neutronen zur Steuerung bzw. Beendigung des Spaltprozesses. 2. Kühlmittel und Moderator: Brenn- und Steuerstäbe sind von Wasser umgeben, das als Kühlmittel und Moderator fungiert. 3. Dampferzeuger: Heißes Wasser aus dem Reaktor wird durch einen Dampferzeuger gepumpt, damit Hochdruckdampf entsteht. 4. Turbinengenerator: Der Dampf treibt die Turbine zur Stromerzeugung an. 5. Kondensator: entnimmt Wärme, um Dampf wieder in Wasser umzuwandeln. 6. Kühlturm: führt Wärme ab, damit das Kühlwasser wieder nahezu die Temperatur der Umgebungsluft erhält. Der Kreislauf des Wärmeträgermediums des Reaktors muss geschlossen sein, da es durch den hoch radioaktiven Teil strömt und dabei selbst radioaktiv wird. Als Wärmeträgermedium wird meist Wasser verwendet. Zum Wärmetransport werden aber auch flüssige Metalle wie Natrium oder Metalllegierungen und Gase eingesetzt. Im Kern eines Druckwasserreaktors wird Wasser unter bei einem Druck von ca. 150 bar, damit es nicht verdampft, auf Temperaturen über 320  °C erhitzt. Das überhitzte Wasser gibt einen Teil seiner Wärme über einen Wärmeübertrager an ein Wärmeträger1

 Quelle: New Scientist.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 H. Frey, Kernenergie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31512-2_2

11

12

2 Kernreaktionen

Abb. 2.1  Schema eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor

medium eines zweiten Kreislaufs ab, in dem sich Dampf für den Betrieb einer Turbine bildet. Diese Dampfturbine treibt einen Generator, der elektrischen Strom erzeugt. Der Dampf wird in einem Kondensator, der der Turbine nachgeschaltet ist, wieder zu Wasser umgewandelt und zum Wärmeübertrager zurückgepumpt. In einem Kernkraftwerk wird die durch die Kernspaltung erzeugte Energie mehrfach umgewandelt und transportiert. Ein Teil der Bindungsenergie im Atomkern wird bei der Kernspaltung in Bewegungsenergie der Spaltprodukte umgewandelt. Der Reaktorkern heizt sich dabei auf. Es ist ein etwas umständlicher Prozess, bei dem vor allem in der Dampfturbine ein beträchtlicher Teil der Energie für die Nutzung verloren geht und mit dem Kondensatorkühlwasser in einen Fluss strömt oder über Kühltürme in die Atmosphäre, außer man nutzt sie für Fernwärme. Dieser Nutzungsverlust ist weitgehend eine naturgesetzliche Eigenschaft aller Wärmekraftmaschinen, nicht nur der Dampfturbine. In einer Dampfturbine kann prinzipiell nicht mehr Wärmeenergie in mechanische Energie umgewandelt werden als (Carnot-Wirkungsgrad):

Maximaler Wirkungsgrad = ( Teintritt − Tausgang ) / Teintritt (2.1)

Das Verhältnis der elektrischen Energie, die den Generator verlässt, zum Betrag der ursprünglich vom Brennstoff freigesetzten Energie wird als totaler Wirkungsgrad eines Kraftwerkes bezeichnet. Moderne Kohle- oder Erdgaskraftwerke erzielen heute Wirkungsgrade um die 40 bis 50  %. Konventionelle Leichtwasserreaktoren haben Wirkungsgrade um 32  %. Gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren erreichten Wirkungsgrade um 41 %. Das Grundprinzip der Kernreaktoren, die Kernspaltung wurde 1939 von Otto Hahn und Fritz Strassmann2 entdeckt. Sie zeigten, dass ein Uranatom mit der Kernmassenzahl 235 –  Otto Hahn und Fritz Straßmann: Über den Nachweis und das Verhalten der bei der Bestrahlung des Urans mittels Neutronen entstehenden Erdalkalimetalle. In: Naturwissenschaften. Band 27, 1939, S. 11–15, doi:10.1007/BF01488241. 2

2.1 Grundbegriffe

13

also 92 Protonen und 143 Neutronen – sehr gerne ein langsam fliegendes Neutron (ca. 2 km pro Sekunde) einfängt und dabei in zwei Bruchstücke gespalten wird. Neutronen und ɣ-Strahlen (siehe Abschn. 2.3.1.1) werden dabei emittiert. Das vom Urankern eingefangene Neutron versetzt den Kern in so starke Deformationsschwingungen, dass er sich spaltet. In Abb. 2.2 ist dieser Spaltprozess nach Weinberg3 und Wigner in seiner zeitlichen Abfolge aufgezeichnet. Zieht man eine Massenbilanz unmittelbar vor und nach der Spaltung, so ist diese nicht ausgewogen:  Masse ( Urankern + Neutron ) > Masse der Bruchstucke



Mit Hilfe der Einsteins Energieformel E = mc2 kann man die der fehlenden Masse entsprechenden Energie ausrechnen und findet, dass diese pro Spaltung eines Urankerns 3,1  x  10−11 Joule beträgt. Ein Teil der Kern-Bindungsenergie des Urans  – und anderer Ausgangskerne wie Plutonium – wird bei der Spaltung frei: Fast 90 % in Form von Bewegungsenergie der Spaltprodukte. Die Spaltprodukte, selbst hochionisiert und radioaktiv, werden auf einem Weg von weniger als 0,01 mm abgebremst und geben ihre Energie als Wärme an das Core (Reaktorkern) des Reaktors ab. Diese Wärme wird aus Core wegtransportiert und – wie in Abb. 2.1 dargestellt – zur Erzeugung elektrischer Energie genutzt. Uran wird vorwiegend als Uranoxid (UO2) in Reaktor-Brennstoffelementen verwendet. In

n Spaltung Bruchstücke werden gestoppt und haben ihre BewegungsEnergie als Wärme abgegeben

n U Emission von Neutronen

Einfang von Neutron Anregung des Kernes zu Schwingungen

n

Emission von Gammastrahlen

n

Gamma 10–14 sec 10–17s 10–14 sec

ca.10–12 sec

Abb. 2.2  Spaltprozess des Urankerns in seiner zeitlichen Abfolge  Alvin M. Weinberg: The First Nuclear Era. Springer Science & Business Media, 1994, ISBN 978-1-56396-358-2, S. 206–207 3

14

2 Kernreaktionen

1 kg Uranoxid sind etwa 1024 Uranatome enthalten. Würden all diese Kerne gespalten, so wäre die dabei entstehende Spaltenergie etwa: Espalt = 7x1013 Joule



Mit einem Kilogramm natürlichem Uran, das nur 0,7 % Uran 235 enthält, kann dieselbe Energie erzeugt werden, wie mit 16 Tonnen Kohle in einem konventionellen Kohlekraftwerk, wobei für die Verbrennung der Kohle noch 150.000 Luft gebraucht werden. Dabei entstehen ca. 125.000 m3 Abgase. Die Energieerzeugung aus der Kernspaltung ist nur dank der Kettenreaktion möglich. Ein Kernreaktor muss daher so konzipiert sein, dass von den zwei bis vier von der Kernspaltung entstehenden Neutronen eines wieder eine neue Kernspaltung auslöst. Das geometrische Problem, das dabei zunächst gelöst werden musste, war die Anordnung von 235 U-Atomen, so dass mit 100 % Wahrscheinlichkeit von den bei der Spaltung frei gewordenen Neutronen wenigstens eines wieder auf einen Urankern trifft. Mathematisch hat man es mit einem ähnlichen Problem zu tun wie der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit einer kleinen Stahlkugel einen Draht in einem Maschenzaun zu treffen. Wie muss man nun viele solcher Maschenzäune hintereinander anordnen, damit man mit Sicherheit einen Draht trifft? Ein zweites Problem musste gelöst werden. Es wurde bereits erwähnt, dass langsame Neutronen einen 235U-Kern in Schwingungen versetzen und spalten. Die Neu­ tronen, die bei der Kernspaltung von 235U entstehen, sind aber viel zu schnell, um einen weiteren 235U-Kern spalten zu können. Die Neutronen müssen daher zunächst abgebremst werden, bevor sie auf einen Urankern treffen. Bei der Betrachtung von Stoßprozessen weiß man, dass ein Ball von einer Wand mit fast derselben Geschwindigkeit zurückprallt, mit der man ihn gegen die Wand geworfen hat. Stößt aber eine Masse mit einer fast gleich großen Masse, die vorher in Ruhe war zusammen, so wird ein Teil der Bewegungsenergie von der ursprünglich ruhenden Masse übernommen, d.  h. die Geschwindigkeit der ­ursprünglich bewegten Masse wird kleiner. Durch solche Stöße kann ein anfänglich schnelles Neutron verlangsamt werden,4 Abb. 2.3. Man wird daher als Bremssubstanzen, die man auch Moderatoren nennt, für Neutronen vor allem leichte Atome oder Moleküle mit leichten Atomen verwenden. In Tab. 2.1 sind die wichtigsten Moderatorsubstanzen aufgeführt, wie sie in Reaktoren verwendet werden. Der dritte Problemkreis betrifft den Reaktorbetrieb. Es muss auf alle Fälle verhindert werden, dass die Kettenreaktion explosionsartig abläuft, wie dies in Atombomben geschieht. Das heißt, nicht wesentlich mehr als je ein Neutron darf einen neuen Urankern spalten. In der Atombombe hat man die Geometrie des Spaltmaterials so gewählt, dass möglichst viele Neutronen, wenigstens zwei pro gespaltetem Kern, neue Spaltprozesse einleiten. In einem Kernreaktor müssen Materialien vorhanden sein, die leicht Neutronen einfangen, damit diese für weitere Spaltungen blockiert sind. Ein solches Material ist z. B. Kadmium, das eine enorm hohe Einfangwahrscheinlichkeit für Neutronen besitzt. 4

 Koelzer, KFK Karlsruhe.

2.1 Grundbegriffe

15

1n 0

1n 0

Moderator (z. B. Wasser)

1n 0

1n 0

1n 0

große Neutronengeschwindigkeit

geringe Neutronengeschwindigkeit

Abb. 2.3  Prinzip der Moderatorwirkung Tab. 2.1 Moderatorsubstanzen Moderatorsubstanz Gewöhnliches Wasser Schweres Wasser Beryllium Grafit

Mittlere Anzahl der Stöße eines Neutrons bis es auf die notwendige Geschwindigkeit abgebremst ist 20 36 89 115

Solche Kadmiumzonen müssen in einem Reaktor mehr oder wirksam sein können, je nach dem Neutronenmultifikationsfaktor. Technisch heißt das, dass Kadmium etwa als Stab in das Core ein- und ausgefahren werden kann. Schematisch zeigt Abb. 2.4, eine Kernreaktoranordnung mit den drei Hauptelementen spaltbares Material, Moderatorsubstanz und Neutronenabsorptionsmaterial. Trotz der nur sehr vereinfachten Erläuterung des Kernreaktors muss noch ein wichtiges Detail erwähnt werden. Für 235Uran werden pro Spaltung durch langsame Neutronen im Mittel 2,47 Neutronen von den bereits getrennten Spaltbruchstücken emittiert. Diese Spaltbruchstücke sind selbst radioaktiv, insbesondere machen sie ɣ- und ß-Zerfälle. Der Tochterkern eines Spaltproduktes kann nach einem ß-­ Zerfall in einem energetisch hoch angeregten Zustand sein, so dass dieser ein Neutron aussenden kann. Der Neutronenausstoß folgt unmittelbar nach dem ß-Zerfall. Diese Neutronen nennt man in Bezug auf den Zeitpunkt der Spaltung verzögert. Die Verzögerung der Neutronenemission – im Mittel etwa 10 s entspricht der Zeitabhängigkeit für den ß-­Zerfall. Obwohl beim 235U-Spaltprozess weniger als 1 % der Neutronen verzögert sind, spielen diese für die Steuerung eines Kernreaktors eine besonders wichtige Rolle. Wären alle Neutronen prompt, so könnte man den Ablauf der Spaltreaktionen kaum steuern, und die Kettenreaktion würde beim Erreichen der kritischen Schwelle explosionsartig verlaufen. Im natürlichen Uran (Natururan) finden sich die Isotope  238U zu 99,27  %,  235U zu 0,72  %,  234U zu 0,0055  % und  236U in Spuren. Das Isotopenverhältnis der Uranisotope ändert sich im Laufe der Zeit, da  238U und  235U unterschiedlich schnell zerfallen. Die

16

2 Kernreaktionen

Abb. 2.4  Schema des Reaktorkerns mit den Brennstoffelementen mit angereichertem Uran-235, den Kadmiumstäben zur Kontrolle des Neutronenflusses für die Kettenreaktion und Wasser zur Verlangsamung der Neutronen. Im Katastrophenfall würden die Kadmiumstäbe ganz eingetaucht, und die Kettenreaktion käme sofort zum Stillstand

Häufigkeit des dritten natürlichen Isotops 234U bleibt im Verhältnis zur Häufigkeit des 238U konstant, da 234U ein Zerfallsprodukt des 238U ist und mit diesem im Gleichgewicht steht. Beim radioaktiven Zerfall reduziert sich die Anfangsmenge der Nuklide N0 im Laufe der Zeit dt um die Menge −dN. Dies ist proportional abhängig von der Konstante λ, die Zerfallskonstante heißt.5

−dN = N 0 λdt Integriert man nun die Gleichung auf erhält man.



N ( t ) = N 0 e − λt

Wird in die Gleichung nun N0/2 für N(t) eingesetzt, da die Hälfte an ursprünglichen Kernen vorhanden sein soll, und die Gleichung dann nach der Zeit t aufgelöst, ergibt sich

t1/ 2 =

ln 2 λ

Die Halbwertszeit ist die Zeitspanne, in der die Menge und damit auch die Aktivität in Becquerel (Bq 1 Bq = 1 s−1 d. h. ein Becquerel entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde, 1 Ci = 3,7 · 1010 Bq, 1 Bq = 2,7027) eines gegebenen Radionuklids durch den Zerfall auf die Hälfte gesunken ist. Die Halbwertszeit ist unabhängig von der aktuell v­ orhandenen Substanzmenge N0, sondern sie ist charakteristisch für ein bestimmtes Ra­dioisotop. Wäh Werner Stolz: Radioaktivität. Grundlagen, Messung, Anwendungen. 5. Auflage. Teubner, Wiesbaden 2005, ISBN 3-519-53022-8. 5

2.1 Grundbegriffe

17

rend mathematisch betrachtet sich die Menge eines Radionuklids nur halbieren kann, sodass es nie verschwindet, gibt es in der Realität tatsächlich einen Zeitpunkt, an dem alle Atome eines Radionuklids zerfallen sind. Da dieser Prozess stochastisch ist, kann er nicht vorhergesagt werden. Als Faustformel gilt, dass nach 7 Halbwertszeiten die ursprüngliche Aktivität auf etwa 1 %, nach 10 Halbwertszeiten auf weniger als 1 Promille abgefallen ist. Halbwertszeiten der Uran-Radium-Reihe: •

U hat eine Halbwertszeit von 4,468 Milliarden Jahren und ist wie die anderen natürlichen Isotope (234U und 235U) ein α-Strahler. Die spezifische Aktivität von 238U beträgt 12.450 Bq/g. 238U ist der natürliche Beginn der Uran-Radium-Reihe. 235 • U hat eine Halbwertszeit von 703,8 Mio. Jahren. Es ist der natürliche Beginn der Uran-Actinoden-Reihe. Es ist spaltbar und hat einen Anteil von etwa 0,7 % in natürlichem Uranvorkommen. Aufgrund seiner Spaltbarkeit hat es große wirtschaftliche Bedeutung. • 234U hat eine Halbwertszeit von 245.500 Jahren. Es ist wegen seiner relativ kurzen Halbwertszeit im Vergleich zu  238U nur in Spuren vorhanden, liefert aber einen gleich großen Beitrag zur Radioaktivität wie letzteres. Es entsteht gemäß: 238

238 92



U

4 , 468 Mrd .a

→ α

24 ,10 d

Th →−

234 90

β

234 m 91

70 , 2 s

Pa →− β

234 92

U



U ist ein α-Strahler mit einer Halbwertszeit von 23,42 Millionen Jahren und kommt in der Natur nur in Spuren vor.  Es entsteht durch  Neutroneneinfang  aus  235U.  Wenn Uran einem erhöhten Neutronenfluss ausgesetzt ist, wie z.  B. in einem Kernreaktor, erhöht sich der Anteil an 236U deutlich.[38] Die Anteile der Isotope 234U, 235U, 236U in einer Urankontamination können Aufschluss über deren Ursprung geben.  236U zerfällt über die bis zum natürlichen Plutonium 244Pu verlängerte Thorium-Reihe. • 233U hat eine Halbwertszeit von 159.200 Jahren und ist spaltbar. Es ist nicht im natürlichen Uran enthalten, sondern wird in  Brutreaktoren aus dem schwer spaltbaren Thorium  232Th (Spalt-Wirkungsquerschnitt 3 μbarn, wie beim  238U) erbrütet.  233U zerfällt über die Neptunium-Reihe. •



236

Th + 01 n →

232 90

22 ,3 min

Th →−

233 90

β

233 91

26 , 97 d

Pa →− β

233 92

U

Um die Bedingungen für eine Kettenreaktion besser erfüllen zu können, muss das Isotop-­235 angereichert werden, was nur mit aufwendigen und kostspieligen Verfahren, wie z. B. mit einer Ultrazentrifuge (siehe Abschn. 11.2.7), in der Uranisotope getrennt werden können, möglich ist. In Tab. 2.2 sind zum schnellen Überblick nochmals die wichtigsten Uranisotope aufgelistet. Durch Neutroneneinfang in 238Uund 232Th entsprechend obiger Reaktionen entstehen neue Kernbrennstoffe:

18

2 Kernreaktionen

Tab. 2.2 Uranisotope Isotope Uran-233 verschw. klein Uran-234 Uran-235 Uran-238 Uran-239 verschw. klein

Natürliche Häufigkeit

Pro-to-­ nen-zahl 92

Neu-tro-­ nen-zahl 141

Halbwertszeit des natürlichen radioaktiven Zerfalls 162.000 Jahre

0,0057 % 0,0057 % 99,27 %

92 92 92 92

142 143 146 147

2,48 Mio. Jahre 0,71 Mill. Jahre 4,5 Mill. Jahre 23,5 Minuten

Tab. 2.3  Brutmaterialien und Brutprozess Spalt-Brennstoff zur Energie- und Neutronen-Erzeugung Plutonium 239 Uran 233

Brutstoff Uran-238 Thorium-232

Brutprozess U238 → Pu239 Th232 → U233

Uran 238 + Neutron → Uran 239 + Gammastrahlen Betazerfall von Uran 239 in Neptunium 239 Betazerfall von Neptunium 239 in Plutonium 239 Thorium 232 + Neutron → Thorium 233 + Gammastrahlen Betazerfall von Thorium 233 in Protaktinium 233 Betazerfall von Protaktinium 233 in Uran 233 Nebenprozesse, die gleichzeitig mit obigen ablaufen, sind hier der Einfachheit weggelassen. In diesen beiden Prozessen werden nichtspaltbare in der Natur vorkommende Isotope, das 238U und das 232Th, in spaltbare Isotope überführt oder konvertiert. Man definiert das sogenannte Konversionsverhältnis k wie folgt:

k = Anzahl der erzeugten spaltbaren Kerne

Anzahl der verbrauchten spaltbaren Kerne

Für einen Natururan-Reaktor liegt dieses Verhältnis k zwischen folgenden Grenzen

k > als 0, 59 und k < 1, 07

Die thermischen Reaktoren, die heute gegenwärtig hauptsächlich zur Stromerzeugung genutzt werden, haben Konversionsverhältnisse k, die kleiner als 1 sind; k hängt wesentlich von den Eigenschaften des Brennstoffs ab und ändert sich im Laufe der Betriebsdauer. Reaktoren, die Strom erzeugen und ein Konversionsverhältnis k etwas größer als 1 haben, bezeichnet man als Brüter. Die in Tab. 2.3 erwähnten beiden Prozesse kommen für Brutreaktoren in Frage. Der Schmelzpunkt von metallischem Plutonium beträgt 639  °C, in Brennelementen verwendet man aus Sicherheitsgründen daher Plutoniumoxide mit einem Schmelzpunkt von 2085 °C. Plutonium wird auf chemischem Weg aus bestrahlten Kernbrennstoffen ex­ trahiert (siehe Kap. 11).

2.1 Grundbegriffe

19

Die gegenwärtige Debatte über Pro und Contra zur Nutzung der Kernenergie basiert auf der Reaktorsicherheit und der Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfallprodukte. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zur Steuerung und Überwachung der Sensoren und Aktoren von Kernreaktoren ist ein Kernkraftwerk prinzipiell so sicher, wie ein Kohlekraftwerk. Das Steuersystem ist fast vollständig digitalisiert und mehrfach redundant ausgelegt. Gesteuert wird der gesamte Reaktorbetrieb von einer zentralen Schaltwarte besetzt mit Bedienungspersonal und einem redundant aufgebauten Netzwerk mit künstlicher Intelligenz. Das Reaktorschutzsystem der Anlage ist unabhängig von der normalen digitalisierten Steuerungstechnik, registriert und vergleicht die Änderungen mit den Daten, der künstlichen Intelligenz in den überwachten Parametern. Die einzige Funktion des Systems ist es, die Reaktorabschaltung zu initiieren sowie entsprechende Sicherheitssysteme des Reaktors zu aktivieren. Weltweit werden derzeit (2017) von verschiedensten Firmen rund 60 Small Modular Reactors-Konzepte (SMR, „Kleine modulare Reaktoren“) entwickelt, wobei die ersten diesbezüglichen Ideen und Entwürfe auf die 1950er-Jahre zurückgehen. Dabei gehen optimistische Schätzungen mittlerweile davon aus, dass 2035 knapp zehn Prozent aller neu gebauten Kernkraftwerke SMR sein werden. Sie sollen die Kernenergie rehabilitieren und auch Kritiker überzeugen, indem sie als so sicher bezeichnet werden, dass im Falle eines Atomunfalls keine Evakuierungszonen mehr notwendig sein werden; außerdem sollen sie eine perfekte Kombination mit den erneuerbaren Energien sein, da sie im Gegensatz zu großen (Kern)kraftwerken flexibel, nämlich im Falle von Produktions- und Nachfrageschwankungen schnell ab- oder zuschaltbar lassen. Nach Analysen der  OECD-­ Nuklearsparte soll ihr Potenzial in Stromnetzen mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien sogar am größten sein. Auch ihre Entsorgung mit dem  Abwracken  solle pro­ blemlos in einer Fabrik durchgeführt werden können. Offen bleibt noch die Endlagerung der radioaktiven Endprodukte. Eine interessante Entdeckung dazu haben die Geologen gemacht. In Oklo (Gabun/Westafrika) wurde ein Naturreaktor entdeckt. Der  Naturreaktor Oklo  in  Mounana  in der  gabunischen  Provinz  Haut-Ogooué  ist eine Uranlagerstätte, in der durch eine natürlich entstandene Urankonzentration eine nu­ kleare Kettenreaktion einsetzte. Mittlerweile sind im Becken von Franceville die Überreste von insgesamt 15 Naturreaktoren gefunden worden, davon befinden sich 14 in Oklo und einer im 30 km entfernten Bangombé.6 Die hohe Urankonzentration entstand vor ca. zwei Milliarden Jahren im  Erdzeitalter des Proterozoikums. Der natürliche Kernreaktor war etwa 500.000 Jahre lang aktiv und setzte bei einer thermischen Leistung von bis zu 100 kW während dieses Zeitraums Energie in einem unteren dreistelligen Tera-Wattstunden-Bereich frei: Das entspricht in etwa der Energiemenge, die ein durchschnittliches Kernkraftwerk in einem Zeitraum von vier Jahren erzeugt. Im Zuge dessen wurden insgesamt etwa zehn Tonnen  235U nuklear gespalten  F. Gauthier-Lafaye: 2 billion year old natural analogs for nuclear waste disposal: the natural nuclear fission reactors in Gabon (Africa). In: C. R. Physique 3, Nr. 7, S. 839–849 (2002). doi:10.1016/ S1631-0705(02)01351-8. 6

20

2 Kernreaktionen

und aus 238U etwa vier Tonnen 239Pu erbrütet, wobei die gasförmigen Spaltprodukte in der Atmosphäre verteilt wurden. Die Kettenreaktionen kamen (vor mindestens ca. 1,5 Milliarden Jahren) zum Erliegen, da sich im Naturreaktor der natürliche Isotopenanteil von 235U zu diesem Zeitpunkt soweit reduziert hatte, dass die Bedingungen für selbsterhaltende Spaltungsprozesse (Kritikalität) nicht mehr gegeben waren. Für die Ablagerung radioaktiver Spaltprodukte liefern Naturreaktoren interessante Erkenntnisse. Sie lassen unter anderem Rückschlüsse darauf zu, wie sich radioaktive Stoffe in der Natur innerhalb extrem langer Zeiträume (hier 2 Milliarden Jahre) verbreiten, was im Hinblick auf die Planung atomarer Endlager Bedeutung hat. Benötigen Kernreaktoren Uran zum Betrieb, ist das Rohmaterial {Deuterium (D) schwerer Wasserstoff und Tritium (T) noch schweres Wasserstoffisotop) für Kernfusionsreaktoren unerschöpflich und weniger mit langlebigen radioaktiven Nebenprodukten belastet. Der Kernverschmelzungsprozess läuft wie in Abb. 2.5 gezeigt ab. Deuterium kommt praktisch unbegrenzt in der Natur vor, wenn auch seine Gewinnung ziemlich aufwendig ist. Tritium muss jedoch im zukünftigen Fusionsreaktor selbst zuerst erzeugt werden durch Beschuss von Lithium-6 und Lithium-7 mit den bei den DT-­ Reaktoren frei werdenden Neutronen nach folgenden Reaktionsgleichungen:

3 3

Li 6 + 0 n1 → 1 H 3 + 2 He 4

Li 7 + 0 n1 → 1 H 3 + 2 He 4 + 0 n1

Tritium (1H3) ist instabil (radioaktiv) und kommt in der Natur nur in kleinsten Spuren vor (10−15 %). Fusionsreaktor hat man es mit Deuterium und Tritium zu tun. Tritium ist ein Beta-Strahler mit einer Halbwertszeit von 12,323 Jahren. Damit Fusionsreaktionen stattfinden können, müssen die Wasserstoffisotope ionisiert werden und deren Bewegungsenergie auf so hohe Werte gebracht werden, dass sie bei Zusammenstößen fusionieren. Darüber hinaus muss die Bewegungsenergie der beim Fusionsprozess erzeugten Spaltprodukte größer sein als die Energie zur Aufheizung der Wasserstoffisotope. Da die Wasserstoffisotope ionisiert sind, d. h. also ihrer Elektronen erledigt sind, entsteht ein Gas aus Atomkernen und Elektronen, das Plasma. Auf ein solches Plasma kann man mit elektromagnetischen Feldern leicht einwirken. Im Plasma befinden sich fast nur geladene Teilchen, auf die elektrische und magnetische Kräfte ausüben. Ein Problem, das Abb. 2.5  Ein Deuterium- und ein Tritium-Atomkern verschmelzen zu einem Heliumkern unter Freisetzung eines schnellen Neutrons

2.1 Grundbegriffe

21

noch ungelöst ist, bildet eine stabile Magnetfeldkonfiguration, um das Plasma zusammenzuhalten. Es ist bis heute lediglich gelungen, während Bruchteilen von Sekunden Plasmen von etwa 108 °C zu erzeugen und zusammenzuhalten. Da die Plasmateilchen selbst geladen sind, erzeugen sie ihrerseits Magnetfelder. Dadurch wird teilweise das angelegte Feld verändert. Das Plasma findet einen Weg zwischen den Magnetfeldlinien hindurch zu den Gefäßwänden und kühlt sich durch den Kontakt mit den Wänden stark ab. Um solche Instabilitäten erfolgreich verhindern zu können, müssen erst sie verstanden werden. Sollte es gelingen, die Fusion auf der Erde zu zähmen, hätte man eine Energiequelle mit einem Brennstoff, der praktisch unbegrenzt zur Verfügung steht und der nicht wie die Kernspaltung radioaktiven Abfall liefert. Allerdings werden die umgebenden Apparatematerialen radioaktiv. Den Torus, in dem die Kernfusionsreaktionen stattfinden7 zeigt Abb. 2.6. In dem Konzept wird das Plasma durch ein Magnetfeld zusammengehalten, das durch supraleitende Spulen erzeugt wird. Die in Form von kinetischer Energie frei werdende Bindungsenergie wird durch Stöße an flüssiges Lithium abgegeben, das sich dabei erhitzt. Ein Teil der Wärme des Lithiums erzeugt in einem Wärmeübertrager z.  B.  Kaliumdampf, der eine Kaliumdampfturbine treibt, deren Welle mit einem elektrischen Generator verbunden ist. Da die Kaliumturbine nur einen Teil der Wärmeenergie ausnutzen

Abb. 2.6  Torus eines Fusionsreaktors zum Plasmaeinschluss mittels Magnetfelder 7

 Frey, H., IPP, München.

22

2 Kernreaktionen

kann, wird ein weiterer Teil in einem zweiten Wärmeübertrager zur Wasserdampferzeugung ausgenutzt. Da ein Teil des Lithiums durch Neutroneneinfang in Tritium umgewandelt wird, muss der Lithiumdampf ständig ergänzt werden. Das bei der Fusion gebildete Helium wird in einer Trennanlage ausgeschieden, das Deuterium und Tritium wird dem Reaktor wieder zugeführt. Ein anderer Weg zur Erzeugung von Plasmen hoher Temperaturen versucht man mit Hilfe von hochenergetischen Laserstrahlen, der sogenannten Trägheitsfusion zu beschreiten. Anders als beim magnetischen Einschluss des Fusionsplasmas wird beim „Trägheitseinschluss“ der Brennstoff durch sehr schnelle, oberflächliche Energiezufuhr extrem verdichtet und aufgeheizt. Die nötige Einschlussdauer, um einen Großteil des Brennstoffs „abzubrennen“, beträgt dann nur Nanosekunden. Während dieser kurzen Zeit genügt die Massenträgheit des Plasmas selbst, um es zusammenzuhalten; daher die Bezeichnung  Trägheitsfusion. Die Trägheitsfusion kann für sich in Anspruch nehmen, dass ihr Funktionieren mit Energiegewinn bereits praktisch nachgewiesen ist, denn die  Wasserstoffbombe arbeitet nach diesem Prinzip. Durch energiereiche, genügend fein fokussierbare Licht- oder Teilchenstrahlen kann eine kleine Menge Fusionsbrennstoff innerhalb eines Reaktorgefäßes sehr schnell aufgeheizt werden. Diese Strahlen – mindestens zwei Strahlen aus entgegengesetzten Richtungen, in den meisten Konzepten aber weit mehr  – gelangen durch kleine Öffnungen in das Target, einen Hohlkörper von einigen Millimetern Größe,8 Abb. 2.7. Stationen des Zündens einer Trägheitsfusionsreaktion: 1 . Laser- oder Röntgenstrahlung heizt das Fusionstarget auf. 2. Der Fusionsbrennstoff wird durch den nach innen gerichteten Implosionsdruck der äußeren Schicht komprimiert. 3. Der Brennstoff erreicht die zum Zünden nötige Dichte und Temperatur. 4. Kernfusionsprozesse finden statt, es wird ein Vielfaches der eingesetzten Energie freigesetzt. Anm.: Blaue Pfeile stehen für nach innen gerichtete Strahlungsprozesse, orange für nach außen gerichtete; violette stellen die zur Kompression dienende thermische Energie (Stoßwelle) dar. In dessen Innerem befindet sich eine kleine Kugel aus einigen Milligramm Fusionsbrennstoff in fester Form, etwa gefrorenes Deuterium-Tritium-Gemisch. Die Strahlen treffen auf die Innenwand des Targets und heizen sie so auf, dass das entstehende  Plasma  im  Röntgenbereich  thermisch strahlt. Durch Strahlungstransport werden alle Oberflächen, einschließlich der des Brennstoffkügelchens gleichmäßig erhitzt, siehe Hohlraumstrahlung. Der Gasdruck des Plasmas sprengt eine äußere Schicht ab, wodurch der restliche Brennstoff konzentrisch zusammengedrückt wird. Ursprüngliche Hoff-

8

 Quelle: Lawrence Livermore Lab.

2.1 Grundbegriffe

23

Kompression eines Brennstoff-Pellets: 2.5 mg d-t Driver beam

Target heating

Blowoff

Inwardly transported thermal energy

Compression

A pulse of radiation (light, x-rays, or ions) rapidly heats the surface of a pea-sized fuel capsule.

The fuel is rapidly compressed by the rocket-like blowoff of hot surface material.

Ignition

Burn

When the fuel core reaches 20 times the density of lead, it ignites at 100.000.000 °C.

Thermonuclear burn quickly spreads through the compressed fuel, yielding many times the input energy.

Leistungsbedarf des Laser oder Ionenstrahl-Treibers: 3·106 J in 0.3 ns ↔ 1016 W Abb. 2.7  Prinzip der Trägheitsfusion Laser-Treiber

NOVA Laseranlage

NOVA Brennkammer

Schwerionen-Treiber: l=3·106 A Ion source Accelerator Buncher Final Chamber & injector focus transport

Target

Abb. 2.8  Laseranlage zur Kompression von D-T Pellets

nungen, man könne die mit dünnem Glas oder Metall umhüllte Brennstoffkugel ohne Zwischenschaltung des Strahlungshohlkörpers direkt mittels der als Treiber dienenden Strahlen genügend gleichmäßig komprimieren, haben sich als unrealistisch erwiesen. Abb. 2.8 zeigt eine Laserversuchsanlage zur Trägheitskompression.

24

2.2

2 Kernreaktionen

Allgemeine Klassifikationen der Kernreaktionen

Die Kernphysik ist etwas disziplinlos, wenn man ihre Ungeschlossenheit in manchen Punkten betrachtet. Die moderne Kerntechnik entwickelte sich erst, als sie sich auf messbare und damit reproduzierbare Erkenntnisse der Naturwissenschaft stützen konnte. Das naturwissenschaftliche, rationale Denken, betrachtet die Natur als ein berechenbares System von sich gegenseitig beeinflussten Kräften. Typische Beispiele dafür sind Gesetze der Physik, die in Form von Differenzialgleichungen formuliert werden. Die Lösung einer solchen Differenzialgleichung bedeutet, kurz formuliert, nichts anderes als die Konstruktion eines Phänomens aus infinitesimalen Teil-Phänomenen. Die neuzeitliche Physik ist nicht deshalb Experimentalphysik, weil sie technische Geräte und Apparaturen zur Befragung der Natur einsetzt, sondern umgekehrt: weil die Physik – und zwar schon als reine Theorie – die Natur daraufhin stellt, sich als einen vorausberechenbaren Zusammenhang von Kräften darzustellen; deshalb wird das Experiment bestellt, nämlich zur Befragung, ob sich die so gestellte Natur meldet und wie sie dies tut. Die daraus folgenden Erkenntnisse formuliert als Theorien sind nicht als fertig oder abgeschlossen anzusehen. Die Theorien erfahren vielmehr unter dem Zwang neuer Daten und neuer Deduktionen eine beständige Verfeinerung und Umstrukturierung. Ein Beispiel dafür bieten die verschiedenen Erhaltungssätze wie z. B. der Energiesatz, der besagt, dass es unmöglich ist ein Perpetuum mobile zu bauen. In ähnlicher Weise schließt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik die Möglichkeit aus, dass bei einer Wärmekraftmaschine, die Wärme in mechanische oder elektrische Energie umwandelt, ein Wirkungsgrad von 100 Prozent erreicht werden kann. Weitere Beispiele solcher eingrenzenden Bedingungen betreffen die Ausbreitung physikalischer Wirkungen mit Lichtgeschwindigkeit oder die Messbarkeit von subatomaren Prozessen. So lösen sich, auf subatomarer Ebene, die festen materiellen Objekte der klassischen Physik in wellenartige Wahrscheinlichkeitsstrukturen auf, und zwar in Wahrscheinlichkeiten von Wechselwirkungen. Eine sorgfältige Analyse des Vorganges durch Beobachtung in der Atomphysik zeigt, dass die subatomaren Teilchen als isolierte Einheiten keine Bedeutung haben, sondern dass sie nur als Wechselwirkungen oder Korrelationen zwischen verschiedenen Beobachtungsvorgängen bzw. Messungen verstanden werden können. Subatomare Teilchen sind also keine Objekte, sondern Verknüpfungen zwischen Objekten, und diese Objekte sind ihrerseits Verknüpfungen zwischen anderen Objekten und so fort. In der Quantentheorie hat man es mit Geweben von Wechselwirkungen zu tun. Auf diese Weise enthüllt die moderne Physik die grundlegende Einheit. Sie zeigt, dass man die Welt nicht in unabhängig voneinander existierende kleinste Einheiten zerlegen kann. Beim Eindringen in die Materie findet man keine isolierten Grundbausteine, sondern vielmehr ein kompliziertes Gewebe von Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen eines einheitlichen Ganzen. Heisenberg9 drückte das so aus: „So erscheint die Welt als kompliziertes Gewebe von Vorgängen, in dem sehr verschiedenartige Verknüpfungen 9

 Heisenberg, W.: Das Naturbild der heutigen Physik. Reinbek: Rowohlt verl. 1965.

2.2  Allgemeine Klassifikationen der Kernreaktionen

25

sich abwechseln, sich überschneiden und zusammenwirken und auf diese Art und in dieser Weise schließlich die Struktur des ganzen Gewebes bestimmen.“ Die Kerntechnik ist somit gegenwärtig eher empirisch und manche ihrer Konzeptionen und Theorien gelten durchaus noch nicht als abgeschlossen und gesichert. Dennoch sind ihre Erfolge eindrucksvoll, sowohl was die Erforschung der eigentlichen Grundlagen über den Aufbau der Materie als auch was die technologische und wirtschaftliche Auswertung betrifft. Makroskopische Körper haben im Allgemeinen eine Vielzahl verschiedener Eigenschaften, durch die sie charakterisiert und von anderen Körpern unterschieden werden können. Je tiefer man in die Materie ein dringt, desto mehr unterschiedliche Eigenschaften sind festzustellen. Nicht so bei mikroskopischen, elementaren Körpern. Die Zahl ihrer Eigenschaften ist stark eingeschränkt; das gilt für Elementarteilchen wie die Atomkerne. Atomkerne sind aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt, die gemeinsam als Nukleonen bezeichnet werden und die Masse des Kerns bestimmen. Die chemischen Eigenschaften der Atomkerne werden durch die Kernladungszahl Z (= Ladung der Protonen) charakterisiert, die gleich der Ordnungszahl ist, während die physikalischen Eigenschaften sowohl durch Z als auch von der Neutronenzahl N bestimmt werden. Jede Kernsorte (Nuclide) wird durch die Massenzahl A unterschieden A = Z + N. Die folgende Schreibweise wird zur Kennzeichnung eines Kerns benutzt: ElementAN oder ElementA oder Element A oder ElementAN Beispiele: Wasserstoff 1H01 oder H1  Kohlenstoff 6C812 oder C12 oder C612  Uran 92U143235 oder U235 oder U235 Kerne mit gleicher Ordnungszahl Z heißen Isobare: 92U235, 92U238, sie haben gleiche chemische Eigenschaften. Kerne mit gleicher Massenzahl A heißen Isobare: (sie treten beim β-Zerfall auf). Kerne, die Protonen und Neutronen austauschen heißen Spiegelkerne (6C814, 8O616) Isomere sind angeregte Kerne Z

Das Proton besitzt eine positive elektrische Ladung von der Größe der Elementarladung e, seine Masse ist fast 1836 Mal größer als die des Elektrons, also etwa 10−24 g. Es ist ein stabiles Teilchen, d. h. es zerfällt in freiem Zustand nicht. Das Neutron dagegen ist elektrisch neutral, seine Masse unterscheidet sich nur unwesentlich von der des Protons. Im freien Zustand ist es instabil; beim Zerfall entsteht ein Proton. Wegen der Ladungsneutralität des Neutrons kann dies Materie fast ohne Mühe durchdringen. Eine Einwirkung auf Materie üben sie nur durch die Kernkräfte aus. Weiterhin ist die elektrische Ladung des Kerns von Bedeutung, denn sie bestimmt das chemische Element, dem das betreffende Atom angehört; weil sich in einem neutralen Atom die Ladungen der Protonen des Kerns und der Elektronen der Hülle kompensieren müssen, ist also die Zahl der Protonen gleich der Zahl der Elektronen der Hülle und somit gleich der chemischen Ordnungszahl des Elements. Ladung und Masse sind die grundlegenden Eigenschaften meist schon eindeutig festgelegt sind, Abb. 2.9 gibt einen

Neutronenzahl (N) 0 10 20

30

40

50

60

70

80

90

100

110

120

130

140

160 110 100

N=Z Uran (92) Thorium (90) Quecksilber (80) Wolfram (74)

150

90 82

Protonenzahl (Z)

2 Kernreaktionen

26

80 70 60

Barium (56) Zinn (50)

50

50

Zirkonium (40) Zink (30) Eisen (26) Calcium (20) Neon (10) Wasserstoff (1)

40 30

28

20

20

10

8 8

20

28

50

82

126

0

Abb. 2.9  Übersicht über die bekannten Atomkerne. Die hell gezeichneten Kästchen stellen die in der Natur vorkommenden, die schwarz gezeichneten, die künstlich erzeugten Kerne dar. An den Koordinatenachsen sind außer den magischen Protonen- und Neutronenzahlen auch einige bekannte Elemente eingezeichnet. Die Abweichung von der Geraden N = Z macht den Neutronenüberschuss in Kernen deutlich (Kernforschungszentrum Karlsruhe)

magischer Kern:

unstabile Kerne:

Abb. 2.10  Veranschaulichung von Atomkernen; die Darstellung ist nur symbolisch

Überblick über die gegenwärtig bekannten Atomkerne. Entsprechen die Protonen- oder Neutronenzahl oder beide einer sogenannten magischen Zahl, sind diese Kerne besonders stabil. Solche magischen Zahlen sind: 2, 8, 20, 28, 40, 50, 82,126



Solche magischen Kerne zeichnen sich geometrisch durch eine hohe Symmetrie aus; sie sind weitgehend kugelförmig. Kerne mit Neuronen- oder Protonenzahlen weit entfernt von den magischen Zahlen entfernt, sind entweder zwetschgenförmig oder spiegelförmig, was Abb. 2.10 symbolisch dargestellt ist.10  Quelle H, Frey, Vorlesung Kernphysik, Uni Kaiserslautern.

10

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie

27

Zu den deformierten, von der Kugelgestalt abweichenden Kernen gehören die instabilen Isotope. Im Zusammenhang mit den Atomkernen muss noch ein weiterer Aspekt betrachtet werden. Nach den Gesetzen der Elektrodynamik und der Quantenelektrodynamik kann der Aufbau des Atomkerns aus Protonen und Neutronen nicht beschrieben werden. Ein grundlegend neues Kraftgesetz ist erforderlich, um erklären zu können, warum die Protonen – also Ladungen mit positivem Vorzeichen – innerhalb des Atomkerns so dicht zusammengehalten werden. Die neue Kraft muss viel stärker sein als die elektrostatische, denn sie muss ja die elektrostatische Abstoßung der Protonen überwinden. Diese Kernkraft ist etwa 100mal stärker als die Kräfte zwischen Ladungen. Sieht man von der vergleichsweisen schwachen elektrostatischen Abstoßung ab, so sind die Kernkräfte zwischen Proton-Proton (p,p), Proton-Neutron (p,n) und Neutron-Neutron (n,n) alle gleich groß. Ihre Reichweite ist allerdings sehr klein, nämlich etwa 1,5 fm (das sind 1,5 x 10−15 m). Informationen über die Reichweite und die Gesetzmäßigkeiten der Kernkräfte erhält man aus Streuungen von Protonen an Protonen wie auch Neutronen als Zielscheiben. Wie jedem Körper, der sich um eine Achse dreht, ein Drehmoment und ein Drehimpuls zugeordnet werden können, so auch den Bausteinen der Atomwelt (innerer Drehimpuls, sog. Spin). Eine weitere Eigenschaft, die jedoch mehr willkürlich als exakt festgelegt werden kann, ist die Größe des Atomkerns. Man kann nicht, wie bei einem makroskopischen Objekt, mit einem Maßstab den Kern vermessen, nicht weil die technischen Hilfsmittel unzureichend sind, sondern weil alle Beobachtungen im Mikrokosmos, also auch an Kernen, statistischer Natur sind. Der Kernradius beträgt für Uran z. B. etwa 10−14 m; für die Dichte der Kernmaterie ergibt sich somit der kaum vorstellbare Wert von etwa 200 ­Billionen Gramm pro cm3; das bedeutet anschaulich, dass man sich die Masse eines Supertankers auf Stecknadelgröße komprimiert vorstellen muss, um eine solche Dichte zu bekommen. Beachtenswerte Eigenschaften dieser Kernkräfte sind u. a.: (a) Die Ladungssymmetrie und -unabhängigkeit; d. h. dass unter gleichen Bedingungen die Kraft zwischen zwei Neutronen gleich der Kraft zwischen zwei Protonen und Neutronen ist. (b) Austauschkräfte. Analog zur chemischen, kovalenten Bindung, die durch Elektronenaustausch (z. B. beim CO2) verursacht wird, stellt man sich vor, dass die Kernkräfte durch einen Partikelaustausch zwischen Nukleonen zustande kommen. Diese Austauschteilchen sind π-Mesonen.11

2.3

Physikalische Grundlagen der Kernenergie

2.3.1 Kernmodelle Zur Beschreibung der Atomkerne verwendet man verschiedene Kernmodelle. Sie beruhen auf Ähnlichkeiten zwischen Kernen und bereits bekannten Systemen aus der Natur: Flüssigkeitströpfchen, Elektronenhülle der Atome (Schalenmodell), Kollektivmodell, usw.  K. Namakura et al. (Particle Data Group): Review of Particle Physics. In: Journal of Physics G. 37, Nr. 7A, 2010, S. 075021. bibcode:2010JPhG. 37g5021N. doi:10.1088/0954-3899/37/7A/075021. 11

28

2 Kernreaktionen

Beim Tröpfchenmodell nimmt man an, dass die im Kern wirkenden Kräfte analog den Molekülkräften in einem Flüssigkeitstropfen sind. Die gesamte Bindungsenergie eines Atomkerns setzt sich aus fünf Beiträgen, Abb. 2.11, zusammen: Aus dem ersten Glied ist die Proportionalität zwischen der Bindungsenergie und A ersichtlich, aus dem zweiten der Verringerung von ΔW (aufgrund der einseitigen Anziehung der an der Oberfläche des Kerns befindlichen Nukleonen) proportional der Tröpfchenoberfläche, nämlich A2/3 d. h. die Nukleonen an der Kernoberfläche erfahren eine nur einseitige Anziehung, die durch den Koeffizienten der Oberflächenspannung σ charakterisiert wird. Das dritte Glied berücksichtigt die Coulombsche Abstoßung der Protonen, die proportional Z2/r, d. h. Z2A−1/3, ist. Aus dem vierten Glied ist die Tendenz zum symmetrischen Aufbau des Kerns, zu gleichen Anzahlen von Protonen und Neutronen ersichtlich; zudem werden durch dieses Glied Abweichungen von der Gleichung Z = A/2 nach beiden Seiten hin berücksichtigt. Dieses Glied leitet sich nicht vom Tröpfchenmodell ab, sondern ergibt sich aus dem Pauli-Prinzip.12 Das letzte Glied berücksichtigt die Unterschiede in der Beständigkeit gerade-gerader, ungerader-gerader und ungerader-ungerader Kerne. Die Stabilität dieser Kerntypen nimmt in der genannten Reihenfolge ab. Das letzte Glied steht mit der Abhängigkeit der Kernkräfte von der Spinrichtung der Nukleonen im Zusammenhang. Experimentell konnte das Modell des Flüssigkeitströpfchens durch die halbempirische Weizsäckersche Formel13 bestätigt werden, Abb. 2.12.14 Aus ihr ergibt sich für den Radius R sämtlicher Kerne R = (1,45–1,5)·10−12 A1/3 cm. Das Modell des Flüssigkeitströpfchens versagt jedoch für Erscheinungen wie Streuung, Spaltung und Kernreaktionen. Die Weizäcker-­Formel zur Beschreibung der Bindungsenergie im Flüssigkeitströpfchen lautet: ∆W = α A − β A

2

3

−γ Z2A

−1

2

3

A  − ε  − Z  A−1 + δ 2 

(2.2)

Dabei ist α  =  15,75  MeV, ß  =  17,8  MeV, ɣ  =  0,71  MeV, ɛ  =  94,8  MeV, |δ|  =  34 A  MeVΔ −3/4

Abb. 2.11  Zusammensetzung der Bindungsenergie eines Atomkerns

 Pauli-Prinzip im Lexikon der Physik, Spektrum.de, abgerufen am 28. Dezember 2014.  C. F. von Weizsäcker: Zur Theorie der Kernmassen. In: Zeitschrift für Physik. 96 (1935), S. 431–458. 14  Quelle: Frey, H: Vorlesung Kernphysik, Uni Kaiserslautern. 12 13

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie

29

200 8

175

7

150

Z

5

100

4

75

3

50

2

25

1 50

100 N

150

200

(EB /A)/MeV

6

125

0

Abb. 2.12  Bindungsenergie pro Nukleon nach der Weizsäcker-Formel, aufgetragen nach Art einer Nuklidkarte (gelb höchste, blau niedrigste Bindungsenergie)



¨  +# δ# f u r gerade  gerade Kerne; A ist die Massenzahl;  ¨ δ = 0 f u r ungerade A;  ¨ −# δ# f u r ungerade  ungerade Kerne; Z ist die Kernladung. 

Beim Schalenmodell des Kerns geht man von einer Analogie zur Atomphysik aus; jedes Nukleon bewegt sich unabhängig in einem Potenzialtopf, der von dem durchschnittlichen Kraftfeld der übrigen Nukleonen gebildet wird. Die Nukleonen können sich hierbei in verschiedenen energetischen Zuständen, ähnlich den Elektronenschalen eines Atoms, befinden. Dieses Modell vermag u. a. die Existenz von magischen Neutronen- und Protonenzahlen zu erklären. Die starke Wechselwirkung der Nukleonen und die geringe Reichweite dieser Wechselwirkung erlauben es, die Nukleonen eines Kerns so zu betrachten, als bewegten sie sich unabhängig voneinander in einem Feld mit kugelsymmetrischer Potenzialverteilung. Die Nukleonen können sich hierbei in verschiedenen energetischen Zuständen befinden. Im Grundzustand müssen alle unteren Niveaus aufgefüllt sein. Durch den Energieverlust, den ein Nukleon durch Zusammenstoß mit anderen Nukleonen erleidet, kann dieses nicht auf ein tiefer liegendes Niveau gebracht werden, da alle Niveaus entsprechend dem Pauli-­ Prinzip besetzt sind. Dies führt dazu, dass die freie Weglänge eines Nukleons in einem nicht angeregten Kern größer ist als der Radius des Kerns. Es ergibt sich somit die Möglichkeit, die Nukleonen im Rahmen dieses Modells so zu beobachten, als ob sie weder miteinander in Wechselwirkung stünden noch zusammenstießen. Die Bewegung der

30

2 Kernreaktionen

miteinander nicht in Wechselwirkung befindlichen Nukleonen in einem Feld mit kugelförmiger Potenzialverteilung, in dem der Bahndrehimpuls die gesamte Bewegung darstellt, wird dadurch charakterisiert, dass sämtlichen 2l + 1 möglichen Richtungen des Vektors Ī ein gleiches Energieniveau entspricht. Auf diesem Niveau befinden sich 2(2l + 1) Nukleonen des gegebenen Typs. Auf diese Weise besitzt jede Nukleonenschale des Schalenmodells eine bestimmte Anzahl an Nukleonen. Jedes Nukleon wird durch eine individuelle Wellenfunktion und individuelle Werte der Quantenzahlen n und l charakterisiert. Es existieren zwei Systeme von Nukleonen-Zuständen: das der Protonen und das der Neutronen; die Niveaus beider Systeme werden unabhängig voneinander mit Nukleonen aufgefüllt. Kerne, in denen alle Nukleonen aufgefüllt. Kerne, in denen alle Nukleonen-Schalen abgeschlossen sind, müssten über erhöhte Stabilität verfügen (die sich dadurch äußern sollte, dass sie in der Natur häufig vorkommen). Die Verteilung der Ladung muss der sphärischen Symmetrie entsprechen. Die Reihenfolge, in der die Nukleonen-Schalen mit zunehmender Massenzahl A aufgefüllt werden, stimmt mit der Auffüll-Reihenfolge der Elektronenschalen (mit zunehmendem Z) überein. Angesichts der vorhandenen starken Spin-Bahn-Kopplung werden alle Niveaus mit l ǂ 0 in zwei Unterniveaus mit j = l ± ½ aufgespalten, die unabhängig voneinander besetzt werden. Die Analogie zwischen Nukleonen- und Elektronenschalen scheint in einer Hinsicht von nur äußerlichem Charakter. Die Elektronen bewegen sich im zentralen Feld des Kerns, während das Feld, in dem sich die Nukleonen bewegen, keinen zentralen Charakter besitzt. Unter den Elektronen eines Atoms kommt es zu keinen Zusammenstößen; man kann aber nur unter dieser Bedingung von der Zahl l (die das System der Energieniveaus eines Atoms bestimmt) als ausdrücklicher Quantenzahl, die einer stationärer Bewegung ­entspricht, reden. Bei der hohen Dichte der Kernsubstanz müsste es zu häufigen Zusammenstößen unter den Nukleonen kommen, wodurch sich die Quantelung ihrer Bewegung als unmöglich erwiese. Es spricht jedoch andererseits für das Schalenmodell, dass l auch für den Kern eine richtige Quantenzahl darstellt. Die Nukleonen scheinen im Grundzustand nicht miteinander zusammenstoßen zu können. Das Schalenmodell beschreibt diejenigen Anregungsterme im Kern, bei denen einzelne Nukleonen beteiligt sind; daneben gibt es aber auch die Kollektive Anregung, bei der mehrere Nukleonen zugleich Energie aufnehmen. Das  Woods-Saxon-Potential15 V(r) ist ein Ansatz zur Beschreibung der potenziellen Energie von  Protonen  und  Neutronen  in Abhängigkeit von ihrem Abstand zum Mittelpunkt des Atomkerns. Es wird im Schalenmodell der Kernphysik verwendet. Das Woods-Saxon-Potential ist anziehend, d. h., es nimmt monoton mit dem Abstand r vom Kernmittelpunkt zu. Für große Massenzahlen ist es für Abstände, die kleiner als der Kernradius sind, näherungsweise konstant, steigt dann am Kernrand stark an und nähert sich für größere Abstände asymptotisch an Null an. Es ist ein Kastenpotenzial mit Randunschärfe, Abb. 2.13.  Roger D. Woods, David S. Saxon: Diffuse Surface Optical Model for Nucleon-Nuclei Scattering. In: Physical Review. Band 95, 1954, S. 577–578, doi:10.1103/PhysRev.95.577. 15

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie

31

0.0

-0.2

V(r)/V0

-0.4

-0.6

-0.8

-1.0

0

1

2

3

4

5

r [fm]

6

7

8

Abb. 2.13  Woods-Saxon-Potential relativ zu  V0  für  A  =  50 (d.  h. Kernradius R  ≈  4,6  fm) und a = 0,5 fm

Mathematisch hat das Woods-Saxon-Potential folgende Form:

V ( r ) = V0 / (1 + exp ( r − R / a )

(2.3)

dabei ist die Potenzialtiefe V0, r der Abstand zum Mittelpunkt des Kerns, R = r0 A1/3 der Kernradius, wobei r0  =  1,25  fm und A die Massenzahl ist, a der Randdickenparameter, welcher den Dichteverlauf der Kernmaterie am Kernrand angibt (typisch a 0,5 fm). Das Kollektivmodell in die Synthese zwischen Flüssigkeitströpfchen- und Schalenmodell. Bei diesem Modell nimmt man an, dass sich die Nukleonen des Kerns in einem bestimmten zentralsymmetrischen self-consistent-field bewegen, das auf das einzelne Nukleon vonseiten aller anderen her wirkt. Der zentralsymmetrische Charakter des Feldes geht in der Nähe der Kernoberfläche verloren, da die zu keiner aufgefüllten Schale gehörenden Nukleonen (Valenznukleonen) das Potenzial des self-consistent-field zum Fluktuieren bringen, wodurch es zu Deformierungen der Kernoberfläche kommt. Der Kern hat keine kugelsymmetrische Gestalt mehr, sondern ist deformiert, dabei läuft die Deformation wie eine Flutwelle über die Oberfläche, der Kern schwingt. Solche Deformierungen kommen umso leichter zustande, als im Kern kein zentraler Körper vorhanden ist, der die Bewegung des Nukleonensystems stabilisiert. Durch die Deformierungen wird der sphärische Charakter der Ladungsverteilung im Kern gestört: Er erhält ein elektrisches Quadrupolmoment. Das Schalen- sowie das Tröpfchenmodell können als Grenzfälle des Kollektivmodells betrachtet werden. Das Konzept der Schalen bewahrt die Bedeutung individueller

32

2 Kernreaktionen

Nukleonenzustände und der Nukleonenschalen für das kollektive Modell. Zugleich aber werden hier die Zustände nicht durch die unmittelbare Wechselwirkung einzelner Nukleonen, sondern durch ihre kollektive Wechselwirkung bestimmt (so wie beim Flüssigkeitströpfchenmodell, das auf Störungen des Potenzials mit Deformierungen der Kernoberfläche reagiert). Der Tröpfchen-Aspekt tritt in den Vordergrund, wenn es sich um hoch angeregte Kernzustände handelt (um starke Deformierungen und starke Verzerrungen des self-­consistent-­field), wodurch die Individualität des einzelnen Nukleons und seines Zustandes verloren gehen. Bei besonders hoher Anregung können sogar einzelne Nukleonen aus dem Kern verdampfen. Neben dem Tröpfchen-, dem Schalen- und dem Kollektivmodell gibt es noch das optische Modell und das Clustermodell. Mit Hilfe des optischen Modells versucht man mit den Methoden der Wellenoptik die Welleneigenschaften der Nukleonen zu erklären; mit dieser Theorie kann die hohe Durchlässigkeit der Kerne für hochenergetische Kerngeschosse und deren große Reichweite in der Kernmaterie gedeutet werden. Beim Clustermodell werden schließlich die Wechselwirkungen einzelner Nukleonen nur im sogenannten Clusterverband behandelt; der α-Zerfall schwerer Kerne kann damit erklärt werden. Zusammenfassend gilt: eine einheitliche Theorie des Kernaufbau existiert noch nicht.

2.3.1.1 Radioaktivität Unter Radioaktivität versteht man jede spontane Änderung eines Atomkerns, wobei zwischen natürlicher und künstlicher Radioaktivität zu unterscheiden ist. Natürliche Radioaktivität ist Radioaktivität instabiler Isotope, die in der Natur vorkommen. Unter künstlicher Radioaktivität versteht man die Radioaktivität von Isotopen, die durch Kernreaktionen erhalten werden. Die Eigenschaften eines Isotops sind unabhängig von der Art seiner Darstellung, Tab. 2.4.16 Unter dem Aspekt einer möglichen Bildung zusammengesetzter Kerne aus Kernreaktionen, kann die Radioaktivität als von selbst erfolgende Änderung der Kernzusammensetzung angesehen werden, die sich durch Emission von Elementarteilchen oder Kernen aus dem Grundzustand oder einem metastabilen Zustand der Kerns während einer Zeitspanne vollzieht, die wesentlich länger ist als die Lebensdauer des angeregten zusammengesetzten Kerns der Kernreaktion. Die kürzeste Lebensdauer radioaktiver Isotopen wird zu 10−12–10−13 s angenommen. Die Grundarten der Radioaktivität sind durch verhältnismäßig lange Lebensdauer charakterisiert; die Lebensdauer ist entweder durch die Art der Wechselwirkung (schwache Wechselwirkung beim ß-Zerfall) oder durch die Verzögerung der Emission positiv geladener Teilchen durch den Coulombschen Potenzialwall im Kern (α-Zerfall, Spontanspaltung, Ein- und Zweiprotonenaktivität) bedingt. Radioaktiver Zerfall ist zumeist mit der Emission von harten, elektromagnetischen Strahlen, (ɣ-Strahlen) verbunden; die Wellenlängen der ɣ-Photonen liegt größenordnungsmäßig zwischen 10−9 und 10−11 cm. ɣ-Strahlen stellen die häufigste Form der Abgabe von Energie dar, die aus radioaktiven Zerfall frei wird.  KfA Karlsruhe, 1982.

16

33

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie Tab. 2.4  Tabelle der Grundarten der Radioaktivität Typ der Radioaktivität Alphazerfall

Änderung der Kernladung Z Z−2

Änderung der Massenzahl A A−4

Betazerfall

Z ± 1

A

β−-Zerfall β+-Zerfall Elektroneneinfang

Z + 1 Z−1 Z−1

A A A

Spontanspaltung

Z−½Z

A−½A

Protonenaktivität Z−1 Zweiprotonenaktivität Z − 1

A−1 A−2

Art des Vorgangs Emission von α-Teilchen; sie bestehenaus zwei Protonen (p) und zwei Neutronen (n), die miteinander zu einem Ganzen verbunden sind Umwandlung eines Neutrons (n) in ein Proton (p) bzw. umgekehrt innerhalb eines Kerns n → p + (ē + ν–e ) n → p + (e+ + νe ) p + e− − n + νe ) νe und ν–e sind das elektronische Neutrino bzw. Antineutrino; die eingeklammerten Teilchen werden vom Kern emittiert Spaltung des Kerns zumeist in zwei Teile mit annähernd gleicher Masse und Ladung Emission eines Protons gleichzeitige zweier Protonen

Zerfallende Kerne werden als Mutterkerne, die aus ihnen entstehenden als Tochterkerne bezeichnet. Zerfallen auch diese, so spricht man bisweilen von Enkelkernen und von Zerfallsreihen. Die Stabilität der radioaktiven Kerne wird auch durch die Halbwertszeit T1/2 (siehe Abschn.  2.3.1.1) charakterisiert. Sie entspricht der Zeit, nach der eine gegebene Ausgangsmenge eines radioaktiven Stoffes zur Hälfte zerfallen ist. Zwischen λ und T1/2 besteht folgender Zusammenhang; T1 / 2 = ln 2 / λ = 0, 693 / λ



(2.4)

λ bedeutet die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kern innerhalb einer Sekunde zerfällt, und ist daher gleich dem Bruchteil der Kerne, die während einer Sekunde zerfallen. Die Größe 1/λ nennt man die mittlere Lebensdauer eines radioaktiven Isotops. Für radioaktive Isotope, die nach mehreren Arten zerfallen ist die allgemeine Zerfallskontante λ = ∑ λk, die Addition erfolgt über alle Zerfallsarten; λk ist die partielle Zerfallsk

konstante. Die Anzahl über Zerfälle pro Zeiteinheit nennt man die Aktivität eines gegebenen Präparates. Bezieht man diese auf die Masseeinheit, so erhält man die spezifische Aktivität der vorliegenden Substanz. Für die Aktivität gilt

A = λ N = N0 e − λ t

(2.5)

34

2 Kernreaktionen

Ist das durch einen Zerfall entstandene Folgeprodukt selbst wieder radioaktiv und möglicherweise auch dessen Tochtersubstanz usw. – d. h., es kommt nicht nach der ersten Umwandlung, sondern erst über eine Serie instabiler Zwischenprodukte zur Bildung einer stabilen Kernart – so spricht man von einer radioaktiven Zerfallsreihe (Zerfallskette). Bezeichnet man mit λi die Zerfallskonstante des i-ten Gliedes der Kette und mit ki die Empfindlichkeit des Detektors gegenüber der Strahlung des i-ten Gliedes, so beträgt die Gesamtaktivität der Zerfallskette n



A = ∑ki λi N i i =1



(2.6)

Die Aktivität einer zweigliedrigen Kette (n = 2) beträgt



 k λ2 A = k1λ1 N10  1 − 2 k λ  1 1 − λ2

  − λ1t k2 λ2 e − λ2 t  e + k1 λ1 − λ2  

(2.7)

Der Index „Null“ bezieht sich auf den Zeitpunkt t = 0. Die Stabilität der Kerne nimmt mit (durchschnittlich) wachsender Massenzahl ab. Die Anzahl der leichteren und mittleren radioaktiven Kerne ist gering (19K40, 37Rb87, 49In115, 138 147 176 und 75Re187). 57La , 62Sm , 71Lu Für schwere Kerne (beginnend mit A > 200) ist die natürliche Radioaktivität eine universelle Erscheinung. Es existieren insgesamt drei natürliche und eine künstliche radioaktive Familie (Zerfallsreihe), die nach dem jeweils langlebigsten Glied (mit höchstem T1/2) benannt ist: Uranreihe (nach 92U238), Thoriumreihe (nach 90Th238), Actiniumreihe (nach 235 327 89Ac ) und Neptuniumreihe (nach dem künstlichen 93Np ). Die Massenzahlen der Glieder der einzelnen radioaktiven Familien lassen sich die Formel A = 4n + a (2.8) charakterisieren; n ist eine ganze Zahl; es gilt a = 0 in der Thoriumreihe, a = 1 in der Neptuniumreihe, a = 2 in der Uranreihe, a = 3 in der Actiniumreihe. Die Glieder einer Zerfallsreihe gehen durch α- und ß-Zerfall ineinander über. Die stabilen Endprodukte der einzelnen Reihen sind 82Pb208 in der Reihe mit a = 0, 83Bi209 in der mit a = 1, 82Pb206 in der mit a = 2 und 82Pb207 in der mit a = 3. Die vier Zerfallsreihen sind in Abb. 2.14 veranschaulicht. Die parallel zur A-Achse zeigenden Pfeile bedeuten α-Zerfall, die senkrecht auf sie weisenden ß-Zerfall. Für die Kernumwandlungen dieser Zerfallsreihen gilt der Fajans-­ Soddysche Verschiebungssatz17

= A′ A= – 4}α – ZerfallA′ A} ß – Zerfall; Z′ = Z − 2 Z′ = Z + 1

(A, Z) und (A′, Z′) sind Mutter- bzw. Tochterkerne. Die Elemente mit Z > 92 nennt man Transurane. Es sind bis heute zwölf von ihnen bekannt, die alle auf künstlichem Wege erzeugt wurden; sie konnten in der Natur nicht  Kasimir Fajans: Die radioaktiven Umwandlungen und das periodische System der Elemente. In: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft. Nr. 46, 1913, S. 422–439, doi:10.1002/ cber.19130460162. 17

α

208 82Pb

β−

α

β−

α

α

α

α

β−

β−

α

208 81 TI

Abb. 2.14  Zerfallsreihen der schweren Kerne

Thorium-Reihe

212 84Po

β−

212 83 Bi

212 82Pb

216 84 Po

220 86 Rn

224 88 Ra

228 90 Th

228 89 Ac

228 88 Ra

232 90 Th

α

β−

β−

α

α

207 82Pb

211 83 Bi

215 84Po

α

219 86 Rn

α

223 88 Ra

207 81 TI

β−

α

α

215 85 At

β−

β−

β −

223 87 Fr −

β

α

Uran-Actinium-Reihe

211 84Po

211 82Pb

227 90 Th

β−

227 89 Ac

α

231 91 Pa

β−

α 231 90 Th

235 92 U

215 83 Bi

219 85 At

α

α

210 81 TI

β−

β α



206 82Pb

α

210 82Pb

β−

α

218 84 Po

α

α

α

α

β−

β−

α

218 85 At

α 214 84Po

210 84Po

β−

210 83 Bi

α β−

α

β− 218 86 Rn

β−

Uran-Radium-Reihe

206 81 TI

β−

206 80Hg

α

214 83 Bi

β−

214 82 Pb

α

222 86Rn

226 88Ra

230 90 Th

234 92 U

234 91 Pa

234 90 Th

238 92 U

β−

α 205 81 TI

209 83 Bi

209 82Pb

β−

217 85 At

β−

α

213 84Po

α

237 92 U

217 86 Rn

β−

β−

α

Plutonium-Neptunium-Reihe

209 81 TI

α

213 83 Bi

α

α

221 87 Fr

α

225 89Ac

β−

225 88Ra

α

229 90 Th

α

233 92 U

β−

233 91 Pa

α

237 93 Np

α

241 95 Am

β−

241 94 Pu

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie 35

36

2 Kernreaktionen

vorgefunden werden. Die Transurane sind durchweg radioaktiv; Ihre Halbwertszeiten verringern sich rasch mit ansteigendem Z. Ihre Namen lauten: Neptunium (99Np237), Plutonium (94Pu244), Americium (95Am243), Curium (96Cm248), Berkelium (97Bk247), Californium (98Cf249), Einsteinium (99Es254), Fermium (100Fm253), Mendelevium (101 Md256), Nobelium (102No257), Lawrentium und Kurchatovium. Bei den Transuranen stellt der α-Zerfall die Grundform der Kernumwandlungen dar. Als stabilstes Isotop eines Transuranelements gilt jeweils das mit der geringsten Neutronenzahl N. Isotope mit aufgefüllten Kernschalen besitzen längere Halbwertszeiten als die ihnen benachbarten. 2.3.1.1.1  Alpha-Zerfall (α-Zerfall) Der α-Zerfall,18 Abb. 2.15, tritt nur bei schweren Kernen mit A > 200 ein. Die aus einem bestimmten Zerfallsprozess emittierten α-Teilchen besitzen ein diskretes Energiespektrum, das im Allgemeinen eine Anzahl nahe benachbarter Energiewerte aufweist. Am intensivsten tritt hierbei zumeist die energiereichste Gruppe der α-Teilchen hervor. Sind mehrere Gruppen wenig unterschiedlicher Energie vorhanden, so bilden sie zusammen die Feinstruktur des α-Spektrums. In den Spektren äußerst kurzlebiger Kerne können α-Teilchen beobachtet werden, deren Energie diejenige der am intensivsten hervortretenden Gruppe noch übersteigt (weitreichende α-Teilchen). Die Halbwertszeiten der α-Strahler sinken mit zunehmender Energie der emittierten α-Teilchen stark ab; beträgt die Energie der Teilchen beispielsweise 4  MeV, so ist T1/2 für den Strahler  ~  109 Jahre; für 9  MeV beträgt T1/2 nur noch ~ 10−7 s. Man kennt insgesamt etwa 25 natürliche und 100 künstliche α-Strahler. Wie für die Kernmodelle (siehe Abschn. 2.3.1) erläutert, stellt man sich vereinfacht das Potenzial eines im Normalzustand befindlichen Kerns als Mulde vor, die durch einen Potenzialwall endlicher Höhe und Breite von dem außerhalb der Reichweite der Kernkräfte liegenden Bereich getrennt ist. Die Höhe des Potenzialwalls übersteigt in den meisten Fällen die Energie der emittierten α-Teilchen. Man nimmt daher an, dass die Teilchen im Zerfallsprozess den Potenzialwall durchdringen (Tunneleffekt).19 Das Spektrum der α-Teilchen lässt eindeutig auf das Vorhandensein diskreter Energieniveaus für diese Teilchen im Kern schließen. Anzahl und Höhe der Niveaus variieren von einem α-Strahler zum anderen. Abb. 2.15  α-Zerfall von Radium-226 in Radon-222 unter Aussendung eines Helium-4-Kerns (α-Teilchen

226 88 Ra 222 86 Rn

4 2 He

 Koelzer, W.: Hauptabteilung Sicherheit, KFK.  George Gamow: Zur Quantentheorie des Atomkernes. In: Z. Phys. 51, 3, 1928, S. 204–212.

18 19

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie

37

Die Energie der α-Teilchen entspricht der Differenz zwischen den Energieniveaus der Mutter- und Tochterkerne. Sie ist umso größer, je weniger der Tochterkern angeregt ist. Im Fall von stark angeregten α-aktiven Mutterkernen mit kleiner Halbwertszeit durchdringt das α-Teilchen den Potenzialwall noch bevor ein ɣ-Quant (siehe Abschn. 2.3.1.1.3) emittiert wird. Das hierbei ausgesandte α-Teilchen besitzt eine übergroße Reichweite, die diejenige gewöhnlicher α-Teilchen übersteigt. Einen α-Zerfall unterscheidet man in zwei Stadien: die Bildung eines α-Teilchens aus Nukleonen innerhalb des Kerns und die Emission des Teilchens. Der erste Vorgang ist weniger erforscht als der zweite. Die Bildung der α-Teilchen erfolgt mit entsprechender Wahrscheinlichkeit. Die Lebensdauer α-aktiver Kerne wird daher im Grunde durch das zweite, bisweilen länger währende Stadium bestimmt. Die Vereinigung zweier Protonen und zweier Neutronen zu einem α-Teilchen ist auf Grund der Sättigung der Kernkräfte möglich: das neu gebildete α-Teilchen wird durch diese Kräfte geringer angezogen als die übrigen Nukleonen, wodurch es in erhöhtem Maß der Coulombschen Abstoßung durch die Protonen ausgesetzt ist. Dies erklärt, warum der α-Zerfall wesentlich wahrscheinlicher ist als die Ein- oder Zweiprotonenaktivität. Für die Durchlässigkeit D des Potenzialwalls, Abb.  2.16, für α-Teilchen gilt näherungsweise:



 2 rT  Zze2   D = exp − ∫ 2 m  − E dr  R  r   

(2.9)

dabei ist E  =  T die kinetische Energie des α-Teilchens (z  =  2), R der Kernradius, rT = (Zze2)/T der Umkehrpunkt, der sich auf Grund der Bedingung UK(rT) = T ermitteln lässt (dabei ist UK(r) = (Zze2)/r das Coulombsche Potenzial zwischen α-Teilchen und dem Kern mit der Ladung Ze; m ist die Masse des α-Teilchens. Die kinetische Energie T′ des α-Teilchens innerhalb eines Kerns ist größer als außerhalb desselben: T″ > T = E. D = e −2 gγ



(2.10)

dabei ist g= Abb. 2.16  Schema des Potenzialwalls für α-Teilchen

R B T T ,γ = arccos − 1− B T B B U Zze 2 r

B

T=E

E T α` R -U0

r1

r

2 Kernreaktionen

38

Zze2 ist die Höhe des Coulombschen Potentialwalles,  =  die B 2mB R DE BROGLIEsche Wellenlänge20 entsprechend der kinetischen Energie der Teilchen, die gleich ist der Höhe des Walles (T = B). Der Wert von ƛT für Nukleonen mit der kinetischen Energie T ist B = UK ( R ) =

T =

 2 mT



4, 5 ⋅ 10 −13 T ( MeV )

cm

(2.11)

Die α-Zerfallskonstante λ hängt ist von der Größe D abhängig

λ = ( vD ) / 2 R

hierbei ist R der Kernradius und v die Geschwindigkeit des α-Teilchens im Kern. Der ˉ ̣α der α-Teilchen in Materie und der Zusammenhang zwischen der Reichweite R ­α-­Zerfallskonstante λ ist aus der folgenden empirischen Formel, der Geiger-Nuttallschen Beziehung21 ersichtlich:

ln λ = A ln R + B Ùα

(2.12)

A und B stellen Konstanten dar, die für die einzelnen Zerfallsreihen unterschiedliche Werte besitzen. Aus der Formel geht hervor, dass λ mit zunehmender Reichweite bzw. Energie der α-Teilchen ebenfalls zunimmt und T1/2 dementsprechend rasch absinkt. 2.3.1.1.2  Betazerfall (ß-Zerfall) Unter dem ß-Zerfall22 versteht man drei Formen von Kernumwandlungen: den Elektron (ß−)-Zerfall, den Positron (ß+)-Zerfall, Abb. 2.17, und den Elektroneneinfang (siehe auch Kapitel Radioaktivität). Man kennt gegenwärtig ca. 900 ß-aktive Isotopen. Von diesen sind lediglich etwa 20 natürlich, während die übrigen auf künstlichem Wege erhalten werden. Beim weitaus größten Teil dieser Isotopen erfolgt der ß−-Zerfall, beim dem jeweils ein Elektron emittiert wird. Theoretisch ist auch ein doppelter ß-Zerfall möglich; hierbei würden pro Zerfall auch zwei Elektronen (Positronen) abgestoßen werden. Diese Zerfallsart wurde bislang experimentell nicht beobachtet. Abb. 2.17  Beim Beta-Plus-­ Zerfall (β+) handelt es sich um ein Positron und ein Neutrino (rechts), beim Beta-Minus-­ Zerfall (β−) handelt es sich um ein Elektron und ein Antineutrino (links)  Louis de Broglie: Licht und Materie. H. Goverts Verlag, Hamburg 1939, S. 163.  T. Fließbach: Quantenmechanik. Spektrum Akademischer Verlag. 22  Quelle: Frey, H.: Vorlesung Kernphysik, Uni Kaiserslautern, KfK Karlsruhe. 20 21

2.3  Physikalische Grundlagen der Kernenergie

39

Das Energiespektrum aus dem ß-Zerfall emittierten Elektronen oder Positronen ist kontinuierlich und erstreckt sich von E = 0 bis E = EO, wobei EO die sogenannte obere Grenzenergie des ß-Spektrums ist. Die mittlere Energie Ē der Elektronen, die von einem schweren Kern emittiert werden, beträgt E ⊕ EO / 3 ; bei natürlichen ß-Strahlern ist E = ( 0,25 – 0,45 ) MeV. Bei leichten Kernen ist das Energiespektrum der Elektronen (Positronen) fast symmetrisch: E ⊕ EO / 2 Die Halbwertszeiten für einen ß-Zerfall liegen im Bereich von 2,5·10−2 s bis 4·1012 Jahren; sie sind unvergleichlich länger als die charakteristische Kernzeit (~10−21 bis 10−22 s). Dies deutet darauf hin, dass ein ß-Zerfall durch die schwache Wechselwirkung23 zustande kommt. Der ß-Zerfall erfolgt zumeist unter gleichzeitiger Emission von ɣ-Strahlen mit diskretem Energiespektrum. Die Form eines ß-Spektrums zeigt Abb. 2.18. Im ß-Zerfall wird zugleich mit einem Elektron auch ein elektronisches Antineutrino, mit einem Positron auch ein elektronisches Neutrino emittiert. Die Wechselwirkung des elektronischen Neutrinos (Antineutrino) mit dem Kern ist unendlich klein im Vergleich zur Wechselwirkung zwischen den Nukleonen eines Kerns (Kernwechselwirkungen). Elektron (Positron) und elektronisches Antineutrino (Neutrino) müssen hierbei gleich große, jedoch entgegengesetzte Spins besitzen, da durch einen ß-Zerfall keine Änderung des Kernspins zustande kommt. Die ß-Spektren verdanken ihre Kontinuität der unterschiedlichen Energieverteilung zwischen Elektron (Positron) und Antineutrino (Neutrino); die Summe der Energie beider Teilchen ist jeweils gleich EO. In den Atomkernen existieren nach gegenwärtigen Vorstellungen weder Elektronen (Positronen) noch elektronische Antineutrinos (Neutrinos); sie bilden sich erst im Augenblick, in dem sie aus dem Kern geschleudert werden. Ihr Zustandekommen ist auf die schwache Wechselwirkung zwischen den Nukleonen der Kerne zurückzuführen. Da es in Folge eines ß-Zerfalls zur Entstehung neuer Teilchen kommt, sind die Methoden der Abb. 2.18  Form eines ß-Spektrums

häufigste Energie

relative Häufigkeit

100 80 60 40

maximale Energie

20 0

0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

1,2

1,4

1,6

1,8

Energie in MeV

 B. Povh, K. Rith, C. Scholz, F. Zetsche: Teilchen und Kerne. 8. Auflage. Springer, Berlin 2009, ISBN 978-3-540-68075-8. 23

40

2 Kernreaktionen

Abb. 2.19 Schematisch: energetische Veränderungen bei ß-Zerfallsprozessen

nicht-relativistischen Quantenmechanik nicht anwendbar; zur Behandlung der gestellten Probleme eignen sich die Methoden der Quantenfeldtheorie. Die durch ß-Zerfallsprozesse stattfindenden energetischen Veränderungen sind schematisch in Abb. 2.19 veranschaulicht. Im ß-Zerfall wechselt der Kern zwischen diskreten Energiezuständen. Auf der Ordinate sind die Ruhenergien der Atome (A, Z) abzüglich der Ruhenergien der aus ihnen beim ß−-Zerfall entstehenden Tochterionen und Elektronen aufgetragen. Ein Übergang aus Zustand I (E(Z) > 0) entspricht einem ß−-Zerfall, bei dem E(Z) > E(Z + 1) ist. Ein Übergang in den Zustand II entspricht der Umwandlung Z + 1 → Z, nämlich dem Elektroneneinfang. Je nach der Schale, aus der das Elektron eingefangen wurde, unterscheidet man den K-, L-, M-Einfang usw. Der durch Elektroneneinfang entstandene angeregte Tochterkern geht nach Aussendung eines ɣ-Quants (siehe ɣ-Strahlung) entsprechender Energie in den Grundzustand über. Der Übergang eines Kerns in den Zustand III (E(Z)  2mec2. Die Bedingung für die Paarbildung beim Zusammenstoß zweier Elektronen lautet Ee > 7 mec2. Dabei ist Ee die Gesamtenergie des bewegten Elektrons. Der Wirkungsquerschnitt σPaar für die Paarbildung im Kernfeld ist ¤



σ Paar ∼ Z 2 ln Eγ f u r 5me c 2 < Eγ < 50 me c 2

Bei Eɣ  50mec2 wächst σPaar mit Erhöhung de Energie langsamer. Im ultrarelativistischen Fall hängt σPaar nicht von Eɣ ab. Der Gesamtquerschnitt σ für die Wechselwirkung eines ɣ-Strahls mit der Materie lautet

σ = σ ph + σK + σ Paar

Im Energiebereich des ɣ-Strahls Eɣ  850 °C ist auch als Prozesswärme nutzbar.

10.5 Ü  berkritischer Leichtwasserreaktor, SCWR (Super-Critical Water-Cooled Reactor) Der Überkritische Leichtwasserreaktor ist ein thermischer Reaktor, Abb. 10.7,14 der überkritisches Wasser als Arbeitsmedium verwendet. Der Aufbau entspricht einem Siedewasserreaktor mit einem einfachen Kreislauf, das Arbeitsmedium Wasser befindet sich  Quelle: Kupitz, J.: Kernenergie: Das Potential für einen kostengünstigen, langfristigen und klimaneutralen Beitrag zur globalen Energieversorgung, IEK-STE. KFA Jülich. 14

328

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Überkritisches Wasser

Turbine

Generator

Reaktorkern

Kondensator

elektr. Leistung

Reaktor

Rückkühlung Speisewasserpumpe

07-GA50230-01

Abb. 10.7  Schema eines überkritischen Leichtwasserreaktors

aber stets über dem kritischen Punkt, es finden also im Primärkreislauf keine Phasenübergänge statt. Im SCWR, der auch im Direktkreislauf arbeiten soll, ist geplant, dass die Coreaustrittstemperatur des Kühlmittels (bei einem Betriebsdruck von 250 bar) um über 200 °C auf 510 °C erhöht zu erhöhen. Damit liegt man über dem thermodynamisch kritischen Punkt, der für Wasser bei 374 °C und 221 bar liegt. Oberhalb des kritischen Punkts existiert kein Zweiphasengemisch (Wasser– Dampf), sondern der jetzt einphasige überhitzte Wasserdampf hat neue Fluideigenschaften, die eher mit denen realer Gase unter hohem Druck vergleichbar sind. Die Kerntemperatur ist höher als in Siede- und ­Druckwasserreaktoren. Das Wasser wird in einem einfachen Kreislauf in die Turbine gespeist, um Energie zu gewinnen. Das superkritische Wasser wirkt als Moderator, jedoch werden die Neutronen nur teilweise moderiert, um die Leistungsdichte zu erhöhen und um die Transmutation (siehe Abschn. 11.9.3) von Actinoiden zu ermöglichen. Der Vorteil liegt im einfachen und preisgünstigen Aufbau der Anlage und in hohen Wirkungsgraden (bis 45  %). Wegen des hohen Druckes im Kreislauf ist das Containment dicker. In neueren Kohlekraftwerken wird die innovative Nutzung des Überhitzungspotenzials bereits erfolgreich angewandt. So kann die bereits weiterentwickelte Werkstofftechnik weitgehend für den konventionellen Teil des Kernkraftwerkes übernommen werden. Tab. 10.2 zeigt die etwaige Spezifikation eines SCWR-Systems.

10.6  Schneller natriumgekühlter Reaktor, SFR (Sodium-Cooled Fast Reactor)

329

Tab. 10.2  Spezifikation eines SCWR-Systems Anlagenparameter Thermische Reaktorleistung (MW) Elektrische Anlagenleistung (MW) Wirkungsgrad (%) Neutronenspektrum Brennstoff Kühlmittel Kühlmittelein-/-austrittstemperatur (°C) Reaktorbetriebsdruck (bar) Entladeabbrand (MWd/U)

SCWR 3900 1700 44 thermisch UO2 H2O (überkritisch) 280/510 250 46.000

Infolge der hohen Aufheizung des Arbeitsmediums vermindert sich – bei gleicher thermischer Leistung – der Kühlmitteldurchsatz durch den Reaktorkern, d. h. Größe und Leistung der Kühlmittelpumpen können reduziert werden. Darüber hinaus werden bei der Kühlung mit überkritischem Wasserdampf die SWR typischen Komponenten Dampfabscheider und Dampftrockener nicht mehr benötigt, was die Anlagentechnik vereinfacht. Die technologischen Herausforderungen eines SCWR liegen im Werkstoffbereich, so muss der Reaktordruckbehälter aus einem Guss mit verbesserten Materialeigenschaften hergestellt werden, was bisher nur Japan Steel gelingt, auch sind die Eigenschaften der Hüllrohre den erhöhten thermischen und mechanischen Belastungen anzupassen.

10.6 S  chneller natriumgekühlter Reaktor, SFR (Sodium-Cooled Fast Reactor) Der schnelle natriumgekühlte Reaktor (engl. Sodium Fast Reactor, SFR) ist das am weitesten fortgeschrittenen System, und soll Blockleistungen von bis zu 2000 MWe erreichen. Der Reaktorkern befindet sich dabei mit den Wärmeübertragern in einem Behältnis (Pool-­ Typ, siehe Abschn. 5.4) oder ist von ihnen getrennt (Loop-Typ). Durch die Flüssigmetallkühlung entspricht der Druck im Reaktorkreislauf fast dem Außendruck. Die hohe Leistungsdichte des Kerns von bis zu 300 WM/m3, hohe Abbrände von >100 GWd/t und das schnelle Neutronenspektrum ermöglichen dem SFR ein sehr hohes Brutverhältnis zu erzielen. So soll der BN-1200 ein Konversionsverhältnis von 1,2 mit Uranbrennstoff und 1,35 mit MOX-Brennelementen erreichen. In weiterer Zukunft soll mit verbessertem Nitridbrennstoff sogar 1,45 erreicht werden. Mit einer projektierten Kernaustrittstemperatur von 550 °C für den SFR stehen zwei mögliche Kreisläufe zur Verfügung, die eingehend geprüft werden. Das Schema des schnellen natriumgekühlten Brutreaktors zeigt Abb. 10.8.15

 Kupitz, J.: Kernenergie: Das Potential für einen kostengünstigen, langfristigen und klimaneutralen Beitrag zur globalen Energieversorgung, IEK-STE. KFA Jülich. 15

330

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Abb. 10.8  Schema des schnellen natriumgekühlten Reaktors

Wenn die Temperatur im Reaktorcore über die Auslegungsparameter steigt, erhöht sich die Eigenbewegung der Uranatome, was die Wahrscheinlichkeit des Neutroneneinfangs durch 238U erhöht, die Spaltungsrate sinkt. Der Reaktor ist durch das physikalische Verhalten der enthaltenen Brennstoffe vor einer Kernschmelze geschützt, ohne dass zusätzliche Sicherheitsvorrichtungen erforderlich wären. Der Reaktorkern sitzt in einem Becken aus flüssigem Natrium. Über einen Wärmeübertrager wird die Wärme an einen zweiten Natriumkreislauf abgegeben, dieser dient bei Leckagen als Schutz, da Natrium sehr reaktionsfreudig ist. Im dritten Kreislauf wird Wasser verdampft, um einen Turbosatz an­ zutreiben. Da das Natrium des Primärkreislaufes radioaktiv ist, gibt es zwischen dem Dampferzeuger und dem Primärkreislauf einen Natriumzwischenkühlkreislauf, um bei Natriumbränden eine radioaktive Kontamination im Reaktor zu verhindern. Natrium reagiert exotherm mit Wasser und entflammt in Kontakt mit Sauerstoff. In den Dampferzeugern wird das flüssige Natrium nur durch eine dünne Metallwand von den wasserführenden Leitungen getrennt, jeder Kontakt kann zu Rohrleitungsschäden und zu Wasser-Natrium Bränden führen.16 Natriumbrände traten vor allem im Betrieb des BN-250 und BN-600 auf. Der BN-600 hatte 27 Natriumleckagen zwischen 1980 und 1997, von denen 14 zu Natriumbränden führten.  Fast Breeder Reactor Programs: History and Status (Research Report Nr. 8). IPFM – International Panel on Fissile Materials. 16

10.6  Schneller natriumgekühlter Reaktor, SFR (Sodium-Cooled Fast Reactor)

331

Abb. 10.9  Grundlegende Informationen Entwicklungsland Vereinigte Staaten Entwicklungsjahr 1981 Entwickler GE Hitachi Nuclear Energie (GEH) Hersteller GE Hitachi Nuclear Energie (GEH) Auslegung Reaktortyp Schneller Reaktor Bauart Druckbehälter Kühlmittel Natrium Reaktivitätskoeffizient positiv Metallbrennstoff Geometrie Hexagonal Wechsel Im abgeschalteten Zustand

Ebenso kam es im japanischen Monju Reaktor zu Natriumbränden und in den französischen Reaktoren Rapsodie, Phénix und Superphénix. Zu Natriumleckagen kam es auch im britischen Dunray Reaktor und im Prototype Fast Reactor. Ein Projekt in der Angebotsphase ist: Der Power Reactor Innovative Small Module PRISM von Hitachi und General Electric, Abb. 10.9.17 Im PRISM handelt es sich um einen Schnellen Natriumgekühlten Reaktor mit drei Kreisläufen. Aufgeteilt ist die Anlage in zwei Teile: den nuklearen Sicherheitsbereich mit dem primären und sekundären Natriumkreislauf und den Dampfkreislauf als tertiärem Kreislauf. Das Kühlmittel Natrium wird im Primärkreislauf, das bedeutet: im Reaktorbehälter, unter einem fast atmosphärischen Druck über die beiden Wärmetauscher in das Reaktorcore geleitet und durch die magnethdrodynamischen Pumpen (siehe Abschn. 6.2) wieder um 180° umgekehrt nach oben gepumpt, wo der Natriumfluss ein weiteres Mal um 180° umgekehrt wieder in den unteren Bereich des Reaktors geleitet wird. Dort wird die Flussrichtung erneut umgekehrt, so dass der Kern von unten durchströmt wird und sich das  Quelle: Boettcher, A,: KFA, Jülich.

17

332

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Natrium von etwa 360 °C auf ungefähr 499 °C aufheizt. Von dort aus zirkuliert es weiter durch den oberen Bereich des Reaktorbehälters in die ebenfalls im Reaktorbehälter positionierten integralen Wärmetauscher. Durch deren Durchlaufen wird das Natrium wieder auf ungefähr 360 °C abgekühlt und erneut durch den Reaktor geleitet. Der Massenstrom durch den Reaktorkern beträgt für eine Nennleistung von 840 MWth etwa 5,4 Kubikmeter pro Sekunde.18 Während der Primärkreislauf nur die Aufgabe hat, die Wärme aus dem Kern aufzunehmen und an einen sekundären Natriumkreislauf zu übertragen, dient der sekundäre Kreislauf primär als Sicherheitsschleife. Während eines Natriumleck zwischen Primärund Sekundärseite wird verhindert, dass Wasser mit dem Natrium im Reaktor in Kontakt gerät und reagiert. Desweiteren wird bei einem Leck zwischen Sekundär- und Tertiärkreislauf verhindert, dass bei einer Reaktion zwischen Natrium und Wasser radioaktives Natrium aus dem Reaktor in Kontakt gerät. Der Sekundärkreislauf nimmt die Wärme aus dem Primärkreislauf auf und erhitzt sich von 326 °C auf 477 °C. Der Massenstrom des Kreislaufs beträgt 5,1 Kubikmeter pro Stunde für eine Nennleistung des Reaktors. Zusätzlich befinden sich im Sekundärkreislauf wichtige Komponenten wie das passive Wärmeabfuhrsystem, das sich um den Dampferzeuger herum befindet, in dem im Normalbetrieb der Kreislauf die Wärme an den Tertiätkreislauf abgibt und sich dadurch wieder auf die Vorlauftemperatur von ungefähr 326 °C abkühlt. Im Tertiärkreislauf laufen alle Reaktorsysteme des einzelnen Blocks hinter dem Dampferzeuger zusammen. Je nach Typ sind es beim Modul A 3  ×  471  MWth, bei Modul B 2 × 840 MWth und beim S-PRISM 2 × 1000 MWth. Vereint als gemeinsamer Dampfstrom kommt dieser am Turbosatz mit einer Temperatur von 452 °C an bei einem Druck von 147 Bar. Dort treibt der Dampf eine Kondensationsturbine mit einem Hochdruckläufer und zwei Niederdruckläufern an. Durch die hohe Temperatur und die effiziente Wärmeübertragung des Natriums ist es möglich, eine Heißdampfturbine einzusetzen, wie sie auch in konventionellen Kraftwerken verwendet wird. Die vereinte Kraft aus den beiden Reaktoren des Fallbeispiels, dem Modell B, reicht aus, um eine Nettoleistung von 622 MWel in das Elektrizitätsnetz zu speisen. Das Wasser im Tertiärkreislauf wird durch den Kühlwasserkreislauf, der als Umlaufkühlung mit Zellenkühler ausgeführt wird, in den Kondensatoren gekühlt und mit dem Vorwärmer auf eine Speisewassertemperatur von 216 °C erwärmt. Hinter der Pumpenanlage des Maschinenhauses teilt sich der Kühlwasserstrom wieder auf die einzelnen Reaktoren auf und durchläuft erneut den Dampferzeuger. Der Kreislauf beginnt von vorn. Das Primärsystem der Anlage ist einzig und allein der Reaktorbehälter in Poolbauweise. In ihm befindet sich neben dem Reaktorkern auch die magnetohydrodynamischen Pumpen und die Wärmetauscher, die die erzeugte Wärmeenergie in den sekundären Natriumkreislauf übertragen. Eingeschlossen ist der gesamte Reaktordruckbehälter durch einen Stahlüberbau mit einem Drehdeckel für den Tausch einzelner Brennelemente. Zu BRIAN S. TRIPLETT, u.a.: PRISM: A COMPETITIVE SMALL MODULAR SODIUM-COOLED REACTOR, 07.05.2010. 18

10.6  Schneller natriumgekühlter Reaktor, SFR (Sodium-Cooled Fast Reactor)

333

sätzlich gibt es Öffnungen für die Reinigung des Natriums, zur Aufbereitung des Schutzgases und für das Einführen von Reaktorequipment. Die Reinigung des Natriums erfolgt hauptsächlich während des Anlagenstillstandes. Dass das Natrium nicht erstarrt, wird durch die Modulbauweise garantiert, indem der jeweils benachbarte Reaktor im gleichen Block das Natrium auf Temperatur hält. Der Reaktorbehälter selbst sowie der Sicherheitsbehälter haben keinerlei Durchführungen und sind an der Unterseite jeweils stumpf verschweißt. Der Reaktorkern wird durch eine Trägerkonstruktion unterhalb der Brennelemente gehalten, die redundant aufgebaut ist und sich am unteren Ende des Reaktorbehälters sowie seitlich an der Wand des Behälters abstützt. Seitlich des Kerns erstrecken sich der Kernmantel und die Stützzylinder über die Höhe des Reaktorkerns sowie die seitlich des Reaktos befindlichen Lagerpositionen für entladene Brennelemente. Die 9 Steuerelemente des Reaktors sind an der Drehdeckeldurchführung befestigt, ebenso wie die Reaktorinstru­ mentierung und die Reaktorlademaschine. Im Gegensatz zu traditionellen Reaktoren mit Oxidbrennstoff verwendet der PRISM einen metallischen Uran-Plutonium-Zirkoniumalloy-Brennstoff oder einen Uran-Transuran-Zirkoniumalloy-Brennstoff. Der Metallbrennstoff des PRISM wird vor Ort durch das integrierte Wiederaufarbeitungszentrum hergestellt. Er besteht aus massiven gegossenen Brennstäben welche sich sich in einzelnen Hüllrohren befinden, die aus Edelstahl des Typs HT9 bestehen. Der Stahl ist bereits in anderen Brutreaktoren eingesetzt worden und zeichnet sich durch eine hohe Resistenz in einem harten Neutronenspektrum aus. Die Entwicklung dieses Brennstoffs war eines der wichtigsten Teilprojekte des IFR Programms, er ist für viele der vorteilhaften Eigenschaften der IFR Reaktoren einschließlich des PRISM veranwtwortlich. Metallischer Brennstoff bietet zahlreiche Vorteile. Seine Wärmeleitfähigkeit etwa ist sehr gut. Vor allem enthält er kaum leichte Elemente, welche einen unerwünschten Moderationseffekt hätten. Probleme metallischen Brennstoffs sind jedoch einerseits der Phasenübergang des Metalls, wodurch sich der Brennstoff oberhalb einer bestimmten Temperatur schlagartig ausdehnt, und andererseits das sogenannte „Swelling“, das Anschwellen des Brennstoffs mit zunehmendem Abbrand durch Spaltgasblasen, die sich im Brennstoff bilden. In einem porös gesinterten keramischen Brennstoff hingegen können die Spaltgase entweichen. Um diese Probleme zu lösen, wurde beim IFR-/PRISM-Brennstoff ein Spalt zwischen Brennstoff und Hüllrohr vorgesehen, welcher zur Verbesserung der Wärmeleitfähigkeit mit im Betrieb flüssigen Natrium gefüllt ist. Am oberen Ende des Hüllrohrs befindet sich eine Heliumblase. Dadurch kann das Anschwellen des Brennstoffs toleriert werden, ohne dass das Hüllrohr beschädigt wird. Die Ausdehnung beim Phasenübergang dagegen wird als Sicherheitsfeature genutzt: Im Normalbetrieb bleibt der Brennstoff durch die gute Wärmeleitfähigkeit des Metalls und des natriumgefüllten Spalts zum Hüllrohr auf einer relativ niedrigen Temperatur. Kommt es bei einem Transientenstörfall zu einer Überhitzung, übersteigt er die Schwelltemperatur und dehnt sich aus. Die Ausdehnung des Kerns wirkt stark negativ auf die Reaktivität. Der

334

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Temperaturkoeffizient wirkt wie auch der Neutronen-Dopplereffekt sehr schnell, da er direkt im Brennstoff wirkt. Anders als der Dopplerkoeffizient wirkt er auch unabhängig von der Brennstoffzusammensetzung. Durch den heterogenen Aufbau des Reaktorkerns ist es möglich, den Kern in mehreren Varianten zu modifizieren und ihn sowohl als Brüter wie auch als Brenner anzuordnen. In der Brenneranordnung kann der Reaktor mit waffenfähigem Plutonium betrieben werden oder Actinoide als Brennstoff nutzen. Im Brüterbetrieb ist es möglich, einen höheren Konversionsgrad zu erreichen. Er ist jedoch nicht dazu ausgelegt, neuen Brennstoff für andere Reaktoren zu erzeugen, begründet durch das harte Neutronenspektrum und durch die Tatsache, dass die Brennstoffe nach Einsatz im PRISM weitaus stärker radioaktiv sind als Brennstoffe aus konventionellen Leichtwasserreaktoren. Je nach Betrieb als Brenner oder Brüter muss der Brennstoff entsprechend angeordnet werden. Die einzelnen Brennstäbe werden zu einem hexagonalen Brennelement gebündelt. Insgesamt befinden sich im Reaktor 391 Elemente. In der Standardanordnung als Brenner sind es 84 Brennelemente in der inneren Zone und 108 Brennelemente in der äußeren Zone. Gesteuert wird der Reaktor mit zwölf Steuerelementen, von denen neun für die normale Regelung während des Leistungsbetriebs verwendet werden. Als Absorbermaterial wird Borcarbid verwendet. Gefahren werden die einzelnen Steuerelemente durch Schrittmotoren, was durch das automatische Kontrollsystem der Anlage erfolgt, die die Steuerelemente durch eine Schraube aus Blei in den Reaktor fahren. Die verbleibenden drei Steuerelemente dienen als Redundanz zur normalen Steuerung und nur zum vollständigen Abschalten des Reaktors. Die Elemente haben Magnetaufhängungen und fallen bei Spannungsverlust durch ihr Eigengewicht in den Kern. Ausgelöst werden können die Steuerelemente durch das automatische Kontrollsystem oder durch Überschreiten der Curie-­Temperatur, die dazu führen würde, dass die Steuerstabverriegelungen an Magnetkraft verlieren und die Steuerelemente in den Kern einfallen lassen. Der Kern befindet sich zwischen 114 Reflektorelementen, umgeben von 66 Abschirmelementen. In der Mitte des Kerns befindet sich die Neutronenquelle. Die Standardanordnung als Actinoid-Brenner erfordert einen Plutoniummassenanteil von 11,3 % im inneren Kern sowie einen Massenanteil von 13,5 % im äußeren Kern. Der Transuranmassenanteil im inneren Kernbereich beträgt dann 18,9 %, im äußeren Bereich 22,7 %. Das Department of Energy unterzeichnete im Oktober 2010 eine Absichtserklärung mit GE Hitachi über den eventuellen Bau eines Prototyps an der Savannah River site im US-Bundesstaat South Carolina, auch wenn der Reaktor noch nicht bei der Nuclear Regulatory Commission lizenziert sei, was sich jedoch als schwierig herausstellen würde, da die Savannah River site eine NRC-lizenzierte Nuklearanlage ist. GE19 Hitachi erklärte im Jahr 2014, dass es keine aktuellen Pläne gebe, den PRISM für eine kommerzielle Energieerzeugung zu lizenzieren.20 Mit der Absichtserklärung von Oktober 2016 zwischen GE  World Nuclear News: Prototype Prism proposed for Savannah River, 28.10.2010. Abgerufen am 04.11.2015. (Archivierte Version bei WebCite). 20  GE Hitachi Nuclear Energy: GE Hitachi Nuclear Energy and Southern Nuclear to Collaborate on Advanced Reactor Development and Licensing, 31.10.2016. 19

10.7  Bleigekühltes schnelles Reaktorsystem (Lead-Cooled Fast ReactorSystem (LFR))

335

Hitachi und Southern Nuclear änderte das Unternehmen seine Meinung und hob hervor, dass der PRISM durch die Betriebserfahrungen des EBR II sehr gut positioniert sei, sodass man die Lizenzierung fortsetzen kann und gleichzeitig als kritischer regulatorischer Teil ein Beispiel für die Lizenzierung von fortschrittlichen Reaktoren in den Vereinigten Staaten sein könnte.

10.7 B  leigekühltes schnelles Reaktorsystem (Lead-Cooled Fast ReactorSystem (LFR)) Anstelle von Natrium wird für den Schnellen bleigekühlten Reaktor eine eutektische Blei/ Bismut-Legierung zur Wärmeabfuhr verwendet, Abb. 10.10.21 Das System bezeichnet man auch als „nukleare Batterie“ da es Jahrzehnte (15 bis 20 Jahre) ohne Neubefüllung betrieben werden soll. Im Primärkreislauf wird auf Pumpen verzichtet, gekühlt wird durch Naturumlauf (siehe Abschn. 6.2.1). Der Brennstoff ist flüssig und enthält außer Blei/Bismut angereichertes 235Uran, MOX und Transurane. Die

Abb. 10.10  Schema eines bleigekühlten schnellen Reaktorsystems

 Quelle: Kupitz, J.: Kernenergie: Das Potential für einen kostengünstigen, langfristigen und klimaneutralen Beitrag zur globalen Energieversorgung, IEK-STE. KFA Jülich. 21

336

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Dampferzeuger sind in den (Nieder-)Druckbehälter integriert. Durch die lange Verweildauer der Brennelemente im Reaktor ist die Wahrscheinlichkeit einer Kernspaltung pro einzelnem Atom über die Zeit erhöht, das heißt auch Teilchen mit kleinem Wirkungsquerschnitt (gemessen in barn) können gespalten werden oder zumindest transmutieren. Die Kernaustrittstemperatur soll ungefähr 560 °C, die maximale Temperatur des mit Kohlendioxid als Arbeitsgas betriebenen Joule-Kreisprozesses 400 °C betragen. Der Wirkungsgrad beträgt etwa 44 %. Die Blei/Bismut-Legierung22 muss immer flüssig gehalten werden, da der Reaktor sonst unbrauchbar würde. Die Auslegung eines mit Blei-Bismut gekühlten Core eines Reaktors wird durch die hohe Wärmekapazität und die physikalischen Eigenschaften des eutektischen Blei-Bismut-Kühlmittels bestimmt. Dieses Kühlmittel hat mehrere äußerst vorteilhafte Eigenschaften: Es ist für Gammastrahlung undurchlässig, für den Neutronenfluss jedoch transparent; es schmilzt leicht bei niedriger Temperatur, verdampft aber nicht, bis eine extrem hohe Temperatur erreicht ist; es dehnt sich nicht stark aus oder zieht sich nicht zusammen, wenn es Hitze oder Kälte ausgesetzt wird; es hat eine hohe Wärmekapazität; es zirkuliert auf natürliche Weise durch den ­Reaktorkern, ohne dass Pumpen erforderlich sind – sei es im normalen Betrieb oder als Mittel zur Abfuhr von Restwärme; und es wird erstarren, sobald die Zerfallswärme eines gebrauchten Reaktors auf ein niedriges Niveau gesunken ist. Das wichtigste internationale Projekt dieser Art ist MYRRHA (Multi-purpose hYbrid Research Reactor for High-tech Applications).

10.8 Neue Kernreaktorkonzepte Im Dezember 2002 wurde die sogenannte Technology Roadmap veröffentlicht, die sechs Reaktortypen beschreibt, die als geeignet angesehen werden, den Entwicklungszielen zu entsprechen. Jeder Reaktortyp wird hinsichtlich seiner Eigenschaften bewertet, sowie Forschungsschwerpunkte genannt, die bewältigt werden müssen, um die Einsatzreife des jeweiligen Typs zu erreichen.

10.8.1  Schneller gasgekühlter Reaktor Der schnelle gasgekühlte Reaktor, Abb. 10.11, (engl. Gas-Cooled Fast Reactor, GFR) verwendet Helium als Kühlmittel im Primärkreislauf, und schnelle Neutronen zur Kernspaltung. Der Reaktorkern verwendet hexagonale Brennelemente aus faserverstärktem Siliziumcarbid, welche rautenförmig angeordnete Platten aus einer Pu-­U-­MA-­Carbid-­ Mischung enthalten. Die Leistung des Referenzdesigns wird mit 2400 MWth veranschlagt, mit einer Kernaustrittstemperatur von 850 °C und einer Leistungsdichte von 100 MW/m3. Der Brutfaktor  Pb-Bi (eutektisch): Schmelzpunkt = 124 °C, Siedepunkt = 1670 °C.

22

10.8  Neue Kernreaktorkonzepte primary circuit 850 °C

337 gas-cycle

820 °C

gas turbine

steam circuit

steam turbines 731 MWe

534 °C

steam-cycle alternator

He-N2

core 2,400 MWth

He

400 °C blower

H2O

IHX

steam generator

364 °C compressor

15 MPa 406 MWe

gas-cycle alternator

power grid

1,083 MWe

Abb. 10.11  Kreisprozess des schnellen gasgekühlten Reaktors

soll 1 betragen, d. h der Reaktor soll so viel Brennstoff erbrüten wie er verbraucht. Ziel ist ein Abbrand von 15 % FIMA (etwa 150 GWd/t). An den Reaktordruckbehälter, welcher im Loop-Design gebaut werden soll, wird sich ein kombinierter Brayton- und Clausius-­ Rankine-­Kreisprozess (siehe Abschn. 6.1) anschließen. Die Wärme des Heliumgases des Primärkreislaufes, welches dort unter einem Druck von 70 bar zirkuliert, wird dabei in einem Gaswärmeübertrager an einen Helium-Stickstoff-Sekundärkreislauf abgegeben, welcher als Brayton-Kreisprozess mit einer Gasturbine etwa 406 MWe Strom erzeugt. Die Abwärme des Kreislaufes wird in einem Gas-Wasser-Wärmeübertrager an einen Tertärkreislauf weitergereicht, welcher als Clausius-Rankine-Kreisprozess über eine Dampfturbine etwa 731  MWe Strom erzeugt. Die Abwärme dieses Kreislaufes wird an die Hauptwärmesenke abgegeben. Der Wirkungsgrad des Gesamtprozesses liegt somit bei 45 %. Durch die hohe Kernaustrittstemperatur kann der GFR auch effektiv Prozesswärme bereitstellen. Sicherheitstechnisch wird versucht, die Kernkühlung rein passiv zu realisieren. Der Primärkreislauf, bestehend aus Reaktor und Wärmetauschern, ist dazu in einem stickstoffgefülltem Kugelcontainment untergebracht. Im Fall eines Leitungsbruchs und der folgenden Reaktorschnellabschaltung (RSA) stellt sich somit innerhalb von 40–50 Sekunden ein Druckgleichgewicht zwischen Kugelcontainment und Kreislauf ein (engl. backup pressure). Würde das Kugelcontainment ausschließlich mit Helium gefüllt, wäre ein Gleichgewichtsdruck von 20–30 bar notwendig, um einen passiven Abtransport der Nachzerfallswärme aus dem Kern zu realisieren. Da im Falle eines Leitungsbruches noch zusätzlich CO2 und N2 eingespritzt werden, sinkt der Druckbedarf auf weniger als 15 bar. Aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen wird der Gleichgewichtsdruck auf 10 bar festgelegt, um die Kosten und den Bauaufwand des Kugelcontainments zu reduzieren. Kurz nach der Reaktorschnellabschaltung sind deshalb batteriebetriebene Gebläse zur Konvektion notwendig, nach 24 Stunden reicht die natürliche Konvektion zur Abfuhr der Nachzerfallswärme aus. Die 3 × 100 % redundanten Kühlkreisläufe sind über die Flansche der Primärkreisläufe mit dem Reaktordruckbehälter verbunden, die Wärmeübertrager zur Umgebung sind etwa 15 m höher als der Kern angebracht.

338

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Schrittweise wird der Gas-Cooled Fast Reactor, (GFR) umgesetzt: Sah das ursprüngliche Konzept von 2002 noch einen reinen Brayton-Prozess vor, wurde aus finanziellen Gründen auf einen kombinierten Kreislauf gewechselt. Mit der Entscheidung das Kühlsystem nicht rein passiv zu gestalten, wurde eine sichere Variante gewählt. 2009 unterzeichneten die am Projekt beteiligten Organisationen Joint Research Centre (EU), Commissariat à l’énergie atomique (FR) und die Schweiz (CH) die dazugehörige Conceptual Design and Safety (CDS) Vereinbarung. Das Hauptaugenmerk der Systementwicklung liegt nun auf der Brennstoffentwicklung, da hier Neuland betreten wird. Ein Prototyp zu Forschungszwecken soll um 2020 errichtet werden.

10.8.2  Höchsttemperatur-Reaktor Der Höchsttemperaturreaktor (engl. Very-High-Temperature Reactor, VHTR),23 wird zur modularen, dezentralen Versorgung von Elektrizität und Prozesswärme entwickelt (Kraft-Wärme-Kopplung). Das Referenzdesign soll eine Leistung von etwa 250–300 MWe besitzen und die Kernaustrittstemperaturen sollen perspektivisch über denen des Gas-­ Cooled Fast Reactor (GFR) liegen, um die höchstmögliche Temperatur für industrielle Prozesse bereitzustellen. Der Hauptunterschied zum GFR ist die Moderation der Neutronen durch Grafitblöcke im Kern, welche die TRISO-Brennstoffkügelchen mit 1 mm Durchmesser enthalten. Die mechanische, thermische und chemische Beständigkeit der Brennstoffkügelchen und die Dichtheit gegen Austritt von Spaltprodukten hat eine Kehrseite: eine Wiederaufarbeitung der gebrauchten Brennelemente ist fast unmöglich, daher wird eine direkte Endlagerung angestrebt. Der Abbrand soll 150–200 GWd/t betragen. Die Kernaustrittstemperatur wird mit 900 °C angesetzt, mit dem Ziel diese langfristig auf 1000 °C zu steigern. Der heliumdurchströmte Reaktorbehälter ist mit einem Wärmeübertrager verbunden, welcher wie beim GFR einen kombinierten Kreislauf antreiben kann, oder Prozesswärme bereitstellt. Das Reaktorkonzept wird von Kanada, China, Euratom, Frankreich, Japan, Südkorea, der Schweiz und den USA entwickelt, aber auch von privater Seite verfolgt. In der NGNP-­ Allianz (Next Generation Nuclear Plant) haben sich die Nuklearkonzerne Areva und Westinghouse, sowie die Zulieferer GrafTech, SGL Carbon, Toyo Tanso und Technology Insights mit den möglichen Verbrauchern ConocoPhillips, DOW, Entergy und der Petroleum Technology Alliance Canada zusammengeschlossen. Ziel ist es, einen Hochtemperaturreaktor zur Serienreife zu entwickeln. Der Aufbau eines Kraftwerk-Moduls besteht aus dem Reaktor und einem versetzt daneben befindlichen Wärmeübertragers. Beide Anlagenteile werden in unterirdischen Betonsilos untergebracht, mehrere Module können nebeneinander gebaut werden. Ein sehr ähnliches Projekt wird in China mit dem Kugelhaufenreaktor HTR-PM verfolgt, welcher im Kernkraftwerk Shidaowan entstehen soll.

 Quelle: NGNP-Allianz, Prospekt.

23

10.8  Neue Kernreaktorkonzepte

339

Der Entwicklungsschwerpunkt – auch bei den Projekten anderer Länder – liegt auf der Temperaturbeständigkeit des Kerns: Bei einem Ausfall der Kühlsysteme wird die Temperatur des Kerns über die Wände des RDB an die Reaktorgrube abgeführt, welche aktiv oder durch Naturkonvektion die Nachzerfallswärme abführt. Sind auch diese beiden Systeme nicht verfügbar, soll die Nachzerfallswärme durch Wärmeleitung der Gebäudestruktur an den Boden abgegeben werden. Die Herausforderung ist hier, dass die Spaltprodukte auch bei Temperaturen von 1600 °C in den Brennstoffkügelchen verbleiben.

10.8.3  Schneller natriumgekühlter Reaktor In der Anfangsphase ihrer Entwicklung wurden schnelle Reaktoren vor allem als Brutreaktoren konzipiert. Die Idee war es, in den Reaktoren 238U durch Neutroneneinfang in 239 Pu zu verwandeln und dieses dann abzutrennen (siehe Abschn. 5.4). Für die Anfangskonfiguration muss das Plutonium aus den abgebrannten Brennelementen eines Leichtwasserreaktors gewonnen werden. Das Plutonium könnte dann wiederum in Uran-­ Plutonium Mischoxidbrennstoffen (MOX) eingesetzt werden und so das eingesetzte Uran gestreckt werden. Für die meiste Zeit seiner Entwicklung war daher der Schnelle Brüter verbunden mit großtechnischer Wiederaufarbeitung des Brennstoffs, um das darin enthaltene Plutonium abzutrennen und in Brennelementfabriken MOX-Brennstoffe zu fertigen (Plutoniumökonomie). Andere Verwendungszwecke schneller Reaktoren sind daneben die Nutzung zur Transmutation radioaktiver Abfälle24 bzw. zur Beseitigung von Waffenplutonium etwa im russischen BN-800 Reaktor.25 In natriumgekühlten Systemen steht der Primärkreislauf unter nahezu atmosphärischem Druck. Der Reaktorkern ist in das flüssige Natrium eingetaucht, das mittels einer Pumpe durch den Reaktorkern geleitet wird Abb. 10.12. Eine wesentliche Ursache für die teilweise niedrigen Verfügbarkeiten ist in Problemen mit den Natrium-Kühlkreisläufen zu sehen (siehe Abschn. 6.2.1). In der Regel weisen die Demonstrations- und kommerziellen Reaktoren einen Primär- und Sekundärkreis mit flüssigem Natriummetall als Kühlmittel auf, über welche die Energie an den Wasser-­Dampf-­ Tertiärkreislauf mit Turbine und Generator abgegeben wird. Leckagen der Natrium-­ Kühlkreisläufe mit Austritt des reaktiven Kühlmittels, teils verbunden mit Natriumbränden oder – im Falle von Leckagen des Wärmeübertragers im Sekundärkreislauf – mit Natrium-­ Wasser-­Reaktionen führten bei einzelnen Reaktoren zu häufigen und teilweise längeren Stillständen.

 Kirchner, G. et al. (2015): Gutachten „Transmutation“. Öko-Institut e.V.; ZNF – Universität Hamburg, Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung, Hamburg/Darmstadt 08.12.2015. ­Online verfügbar: https://www.bundestag.de/blob/400438/f54e3da4bbe76395bce2e40721212379/ kmat_48-data.pdf; letzter Abruf am 24.03.2017. 25  Kütt, M. et al. (2014): Plutonium Disposition in the BN-800 Fast Reactor. An Assessment of Pluto-nium Isotopics and Breeding. Science & Global Security 3 (2014), S. 188–208. 24

340

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren intermediate secondary Na·Na sodium circuit heal exchanger

primary sodium circuit

steam turbines

alternator

cold sink

core

sodium pumps

steam generator

steam generator feed pump

Abb. 10.12  Konventionelles Konzept mit drei Kreisläufen bypass compressor core

main compressor

flow split T

supercritical CO2 LP

Na

γ

1-γ

HP

cs

HT recuperator flow merge

LT recuperator

Abb. 10.13  Fortschrittliches Konzept mit überkritischem Kohlenstoffdioxid

Um dies zu reduzieren wurde das Konzept mit überkritischem Kohlenstoffdioxid mittels eines dritten Kühlkreislaufs vorgeschlagen, Abb. 10.13. Für Reaktoren mit großem Pool wäre ein ausreichend verstärkter Reaktordruckbehälter (RDB) zu kostspielig, so dass diese Option nur mit der Loop-Variante (siehe Abschn. 5.4) verwirklicht werden kann. Das überkritische CO2 zirkuliert hier mit 73 bar im Kreislauf, was einen Prozesswirkungsgrad von 45 % ermöglicht. Wenn die Kernaustrittstemperatur auf 650  °C gesteigert würde, wären sogar 50  % erreichbar. Durch den Wegfall des Zwischenkreislaufes sind geringere Baukosten möglich, allerdings ist ein Kreisprozess mit überkritischem Kohlenstoffdioxid keine etablierte Technik. Die Abfuhr der Nachzerfallswärme sollte bereits für den inzwischen auf Eis gelegten European Fast Reactor (EFR), und den Vorgängerkonzepten SNR-2 und Super Phénix 2 rein passiv realisiert werden. Dazu befinden sich mehrere Kühlschleifen mit Natrium in der Anlage, welche die Nachzerfallswärme im Becken aufnehmen und über Naturkonvektion an Wärmetauscher in Abluftkaminen führen, wo diese über den Kamineffekt an

10.8  Neue Kernreaktorkonzepte

341

die Umgebung abgegeben wird. Für Kernschmelzszenarien, für welche die Anlage mit einem Ablations-Kernfänger im Reaktorbehältnis ausgerüstet wird, muss eine Kritikalität des Coriums ausgeschlossen werden. Da die nukleare Kettenreaktion in einem schnellen Reaktor ohne Moderator auskommt, ist ein vorbeugendes Kerndesign notwendig. Dazu werden Kernschmelzunfälle simuliert, und eine möglichst breite Verteilung der Schmelze angestrebt. Gleichzeitig werden auch Neutronenabsorber im Kernfänger eingebaut. Bei der Realisierung des schnellen natriumgekühlten Reaktors existiert in Russland jahrelange Betriebserfahrung. Neben dem Bau und dem Betrieb stationärer natriumgekühlter Brutreaktoren wurden insgesamt acht militärische Unterseeboote mit Schnellen Reaktoren betrieben, die statt metallischen Natriums als Kühlmittel ein flüssiges Blei-­ Bismut-­Eutektikum nutzen. Neben grundsätzlichen Fragen wie die des Kreisprozesses werden auch neue Brennelemente aus Oxiden, Carbiden und Metall untersucht, sowie die Verteilung und Einbringung von Actinode in diese. Ebenso wird eine Erhöhung der Kerntemperatur auf 650  °C und ein besserer Waschprozess für abgebrannte Brennelemente untersucht. Die Waschung von Brennelementen nach dem Entfernen aus dem ­Reaktorbehälter ist wegen des Natriums notwendig, da dieses mit Wasser und Luftfeuchtigkeit reagiert. Der Waschprozess hat einen starken Einfluss auf die Verfügbarkeit des Kernkraftwerks. Für den natriumgekühlten Schnellen Reaktor wird konstatiert, dass dieser im Vergleich zu anderen Konzepten Schneller Reaktoren ausgereifter sei und daher schon in nächster Zukunft für die Actinoiden-Transmutation eingesetzt werden könne. Als Meilensteine werden die Inbetriebnahme des BN-800 in Russland und der Abschluss der Planung des ASTRID-Reaktors in Frankreich angesehen, in Kombination mit der Wahl eines für die Transmutation geeigneten Brennstoffs. Die Forschungs- und Entwicklungsbemühungen in der nächsten Dekade konzentrieren sich daher nach26 weitgehend auf die Optimierung eines ökonomischen und zuverlässigen Betriebs. Im Zentrum stehen dabei derzeit die derzeitigen Entwicklungen im russischen Programm. Nach Einschätzung des Generation IV International Forums im Jahr 2014 befand sich die Entwicklung schon 2012 in der Perfomance-Phase, die im Wesentlichen mit der Inbetriebnahme des BN-800 in Russland und dem Abschluss des ASTRID Designs in Frankreich begründet wurde. Angestrebt wird, die F&E-Arbeiten für einen fortgeschrittenen natriumgekühlten Schnellen Reaktor mit Transmutation Actinoiden bis etwa 2022 so weit vorangetrieben zu haben, dass dann eine mindestens 10-jährige Demonstrationsphase angeschlossen werden kann. Damit erhält dieses Entwicklungsprojekt seitens des Generation IV International Forum höchste zeitliche Priorität. Die F&E-Arbeiten werden getragen von China, EURATOM, Frankreich, Japan, Korea, Russland und den USA, die dafür eine entsprechende Kooperationsvereinbarung („System Arrangement“) unterzeichnet haben.27  Technology Roadmap Update for Generation IV Nuclear Energy Systems. GIF  – Generation IV  International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/jcms/c_60729/technology-­ roadmap-­update-2013; letzter Abruf am 09.03.2017. 27  Generation IV International Forum. System Arrangements and Memoranda of Understanding. 26

342

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

10.8.4  Schneller bleigekühlter Reaktor Der schnelle bleigekühlte Reaktor (engl. Lead-cooled Fast Reactor, LFR) ist vom Aufbau mit dem schnellen natriumgekühlten Reaktor identisch, verwendet allerdings flüssiges Blei statt Natrium als Kühlmittel. Durch das hohe Gewicht der Bleifüllung kann das Reaktorgefäß nicht beliebig groß gefertigt werden, so dass nur eine maximale Blockleistung von 1200  MWel angestrebt wird. Die Kernaustrittstemperatur soll mit 480–800  °C per­ spektivisch über der des SFR liegen. Momentan werden zwei Systeme näher untersucht: Ein 20 MWel Reaktor im Loop-Typ, basierend auf dem Small Secure Transportable Autonomous Reactor (SSTAR), und der 600  MWel Pool-Reaktor European Lead-cooled SYstem (ELSY). SSTAR soll mit einem überkritischen CO2-Kreislauf ausgerüstet werden, während ELSY Metall-Wasser-Wärmetauscher im Pool zum Antrieb eines Clausius-Rankine-Kreisprozesses besitzen soll. Die Entwicklung des LFR steht erst am Anfang, bis heute (2012) existiert nur ein provisorischer Lenkungsausschuss (engl. Provisional System Steering Committee, PSSC). Entwicklungsschwerpunkte sind die Auslegung des Reaktorgefäßes auf das schwere Blei, und die Stahlkorrosion im Kontakt mit Blei. Für ELSY wird auch ein schwimmender Kern untersucht, welcher nur mit dem oberen Teil des Reaktorgefäßes in Verbindung steht. Ein Einsatz des LFR wird für 2025 angesetzt, mit verbesserten Konzepten ab 2035.

10.8.5  R  eaktoren mit Salzschmelze-Kühlung, MRS (Molten Salt Reactors) Als Referenzreaktor des Generation IV International Forum (GIF) ist ein MSR mit schnellem Neutronenspektrum (molten salt fast reactor, MSFR) definiert.28 Der Reaktor soll eine Leistungsgröße von 3000 MW thermischer Leistung aufweisen.29 Als Salzschmelze ist typischerweise ein Fluoridsalz vorgesehen, in dem sowohl der Brennstoff als auch die entstehenden Spaltprodukte in Lösung gehen können. Alternativ werden auch Chloridsalze diskutiert. Als Salze werden vielfach Lithium-, Natrium- oder Zirkoniumfluoride favorisiert, die genaue chemische Zusammensetzung eines Salzes für MSR Anwendungen ist jedoch von verschiedenen Parametern (Neutronenspektrum,

GIF – Generation IV International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/jcms/c_9343/ system-arrangements-mou; letzter Abruf am 22.10.2015. 28  Technology Roadmap Update for Generation IV Nuclear Energy Systems. GIF  – Gene-ration IV  International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/jcms/c_60729/technology-­ roadmap-­update-2013; letzter Abruf am 09.03.2017. 29  Review of Generation IV Nuclear Energy Systems. IRSN – Institut de Radioprotection et de S ­ ûreté Nucléaire. Online verfügbar: http://www.irsn.fr/EN/newsroom/News/Documents/IRSN_Report-­ GenIV_04-­2015.pdf; letzter Abruf am 09.03.2017.

10.8  Neue Kernreaktorkonzepte

343

Brennstoffzusammensetzung, Betriebstemperaturen, Strukturmaterialien) und daher vom detaillierten Reaktorkonzept abhängig.30 Die Schmelztemperatur typischer für MSR diskutierter Salze liegt bei ca. 500 °C, der Siedepunkt im Bereich von 1400  °C.  Daher sollen derartige Reaktoren Betriebstem­ peraturen im Bereich von 600–700 °C aufweisen, wobei eine Obergrenze aufgrund der Temperaturverträglichkeit der heute diskutierten Strukturmaterialien bei ca. 800 °C liegt. Da das Kühlmittel (Salzschmelze) bei diesen Temperaturen nicht siedet, steht der primäre Kühlkreislauf eines MSR nicht unter hohem Druck, wie dies bei wassergekühlten Reaktoren der Fall ist. Als Brennstoff für einen MSR wird vor allem eine Thorium-Uran-Mischung diskutiert, grundsätzlich sind jedoch auch Kombinationen mit einem Uran-Plutonium-Brennstoff möglich. Abzuklären vor einer großtechnischen Nutzung des MRS-Reaktorkonzept sind: Kontinuierliche Vor-Ort-Wiederaufarbeitung der Salzschmelze  Die notwendige Abtrennung von Spaltprodukten und Protactinium-233, die Ausgasung von gasförmigen Spaltprodukten sowie die Kontrolle der Salzchemie zur Vermeidung von Korrosion und Ablagerungen in den Kühlkreis-läufen sei noch nicht entwickelt. Geeignete Strukturmaterialien für den Reaktor und für die Vor-Ort-Wiederaufarbeitung der Salz-schmelze  Als Strukturmaterial wurde die nickelbasierte Stahllegierung Hastelloy-­ N verwendet, die sich während der vierjährigen Experimentierdauer des MSBR zufriedenstellend verhielt. Jedoch wurden bei Untersuchungen des Metalls nach Beendigung des Experiments auch Hinweise auf Korrosionsprobleme unter den Bedingungen eines langfristigen Kontakts der Metallober-fläche mit den in der Salzschmelze verbleibenden Spaltprodukten vorgefunden. Weiterhin sei das bis dahin verwendete Hatelloy-N langfristig nicht ausreichend beständig unter Neutronenbestrahlung. Entwicklung einer geeigneten Salzzusammensetzung  Das verwendete Salz sollte keinen zu hohen Schmelzpunkt aufweisen, damit es im Betrieb oder im Fall von Störfällen insbesondere in den Wärmetauschern nicht zu einer Erstarrung der Salzschmelze und dadurch einem Verlust der Kühlung kommt. Weiterhin müsste das im Salz enthaltene Lithium ggf. aus angereichertem Lithium-7 bestehen, um den Neutroneneinfang im natürlich vorkommenden Lithium-6-Isotop zu reduzieren. Schließlich waren die Eigenschaften des bestrahlten Salzes im Zusammenspiel mit den darin enthaltenen Spaltprodukten weitgehend offen.

 A Technology Roadmap for Generation IV Nuclear Energy Systems (GIF-002-00). GIF – Generation IV International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/upload/docs/application/ pdf/2013-09/genivroadmap2002.pdf; letzter Abruf am 09.03.2017. 30

344

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Entwicklung eines geeigneten Moderator-Grafits  das bis dahin verwendete Grafit wird unter andauernder Neutronenbestrahlung strukturell instabil. Weiterhin müsste das Grafit geeignet versiegelt werden, um ein Eindiffundieren von gasförmigen Spaltprodukten und Tritium zu ver-hindern. Methoden zur Tritiumkontrolle  Im Fall der Verwendung von Fluoridsalzen, insbesondere auf Lithiumbasis, werden durch Neutronenreaktionen größere Mengen des radioaktiven Wasserstoffisotops Tritium erzeugt. Die im MSBR verwendeten Strukturmaterialien sind zur ausreichenden Rückhaltung von Tritium ungeeignet. Reaktorsysteme und Hilfsanlagen  Die verwendeten Komponenten wie Salzumwälzpumpen, Ventile und Wärmetauscher, aber auch Kontroll- und Steuerstäbe müssten von den experimentellen Randbedingungen im MSBR auf ein kommerzielles Reaktorsystem (unter Berücksichtigung der Notwendigkeit von Instandhaltungserfordernissen) hochskaliert werden. Dies stellt einen wesentlichen technologischen Entwicklungsschritt dar. Auch das Konzept des Ablasstanks (in den bei Störungen am Reaktor oder zur Instandhaltung des primären Kühlkreislaufs die Salz-schmelze abgelassen wird) sei für ein System mit großer Leistung anzupassen. Instandhaltungstechnologien  Da anders als füri Reaktorkonzepte mit festen Brennstoffen die radioaktiven Elemente nicht in Brennelemente eingeschlossen, sondern direkt im Kühlmittel gelöst sind, ist der gesamte primäre Kühlkreislauf hoch radioaktiv kontaminiert. Daher seien geeignete Verfahren zur automatischen und fernhantierten Inspektion und Instandsetzung von Komponenten im primären Kühlkreislauf erforderlich. Schwierigkeiten bei der Instandhaltung von Komponenten des primären Kühlkreislaufs könnten die Verfügbarkeit eines Reaktorsystems stark reduzieren und damit die kommerzielle Nutzbarkeit in Frage stellen. Rechenprogramme und Standards  Die zur Nachweisführung verwendeten Rechenprogramme müssten für die Randbedingungen eines MSR validiert werden, weiterhin müssten die angewendeten Regeln und Richtlinien zur Genehmigung von Materialien und Komponenten an die spezifischen Anforderungen von MSR angepasst werden.

10.9 Zeitpläne und technischer Entwicklungsstand Das Generation IV International Forum (GIF) stellt in seiner überarbeiteten Roadmap 2014 fest, dass die Entwicklung der sechs vom GIF favorisierten Systeme hin zur erfolgreichen Kommerzialisierung jeweils ein mehrjähriges und mehrere Milliarden erforderndes internationales Engagement voraussetzt, dass aber in dieser Form nicht stattgefunden

10.9  Zeitpläne und technischer Entwicklungsstand

345

habe. Speziell mit Blick auf die Entwicklung von MSR seien bislang nur begrenzte Mittel aufgewendet worden.31 Für den MSR wurde vom GIF angenommen, dass die Machbarkeitsphase bis ca. 2013 die daran anschließende Entwicklungsphase bis 2020 abgeschlossen sein könnte, woran sich nochmals eine Demonstrationsphase von nicht genau definierter Dauer anschlie­ ßen würde.32 Gemäß der aktualisierten Planung aus dem Jahr 2014 schätzt das GIF nunmehr, dass die Machbarkeitsphase bis ca. 2025 und die daran anschließende Entwicklungsphase zwischen 2025 und 2030 starten könnte. Angaben zur Dauer der daran anschließenden Demonstrationsphase werden nicht gemacht.33 Während die frühen Konzepte für MSR vor allem auf thermische, grafit-moderierte Brutreaktoren abzielten, fokussieren sich die Schwerpunkte im Rahmen des GIF auf einen mit schnellen Neutronen arbeitenden Reaktor (MSFR) mit den konkreten Forschungs- und Entwicklungsaufgaben: • Erarbeitung eines grundlegenden Konzepts für den MSFR. • Identifikation von Gemeinsamkeiten mit anderen Salzschmelze-Reaktorkonzepten wie dem FHR, um Synergien in der Entwicklung nutzen zu können. • Untersuchung der physikochemischen Eigenschaften relevanter Salzschmelzen im Zusammenspiel mit Transuranelementen, • Entwicklung effizienter Technologien, um die Salzschmelze zu entgasen, • Entwicklung von Modellen zur gekoppelten Analyse der neutronenphysikalischen und der thermohydraulischen Eigenschaften solcher Systeme, • Analyse der Wechselwirkung der Salzschmelze mit Luft oder Wasser, • Entwicklung der Technologie der kontinuierlichen Wiederaufarbeitung der Salzschmelze während des Reaktorbetriebs sowie In der Machbarkeitsphase (bis ca.  2025) sollen demnach vor allem die Fragen der physikochemischen Wechselwirkungen (also der Kopplung von neutronenphysikalischen, thermohydraulischen und chemischen Eigenschaften des Salzschmelzesystems) zu analysiert werden. Hierfür sind insbesondere auch numerische Berechnungsmethoden und  Generation IV International Forum. System Arrangements and Memoranda of Under-standing. GIF – Generation IV International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/jcms/c_9343/ system-arrangements-mou. 32  A Technology Roadmap for Generation IV Nuclear Energy Systems (GIF-002-00). GIF – Generation IV International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/upload/docs/application/ pdf/2013-09/genivroadmap2002.pdf. 33  Technology Roadmap Update for Generation IV Nuclear Energy Systems. GIF – Gene-ration IV International Forum. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/jcms/c_60729/technology-roadmap-update-2013. 31

346

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Simulationsmodelle für die Untersuchung solcher Reaktorkonzepte zu entwickeln und experimentell zu verifizieren. Dazu sind auch noch grundlegende Fragen nach den physikalischen Wirkungsquerschnitten der unterschiedlichen Elemente in einer Salzschmelze zu untersuchen. Weiterhin ist die Wechselwirkung zwischen der Salzschmelze und den Strukturmaterialien speziell mit Blick auf Korrosionsphänomene zu untersuchen. Weiterhin sind Fragen der Instrumentierung und Kontrolle der Salzschmelze während des Betriebs zu beantworten. Die anschließende Entwicklungs- und Demonstrationsphase geht man davon aus, dass diese in drei aufeinanderfolgende Phasen unterteilt wird. In einem ersten Schritt müssten die Erkenntnisse aus der Machbarkeitsphase an Pilotexperimenten zum Umgang mit Salzschmelzen validiert werden. Daran anschließend soll eine Demonstrationsanlage ohne aktive Kernspaltung aufgebaut werden. Der letzte Schritt soll der Bau zwei eigentliche Demonstrationsreaktoren sein: ein System mit begrenzter Leistung (MONO, 100 MWth) sowie ein darauffolgendes System mit voller Leistung (DEMO, 1000 MWth). DEMO soll zur Erteilung von Genehmigungsverfahren dienen und die Untersuchung der Wechselwirkung von Strukturmaterialien mit der Salzschmelze befördern. Unterstellt man für jeden dieser Entwicklungsschritte sehr optimistisch nur einen erforderlichen Zeitraum von 12–15 Jahren (für Konzipierung, Genehmigung, Bau, Betrieb und experimentelle Auswertung der jeweiligen Anlagen), so ist nicht vor 2070 mit einem ersten kommerziellen Prototyp eines MSR zur rechnen. Neben staatlichen Forschungsprogrammen hat sich in den letzten Jahren eine Vielzahl von kleineren Entwicklungsfirmen gegründet, die unterschiedlichste MSR-Konzepte mit staatlicher Förderung zur Anwendungsreife entwickeln wollen.34,35 Die meisten dieser Konzepte weisen zugleich wesentliche Eigenschaften kleiner, modularer Reaktoren (siehe Abschn. 8.6) auf. Die britische Firma Moltex Energy verfolgt ein „Stable Salt Reactor“ (SSR) Konzept. Als ursprüngliche Standard-Variante wurde dabei ein schneller Reaktor mit 1000 MW Leistung und einem Brennstoff auf Plutonium-239 Basis mit Chlorid-Salzen diskutiert. Später wurde als Standard- Variante ein thermischer, modularer Reaktor geringer Leistung (40 MW) mit einem Brennstoff aus niedrig angereichertem Uran und Grafit als Moderator vertreten. In den USA beschäftigen sich sieben36 industrielle Entwickler aktiv mit MSR-­ Konzepten (TerraPower, ThorCon, Terrestrial Energy, Flibe Energy, Transatomic Power, Elysium Industries sowie Alpha Tech Research Corp.).

 MSR Review. Feasibility of Developing a Pilot Scale Molten Salt Reactor in the UK.  EPD  – Energy Process Developments Ltd. Online verfügbar: http://www.energyprocessdevelopments.com/ uploads/EPD%20MSR%20Review%20Feasibility%20Study%20July%202015%201.02.pdf. 35  Molten Salt Reactors. Online verfügbar: http://www.world-nuclear.org/information-library/current-­ and-future-generation/molten-salt-reactors.aspx. 36  U.S. MSR Development Programs & Supportive Efforts. GIF Molten Salt Reactor pSSC. Online verfügbar: https://www.gen-4.org/gif/upload/docs/application/pdf/2017-03/04_david_holcomb_ usa_2017-­03-­09_11-36-11_401.pdf. 34

10.9  Zeitpläne und technischer Entwicklungsstand

347

Das Herz der Thorcon-Anlage ist ein „Topf“ mit 700 Grad heißem, flüssigem Salz in dem die Kernspaltung abläuft, wobei Grafit als Moderator verwendet wird. Aus diesem Topf saugt eine Pumpe flüssiges Salz und drückt es durch den Wärmeübertrager, wo es seine Hitze an den Sekundärkreislauf abgibt und zurück in den Topf fließt. Der zylinderförmige Topf, die Pumpe und der Wärmetauscher, alles, was mit Radioaktivität in Berührung kommt, steckt in einem versiegelten Behälter mit sechs Meter ­Durchmesser und zwölf Meter Höhe. Der Thorcon-Behälter soll in einer Fabrik in Asien gebaut, per Schiff an seinen Einsatzort gebracht und dort unterirdisch installiert werden. Dieses Modul wird später als Ganzes ausgetauscht. Als Industriepartner dieser Unternehmen werden Southern Company, Exelon, Duke Energy, das Electric Power Research Institute (EPRI) und das Nuclear Energy Institut (NEI) benannt. TeraPower wurde im Jahr 2008 mit dem Ziel gegründet, Alternativen für eine zukünftige weltweite Energieversorgung zu entwickeln und verfügt über experimentelle Einrichtungen im Labormaßstab.37 An ein Konsortium aus TerraPower, ORNL und der Vanderbilt University unter Führung von Southern Company Services ist durch das DoE eine Förderung über 5 Jahre in Höhe von 40 Mio. US$ mit einer Beteiligung von mehr als 20 % durch private Geldgeber vergeben worden. ThorCon fokussiert38 auf die Herstellung eines modularen, thermischen MSR nach dem Vorbild des MSRE mit einer elektrischen Leistung von 250 MW pro Modul. Das Herz der Thorcon-Anlage ist ein „Topf“ mit 700 Grad heißem, flüssigem Salz in dem die Kernspaltung abläuft, wobei Grafit als Moderator verwendet wird. Aus diesem Topf saugt eine Pumpe flüssiges Salz und drückt es durch den Wärmeübertrager, wo es seine Hitze an den Sekundärkreislauf abgibt und zurück in den Topf fließt. Der zylinderförmige Topf, die Pumpe und der Wärmetauscher, alles, was mit Radioaktivität in Berührung kommt, steckt in einem versiegelten Behälter mit sechs Meter Durchmesser und zwölf Meter Höhe. Der Thorcon-Behälter soll in einer Fabrik in Asien gebaut, per Schiff an seinen Einsatzort gebracht und dort unterirdisch installiert werden. Dieses Modul wird später als Ganzes ausgetauscht. Es soll keine weitere Technologieentwicklung erforderlich sein, innerhalb von zwei Jahren seien Test an einem Prototypen (ohne Kernspaltung) und innerhalb von vier Jahren mit einem vollständigen System möglich. Nach sieben Jahren sei die kommerzielle Verfügbarkeit des Reaktors möglich.

 Latkowski, J. (Vortrag am October 2015, Oak Ridge): TerraPower and the Molten Chloride Fast Reactor. Workshop on MSR Technologies – Commemorating the 50th Anniversary of the Startup of the MSRE. Online verfügbar: https://public.ornl.gov/conferences/MSR2015/pdf/ 16-51015%20-%20MCFR%20at%20TerraPowerJeffLatkowski.pdf. 38  ThorCon: Low Cost, Dependable, CO2-free Power. Workshop on MSR Technologies – Commemorating the 50th Anniversary of the Startup of the MSRE. Online verfügbar: https://public.ornl. gov/conferences/MSR2015/pdf/20-ThorCon%20Overview%2050%20MSRE%20%281%29_LarsJorgensen.pdf. 37

348

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Ein Modul soll aus zwei Kanistern bestehen, in denen sich der Reaktoranteil des Kraftwerks befindet. Ein Kanister soll jeweils für vier Jahre betrieben werden, danach vier Jahr abklingen und dann ausgetauscht werden. Als Salzschmelze soll zunächst NaBe mit niedrig angereichertem Uran als Brennstoff eingesetzt werden, wobei für die Zukunft verschiedenste Salz/Brennstoff- Kombinationen möglich seien. Auf eine Vor-Ort-Wiederaufarbeitung soll verzichtet transportiert werden. Es soll keine weitere Technologieentwicklung erforderlich sein, innerhalb von zwei Jahren seien Test an einem Prototypen (ohne Kernspaltung) und innerhalb von vier Jahren mit einem vollständigen System möglich. Nach sieben Jahren sei die kommerzielle Verfügbarkeit des Reaktors möglich. Die U.S. amerikanische Firma Flibe Energy verfolgt ein thermisches Reaktorkonzept mit zwei getrennten Salzschmelzen und Grafitmoderation. In einer Salzschmelze wird aus Thorium spaltbares Uran-233 erzeugt, welches in der zweiten Salzschmelze zur Energiegewinnung eingesetzt werden soll. Ziel soll ein kommerzieller Reaktor mit 2225  MW thermischer Leistung sein. Die kanadische Firma Terrestrial Energy Inc. entwickelt den sogenannten Integral MSR (IMSR)39 (LeBlanc 2015). Dabei befinden sich der Reaktor, der primäre Kühlkreislauf sowie die Wärmeübertrager zum sekundären Kühlkreislauf vollständig innerhalb eines abgeschlossenen Moduls. Dieses soll für sieben Jahr Betrieb konzipiert sein und danach ausgetauscht werden. Der Reaktor soll mit thermischen Neutronen betrieben werden und grafitmoderiert sein, als Brennstoff ist niedrig angereichertes Uran vorgesehen. Die Wärmeabfuhr soll bei Störfällen vollständig passiv möglich sein. Der Reaktor soll in Leistungsgröße von 80, 300 und 600 MW thermischer Leistung konzipiert werden, ein erster Reaktor soll bereits Anfang der 2020er-Jahre erhältlich sein. Zur Bewertung passiver Systeme zur Nachwärmeabfuhr bei Reaktorabschaltung sind aufwendige Simulationsprogramme erforderlich, die sowohl die chemischen, physikalischen Stoffeigenschaften und deren Reaktionen mit verwendeten Materialien in Abhängigkeit von der Temperatur beinhalten, als auch die Betrachtung und Lösung der Navier-­Stoke’schen Differenzialgleichungen (siehe Abschn. 4.7) in Kombination mit dem Wärmeübergang an der Grenzfläche zwischen Kühlmedium, Reaktorwand und Containment erforderlich. und vor allem die thermischen ist eine detaillierte Bewertung der tatsächlichen Sicherheitseigenschaften erforderlich. Dazu ist auch ein grundlegendes Verständnis der thermohydraulischen Phänomene und Randbedingungen für den Einsatz der Systeme unter den verschiedenen möglichen Betriebs- und Störfallrandbedingungen notwendig. Zur Nachweisführung müssen diese Systeme in geeignet validierten Rechenprogrammen nachgebildet werden. Während für aktive Systeme mittlerweile ein umfang-

 LeBlanc, D. (Vortrag am 15.10.2015, Oak Ridge): The Integral Molten Salt Reactor. Workshop on MSR Technologies – Commemorating the 50th Anniversary of the Startup of the MSRE. Online verfügbar: https://public.ornl.gov/conferences/MSR2015/pdf/ORNL%20MSRE%20workshop%20 Oct2015UPDATED%20ex%20Confi.pdf. 39

10.10 Kleinreaktoren

349

reiches Know-How vorliegt, sieht die IAEA mit Blick auf passive Systeme noch einen erheblichen Nachholbedarf.40

10.10 Kleinreaktoren 10.10.1  Einleitung Während die bisherigen Kernkraftwerke der 2. Und 3. Generation eine elektrische Leistung von typischerweise mindestens 600 MWel liefern, die bis 1600 MWel pro Reaktorblock reichte, liegt der Leistungsbereich der Minireaktoren zwischen 1 und 100 MWel. Weil die üblichen großen Kernkraftwerke (KKW), meist aus Sicherheitsbedenken, von den Städten entfernt erbaut wurden, wurde ihre Abwärme, die etwa 70  % der aus dem Kernbrennstoff gewonnenen Energie beträgt, nur in die Umwelt abgegeben werden. Minikernreaktoren sollen nicht nur Strom erzeugen, sondern auch die Abwärme zur Heizung von Gebäuden nutzen. Sie sind für die Verwendung in Stadtnähe konzipiert; in der Regel unterirdisch gebaut, durch passive Kühlsysteme gegen den Ausfall von Pumpen geschützt und zudem oftmals inhärent sicher, vielfach für Jahrzehnte mit Brennstoff ausgerüstet und während ihres Betriebes wartungsfrei, analog einer wartungsfreien Batterie, die kontrolliert und gesteuert mittels eines KI-Systems nur von einem Service-Personal ab und zu kontrolliert wird. Die Grundidee ist, Reaktormodule in Fabriken zu bauen, in denen die Anforderungen an die Qualitätskontrolle hoch, die Zeitpläne sicherer und die Kosten normalerweise kontrollierbar sind.41 Dadurch soll die Nuklearindustrie sehr viel mehr dem Flugzeugbau gleichen als der Verfahrenstechnologie mit ihren stets neuen Spezifikationen. Die Luftfahrtindustrie baut sehr zuverlässig sehr komplizierte Maschinen, mit vorhersagbaren Preisen und vereinbarten Lieferterminen. Durch die „standardisierte“, fabrikmäßige Produktion von modularen Reaktoren sollen sowohl die Investitionskosten wie die Bauzeiten eines solchen Systems minimiert werden.42 Die durchweg hohe Sicherheit,43 durch die ihre Akzeptanz für die Bevölkerung erhöht werden kann, und ihre oft unterirdische Bauweise prädestiniert diese Systeme als stadtnahe Energielieferanten.

 Passive Safety Systems and Natural Circulation in Water Cooled Nuclear Power Plants (IAEA-­ TECDOC Nr. 1624). IAEA – International Atomic Energy Agency, Vienna, Austria. 41  Nuclear Reactor Technologies. Online verfügbar: https://www.energy.gov/ne/nuclear-reactor-­ technologies. 42  Nuclear Reactor Technologies. Online verfügbar: https://www.energy.gov/ne/nuclear-reactor-­ technologies. 43  Buchholz, S. et al. (2015): Studie zur Sicherheit und zu internationalen Entwicklungen von Small Modular Reactors (SMR). Abschlussbericht (GRS-376). GRS – Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit gGmbH, Köln. 40

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10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Kleinreaktoren wurden in größerer Stückzahl gebaut; überwiegend als Antrieb in Atom-U-Booten, Handelsschiffen und Eisbrechern. In Russland wurden etwa 20 Typen mit unterschiedlichen Reaktortechniken. Seit 1976 arbeiten in einer abgelegenen Region Sibiriens 4 kleine Einheiten eines Siedewasser-Reaktors, die mit einer Leistung von 62 MWth (thermisch) und 11 MWel (elektrisch) Strom und Heizwärme liefern.

10.10.2  In der Entwicklung befindliche Kleinreaktoren 10.10.2.1  Leichtwasser-Kleinreaktoren Leichtwasser-Reaktoren mit langsamem, thermischem Neutronenspektrum gehören zur 2. und in neuester Ausführung 3. Generation der Kernkraftwerke. Auch sie gibt es im Kleinformat: Babcock & Wilcox strebt ein aus modularen, unterirdisch installierten 125 MWe-LWR-Reaktorblöcken bestehendes Kraftwerk an, Abb. 10.14. Während eines Brennelemente-Wechsels oder Reparaturarbeiten muss nur ein Modul heruntergefahren und ggf. herausgenommen werden, während die übrigen weiterlaufen. Ein Vorteil ist die kostengünstige und qualitativ überlegene Komplettfertigung eines Moduls in einer Fabrik, von der es zur Kraftwerksbaustelle transportiert und eingebaut

Abb. 10.14  mPower Reaktor von Babcock & Wilcox

10.10 Kleinreaktoren

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werden kann. Vorteile sind auch die erweiterten Sicherheitsfunktionen, wie passive Sicherheit, keine aktiven Kernkühlsysteme, keine Notstromaggregate, sondern Batteriever­sorgung. Der mPower-Reaktor soll für eine Verfügbarkeit von 95 % für 60 Jahre funktionieren und innerhalb von 36 Monaten zu errichten sein. Für den Betrieb mit auf weniger als 5 % angereichertem Uran sollen Abbrände von mehr als 40 GWd/Tonne erreicht werden. Das Konzept wurde 2009 erstmalig vorgestellt, eine Testeinrichtung wurde 2012 in Virginia, USA. in Betrieb genommen. Durch die Tennessee Valley Authority (TVA) als Betreiber wurde eine Interessensbekundung zur Errichtung und zum Betrieb von bis zu vier Einheiten des mPower abgegeben. Die Entwicklungsarbeiten wurden Anfang 2017 wegen mangelnder Nachfrage eingestellt. NuScale Power ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Tigard, Oregon, die kleine modulare Reaktoren (SMRs) entwickelt und vermarkten will. Ab 2025 sollen die Kleinreaktoren kommerziell erhältlich sein. NuScale plant derzeit das erste NuScale-Kraftwerk in Idaho. Das SMR-Design von NuScale, Abb.  10.15,44 hat einen Reaktorbehälter von 2,7  m Durchmesser und eine Höhe 20 m Höhe. Das Design von NuScale verwendet zur Kühlung Wasser und soll mit schwach angereicherten Brennelementen betrieben werden, die auf Brennelementen füe Leichtwasserreaktoren basieren. Jedes Modul soll in einem ­unterirdischen Becken aufbewahrt werden und etwa 60 Megawatt Strom erzeugen. Das Wasser zirkuliert im Naturumlauf d. h. ohne Pumpen im Kreis. Ein Kraftwerk soll aus 1 bis 12 Modulen, Abb. 10.16, bestehen und für 12 Module eine Leistung von 540 MWel liefern, wobei das Einzelmodul 45 MWel beisteuert. Das Notkühlsystem des Reaktors arbeitet passiv und bedarf keiner Stromversorgung. Das einzelne Reaktormodul soll komplett in einer Fabrik innerhalb von 36 Monaten gefertigt werden; die Montage soll am Betriebsort unterirdisch erfolgen. Ein Modul soll eine Verfügbarkeit von mehr als 95  % bei einer Betriebszeit von 60 Jahren haben. Für einen Betrieb mit auf weniger als 4,95 % angereichertem Uran soll ein noch nicht näher bestimmter Abbrand erreicht werden. Bereits 2003 wurde eine erste Testanlage in Betrieb genommen. Ab 2008 wurde eine Konzeptbewertung durch die U.S. NRC beantragt. Die erste kommerzielle Anlage soll im Jahr 2023 in Idaho gebaut werden.45 Die zwölf Module arbeiten in einem mit 28 Millionen Liter Wasser gefüllten Pool. Die Reaktoren sind so konstruiert, dass sie sich im Falle eines Stromausfalls von außen selbst abschalten. So werden die Kontrollstäbe von Elektromagneten in Position gehalten. Ohne Strom fallen sie in den Kern und unterbrechen die nukleare Kettenreaktion. Ohne Strom schließen sich die Ventile, die den Dampf auf die Turbine leiten. Statt dessen öffnen sich andere, die iden Dampf in außen montierte Wärmetauscher leiten. Die geben die Nachzer Quelle: NScale Prospekt.  Advances in Small Modular Reactor Technology Developments. A Supplement to: IAEA Advanced Reactors Information System (ARIS). IAEA  – International Atomic Energy Neue Reaktorkonzepte Agency, Vienna, Austria. Online verfügbar: https://www.iaea.org/nuclearenergy/nuclearpower/Downloadable/SMR/files/IAEA_SMR_Booklet_2014.pdf. 44 45

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10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Abb. 10.15  SMR-Design von NuScale mit Naturumlauf.

10.10 Kleinreaktoren

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Abb. 10.16  Querschnitt eines Reaktorgebäudes, wie es die US-amerikanische Firma NuScale Power entworfen hat (NuScale Power, LLC.)

fallswärme an den Pool ab. Das funktioniert „passiv, automatisch, ohne weitere Eingriffe von außen, ohne weiteres Kühlwasser oder Strom.“ In Russland wurde unter anderem der VKT-12 entwickelt, ein kleiner transportabler 12 MWel Reaktor. Der VKT-12 soll nur alle 10 Jahre einen Brennstoffwechsel benötigen. Der Reaktorbehälter hat einen Innendurchmesser von 2,4 m und eine Höhe von 4,9 m. Das Konzept basiert auf den ersten Siedewasserreaktoren. Daraus entstand die VK-Baureihe. Der erste VK steht im Research Institute of Atomic Reactors Melekess. Es handelt sich um einen VK-50 mit 50 Megawatt netto und 62 Megawatt brutto, der den Prototyp der VK-­ Reaktoren darstellt. Hergestellt wird der VK-Reaktor von der Firma OKBM. Als Nachfolger der schon länger in Eisbrechern eingesetzten KLT-40-Reaktoren entwickelte OKBM den 35 MWel-Druckwasserreaktor KLT-40S. Er soll als schwimmendes Kraftwerk eingesetzt werden, das entlegene Hafenstädte 35 bis 40 Jahre lang mit Strom und Wärme versorgen kann. Im Sommer werde die „Akademik Lomonossow“, Abb. 10.17,46 die über keinen eigenen Antrieb verfügt, von Schleppern dann in den äußersten Nordosten Russlands gezogen. Voraussichtlich im Dezember 2019 soll der vor der Küste Tschukotkas produzierte Strom die Stadt Pewek sowie Gas- und Ölbohrinseln mit Energie versorgen. Sollte das Projekt erfolgreich verlaufen, sollen weitere schwimmende Kraftwerke gebaut werden. Die „Akademik Lomonossow“ ist 144 Meter lang und rund 30 Meter breit. Sie wurde in einer Werft in Sankt Petersburg gebaut. An Bord der schwimmenden Plattform befinden sich zwei Druckwasserreaktoren, sie werden von etwa 70 Mann Besatzung betreut. So werden voraussichtlich rund 70 Megawatt elektrische Leistung produziert. Mit dem Projekt sollen strukturschwache und abgelegene Regionen mit Elektrizität und Fernwärme versorgt werden können.

 Quelle: Staatliche Universität Moskau.

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10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Abb. 10.17 Kernkraftwerk Akademik Lomonossow

Schwimmende SMR (Smart Modular Reactor) werden derzeit auch z. B. von der kanadischen Fa. Dunedin Energy Systems für abgelegene Bergbauprojekte in den USA sowie als „Integraler Leichtwasser-Reaktor“ vom chinesischen Nuclear Power Institute in Chengdu in Kooperation mit der britischen Lloyd’s Register entwickelt. Dabei müssen solche Anlagen nicht nur den Sicherheits-Vorgaben der IAEO genügen, sondern auch denen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO, die mittlerweile diesbezüglich einen vorläufigen Anforderungskatalog aufgestellt hat; allerdings sind hier noch weitere Regularien und technische Anforderungen notwendig, z.  B. auch für den Fall des Sinkens der Anlagen. Dabei steht die internationale Genehmigungspraxis insgesamt vor der Herausforderung der vorgesehenen länderübergreifenden standortgebundenen und hochstandardisierten Produktionen, also quasi von Typ- statt Einzelzulassungen. Auch das Korea Atomic Energy Research Institute KAERI arbeitet seit 1997 an einem modularen „System-Integrated Modular Advanced Reactor (SMART)“: Ein 330  MWth bzw. 100  MWel  – Reaktor, der für Stromerzeugung, Meerwasserentsalzung und Fernwärmeversorgung eingesetzt werden soll. In Argentinien wird Carem-25 (Leistung 27 MW), Abb. 10.18, von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) als Forschungsreaktor titulierter Prototyp entwickelt. Die IAEO überwacht die Entwicklungsarbeiten. Im Fall des argentinischen Carem-25 handelt es sich um einen integralen Leichtwasserreaktor. Die argentinischen Entwickler stufen dieses Reaktorkonzept selbst als einen in­ härent sicheren Reaktor der Generation IV ein.47,48 Beim, Carem-25 sind sowohl der  MacLachlan, A. (2006): Argentina unveils ambitious plan for nuclear power expansion. Nucleonics Week 35 (2006), S. 9–10. 48  IAEA (2014a): Advances in Small Modular Reactor Technology Developments. A Supplement to: IAEA Advanced Reactors Information System (ARIS). IAEA – International Atomic Energy Neue Reaktorkonzepte 119 Agency, Vienna, Austria. Online verfügbar: https://www.iaea.org/nuclearenergy/nuclearpower/Downloadable/SMR/files/IAEA_SMR_Booklet_2014.pdf; letzter Abruf am 27.03.2017. 47

10.10 Kleinreaktoren

355

Abb. 10.18 Prinzipienbild des Reaktordruckbehälters des Carem-25

­ ruckhalter, die Steuerstäbe als auch zwölf gleichartige Dampferzeuger innerhalb des D Reaktordruckbehälters untergebracht. Dieser weist eine Höhe von 11 m und einen Durchmesser von 3,2 m auf. Die Entwicklung dieses Reaktorkonzepts begann im Jahr 1984. Von 2001 bis 2002 wurde das Konzept vom Generation IV International Forum (GIF) evaluiert und 2006 als prioritäres nationales Entwicklungsprojekt in Argentinien gelistet. Im Jahr 2009 wurde der Sicherheitsbericht für den Carem-25 bei der argentinischen Aufsichtsbehörde eingereicht, 2012 wurde mit ersten Bauarbeiten am Standort begonnen. Teilerrichtungsgenehmigung erteilt. Offizieller Baubeginn war im Februar 2014. Mit der Inbetriebnahme sollte gemäß49 sollte 2018 begonnen werden. Es ist vorgesehen die Leistung auf 300 oder 600  MWel anzuheben. Der Reaktor wird mit Leichtwasser gekühlt. Der primäre Kühlkreislauf wird durch Naturumlauf an-getrieben, d. h. es sind keine Hauptkühlmittelpumpen erforderlich. Der Kühlmitteldruck wird mit 12,25 MPa angegeben, die Kühlmitteltemperatur soll bei 284 °C am Kerneintritt und 326  °C beim Kernaustritt. Im sekundären Kühlkreislauf wird das Speisewasser durch elektrisch betriebene Pumpen in die Dampferzeuger gefördert.  Isted, C.-L. (2011): Nuclear plant market unclear for at least a year: ASE president. Nucleonics Week 24 (2011), S. 3–4. 49

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10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Der sekundäre Kühlkreislauf befindet sich bis zu den Speisewasser- bzw. Frischdampfabschluss-armaturen innerhalb des Sicherheitsbehälters. Er steht im Normalbetrieb unter einem Druck von 4,7  MPa und soll dazu ausgelegt sein, auch bei einem Bruch eines Dampferzeugerheizrohrs dem primärseitigen Kühlmitteldruck standzuhalten.50 Als Brennstoff ist niedrig angereichertes Uran mit 3,1 % Anreicherung vorgesehen, es sollen Ab-brände von 24 GWd/t erreicht werden. Nach einer Betriebszeit von 510 Volllasttagen soll die Hälfte des Kerns entladen und durch frischen Brennstoff ersetzt werden. Zur Steuerung des Reaktors sind Steuerstäbe vorgesehen. Es ist keine Zugabe von Bor zum primären Kühlmittel zur Reaktivitätskontrolle erforderlich. Die Not- und Nachkühlung erfolgt über ein zweifach redundantes, passives System, Der Nuclear Heating Reactor (Nuklearer Heizreaktor) NHR-200, entwickelt von der Tsinghua Universität in China, ist ein einfacher 200 MWth – Druckwasserreaktor für die Fernheizung oder Wasserentsalzung. 2008 beschloss die Regierung den Bau einer Multi-­ Effekt-­Entsalzungsanlage (MED) mit dem NHR-200 auf der Halbinsel Shandong. Holtec International (USA) gründete im Februar 2011 eine Tochter – SMR LLC – um den unterirdisch installierten 140 MWel  – Reaktor „Holtec Inherently Safe Modular Underground Reactor“ kommerziell zu verwerten. Gekühlt werden soll der Reaktor durch Naturumlauf von Wasser. Der SMR-160 von Holtec International sieht ein einfaches Design mit vielfältigen passiven Eigenschaften mit einer Leistung von 160 MWel vor. Er soll bei einer Verfügbarkeit von 98 % für 80 Jahre Lebensdauer konzipiert und innerhalb von 24 Monaten zu errichten sein. Bei einem Betrieb mit 4,95  % angereichertem Uran-235 sollen Abbrände von 32 GWd/Tonne erreicht werden. Für den SMR-160 sollte ein konzeptionelles Design bis Mitte 2015 vorliegen, eine kommerzielle Verfügbarkeit soll bis 2025 erreicht werden.51 Das TRIGA Power System (USA) ist ein Druckwasserreaktor, dessen Konzept auf General Atomics bewährtem Forschungsreaktor-Design beruht. Es ist ein 64  MWth, 16,4 MWel System.

10.10.2.2  Gasgekühlte Hochtemperatur (HTR)-Kleinreaktoren In China wird gegenwärtig ein 10 MWth gasgekühlter HTR am INET-Institut an der Tsinghua Universität nach dem Vorbild des deutschen HTR (siehe Abschn. 5.3) entwickelt. Die Brennelemente bestehen aus 27.000 Kugeln. Die Betriebstemperatur sollt 700 oC betragen.

 Giménez, M. O. (Vortrag am 04.07.2011, Vienna, Austria): Carem Thecnical Aspects, Projet and Licensing Status. Interregional Workshop on Advanced Nuclear Reactor Technology for Near Term Deployment. 51  Advances in Small Modular Reactor Technology Developments. A Supplement to: IAEA Advanced Reactors Information System (ARIS). IAEA – International Atomic Energy Agency, Vienna, Austria. Online verfügbar: https://www.iaea.org/nuclearenergy/nuclearpower/Downloadable/SMR/ files/IAEA_SMR_Booklet_2014.pdf. 50

10.10 Kleinreaktoren

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Das Konzept des gasgekühlter HTR am INET-Institut zählt zu den Kernkraftwerken der Zukunft, der vierten Generation, in denen eine Kernschmelze buchstäblich ausgeschlossen sein soll. Basis ist der Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktors entwickelt im Kernforschungszentrum Jülich, der mit dem Ziel entwickelt wurde, zu 100 Prozent sicher zu sein. Die wesentlichen technischen Schwierigkeiten für die Sicherheit eines HTR sind noch nicht sicher gelöst (siehe Abschn. 5.3). Adams Atomic Engines’ 10  MWel  – HTR-Konzept besitzt einen Reaktorkern mit ca. 80.000 Brennstoffelementkugeln. Die Ausgangstemperatur soll 800 oC betragen. Eine Demo-Anlage soll 2019 fertig gestellt sein. Der kleine modulare, transportable, luftgekühlte HTR „MTSPNR“ wird vom N.A. Dolezal Forschungs- und Entwicklungsinstitut (NIKIET) in Russland entwickelt. Zweck: Wärme- und Stromversorgung entlegener Regionen. Die 2-Reaktoren-Einheit liefert 2 MWel. Laufzeit: 25 Jahre ohne Brennstoffergänzung.

10.10.2.3  Schnelle Kleinreaktoren Schnelle Reaktoren haben den Vorteil, dass sie nicht nur das Natururan U-238 vollständig – und nicht nur zu 1,5–2,2 % wie die Leichtwasserreaktoren – ausnutzen; sie verbrennen bzw. spalten zudem auch die entstandenen langlebigen radioaktiven Isotope (insbesondere das 239Pu mit 24.000 Jahren Halbwertszeit) vollständig und hinterlassen nur Spaltprodukte, – relativ kurzlebige Isotope –, die nach ca. 300–400 Jahren komplett zerfallen sind. Daher könnten sie auch mit aufbereiteten Nuklearabfällen aus den üblichen Leichtwasser-Reaktoren als Brennstoff gefüttert werden und deren Plutonium verbrennen  – und damit auch das Endlagerproblem weitgehend entschärfen. Für Schnelle Minireaktoren gibt es folglich auch zwei Entwicklungslinien: 10.10.2.3.1  Schnelle Salzschmelze-Kleinreaktoren In den amerikanischen Großforschungszentren Labors Lawrence Livermore, Los Alamos und Argonne konstruierte man einen salzgekühlten, mit Thorium betriebenen Kleinreaktor, der gegen äußere Manipulationen weitestgehend sicher sein soll. Die Betriebstemperatur soll 650 °C betragen. Dieser als SSTAR, Abb. 10.19,52 (kleiner, versiegelter, transportabler, autonomer Reaktor) bezeichnete Reaktor hat eine Leistung, je nach Zahl der verwendeten Moduln, von 10 bis 100 MWel und lässt sich auf einem Schiff oder mit einem Schwerlasttransporter transportieren. Zum Transport soll der Reaktor laut Konzeptentwurfs in einen Transportbehälter eingeschlossen werden. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler in den Forschungszentren würde ein 1 MWel salzgekühlter Thoriumreaktor ca. 500.000 $ kosten und genügend Strom für 1000 Personen pro Jahr liefern. An Brennstoff würde man 20 kg Thorium benötigen und pro Jahr eine technische Kontrolle. Im Fall der Nutzung von künstlicher Intelligenz würde sich bei einer Störung im Core oder bei Schäden im Primär- oder Sekundärkreislauf der Reaktor sich selbst abschalten und z.  B.  Bleiplatten zur zusätzlichen Abschirmung gegen  Quelle: Lawrence Livermore Lab.

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10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Abb. 10.19  SSTAR (small, sealed, transportable, autonomous reactor)

radioaktive Strahlung aktiviert werden. Im Normalfall wäre nur eine Inspektion pro Jahr erforderlich. Voraussetzungen für diese Vision sind allerdings strahlungsunempfindliche und korrosionsbeständige Werkstoffe, die es noch nicht gibt. In Japan entwickelt man den FUJI.  Diese gehört zur 4. Generation der Flüssigsalz-­ Reaktoren (MSR). Der FUJI ist ein kleiner Brutreaktor mit eigenem Brennstoffkreislauf. Als Vorstufe soll der miniFUJI gebaut werden (1,8 m Durchmesser und 2,1 m Höhe) und dabei die respektable Leistung von 7 bis 10 MWel erreichen. Danach ist geplant den FUJI mit einer Leistung von 100 bis 300 MWel, zu bauen. Gekühlt werden soll mittels Naturumlauf (Passive Kühlung); der Brennstoff kann allein durch Schwerkraft aus dem Reaktor entfernt werden. Auch soll Thorium als Brennstoff mitgenutzt werden. 2010 wurde in Tokio die International Thorium Energy & Molten-Salt Technology Inc. (IThEMS) gegründet.

10.10 Kleinreaktoren

359

10.10.2.4  Flüssigmetall-gekühlte schnelle Kleinreaktoren Gen4 Energy, Inc. (ehemals Hyperion Power Generation, Inc.) ist ein privates Unternehmen, das gegründet wurde, um kleine Kernreaktoren (70 MW thermisch, 25 MW elektrisch) zu bauen und zu vermarkten. Das Unternehmen versucht derzeit, seine Technologien über die US-Nuclear Regulatory Commission zu lizenzieren. Gen4 Energy, Inc in Santa Fe (USA) entwickelte den Minireaktor HPM, Abb. 10.20,53 mit einer Leistung von 25 MWel und 70 MWth. Es ist ein schneller Reaktor (LFR) mit Kühlung durch eine flüssige eutektische Blei-Wismut-Mischung. Als Brennstoff ist Uranhydrid vorgesehen. Der Reaktor – 1,5 m Durchmesser, 2,5 m Höhe – soll komplett in einer Fabrik hergestellt und per Bahn, LKW oder Schiff zum Einsatzort gebracht und unterirdisch eingebaut werden, Abb. 10.21. Der Brennstoffvorrat reicht für einen 10-jährigen Betrieb, dann Rücktransport und Brennstoff-Erneuerung. Das Unternehmen hat auch Schiffsantriebe im Blick. Ein Modul kann Strom erzeugen, während ein anderes Modul gleichzeitig installiert oder deinstalliert werden kann. Gekühlt werden soll das Core mittels Naturumlauf (Passive Kühlung). Die Kühlmitteltemperatur im Primärkreis soll ca. 500 ° C betragen. Zwischenwärmeübertrager, die ebenfalls ein Blei-Wismut-Kühlmittel verwenden, befinden sich im Reaktor und führen über einen Zwischenkreislauf zu einem dritten Wärmeübertrager, dem Dampferzeuger, in dem die Wärme auf das Arbeitsmedium auf ungefähr 480 °C übertragen wird, Abb. 10.21. Zwei Möglichkeiten zur Stromerzeugung bietet Gen4 Energy an: Entweder als Arbeitsmedium überhitzter Dampf oder überkritisches Kohlendioxid, um Abb. 10.20  Das Gen4 Power Module (HPM)

 Quelle: Prosekt Gen4 Energy.

53

360

10  Tendenzen der Weiterentwicklung von Kernreaktoren

Abb. 10.21  Aufbau des Gen4 Flüssigmetall gekühlten Reaktors

Rankine- oder Brayton-Turbinen (siehe Kap. 6) anzutreiben. Neben der klassischen Nutzung der Stromerzeugung können Entsalzung, Prozesswärme sowie Fernwärme und -kälte weitere Verwendungen des erwärmten Arbeitsmediums sein An der University of California, Berkeley, „Encapsulated Nuclear Heat Source“ EHNS ist ein 50 MWel Flüssigmetall-gekühlter Reaktor in der Entwicklung. Der Brennstoffvorrat soll 15–20 Jahre reichen. Danach Abtransport und Ersatz. Die ENHS ist für Entwicklungsländer entworfen. Ein weiteres SSTAR Konzept in Form eines bleigekühlten schnellen Reaktors wird von Toshiba vorangetrieben. Der Reaktor soll unterirdisch installiert werden. Nach 20 Betriebsjahren ohne neuen Brennstoff wird der Reaktor zum Brennstoff-Recycling abgeholt. Der Kern ist 1 m hoch und hat 1,2 m Durchmesser (20 MWel – Version). Toshiba und das CRIEP-Institut entwickeln zusammen mit SSTAR Work und Westinghouse einen Natrium-gekühlten schnellen Reaktor, der auch als „nukleares Batteriesystem“ bezeichnet wird. Wiederum Komplettfertigung in der Fabrik, unterirdischer Einbau vor Ort und passive Sicherheitseigenschaften. 10 MWel- und eine 50 MWel Versionen sind geplant. Aufgabe: Stromerzeugung und elektrolytische Wasserstofferzeugung. Ein erster Standort soll Galena/Alaska sein. Ein Blei-Bismut-gekühlter schneller Reaktor SVBR mit 75–100 MWel und einer Betriebstemperatur von 400–495 oC wurde in Russland von Gidropress entwickelt. Der Reaktor der Alfa-Klasse U-Boote (s. o.), war bereits im Wesentlichen ein SVBR. 2020 soll der 100  MWel-SVBR in Dimitrowgrad ans Netz gehen. Nach den gleichen Designprinzipien ist ein SVBR-10 mit 12 MWel geplant.

10.11  Einsatz künftiger Reaktorkonzepte

361

10.11 Einsatz künftiger Reaktorkonzepte Bislang wurde die Kernenergie zur Stromerzeugung eingesetzt. Künftige Reaktorkonzepte bieten gegenüber großen Reaktoren mehr Nutzungsmöglichkeiten. Ein immer wichtiger Aspekt ist die • Wasserstoffgewinnung. Mit einem weltweiten Verbrauch von derzeit rd.  50 Millionen Tonnen pro Jahr ist Wasserstoff schon heute ein wichtiger Rohstoff für die Industrie. Eingesetzt wird er vor allem für die Herstellung von Chemikalien und Düngemitteln für den Betrieb ­abgasfreier Fahrzeuge und zur Stromerzeugung und Gebäudeheizung mittels Brennstoffzellen. Bislang wird Wasserstoff jedoch Erdgas hergestellt, das wiederum selbst Kohlenstoffemissionen verursacht. Künftige, kleine und sichere Kernkraftwerke könnten zu einer „nachhaltigen“ Wasserstoffquelle werden, sei es durch Erzeugung des zu seiner Gewinnung erforderlichen Hochtemperaturdampfs oder durch Nuklearstrom. In verschiedenen Hochtemperaturreaktorkonzepten lassen sich Temperaturen von nahezu 1000 °C theoretisch erreichen, die zur direkten Wasserstofferzeugung erforderlich sind, so z.  B. in gasgekühlten oder flüssigmetallgekühlten Hochtemperaturreaktoren. • Meerwasserentsalzung In vielen Teilen der Welt – insbesondere in Afrika, Asien und im Nahen Osten – wird es immer schwieriger, den in Landwirtschaft und Industrie sowie durch Stadtentwicklung und Bevölkerungswachstum steigenden Bedarf zu decken. In Japan und den Vereinigten Staaten sind bereits mit Kernkraft beheizte Entsalzungsanlagen in Betrieb sind. Diese Anlagen sind nicht für den Großverbrauch bestimmt, sondern dienen mehrheitlich der Deckung des Wasserbedarfs vor Ort. Sie haben jedoch erfolgreich unter Beweis gestellt, dass Kernenergie angesichts der wachsenden Nachfrage nach Meerwasserentsalzung eine gangbare Alternative zur Nutzung fossiler Energieträger als Wärmequelle darstellt • Prozess- und Fernwärme Eine Nutzungsmöglichkeit der Kernenergie, die von Anfang an existiert hat und in Zukunft expandieren dürfte, ist die – in der Regel, aber nicht immer – an die ­Stromerzeugung gekoppelte Nutzung der Abwärme von Kernreaktoren zur Gewinnung von Heißwasser oder Dampf zur Beheizung von Industrieanlagen oder Wohnräumen. Nur etwa 1 % der Abwärme von Kernreaktoren wird weltweit auf diese Weise genutzt, und die Entwicklung von eigens für die Wärmeerzeugung konstruierten Reaktoren mit kleiner oder mittlerer Leistung könnte dazu führen, dass dieser Anteil weiter wächst.

Brennstoffkreislauf

11

11.1 Einführung Als Kernbrennstoffkreislauf bezeichnet man die Arbeitsschritte und Prozesse, die der Fertigung des Kernbrennstoffs und dessen Behandlung, bzw. Entsorgung nach dem Einsatz im Reaktor, dienen. Dementsprechend gibt es eine Versorgungs- und eine Entsorgungsseite des Brennstoffkreislaufs. Man unterscheidet zwei Grundtypen des Brennstoffkreislaufs – den offenen und den geschlossenen –, wobei der Unterschied in der Behandlung der abgebrannten Brennelemente besteht. Die wichtigsten Prozesse im Zyklus sind in Abb.  11.1 zusammengefasst.1 Im offenen Kernbrennstoffkreislauf wird der dem Reaktor entnommene Kernbrennstoff nach einer Zwischenlagerung endgelagert. Im geschlossenen Kernbrennstoffkreislauf hingegen wird das nicht verwertete spaltbare Material zurückgewonnen und zur Herstellung von neuem Brennstoff verwendet, Abb.  11.2. Außerdem werden Volumen und langfristige Radiotoxizität des für die Endlagerung bestimmten Abfalls reduziert.2 Es gibt zahlreiche Konzepte für die Umsetzung eines nuklearen Brennstoffkreislaufs. Die Auswahl eines entsprechenden Brennstoffkreislaufs ist dabei sowohl Gegenstand wirtschaftlicher Optimierungen, als auch politischer Entscheidungen und gegenwärtiger technischer Machbarkeit. Bisher wurden nur wenige Optionen für Brennstoffkreisläufe tatsächlich in größerem Maßstab in die Praxis umgesetzt. Beachtlich ist, dass fallweise mehrere Brennstoffkreisläufe weitgehend (bis auf die Rohstoffgewinnung) oder sogar völlig unabhängig parallel zueinander existieren können. Das kann etwa vorkommen, wenn verschiedene Reaktoren eingesetzt werden, deren Wiederaufbereitungsprozess nicht direkt kompatibel ist. Die Wiederaufarbeitung kann den 1 2

 OECD Kernenergie-Agentur (Nuclear Energy Agency – NEA).  Quelle: METI, Japan.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 H. Frey, Kernenergie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31512-2_11

363

364

11 Brennstoffkreislauf

nn uf g el ea em rb en eit t et

Abb. 11.1  Der nukleare Brennstoffkreislauf1

Abgebrannte Brennelemente 1% Plutonium 96 % Uran

Zu

r üc

k g ewo n nen

ur ;z g st n la ru rg ge Ve ndla E

3% Hochradioaktiver Abfall

Wiederaufarbeitungsanlage

a er ed e W i s Br al

Abb. 11.2 Zusammensetzung von abgebrannten Brennelementen vor und nach Wiederaufarbeitung. (Quelle: METI, Japan)

Bedarf an Natururan um etwa 10–15 % reduzieren, indem sie Plutonium, das während des Spaltungsprozesses erzeugt wurde, aus den abgebrannten Brennelementen herauslöst, in Form von MOX-Brennmaterial wiederverarbeitet und in Kernkraftwerken erneut zum Einsatz bringt. Die Trennung des Urans und des Plutoniums von anderen Isotopen wird kommerziell in einem chemischen Verfahren, dem so genannten PUREX-Verfahren (Plutonium-­Uran-Extraktionsverfahren, Abschn. 11.7.2), durchgeführt. Verbleiben Spaltprodukte und

11.2  Kernbrennstoff Uran

365

Actinoiden und die nicht löslichen metallischen Strukturteile der Brennelemente (Hüllrohre und Endkappen).

11.2 Kernbrennstoff Uran Der Abbau von Uranerzen ähnelt der Förderung anderer Mineralien, wie z.  B.  Kupfer. Über 70 % der Urangewinnung erfolgt durch bergmännische Erzförderung im Tage- oder Untertagebau. Uran wird im Tagebau, Tiefbau (über 70 %) oder durch in-situ-Laugung gewonnen. Die gewählte Gewinnungsmethode richtet sich nach den Eigenschaften des Erzkörpers, wie Tiefe, Form, Erzgehalt, Tektonik, Art des Nebengesteins und anderen Größen. Uran kann als Nebenprodukt bei der Gewinnung anderer Rohstoffe anfallen, so wie der Uranbergbau selbst auch weitere Metalle produzieren kann. Anders als Erdöl kommt abbauwürdiges Uran in zahlreichen Ländern vor. Die gegenwärtig größten Förderländer Kasachstan, Kanada und Australien erzeugten im Jahr 2016 zusammen drei Viertel der weltweiten Produktion. Aber auch Niger, Namibia, Russland, Usbekistan, China und die USA bauen größere Mengen Uran ab. Aus Minen gefördertes Uran deckte im Jahr 2017 gut 90 Prozent des weltweiten Bedarfs von rund 60.000 Tonnen. Der Rest stammte aus Lagerbeständen oder aus der Abrüstung. Ein weiterer Teil des Urans für Kernkraftwerke kommt aus der Wiederaufarbeitung (Recycling) von ausgedientem Kernbrennstoff oder der erneuten Anreicherung von Anreicherungsrückständen. Recycling ist auch in der Kernenergie ein sinnvoller Prozess, der im Hinblick auf Ressourcenschonung und nachhaltige Entwicklung von verschiedenen Ländern genutzt wird. Die ausgedienten Brennelemente werden jedoch sicher aufbewahrt und könnten – je nach Uranpreis und politischer Entwicklung – auch zu einem späteren Zeitpunkt der Wiederaufarbeitung zugeführt werden. Die Uranreserven reichen noch sehr lange, Abb. 11.3. Gesicherte Angaben über die Gesamtmenge der abbauwürdigen Uranvorkommen auf dem Festland gibt es allerdings keine, da viele geologisch interessante Gebiete noch nicht erkundet wurden. Auch hängt die Einschätzung, was abbauwürdig ist, von Marktpreis und Technologieentwicklung ab. Zahlen zu den globalen Uranreserven beziehen sich deshalb immer auf die heute bekannten Lagerstätten und auf einen bestimmten Uranhandelspreis, zu dem die Vorkommen wirtschaftlich abbaubar sind. So ergeben sich für 130 Dollar pro Kilo Uran (Uranpreis im Jahr 2014; 2018 lag er deutlich tiefer) bekannte konventionelle Uranvorkommen mit Reserven für 60 Jahre, gemessen am heutigen Verbrauch. Für den Preis von bis zu 260 Dollar pro Kilo Uran würden sich auch Vorkommen erschließen lassen, die aufwändiger im Abbau sind. Dann reichen gemäß der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Industrieländer (OECD) die bekannten Uranreserven bei heutigem Verbrauch für die nächsten 135 Jahre. Dazu kommen die noch vermuteten, unentdeckten Uranreserven, die mindestens hundert Jahre länger reichen.

366

11 Brennstoffkreislauf

Abb. 11.3  Gegenwärtiger Stand der Uranreserven. (Quelle: OCDE/IAEO, Red Book 2018)

Sollten die konventionellen Reserven knapp und Uran teurer werden, ließe sich Uran auch als Nebenprodukt der Düngerproduktion (Phosphate) gewinnen. • Die Abraumhalden von Goldminen und die Asche aus Kohlekraftwerken enthalten bedeutende Mengen Uran, die leicht gewonnen werden können. Die Reichweite der Vorräte stiege auf 500 Jahre. • Für noch höhere Uranpreise würde sogar die Gewinnung aus Meerwasser rentabel – ein Verfahren, das in Japan schon praktisch erprobt ist. Derzeit entwickeln Forscher in den USA ein neues, kostengünstigeres Verfahren. Die Reichweite der Uranvorräte stiege so auf Tausende von Jahren, mit heutiger Technologie. • Ganz neue Dimensionen hinsichtlich Brennstoffnutzung und -reichweite eröffnen sich mit moderner Reaktortechnik. Die bereits großtechnisch erprobten sogenannten Schnellen Brüter können über 50 Mal mehr Energie aus Uran gewinnen als die heutigen Anlagen. Mit solchen Brütern stiege die Reichweite des mit geringen Kosten gewinnbaren Urans auf Zehntausende von Jahren. • Letztlich könnte auch Thorium als Brennstoff eingesetzt werden, das dreimal häufiger in der Natur vorkommt als Uran. Gegenwärtig verfolgen vor allem Indien und China langfristig angelegte Reaktorentwicklungsprogramme zur Nutzung von Thorium. Im Bergbau fällt Uran oft als Nebenprodukt bei der Gewinnung anderer Rohstoffe wie Kupfer, Silber, Gold oder Vanadium an. Im Jahr 2017 wurden vier Prozent des Urans so gefördert. Weitere 46 Prozent wurden im Unter- oder Obertagebau erschlossen. Der Hälfte des Urans wird heute aber durch sogenannte In-situ-Laugung gewonnen. Dabei löst man mittels einer durch Bohrlöcher gepumpten Flüssigkeit das Uran aus dem umgebenden Gestein heraus.

11.2  Kernbrennstoff Uran

367

11.2.1  Tiefbau Ein Großteil des Urans wird im Tiefbau in Teufen von 100 bis über 2000 m gewonnen. Die Lagerstätten werden über Schächte, Stollen, Rampen oder Wendeln erschlossen. Probleme stellen das eindringende Grubenwasser sowie die Bewetterung, analog dem Abbau in Kohle- oder Erzgruben, dar. Das Grubenwasser muss gehoben und gegebenenfalls von Schwermetallen gereinigt werden. Für die Bewetterung ist sicherzustellen, dass das beim radioaktiven Zerfall von Uran bildende Radon und dessen Folgeprodukte nicht die maximale Arbeitsplatzkonzentration überschreiten. Die spezielle  Abbaumethode  wird wiederum nach den Eigenschaften der  Lagerstätte gewählt. Vor allem die Form der Erzkörper sowie die Verteilung des Urans darin sind ausschlaggebend. Im Tiefbau lässt sich ein Erzkörper gezielt abbauen, wodurch viel weniger Abraum als im Tagebau anfällt. Die größte Tiefbaugrube ist derzeit McArthur River im kanadischen Saskatchewan mit einer Produktion von etwa 7200 t Uran pro Jahr.

11.2.2  Tagebau Oberflächennahe oder sehr große Erzkörper werden bevorzugt im Tagebau gewonnen. Dies ermöglicht den Einsatz kostengünstiger Großtechnik. Moderne Tagebaue können wenige Meter bis über 1000 m tief sein sowie einige Kilometer Durchmesser erreichen. Im Tagebau fallen oftmals große Mengen an Abraum an. Wie im Tiefbau müssen auch für einen Tagebau gegebenenfalls große Mengen Wasser gehoben werden, allerdings stellt die Bewetterung ein weniger großes Problem dar. Der Tagebau Ranger  III im australischen Northern Territory ist derzeit der produktivste Urantagebau mit etwa 4600 t Uran pro Jahr. Die Rössing-Mine in Namibia gilt als größter Urantagebau der Welt.

11.2.3  Lösungsbergbau Sandsteingebundene Uranlagerstätten können durch Lösungsbergbau (auch ISL für engl. in-situ leaching oder ISR für engl. in-situ-recovery) nutzbar gemacht werden. Der Erzkörper wird durch Bohrungen erschlossen und ein oxidierendes Fluid eingeleitet, welches das Uran mobilisiert. Meist handelt es sich dabei um verdünnte Schwefelsäure. Die Lösung wird über Injektionsbohrungen in den Erzkörper eingeleitet, die sich im äußeren Bereich des Erzkörpers befinden. Im Zentrum des Erzkörpers werden die Produktionsbohrungen niedergebracht, welche die uranhaltige Lösung fördern. Damit wird eine Strömung des Fluids zum Zentrum der Lagerstätte sichergestellt und eine unkontrollierte Verbreitung im Gestein verhindert. Im größeren Umfeld der Lagerstätte befinden sich Monitoring-­Bohrungen, womit überwacht wird, dass es zu keiner Kontamination im Umfeld der Lagerstätte kommt.

368

11 Brennstoffkreislauf

Diese Methode setzt voraus, dass das uranhaltige Gestein eine gewisse Durchlässigkeit besitzt, damit die Lösung fließen kann. Außerdem sollte sie sich nach oben und unten durch undurchlässige (tonige) Gesteine begrenzen lassen. Lösungsbergbau ermöglicht die kostengünstige Gewinnung kleiner Erzkörper. Vorteil ist, dass es zu keiner tatsächlichen Bewegung von Gestein kommt und auch kein Abraum anfällt. Der Lösungsbergbau soll in Zukunft eine größere Rolle einnehmen, bedeutende Betriebe gibt es in Kasachstan, Usbekistan, den USA und Australien. Der bedeutendste Betrieb im Jahr 2009 war Tortkuduk (Eigentümer: Areva und Kazatomprom) in Kasachstan mit einer Urangewinnung von 2272 t pro Jahr.

11.2.4  Alternative Urangewinnung Während des Abbaus verschiedener Ressourcen wird Uran als Nebenprodukt gefördert. Am bedeutendsten aufgrund seiner Größe ist hierbei die Lagerstätte  Olympic Dam, in welcher zusammen mit Gold und Silber pro Jahr etwa 3400 t Uran als Nebenprodukt des Kupferabbaus (200.000 t pro Jahr) gewonnen wird. Zurzeit läuft eine Machbarkeitsstudie durch den Betreiber BHP Billiton zur Erschließung des Südteils der Lagerstätte, wobei die Produktion schrittweise auf 700.000 t Kupfer und etwa 15.000 t Uranoxid pro Jahr gesteigert werden soll. Eine bedeutende Uranproduktion fand auch auf den Goldgruben des Witwatersrand Goldfeldes in Südafrika statt. Diese soll wieder aufgenommen werden, wobei die wirtschaftliche Bedeutung des Urans die des Goldes übersteigen könnte. In einigen Phosphatlagerstätten ist Uran ebenfalls in gewinnbaren Konzentrationen enthalten. Die Gewinnung aus solchen Vorkommen spielte in der Vergangenheit vor allem in den USA eine Rolle und ist nun in verschiedenen Ländern wieder im Gespräch. Prinzipiell ist auch die Uran-Extraktion aus Meerwasser möglich, das mit einem Urangehalt von etwa 4,5 Milliarden Tonnen das größte bekannte Uran-Vorkommen darstellt. Dazu könnten spezielle Absorber an Küsten mit hohem Tidenhub oder innerhalb natürlicher Meeresströmungen platziert werden. Auf Basis von Versuchen in den USA und in Japan wurden die Kosten für Uran aus Meerwasser auf ca. 300 $/kg geschätzt. Dies liegt weit über den heutigen Marktpreisen, die Gestehungskosten von elektrischer Energie würden sich beim Einsatz dieses teuren Urans um weniger als 0,01 €/kWh erhöhen (basierend auf einem Einsatz in heutigen Leichtwasserreaktoren, ohne Wiederaufarbeitung). Da diese Mehrkosten überschaubar sind, muss man Uran aus Meerwasser als wirtschaftlich zugängliche Langzeitreserve (einige Zehntausend Jahre bei heutigem Verbrauch) betrachten, sofern sich die Extraktionsverfahren auch großtechnisch umsetzen lassen. Kohle enthält fast immer auch Spuren der radioaktiven Elemente  Uran,  Thorium und Radium. Der Gehalt liegt je nach Lagerstätte zwischen wenigen ppm und 80 ppm. Da weltweit etwa 7800 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr in Kohlekraftwerken verbrannt wird, schätzt man den Gesamtausstoß auf 10.000 Tonnen Uran und 25.000 Tonnen Thorium, der zum großen Teil in der Asche enthalten ist. Die Asche von europäischer Kohle enthält etwa 80–135 ppm Uran.

11.2  Kernbrennstoff Uran

369

Zwischen 1960 und 1970 wurde in den USA etwa 1100 Tonnen Uran aus Kohleasche gewonnen.

11.2.5  Aufbereitung des Uranerzes Das im Erz vorhandene Uran wird durch physikalische und chemische Verfahren vom übrigen Gestein getrennt (aufgeschlossen). Dazu wird das Erz zerkleinert (gebrochen, fein gemahlen) und das Uran herausgelöst (ausgelaugt). Dies geschieht mit  einer Säure  oder  Lauge  unter Hinzufügung eines  Oxidationsmittels, um das Uran vom sehr schlecht löslichen chemisch 4-wertigen Zustand in die gut lösliche 6-wertige Form zu überführen. Auf diese Weise lassen sich über 90 Prozent des im Erz befindlichen Urans gewinnen. Unerwünschte Begleitstoffe werden in mehreren Reinigungsschritten in Pulskolonnen durch Dekantieren, Filtern, Extrahieren, usw. entfernt, Abb. 11.4. Hier ist auch ein schematisches Flussdiagramm3 dargestellt, aus dem ersichtlich ist, dass Impulssäulen für die Deionized water or boildown condensate

Digest slurry from blend tanks

Pulse gen.

TBP removal

Kerosene recycle

Strip column

Pulse gen.

Scrub column

Feed slurry recycle loop

Surge tank Extraction column

Feed hold tanks

Stripped solvent

To solvent storage or clean-up Pulse gen.

TBP to sump Decant tank TBP-kerosene from solvent storage

Raffinate to processing

Surge tank Micro filters

UO2(NO3)2 solution to evaporation and denitration

Abb. 11.4 Schematisch dargestelltes Flussdiagramm mit Pulskolonnen zur Erzeugung von UO2(NO3)2 (Leybold-Heraeus GmbH)

3

 Gittus, J,H.: Uranium, London, Butterworth, 1963.

370

11 Brennstoffkreislauf

drei Prozesse Extrahieren, Waschen und Abziehen (Strippen) verwendet werden (d.  h. Re-extraktion als reine wässrige Lösung). Um eine Sedimentation in den Vorratsbehältern zu verhindern, wird eine Hochgeschwindigkeits-Rückführung verwendet, wobei die Aufschlämmung aus dem Rückführungskreislauf in den Kopf der Extraktionspulskolonne eingeleitet wird. Die organische Phase tritt am Boden in die Pulskolonne ein und bildet die kontinuierliche Phase. Der organische Extrakt aus der Waschsäule, wird mit verdünnter Salpetersäure in Kontakt gebracht. Auf diese Weise werden Salpetersäure und metallische Verunreinigungen zusammen mit einem erheblichen Anteil an Uran aus der organischen Phase entfernt. Die erneute Extraktion wird in einer dritten Pulskolonne durch Mischen des organischen Abwassers aus der Waschsäule mit heißer Salpetersäure (70  °C) durchgeführt, wobei eine reine Lösung 100 g Uran pro Liter und weniger als 0,1 % Salpetersäure enthält, das nach Filtration durch einen gesinterten 20 μm Edelstahlfilter weiter verarbeitet wird. Aus der Flüssigkeit wird Uran  ausgefällt, beispielsweise  durch Zugabe von  Ammoniak. Das ausgefällte Produkt (chemisch: Ammoniumdiuranat) wird wegen seiner gelben Farbe als Yellowcake bezeichnet, Abb. 11.5. In getrockneter Form enthält es 70 bis 80 Gewichtsprozent Uran. Dieses Material wird teilweise noch am Abbauort durch  Kalzinierung in Uranoxid umgewandelt. Yellowcake4 ist der Ausgangsstoff für die Herstellung von Brennelementen. Die weiteren Verarbeitungsschritte, hängen davon ab, in welchem Reaktortyp das Uran eingesetzt werden soll. Andernfalls wird es zu Urandioxid oder Uranmetall weiterverarbeitet. Uranmetall wird bzw. wurde in Leistungsreaktoren mit Natururan als Brennstoff verwendet. Die Rückstände aus der Gewinnung von Yellowcake (sogenannte Tailings) sind trotz der Uranabtrennung noch radioaktiv und müssen daher geordnet beseitigt werden. Aufgrund ihrer großen Menge und der langen Halbwertszeit der verbleibenden Thorium-, Radium- und Uran-Isotope stellen sie auf lange Zeit ein Umweltproblem dar. Problematisch ist insbesondere die Kontamination der Grundwasservorkommen.

Yellowcake sowie Uranylnitrat-Lösung

+ Ammoniumdiuranat (NH4)2U2O7 UO2(NO3)2

+ Uran(IV)-oxid UO2

+ Urantetrafluorid UF4

Abb. 11.5  Vom Yellowcake zu UF4  Donald M. Hausen: Characterizing and Classifying Uranium Yellow Cakes: A Background, in: JOM, 1998, 50 (12), S. 45–47; doi:10.1007/s11837-998-0307-5. 4

11.2  Kernbrennstoff Uran

371

11.2.6  Konversion Die weiteren Verarbeitungsschritte hängen davon ab, in welchem  Reaktortyp  das Uran eingesetzt werden soll. Ist keine Anreicherung erforderlich, wird es zu UO2 oder Uranmetall weiterverarbeitet. Ist dagegen eine Anreicherung erforderlich, so wird UF4 in einem chemischen Prozess in das unter Normalbedingungen kristalline, ab 56 °C gasförmige Uranhexafluorid (UF6) umgewandelt.

(

)

UF4 ( g ) + F2 ( g ) → UF6 ( g ) H 0 = −252 kJ Das Prinzip einer Anlage zur Umwandlung von UF4 in UF65 5 zeigt Abb. 11.6.

Abb. 11.6  System zur Umwandlung von UF4 in UF6, Leybold-Heraeus GmbH

5

 Gittus, J,H.: Uranium, London, Butterworth, 1963.

372

11 Brennstoffkreislauf

Fein gemahlenes UF4 und Fluor werden oben in den Reaktor eingeleitet und reagieren fast augenblicklich. Die Umwandlung zu UF6 ist im Wesentlichen vollständig, wenn ein Fluorüberschuss aufrechterhalten wird und das Pulver im Gasstrom homogen fein verteilt ist. Die Dispergierung erfolgt über vibrierende Leitbleche oder eine rotierende Keilwelle oben im Turm. Der Teil des nicht umgesetzten UF4 sammelt sich in einem Behälter am Reaktorboden. Die Bildung von intermediären Fluoriden, die UF4 Sintern können, wird verhindert, indem die Wandtemperatur auf über 400 °C gehalten wird. Der größte Teil der Reaktion findet im oberen Bereich des Turms statt, der Wasser gekühlt ist. Das austretende UF Gas wird durch Hindurchleiten durch ein mit Dampf ummanteltes Rohr auf etwa 120 °C abgekühlt, gefiltert durch gesintertes Ni und dann gekühlt. UF6 ist bei Zimmertemperatur fest, geht aber bereits bei Temperaturen unter 100 °C in den gasförmigen Zustand über und ist in dieser Form auch sehr gut für den Anreicherungsprozess geeignet. Es wird standardmäßig in großen zylindrischen Stahlbehältern6 mit einem Durchmesser von 122 cm und einer Speicherkapazität von rd. 12.000 kg gelagert und transportiert. In diesem Stadium besitzt das Uran noch immer die gleiche Isotopen-­Zusammensetzung wie das Natururan.

11.2.7  Anreicherung Für die Urananreicherung wird das Uran in seine beiden Hauptisotope 235U und 238U zerlegt, dabei entstehen zwei Materialströme, ein angereicherter Strom mit einem höheren 235 U-Gehalt als im Natururan (0,711  %) und ein zweiter Strom mit entsprechend abgereichertem Uran. In den meisten kommerziell betriebenen Leichtwasserreaktoren wird Uran mit einem 235 U-Gehalt von weniger als 5 % eingesetzt. Für Schwerwasser- und Grafit-moderierte Reaktoren kann auch Natururan verwendet werden. In einigen Forschungsreaktoren wird hoch angereichertes Uran verwendet, d. h. mit einem 235U-Gehalt von über 20 %. Die von einer Trenneinrichtung verrichtete Arbeit wird in Kilogramm Urantrennarbeit (kg UTA) bzw. Tonnen Urantrennarbeit (t UTA) ausgedrückt. Die gängigen industriellen Verfahren zur Urananreicherung setzen als Verfahrensmedium  UF6 ein. Uranhexafluorid (UF6) eignet sich für den Anreicherungsprozess besonders gut, weil Fluor in der Natur nur als  Reinelement  (Isotop  19F) vorkommt. Die Masse der UF6-Moleküle variiert daher nur durch die unterschiedlichen Massen der Uranisotope. Durch die verhältnismäßig kleine Masse des Fluoratoms beträgt der relative Masseunterschied zwischen den UF6-Molekülen trotzdem noch immer rund 0,85  % im Vergleich zu etwa 1,3 % relativem Masseunterschied zwischen den Uranisotopen selbst: Zwei Anreicherungsmethoden werden kommerziell genutzt: • das Trennverfahren mit der Gaszentrifuge und • das Gasdiffusionsverfahren.

 Quelle: OECD Kernenergie-Agentur (Nuclear Energy Agency – NEA).

6

373

11.2  Kernbrennstoff Uran

Hinsichtlich der Effizienz ist die Anreicherung durch Gaszentrifugen der Diffusionsmethode etwa um den Faktor 10 überlegen.

11.2.7.1 Anreicherung durch Gaszentrifugen Das Gaszentrifugenverfahren ist im internationalen Bereich heute das gängigere Verfahren zur Urananreicherung und hat die Gasdiffusion in ihrer Bedeutung inzwischen überholt.7 Die wichtigsten Gründe dafür sind der erheblich geringere Energieverbrauch (rund 50 kWh pro kg UTA; zum Vergleich: Diffusionstrennung bis 2500 kWh pro kg UTA) sowie eine größere Flexibilität in der Kapazitätsplanung. Im Gaszentrifugenverfahren wird gasförmiges  Uranhexafluorid  (UF6) in das Innere eines senkrecht stehenden, sehr schnell (> 60.000/min) rotierenden  Zylinders  geleitet, Abb. 11.7.8 Unter dem Einfluss der hohen Geschwindigkeit und der dadurch bedingten massenabhängigen Zentrifugalkraft reichern sich die schwereren  238UF6-Moleküle an der Innenwand des zylindrischen Rotors an und die leichteren 235UF6-Moleküle nahe der Rotorachse, so dass die Isotope getrennt entnommen werden können. In der Gaszentrifuge wird die zu trennende Isotopenmischung aus 238U und 235 U an einem Ende mittels eines Zentrifugenröhrchens zugeführt und am anderen Ende getrennt in zwei Fraktionen gesammelt. Das leichtere Isotop reichert sich im inneren Strom an. Die Trennwirkung wird in modernen Zentrifugen verstärkt, indem durch Beheizen des unteren und Kühlen des oberen Teils der Zentrifuge eine axiale Wärmeumlaufströmung erzeugt wird. Solche Zentrifugen werden auch als Gegenstromzentrifugen bezeichnet. Der Abb. 11.7 Schematische Darstellung einer Gaszentrifuge

an U–235 angereichertes Uran UF6-Zufuhr

an U–235 abgereichertes Uran

an U–235 abgereichertes Uran

7  Quelle: Steag Uranium Enrichment, Gittus, J,H.: Uranium, London, Butterworth, 1963, Frey, H. Vorlesungsmanuskript Kernphysik, Uni Kaiserslautern. 8  Quelle: Leybold-Heraeus GmbH.

11 Brennstoffkreislauf

374

größte Massenunterschied zwischen mit  235U an- und abgereichertem Massenstrom besteht in diesen dann nicht mehr zwischen Achse und Rotorwand, sondern zwischen den Enden der Zentrifuge. Die angereicherte, leichte Fraktion (Product) wird am oberen Ende, die abgereicherte, schwerere Fraktion (Tails) am unteren Ende der Zentrifuge entnommen. Die Entnahmeröhrchen für die an- und abgereicherte Fraktion ragen in den Bereich des rotierenden Gases an der Innenwand der Zentrifuge und nutzen so den Staudruck zum Transport des Gases innerhalb der Anlage. Der Trennprozess erfolgt im Unterdruck, daher müssen „Product“ und „Tails“ mit Hilfe von Verdichtern und Sublimatoren/Desublimatoren auf Normaldruck gebracht werden, bevor sie in Transport- oder Lagerbehälter abgefüllt werden können, Abb. 11.8. Die Gaszentrifugen werden üblicherweise zu Kaskaden,9 Abb. 11.9, mit mehreren hundert Einzelzentrifugen verbunden, da jede Zentrifuge nur einen begrenzten Durchsatz und eine begrenzte Anreicherung erreichen kann. Parallelschaltung der Zentrifugen sorgt dabei für die Erhöhung des Durchsatzes, während die Anreicherung durch Serienschaltung erhöht wird. Die Effizienz der Zentrifugen kann durch Vergrößerung der Rohrlänge und insbesondere der Umlaufgeschwindigkeit gesteigert werden, sie besitzen deshalb eine längliche, walzenartige Form. Mit  Aluminiumlegierungen  werden 400  m/s, mit hochfesten Stählen 500 m/s und mit faserverstärkten Werkstoffen über 700 m/s erreicht. Die Trennleistung wird durch die Materialeigenschaften des schnell umlaufenden Rotors Abb. 11.8 Prozessverlauf beim Betrieb einer Gaszentrifuge

Flowmeter

Exhaust Intake

Collector

Source

Vacuum pump Vacuum pump

Flowmeters Product Reflux

Sample

Centrifugal pump

Trap Mass spectrometer

 Quelle: Mol, Europäische Urananreicherungsanlage.

9

Leak (very small)

11.2  Kernbrennstoff Uran

375

Abb. 11.9 Kaskaden-­ Schaltung von Gaszentrifugen

Abb. 11.10  Gaszentrifugenkaskaden in Rokkasho-mura, Japan

sowie durch technisch bedingte Einschränkungen der Rotorlänge (Auftreten von unerwünschten Eigenschwingungen) praktisch begrenzt. Angetrieben werden die Gaszen­ trifugen mittels magnetgelagerten Axial- und Radiallager und hochdrehenden Elek­ tromotoren mit Drehzahlen über 90.000  U/min. Abb.  11.10 zeigt den Blick in Gaszentrifugenkaskaden in Rokkasho-mura, Japan.

11.2.7.2 Diffusionsmethoden In der  Gasdiffusionsmethode  lässt man gasförmiges Uranhexafluorid (UF6) durch eine poröse  Membran  diffundieren,10 Abb.  11.11. Die treibende Kraft hierbei ist der Druckunterschied auf beiden Seiten der Membran. Moleküle, die 235U enthalten, sind leichter als die  238U-enthaltenden und diffundieren schneller. Die Membranen müssen Poren mit einem Radius in der Größenordnung von 100 Å besitzen und eine möglichst hohe Permea Frey, H. Vorlesungsmanuskript Kernphysik, Uni Kaiserslautern.

10

376

11 Brennstoffkreislauf

Abb. 11.11  Prinzip des Diffusionsverfahrens zur Urananreicherung

Membran

(niedriger Druck)

an U–235 angereicherter Gasstrom

UF6

(mittlerer Druck)

(hoher Druck) 238UF

6

235UF

an U–235 abgereicherter Gasstrom

6

tion aufweisen. Membranen, die durch Abscheidung einer PTFE-Emulsion auf einem Metallgitter hergestellt werden, sind robuster als solche, die man durch Erhitzen von Metallpulvern oder Keramiken erhält. Letztere sind spröde und weisen eine geringe Knickfestigkeit auf; sie werden in tubulären Formen verwendet. PTFE-Membranen können in flacher Form oder als längliche Ummantelungen verwendet werden. Für ein Uranisotopengemisch enthält daher der Gasstrom, der durch die Poren in der Wand hindurch diffundiert („Product“), einen geringfügig höheren Anteil des Isotops  235U als der ursprüngliche Strom („Feed“). Eine einzelne Trennstufe hat einen geringen Trennfaktor von maximal 1,0035, aber einen hohen Materialdurchsatz, Abb. 11.12. Für einen Anreicherungsgrad, der zum Betrieb von Leichtwasserreaktoren genügt, sind rund 1200 hintereinander geschaltete Stufen erforderlich. Der Energieverbrauch ist hoch und beträgt etwa 2300–2500 kWh pro kg Urantrennarbeit (UTA).

11.2.7.3 Weitere Urananreicherungsmethoden Calutron-Verfahren Bei der elektromagnetischen Anreicherung werden – wie in einem Massenspektrometer – Proben verdampft, durch Beschuss mit Elektronen in Ionen umgewandelt, in einem elek­ trischen Feld beschleunigt und anschließend durch die Lorentz-Kraft eines starken Elektromagneten auf eine kreisförmige Bahn gezwungen,11 Abb. 11.13. Da der Radius der Bahn von der Ladung und der Masse der Teilchen abhängt, ist es möglich, Teilchen gleicher Ladung, aber verschiedener Masse voneinander zu trennen. Das Calutron wurde während der 1940er-Jahre zunächst in einer sog. Alpha-Version entwickelt, die später zur Beta-Version weiterentwickelt wurde. Calutrone spielten im Rahmen des Manhattan-Projektes eine entscheidende Rolle, wurden aber, da sie recht groß 11   Frey, H., and H. R. Khan: Handbook of Thin Film Technology, Springer 2015, DOI 10.1007/978-3-642-05430-3.

11.2  Kernbrennstoff Uran n +1. Stufe

377 n. Stufe

n–1. Stufe

Diffusionszelle Product Feedstrom unter Druck Zwischenkühler Verdichter Motor Product 1.17 %

0.99 %

0.84 %

0.711 %

Feed 0.711 %

Feed 0.84 %

1.17 %

Tails

0.99 %

0.601 %

0.711 %

Abb. 11.12  Hintereinandergeschaltete Trennstufen

Abb. 11.13 Schematische Zeichnung eines Sektorfeld-­ Massenspektrometers

Detektion FaradayBecher {m/q} = 46 {m/q} = 45 {m/q} = 44 Strom

Magnet

Ionenquelle

Verstärker

Verhältnis Ausgang

Fokussiereinheit Ionenbeschleuniger Elektronenfalle Ionenreflektor Gaseinlass (von hinten) Glühwendel

Legende: m ... Masse des Ions q ... Ladung des Ions

378

11 Brennstoffkreislauf

sind und einen hohen Energiebedarf haben, in der Folge durch andere Verfahren (Gasdiffusionsverfahren und Gaszentrifugenverfahren) abgelöst. Laserverfahren Die Urananreicherung mittels Laser beruht auf der Isotopieverschiebung der Absorptionsspektren von Atomen und Molekülen. Sind die spektroskopischen Bedingungen geeignet, d. h. überlappen die Absorptionslinien der Isotope oder Isotopenverbindungen hinreichend wenig, und gibt es einen Laser geeigneter Wellenlänge und Schmalbandigkeit, so ist eine isotopenselektive Anregung möglich.12 Für die Trennung wird ausgenutzt, dass sich die angeregten Spezies von der nicht angeregten in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften wesentlich unterscheiden. Grundsätzlich lassen sich zwei Konzepte unterscheiden: die Photoionisation von Urandampf (atomares Verfahren; AVLIS) und die Photodissoziation von UF6 (molekulares Verfahren; MLIS). In der AVLIS (Atomic vapor LASER isotope separation) Methode werden die Isotope zunächst in atomarer Form in die Dampfphase überführt, und anschließend die Atome des Isotopengemisches selektiv ionisiert. Die Absorptionslinien von  235U und  238U unterscheiden sich leicht, so besitzt 235U für eine Wellenlänge von 502,73 nm einen Peak, während der Peak von 238U bei 502,74 nm liegt. Nach der Ionisation eines 235U-Isotops kann es von den nicht ionisierten Atomen des  238U-Isotops durch Beschleunigung in einem elek­ trischen Feld getrennt werden. Das Verfahren wurde ursprünglich im Lawrence Livermore National Laboratory (USA) entwickelt, Abb. 11.14.

Abb. 11.14  AVLIS-Experiment am Lawrence Livermore National Laboratory

 J. W. Eerkens: Spectral Considerations in the Laser Isotope Separation of Uranium Hexafluoride, in: Applied Physics, 10/1976, S. 15–31. 12

11.2  Kernbrennstoff Uran

379

Das MLIS (Molecular laser isotope separation) Trennverfahren wurde am Los Alamos National Laboratory entwickelt. Statt wie bei ALVIS Uranmetall zu verdampfen, wird hier Uranhexafluorid als Gas verwendet, was die Methode weniger energieintensiv macht. Das UF6 wird dann mit einem Trägergas aus Edelgas gemischt, um nach der überschallschnellen Expansion durch eine Lavaldüse weiter im gasförmigen Zustand zu verbleiben. Zusätzlich wird der Mixtur noch ein Radikalfänger wie Methan beigemischt, um die Fluoratome nach der Dissoziation „aufzufangen“, und eine Rekombination zu vermeiden. Als erstes wird das gekühlte und expandierte Gasgemisch von einem Infrarotlaser mit 16 μm, sowie weiteren Infrarot- und Ultraviolettlasern bestrahlt, deren Energie selektiv vom  235UF6-Molekül absorbiert wird, was dieses in  235UF5  und F aufspaltet. Das angereicherte 235UF5 kann dann per Filter oder Fliehkraftabscheider abgetrennt werden. Nach der Konversion zu  235UF6  wird das Gasgemisch dann in die nächste Stufe der Kaskade geleitet, bis der gewünschte Anreicherungsgrad erreicht ist. Theoretisch ist die Isotopentrennung mittels Laser in einem einzigen Schritt möglich. Praktisch benötigt man indes auch eine Vielzahl von Einzelschritten. Nach anfänglicher Euphorie über die Vorteile dieser Verfahren gegenüber herkömmlichen, etablierten Anreicherungsverfahren  wurde man skeptisch hinsichtlich der indus­ triellen Realisierbarkeit. Die meisten Länder zogen sich aus dieser Technologie wieder zurück, da die technischen Probleme (z. B. Korrosion an den Apparaturen) unüberwindbar schienen. Inzwischen gibt es aber Entwicklungen zur großtechnischen Anwendung dieses Verfahrens. Von der australischen Firma Silex Systems Limited wurde eine Methode entwickelt, bei der das gasförmige Uranhexafluorid, das 235U-Moleküle enthält, selektiv durch einen ersten Laser angeregt wird, zum Beispiel einen frequenzstabilisierten Kohlendioxidlaser, bevor durch einen zweiten Laser ein Fluor-Atom abgespalten wird. Das so entstehende feste 235UF5 kann leicht aus dem Gas gefiltert werden. Trenndüsenverfahren In Deutschland wurde bis Ende der 1980er-Jahre auch das  Trenndüsenverfahren Abb. 11.15, entwickelt. Im Trenndüsenverfahren erfolgt die Entmischung der Uranisotope aufgrund unterschiedlicher Zentrifugalkräfte in einer schnellen, gekrümmten Strömung. Ein Gemisch Abb. 11.15  Prinzip der Trenndüse

380

11 Brennstoffkreislauf

aus Uranhexafluorid wird mit einem leichten Zusatzgas (Helium oder Wasserstoff) vermischt und strömt durch eine schlitzförmige Düse mit gekrümmten Wänden. Am Ende der Umlenkung wird der Ausgangsstrom (F = Feed) durch einen keilförmigen Abschäler in eine leichte Fraktion (P = Product) und eine schwere Fraktion (W = Waste) aufgeteilt.13 Durch die Massenabhängigkeit der Zentrifugalkräfte wandern die schweren Uranisotope bevorzugt an die Umlenkwand und das leichte Uranisotop reichert sich somit in der leichten Fraktion (P) an. Das leichte Zusatzgas bewirkt eine Steigerung der Isotopenentmischung im Wesentlichen durch eine Erhöhung der Gasgeschwindigkeit und der damit verbundenen Zentrifugalkräfte. Der Energieverbrauch des Verfahrens ist indes höher als beim Diffusionsverfahren (ca. 3000 kWh pro kg UTA gegenüber 2500 kWh pro kg UTA). Plasmaverfahren Das Plasmatrennverfahren wird die Ionen-Zyklotron-Resonanz14 genutzt, um selektiv 235U aus einem Uranplasma abzutrennen. Eine feste Platte mit Uran dient dabei als Ausgangsstoff, welche durch Ionenbeschuss (sputtern) verdampft wird. Eine Mikrowellenantenne führt den Elektronen des Gases Energie zu und ionisiert dieses, was das Uranplasma erzeugt. Das Uranplasma wird nun durch ein Magnetfeld entlang der Längsachse eines Zylinders geschickt, wodurch es in eine Helixbewegung versetzt wird. Das Magnetfeld wird durch eine supraleitende Spule erzeugt. In diesem kreisen die leichten 235U-­Ionen schneller. Da das 235U-Ion auch eine höhere Ionen-Zyklotron-Resonanz als das 238U-Ion besitzt, wird es auf dem Weg zu Kollektor durch eine Anregungsspule mit seiner Ionen-­Zyklotron-­ Resonanzfrequenz angeregt, welche ein elektrisches Feld erzeugt. Dies führt dazu, dass der Helixradius von  235U leicht erhöht wird, während das  238U-Ion davon praktisch unbeeinflusst bleibt. Das Plasma fließt nun durch enge parallele Schlitze, ähnlich einer Jalousie. Das  235U-Ion mit dem weiteren Radius wird häufiger daran hängen bleiben, während das 238U-Ion häufiger hindurchtritt und sich am Kollektor ansammelt. Auch hier sind mehrere Wiederholungen (Stufen) nötig, um den gewünschten Anreicherungsgrad zu erreichen. Lediglich Frankreich (RCI) und die USA (PSP) beschäftigten sich in den 70–90er-Jahren mit dem Verfahren. Heute wird RCI nur zur Abtrennung von stabilen Isotopen verwendet.15

11.2.8  Urandioxid Brennstoff Das für die Herstellung der Brennelemente in Kernkraftwerken benötigte Uran(IV)-oxid wird überwiegend aus Uran(VI)-fluorid hergestellt. Für die Umwandlung gibt es mehrere Verfahren. Nasschemische Verfahren sind das AUC- und das ADU-Verfahren.  E.W. Becker, W. Bier, P. Bley, U. Ehrfeld, W. Ehrfeld, G. Eisenbeiß (Kernforschungszentzum Karlsruhe): „Das Entwicklungspotential des Trenndüsenverfahrens zur U-235-Anreicherung“, Atomwirtschaft, 11, 1979. 14  F. Cap: Einführung in die Plasmaphysik, WTB. 1970. 15  GlobalSecurity: Plasma Separation Uranium Enrichment. 13

11.2  Kernbrennstoff Uran

381

Im AUC-Verfahren (AmmoniumUranylCarbonat-Verfahren) wird mit Hilfe von Wasser,  Ammoniak  und  Kohlenstoffdioxid  Ammoniumuranylcarbonat gebildet und dieses dann durch Erhitzen zu Uran(VI)-oxid umgewandelt. Dieses wird anschließend mit Wasserstoff zu Uran(IV)-oxid reduziert.16 ADU-Verfahren (AmmoniumDiUranat-Verfahren) hier wird aus UF6 – über Hydrolyse zu  Uranylfluorid, Fällung mit Ammoniaklösung zu  Ammoniumdiuranat  und anschließendem Kalzinieren im Wasserstoffstrom – Uran(IV)-oxid hergestellt.17 Die Gleichungen für das ADU-Verfahren lautet: UF6 + 2H 2 O → UO2 F2 + 4HF 2UO2 F2 + 6NH 4 OH → ( NH 4 ) 2 U 2 O7 + 4NH 4 F + 3H 2 O

( NH4 ) 2 U 2 O7 + 2H 2 → 2UO2 + 2NH 2 OH + H 2 O





Das  ADU-Verfahren  ist auch für die Rückgewinnung von Uran aus Lösungen mit Uran(VI)-verbindungen gut geeignet. DC-Pulver-Verfahren Neben diesen Verfahren wird auch ein  trockenes  Verfahren, das DC-Pulver-Verfahren, verwendet.18 Dieses Verfahren wandelt das Hexafluorid direkt zu Uran(IV)-oxid bei höheren Temperaturen um. Vorteilhaft ist hier, dass keine Abfalllösungen mit Urangehalten anfallen, die einer weiteren Aufbereitung bedürfen. Die Gleichung für dieses Verfahren lautet: UF6 + 2H 2 O + H 2 → UO2 + 6HF Der PUREX-Prozess ist ein weiteres Verfahren zur Herstellung von Uran(IV)-oxid, es wird für die Wiederaufbereitung von Brennelementen verwendet. Dadurch wird Uranylnitrat  extrahiert, das wiederum durch Erhitzen in Uran(VI)-oxid umgewandelt und anschließend zu Uran(IV)-oxid reduziert wird, Tab. 11.1. Tab. 11.1  Eigenschaften von UO2 Siedepunkt Schmelzwärme Verdampfungswärme spezifische Wärme linearer Ausdehnungskoeffizient Elastizitätsmodul Druckfestigkeit

[°C] [J/g] [J/g] [J/g°C]

ca. 3200 278 ca. 1776 32 · 10−2

[°C−1] [kp/mm2] [kp/mm2]

10,8 · 10−6 (400 ÷800 °C) 18.700 (20 °C) 42 ÷ 98

 M. Volkmer: Basiswissen Kernenergie, Hamburgische Elektricitäts-Werke-AG, 1996, S. 76; ISBN 3-925986-09-X. 17  Gewinnung von Uran aus Lösungen. – Dokument DE3587334T2. 18  Verfahren zur Herstellung eines Kernbrennstoff-Sinterkörpers – Dokument DE10115015C1. 16

382

11 Brennstoffkreislauf

Abb. 11.16 Brennstofftabletten in einem Brennstab, RBU

11.2.8.1 Herstellung von Brennelementen Erster Schritt zur Herstellung von Reaktorbrennelementen ist die Versetzung des pulverförmigen UO2 mit einem Gleit- und Bindemittel (PVA, Stearinsäure). Nach Sieben und Trocknen werden daraus Tabletten (Pellets) gepresst (Grünlinge), die etwa 55 % der theoretischen Dichte haben, Abb. 11.16.19 Anschließend wird das Gleit- und Bindemittel durch Erhitzen auf etwa 900 °C in inerter Atmosphäre wieder ausgetrieben. Das anschließende Sintern erfolgt in H2-Atmosphäre bei 1600–1700 °C. Dabei schrumpfen die Pellets und man kann bis zu 98 % der theoretischen Dichte erreichen. Nach dem Sintern werden die Pellets nachgeschliffen, um kleine Durchmessertoleranzen und damit einen möglichst engen Spalt zwischen Brennstoff und Hülle zu bekommen. Häufig werden die Pellets an ihren Stirnflächen konkav ausgeschliffen. Dadurch wird die größere Wärmeausdehnung in der heißen Zentralzone im Vergleich zur kälteren Randzone ausgeglichen. Für Brennstoff, der in schnellen Reaktoren eingesetzt wird, ist der Abbrand von etwa 20.000–30.000 MWd/t gegenüber den thermischen Reaktoren auf bis zu 100.000 MWd/t zu steigern. Dadurch wird das Anschwellen des UO2 durch die gebildeten, insbesondere die nicht freigesetzten gasförmigen Spaltprodukte ein Problem. Um dieses Anschwellen zu vermeiden, kann die mittlere Dichte bei Schnellreaktorbrennstoff u.U. nur bei 80–85 % der theoretischen Dichte liegen. Die Pelletdurchmesser betragen 1–1,5 cm für thermische, 0,6–0,7 cm für schnelle Reaktoren. Tab.  11.2 und 11.3 zeigen typische Spezifikationen für die Oxidpellets eines wassergekühlten und eines natriumgekühlten schnellen Reaktors. Die Wärmeleitfähigkeit des UO2 ist verhältnismäßig gering. Sie hängt im praktischen Einsatz von der erzielten Dichte (Zunahme mit steigender Dichte), von der genauen

 Quelle: RBU GmbH, Hanau.

19

383

11.2  Kernbrennstoff Uran Tab. 11.2  Spezifikationen eines UO2-Pellets für einen Leichtwasserreaktor UO2 Anreicherung Dichte Durchmesser Höhe Orthogonalität Dishingtiefe Dishingvolumen Randbreite O/U-Verhältnis Feuchtigkeitsgehalt

1,90 ± 0,025 % 10,35 ± 0,15 [g/cm3] 11,6 ± 0,01 [mm] ca. 13 [mm] max. ± 0,075 [mm] 1,0 ± 0,2 [mm] ca. 2 % vom Pelletvolumen 1,0 ± 0,2 [mm] 2,0 ± 0,015 ≤ 50 ppm

Tab. 11.3  Spezifikationen für Brennstoffpellets eines natriumgekühlten schnellen Reaktors Zusammensetzung Isotopenzusammensetzung

Dichte

Durchmesser O/M-Verhältnis chemische Reinheit Verunreinigungen max. 2550 ppm

15,0 ± 0,1 Gew.% PuO2 85,0 ± 0,1 Gew.% UO2 Pu-239 90,86 ± 0,15 Gew.% Pu-240 8,22 ± 0,15 Gew.% Pu-241 0,88 ± 0,15 Gew.% Pu-242 0,04 ± 0,15 Gew.% 88 ± 1 % der theor. Dichte (fertigungsbedingte Spalte zwischen Brennstoff und Hüllrohr setzen die Schmierdichte weiter herab) 5,4 ± 0,01 [mm] 2,0 ± 0,015

C max. 150 ppm Ca max. 25 ppm Cl max. 25 ppm F max. 25 ppm Mg max. 25 ppm N max. 100 ppm H2O max. 100 ppm

stöchiometrischen Zusammensetzung und vom Abbrand ab. Abb. 11.17 zeigt die Wärmeleitfähigkeit20 als Funktion der Temperatur für unbestrahltes Material. Die Leitfähigkeit sinkt bei Einkristallen und grobkörnigem Material zunächst mit steigender Temperatur, durchläuft bei 1300–1500 °C

 J.L. Daniel et al: Thermal Conductivity of UO2. USAEC-Report HW-699-15 (1962).

20

11 Brennstoffkreislauf

384 Abb. 11.17 Wärmeleitfähigkeit von UO2 – Kurve ①: Einkristall; Kurve ②: Polykristallin; Kurve ③: bestrahlter Polykristall (1019 Spaltungen/ cm3, niedrige Temperatur)

Tab. 11.4 Zirkoniumlegierungen Zusätze in Gew. % Zircaloy-2 Zircaloy-4

Sn 1,5 1,5

Fe 0,15 0,12–0,24

Cr 0,1 0,1

Ni 0,05 0,007

ein Minimum und steigt dann durch Zunahme des Anteils der Wärmestrahlung wieder an. Für feinkörniges Material ist dieser Wiederanstieg nicht festzustellen. Die Brennstofftabletten werden in ein Hüllrohr aus Zircaloy gefüllt, das Rohr mit Helium gefüllt und unter Vakuum verschweißt. Wegen seines geringen  Einfangquerschnitts  für  thermische Neutronen, d.  h. seiner hohen Neutronen-Durchlässigkeit (die Neutronenabsorption ist im Vergleich zu Stahl um den Faktor 30 geringer),21 und anderer günstiger Eigenschaften wird Zircaloy für die Hüllrohre der  Brennstäbe  von wassergekühlten  Kernreaktoren  verwendet. Tab.  11.4 zeigt die Zusammensetzung der beiden wichtigsten Zirkoniumlegierungen Zircaloy-2 und Zircaloy-4. Zircaloy-4 wird für die Brennstoffhülle in Druckwasserreaktoren und Zircaloy-2  in Siedewasserreaktoren verwendet. Letzter Schritt in der Fertigung der Brennelemente ist die Zusammensetzung zu Stabbündeln, Abb. 11.18.22

 Günter Kessler: Sustainable and safe nuclear fission energy. Technology and safety of fast and thermal nuclear reactors. Springer 2012. 22  RBU GmbH, Hanau. 21

11.2  Kernbrennstoff Uran

385

Abb. 11.18 Brennstoff-­ Stabbündel für einen Druckwasserreaktor

Abb. 11.19 Spaltgasaustritt nach Bestrahlung. Im Leitfähigkeitsintegral bedeutet T2 die Zentraltemperatur

Von besonderer Bedeutung sind, wie in Abschn.  3.3.2 erläutert, das Entstehen der Spaltedelgase während des Einsatzes der Brennstoffelemente. Sie werden mit steigender Temperatur zu einem immer größeren Anteil freigesetzt, Abb. 11.19.23  Holzer, E.: Spaltgasaustritt aus Urandioxid, Kerntechnik 7 (1965), H. 8/9, 378-83.

23

11 Brennstoffkreislauf

386 Tab. 11.5 Edelgasspaltspaltprodukte Spaltausbeute Halb- schneller Spalt-­ Spaltausbeute therm. werts- Neutronen [%] Produkte Neutronen [%] zeit U-­233 U-­235 Pu239 U-238 Th-­ 232

Kr 85 Xe 133

0,58

0,293 0,127 6,62 6,91

10,6 a 0,153 5,27 d

Konzentration der gasförmigen Spaltprodukte aus Nat.UO2 bei 1013 UO2 ann/cm2 s (ppm U) gereichert bei 1014 n/cm2 s (ppmU) 10 d 100 d 1000 d 1 d 10 d 100 d 0,87 1,4 13,5 106 7,7 68 520 7,8 73 577 34 382 2850

Durch die Spaltedelgasproduktion wird im Hüllrohr ein Druck aufgebaut, der je nach Bauweise bis zu einigen bar erreichen kann. Unterhalb 20.000 MWd/t sind die Abbrandeffekte relativ gering, ein Grund UO2 als Kernbrennstoff zu verwenden. Tab. 11.5 zeigt die Zusammenstellung der wichtigsten gasförmigen Edelgasspaltprodukte.

11.2.9  Urankarbid-Brennstoff Urankarbid kommt als UC, U2C3 und UC2 vor. Als Reaktorbrennstoff ist besonders UC von Interesse. UC ist gegenüber UO2 dichter und besitzt eine höhere Wärmeleitfähigkeit. Es reagiert mit Wasser und kann daher nicht in Reaktorcore, die Wasser gekühlt sind, benutzt werden. Für eine große Anzahl von Brennelementen in einem Core ist die Gefahr einer Rissbildung in einem Hüllrohr relativ groß. Ein weiteres Problem besteht in der Aufkohlung der inneren Brennstoffhülle, was die Bruchgefahr erhöht. Zum Einsatz kommt UC in Hochtemperaturreaktoren mit Grafitumhüllung, Tab.  11.6 zeigt einige Eigenschaften von UC.

Tab. 11.6  Eigenschaften von Uranmonokarbid Dichte Schmelzpunkt spezifische Wärme linearer Ausdehnungskoeffizient Wärmeleitfahigkeit

[g cm−3] [°C] [J g−1 °C−1]

13,63 ca. 2375 0,23 (265)

[°C−1] [J g−1 °C−1]

10,4·10−6 0,22

11.3  Kernbrennstoff Thorium

387

11.2.10  Metallisches Uran Metallisches  Uran  wurde in den inzwischen ausgedienten  Magnox-Reaktoren (siehe Abschn. 5.3) und den frühen schnellen Brütern EBR-1, EBR-2 und dem ersten Reaktor überhaupt eingesetzt.24 Die einfache Herstellung, die große Wärmeleitfähigkeit sowie die hohe Dichte waren dafür ausschlaggebend.25 Aufgrund der Reaktionsfreudigkeit mit Wasser, spontanen Dichteänderungen, In gewissen Temperaturbereichen verbunden mit dem Anschwellen während des Betriebs, findet metallischer Kernbrennstoff keine Verwendung mehr.

11.3 Kernbrennstoff Thorium Das Thoriumisotop 232 (232Th) tritt durchschnittlich 3,5 Mal häufiger als Uran (235U + 238 U) in den Gesteinen der Erdrinde auf, geschätzt werden die globalen Thorium-­ Ressourcen auf 6,4 Millionen Tonnen. Abb.  11.20 zeigt die Verteilung der globalen Thorium-­Reserven.26

Th

90 232.04

Thorum Reserves India 24.9%

Thorium

Norway 14.6% USA 13.7%

Australia 25% Other 8.1%

Brazil 1%

Canada 9%

South Africa 3%

Abb. 11.20  Verteilung der globalen Thoriumreserven. (Quelle: US Geological Survey, Mineral Commodity Summaries, January 1999)

 S.E. Jensen, E. Nonbol: Description of the Magnox Type of Gas Cooled Reactor (MAGNOX). IAEA, November 1998, S. 12. 25  J.H. Gittus, Metallurgy of the rare Metals, Uranium, Butterworth, London, 1963. 26  Quelle: A. Boettcher, KFA Jülich. 24

388

11 Brennstoffkreislauf

Thorium kann zur Herstellung des spaltbaren Uranisotops 233U verwendet werden. Anders als im Uran-Plutonium-Brutreaktor  (dem  Schnellen Brüter) ist dies auch in einem Reaktor möglich, in dem die Kernspaltung durch thermische Neutronen erfolgt. Das liegt am besonders hohen  Wirkungsquerschnitt  von  232Th für den  Einfang  eines thermischen Neutrons. Die erreichbaren Brutraten sind in einem solchen thermischen Brüter aber geringer als beim Schnellen Brüter (siehe Abschn. 10.4). Aus Thorium  232Th wird durch Neutronenbestrahlung  233Th erbrütet; dieses zerfällt über Protactinium 233Pa in Uran 233U.

232 90



β Th + 10 n → 233   → 90 Th 22 ,3 min

233 91



β Pa 26  → , 967 d

233 92

U

Technisch gesehen ist Thorium eine zukunftsfähige Alternative, da es sich um ein leistungsfähiges Spaltmaterial (26 g Thorium setzt brutto 25.000 kWh frei) handelt, das weniger unerwünschte Abfallprodukte als Uran produziert. Aus einem Kilogramm Thorium kann ein Flüssigsalzreaktor (siehe Abschn. 10.2) mit einem Wirkungsgrad von 40 % 3.8 Millionen kWh elektrischen Strom erzeugen. Damit es jedoch auf breiter Skala einsetzbar ist, wird eine große Menge 233U benötigt, das derzeit nur verfügbar ist, wenn Thorium zusammen mit „klassischen“ Uran-/ Plutonium-­Brennstoffen verwendet wird. Neben dem Vorkommen und der damit verbundenen Chancen für eine langfristige, primäre Energieerzeugung, die unabhängig von Sonne und Wind ist, hat Thorium bestimmte Vorteile: • Potenzial für einen größeren Anteil des Brennstoffs zur Unterstützung der Kernkettenreaktion und somit weniger Abfall bei derselben Menge erzeugter Energie; • höhere Schmelztemperaturen von Brennstoffen auf Thorium-Basis, was im Falle eines Unfalls von großer Bedeutung sein kann; • geringere Produktion von Plutonium; • gute „neutronische“ Eigenschaften, insbesondere hinsichtlich Anzahl und Energie der durch Spaltreaktionen erzeugten Neutronen.

11.3.1  Thoriumgewinnung In den Mineralen der Erdrinde kann der Thoriumgehalt schon an der Erdoberfläche durch Anwendung der Gammaspektroskopie anhand seines spezifischen Gammaspektrums (Spektrum und Intensität) mit hinreichender Genauigkeit detektiert werden. Dies gilt in jedem Fall ab Gehalten von einem Gramm je Tonne Gestein. Thorium ist im Gegensatz zu Uran chemisch ungiftig und in wesentlich geringerem Ausmaß wasserlöslich. Thorium tritt in der Natur in den Oxidationsstufen +II und vor allem +IV auf. Der für das Uran in natürlichen Kreisläufen zu beobachtende typische leichte Wechsel zwischen dessen vierwertiger Stufe (reduzierendes Milieu) und der sechswertigen Stufe (oxidieren-

389

11.3  Kernbrennstoff Thorium

des Milieu) ist im Thorium weniger ausgeprägt. Das Zerkleinern und Brechen von Thoriumerzen wie Bastnazit und Monazit setzen Radon  220Rn, analog zur U-Zerfallskette 222Rn, frei, aber durch seine kurze Halbwertzeit (56 Sekunden) würde es nur für diejenigen in unmittelbarer Nähe eine Gefahr darstellen. Der Einsatz konzentrierter starker Säuren und starker Basen zum Aufschluss von Monazit, Abb. 11.21 und 11.22, in Kombination mit den anschließenden Lösungsmittelextraktionssystemen sind ein chemisches Risiko, analog zum Aufschluss von seltenen Erden. Im sauren Aufschluss wird ein Gemisch des Sandes mit 98 %iger Schwefelsäure in Behältern aus Gussstahl für mehrere Stunden auf 120 bis 150 °C erhitzt. Die Aufschlussreaktion ist stark exotherm. Wenn die Temperatur unterhalb 250 °C gehalten und ein Überschuss an Säure eingesetzt wird, wird das enthaltene Thorium wasserlöslich. Wenn gleiche Gewichtsmengen an Säure und Sand verwendet und eine höhere Temperatur eingestellt Kaltwasser Monazit-Sand H2SO4 98 %

120 °C - 150 °C Mehrere Stunden

Grauer Schlamm

Lösung

Rückstand (Sand, SiO2, TiO2, ZrSiO4, usw)

Verschiedene Behandlungen

Lösung (Ln3+)

Th-enthaltender Schlamm

Abb. 11.21  Saurer Aufschluss Kaltwasser

Monazit-Sand

140 °C

Schlamm

100 °C

NaOH 73 %

Lösung (OH-, HPO24 , PO34 -, SiO44 )

Rückstand (Ln(OH)3, ThO2, TiO2, ZrSiO4, usw.)

HCl

pH 3 - 4

Rückstand (ThO2, TiO2, ZrSiO4, usw.)

Abb. 11.22  Basischer Aufschluss

Lösung (Ln3+, H+, Cl-)

11 Brennstoffkreislauf

390

werden, wird das Thorium wasserunlöslich. Letzteres ist unüblich. Der entstehende Schlamm wird mit Wasser abgeschreckt, wobei die Sulfate in Lösung gehen. Das Thorium wird anschließend durch Fällung als Pyrophosphat oder durch Neutralisation als basisches Salz ausgefällt. Im basischen Aufschluss wird der Monazit-Sand mit Natronlauge bei ca. 140 °C behandelt. Dabei entstehen unlösliche Oxide und Hydroxide sowie Natriumphosphat, welches nach Zugabe von Wasser in Lösung geht. Der unlösliche Schlamm wird mit verdünnter Salzsäure behandelt, wobei die Lanthanoid-Oxide in Lösung gehen, während das Thoriumdioxid (ThO2) als Rückstand verbleibt, verunreinigt mit anderen säureunlöslichen Komponenten. Alle Raffinatströme, die das Lösungsmittelextraktionssystem verlassen, sind schwach radioaktiv, analog dem Radon. In Tab.  11.7 sind einige Eigenschaften von Thoriumdioxid zusammengestellt.27 Die Herstellung und Sinterung von Pellets folgt im Prinzip dem für UO2 angegebenen Weg, wobei 97–98 % theoretische Dichte erreicht werden. An der Nutzung von ThO2 in thermischen Konversionsreaktoren wird vor allem in jenen Ländern mit größeren Thoriumvorkommen geforscht. Da noch kein industriell funktionierender Thorium-Kreislauf existiert und über die möglichen Varianten noch keine exakten Prozessspezifikationen vorhanden sind, lassen sich die Anlagen- und Betriebskosten eines Thorium-Kreislaufs nur schätzen, was mit vielen Imponderabilien, wie Einfluss von Großkonzernen, Umweltorganisationen, usw. verknüpft ist. Hinzu kommt, dass die Entwicklung von Thorium-Kreisläufen nur in Synergie mit den vorhandenen Uran-/Plutonium-Brennstoffkreisläufen sinnvoll ist. Vollständig selbsterhaltende Thoriumkreisläufe würden die Entwicklung von industriefähigen Aufbereitungsmöglichkeiten erfordern, um das  233U aus dem verbrauchten Kraftstoff ­zurückzugewinnen, sowie auch die Entwicklung von Anlagen zur Brennstoffherstellung aus dem recycelten Material. Ein Aspekt bei der vollständigen Einführung von Thoriumbrennstoffen ist, dass der Thoriumkreislauf von Hochenergieneutronen ausgelöst werden muss, um das erste Spaltisotop (233U) zu erzeugen, das während der Uran-/Plutonium-Spaltung entsteht. Bis die Erzeugung der erforderlichen Mengen an  233U den Thoriumkreislauf autonom macht, würde für jede industrielle Anwendung von Thorium als Kernbrennstoff daher weiterhin die Notwendigkeit bestehen, dass die Neutronen aus dem vorhandenen Uran-/Plutonium-­ Kreislauf kommen. Tab. 11.7  Eigenschaften von ThO2 Dichte Schmelzpunkt Wärmeleitfähigkeit Ausdehnungskoeffizient

[g cm−3] [°C] [J/cm s °C] [°C−1]

10,05 3220 0,01 (600°C) 9,67·10−6

 E. Gebhardt, R.Thümmler, H.D. Seghezzi: Reaktorwerkstoffe, Teil 2; Nichtmetallische Werkstoffe, Teubner, Stuttgart 1967. 27

11.4  Kernbrennstoff Plutonium

391

Darüber hinaus können sämtliche Vorzüge eines geschlossenen, selbstversorgenden Thoriums 233U-Brennstoffkreislaufs nur in einem hierfür vorgesehenen „Brüter“ (Brutreaktor) der Generation IV oder höher realisiert werden, die sich noch in der Planungsphase bzw. Designphase befinden(siehe Abschn. 10.6). Thorium als alternativer Kernbrennstoff zu Uran wird gegenwärtig im Rahmen verschiedener Projekte untersucht, die zwei interessanten sind: • ThorCon Power, USA, hat den Bau und Betrieb von Konzept von 250 MWel Flüssigkeitsalzreaktoren mit drei indonesischen Staatsunternehmen abgeschlossen. Das Land will bis 2025 seinen Strombedarf zu 20 % mit Hilfe von Flüssigsalzreaktoren decken, um damit seine enormen Reserven an Thorium als Abfallprodukt seiner Zinnge­ winnung nutzen. • Das Konsortium Thor Energy aus norwegischen und internationalen Partnern testet seit 2012 in einem Forschungsreaktor in Halden (Norwegen) verschiedene Thorium-Uran und Thorium-Plutonium Mischungen hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit und Vorteile gegenüber herkömmlichen angereichertem Uran. Ziel ist die Erhöhung der Effizienz von schon in Betrieb befindlichen Leichtwasserreaktoren, die Erhöhung der Sicher­ heit gegenüber einer Kernschmelze (ThO2 in entsprechender Beimischung hebt die Schmelztemperatur erheblich an) und die energetische Verwertung vorhandenen Plutoniums zur Reduktion von Proliferationsrisiken und auch zur Minderung der Anforderungen an die Langzeitsicherheit geologischer Endlager. Daneben verfolgen vor allem Indien und China langfristig angelegte Reaktorentwicklungsprogramme zur Nutzung von Thorium.

11.4 Kernbrennstoff Plutonium Plutonium ist unter Normalbedingungen ein silberglänzendes Schwermetall mit hoher Dichte (19,86 g/cm3). Wie von allen Actinoiden existieren auch von Plutonium ausschließlich  radioaktive  Isotope. Es ist selbsterwärmend, pro 100  g Plutonium entstehen etwa 0,2 kW Wärmeleistung (bezogen auf 239Pu).28 Plutonium ist im Vergleich mit anderen Metallen ein schlechter Leiter für Wärme und elektrischen Strom. Das Metall kristallisiert abhängig von der Temperatur in insgesamt sechs allotropen Modifikationen. Plutonium entsteht in den mit 238U-reichen Isotopengemischen betriebenen Kernkraftwerken. Dabei wird ein Teil des eingesetzten 238U durch Einfang eines Neutrons und nachfolgenden Betazerfall in 239Pu umgewandelt.

232 92





β β U + 10 n → 239   → 239 → 239 92 U 23 93 Np 2 9 4 Pu , 5 min ,3565 d

 Norman N. Greenwood, Alan Earnshaw: Chemie der Elemente. 1. Auflage. VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim 1988, ISBN 3-527-26169-9. 28

392

11 Brennstoffkreislauf

Die angegebenen Zeiten sind Halbwertszeiten (HWZ). Ein weiteres Neutron führt in den meisten Fällen zur Kernspaltung, zum Teil entsteht jedoch das Isotop  240Pu (HWZ: 6560 a). Da dieses Isotop nur schlecht spaltbar ist, führt weiterer Neutroneneinfang zur Entstehung von  241Pu  (HWZ: 14 a), das wiederum gut spaltbar ist. Allerdings werden nicht alle Atome gespalten, so dass bei einigen davon der Brutprozess zu 242Pu (HWZ: 373000 a) und noch schwereren Isotopen fortgesetzt werden kann. Weil jedoch das spaltbare 243Pu eine sehr kurze Halbwertszeit hat (5 h), ist ein weiterer Neutroneneinfang, der meistens zur Spaltung oder – in selteneren Fällen – zur Erzeugung von Plutonium  244Pu führt, unwahrscheinlich. Der Plutonium-Brutprozess ist daher praktisch beim 243Pu zu Ende und führt über den Betazerfall von 243Pu zum Americium-­ Isotop 243Am (HWZ: 7370 a). Pu 239 + 0 n1 → 94 Pu 240 + γ 240 + 0 n1 → 94 Pu 241 + γ 64 Pu 241 + 0 n1 → 94 Pu 242 + γ 94 Pu 242 + 0 n1 → 94 Pu 243 + γ 94 Pu 94



Da jede Stufe dieser aufeinander aufbauenden Kernreaktionen eine gewisse Zeit braucht, ändern sich im Laufe der Zeit die relativen Mengen der Isotope im Reaktorkern. Die Raten, mit der die Kernreaktionen ablaufen, hängen von der Geschwindigkeitsverteilung der Neutronen ab. Weil ein großer Teil der leicht spaltbaren Isotope jedoch gespalten wird und sich nicht in andere Isotope umwandelt, nimmt die mögliche Ausbeute (Effizienz) des Brutprozesses mit der Erzeugung jedes weiteren leicht spaltbaren Iso­tops ab. Das leichtere Isotop 238Pu wird bei Bedarf gezielt hergestellt. Es entsteht durch Einfang mehrerer Neutronen aus dem Uran-Isotop  235U.  Dabei entsteht zuerst ein  236U-Kern in einem angeregten Zustand, der eine Halbwertszeit von 120 Nanosekunden hat und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit spaltet. Angeregte  236U-Kerne können jedoch auch durch Emission von γ-Strahlung in den langlebigen Grundzustand übergehen. Durch weiteren Neutroneneinfang und  β-Zerfall  entsteht Neptunium (237Np). Nach einer gewissen Bestrahlungszeit wird das Neptunium, das fast ausschließlich aus  237Np besteht, aus den  Brennstäben  extrahiert. Das Neptunium wird nun in Form von reinen Neptunium-­ Brennstäben wieder in einen Reaktor eingefügt und mit Neutronen bestrahlt. Es wandelt sich dabei durch Neutroneneinfang in  238Np um, das unter Aussendung von β-Strahlung zu 238Pu zerfällt. U 235 + 0 n1 → 92U 236m 6 → 92 U 235 + γ 236 + 0 n1 → 92U 237 6,75  → 93 Np 237 92 U d 92



93

6 Np 237 + 0 n1 → 93 Np 235 2.117  → 94 Pu 235 d

Die so behandelten Brennstäbe enthalten auch schwerere Plutoniumisotope. Außerdem werden einige der Neptunium-Atome auch von Neutronen über 6,27  MeV Energie getroffen, wodurch in geringer Menge auch 236Pu entsteht. Dieses zerfällt über die Thorium-­ Reihe, in der der starke γ-Strahler Thallium 208Tl vorkommt.

11.4  Kernbrennstoff Plutonium

393

Wird 239Pu durch schnelle Neutronen gespalten, ist die durchschnittliche Zahl neu freigesetzter Neutronen pro gespaltenen Atomkern besonders hoch. In einem solchen Reaktor kann daher theoretisch mehr  238U in neues  239Pu umgewandelt werden, als gleichzeitig durch Spaltung verbraucht wird (Schneller Brüter siehe Abschn. 5.4). Das Plutonium befindet sich nach der Herstellung zusammen mit den  Spaltprodukten und unverbrauchtem Rest-Kernbrennstoff in den abgebrannten Brennelemen­ ten. Durch den  PUREX-Prozess können in  Wiederaufarbeitungsanlagen (siehe Abschn. 11.7.2) das entstandene Plutonium und das ebenfalls erwünschte Uran aus ihnen herausgelöst werden. Dazu wird das Material zunächst in  Salpetersäure  gelöst und das Plutonium und Uran mit Tri-n-butyl-phosphat extrahiert. Die Spaltprodukte und anderen Bestandteile bleiben dabei zurück. Im Jahr werden etwa 20 Tonnen Plutonium, überwiegend in Form des Isotops 239Pu, produziert.29 Von Plutonium wurden 20 Isotope und 15 Kernisomere mit Massezahlen von 228 bis 247 vermessen. Die Halbwertszeiten liegen zwischen 37 · 10−12 s für das Kernisomer 236m1Pu und 80 Mio. Jahren für 244Pu. Die langlebigsten Isotope mit Halbwertzeiten größer als 11 Tagen haben Massenzahlen zwischen 236 und 244. Das Isotop  243Pu ist mit einer Halbwertzeit von weniger als 5 Stunden eine Ausnahme. Einige der Plutonium-Isotope werden als Ausgangspunkte für radioaktive Zerfallsreihen angesehen. Diese sind: •



• •





Pu  zerfällt über die  Thorium-Reihe. Es kommt mit einer Halbwertzeit von 2,858 Jahren durch Alpha-Zerfall auf die Zwischenstufe 232U, die mit einer Halbwertszeit von 68,9 Jahren zu  228Th zerfällt, das auf dem Hauptstrang der Reihe liegt. Dieses Isotop wird in Kernreaktoren, die mit Uran betrieben werden, nur in winzigen Mengen erbrütet. 237 Pu wandelt sich mit einer Halbwertzeit von 45,2 Tagen zu 99,9958 % durch Elektroneneinfang in das Neptunium-Isotop 237Np um, das der Startpunkt der Neptunium-­Reihe ist. Die restlichen 0,0042 % zerfallen durch Alphazerfall zu Uran  233U das ebenfalls über die Neptunium-Reihe zerfällt. 238 Pu ist ein Alphastrahler mit einer Halbwertszeit von 87,7 Jahren. Es zerfällt zunächst in 234U und weiter über die Zerfallskette der Uran-Radium-Reihe. 239 Pu  ist das am häufigsten produzierte Plutoniumisotop. Es zerfällt in 24.110 Jahren  zur Hälfte unter Abgabe von Alphastrahlung in  235U.  Der weitere Zerfall folgt der Uran-Actinium-Reihe, für natürliche Radioaktivität, die bei 235U beginnt. 240 Pu zerfällt mit einer Halbwertszeit von 6564 Jahre durch Alphastrahlung in 236U. Dieses Uran-Isotop zerfällt mit einer Halbwertzeit von 23,4 Mio Jahren zum natürlichen 232Th. Der weitere Zerfall folgt der Thorium-Reihe. 241 Pu  ist der Beginn der  Neptunium-Reihe. Es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 14,35 Jahren und einer Wahrscheinlichkeit von 99,9975  % mit einem Betazerfall zu  241Am, sowie mit 0,0025 % Wahrscheinlichkeit unter Alphazerfall zu  237U.  241Am zerfällt unter Alphazerfall und 237U durch Betazerfall zum gleichen langlebigen Neptuniumisotop 237Np. 236

 dtv-Atlas zur Chemie. Band 1, dtv, 2000.

29

394

11 Brennstoffkreislauf

Pu zerfällt über die gleiche Zerfallskette wie 238Pu. Während jedoch 238Pu als Seitenarm beim  234U auf die Zerfallskette kommt, steht  242Pu noch vor dem  238U.  Plutonium  242Pu zerfällt durch Alpha-Zerfall in  238U, den Beginn der natürlichen Uran-­ Radium-­Reihe. Mit einer Halbwertszeit von 375.000 Jahren ist es nach  244Pu das langlebigste Isotop. • 243Pu ist mit einer Halbwertszeit von 4,956 h kurzlebig. Es geht zunächst durch Beta-­ Strahlung in Americium243Am über, das in 239Np übergeht und weiter zu 239Pu zerfällt. Damit steht es in Verlängerung der Uran-Actinium-Reihe. • 244Pu ist wegen seiner langen Halbwertszeit von 80.000.000 Jahren das einzige natürlich vorkommende Plutonium-Isotop. Es ist der Ausgangspunkt der Thorium-Reihe, die darum manchmal auch Plutonium-Thorium-Reihe genannt wird.  244Pu zerfällt durch Alphazerfall zu  240U, dieses durch zwei Betazerfälle über  240Np zu  240Pu, dieses dann wieder durch zwei weitere Alphazerfälle über  236U zum  232Th. Danach folgt der Zerfall der Thorium-Reihe. •

242

11.4.1  MOX-Brennstoff Plutonium kann in Form von MOX-Brennstoff in  Kernreaktoren  eingesetzt und dort zur  Energieerzeugung  genutzt werden. Bei  Leichtwasserreaktoren  ist dies eine Option, für Brutreaktoren eine Notwendigkeit, denn die dort benötigte hohe Neutronenausbeute der Kernspaltung wird nur mit einem genügend hohen  239 Pu-Anteil im Brennstoff (und Spaltung durch schnelle, nichtmoderierte Neutronen) erreicht. Als  Mischoxid-Brennelemente, kurz:  MOX-Brennelemente  (MOX  = Mischoxid), sind  Brennelemente, die neben UO2  ein weiteres  Oxid  enthalten. Meist handelt es sich dabei um  PuO2 (Plutoniumdioxid), seltener um  ThO2 (Thoriumdioxid). Da sich MOX-Brennelemente anders als Brennelemente mit niedrig angereichertem 235U verhalten, bedarf deren Einsatz einer Anpassung der Reaktorfahrweise, daher wird meist eine Mischung von Uran-Brennelementen und MOX-Brennelementen, in etwa 1:3, verwendet. Der Einsatz von MOX in Leichtwasserreaktoren bewirkt eine leichte Erhöhung der  Strahlenschäden, in der Reaktordruckbehälterwand. Die Strahlenschäden werden durch den »schnellen« Anteil des  Neutronenflusses  verursacht. Die Berechnung des Neutronenspektrums in einem  vollständig  mit MOX beladenen Westinghouse-Druck­ wasserreaktor ergab einen gegenüber reinem Uranoxid-Brennstoff um 12  % höheren schnellen Fluss,30  bei der üblichen Beimischung von 30  % MOX-Brennelementen entspricht dies einer Erhöhung um 4 %. Eine weitere Auswirkung kommt vom geringeren Anteil der verzögerten Neutronen bei 239 Pu gegenüber 235 U. Dadurch wird der Abstand zwischen den Zuständen verzögert kritisch und prompt kritisch etwas kleiner und erfordert eine entsprechend feinere Reaktorsteuerung.  Franceschini und Petrovic, Annals of Nuclear Energy 35 (2008) S. 1587–1597.

30

11.5  Brennelemente für gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren

395

Das Herstellungsverfahren von MOX-Brennelementen ähnelt dem von Urandioxid-­ Brennelementen.  Plutonium  ist ein α-Strahler und damit im Umgang im Prinzip ungefährlich. Allerdings neigt Plutonium zur Aerosolbildung, was ihn beim Inhalieren gefährlich macht. Deshalb sind deutlich größere Sicherheitsvorkehrungen als für die Herstellung von reinen UO2-Brennelementen erforderlich. Die Verarbeitung erfolgt in abgeschirmten, mit Edelgas gefüllten Glove-Boxen und ist weitgehend automatisiert. Die Zumischung an Plutonium liegt bei 7–11  %, im Durchschnitt bei 9,5  %. Wird waffenfähiges Plutonium (≥ 90  % Pu-239) verwendet, ist nur noch eine Zumischung von 5  % erforderlich.31 MOX-Brennstoff wird in Frankreich, Russland und Japan hergestellt

11.5 Brennelemente für gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren Für gasgekühlte Hochtemperatoren setzt man kleine (einige 0,1 mm) Brennstoffpartikelchen aus UO2 oder UC ein und überzieht diese mit Grafit, Metall bzw. verschiedenen Oxiden oder Karbiden. Beschichtet werden die Partikel im Wirbelbett häufig kombiniert mit der CVD (Chemical Vapor Deposition)-Technologie.32 Vorteil dieser Schichten ist die weitestgehende Zurückhaltung von Spaltprodukten in den umhüllten Brennstoffpartikel. Auf eine Metallumhüllung der Partikel zur Verhinderung, dass die Spaltprodukte in das Kühlmittel gelangen, wird daher verzichtet. Die Umhüllung der Brennstoffpartikel wurde bzw. wird ergänzt durch eine Siliciumcarbidschicht. Diese zusätzliche Umhüllung ist sehr widerstandsfähig gegenüber Temperaturbelastungen und hält auch für hohe Temperaturen knapp über 1000 °C Schwermetalle und Spaltgase zurück. Auch kann das Fehlen der äußeren metallischen Hülle mit ihrer meist recht hohen Absorption ersetzt werden, was eine besserte Neutronenökonomie und damit kleinerem Brennstoffverbrauch mit höherer Konversionsrate ergibt. Die Rückhaltung einiger hochtoxischer Spaltprodukte wie Silber und Cäsium durch Diffusion ist hingegen nur bedingt möglich. Die Brennelemente des Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktors (siehe Abschn.  5.3.2) nach Farrington Daniels33 bestehen nicht aus Brennstäben, sondern aus ­Grafitkugeln von etwa 6 cm Durchmesser, in welchen sich der Brennstoff in Form vieler kleiner Partikel aus Uran-Thorium-Oxid befindet. Pro Kugel etwa 15.000 Partikel mit einer Leistung von etwa 0,2 Watt bezogen auf ein Brennstoffpartikel. Werden Mischoxide aus UO2 und ThO2 als Brennstoff verwendet, lässt sich aus den abgebrannten Brennstoffpartikeln kein brauchbarer Brennstoff mehr zurückgewinnen. Aus  235U entsteht in einer Nebenreaktion zur Spaltung  236U das man im Mischoxid praktisch nicht mehr vom erbrüteten Brennstoff 233U trennen kann.  MOX, Mixed Oxide Fuel.  World Nuclear Association, Juni 2017,  abgerufen am 12.  September 2017. 32  H. Frey, H, R. Khan, Handbook oft Thin Film Technology, Springer 2015. 33  Keith J. Laidler, Chemical Kinetics (3rd ed., Harper & Row 1987), p.507-8 ISBN 0-06-043862-2. 31

396

11 Brennstoffkreislauf

11.6 Dispersionsbrennstoffe Im Reaktorcore ist eine möglichst hohe Brennstoffdichte anzustreben. Verwendet man praktisch auf 100 % angereicherte, starke Kernbrennstoffe und verzichtet man so auf Konversion und Brüten, kann man den Brennstoff in verdünnter Form in ein metallisches Trägermaterial, eine Matrix, einbauen und gewinnt dadurch konstruktive Freiheiten, z. B. braucht man dann nicht mehr die üblichen stabförmigen Brennelemente und kann aus der Matrix dünne Bleche walzen, die eine besonders große wärmeabgebende Oberfläche haben. Unter Berücksichtigung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Anreicherung von Brennstoffen) und ökonomischen Gründen (Wiederaufarbeitung) wurden Dispersionsbrennstoffe für Leistungsreaktoren bisher nicht verwendet.

11.7 Wiederaufarbeitung 11.7.1 Einleitung Grundsätzlich sind folgende Wiederaufbereitungsverfahren möglich: • • • • • •

Teilweise Abtrennung der Spaltprodukte Vollständige Abtrennung der Spaltprodukte Brutstoffabtrennung Spaltstoffabtrennung Abtrennung der Spaltprodukte und Trennung von Brut- und Brennstoff Abtrennung der Spaltprodukte und vollständige Trennung aller Actioniden

Die ersten beiden Verfahren haben den Vorteil, dass sie technisch fallweise sehr einfach und proliferationsresistent sind, der Nachteil ist, dass der so entstehende neue Brennstoff, je nach Reaktortyp, aus dem er kommt fallweise einen zu hohen oder zu niedrigen Spaltstoffanteil hat. Das Rezyklieren von Brennelementen aus Leichtwasserreaktoren ist durch die Zunahme an solchen Plutoniumisotopen begrenzt, die sich nicht durch thermische Neutro­ nen in Leichtwasserreaktoren spalten lassen, und andererseits durch die Entstehung ­unerwünschter Elemente wie z. B. Curium. Nach zwei bis drei Zyklen muss der rezyklierte Kernbrennstoff genauso entsorgt werden wie im offenen Brennstoffzyklus. Diese Einschränkung in Bezug auf die Anzahl der Recyclingzyklen gilt allerdings nicht, wenn das wiederaufgearbeitete Material in Brutreaktoren eingesetzt wird. Sinn machen solche Verfahren vor allem für die Nutzung von Brutreaktoren, in welchen das Verhältnis von Spaltstoff zu Brutstoff mit zunehmendem Abbrand nicht abnimmt, sondern steigt sowie bei der Verwendung von Reaktoren, die unterschiedliche Anreicherungen benötigen (etwa Leichtwasser- und CANDU Reaktoren).

397

11.7 Wiederaufarbeitung

Tab. 11.8  Ungefähre Mengen der in einem LWR von 1000 MWe erzeugten radioaktiven Abfälle (m3 pro Jahr) Abfallart Schwach-/mittelaktiv Hochaktiv Abgebrannte Brennelemente

Offener Brennstoffzyklus 50–100 0 45–55

Brennstoffzyklus Wiederaufbereitung 70–190 15–35 0

Quelle: Europäische Kommission, Die Entsorgung von Radioaktiven Abfällen in der, Europäischen Union (Brüssel, 1998)

Für die Brutstoffabtrennung wird lediglich der Brutstoff (Uran, Thorium) abgetrennt und weiterverwendet. Das kann insbesondere im Falle von Uran Sinn machen, da das Uran abgebrannter Brennelemente in Leichtwasserreaktoren üblicherweise immer noch mehr spaltbares 235U enthält als Natururan. So enthalten 1000 g abgebrannter Kernbrennstoff aus einem Druckwasserreaktor 949 g 238U (vorher: 969 g), 8 g235U (vorher: 31 g), 9 g Pu (durch Neutronenbeschuss aus 238U entstanden) sowie 34 g feste Spaltprodukte (Überreste der durch Spaltung vernichteten 235U und Pu-Isotope). Die Abtrennung der Spaltprodukte und Trennung von Brut- und Brennstoff ist die gegenwärtig etablierteste Variante. Man hat hier die größte Flexibilität in der Zusammensetzung des neuen Brennstoffs bzw. bei der Weiterverwendung der Produkte. Mit einer zusätzlichen Abtrennung von minoren Actinoiden kann man diese in geeigneten Reaktoren als Spaltstoff nutzen oder zu Spaltstoff transmutieren, womit sich der Zeitraum über den der verbleibende hochradioaktive Abfall gefährlich ist, absenken lässt. Tab.  11.8 gibt eine eine Übersicht über die Abfallmengen, die ein Leichtwasserreaktor produziert. In Kombination mit Brutreaktoren, die mehr Spaltstoff durch Brutvorgänge erzeugen, als sie verbrauchen, ist die Wiederaufbereitung der Schlüssel zu einer vielfach besseren Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Kernbrennstoffs. Prinzipiell ist dies auch mit Kernreaktoren, deren Brennstoff im laufenden Betrieb kontinuierlich aufbereitet wird, insbesondere in Fluidkernreaktoren, möglich.

11.7.2  PUREX-Verfahren Das gegenwärtig verbreitetste Wiederaufbereitungsverfahren ist das PUREX (Plutonium-­ Uranium-­Reduktion-Extraktionsprozess)-Verfahren, Abb. 11.23, ein nasschemisches Verfahren, das sich für Uran-Plutonium Brennstoff eignet und in dem Plutonium und Uran voneinander und von den Spaltprodukten getrennt werden können. Im Prinzip ist das PUREX-Verfahren eine Form der Extraktion (genauer der Lösungsmittelgegenstromextraktion), in der eine wässrige Phase (Brennstofflösung) und eine organische Phase (Extraktionsmittel) in engen Kontakt gebracht werden und sich anschließend wieder voneinander absetzen. Als Extraktionsmittel dient ein Phosphorsäureester (Tri-n-­

11 Brennstoffkreislauf

398

Abgebranntes Brennelement

Mechanischer Aufschluss

Salpetersäure

Säureaufbereitung

Chemischer Aufschluss

TBP, Kerosin

Spaltprodukte

Mischer Eisen(II)sulfamatlösung U in organischer Phase

Mischer (Wäsche) Mischer U, Pu in organischer Phase

Pu reiche wässrige Lösung

Abb. 11.23  Schema des PUREX-Prozesses „Plutonium-Uranium Recovery by Extraction“

butyl-phosphat, Kurzbezeichnung: TBP), der mit 70 % 12–14C-Alkanen (üblicherweise Kerosin) verdünnt ist. Daher wird das Extraktionsmittel auch kurz TBP-30 genannt. Für die Wiederaufarbeitung werden die Brennstäbe zerschnitten und der Brennstoff einschließlich der Spaltprodukte in heißer Salpetersäure, nicht aber die metallischen Hüllreste,  aufgelöst. Das TBP-30 löst anschließend unter  Komplexbildung  selektiv die  Nitrate des Urans und Plutoniums aus der salpetersauren Brennstofflösung heraus, während die Nitrate der Spaltprodukte in der wässrigen Phase zurückbleiben. Um möglichst hohe Extraktionsraten zu erreichen, müssen die im Gegenstrom zueinander geführten Flüssigkeiten gut miteinander vermengt werden. Anschließend setzen sich TBP und die wässrige Phase wieder selbsttätig voneinander ab, so dass die mit Uran und Plutonium beladene organische Phase und die wässrige Phase, in der sich die Nitrate der Spaltprodukte befinden, leicht voneinander getrennt werden können. Da der Trenneffekt eines einzigen Extraktionsschrittes nicht ausreicht, um die erforderlichen  Reinheitsgrade  zu erzielen, wird dieser Vorgang wiederholt in Mischapparaten durchgeführt, die hintereinander angeordnet sind. Als Mischapparate nutzt man  Pulskolonnen34 oder Mischabsetzer.

11.7.2.1 PUREX-Modifikationen Der PUREX Prozess wurde mittlerweile mit unterschiedlichen Zielsetzungen weiterentwickelt, beispielsweise mit dem Ziel auch thoriumhaltigen Brennstoff wiederaufbereiten zu können oder auch minore Actinoide, insbesondere Americium und Curium, abzutrennen.

 P. Grasmann, F. Widmer: Einführung in die thermische Verfahrenstechnik, de Gruyter, Berlin 1974.

34

399

11.7 Wiederaufarbeitung

UREX Der UREX (von Uranium EXtraction)-Prozess ist ein vereinfachter PUREX Prozess. Dadurch wird lediglich Uran abgetrennt, auf eine Abscheidung des Plutoniums wird verzichtet. Der verbleibende Abfall kann weiter aufbereitet werden, in diesem Fall wird der UREX Prozess zu einem Teilprozess des UREX+ Verfahrens. Unter der Bezeichnung „UREX+“ wurden in den USA eine ganze Reihe von Wiederaufbereitungsprozessen entwickelt, in denen im Anschluss an die Uranabtrennung mit dem UREX Verfahren der verbleibende Rest weiter aufgetrennt wird. Dadurch können verschiedene Spaltprodukte und Actinoide für eine gesonderte Abfallbehandlung oder Weiterverwendung schrittweise von den restlichen Spaltprodukten getrennt werden. Bedeutende Teilprozesse sind insbesondere UREX (Abtrennung von Uran und Technetium), FPEX (Abtrennung von Cäsium und Strontium), TRUEX (Abtrennung von Americium, Curium, seltenen Erden), Cyanex 301 (Trennung von Americium, Curium und seltenen Erden) oder TALSPEAK (ebenfalls für die Trennung von Americium, Curium, seltenen Erden) sowie NPEX (Abtrennung von Neptunium und Plutonium). Diese Teilprozesse sind jeweils optional und können je nach Bedarf weggelassen werden. Zu nennen sind insbesondere die Varianten aus Abb. 11.24. Der FPEX (Fission Product EXtraction)-Prozess wurde entwickelt um die Spaltprodukte Cäsium und Strontium durch flüssig-flüssig Extraktion abzuscheiden. Der Prozess kann insbesondere als Ergänzung zum PUREX oder UREX Prozess genutzt werden, um diese Spaltprodukte für diverse radiomedizinische und technische Anwendungen zu gewinnen oder um sie durch Transmutation (siehe Abb. 11.43) unschädlich zu machen. TRUEX (TRansUranic Extraction)-Prozess Der in den 1990ern im LANL (Los Alamos National Laboratory) entwickelte TRUEX (TRansUranic Extraction)-Prozess nutzt zusätzlich das im PUREX Prozess verwendeten Tributylphosphat (TBP) auch Octyl-(phenyl)-N,N-diisobutylcarbamoylmethylphosphinoxid (CMPO) als Organisches Extraktionsmittel. Dadurch kann in mehreren Extraktionsstufen neben Uran, Plutonium und Neptunium auch Americium abgetrennt werden. Der Zeitraum, über den der Abfall, der so praktisch nur noch aus Spaltprodukten besteht, sicher gelagert werden muss, sinkt gegenüber dem Abfall der PUREX Wiederaufbereitung von etwa 10.000 auf etwa 1000 Jahre. Der TALSPEAK (Trivalent Actinide Lanthanide Separation by Phosphorus Extractants and Aqueous Komplexes)-Prozess wurde in den 1960ern im ORNL (Oak Ridge National Laboratory) entwickelt und ist damit einer der ältesten Wiederaufbereitungsprozesse der in technischem Maßstab umgesetzt wurde, und der für die Extraktion von Americium und Curium bzw. deren Trennung von den Lanthaniden geeignet

UREX

FPEX

U, Tc

Cs, Sr

Abb. 11.24 UREX+1a-Prozess

TRUEX

TALSPEAK

übrige Spaltprodukte

Lanthanide

Pu+Np+Am+Cm

400

11 Brennstoffkreislauf

ist. Auch der TALSPEAK-Prozess ist ein nasschemischer Flüssig/Flüssig Extraktionsprozess mit einem organischen Extraktionsmittel, zum Einsatz kommt hier HDEHP (Di-(2-ethylhexyl)phosphorsäure). Der TALSPEAK Prozess kann mit anderen Prozessen wie etwa PUREX oder UREX zur Extraktion anderer Actinoide kombiniert werden, vgl. Abb. 11.25. Mit Hilfe von Acetohydroxamid (AHA) können Plutonium und Neptunium in die Oxidationsstufe 4+ reduziert und so nach vorheriger gemeinsamer Abtrennung von Uran getrennt werden. CCD: Chlorierts Kobalt-Dicarbollid als Extraktionsmittel für Cäsium; PEG: Polythylenglycol als Extraktionsmittel für Strontium; beides gelöst in Phenyltrifluormethylsulfon, siehe Abb. 11.26, 11.27 und 11.28. C CCD-PEG

UREX mod.

AHA

Np+Pu

TALSPEAK

Cs, Sr

Am+Cm

übrige Spaltprodukte

U, Tc

Abb. 11.25 UREX+2a-Prozess

UREX

FPEX

NPEX

U, Tc

Cs, Sr

Np+Pu

TRUEX

TALSPEAK

übrige Spaltprodukte

Lanthanide

Abb. 11.26 UREX+3a-Prozess

UREX mod.

TRUEX

Stripp

FPEX

U, Tc

übrige Spaltprodukte

U+Pu+Np; U:Pu~1:1

Abb. 11.27 UREX+3b-Prozess

TALSPEAK

Lanthanide

Cs, Sr

Am+Cm

Am+Cm

401

11.7 Wiederaufarbeitung

UREX mod.

AHA

CCD-PEG

Np+Pu

TALSPEAK

Cs, Sr

Selektive Am/Cm Oxidation

Am, Cm

übrige Spaltprodukte

U, Tc

Abb. 11.28 UREX-4-Prozess

„A+B“ kennzeichnet als Mischung abgetrennte Elemente, „A,B“ einzeln abgetrennte Elemente. Abgesehen davon wurden bis heute Dutzende weitere Verfahren mit verschiedenen Vor- und Nachteilen entwickelt und noch etliche weitere vorgeschlagen, die aber bisher nicht großtechnisch umgesetzt wurden.

11.7.3  Pyrochemische Verfahren in diesem Verfahren wird der Kernbrennstoff in Salz- oder Metallschmelzen gelöst und aus diesen selektiv abgetrennt. Pyro-A Das in den USA entwickelte Pyro-A-Wiederaufbereitungsverfahren ist ein pyrochemischer Prozess zur Trennung von Spaltprodukten und Transuranen im Anschluss an den UREX-Prozess, der eine Alternative zum UREX+-Verfahren darstellt. Der Abfallstrom des UREX-Prozesses wird dafür zu Oxid umgewandelt und anschließend in einer Salzschmelze gelöst. Die Transurane werden anschließend aus der Salzschmelze extrahiert. Es gibt zwei Varianten dieses Prozesses: Eine arbeitet pyroelektrochemisch, die andere mit einer pyrochemischen Flüssig-Flüssig-Extraktion. Pyro-B Auch der Pyro-B-Prozess ist ein US-amerikanischer pyroelektrochemischer Wiederaufbereitungsprozess und wurde in den 1980er-Jahren im Zuge des IFR-Programms zur Wiederaufbereitung von metallischem Schnellbrüterbrennstoff zur Serienreife entwickelt, Abb. 11.29. Durch eine zusätzliche Reduktionsstufe ist auch die Wiederaufbereitung von keramischem Brennstoff möglich. Der Pyro-B-Prozess wurde ab 1995 im LANL (Los Alamos Lab) in technischem Maßstab genutzt, um die Brennelemente des Brutreaktors EBR-II (siehe Abschn. 10.5) aufzubereiten, und kann daher als etabliertes Verfahren gelten. Im Advanced Recycling Cen­ ter von GE-Hitachi wird eine Pyro-B-Anlage mit 4  PRISM-Reaktorblöcken (siehe Abschn. 10.5) kombiniert, so dass abgebrannter Kernbrennstoff der Brutreaktoren direkt

402

11 Brennstoffkreislauf

IFR

CONCEPT POWER

METAL-FUELED REACTOR

SPENT FUEL & BLANKET

ELECTROREFINING

CATHODE PROCESSING

INJECTION CASTING

NEW FUEL & BLANKET

Abb. 11.29  Der IFR Brennstoffkreislauf

weiterverwendet werden kann. Außerdem kann so vor Ort abgebrannter Brennstoff anderer Reaktoren zu neuem Brennstoff für die PRISM-Reaktoren verarbeitet werden. Im Pyro-B-Verfahren wird der metallische Brennstoff zerkleinert und in einem metallischen Korb in ein Salzbad (Lithiumchlorid/Kaliumchlorid) mit einer Temperatur von etwa 500 °C geladen. Dieser Korb dient (mitsamt dem darin befindlichen Brennstoff) als Anode. Es gibt zwei Kathoden: eine aus Stahl, an welcher sich ein Urankristall bildet, und eine aus flüssigem Cadmium, in welcher sich Transurane sammeln. Übrige Transurane sammeln sich am Boden des Beckens, der ebenfalls mit flüssigem Cadmium gefüllt ist und auf welchem das Salzbad aufschwimmt. Anschließend werden die mit den Kathoden in einem Hochtemperatur-Vakuumofen geschmolzen und dabei gemischt; Cadmium und übriges Salz wird abdestilliert. Die Abtrennung der Spaltprodukte vom Salz erfolgt mit Ionenaustauschern aus Zeolith, die Spaltprodukte werden vom Zeolith gebunden und gemeinsam mit diesem konditioniert (etwa verglast). Hüllrohrmaterial und Edelmetall-Spaltprodukte verbleiben zudem bei der Anode; auch sie werden entsprechend behandelt. Der Pyro-B-Prozess ist Vorbild für andere Wiederaufbereitungsprozesse, welche unter anderem in Europa und Japan (Pyrorep) sowie Südkorea (ACP) entwickelt werden.

11.8 Konzepte für Brennstoffkreisläufe

403

11.7.4  Plasmarecycling Der Kernbrennstoff wird (etwa durch eine Variante der elektrischen Plasmavergasung) zu Plasma umgesetzt und anschließend anhand der unterschiedlichen elektrischen bzw. magnetischen Eigenschaften und der unterschiedlichen Masse der entstandenen Ionen aufgetrennt. Wiederaufbereitung auf Basis des Playmarecycling gilt als sehr fortschrittlich, allerdings ist die Technologie auch wenig erprobt. Entwicklungsarbeit auf diesem Gebiet gab es in der Vergangenheit unter anderem durch Westinghouse und verschiedene Universitäten, aber größere Anlagen sind bisher nicht geplant. Mit der Plasmatechnik ist es auch möglich verschiedene Isotope voneinander zu trennen, was man sich auch in der  Urananreicherung  im Plasma Separation Process zunutze machen kann (siehe Abschn. 11.2.7.3).

11.8 Konzepte für Brennstoffkreisläufe 11.8.1 Offener Brennstoffkreislauf Im offenen Brennstoffkreislauf wird der Kernbrennstoff ausschließlich direkt aus Natururan und gegebenenfalls ergänzend Thorium gewonnen; der abgebrannte Kernbrennstoff wird ohne Wiederaufbereitung direkt endgelagert. Verschiedene Formen dieser einfachsten Variante des nuklearen Brennstoffkreislaufs sind heute global verbreitet. Der Grund für die Nutzung des offenen Brennstoffkreislaufs sind die hohen, mit der Wiederaufbereitung verbundenen Investitionskosten in Kombination mit relativ günstig verfügbarem Natururan und günstig verfügbaren Anlagen zur Gaszentrifugen-Anreicherung.

11.8.1.1 Brennstoffkreislauf mit Natururan Uranerz wird direkt, ohne Anreicherung, zu Brennstoff verarbeitet, in Reaktoren genutzt und anschließend endgelagert oder bis zu einer Erweiterung des Brennstoffkreislaufs zwischengelagert, Abb. 11.30. Besondere Verbreitung erlangte dieser Brennstoffkreislauf in Kanada, Indien, Rumänien und Argentinien mit Schwerwasser-Druckwasserreaktoren (insbesondere CANDU und RBMK) sowie zwischenzeitlich in Großbritannien und Frankreich mit gasgekühlten MAGNOX bzw. AGR-Reaktoren. Anstelle einer Endlagerung kann auch eine Langzeit-Zwischenlagerung erfolgen, mit der Aussicht, dass der abgebrannte Kernbrennstoff in Zukunft für eine Erweiterung des Brennstoffkreislaufs weitergenutzt werden kann. 11.8.1.2 Brennstoffkreislauf mit Anreicherung Dieser Brennstoffkreislauf ist um eine Urananreicherung erweitert, Abb.  11.31, sodass auch

404

11 Brennstoffkreislauf

Abb. 11.30  Offener Brennstoffkreislauf mit Natururan Uranbergbau

U-Konversation

Anreicherung

Brennelementfertigung

Yellow Cake

Uranhexafluorid

Abgereichertes Uran Angereichertes Uran

Brennelement (BE)

Thermischer Kernreaktor Abgebranntes U-Brennelement

Endlager Zerfallsprodukte

Zwischenlager Abgereichertes Uran

Benutzte U-BE

Abb. 11.31  Offener Brennstoffkreislauf mit Anreicherung

Reaktoren genutzt werden können, die angereichertes Uran als Brennstoff nutzen. Dieser Brennstoffkreislauf ist in Kombination mit Leichtwasserreaktoren weltweit verbreitet, in der russischen Föderation wurden und werden auch RBMK Reaktoren (siehe Abschn. 5.2.1) für diesen Brennstoffkreislauf genutzt, in Großbritannien AGR Reaktoren35 (siehe Abschn. 5.3). Anstelle einer Endlagerung ist auch eine Langzeit-Zwischenlagerung möglich, mit der Aussicht, dass der abgebrannte Kernbrennstoff in Zukunft während einer Erweiterung des Brennstoffkreislaufs aufbereitet wird.

11.8.1.3 Uran-Thorium-Brennstoffkreislauf Für diesen Brennstoffkreislauf, Abb. 11.32, wird hochangereichertes Uran mit Thorium als Brutstoff kombiniert.36 Dieser Brennstoffkreislauf ermöglicht einen höheren Abbrand der Brennelemente und einen geringen Natururanverbrauch, wobei jedoch zusätzlich Thorium eingesetzt wird, das aber wesentlich billiger ist als Uran. Dieser Brennstoffkreislauf wurde in der Vergangen-

 MIT STUDY ON THE FUTURE OF NUCLEAR FUEL CYCLE  https://mitei.mit.edu/system/ files/The_Nuclear_Fuel_Cycle-6.pdf. 36  IAEA-TECDOC-1450 http://www-pub.iaea.org/mtcd/publications/pdf/te_1450_web.pdf. 35

405

11.8  Konzepte für Brennstoffkreisläufe Thoriumbergwerk

Th-Konversation

Th-Seltenerdkonzentrat

Thorium

Uranbergbau

U-Konversation

Anreicherung

Brennelementfertigung

Yellow Cake

Uranhexafluorid

Abgereichertes Uran Angereichertes Uran

Brennelement (BE)

Thermischer Kernreaktor Abgebranntes U-Brennelement

Zwischenlager

Endlager Zerfallsprodukte

Abgereichertes Uran Benutzte U-Th-BE

Abb. 11.32  Offener Uran-Thorium-Brennstoffkreislauf

heit vor allem in der BRD und den USA für thermische Hochtemperaturreaktoren angedacht,37 ist aber auch für andere thermische Reaktoren, wie Leichtwasserreaktoren oder Schwerwasserreaktoren, eine Option; der maximale Abbrand von LWR-Brennelementen ist aber gegenwärtig zu klein, als dass sich diese Option wirklich auszahlen würde. Eine Möglichkeit ist auch die Kombination von Uranbrennelementen mit Thorium- oder UranThorium-Brutelementen. In letzteren baut sich mit zunehmendem Abbrand so viel 233U auf, dass sie die Rolle der Brennelemente übernehmen können.

11.8.1.4 Brennstoffkreislauf mit Fluidkernreaktoren Fluidkernreaktoren, wie etwa Reaktoren mit einem Kern aus einer in Wasser gelösten Uransalzlösung, Abb.  11.33, Flüssigsalzreaktoren,  Gaskernreaktoren38  (siehe Kap.  10) oder Plasmakernreaktoren, ermöglichen die laufende Entfernung von Spaltprodukten aus Abb. 11.33 Offener Brennstoffkreislauf mit Fluidkernreaktoren

 Kugler, Schulten Hochtemperaturreaktortechnik ISBN: 978-3-540-51535-7.  James A. Lane, u.a.: FLUID FUEL REACTORS, ADDISON-WESLEY PUBLISHING COMPANY, INC. 1958. Abgerufen am 24.02.2019. (Archivierte Version bei PDF. 37 38

406

11 Brennstoffkreislauf

dem fluidischen Kernbrennstoff, sodass im Idealfall ein vollständiger Abbrand aller zugeführten Spaltstoffe und Brutstoffe ohne externe Wiederaufbereitung erreicht werden kann. Dieser fortschrittliche Brennstoffkreislauf wurde bisher nur im Versuchsmaßstab praktisch umgesetzt. Je nach Reaktorauslegung können auch eine Mischung von Uran oder Thorium, als Ausgangsstoff zum Einsatz kommen. Fallweise ist eine Anreicherung nötig, einige Reaktorkonzepte sehen auch einen dezidierten Brutmantel vor. Dargestellt ist der einfachste Fall dieses Brennstoffkreislaufs mit Uran als Brennstoff bzw. Brutstoff, ohne genauere Beschreibung der Fluidbrennstoffaufbereitung im Reaktor und ohne Anreicherung.39,40 Fluidkernreaktoren können auch als „Atommüllfresser“ betrieben werden. In diesem Fall dienen abgebrannte Brennelemente thermischer Reaktoren als Brut- und Brennstoff. Ist keine höhere Anreicherung erforderlich, kann auf eine externe Wiederaufbereitung verzichtet werden. In Reaktoren mit schnellen Neutronen und einer Brutrate von 1 oder mehr (z. B. Dual Fluid Reaktor) würde es genügen, die alten Brennelemente in Chloridsalz zu überführen und mit ca. 1 Gramm pro Minute in den Rücklauf zu geben. In diesem Fall würde die geplante PPU sämtliche Spaltprodukte ausfiltern und in den Reaktor kämen dann nur die 95 % U-238, 2 % Plutonium 239 und 2 % minore Aktinide. Dies passt perfekt, weil ein Reaktor pro Minute ca. 1  Gramm Material spaltet. Gleichzeitig brütet er 1 Gramm U-238 zu PU-239 und die PPU entfernt 1 Gramm Spaltstoffe. Man ersetzt also das fehlende Gramm U-238. Übrig bleiben im Idealfall nur kurzlebige Spaltprodukte.

11.8.2  Geschlossener Brennstoffkreislauf Im geschlossenen Brennstoffkreislauf wird der abgebrannte Brennstoff wiederaufbereitet, spaltbare oder brutfähige Anteile werden teilweise oder vollständig erneut in Kernreaktoren eingesetzt. Damit kann die Ausnutzung des Brennstoffs, insbesondere des Anteils an Brutstoff, stark verbessert werden. Dadurch lässt sich auch die Menge des hoch ­radioaktiven Abfalls in Relation zur erzeugten Energiemenge reduzieren, auch die Endlagerdauer sinkt stark, da der übrig bleibende hoch radioaktive Abfall keine langlebigen Transurane mehr enthält. Beispielhaft sollen nur einige geschlossene Brennstoffkreisläufe dargestellt werden, da sie meistens auf Experimenten im Labor beruhen.

11.8.2.1 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren In diesem Brennstoffkreislauf. Abb.  11.34, wird der offene Uran-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren (üblicherweise Leichtwasserreaktoren) um eine Wiederaufbereitung und eine Brennelementfertigung für Plutonium-Uran-Brennstoff, üblicherweise MOX, ergänzt.  K.H. Thom Der Gasphasenreaktor – Basis neuer Kerntechnologie ISBN 3-88540-000-6.  The concept of Fast Spectrum Molten Salt Reactor (MSFR)  http://www.institutfrancais-suede. com/wp-content/uploads/2013/12/stockholm-seminar-msfr-eml-03122013-.pdf. 39 40

407

11.8  Konzepte für Brennstoffkreisläufe Uranbergbau

Konversation

Anreicherung

Yellow Cake

Uranhexafluorid

Abgereichertes Uran Angereichertes Uran

Wiederanreicherung Abgereichertes Uran Angereichertes Uran

Brennelementfertigung Brennelement (BE)

Thermischer Kernreaktor Abgebranntes U-Pu-Brennelement

Zwischenlager Abgereichertes Uran Benutzte U-Pu-BE

Brennelementfertigung

Abgebranntes U Brennelement

U-Pu-Brennelement

Wiederaufbereitungsanlage Spaltprodukte

Spaltprodukte

Resturan aus BE

Plutonium

Endlager Zerfallsprodukte

Abb. 11.34  Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren

Dieser Brennstoffkreislauf wurde in Frankreich, Belgien oder Großbritannien in industriellem Maßstab umgesetzt, andere Länder setzten diesen Brennstoffkreislauf in internationaler Zusammenarbeit (Wiederaufbereitung und/oder MOX-Brennstofffertigung im Ausland) um. Da während der Wiederaufbereitung mehr Uran anfällt, als für die MOX-­ Produktion benötigt wird, kann das übrige Uran wiederangereichert oder in Reaktoren, die mit der geringeren Anreicherung auskommen, genutzt werden. Anreicherungsanlagen, die für die Wiederanreicherung genutzt werden, gibt es gegenwärtig in Russland. Abgebrannter Uran-Plutonium-Brennstoff hat allerdings einen so hohen 249Pu-Gehalt, dass er nach einer erneuten Wiederaufbereitung nicht ohne weiteres in konventionellen thermischen Reaktoren eingesetzt werden kann (das Plutonium-240 ist thermisch nicht spaltbar, man kann den höheren 240Pu-Gehalt wegen spezieller reaktorphysikalischer Effekte, wie etwa Spaltresonanzen, in konventionellen Reaktoren nicht einfach durch einen entsprechend höheren Gesamt-Pu-Anteil kompensieren), man spricht daher auch von einem twice-through-Brennstoffkreislauf; es ist daher naheliegend einen solchen Brennstoffkreislauf längerfristig um schnelle Reaktoren zu ergänzen. Durch einen Einsatz von Hochkonvertern mit härterem Neutronenspektrum kann der wiederaufbereitete UranPlutonium-Brennstoff allerdings fallweise auch ohne Schnelle Reaktoren weitergenutzt werden. Bisher wurden solche Reaktoren nicht umgesetzt, aber etwa in der BRD, Frankreich, Japan und Russland vorgeschlagen. Viele herkömmliche LWR lassen sich prinzipiell zu Hochkonvertern umrüsten

11.8.2.2 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren ohne Uran-Plutonium-Auftrennung In diesem Brennstoffkreislauf wird der offene Uran-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren (üblicherweise Leichtwasserreaktoren in Kombination mit Schwerwasserre-

408

11 Brennstoffkreislauf

Abb. 11.35 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit thermischen Reaktoren ohne Uran-­ Plu­ tonium-Auftrennung

aktoren) um eine Wiederaufbereitung und eine Brennelementfertigung für Plutonium-­ Uran-­Brennstoff (üblicherweise MOX) ergänzt, Abb. 11.35. Für die Wiederaufbereitung werden Spaltprodukte teilweise oder vollständig aus dem abgebrannten Brennstoff entfernt, der dann direkt wiederverwendet wird. Da seine effektive Anreicherung geringer ist, als jene von frischem Brennstoff, liegt es nahe, ihn in Schwerwasserreaktoren einzusetzen, die mit einer geringeren Anreicherung auskommen. So kann man etwa abgebrannten LWR-Brennstoff in CANDU Reaktoren (siehe Abschn. 5.2) weiterverwenden. Vorteilhaft ist hier, dass die Spaltproduktabtrennung potenziell einfacher und billiger ist, als eine Wiederaufbereitung mit Trennung von Uran und Plutonium, zudem ist die Herstellung von CANDU-MOX-Brennstoff potenziell etwas einfacher und billiger, als die Herstellung von LWR-MOX.  Sinnvoll ist ein solcher Brennstoffkreislauf insbesondere in Ländern, die sowohl Leichtwasserreaktoren, als auch Schwerwasserreaktoren oder andere Reaktoren, die mit einer geringeren Anreicherung auskommen, betreiben. Zu nennen sind hier insbesondere die VR China, Südkorea und auch Indien. Der abgebrannte Uran-Plutonium-Brennstoff kann aber auch hier im Normalfall nicht weitergenutzt werden. Auch wenn nur LWR zur Verfügung stehen, kann eine Variante dieses Brennstoffkreislaufs genutzt werden. Das MOX aus der Wiederaufbereitung wird dafür mit relativ stark angereichertem Uran gemischt, bis die Gesamtanreicherung hoch genug ist. Diese Variante wird in Russland unter der Bezeichnung REMIX (regenerated mixture) erprobt. Man muss dafür zwar relativ stark angereichertes Uran beisteuern, allerdings fällt die Wiederanreicherung weg und man kann auch mit einer schlechteren Plutoniumqualität in weniger gut für MOX geeigneten Reaktoren arbeiten.41

11.8.2.3 Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit Schnellen Reaktoren ohne Uran-Plutonium Auftrennung Für Schnelle Reaktoren mit Gleichgewichtskern oder Brüterkern ist es relativ einfach möglich, bei der Wiederaufbereitung auf eine Plutonium-Uran-Separation zu verzichten, Abb. 11.36. Zunächst wird der Kernbrennstoff als Natururan bzw. abgereichertes Uran in  Multiple Recycle of Remix Fuel Based on Reprocessed Uranium an Plutonium Mixture in Thermal Reactors http://www-pub.iaea.org/iaeameetings/cn226p/Session6/ID106Fedorov.pdf. 41

11.8  Konzepte für Brennstoffkreisläufe

409

Uranbergbau

Konversation

Yellow Cake

Natururan

Brennelementfertigung Brennelement (BE)

Schneller Brutreaktor (SBR) Abgebranntes Brutelement

Abgebranntes SBR Brennelement

Brennelementfertigung

Spaltproduktabtrennung Spaltprodukte

Plutonium-Uran Gemisch

SBR-Brennelement

Zwischenlager Abgereichertes Uran

Spaltprodukte

Endlager Zerfallsprodukte

Abb. 11.36  Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf mit schnellen Reaktoren ohne Uran-Plutonium Auftrennung

den Brutmantel eingeführt, nach einer gewissen Brutphase ist der spaltbare Plutoniumanteil gestiegen und das Brennelement kann in den Kern eingesetzt werden. Ist es abgebrannt, wird es aus dem Kern entfernt, daraufhin werden die Spaltprodukte entfernt und der enthaltene Brennstoff kann wieder zu neuen Brennstoff verarbeitet werden, gegebenenfalls unter Zugabe von Natururan bzw. abgereichertem Uran. Dieses Konzept ähnelt dem TWR-Konzept, durch die Spaltproduktabtrennung ist jedoch eine noch bessere Neutronenökonomie und eine noch bessere Brennstoffausnutzung möglich; prinzipiell ist es möglich, einen offenen TWR-Brennstoffkreis durch Ergänzung um eine Wiederaufarbeitungsanlage und eine Fertigungsanlage für wiederaufbereiteten Brennstoff zu einem solchen Brennstoffkreislauf zu konvertieren. Ein derartiger Brennstoffkreislauf wurde in den USA im EBR-II (Dual Fluid Reaktor siehe Abschn. 10.2) in Kombination mit einer pyrochemischen Spaltproduktentfernung durch Metallschmelzextraktion testweise durchgeführt, in jüngerer Vergangenheit wurde es etwa für den gasgekühlten schnel-

410

11 Brennstoffkreislauf

len Reaktor General Atomics EM2 vorgeschlagen.42 Prinzipiell lässt sich mit diesem Konzept fast das gesamte, als Brennstoff und Brutstoff zur Verfügung stehende Uran verwerten und spalten, der hoch radioaktive Abfall besteht fast nur aus kurzlebigen Spaltprodukten, und die Wiederaufbereitung ohne Plutoniumseparation ist proliferationsresistent sowie vergleichsweise einfach und billig umzusetzen. Geeignete Reaktoren stehen aber gegenwärtig noch nicht in größerer Anzahl zur Verfügung.

11.9 Entsorgung radioaktiver Abfälle Abb. 11.3743 zeigt die Zusammensetzung der Brennstoffe eines Leichtwasserreaktors direkt nach dem Einsetzen ins Reaktorcore und nach einer Betriebszeit von 3 Jahren. Nach drei Jahren haben sich 231U, diverse Pu-Isotope, Spaltprodukte und minore Actinoiden gebildet. 0,86 % 235U 0,42 % 236U 3,25 % Spaltprodukte

3,3 % 235U

2,44 % 235U verbraucht

0,42 % umgewandelt in 236U

0,06 % Np, Am, Cm 0,93 % Pu

2,02 % gespalten

1,23 % Pu gespalten 2,22 % 238U in Pu umgewandelt

0,99 % verbleiben als Transurane

96,7 % 238U angereichertes Uran

94,48 % 238U Umwandlung im Reaktor

abgebranntes Uran (33 MWd/kg)

Abb. 11.37  Beim Abbrand eines schwach angereicherten Brennelementes (links) sinkt der Anteil an 235U, neue Elemente entstehen

 General Atomics Energy Multiplier Module EM2 http://www.ga.com/energy-multiplier-module. 43  Quelle: KWU, Erlangen. 42

11.9  Entsorgung radioaktiver Abfälle

411

Analysiert man die Zusammensetzung des Abbrandes, so findet man im Wesentlichen die folgenden Stoffgruppen: • Spaltprodukte, also die bei der Kernspaltung entstehenden „Bruchstücke“ (abgebrannte Brennstäbe). Sie bilden die Hauptmenge aller radioaktiven Abfälle, sind aber zum größten Teil sehr kurzlebig (z.  B.  132J), jedoch sind auch einige längerlebig (z. B. 137Cs, 90Sr etc.) oder langlebig (z. B.129J etc.). • Aktivierungsprodukte, dies sind ursprünglich nichtradioaktive Materialien aus dem Reaktor oder dessen Umgebung, die durch Neutroneneinfang von Spalt-Neutronen in radioaktive Nuklide umgewandelt wurden (60Co). • Erbrüteter Kernbrennstoff, z.  B.  239Pu, das durch  Neutroneneinfang  und zwei anschließende  Betazerfälle  aus  238U gebildet wird, sowie das aus 239Pu durch zwei Neutroneneinfänge erbrütete 241Pu. • Erbrütete weitere Transurane, wie z. B. 237Np, entstehen, wenn 235U durch Neutroneneinfang nicht gespalten wird, sondern das entstehende 236U sich durch einen weiteren Neutroneneinfang in 237U umwandelt, das sich anschließend durch Betazerfall in das Neptuniumisotop umwandelt. Ein weiteres Beispiel ist  241Am, das durch mehrfac­ hen Neutroneneinfang aus 239Pu über 240Pu und 241Pu mit nachfolgendem Betazerfall entsteht. • Unverbrauchter ursprünglicher Brennstoff (235U, 239Pu und 241Pu). • Unverändertes 238U des ursprünglichen Brennstoffs. Neutronenaktivierte radioaktive Abfälle aus Brennstoffen von Kernreaktoren sind nur in den seltensten Fällen isotopenrein. In aller Regel enthalten sie Mischungen verschiedenster Nuklide mit sehr unterschiedlichen Halbwertszeiten (siehe Abschn. 2.3.5). Dadurch erfolgt das Abklingen anders als nach der exponentiellen Regel, die sich nur jeweils auf einzelne Isotope bezieht. So enthält der Werkstoff Aluminium außer dem chemischen Element Aluminium (Al) stets auch Beimischungen von Kupfer (Cu) und Zink (Zn) sowie Spuren von Nickel (Ni) und Cobalt (Co). Alle diese Elemente werden durch Neutroneneinfang aktiviert, wenn sie als Werkstoff in einem Reaktor eingesetzt sind. Nach dem Ende der Neutronenbestrahlung dominiert zunächst die kurzlebige Radioaktivität des Aluminiums. Nach zehn Minuten aber sinkt die Gesamtaktivität nicht exponentiell weiter, sondern es tritt die langlebigere Aktivität des aktivierten 64Cu (Tonne abgebrannten Kernbrennstoffs  enthält durchschnittlich etwa 20  g Curium) in den Vordergrund. Nach zwei Wochen ist auch das  64Cu fast vollständig zerfallen, nun aber zeigt sich die noch langlebigere Aktivität von 65Zn mit einer Halbwertszeit von 244 Tagen. Es kann deshalb sein, dass man das Werkstück viele Jahre lang sicher verwahren muss, bevor seine Restaktivität vernachlässigbar ist. Aus diesem Grund werden in kerntechnischen Anlagen, wenn möglich, Legierungen mit besonderer Zusammensetzung verwendet, insbesondere cobaltfreie Stähle.

412

11 Brennstoffkreislauf

11.9.1  Arten radioaktiver Abfälle Radioaktive Abfälle, ob aus der vorgesehenen Endlagerung abgebrannter Brennelemente oder aus der Wiederaufarbeitung von Brennelementen, werden international in schwach-, mittel- und hoch radioaktive Abfälle eingeteilt (low-, intermediate- und high-level waste, LLW, ILW und HLW). Je nach Art und Energie der Strahlung und insbesondere deren Aktivität und Halbwertzeit sind unterschiedliche Abgrenzungskriterien in Gebrauch. Die Internationale Atomenergie-Agentur IAEO hat 1981 folgende Einteilung vorgenommen:44 • Hochradioaktive Abfälle erzeugen aufgrund ihrer hohen Aktivität (> 1014 Bq/m3; typisch 5 · 1016–5 · 1017 Bq/m3) erhebliche Zerfallswärme (typisch 2 bis 20 Kilowatt/m3); 1 Bq = 1 s−1 (d. h. ein Becquerel entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde), 1 Ci = 3,7 · 1010 Bq, 1 Bq = 2,7027. . • Mittelradioaktive Abfälle  (1010–1015  Bq/m3) erfordern  Abschirmmaßnahmen, aber kaum oder gar keine Kühlung; • Schwachradioaktive Abfälle  (