Katholiken, Lutheraner und Reformierte in Aachen 1555-1618: Konfessionskulturen im Zusammenspiel. Dissertationsschrift 9783161536342, 9783161586217, 3161536347

Thomas Kirchner untersucht Aachen als Kommune mit Anhängern dreier christlicher Konfessionsgruppen, welche dort zwischen

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German Pages 507 [520] Year 2015

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung – Aachen als konfessionelle Stadt
1.1 Forschungsstand und Desiderate
1.1.1 Forschung zur lokalen Religions- und Reformationsgeschichte
1.1.2 Aachen als Gegenstand der Forschung zum Konfessionellen Zeitalter
1.1.3 Aachen als Gegenstand der Forschung zu Stadtreformation und Konfessionalisierung
1.1.4 Interaktive Konfessionalisierung Aachens
1.2 Fragestellung, Methoden und Gliederung
1.3 Quellen
1.3.1 Quellen zur politischen Auseinandersetzung über die Causa Aquensis
1.3.2 Quellen zum Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen
2 Die politischen Auseinandersetzungen mit der Causa Aquensis 1524 bis 1616 – Akteure, Themen, Argumente
2.1 Die Grundlagen künftiger Auseinandersetzungen: Gegenreformation bei Gelegenheit (1524–1555)
2.2 Anlaufphase: Die Religion der Aachener wird Gegenstand der Reichspolitik (1550–1580)
2.2.1 Kritik Wilhelms V. an der Religionspolitik Aachens und die künftige Rolle der Jülicher Herzöge
2.2.2 Die Berufung der Aachener auf die Confessio Augustana auf dem Augsburger Reichstag von 1559
2.2.3 Ein protestantischer Bürgermeister, protestantische Einwanderer und eine katholische Stadtverfassung – Zugespitzte Religionskonflikte in Aachen bis 1560
2.2.4 Gefährliche Glaubensflüchtlinge: Aufschwung eines Arguments während des niederländischen Aufstands
2.2.5 Die Ratsübereinkunft von 1574: Das Primat der Friedenswahrung und die Einführung des Konfessionsbegriffs in die Stadtpolitik
2.2.6 Konfessionskirchen als Ideengeber und Mitglieder politischer Netzwerke
2.2.7 Ergebnisse: Entscheidende Umbrüche, religionsrechtliche Argumente und konfessionspolitische Netzwerke
2.3 Strukturelle Verfestigung und Institutionalisierung der politischen und konfessionellen Konflikte in Stadt, Region und Reich (1580 bis 1598)
2.3.1 Ratsspaltung, kaiserliche Kommissionen und konfessionspolitische Bündnisse – Die ‚Aachener Sache‘ zwischen 1580 und 1584
2.3.1.1 Die Spaltung des Aachener Rates 1581 und die Reaktion Rudolfs II
2.3.1.2 Anbindung von protestantischem Stadtregiment und katholischer Opposition an religionspolitische Netzwerke bis 1584
2.3.1.3 Die Politik des protestantisch dominierten Stadtregiments und des katholischen Exilregiments bis zum Reichstag von 1582
2.3.2 Die Causa Aquensis auf dem Augsburger Reichstag von 1582
2.3.3 Festschreibung der Uneindeutigkeit 1584
2.3.4 Auseinandersetzungen über eine entschiedene Sache: Die Diskussion nach dem Endurteil in der Causa Aquensis
2.3.5 Ergebnisse: Reichspolitische Konventionen als Alternative zum Konfessionalismus
2.4 Ausweitung und Polarisierung der Auseinandersetzungen (1598 bis 1616)
2.4.1 Der Exekutionsprozess und die Verhandlungen über die Achtlösung als Keim neuer Konflikte
2.4.2 Die Etablierung des restituierten Stadtregiments
2.4.3 Obrigkeit der Reichsstadt Aachen in Beziehung zu den benachbarten Fürsten
2.4.4 „Aachener Wirren“. Städtische Unruhen im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen um Aachen
2.4.4.1 Unruhige Bürger als politische Akteure
2.4.4.2 Parität oder „Aequilibrium“ als politische Alternativen?
2.4.4.3 Zwischen Lutheranern und Reformierten – Zwischen Union und Liga
2.4.5 Ergebnisse: Die Konfessionelle Polarisierung der ‚Aachener Sache‘ unter dem Eindruck eines Zwangs zur Entscheidung
3 Zusammenleben einer Bürgergemeinde und drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel
3.1 Obrigkeit, Zünfte und Kirchen – Träger des konfessionellen Zusammenlebens
3.1.1 Stadtregiment und Bürgerschaft als Gestalter des städtischen Religionswesens
3.1.1.1 Das Bekenntnis des Bürger als Problem der Politik von Gemeinde, Gaffeln und Rat
3.1.1.2 Sozialstrukturelle Grundlagen der konfessionellen Spaltung
3.1.2 Möglichkeiten und Grenzen der obrigkeitlichen Religionspolitik in der Reichsstadt Aachen
3.1.2.1 Keine trikonfessionelle Kirchenordnung – Obrigkeitliche Regeln zum Aachener Religionswesen
3.1.2.2 Das Aachener Sendgericht. Eine Institution obrigkeitlicher Sittenzucht und der Gegenreformation?
3.1.2.3 Religionspolitische Zurückhaltung, überkonfessionelle Ratspolitik und die Autorität des Stadtregiments
3.1.2.4 Ergebnisse: Obrigkeitliche Religionspolitik als Voraussetzung dreifacher Konfessionsbildung
3.1.3 Konfessionskirchliche Spielräume und Zwänge bei der Gestaltung des interkonfessionellen Zusammenlebens
3.1.3.1 Reformierte und Lutheraner: Etablierte Freiwilligenkirchen mit gehemmtem konfessionellen Geltungsanspruch
3.1.3.2 Protestantische Konfessionskirchen und Rat – Zusammenarbeit und Abhängigkeiten
3.1.3.3 Kirchenzucht, Gottesdienst, Bildungswesen und die Abgrenzung der Konfessionskirchen
3.1.3.4 Das Marienstift: Institutionell gesicherte katholische Kirche mit Drang zur Selbstbehauptung
3.1.4 Ergebnisse: Religionspolitische Zurückhaltung als Grundlage des friedlichen Zusammenlebens
3.2 Erfahrungsgemeinschaften der gemischtkonfessionellen Stadt
3.2.1 Die gemischtkonfessionelle Bürgergemeinde als christliche Gemeinschaft
3.2.1.1 Das gesellschaftliche Leben in den Gaffeln
3.2.1.2 Repräsentationen reichsstädtischer Ordnung unter wechselnder Obrigkeit
3.2.2 Zwischen Abgrenzung der Konfessionskirchen und konfessioneller Vereinnahmung der Bürgergemeinschaft
3.2.2.1 Reformierte zwischen Öffentlichkeits- und Untergrundkirche
3.2.2.2 Die Lutheraner: Zurückgestelltes Streben nach der vollen Religionsfreiheit
3.2.2.3 Traditionelles Religionsleben und die neue konfessionelle Identität der Katholiken
3.2.3 Ergebnisse: Verbindende und polarisierende Erfahrungen in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen
3.3 Von Katholischer Reichsstadt und verfolgten Protestanten: Konfessionelle Geschichtsbilder und Konfessionskulturen in Aachen
3.3.1 Von Krisenerfahrungen zum geschlossenen Geschichtsbild – Erlebnisberichte, Flugschriften und Chronistik
3.3.2 Konfessionelle Feindbilder und die konfessionalisierte Aachener Gesellschaft
4 Ergebnisse und Ausblick
4.1 Komplexe Geschichten Aachens im Konfessionellen Zeitalter
4.2 Gemischtkonfessionelle Gesellschaften außerhalb Aachens
Bibliographie
Personenregister
Sachregister
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Katholiken, Lutheraner und Reformierte in Aachen 1555-1618: Konfessionskulturen im Zusammenspiel. Dissertationsschrift
 9783161536342, 9783161586217, 3161536347

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Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin) Matthias Pohlig (Münster), Eva Schlotheuber (Düsseldorf)

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Thomas Kirchner

Katholiken, Lutheraner und Reformierte in Aachen 1555–1618 Konfessionskulturen im Zusammenspiel

Mohr Siebeck

Thomas Kirchner, geboren 1982; 2002–07 Studium der Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Soziologie; 2008–13 Dissertationsprojekt am LfG Geschichte der FNZ der RWTH Aachen mit Unterstützung eines RWTH-Stipendiums der Neuman&Esser Stiftung der Familie Peters; seit 2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am LfG Geschichte der FNZ der RWTH Aachen.

Gedruckt mit Unterstützung der Neuman&Esser Stiftung der Familie Peters, Aachen D 82

(Diss. RWTH Aachen University, 2013)

ISBN 978-3-16-153634-2 / eISBN 978-3-16-158621-7 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISSN 1865-2840 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Für Klaus

Vorwort Ende 2007 regten Prof. Dr. Christine Roll und Prof. Dr. Max Kerner an, die Geschichte der Reformierten und Lutheraner in Aachen während des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, aufzuarbeiten. Ich verdanke einem Stipendium der Neuman&Esser Stiftung der Familie Peters, dass ich diesen Vorschlag aufgreifen und zu der vorliegenden Studie ausbauen konnte. Herrn Klaus Peters darf ich dafür danken, dass er sich nicht nur für die fortgesetzte Förderung meiner Arbeit eingesetzt hat, sondern das Projekt auch mit persönlichem Interesse verfolgte. Prof. Dr. Christine Roll hat die Betreuung und Begutachtung der Arbeit übernommen. Ihr verdanke ich ein außerordentliches Maß an intellektueller Anregung und hilfreicher Kritik. Für die Übernahme des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Heinz Schilling. Prof. Dr. Armin Heinen übernahm dankenswerter Weise den Vorsitz der Prüfungskommission. Prof. Dr. Volker Leppin und Prof. Dr. Matthias Pohlig danke ich für die Empfehlung, meine Arbeit in die Reihe „Spätmittelalter, Humanismus, Reformation“ aufzunehmen. Die Arbeit hätten nicht voranschreiten können, ohne die vielfältigen Beiträge von Kolleginnen und Kollegen. Zuvorderst habe ich Prof. Dr. Frank Pohle, Katja Eßer, Thomas Richter und Johanna Görgemanns zu danken. Unmöglich wären meine Recherchen ohne die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den benutzten Archiven gewesen. Insbesondere konnte ich auf den Sachverstand und die zuvorkommende Hilfe im Stadtarchiv Aachen und im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland nicht verzichten. Mein größter Dank gilt meiner Familie. Diese Arbeit ist auch das Ergebnis ihrer über Jahre ungebrochenen Bereitschaft, mir Freiräume, Ermutigung und Unterstützung zukommen zu lassen. Die vorliegende Arbeit wurde unter dem Titel „Zusammenleben als Herausforderung. Die interaktive Konfessionalisierung der Reichsstadt Aachen“ im Wintersemester 2013/2014 von der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde die Arbeit insgesamt leicht überarbeitet und besonders im ersten Teil gekürzt. Das Schlusskapitel wurde erweitert. Aachen, September 2014

Thomas Kirchner

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung – Aachen als konfessionelle Stadt . . . . . . . . . . . . 1.1 Forschungsstand und Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Forschung zur lokalen Religions- und Reformationsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Aachen als Gegenstand der Forschung zum Konfessionellen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Aachen als Gegenstand der Forschung zu Stadtreformation und Konfessionalisierung . . . . . . . 1.1.4 Interaktive Konfessionalisierung Aachens . . . . . . . . 1.2 Fragestellung, Methoden und Gliederung . . . . . . . . . . . 1.3 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Quellen zur politischen Auseinandersetzung über die Causa Aquensis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Quellen zum Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Die politischen Auseinandersetzungen mit der Causa Aquensis 1524 bis 1616 – Akteure, Themen, Argumente . . . . . . . . . . . 2.1 Die Grundlagen künftiger Auseinandersetzungen: Gegenreformation bei Gelegenheit (1524–1555) . . . . . . . . 2.2 Anlaufphase: Die Religion der Aachener wird Gegenstand der Reichspolitik (1550–1580) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Kritik Wilhelms V. an der Religionspolitik Aachens und die künftige Rolle der Jülicher Herzöge . . . . . . . . . 2.2.2 Die Berufung der Aachener auf die Confessio Augustana auf dem Augsburger Reichstag von 1559 . . . . . . . . 2.2.3 Ein protestantischer Bürgermeister, protestantische Einwanderer und eine katholische Stadtverfassung – Zugespitzte Religionskonflikte in Aachen bis 1560 . . . 2.2.4 Gefährliche Glaubensflüchtlinge: Aufschwung eines Arguments während des niederländischen Aufstands . .

4 11 21 32 33 38 38 41 44 44 51 51 56 65 77

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Inhaltsverzeichnis

2.2.5 Die Ratsübereinkunft von 1574: Das Primat der Friedenswahrung und die Einführung des Konfessionsbegriffs in die Stadtpolitik . . . . . . . . . . 2.2.6 Konfessionskirchen als Ideengeber und Mitglieder politischer Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Ergebnisse: Entscheidende Umbrüche, religionsrechtliche Argumente und konfessionspolitische Netzwerke . . . . 2.3 Strukturelle Verfestigung und Institutionalisierung der politischen und konfessionellen Konflikte in Stadt, Region und Reich (1580 bis 1598) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Ratsspaltung, kaiserliche Kommissionen und konfessionspolitische Bündnisse – Die ‚Aachener Sache‘ zwischen 1580 und 1584 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Die Spaltung des Aachener Rates 1581 und die Reaktion Rudolfs II. . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Anbindung von protestantischem Stadtregiment und katholischer Opposition an religionspolitische Netzwerke bis 1584 . . . . . . 2.3.1.3 Die Politik des protestantisch dominierten Stadtregiments und des katholischen Exilregiments bis zum Reichstag von 1582 . . . 2.3.2 Die Causa Aquensis auf dem Augsburger Reichstag von 1582 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Festschreibung der Uneindeutigkeit 1584 . . . . . . . . 2.3.4 Auseinandersetzungen über eine entschiedene Sache: Die Diskussion nach dem Endurteil in der Causa Aquensis . 2.3.5 Ergebnisse: Reichspolitische Konventionen als Alternative zum Konfessionalismus . . . . . . . . . . . 2.4 Ausweitung und Polarisierung der Auseinandersetzungen (1598 bis 1616) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Der Exekutionsprozess und die Verhandlungen über die Achtlösung als Keim neuer Konflikte . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Etablierung des restituierten Stadtregiments . . . . 2.4.3 Obrigkeit der Reichsstadt Aachen in Beziehung zu den benachbarten Fürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 „Aachener Wirren“. Städtische Unruhen im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen um Aachen . . . . . 2.4.4.1 Unruhige Bürger als politische Akteure . . . . . 2.4.4.2 Parität oder „Aequilibrium“ als politische Alternativen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 82 88 91 91 92 109 120 128 140 148 169 174 175 181 186 197 200 207

Inhaltsverzeichnis

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2.4.4.3 Zwischen Lutheranern und Reformierten – Zwischen Union und Liga . . . . . . . . . . . . 212 2.4.5 Ergebnisse: Die Konfessionelle Polarisierung der ‚Aachener Sache‘ unter dem Eindruck eines Zwangs zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3 Zusammenleben einer Bürgergemeinde und drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Obrigkeit, Zünfte und Kirchen – Träger des konfessionellen Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Stadtregiment und Bürgerschaft als Gestalter des städtischen Religionswesens . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.1 Das Bekenntnis des Bürger als Problem der Politik von Gemeinde, Gaffeln und Rat . . . . . 3.1.1.2 Sozialstrukturelle Grundlagen der konfessionellen Spaltung . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Möglichkeiten und Grenzen der obrigkeitlichen Religionspolitik in der Reichsstadt Aachen . . . . . . . 3.1.2.1 Keine trikonfessionelle Kirchenordnung – Obrigkeitliche Regeln zum Aachener Religionswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Das Aachener Sendgericht. Eine Institution obrigkeitlicher Sittenzucht und der Gegenreformation? . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3 Religionspolitische Zurückhaltung, überkonfessionelle Ratspolitik und die Autorität des Stadtregiments . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.4 Ergebnisse: Obrigkeitliche Religionspolitik als Voraussetzung dreifacher Konfessionsbildung . . 3.1.3 Konfessionskirchliche Spielräume und Zwänge bei der Gestaltung des interkonfessionellen Zusammenlebens . 3.1.3.1 Reformierte und Lutheraner: Etablierte Freiwilligenkirchen mit gehemmtem konfessionellen Geltungsanspruch . . . . . . . . 3.1.3.2 Protestantische Konfessionskirchen und Rat – Zusammenarbeit und Abhängigkeiten . . . . . . 3.1.3.3 Kirchenzucht, Gottesdienst, Bildungswesen und die Abgrenzung der Konfessionskirchen . . . . . 3.1.3.4 Das Marienstift: Institutionell gesicherte katholische Kirche mit Drang zur Selbstbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . .

219 219 220 222 241 263 264 282 297 308 309 311 325 342 363

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Inhaltsverzeichnis

3.1.4 Ergebnisse: Religionspolitische Zurückhaltung als Grundlage des friedlichen Zusammenlebens . . . . . . . 3.2 Erfahrungsgemeinschaften der gemischtkonfessionellen Stadt 3.2.1 Die gemischtkonfessionelle Bürgergemeinde als christliche Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Das gesellschaftliche Leben in den Gaffeln . . . 3.2.1.2 Repräsentationen reichsstädtischer Ordnung unter wechselnder Obrigkeit . . . . . . . . . . . 3.2.2 Zwischen Abgrenzung der Konfessionskirchen und konfessioneller Vereinnahmung der Bürgergemeinschaft 3.2.2.1 Reformierte zwischen Öffentlichkeits- und Untergrundkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Die Lutheraner: Zurückgestelltes Streben nach der vollen Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 Traditionelles Religionsleben und die neue konfessionelle Identität der Katholiken . . . . . 3.2.3 Ergebnisse: Verbindende und polarisierende Erfahrungen in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen . . . 3.3 Von Katholischer Reichsstadt und verfolgten Protestanten: Konfessionelle Geschichtsbilder und Konfessionskulturen in Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Von Krisenerfahrungen zum geschlossenen Geschichtsbild – Erlebnisberichte, Flugschriften und Chronistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Konfessionelle Feindbilder und die konfessionalisierte Aachener Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

377 379 380 380 391 395 395 400 407 414 417 419 438

4 Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 4.1 Komplexe Geschichten Aachens im Konfessionellen Zeitalter . 444 4.2 Gemischtkonfessionelle Gesellschaften außerhalb Aachens . . 453 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501

1 Einleitung – Aachen als konfessionelle Stadt Wie lässt sich die Reichsstadt Aachen im Konfessionellen Zeitalter treffend charakterisieren? Aachen war eine katholische Reichsstadt, war aber auch Schauplatz einer ‚späten‘ und ‚gescheiterten‘ Stadtreformation. Die Stadt war ein wichtiger Stützpunkt der reformierten Kirche im Nordwesten des Reiches, Schauplatz einer erfolgreichen katholischen Reform und ein Ort konfessioneller Parteikämpfe.1 Die Liste der Versuche, die Religions- und Reformationsgeschichte der Reichsstadt Aachen im 16. und frühen 17. Jahrhundert in eine griffige Formulierung zu fassen, ließe sich noch fortsetzen. Eine zufriedenstellende Lösung für das Problem gibt es nicht. So vielfältig und zum Teil auch widersprüchlich die Charakterisierungen der politischen 1 Aachen firmiert bei Wilfried Enderle, Rottweil und die katholischen Reichsstädte im Südwesten, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 214–231, hier: S. 225 als einzige Reichsstadt im Norden des Reiches neben Köln, die sich der Reformation verschlossen habe. Johann Friedrich Goeters sieht in Aachen und Köln die Zentren des reformierten Synodalverbandes am linken Niederrhein – vgl. Johann Friedrich Gerhard Goeters, Die Entstehung des rheinischen Protestantismus und seine Eigenart, in: Johann Friedrich Gerhard Goeters (Hrsg.), Studien zur niederrheinischen Reformationsgeschichte. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 153.) Köln 2002, S. 127–186, hier: S. 174 und Johann Friedrich Gerhard Goeters, Die konfessionelle Entwicklung innerhalb des Protestantismus im Herzogtum Kleve, in: Johann Friedrich Gerhard Goeters (Hrsg.), Der Niederrhein zwischen Mittelalter und Neuzeit. Referate der 4. Niederrhein-Tagung des Arbeitskreises niederrheinischer Kommunalarchivare, 8. und 9. November 1985 im Heimatmuseum Wesel/Bislich. Wesel 1986, S. 142–168, hier: S. 204. Zuvor hatten sich bereits Willem Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik en vooral te Maastricht. Bd. 2: 1557–1612. ’s-Gravenhage 1941, hier: S. 451 und Moriz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1648). Bd. 1: 1555–1586. 2. Aufl. Darmstadt 1962, hier: S. 556 ähnlich geäußert. Am Rande seiner Studie zur Reformation in Colmar charakterisierte Kaspar von Greyerz auch die Entwicklungen in Aachen als „late city reformation“ – vgl. Kaspar von Greyerz, The Late City Reformation in Germany. The Case of Colmar 1522–1628. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 98.) Wiesbaden 1980. Die Beschreibung von Konfessionskämpfen dominierte für lange Zeit die gesamte Geschichtsschreibung zu Aachen im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Vgl. dazu S. 5 ff. Die Erfolge der katholischen Reform in Aachen beschreibt August Brecher, Die kirchliche Reform in Stadt und Reich Aachen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 80/81.) Münster 1957.

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Einleitung

und religiösen Entwicklungen in Aachen erscheinen, so deutlich verweisen sie auf die wechselhafte Geschichte der Reichsstadt im Konfessionellen Zeitalter.2 In Aachen lebten seit etwa 1550 Katholiken, Reformierte und Lutheraner. Ihr Zusammenleben prägte die Geschichte der Reichsstadt bis 1616 maßgeblich. In fortwährender Auseinandersetzung miteinander gestalteten katholische, reformierte und lutherische Einwohner Aachens ihre Konfessionskirchen und ihr Religionsleben. Sie machten ihre Stadt zur Wirkungsstätte dreier christlicher Gemeinden und Konfessionskirchen, deren Akteure sich wechselseitig anstießen, behinderten, bekämpften oder duldeten. Die religiösen und politischen Konflikte in der Reichsstadt Aachen erlangten als die ‚Aachener Sache‘, als Causa Aquensis, die am kaiserlichen Hof verhandelt wurde, und später als die ‚Aachener Wirren‘, als scheinbar anhaltende politische und religiöse Unruhen in der Kaiserstadt, reichsweite Bekanntheit und politische Brisanz. Auswärtige Akteure begannen, die Entwicklungen in Aachen mit ihrer konfessionalistischen Politik zu beeinflussen. Die Akteure inner- und außerhalb Aachens entfalteten eine Dynamik, welche Religion, Kultur, Gesellschaft und Politik deren Stadt prägte. Bisherige Untersuchungen der Aachener Geschichte im Konfessionellen Zeitalter erfassen einen Aspekt dieser Entwicklung nur unzureichend: Das dauerhafte, nicht nur streitende Miteinander von Bewohnern der Stadt, die sich zur katholischen, lutherischen oder reformierten Religion bekannten. Mit Blick auf eben diesen Aspekt der Aachener Geschichte lassen sich die Formen und Folgen der Interaktionen von drei Konfessionsgruppen auf der engen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Bühne einer Stadt beobachten. Verschiedene Bekenntnisgruppen und ihre gemeinsame städtische Gesellschaft konfessionalisierten sich neben-, mit- und gegeneinander. Aa2 Die ereignisgeschichtlichen Meilensteine der Aachener Geschichte zwischen 1550 und 1616 stellen sich wie folgt dar: Seit etwa 1550 wurden lutherische und reformierte Konfessionskirchen neben der katholischen aufgebaut; 1560 schloss der Rat nicht-katholische Bürger vom Stadtregiment aus; 1574 wurden Protestanten wieder zu Rat und Ämtern zugelassen; 1581 erhoben sich bewaffnete Bürger nach der Abspaltung einer Gruppe katholischer Ratsherren vom übrigen Rat; 1581–1598 bestand eine Mehrheit aus Reformierten und Lutheranern unter den Ratsherren und Amtsträgern; 1593 erklärte ein kaiserliches Urteil das mehrheitlich protestantische Stadtregiment für unrechtmäßig; 1598 wurde das Urteil von 1593 vollstreckt und ein katholisches Stadtregiment eingesetzt; 1611–1614 übernahmen Protestanten nach einem Aufstand das Stadtregiment; 1614–1616 wurde ein kaiserliches Urteil gegen das Stadtregiment vollstreckt, die endgültige Rekatholisierung der Stadt begann. So prägnant zusammengefasst finden sich die Ereignisse der Aachener Geschichte im Konfessionellen Zeitalter bei Hansgeorg Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 98/99 (1992/1993), S. 185–204 auf Grundlage des damals gültigen und seitdem nicht wesentlich erweiterten Forschungsstands.

Einleitung

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chen wurde eine konfessionelle Stadt, ohne dass die Stadtgemeinde im Sinne eines einzigen Bekenntnisses konfessionalisiert wurde. Im Verlauf dieser Entwicklung stießen die Akteure an die Grenzen einer solchen interaktiven „Mehrfachkonfessionalisierung“3 und an die Grenzen der Möglichkeiten für drei Konfessionsgruppen, friedlich zusammenzuleben. Die vorliegende Studie lotet aus, warum diese Grenzen 1614 erreicht waren. Warum scheiterten die Aachener an der Herausforderung, ihr Zusammenleben friedlich zu gestalten, als die innerstädtischen Spannungen in den Jahren 1611 bis 1614 eskalierten, als endgültig eine katholische Obrigkeit restituiert wurde und als die Rekatholisierung der Stadt zu Beginn des 30-jährigen Krieges beschlossenen Sache war? Als Antwort auf diese Frage soll nicht beschrieben werden, wie Obrigkeit, Bürger und Kirchen in Aachen gleichsam automatisch dem von Wolfgang Reinhard postulierten strukturellen und die Epoche bestimmenden „Zwang zur Konfessionalisierung“4 unterlagen. Tendenzen zur konfessionellen Polarisierung Aachens werden vielmehr mit ihren Unvollkommenheiten und Widersprüchen als Ergebnis der Entscheidungen, Auseinandersetzungen und Erfahrungen der Akteure begriffen, die sich bis 1614 in der Stadt Aachen, in der benachbarten Region und im Rahmen der Reichspolitik mit den konfessionellen Entwicklungen in der Kaisersstadt befassten. Insgesamt geht es nicht darum, die Brüche und Widersprüche der Aachener Geschichte im Konfessionellen Zeitalter zu glätten oder sie durch die Überhöhung einzelner Aspekte der historischen Entwicklung zum dominanten oder entscheidenden Prozess in den Hintergrund zu rücken. Die Ungereimtheiten in unserem Verständnis der Aachener Geschichte entsprechen komplexen Erfahrungen und Wirklichkeitsdeutungen der Zeitgenossen in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen. Politische Unwägbarkeiten, gegensätzliche politische und juristische Positionen, unterschiedliche religiöse Praktiken und Glaubensinhalte machen die Aachener Geschichte aus. 3 Zu Konzepten von Konfessionalisierungsprozessen in gemischtkonfessionellen Gesellschaften und ihrer Bedeutung für dieses Studie vgl. die Ausführungen zu den einschlägigen Arbeiten von Ute Lotz-Heumann und Krista Zach auf S. 31. 4 Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für historische Forschung 10.3 (1983), S. 257–277. Thomas Kaufmann, Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, in: Kaspar von Greyerz (Hrsg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 201.) Gütersloh 2003, S. 9–15, hier: S. 12 fasst zusammen, wie die Festlegung der Konfessionsforschung auf die These von der notwendigen Abgrenzung der Konfessionen möglicherweise Erkenntnisse verstellt. Weitere Untersuchungen und Kritikpunkte zur Konfessionalisierungsthese werden unten auf S. 21 ff. diskutiert.

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Die Untersuchung wird Aachen nicht als weiteren Typus oder ‚Sonderfall‘ städtischer Reformations- und Konfessionalisierungsgeschichte profilieren, sondern soll zum Verständnis der Interaktionen zwischen verschiedenen Konfessionsgruppen und der Konfessionalisierung in frühneuzeitlichen Städten insgesamt beitragen.

1.1 Forschungsstand und Desiderate 1.1.1 Forschung zur lokalen Religions- und Reformationsgeschichte Auf dem Weg zu einem solchen Verständnis stehen Forschungsprobleme aus dem Bereich der Religions- und Kirchengeschichte sowie auch zur politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung Aachens. In der Forschung zur Reichsstadt Aachen fehlt es besonders an Arbeiten, welche diese Bereiche zusammenhängend untersuchen. Eine Studie über die Bedeutung des Zusammenlebens dreier Konfessionsgruppen in Aachen im gesamten Zeitraum von 1555 bis 1618 fehlt. So konnten mittel- und langfristige Entwicklungen wie der Prozess der konfessionellen Polarisierung von Politik, Gesellschaft und Kultur in Aachen nicht ausreichend untersucht werden. Bisher liegen zahlreiche Arbeiten zu einzelnen Aspekten, Ereignissen oder Abschnitten der religionspolitischen Auseinandersetzungen in Aachen vor. Die lokalhistorische Forschung wird durch drei miteinander verbundene Hypotheken daran gehindert, ein zusammenhängendes Verständnis der Geschichte Aachens zwischen der Mitte des 16. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts zu erarbeiten. Die erste Belastung besteht in der vergleichsweise schlechten Quellenlage. Sie betrifft nicht nur die Reformations- und Kirchengeschichte, sondern ist auch mit dafür verantwortlich, dass keine moderne, allgemeine Stadtgeschichte Aachens vorliegt und die wünschenswerte verfassungs-, bevölkerungs- und personengeschichtliche sowie auch stadttopographische Basis für speziellere Fragestellungen nur rudimentär gelegt ist:5 Der Ver5

Die ältere Arbeit Friedrich Haagen, Geschichte Achens von seinen Anfängen bis zur neusten Zeit. Bd. 2. Aachen 1874, der Sammelband Albert Huyskens (Hrsg.), Aachener Heimatgeschichte. Aachen 1924 und der ereignisgeschichtliche Abriss Bernhard Poll (Hrsg.), Geschichte Aachens in Daten. Aachen 1960 können ein solches stadtgeschichtliches Kompendium nicht ersetzen. Noch problematischer als die Benutzung der als stadthistorische Überblicke angelegten Arbeiten ist die Arbeit mit dem Fundus nur lose verknüpfter Daten zur Verfassung, Demographie, Genealogie und Topographie in einer Reihe älterer genealogischer und lokaler, historistischer Einzelstudien. Als besonders materialreiche und deswegen bis heute unverzichtbare Arbeiten dieser Art seien hier ohne jeden Anspruch auf vollständige Auflistung der älteren Forschung folgende genannt: Hermann Ariovist von Fürth, Beiträge und Material zur Geschichte der Aa-

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lust von Archivalien des reichsstädtischen Magistrats, vor allem durch den Aachener Stadtbrand von 1656, verschloss den Königsweg der reformationshistorischen Forschung über das Handeln der verantwortlichen Obrigkeit.6 Die zeitgenössischen Chroniken7 sind damit in der Forschungsdiskussion weiterhin unumgänglich, wurden aber oft nicht ausreichend kritisch ausgewertet. Darin besteht die zweite Hypothek. Hermann Friedrich Macco, der Exponent der frühen, explizit protestantischen Aachener Reformationsforschung ging pauschal davon aus, dass die Chroniken Johann Noppius’ und Petrus von Beecks aufgrund ihrer Voreingenommenheit für die katholische Partei kaum zu gebrauchen seien.8 Diese generelle Kritik verkennt allerdings, dass die beiden Chronisten nicht einfach eine gegebene katholisch-konfessionalistische Perspektive auf die Geschehnisse in Aachen einnahmen, sondern mit ihren Werken selbst noch zur Konstruktion einer solchen konfessionellen Perspektive beitrugen. Dass Macco die in den Chroniken bezogene katholische Position als gegeben, ja natürlich hinnahm, verweist auf die dritte Hypothek der älteren religionsgeschichtlichen Forschung. Protestantische wie katholische Autoren gingen für den gesamten Zeitraum von 1550 bis 1616 von einer umfassenchener Patrizier-Familien. 3 Bde. Aachen/Bonn 1882–1890; Hermann Friedrich Macco, Aachener Wappen und Genealogien. Ein Beitrag zur Wappenkunde und Genealogie Aachener, Limburger und Jülicher Familien. 2 Bde. Aachen 1907–1908 und Christian Quix, Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Aachen und ihrer Umgebungen. Köln/Aachen 1829. 6 Zur grundlegenden Bedeutung der Ratsakten für die Erforschung der städtischen Reformation s. u. S. 38. 7 In die Reihe der Chroniken von Beeck und Noppius (Petrus à Beeck, Aquisgranum sive Historica Narratio, de Regiae S. R. I. & Coronationis Regum Rom. Sedis Aquensis Civitatis origine ac progressu. Aachen 1620; Johann Noppius, Acher Chronik. Zusammen getragen und publicirt von erster Stifftung und Fundation obgemelter Statt biss an das Jahr unsers Erlösers MDCXXX. Köln 1632; für die Arbeit wurde der Neudruck Johann Noppius, Aacher Chronick. Aachen 1774 benutzt.) lässt sich auch das Geschichtswerk Johann Chapeaville, Qui Gesta Pontificvm Tvngrensivm, Traiectensivm, et Leodiensivm Scripservnt, Avctores Præcipvi, Ad seriem rerum & temporum collocati, ac in tomos distincti. Bd. 3. Lüttich 1616 hinzufügen. Chapeaville befasst sich zwar nicht hauptsächlich mit der Aachener Geschichte, bediente sich an den entsprechenden Stellen seiner Erzählung aber dennoch pointiert spezifisch katholischer Deutungsmuster der Entwicklungen in der Reichsstadt. Ähnlich ist Lambert Du Chasteau, Historia Collegij Aquisgranensis Soc. Jesu Ab initio ad annum MDCCXXIX, in: StAAa, KJesuiten 20 einzuordnen, der insbesondere von den Ereignissen der Jahre 1611–1614 ein jesuitisches Geschichtsbild entwirft, das als Hinweis auf die konfessionell geprägten Wahrnehmungen der Zeitgenossen gelesen werden kann. Das Geschichtswerk von Karl Franz Meyer, Aachensche Geschichten. Mülheim/Aachen 1781 zählt hingegen mit seinen Ausführungen zum 16. und 17. Jahrhundert nicht mehr zu den zeitgenössischen Chroniken. 8 Vgl. Hermann Friedrich Macco, Zur Reformationsgeschichte Aachens während des 16. Jahrhunderts. Aachen 1907, hier: S. 4.

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den Konfrontation zwischen einer katholischen und einer protestantischen ‚Partei‘ aus. Die Auseinandersetzungen um die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen verstanden sie als einen allein um die Vorherrschaft einer der beiden Religionsparteien ausgetragenen Streit. Veränderte Bevölkerungsanteile der Konfessionsgruppen, Verschiebungen der konfessionellen Dominanz im Stadtregiment und politische Interventionen von Akteuren aus Reich und Region hätten die entscheidenden Machtverschiebungen im Verlauf dieses Konflikts herbeigeführt. In Zuge dessen wiesen zwar die allermeisten Studien auf die grundsätzliche Bedeutung des Städteartikels des Augsburger Religionsfriedens für die Causa Aquensis hin, beließen es aber zumeist dabei ihr Urteil dazu abzugeben, welche der streitenden Parteien in Aachen nach dem Reichsreligionsrecht und dem Städteartikel des Reichstagsabschieds von 1555 im Recht gewesen wären. Die Autoren der älteren Forschungsliteratur engagierten sich also als Apologeten ihrer jeweils eigenen Konfession und deren Auslegung des Religionsrechts.9 Das skizzierte Grundverständnis der konfessionellen Auseinandersetzungen um Aachen wirkte sich auf die gesamte ältere Forschung zur Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter aus. So konzentrierten sich Spezialstudien zu den im engeren Sinne politischen Aspekten der Auseinandersetzungen zunächst auf innerstädtische Konflikte. Besonders den Aufständen von 1581 und 1611 wurde aus dieser Perspektive übermäßige Bedeutung zugeschrieben.10 Ein Ergebnis dieser Forschungen ist ein Verlaufsmodell, das 9 Im Fall der Auseinandersetzung des protestantischen Genealogen und Lokalhistoriker Hermann Friedrich Macco mit seinem katholischen Gegenspieler Ignatz Fey führte dieser Drang zur nachträglichen Rechtfertigung der eigenen Kirche auch dazu, dass Quellen willkürlich in Hinsicht auf das erwünschte Untersuchungsergebnis selektiert wurden. In einer Reihe von Veröffentlichungen polemisierten Macco und Fey offen gegeneinander: Vgl. Hermann Friedrich Macco, Die reformatorische Bewegung während des 16. Jahrhunderts in der Reichsstadt Aachen. Aachen 1900, Ignatz Fey, Zur Geschichte Aachens im 16. Jahrhundert. Aachen 1905 und Macco, Zur Reformationsgeschichte Aachens während des 16. Jahrhunderts. Die konfessionellen Vorurteile schränken zusammen mit den – heutigen Standards nicht entsprechenden – Verfahren der genannten Autoren beim Nachweis von Quellen und Literatur sowie mit den nicht zeitgemäßen Fragestellungen und Methoden die Belastbarkeit ihrer Ergebnisse trotz des Materialreichtums ihrer Studien erheblich ein. Ähnliche Einschränkungen gelten auch für ältere allgemeinhistorische Studien zur Aachener Lokalgeschichte, deren Informationen zu den konfessionellen Verhältnissen in der Reichsstadt heute zum Teil nicht mehr überprüfbar sind. 10 Vgl. vor allem Joseph Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 10 (1888), S. 222–237 und Aloys Wessling, Die konfessionellen Unruhen in der Reichsstadt Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts und ihre Unterdrückung durch den Kaiser und die Spanier im Jahre 1614. Diss. Straßburg 1905 sowie auch Mathias Classen, Die konfessionelle und politische Bewegung in der Reichsstadt Aachen zu Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 28 (1906), S. 286–442. Die Konzentration

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einander abwechselnde Phasen katholischer und protestantischer Herrschaft in der Reichsstadt Aachen nachzeichnet. Die regional- und reichspolitischen Komponenten der Auseinandersetzung um Aachen bewertete die ältere Forschung danach, wie entschlossen und erfolgreich verschiedene Reichsstände und Fürsten aus Reich und Region sowie der Kaiser und die Reichsinstitutionen ihren Glaubensgenossen in Aachen zur Seite standen. Demnach habe die mangelnde Durchsetzungskraft Kaiser Rudolfs II. dazu geführt, dass nach der ‚Machtübernahme‘ durch Reformierte und Lutheraner von 1581 erst 1598 wieder ein katholisches Regiment eingesetzt wurde. Auf der anderen Seite hätten die protestantischen Reichsstände die Aachener Protestanten nur unzureichend unterstützt. Der mangelnde Rückhalt für die protestantische Partei wurde mit der politischen Schwäche der protestantischen Reichsstädte und mit der Weigerung der ‚lutherischen‘ Fürsten, die als ‚Calvinisten‘ erkannten protestantischen Akteure in Aachen zu unterstützen, erklärt.11 Das konfessionelle ‚Blockdenken‘ beeinflusste auch die Erforschung der einzelnen Konfessionskirchen in Aachen. In erster Konsequenz führte es dazu, dass die Geschichte der Konfessionsgruppen nur getrennt voneinander begriffen wurde. Verschiedene Studien zeichnen die Entstehung, die Organisationsformen und Teilaspekte des alltäglichen Religionslebens der bürgerlich-reformierten Gemeinde und der lutherischen Gemeinde nach.12 Dabei fungierte die Geschichte der reformierten Kirche als pars pro toto für die Entwicklung aller evangelischer Religionsgemeinschaften in Aachen. Ihre der älteren Forschung auf politische Krisenzeiten machte bereits Frank Pohle, Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601–1817). (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 29.) Münster 2010, hier: S. 53–54 aus. 11 Vgl. Heinrich Pennings, Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städtetage zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582. Zur Vorgeschichte des Augsburger Reichstages 1582, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 27 (1905), S. 25–108. Hier sind insbesondere die Einschätzungen des Autors auf den S. 62 und 105 von Interesse. Pennings sah die Causa Aquensis angesichts der politischen grundlegenden Spaltung der protestantischen ‚Partei‘ im Reich schon 1582 zu Gunsten der Katholiken entschieden. 12 Zur reformierten Gemeinde vgl. die noch immer grundlegenden Studien von Walther Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen, in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 6, 7 u. 9 (1903, 1905 u. 1907), S. 95–109, 69–103 u. 50–103. Die Aachener Lutheraner behandelt Joseph Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts. In: Beiträge zur Geschichte von Aachen. v. Joseph Hansen. Bd. 1. Bonn 1886, Kap. 2, S. 21–80. Eine jüngere Zusammenfassung aller wesentlichen Ergebnisse der bisherigen Forschung zu den evangelischen Gemeinden in Aachen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts – aber keine darüber hinausgehenden Erkenntnisse – liefert Dietmar Kottmann, Die Anfänge der Reformation in Aachen, in: Uwe Rieske-Braun (Hrsg.), Protestanten in Aachen. 200 Jahre Evangelische Annakirche. Aachen 2003, S. 64–90.

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Geschichte spiegelte die Übergänge von einer verfolgten Untergrundkirche zum Genuss der öffentlichen Religionsausübung und zurück zu einer Gemeinde ‚unter dem Kreuz‘ wider. Die ältere lokale Reformationsgeschichtsschreibung datierte diese Übergänge zeitgleich mit den politischen Machtwechseln. Der Wechsel zwischen protestantischen und katholischen Magistraten bedeutete demnach automatisch auch den Wechsel zwischen Reformation und Gegenreformation.13 Die bis heute grundlegenden Arbeiten Walther Wolffs zur deutsch-reformierten Gemeinde sind, ganz in diesem Sinne, vor allem um die Würdigung einer Reihe von Predigerpersönlichkeiten bemüht, welche die reformierte Kirche im Verlauf dieser wechselhaften Geschichte zunächst aufbauten, dann stärkten, auch über Krisenzeiten hinweg stabilisierten und die schließlich unter der Unterdrückung der evangelischen Religion zu leiden hatten.14 Die lutherische Kirche wurde ebenfalls in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der religionspolitischen Rahmenbedingungen untersucht, sodass in der einschlägigen Studie Joseph Hansens die kirchliche Entwicklung der Lutheraner in Aachen in Vergleich zu ihrer Position in den konfessionellen Auseinandersetzung in den Hintergrund rückte. Ausgehend von der Prämisse, dass nur die Lutheraner sich mit Recht auf den Augsburger Religionsfrieden berufen konnten, während die Reformierten dazu einer dissimulierenden Berufung auf die Confessio bedurft hätten, stellte Hansen die politischen und theologischen Abgrenzungsbemühungen der Aachener Lutheraner von den Reformierten in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Die Entwicklung der katholischen Kirche in der Reichsstadt Aachen und ihrem Umland im 16. und 17. Jahrhundert zeichnete August Brecher nach. Er formulierte das Ziel, „[. . . ] die kirchliche Aufbauarbeit im Aachener Raum während der Zeit der Kirchenreform aufzuzeigen.“15 . Dementsprechend beurteilte er die Ausbreitung protestantischer Religiosität und das Religionsleben der Jahre unter den protestantisch dominierten Stadtregimentern als Niedergangserscheinungen. Die katholische Partei in Aachen hätte sich dieser Schwächung der katholischen Kirche zunächst entgegengestellt und sie verlangsamt, bevor ab 1598 die katholische Reform eingesetzt habe und der Glaube erneuert worden sei. Dennoch ist seine Studie, abgesehen von den diskutierten Einschränkungen, wertvoll. Der Autor bringt umfassende Kenntnisse der lokalen kirchen- und religionsgeschichtlichen 13 Dem beschriebenen Konzept folgen die Ausführung von Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 407 ff. zu den Protestanten in Aachen besonders eindeutig. 14 Beispielhaft für dieses Auslegung: Walther Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen. Hauptsächlich nach bisher unbennutzten Quellen (Abschnitte I–II), in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 6 (1903), S. 95–109, hier: S. 95. 15 Vgl. Brecher, Die Kirchliche Reform, hier: S. 1.

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Literatur und umfangreiche Untersuchungen der zeitgenössischen Chroniken und der katholisch-kirchlichen Quellen ein. Gleichzeitig reproduziert Brecher aber die aus der älteren Forschung bekannte Interpretation der frühneuzeitlichen Aachener Geschichte als Abfolge von Konfessionskämpfen. Seine Arbeit steht damit stellvertretend für die fortgesetzte Dominanz alter Fragen, Themen, Methoden und Interpretationsmuster bei der Erforschung der Aachener Geschichte im Konfessionellen Zeitalter. Daraus sind spezifische Defizite hervorgegangen, die sich anhand einiger weiterer älterer und neuerer lokalhistorischer Studien beispielhaft und zusammenfassend aufzeigen lassen: Wie Brecher hat auch Hans Altmann in seiner Arbeit zu St. Foillan, der ältesten der vier Aachener Pfarrkuratien, zahlreiche Belege für die Gestaltung des Religionslebens der verschiedenen Konfessionsgruppen in Aachen gesammelt.16 Er deutet an, wie bedeutend Praxis und Wahrnehmung der öffentlichen, katholischen Religionsausübung für das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen waren. Anders als Brecher versucht er auch die Entwicklung der protestantischen Konfessionskirchen zu berücksichtigen, um ein Bild von den religiösen Verhältnissen in Aachen zu erlangen. Seine aus der älteren Literatur erarbeiteten Befunde ordnet und verknüpft er allerdings wiederum nach dem Schema von Reformation, Gegenreformation und Konfessionskämpfen. Darüber hinaus wird an vielen Stellen von Altmanns Arbeit deutlich, dass die lange Stagnation der Interpretationsmuster der Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter mittlerweile die Orientierung selbst in der Ereignisgeschichte und die Beurteilung verhältnismäßig eng begrenzter Zusammenhänge erschwert: Die Deutung als bitterer Konkurrenz- und Überlebenskampf der Bekenntnisse war bereits in den zeitgenössischen Chroniken von Beeck und Noppius in einer konfessionalistisch katholischen Perspektive angelegt. Spätestens mit den Arbeiten von Macco, Fey, Wolff und Hansen war eine protestantische und eine katholische Ausführung dieses Interpretationsmodells etabliert und in die moderne historische Wissenschaft überführt. Diese Arbeiten gaben die Richtung für die wenigen folgenden lokalhistorischen Arbeiten mit dem Anspruch einer umfassenden Darstellung der Aachener „Reformation“ oder „katholischen Reform“ vor. Zahlreiche Untersuchungen mit begrenzteren Gegenständen und ohne eigene Erklärung der Gesamtzusammenhänge orientierten sich an den Interpretationsmustern der genannten Monographien. Das gilt für Aufsätze zu einzelnen Episoden der religionspolitischen Auseinandersetzungen17 ebenso 16 Vgl. Hans Altmann, Die Pfarre St. Foillan in der Aachener Stadt- und Kirchengeschichte. Aachen 1997, hier: S. 999. 17 Vgl. allen voran: Pennings, Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städ-

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wie für Studien zu bestimmten Ereignissen, Akteuren oder Institutionen der katholischen oder protestantischen Kirchengeschichte.18 Vor allem Brecher und Altmann integrierten die Befunde der älteren Spezialstudien in die etablierte Erzählung der Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter. Auf diese Art und Weise wurden Faktenbehauptungen, die quellenmäßig schwach oder gar nicht zu belegen sind, tradiert und verfestigt. Die ‚Einführung der Reformation‘ 158319 gehört ebenso zu diesen hartnäckigen Erzählungen der Aachener Lokalgeschichte wie die ‚Zerstötetage zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582; Wessling, Die konfessionellen Unruhen in der Reichsstadt Aachen; Classen, Die konfessionelle und politische Bewegung in der Reichsstadt Aachen; Hans Altmann, Die konfessionspolitische Auseinandersetzung in der Reichsstadt Aachen in den Jahren 1612–1617 im Lichte neuer Quellen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 88/89 (1981/82), S. 153–181. Die besonders intensive Auseinandersetzung mit den Ereignissen der Jahre 1611 bis 1614 ist zugleich die Folge der Dramatik der politischen Verwicklungen dieser Jahre wie auch Ausdruck der Tendenz, die katholische Restitution von 1614 als quasi natürlichen Kumulationspunkt der Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter zu sehen und die Entwicklung der vorangegangenen Jahrzehnte ausgehend von der letzten Eskalation der konfessionspolitischen Auseinandersetzungen zu deuten. 18 Da zu den evangelischen Gemeinden nur wenige Arbeiten vorhanden sind, ist in diesem Zusammenhang vor allem an Studien zu den zahlreichen katholisch-kirchlichen Institutionen zu denken, von denen hier stellvertretend einige Arbeiten zu den vier Pfarrkuratien der Stadt genannt werden: Als weit über die engere Pfarrgeschichte hinausweisende Arbeit zu St. Foillan wurde Altmann, Die Pfarre St. Foillan in der Aachener Stadt- und Kirchengeschichtebereits genannt; August Brecher, Kirche und Pfarre St. Jakob. Der Weg einer Aachener Pfarrgemeinde in neun Jahrhunderten. Aachen 1995 macht die ältere Arbeit zu St. Jakob – J. Jaspers, Die Jacobskirche zu Aachen. Geschichte, Nachrichten und Urkunden. Aachen 1888 – nicht vollständig obsolet; zu St. Peter können Christian Quix, Geschichte der S. Peter-Pfarrkirche, des Spitals zum heiligen Martin, der ehemaligen Regulirherren-Kanonie, St. Anna-Kloster und des Synodalgerichts. Aachen 1836; Sebastian Planker, Der abtrünnige Mönch und Pfarrer von St. Peter zu Aachen, Heinrich Beyer von Capellen, in: Aus Aachens Vorzeit 1 (1888), S. 177–179 und Wolfgang Cortjaens, Kirchenschatz St. Peter zu Aachen. Sakrale Kunst aus vier Jahrhunderten im Spiegel der Pfarrgeschichte. Aachen 2003 herangezogen werden, ohne dass eine der Arbeiten eine umfassende Pfarrgeschichte wäre; zu St. Adalbert – gleichzeitig Stiftskirche und Pfarrkuratie – vgl. Hubert Gatzweiler, Das St. Adalbertstift zu Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 10 (1888), S. 22– 95. Zu St. Adalbert sowie anderen Stiften und Klöstern Aachens können neuerdings auch die Beiträge im Aachener Klosterbuch (Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009) herangezogen werden. Die Beiträge stellen den von der älteren Forschung vorgegebenen religionsgeschichtlichen Rahmen durchaus kritisch in Frage, können und wollen aber der lexikalischen Ausrichtung des Klosterbuchs folgend kein alternatives Deutungsmuster für die Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter entwickeln. 19 Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 193 hat bereits angedeutet, dass die Rede von einer Aachener Reformation in diesen Jahren unpassend ist.

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rung‘ der protestantischen Konfessionskirchen im Zuge der Restitution von 1598.20 Nicht nur problematische Faktenbehauptungen, sondern auch Inter- und Extrapolationen auf Grundlage der stellenweise sehr lückenhaften Quellenlage erstarrten, solange kaum neue Fragen gestellt wurden. So konnten schließlich bedenkliche Interpretationen und Wertungen bestehen, von denen an erster Stelle die Annahme präformierter und stabiler konfessioneller Parteien in den Auseinandersetzungen um Aachen zu nennen ist. Das einfache Phasenmodell, das die Zeit zwischen 1560 und 1614 anhand der Wechsel zwischen ‚protestantischen‘ und ‚katholischen‘ Magistraten einteilte, ist eine direkte Folge dieser Vorstellung. Die lokale Aachener Forschung zeigt damit ähnliche Merkmale, wie die Geschichtsschreibung zur Religion und Reformation im Rheinland der Frühen Neuzeit. Auch hier dominierten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Studien, die konfessionsspezifische Perspektiven einnahmen oder dem Paradigma der Konfessionskämpfe verhaftet waren.21 In jüngerer Zeit hat die Forschung zu Aachen und dem Rheinland allerdings neue Impulse von den Revisionen der Reichs- und Religionsgeschichte erhalten. Wie diese Impulse noch stärker als bisher aufgegriffen werden können, um das Verständnis des konfessionellen Zusammenlebens in Aachen zu verbessern, wird im Folgenden erörtert. 1.1.2 Aachen als Gegenstand der Forschung zum Konfessionellen Zeitalter Die Kontextualisierung der Aachener Geschichte mit Fragestellungen und Ergebnissen aktueller reformations-, stadt- oder reichsgeschichtlicher Studien stand in der Regel weit im Hintergrund der bisher diskutierten Studien. Aus diesem Grund kann der Eindruck entstehen, dass die Geschichte Aachens ein blinder Fleck der Forschung zum Konfessionellen Zeitalter ist.22 20 Die Vorstellung, die katholische Restitution habe einen starken Einschnitt in der Entwicklung der protestantischen Konfessionskirchen verursacht, fügte sich nahtlos in Wolffs Erzählung von Aufstieg, Blüte und Unterdrückung der reformierten Aachener Gemeinde. Walter Schmitz, Verfassung und Bekenntnis. Die Aachener Wirren im Spiegel der kaiserlichen Politik (1550–1616). (Europäische Hochschulschriften Reihe III, Bd. 202.) Frankfurt/Main 1983, hier: S. 234–235 nimmt analog dazu an, dass sich auch die konfessionspolitische Interessengruppe der Aachener Protestanten nach 1598 völlig neu habe organisieren müssen. 21 Stephan Laux, Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548). Fallstudie zu einer Strukturgeschichte landständischer Reformation (Neuss, Kempen, Andernach, Linz). Münster 2001, hier: S. 24 weist auf die Persistents von Interpretationen hin, die „dem Geist des Kulturkampfes“ verhaftet seien. 22 Vgl. Monique Weis, L’ intervention de l’archiduc Albert dans le conflict confessionnel à Aix-la-Chapelle. Un cas de „confessionnalisation“ de la politique étrangère des Pays-Bas espagnols au début du XVIIe siècle, in: Revue du nord 90 (2008), S. 701–715, hier: S. 701–702. Weis stellt fest: „[. . . ]malgrè son caractère si emblèmatique, le cas d’Aix-

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Das muss nicht so bleiben. Neue Forschungsergebnisse und Diskussionen zur Verfassung und zur Religionspolitik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, zu Entwicklung der Territorien im Nordwesten des Reichs, zur Stadtreformation, zu gemischtkonfessionellen Städten und zur Konfessionalisierung zeigen nützliche Wege auf, um die Aachener Geschichte in ein neues Licht zu rücken. Die Anknüpfungspunkte zwischen der Erforschung der Reichsstadt Aachen und den genannten Forschungsdiskussionen werden im folgenden diskutiert. Walter Schmitz hat in seiner Dissertation, welche die herausragende Rolle der kaiserlichen Politik für den Ausgang der Causa Aquensis hervorhebt, einen entscheidenden Beitrag zur Einordnung der Aachener Geschichte in die Reichsgeschichte geleistet.23 Der Autor berichtigt mehrere Fehleinschätzungen der älteren Forschung zu den politischen Auseinandersetzungen um die konfessionellen Verhältnisse in Aachen. Vier Aspekte sind unbedingt zu nennen: Erstens konnte er auf Grundlage der erstmals herangezogenen und systematisch ausgewerteten Wiener Archivalien zur Causa Aquensis Lücken und Fehler der politischen Ereignisgeschichte ausbessern. Das so gewonnene zuverlässige Orientierungswissen ist angesichts der Wechselhaftigkeit und Komplexität der Aachener Geschichte im Konfessionellen Zeitalter von hohem Wert. Zweitens zeigte er, dass die politischen Entwicklungen in Aachen nicht allein von Aachener Bürgermeistern, Amtsträgern und Ratsherren – gleich welcher Konfession – oder von oppositionellen Einwohnern der Stadt bestimmt wurden, sondern die am Hof Kaiser Rudolfs II. gestaltete Politik zur Causa Aquensis für alle entscheidenden politischen Einschnitte in der Entwicklung der Auseinandersetzung verantwortlich war. Drittens wies er nach, dass die politischen Auseinandersetzungen keinesfalls monothematisch auf die religiösen Verhältnisse und die konfessionellen Machtverhältnisse in Aachen ausgerichtet waren, sondern Konflikte um die Reichsverfassung und die politische Ordnung der Reichsstadt eine zentrale Rolle spielten. Ob allerdings das Themenspektrum der Auseinandersetzungen um Aachen mit dem Dualismus „Verfassung und Bekenntnis“ hinreichend beschrieben ist, bleibt offen. Viertens ordnet Schmitz die Auseinandersetzungen um die ‚Aachener Sache‘ in den Kontext der reichspolitischen Auseinanderla-Chapelle n’est abordé que dans quelques rares publications, il est quasi inconnu [. . . ]“. Dagegen trifft die Einschätzung bei Maximilian Lanzinner, Konfessionelles Zeitalter 1555–1618. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 10.) 10. Aufl. Stuttgart 2001. S. 1–203, hier: S. 144, man könne bei der Untersuchung städtischer Unruhen im 16. und 17. Jahrhundert auf das „[. . . ] gut untersuchte und wichtige Aachener Beispiel [. . . ]“ zurückgreifen, nur zu, wenn man sie tatsächlich nur für die Forschung zur Geschichte der Bürgeraufstände in der Kaiserstadt gelten lässt. 23 Schmitz, Verfassung und Bekenntnis.

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setzungen über das reichsstädtische ius reformandi ein. Sein Urteil dazu lautet, der Kaiser habe den Städten das Reformationsrecht vorenthalten und die Entwicklung der ‚Aachener Sache‘ sei damit dem reichspolitischen Trend zur Erstarkung der Gegenreformation gefolgt. Diese Einschätzung muss allerdings im Licht der neueren Forschung zu den reichspolitischen Auseinandersetzungen in Folge des Augsburger Religionsfriedens überprüft werden. Um die Einordnung der Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis in den Zusammenhang religionspolitischer Diskurse auf Reichsebene abzurunden, muss unter anderem die reichspolitische Bedeutung des reformierten Bekenntnisses des überwiegenden Teils der Aachener Protestanten neu bewertet werden. Die Dominanz der reformierten Gemeinde in Aachen wurde bisher eindeutig als Hindernis für die politischen Aktivitäten der protestantischen Interessengruppe identifiziert. Vor dem Hintergrund eines veränderten Verständnisses der lutherischen Konkordienbemühungen, ist nicht klar, ob es die einhellige Einschätzung der zeitgenössischen politischen Akteure war, dass sich spätestens seit Ende der 1570er Jahre nur noch Lutheraner auf den Schutz des Augsburger Religionsfriedens berufen konnten. Die Konkordienbewegung wird neuerdings als langwieriger und kontroverser Prozess beschrieben, der seinen Abschluss in der theologischen und politischen Ausgrenzung der Reformierten aus dem Kreis der Augsburger Konfessionsverwandten keinesfalls schon in den 1580er Jahren fand.24 So kann auch für die Akteure in der ‚Aachener Sache‘ ein weiterer Spielraum vermutet werden, religionspolitisch über die Konfessionsgrenze zwischen Lutheranern und Reformierten hinweg zu argumentieren. Ansätze für Neuinterpretationen der reichspolitischen Dimension der Auseinandersetzungen um den politischen und religiösen Status der Reichsstadt Aachen zeigen auch jüngere Forschungen zum Reichsverband und zu seinen Institutionen, insbesondere zu den Auseinandersetzungen über religionspolitische Fragen auf den Reichsversammlungen und vor den Reichsgerichten im späten 16. Jahrhundert. Zu den Autoren, die Reichstage und besonders das Reichskammergericht nicht als Orte konfessioneller Totalkonfronta24 Vgl. Irene Dingel, Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 63.) Gütersloh 1996, prägnant formuliert besonders auf S. 686. Der Langlebigkeit dieses Prozesses tat es keinen Abbruch, dass auf Reichsebene bereits seit 1557 kein Versuch mehr unternommen wurde, die theologisch-dogmatischen Konflikte zwischen den verschiedenen protestantischen Kirchen zu überbrücken – vgl. dazu Björn Slenczka, Das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557. Protestantische Konfessionspolitik und Theologie im Zusammenhang des zweiten Wormser Religionsgesprächs. (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 155.) Tübingen 2010, hier: S. 506–509.

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tion sehen, sondern Spielräume für einen flexiblen, pragmatischen oder konsensorientierten Umgang mit religionspolitischen Konflikten aufzeigen, gehört Josef Leeb, der beispielsweise betont, dass die Reichsstände sich auf dem Augsburger Reichstag von 1582 noch nicht auf eine Konfrontation eingelassen hätten, die das Friedenssystem des Reiches hätte gefährden können.25 Damit relativiert er das von Heinz Schilling entworfene Verlaufsmodell, demnach die konfessionelle Konfrontation im Reich bereits in den 1570er-Jahren auf ihren Höhepunkt zusteuerte.26 Allgemein haben Untersuchungen der Entwicklungen im Reich Seitenpfade und Umwege zu den vorher unumgänglich erscheinenden Bahnen von konfessioneller Polarisierung und Konfessionskonflikt erkundet. Je selbstverständlicher die aktuelle Forschung unkonfessionelles und überkonfessionelles Handeln in ihre Betrachtung der Reichspolitik im letzten Drittel des 16. und auch noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts einbezieht und je mehr sie das Verhältnis von konfessionell und anders motivierten politischen Handlungen in den Blick nimmt, desto verständlicher werden auch die Entscheidungen der Akteure in der Causa Aquensis werden. Neben der Reichspolitik war auch das Reichsreligionsrecht als Rahmen und Bezugspunkt für den Verlauf der Auseinandersetzungen um Aachen relevant. Die Fragen, wie der Augsburger Religionsfriede juristisch ausgelegt und praktisch umgesetzt wurde und wie sich abhängig davon die Beziehungen der protestantischen und katholischen Reichsstände und Untertanen entwickelten, wurden in der Forschung mittlerweile sehr differenziert behandelt: Das im Wesentlichen auf der Auslegung des Augsburger Religionsfriedens basierende Reichsreligionsrecht war demnach ein gespaltenes Recht. Das heißt, katholische und protestantische Reichsstände vertraten grundsätzlich verschiedene Auffassung vom Wesen, von der Intention und von den konkreten rechtlichen Implikationen des Religionsfriedens,27 sodass „mitnichten von einer richtigen oder falschen Auslegung oder einer klaren 25 Vgl. Josef Leeb, Einleitung. In: Der Reichstag zu Augsburg 1582. v. Wolfgang Wagner/Arno Strohmeyer/Josef Leeb. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) München 2007, S. 65–226, hier: S. 72–73. 26 Vgl. Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1–45, hier: S. 7. 27 Diesen Befund hat vor allem Martin Heckel, Die Religionsprozesse des Reichskammergerichts im konfessesionell gespaltenen Reichskirchenrecht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonische Abteilung 77 (1991), S. 283–350 erarbeitet und in weiteren Publikationen entwickelt. Zuletzt: Martin Heckel, Zur Auswirkung der Konfessionalisierung auf das Recht im Alten Reich, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 127 (2010), S. 407–454.

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Rechtslage hinsichtlich der Friedensartikel von 1555 gesprochen werden“28 könne. Die konfessionelle Spaltung der Rechtsauffassung führte allerdings nicht zu einer eskalierenden Konfrontation konfessionsverschiedener Parteien vor dem Reichskammergericht. Vielmehr habe das gespaltene Recht zunächst Entscheidungen über Streitigkeiten verhindert, die sich direkt auf den Augsburger Religionsfrieden bezogen, weil regelmäßig paria vota zu erwarten waren.29 Das Gericht verlor dadurch aber nicht seine Bedeutung für Konflikte, die konfessionell fundiert oder konfessionell aufgeladen waren: Die Assessoren prüften von Fall zu Fall die Möglichkeit, die nicht-religiösen Aspekte von Konflikten beizulegen30 – ein Verfahren, das auch für die ‚Aachener Sache‘ eine Rolle spielte. In Fällen, die auch auf diese Art und Weise zu keiner Entscheidung gebracht werden konnten, konnte schon die Anhängigkeit und die Dauer eines Verfahrens am Reichskammergericht streitenden Parteien eine Gelegenheit geben, ihre Auseinandersetzung in geordnete Bahnen und auf den Weg zu einer politischen Lösung zu bringen. Das Reichskammergericht übernahm in Konfessionskonflikten also durchaus eine friedensstiftende Rolle und unterschied sich darin entscheidend von der konkurrierenden Gerichtsbarkeit des Reichshofrates. Es gehörte aber gerade auch zu den politischen Folgen des gespaltenen Religionsrechts, dass die protestantischen Stände – wie auch im Aachener Fall – die Kompetenz des Reichshofrates in Religionssachen zu entscheiden, grundätzlich in Frage stellten.31 Insgesamt eröffnet die Revision der drei Forschungsfelder zum Prozess der protestantischen Konfessionsbildung auf Reichsebene, zur konfessionellen Polarisierung der Reichspolitik und zum Konflikt- und Friedensstiftungspotential des Reichsreligionsrechts eine neue Perspektive auf die Entscheidungshorizonte und Spielräume, innerhalb derer Akteure aus Aachen und von außerhalb der Stadt das gemischtkonfessionelle Zusammenleben in der Stadt gestalten konnten. Gemeinsam mit der Reichspolitik formten die konfessionspolitischen Verhältnisse in der Aachen umgebenden Region den Rahmen, innerhalb dessen 28 Bernhard Ruthmann, Die Religionsprozesse am Reichskammergericht (1555–1648). Eine Analyse anhand ausgewählter Prozesse. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 28.) Köln/Weimar/Wien 1996, hier: S. 11. 29 Vgl. ebd., hier: S. 11. 30 Vgl. ebd., hier: S. 578. 31 Vgl. Stefan Ehrenpreis, Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576–1616. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 72.) Göttingen 2006, hier: S. 181–182. Zusammenfassend zu Konkurrenz zwischen Reichskammergericht und Reichhofrat und ihrer Bedeutung für konfessionspolitische Konflikte im Reich: Axel Gotthard, La paix par le droit? Division confessionnelle et juridiction dans le Saint-Empire, in: Philippe Büttgen/Christophe Duhamelle (Hrsg.), Religion ou confession. Paris 2010, S. 281–303.

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die Akteure der Causa Aquensis ihre Entscheidungen trafen. Die Einflüsse aus den Niederlanden, Kurköln und insbesondere aus den Vereinigten Herzogtümern von Jülich–Kleve–Berg auf die Kaiserstadt sind seit über zwanzig Jahren nicht neu bewertet worden, obwohl die regionalgeschichtliche Forschung in dieser Zeit neue Fragen formuliert und Thesen aufgeworfen hat, die für das Thema von maßgeblicher Bedeutung sind. Dass die benachbarten Herzöge von Jülichden Aachener Akteuren religionspolitische Handlungsspielräume eröffneten, ihnen auf der anderen Seite aber auch Handlungszwänge auferlegten, war seit langem ein Thema der Forschungsdiskussionen zur Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter. Nach den ältesten Forschungsmeinungen versuchten die Herzöge immer wieder, die aus religiösen Konflikten entstehenden Krisen zu nutzen, um den eigenen Einfluss auf die Reichsstadt Aachen möglichst bis zu deren Mediatisierung auszubauen. Die Ausbreitung der Reformation sowohl im Jülicher Territorium als auch in der Reichsstadt Aachen sei eine Folge der anfangs aufgrund humanistischer Einflüsse inkonsequenten und später aufgrund der Schwäche der Jülicher Regierung erfolglosen gegenreformatorischen Politik der Herzöge gewesen. Walter Schmitz hat noch einmal betont, dass die Katholizität Aachens eine wichtige Voraussetzung der Gegenreformation im Jülicher Territorium gewesen sei und die Herzöge damit interessiert gewesen seien, ihre religionspolitische Linie auch in der Reichsstadt durchzusetzen. Die Jülicher Politik gegenüber Aachen sei aber keinesfalls auf die Eingliederung der Stadt in den Jülicher Territorialverband ausgerichtet gewesen. Die Streitigkeiten über die Privilegien der Herzöge in der Reichsstadt seien ein ständiger Bestandteil der Beziehungen zwischen Aachen und Jülich gewesen. Während der religionspolitischen Unruhen seien sie eskaliert, weil einige der herzoglichen Privilegien an den Bestand der katholischen Kirche in Aachen geknüpft gewesen seien.32 Mit diesen Befunden ist die Dynamik zwischen Aachen und Jülich im Rahmen der ‚Aachener Sache‘ allerdings noch nicht hinreichend analysiert. Nachdem über die Bedeutung der religionspolitischen via media Jülichs keine verbindliche Forschungsmeinung hergestellt werden konnte, darf die Rolle des Jülicher Nachbarn in den Auseinandersetzungen um den politischen und religiösen Status der Reichsstadt Aachen nicht als selbstverständlich hingenommen werden und muss teilweise revidiert werden: Die Herzöge von Jülich versuchten seit den 1540er Jahren einen eindeutigen Anschluss an eines der sich herausbildenden konfessionspolitischen Lager zu vermeiden. Sie orientierten ihre Religionspolitik an einer humanistisch beeinflussten ‚Zwischenkonfession‘. Zwischen 1570 und 1590 löste aber ein herzoglicher Beraterstab, der konfessionell gespalten war und deswegen 32

Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 13, 37 u. 146.

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keine klare religionspolitische Linie verfolgen konnte, die absichtlich vermittelnde Religionspolitik Herzog Wilhelms V. und seiner erasmisch geprägten Räte ab.33 Die Bedeutung dieser Veränderungen in der Regierung Jülichs ist von der jüngeren Forschung hinterfragt worden. Mit dem allgemein zunehmenden Forschungsinteresse an religiösem und religionspolitischem Handeln abseits konfessioneller Eindeutigkeit wurde der Sonderstatus der Jülicher via media relativiert. Die Jülicher Politik erscheint, anderen transkonfessionellen Gestaltungsversuchen vergleichbar, auf Konsens und Friedenswahrung ausgerichtet gewesen zu sein und bot Raum für frühe Formen praktischer religiöser Toleranz.34 Anders als in der älteren Forschung betont dieser Ansatz die Kontinuität der Konsensorientierung der Jülicher Religionspolitik durch das gesamte 16. Jahrhundert. Wo früher spätestens zum Ende der Regierungszeit Herzog Wilhelms V. ein klarer Einschnitt zwischen der via media-Politik und einer katholischen Reform und Gegenreformation 33 Vgl. Wilhelm Janssen, „Gute Ordnung“ als Element der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern Jülich–Kleve–Berg. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Burkhard Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1997, S. 33–48, hier: S. 46–47. 34 Vgl. Stefan Ehrenpreis, Kofessionalisierung von unten. Konzeption und Thematik eines bergischen Modells?, in: B. Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1999, S. 3–14, hier: S. 10 sowie auch Christian Helbich, „Von allem schelden der alden oder nuwer lere sich gentzlich enthalden“. Zur zeitgenössischen Rezeption der Kirchenpolitik Jülich–Kleve–Bergs im 16. Jahrhundert, in: Werner Freitag (Hrsg.), Bekenntnis, soziale Ordnung und rituelle Praxis. Neue Forschungen zur Reformation und Konfessionalisierung in Westfalen. Münster 2009, S. 13–46, hier: S. 45 und Janssen, „Gute Ordnung“ als Element der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern Jülich–Kleve–Berg, hier: S. 35–38. Zu verschiedenen Toleranzbegriffen wie dem der praktischen Toleranz und den Problemen bei ihrer Übertragung auf das Konfessionelle Zeitalter vgl. zusammenfassend Jan-Friedrich Mißfelder, Religiöse Koexistenz im urbanen Raum. Konzeptionelle Überlegungen und begriffliche Parameter, in: Andreas Schmauder/Jan-Friedrich Missfelder (Hrsg.), Kaftan, Kreuz und Kopftuch. Religiöse Koexistenz im urbanen Raum (15. bis 20. Jahrhundert). (Stadt in der Geschichte, Bd. 35.) Stuttgart 2010, S. 7–17, hier: S. 14–16. Kürzlich hat C. Scott Dixon, Urban Order and Religious Coexistence in the German Imperial City. Augsburg and Donauwörth, 1548–1608, in: Central European History 40.1 (2007), hier: S. 5 besonders prägnant formuliert, dass Toleranz während der Frühen Neuzeit nirgends in Deutschland und auch nicht in den Niederlanden als philosophisches oder religiöses Ideal vertreten wurde. Überall wo konfessionelle Minderheiten geduldete wurden, sei dies mit ‚externen‘, das heißt zum Beispiel politischen oder wirtschaftlichen Gründen erklärt worden.

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gesehen wurde, wird jetzt das Augenmerk stärker auf den Einfluss evangelischer Räte in der Jülicher Regierung und protestantischer Stände auf den Landtagen gelenkt, durch den auch durch die 1580er- und 1590er-Jahre hindurch eine Offenheit für die Entwicklung protestantischer Religiosität in den Herzogtümern bestehen blieb.35 Konfessionalistisch katholische Positionen, welche die Jülicher Regierung in den Auseinandersetzungen um Aachen einnahm, sind demnach nicht mehr ohne weiteres der gegenreformatorischen Wende des Herzogtums zuzuschreiben, sondern müssen in den konkreten Zusammenhängen der Diskussionen über die Causa Aquensis gedeutet werden. Darüber hinaus sind die Verbindungen zwischen der Entwicklung der protestantischen Kirchen auf dem Gebiet der Vereinigten Herzogtümer von Jülich–Kleve–Berg und den Kirchen der Reformierten und Lutheraner in Aachen zu untersuchen. Insbesondere die reformierten Kirchen in Jülich und Aachen teilten nach lange gängiger Auffassung das Schicksal, als Kirchen ‚Unter dem Kreuz‘ Phasen unterschiedlicher gegenreformatorischer Unterdrückung durchlaufen zu haben.36 Ob und wie die protestantischen Aachener Kirchen in die Entwicklung des Jülicher Protestantismus eingebunden waren, wird in der vorliegenden Studie anhand konkreter Verbindungen überprüft.37 Ähnlich wie Jülich wurden auch den anderen Nachbarn Aachens – den 35

Vgl. dazu auch Heribert Smolinsky, Jülich–Kleve–Berg, in: Anton Schindling/ Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 3: Der Nordwesten. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 51.) Münster 1991, S. 86–106, hier: S. 99–101. Smolinsky betont, es sei nach wie vor schwierig, „[e]ine klare Linie der reformatorisch-gegenreformatorischen Entwicklung zu zeichnen“ (S. 101). Die Diskussion über den religionspolitischen ‚Sonderweg‘ Jülichs ist also noch nicht abgeschlossen. 36 Diese Wertung ist bei Eduard Simons, Niederrheinisches Synodal- und Gemeindeleben. Freiburg 1897 besonders eindrücklich formuliert, bestimmt aber auch die Darstellung von Johann Arnold von Recklinghausen, Reformationsgeschichte der Länder Jülich, Berg, Cleve, Meurs, Mark, Westfalen und der Städte Aachen, Cöln und Dortmund. Osnabrück 1977. 37 Als Grundlage für entsprechende Fragestellungen stehen die Arbeiten von Johann Friedrich Goeters (Johann Friedrich Gerhard Goeters, Studien zur niederrheinischen Reformationsgeschichte. v. Dietrich Meyer. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 153.) Pulheim 2002) und darüber hinaus – seit längerem ediert – die Akten der reformierten Synoden im Nordwesten des Reiches zur Verfügung: Johann Friedrich Gerhard Goeters (Hrsg.), Die Akten der Synode der Niederländischen Kirchen zu Emden vom 4. bis zum 13. Oktober 1571. Im lateinischen Grundtext mitsamt den alten niederländischen, französischen und deutschen Übersetzungen. (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche, Bd. 34.) Neukirchen-Vluyn 1971, Eduard Simons (Hrsg.), Synodalbuch. Die Akten der Synoden und Quartierkonsistorien in Jülich, Cleve und Berg 1570–1610. (Urkundenbuch zur Rheinischen Kirchengeschichte, Bd. 1.) Neuwied

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Kurfürsten von Köln, den Fürstbischöfen von Lüttich, der spanischen Regierung der Niederlande, den aufständischen ‚Geusen‘ und den Generalstaaten – wichtige Rollen in den Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis zugeschrieben. Im Unterschied zu Jülich wurden die Interessen der anderen regionalen Regierungen in den Auseinandersetzungen um Aachen aber noch nicht differenzierter untersucht. Vielmehr sind deren Positionen zur Causa Aquensis weitestgehend von ihrer allgemeinen religionspolitischen Haltung und ihren machtpolitischen Interessen in der Region abgeleitet worden. Daraus folgte unter anderem, dass der Einfluss der spanischen Regierung in Brüssel und der Generalstaaten auf Aachen, analog zu deren Rolle als bestimmende Akteure der religionspolitischen Großkonflikte in der Region, sehr hoch veranschlagt wurde.38 Neuere Forschungen zu den Beziehungen der Niederlande zum Nordwesten des Reiches und den konkreten politischen Interessen in der Region helfen, die Beiträge der Niederländischen Akteure zu den Auseinandersetzungen über Aachen zu relativieren und ihre Bedeutung für den Verlauf der Causa Aquensis einzuordnen.39 So wird 1909 und Albert Rosenkranz (Hrsg.), Generalsynodalbuch. Die Akten der Generalsynode von Jülich, Kleve, Berg und Mark 1610–1793. Bd. 1: 1610–1698. 1966 zur Verfügung. 38 Als Beispiel dafür soll genügen, dass Heinz Schilling in der Nachbarschaft zu den katholischen, spanischen Niederlanden den wichtigsten Grund dafür ausmachte, dass sich in Aachen die Reformation im Unterschied zu Dortmund nicht habe durchsetzen können – vgl. Heinz Schilling, Dortmund im 16. und 17. Jahrhundert. Reichsstädtische Gesellschaft, Reformation und Konfessionalisierung, in: Dortmund. 1100 Jahre Stadtgeschichte. 1982, S. 151–201, hier: S. 164 und Heinz Schilling, Die deutschen Städte in den politischen und religiösen Umbrüchen des „langen 16. Jahrhunderts“. Überlegungen auf den Spuren von Wilfried Ehbrecht, in: Werner Freitag/Peter Johanek (Hrsg.), Bünde – Städte – Gemeinden. Bilanz und Perspektiven der vergleichenden Landes- und Stadtgeschichte. (Städteforschung Reihe A: Darstellungen, Bd. 77.) Köln 2009, S. 319–338, hier: S. 337. 39 Die Forschungsliteratur zur Politik- und Religionsgeschichte der Niederlande im Umfeld des 80-jährigen Krieges ist selbstverständlich zu umfänglich und facettenreich, um hier eine allgemeine Überblicksdarstellung auch nur zu versuchen. Einen informierten Einstieg in die außenpolitischen Aspekte und Implikationen ‚Niederländischen Unruhen‘ ermöglicht Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660. (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Bd. 2.) Paderborn/München/Zürich 2007, hier: S. 292 ff. Die für die Causa Aquensis nicht unerheblichen rechtlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen den Niederlanden und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation abseits des Niederburgundischen Kreises behandelt Johannes Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg. (Münstersche historische Forschungen, Bd. 13.) Köln 1998. Ganz konkret auf die Rolle der Spanischen Niederlande in den Auseinandersetzungen um Aachen geht Weis, L’ intervention de l’archiduc Albert dans le conflict confessionnel à Aix-la-Chapelle und Monique Weis, Les Pays-Bas Espagnols et les Etats du Saint-Empire (1559–1579). Priorites et Enjeux de la Diplomatie en Temps de Troubles. Brüssel 2003 ein, ohne allerdings den Einfluss der Brüsseler Regierung in der Causa Aquensis in Relation zur Bedeutung anderer Akteure zu setzen. Die Beiträge von Duke Alastair und Robert

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die Rolle, welche die Entscheidungsträger in Brüssel und Den Haag für die Geschichte Aachens spielten, zwar keinesfalls marginalisiert, wohl aber auf die Beiträge reduziert, die sie zur Gestaltung von Argumenten und Themen der geführten Diskussionen und zur Entscheidung politischer Konflikte leisteten. Dadurch rücken einzelne Interventionen Alexander Farneses und Albrecht von Österreichs in den Mittelpunkt des Interesses. Die Rolle der für Aachen zuständigen Bischöfe in Köln und Lüttich kann neueren Befunden entsprechend nicht unbedingt aus den Kompetenzen zur Aufsicht und Führung der katholischen Kirche in Aachen abgeleitet werden.40 Daher liegt es nahe, die Bedeutung der Lütticher und Kölner Bischöfe, die über weite Teile des Untersuchungszeitraums hinweg in Personalunion von Ernst von Bayern vertreten wurden, anhand ihrer konkreten Beiträge zur politischen Auseinandersetzung über Aachen und der Gestaltung des Zusammenlebens der Konfessionen in Aachen zu beurteilen.41 Darüber hinaus kann analog zur Verknüpfung der protestantischen Kirchen in den Vereinigten Herzogtümern mit der reformierten Gemeinde in Aachen und dem Zusammenhang zwischen den religionspolitischen Diskursen in Aachen und den Niederlanden nach Verbindungen und Parallelen der konfessionStein im Sammelband Robert Stein (Hrsg.), Networks, regions and nations. Shaping identities in the Low Countries, 1300–1650. Leiden 2010, haben darüber hinaus unter den Schlagworten ‚Patriotismus‘ und ‚städtische Freiheit‘ Bezugssystem von Themen und Argumenten beschrieben, die sowohl in der Entstehungsphase der Niederländischen Republik als auch in den Auseinandersetzungen um den politischen und konfessionellen Status Aachens von Bedeutung waren. Damit verweisen sie auf einen möglichen Transfer politischer Einstellungen und Handlungsmuster aus den benachbarten Regionen nach Aachen. Nicht zu vernachlässigen sind auch die einschlägigen Beiträge in Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 3: Der Nordwesten. Münster 1991. 40 Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 197 merkt an, dass die zuständigen Bischöfe von Lüttich in Aachen kaum als Akteure der katholischen Reform aktiv geworden seien. 41 Als Einführung in die politischen Rollen Kurkölns und Lüttichs in der Region sind u.a. der Beitrag Franz Bosbach, Köln, Erzstift und Stadt, in: Anton Schindling/ Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 3: Der Nordwesten. Münster 1991, S. 58–85 und die dort genannte weiterführende Literatur geeignet. Die Ausführungen zum Fürstbistum Lüttich bei Antoon E. M. Janssen/Peter J. A. Nissen, Niederlande, Lüttich, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 3: Der Nordwesten. Münster 1991, S. 200–235, hier: S. 229–230 sind hingegen wenig ergiebig. Stattdessen ist weiter auf Willem Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik en vooral te Maastricht. 2 Bde. ’s-Gravenhage 1937–1941 und darüber hinaus auf Paul Janssens (Hrsg.), België in de 17de Eeuw. De Spanse Nederlanden en het prinsbisdom Luik. Bd. 1: Politiek. 2006 zu verweisen.

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ellen Entwicklungen in der Reichsstadt Aachen und in Kurköln gesucht werden. Einen solchen Ansatz unterstützen vor allem die Forschungen von Stephan Laux zu Reformationsversuchen in Kurkölner Landstädten, die den Entwicklungen in Aachen durchaus vergleichbar sind.42 1.1.3 Aachen als Gegenstand der Forschung zu Stadtreformation und Konfessionalisierung Nach der Verbindung der Aachener Geschichte mit den religionspolitischen Entwicklungen in Reich und Region ist die Einordnung der Vorgänge in Aachen in Modelle städtischer Reformation und städtischer Konfessionalisierung der nächste Schritt. Dabei steht die Häufigkeit, in der Aachen als Beispiel für allgemeinen Entwicklungen der Reformationsgeschichte oder Konfessionalisierung herangezogen wurde, in einem auffälligen Gegensatz zum Mangel von Einordnungen, die den Entwicklungen in Aachen gerecht werden.43 Das Forschungsfeld Stadtreformation erfreut sich andauernder Popularität, ohne dass der Reichsstadt Aachen in diesem Rahmen bisher größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zurecht wird regelmäßig auf die grundlegende Bedeutung hingewiesen, die der Studie von Bernd Moeller zu „Reichsstadt und Reformation“44 und der zum Motto gewordenen Bezeichnung der Reformation als „urban event“ durch Arthur G. Dickens 45 für die Begründung dieses Forschungszweiges zukommt. Tatsächlich haben sich aktuelle stadtreformatorische Studien davon verabschiedet, die Thesen von der Bedeutung des städtischen Ideals der Sakralgemeinschaft für die Reformation oder von der sozio-kulturell bedingten Empfänglichkeit des Stadtbürgertums für reformatorisches Gedankengut an zentraler Stelle zu diskutieren. Auch die erste Generation der Kritiker an Moellers Konzept, unter denen Thomas A. Brady mit seiner Betonung der Bedeutung innerstädtischer 42 Vgl. Stephan Laux, Wege und Grenzen der Konfessionalisierung. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Burkhard Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1999, S. 49– 69 und Laux, Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548). 43 Als Beispiel sei die pauschale Einschätzung bei Vera Isaiasz/Matthias Pohlig, Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen. Perspektiven der Forschungsrichtung „Stadt und Religion“, in: Vera Isaiasz u. a. (Hrsg.), Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen. (Eigene und fremde Welten, Bd. 4.) Frankfurt/Main 2007, S. 9–33, hier: S. 21 angeführt, die späten Stadtreformationen hätten „ganz im Zeichen der Konfessionsbildung“ gestanden und politische Richtungswechsel seien entlang klarer konfessioneller Fronten vollzogen worden. 44 Vgl. Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation. Berlin 1962. 45 Arthur G. Dickens, The German Nation and Martin Luther. London 1974, hier: S. 182.

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Konflikte für den Verlauf der Reformation hervortrat,46 wird zwar weiter rezipiert, bildet mit ihren Befunden aber nicht mehr den Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer forschungsleitender Thesen. Stattdessen hat die ursprünglich auf die Oberdeutschen Reichsstädte in der engeren Reformationszeit fokussierte Stadtreformationsforschung ihren Gegenstand, ihren Untersuchungszeitraum und ihre Fragestellungen erweitert. Neben den Reichsstädten treten jetzt auch die Gemeinden und Magistrate von nicht reichsunmittelbaren Hanse- und Autonomiestädten47 sowie auch eindeutig mediate Landstädte48 als Träger und Gestalter von städtischer Reformation auf. Indem die Forschung die Überlegungen der Konfessionalisierungsforschung auf der einen Seite und Konzepte der neueren Kulturgeschichte auf der anderen Seite aufgriff, begann sie, sich zunehmend auch für die mittel- und langfristigen Folgen der Reformationszeit auf die städtische Gesellschaft und Kultur zu interessieren. Dabei beachtete sie neben Städten mit ‚idealtypischen‘ Reformationsverläufen nun auch Kommunen, deren Reformation scheiterte, unvollkommen blieb oder die katholisch blieben.49 46 Vgl. Thomas A. Jr. Brady, Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg 1520–1555. (Studies in Medieval and Reformation Thought, Bd. 22.) Leiden 1978. 47 Vgl. zu den grundlegenden Thesen dieses Ansatzes: Heinz Schilling, Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland. (Veröffentlichungen des deutschen Historischen Instituts London, Bd. 9.) Stuttgart 1979, S. 235–307. 48 Vgl. zur Bedeutung dieses Forschungsfeldes Johannes Merz, Landstädte und Reformation, in: Anton Schindling (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 57.) Münster 1997, S. 107–139 und als eine erste wegweisende Studie Laux, Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548). Außerdem beispielsweise Herbert Kipp, „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“. Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung in Wesel (1520–1600). (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalka, Bd. 12.) Bielefeld 2004. Eine frühe Arbeit mit entsprechender Stoßrichtung liegt mit Peter Zschunke, Konfession und Alltag in Oppenheim. Beiträge zur Geschichte von Bevölkerung und Gesellschaft einer gemischtkonfessionellen Kleinstadt in der Frühen Neuzeit. Wiesbaden 1984 vor. 49 Den notwendigen Ausgang der Forschung zu Stadt und Reformation aus ihrer theologiegeschichtlichen Engführung hat Berndt Hamm, Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation. Göttingen 1996, hier: S. 5–6 angemahnt. Implikationen der Erweiterung des Themas Stadt und Reformation zum Forschungsfeld ‚Konfessionelle Stadt‘ zeigt Heinz Schilling, Die konfessionelle Stadt. Eine Problemskizze, in: Peter Burschel (Hrsg.), Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002. Berlin 2002, S. 60–79 auf. Stefan Dieter, Verhinderte Alleinherrschaft. Die evangelische Gemeinde Kaufbeurens zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 76 (2007), S. 126–141 beschreibt eine unvollkommene Reformation. Die tiefgreifenden Veränderungen im katholischen Köln analysiert Gérald Chaix, De la Cité chrettienne à la métropole catholique. Vie religieuse et conscience

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Der Einwand, von Johannes Merz, die Forschung habe sich weit mehr für die Bedeutung der Städte für die Reformation interessiert als für die Bedeutung der Reformation für die Städte,50 ist insofern bereits beherzigt worden. So sehr deswegen begrüßt werden muss, dass die stadtreformatorische Forschung sich geöffnet und erweitert hat, so schwierig fällt angesichts der wachsenden Vielfalt der Befunde die Einordnung einzelner städtischer Reformationsgeschichten – wie derjenigen Aachens – in das Spektrum städtischer Entwicklungen im Konfessionellen Zeitalter. Die Bemühungen, den Besonderheiten verschiedener stadthistorischer Entwicklungen mit neuen Fragen und vermehrten methodischen Werkzeugen gerecht zu werden, laufen Gefahr, auf der einen Seite eine Fülle stadtgeschichtlicher ‚Sonderfälle‘ oder neuer Typen zu konstruieren und auf der anderen Seite den ‚Normalfall‘ Ratsreformation in der Reichsstadt oder dessen Abwandlung – die paritätische Reichsstadt – weder in Frage zu stellen noch zu erweitern.51 Aachen bietet sich aber keinesfalls an, um als Sonderfall oder auch typbildendes Fallbeispiel beschrieben zu werden. Stattdessen muss versucht werden, die Entwicklungen in der Kaiserstadt in Kategorien zu erfassen, die auf die Mehrzahl aller Gruppen, Typen und Sonderfälle konfessioneller Städte anwendbar sind. Eine solche Systematik, die Vergleiche zwischen verschiedenen urbanen Verhältnissen, ob sie nun vorwiegend katholisch, evangelisch oder gemischtkonfessionell, reichsstädtisch, hansestädtisch oder landständisch sind, ist bereits eingefordert, aber noch nicht in der Forschungsdiskussion etabliert worden.52 civique a cologne au XVIe siècle. Lille 1994 – zusammenfassend: Gérald Chaix, De la cité chrétienne à la métropole catholique. Cologne et le processus confessionnel, in: Études germaniques 57.3 (2002), S. 503–512. Nicht zu vergessen ist die grundlegende Bedeutung der Arbeit von Robert W. Scribner, Why was there no Reformation in Cologne?, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 49.2 (1976), S. 217–241 für die Öffnung der Reformationsforschung hin zu katholischen Städten. 50 Vgl. Merz, Landstädte und Reformation, hier: S. 107–108. 51 Sonderfälle beschreiben jüngst: Andreas Schmauder, Das paritätische Ravensburg als Sonderfall der Geschichte, in: Andreas Schmauder/Jan-Friedrich Missfelder (Hrsg.), Kaftan, Kreuz und Kopftuch. Religiöse Koexistenz im urbanen Raum (15. bis 20. Jahrhundert). (Stadt in der Geschichte, Bd. 35.) Stuttgart 2010, S. 225–239, Frank Konersmann, Spezifika der Konfessionalisierung in Reichsstädten. Das Beispiel der Bischofs- und Reichsstadt Worms, 1552–1620, in: Wormsgau. Wissenschaftliche Zeitschrift der Stadt Worms 25 (2007), S. 95–115 und Lars Behrisch, Protestantische Sittenzucht und katholisches Ehegericht: Die Stadt Görlitz und das Bautzner Domkapitel im 16. Jahrhundert. Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen, in: Vera Isaiasz (Hrsg.), Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. (Eigene und fremde Welten, Bd. 4.) Frankfurt/M. 2007, S. 33–66. 52 So schlug Laux, Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548), hier: S. 415 ein Modell zur Erforschung von land- und reichsstädtischer Reformation vor. Er knüpfte damit an die Feststellung von Bernhard Rüth, Reformation und Konfessionsbildung im städtischen Bereich. Perspektiven der Forschung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung

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Die vorliegende Untersuchung zur Reichsstadt Aachen im Konfessionellen Zeitalter wird diese Lücke nicht ausfüllen, aber durchaus einen Beitrag zu einer umfassenden Betrachtung städtischer Entwicklungen im Konfessionellen Zeitalter leisten. Das Konzept zur Untersuchung Aachens geht unter anderem von versuchten und möglichen Einordnungen der Reichsstadt im Forschungsfeld Stadt und Reformation aus: Am eindeutigsten hat Caspar von Greyerz die Entwicklung Aachens in eine Typologie städtischer Reformationsgeschichte eingeordnet. Er nannte Aachen als ein Beispiel für eine „late city reformation“.53 Das anhand der Elsässischen Reichsstadt Colmar entwickelte Konzept ‚späte Stadtreformation‘ ist auf Aachen insofern anwendbar, als die Bedeutung außenpolitischer Einflüsse, die aus innerprotestantischen Bekenntniskonflikten entstehenden politischen Probleme und die Beharrungskraft katholisch-kirchlicher Institutionen auch in Aachen zu beobachten sind.54 Ob auch andere Merkmale des Typus auf Aachen zutreffen, muss kritisch überprüft werden. Insbesondere ist fraglich, ob in Aachen von einer dominierenden Rolle des Rates bei der Gestaltung der evangelischen Kirchen oder der Reformation der Stadt gesprochen werden kann und ob für Aachen überhaupt von der Einführung der Reformation und damit von einer späten Stadtreformation die Rede sein sollte: Die Einsetzung protestantischer Prediger an den Aachener Pfarrkuratien ließ ebenso auf sich warten wie die Abschaffung von Messfeiern, die Säkularisierung katholischen Kirchenguts oder die Aufstellung einer verbindlichen evangelischen Kirchenordnung für die Stadtgemeinde.55 Auch wenn durch diese Einschränkungen bereits klar ist, dass das Konzept „late city reformation“ die Entwicklung Aachens im Konfessionellen Zeitalter nicht hinreichend beschreibt, bestätigt die Einordnung der Stadt in diese Typologie doch die Notwendigkeit, innerstädtische Aspekte im Zusammenhang mit den außenpolitischen Verbindungen der Stadt zu der für Rechtsgeschichte, Kanonische Abteilung 1908 (1991), S. 197–282, hier: S. 252, dass ein Modell, das die vielen Dimensionen städtischer Reformation integriere, noch zu erarbeiten sei. 53 Greyerz, The Late City Reformation in Germany. 54 Der Verbleib von Anhängern und Institutionen einer Konfessionskirche, die nicht das offizielle und dominante Bekenntnis eines Gemeinwesens vertrat gehört nicht nur zu den wesentlichen Merkmalen der späten Stadtreformation. Anton Schindling, Delayed confessionalization. Retarding factors and religious minorities in the territories of the Holy Roman Empire, 1555–1648, in: Charles Ingrao (Hrsg.), State and society in early modern Austria. West Lafayette/Ind. 1994, S. 54–70 beschrieb ihn allgemeiner als Symptom einer verzögerten Konfessionalisierung. 55 Hamm, Bürgertum und Glaube, hier: S. 98–99 hebt hervor, dass diese Maßnahmen die ‚Einführung der Reformation‘ am ehesten markierten. Gerade in den Städten sei der Ablauf der Reformation in dieser Art und Weise entwickelt worden, die sich die Fürsten für ihre territoriale Reformation zum Vorbild genommen hätten.

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sie umgebenden Region und zum Reich zu betrachten. Die Bedeutung dieses Zusammenhangs wurde auch durch Heinz Schillings Untersuchung der Reformation in Dortmund unterstrichen.56 In Anlehnung an und Weiterentwicklung von Greyerz‘ Konzept spricht er für die Stadt von einer „Langzeitreformation“ und stellt noch einmal die besonderen Bedingungen für die Durchsetzung eines evangelischen Kirchenwesens in einer Stadt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts heraus. Er wies unter anderem auf die Bedeutung der Jülicher Religionspolitik und der humanistischen Reformtheologie für die Entwicklung in Dortmund hin. Denselben Einflüssen habe auch die späte Stadtreformation in Aachen unterlegen. Damit eröffnete Schilling die Möglichkeit einer vergleichenden Betrachtung der Aachener Geschichte im Konfessionellen Zeitalter im regionalen Kontext, die noch nicht ausgeschöpft ist. Auch diese komparative Perspektive rückt aber, wenn sie nicht durch weitere Blickwinkel ergänzt wird, zwangsläufig die Frage nach den Gründen für das finale Scheitern des evangelischen Kirchenwesens in Aachen in den Mittelpunkt. Die Zeit, in der Aachen eine gemischtkonfessionelle Stadt war, bleibt im Hintergrund. Vorbilder für eine Untersuchung des Zusammenlebens mehrerer Konfessionsgruppen in einer Stadt sind vor allem Studien zu den gemischtkonfessionellen Gemeinwesen der bikonfessionellen und später paritätischen Reichsstädte. Paul Warmbrunn und Étienne François haben auf die Probleme des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen hingewiesen und die Voraussetzung für eine stabile und friedliche Verfassungspraxis in den bikonfessionellen Städten herausgearbeitet:57 Konfessionskonflikte entstanden demnach im engeren Bereich des Reli56

Schilling, Dortmund im 16. und 17. Jahrhundert. Vgl. Paul Warmbrunn, Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548–1648. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 111.) Wiesbaden 1983 und Etienne François, Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648–1806. (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg, Bd. 33.) Sigmaringen 1991. Warmbrunn hat seine Thesen zu Entstehung und Funktionsweise konfessionsparitätischer Stadtverfassungen noch einmal präzisiert: Paul Warmbrunn, Der Weg zur Parität in den gemischtkonfessionellen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl 1548–1648, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 13 (1994), S. 79–100. Ausführlicher diskutierte Frauke Volkland, Konfession und Selbstverständnis. Reformierte Rituale in der gemischtkonfessionellen Kleinstadt Bischofszell im 17. Jahrhundert. Göttingen 2005, hier: S. 37–40 die entsprechenden Forschungen. Auch Etienne François, Zusammenleben in der Intoleranz: Provence, Irland und Brandenburg als Beispiele. Kommentar und Vergleich, in: Heinz Duchhardt/Marie-Antoinette Gross (Hrsg.), Im Spannungsfeld von Staat und Kirche. „Minderheiten“ und „Erziehung“ im deutsch-französischen Gesellschaftsvergleich 16.–18. Jahrhundert. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft, 57

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gionslebens, durch theologische Lehrstreitigkeiten oder nach polemischen Angriffen auf die Glaubensinhalte oder das Kirchenwesen einer Konfession. Auch die Störung von Gottesdiensten rief häufig Streit zwischen den Konfessionsgruppen hervor. Neben den religiös fundierten Konflikten war die Verteilung der politischen Verantwortung zwischen den Konfessionsgruppen Anlass für Streitigkeiten. Die bikonfessionellen Reichsstädte hegten die Konfliktpotentiale im religiösen und politischen Bereich erfolgreich ein, indem obrigkeitliche Institutionen die Interaktionen der Konfessionsgruppen weitgehend kontrollierten und die Konfliktaustragung zum Beispiel über den Rechtsweg formalisierten.58 Streitigkeiten, die sich an der Beeinträchtigung des Religionslebens einer Konfessionsgruppe entzündeten oder auch nur teilweise konfessionell motiviert erschienen, unterbanden die Magistrate der bikonfessionellen Städte konsequent mit dem Hinweis auf das konfessionelle Duldungsgebot des Religionsfriedens.59 Die reichsrechtlichen Bestimmungen, die Katholiken und Lutheranern in den bikonfessionellen Städten grundsätzlich den Bestand ihrer Kirchen und religiösen Praktiken garantierten, blieben grundsätzlich unumstritten. Die Städte brauchten zwar die beträchtliche Zeit zwischen dem Religionsfrieden und dem Westfälischen Frieden, um ihre paritätischen politischen Verfassungen konkret auszugestalten und zu festigen. Der Weg zu den dann etablierten politischen Verhältnisse war jedoch durch die reichsrechtliche Bestandsgarantie für die Augsburger Konfession und den Katholizismus in den Städten vorgezeichnet.60 Bd. 31.) Berlin 2003, S. 167–172 reflektiert noch einmal die Probleme bei der Erforschung gemischtkonfessioneller Gemeinwesen. 58 Vgl. beispielhaft Carl A. Hoffmann, Konfessionell motivierte und gewandelte Konflikte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert. Versuch eines mentalitätsgeschichtlichen Ansatzes am Beispiel der bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg, in: Peer Frieß (Hrsg.), Konfessionalisierung und Region. (Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen, Bd. 3.) Konstanz 1999, S. 99–120 zur Einhegung von Konfessionskonflikten durch die städtische Gerichtsbarkeit in Augsburg. 59 Andreas Holzem, Konfessionskampf und Kriegsnot. Religion und Krieg in Ravensburg 1618–1648, in: Andreas Schmauder (Hrsg.), Hahn und Kreuz. 450 Jahre Parität in Ravensburg. Begleitband zur Ausstellung. Hahn und Kreuz – 450 Jahre Parität in Ravensburg vom 21. Oktober 2005 bis 29. Januar 2006, Zweite Werkausstellung, Museum Humpis-Quartier Ravensburg. (Historische Stadt Ravensburg, Bd. 4.) Konstanz 2005, S. 41–74, hier: S. 45 betont die Bedeutung des Duldungsgebots für das Zusammenleben in bikonfessionellen Reichsstädten, weist allerdings darauf hin, dass das Verfahren der Konflikteindämmung durch den Hinweis auf das Reichsreligionsrecht in Ravensburg angesichts von Provokationen zwischen den Konfessionsgruppen zu Beginn des 17. Jahrhunderts regelmäßig versagte. 60 Die Diskussion über den genauen Zeitpunkt, zu dem die Städte ‚echte‘ Parität erreichten – ob bereits mit den religionsrechtlichen Beschlüssen des Augsburger Reichstags 1555 oder erst mit den präzisierten Normen von 1648 und der gleichzeitig endgültig in den Verfassungen der bikonfessionellen Städte verankerten numerischen Parität und der Abstimmung itio inter partes oder in der Zwischenzeit zu irgend einem

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Wirtschaftliche, gesellschaftliche und familiäre Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionsgruppen stellten schließlich weitere, nicht zu vernachlässigende Konfliktherde dar. Gerade in den zuletzt genannten Bereichen der Gesellschaft und Wirtschaft verhärteten sich die ‚unsichtbaren Grenzen‘ zwischen den Konfessionsgruppen allerdings – wie Étienne François für Augsburg gezeigt hat – erst in einem langfristigen Prozess, sodass sich konfessionelle Heiratskreise, konfessionsspezifische Berufsund Sozialprofile oder auch die unterschiedliche Vornamensgebung bei Protestanten und Katholiken erst über Generationen herausbildeten. Die Ansätze, mit denen die gemischtkonfessionellen Gemeinwesen der bikonfessionellen Reichsstädte untersucht wurden, sind prinzipiell auf Aachen übertragbar, wo Katholiken, Reformierte und Lutheraner zusammenlebten. Bei der Übertragung muss aber berücksichtigt werden, dass die gemischtkonfessionelle Epoche der Reichsstadt Aachen kürzer war als der Zeitraum, in dem sich das Zusammenleben von Lutheranern und Katholiken in den bikonfessionellen Städten entwickelte. Zusammen mit den unterschiedlichen reichspolitischen, regionalen und verfassungspolitischen Voraussetzungen in Aachen macht dieser Umstand es nötig, Fragen nach dem konfessionellen Zusammenleben in Aachen teilweise mit Blick auf Akteure, Institutionen und gesellschaftliche Zusammenhänge zu stellen, die in den bikonfessionellen Reichsstädten nicht bestimmend waren. Ein flexibles Instrumentarium zur Beschreibung und Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Religion, Gesellschaft und Politik gerade in gemischtkonfessionellen Gemeinwesen haben Studien zur Entstehung von konfessionellen Selbstwahrnehmungen, Konfessionskulturen und zur symbolischen Repräsentation religiöser und gesellschaftlicher Ordnung in religiösen Praktiken entwickelt.61 Punkt der internen Verfassungsentwicklung jeder bikonfessionellen Stadt –, ist noch nicht abgeschlossen. Die Periodisierung Warmbrunns, die Parität für die bikonfessionellen Städte sei 1555 angelegt, aber erst 1648 vollständig umgesetzt worden, gibt eine nützliche Orientierung (Warmbrunn, Der Weg zur Parität in den gemischtkonfessionellen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl 1548–1648, hier: S. 80–82, mit Anm. 13 auf S. 81) – vorausgesetzt bei der Untersuchung konkreter Fragestellungen wird sorgfältig zwischen den formalrechtlichen und den verfassungspraktischen Dimensionen von ‚Parität‘ unterschieden. 61 Grundlegende Überlegungen zur Notwendigkeit und zu den Chancen der kulturgeschichtlichen Neuausrichtung der Religions-, Kirchen- und Konfessionsgeschichte stellt Thomas Kaufmann, Religion und Kultur. Überlegungen aus der Sicht eines Kirchenhistorikers, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), S. 397–405, hier: S. 400–401 an. Hilfreich sind auch Kaufmanns Einleitung und die Beiträge in Kaspar von Greyerz (Hrsg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 201.) Gütersloh 2003. Einen nützlichen Einstieg in Konzepte, die gegenwertig in diesem Zusammenhang diskutiert werden, liefert Jan Brademann,

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Für Aachen eröffnen die Methoden der kulturgeschichtlich ausgerichteten Konfessionsforschung die Möglichkeit, öffentliche Praktiken der Religiosität aller Konfessionsgruppen sowohl in ihrer Bedeutung für die Abgrenzung der einzelnen Kirchengemeinden voneinander als auch für das Zusammenleben aller Einwohner der Stadt und die Konstitution ihres Gemeinwesens zu begreifen. Typische Repräsentationen der Ordnungen konfessioneller Religiosität und bürgerlicher Gemeinschaft in Aachen – wie öffentliche Begräbnisriten und das Auslaufen zu Predigten außerhalb der Stadt – sind zwar bereits aufgegriffen worden, sie wurden dann aber eindimensional als bewusste politische Provokationen einer Konfessionspartei gegen die andere gedeutet.62 Diese interpretatorische Engführung gilt es aufzubrechen und einer Anregung Hansgeorg Molitors zu folgen: Die religiösen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Aachen sollten unter Berücksichtigung aller drei Konfessionsgruppen und ihrer Beziehungen untereinander untersucht werden. Dabei müssten vor allem die Zeitabschnitte genauer betrachtet werden, die zwischen den politischen Großereignissen liegen.63 Der kulturalistische Ansatz der historischen Konfessionsforschung eignet sich für einen solchen Versuch, dieses Desiderat zu bearbeiten, muss aber noch um weitere Konzepte ergänzt werden. Molitors Hinweis zielt darauf, die interkonfessionelle Dynamik in Aachen zum Vorschein zu bringen, darf allerdings nicht zu dem Versuch führen, die Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter allein durch Vorgänge im Inneren der Stadt zu erklären. Die kulturgeschichtliche Untersuchung des Zusammenlebens der Konfessionen ist, so sehr sie auch zum Verständnis gesamtgesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge beitragen kann, klar auf mikrohistorische Zusammenhänge im Alltag gemischtkonfessioneller Gemeinwesen fokussiert. Weil die Aachener Geschichte darüber hinaus aber in den Zusammenhang der Reichspolitik und der allgemeinen konfessionsgeschichtlichen Entwicklungen eingebettet werden muss, erscheint ihre Untersuchung im Rahmen des Konfessionalisierungskonzepts hilfreich. Die Konfessionalisierungsforschung betont grundsätzlich den Einfluss der Herausbildung unterschiedlicher christlicher Konfessionen auf Religion, Gesellschaft, Politik und Diplomatie.64 Die Fragen, welche Erklärungskraft das Konfessionalisierung als Institutionalisierung. Theoretisch-empirische Überlegungen zur kulturgeschichtlichen Erweiterung eines Forschungsparadigmas, in: Archiv für Kulturgeschichte 92.2 (2010), S. 425–459, hier: S. 427–435. 62 Zum Kenntnisstand über die Repräsentationen der einzelnen Konfessionskirchen in Aachen vgl. unter anderem die genannten Arbeiten von Macco und Altmann. 63 Vgl. Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 202. 64 Die Verbindung von Gesellschaft, Politik und den parallel verlaufenden Konfes-

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Konfessionalisierungsparadigma für die Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter besitzt, inwiefern im Rahmen des Paradigmas angenommene Tendenzen zum Schulterschluss zwischen Staat und Konfessionskirche und zur Beugung der Handlungsträger unter einen „Zwang zur Konfessionalisierung“ wirksam wurden und wo der Konfessionalisierungsprozess in der Reichsstadt möglicherweise an seine Grenzen stieß, sind noch offen. Vereinzelt wurden die ‚Aachener Wirren‘ von der Konfessionalisierungsforschung als Beleg für den Eintritt des Reiches in eine Phase verstärkter konfessioneller Polarisierung seit dem Beginn der 1580er Jahre geführt. Die bis zum Ausbruch der Wirren und ihrer finalen Eskalation in den sionalisierungsprozessen bei Reformierten, Lutheranern und Katholiken war der Kern des Konfessionalisierungskonzepts, als es seit Ende der 1970er Jahre von Reinhard und Schilling konzipiert wurde – unter anderem in den Beiträgen Wolfgang Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), S. 226–252; Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung?; Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 48.) Gütersloh 1982 und Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Die Betonung der gesellschaftlichen und politischen Aspekte der religiösen Entwicklungen nach der Reformation stellte den wesentlichen Unterschied der ‚Konfessionalisierung‘ zu der von Zeeden beschriebenen ‚Konfessionsbildung‘ dar – vgl. dazu Ernst Walter Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185 (1958), S. 249–299. Sie blieb auch während der Ausarbeitung und Differenzierung des Konfessionalisierungskonzepts in drei Sammelbänden der Fokus der Beiträge: Heinz Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der „Zweiten Reformation“. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195.) Gütersloh 1986; Hans-Christoph Rublack (Hrsg.), Lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 197.) Gütersloh 1992 und Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling (Hrsg.), Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 198.) Gütersloh 1995. Den Einfluss auch auf die Diplomatie im Heiligen Römischen Reich und in ganz Europa hat Schilling zuletzt in Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, hier: S. 6–13 noch einmal hervorgehoben. Auf die Probleme der Ausdehnung des Konfessionalisierungsparadigmas auf die interterritoriale und internationale Politik wird beständig hingewiesen. Die Kritik fällt mit den Vorbehalten gegen die „Konfessionalisierung als Zeitalterthese“ (Winfried Schulze, Konfessionalisierung als Paradigma zur Erforschung des konfessionellen Zeitalters. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Burkhard Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1999, S. 15–30, hier: S. 23–25, Zitat S. 25) zusammen. Dennoch ist das Konfessionalisierungskonzept weiterhin ein nützliches Hilfsmittel, um ‚außenpolitische‘, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen im Zusammenhang zu untersuchen.

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Jahren 1611 bis 1614 zeitweilig gelungene „Konflikteinhegung“ in Aachen bezeichnete Heinz Schilling gemeinsam mit ähnlichen Konfliktverläufen in Städten wie Donauwörth und Lippstadt als Beleg dafür, dass der politische Pragmatismus auch auf dem Höhepunkt der Konfessionalisierung nie ganz verloren gegangen sei.65 Das funktionierende Miteinander dreier Konfessionsgruppen in Aachen sei also eine Ausnahme gewesen, welche die Regel bestätigt, nach der im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die Konfrontation zwischen den Konfessionen vorherrschte. Nach intensiven Debatten um die Frage, wie der ‚Etatismus‘ des Paradigmas in Bezug auf die Suche nach den Agenten der Konfessionalisierung überwunden werden könnte, hat die Konfessionalisierungsforschung einige Neuausrichtungen und Öffnungen zu neuen Konzepten und Methoden erfahren.66 Der Einwand, dass Konfessionalisierungsprozesse zwar großen Einfluss auf viele gesellschaftliche und politische Entwicklung im Konfessionellen Zeitalter ausübten, dass aber auch klare „Grenzen der Konfessionalisierbarkeit“67 gezogen werden können, ist weitgehend angenommen und umgesetzt 65

Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich, hier: S. 7. Die Forschungsdiskussion zu Fehlern, Grenzen, Öffnung, Neuausrichtung oder Neudefinition des Konfessionalisierungsparadigmas dauert mittlerweile so lang an und ist so vielschichtig, dass selbst die Beiträge, die Zwischenstände der Debatte resumieren oder neue forschungsleitende Konzepte vorstellen, kaum vollständig erfasst werden können. Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter. Darmstadt 2002, hier: S. 62–63 geben einen stark verkürzten Überblick zum Forschungsdiskurs. Zuletzt wurde angedeutet, dass das Konzept Konfessionalisierung durch die Vielstimmigkeit der Debatte soweit an Konturen verloren habe, dass es Gefahr laufe zu einer beliebigen Chiffre für weitgehend unzusammenhängende Forschungsrichtungen zu werden. So merkte Brademann, Konfessionalisierung als Institutionalisierung, hier: S. 425 an, dass hinter der Forschung zur Konfessionalisierung ein klares Forschungsdesign oder eine Theorie mit allgemeinem Erklärungsanspruch nicht mehr zu erkennen sei. Die Diskussion wird allerdings trotz gewisser Ermüdungserscheinungen andauern, solange nicht mit oder ohne den Begriff ‚Konfessionalisierung‘ ein Konzept für ein zusammenhängendes Verständnis der Entwicklung von Politik, Gesellschaft und Kultur im Konfessionellen Zeitalter gefunden ist. Vgl. zu den zahlreichen Forschungsfeldern, die mit Hilfe des Konfessionalisierungsparadigmas kultiviert werden Heinz Schilling, La „confessionnalisation“, un paradigme comparatif et interdisciplinaire. Historiographie et perspectives de recherche, in: Études germaniques 57 (2002), S. 401–420, hier: S. 412–413 ; ausführlicher: Gérald Chaix, La confessionnalisation. Note critique, in: Bulletin de la Société de l’Histoire du protestantisme français 148 (2002), S. 851–865, hier: S. 859–862. 67 Schindling bündelt viele kritischen Argumente zum Konfessionalisierungsparadigma und betont schließlich, dass bestimmte gesellschaftliche Konfigurationen und kulturelle Phänomene wie beispielsweise das magische Denken, die Astronomie, aber auch die humanistische Gelehrtenrepublik nicht konfessionalisiert wurden, dass die Konfessionalisierung an Grenzen stieß. Vgl. dazu Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit. Land und Konfession 1500–1650, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Bd. 7: 66

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worden. Die Forschung erkannte Gemeinden und Untertanen ebenso wie Staat und politische Eliten als Träger von Konfessionalisierungsprozessen an.68 Heinrich-Richard Schmidt schlug vor, von ‚Konfessionalisierung als Interaktion‘ zu sprechen, anstatt darüber zu streiten, ob Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung eher ‚von oben‘ oder ‚von unten‘ gesteuert wurden. Tatsächlich seien Verhältnisse, wie sie in Emden beobachtet wurden, wo die Formen der Konfessionalisierung zwischen Bürgern, Kirchenleitung und Stadtregiment ausgehandelt wurden, der historische Regelfall.69 Das Forschungsinteresse jüngerer Arbeiten mit mehr oder weniger starkem Bezug zum Konfessionalisierungskonzept hat sich in Richtung von Fragen nach dem Prozess der Aneignung konfessioneller Identitäten verschoben, an dem nicht nur staatliche Akteure ‚von oben‘ oder die Gemeinde ‚von unten‘ mitwirkten, sondern der durch eine Vielzahl von Handlungsträgern gestaltet wurde. Besonderes Interesse erfahren dabei nicht mehr die von der früheren Konfessionalisierungsforschung primär untersuchten monokonfessionellen Gemeinwesen, sondern gemischtkonfessionelle Gesellschaften und konfessionelle Grenz- und Übergangsräume.70 Bilanz – Forschungsperspektiven – Register. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 57.) Münster 1997, S. 9–44, hier: S. 14–17. 68 Damit reagierte sie unter anderem auf den maßgeblich von Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: Historische Zeitschrift 265 (1997), S. 639–682 erhobenen Vorwurf des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung. 69 Vgl. zu Schmidt, der von „La confessionnalisation comme interaction“ spricht: Heinrich Richard Schmidt, Emden est partout. Vers un modèle interactif de la confessionnalisation, in: Francia (Frühe Neuzeit, Revolution, Empire 1500–1815) 26 (1999), S. 23–45, hier: S. 34. Viele der aktuell diskutierten Konzepte zur Beteiligung breiterer Bevölkerungsschichten an Reformation und Konfessionalisierung knüpfen direkt oder indirekt an die grundlegende Arbeit von Peter Blickle, Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil. München 1987 an. 70 Laut Stefan Rohwald, Gewalt neben friedlicher Koexistenz? Mittel und Logik interkonfessioneller und kommunalpolitischer Kommunikation in der Stadt Polock im 17. Jahrhundert, in: Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5.) Konstanz 2004, S. 269–308 „[. . . b]ildeten gemischtkonfessionelle Städte im westlichen Mitteleuropa die Ausnahme, [waren aber] im östlichen die Regel.“ Vgl. unter anderem die bei Jörg Deventer, „Confessionalization“ – a useful theoretical concept for the study of religion, politics and society in early modern East-Central Europe?, in: European Review of History 11.3 (2004), S. 403–425, hier: S. 412–413 genannten Arbeiten. Außerdem: Burkhard Dietz/ Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1999; Christophe Duhamelle, De la confession imposée à l’identité confessionnelle. Le cas de l’Eichsfeld, XVIe-XVIIIe siècles, in: Études germaniques 57 (2002), S. 513–527; Benjamin J. Kaplan, Calvinists and Libertines. Confession and community in Utrecht 1578–1620. Oxford 1995 sowie Eva Heller-Karneth, Drei Konfessionen in einer Stadt. (Veröffentlichungen zur Volkskunde

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Die in diesen Zusammenhängen entwickelten Konzepte der „Mehrfachkonfessionalisierung“71 und „Doppelten Konfessionalisierung“72 können für die aufeinander bezogenen Entwicklungen der Konfessionsgruppen in Aachen nutzbar gemacht werden. Die Öffnung der Konfessionalisierungsforschung für Fragen nach den Interaktionen zwischen verschiedenen Konfessionsgruppen ermöglicht es nun auch, Methoden der kulturgeschichtlich ausgerichteten Konfessionsforschung im Rahmen des Konfessionalisierungskonzepts mit seiner größeren Erklärungsreichweite anzuwenden. 1.1.4 Interaktive Konfessionalisierung Aachens Für Aachen bietet sich ein erweitertes Konzept der ‚interaktiven Konfessionalisierung‘ an. In Anlehnung an Schmidt und Lotz-Heumann müssen Wechselwirkungen zwischen Stadtgemeinde und Magistrat und die Dynamik zwischen drei christlichen Konfessionsgruppen in Aachen untersucht werden.73 Darüber hinaus müssen die Wechselwirkungen zwischen den innerstädtischen Vorgängen und den Akteuren der politischen Auseinandersetzungen um die Reichsstadt in Region und Reich in den Blick genommen werden. Die Studie von Close zur Aushandlung der Reformationspolitik in süddeutschen Reichsstädten74 bildet einen Ausgangspunkt dafür, das Konzept der ‚interaktiven Konfessionalisierung‘ auf diese Weise zu erweitern: Close stellte fest, dass die politische Kommunikation zwischen den Reichsstädten maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf der Reformation inund Kulturgeschichte, Bd. 60.) Würzburg 1996 und hier insbesondere die Ausführungen Heller-Karneths zu ihrem Verständnis von interaktiver Konfessionalisierung auf S. 11: Demnach ist die Studie darauf angelegt, die Konfessionsgruppen in Alzey „[. . . ] im Gegenlicht der jeweiligen anderen zu spiegeln [. . . ]“, sie also eher vergleichend zu betrachten, als ihre Verbindungen und Interaktionen herauszuarbeiten. 71 Vgl. Krista Zach, Politische Ursachen und Motive der Konfessionalisierung in Siebenbürgen, in: Volker Leppin/Ulrich A. Wien (Hrsg.), Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit. (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 66.) Stuttgart 2005, S. 57–70, hier: S. 57, 65 und 70. 72 Vgl. Ute Lotz-Heumann, Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. (Spätmittelalter und Reformation. N. R. Bd. 13.) Tübingen 2000. Hier ist insbesondere Lotz-Heumanns Befund auf S. 15 interessant, demnach katholische und protestantische Konfessionalisierung nicht einfach nebeneinander verlaufen seien, sondern sich aufeinander bezogen. 73 Für ein Verständnis von Konfessionalisierung als Interaktion sind außerdem die Ausführungen von Andreas Holzem, Piété, Culture Populaire, Monde Vécu. Conceptualisier la Pratique religieuse chrétienne, in: Philippe Büttgen/Christophe Duhamelle (Hrsg.), Religion ou confession. Paris 2010, S. 121–150, hier: S. 129 und die dort genannten Arbeiten relevant. 74 Christopher W. Close, The negotiated Reformation. Imperial cities and the politics of urban reform, 1525–1550. Cambridge 2009.

Fragestellung, Methoden und Gliederung

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nerhalb der einzelnen Städte hatte.75 Vergleichbare Zusammenhänge sind auch während des Konfessionalisierungsprozesses der Reichsstadt Aachen zu erwarten. Insgesamt steht die vorliegende Studie vor drei Herausforderungen: Erstens muss sie die lokalhistorische Forschung bezüglich ihrer überkommenen Interpretationsmuster revidieren, zweitens die vereinzelten Ergebnisse zur politischen und religiösen Geschichte Aachens sowie zur Geschichte einzelner Aachener Konfessionskirchen integrieren und dabei drittens die lange vernachlässigte Rückbindung an die methodisch-konzeptionellen Entwicklungen und die übergeordneten Fragestellungen der allgemeinen stadt-, reformations- und konfessionsgeschichtlichen Forschung wiederherstellen.

1.2 Fragestellung, Methoden und Gliederung Die Arbeit widmet sich also der bisher vernachlässigten Frage nach den Zusammenhängen zwischen politischen Auseinandersetzungen auf der einen Seite und der Gestaltung des Zusammenlebens der gemischtkonfessionellen Bevölkerung Aachens auf der anderen Seite, wobei sie das Modell der Konfessionalisierung mit dem Konzept der symbolischen Repräsentation religiöser, gesellschaftlicher und politischer Ordnung in einem gemischtkonfessionellen Gemeinwesen kombiniert. Sie geht der Frage nach, wie die Einwohner Aachens der Herausforderung begegneten, die religiöse Entfaltung dreier Glaubensgemeinschaften zu ermöglichen und gleichzeitig ihre Gesellschaft und ihr politisches System zu stabilisieren. Die lokalen Aachener Akteure werden dabei in Interaktion mit den Handlungsträgern der politischen Auseinandersetzungen in Reich und Region betrachtet, woraus sich folgende Anschlussfrage ergibt: Wie beeinflusste die dreifache Konfessionsbildung in Aachen auf der einen und die konfessionalistisch handelnden Akteure aus Reich und Region auf der anderen Seite das Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften sowie Alltag, Mentalitäten, Gesellschaft und Politik Aachens? Nicht zuletzt zielt die Studie darauf ab, die Entscheidungen, Handlungen, Konzepte und Strukturen zu benennen und zu verstehen, mit deren Hilfe Akteure inner- und außerhalb Aachens die gemischtkonfessionelle Aachener Gesellschaft stabilisierten. Mit der Frage nach den Leistungen und Bedingungen, die das Miteinander der Konfessionen ermöglichten, soll umgekehrt auch geklärt werden, woran der Aachener Versuch konfessioneller Koexistenz letztlich scheiterte und wo die Zeitgenossen die Grenzen des friedlichen Zusammenlebens von Katholiken, Reformierten und Lutheranern in der Reichsstadt Aachen zogen. 75

Vgl. insbesondere ebd., hier: S. 2–3.

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Einleitung

Der erste Teil der Darstellung vollzieht die Auseinandersetzungen nach, die auf drei politischen Ebenen – erstens auf der Ebene der Reichsstadt Aachen, zweitens auf der Ebene der die Stadt umgebenden Region und drittens auf der Ebene des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – ausgetragen wurden.76 Der zweite Teil analysiert die innerstädtischen Voraussetzungen für die dreifache Konfessionalisierung der Aachener Gesellschaft. Den Ausgangspunkt aller Überlegungen in beiden Teilen bilden die Handlungs- und Entscheidungsträger der politischen Auseinandersetzungen und der Konfessionalisierung der Aachener Gesellschaft. Die im Aachener Fall besonders komplexen Wechselwirkungen zwischen Politik, Gesellschaft und Religion erschließt die Arbeit über die Handlungen, Auseinandersetzungen und Erfahrungen der beteiligten Akteure. Diese Studie analysiert die Auseinandersetzung um die Verfassung, die reichsstädtischen Privilegien, den inneren und äußeren Frieden und auch das Religionswesen Aachens. Ihr erster Abschnitt konzentriert sich auf die Frage, wie weit die Auseinandersetzungen sich konfessionell polarisierten oder wie weit sie un- beziehungsweise überkonfessionell ausgetragen wurde. Er untersucht die Möglichkeiten der Akteure, sich im Streit um die Causa Aquensis zu positionieren und sich damit eventuell konfessionalisierten politischen Netzwerken und Zielen anzuschließen. In Anlehnung an das Konzept der historischen Diskursanalyse wird überprüft, welche konfessionalistischen und welche überkonfessionellen Aussagen, Themen und Argumente an bestimmten Punkten der Auseinandersetzung über die Causa Aquensis ‚sagbar‘ waren77 und inwiefern sich eine zwingende Dynamik zur 76

Die drei Begriffe Stadt, Region und Reich bezeichnen die Ebenen, auf denen die politischen Auseinandersetzungen über Aachen im Untersuchungszeitraum geführt wurden, weitgehend zutreffend. Vereinzelt und kurzfristig griffen auch die Könige von Spanien und Frankreich in die Auseinandersetzungen ein. Sie könnten nur aufgrund indirekter Verbindungen als Akteure der Reichspolitik oder der Politik in Nordwestdeutschland eingeordnet werden. Der ‚Aachener Sache‘ deswegen eine internationale oder europäische Dimension zuzuschreiben wäre aber übertrieben. 77 Vgl. für einen Überblick zu Theorie und forschungspraktischen Implikationen der Diskursanalyse Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse. (Historische Einführungen, Bd. 4.) Frankfurt 2008. Vgl. außerdem die Überlegungen von Norbert Haag, Zum Verhältnis von Religion und Politik im konfessionellen Zeitalter. System- und diskurstheoretische Überlegungen am Beispiel der Lutherischen Erneuerung in Württemberg und Hessen, in: Archiv für Reformationsgeschichte 88 (1997), S. 166–198, mit Hilfe von Systemtheorie und Diskursanalyse Probleme zu überwinden, die sich aus der klassischen Interpretation des Zusammenhangs von Bekenntnis und Politik ergeben. Haag zeigt, wie hilfreich es sein kann, Entscheidungen, wie beispielsweise die Beteiligung an Religionskriegen oder Konversionen, nicht grundsätzlich als religiöse Gewissensentscheidungen zu verstehen und dann zu fragen, inwiefern die religiösen Motive von politischem Kalkül überlagert worden sein könnten. Statt dessen könne gefragt werden, welche Möglichkeiten die Akteure hatten, das Medium (theologische) ‚Wahrheit‘ des gesellschaftlichen Teilsystems Religion

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konfessionellen Polarisierung des Diskurses und zur Konfessionalisierung der Akteure entwickelte. Dafür sind neben denjenigen Auseinandersetzungen, die in unmittelbarem Bezug zu den bedeutenden politischen Umbrüchen der Aachener Geschichte standen, auch weniger weitreichende Diskussionen interessant. Gerade in Nebenverhandlungen der regionalen und reichsweiten Auseinandersetzungen zur Causa Aquensis und in kleineren, zeitlich begrenzten Konflikten verhandelten die Beteiligten Argumente und Themen, deren Untersuchung zum Gesamtverständnis des Diskurses beiträgt. Wie bereits angedeutet, ist es im Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Diskurs über die Causa Aquensis außerdem von Interesse, welche inner- und außerstädtischen Akteure zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Motiven in die Auseinandersetzung eintraten. Dieser Ansatz verwirft die Vorstellung, Kollektivakteure in Gestalt eines katholischen und eines evangelischen Lagers hätten die Auseinandersetzung von Beginn an unter sich ausgetragen. Die Bildung konfessionspolitischer Interessengruppen wird als komplexer und gebrochener Prozess sichtbar. Die Aufmerksamkeit richtet sich neben den zweifelsfrei mittel- und langfristig beständigen konfessionellen Netzwerken78 auf die Grenzen der Bindungskraft solcher großen Formationen und auf situative, wandelbare und zum Teil flüchtige Verbindungen zwischen Akteuren. Auf Grundlage des im ersten Teil erarbeiteten Verständnisses der Akteure und der Analyse ihrer Diskurse wird im zweiten Teil der Studie das Zusammenleben der gemischtkonfessionellen Aachener Stadtgemeinde untersucht. Denn die politischen Auseinandersetzungen gaben die Rahmenbedingungen für die Konfessionalisierung in Aachen vor und vermittelten dem Konfessionalisierungsprozess auch darüber hinaus wichtige Impulse. Einzelpersonen, soziale und politische Gruppen sowie Institutionen des Stadtregiments und der Konfessionskirchen gestalteten den Rahmen aus.79 Untersucht wird, wie diese individuellen und institutionellen Akteure die und das Medium ‚Macht‘ des politischen Teilsystems miteinander in Einklang zu bringen. Die konfessionspolitische Entscheidungsfreiheit der Akteure hing weniger von deren persönlicher Glaubensfestigkeit als von ihrer Einbindung in den Diskurs von Politik und Religion ab. Die methodischen Überlegungen zu der vorliegenden Studie nehmen Haags Konzept auf. Die Analyse der religionspolitischen Auseinandersetzungen um Aachen zielt allerdings ausdrücklich nicht darauf ab, das Konzept vollständig umzusetzen und die Frage nach den religiösen Motiven der Akteure auszublenden. 78 Vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, hier: S. 107–109. 79 Zu den vielfältigen und komplexen Wechselwirkungen zwischen solchen Akteuren im Zuge des Konfessionalisierungsprozesses vgl. Andreas Holzem, Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110.1 (1999), S. 53–85 und insbesondere das Schema auf S. 82.

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Voraussetzung für das politische Handeln, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Betätigung und für das religiöse Leben dreier Konfessionsgruppen in einer Stadt schufen. Dabei konnte die Bewältigung von Konfessionskonflikten eine ebenso große Rolle spielen wie Formen interkonfessioneller Verständigung oder die Gestaltung nicht-konfessioneller Zusammenhänge. Das Aachener Stadtregiment, städtische Institutionen und Amtsträger, die Aachener Zünfte sowie die Konfessionskirchen von Katholiken, Reformierten und Lutheranern trugen den Konfessionalisierungsprozess und gaben ihm seine spezifische Prägung. Ihre Interaktionen werden nachvollzogen wie folgt: Personelle Verflechtungen und organisatorische Verbindungen zwischen den Konfessionskirchen und dem Stadtregiment werden untersucht. Es wird geprüft, wie die Religionspolitik des Rates zu verschiedenen Zeitpunkten ausgerichtet war, inwiefern bestimmte Zünfte konfessionell geprägt waren und analog dazu, inwiefern die Konfessionskirchen spezifische soziale oder berufsständische Profile aufwiesen. Die Entwicklungen der einzelnen Konfessionsgruppen und ihrer Konfessionskirchen werden sowohl in ihren jeweiligen Eigenheiten als auch in ihren Bezügen zueinander analysiert. Dabei steht zunächst die Fähigkeit der Kirchen im Mittelpunkt, ihre Funktionen in den Bereichen der gottesdienstlichen Versorgung ihrer Mitglieder, der religiösen Bildung, der Armenfürsorge und der Kirchenzucht im Rahmen der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft wahrzunehmen.80 Besondere Aufmerksamkeit gilt der Frage, wie die Konfessionskirchen mit der Präsens konkurrierender 80 Neben dem engeren Bereich des religiösen Lebens sind Schulwesen, Armenfürsorge und Kirchenzucht als die Gestaltungsfelder der Konfessionskirchen anerkannt, auf denen an der Konfessionsbildung und Konfessionalisierung der Gemeinde gearbeitet wurde. Dementsprechend vielfältig ist der Bestand an einschlägigen Forschungen. Für die vorliegende Studie sind unter anderem folgende Veröffentlichungen von besonderem Interesse: Die Beiträge in Andreas Rutz (Hrsg.), Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250–1750). (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung, Bd. 39.) Köln 2010 als Ausweis des aktuellem schulgeschichtlichen Forschungsstands zur für die Aachener Verhältnisse relevanten Region; Martin Scheutz/Alfred Stefan Weiss, Kein Ort der Armut? Frühneuzeitliche Spitaleinrichtungen und die Armenversorgung, in: Sylvia Hahn/Nadja Lobner/Clemens Sedmak (Hrsg.), Armut in Europa 1500–2000. (Querschnitte, Bd. 25.) Innsbruck/Wien/Bozen 2010, S. 177–199 als instruktiver Beitrag zum Zusammenhang zwischen städtischer Armenfürsorge und Religiosität sowie die kritischen Rückblicke auf die Forschungen zum Thema Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung in den Arbeiten Judith Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung. (Studies in medieval and reformation traditions, Bd. 122.) Leiden 2007 und Judith Pollmann, Off the Record. Problems in the Quantification of Calvinist Church Discipline, in: Sixteenth Century Journal 33.2 (2002), S. 423–438.

Fragestellung, Methoden und Gliederung

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Glaubensgemeinschaften in der Stadt umgingen und wie sie damit zur Gestaltung des konfessionellen Miteinanders beitrugen. An diese Betrachtungen anknüpfend wird die Lebenswelt der Aachener untersucht, die durch das Zusammenleben dreier Konfessionsgruppen in einer Stadt gestaltet wurde. Dem Verständnis dieses Zusammenlebens nähert sich die Studie durch Betrachtung zweier Aspekte an: Der gemeinsamen Lebenswirklichkeit aller Einwohner Aachens und der Lebenswirklichkeit von Konfessionsgruppen als Erfahrungsgemeinschaften.81 Potentiell gemeinsame, das heißt konfessionsunabhängige, Erfahrungen konnten die Einwohner Aachens durch Zusammenleben und Zusammenarbeit im Rat, in den Zünften, in der Wirtschaft und in ihren Familien sammeln.82 Gemeinsam konnten die Aachener auch die mit den ‚Aachener Wirren‘ und der politischen Auseinandersetzung darüber einhergehende Verunsicherung vieler Lebensbereiche und die Infragestellung ihres Selbstverständnisses als reichsstädtische Gemeinschaft erleben. Konfessionsgruppen konnten zu spezifischen Erfahrungsgemeinschaften werden, wenn die Einwohner Aachens mit den für jede Konfessionskirche unterschiedlichen religiösen Entfaltungsmöglichkeiten konfrontiert wurden. Für die Wahrnehmung dieser Entfaltungsmöglichkeiten waren neben der institutionellen Stabilität die symbolischen Repräsentationen der eigenen Kirche, aber auch der jeweils fremden Konfessionskirchen von Bedeutung.83 In Ergänzung und als Fortschreibung zu den Erfahrungen der Einwohner Aachens während der Auseinandersetzung um die Causa Aquensis wird die Konstruktion konfessionsspezifischer Erfahrungen, Deutungsmuster und Geschichtsbilder in der zeitgenössischen Publizistik und Chronistik untersucht.84 Die verschiedenen Repräsentationsformen standen dabei nicht nur für Zustand und Werte der einzelnen Konfessionsgruppen. Sie drückten vielmehr auch deren Beziehungen untereinander aus. Diese interkonfessionellen Beziehungen waren im Aachener Fall vielfältig und wandelbar. Die wichtigste Hypothese dieser Studie lautet, dass von dieser Wandelbarkeit sowohl die Möglichkeiten der Aachener abhingen, das Zusammenleben in ihrer gemischtkonfessionellen Reichsstadt friedlich zu gestalten, als auch die Gründe, die zum Scheitern des Zusammenlebens führten. 81 Vgl. die Beiträge von Münch und Schlögl in: Paul Münch (Hrsg.), „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. (Historische Zeitschrift, Beihefte, N.F. Bd. 31.) München 2002. 82 Kaplan, Calvinists and Libertines, hier: S. 278–291 hat den unkonfessionellen Charakter dieser Lebensbereiche in Utrecht beispielhaft herausgearbeitet. 83 S. o. S. 27. 84 Vgl. zur Bedeutung der Geschichtsschreibung für die Entstehung von Konfessionskulturen S. 5.

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1.3 Quellen Im Unterschied zu den meisten größeren Städten und Reichsstädten, deren Geschichte im Konfessionellen Zeitalter durch umfangreiche Quellenbestände dokumentiert ist und die gerade aufgrund dieser dichten und vielfältigen Überlieferungen zum Gegenstand zahlreicher Studien wurden,85 stellt die Quellenlage zur Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter die historische Forschung vor die Herausforderung drei Mängel zu verwalten: Erstens, die weitgehende Vernichtung des Ratsarchives und der Archive anderer lokaler Institutionen durch den Aachener Stadtbrand von 1656,86 zweitens, die komplizierte Überlieferung zur Geschichte der politischen Auseinandersetzungen über die Causa Aquensis 87 und drittens die uneinheitlichen und lückenhaften Überlieferungen der Aachener Konfessionskirchen und anderer gesellschaftlich relevanter Institutionen in der Reichsstadt.88 1.3.1 Quellen zur politischen Auseinandersetzung über die Causa Aquensis Der Stadtbrand von 1656 vernichtete das Archiv des Rates. Zusätzlich sind im Zuge dieses Ereignisses Akten und Urkunden weiterer Organe der reichsstädtischen Obrigkeit wie die Überlieferungen der Gerichte des Rates und der Schöffen verloren gegangen.89 Das Handeln der reichsstädtischen Institutionen kann daher nur aus wenigen Überresten des Ratsarchives und Parallelüberlieferungen rekonstruiert werden. Im Stadtarchiv Aachen werden in den Faszikeln mit der Bezeichnung Akten betreffend die Aachener Religionsunruhen unter anderem Edikte des Aachener Rates und Korrespondenzen von Amtsträgern sowohl der offiziellen reichsstädtischen Magistrate als auch der zeitweilig agierenden Parallel- und Gegenregimenter verwahrt.90 Weitere Überlieferungen zur reichsstädtischen Obrigkeit finden sich in 85

Vgl. Isaiasz/Pohlig, Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen, hier: S. 15. Zu den Folgen des Stadtbrands zuletzt: Thomas R. Kraus, Der Aachener Stadtbrand vom 2. Mai 1656 und seine Folgen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 109 (2007), S. 35–99. 87 Vgl. Herbert Lepper, Reichsstadt und Kirche im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Heinz Stoob (Hrsg.), Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung. (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen, Bd. 7.) Münster 1979, S. 29–46, hier: S. 35–37 mit Anm. 29. 88 S. u., S. 42 zur Überlieferung der protestantischen Konfessionskirchen und S. 42–43 zur katholischen Kirche in Aachen. 89 Vgl. Kraus, Der Aachener Stadtbrand vom 2. Mai 1656 und seine Folgen. 90 Akten betreffend die Aachener Religionsunruhen I–V, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866–870. Bei der Nutzung der Akten darf allerdings nicht übersehen werden, dass über die genaue Herkunft und die Überlieferungsgeschichte wenig bekannt ist. Ähnliche Vorbehalte 86

Quellen

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den Beständen der Aachener Zünfte beziehungsweise Gaffeln.91 Die Zünfte haben Verfügungen der Magistrate aufbewahrt, die für ihre eigenen Statuten und Privilegien relevant waren. Insgesamt kann das Handeln dieser städtischen Institutionen so zwar nicht lückenlos rekonstruiert werden, für eine Beurteilung ihrer Bedeutung für das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in der Stadt und ihrer Rolle in der politischen Auseinandersetzung über die Causa Aquensis reicht die Quellenbasis jedoch aus. Der Verlust des Ratsarchives darf also durchaus als Chance begriffen werden, die übliche Perspektive auf das Thema konfessionelle Stadt zu wechseln und die Rolle, welche die Stadtregimenter für die Entwicklungen in Aachen spielten, nicht überzubewerten. Ein Mangel an Quellen zu den politischen Auseinandersetzungen über den politischen und konfessionellen Status der Reichsstadt ist nicht zu verzeichnen. Angesichts des Umfangs der Überlieferung, ihrer Verteilung auf zahlreiche Archive und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit wurde bereits früh festgestellt, dass die Auswertung aller Bestände den Rahmen einer einzelnen Studie sprengen würde.92 Für die vorliegende Studie war der zuletzt von Walter Schmitz gewählte Ansatz, sich auf die Überlieferungen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien zu stützen, nicht geeignet.93 Schmitz’ Befund, dass die Ergänzung der Wiener Bestände durch reichsständische Überlieferungen zu keinen gelten für die in der älteren Literatur häufig als seditio protestantium bezeichnete Handschrift 60 im Stadtarchiv Aachen. Die Rats- und Regimentsakten aus den Religionsunruhen-Faszikeln und ähnlichen Aktensammlungen unklarer Genese bedürfen der Ergänzung durch weitere Bestände. Einen Teil dieser Lücke füllt der Bestand StAAa, Depositum Reichsstadt Aachen 28. Diese Akten bestehen aus einem vom Aachener Rat nach dem Erlass des kaiserlichen Endurteils von 1593 angeforderten juristischen Gutachten über die Rechtmäßigkeit des amtierenden Aachener Magistrats und die Gewährung der öffentlichen Religionsausübung für die Anhänger der Confessio Augustana in Aachen sowie aus Kopien der diesem Gutachten beigelegten Akten, darunter die wichtigsten religionspolitischen Ratsedikte aus dem Zeitraum von 1559 bis 1592. Desweiteren relevant: StAAa, RA II, Allg. Akt. 206. Vgl. dazu Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 10 mit Anm. 1. Bei diesem Bestand handelt es sich um die größte zusammenhängende Sammlung von Quellen zum Handeln der politischen Akteure innerhalb der Reichsstadt Aachen. 91 Relevante Akten im StAAa: Der Bockzunft: HS 225D (Rechnungsbuch 1553–1618), HS 399 (Auszüge aus den Rollen 1577–1790); der Brauer: HS 136 (Rollen und Protokolle 1577–1674); Goldschmiede: StAAa, RA II, Allg. Akt. 368 (Rolle 1573–1663); Krämer: HS 25 (Rolle 1578–1667); Kesseler: HS 415 (Rolle 1578–1667); Schneider: HS 100 (Protokolle und Abschriften 1512–1781), HS 108 (Zunftbuch 1570–1624), HS 410 (Rolle 1512–1797); Schuhmacher: RA II, Allg. Akt. 360 (Rolle 1461–1680, Weiteres 1591–1704); Sternzunft: Dep. Reichsstadt Aachen 31, I (Sternzunftbuch 1607–1708), HS 755 (Akten 1571–1690). 92 Vgl. Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 223. 93 Zur Relevanz der Wiener Bestände vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 12–13 mit Anm. 1.

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grundlegend neuen Erkenntnissen führen würde, trifft, in Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie, nicht vollständig zu.94 Relevante Bestände sind außerhalb Wiens vornehmlich in den Archiven der Herzöge von Jülich, Kleve und Berg sowie der Kurfürsten und Erzbischöfe von Köln überliefert. Die Recherchen im Landesarchiv NRW dienten dazu, die Rolle der Landesherren von Kurköln und Jülich in der Auseinandersetzung um den politischen und konfessionellen Status Aachens zu untersuchen. Die dafür relevanten Bestände gruppieren sich um die Akten, die im Umfeld der kaiserlichen Kommissionen entstanden sind, für die Jülich und Kurköln die subdelegierten Kommissare stellten. Zusätzlich gehören zu den Beständen Akten, die in den Zeiträumen zwischen der Tätigkeit der verschiedenen Kommissionen entstanden sind. Die Jülicher und Kölner Bestände bieten also eine vergleichsweise kontinuierliche Überlieferung.95 Auf Grund der geographischen Nähe und der auch außerhalb von Krisenzeiten üblichen Korrespondenz zwischen der Reichsstadt Aachen und den beiden Fürsten sind Briefwechsel mit Aachener Akteuren und direkte Nachrichten über die Verhältnisse in der Stadt ein wesentlicher Bestandteil der Überlieferung. Jülich und Kurköln spielten als Kommissare des Kaisers ununterbrochen eine Rolle für die religionspolitischen Entwicklungen in Aachen. Die beiden benachbarten Fürsten zeigten dauerhaft Interesse an der Reichsstadt und vernetzten sich intensiv mit Aachener Akteuren. Andere Fürsten und Reichsstände in den politischen Auseinandersetzungen um den politischen und konfessionellen Status Aachens erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Sie traten, wie Kursachsen oder die Landgrafen von Hessen, kaum in Korrespondenz mit den Aachener Akteuren. Dieser Befund gilt für das Engagement der Niederländischen Regierung in Brüssel, der Kurpfalz und einiger Reichsstädte, insbesondere Straßburgs, Ulms und Frankfurts, nicht im vollen Umfang. Dennoch liegen auch hier die Überlieferungen zur politischen Auseinandersetzung um Aachen nicht so geschlossen vor, dass eine umfassende Sichtung sinnvoll wäre. Die Rollen aller Akteure, die in der Causa Aquensis weniger aktiv waren als Kaiser, Kurköln und Jülich, werden anhand kommunikativer Verdichtungen der politische Auseinandersetzung untersucht. Die Verhandlungen über die politische Zukunft Aachen verdichteten sich konkret immer dann, wenn Gesandtschaften in Aachen aufeinander und auf die Aachener Handlungsträger trafen. Zusätzlich boten eine Reihe von Kreistagen des 94

Vgl. dazu Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 13. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 4, 5, 5a, 55–58, 61, 62, 64, 65 77a, 77b. Zu diesen Beständen ist anzumerken, dass sie zwar ursprünglich am kaiserlichen Hof zusammengestellt wurden, jedoch einen bedeutenden Anteil von Akten zum Jülicher Engagement in der Causa Aquensis enthalten; zusätzlich: LA NRW, Abt. Rhld., Kurköln VI 154. 95

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Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, von Reichstagen und von Städtetagen Bühne für Debatten über die Causa Aquensis. Einer umfassenden Sichtung wurden deswegen die Kreistagsakten96 und die edierten Akten der Tage von Augsburg 1559 und 158297 unterzogen. 1.3.2 Quellen zum Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen Unter den Akten, die in Hinblick auf die politischen Auseinandersetzung in Stadt, Region und Reich ausgewertet wurden, finden sich zahlreiche Stücke, die Aufschluss über die interkonfessionelle Dynamik in der Reichsstadt geben: Berichte und Denkschriften der politischen Akteure aus Aachen über die Verhältnisse in ihrer Stadt, darunter Klagen über Beeinträchtigungen des Religionslebens der einen oder anderen Konfessionsgruppe sowie Entgegnungen auf solche Klagen. Einen direkteren, weil weniger durch politisches Kalkül und Argumentationszwänge verstellten Einblick in das Zusammenleben der drei Konfessionsgruppen in Aachen versprechen die Überlieferungen der Konfessionskirchen von Reformierten, Lutheranern und Katholiken zu geben. Während die Bestände der Reformierten und Lutheraner einer sehr umfangreiche Auswertung unterzogen wurden, beschränkte sich die Quellensichtung zur katholischen Konfessionskirche in Aachen auf ausgewählte Bestände. Die Entscheidung zu diesem Vorgehen stützt sich auf mehrere Überlegungen: Der erste Grund liegt in der unterschiedlichen institutionellen und organisatorischen Verfassung der Konfessionskirchen: Die Überlieferungen der reformierten und lutherischen Konfessionskirchen liegen jeweils als geschlossene Bestände vor. Die katholische Kirche zeichnete sich hingegen in Aachen wie anderen Orts durch das Nebeneinander oder das hierarchisch gegliederte Miteinander zahlreicher verschiedener Institutionen aus. Während die Akten und Urkunden der katholisch-kirchlichen Institutionen in zahlreichen Einzelstudien zumindest soweit bearbeitet wurden, dass sich ihr Ertrag für die vorliegende Studie abschätzen ließ, wurden die Archivalien der Reformierten und Lutheraner zwar wiederholt, aber immer in Hinblick auf sehr spezielle Fragestellungen, genutzt. Das Erkenntnispotential des Gesamtbestandes wurde bisher nur ansatzweise ausgeschöpft. Die archivalischen Überlieferungen der reformierten und der lutherischen Konfessionskirchen aus dem Untersuchungszeitraum liegen heute gemeinsam im Archiv der Evangelischen Gemeinde Aachen, das mit Ausnahme einzelner 96

LA NRW, Abt. Rhld., Niederrheinisches Kreisarchiv IX 57, 60, 61, 71, 72. Vgl. die Editionsbände: Josef Leeb (Hrsg.), Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) Göttingen 1999 und Josef Leeb (Hrsg.), Der Reichstag zu Augsburg 1582. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) München 2007. 97

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Teilbestände im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland eingelagert ist.98 Die aufschlussreichsten Quellen in den Archiven der beiden protestantischen Kirchen sind die Protokolle des reformierten Konsistoriums99 und der Senioren der lutherischen Gemeinde100 . Sie enthalten Informationen zur organisatorischen Verfassung der Gemeinden und zu wichtigen Aspekten des Kirchenlebens sowie über die Vernetzung der Aachener Gemeinden mit Vertretern ihrer Kirche außerhalb der Stadt.101 Die Wahl der Quellen, durch welche die Rolle der katholischen Konfessionskirche in Aachen erschlossen wird, fiel auf die Überlieferungen des Sendgerichts und des Marienstifts. Das Sendgericht übte die geistliche Gerichtsbarkeit in Aachen aus. Seine Tätigkeit war damit ein entscheidender Faktor für die Gestaltung der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den protestantischen Einwohnern Aachens.102 Allerdings stellte es seine Tätigkeit 1590 ein. Die 1560 einsetzende Überlieferung der Gerichtsprotokolle bricht schon deutlich früher, im Jahr 1580, ab und setzt auch für die Jahre nach 1598, als die Sendschöffen erneut urteilten, nicht wieder ein.103 Das Marienstift spielte in etwa die Rolle eines Zentralorgans der katholischen Kirche in Aachen.104 Zusätzlich war das Kapitel intensiv mit katholisch-kirchlichen Institutionen außerhalb Aachens vernetzt und wurde 98

Archiv d. EKiR, 4KG 004. Die Bestände sind vollständig durch Findmittel erschlossen, vgl. Lepper, Reichsstadt und Kirche im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, hier: S. 40–41 mit Anm. 43. In der aktuellen Gliederung des Archivs lassen sich einzelne Akten, auf die in der älteren Literatur und auch in der ersten Beschreibung des evangelischen Gemeindearchivs Bezug genommen wurde, nicht wieder auffinden. In geringem Umfang gingen andere Akten seit ihrer Nutzung am Ende des 19. Jahrhunderts verloren. Vor diesem Hintergrund ist der ältere Archivbericht von Joseph Hansen zu beurteilen: Joseph Hansen, Übersicht über die im Archiv der hiesigen evangelischen Gemeinde aufbewahren Aktenstücke, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 6 (1884), S. 342–344. 99 Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1–3. 100 Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1–2 und Archiv d. EKiR, 4KG 004, 02–1,3. Die überlieferten Aufzeichnungen zu den Sitzungen der Gemeindeleitungen decken allerdings den Untersuchungszeitraum nicht vollständig ab: Die reformierten Protokolle decken die Jahre 1592 bis 1598, 1600 bis 1606 und 1612 bis 1614 ab, während Aufzeichnungen der Lutheraner für die Jahre 1586 bis 1598 und fragmentarisch für die Jahre 1607 bis 1612 vorhanden sind. 101 Für die Vernetzung der reformierten Konfessionskirche sind außerdem die reformierten Synoden relevant, deren Akten ediert vorliegen: Simons, Synodalbuch; Goeters, Die Akten der Synode zu Emden 1571; Rosenkranz, Die Akten der Generalsynode I. 102 Vgl. Herbert Lepper, Reichsstadt und Kirche. Die Auseinandersetzung um die Verfassung des Aachener Sendgerichts im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonische Abteilung 66 (1980), S. 371–392. 103 Die entsprechenden Akten befinden sich im StAAa, RA II, Gerichte, 10, 1–2. 104 Vgl. einführend zur Forschung über das Marienstift Peter Offergeld, Offene Proble-

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von geistlichen wie weltlichen politischen Akteuren als Vertretung der katholischen Kirche in Aachen wahrgenommen.105 In Hinblick auf das hier verfolgte Untersuchungsziel sind die Protokolle der Kapitelsitzungen die wichtigste Quelle im Stiftsarchiv.106 Sie bilden einen Querschnitt der Aufgaben ab, mit denen das Kapitel befasst war, und erlauben, die Bedeutung abzuschätzen, die das Zusammenleben der drei Konfessionen in Aachen für das Kapitel und die katholische Kirche in Aachen insgesamt hatte. Katholische Orden oder Brüderschaften füllten keine den Funktionen von Sendgericht oder Marienstift vergleichbare Position innerhalb der katholischen Kirche in Aachen aus. Auch sind ihre archivalischen Überlieferungen nicht dazu geeignet, ihre Bedeutung für das Zusammenleben der Konfessionen in Aachen zu erschließen.107 Insgesamt kann trotz der problematischen Quellenlage auf ein Quellenkorpus zurück gegriffen werden, anhand dessen sich die Auseinandersetzungen zwischen den Hauptakteuren der Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter und die Entwicklungen in der Stadt nachvollziehen lassen.

me der Geschichte des Aachener Münsterstifts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 98/99 (1992/93), S. 69–83. 105 Vgl. Wilhelm Rober, Die Beziehungen zwischen der Stadt Aachen und dem Marienstift bis zur französischen Zeit (1798), in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 47 (1925), S. 1–82. 106 LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien, Akten 11 b–g. Die übrigen Akten des Stifts geben über die Hinweise in den Protokollen hinausreichende Informationen, vor allem zu der Bedeutung des Prozessionswesens und der Heiligtumsfahrten nach Aachen für die gemischtkonfessionelle Stadt: DomAAa, I. 1. A. (Höhere Geistlichkeit des Stifts), I. 1. B. (Pröbste und Probstei), IV. 1. (Heiligtumsfahrt), IV. 2. (Kleinere Reliquien), VI. 1. (Immunität), VI. 3. (Synodalgericht). 107 Einen Überblick zu den katholisch-kirchlichen Institutionen in Aachen und deren Überlieferungen geben Groten u. a., Aachen bis Düren, hier: S. 23–238. Den vorliegenden Studien zu den Aachener Jesuiten hätte eine Archivrecherche im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nichts hinzufügen können. Ein Überblick zu Quellen und Literatur findet sich bei Frank Pohle, Aachen – Jesuiten, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 68–80, hier: S. 74–76 u. S. 79–80.

2 Die politischen Auseinandersetzungen mit der Causa Aquensis 1524 bis 1616 – Akteure, Themen, Argumente 2.1 Die Grundlagen künftiger Auseinandersetzungen: Gegenreformation bei Gelegenheit (1524–1555) In den Jahren 1524 bis 1555 deutete nur wenig darauf hin, dass sich in Aachen eine evangelische Reformation anbahnen könnte. Ob die einzelnen Ereignisse, im Rahmen derer die Aachener sich erstmals nicht ihrer traditionellen katholischen Religion entsprechend verhielten, zusammen eine reformatorische Bewegung formten und ob sie mit den späteren Auseinandersetzungen um das Zusammenleben der Konfessionen in Aachen zusammenhingen, sind offene Fragen.1 Als erster Niederschlag der Reformation in Aachen gilt der Auftritt des Predigers Albrecht von Münster, der 1524 auf dem Aachener Münsterplatz die katholische Sakramentenlehre, die Heiligenverehrung und die Praxis der Pilgerreisen verspottet haben soll. Später sei er auf Veranlassung des Rates verhaftet und hingerichtet worden.2 Dass die Predigt zur Bildung einer Glaubensgemeinschaft abseits der katholischen Kirche in Aachen geführt hätte, ist nicht überliefert.3 Die nächsten Aktivitäten, die in den 1530er Jahren gegen die Normen 1 Die Schilderung der Ereignisse folgt dem Bericht „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I). Die chronikalische Aufzeichnung, deren Autor und Entstehungszeit unbekannt sind, berichtet stellenweise detaillierter über die fraglichen Ereignisse als Beeck, Aquisgranum, hier: S. 256–260 und Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 246–248, verzichtet aber auf deren Bewertung und Einordnung in ein katholisch-konfessionalistisches Geschichtsbild. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 23–40 hat die religiösen Entwicklungen in Aachen schon einmal auf Grundlage von „Anfangh der Newen Religion [. . . ]“ in knapper Form beschrieben. Allerdings stand für Schmitz nicht das Problem im Mittelpunkt, ob zwischen den religionspolitischen Auseinandersetzungen in Aachen vor und nach 1555 Kontinuität bestand oder ein Bruch stattfand. 2 Vgl. Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 146. Die Ausführungen von Noppius und des anonymen Autors von „Anfangh der Newen Religion [. . . ]“ ähneln sich an dieser Stelle so sehr, dass an eine Abhängigkeit der beiden Texte zu denken ist. 3 Den selben Befund erhob bereits Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 413.

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der katholischen Kirche verstießen, gingen nicht auf diesen Auftritt von Münsters zurück: Im Frühjahr des Jahres 1533 erfuhr der Aachener Rat, dass mehrere Predigten in einem Privathaus und außerhalb der Stadt stattgefunden hatten. Die Besucher einer solchen Winkelpredigt wurden gefangen genommen. Am 24. Januar ließ der Rat das allgemeine Verbot solcher Konventikel folgen.4 Am 19. April verbannte er einige Teilnehmer von Winkelpredigten aus seinem Herrschaftsbereich.5 Anderen Besuchern ähnlicher religiöser Versammlungen erließ das Stadtregiment nach Gnadengesuchen, dem Gelöbnis, in Zukunft katholisch zu leben, und der Übergabe ihrer „ketzerischen“ religiösen Literatur die Strafen. Solche Gnadenerlasse waren in städtischen Gerichtsverfahren üblich.6 Der Aachener Rat ging 1533 davon aus, dass reuige Delinquenten, auch wenn ihre Vergehen religiöser Natur waren, keine weitere Gefahr für die bürgerliche Gemeinschaft darstellten. Diesem Verfahren war zuträglich, dass die genauen religiösen Überzeugungen der „Unkatholischen“, die begnadigt wurden, ungeklärt blieb.7 Sobald Besucher heimlicher religiöser 4 So überliefert in: „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, 24. Januar 1533, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 4; Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 25–26 gibt irrtümlich den 8. Januar 1533 an. 5 An die Durchsetzung dieses Strafbefehls wurde der für die Exekution zuständige Meier, ein vom Herzog von Jülich ernannter Amtmann mit jurisdiktionellen und weitreichenden exekutiven Rechten in der Stadt, in der Folgezeit zweimal erinnert. Hinweis auf entsprechende Anweisungen am 6. Mai und 9. Juni 1533 in „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 4v. 6 Zur Ausrichtung der städtischen Justizpraxis am Ziel der Friedenswahrung Joachim Eibach, Städtische Strafjustiz als konsensuale Praxis. Frankfurt a.M. im 17. und 18. Jahrhundert, in: Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5.) Konstanz 2004, S. 181– 214, hier: S. 208–211. Uwe Goppold, Politische Kommunikation in den Städten der Vormoderne. (Städteforschung Reihe A: Darstellungen, Bd. 74.) Köln 2007, hier: S. 275 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht nur die Justiz sondern alle Normen politischer Kommunikation in frühneuzeitlichen Städten der Vermeidung von Konflikten dienten. Ob die Religionsprozesse in Aachen zu dieser Zeit tatsächlich einer konsensualen Praxis folgten, kann aufgrund des Fehlens von Prozessakten nicht überprüft werden. Die überlieferten Strafmaßnahmen lassen diesen Schluss aber zu. 7 Trotz aller Zweifel ist unter Rückgriff auf die in den wenigen Quellen vorherrschenden Bezeichnungen die Hypothese aufgestellt worden, dass es sich bei den meisten „unkatholischen“ Aachenern der 1530er Jahren um Anhänger täuferischer Strömungen handelte. So unter anderem bei Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 26, wo auch frühere Vertreter dieser These genannt werden – allen voran Joseph Hansen, Die Wiedertäufer in Aachen und in der Aachener Gegend, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 6 (1884), S. 295–338. Allerdings ist die ältere These, dass die frühe reformatorische Bewegung im Rheinland insgesamt vom Täufertum geprägt worden sei, mittlerweile widerlegt worden. StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 legt nahe, dass auch

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Versammlungen dagegen als Wiedertäufer identifiziert wurden, bestrafte der Rat sie konsequent.8 Noch bevor der Aachener Magistrat 1533 die ersten Strafen wegen geheimer religiöser Versammlungen verhängte, hatte Herzog Johann III. von Jülich den Rat ermahnt, „[. . . ] etliche Sacramentirer oder verachter des hohen h.[eiligen] Sacraments so aus ihrer f[ürstlichen] Gn[aden] Landen vertriben [. . . ]“, die dann aber in Aachen aufgenommen worden waren, nicht in der Stadt zu dulden. Dies sei durch den Abschied des Augsburger Reichstages von 1530 geboten. Die Duldung von Sekten würde, wie der Herzog weiter argumentierte, zwangsläufig zu Unruhe und Streit führen.9 Der Herzog nahm den Aachener Rat also in die Pflicht, an der auf Reichsebene verfügten Verfolgung von verbotenen Sekten mitzuwirken. In einem zweiten Schreiben vom 20. Juli 1533 erklärte der Herzog, den Rat verantwortlich zu machen, falls durch dessen Nachlässigkeit bei der Verfolgung verbotener Sekten Nachteile für das Herzogtum Jülich entstünden. Trotzdem deutet nichts darauf hin, dass der Herzog den Aachener Magistrat im Verdacht gehabt hätte, der Ausbreitung nicht katholischer Glaubensgemeinschaften Vorschub geleistet zu haben. Der Herzog behandelte den Rat als benachbarte Obrigkeit, die er um Zusammenarbeit bei der Sektenbekämpfung bat. Er bezog den Sektenbegriff dabei nicht nur auf die Wiedertäufer, sondern auch auf andere Denominationen, die er unter den Sammelbegriff „Sacramentierer“ fasste. Dass der Aachener Rat in Folge der herzoglichen Aufforderung seine Definition gefährlicher Sekten in ähnlicher Weise erweiterte, ist nicht überliefert. Vielmehr beschloss er am 3. August 1535, die entsprechenden Jülicher Edikte in Aachen nicht zu publizieren, weil die in Bezug auf die Vermutungen zum Bekenntnis der ersten Christen abseits der katholischen Kirche in Aachen Zweifel angebracht sind. Vgl. dazu: Stefan Ehrenpreis, Die Obrigkeit, die Konfessionen und die Täufer im Herzogtum Berg 1535–1700. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Burkhard Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1999, S. 113–152, hier: S. 114. Damit ist der Gebrauch der Bezeichnung Wiedertäufer durch die Aachener Obrigkeit eher im Sinne einer Kennzeichnung der so Beschuldigten als Angehörige einer besonders gefährlichen Sekte zu verstehen, denn als treffende Identifikation ihrer Konfession. 8 Im Januar 1535 wurden zwei Männer, Johan Kranß und Tieß Kester, auf dem Katschhof hingerichtet, weil sie Wiedertäufer gewesen seien. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 26. 9 Herzog Johann III. von Jülich, Kleve und Berg an Bürgermeister, Schöffen und Rat von Aachen, 20. Januar 1533, 4. April 1533, 20. Juli 1533 und 12. Dezember 1534, StAAa, HS 60, f. 220v–221.

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eigenen bereits ergriffenen Maßnahmen zur Verfolgung verbotener Sekten ausreichend seien.10 Der Aachener Rat bestrafte nicht nur heimliche religiöse Versammlungen und und ging hart gegen Wiedertäufer vor, sondern er schränkte seit Ende der 1530er Jahre auch die Verbreitung nicht katholischer Lehren in Aachen ein und überprüfte in eingeschränktem Maße zugewanderte Einwohnern der Stadt.11 Ein Verkaufsverbot für Bücher und Inquisitions- und Ausweisungsmaßnahmen gegen Zuwanderer, die verdächtigt wurden, Lutheraner zu sein, zeigten, dass der Rat Ende des Jahres 1539 stärker auf das Eindringen neugläubiger Ideen aus der Fremde reagierte. Diese Politik ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens sind den Ausweisungen vergleichbare Maßnahmen gegen Aachener Bürger oder eingesessene Einwohner nicht belegt und zweitens bezogen sich die Vorbehalte gegenüber der religiösen Gesinnung von Fremden noch auf eine kleine Gruppe, die sich in einer konkreten Situation verdächtig gemacht hatte. Eine konfessionell begründete allgemeine Kontrolle oder Einschränkung der Zuwanderung nach Aachen beschloss der Rat nicht. Im Jahr 1544 begann der Rat stattdessen, die Ansiedlung von Textilhandwerkern aus Flandern und dem Artois in Aachen zu fördern. Im selben Jahr ließen sich 25 bis 30 Familien aus den beiden Regionen in Aachen nieder. Ihre Herkunft legte nahe, dass sie einer nicht katholischen Konfession angehörten, stellte aber kein Hindernis dafür dar, die Etablierung ihres Handwerks in Aachen bis mindestens 1549 finanziell zu fördern.12 Die katholische Geschichtsschreibung schrieb den Textilhandwerkern später eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der protestantischen 10 Von dieser Reaktion des Rates berichtete eine knappe Notiz in StAAa, HS 60, f. 220v. Smolinsky, Jülich–Kleve–Berg, hier: S. 99 weist darauf hin, dass es schon vor 1567 Edikte der Herzöge von Jülich gegen Calvinisten gegeben habe, und meint damit diejenigen Befehle, die sich gegen „Sakramentierer“ richteten. Dass Johann III. mit seiner Forderung nach der Ausweisung der Sakramentierer tatsächlich bereits 1533 dezidiert auf Anhänger calvinistischer oder reformierter Bekenntnisse abzielte, ist zweifelhaft. Plausibler sind die Thesen von Johann Friedrich Goeters, denen zu Folge der Calvinismus erst durch den zweiten Abendmahlsstreit in den Jahren 1552 und 1553 deutlich als eigenständige Konfession hervorgetreten sei und das erste Jülicher Edikt, das sich speziell gegen den Calvinismus richtete, 1567 veröffentlicht wurde. Vgl. dazu Goeters, Die Entstehung des rheinischen Protestantismus und seine Eigenart, hier: S. 170 und S. 172–173. 11 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, 4. Dezember und 21. Dezember 1539 sowie zum 15. November [1542], StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 5. 12 Entsprechende Finanzhilfen und Kredite sind dokumentiert in „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, Dezember 1544, Juni 1545, Dezember 1546 und November 1549, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), 11v bis 12v.

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Konfessionen in Aachen zu. Noppius verstand die zugewanderten Familien als Keimzellen der Glaubensgemeinschaften abseits der katholischen Kirche in Aachen. Inwiefern tatsächlich eine Verbindung zwischen den frühen Zuwanderern und den sich später etablierenden protestantischen Konfessionskirchen bestand, lässt sich nicht nachweisen.13 Tatsächlich markierte der Zuwanderungsschub aber einen Einschnitt für die Entwicklung der religiösen Verhältnisse in Aachen. Nach 1544 waren Ereignisse von der katholischen Norm abweichender Religiosität soviel präsenter, dass sich die Art und Weise, wie die lokale Obrigkeit die neugläubigen Regungen wahrnahm und darauf reagierte, zu verändern begann: Am 7. Mai 1545 erklärten der Rat und das geistliche Sendgericht, gemeinsam gegen Personen vorgehen zu wollen, die „[. . . ] in der Religion verdächtig [. . . ]“ waren. Die Verdächtigen sollten dem Sendgericht innerhalb von acht Tagen einen Beweis ihrer Unschuld vorbringen. Ansonsten würden sie vom Rat bestraft.14 Zwei Ratsedikte vom Juni des Jahres15 und die daraufhin eingeleiteten Verfahren vermitteln darüber hinaus ein genaueres Bild, welche Personen und Vergehen nun in den Fokus von Sendgericht und Rat rückten und welche Maßnahmen vorgesehen waren. Die Edikte bekräftigten, dass alle Wiedertäufer aus der Stadt ausgewiesen würden. Neu war der ausdrückliche Beschluss, auch gegen andere Christen abseits der katholischen Kirche vorzugehen, nämlich solche Personen, die sich gegenüber den Sakramenten blasphemisch verhielten. Die Verordnung kam dem Jülicher Edikt gegen „Sakramentierer“, dessen Publikation zuvor noch abgelehnt worden war, inhaltlich sehr nahe. Personen, welche die Sakramente nicht achteten, sollten allerdings nicht wie die Wiedertäufer unmittelbar ihr Recht verlieren, sich in Aachen aufzuhalten, sondern die schon im Mai des 13 Besonders deutlich formuliert Fey, Zur Geschichte Aachens im 16. Jahrhundert, hier: S. 14 diesen Verdacht. Er ging davon aus, dass bereit in Aachen etablierte Calvinisten die Ansiedlung der auswärtigen Handwerker vorbereitet hätten, sodass „[. . . ] der Rat im Herbst 1544 dreissig flandrischen Calvinern Aufnahme in die Stadt gewährte [. . . ]“. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 29–30 geht hingegen davon aus, dass ausschließlich wirtschaftliche Erwägungen des Rates zur der Einwanderung geführt hätten. Allerdings sei in der Folge ein kontinuierlicher Zustrom niederländischer Auswanderer nach Aachen in Gang gekommen (vgl. ebd. S. 38). In Anlehnung an die Chronik Noppius’ (Vgl. Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 148) wird allerdings auch in jüngeren Darstellungen weiter die mutmaßliche religionspolitische Bedeutung und die Relevanz für die Etablierung der reformierten Konfessionsgruppe in Aachen betont. Vgl. Kottmann, Die Anfänge der Reformation in Aachen, hier: S. 69. 14 Entsprechende Zuwendungen sind dokumentiert in „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, 7. Mai 1545, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 11v. 15 Die Edikte wurden erlassen am 18. Juni 1545 und 23. Juni 1545. Ihr Text ist nicht überliefert. Hinweise jeweils in StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 12.

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Jahres eingeführte achttägige Frist erhalten, innerhalb derer sie sich von von ihren Lehren und religiösen Praktiken, die gegen Normen der katholischen Kirchen verstießen, distanzieren mussten. Anders als bei vorhergehenden Maßnahmen waren nun, da das Sendgericht die Suche nach Verdächtigen übernommen hatte und diese an den Rat meldete, tatsächlich das Religionsleben der Verdächtigen der Anlass für die Verfolgung. Bisher galt diese Verknüpfung von Konfession und Strafe nur für die Wiedertäufer. Die Teilnahme an geheimen religiösen Versammlungen war ein äußerliches Kriterium für die Verfolgung gewesen. Die neuen Edikte wurde nachweislich auf Einwanderer ohne Bürgerrecht angewandt.16 Die Bestrafung von Bürgern aufgrund der Erlasse war nicht vorgesehen. Dennoch belegen die Edikte nicht, dass der Aachener Magistrat Zuwanderer zu dieser Zeit grundsätzlich als Gefahr für die Einheit und katholische Rechtgläubigkeit in seiner Stadt gesehen hätte. Er nahm Fremde selbst in Konfliktsituationen noch in Schutz: Am 6. November 1544 beschwerte sich der Tuchmacher Niklas von Clermont17 beim Rat über eine Gruppe von ‚Fremden‘, die sich gegenüber einer über den Marktplatz ziehenden Prozession respektlos verhalten hätte. Die von Clermont als ‚Lutheraner‘ bezeichneten Störer hätten nur mit Hilfe der vom Rat eingeladenen Zuwanderer in die Stadt kommen können. Anstatt gegen die angeklagten ‚Fremden‘ vorzugehen, nahm der Rat Clermont in Haft, der durch seine öffentlichen Vorwürfe gegen den Magistrat den städtischen Frieden gefährdet habe.18 Der Rat ging also 1544 insgesamt bereitwillig auf den Wunsch des Herzogs von Jülich ein, verbotene Sekten mit eng begrenzten politischen Maßnahmen zu bekämpfen, war aber nicht bereit, eine größere Gruppe von Einwohnern der Stadt aufgrund eines Verdachts über deren Religion zu behelligen und damit die Gefahr eines Konfessionskonfliktes herauf zu beschwören. 16 Vgl. den Hinweise zum Verfahren gegen Johan Rouvier, dem am 24. Juni 1545 eine Frist eingeräumt wurde, um durch den Empfang der Kommunion seine Ausweisung zu verhindern. Rouvier gehörte zu den 1544 eingewanderten Textilhandwerkern und erhielt als solche im Dezember 1546 und im Januar 1547 weitere wirtschaftliche Unterstützung vom Rat, in: „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 12v. 17 Hermann Friedrich Macco, Aachener Wappen und Genealogien. Ein Beitrag zur Wappenkunde und Genealogie Aachener, Limburger und Jülicher Familien. Bd. 1. Aachen 1907, hier: S. 76 fasst die wenigen bekannten Fakten zur Person Niklas von Clermonts zusammen, der 1494 geboren wurde und später als Ratsherr und Amtsträger zur politischen Führungsschicht gehörte. 18 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“ Einträge zum 6. November bis 13. Dezember 1544, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 11–11v.

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Zusammenfassend lässt sich für den Zeitraum von 1524 bis 1550 feststellen, dass die Anwesenheit von Christen abseits der katholischen Kirche in Aachen allmählich zu einem politischen Thema zwischen der Reichsstadt Aachen und dem Herzog von Jülich wurde. Die Gelegenheiten, zu denen Bürgermeister, Rat und Herzog das Thema ansprachen, blieben aber selten. Aachen und Jülich betrachteten allein die Sektenbekämpfung als ihre religionspolitische Herausforderung. Sie befassten sich nur aus konkreten Anlässen mit dem Thema und entwickelten dabei eher undifferenzierte Argumente und Handlungsansätze mit begrenzter Reichweite. Das Sektenproblem war weder die dringendste Krise noch bestimmte es die Politik in der Region. In der politischen Kommunikation zwischen der Reichsstadt Aachen und dem Herzog von Jülich bestimmten drei Aussagen den Diskurs über die Nicht-Katholiken in Aachen: Erstens seien sie generell eine Gefahr für die gesellschaftliche und politische Stabilität, zweitens seien Aachener und Jülicher Regierung gemeinsam dafür verantwortlich, diese Gefahr für Frieden und Wohlstand der Region einzudämmen, wozu sie drittens durch das Reichsrecht verpflichtet seien. Die Argumente trug Herzog Johann III. an den städtischen Magistrat heran, der ihnen weder widersprach, noch sie vollständig übernommen hatte. Vielmehr entsprach die auf die Sicherung des politischen und gesellschaftlichen Friedens gerichtete religionspolitische Grundausrichtung der Haltung des Rates – einer Haltung, die sich in fassbaren religionspolitischen Maßnahmen ausdrückte. Durch einzelne Strafmaßnahmen gegen Wiedertäufer und geheime religiöse Versammlungen ohne vorangehende systematische Ermittlungen versuchte das Stadtregiment, die Verbreitung religiöser Abweichung in der Stadt zu unterdrücken. Die Aachener Obrigkeit beschränkte ihre Religionspolitik bis in die 1540er Jahre hinein auf die Sektenbekämpfung.19 Auch danach verzichtete der Rat weiter auf eine umfassende gegenreformatorische Politik. Das Argument, deviante Religiosität dringe durch Zuwanderung nach Aachen ein, hatte zu diesem Zeitpunkt das Potential, gegenreformatorische Maßnahmen anzuregen. Tatsächlich wurde aber nicht einmal die Einwanderungspolitik des Rates von gegenreformatorischen Überlegungen bestimmt. Der Magistrat bestärkte, wie im Fall Clermont, Vorbehalte seiner Bürger gegenüber der religiösen Gesinnung von Zuwanderern nicht etwa, sondern betrachtete sie vielmehr als Bedrohung der Stabilität der städtischen Gemeinschaft. Während religiöse Abweichler unter den Immigranten in Aachen also 19 Verglichen mit katholischen Territorien wie dem Herzogtum Bayern verzögerte der Aachener Rat damit den Beginn einer konsequenten Gegenreformation um 10 bis 20 Jahre – vgl. Dieter J. Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation. Darmstadt 2005, hier: S. 35.

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sporadisch verfolgt wurden, gab es unter den religionspolitischen Ratsedikten der Zeit keines, das auf die Ausbreitung neuer Lehren und Praktiken innerhalb der Aachener Bürgerschaft antwortete. Weil dieses Thema, das für die politisch berechtigten Einwohner Aachens, also die Bürger, von entscheidender Bedeutung gewesen wäre, noch nicht auf der Tagesordnung stand, entwickelte sich bis zum Ende der 1540er Jahre keine kontroverse Diskussion zu den religiösen Aktivitäten abseits der katholischen Kirche in Aachen. Ohne eine solche Kontroverse blieb auch die Herausbildung kofessionspolitischer Lager in Aachen und der Region aus. Akteure, Themen und Argumente sowie die politische Relevanz der bis 1550 geführten Auseinandersetzungen bildeten noch nicht die Konstellation, die den Diskurs über die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen wenig später prägen würde.

2.2 Anlaufphase: Die Religion der Aachener wird Gegenstand der Reichspolitik (1550–1580) In den 1550er und 1560er Jahren begannen der Magistrat von Aachen und der Herzog von Jülich, ihre Religionspolitik anders zu verhandeln als zuvor. Die entscheidenden Impulse für die Veränderung der Auseinandersetzung gaben Ferdinand I. und sein Nachfolger Rudolf II., indem sie die Religion der Reichsstadt Aachen zu einem Thema der Reichspolitik erhoben. Im Folgenden wird erstmals untersucht, wie sich die religionspolitischen Auseinandersetzungen daraufhin im Detail veränderten, welche neuen Akteure eingriffen, welche Themen sie aufgriffen, welche Argumente sie anbrachten und welche Interessengruppen sie bildeten. Schließlich gilt es festzustellen, ob und wie sich die Auseinandersetzungen dabei konfessionell polarisierten. 2.2.1 Kritik Wilhelms V. an der Religionspolitik Aachens und die künftige Rolle der Jülicher Herzöge Eine größere Anzahl reichspolitischer Akteure begann, sich für die religionspolitischen Verhältnisse in Aachen zu interessieren, weil Ferdinand I. in Aachen eingriff. Nachdem Personen, die aus den Niederlanden verbannt worden waren, sich in Aachen niedergelassen hatten, schickte Ferdinand Gesandte nach Aachen.20 Am 10. Juni 1550 traf eine mit Anton von Granvelle, 20 Die Gesandtschaft nach Aachen war eine von zahlreichen Gesandtschaften, durch die Ferdinand in der Phase des Rückzugs Karls V. versuchte, seinen Herrschaftsanspruch auch abseits der Reichstage zu behaupten – vgl. Christine Pflüger, Die Kommunikation von Herrschaftsansprüchen durch Präsenz. Zu Aufgaben und Funktionen königlicher Kommissare in der politischen Kommunikation im Reich zwischen 1552 und 1558, in:

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Bischof von Arras, und dem kaiserlichen Hofrat Heinrich Hase besetzte Kommission in Aachen ein. Die Ziele der Gesandtschaft waren im Vergleich zur späteren politischen Bedeutung der beteiligten Kommissare und zu den Eingriffen, die Hase später in den Verfassungen etlicher süddeutscher Reichsstädte vornahm, begrenzt:21 Die Gesandten waren instruiert, den Aachener Rat unter Strafandrohung anzuweisen, Erkundigungen nach zugewanderten Angehörigen verbotener Sekten anzustellen und sie auszuweisen.22 Ferdinand intervenierte so zunächst nur einmal in Aachen. Dauerhaft spielten Sekten in der Reichsstadt Aachen oder die Religionspolitik des Rates für die Reichspolitik noch keine Rolle. Darin unterschied sich die Haltung Ferdinands gegenüber Aachen von der Behandlung, die er den im Schmalkaldischen Krieg unterlegenen süddeutschen Städten zukommen ließ. Die Frage, ob Aachen katholisch oder protestantisch war, kamen auf dem Augsburger Reichstag von 1550/51 nicht zur Sprache.23 Im Sommer 1550 reagierte der Aachener Rat unmittelbar auf die Forderungen der kaiserlichen Gesandtschaft. Schon am 20. Juni 1550 beschloss der Rat, den Zugang von Immigranten zu den städtischen Ämtern einzuschränken. Erst sieben Jahre nach Erwerb des Bürgerrechts sollten Neubürger einen Ratssitz oder ein städtisches Amt einnehmen dürfen. Zuwanderer, die ihr Bürgerrecht durch die reguläre Zahlung des Bürgergeldes oder die Heirat mit einer Bürgertochter erhalten hatten, unterlagen diesen Einschränkungen Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 73.) Göttingen 2006, S. 195–220, hier: S. 196. 21 Granvelle war 1550 gerade in den Beraterkreis Karls V. aufgerückt und nahm noch keine so prominente Position ein wie später unter Margarethe von Parma. Auch Hase stand erst seit 1550 in kaiserlichen Diensten, nachdem er zuvor am kurpfälzischen Hof tätig gewesen war (Vgl. Kurt Stuck, Personal der kurpfälzischen Zentralbehörden in Heidelberg 1475–1685. (Schriften zur Bevölkerungsgeschichte der pfälzischen Lande, Bd. 12.) Ludwigshafen 1986, hier: S. 41). Das Konzept, mit dem er in den Jahren 1551– 1552 die Verfassung etlicher süddeutscher Städte änderte, um ihre katholische Religion und ihre Kaisertreue zu sichern, entwickelte er erst später (Vgl. Eberhard Naujoks (Hrsg.), Kaiser Karl V. und die Zunftverfassung. Ausgewählte Aktenstücke zu den Verfassungsänderungen in den oberdeutschen Reichsstädten (1547–1556). (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg: Reihe A, Bd. 36.) Stuttgart 1985, hier: S. 169–171). 22 Vgl. auch die Einschätzung von Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 29, dass die folgenden Maßnahmen des Aachener Magistrats hauptsächlich auf Druck des Kaisers als Stadtherrn Aachens getroffen wurden. 23 Vgl. die vollständig auf Formalia wie der Anmeldung der Gesandten und der Unterzeichnung des Abschieds beschränkten Aktivitäten des Aachener Reichstagsgesandten Johan Luntz auf dem Reichstag in: Erwein Eltz (Hrsg.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51. (Deutsche Reichstagsakten, Bd. 19.) München 2005, hier: S. 94, 1507 u. 1613.

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allerdings nicht.24 Das Edikt vom 20. Juni schränkte also die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme für Neubürger und die Attraktivität Aachens als Auswanderungsziel vorsichtig ein.25 Es war aber nicht so restriktiv, dass eine signifikante Verminderung der Zuwanderung aus den Niederlanden zu erwarten war. Erst im Februar 1551 ließ der Rat stadtweit nach Wiedertäufern fahnden und einige Personen verhaften und bestrafen. Verdächtige sollten sich durch die Vorlage von Zertifikaten über ihre Rechtgläubigkeit entlasten. Im Zuge dieser Untersuchungen sollten auch Erkundigungen über Fremde, also über Zuwanderer, eingeholt werden.26 Strafmaßnahmen gegen Wiedertäufer sind erneut für die Jahre 1556 und 1558 belegt.27 Jetzt arbeitete der Rat in einigen Fällen direkt mit dem Herzog von Jülich und dessen Amtsträger in Aachen, dem Vogtmeier, zusammen – allerdings nicht immer reibungslos. Von dieser Zusammenarbeit lassen sich weitere Rückschlüsse auf den Umgang des Rats mit religionspolitischen Problemen ziehen. Wie deutlich zu sehen ist, verfolgten Bürgermeister und Rat ‚Sektierer‘ in ihrer Stadt zu diesem Zeitpunkt mit mehreren Zielen: Erstens entsprachen sie der Forderung Herzog Wilhelms V. und gaben dem diplomatischen Druck der spanischen Regierung in Brüssel und des Kaisers nach. Zweitens sollte das Edikt das Konfliktpotential entschärfen, das in den Aktivitäten von Wiedertäufern und Sektierern lag. Der Aachener Magistrat betrieb also eine moderate Anti-Sekten-Politik, die sowohl von innerstädtischen Bedürfnissen als auch von Rücksichtnahmen auf Forderungen von Außen geleitet wurde. Währenddessen glichen Jülich, Brüssel und Wien ihre Positionen zu den Verhältnissen in Aachen an: Herzog Wilhelm V. griff die kaiserliche und spanische Argumente auf, denen zufolge die größte Gefahr in Aachen von den in die Stadt geflüchteten Anhängern 24 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, Eintrag zum 20. Juni 1550, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 13. 25 Vgl. zu den einwanderungspolitischen Steuerungsmöglichkeiten städtischer Magistrate in der Frühen Neuzeit Eberhard Isenmann, Bürgerrecht und Bürgeraufnahme in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250–1550), in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.), Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250–1550). (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft, Bd. 30.) Berlin 2002, S. 203–249, hier: 207 ff. 26 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, Eintrag zum 26. Februar 1551, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 13v. 27 Das alles lässt sich nur erschließen aus Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 15.

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verbotener Sekten aus den Niederlanden ausgehe. Er beklagte beim Kaiser im Verlauf des Jahres 1558 mehrfach, dass der Aachener Magistrat bei der Sektenbekämpfung nachlässig sei und nicht konsequent mit dem Jülicher Vogtmeier zusammenarbeite. Der Herzog bat den Kaiser, den Aachenern die Aufnahme weiterer „verdächtiger Fremder“ aus den Niederlanden zu untersagen und das Stadtregiment zu drängen, diejenigen Personen, welche die Übereinstimmung ihres Glaubens mit der Heiligen Schrift nicht nachweisen könnten, dem Reichsrecht entsprechend zu bestrafen.28 Nachdem er sich des Rückhalts der neuen Interessengruppe aus niederländischer Regierung und Kaiser sicher sein konnnte, griff der Herzog von Jülich erstmals direkt in die Aachener Religionspolitik ein: Wilhelm V. beanspruchte das Recht, Urteile über Wiedertäufer zu vollstrecken, die in Aachen „Fremde“ waren, für seinen Vogtmeier. Die Aachener Bürgermeister hätten dieses Recht beeinträchtigt, indem sie die Gerichtsverfahren gegen einige Wiedertäufer verschleppt und somit den Meier dazu genötigt hätten, die Angeklagten gefangen zu halten, ohne sie angemessen bestrafen zu können.29 Mit dieser Beschwerde war bereits das Thema abgesteckt, das den politischen Auseinandersetzungen zwischen den Herzögen von Jülich und der Reichsstadt Aachen für den gesamten Untersuchungszeitraum zu Grunde lag: Die Herzöge von Jülich suchten immer dann die Konfrontation mit dem Aachener Stadtregiment, wenn sie ihre Privilegien in Aachen gefährdet sahen. Der Schutz der herzoglichen Rechte in Bezug auf die Meierei sowie die geistlichen Ämter des Scholasters und des Erzpriesters standen zwar insofern in Beziehung zur Religionspolitik, als ihre Ausübung durch eine grundlegende Veränderung der religionspolitischen Verhältnisse in hätte behindert werden können,30 in erster Linie waren die Interventionen Jülichs in Aachen aber nicht konfessionalistisch motiviert. Den Herzögen war nicht daran gelegen, die eigenen konfessionspolitischen Vorstellungen auch in Aachen durchzusetzen. Die Jülicher beanspruchten auch keinen substantiellen Anteil an der Kirchenhoheit in Aachen. Vielmehr setzten sie ihre Forderungen nach Wahrung der eigenen Privilegien nur gelegentlich und argumentativ flexibel im Streit um das Aachener Religionswesen ein. Der Einfluss der Herzöge von Jülich–Kleve–Berg auf die religionspoli28 Diese Korrespondenz ist abgedruckt bei Georg von Below, Die Streitigkeiten zwischen Aachen und Jülich im Jahr 1558, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 16 (1894), S. 1–11. 29 Vgl. Herzog Wilhelm von Jülich an Kaiser Ferdinand I. Düsseldorf 1558, April 24, in: ebd., hier: S. 2–3. 30 Diese Einschätzung der Motive hinter der Jülicher Politik ergibt sich aus den entsprechenden Reflektionen bei Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 7, 13 u. 37.

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tischen Auseinandersetzungen um Aachen blieb daher unbeeinflusst von den Umbrüchen, zu denen es in der Religionspolitik der vereinigten Herzogtümer selbst kam. Vor allem entsprach der Wende Herzog Wilhelms V. von einer humanistisch geprägten, auf Vermittlung zwischen den Konfessionen ausgerichteten Religionspolitik hin zur katholischen Reform und Gegenreformation, die er seit Mitte der 1560er Jahre unter dem Eindruck der religiösen und politischen Unruhen in den Niederlanden und der Beschlüsse des Tridentinums vollzog,31 keine Veränderung des Verhältnisses zwischen Jülich und der Reichsstadt Aachen in religions- und allgemeinpolitischen Fragen. Somit war die Positionierung Jülichs in Bezug auf die Causa Aquensis grundsätzlich bereits in den 1550er Jahren für die Zeit bis 1609 abgeschlossen. In den 1550er Jahren wies der Aachener Rat die Vorwürfe des Herzogs, seine Rechte seien verletzt worden, ausnahmslos zurück. Insbesondere hätten sich Angehörige verbotener Sekten allenfalls heimlich, ohne Wissen des Rates, in die Stadt eingeschlichen. Gleichzeitig verteidigte der Rat verschiedene Privilegien beim Kaiser, die von Jülicher Seite explizit gar nicht beansprucht worden waren. So betonte der Magistrat, dass das Fremdengeleit in der Stadt von je her dem Rat zugestanden habe. Der Anlass für die Wachsamkeit war unter anderem der bereits schwebende Prozess am Reichskammergericht wegen der Befugnisse des Jülicher Vogtmeiers in Aachen.32 Gegenüber dem Kaiser deuteten Bürgermeister, Schöffen und Rat an, dass die eigene Politik in Bezug auf Wiedertäufer und andere Sektierer in erster Linie auf die Sicherung des Friedens in der Stadt und auch auf die Erhaltung des Seelenheils der Einwohner Aachens ausgerichtet sei. Dass der Magistrat zu diesen Zwecken neben harten Strafen wie der Ausweisung aus der Stadt auch auf Bekehrung und Vermittlung zielenden Strategien in Betracht zog, ist bereits ausgeführt worden. Das Stadtregiment rechtfertigte seine Nachsicht zusätzlich durch den Hinweis auf den Rückhalt eines hochrangigen Reichsstands für diese Politik: Die Rückkehr des wegen Lästerung der Sakramente verurteilten und der Stadt verwiesenen Wilhelm Steffart 31 Vgl. zu den im Detail unterschiedlichen Einschätzungen des religionspolitischen Umschwungs in den Vereinigten Herzogtümern: Smolinsky, Jülich–Kleve–Berg, hier: S. 94–95 u. 97–101; Wilhelm Janssen, Kleve–Mark–Jülich–Berg–Ravensberg 1400–1600. Die Herzogtümer Jülich, Kleve, Berg, in: Museum Haus Koekkoek Kleve und vom Stadtmuseum Düsseldorf (Hrsg.), Land im Mittelpunkt der Mächte. Die Herzogtümer Jülich, Kleve, Berg. 3. Aufl. Kleve 1985, S. 17–40, hier: S. 35–38; sowie Goeters, Die Entstehung des rheinischen Protestantismus und seine Eigenart, hier: S. 140–143. 32 Bürgermeister, Schöffen und Rath der Stadt Aachen an Kaiser Ferdinand I. 1558, September 20, in: Below, Die Streitigkeiten zwischen Aachen und Jülich im Jahr 1558, hier: S. 3–4; sowie Stadt Aachen, Gegenbericht auf die vom Herzog von Jülich dem Kaiser überschickte Anklageschrift (Beilage zu Bürgermeister etc. an Kaiser vom 20. September 1558), in: ebd., hier: S. 4–11.

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sei erst nach einem Empfehlungsschreiben des Kurfürsten Ottheinrich von der Pfalz erlaubt worden.33 Bürgermeister, Schöffen und Rat von Aachen wollten ihre Maßnahmen zur Sektenbekämpfung also von Fall zu Fall und je nach Schwere und Bedrohlichkeit des religiösen Vergehens anpassen. Die Versuche Jülichs, die Religionspolitik für Aachen in größerem Maße vorzugeben, wehrten sie mit Hinweisen auf die Freiheiten und Privilegien der Reichsstadt Aachen ab. 2.2.2 Die Berufung der Aachener auf die Confessio Augustana auf dem Augsburger Reichstag von 1559 Während Aachen und Jülich ihre Herrschaftsrechte in Aachen diskutierten, das für alle folgenden Auseinandersetzungen dauerhaft relevant blieb, und während das kaiserliche Lager dabei war, auf eine konsequente Politik zur Erhaltung des katholischen Status Aachens einzuschwenken, veränderten sich auch in Aachen die Voraussetzungen für die Auseinandersetzungen: Die Religiosität abseits der katholischen Kirche gewann einen fassbaren und damit politisch relevanten konfessionellen Charakter. Wie Aachener in den religionspolitischen Auseinandersetzungen die Rolle von Augsburger Konfessionsverwandten annahmen und welche Wirkung sie damit erzielten, wird im Folgenden eingehender untersucht. Im Verlauf der 1550er Jahre demonstrierten einige Einwohner Aachens öffentlich ihre von katholischen Dogmen abweichende Religiosität. So bekannte sich in dieser Zeit der mehrfach zum Bürgermeister gewählte Adam von Zevel zur Augsburger Konfession.34 Auch andere Bürger und Einwohner Aachens müssen sich zu dieser Zeit bereits offen zur Confessio Augustana bekannt haben, denn eine Anzahl von Einwohnern war bereit, unter Berufung auf die Confessio Augustana eine politische Initiative zur Einrichtung eines 33 Stadt Aachen, Gegenbericht auf die vom Herzog von Jülich dem Kaiser überschickte Anklageschrift (Beilage zu Bürgermeister etc. an Kaiser vom 20. September 1558), zitiert nach: Below, Die Streitigkeiten zwischen Aachen und Jülich im Jahr 1558. Bei anderer Gelegenheit, am 18. Januar 1558, hatte das Stadtregiment einige am 4. Mai 1556 ausgewiesene Wiedertäufer dem Vogtmeier zur Bestrafung übergeben. Vgl. dazu „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 18. Januar 1558, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 15. 34 Vgl. Adam von Zevel, ehemaliger Bürgermeister von Aachen, beklagt sich über Eingriffe in seine Amtsbefugnis, beschwert sich wegen seiner Absetzung und verteidigt sich gegen unberechtigte Vorwürfe. 1560 Mai 13, in: E. Mahlert, Adam von Zevels Verantwortung, dem Rat der Stadt Aachen überreicht am 13. Mai 1560. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte Aachens, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 45 (1923), S. 224–243, hier: S. 236.

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Gottesdienstes abseits der katholisch-kirchlichen Institutionen in Aachen zu ergreifen.35 Die erste Bitte dieser Art schlug der Rat am 26. Januar 1556 „[. . . ] aus bewegenden Gründen [. . . ]“ ab. Die „Wurseyenmacher“ – Hersteller von Tuchen Niederländischer Machart – und andere, offenbar zugewanderte Einwohner der Stadt hatten darum gebeten, auf eigene Kosten einen französischsprachigen Prediger anstellen und mit ihm den Gottesdienst feiern zu dürfen.36 Zwei Jahre, nachdem das Stadtregiment dieses erste Gesuch abgelehnt hatte, erhielt eine nicht näher bestimmbare Gruppe auswärtige Unterstützung für ein ähnliches Anliegen, sodass beim Rat am 25. Mai 1558 ein Schreiben im Namen mehrerer protestantischer Kurfürsten und anderer Stände einging, die den Rat aufforderten, eine „offene[n] Kirche“ für die französischsprachigen Einwohner Aachens zu erlauben. Das Stadtregiment ließ dieses Anliegen den Gaffeln vortragen, der Große Rat beriet darüber. Am Ergebnis änderte dies aber nichts: Am 10. Juni 1558 lehnte der Rat die Predigt in französischer Sprache erneut ab.37 Etwas mehr als ein halbes Jahr später, am 26. Januar 1559, nahm der Aachener Rat eine weitere Supplikation entgegen. Dieses Mal reichte eine Gruppe von Bürgern die Bitte um Erlaubnis zur öffentlichen Religionsausübung ein. Die Supplikanten beriefen sich darauf, Anhänger der Augsburger Konfession zu sein. Die Initiatoren der Bittschrift hatten ähnliche Anliegen wie die Supplikanten der Jahre 1556 und 1558. Beide Gruppen waren aber unabhängig voneinander und bildeten keine feststehende, protestantische, konfessionspolitische Partei. Nach Ablehnung der Supplikation erließ der Rat ein Edikt, das die Teilnahme an Predigten und Gottesdienstfeiern fremder Prediger verbot. Gleichzeitig beschloss der Rat, die „Religionssache“ bis zum kommenden Reichstag, der im März des Jahres in Augsburg beginnen sollte, nicht weiter zu beraten.38 Die Entscheidung über die religiösen Verhältnisse in Aachen war also dreifach mit der Reichspolitik verknüpft: Erstens beriefen sich die Aachener Protestanten auf die reichsrechtlich geschützte Confessio Augustana, um 35 Den Schluss von den Supplikationen auf das Selbstbewusstsein der Confessio Augustana-Anhänger zieht Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 42. 36 Der Hinweis auf diese Supplikation findet sich in: „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 26. Januar 1556, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 14. Der Text der Bittschrift ist nicht überliefert. 37 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 25. und 30. Mai sowie zum 30. Juni 1558, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 15. 38 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, Eintrag zum 26. Januar 1559, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 15v.

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ihren Wunsch nach öffentlicher Religionsausübung in Aachen durchzusetzen. Zweitens suchten sie die Unterstützung protestantischer Fürsten. Und drittens verwies auch der Rat die Frage, ob die Augsburger Konfession in Aachen freigegeben werden sollte, an Reichsinstitutionen. Tatsächlich wurde das exercitium publicum für die Aachener Protestanten ein Thema auf dem folgenden Reichstag. Während des laufenden Reichstages 1559 in Augsburg brachte eine Gruppe von Aachener Bürgern ihre Bemühungen um eine Kirche für den Gottesdienst entsprechend der Confessio Augustana mit Nachdruck auf die Agenda der protestantischen Kurfürsten und Fürsten: Am 10. April 1559 ließen 29 Ratsherren und weitere 63 Bürger eine Bittschrift an den Reichstag um Unterstützung von Kaiser und Reichsständen für die Freigabe der öffentlichen Ausübung der Confessio Augustana in Aachen aufsetzen.39 Die Bittschrift wurde von den Petenten unterschrieben und besiegelt. Am 28. April berieten die Reichstagsgesandten der Confessio Augustana-Stände die Supplikation.40 39 Bevollmächtigung des Goswin von Tzevel und Arnold Engelbrecht von der Gemeinde zu Aachen nach Frankfurt und Augsburg, 10. April 1559 (Original), Archiv d. EKiR, 4KG 004 Urkunden I. Gedruckt bei Walther Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 9 (1907), S. 50–103, hier: S. 99–103. Goswin von Zevel war ein Sohn Adam von Zevels. Zu Zevel und seiner Familie in Aachen vgl. Hermann Friedrich Macco, Aachener Wappen und Genealogien. Ein Beitrag zur Wappenkunde und Genealogie Aachener, Limburger und Jülicher Familien. Bd. 2. Aachen 1908, hier: S. 250–251. Macco sah in Goswin von Zevel und einigen seiner Brüder Persönlichkeiten, die gemeinsam und in der Nachfolge ihres Vaters Adam von Zevel die Führung der reformierten ‚Partei‘ in Aachen übernahmen. In diesem Zusammenhang sind auch die zusätzlichen Anmerkungen von Wilhelm Gustav Goethers, Adrian van Haemstede’s Wirksamkeit in Antwerpen und Aachen. Teil II, in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 8 (1906), S. 50–95, hier: S. 73–75 und Wilhelm Gustav Goethers, Dokumenten van Adrian Haemstede, waarunder eene gereformeerde geloofs belijdenis van 1559, in: Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. 5.1 (1907), S. 1–67, hier: S. 29–30 interessant: Goethers berichtet, dass Zevel während seines Jurastudiums in Bourges, Kontakte mit Caspar Olevianus und Jean Calvin knüpfte. Mit letzterem führten Zevel und einige seiner ehemaligen Kommilitonen später eine kurze Korrespondenz, in der sie um Rat baten, wie sie sich nach der Rückkehr in ihre Heimatstädte unter einer fremdkonfessionellen Obrigkeit verhalten könnten. Darüber hinaus verband Zevel eine Freundschaft mit Wenzel Zuleger, der in Folge der Gesandtschaft Zevels und Engelbrechts als Gesandter der evangelischen Reichsstände in die Auseinandersetzungen um Aachen eingriff (S. u. S. 62). 40 Vgl. Supplikation: Protestantische Bürger der Stadt Aachen an die Confessio Augustana-Stände. Überlassung einer Kirche und Anstellung eines evangelischen Prädikanten, Leeb, Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559, hier: S. 1945–1946. Eine Fassung der Supplikation hatte den Confessio Augustana-Ständen schon während ihrer Sonderverhandlungen vom 13. bis zum 18. März 1559

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Zur Unterstützung ihres Anliegens sollten sich die Gesandten der Bittsteller, Goswin von Zevel und Arnold Engelbrecht41 , auf die reichsrechtliche Anerkennung der Confessio Augustana berufen und auf dem Recht der Aachener Anhänger dieser Konfession bestehen, ihren Gottesdienst, ihrem Glauben und Gewissen folgend, öffentlich zu feiern. Es sei ein Pflichtversäumnis des Aachener Rates gewesen, den bittenden Bekennern der Confessio Augustana ihren Gottesdienst nicht freizustellen.42 Nachdem dieses Versäumnis nun schon seit geraumer Zeit bestehe, sei es die Aufgabe des Kaisers und der Reichsstände, dem Reichsrecht zur Geltung zu verhelfen. Diese Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden war zweifelsfrei das wichtigste Argument der Supplikation, das die Diskussion über die Position der Aachener Protestanten auf die Ebene der Reichspolitik hob.43 Allerdings sind auch andere Aussagen und Argumente der Supplikation bemerkenswert: vorgelegen. Die überlieferten Protokolle verzeichnen allerdings nicht, dass darüber beraten worden wäre. Vgl. dazu: ebd., hier: S. 533. In der Erinnerungskultur der evangelischen Gemeinden in Aachen wurde diese Bittschrift später als einer der Gründungsakte des Protestantismus in der Reichsstadt interpretiert. In diesem Sinne wurde die Supplikation zuletzt von Kottmann, Die Anfänge der Reformation in Aachen, hier: S. 70 gewürdigt. Zunächst sahen allerdings katholische Geschichtsschreiber die Ereignisse von 1559 in diesem Licht. Vgl. dazu S. 400 u. 433. 41 Vgl. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 117. Ähnlich wie Zevel lassen Engelbrechts familiäre Verbindungen und sein Lebenslauf daran denken, dass er für die Protestanten in Aachen und insbesondere für die Bildung der reformierten Konfessionsgruppe eine besondere Rolle gespielt haben könnte: Er hatte bereits 1542 ein Kanonikat am Aachener Marienstift angenommen, war dann aber 1555 resigniert, nachdem er in Marburg und Leipzig studiert hatte. Nicht nur seine Übernahme der Gesandtschaft nach Augsburg an der Seite Zevels deutet darauf hin, dass er inzwischen zu einer protestantischen Konfession konvertiert war. Auch die Mitgliedschaft etlicher Mitglieder der Familie Engelbrecht in der bürgerlich-reformierten Gemeinde seit den 1570er Jahren, machen einen solchen Konfessionswechsel wahrscheinlich. Arnold Engelbrecht selbst ließ sich allerdings bald nach Ende der Gesandtschaft in Frankfurt nieder und spielte somit für die reformierte Konfessionsbildung in Aachen keine Rolle mehr. Obwohl also sowohl Goswin von Zevel als auch Arnold Engelbrecht als Augsburger Konfessionsverwandte profilierte Persönlichkeiten waren, darf ihre Rolle und die der Supplikanten von 1559 für den Aufbau einer stabilen protestantischen oder gar reformierten Konfessionsgruppe in Aachen nicht überschätzt werden. 42 Vgl. Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), hier: S. 99–100. 43 Zur Bedeutung des Religionsfriedens für die konfessionspolitische Argumentation der protestantischen Stände auf Reichseben vgl. Christoph Strohm, Konfessionsspezifische Zugänge zum Augsburger Religionsfrieden bei lutherischen, reformierten und katholischen Juristen, in: Heinz Schilling/Heribert Smolinsky (Hrsg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposion aus Anlaß des 450. Jahrestages des Friedensschlusses, Augsburg 21. bis 25. September 2005. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 206.) Münster 2005, S. 127–156, hier: S. 142–145.

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Auffallend ist die Selbstbezeichnung und das Selbstverständnis der Supplikanten. Die Unterzeichner der Bittschrift hatten unmittelbar bevor sie sich an Kaiser und Reichsstände gewandt hatten, noch einmal beim Rat um die öffentliche Religionsausübung gebeten.44 Sie bezeichneten sich bei diesen beiden Gelegenheiten wie folgt: „[. . . ] wir hier nachbenannte Ratsverwanten sampt mehr anderen unserer namhaftigen burgerschaft – als diejenige, so, gleichwie auch alle vorige supplicanten die Augspurgische confession Gottes wort, der alten wahrer und algemenen religion und der alten christlichen apostolischen kirchen gemessen halten, auch dabei vermittels Gottlicher hilf zu pliben, leben und sterben durch unser betrengte gewissen genotiget [. . . ]“45 Die Selbstbezeichnung der Bittsteller als Ratsherren und etablierte Bürger verweist bereits auf vier Argumente der Supplik: Erstens, die grundsätzliche Berechtigung die religionspolitische Forderung vorzutragen aufgrund der Verankerung der Bittsteller in der Bürgergemeinde; damit zusammenhängend zweitens, die Friedfertigkeit, Geduld und die gute Absicht, mit der die bisherigen Supplikationen an den Rat gerichtet worden seien; drittens, die Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden und schließlich viertens, die Unumgänglichkeit der Bitte, da die Supplikanten von ihrem christlichen Gewissen dazu gedrängt worden seien. Tatsächlich handelte es sich bei den Unterzeichnern der Supplikation um Mitglieder des Aachener Rates und andere angesehene Bürger der Stadt. Zusätzlich beriefen sich die Supplikanten auf die Unterstützung eines maßgeblichen Anteils der Bürgergemeinde. Dem Umstand, dass die Bitte um eine eine öffentliche evangelische Kirche von Bürgern der Stadt und Mitglieder des Stadtregiments vorgetragen wurde, schrieben die Supplikanten mehrere Bedeutungen zu. Bürger hätten das Recht, ihrem Rat eine solche Bitte „in aller diemutigkeit und untertanigkeit“ vorzutragen, zumal wenn sie sich auf Reichsrecht in Form des Religionsfriedens beriefen. Diese Berechtigung hätten schon all diejenigen gehabt, die seit 1556 um einen Prediger oder eine öffentliche evangelische Kirche in Aachen gebeten hatten. So habe es sich bei den Bittstellern damals zwar um Fremde gehandelt, die aber, nachdem sie Zeugnisse ihrer letzten Obrigkeit vorgelegt hätten, bereits „[. . . ] in loblicher freier bürgerschaft und stat Aach aufgenomen und 44 Die Supplikation verweist auf insgesamt vier Supplikationen an das Aachener Stadtregiment, die der Entsendung Goswin von Zevels und Arnold Engelbrechts an den Augsburger Reichstag vorausgegangen seien. Nur zwei sind durch andere Quellen belegt. 45 Zitiert nach Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), hier: S. 101.

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inverleibt [. . . ]“ gewesen seien. Bereits die nächste Supplikation sei dann von „disser ort geborenen bürgeren“ eingereicht worden. Auch die dritte Bittschrift habe von in der Stadt geborenen Bürgern, allerdings von einer anderen Gruppe als zuvor, gestammt.46 Mit dem Hinweis, dass es nicht etwa wiederholt dieselben Personen gewesen seien, die den Rat um die Erlaubnis zur öffentlichen Religionsausübung gebeten hätten, verteidigten sich die Bittsteller vorsorglich gegen den Vorwurf, sie würden dieselben Bitten immer und immer wieder stellen, obwohl sie bereits mehrfach abgelehnt worden waren. Wäre dies so gewesen, hätten sie der Selbstdarstellung ‚demütiger und untertäniger‘ Bittsteller nicht entsprochen, sondern hätten vielmehr hartnäckig und unbelehrbar Forderungen an ihre Obrigkeit gestellt. Die Supplikanten wiesen weiter darauf hin, dass sie erkannt hätten, dass die Gefahr eines Aufstands der Bürgergemeinde gegen den Magistrat gedroht hätte, wenn sie sich anders als bittend für ihr Anliegen eingesetzt hätten. Somit hätten sie zur Aufrechterhaltung des städtischen Friedens beigetragen. Durch die Erlaubnis der öffentlichen Religionsausübung für die Anhänger der Augsburger Konfession habe außerdem die Grundlage für die konsequente Bekämpfung aller im Reich verbotenen Sekten gelegt werden sollen. Deren verbotene Winkelpredigten hätten in Aachen unterbunden werden können, sobald der Gottesdienst der Supplikanten legalisiert gewesen wäre. Die Notwendigkeit dieser Legalisierung leiteten die Supplikanten von den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens ab. Ihrer Auslegung nach schützte der Religionsfrieden nicht nur die Religion der Confessio Augustana, sondern forderte auch die Einrichtung des öffentlichen Gottesdienstes für Protestanten in Aachen. Im Unterschied zu anderen zeitgenössischen Quellen behauptet die Vollmacht für Zevel und Engelbrecht, dass alle bisherigen Supplikationen an den Aachener Rat, inklusive der ersten aus dem Jahr 1556, sich auf den Religionsfrieden berufen hätten. Indem die Supplikanten sich in eine Folge von insgesamt vier Bittschriften um die öffentliche protestantische Religionsausübung in Aachen stellten, die allesamt von Bürgern Aachens, in rechtmäßiger und friedlicher Form sowie 46

Vgl. hierzu und zum Folgenden, soweit nicht anders angegeben ebd., hier: S. 99– 101. Zur Legalität von bürgerlichen Supplikationen an die Obrigkeit vgl. einführend Heinrich Richard Schmidt, Gravamina, Suppliken, Artikel, Aktionen. Über die Eskalation der reformatorischen Bewegung, in: Cecilia Nubola/Andreas Würgler (Hrsg.), Formen der politischen Kommunikation in Europa von 15. bis 18. Jahrhundert. Bitten, Beschwerden, Briefe. (Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Bd. 14.) Bologna/Berlin 2001, S. 217–233, hier: S. 226–228. Zu möglichen Vorbehalten von bürgerlichen Genossenschaften gegenüber Zuwanderern, die sich aber nicht zwangsläufig einstellen mussten vgl. Alexander Schunka, Konfession und Migrationsregime in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 35.1 (2009), S. 28–63, hier: 29 und 54.

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unter Berufung auf das Reichsrecht vorgetragen worden seien, schufen sie sich eine hohe Legitimation für ihr eigenes Anliegen.47 Die Supplikanten berichteten von der Ablehnung aller vier Bitten durch den Rat. Die vierte und letzte Supplikation habe bei den „uberigen ratsverwandten“48 kein Gehör gefunden. Damit waren diejenigen Ratsherren gemeint, welche die Bittschrift nicht mitunterzeichnet hatten, ohne allerdings auf eine fest umrissene Gruppe zu verweisen. Auf ein konfessionspolitisches Feindbild der Bittsteller weist die Supplikation an Reichsstände und Kaiser also nicht hin. Sehr wohl war aber die wiederholte Ablehnung des evangelischen Gottesdienstes durch den Aachener Rat für die Verfasser der Supplik Anlass dazu, die inneren Beweggründe für ihr fortgesetztes Bitten um die öffentliche Religionsausübung darzulegen. Das Anliegen entspringe ihrer religiösen Überzeugung, die sie nicht ändern könnten oder wollten, da es ihr Gewissen belaste. Mit ihrem Gewissen erklärten die Supplikanten sowohl das Hilfsgesuch an die in Frankfurt versammelten Kurfürsten und Fürsten, das der Supplikation vom Juni 1558 vorausgegangen war, als auch die eigene Werbung um Unterstützung der Stände auf dem Augsburger Reichstag von 1559. Die verhältnismäßig differenzierte Argumentation der Aachener Bittsteller wurde während der Verhandlungen auf dem Reichstag allerdings nicht im Detail aufgegriffen. Die Bevollmächtigten der Aachener Protestanten, Goswin von Zevel und Arnold Engelbrecht, hatten, nachdem sie die Petition ihrer Auftraggeber am 28. April 1559 vor den Ausschuss der Stände der Confessio Augustana gebracht hatten, ihr Anliegen konkretisiert. Sie hatten die Reichsstände darum gebeten, beim Herzog von Jülich–Kleve–Berg dafür zu werben, dass er als Patron der St. Foillan-Kirche in Aachen dort einen 47 Zur Bedeutung der Supplikation als Rechtsmittel in der Frühen Neuzeit und den häufigen Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit bestimmter Bittschriften vgl. Philipp R. Hoffmann, Rechtmäßiges Klagen oder Rebellion? Konflikte um die Ordnung politischer Kommunikation im frühneuzeitlichen Leipzig, in: Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5.) Konstanz 2004, S. 309–356, hier: S. 354–355. Zu den formalen und inhaltlichen Kriterien, die eine Supplikation erfüllen mussten, um als rechtmäßig anerkannt zu werden vgl. David Zaret, Petitioning Places and the Credibility of Opinion in the Public Sphere in Sevententh-Century England, in: Beat A. Kümin (Hrsg.), Political Space in pre-industrial Europe. Farnham 2009, S. 175–196, hier: S. 183 und Urs Hafner, Gravamina im Rathaus. Zum sozialen Sinn der Übergabe kollektiver Beschwerden in süddeutschen Reichsstädten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Cecilia Nubola/Andreas Würgler (Hrsg.), Formen der politischen Kommunikation in Europa von 15. bis 18. Jahrhundert. Bitten, Beschwerden, Briefe. (Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Bd. 14.) Bologna/Berlin 2001, S. 289–309, hier: S. 290. 48 Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), hier: S. 101.

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evangelischen Prediger einsetzte. Tatsächlich beschlossen die Stände der Confessio Augustana daraufhin am 30. April 1559 mit entsprechendem Inhalt an den Herzog von Jülich zu schreiben. Nachdem dieses Promotorial in Düsseldorf nicht den gewünschten Erfolg erzielte, beschlossen die protestantischen Stände, einen Rat Pfalzgraf Wolfgangs von Zweibrücken als Gesandten zum Herzog von Jülich und zum Magistrat der Reichsstadt Aachen schicken. Am 2. und 6. Juni 1559 unterzeichneten sie Instruktionen für den Lizenziaten Wenzelaus Zuleger49 . Nachdem aber Zulegers Gesandtschaft weder beim Herzog noch beim Aachener Magistrat ein Zugeständnis hatte erreichen können und sich die Voraussetzungen für weitere Initiativen zu Gunsten der Aachener Protestanten durch eine nach Aachen abgefertigte kaiserliche Gesandtschaft verschlechtert hatten, baten die Gesandten Zevel und Engelbrecht die Stände der Confessio Augustana am 20. Juli 1559 darum, einen evangelischen Prediger nach Aachen zu entsenden. Dieser sollte sich eindeutig als Vertreter der Augsburger Konfession ausweisen können, um die Aachener Protestanten vor dem Verdacht zu schützen, sie gehörten verbotenen Sekten an. Die Reichstagsprotokolle überliefern nichts davon, dass diese Bitte der Aachener um einen Prediger von den protestantischen Ständen noch verhandelt wurde.50 Außer den Verhandlungen über die Supplikation der Aachener Protestanten sind für den Reichstag von 1559 keine Auseinandersetzungen über den religionspolitischen Status der Reichsstadt Aachen dokumentiert. Der Konflikt zwischen dem Stadtregiment und dem Marienstift um die Verwahrung und Ausstellung von wichtigen Reliquien im Besitz des Stifts gehört nicht in diesen Zusammenhang.51 Die Teilnehmer des Reichstages bemerkten keinen grundlegenden Konfessionskonflikt in Aachen und ließen den Gesandten des Aachener Rates – den Ratssyndicus Gerlach Radermacher – dementsprechend ungehindert 49 Zur Person Zulegers vgl. Stuck, Personal der kurpfälzischen Zentralbehörden in Heidelberg 1475–1685, hier: S. 105. Ähnlich wie zuvor Heinrich Hase wurde auch Zuleger in der ‚Aachener Sache‘ eingesetzt, bevor seine Karriere 1561 mit der Übernahme der Präsidentschaft des pfälzischen Kirchenrates ihren Höhepunkt erreichte. 50 Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, hier: S. 1945–1946. 51 Vgl. zur Auseinandersetzung zwischen Reichsstadt und Stift auf dem Reichstag: ebd., hier: S. 1824. Der Hinweis des Kapitels auf Kriegsgefahren, wegen derer die Reliquien versteckt worden seien, sollte nicht als Andeutung konfessioneller Konflikte innerhalb Aachens verstanden werden. Die ältere Forschung hatte die Auseinandersetzung teilweise so interpretiert, als habe das Kapitel die Reliquien aus Angst vor räuberischen oder zerstörerischen Übergriffen Aachener Protestanten aus der Stiftskirche verbracht. Vgl. Haagen, Geschichte Achens von seinen Anfängen bis zur neusten Zeit, hier: S. 151– 152, worauf sich Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 49–50 beruft und die Einschätzung wiederholt.

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seine Aufgaben verrichten.52 Dies war unabhängig davon der Fall, dass der Gesandte Radermacher selbst zu den Unterzeichnern der Supplikation an Kaiser und Reichsstände gehörte.53 Einzig die Jülicher Gesandtschaft thematisierte im Rahmen des Reichstages Aachener Religionspolitik im engeren Sinne. Die Jülicher griffen die Auseinandersetzung des Vorjahres über die Sektenbekämpfung in Aachen wieder auf und beschwerten sich beim Kaiser darüber, dass die Rechtfertigung des Aachener Rates in dieser Sache auf falschen Behauptungen beruhe und weiterhin die Gefahr bestehe, dass sich Angehörige verbotener Sekten in Aachen niederließen. Zur Klärung der Sache schlugen sie eine kaiserliche Kommission vor, die Erkundigungen über die tatsächlichen religiösen Verhältnisse in Aachen einholen sollte.54 Die Beschwerde könnte also einer von mehreren Anlässen für die kaiserliche Kommission gewesen sein, deren subdelegierte Kommissare Aachen im Juli aufsuchten. Weitere Resonanz fand die Jülicher Eingabe auf dem Reichstag allerdings nicht. Auf dem Reichstag von 1559 selbst kam es also insgesamt noch zu keiner kritischen Zuspitzung der Auseinandersetzung um die Aachener Religionspolitik. Die direkten und indirekten Folgen des Reichstages zogen eine solche Krise aber sehr wohl nach sich. 52 Dafür spricht, dass Aachen zu allen Verhandlungen der Reichsstädte und auch zu Sonderverhandlungen der katholischen Stände zugelassen wurde. Im Rat der katholischen Stände votierte der Aachener Gesandte für die Vermittlung eines Religionsvergleiches durch ein Konzil (Vgl. Leeb, Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559, hier: S. 1211) Darüber hinaus wurde Aachen neben Nürnberg zur Reichsstädtischen Vertretung auf dem bevorstehenden Reichsdeputationstag in Speyer bestimmt. Vgl. dazu: Josef Leeb (Hrsg.), Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559. Bd. 2. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) Göttingen 1999, hier: S. 989 u. 1087. 53 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 49 mit Anm. 1. Es ist auch möglich, dass es sich bei dem unterzeichnenden Gerlach Radermacher nicht um den Aachener Syndicus, sondern um dessen Onkel gleichen Namens handelte. Dem entsprechend ordnen Fürth und Macco die überlieferten prosopographischen Hinweise ein und sprechen von Syndicus Radermacher als einer führenden Persönlichkeit der katholischen Partei in Aachen (Vgl. Hermann Ariovist von Fürth, Beiträge und Material zur Geschichte der Aachener Patrizier-Familien. Bd. 2. Bonn 1882, hier: S. 71 u. 152 bzw. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 81). Fürth geht dabei allerdings fälschlicher Weise davon aus, dass der Syndicus 1598 mit den restituierten, katholischen Bürgermeistern, Schöffen und Ratsverwandten nach Aachen zurückgekehrt sei. Insgesamt ist die Frage nach den Identitäten des Syndicus und des Protestanten Gerlach Radermacher so zweifelhaft, dass die Person weder für das protestantische noch für das katholische ‚Lager‘ vereinnahmt werden sollte. Zum Stammbaum der Radermachers vgl. Karel Bostoen, Bonis in bonum. Johan Radermacher de Oude (1538–1617), humanist en koopman. (Zeven Proviënreeks, Bd. 15.) Hilversum 1998, hier: S. 63–66. 54 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 48 mit Anm. 2.

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2.2.3 Ein protestantischer Bürgermeister, protestantische Einwanderer und eine katholische Stadtverfassung – Zugespitzte Religionskonflikte in Aachen bis 1560 Die Verhandlungen des Augsburger Reichstags von 1559 stießen eine Reihe von Ereignissen an, die schließlich zu einer ersten kritischen Zuspitzung religionspolitischer Konflikte in Aachen führten. Zunächst sorgten die bereits erwähnten, während des Reichstages initiierten Gesandtschaften nach Jülich und Aachen für Bewegung. Beim Herzog von Jülich hatte Wenzel Zuleger die Bitte vorgetragen, der Herzog möge am Aachener Pfarrkuratie St. Foillan einen evangelischen Prediger einsetzen. Die Forderung hatte eine neue Qualität: Sie war ein Vorstoß gegen die Vorrechte der Aachener Katholiken in Aachen, den sakralen Raum in der Stadt exklusiv zu nutzen. Wilhelm V. wollte den Aachenern die öffentliche Religionsausübung außerhalb der katholischen Kirche nicht zugestehen. Er lehnte die Bitte Zulegers ab.55 Bereits am 20. Juni hatte der Aachener Rat die Werbung Zulegers um die Anerkennung der Augsburger Konfession in Aachen abgelehnt.56 Wenige Wochen später traf eine kaiserliche Kommission, bestehend aus subdelegierten Kommissaren des Kurfürsten von Köln und des Herzogs von Jülich, in Aachen ein. Die Gesandtschaft war beauftragt worden, konfessionelle Veränderungen in Aachen zu verhindern, welche der Kaiser als Folge der Gesandtschaft Zulegers befürchtete. Ferdinand I. hatte bereits einen Brief an das Aachener Stadtregiment gerichtet, in dem er Bürgermeister, Schöffen und Rat aufforderte, der Gesandtschaft der protestantischen Stände kein 55

Vgl. ebd., hier: S. 47–48. Schmitz weist darauf hin, dass Wilhelm V. vor dieser Entscheidung bereits erwogen haben könnte, welche Folgen die Zulassung der öffentlichen Religionsausübung für die Angehörigen der Confessio Augustana für die politischen Verhältnisse in Aachen und insbesondere für die Jülicher Rechte in der Stadt hätte haben können. So habe der Herzog die volle Berechtigung der Aachener Protestanten zur Teilhabe am reichsstädtischen Regiment und auch ein Entwertung seiner indirekten Einflussmöglichkeiten auf die geistliche Gerichtsbarkeit und die katholisch-kirchliche Schulaufsicht in der Stadt befürchtet. Dass Wilhelm tatsächlich soweit dachte, kann Schmitz allerdings nicht belegen. 56 Der entsprechende Hinweis findet sich in „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 20. Juni 1559, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 15v. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 46 beurteilt diesen Hinweis als authentische Überlieferung der Ratsprotokolle, weil die Formulierung „[. . . ] das er die Augsburgische Confession noch zurzeit anzunehmen nicht bedacht wehre.“ in der unabhängigen Überlieferung der Antwort des Rates an die einige Wochen später in Aachen eingetroffene kaiserliche Kommission (StAAa, Dep. HStA Dü, 28, f. 100ff.); auch Eines Erbaren Ratths der Statt Aach, den Im negstvergangenen 59. Jahr in Juli, der Religion halber alhier gewesenen kay: Chur: und furstlichen, Gesandten gegebenen Antwort (Kopie), Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnis, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,1, f. 205 bis 206 wiederholt wurde.

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Gehör zu schenken.57 Was Ferdinand I. verhindern wollte, war „der Religion enderung“58 – womit die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung für Anhänger der Augsburger Konfession gemeint war. Nachdem der Große und der Kleine Rat über die Forderung der kaiserlichen Kommission beraten hatte, stellten sie klar, dem Stadtherrn bereits gehorcht zu haben: Der Rat habe bisher alle Bitten von Bürgern, ihnen die öffentliche Ausübung der Augsburger Konfession zu erlauben und dafür eine Kirche einrichten zu dürfen, ausgeschlagen. Ausdrücklich wird den erfolglosen Supplikanten zugestanden, dass sie die Einführung der Confessio Augustana „[. . . ] ohne der Althen Religion verletzen [. . . ]“ erbeten hätten. Der Rat versuchte also nicht, den Bemühungen um die öffentliche Religionsausübung die Legitimation zu entziehen. Auch auf die Gesandtschaft der protestantischen Reichsstände habe man ablehnend geantwortet. Es lohnt sich die Reaktion des Aachener Stadtregiments auf die kaiserlichen Forderungen noch genauer zu analysieren, um die dahinter stehenden Motive zu verstehen. In ihrer Antwort an die Kommission beschrieben Bürgermeister und Rat zunächst, wie sie bereits eine ganze Reihe von Bitten um die öffentliche Religionsausübung abgelehnt hätten. Anschließend beteuerten sie die Kontinuität ihrer Religionspolitik mit folgender Ausführung: „[. . . ] So sey ein Erb. gemeiner Ratth wie dhamals als auch noch zur Zeitt In der Religion einige Änderung zu thun nitt bedacht, unnd woll der Rom. Kay. Maytt auch ihrer Maytt verordneten Commissarien Chur unnd fursten, unser Allergnedisten, gnedisten und gnedigen Herrn zu underthenigen schuldigen gehorsamb und dienstlichen gefallens erzeigung, jeder zeitt undertheniglich und dienstlich geneigt und geflißen sein [. . . ]“59 Häufig wurde aus dieser Erklärung der Abschnitt, der Rat sei „[. . . ] noch zur Zeitt In der Religion einige Änderung zu thun nitt bedacht [. . . ]“ herangezogen, und so interpretiert, dass das Aachener Stadtregiment sich mit diesen Worten gegenüber den kaiserlichen Kommissaren das Recht reserviert habe, zu einem späteren Zeitpunkt durchaus Änderungen in der Religion vornehmen zu dürfen.60 Richtig ist, dass der Rat die Religions57

Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 47 Eines Erbaren Ratths der Statt Aach, den Im negstvergangenen 59. Jahr in Juli, der Religion halber alhier gewesenen kay: Chur: und furstlichen, Gesandten gegebenen Antwort (Kopie), Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnis, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,1, f. 205v. Vgl. die Blätter 205 bis 206 derselben Quelle auch zu den folgenden Ereignissen. 59 Ebd., f. 205v–206r. 60 Zuletzt so bei Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 52–53, der auch frühere Vertreter dieser These nennt. 58

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politik in der Stadt selbst gestalten wollte und nicht auf diesen Aspekt seiner Hoheitsrechte verzichtete. Nichts deutet aber darauf hin, dass das Stadtregiment im Sommer 1559 an die Möglichkeit dachte, zukünftig eine evangelische Reformation in Aachen durchzuführen. Das Hauptargument des Rates gegenüber den subdelegierten Kommissaren war die Konstanz seiner bisherigen Religionspolitik in der Ablehnung aller Bitten nach öffentlicher Religionsausübung für die Confessio Augustana. Der Rat stellte sich in seiner Antwort als religionspolitischer Entscheidungsträger für Aachen dar, nahm aber damit nicht die später im Zusammenhang mit dem konfessionellen Status Aachens intensiv geführte Grundsatzdiskussion über das ius reformandi der Reichsstädte vorweg. In ihrer Antwort vermieden Bürgermeister und Rat eine konfessionelle Polarisierung der Auseinandersetzung. Sie sahen davon ab, diejenigen Bürger, die sich um das exercitium publicum bemüht hatten, zu kriminalisieren. Aus der Antwort Rückschlüsse auf eine eventuelle konfessionelle Spaltung des Großen und des Kleinen Aachener Rates und das quantitative Verhältnis von Befürwortern einer protestantischen und einer katholischen Religionspolitik zu ziehen ist unmöglich.61 Zum Einen waren die Inhalte und Ziele solcher konfessionsspezifischen politischen Programme zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erkennen. Zum Anderen war eine vermittelnde Politik, die Interventionen von reichspolitischer Ebene in Aachen und innerstädtische Konflikte begrenzen sollte, im Interesse der Anhänger aller Konfessionen. Bald folgende schwerere Konflikte innerhalb von Bürgerschaft und Rat in den Jahren 1559 und 1560 zeigten aber, wie sich dieser Konsens vorübergehend auflösen konnte. Im September 1559 entzündete sich ein Konflikt daran, dass der Gemeindebürgermeister Adam von Zevel verdächtigt wurde, an der Planung eines Umsturzes des Stadtregiments beteiligt gewesen zu sein. Im weiteren Verlauf verband sich die Auseinandersetzung um Zevels Rücktritt mit verschiedenen anderen Auseinandersetzungen: Mit der Debatte um ein Ratsedikt zur Ausweisung nicht-katholischer Einwanderer aus Aachen, mit der Frage, ob Zevel als bekennender Protestant illegale religiöse Versammlungen in Schutz genommen hatte, mit Vorwürfen, Zevel und die anderen Unterzeichner der Supplikation an Kaiser und Reichsstände um die öffentliche Religionsausübung hätten die Autorität des Rates untergraben, und schließlich mit der Entscheidung, nur Katholiken zum Stadtregiment zuzulassen.62 Adam 61 Ebd., hier: S. 46 meint das Verhalten des Rates gegenüber den auswärtigen Gesandtschaften dahingehend deuten zu können. Es habe zu diesem Zeitpunkt bereits eine einflussreiche Gruppe protestantischer Ratsherren gegeben, die eine reformatorische Religionspolitik bevorzugte. 62 Vgl. ausführlicher zum gesamten Verlauf des Konflikts Mahlert, Adam von Zevels Verantwortung, dem Rat der Stadt Aachen überreicht am 13. Mai 1560, hier: S. 224–232.

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Die politische Auseinandersetzung – Akteure, Themen, Argumente

von Zevel und das Aachener Stadtregiment ließen alle Konflikte zu einer schweren innerstädtischen Krise kumulieren. Wie sie dabei argumentierten und handelten, zeigt wie die reichspolitischen Auseinandersetzungen über Aachen den innerstädtischen Frieden destabilisieren konnten. Ein Rückblick von Adam von Zevel selbst erleichtert den Einstieg in die komplizierte Gemengelage von politischen Streitpunkten und Konfrontationen. Adam von Zevel berichtet über die Missachtung seiner Person und seines Bürgermeisteramtes als Ausgangspunkt der Konflikte. Zunächst habe, unmittelbar nach seiner Wahl zum Bürgermeister im Jahr 1559, eine Gruppe von Bürgern aus seiner Nachbarschaft in der Nähe der Königspforte bei seinem Amtskollegen, dem Schöffenbürgermeister Gerhard Ellerborn63 den Vorwurf erhob, in der Nachbarschaft fänden verbotene religiöse Versammlungen von „Fremden“ statt. Sie hätten sich bewusst an Ellerborn und nicht an Zevel gewandt, weil sie sowohl den Gemeindebürgermeister als auch den für die Königspforte zuständigen Christophel Johann von Siegen [Jehan von Siygen] verdächtigten, selbst mit diesen Versammlungen zu konspirieren. Dem Schöffenbürgermeister Ellerborn hätten sie angedroht, eigenmächtig gegen diese Versammlungen vorzugehen, falls Bürgermeister und Rat nichts unternähmen. Obwohl die Denunzianten also angedroht hatten das Recht selbst in die Hand zu nehmen, habe der Rat entschieden, dass sie vertrauenswürdig seien. Zevel hingegen sei, weil er bekennender Protestant sei, verdächtig die verbotenen religiösen Aktivitäten beschirmt zu haben. Einige Monate nach Beginn der Auseinandersetzung, am 13. Mai 1560 warf Zevel dem Rat in einer Rechtfertigungsrede fünf Ratsherren vor, sie hätten ihn im September zuvor nicht in die Untersuchungen gegen die mutmaßlichen Aufrührer einbezogen, weil sie ihn selbst verdächtigt hätten, zu den Aufständischen zu gehören.64 Diesem Verdacht und anderen Anschuldigungen sei er ausgesetzt worden, weil er sich zur Augsburger Konfession bekannt habe.65 Zevel ordnete die Vorwürfe gegen ihn allerdings erst zu einem Zeitpunkt als Konfessionskonflikt ein, als die Auseinandersetzung um Zur Person Adam von Zevels vgl. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 250–251 und Friedrich Haagen, Adam von Zevel (Haupt der Protestanten in Aachen). In: ADB. 1900, S. 137–143. Die Bewertung Zevels als Führer der Aachener Protestanten ist allerdings überholt. 63 Zur Person vgl. S. 70. 64 Vgl. Adam von Zevel, ehemaliger Bürgermeister von Aachen, beklagt sich über Eingriffe in seine Amtsbefugnis, beschwert sich wegen seiner Absetzung und verteidigt sich gegen unberechtigte Vorwürfe. 1560 Mai 13. Gedruckt bei: Mahlert, Adam von Zevels Verantwortung, dem Rat der Stadt Aachen überreicht am 13. Mai 1560, hier: S. 237–238. 65 Ebd., hier: S. 236–237.

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seine private und politische Zukunft bereits zu seinem Nachteil entschieden war. Noch im Jahr 1559 hatte Zevel sein Bürgermeisteramt niedergelegt.66 Einen weiteren Vorwurf, sich wegen seines Bekenntnis zur Augsburger Konfession gegen den Aachener Rat und die Stadt selbst vergangen zu haben, wies Zevel am Ende seiner Rechtfertigung zurück.67 Der Rat habe Zevel vorgeworfen, dass er sich als Bürgermeister mit seinen Söhnen und anderen Bürgern verschworen habe. Mit dieser böswilligen Verschwörung war die jüngste Supplikation für das Recht zur öffentlichen Religionsausübung gemeint. Der Rat vertrat den Standpunkt, dass die 102 Supplikanten und deren Reichstagsgesandte „[. . . ] bi den protesterenden evangelischen fursten und heren wider dem rat und ganzer gemeinden [. . . ]“68 um Hilfe gebeten hätte. Sie hätten damit schädliche Eingriffe auswärtiger Mächte in Aachen provoziert. Zevel Zevel rechtfertigte die Bitschrift zunächst noch einmal, wie es sein Sohn bereits in Augsburg getan hatte. Dann verschärfte er allerdings einige Argumente: So betonte er die konfessionelle Überzeugung der Aachener Protestanten, dass ein Prediger der Augsburger Konfession „[. . . ] Gottes wort hell, claer und rein prediget und die sacrament nach christlicher insatzung und apostolischen brauch [. . . ]“69 austeilen müsse. Die Betonung des Wahrheitsanspruches der eigenen Konfession an dieser Stelle ist besonders bemerkenswert, weil sich Zevels Verantwortung nicht, wie die Supplikation, an die protestantischen Reichsstände richtete, denen eine solche Aussage unbedenklich erschienen wäre, sondern an den mehrheitlich katholisch besetzten Aachener Rat. Ähnlich provokant war Zevels Angabe, dass Gottesdienste nach der Confessio Augustana in Privathäusern bereits gefeiert worden seien. Der Rat hatte bis dahin in keinster Weise signalisiert, dass er Zevels Auffassung teilte, das Verbot geheimer religiöser Versammlungen gelte nicht für Angehörige der Confessio Augustana Zevel stellte die Absage des Rates an die öffentliche Religionsausübung konfliktreicher dar, als es in der Supplikation an die Reichsstände der Fall gewesen war. Er differenzierte zwischen den Rollen, welche die Bittsteller, der Ehrbare Rat und die politischen Gegner der Augsburger Konfessionsverwandten in den Auseinandersetzungen um die Supplikationen gespielt hätten. Der Rat habe die Bitte zu Beginn des Jahres 1559 zwar abgelehnt, er habe aber bei dieser Gelegenheit selbst auf den bevorstehenden Reichstag hingewiesen; die Aachener Protestanten könnten dort ihr Anliegen vortragen. Sollten sie beim Reichstag einen Beschluss zur Freigabe der öffentlichen 66 67 68 69

Ebd., hier: S. 224–225. Ebd. S. 240–243. Ebd. S. 240. Ebd. S. 241.

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Religionsausübung in Aachen erwirken, müsse sich der Rat danach richten. Nachdem dann aber dort bei den evangelischen Ständen erfolgreich für das Anliegen der Aachener Protestanten geworben worden sei, sei diese Aktion, so führte Adam von Zevel aus, „[. . . ] von unßeren gegenteil und widerwertigen zum argen verkert und ausgelegt [. . . ]“70 worden – nämlich, indem diese Gegner den Vorwurf erhoben hätten, die Protestanten hätten sich gegen Obrigkeit und Gemeinde verschworen. Zevel zeichnete an dieser Stelle das Bild eines gegen ihn selbst und die Unterzeichner der jüngsten Supplikationen, also gegen eine Gruppe politisch aktiver Aachener Protestanten, gerichteten Feindes. In Zevels Augen erlitten die Bekenner der Augsburger Konfession in Aachen wegen ihres Bekenntnisses die gezielten Repressalien einer Minderheit innerhalb des Rates und der Gemeinde. Wer genau diese Gegner der Confessio Augustana waren und worin ihre Absichten bestanden, lässt Zevel offen. Am Ende seiner Rechtfertigung wandte er sich noch einmal gegen seine Gegner. Sie hätten sowohl den Rat als auch die ganze Gemeinde gegen „uns“ aufgebracht. Statt seine Gegner beim Namen zu nennen, merkt er an, „[. . . ] si sint dan, wer si wollen [. . . ]“ . In Richtung einer konfessionellen Prägung von Zevels politisch-moralischem Feindbild könnte allenfalls der Vorwurf des ehemaligen Bürgermeisters gedeutet werden, das Verhalten seiner Gegner sei nicht „[. . . ] christlich catholisch oder bruederlicher liebe gemes [. . . ]“71 . In dieser Aussage könnte sich spiegeln, dass die Gegner Zevels sich in ihrem Handeln auf die katholische Konfession berufen hatten. Doch selbst wenn diese Interpretation zutrifft, hieße das noch nicht, dass Zevel in seiner Verantwortungsrede die Wahrnehmung aller Aachener Katholiken als konfessionelle Feinde befördert hätte. Den Rat, der aller Wahrscheinlichkeit nach mehrheitlich katholisch besetzt war, hatte er als Körperschaft ohnehin von seinen Vorwürfen ausgeklammert und auch die katholische Bevölkerung zählte er nicht pauschal zu seinen Gegnern. Rat und Gemeinde seien lediglich von den eigentlichen Gegnern falsch informiert und manipuliert worden. So findet man, wenn man Zevels Vorstellung von den politischen Feinden der um das exercitium publicum bittenden Aachener Protesten eingrenzen möchte, neben fünf Ratsherren, die er für die Unregelmäßigkeiten bei der Untersuchung des mutmaßlichen Bürgeraufstandes im September 1559 verantwortlich gemacht hatte, eventuell noch den amtierenden Schöffenbürgermeister Gerhard Ellerborn.72 70

Ebd. Ebd., hier: S. 243. 72 Gerhard Ellerborn der Kollege des Gemeindebürgermeisters Adam von Zevel bis zu dessen Amtsniederlegung im September 1559 – vgl. Luise von Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, in: Zeitschrift des Aachener 71

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Im Spiegel der Rechtfertigung des politisch gescheiterten und aus der Stadtpolitik ausgeschiedenen Protestanten Adam von Zevel lassen sich also im Mai 1560 zwar punktuell die Verschärfung einiger bekenntnisspezifischer Argumente auf protestantischer Seite und die Ansätze zur Bildung religionspolitischer Fronten zu religionspolitischen Fragen innerhalb der politischen Elite der Reichsstadt Aachen erkennen. Die Umrisse von konfessionellen Lagern innerhalb des Rates oder gar der gesamten Einwohnerschaft zeichneten sich aber nicht ab. Einige Zeit nach den eben beschrieben Auseinandersetzung setzte sich die Auffassung durch, dass Adam von Zevel den Konflikt mit Schöffenbürgermeister und Rat bewusst inszeniert habe, um ein Edikt zur Ausweisung nicht-katholischer, niederländischer Einwanderer zu verhindern.73 An erster Stelle bewegte aber nicht Zevels politische Aktivität sondern der in den 1550er Jahren gestiegene Druck aus Region und Reich auf den Aachener Magistrat die städtische Einwanderungs- und Religionspolitik. Nach der kaiserlichen Kommission vom Juli 1559 waren am 30. Juli 1559 Abgesandte des Königs von Spanien in Aachen vorstellig geworden. Die Gesandten forderten, Aachen möge die Aufnahme niederländischer Glaubensflüchtlinge einstellen, und stießen damit die Einwanderungsdebatte an. Der Rat antwortete den spanischen Abgesandten wie zuvor den Gesandten der protestantischen Reichsstände und des Kaisers: In Aachen sei keine Änderung der Religion beabsichtigt. Darüber hinaus beruhigte der Rat die niederländische Regierung: Glaubensflüchtlinge, die vorübergehend in Aachen gewesen seien, hätten die Stadt wieder verlassen; nachdem sie die Geschichtsvereins 55 (1935), S. 41–77, hier: S. 62. Ausführlich zur Person: Luise von Coels van der Brügghen, Die Schöffen des Königlichen Stuhls von Aachen von der frühesten Zeit bis zur endgültigen Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung 1798, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 50 (1928/1929), S. 1–596, hier: 237–238 u. 265–266. 73 Schon Mahlert, Adam von Zevels Verantwortung, dem Rat der Stadt Aachen überreicht am 13. Mai 1560, hier: S. 24–25, Anm. 4 wies die Argumentation zu Gunsten dieser These bei Fey, Zur Geschichte Aachens im 16. Jahrhundert, hier: S. 36 f. zurück. „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 22. September 1559, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I) unterstützt die These über Zevels Verzögerungstaktik. Dort heißt es, Zevel und andere Augsburger Konfessionsverwandte hätten, als der Rat kurz davor stand, über die Ausweisung der Fremden zu entscheiden, versucht, einen Bürgeraufstand zu entfachen. Diese sehr weitreichende Interpretation der Absichten Zevels wird allerdings durch keine andere Quelle bestätigt, sodass sie dem katholischen Autor der nicht zeitgenössisch entstandenen Aufzeichnung zugeschrieben werden kann, für die Ereignisse durch die Annahme einer protestantischen Verschwörung eine eindeutige Erklärung zu finden. Ebenfalls denkbar wäre, dass die Vermutung über eine solche Verschwörung Eingang in die Ratsprotokolle gefunden hatte, nachdem Adam von Zevel die Unterstützung des Rates verloren hatte. Auch in diesem Fall wäre die Grundlage für die Annahme, die Aufstandsplanung habe tatsächlich stattgefunden, nicht gegeben.

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öffentliche Religionsausübung nicht hatten erhalten können, hätten sie nicht in Aachen bleiben wollen. Im übrigen bot das Stadtregiment an, noch einmal nach Glaubensflüchtlingen fahnden zu lassen.74 Mit dieser Aussage stellten Bürgermeister und Rat ihre Religionspolitik ungewöhnlich deutlich in ein katholisch-gegenreformatorisches Licht. Der traditionalistischen Gestaltung des Aachener Religionswesens konnte also angesichts der spanischen Erwartungen ein katholisch-konfessionalistischer Anstrich gegeben werden. Der Magistrat ging davon aus, dass die Aachener Religionspolitik so dargestellt den Forderungen der Spanier genügte. Trotzdem setzte sich der Stadtrat weiter mit deren Forderungen auseinander. Am 29. August beschloss er ein Gutachten zusammenstellen zu lassen, das die Forderungen vor dem Hintergrund der bisher auf Reichsebene vorgefallenen Religionsstreitigkeiten und des Friedens von Passau bewerten sollte. Das Gutachten wurde am 30. August von den beiden Alt-Bürgermeistern75 redigiert und sollte dann den Gaffeln zur Beratung vorgelegte werden, um deren Meinung schließlich im Großen Rat zur Entscheidung zu stellen.76 Die genaue Zielsetzung und die Argumentation des Gutachtens sind nicht bekannt. Allerdings deuten die Bezüge auf die Konfessionskonflikte auf Reichsebene und den Passauer Vertrag von 1552 darauf hin, dass der Magistrat nun Klarheit über seine religionspolitischen Spielräume gegenüber den Forderungen des Kaisers und des Königs von Spanien gewinnen wollte. Die Forderungen, die das Stadtregiment offenbar als „Warnungen“77 verstanden hatte, wurden nicht mehr mit ad hoc vom kleinen Rat entworfenen kurzen Rechtfertigungen beiseite geschoben, sondern im Kontext weiterer religionspolitischer Fragestellungen diskutiert. Dass diese Fragen erst zu diesem Zeitpunkt erwogen wurden, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die vor verschiedenen auswärtigen Gesandten geäußerte Rechtfertigungen der Aachener Religionspolitik nicht als Verteidigung des eigenen ius reformandi verstanden werden dürfen. Wenn der Rat seine rechtlichen Argumente tatsächlich auf den Passauer Vertrag und nicht auf den Augsburger Religionsfrieden stützte – wie es die die kurze Notiz zu dem im Sommer 1559

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„Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 30. Juli 1559, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 16. 75 Es handelte sich um Melchior Colyn und Franck Block – vgl. Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 62. 76 Vgl. „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 29. und 30. August 1559, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 16v. 77 Ebd.

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erstellten Gutachten in „Anfangh der Newen Religion [. . . ]“ nahe legt –, beanspruchte der Rat sogar sehr wahrscheinlich kein Reformationsrecht.78 Noch bevor Gaffeln oder Rat das Gutachten diskutiert hatten, beschwerten sich einige Ratsherren, sie könnten über die in dem Gutachten enthaltenen Punkte keine Entscheidung treffen, solange nicht eine Reihe von Personen bestraft worden sei, die an verbotenen religiösen Versammlungen teilgenommen hätten.79 Die beschwerdeführenden Ratsherren wollten sich vor Verhandlungen über religionspolitische Themen der konsequenten Sektenbekämpfung des Stadtregiments versichern. Die Ähnlichkeit dieser Beschwerde mit den gleichzeitig aufkommenden Vorwürfen, Bürgermeister Adam von Zevel habe verbotene religiöse Versammlungen in Schutz genommen, ist offensichtlich. Dass es sich bei den Beschwerdeführern um dieselbe Gruppe handelte, die Zevel später als seine Gegner ausmachte, lässt sich nicht belegen. Auch ist hinter der Beschwerde noch keine katholischgegenreformatorische Linie zu erkennen. Ebenso wenig zeigte sich kurz vor dem Beschluss am 22. September eine profilierte protestantische Ratsopposition gegen die Ausweisung. Worum kreiste dann aber die Ausweisungsdebatte? Welche unterschiedlichen Standpunkte wurden zu der Frage, ob nicht-katholische Fremde der Stadt verwiesen werden sollten vertreten und mit welchen Argumenten wurden sie gestützt? Zu der Ausgangslage zu Beginn der Debatte ist vermutet worden, dass die aufwendige Beratung der religionspolitischen Forderungen in Gaffeln, Großem und Kleinem Rat auf eine zunächst fehlende Mehrheit für das Ausweisungsedikt deute. Eine protestantische Opposition sei gegen die Ausweisung der Fremden gewesen.80 Für eine Entscheidung von der Tragweite des Ausweisungsediktes konnte das Stadtregiment allerdings auch dann die zusätzliche Legitimation durch den Großen Rat und die Gaffeln einholen, wenn die Mehrheit für den Beschluss sicher war. Darüber hinaus waren die Beratungen mit einem großen Teil der politisch berechtigten Bürgerschaft auch dadurch gerechtfertigt, dass über den Zusammenhang zwischen den religionspolitischen Forderungen aus Reich und Region und dem Reichsreligionsrecht geredet wurde. Inwieweit diese weit ausgreifende Dimension der Debatte bis zur Entscheidung am 22. September von Bedeutung blieb, ist zwar unsicher, klar ist aber, dass nicht jeder Konflikt, der 78 Zum Passauer Vertrag vgl. einführend Winfried Becker, Passauer Vertrag, in: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 7. Freiburg/Basel/Wien 1998, Sp. 1422–1423. 79 Vgl. „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 29. und 30. August 1559, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 16v. 80 Vgl. Heinz Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 187.) Gütersloh 1972, hier: S. 73–74.

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sich im Verlauf der Debatte auftat, auf die engere Frage der Ausweisung bezogen war. Ein Nebenkonflikt, der für die politische Frontenbildung während der Ausweisungsdebatte zentrale Bedeutung erlangen sollte, ist bereits geschildert worden: Die Auseinandersetzung um Intensität und Form, mit der das Aachener Stadtregiment gegen private religiöse Versammlungen außerhalb der katholischen Kirche vorging. Auf der einen Seite machten einige katholische Ratsherren ein konsequenteres Vorgehen gegen solche Konventikel zur Vorbedingung für weitere Verhandlungen über die reichsstädtische Religionspolitik und wurden dabei offenbar von Teilen der Bürgerschaft unterstützt. Auf der anderen Seite grenzte Adam von Zevel die protestantischen Bürger Aachens, die sich zur Augsburger Konfession bekannten, ausdrücklich von Fremden und Sektierern ab. Er forderte, dass sich die Verfolgungsmaßnahmen des Stadtregiments zwischen den Versammlungen von Fremden und reichsrechtlich verbotenen Sekten zum einen und den im privaten Rahmen abgehaltenen Gottesdiensten der Aachener Protestanten zum andern unterscheiden müssten. Somit waren sich die beiden Gruppen, die üblicherweise als Gegner in der Einwanderungsdebatte betrachtet werden, grundsätzlich darin einig, dass reichsrechtlich verbotene Religionen auch in Aachen bekämpft werden müssten. Auch dass sich diese Religiosität durch die Zuwanderung von Fremden in der Stadt ausbreitete und die Immigranten deswegen besonderer Aufsicht bedurften, schien Konsens zu sein. Ein Konflikt entwickelte sich aus der Frage, welche Bedeutung das Bekenntnis von Aachener Bürgern zur Confessio Augustana für die Durchsetzung des Verbots heimlicher religiöser Versammlungen haben sollte. Während politisch aktive ‚Augsburger Konfessionsverwandte‘, die sich bereits um die Freistellung der öffentlichen Religionsausübung bemühten, mit großer Selbstverständlichkeit Schutz für die Confessio Augustana forderten, berücksichtigten die Aachener Katholiken die religionspolitische Differenzierung zwischen verschiedenen Christen außerhalb der katholischen Kirche noch nicht in ihrer Argumentation. Ihr Drängen auf eine konsequente Sektenbekämpfung unabhängig vom Bekenntnis der Personen war also nicht als direkter Angriff auf diejenigen ihrer Mitbürger gedacht, die sich auf die Augsburger Konfession beriefen, sondern baute gerade auf der Weigerung auf, eine solche Konfession zur Kenntnis zu nehmen. Einige Ratsherren und Einwohner wollten darüber hinaus die verstärkte religionspolitische Aktivität einiger protestantischer Mitbürger unterbinden. Diese Politik betrachteten sie als essenziell für den inneren Frieden Aachens und für die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu regionalen Mächten und dem Kaiser. Vor dem Hintergrund dieses Bedrohungsemp-

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findens erklären sich auch die Gerüchte über Bürgeraufstände, die sich offenbar in Teilen der Bevölkerung verbreiteten und die von den Ratsherren aufgegriffen wurden. Hinter der Aufstandsangst stand also kein konkretes konfessionelles Feindbild, sondern die allgemeine Befürchtung vor politischer und gesellschaftlicher Instabilität durch die Verbreitung andersartiger Religiosität. Ein solches konfessionelles Feinbild unterstellten die politisch aktiven Protestanten schon in ihrer ersten Reaktion auf die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Sie nahmen den mutmaßlich konfessionalistischen Angriff zum Anlass für die Beschreibung der Gegner ihrer Religion und verschärften den Konflikt damit merklich: Die Aussagen Adam von Zevels zeigen, dass er sich und seine Konfessionsverwandten als Opfer dezidiert anti-evangelischer und nicht allgemein anti-sektischer Aktivitäten sah. Seine Wahrnehmung der Ratsherren, die auf die konsequente Durchsetzung des Konventikelverbots drängten, nahm damit konfessionalistische Handlungsmuster dieser Gruppe vorweg. Zevel entwarf das Bild einer regelrechten politischen Verschwörung gegen ihn und die Unterzeichner der Supplikation an den Reichstag, die Rat und Gemeinde gegen die Protestanten aufgebracht habe. Damit verstellte er für die Dauer der gegenwärtigen Krise den Weg zu einem Konsens im Rat – nicht nur in der Frage, an der sich der Konflikt ursprünglich entzündet hatte. Die Krise gefährdete den Zusammenhalt des Rates. Das Ausweisungsedikt konnte noch verabschiedet werden, weil nur die Einigkeit über die Art und Weise der notwendigen Sektenbekämpfung zerbrochen war. Erst nach der Verabschiedung des Edikts wurden am 15. Februar 1560 die Ratsherren, welche die Supplikation an den Reichstag unterschrieben hatten, von allen religionspolitischen Abstimmungen ausgeschlossen, woraufhin ein Teil der Betroffenen den Rat demonstrativ verließ.81 Damit war nun grundsätzlich in Frage gestellt worden, ob Katholiken und Protestanten im Rat gemeinsam über die Aachener Religionspolitik entscheiden konnten und die Vertrauenskrise begann sich auf die Verfassung der Stadt auszuwirken. Die Einschränkung der politischen Möglichkeiten einiger bekennender protestantischer Ratsherren reichte jedoch nicht aus, um die Krise zu beenden. Am 7. März 1560 fand der Rat zu einer grundsätzlicheren Lösung. Die Nachfolger der Ratsherren, die ihre Sitze nach dem 15. Februar verlassen hatten, sollten ebenso nur Katholiken sein, wie alle Männer, die zukünftig in den Rat oder in städtische Ämter gewählt werden würden.82 81 „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, zum 15. und 16. Februar 1560, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 20–20v. 82 Ratsbeschluss vom 7. Martii Anno 60 (Kopie), StAAa, Dep. Reichsstadt Aachen,

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Diese Verfassungsänderung, die Bürger ohne katholisches Bekenntnis künftig von jeder politischen Teilhabe ausschloss, glich das politische System Aachens an das anderer Reichsstädte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation an, deren Stadtregimenter sich explizit auf eine der beiden reichsrechtlich anerkannten Konfessionen festgelegt hatten. Schon die mit dem Ausweisungsedikt gefällte Entscheidung bedeutete eine Angleichung an die Verhältnisse in Städten mit klarer konfessionspolitischer Festlegung.83 Dass die Entwicklungen in Aachen aber mehr das Ergebnis einer gegenwärtigen Krise als Folge eines auf konfessionalistischen Überzeugungen und Programmen beruhenden Konfessionalisierungsschubs waren, zeigen die Begründungen für die Beschränkung des Stadtregiments auf katholische Bürger im Text des Edikts vom 7. März: Der mutwillige Rückzug einiger Ratsherren aus dem Rat habe die Neubesetzung ihrer Stellen notwendig gemacht. Der Rat habe aber während des laufenden Jahres feststellen müssen, dass durch den Abfall etlicher Ratsherren und Amtsträger von der alten in Aachen üblichen Religion große Gefahr für die Stadt entstanden sei. Im Wortlaut heißt es, es sei „[. . . ] zu allerhandt neuerungen und enderungen in den glaubenssachen gefallen, was uneinigkeit, zweispalt, und verbitterung der im Rhadt geseßenen gemuter gegen einander (darbei dann kheine friedtliche noch gluckselige der burgerschafft unnd underthanen Regierung, vilweniger des gemeinen nutzens treuliche befurderung oder furgangh beschehen, oder verbleiben kan [. . . ].“84 In dem Edikt berichtet der Rat also, dass er aus den Konflikten der jüngsten Vergangenheit die Lehre gezogen habe, dass ein konfessionell uneinheitlicher Rat die Stadt nicht angemessen regieren könne. Die Unvereinbarkeit von konfessioneller Pluralität mit einem stabilen Gemeinwesen ist eine Grundannahme des konfessionalistischen Denkens.85 Der Rat formulierte diese Akten 28, f. 101–101v. Weitere Abschriften des Edikts: Ratsbeschluss vom 7. März 1560 (Kopie), LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 4 (Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen. 1608), ohne Foliierung; Ratthschluß vom 7. Martii Ao 60 (Kopie), Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,1, 1. Mappe, f. 206–207. 83 Konersmann, Spezifika der Konfessionalisierung in Reichsstädten, hier: S. 98 nennt verschiedene Reichsstädte, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts die Ratsfähigkeit auf Angehörige einer Konfession beschränkten, und diskutiert die Bedeutung dieser Maßnahme. Die konfessionelle Homogenität war demnach eine Grundvoraussetzung für die Stabilität dieser Städte. 84 Ratsbeschluss vom 7. Martii Anno 60 (Kopie), StAAa, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 28, f. 101–101v. 85 Dass sich diese Idee 1620 auch in Aachen weitgehend durchgesetzt hatte, deutet

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Annahme zum Abschluss der Krise der Jahre 1559 und 1560 erstmals in dieser Deutlichkeit. 2.2.4 Gefährliche Glaubensflüchtlinge: Aufschwung eines Arguments während des niederländischen Aufstands Unmittelbar nachdem dieses wichtige, in Aachen neue Argument in den politischen Diskurs über die religiösen Verhältnisse in Aachen eingebracht worden war, beruhigte sich die politische Auseinandersetzung über die religiösen Verhältnisse in Aachen beinahe vollständig.86 Das Fehlen von Nachrichten über den Fortgang des Diskurses über Aachen ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass auf regionaler Ebene die Eskalation des niederländischen Aufstands die Beschäftigung mit vielen anderen politischen Themen seit etwa 1567 verhinderte. Die Politik Herzog Wilhelms V. von Jülich und auch des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises richtete sich darauf aus, den Schaden, der durch die Truppenwerbung Herzog Albas und Wilhelms von Oranien im Kreisgebiet entstand, nach Möglichkeit zu minimieren.87 Auch die Reichsstadt Aachen war bereits in der ersten Phase des Niederländischen Aufstands von Übergriffen der Kriegsparteien betroffen. Schon 1567 konnte Aachen aufgrund der unsicheren Verhältnisse in der Region keine Gesandtschaft zum Reichstag in Regensburg schicken.88 1568 erpressten oranische Truppen 20.000 ReichsSchilling, Die deutschen Städte in den politischen und religiösen Umbrüchen des „langen 16. Jahrhunderts“, hier: S. 332 an. 86 Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 59 spricht für die Jahre nach 1560 von einer „[. . . ] auffälligen Phase der Ruhe [. . . ]“. Tatsächlich sind für die 1560er Jahre in der Stadt keine religionspolitischen Auseinandersetzungen dokumentiert. Auch auf Reichsebene wurde der konfessionelle und verfassungspolitische Status der Reichsstadt nicht weiter verhandelt. Weder für den Reichsdeputationstag von Worms 1564 noch für die Reichstage der Jahre 1567 und 1570 finden sich entsprechende Hinweise (Vgl. Knorring, Marc von (Hrsg.), Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662. Der Reichdeputationstag zu Worms 1564. München 2010; Wagner, Wolfgang/Arno Strohmeyer/Josef Leeb (Hrsg.), Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662. Der Reichstag zu Regensburg 1567 und der Reichskreistag zu Erfurt 1567. München 2007; sowie Lanzinner, Maximilian (Hrsg.), Der Reichstag zu Speyer 1570. Bd. 2: Akten und Abschied. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) Göttingen 1988. Über die Register lassen sich die jeweiligen Aktivitäten der Aachener Reichstagsgesandtschaften und die Aachen betreffenden Verhandlungen erschließen, die aber in keinem Fall im Zusammenhang mit den die Reichsstadt betreffenden religionspolitischen Auseinandersetzungen standen. Dass die Verfassungsänderung von 1560 auf Reichsebene zunächst kein Echo fand, ist bemerkenswert. 87 Vgl. Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648, hier: S. 97–102 und Winfried Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Geschichte und Aktenedition. Stuttgart 1998, hier: S. 310. 88 Vgl. Verlesung eines Schreibens von Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt

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taler von der Stadt – eine Belastung, über die sich Aachen erstmals auf dem Reichsdeputationstag in Frankfurt 1569 und dann wieder auf dem Reichstag von Speyer 1570 beschwerte.89 Der Zustrom von Flüchtlingen aus den Niederlanden nach Aachen war eine weitere Entwicklung, durch die sich die niederländischen Unruhen in ihrer Frühphase auf Aachen auswirkten. Vorher waren die Gruppen niederländischer und französischer Fremder in Aachen eher klein geblieben.90 Durch die erneute Zuwanderung aus den im Krieg befindlichen Provinzen wuchs die Zahl der Fremden bis 1570 zu einer nicht unbedeutenden Minderheit an.91 Obwohl der Flüchtlingszustrom und die Übergriffe der Kriegsparteien für Aachen Ereignisse von einiger Bedeutung waren, fanden sie kaum ein unmittelbares Echo in den Auseinandersetzungen um die politischen und religiösen Verhältnisse in der Stadt. Wenn die Niederländischen Unruhen und die Zuwanderung also Wirkung auf den Diskurs um den konfessionellen Status Aachens entfalteten, muss dies auf indirektem Wege geschehen sein. Aachen an die Reichsstädte mit Entschuldigung ihres Fernbleibens vom Reichstag, begründet mit den geschwinnden leufft bey iren genachbarten, und den Erbieten, die Beschlüsse [des Städtetages] zu vollziehen, in: Wolfgang Wagner/Arno Strohmeyer/Josef Leeb (Hrsg.), Der Reichstag zu Regensburg 1567 und der Reichskreistag zu Erfurt 1567. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) München 2007, hier: S. 257. 89 Die Supplikation wurde bei Joseph Hansen, Kriegsdrangsale Aachens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 7 (1885), S. 65–104, hier: S. 85–86 gedruckt. Bei Maximilian Lanzinner (Hrsg.), Der Reichstag zu Speyer 1570. Bd. 2: Akten und Abschied. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) Göttingen 1988, hier: S. 210, Anm. 4 finden sich außerdem Hinweise auf die Klagen weiterer Stände aus dem Nordwesten des Reiches über Schäden, die ihnen durch die Truppen Albas oder Oraniens zugefügt worden seien. Auf dem Reichstag in Speyer von 1570 bat der Aachener Gesandte Gerlach Radermacher, der Kaiser möge Aachen entweder zur Erstattung der erpressten Summe verhelfen oder Aachen Reichssteuern erlassen. Vgl. Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648, hier: S. 95–96; Aachens Klageführung auf dem Speyrer Reichstag ist dokumentiert bei Lanzinner, Akten und Abschied, hier: S. 998 (Präsentation der Supplikation am 2. August 1570. 21. September 1570: Aachen wird zur rechtlichen Austragung seiner Klage an den Kaiser verwiesen); außerdem bei Maximilian Lanzinner (Hrsg.), Der Reichstag zu Speyer 1570. Bd. 1: Protokolle. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) Göttingen 1988, hier: S. 294 (21. September 1570. Der Aachener Gesandte Radermacher behält sich vor, weitere Schritte wegen der Klage zu unternehmen.), S. 598–599 (25. September 1570: Radermacher trägt dem Städterat vor, dass zwei Tage zuvor bei den versammelten Ständen ein Dekret zur Aachener Klage gegen Wilhelm von Oranien eröffnet worden sei, ohne dass zuvor alle Gravamina Aachens angehört worden sein. Die Supplikation wird dem Städterat vorgelesen, welcher der Aachener Klage Unterstützung zusagt.). 90 So die Einschätzung von Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 59. 91 Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, hier: S. 72.

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Tatsächlich wurden bestimmte Veränderungen die einige Jahre später in den Auseinandersetzungen festzustellen sind, während der späten 1560er Jahre angestoßen. Ein Weg, auf dem dieser Einfluss wirksam wurde, war folgender: Die politischen Akteure in Aachen erlebten den Auftakt zum 80-jährigen Krieg als Lehrstück für die verheerende Wirkung konfessioneller Pluralität. Damit verfestigte sich die während der Krise der Jahre 1559 und 1560 gerade hergestellte gedankliche Verbindung zwischen religiöser Fremdheit und gesellschaftlicher Instabilität. Grundsätzlich konnte diese Lehre von den politisch aktiven Anhängern sowohl des Katholizismus als auch des Protestantismus gezogen werden, wie die folgenden Beispiele zeigen.92 So drückten zwei Beschlüsse, die der Rat im Verlauf des Jahres 1572 in Bezug auf den Krieg in der Nachbarschaft fasste, den überkonfessionellen Konsens darüber aus, dass die Reichsstadt Aachen angesichts der Destabilisierung der benachbarten Niederlande Vorkehrungen treffen musste. Leicht hätte die am 28. April getroffene Entscheidung, Flüchtlingen aus den Niederlanden generell die Einreise nach Aachen und Burtscheid zu verweigern, zu konfessionell bedingten politischen Konflikten führen können, da die Verweigerung der Hilfeleistung für Glaubensflüchtlinge kaum im Interesse der Aachener Protestanten sein konnte. Allerdings wurde gerade dieses Edikt wahrscheinlich unter dem politischen Druck des Herzogs von Alba erlassen und war damit weniger Ergebnis des politischen Diskurses in Aachen als außenpolitische Notwendigkeit. Weitere Beschlüsse zur Umsetzung dieses Edikts wurden auch von den Protestanten mitgetragen, die trotz der Verfassungsänderung von 1560 im Stadtregiment verblieben waren. So gehörte der später zu den führenden Mitgliedern der lutherischen Gemeinde zählende Johann von Lontzen zu den Verfassern eines Edikts vom 18. Juni.93 Während solche direkten politischen Reaktionen auf die Erfahrung 92 Zum Transfer entsprechender konfessionspolitischer Deutungsmuster der spanischen Regierung in den Niederlanden in das Reich vgl. Weis, Les Pays-Bas Espagnols et les Etats du Saint-Empire (1559–1579), hier: S. 227–364. Für die Erzählung von der Gefährlichkeit der Aufständischen spielten auch die Übergriffe oranischer Truppen auf Aachen ein Rolle – vgl. ebd., hier: S. 303–304. 93 Vgl. Richard Pick, Aus den untergegangenen Ratsprotokollen der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 35 (1913), S. 345–347, hier: S. 345– 347. Zur politischen Karriere Lontzens, der zwischen 1575 und 1585 regelmäßig das Amt des Schöffen-Bürgermeisters übernahm, bevor er in Folge eines Injurienprozesses aller seiner Ämter enthoben wurde, vgl. Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 63–64. Zur Person ausführlich: Coels van der Brügghen, Die Schöffen des Königlichen Stuhls von Aachen von der frühesten Zeit bis zur endgültigen Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung 1798, hier: S. 292–296. Zum Einfluss Lontzens auf die lutherische Konfessionsbildung und das Zusammenleben der Konfessionen in Aachen s. u. S. 402.

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des niederländischen Aufstands selten waren, wirkten sich die Unruhen, wie noch zu zeigen sein wird, vielfältiger auf das Zusammenleben der Aachener Konfessionsgruppen aus.94 2.2.5 Die Ratsübereinkunft von 1574: Das Primat der Friedenswahrung und die Einführung des Konfessionsbegriffs in die Stadtpolitik Die in Aachen durch die niederländischen Unruhen und die Auseinandersetzungen um den möglichen Ausschluss des Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz aus dem Kreis der Confessio Augustana-Fürsten geförderte Entwicklung von kontroversen Ansichten zum Charakter der Augsburger Konfession spielten für die politische Auseinandersetzung in Aachen weiterhin keine Rolle. Erst mit der Ratsübereinkunft von 1574 gewann die Bezugnahme auf klare Konfessionsbegriffe auch für die politische Auseinandersetzung auf städtischer Ebene an Relevanz. Der Inhalt der Ratsübereinkunft gibt ansatzweise Aufschluss über den Status der Auseinandersetzung um den konfessionellen Status Aachens und das Verhältnis der verschiedenen Bekenntnisgruppen in der Stadt.95 Demnach hatten sich nach der Ratswahl des Jahres 1574 einige zum Rat gewählte Männer geweigert, die seit 1560 von neuen Ratsherren geforderte Erklärung „[. . . ] ihres glaubens oder Religion [. . . ]“ abzugeben. In der Folge sei dem Rat ein Vorschlag der Gaffeln vorgelegt worden, die Verpflichtung zu einer solchen Erklärung im Rahmen des Eides für Ratsherren abzuschaffen. Bei der Übergabe dieser Forderung hätten die Abgesandten der Gaffeln Bürgermeister und Rat zugesagt, dass es nicht ihre Absicht sei, „[. . . ] in Religions sachenn [. . . ] newerung oder enderung einzufhuren [. . . ]“. Der Rat beschloss daraufhin, die Ratsherren, die sich wegen der Religionserklärung beschwert hatten, zur nächsten Ratssitzung zuzulassen, „[. . . ] so sie entweder der alten catholischen Religion, oder aber der Auspurgischen Confession und alßo keiner verbottenen Secten zuegethan [. . . ]“ waren. Um sicher zu stellen, dass dieses Zugeständnis tatsächlich nicht zur Aufnahme von Anhängern verbotener Religionsgemeinschaften in den Rat führen würde, sollten noch vor der Aufnahme der neuen Ratsherren Verfahren entwickelt und festgeschrieben werden, die deren Zugehörigkeit zur katholischen Religion oder zur Augsburger Konfession sicher stellten. Darüber hinaus sollten die neuen Ratsherren sich in ihrem Antrittseid gegenüber Bürgermeistern und Rat dazu verpflichten, keine Neuerungen oder Änderungen in der Religion einzuführen oder einführen zu lassen. 94

S. u. S. 392. Vgl. Uberkunft oder Rhatzbeschlus freitags denn 23 Julii Anno 74, StAAa, Dep. Reichsstadt Aachen 28, f. 101v–102v. 95

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Diese Bestimmungen zeigen deutlich, dass es sich bei dem Edikt vom 23. Juli 1574 der Anlage noch weniger als bei den Bestimmungen zu Ratswahlen und zur Ämterbesetzung aus dem Jahr 1560 um einen revolutionären Eingriff in die reichsstädtische Verfassung handelte. Es machte lediglich den Weg für eine Gruppe im selben Jahr zum Rat gewählter Männer zu ihren Ratssitzen frei. Auch wenn dieser Beschluss in der Praxis dazu führte, dass Protestanten dauerhaft wieder Zugang zum Rat und zu den städtischen Ämtern erhielten, bleibt die nominell beschränkte Reichweite des Edikts insofern von Bedeutung. Das Edikt zog als pragmatische Lösung eines begrenzten stadtpolitischen Konflikts zunächst keine weiteren Auseinandersetzungen nach sich. Im Vergleich zu den Konflikten, die es im Vorfeld des Ausschlusses der Protestanten von Rat und Ämtern 1560 gegeben hatte, sind die Beschwerden einiger Ratsherren über die Konfessionserklärung bei Übernahme des Ratssitzes und die darauf folgenden Erörterungen innerhalb der Gaffeln und des Rates als friedliche Auseinandersetzungen zu bewerten, im Rahmen derer sich kaum scharfe Konfliktlinien bildeten. So hatten die Ratsherren, die am Tag ihrer Eidesleistung die Erklärung zu ihrer Religion ablehnten, zwar wahrscheinlich die Absicht, den Ausschluss der Protestanten vom Stadtregiment auf die politische Tagesordnung zu setzen. Allerdings lässt sich nicht belegen, dass geplant gewesen wäre, über die Gaffeln Druck auf den Rat auszuüben, um die Zulassung von Augsburger Konfessionsverwandten zum Rat zu erzwingen. Eine Eingabe der Gaffeln – als der wichtigsten politischen Organisation der Gemeinde – an den Rat war in der Reichsstadt ein übliches Verfahren und lässt nicht zwangsläufig den Rückschluss auf das Wirken einer politisch aktiven protestantischen Interessengruppe mit bestimmendem Einfluss zu. Viel eher scheinen die Vorbereiter des Beschlusses vom 23. Juli schon innerhalb der Gaffeln mit der Aushandlung eines Kompromisses begonnen zu haben, durch den man das Konfliktpotential entschärfen konnte, das in den Bestimmungen zum Ausschluss der Protestanten vom Stadtregiment lag. Zum vollkommenen Ausschluss aller Bürger ohne katholischem Bekenntnis aus dem Rat war es nach der Ratsübereinkunft von 1560 tatsächlich nie gekommen.Dennoch setzten die Bestimmungen des Jahres 1560 den protestantischen Teil der politischen führenden Oberschicht gegenüber ihren katholischen Mitbürgern zurück. Die Forderung, diese Zurücksetzung aufzuheben, weckte aber bei einigen Akteuren innerhalb von Rat und Stadtregiment die Befürchtung, dass hinter dem Verlangen nach der offiziellen Zulassung von Nicht-Katholiken zum Rat die Absicht stecken könne, eine grundlegenden Veränderung der religiösen Verhältnisse in Aachen vorzunehmen. Dieses Argument hatte durch die Eindrücke von den Niederländischen Unruhen an Plausibilität gewonnen.

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Indem die Abgeordneten der Gaffeln sofort bei der Übergabe ihrer Forderung nach Revision erklärten, keine Änderungen in Religionssachen einführen zu wollen, versuchten sie, Befürchtungen zu zerstreuen. Sie hatten mit dieser Formel einen tragfähigen Kompromiss formuliert, wie sich zeigen sollte, als der Rat wenig später die Verpflichtung zur religionspolitischen Konstanz in den Ratseid aufnehmen ließ. Dieser Kompromiss wurde dadurch abgerundet, dass in dem Ratsbeschluss die überkonfessionelle Einsicht über die Notwendigkeit zur Bekämpfung verbotener Sekten zum wiederholten Male zum Ausdruck gebracht wurde. Dies geschah, indem man die Ratsfähigkeit ausdrücklich auf Anhänger der „alten“ katholischen Religion und der Augsburger Konfession beschränkte. Damit hatte die Confessio Augustana erstmals in einer politischen Entscheidung auf der Ebene der Reichsstadt Aachen eine verbindliche Bedeutung erhalten. Dies geschah allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem die Berufung auf die Augsburger Konfession im theologischen, politischen und juristischen Kontext bereits problematisch geworden war. So war es äußerst umstritten, dass Friedrich III. von der Pfalz sich auch nach seinem Übertritt zum reformierten Bekenntnis auf die Confessio Augustana berief. Auch die Aufständischen in den Niederlanden beriefen sich nicht ohne Widerspruch auf das Augsburger Bekenntnis. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass nach dem Ratsbeschluss jeder zum Rat gewählte Mann, der sich auf die Confessio Augustana berief, auch den Ratseid ablegen durfte und somit auch Reformierten der Weg ins Stadtregiment frei stand.96 Da über diesen Umstand in den Jahren nach 1574 keine Konflikte überliefert sind, scheint es, als hätten das Stadtregiment und die Gaffeln darauf verzichtet, die Ratsfähigkeit streng dogmatisch-konfessionell zu Beschränkung der Ratsfähigkeit zu beschränken, um einen grundsätzlichen Streit über die Grenzen der Augsburger Konfession zu vermeiden. 2.2.6 Konfessionskirchen als Ideengeber und Mitglieder politischer Netzwerke Gaffeln und Stadtregiment in Aachen hegten 1574 einen möglichen Konfessionskonflikt ein, indem sie politisch mit einem absichtlich unscharfen Begriff von Augsburger Konfession arbeiteten. Ihre Entscheidung wirft allerdings die Frage auf, ob die katholischen, reformierten und lutherischen Konfessionskirchen sich eine ganz andere Religionspolitik für Aachen wünschten, weil sie daran interessiert waren, klare Bekenntnisgrenzen aufzurichten. 96

Vgl. Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 190.

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In den 1570er und zu Beginn der 1580er Jahre begannen die Gemeinden innerhalb der Synode der Niederländisch reformierten Kirchen in Deutschland damit, sich mit den religionspolitischen Voraussetzungen für ihr Kirchenleben auseinanderzusetzen. Sie reagierten auf die gegenreformatorische Politik Herzog Wilhelm V. und auch auf die Auseinandersetzungen um die religiösen Verhältnisse in der Reichsstadt Aachen. Letztere gelangten auch auf die Agenda päpstlicher Nuntien, besonders derjenigen in Köln. Weder die reformierte Synode noch die päpstliche Nuntiatur spielten selbst in der politischen Auseinandersetzung über Aachen eine entscheidende Rolle. Sie trugen aber ihren Teil dazu bei, dass sich der Kurfürst von Köln und die reformierten Pfalzgrafen stärker in der ‚Aachener Sache‘ engagierten. Die Aachener Lutheraner unterhielten zunächst keine nennenswerten Beziehungen zu kirchlichen Institutionen außerhalb der Stadt. Der Aachener Gemeinde fehlte ein einflussreicher lutherischer Fürst mit einer etablierten Landeskirche als Anknüpfungspunkt an ein lutherisches Netzwerk.97 Die Synode der Niederländischen reformierten Kirchen in Deutschland politisierte sich bereits während ihrer Konstituierung auf der ersten regulären Synodalversammlung in Bedburg im Juli 1571. Damals hatte Philipp von Marnix die versammelten Prediger und Gemeindeältesten zunächst aufgefordert, eine gemeinsame Haltung zum Krieg in den Niederlanden einzunehmen.98 Die Kirchen sollten erklären, wie die Niederlande ihrer Meinung nach wieder aufzubauen seien. Außerdem sollten sie eine gemeinsame Erklärung abgeben, die den Kampf Wilhelms von Oranien rechtfertigte und dazu geeignet war, Personen mit „schwachen Gewissen“99 ihre Zweifel in dieser Sache zu nehmen. Im Verlauf der folgenden Jahre festigte die Synode ihre politische Haltung zum Niederländischen Krieg und den beteiligten Parteien durch weitere 97 Darüber hinaus vernetzten sich Lutheraner allgemein weniger intensiv als Katholiken und Reformierte. Vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, hier: S. 108 u. 114. 98 Vgl. zu den Ausführungen Marnix’ und den Reaktionen der Synode: Anhang zu der Synode von Bedburg 1571. 3. und 4. Juli, in: Simons, Synodalbuch, hier: S. 69–71. Die Versammlung von Bedburg konstituierte die Synode zunächst für die heimlichen Gemeinden in Jülich, dem Maasland, dem Niederstift Köln und der Reichsstadt Aachen. Bis die protestantischen possedierenden Fürsten 1609 den Weg zu einer reformierten Kirche eröffneten, die sich enger an die territoriale Obrigkeit Jülichs anlehnte, fungierte die Synode als kirchliche Ersatzorganisation für die ‚Untergrundkirchen‘. Vor allem die regelmäßigen Versammlungen der Gemeinden einzelner Klassen, d.h. einer begrenzten Anzahl benachbarter Gemeinden der Synode, waren dazu geeignet, die dogmatische Ausrichtung und die Kirchenordnungen der Gemeinden zu organisieren – vgl. Goeters, Die Entstehung des rheinischen Protestantismus und seine Eigenart, hier: S. 172–175 und Goeters, Die konfessionelle Entwicklung innerhalb des Protestantismus im Herzogtum Kleve, hier: S. 205. 99 Simons, Synodalbuch, hier: S. 70.

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Beschlüsse. 1579 untersagte die Synode Versorgungsgüter „dem gemeinen feiand dero religion und auch des vatterlands“ zuzuführen.100 Als die Abgeordneten der Aachener Gemeinde 1582 eine Frage zu Geschäften mit den Spaniern stellten, wurden sie auf die Entscheidung des Jahres 1579 verwiesen.101 Die leitenden Mitglieder der reformierten Gemeinden in Aachen, sowohl der deutschen als auch der französischen Kirche, wurden somit über die Synode mit der Aussage konfrontiert, dass die Spanier Feinde der Religion seien, mit denen ein reformierter Christ auch wirtschaftliche Verbindungen vermeiden sollte. Über Predigten der Reformierten in Aachen gelangte dieses Argument auch an weitere Teile der Gemeinde und damit an politische Akteure aus deren Reihen. Darauf deutet eine kurze Notiz in den Akten der bürgerlichen-reformierten Gemeinde: Bereits im Frühjahr 1579 sei eindringlich gegen den Verkauf von Waren für die spanische Truppenversorgung gepredigt worden war, wodurch aber nicht vollständig verhindert werden konnte, dass Gemeindemitglieder weiter Geschäfte mit „Hispanischen marketenderen“ abschlossen.102 Auf ähnliche Art und Weise konfrontierte die Synode die Mitglieder der reformierten Gemeinden mit der Jülicher Religionspolitik, die in Aachen während der 1560er und 1570er Jahre ansonsten wenig Resonanz fand.103 Seit 1574 versuchte die Synode bei verschiedenen Gelegenheiten erfolglos, Einfluss auf die Religionspolitik Herzog Wilhelms V. und seiner Räte zu gewinnen und dadurch die Voraussetzungen für das Religionsleben ihrer Mitgliedskirchen zu verbessern. Dazu aktivierte sie ihre Verbindungen in die Pfalz. Über seinen Hofprediger Petrus Dathenus sollte der Pfalzgraf dafür gewonnen werden, gegen die „begonnene Exekution“ des Herzogs von Jülich gegen die reformierten Gemeinden in seinen Herzogtümern einzuschreiten.104 Der mit der Kurpfalz angeknüpfte Kontakt begründete das bevorzugte 100 Handlung des gehaltenen synodi zu Aich anno 1579, den 13ten maii. in: Simons, Synodalbuch, hier: S. 144. 101 Vgl. Acta des gehaltenen synodi zu Bedbur anno 82 den 10. october. in: ebd., hier: S. 164–165. 102 Ich höre alhie by uns und sonst, große klagten, von denen die ihr wahr den Hispanischen marketendern [. . . ] verkauffen [. . . ]“. Ohne Autor, Ort und Datum. Laut Archivvermerk 1579 3/5. Archiv d. EKiR, 4KG 004 11–4,1 Akten zu den Predigern der Reformierten. 103 Die fehlende Reonanz der Jülicher Politik in der Reichsstadt passt zu der weitgehenden außenpolitischen Passivität, die sich die Landesregierung in Düsseldorf und Kleve seit der Mitte des 16. Jahrhunderts unter anderem aufgrund der Verpflichtungen des Vertrags von Venlo zu Eigen gemacht hatte. Vgl. Janssen, Kleve–Mark–Jülich–Berg– Ravensberg 1400–1600, hier: S. 35 und Smolinsky, Jülich–Kleve–Berg, hier: S. 94-95. 104 Vgl. Classicus Conventus gehalten zu Aachen ao 75 am 6. April, in: Simons, Synodalbuch, hier: 98 u. 112.

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politische Netzwerk des Synodalverbandes. Die Vorliebe für dieses Bündnis, die von den Aachener Mitgliedern der Versammlung mitgetragen wurde, brachte die Synode sehr deutlich durch ihr Votum am 25. Mai 1576 zum Ausdruck: Sie erwog, ob sie angesichts der fortdauernden Verfolgung der Kirche an den Herzog von Jülich oder den Herzog Johann I. von Zweibrücken und an Caspar Olevianus schreiben sollten. Sie entschied sich gegen ein direktes Schreiben an Wilhelm V.105 Neben den Pfälzern kam für die Synode, deren Mitglieder auch Jahre nach der Gründung noch zu einem beträchtlichen Anteil exilierte Niederländer waren, auch die Obrigkeit der aufständischen Provinzen in den Niederlanden als Korrespondenzpartner und potentielle politische Schutzmacht in Frage. Die Bedeutung der Generalstaaten für die Religionspolitik der Synode blieb aber rudimentär. Das entspricht der untergeordneten Rolle der staatischen Niederlanden in den Auseinandersetzungen um Aachen.106 Am 11. Oktober 1581 beschloss die Synode in Bedburg, Herzog Wilhelm ein gemeinsames Glaubensbekenntnis zu schicken, das so kurz und klar wie möglich die Unterschiede der reformierten Konfession zu denen anderer Kirchen verdeutlicht. Dadurch sollte „unserer kirchen unschult“ erwiesen werden. Die Synode entschied sich für ein solches Vorgehen.107 Für die Bedeutung dieses Versuches, ein religionspolitisches Einlenken Herzog Wilhelms V. und seiner Räte zu bewirken, ist es weniger wichtig, ob er aus Anlass der Maßnahmen des Herzogs von Jülich, gegen die Reichsstadt Aachen unternommen wurde.108 Für die Mitglieder der Aachener Gemeinden war in jedem Fall entscheidend, dass hier eine Argumentation zum Tragen kam, in der das Bekenntnis ihrer Kirche und dessen Abgrenzung von anderen Konfessionen von zentraler Bedeutung war. Aus dem Beschluss der Synode vom 11. März 1581 ging hervor, dass die Synode darum bemüht war, das reformierte Bekenntnis von Sekten abzugrenzen, deren Verfolgung zum religionspolitischen Programm des Herzogs von Jülich gehörte. Die Synode verteidigte ihre Mitgliedskirchen 105

Vgl. Anno 76 den 25ten mai acta conventus zu Bedbur-Reifferscheidt, in: ebd., hier: S. 123. 106 Vgl. Acta des gehaltenen synodi anno 80 den 5. octobris zu Bedbur. in: ebd., hier: S. 151. 107 Vgl. Acta des gehaltenen synodi zu Bedbur am 11ten octobris anno 1581, in: ebd., hier: S. 155. Ob Supplikation und Glaubensbekenntnis in der Folge tatsächlich verfasst und an die Düsseldorfer Regierung übergeben wurden, ist nicht nachvollziehbar. Politische Auswirkungen einer solchen Bittschrift sind nicht zu verzeichnen. 108 Simons geht davon aus, dass es sich bei den Verfolgungen, die durch den Versuch abgemildert werden sollten, um eben diese Exekutionsmaßnahmen gegen Aachen gemeint waren. Zwingende Hinweise, dass nicht die allgemeine Verfolgung der reformierten Gemeinden im Herzogtum Jülich gemeint war, ergeben sich aus den Synodalakten allerdings nicht. ebd., hier: S. 157, Anm. 1.

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durch die Berufung auf die Confessio Augustana. Marnix hatte der Synode 1571 neben den Überlegungen zum Niederländischen Unabhängigkeitskrieg zu Bedenken gestellt, „[. . . ] welche besten Mittel man anwenden könne, um eine Einigung und Übereinkunft aufzurichten mit der Gemeinde der Augsburgischen Konfession. Item, ob es gut wäre, den Namen der vorgenannten Konfession zu führen [. . . ]“109 . Alles deutet darauf hin, dass die Kirchen der Kölner Klasse und mit ihnen die Aachener Gemeinden die Berufung auf die Augsburger Konfession nicht nur als politisch opportun betrachteten, sondern sie aus Überzeugung der theologischen Plausibilität und Gangbarkeit dieses Weges mittrugen.110 Sie machten aber die Erfahrung, dass der Herzog von Jülich nicht bereit war, die Berufung der Reformierten auf die Confessio Augustana als Argument gegen die Jülicher Religionspolitik gelten zu lassen. Die Linie, Reformierte wie andere Sekten zu verfolgen, wurde fortgeführt. Die Synode und die politischen Akteure aus den Reihen der reformierten Aachener Konfessionskirchen legten diese Haltung des Herzogs und seiner Räte als Uneinsichtigkeit in religiöse Wahrheiten und als Missachtung des Augsburger Religionsfriedens aus. Beide Deutungen legten nahe, dass es politisch notwendig sei, sich enger an konfessionsgleiche Fürsten wie vor allem die Kurpfalz und die übrigen pfälzischen Fürstentümer anzulehnen. Die Auseinandersetzung um die konfessionellen Verhältnisse in Aachen gerieten in das Blickfeld der päpstlichen Politik im Deutschen Reich, als in den Jahren 1573 bis 1579 mit zeitlicher Unterbrechung mehrere außerordentliche päpstliche Nuntien nach Köln geschickt wurden. Nachdem 1584 die ständige Nuntiatur für Nordwestdeutschland und die Niederlande in Köln eingerichtet worden war, beschäftigte sich der päpstliche Gesandte regelmäßiger mit der Causa Aquensis.111 Dem Gesandtschaftsauftrag der Nuntien lag die Annahme zu Grunde, dass der Katholizismus im Deutschen Reich in vielerlei Hinsicht eine Phase des Verfalls und der Schwächung durchlaufen habe und nun in seiner Existenz akut bedroht sei.112 In diesem Sinne wurden auch die Entwicklungen 109 Anhang zu der Synode von Bedburg 1571. 3. und 4. Juli, Simons, Synodalbuch, hier: S. 71. 110 Vgl. zu den Bemühungen der beiden reformierten Synode, den offenen Bruch mit den Lutheranern und womöglich auch kleinere Konfrontationen zu vermeiden: Acta des gehaltenen synodi [zu Aach] anno 1584 am 13ten maii stylo veteri, in: ebd., hier: S. 169. 111 Vgl. zu den päpstlichen Gesandtschaften zwischen 1573 und 1584 Joseph Hansen (Hrsg.), Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Actenstücken. Dritte Abteilung: 1572–1585. Bd. 1: Der Kampf um Köln 1576–1584. Berlin 1892, hier: S. 722–732 u. 730–731. Siehe auch: Alphons Bellesheim, Beiträge zur Geschichte Aachens im 16. Jahrhundert. Teil 1: Die Stadt Aachen in den Nuntiaturberichten aus Deutschland im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 19 (1897), S. 105–119. 112 Vgl. Hansen, Der Kampf um Köln 1576–1584, hier: S. XVI-XVIII.

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in Aachen beurteilt. Die Bedrohlichkeit der religiösen Verhältnisse in der Reichsstadt wurden von den Nuntien auch deshalb so gesehen, weil sie Aachen im Zusammenhang mit der Krise betrachteten, die sich aus der Wahl eines Nachfolgers für Salentin von Isenburg als Erzbischof von Köln und der Ende 1582 vollzogenen Konversion Gebhard Truchsess von Waldburg entwickelt hatte.113 Im Vorfeld und im Verlauf des Kölner Krieges betrachteten die Nuntien Aachen als Nebenschauplatz des entscheidenden Kampfes um den Fortbestand des Katholizismus im Nordwesten des Reiches. Nuntius Bartholomäus Portia reagierte mit großer Sorge auf Nachrichten aus Aachen. So berichtete er am 30. Juni 1577 an den Kardinal von Como, dass in Aachen ein Aufstand der Ketzer zu befürchten sei, die dass Stadtregiment an sich reißen und die katholische Kirche unterdrücken wollten.114 Am 20. Januar 1578 berichtete er, dass die Häretiker in Aachen sich nun der dortigen Karmeliterkirche bemächtigt hätten und Calvinistische Prediger in dem Gebäude hetzerische Predigten gegen die Spanier hielten.115 Die Beobachtung des Nuntius blieben ohne unmittelbare politische Relevanz, allerdings konnte er mit seinen Ansichten zu den Entwicklungen in Aachen die politischen Entscheidungsträger in Jülich, Lüttich und Kurköln beeinflussen. Portias Argumente verknüpften die von Aachen ausgehende religionspolitische Gefahr sehr direkt und nachdrücklich mit den religiösen Verhältnissen in der Stadt. Diese Argumentationsmuster machte es möglich, dass Einzelheiten des Religionslebens von Protestanten und Katholiken in Aachen sowie Frieden oder die Unruhe innerhalb der Aachener Bevölkerung zu relevanten Argumenten in Region und Reich wurden. Damit bereitete der Gesandte des Papstes den Eintritt von Aachener Akteuren in die Auseinandersetzung vor, die als Betroffene oder Gewährsleute für die religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse handelten. Insbesondere Vertreter des Marienstifts in Aachen konnten in Anlehnung an den Nuntius in die Diskussion eingreifen.116 113

Vgl. Bosbach, Köln, Erzstift und Stadt, hier: S. 74–76 mit weiterer Literatur. Vgl. Der Nuntius Bartholomäus Portia an den Cardinal von Como. Bericht über die religiösen Verhältnisse in Aachen. Köln 1577 Juni 30, in: Hansen, Der Kampf um Köln 1576–1584, hier: S. 133–134. 115 Der Nuntius Bartholomäus Portia an den Cardinal von Como, Köln 1578 Januar 20, in: ebd., hier: S. 233. Vgl. auch Monika Gussone, Aachen – Karmeliter, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 86–99, hier: S. 88. 116 Erste Zeichen politischen Engagements in der Causa Aquensis von Vertretern des Aachener Marienstifts lassen sich bereits für 1569 nachweisen. Allerdings war diese Initiative in Dauer und Reichweite sehr begrenzt. Vgl. Matthias Herrmann, „Unser althe wahre catholische und christliche religioni mit allem fleiß verthadigen“. Zwei unbekannte Schreiben des Aachener Marienstifts vom Mai 1559 und August 1569 als ein Beitrag 114

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Mit seiner Sicht der Dinge griff der Nuntius der Diskussion vor, wie sie während der kommenden Zuspitzung der Auseinandersetzungen in Aachen geführt wurde. Er nahm mit seiner Beurteilung der in Aachen drohenden Gefahr für die katholische Kirche den Aufstand von 1581 vorweg. Die Argumente des Nuntius gewannen offensichtlich besonders dadurch an Schlagkraft, dass Portia seine Urteile aus der Ferne und auf Grundlage zeitloser katholisch-konfessionalistischer Standpunkte fällte.117 2.2.7 Ergebnisse: Entscheidende Umbrüche, religionsrechtliche Argumente und konfessionspolitische Netzwerke Die religionspolitischen Auseinandersetzungen in und um Aachen traten in eine neue Phase ein, als immer mehr Aachener öffentlich ihren protestantischen Glauben bekannten und sich direkt auf die Confessio Augustana beriefen. Die politischen Akteure in Stadt und Region konnten auf diese Äußerungen nicht mit den Maßnahmen und Argumenten der Sektenbekämpfung reagieren, für die es einen überkonfessionellen Konsens gab. Die politisch aktiven Protestanten zogen nicht zuletzt die Confessio Augustana und den Augsburger Religionsfrieden als politische Argumente heran, weil sie dafür die Unterstützung der protestantischen Reichsstädte auf dem Reichstag von 1559 erwarten konnten. Auch die Gesandtschaftsreise Wenzel Zulegers bestätigte, dass die Bürger Aachens ihre religionspolitischen Entscheidungen an der Reichspolitik orientierten, wo die konfessionspolitischen Interessengegensätze zwischen protestantischen Reichsständen auf der einen Seite sowie dem Kaiser auf der anderen Seite klar zu erkennen waren. Katholische Bürger Aachens konnten dementsprechend politische Unterstützung finden, wenn sie wie der Kaiser mit der Notwendigkeit argumentierten, den katholischen Glauben zu verteidigen. In Aachen waren die religionspolitischen Positionen nicht so eindeutig. Erst aufgrund erheblicher äußerer Zwänge schwenkten in der zweiten Hälfte der 1550er Jahre einige Akteure auf die Linien der konfessionspolitischen Lager auf Reichsebene ein. Offenbar nicht sonderlich große Gruppen von Protestanten und Katholiken, die nicht als personell oder inhaltlich defizur Aachener Reformationsgeschichte, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 100 (1995/96), S. 579–603, hier: S. 581–583 und Matthias Herrmann, Die Aachener Reformation unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu Jülich. Düsseldorf 1992, hier: S. 61–62. 117 Im Kontrast dazu steht der Bericht des Nuntius von seinem Kuraufenthalt in Aachen 1585. Darin betont er zwar, dass die Aachener Katholiken seine moralische Unterstützung benötigten, zeichnete aber ansonsten ein weitaus weniger bedrohliches Bild von den konfessionspolitischen Zuständen in der Stadt – vgl. Alphons Bellesheim, Der päpstliche Nuntius Bonomi, Bischof von Vercelli in Aachen im Jahr 1585, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 18 (1896), S. 360–363.

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nierte Interessengruppen erkennbar wurden, vollzogen diesen Wandel rasch, als die stadtpolitische Krise 1559 und 1560 eskalierte. Sie adaptierten dabei einen Teil der konfessionalistischen Argumente, die auf Reichsebene den Diskurs über Reformation oder gesicherten Katholizismus bestimmten. Die nun auch in Aachen beginnende politische Frontenbildung verhinderte in der Krise einen möglichen Konsens zwischen Katholiken und Protestanten in religionspolitischen Fragen. Für einen Zeitraum von fast 20 Jahren zwischen dem Ratsbeschluss von 1560 und den ersten Vorboten der Krise, die 1581 den Aachener Rat spaltete, sind in der politischen Auseinandersetzung über den konfessionellen Status der Reichsstadt Aachen, weder tiefgreifende Konflikte noch weitreichende politische Umbrüche zu verzeichnen. In dieser Phase übernahmen und verbreiteten die Akteure neue Argumente und knüpften neue politische Verbindungen. Beides war für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung. Zunächst wurden Konfessionsbezeichnungen weiter reichende argumentative Bedeutungen zugeschrieben als bisher. Im Zusammenhang mit dem Vorstoß zur Erlangung der öffentlichen Religionsausübung in der zweiten Hälfte der 1550er Jahre hatte der Begriff der Augsburger Konfession begonnen, eine Rolle in der Diskussion zu spielen: Mit der Berufung auf die Confessio Augustana versuchten politisch aktive Protestanten Aachens auf Reichsebene den Schutz des Religionsfriedens und die Unterstützung der protestantischen Reichsstände für sich zu gewinnen. Das Thema Evangelische in Aachen und die Confessio Augustana blieb aber weitgehend auf die kurze Diskussion der Supplikation um das exercitium publicum auf dem Reichstag von 1558 begrenzt. Weder der Aachener Rat noch die Bürger der Stadt, weder der Kaiser noch irgendein Reichsstand diskutierten den tatsächlichen Bekenntnisstand Bewohner Aachens ohne katholisches Bekenntnis. Erst mit der Ratsübereinkunft von 1574 fand der Begriff Augsburger Konfession dauerhaft und mit vielfältigen Auswirkungen Eingang in die Stadtpolitik. Die Confessio Augustana und spiegelbildlich zu ihr eine noch nicht näher definierte „alte“ katholische Religion wurden verfassungsrelevant, weil nur ihre Anhänger vollständig politisch berechtigt sein sollten. Das politische Problem, einen Konsens darüber herzustellen, welche Personen oder Gruppen einer dieser geschützten Konfessionen angehörten, war in dem Ratsbeschluss angelegt, wurde aber noch nicht akut. Statt eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben, stellten die Aachener Katholiken und Protestanten den konfessionsübergreifenden Konsens über die städtische Religionspolitik vorübergehend wieder her. Durch die Klausel, keine Veränderungen der Religion einführen zu wollen, wurde ein Formelkompromiss festgehalten, der die Fortführung der Sektenbekämp-

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fung in der Reichsstadt erlaubte und den Fortbestand der katholischen Kirche in Aachen sicherte. Zusätzlich war mit der Formulierung eine religionspolitische Entscheidung impliziert, über die noch keine Einigung ausgehandelt worden war. Die Absage an Veränderungen der Religion konnte so verstanden werden, dass die Rechte, welche den Protestanten für ihre Religionsausübung eingeräumt wurden, nicht erweitert würden. Bürgermeister, Rat und Gaffelgenossen vertagten auch die Diskussion über diesen Punkt. Noch bevor die Bedeutung klarer Konfessionsbegriffe für die städtische Religionspolitik weiter verhandelt wurde, wurden diese auf einer anderen Ebene des Diskurses politisch aufgeladen: Unter dem Einfluss der niederländischen Unruhen und der Flüchtlingsbewegung aus diesem Krisengebiet konnten politische Akteure in Aachen Begriffe von Calvinismus und Katholizismus übernehmen, die zur Argumentation mit konfessionalistischen Bedrohungsszenarien geeignet waren. Konfessionell ausgerichteten Interessengruppen fanden allmählich zusammen, um religionspolitische Ziele in Bezug auf Aachen zu verfolgen. Im Zentrum der Interessengruppen standen mit dem Kaiser und dem päpstlichen Nuntius auf der einen Seite sowie der Kurpfalz auf der anderen Seite politische Akteure, die in den auf Reichsebene zusammen tretenden konfessionspolitischen Lagern bereits zentrale Rollen spielten. Bis hierher entsprechen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung also den Befunden älterer Studien: In den Jahren 1550 bis 1580 machten Stadtregiment und Bürger von Aachen sowie der Kaiser, der Reichstag und die reformierte Pfalz die Aachener Religionspolitik zu einem reichspolitischen Thema. Allerdings waren die Auseinandersetzungen um die Konfession der Stadt in doppelter Hinsicht nicht ganz in der Reichspolitik angekommen. Zum einen griffen protestantische und katholische Einwohner Aachens die Argumente und Themen, die im Reich die Grundlage für jede politische Diskussion über religiöse Vielfalt waren, nur gelegentlich auf. So hielten sich die Aachener die Option offen, wie zum Beispiel bei der Aushandlung der Ratsübereinkunft von 1574, auf das reichspolitische Konzept des Religionsfriedens zurückzugreifen aber gleichzeitig vorrangig den traditionellen Verfahren der innerstädtischen Friedenswahrung zu folgen. Der andere Umstand, der klar dafür spricht, dass die Aachener sich bis 1580 nicht völlig an die Strukturen und Argumentationsmuster der Konfessionspolitik im Reich angepasst hatten, ist die Seltenheit spezifischer Aachener Themen und bestimmter Aachener Akteure in den politischen Diskussionen auf Reichsebene. Die protestantischen Reichsstände interessierten sich ebenso wie der päpstliche Nuntius bei wenigen Gelegenheiten für Einzelheiten der religionspolitischen Probleme in Aachen. Sie betrachteten aber die Religionspolitik der

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Reichsstadt ansonsten aber eher als einen Schauplatz reichsweiter religionspolitischer Konfrontationen. Dass sich Kaiser, Kurpfalz und Andere nicht um konkrete Lösungen für Aachen bemühten, lag vor allem daran, dass bis 1580 keine geschlossenen Konfessionsparteien aus Aachen einzelne Aachener Probleme auf auf die reichspolitische Tagesordnung brachten. Die ‚Augsburger Konfessionsverwandten‘ hinter den Bittschriften der 1550er Jahre entschlossen sich ebenso wenig für weiterreichende reichspolitische Initiativen wie die katholischen Rats- und Regimentsmitglieder, die 1560 den Ausschluss der Nicht-Katholiken von der städtischen Obrigkeit beschlossen. Bis 1580 gab es keine Konfessionsgruppen in Aachen, welche die religiöse Vielfalt ihrer Stadt vornehmlich als reichspolitisches Thema diskutieren wollten. Für die hier behandelten Probleme der Möglichkeiten und Grenzen der interkonfessionellen Verständigung sind diese Zwischenergebnisse von entscheidender Bedeutung. In Hinblick auf die Jahre nach 1580 stellt sich nun nämlich die Frage, was sich an den Auseinandersetzungen in Stadt, Region und Reich so veränderte, dass sie sich auf allen drei Ebenen gleichzeitig zu einer schweren Krise verschärfen konnten.

2.3 Strukturelle Verfestigung und Institutionalisierung der politischen und konfessionellen Konflikte in Stadt, Region und Reich (1580 bis 1598) In den Jahren 1580 und 1581 erzeugten die religionspolitischen Auseinandersetzungen in Aachen ein Echo, durch das sie als „Causa Aquensis“ bekannt wurden. Diese Wendung bezeichnete zunächst den Entscheidungsprozess der kaiserlichen Politik zu Aachen, wurden dann aber zum Begriff, der die Aachener Entwicklungen insgesamt erfassen und in bestimmter Hinsicht deuten sollte. 1580 bis 1598 konzentrierten sich die politischen Auseinandersetzungen über Aachen demnach auf der Reichsebene. Der Begriff Causa Aquensis war einerseits so zutreffend, dass er sowohl bei Zeitgenossen als auch bei Geschichtsschreibern weite Verbreitung fand. Andererseits könnte er die Wahrnehmung der religionspolitischen Auseinandersetzungen um die Stadt zu sehr verengt haben. 2.3.1 Ratsspaltung, kaiserliche Kommissionen und konfessionspolitische Bündnisse – Die ‚Aachener Sache‘ zwischen 1580 und 1584 Für den Eintritt in die Phase der Verdichtung und Profilierung des Diskurses zwischen 1580 und 1598 kann die Bedeutung der innerstädtischen Krise der Jahre 1580 bis 1584 nicht überschätzt werden. Sie führte zu politischen

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Spaltungen in Aachen und regten die Aachener an, sich zu konfessionspolitischen Interessengruppen zusammenzuschließen. Die Krise bot das Umfeld für den intensiven Austausch von konfessionsbezogenen und konfessionell polarisierten Argumenten. Schließlich wurde die Bewertung und Aufarbeitung der Krise zu einem wichtigen Thema der Auseinandersetzung.

2.3.1.1 Die Spaltung des Aachener Rates 1581 und die Reaktion Rudolfs II. Wie schon während der Krise der Jahre 1558 bis 1560 entzündete auch zu Beginn der 1580er Jahre die Frage, wie Zuwanderer in die Aachener Gesellschaft integriert werden sollten, einen Konflikt. Kurz nachdem der Rat im April 1580 die Aufnahme einer größeren Gruppe zugewanderter Neubürger in die Gaffeln verordnet hatte, baten zwei Gruppen protestantischer Bürger, Abgeordnete der lutherischen Gemeinde und der bürgerlichen-reformierten Gemeinde, unabhängig voneinander beim Rat um Erlaubnis, ihre Gottesdienste öffentlich zu halten. Der Rat lehnte beide Gesuche ab und bestätigte durch ein Ratsedikt das Verbot jeglicher öffentlicher Religionsausübung abseits der katholischen Kirche. Dass sich das erneute Verbot auf die öffentliche Religionsausübung bezog, konnte als indirekte Duldung protestantischer Gottesdienste im privaten Rahmen durch das Stadtregiment verstanden werden.118 Ratssekretär Matthias Duppengießer119 und der ansonsten unbekannte Johann Buret120 mussten das Konfliktpotential dieser Deutung erkennen, als sie im Mai 1580 in Streit mit Duppengießers Amtsvorgänger Johann von 118 Vgl. dazu Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 190–191, der das Edikt als Fortsetzung einer 1574 begonnenen Duldungspolitik des Rates interpretiert. Hier soll vorerst etwas skeptischer betont werden, dass zwei Einzelereignisse noch nicht auf eine politisches Toleranzprogramm schließen lassen. 119 Der Lutheraner Matthias Duppengießer hatte kurz vor dem Streitgespräch das Amt eines Ratssekretärs eingenommen, das er während der gesamten Herrschaft des protestantisch dominierten Stadtregiments ausfüllte. Zur Familie Duppengießer zählten einflussreiche Bürger und wohlhabende Kaufleute katholischer und lutherischer Konfession. Matthias konvertierte nach 1598 zum Katholizismus. Vgl. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 109–110. 120 Über Buret ist nichts bekannt. Eine Beziehung zum späteren Konsitorialen der französisch reformierten Gemeinde Jacques Buret (nachweisbar u.a. in Archiv d. EKiR, 4KG 004 A 2,3 „Beschreibung der Versammlungen, so zwischen beiden reformierten Kirchen als Deutsche und Französische gehalten, samt derselben Verträge und Ordnungen 1595–1613“ (21. Juni 1596) ist unwahrscheinlich.

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Thenen121 gerieten.122 Thenen hatte zu Beginn der Diskussion aufgeregt geäußert, dass zu befürchten sei, diejenigen, die um eine Kirche gebeten hätten, wollten nun „[. . . ] den meister alhie machen [. . . ]“123 . Bürger Aachens dürften diese Entwicklung nicht dulden, weil die Stadt Aachen nur wegen der Münsterkirche und der katholischen Kirche insgesamt gegründet worden sei und nicht etwa die Kirche für die Stadt. Duppengießer wies Thenens Befürchtungen zurück und verteidigte die Bemühungen um eine öffentliche Kirche. Konkret warf Duppengießer ein, dass sich „[. . . ] ein gut theil Acherer Kinder, wie ich deren auch eins bin [. . . ]“, aus Sorge um ihr Seelenheil um die Möglichkeit bemühten, ihren Gottesdienst zu halten, ohne dafür Anhänger des „Pabstumb[s]“ sein zu müssen. Mit ihren Supplikationen um öffentliche Kirchen hätten die Protestanten die übliche und erlaubte Form eingehalten, in der Bürger ihre Bitten an die Obrigkeit vortrugen. Daher sei der Vorwurf, sie wollten die politische Herrschaft an sich reißen, unberechtigt. Thenen sei von den Einwürfen Duppengießers nicht beruhigt worden, sondern habe argumentiert, dass er Einblick in die Pläne Duppengießers und der übrigen „Martinisten“ habe. Demnach würden sie, sobald man ihnen die öffentliche Kirche eingeräumt habe, auf weitere Zugeständnisse drängen. Die „Acher Kinder“ könnten jedoch weder die öffentliche noch die heimliche Ausübung anderer Religionen als der katholischen dulden. Schon seit längerem lägen Briefe auswärtiger politischer Akteure vor, die befürchten ließen, dass der Reichsstadt Aachen Nachteile daraus entstehen würden, wenn sie nicht-katholische Religiosität duldete. In jüngster Vergangenheit seien Verantwortliche im Stadtregiment dazu übergegangen, solche warnenden Schreiben zu ignorieren. Dies sei nicht die einzige Unregelmäßigkeit im Stadtregiment, die er für so bedenklich hielte, dass er sie demnächst öffentlich vor dem Rat zur Sprache bringen werde. Bei den letzten Rentmeisterwahlen habe es Abweichungen von den üblichen Verfahrensweisen gegeben und er sei überzeugt, dass die Bürgermeister der Amtsperiode 1579/1580, Johann von Lontzen und Simon Engelbrecht, ebenfalls durch eine unregelmäßige Wahl ins Amt gelangt seien.124 Die Liste der Streitpunkte und Argumente zwischen den beiden poli121

Thenen tritt hier als Duppengießers Vorgänger im Amt des Ratssekretärs auf. Ob seine Vorbehalte gegen die Protestanten bereits seine spätere enge Verbindung mit dem katholischen ‚Exilregiment‘ vorzeichneten, ist unklar. Zur Rollen Thenens in späteren Auseinandersetzungen s. u. S. 158. 122 Vgl. zum Folgenden: Bericht Duppengießers über ein Gespräch mit Johann Buret und Johann Thenen am 25. Mai 1580, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 27–28v. 123 Ebd., f. 27v. 124 Vgl. Bericht Duppengießers über ein Gespräch mit Johann Buret und Johann Thenen am 25. Mai 1580, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 28v.

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tisch aktiven Bürgern Thenen und Duppengießer wird durch die Vorwürfe und Forderungen einer kaiserlichen Kommission ergänzt. Sie zeigt eine Zuspitzung der konfessionellen Auseinandersetzungen auf städtischer Ebene. Während der Kommission, die im November 1580 in Aachen war, waren keine offenen Brüche im Rat oder zwischen städtischen Amtsträgern öffentlich geworden. Diese betonten vielmehr, dass sie dem Kaiser gehorchen wollten und in Aachen keine Veränderungen des Religionswesens durchgeführt worden oder geplant seien. Die Forderung der Kommissare, unmissverständlich zuzusagen, die Ratswahlen wieder nach den Statuten von 1560 durchzuführen, also die Zulassung der Augsburger Konfessionsverwandten zum Stadtregiment rückgängig zu machen, wies der Magistrat zurück, weil sie mit der Stellung Aachens als Reichsstand nicht vereinbar sei. Der Rat müsse sich mit den übrigen Reichsstädten beraten, ob er den gestellten Forderungen nachgeben dürfe. Das Stadtregiment hatte sich also zum Schutz des städtischen Friedens und der Privilegien der Reichsstadt darauf geeinigt, gegenüber den kaiserlichen Kommissaren Geschlossenheit zu demonstrieren.125 Andere Aachener, die Abseits des Stadtregiments standen, machten zur gleichen Zeit deutlich, dass man noch anders über die religionspolitischen Probleme Aachens reden konnte als Duppengießer mit Thenen oder der Rat mit den kaiserlichen Gesandten. Am 27. November überreichte Catharina von Hove, die Ehefrau des Ratsherrn und früheren Schöffenbürgermeisters Leonhard von Hove, den kaiserlichen Gesandten im Namen der „arme[n] weiffer“ Aachens eine Supplikation für den Erhalt der katholischen Religion in Aachen. Die Frauen legten ihre Ansicht, dass der katholische Glaube in Aachen akut gefährdet sei, dar:126 Die Frauen Aachens seien fest entschlossen, „[. . . ] unser alten catholischen Acher gelauf [. . . ]“, der von Kaiser Karl gestiftet worden sei, zu erhalten. Insbesondere wollten sie an der von den katholischen Priestern gehaltenen Messe sowie an der Marien- und Heiligenverehrung festhalten. Sie seien, wenn jede andere Hilfe versage, sogar bereit, diejenigen, welche 125 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 70–73. Schmitz sieht in der Antwort des Stadtregiments auf die Forderungen der Kommissare wiederum eine Berufung auf das reichsstädtische ius refomandi (S. 70–71). Im Vordergrund stand aber die Verteidigung der reichsstädtischen Privilegien Aachens insgesamt und nicht die offensive Forderung eine protestantische Reformation Aachens vornehmen zu dürfen. 126 Vgl. zum Folgenden: Supplicatio Catholicarum mulierum Aquensium, quam turba praesente mutarum foeminarum in templo S. Mariae Virg. praesentavit omnium nomine Catharina Houen, Consilia Houen uxor provelvens secum multis ad genua in Dominica Adventus 27. Novembris Anno 1580 (Kopie), Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand Exercitium Religionis 1576–1644, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,16. Gedruckt bei: Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), hier: S. 63–65.

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die katholische Religion in Aachen bedrohten, selbst aus der Stadt zu jagen. Sie hätten aber feststellen müssen, dass Prediger mit zweifelhaftem Ruf in die Stadt gekommen seien und nun in zwei Privathäusern lutherische und calvinistische Predigten hielten, in denen sie die katholische Religion und insbesondere die in Aachen verwahrten Reliquien verspotteten. Da es sich bei den Predigern in den Augen der Frauen um Fremde handelte, waren die Gemeinden, die sich um sie bildeten, „goesenkirch[en]“, mit denen argumentativ dasselbe politische und gesellschaftliche Bedrohungspotential verbunden wurde, das auch vom Aufstand der ‚Geusen‘ in den benachbarten Niederlanden ausging. In Aachen sei nach dem Eindringen der fremden Prediger die weitere Gefahr dadurch entstanden, dass sich einflussreiche Männer zu Luthertum und Calvinismus hätten verführen lassen. Auch in den Rat seien mit der Zeit immer weniger Katholiken gelangt. Diese Entwicklung habe begonnen, als der Rat vor fünf bis sechs Jahren beschlossen habe, „goess zu werden“. Die Supplikantinnen legten also den Ratsbeschluss zur Zulassung von Angehörigen der Augsburger Konfession als gezielte Maßnahme zur Übernahme der politischen Macht in Aachen durch ‚Geusen‘ aus. Nur wenige Ratsherren und Amtsträger wie Leonhard von Hove hätten dem Druck der „Goesenbürgermeister“127 und der protestantischen Ratsmehrheit, alle Katholiken aus dem Stadtregiment zu drängen, widerstanden. Politischen Einfluss hätten die verbliebenen katholischen Ratsherren nicht mehr entfalten können. Ihrer Meinung sei keine Aufmerksamkeit geschenkt worden – insbesondere „in catholischen Dingen“. Angesichts dieses politischen Übergewichts der Nicht-Katholiken hätten weitere Bürger die opportunistische Entscheidung getroffen, die Messe und die Sakramente abzulehnen. Diese Männer würden lutherisch, wenn der Rat lutherisch sei, und würden calvinistisch, wenn der Rat calvinistisch würde. Die Protestanten versammelten sich ungeachtet der bestehenden Verbote des Rates täglich zu Beratungen und Predigten. So seien mittlerweile auch die Bestrebungen der Calvinisten und Lutheraner bekannt, sich alle Kirchen der Stadt anzueignen. Aus den angeführten Gründen hätten die Frauen keine andere Wahl, als die Kommissare eindringlich um Hilfe zur Bewahrung der katholischen Religion in Aachen zu bitten. Die Aachener Frauen machten also die Entschlossenheit, zur katholischen Religion zu stehen und sich für deren Erhalt einzusetzen, zum Bestandteil der Darstellung ihrer selbst und der katholischen Ratsherren. Sie beschrie127 Supplicatio Catholicarum mulierum Aquensium, quam turba praesente mutarum foeminarum in templo S. Mariae Virg. praesentavit omnium nomine Catharina Houen, Consilia Houen uxor provelvens secum multis ad genua in Dominica Adventus 27. Novembris Anno 1580, in: ebd., hier: S. 64.

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ben die Übernahme der politischen Macht durch Amtsträger und Ratsherren, die mit den Aufständischen in den Niederlanden gleichzusetzen waren, als Gefahr für die katholische Religion in Aachen. Diese Argumentation wurde einige Monate später von einer Gruppe in dringlicherer und damit noch einmal konfrontativerer Form vorgetragen. Die Gruppe bezeichnete sich selbst als „Die algemeine Burgerschaft und eingesessene der Statt unnd Reich Aach. so der altter wahrer Catholischer Apostolischer Romicher religion zugethan“.128 Sie führten an, dass das Religionswesen in Unordnung geraten sei und sowohl öffentlich als auch privat gegen die katholische Religion verstoßen werde; außerdem sei unberechtigter Weise behauptet worden, das Evangelium sei in Aachen erst vor wenigen Monaten eingeführt worden. Schließlich äußerten sie die Befürchtung, dass diese Verhältnisse zur Verführung des „armen einfalttigen Mahns“ führen könnten.129 Soweit 128

Die algemeine Burgerschaft und eingesessene der Statt unnd Reich Aach. so der altter wahrer Catholischer Apostolischer Romicher religion zugethan [. . . ] an Bürgermeister Schöffen und Rat von Aachen, ca. März 1581 (Kopie). LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 64. Die Bittschrift wird hier exemplarisch für ähnliche Schreiben katholischer Akteure analysiert. Nach dem Frühjahr 1580 waren beim Aachener Rat bereits Beschwerden darüber eingegangen, dass protestantische Kupfermeister ausschließlich Arbeiter ihres eigenen Glaubens beschäftigen würden und dass Stiftungen, die Bürger zu Gunsten der Armen aufgelegt hätten, ausschließlich an protestantische Bedürftige vergeben würden. Am 29. Juli 1580 hatten der Aachener Schöffenmeister und die Schöffen Kaiser Rudolf II. mit dem Hinweis auf den Vorstoß der protestantischen Einwohner auf das exercitium publicum im Frühjahr vor einer Veränderung des Religionswesens in der Stadt gewarnt. Vgl. zu beiden Schreiben Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 68–69. An verschiedenen Stellen wird außerdem darauf verwiesen, dass bereits im Frühjahr 1580 neben katholischen Ratsherren, Bürgern und Schöffen auch Dechant und Kapitel des Marienstifts sowie der Erzpriester mit Bittund Protestschreiben gegen die Legitimierung der öffentlichen Religionsausübung für Protestanten interveniert hätten. Vgl. dazu Summarischer bericht. Was seidt den Jairen der geringer Zaal, 58. und 59. biß Ins jetzich p 82. Jhair, In diesem Königlichem Stuel und Statt Ach, so woll in Religions, alß anderen politischen sachen, sich zugetragen, unnd In was gefährlich unn hochbeschwehrlichem Stand, dieselbe jetzo berowen, 7. Juni 1582 (Kopie). StA Wolfenbüttel, 1 Alt 1 A Nr. 37/1, f. 113v; außerdem: wahre erzehlung und ahnzeig wahrin das itzige Achische Religion und Politisch unwesen verstanden, und warauf dasselbig dieser zeit berauwe, 24. April 1582 (Kopie), StAAa, RA II Allg. Akt. 866 f. 29–37v, hier: f. 32. 129 Das Argument der ‚Katholischen Bürgerschaft‘ weist große Ähnlichkeit mit den „Third-Person-Effekt“ auf, dessen Wirkung Cornel Zwierlein, Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französichen Religionskriege in Italien und Deutschland. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 74.) Göttingen 2006, hier: S. 682–684 u. S. 688–690 auch bei der Wahrnehmung konfessioneller, pfälzischer Propagandaschriften durch den Bischof von Speyer anlässlich der Militärkampagne Johann Casimirs in Frankreich 1567 hervorhebt: Die politisch aktiven Aachener Katholiken schätzten die Gefahr konfessionalistischer, protestantischer Einflüsse ebenso wie der

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folgte die Supplikation der Linie der Aachener Frauen, die Bedrohung der katholischen Religion in Aachen zu schildern. Insgesamt stellte die ‚Katholische Bürgerschaft‘ weniger als die Aachener Frauen die Schilderung der bedrohlichen Stärkung der Religionen außerhalb der katholischen Kirche und des politischen Einflusses ihrer Anhänger in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Die Bürger wandten sich vielmehr mit einer Supplikation an die katholischen Bürgermeister und Schöffen sowie den Rat der Stadt Aachen, in der sie dringend darum baten, die Veränderungen der Religion, die in der Stadt eingeführt worden seien, wieder aufzuheben. Sofern dies nicht möglich sei, sollten die Katholiken vom Rat abtreten. Anderenfalls würden sie ihren Eid brechen, der Wohlfahrt der Stadt zu dienen. So unterstrichen die Bittsteller die Forderung an die politisch aktiven Katholiken, eine dezidiert konfessionalistisch-katholische Grundhaltung zu zeigen, wie sie bereits in der Bittschrift der Aachener Frauen formuliert worden warSie banden ihre Supplikation außerdem auch an den politischen Diskurs an, der zwischen den Akteuren in Stadt Region und Reich über die religiösen Verhältnisse in Aachen geführt wurde. Diese Initiative bot der ‚Katholischen Bürgerschaft‘ den Ansatzpunkt, um sich als Akteure der politischen Auseinandersetzungen zu profilieren: Angelegenheiten, im Rahmen derer Bündnisse mit auswärtigen Mächten geschlossen werden sollten, wie es die ‚Widerwärtigen‘ geplant hätten, könnten nicht von 50 oder 60 Personen aus den Reihen des Stadtregiments entschieden werden, sondern erforderten die Befragung und Zustimmung der Bürgerschaft, innerhalb derer die Autoren der Supplikation – die Bürger, die zur katholischen Religion hielten – die Mehrheit stellten. Die Bürgerschaft Aachens hatte in den Augen der Bittsteller die Pflicht, sich den reliösen Veränderungen in ihrer Stadt entgegen zu stellen. Sie hätte sich andernfalls strafbar gemacht und den Zorn Gottes und den sicheren Untergang für sich selbst, ihre Familien und ihr gesamtes Vaterland riskiert. Die sowohl von Johann von Thenen als auch von den Aachener Frauen und der ‚Katholischen Bürgerschaft‘ geäußerte Befürchtung, der Reichsstadt Aachen könnten politische Nachteile entstehen, wenn die nicht-katholischen Religionen nicht konsequent bekämpft würden, reflektierte zum einen die Erfahrung, die im Verlauf früherer Krisen, vor allem in den Jahren 1559 und 1560 mit dem Druck von Kaiser Ferdinand I. und Herzog Wilhelms V. auf die Politik in Aachen gemacht wurden. Vor allem reagierten sie jedoch auf verschiedene diplomatische Interventionen durch die seit Ende der 1570er Jahre verstärkt versucht wurde, Einfluss auf die Religionspolitik in der Bischof von Speyer besonders hoch ein, weil sie über deren Wirkung auf eine dritte Personengruppe – auf weniger glaubensfeste Teile der Gesellschaft – spekulierten. Dieser Wahrnehmungseffekt motivierte zu weiteren konfessionalistischen Argumenten.

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Reichsstadt zu nehmen. Bereits 1577 hatte eine kaiserliche Gesandtschaft unter der Leitung des kaiserlichen Hofrats Andreas Gaill130 Erkundigungen über die religiösen Verhältnisse in Aachen einholen sollen. Die Kommission hatte allerdings weder maßgebliche Veränderungen des Religionslebens in Aachen noch bedenkenswerte politische Konflikte in der Reichsstadt feststellen können. Bürgermeister, Schöffen und Rat demonstrierten gegenüber Gaill wie auch gegenüber der im November 1580 nach Aachen gekommenen, nachfolgenden kaiserlichen Kommission Einigkeit.131 Schon bevor das Konfliktpotential in Aachen Ende 1580 von lokalen Akteuren artikuliert wurde, hatten der Herzog von Jülich und der Bischof von Lüttich das Thema der von der Verbreitung des Calvinismus ausgehenden Gefahr wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt. Sie schickten im April Gesandte nach Aachen, um zu verhindern, dass das Stadtregiment den Supplikationen für die Einführung der öffentlichen Religionsausübung für Protestanten zustimmte.132 Im Sommer 1580 verständigten sich die beiden regionalen Fürsten über ein Ermahnungsschreiben des Fürstbischofs an die Stadt Aachen. Der Aachener Rat sollte nach dem Gutachten des Herzogs darauf hingewiesen werden, dass die calvinistische Lehre in Aachen durch Predigten verbreitet werde. Das verstoße gegen das Reichsrecht und den Religionsfrieden.133 Am 2. Januar 1581 wandte sich schließlich auch der Generalstatthalter der Niederlande, Alessandro Farnese, als dritter regionaler Akteur mit religionspolitischen Forderungen an die Reichsstadt Aachen.134 Dass das Aachener Stadtregiment verpflichtet sei, gegen die Ausbreitung des Calvinismus vorzugehen, leitete Farnese zum einen von der Verpflichtung, katholisch zu bleiben, ab, welche die Stadt Aachen auf dem Augsburger Reichstag von 1555 gegenüber Karl V. eingegangen sei. Zum anderen wies Farnese ähnlich wie der Herzog von Jülich und der Fürstbischof von Lüttich auf die Illegalität des Calvinismus hin, wobei der Prinz von Parma sich weniger ausdrücklich auf das Reichsreligionsrecht bezog und stattdessen darauf hinwies, dass der Calvinismus sowohl von Katholiken als auch von Augsburger Konfessionsverwandten abgelehnt werde. 130 Zur Person Vgl. Oswald von Gschließer, Gail, Andreas von. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 6. 1964, S. 38–39. 131 Vgl. insgesamt zur Kommission Gaills: Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 64–65. Schmitz führt an, dass 1577 die Belastung der gesamten Stadt Aachen durch den Ausbruch einer Epidemie den offene Ausbruch eines Konflikts innerhalb des Stadtregiments verhindert haben könnte. 132 Vgl. ebd., hier: S. 67–68. 133 Herzog von Jülich und Johann Hardenrath an die Jülicher Räte in Düsseldorf, Kleve 20. Juli 1580. LA NRW, Abt. Rhld., NWKA IX 57, f. 186–186 134 Alexander Farnese, Prinz von Parma, an Bürgermeister, Schöffen und Rat von Aachen, Dornick, 2. Januar 1581. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 61 I.

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Noch deutlicher wies Kaiser Rudolf II. in seinem Schreiben an Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Aachen vom 8. Mai. 1581 die Versuche des Stadtregiments zurück, die eigene Religionspolitik zu rechtfertigen.135 Die Beteuerungen des Magistrats, die katholische Religion in Aachen zu bewahren, seien nicht glaubwürdig, solange die 1574 eigenmächtig vorgenommene Veränderung der Stadtverfassung nicht zurückgenommen würden. Auch dass die Aachener Obrigkeit unter Berufung auf falsche Auslegungen ihrer eigenen Privilegien und der Reichsabschiede weitere Veränderungen der Religion einführte und dadurch Uneinigkeit in der Stadt provoziere, ließ den Kaiser daran zweifeln, dass sie ihr erklärtes Ziel, den Frieden und die katholische Religion in Aachen aufrecht zu erhalten, tatsächlich verfolgte. Die versuchten Rechtfertigungen des Magistrats und die Versprechen von Gesandtschaften nach Prag, die dann ausgeblieben waren, hätten lediglich dazu gedient, Zeit für die Umsetzung ihrer Pläne zu gewinnen. Um dies zu unterbinden, sei eine erneute kaiserliche Kommission nach Aachen das einzige geeignete Mittel, da es den Sektierern ansonsten gelingen werde, die Reichsstadt ins Verderben zu stürzen, wie sie es mit den benachbarten Ländern bereits getan hätten. Die spanische Regierung der Niederlande, der Fürstbischof von Lüttich und insbesondere der Kaiser trugen also weiter religionspolitische Forderungen an Aachen heran, die insbesondere Aachener Katholiken zum Bezugspunkte für ihrer Argumente machten. Der schwelende innerstädtische Konflikt über die Einführung des exercitium publicum und die Bedrohung des Katholizismus in Aachen ging ohne Bruch in die während der Aachener Rats- und Amtswahlen im Mai und Juni 1581 ausgetragenen Auseinandersetzungen über. Im Zuge der miteinander verbundenen Diskurse in Stadt, Region und Reich hatten sowohl protestantische als auch katholische Bürger, Ratsherren und Amtsträger in Aachen Verbindung zu auswärtigen Akteuren aufgenommen, um politische Unterstützung zu erhalten. Während protestantische Mitglieder des Rates und des Stadtregiments wie bereits 1558 um politische Unterstützung für ihr Anliegen warben, die Erlaubnis zur öffentlichen Religionsausübung zu erhalten, forderten katholische Ratsherrn deren Bekämpfung durch eine weitere kaiserliche Kommission.136 Am 23. Mai 1581 traf die kaiserliche Kommission, bestehend aus dem kaiserlichen Rat Philipp von Nassau, dem Lütticher Domherren und Probst 135 Kaiser Rudolf an Bürgermeister Schöffen und Rat zu Aachen, Prag 8. Mai 1581 (Kopie). LA NRW, Abt. Rhld., Kurköln VI 154, f. 1–2v. Bereits am 11. Januar hatte Rudolf II. dem Aachener Rat geschrieben, dass er durch seine jüngste Kommission mittlerweile ausreichend über die politischen und konfessionellen Verhältnisse in Aachen informiert sei und nun ohne weitere Verzögerung die Rechtfertigung des Stadtregiments hören wolle. 136 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 70–73.

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des Aachener Marienstifts Heinrich von Vlatten und dem Rechtsgelehrten Gottfried Taxis als subdelegierte Kommissare des Fürstbischofs von Lüttich sowie Wilhelm von Harff, Werner von Gymmnich, Walter Fabricius und Heinrich Condonius als Subdelegierte Jülichs, in Aachen ein. Etwas später kamen außerdem der Kanzler des Rates von Brabant, Desiderius Zestich, Gerhard von Hörn und Wilhelm Candres als Gesandte König Philipps II. von Spanien in die Reichsstadt.137 Beim Eintreffen der Gesandten war der Auftrag der Kommission durch die Ereignisse in der Stadt überholt worden. Die Kommissare hatte die Instruktion erhalten, die Bürgermeister- und Ratswahlen zu überwachen und darauf zu achten, dass dem Edikt des Jahres 1560 folgend nur Katholiken in den Magistrat gewählt würden. Dafür war es zu spät. Während der Werkmeister-138 und Bürgermeisterwahlen hatten sich zwei Fraktionen des Rates voneinander getrennt. Als zwei Wochen vor dem St. Urbanstag (25. Mai) mit den Wahlen der städtischen Amtsträger begonnen worden war, waren zunächst die Werkmeister gewählt worden, wobei sich

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Zur Zusammensetzung der beiden Gesandtschaften vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 69 mit Anm. 4 u. S. 77–79 sowie insbesondere zu den Teilnehmern der spanischen Gesandtschaft: „wahre erzehlung und ahnzeig wahrin das itzige Achische Religion und Politisch unwesen verstanden, und warauf dasselbig dieser zeit berauwe“, 24. April 1582 (Kopie), StAAa, RA II. Allg. Akt. 866, f. 29–37v, hier: f. 35–35v. Die Zusammensetzung der nun gleichzeitig in Aachen versammelten Gruppe kaiserlicher und fürstlicher Gesandter spiegelt in gewisser Weise die neue Qualität wieder, welche die regional- und reichspolitische Auseinandersetzung mit der ‚Aachener Sache‘ erlangt hatte: Die kaiserlichen Subdelegierten waren offensichtlich nicht mehr allein auf Grund ihrer persönlichen und politischen Erfahrung in der Region ausgewählt worden. Ihr Rang spiegelte das besondere Interesse der beiden Habsburger Rudolf und Phillipp an der Regelung der Aachener Verhältnisse wieder. Vgl. zu der Besetzungspraxis kaiserlicher Kommissionen Eva Ortlieb, „Reichspersonal“? Die kaiserlichen Kommissare des Reichshofrats und ihre Subdelegierten, in: Anette Baumann u. a. (Hrsg.), Reichspersonal. Funktionsträger für Kaiser und Reich. Köln 2003, S. 59–88, hier: S. 71–75. Zuvor hatten die Ernennung Andreas Gaills diesem Muster noch entsprochen: Er stammte aus Köln und versuchte mit kaiserlicher Fürsprache seinen Sohn Kaspar mit einer Präbende des Marienstifts zu versorgen (Vgl. Protokoll des Kapitels des Marienstifts zum 5. Februar 1579, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien, Akten 11c, f. 197 v.) Philipp von Nassau und seine Begleiter zeigten sich hingegen als konsequente Vertreter des kaiserlichen Standpunkts in der ‚Aachener Sache‘ , ohne besondere Rücksicht auf die lokalen Gegebenheiten zu nehmen. 138 Die beiden Werkmeister füllten ihre wichtigste Funktion als Vorsitzende des Werkmeistergerichts aus, das die Gewerbe- und Handelsgerichtsbarkeit für das Aachener Tuchgewerbe versah. Vgl. Quix, Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Aachen und ihrer Umgebungen, hier: S. 151.

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die Protestanten Matthias Peltzer139 und Jost von Beeck140 durchgesetzt hatten. Eine Gruppe von katholischen Ratsherren um den noch amtierenden Bürgermeister Leonhard von Hove hatte bei dieser Gelegenheit gefordert, dass die Werkmeister, die protestantisch waren, entlassen werden sollten, um an ihrer Stelle Katholiken in das Amt zu wählen.141 Als etwas später die Wahl der Bürgermeister anstand, zerfiel der Rat. Der mit 48 Männern größte Teil der katholischen Ratsherren auf der einen Seite und der mit 15 katholischen und 65 protestantischen Ratsherren protestantisch dominierte Rest des Rates hatten am 17. Mai jeweils zwei Bürgermeister gewählt. Von der einen Gruppen wurden die Katholiken Albrecht Schrick und Johann Fibus gewählt, während sich die andere für die Protestanten Johann von Lontzen und Simon Engelbrecht entschied. Bereits Walter Schmitz bezweifelte an der älteren Einschätzung Hansens142 , dass es sich bei der Wahl zweier protestantischer Bürgermeister um die demonstrative Machtübernahme durch die Protestanten in Aachen gehandelt habe. Tatsächlich hatten die beiden gewählten protestantischen Bürgermeister Lontzen und Engelbrecht das Bürgermeisteramt bereits in der Amtsperiode 1579/1580 gemeinsam ausgefüllt.143 Bei den Bürgermeisterwahlen von 1579 war es jedoch zu keinen offenen Konflikten und Brüchen im Stadtregiment gekommen.144 Beide Fraktionen behaupteten im weiteren Verlauf, den legitimen Rat zu verkörpern. Das am Ende des Jahres 1581 in Aachen verbliebene Stadtregiment, in dem Protestanten eine deutliche Mehrheit der Amtsträger und Ratsherren stellten, rechtfertigte den Ratsteil, der Lontzen und Engelbrecht gewählt hatte: Die 48 Ratsherren, die Schrick und Fibus gewählt hatten, hatten gefordert, ausschließlich Katholiken zu Bürgermeistern zu wählen. Diese Forderung stünde nicht mehr auf dem Boden des Gaffelbriefs. Zudem hätte ihnen die Legitimation gefehlt, weil sie innerhalb des Rathauses nicht an dem gewöhnlichen Versammlungsort des Rates getagt hätten und sie der anderen Fraktion an Anzahl und Rang unterlegen gewesen seien.145 139

Vgl. zur Person Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 64 mit Verweisen auf ausführlichere Informationen zur Familie in Hermann Friedrich Macco, Beiträge zur Genealogie rheinischer Adels- und Patrizierfamilien. Bd. 3: Geschichte und Genealogie der Familien Peltzer. Aachen 1901. 140 Zur Person vgl. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 26–27. 141 Vgl. Verzeichnus wie der rath anno 80 und 81 vermög der gaffelbriefen und alter rathsordnugen versetz und angestelt worden, 18. Juli 1582, in: Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 224. 142 Vgl. ebd., hier: S. 222. 143 Vgl. Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 64. 144 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 79–80 mit Anm. 1 auf S. 80. 145 Vgl. „Verzeichnus wie der rath anno 80 und 81 vermög der gaffelbriefen und alter

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Das katholische Exilregiment, das sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1581 konstituierte, argumentierte hingegen, dass die „[. . . ] Catholische[n] Burgermeister Scheffen und Rathsverwandten [durch die Religionsverwandten, also die Protestanten,] hoch und unumbgenglichen verursacht worden [. . . ] von ihren der Religion gewogenen mitt Rathsverwandten mitt dem Rathsseitz zuscheiden [. . . ]“. Es sei bereits seit 1580 die Absicht der Protestanten und vor allem aus den Niederlanden eingewanderter Calvinisten gewesen, das Religionswesen in Aachen zu verändern, wogegen die katholischen Ratsverwandten gemeinsam mit der katholischen Bürgerschaft und Dechant und Kapitel des Marienstifts opponiert hätten. Nachdem sich diese Opposition nicht mehr anders habe aufrecht erhalten lassen als durch die Trennung der katholischen Ratsherren von den protestantischen, hätten die Protestanten versucht, die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten gegenüber den Gaffeln und der Gemeinde als Privatpersonen darzustellen, während sie für sich allein beansprucht hätten, das ordentliche Stadtregiment zu sein. Gleichzeitig hätten sie ihre religionspolitischen Absichten vor der Gemeinde verschleiert. Diese Falschdarstellungen seien nicht von den protestantischen Ratsherren allein ausgegangen, sondern von einem Ausschuss, den sie mit gleichgesinnten Bürgern und Fremden gebildet hätten. Durch die Verdrängung der Katholiken aus dem Rat und die Bildung eines im Gaffelbrief nicht vorgesehenen Ausschusses, an dem Männer beteiligt waren, die politisch und religiös als gefährlich galten, hatte der mehrheitlich protestantische Ratsteil der Argumentation des Exilregiments zu Folge nicht beanspruchen könne, das ordentliche Stadtregiment Aachens zu sein.146 Die katholische Argumentation zu Gunsten der 48 katholischen Ratsherren griff in einigen Punkten über die Rechtfertigung des mehrheitlich rathsordnugen versetz und angestelt worden“, 18. Juli 1582, in: Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 228–229. Zur Bedeutung des Ortes politischer Kommunikation für ihre Wirksamkeit vgl. Goppold, Politische Kommunikation in den Städten der Vormoderne, hier: S. 267 und Zaret, Petitioning Places and the Credibility of Opinion in the Public Sphere in Sevententh-Century England, hier: S. 189. Der Verweis auf die Nutzung des üblichen Sitzungssaals durch den mehrheitlich protestantischen Ratsteil stellte ein durchaus gültiges Argument dar. „Der exklusive Zutritt zum Rathaus zu bestimmten Zeiten oder die exklusive Nutzung bestimmter Teile des Gebäudes wiesen die dazu Berechtigten nach außen hin sichtbar als Angehörige der politischen Funktionselite aus und bekräftigen damit ihre besondere Dignität.“ So Thomas Weller, Der Ort der Macht und die Praktiken der Machtvisualisierung. Das Leipziger Rathaus in der Frühen Neuzeit als zeremonieller Raum, in: Christian Hochmuth/Susanne Rau (Hrsg.), Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt. (Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven, Bd. 13.) Konstanz 2006, S. 285–308, hier: S. 286. 146 Vgl. „wahre erzehlung und ahnzeig wahrin das itzige Achische Religion und Politisch unwesen verstanden, und warauf dasselbig dieser zeit berauwe“, 24. April 1582 (Kopie), StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 29–37v, hier: f. 34–34v.

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protestantischen Ratsteils hinaus. Sie zielte nicht nur darauf, aus der Verfassung der Reichsstadt Aachen die höhere Berechtigung der 48 abzuleiten, sondern rechtfertigte sie auch durch ihr religionspolitisches Programm, das heißt durch ihre konfessionelle Ausrichtung. Sie stellte die Spaltung des Rates als Schritt dar, der notwendig war, um die katholische Religion in Aachen zu schützen, die religionspolitischen Interessen der benachbarten Fürsten zu wahren und den Befehlen des Kaisers zu gehorchen. Die katholischen Ratsherren folgten also einer konfessionalistischen, katholischen Linie, deren Argumente in der Diskussion zwischen politisch aktiven Katholiken in Aachen, dem Aachener Stadtregiment, den regionalen Mächten, Jülich, Lüttich und Burgund sowie dem Kaiserhof entwickelt worden waren – eine Linie, von der die Ratsherren annehmen konnten, dass sie die Zustimmung der erwarteten kaiserlichen Kommission finden würde. Der mehrheitlich protestantische Ratsteil formulierte dagegen keine entsprechende konfessionalistische, evangelische Selbstdarstellung. Als ‚protestantischer‘ Ratsteil, der dem ‚katholischen‘ Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten gegnerisch gegenüberstand, tauchte er später in der Erklärung des katholischen Exilregiments auf. Er selbst merkte, wenn er von den 48 Ratsherren sprach, zwar meist an, dass sie Katholiken waren, bezeichnete sie aber ansonsten ohne konfessionelle Konnotation als die ‚Abgetretenen‘, die ‚Widerwärtigen‘ oder den ‚Widertheil‘ .147 Es ist möglich, dass der mehrheitlich protestantische Ratsteil sein konfessionalistisch evangelisches Selbstverständnis lediglich verbarg, weil es gegenüber den Verhandlungspartnern aus Düsseldorf, Lüttich, Brüssel und Prag nicht opportun gewesen wäre, offensiv damit umzugehen, aber ebenso wahrscheinlich ist es, dass religionspolitische Ziele wie die Einführung einer protestantischen Reformation in Aachen bei der Bürgermeisterwahl von 1581 nicht so eine entscheidende Rolle spielten, wie es einige politisch aktive Katholiken in Aachen und die interessierten auswärtigen Mächte befürchteten. Mit eben diesen Befürchtungen wurde das Stadtregiment tatsächlich auch von der kaiserlichen Kommission konfrontiert, die am 23. Mai in Aachen eintraf.148 Die Kommissare wiederholten in ihrer ersten Werbung gegenüber beiden Ratsteilen die Forderung des Kaisers, dass in Aachen die 147 Schon bevor die Formulierung im Verzeichnus wie der rath anno 80 und 81 [. . . ] benutzt wurde, war sie im Diskurs oder Summarischer Bericht [zur kaiserlichen Kommission von 1581], 6. Juni 1581 (Kopie). Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 (Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde) entwickelt worden. Der Bericht des in der Stadt verbliebenen, mehrheitlich protestantischen Stadtregiments ist mit dem 6. Juni 1581 auf den Tag datiert, an dem die Gesandtschaften des Kaisers und des Königs von Spanien Aachen wieder verließen. Sie stellen damit die unmittelbarste Quelle zu den vorangegangenen Ereignissen dar. 148 Vgl. im Folgenden zur Tätigkeit der kaiserlichen Kommissare in Aachen Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 81–83. Weitere Details zu den Ereignissen im Frühjahr

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katholische Religion aufrecht erhalten werden solle. Dazu sei es konkret nötig, „sectische“ Prediger und auch die Anhänger aller verbotenen Sekten in Aachen auszuweisen, unabhängig davon, ob es Einwanderer oder Bürger waren. Zudem sollten gemäß dem Ratsbeschluss von 1560 ausschließlich Katholiken in das Stadtregiment gewählt werden. Am 27. Mai unterstrich die Kommission diese letzte Forderung und erklärte gleichzeitig, dass sie entsprechend der kaiserlichen Position, der Aachener Magistrat müsse katholisch sein, ausschließlich die 48 katholischen Ratsherren, die getrennt von den Übrigen tagten, als den ordentlichen Rat der Stadt anerkannten. Sollte die Reichsstadt dem kaiserlichen Befehl, sich eine katholische Obrigkeit zu geben, nicht nachkommen, folge daraus unweigerlich ein Exekutionsverfahren, zu dessen Durchführung Lüttich, die Niederlande und Jülich bereit stünden. Die Kommissare unterstrichen die Ernsthaftigkeit dieser Drohung, indem sie am 29. Mai von mehrheitlich protestantischen Ratsherren und Amtsträger den Rücktritt und die Aushändigung der Schlüssel zu den Stadtbefestigungen und den Artilleriemagazinen verlangten. Die 48 Ratsherren hatten den Kommissaren zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Gehorsam erklärt und ihre Stadtschlüssel übergeben. In dieser Situation kam es in der Stadt zu tumultartigen Ereignissen. Verschiedene Gruppen von Einwohnern bewaffneten sich und brachten Teile der Stadtbefestigung und den Marktplatz unter ihre Kotrolle. Nachdem eine Gruppe, die sich darauf berief, die Position der 48 katholischen Ratsherren zu verteidigen das Köln-Tor besetzt hatte, wurde sie von anderen Einwohner gewaltsam von dort vertrieben, wobei vermutlich das einzige Todesopfer der Unruhen starb. Noch im Zuge der Unruhen ließ der mehrheitlich protestantische Rat schließlich Geschütze auf den Markt ziehen, sodass in der Stadt in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmezustand herrschte. Am 30. Mai 1581, einen Tag nach diesen Ereignissen, schlossen die beiden Fraktionen des Rates einen Vertrag, dem zu Folge die 48 katholischen Ratsherren ihre ordentlichen Ratssitze wieder gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern des Rates einnehmen wollten. Die Einigung wurde am 31. Mai 1581 als Edikt des Rates veröffentlicht.149 Zunächst hatten lediglich vier der 48 katholischen Ratsherren die Einigung abgelehnt und die Stadt verlassen. Auf Grundlage dieser Einigung wurden am 1. Juni durch den wiedervereinten Rat Johann Engelbrecht und Johann Fibus als neue Bürgermeister gewählt. Noch am 1. Juni trat Philipp von Nassau noch einmal vor den wiedervereinigten Rat und wiederholte die kaiserlichen Forderungen. Der 1581 sind den später verfassten Berichten der Interessenvertreter des katholischen und des protestantischen Ratsteils zu entnehmen (Siehe auch: S. 106). 149 Öffentlich verkündetes Ratsedikt vom 31. Mai 1581. Erstes Pazifikationsedikt (Kopie). LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 60.

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Rat erklärte, er wolle alle politischen und religiösen Dinge zusammen mit den katholischen Ratsherren entscheiden und hoffe, dass der Kaiser und die benachbarten Fürsten damit zufrieden sein würden. Die Kommission war mit dieser Antwort nicht zufrieden, zog aber am 6. Juni ab, ohne vom Aachener Rat weitere Zusagen erhalten zu haben. Der Auftritt der Kommission und die Unruhen gaben zunächst den 48 katholischen Ratsherren die Möglichkeit, ihren Gehorsam gegenüber dem Kaiser und ihre Treue zur katholischen Religion zu betonen. Die übrigen Mitglieder des gespaltenen Rates waren vor die Herausforderung gestellt, ihre Position gegenüber der kaiserlichen Kommission und den 48 ‚Widersachern‘ zu rechtfertigen. Sie argumentierten dabei vor allem damit, dass es ihre Pflicht sei, die Privilegien und den inneren Frieden der Reichsstadt Aachen zu bewahren. Das katholische Exilregiment, das sich im Herzogtum Jülich um die Ratsherren und Amtsträger bildete, die den Vertrag vom 30. Mai ablehnten, argumentierte für die Kaisertreue und die Katholizität der 48 katholischen Ratsherren. Es betrachtete sie als Vorgänger auf dem politischen Kurs betrachtete, den es nun selbst verfolgte. Über die Verfassung und die alltägliche Arbeit des Exilregiments lässt sich wenig feststellen. Nicht einmal der dauerhafte Aufenthaltsort seiner wichtigsten Vertreter im Jülicher Territorium ist bekannt. Als Exilregiment profilierte sich die Gruppe, indem sie Stadt und Reich Aachen demonstrativ verließ, sich selbst als katholische Bürgermeister Schöffen und Ratsverwandte Aachens bezeichnete und indem sie – wie im Folgenden dargestellt – als politischer Gegner des protestantisch dominierte Stadtregiments in Aachen auftrat. Zum Verhalten der beiden Ratsteile gegenüber den kaiserlichen Kommissaren merkten die von außerhalb Aachens agierenden katholischen Bürgermeister, Schöffen, Ratsverwandten und Bürger an, dass sich in den ersten Tagen der Kommission, als sich die Kommissare bei beiden Ratsteilen um die Annahme ihrer Werbung bemühten, lediglich die 48 ihren Gehorsam gegenüber dem Kaiser und seinen Kommissaren erklärt hätten. Die übrigen Ratsherren hätten sich ungehorsam gezeigt, indem sie die Annahme der Werbung verweigerten.150 Der mehrheitlich protestantische Rat und die mit ihm verschworenen nicht-katholischen Einwohner der Stadt hätten die Augsburger Konfession so sehr in Aachen einführen wollen, dass sie an diesem Punkt zur Gewalt gegriffen hätten. Die von der Kommission zum Rücktritt aufgeforderten Ratsherren wären 150 Vgl. zur Argumentation des katholische Exilregiments: „wahre erzehlung und ahnzeig wahrin das itzige Achische Religion und Politisch unwesen verstanden, und warauf dasselbig dieser zeit berauwe“, 24. April 1582 (Kopie), StAAa, RA II Allg. Akt. 866, f. 29–37v, hier: f. 35v–36v.

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gleichzeitig die Organisatoren des Bürgeraufstands gewesen.Der protestantische Ratsteil habe seine Verantwortung für den Aufstand gezeigt, indem er befohlen habe Geschütze auf den Markt zu ziehen. Zudem hätten die Bewaffneten den Amtsträgern aus den Reihen der 48 katholischen Ratsverwandten Stadtschlüssel und Siegel geraubt, welche die Gegenseite später benutzt hätte, um sich selbst die Amtsgewalt anzumaßen. Schließlich hätten die Protestanten durch die Gewaltmaßnahmen auch den Abbruch der kaiserlichen Kommission erzwungen. Die Katholiken auf der anderen Seite, schwebten während der Unruhen in großer Gefahr. Wie die Teilnehmer der Gesandtschaften hätten sie es nicht wagen können, ihre Wohnungen zu verlassen. An Gegenwehr sei nicht zu denken gewesen, da sie für diesen Fall mit einem Blutbad hätten rechnen müssen. Die Bedrohung durch die Gewalttätigkeit der Protestanten habe einige katholische Bürger dazu gezwungen, die Stadt zu verlassen. Damit rechtfertigte das Exilregiment seine Gründung: „Nachdem [. . . ] diss unwesen wie lenger jhe verwirter und arger worden [, waren] gedachte Catholische Burgermeister Scheffen und Rathsverwandten hoch und unumbgenglichen verursacht worden [. . . ] von ihren der Religion gewogenen mitt Rathsverwandten mitt dem Rathssitz zuscheiden“151 Die politisch aktiven Katholiken aus Aachen stellten sich selbst als konsequente Kämpfer für die in Aachen bedrohte katholische Religion und für die Rechte des Kaisers in der Reichsstadt dar. Sie rechtfertigten ihr Handeln dadurch, dass sie aufgrund ihrer Religion und ihrer Kaisertreue, Opfer von Verfolgung wurden. Gegenüber der kaiserlichen Kommission, welche diese Argumentation offensichtlich unterstützte, musste es dem mehrheitlich protestantischen Ratsteil und dem aus ihm hervorgehenden Stadtregiment schwer fallen, die eigene Politik zu rechtfertigen. Sie adressierten ihre Legitimationsversuche demzufolge zunächst an den Kaiser selbst und wenig später an protestantische Akteure der Reichspolitik. Gegenüber dem Kaiser stellte das protestantisch dominierte Stadtregiment den Verlauf der Verhandlungen mit der kaiserlichen Kommission und des Aufstands in einigen Punkten grundsätzlich anders dar als das katholische Exilregiment. Dieser Rechtfertigungsversuch ist auf Grundlage einer Denkschrift des Stadtregiments in Aachen vom 6. Juni 1581 nachvollziehbar.152 Das Verhalten des mehrheitlich protestantischen Rates gegenüber der 151 „wahre erzehlung und ahnzeig wahrin das itzige Achische Religion und Politisch unwesen verstanden, und warauf dasselbig dieser zeit berauwe“, 24. April 1582 (Kopie), StAAa, RA II Allg. Akt. 866, f. 34r. 152 Vgl. Discurs oder Summarischer Bericht [des Aachener Rates über den Verlauf der kaiserlichen Kommission], 6. Juni 1581 (Kopie), Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde.

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kaiserlichen Gesandtschaft wurde als Reaktion auf das provokante Auftreten einzelner Gesandter dargestellt. Zunächst seien es vor allem formale Gründe gewesen, die dazu geführt hätten, dass der mehrheitlich protestantische Ratsteil die Werbung der Kommission nicht angenommen habe. Die Verhandlungen mit den Kommissaren seien also in gewöhnlichen Bahnen verlaufen. Der mehrheitlich protestantische Ratsteil hatte die Annahme der Werbung mehrfach verweigert und gefordert, eine Kopie der Instruktionen der Kommissare zu erhalten, um ausführlich darüber beraten zu können. Die gewünschten Kopien seien ihnen jedoch verweigert worden. Statt dessen hätten die Kommissare auf der bedingungslosen Unterwerfung der Ratsherren unter das Urteil der Kommission bestanden. Insgesamt seien die Forderungen der Kommission durch Philipp von Naussau und den Brabanter Kanzler in einer Form vorgetragen worden, die keinen anderen Schluss zugelassen hätte, als dass es das Ziel der Kommissare war, alle Protestanten aus Aachen vertreiben zu lassen. Dabei sei kein Unterschied zwischen Anhängern der Augsburger Konfession und verbotenen Sekten oder zwischen Bürgern und zugewanderten Einwohnern der Stadt gemacht worden. Ihre Forderungen hätten die Kommissare mit offenen Drohungen unterstrichen. Nachdem sie erklärt hatten, allein die 48 katholischen Ratsherren als Obrigkeit Aachens anzuerkennen, kündigten sie an, dass alle, die diese rechtmäßige Obrigkeit nicht anerkennen würden, aus der Stadt verbannt werden würden. Diese Strafe sollte durch die Fürsten von Lüttich, Jülich und Brabant durchgesetzt werden, die dazu schon bereitständen. Ihr forderndes Auftreten, hätten die Kommissare damit gerechtfertigt, dass Aachen kein unmittelbarer Reichsstand sondern eine „schwache und geringe stadt“ sei. Entscheidungen wie solche in Religionssachen könnte die Aachener Obrigkeit nicht selbständig fällen, weil dadurch die Privilegien der Fürsten von Lüttich, Jülich und Brabant berührt würden. Nach seiner eigenen politischen Reaktion auf die kaiserliche Gesandtschaft rechtfertigte das protestantisch dominierte Stadtregiment auch den Bürgeraufstand vom 28. Mai mit dem ungestümen Auftritt der Kommissare. Deren provokante Streuung von Gerüchten über eine drohende militärische Intervention gegen Aachen und die Tatsache, dass „der widertheill“ das Köln-Tor besetzt hatte, hätten viele Bürger dazu veranlasst, sich zu bewaffnen, um ihre Stadt vor Angriffen zu schützen. Nicht nur reformierte oder lutherische Bürger hätten in politischer Notwehr gehandelt, sondern auch solche, „die man catholisch nennt“. Für alle bewaffneten Aktionen die folgten, einschließlich der Positionierung von Geschützen auf dem Markt, seien diese Bürger verantwortlich gewesen. Sie hätten also keine Anweisungen oder Befehle vom mehrheitlich protestantischen Ratsteil erhalten.

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Der protestantisch dominierte Rat räumte ein, dass aus den Reihen der bewaffneten Bürger religionspolitische Forderungen gestellt wurden. Das Hauptanliegen der bewaffneten Bürger sei aber nicht die öffentlichen Religionsausübung für Protestanten gewesen, sondern die Wiedervereinigung der beiden Ratsteile und die Rückgabe der Stadtschlüssel an das Stadtregiment. Dementsprechend sei die Mehrheit der Bewaffneten auseinander getreten, nachdem die erste Forderung durch die am 30. Mai gefundene Einigung zwischen den 48 katholischen Ratsherren und dem übrigen Rat erfüllt worden war. Der protestantisch dominierte Rat machte ausdrücklich die Kommission und nicht etwa den Kaiser für diese Eskalation verantwortlich. Neben den Kommissaren hätten einige Bürger aus Aachen dem Ausbruch der Gewalt Vorschub geleistet. Diese Anstifter seien aber nicht mit den 48 katholischen Ratsherren identisch gewesen. Zwei der vornehmsten Schöffen der Stadt, hätten dem neuen Bürgermeister Johann Engelbrecht im Vorfeld der Unruhen gedroht, dass er früher als er denke, möglicherweise auch mit Gewalt entmachtet werden würde. Der Verweis auf einen anonymen Schöffen als Urheber der Unruhen schlug eine Brücke zu dem Argument, dass eine sehr kleine Gruppe böswillig den Frieden innerhalb der Stadt gefährde. Von der Einigung der Ratsteile am 30. Juni hätten sich noch am Nachmittag des selben Tages einige Männer distanziert, die in der Folge die Stadt verlassen hätten. Unter ihnen waren die Schöffen Gregor, Wilhelm und Johann von Wilre, in denen die Leser der Rechtfertigung der Ratsmehrheit die Urheber der provokanten Drohung gegenüber Johann Engelbrecht wiederkennen sollten.153 Der mehrheitlich protestantische Ratsteil und die zur Einigung vom 30. Juni stehenden katholischen Ratsherren hätten also die Bewaffneten zufrieden gestellt und damit den innerstädtischen Frieden gesichert. Damit seien sie wieder das ordnungsgemäße und seinen Pflichten gewachsene Stadtregiment gewesen. Auch der Konflikt zwischen dem mehrheitlich protestantischen Ratsteil und der kaiserlichen Kommission habe sich nach der Einigung abgemildert, weil die Kommissare von der friedlichen Beendigung der Unruhen erfreut gewesen seien. Die Verhandlungen mit der Kommission seien Anfang Juni in weniger scharfem Ton fortgeführt worden. Die Kommission sei schließlich mit der Ankündigung abgezogen, dem Kaiser die Haltung des Aachener Stadtregiments zu berichten. Die Kommission hinterließ, wie gesehen, in Aachen selbst ein protestantisch dominiertes Stadtregiment und in Jülich ein katholisches Exilregiment. Die Aachener im Exilregiment – die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten – verstanden sich selbst als konfessionell definierte 153

Vgl. Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 229.

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Interessengruppe. 1581 mischte sich also die erste Aachener Konfessionspartei in die Causa Aquensis ein. Das Stadtregiment in Aachen hatten sich dagegen als Obrigkeit positioniert, welche die Stadtverfassung und den städtischen Frieden verteidigte. Beide Parteien brachten nun ihre Positionen in die religionspolitischen Netzwerke im Reich ein. 2.3.1.2 Anbindung von protestantischem Stadtregiment und katholischer Opposition an religionspolitische Netzwerke bis 1584 Das protestantisch dominierte Stadtregiment versuchte, sich gegenüber dem Kaiser als reguläre und überkonfessionelle Obrigkeit Aachens zu rechtfertigen. Allerdings zeigte sich, dass diese Argumentation am kaiserlichen Hof nicht durchdrang. Weil der Kaiser, der Herzog von Jülich und der Statthalter in den spanischen Niederlanden die politischen Entwicklungen in Aachen im Kontext der Niederländischen Unruhen betrachteten, waren die genauen stadtpolitischen Zusammenhänge für ihr Handeln zweitrangig. In der Reichsstadt Aachen sollten bedrohliche calvinistische Strömungen eingedämmt werden. Die Einzelheiten der religions- und stadtpolitischen Pläne der Akteure, die pauschal als Aachener „Sectische[. . . ]“154 bezeichnet wurden, waren dafür nicht wichtig. Die kaiserlichen Kommissare hatten zudem deutlich gemacht, dass der Kaiser seine Autorität als Stadtherr Aachens und Richter in den dortigen politischen und religiösen Konflikten nicht durch einen politischen Kurswechsel in Frage stellen lassen würde. Diese Haltung unterstrich der Kaiser mit einem schriftlichen Befehl an das Aachener Stadtregiment vom 21. Juni 1581. Darin wiederholte er die Forderung nach der Ausweisung aller protestantischer Prediger aus Aachen, ohne sie weiter zu begründen.155 Das Stadtregiment lehnte die Forderung ab, weil es sich bei Protestanten in Aachen um Anhänger der Augsburger Konfession handelte, die unter dem Schutz des Religionsfriedens stünden.156 Diese Berufung auf den Religionsfrieden markierte den Beginn einer konsequenten Neuorientierung der Argumentation des protestantisch dominierten Stadtregiments auf Reichsebene. Bürgermeister, Schöffen und Rat, die in Aachen verblieben, knüpften bewusst an die im Reich geführten Diskurse über die Auslegung des Religionsfriedens, über Grenzen und Geltungsbereich der Augsburger Konfession und über die Reichsstandschaft der Reichsstädte an und ließen sich darauf ein, dass die Auseinandersetzung über die Rechtfertigung ihres 154 Auf diesen Begriff brachte Rudolf II. die Aachener Protestanten spätestens seit Mai 1581 – vgl. Kaiser Rudolf an Bürgermeister, Schöffen und Rat zu Aachen, Prag 8. Mai 1581 (Kopie), LA NRW, Abt. Rhld., Kurköln VI 154., f. 1v. 155 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 88. 156 Vgl. ebd., hier: S. 88.

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Regiments weitgehend von Aussagen über Zustand und Ereignisse innerhalb Aachens losgelöst wurde. Um die neue Argumentation erfolgreich vertreten zu können, war es notwendig, dass die Aachener sich in die Netzwerke der auf Reichsebene religionspolitisch tonangebenden protestantischen Akteure einfügten. Nach der Anlehnung des katholischen Exilregiments an den Kaiser suchte das protestantisch dominierte Stadtregiment engeren Kontakt zu den protestantischen Reichsstädten und zu den reformierten Pfalzgrafen. Das protestantisch dominierte Stadtregiment Aachens wandte sich auf der Suche nach Unterstützung zunächst an die Reichsstadt Frankfurt, die den nächsten Städtetag ausschrieb. Die Reichsstädte befassten sich daraufhin auf ihrem ab dem 24. August 1581 in Speyer abgehaltenen Tag hauptsächlich mit der religionspolitischen Situation Aachens nach der jüngsten kaiserlichen Kommission und den danach ergangenen kaiserlichen Befehlen.157 Von den Abgesandten der Reichsstädte wurden die Entwicklungen in Aachen in Zusammenhang mit drei aktuellen Themen der Reichspolitik beurteilt: Erstens, im Zusammenhang mit den Bemühungen der Reichsstädte, den anderen, höheren Reichsständen rechtlich gleichgestellt zu werden. Zweitens, im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Teilhabe des durch die Konkordienbewegung konsolidierten Luthertums auf der einen Seite und der Reformierten Konfession auf der anderen Seite an den Privilegien des Augsburger Religionsfriedens.158 Drittens, im Zusammenhang mit der Diskussion über die angemessenen reichspolitischen Reaktionen auf den Krieg in den Niederlanden. Die Reichsstädte waren herausgefordert worden, die Entwicklungen in Aachen im Rahmen ihres Kampfes um die volle Reichsstandschaft zu thematisieren, als die beiden jüngsten Kommissionen des Kaisers die Privilegien der Reichsstadt Aachen als unmittelbarer Reichsstand grundsätzlich in Frage gestellt hatten. Dem Argument der Kommissare, Aachen könne nicht als Reichsstand gelten, weil die Fürsten von Jülich, Lüttich und Brabant bestimmte Rechte in der Stadt besaßen, mussten die Reichsstädte widersprechen, wenn sie ihre eigenen Privilegien nicht in Frage stellen lassen wollten.159 Einen weiteren Anlass zu Kontroversen bot der Umstand, dass dem Aachener Magistrat von den kaiserlichen Kommissaren neben der 157 Vgl. Pennings, Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städtetage zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582, hier: S. 53–56. Zu den Schwerpunkten der folgenden Verhandlungen zwischen den reichsstädtischen Abgeordneten und deren Beschlüssen vgl. ebd., hier: S. 56–72. Zu den Aachener Gesandten auf dem Tag vgl. Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 458. 158 Zur Bedeutung dieser Themenkomplexe für die gemeinsame Politik der Reichsstädte vgl. Georg Schmidt, Städtetag, Städtehanse und frühneuzeitliche Reichsverfassung, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt. Köln/Wien 1991, S. 41–61, hier: S. 52–53. 159 Zu den Zielen der kooperativen, reichsstädtischen Politik und den besonderen

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Reichsstandschaft im Allgemeinen konkret das reichsständische ius reformandi abgesprochen worden war. Dieses Argument spaltete diejenigen Reichsstädte, welche die Durchführung einer protestantischen Reformation in Aachen begrüßt und unterstützt hätten, von denjenigen, die reformatorischen Bestrebungen in Aachen aus verschiedenen Gründen skeptisch gegenüberstanden. Die katholische Reichsstadt Köln lehnte den Einsatz der Reichsstädte für die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung in Aachen ab. Auf den Verhandlungen in Speyer kam diese grundsätzliche Absage an die Aachener Reformation allerdings nicht zur Geltung, weil Köln keine Abgesandten zu der Versammlung schickte.160 So wandten sich gegen Frankfurt und Straßburg, die sich intensiv für die Unterstützung des Aachener Stadtregiments einsetzten, vor allem die Städte Augsburg und Regensburg. Als Unterzeichner des Konkordienwerks führten sie gegen die Aachener Reformation an, dass die Aachener Protestanten mehrheitlich Calvinisten seien und damit nicht auf dem Boden der Augsburger Konfession und unter dem Schutz des Religionsfriedens stünden. Ihre Position wurde durch den Vortrag eines Gesandten des Herzogs von Jülich unterstützt, der bestätigte, dass die Aachener Protestanten mehrheitlich Calvinisten seien.161 Durch den Gegensatz zwischen den Unterstützern der lutherischen Konkordienbemühungen und den Befürwortern eines weiteren Geltungsbereiches für die Augsburger Konfession und den Religionsfrieden unter den Reichsstädten – nicht etwa zwischen Lutheranern und Calvinisten – wurde der Bekenntnisstand der Aachener Protestanten zum politischen Thema auf Reichsebene.162 Während der Kaiser, die spanische Regierung der Niederlande und das katholische Exilregiment den Aachenern bisher Herausforderungen bei der alltäglichen Auseinandersetzung der Städte mit fürstlichen Forderungen vgl. zusammenfassend ebd., hier: S. 52–58. 160 Vgl. Pennings, Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städtetage zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582, hier: S. 54. 161 Vgl. ebd., hier: S. 54–55 u. S. 64. 162 Frankfurt und Straßburg gehörten zu den zahlreichen protestantischen Reichsstädten, welche die Konkordienformel nicht unterzeichnet hatten. Von Straßburg gingen früh Kontroversen über die Berechtigung der mit der Konkordienformel ausgesprochenen Verdammungen bestimmter theologischer Lehren aus. Von den Verdammungen sahen sich neben anderen Calvinisten und Philippisten bedroht; vgl. Dingel, Concordia controversa, S. 30–31, 41 ff. u. 630. Die Auseinandersetzungen um die Konkordienformel, die sich nun auf den politischen Umgang mit den konfessionellen Verhältnissen in Aachen auswirkten, seien, wie Dingel schließt, jedoch kein Streit zwischen Lutheranern und Reformierten gewesen, sondern haben „die gesamte Bandbreite existierender bekenntnismäßiger oder theologischer Schattierungen unter den Augsburger Konfessionsverwandten“ zu Wort kommen lassen; vgl. ebd., S. 686. Frankfurt und Straßburg vertraten also keine Außenseiterposition und keinen explizit reformierten Standpunkt, als sie sich dafür einsetzten, die Aachener Protestanten unter den Schutz des Religionsfriedens zu stellen.

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pauschal die calvinistische Konfession zugeschrieben hatten, um sie mit den Merkmalen von Unruhestiftern und Gewalttätern zu belegen, war dieses Konfessionsklischee für die protestantischen Reichsstädte von untergeordneter Bedeutung. Ein Teil der Städte lehnte es vielmehr aus dogmatischen Gründen ab, die reformierte Konfession mit in den Kreis der Anhänger der Confessio Augustana einzubeziehen. Alle Städte waren somit daran interessiert, ob die Protestanten in Aachen den Ansprüchen genügten, die Konkordiengegner oder Konkordienbefürworter an Verwandte der Augsburg Konfession stellten. In die Diskussion auf dem Städtetag wurden deswegen Informationen über den Bekenntnisstand der Aachener eingebracht. Die Informationen waren aber nicht so umfangreich, dass sie den reichsstädtischen Abgeordneten erlaubt hätte, sich ein zutreffendes Bild von den konfessionellen Verhältnissen in Aachen zu machen. Die Frankfurter Gesandten führten beispielsweise an, dass ein Prediger, den ihre Stadt vor einigen Jahren nach Aachen geschickt hatte, bezeugen könne, dass es dort viele Augsburger Konfessionsverwandte gebe.163 Desweiteren kam ein Religionsgespräch zur Sprache, das die Prediger der lutherischen und der reformierten Gemeinde in Aachen vom 31. Juli bis zum 2. August 1580 geführt hatten. Das Gespräch konnte die Uneinigkeit der reformierten und lutherischen Prediger in der Frage der Allgegenwart der menschlichen Natur Christi nicht überwinden.164 Das Scheitern des Vermittlungsversuches an dieser Frage, die auch im Mittelpunkt der theologischen Auseinandersetzungen über das Konkordienwerk stand, verstanden die Befürworter der Konkordienformel als Beweis, dass es sich bei den Aachener Protestanten mehrheitlich um Gegner der Konkordie handelte. Für die konkordienkritischen Reichsstädte war durch den Ausgang des Gesprächs weder bewiesen, dass die Beteiligten nicht auf dem Boden der Augsburger Konfession standen, noch dass sie Calvinisten wären. Dem entsprechend stand für sie einem Engagement der Reichsstädte für die Aachener Protestanten nichts im Weg. Schließlich setzten sich die Gesandten derjenigen Städte durch, welche die Aachener Protestanten unterstützen wollten. Der Städtetag beschloss, Gesandte nach Prag, Jülich, Lüttich und Aachen zu entsenden. Bei Kaiser Rudolf II., Herzog Wilhelm V. und Fürstbischof Ernst von Bayern sollte dafür geworben werden, die Exekution der kaiserlichen Befehle auszusetzen, bis sie über die tatsächlichen Verhältnisse in Aachen bessere Informationen eingeholt hätten und auf dem nächsten Reichstag über die Sache beraten worden sei. Die Gesandten sollten darüber hinaus die Bürger Aachens 163 Vgl. Pennings, Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städtetage zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582, hier: S. 60. 164 Vgl. Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 39–40.

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ermahnen, sich an die im Mai geschlossene Einigung zwischen den beiden Ratsteilen und die damit verbundenen Bestimmungen zu halten.165 Vertreter der Reichsstädte Straßburg, Frankfurt und Ulm übernahmen diese Gesandtschaft.166 Herzog Wilhelm V. schlug die Bitte um Aussetzung der Exekution aus, indem er gegen das Anliegen der Reichsstädte eine nahezu vollständige Liste der Argumente anführte, die in der Stadt Aachen, der Region und im Reich bisher gegen die Rechtmäßigkeit des protestantisch dominierten Stadtregiments angeführt worden waren.167 Der Herzog warf dem Stadtregiment Ungehorsam gegenüber kaiserlichen Befehlen vor, führte an, dass die Aachener Obrigkeit mit der Ausübung des ius reformandi ihre Kompetenzen überschreite und zudem Katholiken bedränge.168 Deutlich im Mittelpunkt der herzoglichen Argumentation standen dabei die Aussagen zu den Rechten Jülichs und auch des Bischofs von Lüttich in Aachen, aufgrund derer es der Aachener Obrigkeit nicht gestattet sei, eigenmächtig reformatorische Neuerungen in der Stadt einzuführen. Darüber hinaus führte er an, dass im katholischen Exilregiment die angesehene Bürgerschaft Aachens versammelt sei, während das protestantisch dominierte Regiment aus Einwanderern bestehe: „Die außgewichenen auß der Stadt, dass wehren alte redtliche bey der statt lang herkhommene burger, die der kay: Mtt: und dem Reich gebuerenden gehorssam leisteden, dagegen sich deß Regiments in der stadt anmaßen daß wehren neuve leuth die sich dahin selbst mit gewalt eingedrungen“169 . Darüber hinaus argu165

Vgl. Pennings, Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städtetage zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582, hier: S. 64 u. 71. 166 Vgl. zusammenfassend zur konfessionspolitischen Ausrichtung der drei Städte und insbesondere zu ihrer Position zur Konkordienbewegung: Francis Rapp, Straßburg, Hochstift und Freie Reichsstadt, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 72–95, hier: S. 88–89, Anton Schindling/Georg Schmidt, Frankfurt am Main, Friedberg, Wetzlar, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 4: Mittleres Deutschland. Münster 1992, S. 40–59und Wilfried Enderle, Ulm und die evangelischen Reichsstädte im Südwesten, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 194–213, hier: S. 205. 167 Vgl. zu den Aktivitäten der reichsstädtischen Kommission, wenn nicht anders angegeben, „Summarischer warhafftiger bericht, wie der Erb: frey und reichs stett, drey stedt staßburg, ulm und Franckfurt abgeordnete, denn standt unnd wesenn der stadt Aach befunden, unnd zu ihrem wieder vonn dannen verlassen haben“ [ca. November 1581, Abschrift]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 61 I. 168 Die Stellungnahme des Herzogs von Jülich wird ausführlich Abschlussbericht der reichsstädtischen Gesandtschaft referiert. 169 „Summarischer warhafftiger bericht, wie der Erb: frey und reichs stett, drey stedt

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mentierte der Herzog, dass die Protestanten insgesamt nur eine Minderheit der Aachener Bevölkerungen stellten und ihnen nur ein Bruchteil der reichsrechtlich privilegierten Augsburger Konfession angehörte. Nachdem diese Fremden das Stadtregiment gewaltsam an sich gerissen hätten, würden sie sich nun mit allen Mitteln in dieser Postion zu behaupten versuchen. Ihre Amtsgewalt würden sie missbrauchen, indem sie die städtische Rechtsprechung in allen Fällen aussetzen würden, in denen die Urteile einen Vorteil für einen katholischen Einwohner der Stadt versprechen würden. Die Argumente des Herzogs hatten erheblichen Einfluss auf die Tätigkeit der reichsstädtischen Kommissare nach ihrer Ankunft in Aachen am 22. September 1581. Die Gesandten bemühten sich vor allem, die Vorwürfe Wilhelms V. zu entkräften. Den Vorwurf, das protestantisch dominierte Stadtregiment habe die kaiserliche Entscheidung missachtet, ausschließlich die katholischen Amtsträger und Ratsherren als ordentlichen Magistrat anzuerkennen, versuchten die Gesandten zu entkräften, indem sie auf die Versöhnung des katholischen Exilregiments mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment in der Stadt hinarbeiteten. Dabei standen sie vor dem Problem, dass die personelle Zusammensetzung des Exilregiments bei ihrer Ankunft in Aachen noch im Fluss war. Die reichsstädtischen Gesandten mussten also erst noch herausfinden, mit welchen katholischen Bürgern sie verhandeln konnten: Nach den Ratswahlen vom 24. Juni 1581 hatten neun katholische Ratsherren ihre Sitze verlassen und sich zum Teil dem katholischen Exilregiment angeschlossen,170 sodass die Gesandtschaft ihre Werbung nicht dem gesamten Rat vortragen konnte. Der Abschlussbericht der reichsstädtischen Kommission gibt an, dass die neun Ratsherren abgetreten seine, weil sie sich geweigert hätten die Kommission anzuerkennen, die von Anderen gegen ihren Willen nach Aachen bestellt worden sei. Vor diesem Hintergrund berichteten die Kommissare am 25. Juni vor 50 protestantischen und 40 katholischen Ratsherren darüber, wie Herzog Wilhelm V. auf die Vorschläge der protestantischen Reichsstädte reagiert hatte. Sie teilten mit, dass die Reichsstädte ihre Solidarität mit Aachen erklärt hätten, und sprachen über ihren Auftrag, die Verhältnisse in Aachen wieder in ihren ursprünglichen friedlichen Zustand zu bringen.171 staßburg, ulm und Franckfurt abgeordnete, denn standt unnd wesenn der stadt Aach befunden, unnd zu ihrem wieder vonn dannen verlassen haben“[ca. November 1581, Abschrift]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 61 I. 170 Vgl. Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 230–234. 171 Neben den neun demonstrativ fern gebliebenen Katholiken fehlten noch etwa 20 weitere Ratsherren, welche die Frankfurter Herbstmesse besuchten. Wahrscheinlich war der überwiegende Teil der Aachener Messekaufleute mit Ratssitz lutherisch oder reformiert, sodass die Protestanten unter den insgesamt etwa 110 verbleibenden Ratsherren

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Um den offensichtlich irregulären Zustand des Aachener Rates zu verbessern, versuchten die reichsstädtischen Gesandten bis zum 4. Oktober, die vom Rat abgetretenen katholischen Ratsherren zur Rückkehr zu bewegen. An den Verhandlungen beteiligten sich Vertreter des protestantisch dominierten Stadtregiments. Die Vertreter des Stadtregiments und der Reichsstädte richteten sich mit ihren Vermittlungsbemühungen an die Ratsherren, die nach der Ratswahl von 1581 vom Rat abgetreten waren und die Stadt verlassen hatten.172 Tatsächlich zeigte sich aber, dass sich ihre Verhandlungspartner schnell in das katholische Exilregiment integriert hatten, dessen Vertreter im Schulterschluss mit dem Herzog von Jülich eine einheitliche Position vertraten und davon nicht abrückten: Sie würden sich ohne die Zustimmung ihres Herrn, des Herzogs von Jülich, auf keine Verhandlungen einlassen. Zusammen mit dem Herzog seien sie entschlossen, den kaiserlichen Kommissaren und den kaiserlichen Schreiben vom 21. Juli und 17. August des Jahres zu gehorchen. Mit Personen, die diese Befehle missachteten, würden sie nicht verhandeln. Nach dem Scheitern der Verhandlungen bemühte sich die reichsstädtische Kommission, Verhältnisse zu schaffen, die trotz der tatsächlich fortbestehenden Spaltung des Aachener Stadtregiments den Eindruck von Ordnung und Stabilität vermittelten. Dazu erließ der Rat auf Anregung der Kommissare am 4. Oktober 1581 ein Edikt, das nach der Vereinbarung vom 31. Mai ein weiteres Mal die Beilegung aller in der Stadt vorgefallenen Streitigkeiten verkündete.173 In dieser zweiten Pazifikation wurden nun diejenigen, eine stärkere Mehrheit stellten als unter den 90, welche die reichsstädtische Kommission antraf. Die Angaben zu den konfessionellen Mehrheitsverhältnissen im Aachener Rat während der Dauer der reichsstädtischen Kommission sind widersprüchlich. Das „Verzeichnus wie der rath anno 80 und 81 vermög der gaffelbriefen und alter rathsordnugen versetz und angestelt worden“ berichtet übereinstimmend mit dem Bericht der Kommissare Straßburgs, Ulms und Frankfurts, dass nach der Ratswahl und dem Abtreten einiger katholischer Ratsherren noch 45 Katholiken im Rat vertreten waren. Dahingegen berichtete das katholische Exilregiment, dass von 120 Ratsherren nur elf katholisch gewesen wären und auch diese nur unter Zwang an den Ratssitzungen teilgenommen hätten. 172 Im Kontext der Verhandlungen um die Rückkehr der katholischen Ratsherren richtete das Stadtregiment am 29. September 1581 ein Schreiben an „[. . . ] unßere Abwesende Catholische Rathsverwandten [. . . ]“ bzw. noch allgemeiner an die ‚abwesenden Herren‘. Namentlich wurde Albrecht Schrick genannt, der im Frühjahr zu den 48 abgetretenen katholischen Ratsherren gehört hatte, dann nach dem Pazifikationsedikt wieder zurückgekehrt war und am 21. Juni 1581 erneute in den Rat gewählt wurde, bevor er Rat und Stadt wieder verließ; vgl. Bürgermeister, Schöffen und Rat des königlichen Stuhls und Stadt Aachen [an die abwesenden Herren], 29. September 1581 [Abschrift]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 60; zu Albrecht Schricks erstem Abtreten vom Rat, seiner Rückkehr und erneuten Wahl in den Rat vgl. Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 225–228. 173 Vgl. Zweiter und letzter Vergleich bzw. Pacifcation zwischen den in Aachen

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die sich schon dem ersten Versöhnungsvertrag verschlossen und die Stadt verlassen hatten – also das katholische Exilregiment – zu Gegnern der bürgerlichen Einigkeit deklarierten. Zwischen allen übrigen Bürgermeistern, Ratsverwandten und Schöffen wurde die Einigung und das Vergeben und Vergessen aller während der Streitigkeiten vorgefallenen Beleidigungen bekräftigt. Mit den Ausführungen des zweiten Pazifikationsedikts passten die reichsstädtischen Kommissare ihre Argumentation dem Ziel des protestantisch dominierten Stadtregiments an: Sie verurteilten die im katholischen Exilregiment organisierte Opposition für die beharrliche Unversöhnlichkeit einer kleinen Gruppe von Privatleuten. Um die Wirkung des Edikts zu verstärken, konnte das protestantisch dominierte Stadtregiment darauf hinweisen, dass seit den Ratswahlen des Jahres 1581 die meisten Mitglieder des katholischen Exilregiments regulär aus dem Rat ausgeschieden waren, weil sie nicht erneut von ihren Gaffeln gewählt worden waren. Damit sei die Selbstbezeichnung der Exulanten als katholische Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandte angemaßt. Die reichsstädtische Kommission zeigte darüber hinaus, dass sie bereit war, weitere Standpunkte des in Aachen verbliebenen Regiments gegenüber den Exulanten zu übernehmen. Sie betonte, dass die „Ausgewichenen“ bewusst in Kauf genommen hätten, dass die Exekution der kaiserlichen Befehle gegen Aachen unvermeidbar würde. Sie hätten eher große Nachteile für ihre Heimatstadt herbeigeführt, als von ihrer Position abzurücken. Auch die zuvor vom protestantisch dominierten Stadtregiment eingeführte Aussage, dass die Ausgewichenen am kaiserlichen Hof und in der Aachener Bevölkerung mit falschen Behauptungen den ordentlichen Magistrat Aachens in Verruf brächten, griffen die Kommissare auf. Die reichsstädtischen Gesandten wiederholten allerdings nicht einfach die Argumentation, die das protestantisch dominierte Stadtregiment bereits gegenüber dem Kaiser geführt hatte, sondern ordneten die übernommenen Aussagen und Argumente in die reichspolitischen Diskurse über die Reichsunmittelbarkeit der Reichsstädte, das reichsstädtische ius reformandi und den Geltungsbereich des Augsburger Religionsfriedens ein. Dazu schrieben sie Aussagen über die Verhältnisse in Aachen, das heißt über das Zusammenleben der Konfessionsgruppen, die politische Ordnung und den Frieden innerhalb der Bürgergemeinde eine andere argumentative Bedeutung zu, als es die politisch aktiven Aachener bisher getan hatten. Das Handeln des protestantisch dominierten Stadtregiments stellten sie als beispielhaft für die Obrigkeit einer bikonfessionellen Reichsstadt dar. Der Magistrat habe, abgesehen von Störungen weniger Unversöhnlicher, den Frieden in der verbliebenen Ratsverwandten. Mit der Schelle verkündet, am 4. Oktober 1581. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 60.

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Bürgergemeinde zu garantieren. Dabei seien die katholischen Einwohner der Stadt, das katholische Religionsleben oder die katholische Kirche nie angegriffen worden. Alle katholischen Stifte, Kirchen und Klöster hätten ihren Besitz behalten und die Katholiken wären zu keiner Zeit an der Ausübung ihrer Religion gehindert worden.174 Weil der Magistrat sich entgegen anders lautender Vorwürfe nicht als rechtmäßige Obrigkeit der Reichsstadt Aachen disqualifiziert habe, stünde ihm wie anderen Reichsstädten die Ausübung des ius reformandi zu. An der Kirchenhoheit des Fürstbischofs von Lüttich, so führten die reichsstädtischen Gesandten weiter aus, würde durch die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung für die Angehörigen der Augsburger Konfession in Aachen nicht gerührt, weil die Privilegien und Entfaltungsmöglichkeiten der katholischen Kirche in Aachen dadurch nicht beeinträchtigt würden. Darüber hinaus werde das reichsstädtische ius reformandi grundsätzlich nie dadurch beeinträchtigt, dass ein katholischer Bischof in einer Stadt Teile der Kirchenhoheit besitze. Wäre dies so, sei der ganze Religionsfrieden in Frage gestellt. Weil bisher alle katholischen Akteure, die sich in die Auseinandersetzungen um Aachen eingeschaltet hatten, darauf verwiesen hatten, dass die Freigabe nicht-katholischer Gottesdienste in Aachen auch deswegen nicht gestattet werden könnte, weil die Aachener Protestanten mehrheitlich verbotenen Sekten angehörten, argumentierten die reichsstädtischen Gesandten auch gegen diese Behauptung. Die Mitglieder des Stadtregiments, denen vorgeworfen wurde, Calvinisten zu sein, hätten sich gegenüber der Kommission zur Augsburger Konfession bekannt und gleichzeitig erklärt, dass sie für den Fall, dass öffentliche Religionsausübung für Protestanten in Aachen erlaubt würde, ausschließlich Prediger der Augsburger Konfession berufen würden. Für diese konfessionelle Rechtfertigung des protestantisch dominierten Stadtregiments und der Aachener Protestanten insgesamt beriefen sich die reichsstädtischen Gesandten auf ein schriftliches Bekenntnis, das ihnen von Vertretern einer protestantischen Gemeinde in Aachen vorgelegt worden war.175 Darin verwahrten sich die Aachener gegen den Vorwurf, verbotenen 174

So teilten es die Kommissare dem Herzog von Jülich mit; vgl. Gesandte der Reichsstädte an den Herzog von Jülich. Bericht über die Zustände in Aachen und die Ergebnisse der eigenen, nun beendeten Kommission, vom 6. Oktober 1581 [Abschrift]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten, 60. 175 „Abschrifft Ettlicher herrn benantet des Calvinisch verdechtiger Ratsverwandter thun glaubenserklerungh der ERb freyen Reichsstette abgesandten [. . . ]“ [Rückenaufschrift], LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a; weitere Kopie: Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde.

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Sekten anzugehören. Vielmehr hielten sie die Confessio Augustana, wie sie 1530 Karl V. und 1551 dem Trienter Konzil überreicht worden sei, und deren Apologie, wie sie 1561 von etlichen Reichsfürsten in Naumburg bestätigt worden sei, für apostolisch. Die Berufung der Aachener auf die Apologie der Confessio Augustana und den Naumburger Konvent machten deutlich, dass sie sich nicht auf der streng lutherischen Linie der Konkordientheologen befanden. Für die reichsstädtischen Kommissare war das jedoch kein Grund, dem Magistrat in Aachen die politische Unterstützung der protestantischen Reichsstände zu entziehen. Das formale Bekenntnis zur Confessio Augustana als sozusagen politischem Bekenntnis ohne eindeutige Festlegung auf theologische und religiöse Details reichte auch während der zu Beginn der 1580er Jahre andauernden Streitigkeiten über das Konkordienwerk aus, um die Anlehnung der Aachener Protestanten an die Confessio Augustana-Stände im Reich abzusichern. Auch im weiteren Verlauf sorgte die in der Reichspolitik etablierte Trennung der konfessionstheologischen Eindeutigkeits- und Abgrenzungsforderungen von dem politischen Umgang mit dem Konfessionsbegriff in Form der reichsrechtlich relevanten Confessio Augustana dafür, dass die Interessengruppe um das protestantisch dominierte Stadtregiment in Aachen trotz beständiger Calvinismusvorwürfe seinen politischen Spielraum wahren konnte.176 Eine ähnliche Interpretation der Aachener Verhältnisse integrierte Pfalzgraf Johann Casimir in seine Religionspolitik. Johann Casimir hatte sich seit dem Ende der jüngsten kaiserlichen Kommission im Juni 1581 dafür eingesetzt, dass die Entscheidungen Rudolfs II. in der ‚Aachener Sache‘ nicht exekutiert würden. Im Rahmen der Pfalz-Lauterschen Politik, sich im Reich als Führer einer protestantischen Aktionspartei zu Gunsten der Freistellung und gegen die gegenreformatorische Politik des Kaisers und der Habsburger Dynastie zu etablieren, versuchte er, auch die Kurpfalz, Kursachsen und Brandenburg 176 Irene Dingel, Augsburger Religionsfrieden und „Augsburger Konfessionsverwandtschaft“ – konfessionelle Lesarten, in: Heinz Schilling/Heribert Smolinsky (Hrsg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposion aus Anlaß des 450. Jahrestages des Friedensschlusses, Augsburg 21. bis 25. September 2005. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 206.) Münster 2005, S. 157–178, hier: S. 162–166 u. 175 weist ausdrücklich darauf hin, dass die 1555 offen gebliebene Frage, wie die im Religionsfrieden privilegierte Gruppe der Augsburger Konfessionsverwandten zu definieren sei – ob im Sinne der Konkordienbewegung bekenntnistreu zur Confessio Augustana invariata von 1530 oder offen für eine Bekenntnisvielfalt, die auch Bekenntnisse mit reformiertem Einschlag umfasste – auch in Hinblick darauf geführt wurde, dass vor allen die Kurpfalz die Bündnisfähigkeit der Reformierten Fürsten und Staaten in Westeuropa mit den Augsburger Konfessionsverwandten im Reich bewahren wollte. Diese einflussreiche und in der Auslegung des Religionsfriedens von 1648 schließlich erfolgreiche Position war für die reichspolitische Stellung der Aachener Protestanten hilfreich, denen ihre Gegner ihre Nähe zum niederländischen Calvinismus vorwarfen.

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für diese Politik zu gewinnen.177 Auf diese Weise bereitete Johann Casimir maßgeblich die Ausweitung der Diskussion der Aachener Verhältnisse auf Reichsebene vor. Er war bereit, die Politik des Kaisers gegenüber der Reichsstadt direkt zu kritisieren, also nicht ausschließlich auf den mangelhaften Kenntnisstand des Kaisers und das aggressive Verhalten einzelner Kommissare zu verweisen. Er erklärte, es sei notwendig, dass die protestantischen Reichsstände sich für Aachen einsetzten, um eine willkürliche und gegen den Religionsfrieden verstoßende Regelung der Aachener Verhältnisse durch Rudolf II. zu verhindern.178 Darüber hinaus betonte Johann Casimir stärker als alle bisher in der ‚Aachener Sache‘ engagierten protestantischen Akteure den Zusammenhang der Entwicklungen in Aachen mit den akuten konfessionellen Großkonflikten in der Region und in ganz Europa. Im Kontext des Niederländischen Krieges, des Kölner Krieges und auch der französischen Religionskriege betrachtete Johann Casimir Aachen als potentiellen Stützpunkt seiner katholischen Gegner. Sollte Aachen ein katholischen Regiment erhalten, würde es unter den Einfluss der spanischen Regierung in Brüssel geraten, wodurch sich die ohnehin bedrohliche Lage für alle Protestanten in den Niederlanden und im Reich noch weiter verschärfen würde. Dieses letzte Argument übernahm auch Kurfürst Ludwig IV., als er mitteilte, dass seine persönliche Teilnahme am Reichstag in Augsburg 1582 durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Niederlanden und die militärische Bedrohung Aachens in Frage stehe.179 Sollte die Gefahr, dass Aachen durch die Spanier dem Reich entzogen würde, nicht rechtzeitig abgewandt werden, sei seine Anwesenheit 177

Vgl. Dr. David Pfeifer an Dr. Hartmann Pistoris, Dresden 29. August 1581, in: Friedrich von Bezold (Hrsg.), Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir. Mit Verwandten Schriftstücken. Bd. 1: 1576–1582. München 1882, hier: S. 450–451. Die Vertreter Kursachsens machen deutlich, dass die Initiative für den reichspolitischen Einsatz zu Gunsten des protestantisch dominierten Stadtregiments in Aachen von Johann Casimir ausgegangen war, und distanzieren sich gleichzeitig vom dezidiert anti-habsburgischen Kurs des Pfalzgrafen. In moderate diplomatische Bemühungen in der ‚Aachener Sache‘ könnten neben Kursachsen, Brandenburg und Pfalz-Lautern auch Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt einbezogen werden. Einen übersichtlichen Einstieg in die vielfältigen Diskussionen über die Freistellung ermöglicht Horst Rabe, Reich und Glaubensspaltung. Deutschland 1500–1600. In: Die Neue Deutsche Geschichte. Bd. 4. München 1989, hier: S. 342–349. 178 Vgl. allgemein zur europäischen Außen- und Religionspolitik Johann Casimirs Anton Schindling/Walter Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz, Oberpfalz, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 8–49, hier: S. 30–31. 179 Vgl. Beantwortung der kaiserlichen Gesandten Graf Georg von Montfort und Jakob Kurz von Senftenau, Heidelberg 2. Januar 1582, in: Bezold, 1576–1582, hier: S. 459–460.

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in der Region gefordert. Er müsse als ausschreibender Fürst des Kurrheinischen Kreises dafür sorgen, dass der Reichsstadt Aachen entsprechend den Bestimmungen der Reichsexekutionsordnung geholfen werde.180 Zur ‚Aachener Sache‘ einer reichsweit bekannten Auseinandersetzung, wurden die Aachener Konflikte somit erst seit dem Sommer 1581. Nun war neben dem katholischen Netzwerk – bestehend aus dem Exilregiment, anderen politisch aktiven Aachenern, den regionalen Fürsten in Jülich, Lüttich und Brüssel sowie Kaiser Rudolf II. – ein protestantisches geknüpft worden, das aus dem protestantisch dominierten Stadtregiment, den protestantischen Reichsstädten und Pfalzgraf Johann Casimir bestand. Durch die Initiativen der Mitglieder in diesen beiden Netzwerken wurden auch andere protestantische und katholische Akteure zu einer vorübergehenden Teilnahme an der Auseinandersetzung um Aachen angeregt.181 Wie sich die in der ‚Aachener Sache‘ streitenden Netzwerke erst allmählich bildeten, konnte hier erstmals detailliert beschrieben werden. 2.3.1.3 Die Politik des protestantisch dominierten Stadtregiments und des katholischen Exilregiments bis zum Reichstag von 1582 Nach dem Ende der reichsstädtischen Kommission im Oktober 1581 arbeiteten das protestantisch dominierte Stadtregiment und das katholische Exilregiment daran, die Diskussion über die Entwicklungen in Aachen auf Reichsebene auszuweiten. Das Stadtregiment warb bei Reichsständen und Kaiser dafür, die kaiserlichen Befehle, die seine Absetzung verlangten, nicht durchzusetzen, sondern sie überprüfen und aufheben zu lassen. Im Verlauf ihrer diplomatischen Bemühungen und im Austausch mit seinen politischen Partnern legte sich das Stadtregiment auf das Zwischenziel fest, die Konflikte in Aachen auf dem für das Frühjahr 1582 geplanten Reichstag in Augsburg verhandeln zu lassen, um eine Entscheidung nicht allein durch den Kaiser, sondern unter Beteiligung der protestantischen Reichsstände zu erhalten. Die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten und andere katholische Akteure setzten hingegen darauf, dass die kaiserli180 Das Projekt einer kreisübergreifenden Hilfe für Aachen gegen Angriffe seiner benachbarten Fürsten, wurde von Ludwig IV. und Johann Casimir verfolgt, nachdem die Pfalzgrafen festgestellt hatten, dass Aachen aus dem Niederrheinisch-Westfälischen Kreis keine Hilfe zu erwarten hatte. Tatsächlich kam aber keinerlei Kreishilfe zu Stande. Ein Teil der entsprechenden Bemühungen und ihrer Ergebnisse ist dokumentiert bei Bezold, 1576–1582, hier: S. 321, 327 und 330. 181 Vgl. Zu den zahlreichen Initiativen protestantischer Reichsstände im Vorfeld des Augsburger Reichstags 1582, von denen allerdings keine mit der Intensität und Kontinuität der Pfälzer Aktivitäten vergleichbar war, vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 147– 149.

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chen Befehle unverändert und möglichst unverzüglich durchgesetzt würden und sie selbst in das Aachener Stadtregiment eingesetzt würden. Als Herzog Wilhelm V. den Rahmen für sein folgendes Handeln vor. Als der Herzog die Handelswege der Aachener Kaufmannschaft im Oktober 1581 militärisch sperrte, gab er ein neues Thema für die folgenden Auseinandersetzungen vor. Das Stadtregiment hielt die Jülicher Militäraktionen für unrechtmäßig, weil kein kaiserlicher Befehl an die Vereinigten Herzogtümer vorlag, eine gewaltsame Exekution gegen Aachen vorzunehmen. Zunächst versuchte es, den Fürstbischof von Lüttich dafür zu gewinnen, den Herzog zur Einstellung der Exekution zu bewegen. Ernst von Bayern war aber nicht bereit, dieser Bitte zu folgen, und befahl im Januar 1582, auch den über das Lütticher Territorium laufenden Handel Aachens zu blockieren.182 Das protestantisch dominierte Stadtregiment fand in der Region keine politische Unterstützung gegen diese Zwangsmaßnahmen. Im Dezember hatten Kanzler und Rat von Brabant die Bitten des Aachener Rates abgelehnt, Übergriffe von Truppen des Gouverneurs der Länder über Maas auf das Landgebiet Aachens zu unterbinden. Sie stellten klar, dass die Aachener Obrigkeit sich mit der Einführung religiöser Änderungen und dem Ungehorsam gegenüber der letzten Kommission strafwürdig verhalten hätte.183 Dagegen hob der Magistrat hervor, dass in Aachen keine Kirche an Protestanten übergeben worden sei, dass die Religion der Stadt also nicht verändert wurde. Im Briefwechsel zwischen dem protestantisch dominierten Magistrat und der Brüsseler Regierung zeigte sich der Kontrast zwischen den Bemühungen der einen Seite, die religiösen Aspekte des Konflikts in den Hintergrund zu rücken, und der konfessionalistischen Sichtweise der anderen Seite. Gegen die Handelssperren strengte der Magistrat eine Klage beim Reichs182 Vgl. Edikt Ernsts von Bayern als Administrator von Lüttich öffentlich verkündigt in Lüttich am 8. Januar 1582, erlassen am 4. Januar 1582. Verbot des Handels mit Aachen für die Lütticher. Wegen der gegen den katholischen Glauben in Aachen eingeführten Neuerungen [Abschrift]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 64–66v. Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 193 verweist auf das Original des Befehls im Staatsarchiv Lüttich. 183 Vgl. Translatum deß Brabandischen Cantzlers Sestisch schreibenß ahn einen Erbaren Rath zu Aach, ahm 10ten Decembris Anno 81. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 48v bis 45v. Bürgermeister, Schöffen und Rat von Aachen hatten sich am 6. Dezember an den Kanzler gewandt; „Abschrifft Eines Erbaren Raths schreibens an Cantzler und Rath deß Herzochtumbs Brabant de dato 6t Decembris anno 81“, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 26–29v. Schon zuvor und wieder am 29. Dezember schrieben sie mit demselben Anliegen und wiederum ohne Erfolg direkt an den Herzog von Parma; „Copey Eines Erbarn Raths herren an den Herzogen zu Parma de dato den 29. Decebris 81“, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 58 bis 62v.

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kammergericht an. Am 6. März 1582 befahl das Gericht dem Herzog von Jülich und den inzwischen ebenfalls an der Blockade beteiligten Abt von Kornelimünster, die Übergriffe gegen Aachen zu beenden.184 Im März wurde die Blockade aufgehoben. Die Operationen Spanischer Truppen dauerten an. Zusätzlich zu seinem militärischen Vorgehen gegen Aachen hatte der Herzog von Jülich aus seiner Position als mächtigster und ausschreibender Stand des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises erwirkt, dass Abgeordnete des protestantisch dominierten Stadtregiments auf Kreistagen nicht mehr anerkannt wurden.185 Dies war ein erster Schritt zur Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Reichsstadt Aachen innerhalb der reichspolitischen Institutionen. Die Entwicklung setzte sich darin fort, dass die Reichskanzlei während des Augsburger Reichstags 1582 weder die Gesandten des protestantisch dominierten Magistrats noch die des katholischen Exilregiments als rechtmäßige Vertreter der Reichsstadt anerkannte.186 Das 184 Mandatum sine clausula Ex parte. Burgermeister Scheffen und Räth des koniglichen stoels und statt Aach p. contra hertzogen zu Guilich p. Item den Apten zu St: Cornely Munster, den hern zur heiden, und fuerstlichen guilichen Vogten zu Aach p., Speyer, den 6. Februar 1582 [Abschrift]. „Memorialbuch“ der Reformierten Gemeinde Aachen. Archiv der Evangelischen Kirchen Aachen. Zur Bedeutung von Mandaten „sine clausula“, durch welche das Gericht, die Beilegung eines Streits anordnete, ohne dessen Umstände zuvor detailliert zu prüfen, vgl. Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfriede. (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 148.) Münster 2004, hier: S. 407 mit Anm. 652 sowie Manfred Uhlhorn, Der Mandatsprozess sine clausula des Reichshofrats. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 22.) Köln 1990, hier: S. 9. 185 Vgl. Andreas Schneider, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorganes des alten Reiches. (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte NordrheinWestfalens, Bd. 16.) Düsseldorf 1985, hier: S. 218–226, Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806), hier: S. 310-311 und Winfried Dotzauer, Die Deutschen Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches (1500–1806). Darmstadt 1989, hier: S. 277-279. Den Kreisabschied des Duisburger Kreistags im November 1581 unterzeichnete der Aachener Gesandte noch mit. Es war den Gesandten Herzog Wilhelms V. nicht gelungen, der Reichsstadt Aachen ihren Status als Stand des Kreises formal aberkennen zu lassen. Bis zur nächsten Kreisversammlung wurde allerdings durchgesetzt, dass das protestantisch dominierte Stadtregiment nicht als rechtmäßige Obrigkeit Aachens und Vertretung der Stadt auf den Kreistagen galt. Bis zur endgültigen Beilegung der Konflikte in Aachen sollten keine Vertreter der Stadt an den Versammlungen der Kreisstände teilnehmen. Tatsächlich fehlte die Unterschrift Aachener Vertreter unter den Abschieden des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises bis zum Jahr 1631. 186 Die Reichskanzlei hatte sich dagegen entschieden, dem vom Kaiser für unrechtmäßig erklärten protestantisch dominierten Stadtregiment die Ladung der Reichsstadt Aachens zuzustellen. Ursprünglich sollten die Vertreter des katholischen Exilregiments entsprechend den Befehlen Rudolfs II. in die Ausschreibung zum Reichstag einbezogen werden. Die Ladung sollte den katholischen Bürgermeistern, Schöffen und Ratsverwand-

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war eine Folge der bisher geführten Auseinandersetzungen, während derer die beiden Akteure, unterstützt von ihren politischen Partner, gegenseitig ihre Legitimität bestritten hatten. Aachen büßte damit wichtige politische Einflussmöglichkeiten ein.187 Auch nach den Entwicklungen bis zum Frühjahr 1582 war Aachen allerdings, als Reichsstand, der zum Beispiel erfolgreich vor dem Reichskammergericht klagen konnte, reichspolitisch nicht völlig isoliert. Der protestantisch dominierte Magistrat konnte somit weiter mit dem Verweis auf Gewaltmaßnahmen gegen Aachen darauf drängen, dass die Reichspolitik, insbesondere die protestantischen Reichsstände, sich mit der ‚Aachener Sache‘ auseinandersetzten. Eine Gesandtschaft des Magistrats, die zur Jahreswende 1581/1582 am Hof Rudolfs II. tätig war, betonte diese Notwendigkeit, während sie hauptsächlich weiter versuchte, das Verhalten des Rates gegenüber der letzten kaiserlichen Kommission zu rechtfertigen. Dabei wurden die Gesandten von Abgeordneten der Reichsstädte sowie einer Delegation Kursachsens und Brandenburgs unterstützt. Rudolf II. rückte aber nicht von seiner Position ab, allein die ‚Katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten‘ anzuerkennen.188 Der Kaiser sagte lediglich unverbindlich zu, die Einstellung der militärischen Maßnahmen gegen Aachen zu befehlen.189 Wie schon in der Korrespondenz mit dem Brabanter Kanzler und dem spanischen Statthalter führte der Magistrat auch durch seine Gesandtschaft an den Prager Hof bzw. zum Ungarischen Landtag in Pressburg, wo sich der Kaiser aufhielt, keine neuen Argumente in die Auseinandersetzung ein. Er verteidigte aber entschieden die Rechtfertigung der Aachener Protestanten durch die Berufung auf die Augsburger Konfession, indem er einige ten im Rahmen der für März 1582 geplanten Kommission übergeben werden. Als die Kommission nicht zu Stande kam, stand fest, dass Aachen auf dem Augsburger Reichstag nicht durch legitimierte Gesandte vertrete sein würde; vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 110. 187 Beispielhaft dafür ist die Aktivität des Ratssyndicus Gerlach Radermacher auf dem Speyerer Reichstag von 1570, die leicht über den Index in Lanzinner, Protokolleerschlossen werden kann. Vgl. außerdem Marc von Knorring (Hrsg.), Der Reichdeputationstag zu Worms 1564. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) München 2010, S. 95, Anm. 8; Leeb, Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559, hier: 1087, Anm. 1. 188 Vgl. Antwort des Kaisers auf die Gesandtschaft des Aachener Rats bestehend aus Bonifacius Colyn, Peter Vercken und Dieterich Hellesberg, Pressburg 19. Januar 1582 (Kopie). LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 71–72v. 189 Vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 149. Am 20. Januar und am 10. März 1582 wurde dem Herzog von Jülich–Kleve–Berg, dem Fürstbischof von Lüttich und dem Statthalter der spanischen Niederlande die Aufhebung der Blockade Aachens befohlen. Am 11. März 1582, nachdem auch das RKG ein entsprechendes Urteil gefällt hatte, nahm Wilhelm V. seinen Befehl zur Sperrung des Aachener Handels zurück. Auch Ernst von Bayern ließ die im Lütticher Gebiet zwei Monate zuvor begonnenen Maßnahmen gegen Aachen wieder einstellen, sodass lediglich die Übergriffe des Limburger Statthalters fortdauerten.

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Mitglieder des Stadtregiments, gegen die der Vorwurf erhoben worden war, Sektierer zu sein, verteidigte.190 Die enge Anlehnung an die protestantischen Reichsstände wurde zum festen Bestandteil der Argumentation des protestantisch dominierten Stadtregiments: Die kaiserliche Kommission nach Aachen, die Rudolf II. für den 21. März 1582 vorgesehen hatte, um entscheiden zu können, wie bei der Durchsetzung seiner Befehle weiter vorzugehen sei, lehnte der Magistrat in Aachen mit der Begründung ab, dass die ‚Aachener Sache‘ inzwischen im Reich eine solche Bekanntheit erreicht habe und so viele Stände daran interessiert seien, dass eine Lösung nicht allein zwischen der Aachener Obrigkeit und kaiserlichen Gesandten ausgehandelt werden dürfe. Nach der insgesamt erfolglosen diplomatischen Initiative am Hof des Kaisers hatten das protestantisch dominierte Stadtregiment und seine politischen Partner beschlossen, darauf hinzuarbeiten, dass die ‚Aachener Sache‘ auf dem Reichstag in Augsburg in ihrem Sinne entschieden würde.191 Wie bereits angedeutet, blieb auch die katholische Opposition gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment nicht untätig. Sie griff die politischen Partner der Aachener Lutheraner und Reformierten gezielt an. Der Verlauf der reichsstädtischen Kommission nach Aachen im September und Oktober 1581 diente dem Exilregiment als Beispiel für die Schädlichkeit der diplomatischen Bemühungen des protestantisch dominierten Stadtregiments.192 Die Gesandten der Städte hätten sich von Beginn der Kommission an in den Dienst des politischen Ziels der calvinistischen Machthaber in Aachen gestellt. Unter dem Zuspruch der Kommissare hätten die verbotenen Sekten in Aachen öffentlicher als jemals zuvor ihre Religion ausgeübt. Die entscheidende durch die Reichsstädte herbeigeführte Verschlechterung der Zustände in Aachen sei, dass durch die Aufnahme von Calvinisten, die zu 190 Vgl. Abschrifft Ettlicher herrn benantet des Calvinisch verdechtiger Ratsverwandter thun glaubenserklerungh der ERb freyen Reichsstette abgesandten [. . . ]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 105–107v. 191 Die Entscheidung, sich der für den März 1582 geplanten kaiserlichen Kommission zu verweigern und darauf zu verweisen, dass die ‚Aachener Sache‘ von den Reichsständen verhandelt werden müsse, trafen das protestantisch dominierte Stadtregiment auf Anraten Pfalzgraf Johann Casimirs; vgl. dazu die entsprechende Aussage des kurtrierischen Gesandten im Kurfürstenrat des Augsburger Reichstags am 23. August 1582, Josef Leeb (Hrsg.), Der Reichstag zu Augsburg 1582. Bd. 2. (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662.) München 2007, hier: S. 377. 192 Vgl. Catholische Bürgermeister, Schöffenmeister, Schöffen, Rathsverwandte geborne geerbte Burgerschaft Ew. Keis Matt. koniglichen stuels und stat Aach an Kaiser Rudolf II, 19. Oktober 1581, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 60; Albrecht Schrick für die katholischen Schöffenmeister, Schöffen und Bürgerschaft von Aachen an Kaiser Rudolf II, ohne Datum [nach dem 19. Oktober 1581], LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 56.

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den Rädelsführern des in Anwesenheit der kaiserlichen Kommissare ausgebrochenen Bürgeraufstands gehört hätten, in das Stadtregiment offen gegen kaiserliche Befehle verstoßen worden sei. Die Entwicklungen während der Anwesenheit der reichsstädtischen Gesandten, hätte die Einwohnerschaft Aachens gespalten. Während die Protestanten ihren Sieg feierten, seien viele katholische Bürger über den Verlauf der Ereignisse dermaßen in Sorge geraten, dass sie die Stadt verlassen hätten. Auch die Mitglieder des Exilregiments seien unter dem Eindruck von Bedrohungen und Schmähungen aus Aachen geflohen und hätten nun seit Monaten unter den Belastungen ihres Exils zu leiden, die unter anderem darin bestünden, dass das protestantische Stadtregiment ihnen ihren Besitz in der Stadt vorenthalten würde. Von der Uneinigkeit der Aachener Stadtgemeinde berichteten nicht nur die katholischen Bürgermeisten, Schöffen und Ratsverwandten, sondern auch der Aachener Erzpriester Johann Ellerborn, der Bürger und Einwohner der Stadt als vollkommen konfessionell gespalten darstellte.193 Für die im Streit liegenden Parteien – Exilregiment und protestantisch dominiertes Stadtregiment – benutzte Ellerborn fast ausschließlich konfessionelle Bezeichnungen. Während er von den außerhalb der Stadt gegen das Stadtregiment Opponierenden als „[. . . ] den Catholischen [. . . ]“ schreibt und ihre Anhänger unter der Bezeichnung „[. . . ] die Catholische Bürgerschaft [. . . ]“ zusammenfasst, ist von der anderen Seite des Konflikts als dem „[. . . ] angezogenen Regiment [. . . ]“ die Rede, das gemeinsam mit seinen Anhängern unter den Einwohnern Aachens als die „Sektischen“ bezeichnet wird. Beispiel für die Spaltung dieser beiden Gruppen seien ihre Reaktionen gewesen, als in der Bürgerschaft bekannt geworden sei, dass das Stadtregiment in die Hände der „Sektischen“ gefallen sei: „[. . . ] under gemeinenn sectenn, derenn gewissen hiemit gefreuet, [war] ein frolockenn, [. . . ] hinwider bey gemeinenn Catholischenn ein jemmerlich hertzen leidt und betrubnus erstanden [. . . ]“194 . Insbesondere hätten die Katholiken gefürchtet, dass Aachen bei den benachbarten Fürsten und dem Kaiser in Ungnade fallen würde, wenn nicht umgehend etwas gegen die Entwicklungen in der Stadt unternommen würde. So sei die Einigkeit der Bürgerschaft, die das protestantisch dominierte Stadtregiment anscheinend aufrecht erhalte, in Wahrheit längst zerbrochen. Auch die öffentliche Demonstration der bürgerlichen Einigkeit sei hinfällig: Die protestantischen „Widerwertigen“ hätten die beiden Pazifikationsedikte vom Mai und September 1581 gebrochen. Die jüngere der beiden Vereinbarungen zwischen den Ratsherren des 193 Vgl. Parochian Johann Ellerborn an den Herzog von Jülich, vom 8. Oktober 1581 [Abschrift]. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 60. Ellerborn hatte sein Schreiben an den Herzog von Jülich geschickt, damit dieser den Berichten der reichsstädtischen Gesandten keinen Glauben schenken würde. 194 Vgl. ebd.

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protestantisch dominierten Stadtregiments und der katholischen Opposition sei ohnehin ungültig, weil die wenigen katholischen Ratsherren, die das Edikt mit beschlossen hatten, zur Zustimmung gezwungen worden seien.195 Die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten hätten sich selbst erst als Reaktion auf die Aktivitäten des protestantisch dominierten Stadtregiments diplomatisch engagiert. Dabei hätten sie sich alleine an Kaiser Rudolf II. gewandt. Ihre Gesandtschaft zum Prager Hof zum Jahreswechsel 1581/1582 habe dafür geworben, dass etwas gegen das „unruhige Wesen“ der Protestanten unternommen würde.196 Während der diplomatischen Tätigkeit der Aachener Akteure bis zum Frühjahr 1582 hatten sich weniger die Positionen oder die Argumente der Akteure verändert als die politischen Rahmenbedingungen und damit die genauen Bezüge der Argumente. Die Akteure fanden als Kläger vor dem Reichskammergericht, Gesandte am kaiserlichen Hof und Korrespondenzpartner des Kaisers die Möglichkeit, sich im reichspolitischen Diskurs über die ‚Aachener Sache‘ zu positionieren. Nach dem Urteil des Reichskammergerichts gegen die Jülich-Lütticher Handelssperre passte das protestantisch dominierte Stadtregiment seine Argumentation noch einmal an. Es fand insbesondere in den Reichsstädten und Pfalzgraf Johann Casimir Unterstützer der Position, dass durch die kaiserlichen Kommissionen und Befehle sowie durch die militärischen Maßnahmen die reichsstädtischen Rechte Aachens verletzt würden und das Stadtregiment deswegen die Unterstützung der Reichsstände brauchte. Für die ‚katholische‘ Argumentation war wichtig, dass das kaiserliche Urteil zu Gunsten der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten mehrfach bestätigt worden war und von den benachbarten Regenten in Jülich, Lüttich und Brabant unterstützt wurde. Auf die Tatsache, dass sie noch immer auf die Umsetzung des kaiserlichen Urteils warten mussten, stützten sie ihren Vorwurf, dass es das Ziel des protestantischen Stadtregiments sei, die kaiserlichen Autorität zu untergraben. Bereits nach kurzer Zeit gewannen die Auseinandersetzungen zwischen den streitenden Aachenern Parteien eine Eigendynamik. Die erhöhten 195 Catholische Bürgermeister, Schöffenmeister, Schöffen, Rathsverwandte geborne geerbte Burgerschaft Ew. Keis Matt. koniglichen stuels und stat Aach an Kaiser Rudolf, 19. Oktober 1581, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 60. Die hier verwendete Selbstbezeichnung der katholischen Opposition verweist auf bereits diskutierte Argumente, durch die belegt werden sollte, dass das Exilregiment durch die Ämter und den gesellschaftlichen Status seiner Mitglieder eine höhere Legitimation aufweisen konnte, sich als ordentliche Obrigkeit zu bezeichnen, als die angeblich zugewanderten und in das Stadtregiment eingedrungenen protestantischen Amtsträger und Ratsherren in der Stadt. 196 Vgl. ebd. f. 37–37v.

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diplomatischen Aktivitäten der politisch handelnden Aachener war selbst Thema der Auseinandersetzungen: Die Akteure machten sich ihr jeweiliges außenpolitisches Engagement gegenseitig zum Vorwurf und mussten ihre Aktivitäten umfangreich rechtfertigen. Nicht zuletzt durch die Verfestigung der Selbst- und Fremddarstellungen, mit denen sich das protestantisch dominierte Stadtregiment und das katholische Exilregiment innerhalb des Diskurses über Aachen auf Reichsebene positionierten, wurde die direkte Kommunikation zwischen den beiden Gruppen soweit erschwert, dass ihre Gegensätze auf städtischer Ebene nicht mehr aufgehoben werden konnten: Das protestantische Stadtregiment sah sich als rechtmäßige und funktionale Obrigkeit, wurde aber von der katholischen Opposition als Verschwörung aufständischer und dem Kaiser trotzender Calvinisten betrachtet. Die katholische Opposition auf der anderen Seite verstand sich als breit aufgestellte Vertretung der Interessen von Kaiser und Katholizismus in Aachen – bestehend aus katholischen Amtsträgern, Ratsherren und Bürgern sowie aus katholischen Geistlichen Aachens. Die politisch aktiven Reformierten und Lutheraner in Aachen stellten das Exilregiment und dessen Anhänger als friedhässige Privatpersonen dar. Die Untersuchung der politischen Aktivitäten des protestantisch dominieren Stadtregiments und des katholischen Exilregiments in den Monaten vor Beginn des Augsburger Reichstags von 1582 zeigt nicht allein, dass dies die beiden Aachener Parteien waren, die sich in der Causa Aquensis gegenüberstanden; die Bedeutung ihrer Feindschaft für die kommenden Auseinandersetzungen ist keine Neuigkeit. Viel bemerkenswerter ist der Befund, dass die beiden Aachener Konfessionsparteien ihr Profile und ihre politischen Ziele sehr kurzfristig und mit einem starken thematischen Fokus auf die mögliche Exekution eines kaiserlichen Urteils in ihrem Streit entwickelt hatten. Dies lässt Raum für die Frage, ob die konfessionsbezogenen Rollen die Politik der katholischen und protestantischen Aachener dauerhaft bestimmen würden. Vorläufig entsprachen die konfessionellen Selbst- und Fremdzuschreibungen der Aachener den religionspolitischen Erwartungen von Kaiser und Reichsständen. Die Verhandlungen über Aachen fanden zu den Bedingungen der Reichspolitik statt. Somit waren nicht nur weite Teile der Diskussion über die politischen und konfessionellen Entwicklungen in Aachen auf die Reichsebene verschoben worden, sondern auch die politische Lösung der damit verbundenen Konflikte war nur noch von Entscheidungen auf dieser Ebene zu erwarten. Das protestantisch dominierte Stadtregiment das katholischen Exilregiment und ihre jeweiligen politischen Partner erwarteten die Entscheidung für eine solche Lösung während des bevorstehenden Reichstags in Augsburg.

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2.3.2 Die Causa Aquensis auf dem Augsburger Reichstag von 1582 Den bis dahin größten Teilnehmerkreis fand die Diskussion über die Causa Aquensis während des Augsburger Reichstags von 1582. Das protestantisch dominierte Stadtregiment wollte dort mit Hilfe der versammelten Vertreter der Reichsstände der Augsburger Konfession eine Lösung für den andauernden Streit über die Rechtmäßigkeit seines Regierungsanspruchs in Aachen finden, wohingegen das katholische Exilregiment die alleinige Entscheidungsgewalt des Kaisers über die Aachener Verhältnisse verteidigen wollte. Der Reichstag wurde am 3. Juli 1582 eröffnet. Erster Punkt und wichtigstes Verhandlungsthema der Versammlung war die Forderung Rudolfs II. nach einer Türkensteuer. Daneben setzten sich die versammelten Reichsstände und Gesandten vor allem mit der Bedrohung für das Reich auseinander, die von den Entwicklungen in den Niederlanden ausgingen. Konfessionskonflikte spielten hingegen weder in der kaiserlichen Proposition noch im Reichsabschied eine Rolle.197 Auch die ‚Aachener Sache‘ war weder in der Ausschreibung des Tages noch in der Proposition erwähnt worden, gewann aber in den Hauptverhandlungen über die Türkensteuer an Bedeutung.198 In Diskussionen über dieses Thema konfrontierten die Vertreter der beiden in Bezug auf Aachen gebildeten konfessionspolitischen Netzwerke die übrigen Reichsstände mit den Entwicklungen in Aachen und mehr noch mit deren reichs- und religionspolitischen Implikationen. Um die Reichstagsverhandlungen über die ‚Aachener Sache‘ und die Motive der beteiligten Akteure zu verstehen, ist es zunächst wichtig zu untersuchen, welche Ziele das protestantisch dominierte Stadtregiment Aachens und das katholische Exilregiment in Augsburg verfolgten und was sie zu deren Verwirklichung unternahmen. Der protestantisch dominierte Magistrat Aachens brachte eine ausführliche Darlegung des Verlaufs der politischen und konfessionellen Konflikte in die Reichstagsverhandlungen ein. Die Darlegung wurde unter dem Titel „Summarischer bericht. Was seidt den Jairen der geringer Zaal, 58. und 59. biß Ins jetzich p 82. Jhair, In diesem Königlichem Stuel und Statt Ach, so woll in Religions, alß anderen politischen sachen, sich zugetragen, unnd In was gefährlich und hochbeschwehrlichem Stand, dieselbe jetzo berowen“ den protestantischen Reichsständen vorlegte.199 Der Bericht führte die vom 197

Vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 65–67. Vgl. ebd., hier: S. 107–108. 199 „Was seidt den Jairen der geringer Zaal, 58. und 59. biß Ins jetzich p 82. Jhair, In diesem Königlichem Stuel und Statt Ach, so woll in Religions, alß anderen politischen sachen, sich zugetragen, unnd In was gefährlich unn hochbeschwehrlichem Stand, dieselbe jetzo berowen“, 7. Juni 1582 (Kopie). StA Wolfenbüttel, 1 Alt 1 A Nr. 37/1, f. 198

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protestantischen, politischen Netzwerk in den letzten Jahren etablierte Argumentation detailliert aus. Er fügte ihr darüber hinaus einige Aspekte hinzu und verschob stellenweise die Schwerpunkte. Der Magistrat argumentierte, dass das ‚Exilregiment‘ in den vergangenen Monaten aus zwei Gründen Zulauf hatte, die weder mit Konfessionskonflikten in Verbindung standen, noch in der Verantwortung des Stadtregiments lagen: Zum einen hätten einige katholische Bürger befürchtet, dass sie selbst unter den Gewaltmaßnahmen würden leiden müssen, die der Herzog von Jülich und Andere gegen Aachen ergriffen hatten, wenn sie nicht auf Distanz zum Stadtregiment gegangen wären. Um die Legitimation der Ausgewichenen noch weiter in Frage zu stellen, wurde das bereits früher geäußerte Argument aufgegriffen, dass das katholische Exilregiment gezielt Falschinformation über den Magistrat verbreite. Dadurch, und nicht etwa durch ehrliches Werben für ihre politischen Ziele, hätten die Gegner des Stadtregiments zeitweilig die Unterstützung einiger Bürger gewonnen. Konkret hätte sich die Verleumdungskampagne der gegen das Stadtregiment gerichteten Opposition zum Beispiel darin geäußert, dass der Dechant des Aachener Marienstift, Franz Voss, sich in seinen Predigten wiederholt abfällig und verleumdend gegen die Lutheraner und Reformierten in Aachen geäußert habe. Weiter hätten die katholischen Bürgermeister und Schöffen in der Stadt verbreiten lassen, dass die militärische Exekution gegen Aachen beschlossen worden sei und der Herzog von Parma den Auftrag erhalten habe, diese durchzuführen.200 Bei diesen Aktivitäten hätten die Ausgewichenen den religiösen Beweggrund, sie wollten den katholischen Glauben in Aachen erhalten, vorgeschoben. Ihre Motive seien aber machtpolitisch gewesen. Sie wollten das Stadtregiment übernehmen, wobei sie keine Skrupel hätten, die

107–175. Dass es sich bei dem Schriftstück nicht um einen neutralen und lediglich auf Vollständigkeit bedachtes Protokoll des Verlaufs der ‚Aachener Sache‘ handelte, ist nicht nur aus der Autorenschaft des protestantisch dominierten Magistrats ersichtlich. Durch Auflösung der chronologischen Reihenfolge des Berichts, Wiederholung bestimmter Aussagen und die Ausdeutung von Ereignissen aus dem Wissen um spätere Entwicklungen wird deutlich, dass das Stadtregiment mit dem Summarischen Bericht politische Standpunkte vertrat. Durch diese Besonderheiten der Darstellung, ist es nicht ohne Weiteres möglichen, den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse aus dem Bericht zu rekonstruieren. Ihn als Hauptquelle für die Geschichte der ‚Aachener Sache‘ bis zum Reichstag von Augsburg zu benutzen wie Macco, Zur Reformationsgeschichte Aachens während des 16. Jahrhundertsdies getan hat, führt zu Missverständnissen. 200 Vgl. Summarischer Bericht, f. 114v–115v. Außerdem: Verzeichnus wie der rath anno 80 und 81 vermög der gaffelbriefen und alter rathsordnunge versetzt und angestelt worden. Datiert auf den 18. Juli 1582, in: Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 234. Das Verzeichnis war offensichtlich für die Verhandlungen auf dem Reichstag als Beilage zum Summarischen Bericht erstellt worden.

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Bürger und Einwohner Aachens zu verunsichern und ihre Heimatstadt in Gefahr zu bringen.201 Neben solchen Argumenten, die darauf zielten, Legitimität und Selbstdarstellung des Exilregiments zu untergraben, lieferte das protestantisch dominierte Stadtregiment im ‚Summarischen Bericht‘ Entgegnungen auf rechtliche Argumente der katholischen Opposition. Das Recht des Aachener Rats, die Verfassung der Stadt auch unter Widerrufung früherer Absichtserklärungen der städtischen Obrigkeit und gegenteiliger Ratsbeschlüsse zu reformieren, wie dies 1574 mit der Wiederzulassung der Protestanten zum Rat geschehen sei, verteidigte der protestantisch dominierte Magistrat mit dem Verweis auf vergleichbare Vorgänge in der Reichsstadt Hagenau. Auch dort seien Protestanten in das Stadtregiment aufgenommen worden, nachdem die Beteiligung an der Regierung der Stadt zuvor den katholischen Bürgern vorbehalten gewesen war. Aachen sei als unmittelbarer Reichsstand berechtigt, dieselbe Entscheidung zu treffen. Zusätzlich untermauerte der Magistrat seine Rechtfertigung der Entscheidung von 1574 mit dem Hinweis, dass sie getroffen worden sei, um die Einigkeit der Bürgergemeinde und das Seelenheil der Protestanten in Aachen zu fördern.202 Das Seelenheil der protestantischen Bürger hätte, wie im ‚Summarischen Bericht‘ weiter argumentiert wird, einige Jahre später, 1579, auch durch die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung gefördert werden dürfen. Der Magistrat legte die gegenüber den kaiserlichen Kommissionen gegebenen Antworten, „noch zur Zeit“ keine Änderungen der Religion vorzunehmen, nachträglich eindeutig als Vorbehaltsklausel für eine spätere Anwendung des ius reformandi aus. Durch die Verknüpfung der Entscheidung für das exercitium publicum mit dem Seelenheil der Protestanten und der Einigkeit der Bürgergemeinschaft gab der Magistrat der Forderung, das ius reformandi der Reichsstadt Aachen anzuerkennen, erstmals eine dringliche Note und passte sich damit weiter der Argumentation der protestantischen Städte auf Reichsebene an. Die Argumente des ‚Summarischen Berichts‘ mit Bezug auf die durchgeführten Handelssperren und Militäraktionen gegen Aachen enthielten sehr selektive Zuweisungen der Verantwortung. Das protestantisch dominierte Stadtregiment versprach sich, durch die Konzentration seiner Vorwürfe auf einige vermeintliche Hauptschuldige wieder eine Verhandlungsgrundlage mit Akteuren wie dem Herzog von Jülich zu gewinnen, die sich bereits der katholischen Interessengruppe angeschlossen hatten. Detailliert und alarmierend berichtete der protestantisch dominierte Rat 201 202

Summarischer Bericht . . . , f. 110v f. Summarischer Bericht . . . , f. 112.

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von der Beteiligung des Statthalters von Limburg an den Übergriffen.203 Der Statthalter trage die Verantwortung für die schwersten Schäden, die Aachen zugefügt worden seien. Er habe darüber hinaus weitreichende Pläne gefasst, die militärischen Maßnahmen über die Handelsblockade und über Plünderungen des Aachener Landgebiets hinaus auszuweiten. Mit bereits begonnenen Musterungen im Maastrichter Raum sei der erste Schritt unternommen worden, Aachen zu belagern und zu erobern.204 Die höheren Instanzen in den spanischen Niederlanden hätten dem limburgischen Statthalter zwar nicht befohlen, gegen Aachen vorzugehen, würden die Übergriffe nun aber in Schutz nehmen. Die Angriffe spanisch-niederländischer Truppen auf Aachen und die politischen Angriffe auf den Magistrat hätten ein Ausmaß erreicht, das befürchten ließe, Aachen würde seinen Status als Reichsstand verlieren und aus dem Reichsverband gelöst werden. Die Verknüpfung der ‚Aachener Sache‘ mit dem Niederländischen Krieg entsprach der sowohl in der Pfalz als auch in Aachen wahrgenommenen Bedrohung durch die spanische Regierung. Sie erhöhte außerdem die Dringlichkeit, die Causa Aquensis auf dem Reichstag diskutieren. Während das protestantisch dominierte Stadtregiment sich erst mit dem ‚Summarischen Bericht‘ endgültig für die Diskussion auf dem Reichstag positionierte, hatte das katholische Exilregiment bereits im April 1582 durch die „Wahre Erzehlung . . . “205 seinen Standpunkt dargelegt. Demnach waren die Aachener Protestanten für die Ratsspaltung und den Bürgeraufstand von 1581 verantwortlich und der Kaiser habe ihnen mittlerweile befohlen, sich aus dem Stadtregiment zurückzuziehen. Ganz auf dieser Linie verfolgten das Exilregiment und seine Partner, Herzog Wilhelm V. von Jülich–Kleve–Berg und Kaiser Rudolf II., das Ziel, auf dem Reichstag jeden weiteren Beschluss zur ‚Aachener Sache‘ zu verhindern. Die kaiserlichen Befehle zur Einsetzung der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten als Stadtregiment sollten für die Lösung der Konflikte in Aachen ausschlaggebend bleiben. Ein Reichstagsbeschluss und die damit notwendig einhergehende Beteiligung der protestantischen Reichsstände am Entscheidungsprozess hätte das in Frage gestellt. Um die alleinige Entscheidungsbefugnis des Kaisers in der 203

Summarischer Bericht . . . , f. 156–161. Die Umsetzung der Pläne sei demnach bisher nur daran gescheitert, dass die in Maastricht ausgehobenen Truppen sich geweigert hätten, sich gegen Aachen einsetzen zu lassen, weil sie zu Dienstleistungen außerhalb Limburgs nicht verpflichtet seien und sie außerdem immer in nachbarlicher Beziehung zu der Reichsstadt gestanden hätten; vgl. Summarischer Bericht . . . , f. 160v. 205 „wahre erzehlung und ahnzeig wahrin das itzige Achische Religion und Politisch unwesen verstanden, und warauf dasselbig dieser zeit berauwe“, 24. April 1582 (Kopie), StAAa, RA II. Allg. Akt. 866, f. 29–37v. 204

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‚Aachener Sache‘ zu verteidigen, genügte der Hinweis darauf, dass das protestantisch dominierte Stadtregiment unrechtmäßig sei und sich des Ungehorsams gegenüber dem Kaiser schuldig gemacht hatte. Die einfache, gemeinsame Grundhaltung von Exilregiment, Herzog Wilhelm V. und Rudolf II. führte dazu, dass die Mitglieder der protestantischen Interessengruppe die Argumentationen der katholischen Akteure nicht mehr getrennt voneinander wahrnahmen, sondern bestimmte Äußerungen eines Akteurs umstandslos einem anderen zuschrieben. Zum Teil war diese Zuschreibung dadurch bedingt, dass sich die Argumente der katholischen Akteure auf städtischer, regionaler und reichsweiter Ebene tatsächlich gegenseitig ergänzten und nun ein gemeinsames Korpus von konfessionalistisch, katholischen Aussagen zur ‚Aachener Sache‘ bildeten. Zu einem anderen Teil war die Nivellierung der Unterschiede zwischen einzelnen katholischen Akteuren in der Wahrnehmung der Protestanten aber Ausdruck der wachsenden Bereitschaft, auch des protestantisch dominierten Stadtregiments, die Bildung von religionspolitischen Lagern im Reich entsprechenden konfessionellen Interessengruppen in Bezug auf die ‚Aachener Sache‘ anzuerkennen und sich daran anzupassen. Dennoch widersprach das Stadtregiment weiterhin der Auslegung der Causa Aquensis als reiner Religionssache. In den Augen der katholischen Interessengruppe verstrickte sich das protestantisch dominierte Stadtregiment in Widersprüche. Die Kaiserlichen legten dar, das „angemaßte“ protestantische Stadtregiment widerspreche den Absichten, die Karl der Große bei der Gründung Aachens verfolgt hätte, weil dieser die Stadt als katholische Stadt gestiftet habe.206 Die Gesandten des in Aachen regierenden Rates vermieden in ihrer Entgegnung weiter die direkte Konfrontation mit dem Kaiser, ordneten dessen Argumentation aber gleichzeitig einer gegen sich gerichteten katholisch konfessionalistischen Politik zu. Das Urteil des Kaisers hatte dazu geführt, dass keine der Gruppen, die für sich beanspruchten, die rechtmäßige Obrigkeit der Reichsstadt Aachen zu stellen, bei der Ausschreibung des Reichstages bedacht worden war. Während sich die Abgeordneten des Exilregiments damit begnügten, für ihre Sache zu werben, bemühten sich die Gesandten des protestantisch dominierten Stadtregiments um die Anerkennung als Delegation der Reichs-

206 Gravamina der Reichsstädte: Bericht des Kaisers zu den Verhältnissen in Aachen sowie zu den Gravamina der Städte Augsburg, Lübeck und Goslar. Den Reichsständen zusammen mit der Stellungnahme des Kaisers zu den Städtegravamina übergeben am 30. Juli, In: Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, S. 948–951, hier: S. 948.

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stadt.207 Entsprechende Vorstöße blieben ergebnislos, zeigten aber, welche Interessengruppen sich in Bezug auf die Causa Aquensis zu bilden begannen. Ähnlich aufschlussreich sind die Meinungen, welche Berechtigung die städtische Gravamina hatte, in der die Beschwerden des Magistrats in Aachen ein prominente Stelle einnahmen.208 Die Städte hatten die Abstellung ihrer Beschwerden außerordentlich nachdrücklich gefordert. Sie wollten nicht in die Verhandlungen über die vom Kaiser vorgegebenen Hauptartikel eintreten, bevor ihre Beschwerden abgestellt waren. Damit verweigerten sie die in Hauptartikel eins vom Kaiser geforderte Türkenhilfe und setzten sich in diesem Punkt über die Beschlüsse der höheren Stände hinweg. Zu den reichsstädtischen Gravamina gehörten die Klagen über die Übergriffe auf Aachen und die konfessionell motivierten Benachteiligungen des pro207

Die Anerkennung als Vertreter der Reichsstadt Aachen war auf dem Reichstag besonders wichtig, weil seit die Zahl der Supplikationen an den Reichstag beträchtlich gestiegen war, die versammelten Stände diskutierten, ob sie sich tatsächlich mit jeder Eingabe auseinandersetzen sollten – vgl. Helmut Neuhaus, Supplikationen auf Reichstagen des 16. Jahrhunderts. Zahl, Inhalt und Funktion, in: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 73.) Göttingen 2006, S. 149–162, hier: S. 156–158. Wenn die streitenden Aachener Parteien nicht Vertreter eines Reichsstandes waren, waren sie Privatpersonen, deren Anliegen auf geringeres Interesse hätten stoßen können. Darüberhinaus eignete sich der Reichstag für die beiden Parteien in besonderer Art und Weise dazu, ihren beanspruchten politischen Status symbolisch zu repräsentieren – vgl. Barbara StollbergRilinger, Die Symbolik der Reichstage. Überlegungen zu einer Perspektivenumkehr, in: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 73.) Göttingen 2006, S. 77–94, hier: S. 91. Zu den Überlegungen am kaiserlichen Hof, die zum Ausbleiben der Ausschreibung an beide streitende Parteien in Aachen führte vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 110. 208 Im Kurfürstenrat plädierten die pfälzischen Gesandeten am 12. Juli für die Zulassung der Abgeordneten des protestantisch dominierten Rates, vgl. Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, hier: S. 288; der Städterat billigte am 10. Juli die Städtegravamina, unter deren sechsten Artikel beklagt wurde, dass die Reichsstadt Aachen nicht zum Reichstag geladen worden war, ohne dass dafür eine Rechtsgrundlage vorliege, ebd., hier: S. 939. Zuvor hatten die Gesandten des protestantisch dominierten Rates zunächst ohne Ladung an den Sitzungen des Städterates teilgenommen, bis sie am 10. Juli bis zu einer Entscheidung der Sache ausgeschlossen wurden, vgl. Städteratsprotokoll vom 5. Juli und vom 10. Juli, in: ebd., hier: 598 u. 607. Gegen die Unterstützung der Reichsstadt Aachen bei der Abstellung ihrer Beschwerden, wie sie in der Gravamina gelistet wurden, votierten die Abgeordneten Rottweils und Dinkelsbühls, vgl. Städteratsprotokoll vom 6. Juli und 10. Juli, in: ebd., hier: 599 u. 608; Im Fürstenrat stimmten am 23. Juli Pfalz-Lautern, Pfalz-Neuburg, Sachsen, Brandenburg-Ansbach, Braunschweig (Julius, Wolfgang), Pommern (Johann Friedrich, Ernst Ludwig), Württemberg, Halberstadt, Hessen (drei Lgff.), Baden-Durlach, Anhalt, Henneberg und die Wetterauer Gff. für eine Intervention zu Gunsten Aachens wegen der von der Reichsstadt vorgebrachten Beschwerden, vgl. ebd., hier: S. 462.

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testantischen Rates.209 Ihre Abstellung ließ sich gegen den Widerstand des Kaisers am schwersten durchsetzen. Der Kaiser rügte die Reichsstädte für die mit ihren Gravamina verbundenen Forderungen und befahl ihnen mehrfach, die Beratungen über die Hauptartikel aufzunehmen. Die höheren Reichsstände vertraten mehrheitlich die Meinung, dass den Reichsstädten weder ihr forderndes Auftreten gegenüber dem Kaiser gestattet werden dürfe noch zugelassen werden sollte, dass sie zur Türkenhilfe ein anderes Votum abgaben.210 Besonders die Kurpfälzischen und Pfalz-Lauterschen Gesandten warben hingegen dafür, anzuerkennen, dass die Reichsstädte Steuerleistungen verweigern durften, so lange sie durch schwere Gravamina belastet seien. Auch seien die Beschwerden der Städte, anders als von einigen katholischen Ständen behauptet, nicht beleidigend für den Kaiser gewesen.211 Vor allem katholische Reichsstände hatten die Städte für ihre unberechtigten Vorwürfe gegen Rudolf II. kritisiert: Keinesfalls habe der Kaiser mit seiner Entscheidung in der Causa Aquensis gegen den Religionsfrieden verstoßen.212 Die Kontroverse über die reichsstädtischen Gravamina verlagerte den Schwerpunkt weiter auf die reichsrechtlichen Aspekte des Konflikts. Die Reichsstände diskutierten unter dem Stichwort der Aachener Frage nun nicht mehr nur das reichsstädtische ius reformandi und votum decisivum sondern auch das Verhältnis eines Stadtregiments zu seinem Stadtherren.213 209

Vgl. Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, hier: S. 939–941. Am 12. Juli beschloss der Städterat die Kopplung der Verhandlungen über die Türkensteuer an die Abstellung ihrer Beschwerden, insbesondere in Bezug auf Aachen. Abweichende Voten dazu wurden von Regensburg und Rottweil abgegeben, vgl. ebd., hier: S. 609–610. Nachdem die höheren Stände die Türkenhilfe am 24. Juli bewilligt hatten, bestätigten die Städte, ihre Bedingung für die Aufnahme der Beratungen, vgl. Ebd. S. 619. Zu den Reaktionen des Kaisers vgl. Gravamina der Reichsstädte: Stellungnahme des Kaisers, Den Reichsstädten auf deren Supplikation hin übergeben und im Städterat verlesen am 7. August, In: ebd., hier: S. 946–947; Gravamina der Reichsstädte: Mündliche Verhandlungen des Kaisers mit den Reichsstädten am 4. September, in: ebd., hier: S. 988 mit der Aufforderung, die Bedingung für die Gewährung der Türkenhilfe aufzugeben. Die höheren Reichsstände gaben ein gespaltenes Votum zur Berechtigung der städtischen Bemühungen zur Abstellung ihrer Beschwerden ab. Das Mehrheitsvotum kritisierte das Verhalten scharf (ebd., hier: S. 970–972), während es in einer Sonderresolution der Confessio Augustana-Stände des Fürstenrats die Städte unterstützte (ebd., hier: S. 974–980). 211 Vgl. die Voten der Lauterer im Fürstenrat am 18. August (ebd., hier: S. 530–540). 212 Vgl. ebd. die Beiträg von Worms und Würtemberg am 18. August neben der Stellungnahme der Kurfürsten und Fürsten zur reichsstädtischen Gravamina ebd., hier: S. 970–972. 213 So stellten die Augsburger Gesandten im Städterat heraus, dass es seit Jahren keine so günstige Gelegenheit zur Erringung des votum decisivum für die Städte gegeben habe wie jetzt: Viele Stände würden die Sache der Städte unterstützen, vgl. ebd., hier: S. 649. 210

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Die Reichsstädte zogen aus dieser weitreichenden Bedeutung ihrer Gravamina und besonders der ‚Aachener Sache‘ die Konsequenz, über die Einzelheiten des Konfliktes, das heißt über die konkreten Streitpunkte zwischen dem protestantisch dominierten Stadtregiment und dem katholischen Exilregiment, nicht mehr zu verhandeln. In diesem Zusammenhang entschied der Rat der Reichsstädte auch, den „Summarischen Bericht . . . “ nicht in dem Ausschuss, zu verhandeln, der aus Vertretern von Straßburg, Speyer, Frankfurt, Regensburg, Nürnberg und Ulm zusammengestellt wurde, um über das Vorgehen in der ‚Aachener Sache‘ zu beraten. Er sei zu detailliert und der Verlauf der Auseinandersetzungen in Aachen sei hinreichend bekannt.214 Später betonten Vertreter der Städtekurie des öfteren, dass den Reichsstädten nicht daran gelegen sei, die Auseinandersetzung zwischen den streitenden Parteien in Aachen im einzelnen zu verhandeln.215 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass auch das katholische Köln die städtischen Gravamina, in denen Aachens Beschwerden weiten Raum einnahmen, mittragen konnte, indem die Abgesandten darauf hinwiesen, dass zwar die Religionspolitik des Aachener Rates nicht zu unterstützen sei, wohl aber die Verteidigung der reichsstädtischen Privilegien Aachens216 Sie forderten einen Lösungsweg für die ‚Aachener Sache‘ , der die religiösen und weltlichen Rechte der Städte insgesamt wahrte. Die Auseinandersetzungen um Aachen wären eine Religionssache und dadurch für die Reichsstände und den Reichstag von Interesse. Eine solche Lösung müsse die Einstellung aller Gewaltmaßnahmen gegen Aachen umfassen. Tatsächlich waren die Jülicher Handelssperre und die meisten ähnlichen Unternehmungen gegen Aachen zu Beginn des Reichstages bereits aufgehoben worden.So konnten die Unterstützer des in Aachen regierenden Magistrats ihre Vorstöße auf dem Reichstag nicht mehr in erster Linie gegen die Gewaltmaßnahmen und das Unrecht richten, das Aachen vor dem Reichskammmergericht geschehen sei.217 Hauptsächlich verwiesen die politischen Partner des in Aachen regierenden Magistrats stattdessen auf die Notwendigkeit, den Konflikt in Aachen endgültig beizulegen, wobei sichergestellt werden müsse, dass es zu keiner 214

Vgl. Städteratsprotokoll vom 6. Juli, in: Leeb, Einleitung, hier: S. 598. Vgl. Dazu bspw. Die Einlassung Straßburgs im Städterat am 5. August, in: ebd., hier: S. 630–631. 216 Vgl. ebd., hier: 645–646 mit Anm. 9 sowie Städterat am 30. August, ebd. S. 650). 217 Mit dem Hinweis auf diesen Umstand, wiesen kaiserliche Räte am 12. September 1582 die Forderungen von Abgesandten des Städterats nach einer gemischtkonfessionellen Kommission zur Entscheidung der ‚Aachener Sache‘ zurück: Wie durch seine Entscheidung bezüglich der Exekutionsmaßnahmen Jülichs und anderer habe der Kaiser sich bei allen Entscheidungen bezüglich der Causa Aquensis dem Reichsrecht entsprechend verhalten und werde den Konflikt in Aachen auch weiterhin amts- und pflichtgemäß beizulegen versuchen; vgl. ebd., hier: S. 668. 215

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dem Religionsfrieden widersprechenden Benachteiligung der Augsburger Konfessionsverwandten in Aachen komme. Dazu müsse eine Kommission die Verhältnisse in Aachen erneut untersuchen. An der Gesandtschaft sollten Vertreter der Augsburger Konfessionsverwandten und Katholiken teilnehmen. Die Reichsstände, die sich in Augsburg für eine solche gemischtkonfessionelle Kommission aussprachen, argumentierten dabei in unterschiedlichem Maße protestantisch-konfessionalistisch und anti-kaiserlich: Während der kaiserlichen Politik in der ‚Aachener Sache‘ konfessionelle Parteilichkeit vorgeworfen wurde, wurde an anderer Stelle betont, dass eine Religionssache wie die Aachener ganz allgemein die Beteiligung der protestantischen Stände erfordere, da sie für die Aufrechterhaltung des Religionsfriedens mitverantwortlich seien. Auch wurde die erneute Untersuchung der ‚Aachener Sache‘ damit begründet, dass die Streitparteien und insbesondere das katholische Exilregiment unvollständige und unwahre Informationen über die Verhältnisse in Aachen verbreitet hätte, die überprüft werden müssten.218 Dieses Argument zeigt, dass die Reichsstände, die mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment eine Interessengruppe gebildet hatten, in ihrer Beurteilung der ‚Aachener Sache‘ von dem Abgrenzungsprozess beeinflusst wurden, der in Aachen zwischen dem regierenden Rat und dem katholischen Exilregiment stattfand. Weil auch Argumente für die gemischtkonfessionelle Gesandtschaft nach Aachen sprachen, die nicht mit der antihabsburgischen Aktionspolitik der Pfälzer in Verbindung standen, waren grundsätzlich auch kaisertreue und dezidiert lutherische Reichsstände davon zu überzeugen. Schon bevor die protestantischen Kurfürsten und Fürsten zu einem abschließenden Urteil darüber gekommen waren, ob sie ein Gutachten zur ‚Aachener Sache‘ an den Kaiser geben sollten und wie dieses ausfallen sollte, hatte Kursachsen Rudolf II. mitgeteilt, dass es für eine mögliche gemischtkonfessionelle Kommission nach Aachen sächsische subdelegierte Kommissare bereitgestellt würde.219 Andere lutherische Stände wie Württemberg mahnten während der Beratungen an, dass es gefährlich und falsch sei den Aachener Protestanten Unterstützung zukommen zu lassen, solange sie nicht den Verdacht ausgeräumt hätten, dass sie Calvinisten seien und somit nicht auf dem Boden der Confessio Augustana stünden.220 Die protestantischen Stände griffen 218 Die Reichsstände schlossen sich mit dieser Argumentation der Linie des Aachener Stadtregiments an, die dessen Abgesandte am 24. Juli den Confessio Augustana-Ständen noch einmal in einer Supplikation darlegten (vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 1034). 219 Vgl. Kurfürstenrat vom 21. August, in: ebd., hier: S. 368–369. 220 Zur Vorreiterrolle Württembergs bei der theologischen Formierung des orthodoxen Luthertums vgl. Hermann Ehmer, Württemberg, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung.

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dieses Argument in den weiteren Verhandlungen kaum wieder auf. Die geringe Resonanz auf die mangelnde Treue der Aachener Protestanten zur Augsburger Konfession hing eventuell mit den Anstrengungen zusammen, die Kursachsen und Kaiser Rudolf schon im Vorfeld des Reichstags unternommen hatten, um Streitigkeiten über die Konkordienbewegung und andere konfessionelle Streitfragen auf der Versammlung möglichst zu verhindern.221 Auch unabhängig von dieser speziellen Initiative waren die protestantischen Reichsstände in der Regel bereit, ihre politische Einigkeit und den Schutz, den ihnen der Religionsfrieden bot, nicht durch Ab- und Ausgrenzungen einzelner Stände aufgrund theologischer Fragen zu gefährden. Das heißt, dass das genaue Bekenntnis der Aachener Protestanten außer Acht gelassen werden konnte, um das politische Prinzip aufrecht zu erhalten, dass protestantische Reichsstände dem Schutz des Religionsfriedens unterstanden. Unter diesen Umständen waren es vorrangig die katholischen Reichstagsgesandten, die mit dem mutmaßlichen Calvinismus der Aachener argumentierten. Allerdings stand auch für die Katholiken dieses Argument nicht im Mittelpunkt. Im Fürstenrat vertraten die katholischen Stände die Position, die ‚Aachener Sache‘ sei dem Kaiser anheimzustellen. Die katholische Mehrheit in dieser Kurie sorgte dafür, dass diese Position dem Kaiser als Beschluss der Fürsten vorgetragen wurde.222 Auf ähnliche Weise stellten die geistlichen Kurfürsten dem Kaiser die Entscheidung anheim. Die Confessio Augustana-Stände gaben jeweils in ihren Sonderverhandlungen beschlossene Minderheitsvoten ab. Insbesondere die Gesandten aus der Pfalz betonten, dass Kurfürsten und Fürsten die Heimstellung nicht einhellig beschlossen hatten.223 Zur argumentativen Untermauerung ihres Votums hatten die katholischen Stände angeführt, der Kaiser werde den Aachener Konflikt beenden, von dem wegen der religiösen Abweichung und des politischen Ungehorsams des protestantisch dominierten Rates eine Gefahr für das Reich ausgehe. Im Rahmen dieser Argumentation entwickelten nur diejenigen Stände eine eigene Position zur ‚Aachener Sache‘ , die direkt an den Verhältnissen in der Stadt und der ihr benachbarten Region interessiert waren. Jülich und Brabant rechtfertigten ihre Exekutionsmaßnahmen gegen die Reichsstadt unter anderem damit, dass die Aachener als calvinistische Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 168–193, hier: S. 184–186. 221 Vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 72–73. 222 Vgl. Gravamina der Reichsstädte: Resolution von Kurfürsten- und Fürstenrat. Dem Kaiser übergeben am 25. August, in: Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, hier: S. 970–972. 223 Vgl. ebd. S. 971–972.

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‚Sektierer‘ nicht unter dem Schutz des Religionsfriedens stünden. Die beiden hauptverantwortlich hinter den Blockademaßnahmen gegen Aachen stehenden Fürstentümer führten darüber hinaus die Privilegien an, die sie in Aachen genossen hätten, um darzulegen, dass sie im Gegensatz zu den Reichsstädten und anderen entfernten protestantischen Reichsständen das Recht hätten, sich in der Causa Aquensis politisch zu engagieren. Die Jülicher Gesandten provozierten die protestantischen Stände darüber hinaus: Wie der kaiserliche Gesandte Philipp von Nassau während der Kommission nach Aachen im Sommer 1581 bestritt Jülich auf dem Augsburger Reichstag 1582, dass Aachen reichsunmittelbar sei.224 Zumindest bei einer Gelegenheit stellten die Jülicher Gesandten darüber hinaus die Gültigkeit des Religionsfriedens grundsätzlich in Frage. Nach dem Abschluss des Tridentinischen Konzils seien die Augsburger Beschlüsse von 1555, die hätten gelten sollen, bis ein Religionsvergleich gefunden war, hinfällig.225 Die protestantischen Reichsstände reagierten, indem sie noch stärker die prinzipielle Bedeutung der ‚Aachener Sache‘ für die Reichsreligionspolitik betonten und nicht auf ein Debatte über die tatsächliche juristische und politische Bedeutung der Jülicher und Brabanter Rechte in Aachen eingingen. Die Vertreter des Kaisers lenkten die Debatte in dieselbe Richtung. Am kaiserlichen Hof hatte Reichssekretär Erstenberg bereits im Vorfeld des Reichstags befürchtet, Aachen könne protestantisch werden, nachdem es misslungen war, die Befehle des Kaisers zu Gunsten des katholischen Exilregiments durchzusetzen, bevor die protestantischen Reichsstände auf der Reichsversammlung Gelegenheit erhielten, Einfluss auf den Verlauf der ‚Aachener Sache‘ zu nehmen. Mit Aachens Religionswechsel wären mit der Ausnahme Kölns alle Reichsstädte für den Katholizismus verloren. 226 Die Wahrnehmung der ‚Aachener Sache‘ als konfessionspolitische Bedrohung hatte sich seitdem genauso wenig verändert wie der Entschluss des Kaisers, die Verhältnisse in Aachen durch einen konsequenten gegenreformatorischen Kurs zu ordnen. Haltung und Absicht des Kaisers zur ‚Aachener Sache‘ blieben den protestantischen Reichsständen in Augsburg nicht verborgen. 224 Jülich zweifelte nicht nur aus den ausdrücklich angeführten politischen und juristischen Gründen an der vollen Reichsstandschaft Aachens. Wie André Krischer, Das diplomatische Zeremoniell der Reichsstädte oder Was heißt Stadtfreiheit in der Fürstengesellschaft?, in: Historische Zeitschrift 284.1 (2007), S. 1–30 zeigt, hatte politische Freiheit im Sinne von Souveränität in der Frühen Neuzeit einen zeremoniellen und adeligen Charakter, der es Reichsstädten sehr schwierig machte, Anerkennung zu finden. 225 Vgl. Fürstenrat am 18. August (Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, hier: S. 537– 539) und am 22. August (Ebd. S. 545). Zur Verbreitung ähnlicher Argumente gegen die Gültigkeit des Religionsfriedens vgl. Strohm, Konfessionsspezifische Zugänge zum Augsburger Religionsfrieden bei lutherischen, reformierten und katholischen Juristen, hier: S. 150–151. 226 Vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 147.

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Sie nahmen die kaiserliche Position als gefährliche gegenreformatorische Politik wahr. Der Eindruck verstärkte sich noch dadurch, dass während des Reichsstags auch der päpstliche Legat Madruzzo Rudolf II. riet, in der Causa Aquensis nicht vom eingeschlagenen Kurs abwzuweichen.227 Denjenigen protestantischen Reichsständen, die das protestantisch dominierte Stadtregiment in Aachen unterstützten, blieb, nachdem ihr Versuch, den Kaiser zum Wechsel seines Kurses zu zwingen gescheitert war, lediglich die Möglichkeit, verzögernd und mildernd auf die Umsetzung der Befehle des Kaisers einzuwirken. Die Frage, wie die Reichsstadt Aachen für das Reich zu erhalten sei und wie sie der Landfriedensordnung entsprechend vor militärischen Übergriffen zu schützen sei, rückte neben den Themen ius reformandi und volle Reichsstandschaft für die Reichsstädte in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über die ‚Aachener Sache‘ auf dem Reichstag. Durch die erhöhte Anteilnahme der Reichstagsteilnehmer wurde die Diskussion noch weiter als bisher thematisch und argumentativ verengt und an die auf Reichsebene vorherrschenden religionspolitischen Diskurse angepasst. Die Akteure auf dem Reichstag hatten mehrheitlich einen großen Abstand zu den innerstädtischen Aachener Konflikten. Sie waren nicht über die Details der Auseinandersetzungen informiert und sie waren nicht direkt an deren Ausgang interessiert. Der Abstand zur ‚Aachener Sache‘ gab ihnen die Freiheit, ihre Argumentation zu diesem Thema völlig in ihre reichs- und religionspolitische Linie einzupassen. „Die Aachener Frage wurde instrumentalisiert für die höhere reichsrechtliche Zielsetzung“228 . Auf diese Weise entwickelten Reichsstände und Kaiser einen von den Aachener Verhältnissen und konkreten Ereignissen in Aachen weitgehend abgelösten Diskurs über die Causa Aquensis. Die Aachener Akteure konnten sich diesem Diskurs zweiter Ordnung, der im Reich über ihre Konflikte geführt wurde, nicht verschließen. Die politische Entscheidung über den Ausgang der Auseinandersetzungen wurde nicht nur auf Reichsebene getroffen, sondern konnte auch nur auf Reichsebene ausgehandelt werden. Die Ereignisse in Aachen und die Anliegen der Aachener Akteure waren für die reichsstädtischen Vertreter auf der Versammlung der Aufhänger für einen Vorstoß auf das votum decisivum, das ius reformandi und die vollwertige Reichsstandschaft für die Reichsstädte. Die Auseinandersetzung über diese reichsrechtlichen Themen erschwerte den protestantischen Stän227 Die Reichsstädte gewannen den Eindruck, dass es maßgeblich dem Einfluss Madruzzos geschuldet war, dass der Kaiser nicht auf ihre Bemühungen um die Abstellung der Aachener Beschwerden einging (vgl. Neues Konzept des Städterats zur Bereinigung der Gravamina. Gesinnungswandel des Kaisers Auf Grund der Einflussnahme Madruzzos vom 13. September, in: Leeb, Der Reichstag zu Augsburg 1582, hier: S. 672). 228 Vgl. Leeb, Einleitung, hier: S. 68.

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den die Einigung auf die Unterstützung des unter Calvinismusverdacht stehenden protestantisch dominierten Stadtregiments. Wäre dieses konfessionspolitische Zugeständnis unter Umständen noch zu erhalten gewesen, war die Forderung nach dem votum decisivum für die Reichsstädte gegen den Widerstand vieler Fürsten und Kurfürsten nicht durchzusetzen. An der Lagerbildung über diese Frage scheiterte der Versuch der protestantischen Stände, wirkungsvollen Druck auf den Kaiser aufzubauen. Allerdings hatten sich die protestantischen Stände in der Aachener Frage nicht völlig entlang einer durch den Konkordienstreit oder die fürstliche Abwehrhaltung gegenüber den reichsstädtischen Gleichberechtigungsforderungen vorgegeben Linie gespalten. Vielmehr waren auch dezidiert lutherische Städte und Fürsten sowie auch Kursachsen dazu bereit gewesen, sich in gewissen Grenzen für die Belange des protestantisch dominierten Stadtregiments einzusetzen. Die kurpfälzischen und pfalz-lauterschen Gesandten hatten sowohl das reichsstädtische ius reformandi als auch das Recht der Städte, ihre Reichssteuerleistungen entgegen der Beschlüsse der höheren Stände zu verweigern, verteidigt.229 Entsprechend uneindeutig waren der Ausgang der Verhandlungen der protestantischen Reichsstände über die ‚Aachener Sache‘ und die Ergebnisse, die der Reichstag insgesamt für die Entwicklungen in Aachen erbrachte: Die Eingaben des Kurfürsten- und des Fürstenrats an Rudolf II. hatten dem Kaiser im Kern die Entscheidung in der ‚Aachener Sache‘ überlassen und ihm lediglich empfohlen, die Lösung der Konflikte durch die Einsetzung einer gemischtkonfessionellen Kommission zu suchen. Die vorangegangenen Verhandlungen hatten aber gezeigt, dass die protestantischen Reichsstände die Causa Aquensis mit großer Einhelligkeit als Religionssache betrachteten, die vom Kaiser allein nicht entschieden werden konnte. So boten die Auseinandersetzungen während des Reichstags einige argumentative Anknüpfungspunkte für den weiteren Verlauf der Diskussion in Reich, Region und Stadt. 2.3.3 Festschreibung der Uneindeutigkeit 1584 Nach dem Augsburger Reichstag von 1582 stand fest, dass über die Causa Aquensis bis auf weiteres nach den Maßtäben der Reichsreligionspolitik 229 „Die Bewilligung der Reichssteuern war die wichtigste Waffe der Reichsstände, um ihren Vorstellungen auch gegenüber den Kaisern den nötigen Nachdruck zu verleihen.“ – Georg Schmidt, „Aushandlung“ oder „Anordnung“. Der komplementäre Reichs-Staat und seine Gesetze im 16. Jahrhundert, in: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 73.) Göttingen 2006, S. 95–116, hier: S. 113.

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verhandelt und entschieden würden. Diese Weichenstellung wirkte sich bereits während der Kommission aus, die Sächsische und Trierer subdelegierte Kommissare 1584 im Auftrag Kaiser Rudolfs II. nach Aachen unternahmen. Ihrer Instruktion gemäß sollte die Kommission die Möglichkeit erkunden, den Konflikt zwischen dem protestantisch dominierten Stadtregiment in Aachen und dem katholischen Exilregiment entsprechend der bisherigen kaiserlichen Befehle beizulegen. Die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten sollten restituiert werden. Darüber hinaus sollten sie für die Unkosten, die sie während ihres Exils gehabt hatten, durch die Mitglieder des Stadtregiments in Aachen entschädigt werden.230 Die Kommission sollte die Verantwortung des protestantisch dominierten Rates für das Exil der katholischen Opposition und für den Konflikt in Aachen insgesamt nachweisen – aus kaiserlicher Sicht zum wiederholten Mal. Insbesondere sollte durch sorgfältige Erkundigungen des städtischen Religionswesens nachgewiesen werden, dass das Stadtregiment in Aachen entgegen der kaiserlichen Befehle Veränderungen der Religion eingeführt hatte. Der Auftrag an die Kommissare, den konfessionellen Verhältnissen in Aachen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, war insofern auffällig, als er scheinbar der Charakterisierung der ‚Aachener Sache‘ als vornehmlich politischer Sache in den einleitenden Sätzen der Instruktion widersprach. Mit dieser Einordnung hatte Rudolf II. zeitweilig das Argument, in der ‚Aachener Sache‘ als Rechts- und Friedensstifter zu handeln, gestärkt und sich notwendiger Weise gegen den Vorwurf protestantischer Stände verwahrt, eigenmächtig in einer Religionssache zu urteilen. Gleichzeitig hatte er damit aber die von allen Mitgliedern der katholischen Interessengruppe vorher häufig gebrauchte Selbstlegitimation, den katholischen Glauben zu verteidigen, in den Hintergrund gerückt und geschwächt. Rudolf II. ließ nun, obwohl die Causa Aquensis vornehmlich politisch sein sollte, das Religionsleben in Aachen untersuchen. Damit hob er den religiösen Charakter des Konflikts hervor und ließ den konkreten religiösen Verhältnissen in Aachen wieder eine größere politische Bedeutung zuwachsen. Die Zielsetzung der Untersuchung knüpfte an die 1582 in Augsburg bereits vorgebrachte Zurückweisung des Vorwurfs an, den Aachener Protestanten seien ihrer Religion wegen Nachteile entstanden.231 Auf der anderen Seite hielt der Kaiser durch die Instruktion den ebenfalls auf dem Reichstag gegen die Mitbestimmungsforderung der protestantischen Stände formulierten An230 Vgl. Instruction und Volmacht der Kay: Maytt: Comissarieae so In Aach Anno 1584 In Maio gewesen. 22. Oktober 1583 (Kopie). Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,1, 1. Mappe, f. 215v bis 223. 231 Vgl. ebd.

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spruch aufrecht, als Reichs- und Stadtoberhaupt allein in der ‚Aachener Sache‘ zu entscheiden. Ihren Instruktionen folgend berichteten die Trierer Kommissare von umfangreichen Aktivitäten verschiedener Sekten in Aachen, die keinen Zweifel an der Gefährlichkeit des Aachener Protestantismus und dessen Unvereinbarkeit mit der Confessio Augustana ließen.232 Für die Trierer ergab sich daraus die politische Notwendigkeit, alle Protestanten aus der Stadt zu verweisen. Wenn dies gegen den Widerstand des gegenwärtigen Stadtregiments nicht möglich sei, wäre es ratsam, die opponierenden Protestanten im Magistrat in die Reichsacht zu erklären. Falls es notwendig werden sollte, die Teilhabe der Protestanten am Stadtregiment vorübergehend zu dulden, müsse durch strenge Verfahren sichergestellt werden, dass ausschließlich Katholiken und Lutheraner in Rat oder Ämter einziehen würden: So könnten die Ratsherren verpflichtet werden, einen Eid darauf abzulegen, entweder katholisch oder lutherisch zu sein. Wenn die Konfession eines Ratsherren dennoch in Zweifel stehen würde, könnte ein Gutachter der Kölner Universität darüber entscheiden. Nur durch die strenge konfessionelle Zugangskontrolle zum Rat könne sichergestellt werden, dass sich in Aachen verbotene Sekten nicht weiter ausbreiten würden.233 Die Trierer Gesandten entwarfen erstmals eine Lösung für die Causa Aquensis im Sinne der katholischen Interessengruppe, die auf Grundlage einer Begutachtung der tatsächlichen religiösen und politischen Verhältnisse in Aachen entwickelt worden war. Dieser Ansatz wurde jedoch nach dem Ende der Kommission weder umgesetzt noch argumentativ aufgegriffen. Der Grund dafür lag darin, dass der Kaiser, nachdem die trierisch-sächsische Kommission nicht die in ihren Instruktionen formulierten Ziele erreicht hatte, wieder unmittelbar darauf abzielte, die im Exilregiment organisierte katholische Opposition als Stadtregiment zu restituieren und im Zuge dessen Aachen politisch und religiös zu rekatholisieren. Ebenso wenig wie das Trierer Gutachten wirkte sich der Vorschlag der sächsischen Kommissare auf die kaiserliche Politik in der Causa Aquensis aus. Die kursächsischen Gesandten stellten den Befund der Trierer, dass in Aachen auch Religion abseits der katholischen Kirche praktiziert wurde, die nicht mit dem Augsburger Religionsfrieden vereinbar war, nicht in Frage. Anders als die Trierer subdelegierten Kommissare zogen sie daraus allerdings nicht den Schluss, dass der Aachener Protestantismus insgesamt zu verur232 Vgl. Hansgeorg Molitor, Kurtrier, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 50–71 zur gegenreformatorischen Haltung Kurtriers, die nicht zuletzt durch die Unabhängigkeits- und Reformationsbemühungen der Trierer Bürgerschaft im Jahr 1569 geprägt wurde. 233 Zusammengefasst bei Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 131–132.

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teilen sei und die Anhänger, Prediger und Lehrer der nicht-katholischen Gemeinschaften aus der Stadt verwiesen werden mussten. Sie hielten es für ausreichend, das Stadtregiment zu ermahnen, konsequent gegen die Sekten in Aachen vorzugehen.234 Nach Ende der Kommission setzte sich Sachsen beim Kaiser dafür ein, den politischen und konfessionellen status quo weitestgehend zu erhalten. Der Kaiser sollte das protestantisch dominierte Stadtregiment und die mittlerweile freigegebene öffentliche Religionsausübung für Augsburger Konfessionsverwandte anerkennen. Der sächsischen Empfehlungen fehlten Vorschläge, wie die strenge Bikonfessionalität in Aachen konkret abzusichern gewesen wäre. Der Konfessionsstand der Aachener Protestanten war von den Trierer und Sächsischen Gesandten also jeweils unterschiedlich beurteilt worden und hatte zu verschiedenen Handlungsvorschlägen geführt. Ähnlich differenziert fielen Urteil und Schlussfolgerungen der Kommission zu den Bedingungen aus, unter denen Aachens Katholiken lebten und ihre Religion ausübten. Die Kommission erhielt Berichte von Probst und Kapitel des Aachener Marienstifts.235 Die Kapitelherren berichteten, dass es in den vergangenen Jahren mehrfach zu Übergriffen des protestantisch dominierten Rates auf die Privilegien des Stifts gekommen sei. Insbesondere habe der Rat den Status des Stiftsgebiets als Immunität und eigenen Gerichtsbezirk zu mehreren Gelegenheiten missachtet, indem er Untertanen des Stifts innerhalb der Immunität habe verhaften lassen oder Straftäter, die durch den Probst als Gerichtsherrn des Stifts verbannt worden waren, in der Stadt geduldet habe. Die grundsätzlich feindliche Haltung des Magistrats gegen das Stift, die diesen Handlungen zu Grunde gelegen habe, sei an beleidigenden und hochmütigen Äußerungen von Vertretern des Stadtregiments zu erkennen gewesen. Die Amtsträger hätten behauptet, dass der Rat, wenn er wollte, nicht nur die Obrigkeit über einfache Untertanen des Stiftes ausüben, sondern sogar Stiftsherren selbst am Altar des Münster verhaften lassen könnte.236 Eine zweite Klage zielte darauf ab, Rat und Amtsträgern direkte Be234

Vgl. ebd., hier: S. 131. Probst und Dechnant waren Heinrich von Vlatten bzw. Franz Voss. Vgl. dazu Peter Offergeld, Aachen – Marienstift, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 121–139, hier: S. 137–138. 236 Bericht und Handttlungh eines Ehrwh: Thumcapittulls zu Aachen in der geflogenen Commission handlung, Ao 84. [Rückenaufschrift]. Probst, Dechant und Kapittel des kaiserlichen Stiffts unserer Lieben Frau zu Aachen an die kaiserlichen Subdelegierten Kommissare in Aachen, Aachen ohne datum [März/April 1584], Landesarchiv NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 62 II, f. 42–48v, hier: f. 43–45. 235

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einträchtigungen des katholischen Religionslebens in Aachen zur Last zu legen. Der Rat habe den Predigern der vier Pfarrkuratien vorgeschrieben, was sie predigen durften, und er hätte darüber hinaus die Arbeit des Sendgerichtes behindert. Die Kapitelherren verglichen diese Vorschriften und Behinderungen der katholisch-kirchlichen Akteure mit der Freiheit der Predigern der protestantischen Gemeinden, gegen die katholische Kirche zu predigen. Der Vorwurf lautete also, dass das Stadtregiment katholische Kontroverspredigten und gegenreformatorische Aktivitäten des Sendgerichts unterbunden hatte, während es den Protestanten jede Freiheit gelassen hatte, sich gegen die Katholiken zu profilieren.237 Konkreter wurden die diesbezüglichen Klagen nicht formuliert. Das Kapitel sah die Gefahr, die vom protestantisch dominierten Stadtregiment ausging, weniger in den Übergriffen, die bisher tatsächlich stattgefunden hatten, als in der befürchteten Absicht der Protestanten, den Katholizismus gänzlich abzuschaffen. Probst, Dechant und Kapitelherren taten die Beteuerungen des Rates, die katholische Kirche in Aachen und die katholischen Bürger und Einwohner der Stadt zu schützen, wie es seiner Pflicht als städtischer Obrigkeit entspreche, als vorgeschobene Lügen ab. Der Abschied der Kommission behandelte die beklagten Belastungen der katholischen Kirche in Aachen und ihrer Mitglieder nur in allgemeiner Form. Der Rezess bestimmte, dass bis zum endgültigen kaiserlichen Urteil in der ‚Aachener Sache‘ die katholisch-kirchlichen Institutionen und das katholische Religionsleben in Aachen unbeeinträchtigt gelassen werden sollten. Die Abschaffung konkreter Missstände in diesem Zusammenhang wurde nicht gefordert. Das konnten die Aachener Akteure der protestantischen Interessengruppe als Bestätigung ihrer Behauptung auffassen, es sei bisher zu keiner strafwürdigen Beeinträchtigung von Kirche und Religion der Katholiken in Aachen gekommen war. Die katholische Interessengruppe konnte ebenso weiter argumentieren, dass ein protestantisches Regiment grundsätzlich den Bestand der katholischen Kirche in Aachen gefährde. Ob es sich bei dem protestantisch dominierten Stadtregiment um eine solche gefährliche protestantische Obrigkeit handelte, wurde während der Kommission diskutiert. Neben den verfassungsrechtlichen und politischen Aussagen zur Legitimation oder Delegitimation der einen oder anderen Interessengruppe traten jetzt zeitweilig Aussagen über die konfessionelle und moralische Verortung der Handelnden als bedeutende Argumente in den Vordergrund. Auch andere Aspekte der Kommissionstätigkeit gaben Impulse für die weiteren Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis. Am Rande ihrer Kommission sorgten die sächsischen und Trierer Gesandten auch dafür, 237

Vgl. ebd., hier: f. 45–46v.

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dass das Aachener Schöffengericht konfliktfrei und im vollen Rahmen seiner Kompetenzen Recht sprechen konnte. Dabei betonten sie, wie das Exilregiment sich für Frieden und Ordnung in Aachen einsetzte, während der protestantisch dominierte Magistrat die regelmäßige Ausübung der Justiz gefährdet hatte: Da mit den Katholiken, die das Exilregiment gebildet hatten, auch Mitglieder und Amtsträger des Schöffengerichts Aachen verlassen und an dessen Rechtsprechung nicht mehr mitgewirkt hatten, stand die Handlungsfähigkeit des Gerichts insgesamt in Frage. Die Kommission legte zum einen fest, dass die exilierten Schöffen wieder in das Gericht aufgenommen werden sollten, ordnete zum Anderen aber auch an, dass die von den in Aachen verbliebenen Schöffen in der Zwischenzeit allein ausgesprochenen Urteile volle Gültigkeit behalten sollten. Damit war ein Teil der Herrschaftsansprüche, die das Exilregiment in seiner Selbstbezeichnung als katholische Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandte beansprucht hatte, bestätigt worden. Auf der anderen Seite erkannten die subdelegierten Kommissare die unter dem mehrheitlich protestantischen Regiment ausgeübte Gerichtsbarkeit an.238 Somit enthielt der Rezess der Kommission weitere argumentative Anknüpfungspunkte für beide konfessionellen Interessengruppen in Aachen. Auf der einen Seite konnte das protestantisch dominierte Stadtregiment argumentieren, dass die Beschwerden des Exilregiments durch die Anordnungen der Kommissare behoben waren. Das Exilregiment insistierte hingegen darauf, dass der Rezess der Kommission nur vorläufig, bis zum kaiserlichen Urteil in der ‚Aachener Sache‘ gelten sollte, und bestand auf der vollständigen Restitution seiner Mitglieder in allen Bereichen städtischer Obrigkeit. Die Forderung nach der Restitution der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten war, wie oben beschrieben, bereits in der Instruktion für die Kommission formuliert worden. Die Einsetzung der Vertreter des Exilregiments sollte zusammen mit deren Rückkehr nach Aachen erfolgen. Während die Aufnahme der Exulanten in den Magistrat oder die vollständige Übergabe des Stadtregiments in ihre Hände von den Kommissaren nicht vermittelt werden konnten, gestand der protestantisch dominierte Rat ihre Wiederaufnahme in Aachen, wohin sie unter dem Geleit der Gesandten ohnehin bereits zurückgekehrt waren, zu.239 Es hatte bisher ohnehin zur Argumentation des protestantisch dominierten Stadtregiments gehört, dass die meisten der katholischen Ausgewichenen die Stadt aus eigenem Antrieb und sogar gegen den Willen des Rates verlassen hatten. Formal stand ihrer Rückkehr also nichts im Wege. Die Bestimmungen der Kommissare für 238 Abschied alhie durch die herren Churfrl subdelegirte kay: Commissare Anno p84, 28. März 1584 (sv), StAAa, Depositum Reichsstadt Aachen 28, f. 115v–121r. 239 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 140.

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die Rückkehr waren denen der Pazifikationsvereinbarungen zwischen den streitenden Ratsteilen sehr ähnlich und vermittelten damit den Eindruck, auf einen dauerhaften Ausgleich zwischen den streitenden Interessengruppen ausgerichtet zu sein: Während die wiederkehrenden Katholiken vom protestantisch dominierten Rat nicht belästigt oder bei der Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte behindert werden sollten, wurde ihnen selbst auferlegt sich wie friedliche und gehorsame Bürger zu verhalten.240 Diese Anordnung war, wie die anderen vorläufigen Regelungen der Kommission, für die streitenden Interessengruppen ambivalent. Der protestantische Rat musste hinnehmen, dass eine Forderung, die sich vom umstrittenen kaiserlichen Urteil ableitete, durchgesetzt worden war. Allerdings schränkten die Beschlüsse der Kommission die katholische Opposition fast stärker ein als das protestantisch dominierte Stadtregiment. Sie hatte zwar ein erneute Versicherung dafür erhalten, dass der kaiserliche Hof in der ‚Aachener Sache‘ praktisch rückhaltlos Partei für sie ergreifen würde, dafür hatten sie aber die demonstrative Distanz zum faktisch unverändert weiter regierenden protestantisch dominierten Stadtregiment aufgeben müssen. Durch ihr Exil hatten sie bisher deutlich gezeigt, dass sie das Stadtregiment nicht anerkannten und unterstützten.241 Nun kehrten sie nach Aachen zurück, ohne selbst das Regiment zu übernehmen. Vorläufig stand nicht fest, wie sich die katholische Opposition in künftigen Streitigkeiten positionieren würde, wenn sie nicht mehr als Exilregiment auftreten konnte, sondern innerhalb der selben Mauern wohnte wie ihre Gegner. Ansätze für ein neues Streitthema nach Ende der Kommission von 1584 sind in einem Schreiben fassbar, durch das sich Bonifacius Colyn gegen Vorwürfe verteidigte, er habe die katholische Religion aufgegeben.242 Diese Anklage war durch Vertreter des katholischen Exilregiments formuliert und von den Trierer Subdelegierten aufgegriffen worden. Konkret wandte sich Colyn in seiner Rechtfertigung gegen das Argument, er habe die katholische Kirche verraten, indem er das protestantisch dominierte Stadtregiment mitgetragen und unterstützt hatte. Colyn war nach den Ratswahlen von 1581 zweimal zum Bürgermeister gewählt worden und hatte darüber hinaus im 240 Abschied alhie durch die herren Churfrl subdelegirte kay: Commissare Anno p84, 28. März 1584 (sv), StAAa, Depositum Reichsstadt Aachen 28, f. 115v–121r. 241 Vgl. zur Bedeutung der Praxis, den „politischen Raum“ demonstrativ zu verlassen, Rudolf Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5.) Konstanz 2004, S. 9–60, hier: S. 28 mit einschlägigen Beispielen in Anm. 59. 242 Bonifacius Colyn an die Subdelegierten Kommissare Sachens und Triers in Aachen, Aachen 7. März 1584, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 62 II, f. 71–73v.

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Herbst und Winter 1581/1582 an den Gesandtschaften des protestantisch dominierten Magistrats an den Hof Rudolfs II. teilgenommen.243 Schon bei diesen Gelegenheiten war sein Bekenntnis zur katholischen Religion in Frage gestellt worden, wogegen er eindeutig Stellung bezogen hatte.244 Nun wurde eine notwendige Verbindungslinie zwischen der Unterstützung des protestantisch dominierten Stadtregiments und dem Verrat an der katholischen Religion gezogen. Die ‚angemaßten‘ Ratsverwandten und Amtsträger des protestantisch dominierten Stadtregiments waren demnach antikatholisch. Gegen diese Fremdzuschreibung setzte Colyn nicht nur sein eigenes Bekenntnis zum Katholizismus, sondern vor allem eine Darstellung des protestantisch dominierten Stadtregiments als Obrigkeit, die von allen Aachener Bürgern, inklusive seiner selbst, als „eingeblieben friedliebenden“ Katholiken legitimiert sei.245 Allein die ‚Ausgewichenen‘ würden dem Stadtregiment nicht nur die Anerkennung verweigern, sondern den Magistrat und seine Mitglieder auch mit unwahren Vorwürfen in Verruf bringen. Damit kontrastierte Colyn die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten zu den friedliebenden katholischen Bürgern, die das protestantisch dominierte Stadtregiment unterstützt hätten. Bonifacius Colyn charakterisierte den Magistrat nicht durch die protestantischen Bekenntnisse der Ratsmehrheit, sonder auch durch die Erfüllung der obrigkeitlichen Pflichten der Friedens- und Wohlstandssicherung. Das war eine überkonfessionelle Legitimation, welche gleichzeitig die Selbstdarstellung des Exilregiments als Vertreter der Katholiken und der katholischen Religion in Frage stellte.246 Die Vertreter der katholischen Opposition bauten den Teil ihrer Argumentation aus, der auf konfessionellen Zuschreibungen basierte, indem sie die religiöse Unzuverlässigkeit einzelner Männer von deren Zugehörigkeit zum protestantisch dominierten Regiment ableiteten. Auf diese Zuschreibung 243 Vgl. ausführlich zur Rolle Colyns im protestantisch dominierten Stadtregiment Walter Schmitz, Möglichkeiten und Grenzen der Toleranz im späten 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 90/91 (1983/84), S. 149–164. Zu Colyn im Bürgermeisteramt: Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 64. 244 Abschrifft Ettlicher herrn benantet des Calvinisch verdechtiger Ratsverwandter thun glaubenserklerungh der ERb freyen Reichsstette abgesandten [. . . ] [Rückenaufschrift], ohne Datum [1581], LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 77a, f. 105–107v 245 Vgl. Bonifacius Colyn an die Subdelegierten Kommissare Sachens und Triers in Aachen, Aachen 7. März 1584, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 62 II, f. 71–73v, hier: f. 71v. 246 Vgl. zur Verbreitung und Aufrechterhaltung entsprechender städtischer Werte: Robert Stein, An urban Network in the medieval Low Countries. A cultural Approach, in: Robert Stein (Hrsg.), Networks, regions and nations. Shaping identities in the Low Countries, 1300–1650. Leiden 2010, S. 43–71, hier: S. 66–70.

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Bezug nehmend, untermauerte das protestantisch dominierte Stadtregiment seine Selbstdarstellung als überkonfessionelle Obrigkeit. Bonifacius Colyn war Kronzeuge dieser Argumentation. 2.3.4 Auseinandersetzungen über eine entschiedene Sache: Die Diskussion nach dem Endurteil in der Causa Aquensis Die präzise und gültige Interpretation der Ergebnisse der Kommission blieb für die Zeit bis zur ersten Restitution des katholischen Stadtregiments 1598 umstritten. Die katholische Interessengruppe hatte bereits die laufende Kommission als einen Versuch des Kaisers erkannt, die ‚Aachener Sache‘ aus eigener Kompetenz heraus zu regeln. Die Causa Aquensis sei dem Kaiser nun endgültig zur Entscheidung freigestellt. Diese Position vertrat auch Rudolf II. und erließ dementsprechend, nachdem die Abschlussberichte der Kommission am Prager Hof vorlagen, eine Reihe von Mandaten, in denen er feststellte, dass die Beilegung der Konflikte in Aachen auf dem Verhandlungsweg gescheitert sei. Sie befahlen die Wiedereinsetzung eines katholischen Stadtregiments.247 Die rechtliche und politische Argumentation, mit der diese Befehle begründet wurden, war spätestens bis zu den Kommissionen von 1580 und 1581 etabliert worden und sicherte auch weiterhin, dass die katholische Interessengruppe auf die vollständige Rekatholisierung Aachens hinarbeiten konnte. Neue Argumente, die das regierende Stadtregiment in Aachen ins Unrecht setzen sollten, sowie die Wiederholung der alten Argumente spielten keine entscheidende Rolle. Sie waren lediglich nützlich, um die Aktualität des Konfliktes und die Notwendigkeit für die Durchsetzung des kaiserlichen Befehls zu belegen. Dennoch hielt die katholische Opposition in Aachen ihre Kommunikation mit dem kaiserlichen Hof aufrecht. Sie rief in Erinnerung, dass der hinter der ‚Aachener Sache‘ stehende Grundkonflikt nicht beigelegt war und bewahrte in der Anschauung des Kaisers ihr Ansehen als Vertreter der Aachener Katholiken, denen das Stadtregiment übertragen werden sollte. In diesem Zusammenhang führte die katholische Opposition an, dass die zentrale Bestimmung der kaiserlichen Mandate, nämlich das Abtreten des protestantisch dominierten, für unrechtmäßig erklärten Magistrats zu Gunsten katholischer Bürgermeister, Schöffen und Ratsherren noch nicht erfüllt worden war. Gleichzeitig nahm sie Bezug auf Nebenbestimmungen der Mandate des Kaisers aus der Zeit nach und vor 1584 sowie auf die Anordnungen der verschiedenen mehr oder weniger weit zurückliegenden 247

Eine Übersicht zu Abfolge, Inhalt und politischer Absicht entsprechender kaiserlicher Befehle findet sich bei Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 150.

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Kommissionen: Belastungen der nach Aachen zurückgekehrten Akteure der katholischen Opposition wurden als Verstoß gegen die bei ihrer Rückkehr getroffenen Vereinbarungen betrachtet. Beeinträchtigungen des katholischen Religionslebens und Äußerungen protestantischer Religiosität, die als Expansion der evangelischen Konfessionsgemeinschaften gedeutet werden konnten, wurden dem Kaiser als Verstöße gegen seinen Befehl gemeldet. Wenn die Fürsten von Jülich und Burgund ihre Interessen in Aachen durch den Magistrat verletzt sahen, galt dies ebenfalls als Beleg für die konfessionell motivierte Politik des Rates, Rechte Anderer zu missachten und an sich zu ziehen. Ebenso wurden Unregelmäßigkeiten bei der Ausübung der weltlichen oder geistlichen Gerichte in Aachen als Missachtung der Neuordnung dieser Gerichte durch die Kommission von 1584 betrachtet. Den politisch aktiven Katholiken ging es dabei auch darum, ihre oppositionelle Haltung und ihre Ansprüche auf das Stadtregiment auch in Aachen öffentlich zu machen und bereits unter dem protestantisch dominierten Magistrat zu behaupten. Diese Selbstbehauptung zielte zum Teil darauf ab, zu verhindern, dass die regierende Obrigkeit ein reibungsloses Stadtregiment ausüben konnte. So wollte die katholische Opposition einen weiteren Grund für die Absetzung des Magistrats liefern. Angeregt durch die Beschwerden der katholischen Opposition ermahnte Rudolf II. den amtierenden Rat zwar auch, einzelne Bestimmungen zur Ordnung der religiösen und politischen Verhältnisse in Aachen zu befolgen, doch auch wenn die Einhaltung der durch die Kommission von 1584 getroffenen Regelungen gefordert wurde, wurde niemals in Aussicht gestellt, dass eine dauerhafte Ordnung der politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen auf einer anderen Grundlage als der vollständigen Rekatholisierung der Stadt akzeptiert werden würde.248 Eine ebensolche Absicherung des status quo auf der Grundlage der Verhandlungen des Reichstags von 1582 und des Kommissionsrezesses von 1584 zu erreichen, war jedoch das Ziel der protestantischen Interessengruppe. Der protestantisch dominierte Magistrat berief sich darauf, dass die Kommission die 1584 vorgefundenen Verhältnisse bis auf weiteres habe gelten lassen. Die späteren kaiserlichen Befehle, die aus Sicht der katholischen Interessengruppe die vorläufige Kommissionsregelung aufhoben, stellte er in Frage. Der Rat musste seine Argumentation zur Abwehr der kaiserlichen Mandate überdenken, als ihm der Kaiser deutlich vor Augen führte, dass der Kommissionsrezess von 1584 nicht zur dauerhaften Stabilisierung seines 248 Vgl. die Bestimmungen der Mandate: Kay: befelch, Prag, 24. Juli 1585, StAAa, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 28, f. 121–126v und Kays: befelch, 24. Oktober 1588, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 28, f. 126v–129v.

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Regierungsanspruches führen würde. Die ersten Mandate des Kaisers nach Ende der Kommission hatten noch Raum für die Auslegung gelassen, dass der Kaiser die in Aachen herrschenden Verhältnisse unter Umständen würde bestehen lassen. Am 13. Oktober 1589 drohte Rudolf II. dann erstmals mit der Verhängung der Reichsacht gegen den Aachener Rat, sollte er das Stadtregiment nicht zu Gunsten einer rein katholischen Regierung räumen. Auf dieses Mandat folgte im Frühjahr 1592 die Vorladung der Parteien in der Sache ‚Aachen gegen Aachen’ an den kaiserlichen Hof, wo sie die endgültige Entscheidung des Kaisers anhören sollten. Diese Entscheidung wurde schließlich am 27. August 1593 als „Kayserlich definitiff oder entlicher urtheill“ bekannt gegeben.249 Die Aussichten, den Prozess am kaiserlichen Hof zu einem anderen Ergebnis als der Einsetzung eines katholischen Regiments zu führen oder ihn zumindest in eine Richtung zu lenken, die zu einer faktischen Duldung der politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen geführt hätte, waren also geschwunden. Das Stadtregiment musste sich bei seinen weiteren Bemühungen, seine Position zu verteidigen, darauf verlegen die Gültigkeit des Prozesses grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Ratssyndicus Gerhard Men warb mit entsprechenden Argumenten auf dem Frankfurter Reichsdeputationstag von 1590, auf den Städtetag von Ulm 1593 und dem Regensburger Reichstag 1594 um die Unterstützung der Stände gegen die baldige Umsetzung des kaiserlichen Urteils.250 Das protestantisch dominierte Stadtregiment verlegte sich auf eine der Behandlung der Causa Aquensis am kaiserlichen Hof angemessenen formalisierte und juristische Betrachtung des Konflikts. Wie sehr sich die Strategie des Rates von Bezügen zu den konkreten Entwicklungen in Aachen und auch zu den politischen Interessen möglicher protestantischer Partner im Reich losgelöst hatte zeigt ein Gutachten, das 1593 erstellt und zwischen 1594 und 1596 in die Verhandlungen eingebracht wurde. Die äußerst ausführliche Darlegung stellte den Prozess gegen das Stadtregiment am kaiserlichen Hof und das daraus hervorgegangen Urteil zwar mit zahlreichen juristischen Argumenten zu Grundlage, Form und Verlauf in Frage, ließ aber einen dringlichen Appell für ein politisches Engagement zu Gunsten des regierenden Rates vermissen.251 Das Stadtregiment und sein Vertreter Men handelten vorsichtig, weil sie nicht sicher waren, wie bald ihnen die Vollstreckung des kaiserlichen Urteils 249 „Kayserlich definitiff oder entlicher urtheill“, 27. August 1593, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 28, f. 155–156. 250 Vgl. Hierzu und zum Folgenden Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: 150 ff. 251 Die Überlieferungen der sieben Fragen, des Gutachtens und seiner Beilagen in Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 28, f. 1–99v und Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,1 Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnis 2. Mappe ergänzen sich.

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drohte. Die unsichere Lageeinschätzung führte zu Unsicherheiten bei der Wahl ihrer Strategie auch nachdem sich der Prozess am kaiserlichen Hof von 1589 an beschleunigte. Weiterhin bemühte sich das Stadtregiment intensiv, die von der katholischen Opposition erhobenen Vorwürfe zu entkräften und deren Vertretern am kaiserlichen Hof die Legitimation zu entziehen. Die entsprechenden Auseinandersetzungen wurden mit dem kaiserlichen Hof als Adressaten und zu einem guten Teil auch in Prag geführt. Für den protestantisch dominierten Rat hielt sich Men verhältnismäßig lange am Hof auf. Neben und nach ihm vertraten andere Männer die Interessen des amtierenden Stadtregiments.252 Für die Gegenseite waren seit 1588 regelmäßig Vertreter eines ‚Ausschusses der katholischen Bürgerschaft‘ am kaiserlichen Hof aktiv. Die politische Auseinandersetzung um die Ansprüche auf das Stadtregiment in Aachen wurde in der Phase stetiger, intensiver und von fester organisierten Interessengruppen ausgetragen denn je. Die Interessengruppen grenzten sich in der Auseinandersetzung weiter voneinander ab. Weiter rechtfertigten sich nur die Vertreter der katholischen Opposition konfessionell, während die Vertreter des protestantisch dominierten Stadtregiments die religiösen Aspekte der Auseinandersetzung absichtlich in den Hintergrund stellten. Innerhalb dieses Rahmens nahm die Schärfe der gegenseitigen Anfeindungen zwischen den Interessengruppen zu. Die Auseinandersetzung rückte konfessionsspezifische Zuschreibungen und Probleme der religiösen Koexistenz in das Bewusstsein der Aachener, obwohl sie für die reichspolitische Entscheidung ihrer Konflikte unwichtig waren. Die Aufmerksamkeit der protestantischen Reichsstände für die ‚Aachener Sache‘ blieb hinter dem Echo, das die Causa Aquensis während der Krise zu Beginn der 1580er Jahre ausgelöst hatte, zurück. Im Unterschied zu den Entwicklungen auf dem Augsburger Reichstag von 1582 sahen die protestantischen Reichsstände nach 1584 nicht die Möglichkeit, ihren Anspruch auf Mitbestimmung in der Causa Aquensis durch Androhung einer Steuerverweigerung durchzusetzen. Die protestantischen Reichsstädte und die reformierte Kurpfalz setzten sich nun nur noch mit Bittschriften an den Kaiser für das protestantisch dominierte Stadtregiment ein. Auf dem Regensburger Reichstag von 1594 verabschiedeten die protestantischen Kurfürsten noch einmal eine Resolution, der zu Folge die Exekution des Urteils gegen Aachen gefährlich sei und sie sich beim Kaiser für deren Aussetzung einsetzen müssten. Sie hatten sich auf eine Eingabe des Städterates mit der

252 Vgl. D. Men erzehlt seine gehabte muhe und außgestandene labores, unnd wie und welcher gestalt die union zu Rotenburg sich der statt Aach anzunehmen erklert, Heidelberg 20. Juli 1612, StAAa, RA II, Allg. Akt. 868.

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‚Aachener Sache‘ befasst.253 Sie wiesen auf die zweifache Gefahr hin, die von der drohenden Exekution des kaiserlichen Urteils gegen den amtierenden Aachener Rat ausging: Zum Ersten bestehe die Gefahr, dass es im Zuge einer Exekution zu folgenreichen Bürgerunruhen in Aachen kommen könne. Zum Zweiten bestehe insbesondere bei einer Beteiligung des Statthalters in den spanischen Niederlanden an der Exekution die Möglichkeit, dass die „Grenzstadt“ Aachen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation dauerhaft entzogen würde. Die Empfehlungen der Kurfürsten, für das weitere Vorgehen in der ‚Aachener Sache‘ entsprachen vollständig der politischen Strategie des amtierenden Rates. Sie drückten aus, dass es wünschenswert gewesen wäre, dass die ‚Aachener Sache‘ auf Grundlage der Berichte der gemischtkonfessionellen Kommission von 1584 entschieden worden wäre, was aber insofern versäumt worden sei, als man versäumt habe, eine Partei des Streits – nämlich den amtierenden Rat – ausreichend anzuhören. Dies müsse nachgeholt werden, bevor der Prozess zu einem rechtmäßigen Urteil und einer Vollstreckung kommen können. Die Kurfürsten zeigten mit diesem Rückgriff auf eine schon in Augsburg 1582 nicht vollständig durchgesetzte Forderung keine besondere Entschlossenheit, gegen die kaiserliche Politik gegenüber dem amtierenden Aachener Rat zu opponieren. So konnten sie dem eingefahrenen Diskurs zur Causa Aquensis keine neue Richtung geben. Die protestantischen Reichsstände verminderten ihre Aktivitäten für den in Aachen regierenden Magistrat soweit, dass eine protestantische Interessengruppe in Bezug auf die ‚Aachener Sache‘ auf Reichsebene in den 1590er Jahren nicht mehr zu erkennen war. Die erste Ursache dafür lag in der Erfahrung, welche die Stände in den Jahren 1582 bis 1584 gemacht hatten, als ihre Bemühungen, die ‚Aachener Sache‘ zu beeinflussen, trotz günstigerer Voraussetzungen gescheitert waren. Inzwischen war die katholische Partei im Reich und ihre gegenreformatorische Politik weiter erstarkt, sodass ein Einsatz zu Gunsten Aachens weniger aussichtsreich erschien.254 Darüber hinaus waren die Verbindungen der Entwicklungen in Aachen mit den Anliegen der protestantischen Akteure nicht mehr so offensichtlich wie 1582: Die Kampfhandlung des Niederländischen Krieges waren in den Nordosten der Provinzen oder nach Frankreich verlegt worden, sodass die Eroberung Aachens durch Spanier kein Szenario mehr war, durch das die Kurpfalz für Aachen hätte aktiviert werden können. Nach dem 253 Aachen Betreffendes Dekret des Kurfürstenrats ausgestellt durch die Kurmainzische Kanzlei, Regensburg den 17. August 1594 (Kopie), Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,16 Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644. 254 Vgl. zusammenfassend Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, hier: S. 398 und Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation, hier: S. 91 ff.

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Ende der Administration Johann Casimirs füllte die Pfalz die Führungsrolle innerhalb der protestantischen Aktionspartei im Reich zudem nicht mehr im selben Maß aus wie zuvor.255 In den Jahren 1580 bis 1582 hatte sich anhand des krisenhaften Verlaufs der kaiserlichen Kommissionen und der militärischen Maßnahmen der regionalen Fürsten gegen die Reichsstadt leicht belegen lassen, dass Anlass zur politischen Unterstützung des amtierenden Aachener Magistrats bestand. 1589 bis 1594 hatten sich in Stadt und Region keine vergleichbaren Krisen entwickelt, die sich für die politische Argumentation auf Reichsebene hätten nutzen lassen. Die erneute Sperrung des Aachener Handels durch den Herzog von Jülich, die 1591 auf den Streit um die Besetzung des Vogtmeieramtes, des Schöffengerichts und des Synodalgerichts in Aachen folgte, sowie die Suspendierung Aachener Handelsprivilegien in den spanischen Niederlanden erzeugten bei Weitem nicht denselben reichspolitischen Widerhall wie die Ereignisse zu Beginn der 1580er Jahre. Das lag auch daran, dass der amtierende Rat in seiner formalistisch, juristischen Argumentation gegen den Prozess am kaiserlichen Hof die akute Bedrohung Aachens nicht mehr in den Mittelpunkt stellte. Die Interessengruppe um das protestantisch dominierte Stadtregiment versuchte weder, den kaiserlichen Entscheidungs- und Exekutionsprozess grundsätzlich in Frage zu stellen und auszuhebeln, noch baute sie den nötigen Druck auf, um eine Änderung der Entscheidungen am kaiserlichen Hof zu erzwingen. Unter den geschilderten Voraussetzungen gab es keine nennenswerten Gründe, die Rudolf II. daran hinderten, seinen Befehl zur Wiederherstellung der politischen und religiösen Verhältnisse von 1560 in Aachen durchzusetzen. Nachdem der amtierende Rat den Rücktritt weiter verweigert hatte, wurde im Hofrat und im Geheimen Rat seit 1596 intensiv die Achterklärung gegen den Rat und die Exekution des Urteils vorbereitet. 1598 wurden die Fürsten von Brabant und Kurköln als Exekutoren benannt. Im Sommer des Jahres erfolgte unter dem Druck spanischer Truppen die katholische Restitution in der Stadt. Im Schatten des reichspolitischen Prozesses setzten sich das protestantisch dominierte Stadtregiment und die katholische Opposition bis 1598 weiter mit religionspolitischen Problemen in der Stadt auseinander. Diese vielfältigen Auseinandersetzungen entwickelten eine Eigendynamik, aus der sich wichtige Erfahrungen für die Aachener Akteure ergaben – nicht nur für diejenigen, die mit dem kaiserlichen Hof und mit Reichsständen in Kontakt standen. Diese Erfahrungen wirkten sich dann auf die Aushandlungen der Formen des religiösen Zusammenlebens in der Reichsstadt aus.Einzelne 255

Schindling/Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz, Oberpfalz, hier: S. 31–34.

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Akteure, die durch die Auseinandersetzung über innerstädtische Themen in Kontakt mit der ‚Aachener Sache‘ kamen, näherten sich auf diesem Weg den konkurrierenden Interessengruppen an. Der Erzpriester Johann Ellerborn wurde unter anderem im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen über die mögliche Profanierung des Münsterkirchhofs und die Besetzung des Synodalgerichts ein aktives Mitglied der katholischen Opposition.Der Streit um die Grenzen des Münsterkirchhofs entbrannte 1590, als am Rande des zur Immunität des Münsterstifts gehörenden Grundstücks neue Wohnhäuser gebaut wurden. Das Marienstift und insbesondere Johann Ellerborn als dessen Mitglied und als Erzpriester von Aachen beklagt die vom Rat erlaubte Bautätigkeit. Beide Parteien – Rat und Stift – bestätigten, dass bei den Arbeiten eine Mauer an der Grenze des Kirchhofs zum Teil niedergerissen worden war. Außerdem hatten Handwerker zeitweise Abriss- und Baumaterial auf dem Gelände gelagert. Der Rat hielt diese Vorkommnisse zum einen Teil für vollkommen gerechtfertigt, weil sie die Stiftsimmunität in Takt gelassen hätten, zu einem anderen Teil führte er sie auf Nachlässigkeiten von Handwerkern und Bauherren zurück. Dagegen sahen der Vertreter des Stiftsprobstes in Aachen, der Dechant des Stifts, Franz Voss, das Kapitel sowie Johann Ellerborn dieselben Ereignisse als Profanierung des Kirchhofs. Diese Anklage gegen den Rat formulierten sie besonders ausführlich in einem öffentlichen Notariatsinstrument, das vor allem für die Akten des Prozesses in der ‚Aachener Sache‘ gedacht war.256 Sie stellten den vermeintlichen Übergriff des Rates auf die Rechte des Marienstifts drastisch dar. Hinter der Missachtung der Grenzen der Stiftsimmunität erkannten sie die grundlegende Absicht des protestantisch dominierten Rates, die katholische Kirche in Aachen anzugreifen und zu schwächen. Der Angriff sei dermaßen rücksichtslos erfolgt, dass im Zuge der Bauarbeiten die Knochen auf dem Kirchhof bestatteter Menschen an die Oberfläche gelangt seien. So habe die Entweihung des Kirchhofs für beträchtliche Empörung der katholischen Bürgerschaft gesorgt. Die Warnung der Stiftsgeistlichen vor der Gefährlichkeit des amtierenden Rates und seine Schilderung der Stimmung in der katholischen Bevölkerung der Stadt ähnelte den Argumenten, die der Stiftsdechant Voss schon zu Beginn der 1580er Jahre gegen das Stadtregiment vorgebracht hatte. Nach 1584 schienen solche Argumente, vorgebracht durch einen hochrangigen Vertreter der katholischen Kirche in Aachen, an Bedeutung gewonnen zu haben. Die nach Aachen zurückgekehrten katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten konnten Versuche des Rates, Katholiken in Aachen zu 256 „Instrumentum denunciati novi operis [. . . ] kirchof belangendt Capitul in Ach. Contra die angemaßte Regierung“ [Rückenaufschrift], 11. April 1590, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 45–47v.

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unterdrücken, nicht mehr mit dem eigenen Exil veranschaulichen. Daher wuchs Johann Ellerborn die Rolle eines ihrer wichtigsten Vertreter zu. Allerdings nahm nur der Erzpriester dauerhaft eine solche Position ein, während das Engagement der übrigen Amtsträger und Institutionen des Marienstifts zeitlich begrenzt blieb. Der Ausschuss der Katholischen Bürgerschaft erklärte Ellerborn zum Haupt der Katholiken in Aachen und zum Kämpfer gegen die ‚Unkatholischen‘ in Aachen – eine Darstellung, die mit einer interessanten historischen Kontextualisierung von Ellerborn Tätigkeit unterstrichen wurde: Johann Ellerborn wurde in eine 30-jährige Familientradition gestellt, in der schon der Bürgermeister Johann Ellerborn an der Wende der 1550er zu den 1560er Jahren gegen Nicht-Katholiken und für den Katholizismus in Aachen gekämpft habe. Die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten implizierten, dass dieser Kampf in der Zwischenzeit zunächst von den katholischen Ratsherren in den Räten der Jahre 1574 bis 1579/80 und dann von dem katholischen Exilregiment und dem Ausschuss der katholischen Bürgerschaft fortgeführt worden sei.257 Zwischen 1591 und 1598 verbrachte Ellerborn lange Zeit am Prager Hof. Er vertrat dort die katholische Opposition und nicht die katholische Kirche in Aachen. Das Marienstift stellte ihn zwar für seine Tätigkeit am kaiserlichen Hof frei,258 gleichzeitig brachten sich aber weder das Kapitel als Kollegium noch einzelne Amtsträger des Stifts kontinuierlich in die Auseinandersetzung ein. Nachdem das Stift der katholischen Opposition 257

Vgl. Katholische Bürgermeister, Schöffen und Bürgerschafft verordneter Ausschuss an Kaiser Rudolf II., 1. Juni 1589, LA NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 157–158v. 258 Zum ersten Mal verhandelte das Stiftskapitel am 7. November 1589 über die Bitte des Ausschusses der katholischen Bürgerschaft, Ellerborn seine vollen Einkünfte zukommen zu lassen, solange er im Dienste der katholischen Sache am kaiserlichen Hof war: LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien, Akten 11d, f. 239rv. Seit 1595 beschlossen die Stiftsherren häufiger, Ellerborn seine vollen Einkünfte zu bewilligen und nachzusenden. Vgl. dazu im Protokollband 11d die Einträge 27. Mai 1595, f. 373v, 30. Juni 1595, f. 381rv, 7. August 1595, f. 389rv und 13. Januar 1596, f. 425rv. Außerdem in Band 11e: 5. Januar 1v; 19. Juni 1598, f. 40r und 22. Juni 1598, f. 41v. Nachdem bis zum 7. August 1595 verschiedene Interventionen zu Gunsten der vollen Versorgung des Erzpriesters – unter anderem von der päpstlichen Nuntiatur in Köln und vom Herzog von Jülich – eingegangen waren, bat das Kapitel entsprechende Schreiben in Zukunft zu unterlassen, weil sie zur Belastung für das Stift werden könnten. Zu den unterschiedlichen materiellen Ansprüchen von anwesenden und abwesenden Kanonikern vgl. Peter Offergeld, Lebensnormen und Lebensformen der Kanoniker des Aachener Marienstifts. Zur Verfassungs- und Personalgeschichte des Aachener Stiftskapitels in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 92 (1985), S. 75–101, hier: S. 82–83.

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1589 einen größeren Kredit gewährt hatte, lehnte es weitere Hilfen wie politische Unterstützungsschreiben ausdrücklich ab.259 Die Position Ellerborns als Vertreter der katholischen Opposition wurde noch gestärkt, als er seine Rechte als Erzpriester in einer weiteren schon länger andauernden innerstädtischen Auseinandersetzung behauptete und in Szene setzte. Der Konflikt entzündete sich an einer 1590 vorgenommenen Wiederbesetzung vakanter Schöffenstellen am katholischen Synodalgericht. Die Stellen der weltlichen Mitglieder des Gerichts waren offensichtlich seit der Krise zu Beginn der 1580er Jahre nicht neu besetzt worden, wenn ein Schöffe starb. So mussten nun fünf weltliche Schöffen in das Gericht aufgenommen werden.260 1590 nahmen Johann Ellerborn als Erzpriester und die verbliebenen geistlichen Sendschöffen die Ergänzungen des Gerichts durch Kooption vor, sodass fünf katholische Männer Schöffen wurden. Vermutlich hatten Ellerborn und die übrigen Mitglieder des Gerichts die Zuwahl vor dem Hintergrund der Bannandrohung gegen den amtierenden Rat und des in Aussicht stehenden Urteils in der Causa Aquensis durchgeführt.261 Das Stadtregiment sah seine Rechte durch die Kooption der weltlichen Sendschöffen übergangen. Es beanspruchte ein Präsentationsrecht für die Laienrichter des Synodalgerichts. Ein Verfahren, bei dem der Rat für jede vakante Sendschöffenstelle zwei Kandidaten vorschlug, zwischen denen die verbliebenen Mitglieder des Gerichts wählen konnten, war zuvor zeitweilig bereits praktiziert worden, ohne verbrieft worden zu sein. Auf dieser strittigen Grundlage lehnte der Rat die kooptierten Sendschöffen ab, versuchte sie durch Verhaftung zum Rückzug aus dem Gericht zu drängen und verbannte sie schließlich aus der Stadt.262 Bürgermeister und Rat begründeten die harten Strafen damit, dass die Sendschöffen zu gefährlichen politischen Mitteln gegriffen hätten, um ihre Sitze im Gericht zu verteidigen. Sie hatten an den Kurfürsten von Köln, als Fürstbischof von Lüttich und formalem Oberhaupt des Sendgerichts und den päpstlichen Nuntius appelliert. Darin erkannte der Rat eine Verletzung von jurisdiktionellen Privilegien Aachens. Durch diese Missachtung reichsstädtischer Rechte hätten sich die weltlichen Sendschöffen eines Verstoßes gegen den Kommissionsrezesse von 1584 schuldig gemacht.263 Gegen den 259 Vgl. Protokoll zum 9. Juni 1589, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 194v–195r. 260 Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 155. 261 Vgl. ebd., hier: S. 155. 262 Den Umstand, dass das Sendgericht aufgrund seiner Besetzung gleichzeitig als Organ der Aachener Kirchengemeinde, der Bürgergemeinde und der Amtskirche verstanden wurde stellt Lepper, Reichsstadt und Kirche, hier: S. 388 heraus. 263 Vgl. [Bürgermeister, Schöffen und Rat von Aachen] an Kaiser Rudolf II., ohne

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Lütticher Offizial klagte des Stadtregiment dementsprechend am Reichskammergericht wegen unrechtmäßiger Einmischung in den Streit um das Sendgericht.264 Die Sendschöffen verteidigten sich gegen diesen Vorwurf, konnten sich aber nicht mit dem protestantisch dominierten Rat einigen. Stattdessen positionierten sich die Sendschöffen, um eine Rolle in der katholischen Opposition zu übernehmen. Gemeinsam mit Erzpriester Ellerborn beklagten sie, dass der protestantisch dominierte Rat die rechtlichen Einwände gegen die Kooption der weltlichen Sendschöffen vorgeschoben habe. Das Sendgericht sollte gelähmt werden, weil der Rat befürchte, es könne sein „vermeintes Religionswesen“ gefährden.265 Ellerborn bemerkte zum selben Zusammenhang allgemeiner, dass dem Sendgericht zwar vom Rat zugesagt worden sei, es könne unter seinem Regiment ungehindert arbeiten, solange es die Zeugen angemessen behandle, dass diese Zusage aber nicht eingehalten worden sei.266 Hier wurde ein Kernproblemen der gemischtkonfessionellen Stadt thematisiert – die Möglichkeit und die Grenze einer katholisch-kirchlichen Gerichtsbarkeit. Das protestantisch dominierte Stadtregiment und die katholische Opposition handelten keine praktikable Lösung für dieses Problem aus. Die Neubesetzung des Sendgerichts durch den amtierenden Rat im November 1590, die einen Lösungsansatz darstellte, war durch die Argumentation Ellerborns und der verbannten Sendschöffen bereits im Voraus delegitimiert. Die Integration des Erzpriesters in die katholische Opposition war ein weiterer Grund dafür, dass das Sendgericht in der Folgezeit außer Funktion gesetzt blieb. Der reichspolitische Prozess, in den das Problem eingebracht wurde, war bis zur Restitution nicht geeignet, eine Lösung zu liefern. Ein weiterer Konflikt, der sich unter anderem aus der Verbannung der Sendschöffen ergeben hatte, blieb ebenfalls bis zur katholischen Restitution Datum [nach März 1590]Rechtfertigung des Vorgehens gegen die ‚angemaßten‘ weltlichen Sendschöffen, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 124–129v und Proscription Edict die aachische weltliche sendtscheffen betreffendt [Rückenaufschrift, Kopie], 3. August 1590, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 137–138v. 264 Vgl. Rudolf Goecke, Aachener Prozesse am Reichskammergericht, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 10 (1888), S. 22–95, hier: S. 47, Nr. 120. 265 Vgl. Zwei Beschwerdeschriften der geistlichen Mitglieder des Sendgerichts und der sechs kürzlich verbannten weltlichen Schöffen. Eines an Kaiser Rudolf II. vom 20. August 1590 und eines an Kurfürst Ernst von Köln vom 12. September 1590, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 70–79v. 266 Vgl. Johann Ellerborn an unbekannten Adressaten. Kurze Zusammenfassung der Rechte des Sendgerichts, ohne Datum [Zweite Jahreshälfte 1590], LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 79–82v

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ungelöst und bot somit in ähnlicher Weise wie die Auseinandersetzungen über das Sendgericht und den Münsterkirchhof Raum, um Argumente zur Causa Aquensis zu wiederholen und zu verfestigen: Dieser Konflikt betraf die weltliche Gerichtsbarkeit in der Reichsstadt, deren Verwaltung zum Teil beim Kurgericht des Rates lag, zu anderen Teilen aber in der Kompetenz des vom Aachener Patriziat besetzten Schöffengerichts und dem vom Herzog von Jülich ernannten Vogtmeier.267 Über die Besetzung und die Ausübung des Meieramtes war es schon bald nach der gemischtkonfessionellen Kommission zum Streit zwischen dem protestantisch dominierten Rat und den Vereinigten Herzogtümern gekommen, als Herzog Wilhelm V. Johann von Thenen als Meier präsentiert hatte, den das Stadtregiment aus verschiedenen Gründen ablehnte. Thenen hatte während der Krise der beginnenden 1580er Jahre offen seine Sympathien für Positionen der katholischen Opposition bekundet. Zunächst misstraute das Stadtregiment Thenen, weil dieser als ehemaliger Ratssekretär vertrauliche Informationen zur Politik der Reichsstadt kannte.268 Mit diesem Argument wehrte sich das Stadtregiment gegen die Annahme Thenens als Vogtmeier und war damit insofern erfolgreich, als es ihm faktisch gelang, Thenen zeitweilig an der Aufnahme seines Amtes zu hindern und statt seiner einen eigenen, als provisorisch bezeichneten Meier einzusetzen. Vorübergehend erlangte sogar ein vom Rat erwirktes Kammergerichtsurteil Gültigkeit, demnach die Präsentation Thenens ungültig gewesen sei, weil dieser Geheimnisträger der Reichsstadt war. Allerdings hob Rudolf II. dieses Urteil nach kurzer Zeit wieder auf, nachdem der Herzog von Jülich und Johann von Thenen selbst die verweigerte Annahme als Vogtmeier als groben Verstoß gegen den Kommissionsrezess von 1584 beklagt hatten. Thenen zog mit den Jülicher und Brabanter Gesandten, die 1590 das erste kaiserliche Mandat mit Bannandrohung in der Causa Aquensis in Aachen publizierten, in die Stadt ein. Dort wurde er in das Amt des Vogtmeiers eingeführt.269 Kurze Zeit später ließ er einen wesentlichen Bestandteil seiner Amtsaufgaben als Reaktion auf die Folgen des Konflikts um das Synodalgericht und aus Protest gegen die Politik des Stadtregiments ruhen: Mehrere weltliche Sendschöffen, die der Rat aus der Stadt verbannt hatte, waren zugleich 267 Vgl. Fritz Grass, Der Aachener Schöffenstuhl. Teil 2, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 42 (1920), S. 1–85. Außerdem: Hermann Wirtz, Die städtische Gerichtsbarkeit in der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 43 (1921), S. 47–158. 268 Die Fähigkeit zur Bewahrung obrigkeitlicher Geheimnisse war ein wesentlicher Bestandteil reichsstädtischer Autonomie. Vgl. dazu Schmidt, Städtetag, Städtehanse und frühneuzeitliche Reichsverfassung, hier: S. 43–46. 269 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 142–143.

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Mitglieder des Schöffengerichts gewesen. Die Selbstergänzung des Gerichts auf eine beschlussfähige Anzahl von Richtern, die nach der Verbannung nötig wurde, führte dazu, dass das Gericht ausschließlich mit Schöffen besetzt war, die das amtierende Stadtregiment duldeten oder unterstützten. Thenen weigerte sich, den Vorsitz über das Gericht in dieser Zusammensetzung zu übernehmen, nachdem er von Herzog Wilhelm V. die entsprechende Anweisung erhalten hatte. Damit war das Schöffengericht vorübergehend handlungsunfähig. Schon 1591 verbannte der Rat Johann von Thenen allerdings aus der Stadt, was ihn tatsächlich bis 1598 an der Rückkehr nach Aachen hinderte, und setzte zum zweiten Mal einen eigenen Kandidaten in das Meieramt ein.270 Er wurde daraufhin zu einem aktiven Mitglied der katholischen Interessengruppe in der Causa Aquensis. Er drängte am kaiserlichen Hof nicht ausschließlich auf die Durchsetzung des Urteils gegen den protestantisch dominierten Rat, um in sein Meieramt eingesetzt zu werden und um die vom Stadtregiment bedrohten Jülicher Privilegien in Aachen zu sichern, sondern machte sich auch Argumente zu eigen, welche die Fähigkeit des protestantisch dominierten Rates in Frage stellten, die Loyalität der katholischen Bürger und den Frieden in der Stadt zu sichern.271 Der Herzog von Jülich nahm die Auseinandersetzung um die Besetzung der Vogtmeierstelle und um das Schöffengericht zum Anlass, umfangreiche Kritik an den religiösen und politischen Verhältnissen in Aachen zu üben. Die einzelnen Kritikpunkte gingen von Verstößen des Stadtregiments gegen Jülicher Rechte in Aachen, gegen kaiserliche Befehle und gegen den Kommissionsrezess von 1584 aus. Obwohl sie konkrete Probleme der gemischtkonfessionellen Aachener Bürgergemeinde aufgriffen, waren die Argumente nicht auf die Abstellung innerstädtischer Konflikte gerichtet, sondern auf die Beschleunigung des Prozesses zur Rekatholisierung Aachens.272 Die Jülicher Beschwerden wirkten also indirekt auf die innerstädtischen Auseinandersetzungen zur Gestaltung des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen. Sie erweckten den Eindruck, dass weiterhin jede sichtbare Stärkung der protestantischen Kirchen in Aachen zu einer Schwächung

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Fritz Grass, Der Aachener Schöffenstuhl. Teil 1, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 41 (1919), S. 123–150, hier: S. 135–136. 271 Vgl. Johan von Thenen an „deß Aachischen Catholischen Außchuß itzo gehn Prag zue der Kayl. Maytt Abgefertigten Gesandten Meinen insonders gunstigen hern und freunden sambt und sonders, Jülich 22. April 1591, StAAa, RA II, Allg. Akt. 206, f. 7–8v. 272 Vgl. Zum Folgenden die Instruktion des Herzogs von Jülich für die Gesandtschaft Johan von Thenens zu Kaiser Rudolf II., 6. August 1588, LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 57, f. 6–11v.

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der Position des protestantisch dominierten Regiments in den politischen Auseinandersetzungen in Region und Reich führen konnte. Die Sorge um eine solche Schwächung bestimmte das Handeln des Stadtregiments in den Auseinandersetzungen der 1580er und 1590er Jahre. Der Rat vermied also Detailfragen wie die konfessionelle Zusammensetzung der Aachener Protestanten zu diskutieren. Wie schon im früheren Verlauf der Auseinandersetzungen konnte die Thematisierung der konkreten religiösen Verhältnisse in Aachen verhindert werden, weil der kaiserliche Hof wenig Interesse daran zeigte. In vergleichbarer Weise versuchte das protestantisch dominierte Stadtregiment, die Auseinandersetzung um Jülicher Rechte in Aachen auf die grundsätzliche Frage zu verlagern, ob Jülich die Reichsunmittelbarkeit respektierte. Zu diesem Versuch gehörten die Prozesse am Reichskammergericht, die das Stadtregiment in den Jahren 1585 bis 1586 gegen Herzog Wilhelm V., Johann von Thenen und diejenigen katholischen Schöffen anstrengte, welche die Zusammenarbeit mit den protestantischen Mitgliedern ihres Gerichts verweigert hatten.273 Die Urteile in diesen Prozessen bestärkten das protestantisch dominierte Stadtregiment darin, dass es trotz der gegen es gerichteten kaiserlichen Mandate reichspolitisch nicht isoliert war. Dieser Eindruck wurde dadurch bestärkt, dass die Aufhebung des Kammergerichtsurteils im Fall Johann von Thenen durch den Kaiser von protestantischen Reichsständen wie der Kurpfalz kritisiert wurde.274 Seit dem kaiserlichen Urteil von 1593 konnten allerdings auch solche Einsprüche bedeutender protestantischer Stände die Anerkennung des Aachener Stadtregiments vor dem Reichskammergericht nicht mehr erzwingen. Für die Zeit von 1594 bis 1599 sind keine Kammergerichtsprozesse mit dem Magistrat als Kläger bekannt.275 273 Vgl. den bei Goecke, Aachener Prozesse am Reichskammergericht, hier: S. 46 verzeichneten Prozess mit der Nummer 112. Das Mandat des Reichskammergerichts ist als Weisung des Kammergerichts im Namen des Kaisers an Herzog Wilhelm von Jülich und sechs Schöffen der Stadt Aachen, namentlich Leonhardten von der Hoven, Wilhelm von Wilre [Weyler], Albrecht Schrick [Schrecken], Jacob Pastorn, Gregorio Wilre [Weyler] und Johann Wilre [Weyler], Speyer, 27. März 1585 (Kopie), StAAa, RA II, Allg. Akt. 206, f. 3r–6v verzeichnet. Weitere Kammergerichtsprozesse des protestantisch dominierten Stadtregiments gegen den Herzog von Jülich verzeichnet Goecke unter den Nummern 115 und 116. 274 Vgl. 26. November 1587, Heidelberg. Johann Casimir an Landgraf Wilhelm von Hessen, in: Friedrich von Bezold (Hrsg.), Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir. Mit Verwandten Schriftstücken. Bd. 3: 1587–1592. München 1903, hier: S. 86. 275 Vgl. Goecke, Aachener Prozesse am Reichskammergericht, hier: S. 48. Allerdings sollte zu dieser Dokumentationslücke berücksichtigt werden, das die aktuell vorliegende Verzeichnung der Aachener Kammergerichtsprozesse modernen Standards nicht genügt. Vgl. dazu Bernd Schildt, Reichsstädte vor dem Reichskammergericht. Halle an der Saale 10.–14. September 2006, in: Rolf Lieberwirth/Heiner Lück (Hrsg.), Akten des 36.

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Einen parallelen Verlauf, nahmen die Bemühungen des Rates, Aachens Sitz auf dem Tagen des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises wiederzugewinnen. Solche Vorstöße unternahm das Stadtregiment mehrfach, wobei es jeweils am Widerstand des ausschreibenden Standes Jülichs scheiterte. Daraufhin wurde 1585 bis 1586, während der Jülicher Maßnahmen zur Unterbindung des Warenverkehrs von und nach Aachen, wie schon zu Beginn der 1580er Jahre diskutiert, ob der Oberrheinische Kreis Aachen unterstützen sollte.276 Der Magistrat schien zunächst begrenzte Erfolge bei der Erweiterung seines reichspolitischen Handlungsspielraums zu erzielen, die dann gegen den Widerstand von Akteuren der katholischen Interessengruppe nicht realisiert werden konnten. Was vom Widerstand blieb, waren Solidaritätsbekundungen protestantischer Stände. Für das Stadtregiment erschien es demnach offen, ob es reichspolitisch isoliert würde oder ob es ihm gelingen würde, die eigene Position zusammen mit den reichsstädtischen Rechten Aachens zu festigen. Diese Offenheit wurde trotz der Eindeutigkeit der kaiserlichen Befehle auch durch einige Aspekte der Beziehungen Aachens zum Reichsoberhaupt bestätigt. So ließ Rudolf II. den amtierenden Aachener Rat seit der Bannandrohung von 1589 regelmäßig als „angemaste Burgermeister und Rhadts ver- wandtenn“277 Regierung des königlichen Stuhls Aachen anschreiben – eine Veränderung der Titulatur für den Aachener Magistrat, die sowohl dessen Rechtmäßigkeit verneinte als auch betonte, dass Aachen zwar eine Reichsstadt sei, aber der Kaiser über die Stadt als seinem Krönungsort doch besondere Rechte ausübe.278 Dem widersprechend ließ der Kaiser das protestantisch Deutschen Rechtshistorikertages. Halle an der Saale 10.–14. September 2006. Bern 2008, S. 578–606, hier: S. 579–581. 276 Die Versuche, wieder auf dem Kreistag zugelassen zu werden, erfolgten 1585 mit dem Hinweis, dass der dem Ausschluss zu Grunde liegende Konflikt durch die Kommission von 1584 beendet, sei und 1595 mit dem Hinweis, dass Aachen auf dem Tag zugelassen werden müsse, nachdem es auch zur Zahlung einer Reichssteuer herangezogen worden war (vgl. Schneider, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert, hier: S. 221, 223–226). Zur Passivität des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises während der Krise um Aachen zu Beginn der 1580er Jahre vgl. auch die Einordnung bei Helmut Neuhaus, Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis – eine Region der Frühen Neuzeit?, in: Westfälische Forschungen 52 (2002), S. 95–110, hier: S. 109. Zur Initiative Pfalzgraf Johann Casimirs, den Oberrheinischen Kreis zur Unterstützung Aachens zu aktivieren vgl. Briefe vom 2. Januar 1582 und vom 5. März 1586, in: Bezold, 1576–1582, hier: S. 459–460 und Friedrich von Bezold (Hrsg.), Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir. Mit Verwandten Schriftstücken. Bd. 2: 1582–1586. München 1884, hier: S. 359. 277 Siehe beispielsweise die namentliche Adressierung der ‚Angemaßten‘ in „Kayserlicher Befelchs von dato den 12ten Jannuary Anno p90 einem Erb p Rhadt den 9 February A p 90 verkhundet“ (Kopie), StAAa, Depositum Reichsstadt Aachen 28, f. 129v. 278 Vgl. hierzu und zum Folgenden Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 170– 184.

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dominierte Regiment Aachens Anteil an der 1594 bewilligten Türkensteuer aufbringen. Die Heranziehung zu solch einer Reichskontribution wertete das Regiment sogleich als Beleg dafür, dass es die reguläre Obrigkeit eines reichsunmittelbaren Standes war. Auch von seinen Agenten in Prag erhielt der Rat bis zuletzt immer wieder Andeutungen, dass mit einer Exekution des Endurteils noch nicht zu rechnen sei und die Chancen auf eine Wahrung des status quo in Aachen weiter bestünden. Der Verlauf der Nebenhandlungen der Causa Aquensis ermutigte das Stadtregiment zur Fortführung seiner Bemühung um den Erhalt seiner Herschaft. Dass Vertreter des Stadtregiments noch kurz vor der tatsächlichen Exekution nicht daran glaubten,279 lag nicht allein an der Erfahrung, dass sich die Umsetzung kaiserlicher Befehle zur ‚Aachener Sache‘ in der Vergangenheit lange verzögert hatte, sondern auch an der Überzeugung, dass die eigenen Themen und Argumente in der Auseinandersetzung nach wie vor gehört wurden und Wirkung zeigten. So wirkten die beschriebenen Auseinandersetzungen stabilisierend auf die Position des protestantisch dominierten Stadtregiments. Das protestantisch dominierte Stadtregiment nahm weiter an politischen Verhandlungen über die Zukunft Aachens teil, die aus seiner Sicht ganz ähnlich abliefen wie vor dem kaiserlichen Endurteil. Nicht Verzweiflung, Verblendung oder Radikalisierung motivierte die protestantische Interessengruppe sondern die Aussicht auf offene Verhandlungen nach den traditionellen Verfahren der Reichspolitik. Das protestantisch dominierte Stadtregiment verhielt sich damit in etwa wie die katholische Opposition, die ihre Argumente und politischen Strategien nach 1593 ebenfalls nicht radikalisierte, sondern eher institutionalisierte und verstetigte. In den 1580er und 1590er Jahren teilten nicht mehr alle Aachener Protestanten den impliziten Konsens von protestantisch dominiertem Stadtregiment und katholischer Opposition über die Verfahrensweisen in der Causa Aquensis. Vertreter der protestantischen Konfessionskirchen brachten Unruhe in den politischen Prozess. Ob sie die Causa Aquensis damit in einen polarisierten Konfessionskonflikt verwandelten, wird im Folgenden untersucht. 1587 trat die deutsch-reformierte Konfessionskirche Aachens in die politischen Auseinandersetzungen um die ‚Aachener Sache‘ ein. In der Auseinandersetzung, die sich an dem Versuch entzündete, ein neues, größeres Predigthaus zu beziehen, nahm die deutsch-reformierte Gemeinde in Kauf, die Möglichkeit des Stadtregiments zur Selbstdarstellung als überkonfessionelle Obrigkeit einzuschränken. Die Gelegenheit zur weiteren Nutzung des Privathauses, das die deutsch279

Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 193–194.

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reformierte Gemeinde bis dahin für ihre Gottesdienste gebraucht hatte, war unsicher geworden, weil der Besitzer des Gebäudes verstorben war und seine Erben beabsichtigten, das Gebäude gewerblich zu nutzen. Das Konsistorium beschloss daraufhin eine dauerhafte Lösung für die gestiegenen gottesdienstlichen Bedürfnisse der reformierten Konfessionsgruppe in Aachen zu finden. Sie kauften das Haus Großer Klüppel, das ihnen zuvor bereits zur gottesdienstlichen Nutzung überlassen worden war, und planten, es zur reformierten Kirche umzubauen.280 Während der Ausschuss der katholischen Bürgerschaft darin einen weiteren unübersehbaren Verstoß gegen das kaiserliche Verbot von Religionsveränderungen sahen, befürchteten politisch aktive Lutheraner, die der sichtbar nicht-lutherischen Initiatoren des Kirchenbaus die Aufhebung des Rechts auf öffentliche Religionsausübung für alle Protestanten provozieren könnte. Sie nahmen an, der auf dem Kommissionsrezess von 1584 beruhende status quo würde im Wesentlichen darauf basieren, dass die Aachener Protestanten als Augsburger Konfessionsverwandte im strengen Sinne anerkannt würden.281 Vor diesem Hintergrund wandte sich das deutsch-reformierte Konsistorium an Pfalzgraf Johann Casimir.282 Anstatt sich aber dafür einzusetzen, dass der Weg für das Predigthaus in Aachen freigemacht wurde, mahnte der reformierte Fürst zur Vorsicht. Er warnte davor, dass die Baumaßnahme nicht zu öffentlichen Demonstrationen der religiösen Uneinigkeit in der Aachener Bevölkerung führen dürfte. Anderenfalls könne die neue Kirche von den Gegnern der Aachener Protestanten als Vorwand dafür benutzt werden, ihre religiösen Freiheiten zurückzunehmen. Konkret erhielt das Konsistorium aus Heidelberg den Rat, dem Predigthaus das äußere Ansehen eines gewöhnlichen und nicht sonderlich prachtvollen Privathauses zu geben. Durch den Verzicht auf eine sichtbare Repräsentation der reformierten Kirche im öffentlichen Raum sollte dem zu erwartenden Vorwurf, der Bau stelle ein Veränderung der Religion dar, die Grundlage entzogen werden.283 Zu280

Vgl. Pfalzgraf Johann Casimir an Älteste und Kirchendiener der christlichen reformierten Gemeinde in Aachen am 4. März 1588, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde, 2. Mappe. 281 Die Einwände von Katholiken und Lutheranern sind in den Quellen nicht unmittelbar fassbar, sondern müssen aus der Korrespondenz zwischen Johann Casimir, dem Aachener Rat und der bürgerlich-reformierten Gemeinde in Aachen abgeleitet werde. 282 Die Zusammenhänge und Abläufe des versuchten Kirchenbaus gehen weitgehend hervor aus: Pfalzgraf Johann Casimir an Älteste und Kirchendiener der christlichen reformierten Gemeinde in Aachen am 4. März 1588, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde, 2. Mappe. 283 Pfalzgrafen Johann und Johann Casimir an den Rat der Stadt Aachen vom 29. Februar 1588 (Abschrift), Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde, 2. Mappe. Abdruck in: Ludwig Keller, Die

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sätzlich zu Empfehlungen an das deutsch-reformierte Konsistorium wandte sich Johann Casimir an den Rat der Stadt Aachen. Dieser sollte unbedingt verhindern, dass es in Zusammenhang mit dem Kirchenbau zu Unruhen in der Bevölkerung käme. Der Pfalzgraf ermunterte auch den Landgrafen von Hessen, in Sachen Kirchenbau an das Stadtregiment zu schreiben und diesem die Bedeutung der innerstädtischen Ruhe während dieses Konflikts zu vermitteln. Das Handeln des Pfälzers zeigt, dass er sich als wichtigster verbleibender Akteur im Netzwerk der Unterstützer des amtierenden Aachener Regiments in der Defensive sah. Er erwartete für die Entwicklung in Aachen schon 1588 eher die Rücknahme der religiösen Freiheiten für Protestanten als die Festigung des Stadtregiments. Solange der Rat aber nicht auf einer festeren Grundlage stand als auf der des Kommissionsrezesses von 1584, durfte er nicht als ausdrücklich protestantische Obrigkeit wirken, die reformatorische Projekte wie den Kirchenbau auch gegen Widerstände und ungeachtet daraus entstehender Unruhe in der Stadt unterstützte. Offensichtlich hatte das Stadtregiment die aus Heidelberg angemahnte religionspolitisch zurückhaltende Linie bereits vorher adaptiert und wurde durch die Krise um den Kirchenbau darin bestätigt. Das deutsch-reformierte Konsistorium, von dem die Initiative für das umstrittene Projekt ausgegangen war, wurde durch die Kommunikation mit Johann Casimir zum Einlenken bewegt. Über den Ausgang des Konflikts um den Kirchenbau ist wenig bekannt – außer, dass der Klüppel spätestens 1589 als Predigthaus der reformierten Gemeinde in Betrieb genommen wurde, ohne aufwändig zur Kirche umgebaut worden zu sein. Es ist aber anzunehmen, dass der Konflikt entschärft wurde. Darauf deutet vor allem, dass er nicht so ausführlich in den Streitigkeiten zwischen Stadtregiment und katholischer Oppositionosition thematisiert wurde, wie in den folgenden Jahren die Konflikte um den Münsterkirchhof, das Send- und das Schöffengericht.284 Dass das Konsistorium sich aber überhaupt direkt an die Kurpfalz geGegenreformation in Westfalen und am Niederrhein. Actenstücke und Erläuterunge. Bd. 2: 1585–1609. (Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven, Bd. 33.) Leipzig 1887, hier: S. 93–94. Hermann Friedrich Macco, Das Haus Klüppel, in: Aus Aachens Vorzeit 16 (1903), S. 9–25, hier: S. 18–20 legt die Intervention des Pfalzgrafen als eindeutige Werbung für die Aachener Reformierten und ihren Kirchenbau aus. Diese Einschätzung, wie auch einige weitere Details zum Kirchenbau lassen sich anhand der heute noch im Archiv der evangelischen Gemeinde vorhandenen Bestände nicht nachvollziehen. 284 Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 42 geht davon aus, dass die Pläne für den Kirchenbau noch 1587 im Anfangsstadium des Projekts wieder aufgegeben worden seien. Die Bestände im Archiv der Evangelischen Gemeinde Aachen, auf die Hansen in diesem Zusammenhang allgemein verweist, bilden für eine solche Datierung keine verlässliche Grundlage.

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wandt hatte, zeigt, wie die religionspolitische Zurückhaltung des Stadtregiments und dessen Festhalten an den gegenwärtigen religiösen Verhältnissen selbsttätiges politisches Handeln der Konfessionskirchen auf den Plan rufen konnte. Aus solchen Handlungen entstand durchaus neues Konfliktpotential. Konfliktträchtig in diesem Sinne war der Vorstoß von Akteuren aus dem Kreis der lutherischen Konfessionskirche im Frühjahr 1590: Das Seniorat der lutherischen Gemeinde beauftragte sein Mitglied Johann Kalckberner mit einer Gesandtschafts- und Erkundigungsreise nach Hessen und Sachsen.285 Die diplomatische Initiative wurde unter dem Eindruck des kaiserlichen Bannandrohungsmandats von 1589 unternommen. Um die befürchtete Rekatholisierung und den Verlust der religiösen Freiheiten für die Reformierten und Lutheraner in Aachen abzuwenden, wollten die Ältesten der Aachener Lutheraner speziell die Unterstützung einflussreicher lutherischer Stände gewinnen. Sie nahmen fälschlich an, dass der Entschluss der katholischen Interessengruppe und des Kaisers, Aachen vollständig zu rekatholisieren, vor allem aufgrund des Eindrucks getroffen worden war, bei den Aachener Protestanten handele es sich ausschließlich um Calvinisten. Dagegen sollte Johann Kalckberner in Hessen und Sachsen vermitteln, dass die lutherische Gemeinde in Aachen fest auf dem Boden der Augsburger Konfession stünde. Aus diesem Grund sei ihr Recht zur Feier ihrer Gottesdienste auch dann zu wahren, wenn der Kaiser seine Befehle gegen den Aachener Rat und die reformierten Gemeinden in der Stadt durchsetzen ließ. Dieses Argument glich zwar für sich genommen der Berufung auf den Religionsfrieden, die auch das protestantisch dominierte Stadtregiment immer wieder in die Auseinandersetzungen eingebracht hatte, stellte in seinem konkreten Kontext jedoch einen Bruch mit der Linie des Rats und der gesamten protestantischen Interessengruppe dar. Das lutherische Konsistorium versuchte, dem exercitium publicum seiner Kirche eine andere, sicherere Grundlage zu verschaffen als den Rezess der gemischtkonfessionellen Kommission. Es sollte sich vom Augsburger Religionsfrieden ableiten und nicht anzufechten sein. Das lutherische Konsistorium rückte bis zur Exekution des kaiserlichen Endurteils nicht vollständig von seinem Projekt ab, einen Schutz des öffentlichen Religionslebens exklusiv für seine Kirche zu gewinnen. Die Aachener Lutheraner erhielten so zwar in der von ihnen angeknüpften Kommunikation mit lutherischen Reichsständen und in den direkten Verhandlungen mit

285 Ebd., hier: S. 45. Hansen greift für seine Rekonstruktion der Ereignisse auf einen Bericht Kalckberners zurück, der heute verloren ist. Den Abschlussbericht Kalckberners über seine Reise referiert Hansen und gibt kurze Abschnitte wörtlich wieder, vgl. ebd., S. 74–75.

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Vertretern der katholischen Opposition kurz vor der Restitution 1598286 nie verbindliche Zusagen; ihnen wurde aber häufig und nachdrücklich vermittelt, dass es von großer politischer Bedeutung sei, sich auf das orthodoxe Luthertum zu verpflichten und sich von den Aachener Reformierten abzugrenzen. Die Bedeutung einer solchen konfessionellen Abgrenzung von den Reformierten, wurde ihnen besonders nachdrücklich von hessischen Theologen in Marburg nahe gelegt.287 Auf diesem Weg gewann das Thema der innerprotestantischen Differenz zwischen Lutheranern und Reformierten seit der Wende von den 1580er zu den 1590er Jahren, noch einmal an Bedeutung, nachdem es in der Krise der beginnenden 1580er Jahre eine erste Konjunktur gehabt hatte. Die Lutheraner argumentierten weiter mit der Fremdzuschreibung „calvinistisch“ und der Eigenbeschreibung „Augsburger Konfessionsverwandt“, ohne sich aber konkret auf die religiösen Praktiken der Aachener Protestanten oder theologischen Differenzen ihrer Bekenntnisse zu beziehen. Den tatsächlichen Verlauf und Ausgang der politischen Auseinandersetzungen beeinflussten Argumente zur konfessionellen Uneinigkeit der Aachener Protestanten nun noch weniger als in den vorangegangenen Jahren. Für die politische Auseinandersetzung um die Causa Aquensis wurde die Argumentation erst später, nach der Restitution, relevant. Der Vorstoß der lutherischen Gemeinde hatte die Aachener Akteure, insbesondere die Mitglieder des Stadtregiments und der reformierten Konfessionskirche aber schon jetzt darauf aufmerksam gemacht, dass aus der auffälligen Spaltung der Aachener Protestanten ein politisches Problem entstehen konnte. Diese Erfahrung war umso eindrücklicher als sie sich mit den Eindrücken der Exekution des kaiserlichen Endurteils im Sommer 1598 verband. Nachdem der amtierende Rat in die Reichsacht erklärt worden war, der Kurfürst von Köln mit der Durchsetzung des Beschlusses beauftragt worden waren und spanische Truppen bei Aachen zusammengezogen worden waren, um die Exekution falls nötig mit militärischer Gewalt durchzusetzen, versuch286

Vgl. Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 48. 287 Ägidius Hunnius und Jeremias Vietor aus Marburg und Gießen an H. vorsteher und Consitoriales der reinen christlichen unnd im grundt der Augspurgschen Confession zugethanen Gemein, so man Luterisch nennet zu Aachen, 30. Mai 1589, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,16 (Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644). Die unter anderem auf Grundlage dieses Ratschlags entwickelte und bereits weiter oben skizzierte Haltung der lutherischen Senioren zur Abgrenzung von den Reformierten in Aachen und die Zusammenarbeit mit der katholischen Opposition ist dokumentiert in: Denkschrift [der Senioren der lutherischen Gemeinde in Aachen] zum Umgang mit dem Kirchenbau der Reformierten [1589], Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,16 (Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644).

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te das Stadtregiment durch begrenzte Zugeständnisse an die kaiserliche Forderung nach Wiederherstellung der religiösen Verhältnisse von 1560 die eigene Absetzung noch zu verhindern. Der Rat ließ den Vorständen der reformierten und der lutherischen Konfessionskirchen durch seinen Sekretär Matthias Duppengießer befehlen, die öffentlichen Gottesdienste mit sofortiger Wirkung einzustellen.288 Beide Kirchen folgten diesem Befehl. Für die reformierte Kirche war mit diesem Schritte die vage Hoffnung verbunden, das Stadtregiment könne die immer wieder angefochtene aber in den vergangenen 14 Jahren dennoch stabile Dreikonfessionalität Aachens weiter aufrecht erhalten. Währenddessen loteten Mitglieder der lutherischen Konfessionsgruppe bei der katholischen Opposition und dem kurkölnischen Exekutor die Möglichkeit aus, nach der Absetzung des Rates und dem Ende des Nebeneinanders dreier Konfessionen die lutherische Kirche als einzige mit religiösen Freiheiten privilegierte protestantische Gemeinde in Aachen zu erhalten.289 Auch nachdem sich herausgestellt hatte, dass diese Möglichkeit realistisch nie bestanden hatte, betonten einige Mitglieder der lutherischen Konfessionsgruppe weiter die politische Bedeutung des Unterschieds zwischen Lutheranern und Reformierten in Aachen. Anlass und Rahmen für solche Argumente lieferten die auf die eigentliche Restitution des katholischen Regiments im Jahr 1598 folgenden Verhandlungen, die zunächst über die Bestrafung der geächteten Amtsträger und Ratsherren des protestantisch dominierten Magistrats geführt wurden und die dann deren Lösung aus der Acht betrafen. Bei diesen Verhandlungen hatte die konfessionelle Zusammensetzung des protestantisch dominierten Rates eine hohe Bedeutung erlangt: Erst jetzt wurde die Religionszugehörigkeit der Geächteten im Einzelnen geklärt. In der Folge wurden die katholischen Mitglieder des Rats mit Ausnahme Bonifacius Colyns, der als prominenter Vertreter der Politik des Regiments aufgetreten war als erstes und ohne Auflagen aus der Acht gelöst. Sie wurden zum Teil unmittelbar Mitglieder des neuen katholischen Regiments.290 Geächtete Lutheraner lösten die kaiserlichen Kommissare bei weitem nicht so einfach aus der Acht. Dennoch machten sich, wie ein Beispiel zeigt, auch die Lutheraner unter den Ratsverwandten 1598 Hoffnungen, ihre nicht-reformierte Konfession werde sie vor allzu harter Strafe schützen. Die Rechtfertigung des geächteten lutherischen Ratsherrn Peter Ruland 288 Ratsmandat vom 16. Juli 1598 zum Verbot der öffentlichen Religionsausübung. Unterschrieben: Duppengießer, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde. 289 Vgl. Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 48. 290 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 327–335.

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war darauf ausgerichtet, neben den katholischen Ratsherrn auch ihn als Lutheraner aus der Verantwortung für den Ungehorsam des Stadtregiments gegenüber dem Kaiser in den Jahren 1589 bis 1598 zu nehmen.291 Damit erklärte er die Renitenz des protestantisch dominierten Stadtregiments implizit zur Politik der Aachener Reformierten. Ruland war als Mitglied des 1597 gewählten und während der Exekution amtierenden Rates geächtet worden. Gegen den hinter der Ächtung stehenden Vorwurf des Ungehorsams gegen den Kaiser verwehrte sich Ruland, indem er darlegte, wie er schon 1590 nach dem ersten kaiserlichen Bannmandat, in das sein Name, wie diejenigen aller anderen aktuellen Ratsherren, inseriert worden war, gegen den von der Ratsmehrheit getragenen politischen Kurs in der Causa Aquensis habe protestieren wollen. Bürgermeister Peter von Zevel habe ihn allerdings gebremst und darauf verwiesen, dass ein solcher Protest eines einzelnen Ratsherren nicht den Gepflogenheiten des Rates entspreche und Ruland die Mehrheitsentscheidung des Rates mitzuverantworten habe. Nach der Ratsperiode 1589/1590 ließ sich Peter Ruland nicht erneut in den Rat wählen, womit er sich bewusst von der Linie des Stadtregiments in der Auseinandersetzung um die ‚Aachener Sache‘ distanzierte. Die Reaktionen des Rates auf das kaiserliche Endurteil von 1593 und dessen letzte Bestätigung durch den Reichshofrat 1596 musste Ruland daher nicht mittragen. Als er 1597 von seiner Gaffel, den Kupferschlägern, wiederum als Mitglied des Großen Rates benannt wurde, hatte er sich aufgrund seiner fortgesetzten Uneinigkeit mit der Politik des Stadtregiments zunächst geweigert, seinen Ratssitz einzunehmen. Im Herbst des Jahres hatte der Rat ihm dann allerdings wegen der Verletzung seiner Ratspflichten mit Gefangensetzung auf einem der Stadttore gedroht. So genötigt sei Ruland bei der Exekution 1598 Mitglied des Rates gewesen. In der schriftlichen Niederlegung seiner Rechtfertigung, die Ruland noch im Herbst 1598 in Form eines offenen notariellen Instruments aufsetzen ließ, argumentierte der Lutheraner an keiner Stelle explizit mit konfessionellen Zuschreibungen. Er grenzte sich selbst als kaisertreuen Lutheraner also nicht ausdrücklich von der reformierten Ratsmehrheit ab, deren Politik in die Acht geführt hatte. Durch die Wahl der Zeugen für die Erklärung wurden die konfessionspolitischen Implikationen seiner Rechtfertigung aber deutlich: Zu den Personen, die für Peter Rulands Rechtfertigung bürgten, gehörten Matthias Duppengießer, Johann Kalckberner und Christian Meeß. Die ersten Beiden waren bekannte Lutheraner. Johann Kalckberner war an 291 Vgl. Instrument des Notars Andreas Renardus aus Lüttich im Auftrag des Aachener Kupfermeisters Peter Ruland, 12. Oktober 1598, Stadtarchiv Frankfurt, Stalburg Urkunden 200.

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den Bemühungen der lutherischen Kirche beteiligt, das Wohlwollen der katholischen Interessengruppe zu gewinnen und so die eigenen religiösen Freiheiten über die Exekution hinaus zu bewahren. Sein Heranziehung als Zeuge stellte auch Rulands Selbstrechtfertigung in den Kontext der lutherisch-kaisertreuen Politik. Christian Meeß war katholisch, Mitglied des restituierten Rates und hatte der katholischen Opposition in Aachen nah gestanden.292 Seine Bürgschaft für Rulands Kaisertreue konnte also als Demonstration der politischen Einigkeit zwischen Katholiken und Lutheraner in Aachen gegen die Reformierten gelesen werden. Für die Mitglieder des protestantisch dominierten Stadtregiments wirkte eine solche Spaltung der Aachener Protestanten dramatisch, weil sie in Koinzidenz mit ihrer Absetzung vollzogen wurde. Aber auch für Mitglieder der lutherischen Gemeinde führte die Erfahrung, dass ihr spätes Einlenken gegen die Politik des Stadtregiments, ihrer Kirche letztlich keinen Vorteil gebracht hatte, zu einer Schärfung des Bewusstseins für das politische Problem der Einigkeit von Lutheranern und Reformierten in Aachen. 2.3.5 Ergebnisse: Reichspolitische Konventionen als Alternative zum Konfessionalismus In der Zeit zwischen 1580 und 1598 verdichtete sich der Diskurs um den religiösen und politischen Status der Reichsstadt Aachen merklich. Alle wichtigen Aspekte der Auseinandersetzung gewannen an Kontur: Akteure auf den Ebenen von Stadt, Region und Reich traten nun als Einzelpersonen, Interessengruppen und in den politischen Netzwerken, die sie in Bezug auf die Causa Aquensis knüpften, erkennbar hervor. Die Interessengruppen umfassten auf katholischer Seite zunächst die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten, später neben ihnen beziehungsweise in ihrer Nachfolge den Ausschuss der katholischen Bürgerschaft. Zu diesen katholischen Vertretern der bürgerlichen und patrizischen Führungsschicht Aachens kamen aus dem reichsstädtischen Umfeld der Aachener Erzpriester Johann Ellerborn und der Jülicher Amtsträger Johann von Thenen. Der Herzog von Jülich bildete den konstanten Rückhalt der katholischen Interessengruppe auf regionaler Ebene. Auch im Reich war der Herzog der aktivste fürstliche Vertreter der Interessengruppe. Der entscheidende Bezugspunkt und das aktiv entscheidende Zentrum der Gruppe waren aber der Kaiser und der kaiserliche Hofrat. Die protestantischen Interessengruppe wurde auf städtischer Ebene bis zur ersten Bannandrohung 1589 exklusiv durch das protestantisch dominierte 292

Zur Person vgl. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 288 und Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 66.

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Stadtregiment vertreten. Die diplomatischen Initiativen der lutherischen und reformierten Konfessionskirchen zur Absicherung des reformierten Kirchenbaus von 1587 und des öffentlichen lutherischen Gottesdienstes in Aachen entfalteten bis 1598 noch keinen relevanten Einfluss auf den reichspolitischen Entscheidungsprozess in der Causa Aquensis. Während das Stadtregiment auf regionaler Ebene keinen Rückhalt fand, konnte es von 1580 bis 1584 aber reichsweit ein Netzwerk protestantischer Stände für die Unterstützung seiner Positionen in der Auseinandersetzung gewinnen. Nach 1584 verengte sich der Kreis der engagierten Mitglieder der protestantischen Interessengruppe so weit, dass Pfalzgraf Johann Casimir und in seiner Nachfolge Kurfürst Friedrich IV. eindeutig die wichtigsten Bezugspunkte des amtierenden Aachener Regiments auf reichspolitischer Ebene waren. Von diesen Akteuren getragen, ließ sich die Auseinandersetzung um Aachen erst in der Zeit von 1580 bis 1598, als Diskurs über mehr oder weniger stark miteinander verbundenen Themen fassen, wobei die Diskussion auf den verschiedenen Ebenen Stadt, Region und Reich jeweils ihre eigenen thematischen Schwerpunkte herausbildete. Insbesondere in Hinblick auf die Fragen, ob und wie sich der Gesamtdiskurs über den religiösen und politischen Status Aachens in den Jahren 1580 bis 1598 konfessionalisierte, sind die Eigenheiten und Wechselwirkungen der verschiedenen Ebenen interessant. Als in doppelter Hinsicht entscheidend erwiesen sich dabei die Auseinandersetzungen auf Reichsebene. Zum einen, weil auf dieser Ebene, genauer am kaiserlichen Hof, faktisch die politischen Entscheidungen über den Verlauf der Causa Aquensis getroffen wurden; zum anderen, weil die kaiserliche Politik zum Bezugspunkt aller anderen Akteure in der Auseinandersetzung wurde. Die Zentrierung auf den kaiserlichen Hof bestimmte Themen und Argumente des Diskurses: Die Fragen nach den Kompetenzen des Kaisers als Stadtherrn der Reichsstadt Aachen, der Fähigkeit des Aachener Rates, in der Stadt auch gegen vorangegangene Ratsbeschlüsse Recht zu setzen, den Fragen nach dem Reformationsrecht der Reichsstädte, nach der Auslegung des Religionsfriedens und schließlich nach der Kompetenzverteilung zwischen Kaiser und Reichsständen bei Entscheidungen über strittige religionspolitische Fragen. Nach 1584 bildete die Aussage des Kaisers, er könne die ‚Aachener Sache‘ aus eigener Kompetenz entscheiden und werde diese Entscheidung dem Reichsreligionsrecht und der Aachener Verfassung gemäß zu Gunsten der politischen Rekatholisierung der Stadt treffen, den wichtigsten Bezugspunkt in der Auseinandersetzung. Die Aussage bestand im Kern in den rechtlich-politischen Feststellungen, dass der katholische Status Aachens auf Reichsebene in den Jahren 1550 und 1555 festgelegt worden war, als das Aachener Stadtregiment zunächst gegenüber König Ferdinand I. und dann

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gegenüber dem Reichstag erklärt hatte, dass die Stadt katholisch sei. Auf städtischer Ebene sei die Katholizität 1560 durch die Ratsbeschlüsse zum Ausschluss der Protestanten vom Regiment fixiert worden. Alle religiösen Veränderungen nach diesen ausschlaggebenden Entscheidungen waren nach kaiserlicher Interpretation Rechtsbrüche. Die Vertreter der katholischen Interessengruppe bauten ihre Argumente auf dieser Aussage auf. Die katholische Opposition in Aachen betonte die Rechtmäßigkeit ihres Anspruches auf das Stadtregiment und ihre Treue zum Kaiser. Für die katholische Opposition entstand aus der Anlehnung an den Kaiser die Notwendigkeit, sich über ihre Katholizität zu profilieren. Gleichzeitig barg der sichere Rückhalt beim Kaiser den katholischen Aachener Akteuren aber auch die Freiheit, auf konfessionalistische Fundamentaloppositionen zum Stadtregiment auf der städtischen Ebene zu verzichten. Eine solche radikale Positionierung forderte der Kaiser nicht ein. Die Akteure innerhalb der protestantischen Interessengruppe versuchten auf verschiede Art und Weise, ihre Positionen innerhalb des vom kaiserlichen Hof vorgegebenen diskursiven Rahmens durchzusetzen. Das Stadtregiment ließ sich dabei weitgehend darauf ein, die Auseinandersetzung über den politischen und religiösen Status Aachens als reichsrechtlichen Entscheidungsprozess zu führen. Auf diesem Weg schien die Aufrechterhaltung der 1584 bestätigten Verhältnisse in Aachen möglich zu sein – aber kein weiterer Ausbau der religiösen Freiheiten für die Protestanten in Aachen. Die vorläufige Entscheidung des Prozesses gegen den protestantisch dominierten Rat im Jahr 1593 lässt die Wahl dieser Linie im Nachhinein als Fehlentscheidung erscheinen. Bis dahin ermöglichte sie es dem Rat allerdings, in der Auseinandersetzung in seiner Rolle als reichsstädtische Obrigkeit aufzutreten und nicht als mit der katholischen Opposition streitende protestantische oder gar calvinistische Konfessionspartei. Er konnte so einen höheren Status gegenüber der von ihm weiterhin mit der Zuschreibung ‚Privatleute‘ belegten katholischen Opposition behaupten. Die Behauptung dieses Status war nötig, um im Umgang mit Partnern und Gegnern in Reich und Region wie auch bei der Ausführung seiner Aufgaben als Obrigkeit innerhalb der Stadt die nötige Autorität zu behalten. Die Politik der Verteidigung reichsstädtischer Rechte ermöglichte es dem Rat auf der einen Seite, in eingeschränktem Maße für die religiösen Freiheiten und Interessen der Protestanten in Aachen einzutreten und auf der anderen Seite als Obrigkeit der protestantischen und katholischen Bürger der Stadt zu wirken. Die übrigen Akteure der protestantischen Interessengruppe forderten vom Stadtregiment keine entschiedenere protestantisch-konfessionalistische

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Positionierung. Sie fuhren stattdessen fort, die Auseinandersetzung über den politischen und religiösen Status Aachens anhand der während der Krise der beginnenden 1580er Jahre und am kaiserlichen Hof gesetzten Themen auszutragen. Auf dieser Linie lag es auch, dass das Netzwerk der Unterstützer des protestantisch dominierten Rates nach 1584 zwar schwächer wurde, effektiv aber nicht in einen lutherischen und eine reformierten Part zerfiel. Die genaue konfessionelle Ausrichtung der Mitglieder des amtierenden Stadtregiments und das Religionslebens der Mehrheit der Aachener Protestanten blieben von nachgeordneter Bedeutung. Die konfessionelle Polarisierung der Auseinandersetzungen schritt auf der einen Seite fort, weil die zunehmende Bedeutung der reichspolitischen Entscheidungsebene alle Akteure zwang, sich in die bereits bestehenden religionspolitischen Netzwerke einzufügen. Das politische Bekenntnis zum Katholizismus beziehungsweise zum Protestantismus war eine Voraussetzung für die erfolgreiche Angliederung an diese Gruppen. Auf der anderen Seite erhielten die Aachener Akteure durch die Verlagerung der politischen Entscheidungen aus ihrem unmittelbaren Einflussbereich, durch den politische Rückhalt ihrer jeweilige Netzwerke und durch auf Reichsebene eingeübte Einhegungsstrategien für konfessionellen Konflikte die Möglichkeit, auf die vollständige Konfessionalisierung ihres politischen Handelns zu verzichten. Die Freiräume verhinderten aber nicht, dass Aachener Akteure in Nebenhandlungen der Causa Aquensis auf Strategien der konfessionellen Abgrenzung, Polemisierung und Polarisierung setzten. Die Auseinandersetzungen auf Reichsebene waren Bezugspunkt dieser Entwicklung und regten sie insofern an, als die Aachener Akteure – insbesondere die Mitglieder der katholischen Opposition – annahmen, dass eine deutliche konfessionelle Profilierung ihre Position im politischen Wettstreit stärken würde. Die katholische Opposition, das protestantisch dominierte Stadtregiment und andere Aachener Akteure teilten auch noch nach 1593 den Eindruck, dass der Ausgang des Prozesses am kaiserlichen Hof nicht entschieden war. Daraus zog das Stadtregiment die Motivation für die Fortsetzung seiner Politik zur Erhaltung des politischen und religiösen status quo und die katholische Opposition leitete daraus die Notwendigkeit für ihre fortgesetzte konfessionelle Profilierung ab. Die Versuche einiger lutherischer Akteure, ihre Abgrenzung von den Aachener Reformierten politisch zu verwerten, waren zum Teil ebenfalls einer Unsicherheit über den Ausgang des kaiserlichen Entscheidungsprozesses geschuldet. Verweise auf innerstädtische Konfessionskonflikte, auf die sowohl die katholische Opposition als auch die Akteure aus dem Kreis der protestantischen Konfessionskirchen ihre Bemühungen zur stärkeren konfessionellen

Strukturelle Verfestigung der Konflikte 1580–1598

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Profilierung stützten, blieben bis 1598 von geringer Reichweite. Weder Katholiken noch Lutheraner konnten den Eindruck eines generalisierten Konfessionskonfliktes in Aachen vermitteln, sodass der amtierenden Rat seine Selbstdarstellung als überkonfessionelle, auf Grundlage traditioneller reichsstädtisch-kommunaler Werte, agierende Obrigkeit aller Aachener aufrecht erhielt. Die eingehende Untersuchung der Verhandlungen der Causa Aquensis in den Jahren 1580 bis 1598 konnte bisher jüngste Untersuchung von Walter Schmitz in einigen Punkten ergänzen oder berichtigen, die für die hier bearbeiteten Fragen von entscheidender Bedeutung sind. Indem Akteure, Themen und Argumente insbesondere auch an Nebenschauplätzen der Sache Aachen gegen Aachen untersucht wurden, konnte die Vorstellung differenziert werden, dass diese Sache fast ausschließlich ein am kaiserlichen Hof geführter Prozess war. Auch das Urteil, demnach in der Causa Aquensis vor allem eine protestantische gegen eine katholische Aachener Konfessionspartei stritten, konnte korrigiert werden. Aufgrund der neuen Ergebnisse lassen sich drei Thesen formulieren. Erstens diktierte der kaiserliche Hof nicht einfach den Ablauf der politischen Auseinandersetzungen. Indem er die Konflikte in Aachen in die Formen reichspolitischer und reichsrechtlicher Verhandlungen goss, eröffnete er dem protestantisch dominierten Stadtregiment und der katholischen Opposition Aachens stattdessen auch eine Reihe von politischen Handlungsoptionen. Der Kaiser bot den Aachenern funktionierende Verfahren an, ihre politischen Konflikte zu verhandeln, ohne dass sie eskalierten. Neben dem Kaiser waren die die Institutionen des Reiches wie der Reichstag und das Reichskammergericht sowie einzelne Reichsstände die Teilnehmer und Stützen dieses stabilisierenden Systems. Zweitens trugen also auch eine Reihe von Reichsständen dazu bei, dass die ‚Aachener Sache‘ bis 1598 weder unwiderbringlich eskalierte noch entschieden wurde. Die protestantischen und katholischen Reichsstände übernahmen in Hinblick auf die konfessionelle Polarisierung der politischen Auseinandersetzungen eine bemerkenswerte Doppelrolle. Auf der einen Seite machten sie die Aachener mit vielen konfessionalistischen Themen und Argument der Reichspolitik erst vertraut. Sie unterstrichen, dass das protestantisch dominierte Stadtregiment und die katholische Opposition sich konfessionspolitischen Netzwerken anschließen mussten, um ihre Positionen zu behaupten. Auf der anderen Seite zeigten sie den Aachenern, wie sie auch in einem konfessionell gespaltenen Reich Politik mit überkonfessionellen Argumenten machen konnten oder wie sie Konfessionskonflikte in formalisierter Form aushandeln konnten, um religiösen Totalkonfrontationen auszuweichen. Die dritte These zum vorstehenden Kapitel lautete, dass die Causa Aquensis bis 1598 weitgehend in den gerade beschriebenen Formen der

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Reichsreligionspolitik verhandelt wurde. Konkrete und alltägliche Konfessionskonflikte in Aachen spielten für die Verhandlungen kaum eine Rolle und schieden damit als Ursache für eine konfessionelle Polarisierung des politischen Prozesses aus. Das wirft die Frage auf, welche Entwicklung die politischen Auseinandersetzungen nach 1598 nahmen, sodass innerstädtische Konflikte und konfessionelle Verwerfungen eine entscheidende Rolle spielten und im städtischen, regionalen und reichsweiten Diskurs das Bild von einer umfassenden konfessionellen Spaltung der Aachener Einwohnerschaft dominierte.

2.4 Ausweitung und Polarisierung der Auseinandersetzungen (1598 bis 1616) Mit der Einsetzung eines ausschließlich mit katholischen Männern besetzten Stadtregiments 1598 war der Prozess zur Causa Aquensis am kaiserlichen Hof zunächst abgeschlossen. Die Auseinandersetzung um den politischen und konfessionellen Status Aachens dauerte allerdings nach diesem entscheidenden Einschnitt in veränderter Form an. Viele Handlungsträger, die den Diskurs zuvor gestaltet hatten – Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen, konnten nicht mehr daran teilnehmen. An vorderster Stelle der ausscheidenden Akteure stand das protestantisch dominierte Stadtregiment. Diejenigen Mitglieder des abgesetzten Regiments, die von der kaiserlichen Kommission als die führenden Persönlichkeiten des Magistrats und dessen politischen Bemühungen im Rahmen der Causa Aquensis angesehen wurden, blieben auch nach den Verhandlungen über die Lösung der übrigen Regimentsmitglieder aus der Acht aus Aachen verbannt.293 Generell hatten alle protestantischen Bürger Aachens mit ihrem Ausschluss vom Stadtregiment Möglichkeiten verloren, auf städtischer, regionaler und reichsweiter Ebene Einfluss auszuüben. Die Träger der konfessionell katholischen und gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment ausgerichteten Politik der Jahre 1580 bis 1598 waren nun aus verschiedenen Gründen nicht mehr in der Lage, zu argumentieren wie zuvor: Als Verantwortliche im Stadtregiment konnten sie eine ähnlich profilierte Selbstdarstellung als Vorkämpfer des Katholizismus in Aachen nicht ohne Weiteres behaupten. Der neue Magistrat wurde auch von Teilen der katholischen Bürgerschaft mitgetragen, die unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment nicht im konfessionalistisch katholischen Sinne politisch aktiv gewesen waren oder den damaligen Magistrat sogar akzeptiert und gestützt hatten.294 Darüber hinaus mussten Bürgermeis293 294

Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 234–235. Vgl. ebd., hier: S. 213. Der Verdacht, dass einige der katholischen Ratsherren einer

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ter, Schöffen und Rat auch als Obrigkeit der in der Stadt verbleibenden Protestanten handeln. Die Aachener Geistlichen vor allem aus dem Umfeld des Marienstifts konnten sich weniger darauf berufen, als Vertreter und Führer der katholischen Kirche Aachens insgesamt zu handeln. Als Exponenten und Schrittmacher des Katholizismus in Aachen erschienen in der politisch katholisierten Reichsstadt nun die Jesuiten.295 Der Jülicher Vogtmeier Thenen, der zwischenzeitlich ein Agent der katholischen Opposition gewesen war, fügte sich nun wieder in das Spannungsfeld zwischen Bürgermeistern und Rat in Aachen, dem dortigen Schöffengericht und dem Herzog von Jülich ein, das durch die reichsstädtische Verfassung und die rechtlichen und politischen Verbindungen zwischen Aachen und den Vereinigten Herzogtümern vorgegeben war. Für bevorstehende Auseinandersetzungen um den politischen und religiösen Status Aachens musste sich die konfessionellen Interessengruppe in Aachen neu formieren. Im Folgenden wird zunächst untersucht, wie die beiden konfessionellen Interessengruppen sich neu positionierten. 2.4.1 Der Exekutionsprozess und die Verhandlungen über die Achtlösung als Keim neuer Konflikte Die Reichsexekution gegen die Mitglieder des abgesetzten, protestantisch dominierten Rats hatte im Sommer 1598 erst begonnen. Die weitere Arbeit der Exekutoren, die im Wesentlichen von Subdelegierten des Kölner Kurfürsten und von kaiserlichen Hofräten verrichtet wurde, bestand 1598 bis 1603 zum einen darin, die Gesamtsumme der von den Geächteten geforderten Strafzahlungen festzulegen und über deren Verteilungen unter den Geschädigten zu entscheiden. Neben dem Kaiser, dem Kurfürsten von Köln und dem Herzogtum Brabant, welche die Kosten der Exekution trugen, kamen der restituierte katholische Rat, Mitglieder der ehemaligen katholischen Opposition, einzelnen katholische Bürger und der Herzog von Jülich als Geschädigte und Geldempfänger in Frage. Die Exekutionskommission entschied zusätzlich über die Lösung der Geächteten aus der Acht. Diese Lösung setzte die Versöhnung der katholischen radikalen gegenreformatorischen Politik abgeneigt waren, sollte nicht nur die Männer treffen, die vor der Restitution Mitglieder des protestantisch dominierten Rates gewesen waren. Wie gezeigt wurde, gehörte die Aussage, dass die katholische Bürgerschaft Aachens und damit auch die ratsfähigen Katholiken einhellig oder zumindest überwiegend und im Normalfall in Opposition zum abgesetzten Regiment gestanden hatten, zwar zur Selbstdarstellung der ,katholischen Bürgermeister und Schöffen‘, traf deswegen aber nicht unbedingt die Realität. 295 Vgl. Pohle, Aachen – Jesuitenund Pohle, Glaube und Beredsamkeit, hier: S. 111 mit weiterführender Literatur.

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Partei in der Causa Aquensis, jetzt vertreten durch den restituierten Rat, mit den Geächtete voraus.296 Die Verhandlungen über die Strafzahlungen, deren Verteilung und die Rehabilitierung der Geächteten legten das Fundament für kommende Auseinandersetzungen um den religiösen und politischen Status der Reichsstadt Aachen. Im Zuge der Verhandlungen bildeten Aachener Katholiken und Protestanten – wie im Folgenden gezeigt wird – neue Interessengruppen und Netzwerke. Wie bereits aus der Schilderung des Versuchs der lutherischen Kirchenleitung, ihre Kirche gegen die Reformierten in Aachen zu profilieren, hervorging, bot die Exekution von 1598 die Gelegenheit, in der früheren Auseinandersetzung erarbeitete argumentative Positionen erneut einzubringen. In vergleichbarer Art und Weise opponierte der katholische Rat entschieden gegen die Lösung Bonifacius Colyns aus der kaiserlichen Acht. Er blieb als einziges katholisches Ratsmitglied über das Ende der Versöhnungsverhandlungen hinaus in der Acht, womit ihm die Rückkehr in den Reichsstadt Aachen verwehrt blieb.297 Nachdem sich bereits zu Beginn der Versöhnungsverhandlungen gezeigt hatte, dass seine Lösung aus der Acht nicht ohne weiteres erreicht werden würde, hatte Colyn um die Unterstützung des Kurfürsten von Köln geworben. Dieser sollte beim Kaiser zu seinen Gunsten anführen, dass er im Sommer 1598 zum reibungslosen und gewaltlosen Ablauf der Restitution beigetragen hatte. Auf dieser Grundlage traf Ernst von Bayern die Entscheidung, Colyn aus der Acht zu lösen. Der neue Magistrat weigerte sich aber auch weiterhin, sich mit Colyn zu versöhnen oder ihn nach Aachen zurückkehren zu lassen. Die Vertreter des katholischen Stadtregiment – darunter ehemalige Mitglieder des katholischen Opposition, nun Ratsherren und Amtsträger – benutzten Colyn weiter als Projektionsfläche für ihre Selbstdarstellung als gegenreformatorische Kämpfer. Sie stellten seine Beteiligung am protestantisch dominierten Stadtregiment konsequent als Verrat am politischen Katholizismus und Abfall von der katholischen Religion selbst dar.298 Den übrigen Katholiken die 1598 Mitglieder des geächteten Rates gewesen waren, wurde die rasche Integration in den neuen katholischen Rat ermöglicht. Weder der katholische Rat noch die Kurkölner Kommissare wollten die Rolle der anderen zeitweilig der Acht verfallenen katholischen 296

Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 212 u. S. 214–215. Hierzu und zum Folgenden vgl. Schmitz, Möglichkeiten und Grenzen der Toleranz im späten 16. Jahrhundert, hier: S. 160–163. 298 Eine Aufstellung von Ämtern, Privilegien und Einkünften, die Colyn durch seine Verbindung mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment erhalten hatten, könnte erstellt worden sein, um eben diese Vorwürfe zu untermauern. Vgl. StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 44r–45v. 297

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Ratsleute hinterfragen und damit die konfessionellen Zuschreibungen an das abgesetzte Regiment in Frage stellen. Kommissare und Stadtregiment stellten die Mehrheit der geächteten protestantischen Ratsmitglieder nicht in einer Art und Weise dar, die klare Grenzen zwischen konfessionspolitischen Gruppen markierte. Die Kommissare unterschieden zwischen den „vornehmste[n] Rädelsführer[n]“ und den „Rädelsführer[n]“, das heißt den Hauptverantwortlichen, die dauerhaft aus der Stadt verbannt blieben, auf der einen Seite und den übrigen Ächtern. Sie verfestigten diese Unterscheidung mit einer Liste aller Geächteten, in der sie mit eben diesen Kategorien arbeiten. So schufen sie eine Voraussetzung für die Integration der protestantischen Bürger in die Stadtgemeinde. Die Möglichkeit, in Aachen zu leben, ohne auf die Rolle einer konfessionellen Opposition festgelegt zu sein bestand für die aus der Acht gelösten Mitglieder des protestantisch dominierten Rates von 1598 und umso mehr für die große Mehrheit der reformierten und lutherischen Bürger Aachens, die von der Acht nicht persönlich betroffen waren.299 Die politisch aktiven Protestanten Aachens erhielten durch die Verhandlungen über ihre Lösung aus der Acht eine Gelegenheit, als Interessengruppe zu handeln. Durch die frühe Differenzierung des Umgangs mit den protestantischen Geächteten und den katholischen Mitgliedern des abgesetzten Rates bildeten diese Interessengruppen einen deutlicher konfessionell protestantischen Charakter aus, als es das protestantisch dominierte Stadtregiment jemals getan hatte. Die kurkölner und kaiserlichen Kommissare untersagten den Verhandlungsführern der protestantischen Ächter ausdrücklich, die ihnen trotz ihres Hausarrestes zugestandenen Versammlungen für irgendeine Art öffentlicher oder privater Religionsausübung zu nutzen und den Treffen damit offiziell die Wirkung einer Interessenvertretung der protestantischen Konfessionskirchen zu geben. Dennoch bildeten die lutherische und die bürgerlich-reformierte Gemeinde in Aachen den sichersten organisatorischen Rückhalt dieser Interessengruppen. So durften die Protestanten für die Entwicklung ihrer Verhandlungsposition den Rat des ehemaligen Ratssyndicus Gerhard Men heranziehen. Men stand allerdings seit der Absetzung des Stadtregiments nicht mehr als Amtsträger in der Pflicht der Geächteten, die er beriet. Seine 299 Um den Umfang abzuschätzen, in dem die führenden politisch aktiven Protestanten von von der Acht betroffen waren, muss berücksichtigt werden, dass ausschließlich die Mitglieder des im Sommer 1598 amtierenden Stadtregiments geächtet wurden. Auf Grund des verfassungsmäßig notwendigen Wechsels bei der Besetzungen von Ratssitzen und Ämtern erfasste die Acht nur einen mehr oder weniger willkürlichen Ausschnitt der politischen Führungsschicht der Stadt – sowohl aus der protestantischen als auch aus der katholischen Bürgerschaft. Vgl. die Liste der Geächteten im StAAa, RA II, HS 60, f. 1r ff.

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Verbindung zu einem Teil dieser Männer und sein Interesse, sie zu unterstützen, ergaben sich in erster Linie aus seiner Mitgliedschaft und seiner zeitweise aktiven Mitwirkung in der bürgerlich-reformierten Gemeinde.300 Auch die protestantischen Geächteten, die nach der Exekution ins Exil gegangen waren, ließen sich durch Glaubensgenossen vertreten, mit denen sie vor allem die gemeinsame Mitgliedschaft in einer Konfessionskirche verband.301 Parallel zu den von der reformierten Gemeinde mitgetragenen Verhandlungen mit der Exekutionskommission setzten Mitglieder der lutherischen Gemeinde ihre Politik der Abgrenzung von den Reformierten und der Bemühungen zur exklusiven Bewahrung ihres eigenen Religionslebens fort. Dies geschah nicht nur mit den Initiativen Peter Rulands. Schon im Oktober 1598 beauftragten eine Reihe von Lutheranern den Juristen Konrad von Heggen mit einem weiter reichenden politischen Vorstoß zu Gunsten der Lutheraner in Aachen.302 Er sollte bei verschiedenen protestantischen Reichsständen dafür werben, sich beim Kaiser für die Wiederfreigabe der öffentlichen Religionsausübung für die Augsburger Konfessionsverwandten einzusetzen. Auf Heggens Initiative folgte eine Interzession Pfalzgraf Philipp Ludwigs von Pfalz-Neuburg, in welcher das katholische Stadtregiment aufgefordert wurde, die öffentliche Religionsausübung für die Augsburger Konfessionsverwandten in Aachen wieder freizugeben.303 Dass es der Fürst des lutherischen „Musterstaats“ war, der die lutherischen Akteure in Aa-

300

Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 216–218. Vgl. ebd., hier: S. 218–219 mit Anm. 4 auf S. 219. Die nach Amsterdam verzogenen Lutheraner Werner von Köln,ost von Beeck, Caspar von Köln und Johann Andries ließen sich in den Verhandlungen u.a. durch Johann Ruland und Konrad von Heggen – ebenfalls Mitglieder der lutherischen Gemeinde – vertreten. 302 Vgl. Vollmacht und Auftrag von ehemaligen lutherischen Ratsverwandten für den Doktor der Rechte Konradt von Heggen, 13. Oktober 1598, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,16 (Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644). Die Unterzeichner der Vollmacht werden durch die in Ratslisten der Jahre 1580 bis 1598 (Alphabetisch nahmen Register aller Rathsverwandten der Stadt Aach [. . . 1580 bis 1598], Rijksarchiv in Zeeland, Familiearchiv Verheye-Van Citters 87) mehrheitlich als Lutheraner ausgewiesen. Das gilt für Servas von Cöln, Johann Amya, Franz Bonen, Johann Thielen, Peter Stonpard, Heinrich Klermondt, Peter Ruland, Arnold von Asten, Johann Lontzen, Göbel Schilling, Kerst Klermondt, Matheis Schrick und Roland von Heinsberg. Nicht eindeutig identifiziert und damit konfessionell zugeordnet werden können Leonard Szades, Adam auf die Kuchen und Clais Hirwarth. 303 Pfalzgrafen Philipp Ludwig an Bürgermeister, Schöffen etc., Neuburg 2. Januar 1599. (Kopie), Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,16 (Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644). 301

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chen unterstützte, unterstrich die Konzentration der Aachener Lutheraner auf die Abgrenzung von den Reformierten nach 1598.304 Der Vorgang markierte aber gleichzeitig das Scheitern der Bemühungen, die öffentliche Religionsausübung für die Lutheraner auf dem gemäßigten Weg politischer und reichsrechtlicher Appelle an den Kaiser und das Aachener Stadtregiment zu erreichen. Die Interzession des Neuburgers blieb ohne konkrete Folgen. Spätere Initiativen der Gemeindeleitung der Lutheraner, ihre Forderungen nach öffentlicher Religionsausübung und nach Exemption ihrer Gemeinde von der katholischen, geistlichen Gerichtsbarkeit auf reichspolitischer Ebene zur Geltung zu bringen, blieben ohne Resonanz.305 Für die weiteren Auseinandersetzungen um die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen waren sie aber insofern von Bedeutung, als sie die formalen rechtlichen Argumente anführten, auf welche die protestantische Interessengruppe lange Zeit ihre Position gestützt hatte, und sie damit für eine spätere Nutzung verfügbar hielten. Die während der Verhandlung über Versöhnung und Kompensationszahlungen von 1598 bis 1603 geknüpften Verbindungen zwischen den lutherischen und reformierten Akteuren bildeten die Netzwerke vor, die in den folgenden Auseinandersetzungen die Position der protestantischen Interessengruppe bestimmten. Die wichtigsten Männer für die politischen Bemühungen der Aachener Reformierten und Lutheraner nach 1603, die unter anderem durch die Verhandlungen über Strafzahlungen und Achtlösung in diese Position rückten, werden in der Folge kurz vorgestellt. Der reformierte Rechtsgelehrte Gerhard Men, ehemals Syndicus des protestantisch dominierten Rates und Berater der geächteten Protestanten in den Versöhnungsverhandlungen, wechselte in den Dienst von Kurfürst Ludwig IV. Am Heidelberger Hof vermittelte er in den Jahren 1611 bis 1612 intensiv zwischen den protestantischen Akteuren in Aachen und dem reformierten Fürsten.306 Auf Gerhard Mens Vorschlag hin nahm das pro304 Vgl. zusammenfassend zur konfessionspoltischen Ausrichtung Pfalz-Neuburgs: Franziska Nadwornicek, Pfalz-Neuburg, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 1: Der Südosten. Münster 1989, S. 44–55, hier: S. 49–50. 305 Vgl. Vollmacht der Vorsteher der Lutherischen Gemeinde für Niclaus Wyrichs und Cristoffer Kelner, 1. Januar 1603, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,16 (Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576– 1644). 306 Über Gerhard Men ist vergleichsweise wenig bekannt: Er war Doktor des Rechts, diente der Stadt Aachen als Syndicus und später der Kurpfälzischen Regierung als Rat, Hofgerichtsrat und ‚Rat und Diener‘ bis er um 1614 starb. Vgl. dazu Stuck, Personal der kurpfälzischen Zentralbehörden in Heidelberg 1475–1685, hier: S. 61. Die Vermittlungstätigkeit Mens zwischen den protestantisch dominierten Stadtregimentern der Jahre 1611 bis 1614 und dem Pfalzgrafen in Heidelberg, ist in folgenden Korrespondenzen

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testantisch dominierte Stadtregiment Anton Wolff als Syndicus an, der die Interessen der Aachener Protestanten auf dem Regensburger Reichstag von 1613 vertrat.307 Johann Ruland und dessen Bruder Peter ließen sich in Frankfurt nieder und wirkten von diesem Kommunikationsknotenpunkt im Reich als politische Informanten der protestantischen Interessengruppe in Aachen und als Multiplikatoren ihrer politischen Kommunikation.308 Ihre Verbindung mit den Interessen der Aachener Protestanten war bereits während ihrer Zeit im protestantisch dominierten Stadtregiment bis 1598 vorbereitet worden und hatte sich während der Zeit nach der Restitution vertieft.309 Besonders eng schienen die Rollen Konrad von Heggens während der Verhandlungen mit der Exekutionskommission und während der späteren politischen Auseinandersetzungen miteinander verbunden zu sein. Seit 1599 hatte er gemeinsam mit anderen lutherischen Akteuren aus Aachen um die Fürsprache des lutherischen Pfalz-Neuburg für die Augsburger Konfessionsverwandten in Aachen geworben. Als Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm die Rolle eines der possedierenden Fürsten in den Herzogtümern einnahm, trat Heggen in Jülicher Dienste und übernahm für das seit 1611 in Aachen bestehende protestantische Regiment einen wesentlichen Teil der politischen Kommunikation mit der neuburgischen Regierung in Düsseldorf.310 greifbar, die im StAAa überliefert sind: Nota [der ‚Amtsverwalter‘ – des provisorischen Stadtregiments in Aachen] an Doctor Men vom 19. Januar 1612 (RA II, Allg. Akt. 867, f. 27rv); Gerd Men an seine Herren die Amtsverwalter in Aachen, Heidelberg am 1. Februar 1612 (RA II, Allg. Akt. 867, f. 60r–61v); Men an die Amtsverwalter, 8. Februar 1612 (RA II, Allg. Akt. 867, f. 79r–78v); Amtsverwalter an Men, 11. Februar 1612 (RA II, Allg. Akt. 867, f. 81r–82v) und Men an die Amtsverwalter, Heidelberg am 6. März 1612. In diesem Schreiben bittet Men um einen festen Ansprechpartner unter den Amtsverwaltern, um die Kommunikation zu verstetigen. Der intensive Schriftwechsel zwischen Gerhard Men und den Vertretern der protestantischen Interessengruppe in Aachen – überliefert in RA II, Allg. Akt. 867–869 – dauerte bis zum 1. Juli 1613 (RA II, Allg. Akt. 869, f. 1r–3v) an. 307 Vgl. Gerhard Men an Johann Ruland in Frankfurt, Heidelberg am 20. März 1612 (RA II, Allg. Akt. 867, f. 135r–136v). Zu Wolffs Tätigkeit vgl. die Korrespondenz zwischen ihm, Gerhard Men , Johann Ruland und den Amtsverwaltern in RA II, Allg. Akt. 867–869. 308 Vgl. Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Frankfurts Schindling/ Schmidt, Frankfurt am Main, Friedberg, Wetzlar, hier: S. 41–42 u. 48–49 mit Angabe weiterer Literatur auf den S. 57–58. 309 Vgl. Johann Ruland an Kalckberner am 13. April 1612, StAAa, RA II Allg. Akt 867, f. 162rv. Siehe außerdem o. S. 167 und 178. 310 Vgl. Heinz Schilling, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Konflikte im Rahmen der alteuropäischen Stadtgesellschaft oder im Umkreis der frühbürgerlichen Revolution, in: Zeitschrift für historische Forschung 1.2 (1974), S. 175–231, hier: S. 216.

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2.4.2 Die Etablierung des restituierten Stadtregiments Während sich die Aachener Protestanten, wie gesehen, im Zuge der Verhandlungen mit der kaiserlichen Kommission politisch neu formierten, war der natürliche Ausgangspunkt jeder katholischen Politik in Aachen nach 1598 der restituierte Rat. Die Untersuchung der Voraussetzungen dieser Politik setzt wiederum bei den Umständen der Restitution von 1598 an. Die kaiserliche Kommission nahm schon die Ergänzung des Rates nicht mehr frei nach dem kaiserlichen Willen vor, sondern gestaltete sie möglichst weit so, wie sie von der Aachener Stadtverfassung vorgesehenen war. Neben den Mitgliedern der ehemaligen katholischen Opposition wurden Männer zu Ratsherren ernannt, die dem Rat angehört hatten, bevor er sich 1581 gespalten hatte. Ansonsten wurden die neuen Ratsherren im Herbst 1598 weitestgehend dem üblichen Wahlverfahren entsprechend durch die Gaffeln vorgeschlagenen.311 Die vollständige Besetzung von Rat und Stadtregiment markierte den Punkt, von dem an der Magistrat die Verantwortung für die Stabilisierung und Rekatholisierung Aachens trug. Das Stadtregiment musste die neuen Verhältnisse in der Stadt schon gestalten, während über die Versöhnung mit den Geächteten und die Höhe der zu leistenden Wiedergutmachungszahlungen noch verhandelt wurde. So handelte das katholische Regiment mit den protestantischen Geächteten schon vor den abschließenden Verhandlungen über den zu leistenden finanziellen Ausgleich, die um den Jahreswechsel 1602/1603 stattfanden, Zahlungen aus, zu denen grundsätzlich alle reformierten und lutherischen Einwohner Aachens herangezogen wurden. Die Bemühungen, diese Zahlungen einzuziehen, gehörten zu den ersten Handlungen des neuen Stadtregiments. Dazu sorgte es dafür, dass säumige Schuldner häufiger Einlagerungen der mit den restituierten Katholiken in die Stadt gekommenen Truppen in ihren Häusern oder sogar die Verbannung aus der Stadt in Kauf nehmen mussten.312 In der Folgezeit musste der Rat allerdings nicht nur Übergangsprobleme der Restitution, wie die Strafzahlungen es waren, lösen, sondern auch weitreichendere Herausforderungen meistern. Dazu gehörten die eigene Etablierung als städtische Obrigkeit, die Rekatholisierung der Stadt, die als Auftrag und Verpflichtung des Kaisers mit der Restitution verbunden war, und die Neuordnung der Beziehungen Aachens zum Kaiser und zu den benachbarten Fürsten. Die Voraussetzungen, sich gegenüber den Einwohnern verschiedener Kon311 Vgl. Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 212–213. Schmitz bietet außerdem eine vollständige Liste der Männer, die 1598 nach der Restitution in den Rat einzogen – vgl. ebd., hier: S. 369–373. 312 Ebd., hier: S. 232–235.

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fessionen erfolgreich als funktionierende und anerkannte Obrigkeit zu etablieren, waren günstig: Die Causa Aquensis war ohne Gewaltanwendung beendet worden, die Anlass zu neuen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien hätte geben können. Das protestantisch dominierte Stadtregiment hatte das kaiserliche Urteil und die darauf basierende Restitution der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten am Ende hatte abgedankt. Der protestantischen Interessengruppe war damit die Möglichkeit verstellt, auf Grundlage der Argumente, die sie in den Auseinandersetzungen vor 1598 entwickelt hatte, in Fundamentalopposition zu den neuen religiösen und politischen Verhältnissen zu gehen. Unter diesen Voraussetzungen musste der katholische Rat darauf achten, die Aufgaben städtischer Obrigkeit – Friedens- und Wohlstandswahrung sowie Schutz der Freiheiten der gesamten Stadt und ihrer Bürger – zur Zufriedenheit der Bürger zu erfüllen. Aus der aktiven Rolle, die einige Vertreter des Aachener Patriziats und besonders katholische Mitglieder des Schöffenstuhls in der letzten Phase der Auseinandersetzung vor 1598 innerhalb der katholischen Opposition gespielt hatten, hätte sich eine Kooperation des restituierten Rates und des ebenfalls als rein katholisches Gremium neu zusammengestellten Schöffenstuhls bei der Stabilisierung und Rekatholisierung Aachens ergeben können. Stattdessen entwickelten aber sich folgenreiche Konflikte zwischen dem Rat und den Bürgermeistern der Gemeinde auf der einen Seite und dem Schöffenstuhl auf der anderen Seite. Die Ursache für Auseinandersetzungen der beiden Organe der städtischen Obrigkeit boten alltägliche Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der Gerichtsbarkeit des Rates und des Schöffenstuhls sowie zwischen den exekutiven Kompetenzen der Bürgermeister und des Vogtmeiers, der als Vorsitzender und ausführendes Organ des Schöffenstuhls fungierte. Die Bürgermeister griffen bei verschiedenen Gelegenheiten in Kompetenzbereiche ein, die das Schöffengericht oder der Jülicher Vogtmeier für sich reklamierten.313 Als daraufhin die bürgerliche Mehrheit von Amtsträgern 313 So setzte der Rat im Januar 1603 die Freilassungen einiger Gefangener, welche die Urfede geleistet hatten, gegen den Willen des Vogtmeiers Johann von Thenen durch. Im Juli 1604 kam es zum Streit zwischen Rat und Vogtmeier, weil Letzterer für sich das Recht in Anspruch genommen hatte, Durchsuchungen in den Häusern Aachener Bürger durchzuführen; am 14. August 1605 ließen die Schöffen eine Person verhaften, gegen die zuvor bereits ein Pfortengebot des Rates ergangen war. Vgl. dazu jeweils die Tagebucheinträge des Ratssyndicus Melchior Klocker, der in den Auseinandersetzugen zwischen Schöffen und Rat selbst eine Schlüsselrolle auf der Seite von Rat und Gemeindebürgermeister einnahm: Eintrag vom 7. Februar 1603, in: Karl Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608. 1603, in: Aus Aachens Vorzeit 3.2 (1890), S. 17–24, hier: S. 18–19; Karl Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608. 1604, in: Aus Aachens Vorzeit 3.3 (1890), S. 33–41,

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und Ratsherren den Ausschluss einiger Mitglieder des Schöffenstuhls aus dem Rat erwog und schließlich für die Arrestierung der Schöffen Joachim Berchem und Johann von Merode-Houffalize sorgte, hatte der Konflikt seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.314 Die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Schöffenstuhl erhielten dadurch eine besondere Sprengkraft und Relevanz über die Ebene der städtischen Politik hinaus, dass die beiden Kontrahenten im gleichzeitig ausgetragenen Streit zwischen dem Stadtregiment und dem Herzogtum Jülich um die Höhe des Jülich zustehenden Anteils aus den Zahlungen der Aachener Protestanten unterschiedliche Parteien ergriffen. Die Schöffen unterstützten die finanziellen Forderungen Jülichs an den Aachener Rat, denen Herzog Johann Wilhelm Nachdruck verlieh, indem er militärische Übergriffe auf Aachener Handelswaren in seinem Gebiet und dem Aachener Reich deckte und die Arrestierung Aachener Güter billigte. Im Gegenzug baute Jülich Druck auf Bürgermeister und Rat auf, Schöffenstuhl und Vogtmeier voll und ganz bei ihren Rechten zu lassen.315 Auch die Auseinandersetzung zwischen dem Rat und den Schöffen sowie das Vorgehen des Rates gegen einzelne Schöffen wurden Themen der Reichspolitik. Der Schöffenstuhl insgesamt wandte sich mit der Bitte um eine Kommission, die ihn gegen den Rat unterstützen sollte an den kaiserlichen Hof. Der Schöffe Albrecht Schrick, der im Zusammenhang der Auseinandersetzungen durch einen Ratsbeschluss sein Amt als Meier von Burtscheid verloren hatte, erreichte die Aufhebung dieser Entscheidung durch das Reichskammergericht.316 hier: S. 38; Karl Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608. 1605, in: Aus Aachens Vorzeit 4.5 (1891), S. 80–87, hier: S. 82–83. 314 Schon einige Monate zuvor – am 24. Juni 1604 – war Berchem gleichzeitig mit Gerard Ellerborn, einem weiteren Schöffen, aus dem Rat verwiesen worden. Der Ratssyndicus Klocker führte für diese Verweise aber Gründe an, die nicht im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Rat und Schöffen standen. Vgl. Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 37. Die Häufung von Maßnahmen des Rates gegen Schöffen in den Jahren 1604 und 1605 lässt aber keinen Zweifel daran, dass der andauernde Konflikt als gemeinsame Ursache dahinter stand. Die deutlichste Verbindung zu den Auseinandersetzungen zeigte sich bei der Entlassung des Schöffen Albrecht Schrick aus seinem Amt als Meier in Burtscheid. Er verlor seinen Posten, weil er sich gegenüber dem Rat ungehorsam verhalten haben sollte. Vgl. Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 85 und Coels van der Brügghen, Die Schöffen des Königlichen Stuhls von Aachen von der frühesten Zeit bis zur endgültigen Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung 1798, hier: S. 361–362. Zu den Personen vgl. ebd., S. 351–358 und S. 343–349. 315 Vgl. Grass, Der Aachener Schöffenstuhl, hier: S. 138–139. 316 Vgl. Coels van der Brügghen, Die Schöffen des Königlichen Stuhls von Aachen von der frühesten Zeit bis zur endgültigen Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung 1798, hier: S. 361–362.

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Zunächst blieb die Auseinandersetzung vor allem für die Stabilisierung der reichsstädtischen Obrigkeit nach der Restitution relevant. In diesem Zusammenhang betrachteten unterschiedliche Akteure den Streit als Schwächung des katholischen Magistrats. Michael Klocker wies die Bürgermeister und Amtsträger zurecht, als sie die gegen die Schöffen agierten: Der gesamte Magistrat werde scheitern, wenn der Streit mit den Schöffen nicht beigelegt würde.317 In ähnlicher Weise äußerte sich der Dechant des Marienstifts, Wormbs,318 der zudem bemerkte, dass der Rat Gefahr laufe, Stimmen Recht zu geben, die behaupteten, die katholischen Bürger und Ratsverwandten, seien nicht in der Lage, die Stadt zu regieren. Insgesamt versuchten Bürgermeister und Rat in den Jahren 1598 bis 1605 also, ihre eigenen Kompetenzen in der Rechtsprechung auf Kosten des Schöffengerichts zu erweitern. Sie wollten das Kurgericht als kommunales Organ stärken, um den restituierten Rat möglichst schnell und überzeugend als stabile und kompetente Obrigkeit zu etablieren. Damit waren sie nicht uneingeschränkt erfolgreich. Der restituierte Schöffenstuhl nahm das selbstbewusste und fordernde Auftreten des Rates nicht hin, weil er sich selbst in der Pflicht sah, nach der Exekution, seinen Teil zur Rekatholisierung und Stabilisierung Aachens beizutragen. Indem die restituierten Schöffen, die Urteile ihrer vor 1598 in der Stadt aktiven protestantischen und katholischen Vorgänger am Schöffengericht für ungültig erklärt hatten,319 hatten sie ein deutliches Zeichen des Neuanfangs im Bereich der städtischen Rechtsprechung gesetzt. Die Tätigkeit des Schöffengerichts in den Bereichen der Beglaubigungen von privaten Rechtsgeschäften und der Testamentsvollstreckungen waren für das alltägliche Wirtschaften Aachens so wichtig, dass mit der Rücknahme vieler vor der Restitution getroffener Entscheidungen des Schöffenstuhls eine erhebliche Verunsicherung für viele Aachener, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, verbunden war. Der politische Eigensinne des Schöffengericht gefährdete so zunächst die politische Stabilisierung des restituierten katholischen Rats. Während der kommenden Jahre wuchs die Unzufriedenheit politisch aktiver Protestanten in Aachen mit den politischen Verhältnisse nach der Restitution. Der entscheidende Antrieb für diese Entwicklung war die notwendige Verknüpfung der Stabilisierung des katholischen Stadtregiments mit der Einführung einer wirkungsvollen Politik zur Rekatholisierung Aachens. Der Kurfürst von Köln und der Kaiser machten ihre Unterstützung 317 Vgl. Eintrag zum 8. Juli 1605 Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 85. 318 Vgl. Eintrag zum 31. August 1604, in Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 39. 319 Vgl. Grass, Der Aachener Schöffenstuhl, hier: S. 137.

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für das Stadtregiment von dessen religionspolitischer Linie abhängig und nahmen bei verschiedenen Gelegenheiten auch direkten Einfluss auf die religiösen Verhältnisse in Aachen. Wie vor allem Kurköln die Aachener Religionspolitik beeinflusste, wie das katholische Stadtregiment unter diesem Einfluss handelte und so der konfessionspolitischen Polarisierung in der Stadt Vorschub leistete, zeigen die folgenden Ausführungen. Die Kurkölner Regierung unter Erzbischof Ernst von Bayern trug entscheidend dazu bei, ein Jesuitenkolleg und dessen für die katholische Reform in Aachen entscheidende Schule in der Stadt zu etablieren. In ihrer Rolle als kaiserliche Exekutionskommissare nahmen die Kurkölner das neue Stadtregiment in die Pflicht, das Jesuitenprojekt in Aachen mitzutragen.320 Das restituierte Stadtregiment wurde an dem Maßtab der Katholizität und Kaisertreue gemessen, den die katholische Opposition vor 1598 in ihren Bemühungen, sich politisch an den Kaiser anzulehnen etabliert hatte. Das Stadtregiment passte seine Politik und Selbstdarstellung nicht vollständig an diese Erwartungen an. Ein Grund dafür war der Zielkonflikt, der entstehen musste, wenn das Regiment versuchte, sich auf der einen Seite als vollkommen katholische Obrigkeit zu zeigen und auf der anderen Seite angab, die anerkannte Vertretung aller Aachener Bürger – das heißt auch der großen reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen in der Stadt – zu sein. Ähnlich wie sich das Problem, ein möglichst starkes Regiment aus Bürgermeister, Amtsträgern und Rat aufzubauen, im Konflikt des Rates mit dem Schöffenstuhl konkretisierte, wurden die Probleme, eine passende religionspolitische Linie zu finden, im Konflikt mit dem Sendgericht fassbar. Das Sendgericht hatte wichtige zur Rekatholisierung Aachens benötigte Kompetenzen und nutzte sie nach der Restitution für Maßnahmen gegen das protestantische Religionswesen in Aachen. Die hohen finanziellen Belastungen, die das Sendgericht den protestantischen Bürgern als Strafe für religiöse Abweichungen auferlegte, ließen die Sendschöffen beim Rat in den Verdacht geraten, sie handelten aus gewinnsüchtigen Motiven.321 Der Rat vertrat die Ansicht, dass religiöse Abweichungen nicht ohne Rücksicht auf den innerstädtischen Frieden und die Stabilität des Stadtregiments verfolgt werden konnten. Auf Grundlage dieser Position einigte sich das Stadtregiment 1608 mit Vertretern der protestantischen Bürgerschaft. Danach war es für die Aachener Protestanten wieder möglich, ihre Taufen und Eheschließungen außerhalb der Stadt straffrei ihrer Religion entsprechend durchzuführen. Im Zuge der Verhandlungen zwischen dem Stadtregiment und und einem Ausschuss aus protestantischen und katholi320

Vgl. Pohle, Aachen – Jesuiten, hier: S. 69. Vgl. Eintrag zum 18. Februar 1603, in: Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 19. 321

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schen Bürgern drang das Argument, das Sendgericht sei mit übermäßiger Härte gegen die Protestanten vorgegangen gegen das Gebot zur Herstellung einer homogenen katholischen Bürgergemeinde in Aachen durch. Die gerade beschriebenen Auseinandersetzungen waren von den widerstrebenden Zielen des restituierten Rates bestimmt, sich als katholische und gleichzeitig Frieden und Ordnung stiftende Obrigkeit zu etablieren. Es gelang dem Rat nicht, diese Zielkonflikte frühzeitig aufzulösen. Wechselnde Akteure ohne politische Ausrichtung zum Gesamtthema – der Gestaltung des konfessionellen Status Aachens – mischten sich in die Verhandlungen zu den Einzelproblemen ein. 2.4.3 Obrigkeit der Reichsstadt Aachen in Beziehung zu den benachbarten Fürsten Für die Etablierung des katholischen Stadtregiments war die Gestaltung der Aachener Außenbeziehungen wichtig, weil eine Verbesserung der Position Aachens im regionalen und reichsweiten politischen System als erfolgreiche und den Erwartungen der Bürger an ihre Obrigkeit entsprechende Politik gewertet werden musste. Im diplomatischen Kontakt mit dem Fürstentum Brabant beziehungsweise mit der Regierung der spanischen Niederlande galt es für das Stadtregiment, die Schäden zu reparieren, welche die Beziehungen zwischen Aachen und Brüssel in den Zeiten des protestantisch dominierten Magistrats genommen hatten. In dieser Zeit hatte die Spanische Regierung die Handelsprivilegien der Aachener in den Burgundischen Ländern suspendiert. Um diese Privilegien wiederzuerlangen, nahm der restituierte Rat Verhandlungen mit der spanischen Regierung unter Albrecht von Österreich und Isabella auf. Sie führten im Jahr 1600 zur Erneuerung des Konkordats zwischen Burgund und Aachen, in dem erstmals 1469 die friedlichen Beziehungen zwischen der Reichsstadt und dem Fürstentum, die besagten Handelsprivilegien und eine allgemein formulierte und als Obervogtei bezeichnete Schutzherrschaft der Herzöge von Burgund über Aachen vereinbart worden waren. Zur Bestätigung der Verträge vom 15. Januar 1600 nahm der Aachener Rat Zusatzbestimmungen an, denen zufolge die Aachen zugestandenen Privilegien an die Bedingungen geknüpft wurden, dass Aachen katholisch bliebe und keine Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden in der Stadt aufgenommen würden. Außerdem wurde dem Herzog von Burgund zugestanden, den Katholizismus in Aachen zu schützen. 322 322 Vgl. Bestättigungh der Verträgh, so zwischen dem Hertzogh Carl von Burgundt und der Statt Aach: aufgericht, 15. Januar 1600, Archiv d. EKiR 4 KG 004 01–0,1 Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnis 1. Mappe, S. 1–4.

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Die Ergänzungsbestimmungen wurden in äußert auffälliger Art und Weise für die folgenden Auseinandersetzungen relvant. Die innerstädtische Opposition, warf dem Stadtregiment in Anknüpfung an die antispanischen Argumente protestantischer Akteure im Reich vor, die Reichsstadt Aachen den Spaniern unterworfen zu haben. Das ebenfalls wiederholt vorgebrachte Argument, durch die Burgund zugestandene Schutzherrschaft über die Reichsstadt Aachen insgesamt und die katholische Kirche im Besonderen seien Jülicher und kaiserliche Rechte in Aachen übergangen worden, zielte ebenfalls darauf, die Außenpolitik des Rates grundsätzlich zu kompromittieren: Während der Auseinandersetzungen zwischen Rat und Schöffen, beziehungsweise während der Ausweitung dieser Auseinandersetzungen zu einem städtischen und regionalen Konflikt zwischen Rat, Schöffen, einem Ausschuss der Aachener Bürgerschaft und dem Herzog von Jülich, wurde der Ratssyndicus Michael Klocker angegriffen, weil er an den Vorbereitungen zur Bestätigung des Konkordats maßgeblich beteiligt gewesen war. Darüber hinaus hätten er und fünf Ratsherren ohne Wissen des übrigen Stadtregiments um Unterstützung der spanischen Regierung in den Niederlanden und des Gouverneurs von Limburg gegen die Jülicher Übergriffe auf den Aachener Handel gebeten. Eine Politik, die als gegen Jülich gerichtete Annäherung an die spanischen Niederlanden von Schöffen, Bürgerausschuss und Jülich kritisiert wurde.323 Die gezielten Vorwürfe gegen Klocker und vier Ratsherren erfüllten eine doppelte Funktion. Auf der einen Seite eröffnete die Ausdeutung des Konkordats als Auslieferung Aachens an die Spanier die Möglichkeit die Vorwürfe der Schöffen gegen den Rat zu einem fundamentalen Angriff auf das Stadtregiment zu steigern. Auf der anderen Seite lag in der gewählten Argumentation die Möglichkeit zur Entschärfung dieser Eskalation: Durch die Entlassung Klockers und die Entfernung der fünf Ratsherren, konnte das übrige Stadtregiment von entsprechenden Vorwürfen entlastete werden. Auf dieser Grundlage war ein Ausgleich mit Jülich möglich. Der Ausgleich war dringend nötig geworden, denn der Konflikt weitete sich auch auf andere Felder aus: Zum ersten wurde die Anerkennung einer Schutzherrschaft Burgunds über Aachen und seine Katholiken unter dem Rechtstitel einer burgundischen Obervogtei zum Streitpunkt. Schutzherrschaft und Obervogtei wurden als unzulässige Einschränkung der Jülicher Vogteirechte betrachtet 323 Der Verlauf der Auseinandersetzung im Sommer, Herbst und Winter 1608 spiegelt sich in einer Reihe von Ratsbeschlüssen, Mandaten des Herzogs von Jülich sowie in der Korespondenz zwischen Klocker, seinem Anwalt und den Deputierten der Gaffeln wieder, die geschlossen in LA NRW, Abt. Rhld., Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 4 (Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen. 1608) überliefert sind.

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– ein Verstoß gegen Jülicher Rechte, für den der Aachener Rat als Urheber der Bestätigungsverträge zum alten burgundisch-aachener Konkordat verantwortlich gemacht wurde. Zum Zweiten eskalierte durch die Anspannung der Beziehungen zwischen Jülich und Aachen deren Streit um die Geleitrechte des Herzogs in der Stadt Aachen und dem Aachener Reich. Mit der erkennbaren Absicht, die reichsstädtische Obrigkeit direkt herauszufordern beanspruchte der Herzog von Jülich das volle Geleitrecht auch innerhalb der Aachener Stadtmauern und ohne Einschränkung für alle Bereiche der Stadt.324 Auf Grundlage dieses Rechtsanspruchs ließ er am 18. Februar 1606 seine Frau, die Herzogin Antonetta, den Versuch unternehmen, mit der Absicht, die Aachener Heiligtümer zu besichtigen, mit großem Gefolge und ohne Geleit durch Soldaten des Aachener Rats quer durch die Stadt zu ziehen. Der darauf folgende Streit gelangte bis vor den Kaiser. Beigelegt werden konnte der Konflikt allerdings weder durch die kaiserliche Entscheidung, die Jülich zugestand, weitreichende Geleitrechte in Aachen wahrzunehmen, noch durch direkte Verhandlungen zwischen dem Aachener Stadtregiment und Jülich.325 Als der Rat keine Einigung mit Jülich fand, benannte ein Ausschuss von Bürgern, der auch mit Protestanten besetzt war, Abgeordnete zum Herzog, die im Unterschied zum Rat auf die Forderung des Herzogs nach einer förmlichen Entschuldigung für die Vorfälle während der beabsichtigten Pilgerfahrt der Herzogin eingingen. Die Mitglieder des Ausschusses, die sich als Deputierte der gemeinen Gaffel bezeichneten und sich somit als Vertreter der politisch berechtigten Bürgerschaft legitimierten, organisierten sich zwei Jahre nachdem das Gefolge der Herzogin Aachen durchschritten hatte, vor dem Hintergrund einer erneuten Eskalation des Aachen-Jülicher Konflikts und der damit einhergehenden Unruhen in Aachen.326 324 Vgl. zum Folgenden: Walter Schmitz, Der Konflikt der Reichsstadt Aachen mit dem Herzog von Jülich anläßlich einer Besichtigung der Heiligtümer im Jahre 1606, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das alte Erzbistum Köln 189 (1986), S. 97–114. 325 Vgl. die ausführliche Schilderung der Ereignisse in Aachen am 18. Und 19. Februar 1606 sowie der darauf folgenden Rechtsstreitigkeiten zwischen Aachen und Jülich bei ebd., hier: S. 103–112. 326 Zu den konstituierenden Akten des Ausschusses gehörte ein notarielles Instrument über die am 16. und 17. August 1608 durchgeführte Befragung der Gaffeln und Gesellschaften zur Instruktion für die Gesandtschaft der Deputierten des Ausschusses der Gemeinen Gaffeln zum Herzog von Jülich. LA NRW, Abt. Rhld., Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 4 (Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen. 1608). Schmitz impliziert, dass der Ausschuss bereits als unmittelbare Reaktion auf den Geleitrechtsstreit von 1606 zusammengetreten sei. Dafür gibt es keine Belege. Der Durchzug des Herzoglichen Geleitzugs im Jahr 1606 zwar ein wichtiges Thema der Verhandlun-

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Nachdem die militärischen Übergriffe Jülichs im Aachener Reich erneut zugenommen hatten, hatte sich eine Gruppe bewaffneter Aachener zunächst in der Nähe der Stadt Gefechte mit Jülicher Soldaten geliefert, bevor sie in die Stadt zurückkehrte, in das Zeughaus einbrach, sich weiter bewaffnete und politische Forderungen stellte. In engem zeitlichen Zusammenhang mit diesen Ereignissen wurde bekannt, dass der Herzog von Jülich nachdrückliche Forderungen an das Stadtregiment gestellt hatte und für den Fall, dass diese nicht erfüllt würden, offen mit der Fortsetzung und Verschärfung der Maßnahmen gegen die Reichsstadt und ihre Bürger drohte. Neben einer Entschuldigung für das Vorgehen gegen den Geleitzug der Herzogin hatte Johann Wilhelm vom Rat gefordert, alle Rechte des Herzogs in Aachen unbeeinträchtigt zu lassen und insbesondere die Prozesse am Reichskammergericht gegen die von Jülich unterstützten Schöffen einzustellen. Insbesondere sorgte aber die Nachricht für Aufregung in der bewaffneten Bürgerschaft, dass eine Gesandtschaft, die Michael Klocker, Franz Widderradt, Simon Moll, Aegidius Bleyenheufft und Reinhard Horbach initiiert hätten, ohne das der Rat darüber vollständig informiert gewesen wäre, auf dem Weg nach Brüssel sei, um die Reichsstadt Aachen den spanischen Niederlanden untertänig zu machen.327 gen, die Vertreter des Ausschusses mit dem Herzog Johann Wilhelm aufnahmen. Der Streitpunkt wurde allerdings im Abstand von zwei Jahren diskutiert. Im Vordergrund der Verhandlungen standen die Übergriffe auf den Aachener Handel und Aachener Bürger, der Konflikt des Rates mit den von Jülich protegierten Aachener Schöffen, die Erzherzog Albrecht im Zuge der Erneuerung des burgundischen Konkordats mit Aachen angediente Schutzherrschaft über die Stadt und ihre Katholiken sowie die persönliche Verantwortung Melchior Klockers und von vier Ratsherren für die Fortsetzung der Streitigkeiten zwischen Aachen und Jülich. Die These von einer kontinuierlichen politischen Reorganisation der protestantischen Bürgerschaft Aachens zwischen dem Geleitstreit von 1606 und der protestantischen ‚Machtübernahme‘ von 1611 muss somit überprüft werden. Des weiteren ist Schmitz Bewertung der rechtlichen Grundlagen für die Bildung des Ausschusses der Bürgerschaft kritisch zu hinterfragen. Richtig ist, dass der Ausschuss, seine Deputierten und die von ihm beauftragten Unterhändler für die Auseinandersetzungen mit Jülich in der Aachener Stadtverfassung nicht vorgesehen waren. Auch merkt er zurecht an, dass die an Ausschuss und Deputation beteiligten protestantischen Bürger, die Einschränkungen ihrer politischen Beteiligung in der Stadt umgingen. Allerdings war die Bildung von Bürgerausschüssen und ihre politische Einflussnahme auf die regulären politischen Institutionen von Städten ein häufig praktizierter und anerkannter Vorgang im Rahmen städtischer Krisen- und Konfliktsituationen. Die Aktivitäten des Ausschusses dürfen deswegen nicht vorschnell als aufständisch und fundamentaloppositionell eingeordnet werden. Dass sich über die Legitimation des Ausschusses streiten ließ, spiegelten auch die auf dessen Bildung in Aachen unmittelbar folgenden Auseinandersetzungen wieder. Zu Schmitz Standpunkte vgl. ebd., hier: S. 112–114. 327 Vgl. Resolution des herrn Hertzogen zu Gulich auff der deputirten der Gaffelen zu Aach gethan werbungh und ubergebene instruction, vom 18. August 1608 und

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Dass die Gesandtschaft nach Brüssel, auf der sich der im Dienst des Rates stehende Lizenziat Badius Kuickhoven im Sommer 1608 tatsächlich befand, bei einem Teil der Einwohner Aachens die Befürchtung weiterer Übergriffe Jülichs auslöste und zu einem Verlust des Vertrauens in den Rat führte, zeigt die Sprengkraft der politischen Außenbeziehungen der rekatholisierten Reichsstadt zu ihren unmittelbaren Nachbarn. Kuickhovens Mission hatte nämlich gerade das Ziel gehabt, die politische Unterstützung der Brüsseler Regierung gegen die Übergriffe Jülichs auf Aachen einzuwerben und die Situation der Stadt damit zu stabilisieren.328 Der Forderungskatalog der Bewaffneten ist nicht direkt überliefert, sondern kann lediglich aus den Aussagen von Akteuren rekonstruierte werden, die sich auf den Willen der Gemeinde beriefen: Das waren der Ausschuss der gemeinen Gaffeln und einzelne seiner Mitglieder. Demnach war die wichtigste Forderung, welche die Bürger erfüllt wissen wollten, bevor sie bereit waren, die Waffen niederzulegen, die Versöhnung zwischen Aachen und Jülich und damit die Einstellung der Jülicher Feindseligkeiten. Um diese Forderung zu erfüllen, drängten die Deputierten des Ausschusses der gemeinen Gaffeln darauf, für ihre Gesandten eine Vollmacht des Rates zu erlangen, über die Beilegung der Streitigkeiten mit Jülich zu verhandeln. Die Instruktionen, die sie für die Abgeordneten vorgesehen hatte, legten sie sämtlichen Gaffeln vor um deren Zustimmung zu erlangen. Die Gaffeln stimmten zu einem Teil vorbehaltlos, zu einem anderen Teil mit Gegenstimmen und Bedenken einer Minderheit der Gaffelgenossen wegen der fehlenden Autorisation der Gesandtschaft durch den Rat und möglicher Vorbehalte des Kurfürsten von Köln zu.329 Als entscheidende Voraussetzung für die Beendigung des bewaffneten Aufstands der Bürgerschaft stellte sich im Verlauf der Gespräche zwischen dem Ausschuss der gemeinen Gaffeln und dem Rat der Umgang mit den fünf Männern heraus, die Jülich und die Aufständischen persönlich für die Politik Herzog Johann Wilhelm von Jülich–Kleve–Berg an Bürgermeister, Schöffen und Rat der Reichsstadt Aachen, 2. September 1608. Beides in LA NRW, Abt. Rhld., Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 4 Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen. 1608). 328 Vgl. „Copia von den Brieff welcher Doctor Klocker aen den Lecensiaten Koeckhouen na Bruessel geschreuen haedt“ [29. Juni 1608], Memorialbuch, f. 50v ff und zum Instruktion der Abgesandten des Aachener Rates für die Gesandtschaft des Ratssyndicus Bado Kuickhoven und Konrad von Heggen zum Kaiserlichen Hof, 2. Januar 1609, StAAa, RA II 866, f. 82r bis 87v. 329 Deptutierte des Ausschusses befragten am 16. Und 17. August nacheinander die Genossen der Gesellschaften zum Stern und zum Bock sowie der Gaffeln der Bäcker, Krämer, Zimmerleute, Kupferschläger, Schneider, Werkmeister, Löder, Pelzer und Hutmacher, Fleischer und Schuhmacher. Die Befragung und ihre Ergebnisse wurden in einem notariellen Instrument festgehalten, dem auch der Wortlaut der Instruktion beigefügt wurde. Vgl. LA NRW Abt. Rhld. Reichsstadt Aachen 4.

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des Rates gegenüber Burgund und den Aachener Schöffen verantwortlich machten. Ihnen wurden zunächst ihre Ratssitze und Ämter abgenommen,330 bevor noch am selben Tag, an dem sie unter bewachten Hausarrest gestellt wurden, beschlossen wurde, dass sie auf Lebzeiten nicht mehr in das Stadtregiment zurückkehren sollten.331 Der dauerhafte Ausschluss der Fünf von Ratssitzen und Ämtern war Bestandteil der Pazifikation zwischen Rat und Bürgerausschuss, in der am 9. September 1608 außerdem beschlossen wurde, dass alle während des Aufstand vorgefallenen Ereignisse Vergeben und Vergessen sein sollten, wenn die Bürger ihre Waffen nun niederlegten. Während damit die Bedeutung des Aachen-Jülicher Verhältnisses ein weiteres Mal seine Sprengkraft für die politische und gesellschaftliche Stabilität des rekatholisierten Aachen bewiesen hatte, zeigten Verlauf und Ausgang der Krise von 1608 auch die Rolle Kurkölns in dieser Phase der politischen Auseinandersetzungen um Aachen. Erzbischof Ernst von Bayern übernahm eine Vermittlerrolle zwischen dem Stadtregiment und dem Ausschuss der gemeinen Gaffeln, die darin mündete, dass der Kurfürst die Pazifikation zwischen den beiden Parteien vom 9. September mit besiegelte.332 Zuvor hatte das Engagement des Kurfürsten offenbar mäßigend auf die beiden Parteien gewirkt und deren Bereitschaft, sich gegenseitig als Gesprächspartner anzuerkennen gefördert. Die Vermittlungstätigkeit des Kurfürsten darf keinesfalls als zufälliges Ergebnis seines Kuraufenthaltes in den Aachener Thermen zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Aufstand bewertet werden, sondern muss im Kontext seiner Tätigkeit als Kommissar in der Causa Aquensis gesehen werden. In dieser Funktion verfolgte Ernst von Bayern anders als Johann Wilhelm von Jülich weniger eigene landesherrliche Interessen als die Politik des Kaisers und der in den Auseinandersetzungen um Aachen formierten katholischen Interessengruppe. Zwar beriefen sich im Verlauf der Auseinandersetzungen auch die Jülicher darauf, den Katholizismus in Aachen stärken zu wollen, für die Begründung des Kurkölner Engagements in Aachen war dieses Ziel aber sehr viel wichtiger. Als Vermittler zwischen Rat und Gemeinde war dem Kurfürsten daran gelegen, die Postion des Rates, den er als Garanten für den Erfolg der katholischen Restitution in Aachen betrachtete, gegenüber dem Ausschuss der gemeinen Bürgerschaft zu stärken. Dazu sollte die Krise, während derer der Ausschuss und die in 330 Vgl. die Beschlüsse des Großen Rates vom 5. und 9. September 1608, LA NRW Abt. Rhld. Reichsstadt Aachen 4, aus denen deutlich hervorgeht, dass der Rat die Maßnahmen gegen den Syndicus Klocker und die vier Ratsherren nicht zuletzt auf Druck der Deputierten des Gemeindeausschusses ergriff. 331 Vgl. Pazifikationszettel Zum Ratsbeschluss vom 9. Semptember 1608, LA NRW Abt. Rhld. Reichsstadt Aachen 4. 332 Vgl. ebd.

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den Straßen versammelten Bürger erheblichen Druck auf das ordentliche Stadtregiment ausüben konnte, möglichst schnell beendet werden. Ernst von Bayern wollte die gegen Mitglieder und Politik des Stadtregiments gerichteten Forderungen der Gemeinde oder das Recht zur politischen Organisation von Gemeindemitgliedern außerhalb des Stadtregiments nicht anerkennen. Vielmehr ließ er zu seiner Vermittlertätigkeit erklären, dass von den aufständischen Bürgern eine so grundlegende Bedrohung für Stabilität und Katholizität in Aachen ausgegangen sei, dass eine schnelle Beilegung des Konflikts auch zu dem Preis notwendig gewesen sei, den Aufständischen Zugeständnisse zu machen.333 Auf diese Weise hätten die Absichten des unkatholischen „Pöbels“, der die Gelegenheit genutzt hätte, darauf zu drängen die Jesuiten in der Stadt zu töten oder zu vertreiben, das Stadtregiment mit Calvinisten zu besetzten und die Kontrolle des katholischen Synodalgerichts über das protestantische Religionsleben abzustreifen, durchkreuzt werden können. Die Vereinbarung, die der Rat tatsächlich mit dem Ausschuss der gemeinen Gaffeln getroffen hatte, sei im Vergleich zu den möglichen Konsequenzen des Aufstands das kleinere Übel gewesen. Dass der Katholizismus in Aachen nicht noch mehr geschwächt worden sei, habe nicht zuletzt der Kurfürst selbst sichergestellt, indem er sich den aufständischen Bürgern und dem Gemeindeausschuss entschlossen entgegengestellt hätte, und ihnen die möglicherweise verheerenden Folgen des Konflikts vor Augen geführt hatte. Gegen das zweite Zugeständnis des Rates an den Gemeindeausschuss und den Herzog von Jülich, den Ausschluss von Michael Klocker und vier Ratsherren vom Stadtregiment hatte Ernst von Bayern ausdrücklich protestiert. Er wies darauf hin, dass es ohne seinen Einsatz kaum möglich gewesen wäre, die freigewordenen Ämter und Ratssitze wieder mit Katholiken zu besetzen. Eben dieser Ausschluss der fünf Amtsträger und Ratsherren wurde zum Ansatz für die neuerliche Verstetigung von Auseinandersetzungen über die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen auf Reichsebene. Bezugspunkt für die Auseinandersetzungen war zunächst wieder der kaiserliche Hof. Mit den gerade geschilderten Erklärungen zu seiner Vermittlerrolle bezog der Kölner Kurfürst als einer der ersten Akteure Position in dieser Phase der Auseinandersetzungen. Ernst von Bayern hatte die Aussage, die Calvinisten in Aachen seien ein notorischer Unruheherd, wieder in Erinnerung gerufen. Er hatte dann aber die Verhältnisse in Aachen zunächst stabilisiert. Dagegen zeichnete 333 Summarische Relation des Aachischen Trubul und unwesens, verfasst von Andreas Haimwald von Erkensdorff, Geheimer Rat des Kurfürsten von Köln [Beilage zum Schreiben Kurfürst Ernsts von Köln an Kaiser Rudolf II. 7. November 1608], LA NRW Abt. Rhld. Reichsstadt Aachen 4.

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der von den fünf entlassenen Amtsträgern und Ratsherren nach Prag entsandte Anwalt Heinrich Eichholtz das Bild einer grundlegenden und anhaltenden Verletzung der kaiserlichen Befehle durch den Ausschuss der gemeinen Gaffeln und deren Deputierte. Er rückte auch die konfessionelle Dimension des Aufstands noch weiter in den Vordergrund. Die Fünf und ihr Anwalt widersprachen der Behauptung, der Konflikt in Aachen sei durch die Vermittlung des Kurfürsten und die Übereinkunft zwischen Rat und Gemeindeausschuss beigelegt und forderten eine kaiserliche Kommission, welche die Verhältnisse in Aachen wieder ordnen sollte.334 Auch die spanische Regierung in Brüssel war mit dem Stand der Dinge nach den Einigungen zwischen Gemeindeausschuss und Rat auf der einen Seite und zwischen den Deputierten des Gemeindeausschusses und dem Herzog von Jülich auf der anderen Seit nicht zufrieden. Das Zugeständnis des Stadtregiments an Herzog und Gemeindevertreter, das es mit der Entlassung der fünf Ratsherren und Amtsträger gemacht hatte, war für Erzherzog Albrecht problematisch. Dagegen erklärte der Brüsseler Gesandte am kaiserlichen Hof, dass Erzherzog Albrecht der eigentliche Vertreter der katholischen Interessen in Aachen sei. Aus Sorge um die Stadt hatte der Erzherzog im September, als er vom Aufstand der bewaffneten Bürger erfahren hatte, bereits eigene Gesandte in die Stadt geschickt. Diese waren angewiesen worden grundsätzlich davon auszugehen, dass der Konflikt durch die Vereinbarungen, die durch den Kurfürsten von Köln vermittelt und vom Herzog von Jülich anerkannt worden waren, noch nicht beigelegt war. Hierin und in der Annahme, dass der Aufstand von religiös motivierten Protestanten getragen sei und mit schweren Verstößen gegen kaiserliche Befehle einherginge, stimmten die Brüsseler Gesandten mit der Argumentation des Anwalts der fünf entlassenen Amtsträger und Ratsherren überein.335 Nachdem die Vereinbarungen zwischen Rat und Gemeindeausschuss am kaiserlichen Hof auf diese Weise in Frage gestellt worden waren, sahen sich Stadtregiment und Gemeindeausschuss genötigt, ihre Regelung der Aachener Verhältnisse ebenfalls in Prag zu verteidigen. Die Initiative zu diesem Schritt ging vom Ausschuss der gemeinen Gaffeln aus. Er forderte vom Rat eine Gesandtschaft zum Kaiser zu bevollmächtigen, um die dort vorgebrachten Werbungen Brabants und der fünf „Entsetzten“ zu widerlegen. Die 334 Heinrich Eichholtz [. . . ] Anwaldt der funff zu Aachen verstrickter Personen an Kaiser Rudolf II., 17. Dezember 1608., LA NRW Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 4 (Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen 1608). 335 Vgl. Erzhrzg. Albrecht in Brüssel an Rudolf II. am 6. Februar 1609, StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 88rv und Übersetzung der Instruktion Erzherzogs Albrecht von Östereich für seine Gestandtschaft nach Aachen, September 1608, LA NRW, Abt. Rhld., Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 4 (Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen. 1608).

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Gesandtschaft wurde schließlich mit Vertretern des Gemeindeausschusses und des Rates besetzt – nämlich Konrad von Heggen und den Ratssyndicus Badius Kuickhoven. Sie erhielt die Vollmacht am kaiserlichen Hof im Namen der Reichsstadt Aachen zu handeln. Die Instruktion für die Gesandtschaft von Rat und Gemeinde bestärkt den Eindruck, dass die beiden Akteure nach den im September getroffenen Vereinbarungen eine gemeinsame Position vertraten.336 Sie stellte Anlass und Verlauf der Unruhen in Aachen so dar, dass sowohl das Handeln des Rates als auch das des Gemeindeausschusses und in gewissem Maße sogar das der bewaffneten Bürger gerechtfertigt wurde. Das Hilfsgesuch an Brabant, für das nun ausdrücklich auch der Rat alle Verantwortung auf die ausgeschlossenen Ratsherren und Amtsträger schob, wurde als Verletzung kaiserlicher Rechte bezeichnet, da die dem Erzherzog angetragenen Rechte nur dem Kaiser zustünden. Der Aufstand wurde als verständliche Reaktion der Bürgerschaft auf die Übergriffe Jülichs beschrieben. Er sei von protestantischen und katholischen Bürgern gleichermaßen ins Werk gesetzt worden und habe nicht das Ziel gehabt, gegen kaiserlicher Befehle religiöse Veränderungen in Aachen vorzunehmen. So sei es in Aachen auch zu keinerlei Verstößen gegen das kaiserliche Urteil und die Bestimmungen kaiserlicher Kommissare gekommen. Diese gemeinsame Position von Rat und Gemeindeausschuss darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rat den Deputierten des Ausschusses der gemeinen Gaffeln alles andere als vorbehaltlos gegenüberstand. Weil sie an den Kaiser schrieben mussten die Deputierten behaupten, dass die aufständischen Bürger, auf die sie letztlich ihren Einfluss stützten, nicht die Absicht verfolgten, das Aachener Religionswesen zu Gunsten der Protestanten zu verändern. Als der Rat den Deputierten des Ausschusses der gemeinen Gaffeln ursprünglich zugestanden hatte, dass eine gemeinsame Gesandtschaft nach Prag entsandt werden würde, machte er ihnen die Auflage, dass die Gesandten in Prag keinesfalls für eine Veränderung des Religionswesens in Aachen werben dürften.337 Die Darstellung Kurkölns und der Gesandtschaft von Rat und Gemeindeausschuss, der nach die Streitigkeiten in Aachen bereits beigelegt seien, akzeptierte der Kaiser nicht. Demzufolge wurden kaiserliche Befehle zur Regelung der Verhältnisse erlassen und der Kurfürst von Köln gemeinsam mit dem Erzherzog Albrecht von Österreich mit der Kommission zu deren Durchsetzung beauftragt.338 Damit hatte der Kaiser zwar verdeutlicht, dass er die Beeinflussung der Aachener Politik durch einen Gemeindeausschuss, 336 Instruktion der Abgesandten der Stadt Aachen an den Kaiser, im Rat beschlossen am 20. Dezember 1608, 2. Januar 1609, StAAa, RA II 866, 82r bis 87v. 337 Beschluss des Rates vom 4. November 1608, LA NRW Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 4 (Acten betr. die Zunftverhältnisse in Aachen 1608). 338 Rhom: kays: Maytt bescheidt so den Aachischen abgeordneten L. Bado Kueck-

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der von Protestanten mitkonstituiert worden war, nicht duldete. Gleichzeitig hatte er aber auch dem restituierten katholischen Stadtregiment Vertrauen und Autorität entzogen. Der Kurfürst von Köln wurde als Hauptverantwortlicher für die Rekatholisierung Aachens auf regionaler Ebene bestätigt. Eine Neuerung stellte die Berufung Erzherzog Albrechts in die Kommission dar. Dadurch betätigte der Kaiser indirekt die Ansprüche der spanischen Regierung in Brüssel, Garantin der Katholizität Aachens zu sein. Die gewachsene Rolle, die Brabanter Akteure in der Folge als kaiserliche Subdelegierte in Aachen spielen sollten, war allerdings angesichts der Vorbehalte gegen jeden spanischen Einfluss auf die Reichsstadt, den bereits die Erneuerung der burgundischen Verträge in Teilen der Aachener Einwohnerschaft ausgelöst hatte, problematisch. Die Bestimmungen des kaiserlichen Mandats, das die Subdelegierten den einzelnen Gaffeln persönlich verlasen, forderten keine Veränderungen der Aachener Verhältnisse, wie sie durch den Ausgleich zwischen Rat und Gemeindeausschuss hergestellt worden waren. Zwar sollten die fünf entlassenen Amtsträger und Ratsherren rehabilitiert werden. Die Restitution der Fünf war aber nicht vorgesehen. Darüber hinaus forderten die Subdelegierten von den Gaffeln, dass alle Verstöße gegen Bestimmungen der kaiserlichen Restitution eingestellt werden sollten. Die Kommission war den Gaffeln konkret vor, dass sie entgegen der Restitutionsbestimmungen Protestanten zu Gaffelämtern gewählt hätten. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufstand sind solche Wahlen nicht überliefert und die kaiserlichen Subdelegierten belegten ihren Vorwurf nicht. In der Folgezeit musste das Stadtregiment aber tatsächlich einen Befehl gegen die Tuchscherergaffel erlassen, die im Jahr 1610 unkatholische Amtsträger gewählt hatte. Im Rahmen des Bürgeraufstandes von 1611 nahm die Gravamina der evangelischen Bürgerschaft Bezug auf eine Regelung des Vorjahrs 1610, durch die der Rat den Gaffeln zugestanden hätte, ihre Ämter mit Angehörigen beider Kommissionen zu besetzen. Bei der Umsetzung dieser Einigung soll es dann aber Schwierigkeiten gegeben haben.339 So erscheint es durchaus hoffen und D. Conradt von der Heggen zu Pragh geben. 16. Mai 1609, Archiv der Evangelischen Gemeinde Aachen Memorialbuch f. 63r ff. 339 Zum Vorgehen gegen die Tuchscherer vgl. Ratsbeschlusses vom 16. November 1610 (Kopie), StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 95r. Die Öffnung der Gaffelämter für Protestanten im Jahr 1610 wird behauptet im „Verzeichnuß etzliche beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], Archiv der ev. Gemeinde Aachen, Memorialbuch, f. 77v–90r ff., hier: f. 83rv. Die einzige nachgewiesene Wahl eines protestantischen Gaffelamtsträgers zwischen 1598 und 1611 führte die Schneidergaffel 1599 durch, indem sie den reformierten Matthias Wettem zu ihrem Greven ernannte. Diese Wahl ist darauf zurückzuführen, dass die Rekatholisierungsbestimmungen bei der ersten Ämterwahl nach der Restitution noch nicht zuverlässig befolgt wurden. Die Verstöße gegen das Verbot der Wahl protestantischer

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möglich, dass die kaiserliche Kommission korrekt beobachtet hatte, wie in Aachen Bestimmungen aufgeweicht worden waren, durch die der Kaiser die politische Rekatholisierung Aachens absichern wollte. Dagegen ging sie sofort vor. Die häufigere Anwesenheit von Gesandten in Aachen führte also schneller zu konkreten Veränderungen in der Stadt, als es vor 1598 der Fall gewesen war. In dieselbe Richtung wirkte das kaiserliche Urteil von 1593 und die Bestimmungen zu seiner Umsetzung seit 1598. Alle Akteure – vom Stadtregiment bis zu den Deputierten der gemeinen Gaffeln – verspürten den Druck, in ihrer Argumentation ihre Treue zum kaiserlichen Endurteil und zum Prinzip der Katholizität Aachens zu betonen. Brabant, Kurköln und im eingeschränkten Maße auch Jülich bauten ihre Position in den Auseinandersetzungen um Aachen hauptsächlich darauf auf, ihre Bedeutung und ihr Engagement für die Durchsetzung der kaiserlichen Interessen in Aachen zu betonen. Gradmesser für den Erfolg der kaiserlichen Politik konnte – im Unterschied zu vorigen Phasen der Auseinandersetzung – nicht mehr die von der Reichspolitik zugeschriebene nominelle Konfession des Stadtregiments sein. Sie war durch das kaiserliche Urteil und dessen Exekution bereits vorgegebenen. Maßgeblich wurden die politischen, gesellschaftlichen und religiösen Verhältnisse in Aachen, die von den vor Ort befindlichen Akteuren auch tatsächlich beobachtet werden konnten. An die Stelle von Argumenten, die vor der ersten Restitution auf die Gefahr religiöser oder politischer Unterdrückung oder gesellschaftlicher Instabilität hinwiesen, trat die Erörterung von tatsächlichen innerstädtischen Unruhen. Zuvor hatte die auf den Prinzipien der genossenschaftlichen Stadtgemeinde und der Friedenswahrung aufbauende Argumentation des Stadtregiments gegen die konfessionalistische Ausdeutung der Konflikte in Aachen aufrecht erhalten werden können. Nun waren die Akteure vor dem Hintergrund der sich nicht mehr beruhigenden innerstädtischen Verhältnisse auf neue Strategien angewiesen.

Amtsträger dauerten noch über 1599 hinaus an, sodass Wettem im Jahr 1600 noch einmal in den Kreis der 12 Meister – das erweiterte Fürumsgremium der Schneidergaffel – gewählt wurde. Zu Wettems Wahl vgl. Zunftbuch der Schneider, StAAa, HS 108, f. 30v–31r. Die reformierte Konfession Wettems ist durch die Ratslisten belegt. Wettem war zwischen 1584 und 1597 mehrfach Mitglied des Großen Rates. Vgl. „Alphabetisch nahmen Register aller Rathsverwandten der Stadt Aach [. . . ]“ (1580 bis 1598), Rijksarchiv in Zeeland, Familiearchiv Verheye-Van Citters 87.

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2.4.4 „Aachener Wirren“. Städtische Unruhen im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen um Aachen Unruhen in der Stadt blieben seit 1608 ein beständiger Bezugspunkt der politischen Auseinandersetzungen. Die Aufarbeitung des Aufstands von 1608 dauerte bis in das Jahr 1610 hinein. Kurz darauf, 1611, begann der nächste Bürgeraufstand. Die folgende Darstellung des Aufstands und der anschließenden politischen Entwicklungen geht vom politischen Handeln der Aachener Akteure aus, das bisher nicht ausreichend differenziert untersucht wurde. Vor der detaillierten Analyse erscheint es angebracht, sich zur Orientierung mit dem Verlauf der Ereignisse von 1611 bis zur katholischen Restitution vertraut zu machen.340 Nach dem Ausbruch eines konfessionell motivierten Aufstands am 5. Juli 1611 folgten auf Verhandlungen über dessen Beilegung rasch Auseinandersetzungen über eine grundlegende Neuordnung der politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen unter weitgehender Aufhebung des kaiserlichen Urteils von 1593. Ein in der Anfangsphase des Aufstands konstituierter Ausschuss der evangelischen Bürgerschaft formulierte Forderungen nach der Freigabe der öffentlichen Religionsausübung für Augsburger Konfessionsverwandte und deren Beteiligung an Zunftämtern und städtischer Obrigkeit. Rückhalt fanden diese Forderungen bei einer Gesandtschaft der possedierenden Fürsten in den vereinigten Herzogtümern. Das katholische Stadtregiment wurde bereits früh während des Aufstands faktisch entmachtet. Der Rat verlor die Möglichkeit sich im von Aufständischen besetzten Rathaus zu versammeln. Die Amtsräger mussten den Deputierten der evangelischen Bürgerschaft oder den Hauptmännern der bewaffneten Bürger ihre Amtsschlüssel übergeben oder waren vorübergehend wegen der tatsächlichen oder befürchteten Bedrohung durch Angriffe der Bewaffneten nicht in der Lage ihre Häuser zu verlassen. Dieser Zustand herrschte spätestens im September 1611 und änderte sich durch die angeblichen Versuche der Deputierten, mäßigend auf die Bürger einzuwirken nicht mehr grundlegend. Um den Jahreswechsel 1611/1612 organisierten die Deputierten das Stadtregiment systematisch unter eigener Führung neu. Dass das Stadtregiment zu diesem Zeitpunkt nicht unter dem Druck der Aufständischen und der Deputierten auf deren Forderungen eingegangen war, lag an der Unterstützung einer Brabanter und einer Kurkölner Kom340 Die ältere Literatur berichtet hinreichend von den Eckdaten der Entwicklungen vor der endgültigen katholischen Restitution von 1616. Der Aufstand von 1611 und seine politischen Folgen sind die mit Abstand am dichtesten und umfangreichsten beschriebene Episode der Auseinandersetzungen um den politischen und religiösen Status der Reichsstadt Aachen. S. o. S. 10.

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mission. Zusätzlich konnte es sich auf das kaiserliche Urteil stützen, das nach wie vor seinen alleinigen Machtanspruch in Aachen stützte und dessen Geltung von kaiserlicher Seite während der Auseinandersetzungen mehrfach bekräftigt wurde. Durch die sehr kurze aber dennoch bemerkenswerte französische Vermittlungstätigkeit geriet das Stadtregiment in die Situation, dass sein Beharren auf die durch die kaiserlichen Befehle hergestellten Verfassungsverhältnisse als friedhässige Verweigerung einer Einigung mit der Bürgerschaft ausgelegt wurde. Die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft erklärten, der Rat habe die Regierungsgeschäfte freiwillig aufgegeben, indem er sich den Vermittlungsvorschlägen verweigert hätte. Als „Amtsverwalter“ bildeten sie ein Übergangsregiment. Ein reichspolitischer Zufall festigte dieses Regiment zu Beginn des Jahres 1612. Zuvor hatte es sich vornehmlich durch seine Fähigkeit gehalten, die Bürgergemeinde einigermaßen friedlich zu halten und die Stadt militärisch zu kontrollieren. Als im Januar 1612 Rudolf II. starb, nutzte Johann II. von Pfalz-Zweibrücken als Vormund des Kurfürsten Friedrich V. die kurze Zeit bis zur Wahl und Krönung Matthias’ , um im März 1612 aus der Position eines Reichsvikars einen gemischtkonfessionellen Rat in Aachen wählen zu lassen.341 In Folge dessen nahm die Auseinandersetzung um den politischen und konfessionellen Status Aachens für kurze Zeit noch einmal die Form eines nach den Regeln von Reichsrecht und Reichspolitik verlaufenden Prozesses an. Für die beiden streitenden politischen Parteien in Aachen entstand noch einmal – ähnlich wie während der Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis – der Eindruck, der Erfolg ihrer Sache hinge von politischen und juristischen Diskursen auf Reichsebene ab. Matthias wollte den Aachener Konflikt nicht eskalieren lassen, bevor seine Wahl und Krönung nicht wie gewünscht verlaufen waren und er auf seinem ersten Reichstag in Regensburg 1613 die Zusagen für die benötigten Reichshilfen erhalten hatte. Er beauftragte daher zunächst eine Kommission, die Verhältnisse in Aachen zu untersuchen und bestehende Konflikte womöglich auf dem Weg der Vermittlung beizulegen. Währenddessen bemühte sich das neue Stadtregiment in Aachen, Unterstützung für die Anerkennung des Vikariatsrezesses zu gewinnen. Die Bemühungen scheiterten spätestens im Umfeld des Regensburger Reichstages, als auch die Kurpfalz begann von Teilen ihrer Bestimmungen für Aachen abzurücken und bereit war, lediglich die

341

Vgl. zur Vormundschaftsregierung Johann II. einführend Schindling/Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz, Oberpfalz, hier: S. 36–37.

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private Religionsausübung für die Aachener Protestanten zu akzeptieren.342 Schon während Matthias’ Krönungstag in Frankfurt im Juni 1612 hatten die anwesenden Kurfürsten, nachdem sie Rechtfertigungsschriften des alten und neuen Rates zur Kenntnis genommen hatten, dem Reichsoberhaupt die Entscheidung über die ‚Aachener Sache‘ anheim gestellt.343 Im Frühjahr 1614 erließ Kaiser Matthias sein Urteil zur erneuten Rekatholisierung Aachens.344 Erzherzog Albrecht von Österreich und Kurfürst Ernst von Köln wurden kommissarisch mit der Exekution des Urteils beauftragt. Als am 22. August 1614 der Marquis von Spinola mit mehreren Tausend spanischen Soldaten vor die Stadt zog, entschieden sich alle Akteure der protestantischen Interessengruppe gegen den Versuch einer militärischen Konfrontation. Die Restitution katholischer Ratsherren und Amtsträger konnte unter Leitung der brabantisch-kurkölnischen Kommission reibungslos erfolgen. Während der Dauer der Kommission wurde nicht nur ein neuer Rat eingesetzt. Die Kommission sorgte auch für die Lösung von verschiedenen Problemen bei der Wiederaufrichtung der Schöffengerichtsbarkeit unter ausschließlich katholischen Richtern und der erneuten Einsetzung des katholischen Vogtmeiers Johann von Thenen in sein Amt. Somit übernahm sie einen wichtigen Teil der Stabilisierung der zu rekatholisierenden Reichsstadt Aachen. Auch die Eintreibung von Strafen von geächteten Protestanten, der Ausschluss der Protestanten aus den Gaffeln, die Verbannung vieler Reformierter und Lutheraner aus der Stadt und die Zuwendung eines Anteils der eingenommenen Strafgelder an Institutionen der katholischen Kirche, welche die katholische Reform und Gegenreformation in der Stadt befördern sollten, erfolgten noch unter Aufsicht der Kommissare. Seinen Abschluss fand der intensive Restitutionsprozess 1616 mit der Hinrichtung zweier protestantischer Bürger als Rädelsführer des Aufstands und der Errichtung einer Schandsäule zur Schändung des Gedenkens an Johann Kalckberner, der als aktivster Handlungsträger innerhalb des Gremiums der Deputierten der evangelischen Bürgerschaft und 1612 bis 1614 als Bürgermeister zweifelsfrei zu den wichtigsten lokalen Akteuren der protestantischen Interessengruppe gehört hatte, dem aber die Flucht vor der kaiserlichen Exekutionskommission nach Jülich gelungen war.

342 Vgl. Classen, Die konfessionelle und politische Bewegung in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 432. 343 Vgl. Churfürsten an König Matthias, Frankfurt am 19. Juni 1612 (Kopie), StAAa, RA II Allg. Akt. 867, f. 206r–209v. 344 Kaiserliches Urteil in der ‚Aachener Sache‘ , 20. Februar 1614, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,16 Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644.

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2.4.4.1 Unruhige Bürger als politische Akteure Welche Rolle die katholischen und protestantischen Aachener während der gerade skizzierten fünfjährigen Auseinandersetzungen spielten und ob sie mehr als zuvor in konfessionalistische Streitigkeiten verfielen, soll im Folgenden untersucht werden. Der Aufstand stand im Mittelpunkt aller Auseinandersetzungen der Jahre 1611–1616. Er entzündete sich im Sommer 1611 an der Verhaftung einiger protestantischer Bürger durch den Rat. Sie waren festgesetzt worden, weil sie gemeinsam mit anderen Mitgliedern der protestantischen Gemeinden an Sonntagen in großen Gruppen und zum Teil demonstrativ bewaffnet die Stadt verlassen hatten, um ihren Gottesdienst zu halten. Das Auslaufen war möglich geworden, seit die Dynastie der Jülicher Herzöge 1609 mit dem Tod Johann Wilhelms ausgestorben war und die „possedierenden“ Fürstenhäuser Brandenburg und Pfalz-Neuburg sich auf die gemeinsame Regierung der vereinigten Herzogtümer geeinigt hatten. Sie hatten die protestantische Religionsausübung im Jülich-Klevischen Territorium freigegeben.345 Für die Aachener Gemeinden stand eine Kapelle direkt an der Grenze zum Aachener Reich auf Jülicher Gebiet im Dorf Weiden zur Verfügung. Das katholische Stadtregiment hatte das ‚Auslaufen‘ aber bereits vor 1611 verboten. Den Anlass für den Aufstand, nach der Verhaftung von fünf Besuchern der Weidener Predigten in diesem Jahr, gab eine von den Aufständischen behauptete Verletzung der bürgerlichen Freiheiten der beiden Gefangenen: Sie waren über einen längeren Zeitraum gefangen gehalten worden, nachdem sie zwar die angesetzten Strafen gezahlt hatten, sich jedoch aus Gewissensgründen geweigert hatten zuzusagen, zukünftig auf den Besuch von Predigten außerhalb der Stadt zu verzichten. Den Umstand, dass ihre eigenen Bittschriften und die von befreundeten Bürgern nicht zur Freilassung führten, legte die politische aktive protestantische Bürgerschaft, sobald sie sich organisiert hatte, als religiös motivierte Willkürmaßnahme des katholischen Stadtregiments aus.346 Johann Kalckberner gehörte zu der Gruppe aus dem Umfeld der lutherischen Gemeinde, die seit 1598 verschiedene außenpolitische Vorstöße zu Gunsten der Aachener Lutheraner initiiert hatte. Nun bereitete er mit anderen Personen scheinbar den Aufstand vor, der sich am 5. Juli 1611 ereignete. Vor dem Rathaus versammelte sich innerhalb kurzer Zeit ein große 345 Vgl. Albert Rosenkranz, Vorweiden Lürken, in: Albert Rosenkranz (Hrsg.), Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und Pfarrbuch. Bd. 1: Die Gemeinden. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 3.) Mülheim a. d. Ruhr 1956, S. 39–40, hier: S. 39. 346 Die Klage über die mangelnde Rücksichtnahme des katholischen Rates gehörten zu den ersten Beschwerde, welche die ‚evangelische Bürgerschaf‘ formulierte. Vgl. „Kurtze verzeichnuß deßen das die gemiente dato den 7 July anno 1611 durch ihre abgesandtenn mundtlich vortragen lassen“, Memorialbuch, f. 72v.

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Menge bewaffneter Bürger. Sie forderten die Freilassung der gefangenen Protestanten. Der Bürgermeister Christian Meeß konnte diese Forderung als einziger höherer Amtsträger, der sich im Rathaus aufhielt, nicht erfüllen. Ihm gelang es allerdings zu fliehen, während die Bewaffneten auf dem Rathausplatz verharrten. Die versammelten und bewaffneten Bürger übernahmen, obwohl sie anfangs offenbar nach einem zuvor unter anderem von Kalckberner zurecht gelegten Plan handelten, im weiteren Verlauf nicht die Rolle des Werkzeugs bestimmter politischer Akteure, sondern übten ihren eigenen häufig eskalierenden Einfluss auf die Entwicklungen der politischen Auseinandersetzungen aus. Die Hauptleute der Aufständischen, welche die militärische Kontrolle weiter Teile der Stadt organisierten, fungierten in mehreren Situationen als Sprecher und Anführer der Bewaffneten und handelten dabei unabhängig von denjenigen Akteuren, welche die Vertretung der aufständischen Einwohner und Bürger offiziell für sich beanspruchten. Sowohl die Hauptleute als auch die Bewaffneten selbst unternahmen regelmäßig eigenmächtige Aktionen, die kaum Rücksicht auf den Gang der politischen Verhandlungen nahmen. Schon in den ersten Tagen des Aufstands spitzte sich die von den Aufständischen ausgehende Bedrohung auffällig zu. Sie brachten das Rathaus unter ihre Kontrolle und stellten es auf Dauer unter ihre Bewachung, sodass der katholische Rat gezwungen war, seinen Tagungsort in das Dominikanerkloster zu verlegen. Ebenfalls in den ersten Tagen des Aufstands griffen Aufständische zunächst eine Gruppe von Jesuiten auf offener Straße an, bevor die Patres durch einen Angriff auf ihr Kolleg zur Flucht auf die Immunität des Marienstifts gezwungen wurden. Die Jesuitenniederlassung wurde geplündert. Die Frage, ob die Patres in Aachen würden bleiben können, wurde für die weitere Auseinandersetzung ein wichtiges Thema. Daneben blieben Übergriffe Aufständischer gegen katholische Geistliche nicht nur aus den Reihen der Jesuiten eine viel beachtete Nebenerscheinung des Aufstands.347 Den ersten Versuch einer Vermittlung zwischen den Aufständischen und dem Stadtregiment übernahm eine Gruppe protestantischer und katholi347

Im „Protocollum und anzeigungh was sich bey dem Aachischen tumulte, von tagh zu tagh zugetragen und allerseidt vorgelauffen“ zum 14. und 18. November 1611 (StAAa, HS 60) – einem zeitgenössischen Bericht der wahrscheinlich vom Ratssekretär Baltasar von Münster verfasst wurde – werden tatsächliche und drohende Angriffe auf Jesuiten und andere Kleriker an folgenden Stellen erwähnt: 20. September 1611 (62v), 12. Oktober 1611 (71rv), 3. Dezember (93rv) und 8. Dezember 1611 (96r). Zu den möglichen Entstehungsumständen des ‚Protokolls‘ vgl. die Überlegungen von Macco, Zur Reformationsgeschichte Aachens während des 16. Jahrhunderts, hier: S. 3. Übergriffe auf die katholische Kirche in Aachen spielten zudem eine Rolle bei den Erkundigungen der an der Jahreswende 1612/13 nach Aachen abgesandten kaiserlichen Kommission (LA NRW, Abt. Rhld., Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 5).

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scher Bürger, die aus demselben Umfeld wie die Deputierten der gemeinen Gaffeln von 1608/1609 – namentlich aus dem Kreis der Gesellschaft zum Stern stammten. Die Kontinuität zwischen den Deputierten der gemeinen Gaffeln und diesen neuen Deputierten bestand in Überschneidungen der personellen Zusammensetzung der Gruppen und in dem Ansatz, den Aufstand als Konflikt zwischen ordentlichem Stadtregiment und der politisch berechtigten Bürgergemeinde möglichst reibungslos beizulegen. Nichts deutete hingegen auf eine Kontinuität im Sinne eines von den Akteuren von 1608 bis 1611 fortgeführten politischen Projekts hin. Diese ersten Deputierten genossen nicht nur das Vertrauen des Rates, sondern waren eventuell sogar auf dessen Initiative hin zusammengetreten. Zu den Aufständischen erklärten die Deputierten die größte Distanz, die mit ihrer Absicht, für sie mit dem Rat zu verhandeln, möglich war. Mit den bewaffneten Aktionen der Bürger seien sie keinesfalls einverstanden. Sie hielten es lediglich für ratsam, auf ihre drängendsten Forderungen einzugehen, um die Ruhe in der Stadt wiederherzustellen. Die Zugeständnisse, die sie dem Rat empfahlen, waren ihrer Erklärung nach ein Kompromissangebot. Demnach seien die Aufständischen zur Niederlegung der Waffen bereit, wenn man ihnen die Religionsausübung außerhalb der Stadt erlaube, Amtsträger der Gaffeln aus dem Kreis katholischer und protestantischer Bürger wählen ließe und der Rat außerdem dafür sorgte, dass die Jesuiten die Stadt verließen. Nachdem die ersten Deputierten keine weiterreichenden Forderungen in die Verhandlungen mit dem Rat einbrachten, konnten sie die Anerkennung der Aufständischen als deren Verhandlungsführer nicht gewinnen. An ihrer Stelle übernahmen Deputierte die Verhandlungsführung, die durch einen 80-köpfigen Bürgerausschuss bevollmächtigt worden waren.348 Die neuen Deputierten waren deutlich von den nur wenige Tage handelnden Verhandlungsführern zu unterscheiden. Nicht nur hatten sie durch ihre Wahl durch den Ausschuss von Beginn an einen sichtbaren Rückhalt in der Bürgerschaft, den sie als Argument in die politischen Auseinandersetzungen einbringen konnten, sie bezogen auch andere Positionen gegenüber den bewaffneten Bürgern. Sie übernahmen in großem Umfang die Forderungen der Aufständischen nach grundlegenden Änderungen der Aachener Verfassung. Darüber hin348 Gerhard Ellerborn, Lambert Beeck und Gerard Engelbrecht übernahmen die Rolle der ersten Vermittler zwischen Amtsträgern und Gemeinde – vgl. StAAa, HS 60, f. 22v. die ersten Deputierten der evangelischen Bürgerschaft waren Johann Kalckberner, Voucken Momma, Johann Grevenbergh, Lambrecht von Lohn, Mathyssen Heuffs, Johannen Heuwer, Adam Schanternell oder, wenn dieser abwesend war, sein Sohn Hupprecht Schanternell, Michael Amya, Caspar le Grandt, Johann Schmitz und Caspar Engelbrecht – vgl. Memorialbuch, f. 72r.

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aus trugen sie selbst maßgeblich dazu bei, die Aufständischen weiter zu politisieren, indem sie Forderungen der evangelischen Bürgerschaft zusammenstellten, diese Gravamina vor den aufständischen Einwohnern verlesen ließen und somit den Eindruck verstärkten, bei dem Aufstand handele es sich um eine zielgerichtete politische Bewegung. Der so formulierte Forderungskatalog war vielfältig. Es ist zurecht darauf hingewiesen worden, dass die eindeutig revolutionären und religiös begründeten Forderungen der Anzahl nach hinter den allgemeinen politischen Beschwerden zurückblieben.349 Erstere lassen sich durch die Schlagworte freie, öffentliche Religionsausübung, Ausweisung der Jesuiten und volle politische Teilhabe für reformierte und lutherische Bürger zusammenfassen. Auffällig ist die betont religiöse Argumentation mit der Forderung nach öffentlicher Religionsausübung: Die Verweise auf die Rechte der Aachener Protestanten aufgrund des Augsburger Religionsfriedens war in seiner Nachdrücklichkeit im Vergleich zu früheren Phasen der Auseinandersetzungen innovativ: Es wurde behauptet, dass der 1598 abgesetzte Rat das ius reformandi erfolgreich angewandt habe, weil bereits kurz nach dem Schluss des Augsburger Religionsfriedens die evangelische Religionsausübung im Privaten in der Stadt üblich gewesen sei. Demzufolge sei die Einschränkung des evangelischen exercitium religionis ein Bruch des Religionsfriedens gewesen. Die Deputierten verliehen der Forderung nach freier Religionsausübung vor allem dadurch Schärfe, dass sie ausführten, der weitere Verzicht auf christliche Gottesdienste sei dem Gewissen und dem Seelenheil der Bürger sowie der Bürgergemeinde insgesamt nicht zuzumuten. Diese Aussage richteten die Deputierten an die bewaffneten Bürger und an den katholischen Rat. Die bewaffneten Bürger bestätigten sie in ihren religiösen Forderungen und betonten ihre Unterstützung dafür. Dem Rat verdeutlichte die Art der Argumentation die bei religiösen Gewissensfragen zu erwartende Kompromisslosigkeit des Verhandlungspartners in den folgenden Verhandlungen. Die profanen Beschwerden der Aufständischen erschienen dagegen sehr kleinteilig und als Forderungen Bewaffneter zu begrenzt. So beklagten sie wirtschaftliche und rechtliche Benachteiligungen einzelner protestantischer Bürger unter dem restituierten katholischen Stadtregiment. Ihre Brisanz und ihr Potential, zur Eskalation der politischen Auseinandersetzung beizutragen, gewannen die Forderungen durch ihre Bezüge zu den ungelösten Grundkonflikten, die seit der katholischen Restitution von 1598 bestanden. 349 Vgl. zu dieser Bewertung: Classen, Die konfessionelle und politische Bewegung in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 326. Zu den Forderungen der Gemeinde: „Verzeichnuß etzliche beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], Memorialbuch, f. 77v ff.

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Ein großer Teil der Beschwerden bezog sich auf die angebliche Untauglichkeit des katholischen Regiments, Aachen kompetent zu regieren. Die Beschwerden knüpften damit an die Auseinandersetzung um die Stabilisierung des katholischen Regiments an. Die jetzt gegen das Stadtregiment gerichteten Vorwürfe waren direkter und radikaler als zuvor. Insbesondere die neben den moralischen Anklagen gegen einzelne Regimentsmitglieder stehende Aussage, dass die katholische Bürgerschaft insgesamt nicht in der Lage sei, kompetente Ratsherren und Amtsträger zu stellen war in der Deutlichkeit, mit der sie geäußert wurde von einer neuen Qualität. Im Namen der evangelischen Bürgerschaft erklärten die Deputierten, dass die Schwäche des katholischen Regiments damit zu erklären sei, dass der größere und höher gestellte Teil der Aachener Bürgerschaft von den Evangelischen gestellt werde. Den daraus resultierenden Anspruch der Protestanten auf einen Anteil am Stadtregiment unterstrichen sie durch den Hinweis auf die im Vergleich zur katholischen Obrigkeit bessere Amtsführung der zwischen 1583 und 1598 regierenden protestantisch dominierten Magistrate. So standen die für sich genommen nur kommunalpolitischen Klagen über die Amtsführung des Stadtregiments wiederum in Verbindung mit der radikalen Forderung nach einer Verfassungsänderung. Auf dieselbe Forderung lief die Kritik an der Erneuerung der burgundischen Verträge hinaus. Die Argumentation, dass die politische Annäherung der Reichsstadt Aachen an die spanischen Niederlande zum Nachteil der Stadt sei, war bereits etabliert. Die erneute Anwendung des Arguments durch evangelische Bürgerschaft und Deputierte war ein scharfer Angriff auf das katholische Stadtregiment und stand auf sonderbare Weise im Zentrum der politischen Bemühungen zur Änderung der Aachener Verfassung. Die Differenzierung zwischen einzelnen Amtsträgern und Ratsherren, die zuvor einen Ausgangspunkt für die Beilegung der Streitigkeiten zwischen Rat und Gemeinde über die burgundischen Verträge gebildet hatte, wurde nun in den Hintergrund gestellt. Stattdessen stellten die Autoren der evangelischen Gravamina das Ausmaß der Verfehlung, die das katholische Stadtregiment durch die Vertragserneuerung von 1601 begangen hätte, weitreichender und dramatischer dar als zuvor.350 Die Deputierten skandalisierten die Aachen-Brüsseler Beziehungen weitreichend und versuchten so, für ihre Politik gegen den katholischen Rat die Unterstützung der Stadtgemeinde jenseits der bewaffneten Bürger, ihrer Hauptleute und ihres Ausschusses zu gewinnen. Sie ließen die angeblichen Verfehlungen des Rates in dieser Sache den Gaffeln vortragen und erhielten 350 Vgl. „Verzeichnuß was die Evangelische burgerschafft deputirte auff den gaffelen oder zunfften in gegenwardt der Notarien Wilhelm Bastenach und Joan Crum und gezeugen mundtlich vorgetragen“, Memorialbuch, f. 95v–106r.

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auf diesem Weg, die Zustimmung zur Durchsuchung der Ratsarchive, um nach Beweisen für diese Vorwürfe zu suchen. Zumindest einen Teil ihrer Tätigkeit, der für die allmähliche Übernahme des Stadtregiments nicht unwichtig war, konnten die Deputierten somit mit dem Rückhalt der gesamten politisch berechtigten Bürgerschaft rechtfertigen.351 Gegenüber dem Rat positionierten sich die Deputierten auf Grundlage ihrer doppelten Legitimation durch evangelische Bürgerschaft und die gemeinen Gaffeln. Die Autorität, welche die Deputierten von ihren Beziehungen zu den Aufständischen ableiteten, stellten sie gegenüber dem Rat und dessen politischen Partnern zweischneidig dar. Auf der einen Seite betonten sie wie die Verhandlungsführer der ersten Tage des Aufstands ihre Absicht und ihre Fähigkeit, den Aufstand durch eine Vermittlungslösung zu beenden. Sie distanzierten sich von unkontrollierten Gewaltaktionen der Bewaffneten und argumentierten damit, dass nur sie dazu in der Lage seien, sie zu unterbinden. Gleichzeitig nutzten sie jedoch ganz offensichtlich das von den Aufständischen ausgehende Bedrohungspotential, die Eigenmächtigkeit ihres Handelns und die auf den Verlauf der politischen Verhandlungen kaum Rücksicht nehmende Radikalität ihrer Forderungen aus, um ihre eigene Verhandlungsposition zu stärken. Ein Beispiel dafür war der Hausarrest der Amtsträger des katholischen Rates, den die Deputierten damit begründeten, dass sie die Arrestierten anders nicht vor Angriffen schützen könnten. Desweiteren wiesen die Deputierten die Verantwortung für Gewalttaten der Aufständischen von sich. Insbesondere bestritten sie jede Beteiligung am Überfall auf einen kaiserlichen Herold im November 1611, im Rahmen dessen der Bedienstete Rudolfs II. gezwungen wurde, den bereits angeschlagenen Befehl zur Wiederherstellung des katholischen Regiments wieder von den inneren Stadttoren zu entfernen.352 Es ist unwahrscheinlich, dass die Deputierten daran tatsächlich völlig unbeteiligt waren – die Veröffentlichung des Edikts hätte die Verhandlungsposition der katholischen Interessengruppe stärken können. Von offener Gewalt gegen kaiserliche Amtsträger mussten sich die Deputierten jedoch distanzieren. Die flexible Gestaltung ihrer Beziehungen zur evangelischen Bürgerschaft erlaubte den Deputierten den Versuch, gleichzeitig mit dem Bedrohungspotential der Bewaffneten und mit der eigenen Treue zu politischen Normen zu argumentieren. Die Positionen der verschiedenen Akteure zum radikalen Moment der Bürgerbewegung waren überraschend beweglich. Der katholische Rat und die kaiserlichen Kommissare bezogen eine ein351

Vgl. ebd. Vgl. „Protocollum und anzeigungh was sich bey dem Aachischen tumulte, von tagh zu tagh zugetragen und allerseidt vorgelauffen“ zum 23. November 1611, HS 60, f. 85r–87r. 352

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deutige Position: Durch die Gewalt der Aufständischen, seien diese ins Unrecht gesetzt. Die Deputierten seien die Anführer des Aufstands und damit ebenso zu verurteilen. Auf dieser Position baute das katholische Stadtregiment die Forderung nach seiner vollkommenen Restitution auf. Die kaiserliche Kommission, die um den Jahreswechsel 1612/13 in Aachen tätig war, untersuchte vor allem Verlauf und Ursachen des Aufstands seit 1611. Dabei stand die Dokumentation von unrechtmäßigen Gewaltmaßnahmen, Versuchen des radikalen Umsturzes der politischen Verhältnisse und die Überführung der politisch Verantwortlichen im Mittelpunkt.353 Die Kommission änderte jedoch die faktischen politischen und religiösen Verhältnisse in der Stadt nicht. Dass sie bei ihrer Abreise zu Beginn des Jahres 1613 nicht für die Restitution des katholischen Rates gesorgt hatte und dem Schöffengericht sogar befahl, unter dem regierenden Rat weiter Gericht zu halten, war für den entmachteten katholischen Magistrat eine Enttäuschung. Der vorläufig gültige Kommissionsrezess darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kaiser und katholischer Magistrat weiter dasselbe Ziel verfolgten. Die Kommissare legten mit der Schwerpunktwahl für ihrer Untersuchung bereits den Grundstein für das spätere kaiserliche Urteil zur uneingeschränkten katholischen Restitution. Die nicht durch kaiserliche Kommissionen bevollmächtigen Gesandten aus Jülich und Frankreich hatten eine weniger legalistische Position zum Aufstand. Sie erklärten ihre Anwesenheit in Aachen damit, konkret zur Lösung der durch den Aufstand entstandenen Probleme beitragen zu können.354 Die Jülicher Gesandten leiteten ähnlich wie die Deputierten aus dem revolutionären Potential der bewaffneten Bürger die Notwendigkeit ab, ihnen Zugeständnisse zu machen. Damit griffen sie durchaus ein Argumentationsmuster auf, das die Jülicher Regierung schon vor der Machtübernahme der Possedierenden angewandt hatte: Schon zu Beginn des Konflikts zwischen Rat und Schöffen im Jahr 1603 warnte der Rat, die Bürgerschaft sei geneigt, gewaltsam gegen die Schöffen vorzugehen. Einem Vertreter der Jülicher Regierung schrieb der Ratssyndicus Klocker die Aussage zu, der Herzog lege es darauf an, durch die fortdauernde Verunsicherung der Aachener Bevölkerung während der Auseinandersetzungen zwischen Jülich und dem Rat Unruhen zu provozieren.355 Im Herbst 1611 versuchte der Jülicher Gesandte Langenberg den Bür353

S. o. S. 201. Vgl. zur Zusammensetzung der Jülicher Kommission Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 483 u. 485. 355 Vgl. Klockers Tagebuch zum 21. Juni 1604, in: Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 37 und zum 3. August 1603, in: Wieth, Das Tagebuch des Aachener Stadtsyndicus Melchior Klocker 1602–1608, hier: S. 21. 354

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germeister Joachim Berchem ganz offensichtlich einzuschüchtern, indem er beschrieb, welchen Verlauf die Ereignisse nehmen würden, wenn die aufständischen Bürger nicht durch Zugeständnisse des katholischen Rates beruhigt würden. Der Katholik Langenberg malte dazu die Verhältnisse in Reichsstädten, in denen sich die Reformation durchgesetzt hatte, in dunklen Farben. In Nürnberg und Straßburg seien den Katholiken alle Kirchen und Klöster genommen worden. Sollte der Rat nicht einlenken, würden auch in Aachen nicht nur die Jesuiten den Angriffen der Bürger zum Opfer fallen. Auf wirkungsvolle Hilfe des Kaisers könne das Stadtregiment nicht hoffen, da für dessen Befehle keine kompetenten Exekutoren in Sicht seien.356 Auf den Mangel an wirkungsvoller Unterstützung für die Aachener Katholiken berief sich auch die französische Gesandtschaft. Weil die letzten kaiserlichen Befehle die Situation in Aachen nicht hätten beruhigen können, stelle die französische Krone ihre friedensstiftenden Bemühungen zur Verfügung um zu einer Übergangslösung bis zur kaiserlichen Regelung der Sache beizutragen. Die französischen Gesandten solidarisierten sich prinzipiell mit der katholischen Interessengruppe. Als wichtigstes Verhandlungsziel betrachteten sie die Restitution des Jesuitenkollegs, die sie schließlich auch erreichten und als Erfolg verbuchten. Zur Befriedung der politischen und konfessionellen Konflikte sahen sie allerdings Kompromisse zwischen Rat und Gemeinde als notwendig an, nicht zuletzt, weil ein gewisses Maß an Zugeständnissen von Seiten des katholischen Regiments nötig erschien, um die aufständischen Bürger zu beruhigen. 2.4.4.2 Parität oder „Aequilibrium“ als politische Alternativen? Wie grundlegend anders während der Jahre 1611 bis 1614 über die konfessionellen Verhältnissen in Aachen verhandelt wurde, zeigen die Diskussionsbeiträge der französischen Gesandten. Der Vermittlungsvorschlag der französischen Gesandtschaft war in den Punkten, welche die Verfassung des Stadtregiments und die Restitution der Aachener Jesuiten betrafen, nicht originell. Er griff Kompromisse auf, die bereits zwischen Rat, Deputierten und den Gesandten der possedierenden Fürsten diskutiert worden waren. Die Regeln, die der Vorschlag für das Zusammenleben der Konfessionsgruppen vorsah, hatten im Gegensatz dazu wenig mit den bisher verhandelten Lösungen zu tun. Sie sahen vor, den Reformierten und Lutheranern, die öffentliche Religionsausübung lediglich in einem Teil der Stadt einzuräumen. Dazu wurden zwischen einer Innenstadt in den Grenzen der alten 356 Vgl. „Protocollum und anzeigungh was sich bey dem Aachischen tumulte, von tagh zu tagh zugetragen und allerseidt vorgelauffen“ zum 3. Dezember 1611, HS 60, f. 93rv.

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Stadtmauern aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert und einer Außenstadt innerhalb der neueren Stadtbefestigungen unterschieden. Die Einteilung städtischen Raums und die Verteilung unterschiedlicher Nutzungsprivilegien für Katholiken und Protestanten in den verschieden Stadtteilen war in Frankreich in verschiedenen Religionsvergleichen, so zuletzt auch im Edikt von Nantes, zur Anwendung gekommen. Den Hugenotten war ihre Religionsausübung regelmäßig lediglich in Vorstädten erlaubt worden.357 Auch die Obrigkeit von bikonfessionellen Reichsstädten versuchte Konflikte durch die räumliche Trennung von Konfessionsgruppen und ihrer Religiosität zu verhindern.358 Prinzipiell hätte eine solche Regelung auch in Aachen von Wert sein können. Die Trennung der städtischen Räume, in denen Katholiken und Protestanten den öffentlichen Teil ihres Religionslebens gestaltet hätten und insbesondere die exklusive Überlassung der Innenstadt mit den zentralen öffentlichen Plätzen, dem Rathaus und den wichtigsten Kirchen, an die Katholiken, hätte einige Konflikte die aus der gegenseitigen Störung der verschiedenen Religionen entstehen konnten, entschärfen können. Wahrscheinlich überzeugte Jean Hotman die französische Delegation davon, trotz ihrer sehr unverbindlichen Instruktionen einen dermaßen weitreichenden Vorschlag zur Regelung der Aachener Verhältnisse zu unterbreiten. Hotman selbst war nicht Teil der vom Marquis de la Vieuville359 geleiteten königlich französischen Gesandtschaft nach Aachen. Er griff als dauerhafter Vertreter der französischen Krone am Jülicher Hof in die Verhandlungen im Winter 1611/1612 ein.360 Als solcher hatte er auf der einen Seite Einfluss auf 357

Vgl. Raymond A. Mentzer, The Edict of Nantes and its institutions, in: Raymond A. Mentzer/Andrew Spicer (Hrsg.), Society and culture in the Huguenot world, 1559–1685. Cambridge 2002, S. 98–116, hier: S. 100. 358 Vgl. dazu zusammenfassend Dixon, Urban Order and Religious Coexistence in the German Imperial City, hier: S. 6. Dixons Einschätzung, konfessionelle Koexistenz sei überhaupt nur möglich gewesen, wenn sich alle beteiligten Konfessionsgruppe innerhalb definierter Grenzen bewegten, scheint jedoch überzogen. 359 Die Quellen weisen den vollen Namen des Marquis de la Vieuville nicht aus. Allerdings wird der Marquis auch als ‚Präsident‘ von Mézières betitelt. Robert de la Vieuville war seit 1568 Gouverneur von Mézières. Er leitete also die Gesandtschaft obwohl er 1611 bereits ein Alter von mehr als 70 Jahren erreicht hatte und im darauffolgenden Jahre verstarb. Vgl. Laurent Bourquin, Comprendre une Prise de Parti au Temps des Guerres de Religion. La Biographie de Robert de la Vieuville, in: Histoires de Vies. Actes du Colloque de 1994. (Association des Historiens Modernistes. Bulletin 19.) 1996, S. 15–38, hier: S. 19. 360 Vgl. Donald Baird Smith, Jean de Villier Hotman, in: The Scottish historical review 14 (1917), S. 147–166, hier: S. 161–162 – die dort vertretene Ansicht, Hotman sei der Leiter der Kommission nach Aachen gewesen und sei von Vieuville lediglich begleitet worden, wird durch die Berichte über die Verhandlungen widerlegt, die den Marquis durchgängig als Hauptakteur der französischen Delegation zeigen. Vgl. zur

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das Verhandlungsgebaren der katholischen, französischen Delegation und berücksichtigte andererseits die politische Linie der possedierenden Fürsten, die Zugeständnisse an die evangelische Bürgerschaft Aachens durchsetzten wollten. In diesem Spannungsfeld suchte Hotmann nach einer Lösung für den Aachener Konflikt, welche seiner irenischen Grundhaltung und seiner in vielen Fällen auf konfessionelle Kompromisse zielenden politischen Arbeit entsprach.361 Der französische Vermittlungsvorschlag entsprach dieser Linie. Bei näherer Betrachtung war der Vorschlag den Aachener Verhältnissen aber unangemessen. Die Unterscheidung der beiden zu Grunde gelegten Stadtbezirke war hier unüblich. Zudem fehlte es sowohl in Aachen selbst als auch im Heiligen Römischen Reich insgesamt an Institutionen die eine solche konkrete Regelung des konfessionellen Zusammenlebens hätten einführen und etablieren können. Nach der Verabschiedung des Edikts von Nantes hatten in Frankreich konfessionsparitätisch besetzte, königliche Durchführungskommissionen die Beachtung des Edikts in einzelnen Städten überwacht und womöglich weitere konkrete Regelungen bestimmt, die wirkungsvollen Schutz der verbrieften Rechte beider Konfessionen garantieren sollten. Die dauerhafte friedensschaffende Wirkung des Edikts sollte durch die Rechtsprechung paritätisch besetzter chambres de l’ Édit gesichert werden, die an die regulären parlaments angeschlossen waren. Im Gegensatz zum Reichskammergericht, das bei der Ahndung von Verstößen gegen den Augsburger Religionsfrieden scheiterte, wurden die chambres de l’ Édit weder durch die konfessionelle Spaltung der Richter noch durch einen Mangel an konkreten politischen Regeln zum Zusammenleben der Konfessionen behindert.362 Auf dieser Grundlage konnten gemischtkonfessionelle Städte in Frankreich nach 1598 in eine Phase der rechtlichen und militärischen Sicherheit sowie der vergleichsweise friedlichen konfessionellen Koexistenz eintreten.363 Der französische Vorschlag zeigte trotz politischen Bedeutungslosigkeit die gestiegene Bedeutung der konkreten lokalen Konflikte und politischgesellschaftlichen Notwendigkeiten einer eindeutigen Entscheidung über die politische und konfessionelle Zukunft der Stadt. Die meisten Akteure aus Zusammensetzung der Kommission Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 486. 361 Vgl. G.H.M. Posthumus Meyjes, Jean Hotman en Het Calvinisme in Frankrijk, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 64.1 (1984), S. 42–77, hier: S. 42–44 u. 60. 362 Vgl. Mentzer, The Edict of Nantes and its institutions, hier: S. 102–109. 363 Vgl. Rainer Babel, Konflikt oder Koexistenz? Katholiken und Protestanten in französischen Städten der frühen Neuzeit, in: Andreas Schmauder/Jan-Friedrich Missfelder (Hrsg.), Kaftan, Kreuz und Kopftuch. Religiöse Koexistenz im urbanen Raum (15. bis 20. Jahrhundert). (Stadt in der Geschichte, Bd. 35.) Stuttgart 2010, S. 213–224, hier: S. 220–222.

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Stadt, Region und Reich hatten diesen Entscheidungsdruck mittlerweile verinnerlicht. Die Diskussion über Verfassungsmodelle für Aachen, die in Bezug auf ihre konfessionellen und konfessionspolitischen Bestimmungen vage oder bewusst offen waren, war abgelöste worden. Zu diesen Entwürfen hatte das Modell einer katholischen Reichsstadt unter den Bestimmungen der Ratsbeschlüssen von 1560 und dem kaiserlichen Endurteil von 1593 ebenso gehört wie die sich auf den Gaffelbrief und die Bewahrung des innerstädtischen Friedens berufende Forderung nach einem gemischtkonfessionellen Rat nach dem Vorbild der Jahre 1583 bis 1598. Alle jetzt diskutierten Lösungen der Probleme in Aachen, hatten gemeinsam, dass ihre Befürworter davon ausgingen, dass das Zusammenleben mehrerer Konfessionsgruppen ohne eine grundlegende Neuordnung nicht möglich wäre. Auch diese Überzeugung entsprang zum Teil den jüngsten Erfahrungen konfessioneller Konflikte während der Aufstände und zusätzlich der rückschauenden Beurteilung der Auseinandersetzung über die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen in den vergangenen knapp 60 Jahren, die aus der Perspektive der Jahre 1611 bis 1614 zu einem für alle Interessengruppen unbefriedigendem Ergebnis geführt hatten. Der Vorschlag der französischen Gesandtschaft gehörte zu denjenigen diskutierten Entwürfen, die dem allseits empfundenen Entscheidungszwang mit einem Konzept eines geregelten Zusammenlebens zweier Konfessionsgruppen in Aachen zu entsprechen suchten. Ähnliche Konzepte, die den Verhältnissen in Aachen und dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation eher entsprachen, knüpften an das Modell der Parität an. Die konfessionelle Parität entwickelte sich als Konzept für die Eindämmung von Konflikten, die nach dem Augsburger Konfessionsfrieden bikonfessionell waren und andauerten. Die verfassungsmäßigen, rechtlich festgelegten Formen der Beteiligung von Protestanten und Katholiken am Stadtregiment, waren durch die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens nicht vorgegeben worden, die bikonfessionellen Kommunen hatten Ansätze zu paritätischen Verfassungsregeln dennoch in den folgenden Jahrzehnten umgesetzt. Dadurch war das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in den vom Reichsrecht gedeckten bikonfessionellen Städten stärker gesetzlich geregelt als im gemischtkonfessionellen Aachen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatten sich in einigen bikonfessionellen Reichsstädten die Konflikte zwischen den Religionsgruppen gleichzeitig aber auch die Bemühungen zur Festigung der paritätischen Verfassungen verstärkt.364 Diese Entwicklung in anderen Reichsstädten blieb den Aachener Akteuren nicht verborgen und regte Argumente für paritätische Regelungen der Aachener Verhältnisse an. 364

Vgl. Warmbrunn, Der Weg zur Parität in den gemischtkonfessionellen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl 1548–1648, hier: S. 88–93.

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Bereits in den ersten Gravamina der evangelischen Bürgerschaft, die durch die Deputierten verbreitet worden waren, war gefordert worden, die in den meisten Aachener Gaffeln gebräuchlichen Ämter der Greven, Baumeister und Zwölfmänner paritätisch zu besetzen.365 Die Forderung wurde in dem Kontext erhoben, dass zuvor probierte Regelungen, nach denen die Ämter zwar für Protestanten freigegeben worden waren, ohne aber die Verteilung der Posten auf Angehörige beider Konfessionen festzulegen, gescheitert wären. Dafür seien die Gaffelgenossen verantwortlich gewesen, die über die Besetzung der Ämter in Streit geraten seien, was durch eine paritätische Regelung hätte verhindert werden können. Die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft formulierten aber bis dahin keine ausdrückliche Forderung nach konfessionsparitätischer Machtverteilung. Die Veränderungen, die zur Abschaffung des rein katholischen Stadtregiments gefordert wurden, lehnten sich an die Aussage an, dass die Reichsstadt Aachen eine Demokratie sei und es daher unmöglich sei, einen Großteil der politisch berechtigten Bürger, nämlich die Protestanten, von der politischen Teilhabe auszuschließen. Die Wiederherstellung der republikanischen Stadtverfassung nach den Vorstellungen der Deputierten wurde jedoch mit paritätischen Vorstellungen verbunden. So wies das im Mai 1613 etablierte, protestantisch dominierte Stadtregiment in seinen Bemühung um die Anerkennung des Vikariatsrezesses durch den Kaiser darauf hin, dass es bereit sei durch zukünftige Ratswahlen unter Aufsicht einer kaiserlichen Kommission ein Stadtregiment aufrichten zu lassen, in dem zwischen Katholiken und Protestanten in allen geistlichen und weltlichen Dingen ein ‚Aequilibrium‘ herrsche. Zur Abrundung einer solchen paritätischen Regelung sollte den Protestanten ausdrücklich die Erlaubnis eingeräumt werden, zwei Kirchen zu errichten.366 Dieses Modell war ein Kompromissvorschlag für den Fall, dass der Kaiser nicht bereit wäre, die durch den Vikariatsrezess geschaffene Verfassungsrealität vollständig anzuerkennen. Ursprünglich argumentierte die protestantische Interessengruppe, dass die Protestanten den größeren und besseren Teil der Aachener Bürgerschaft stellten und sie daher der Stadtverfassung ge365

Die Forderungen sind unter anderem formuliert in „Verzeichnuß etzliche beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], Memorialbuch, f. 77v ff. 366 „Nuwe und summarische Relation worauf die Aachische in dm heyl: Römlch: Reich wohl bekandte sache, beruh thue sampt angehefften bedencken, wie undt welcher gestalt deroselben abzuhelfen“ [April 1613], StAAa, RA II, Allg. Akt., 868, f. 157r–165v, hier: f. 163v–164r. Vergleichbare Argumente finden sich außerdem in Bürgermeister, Schöffen und Rat der Reichsstadt Aachen an Kaiser Matthias I. [Juni/Juli 1613] (Konzept) und Jost von Beeck und Anton Wolff an Kurfürsten, Fürsten und Stände auf dem Reichstag zu Regensburg [September 1613] (Konzept), StAAa, RA II, Allg. Akt., 869, f. 33r–41v u. 50r–54v.

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mäß auch die Mehrheit des Stadtregiments stellen sollten. Diese Sichtweise verdrängte die überkonfessionelle Konzeption des Stadtregiments nicht ganz. Sie war aber Teil einer dominanten Strategie der protestantischen Interessengruppen, eine Neugestaltung der politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen auf dem Weg konfessioneller Polarisierung zu erreichen. 2.4.4.3 Zwischen Lutheranern und Reformierten – Zwischen Union und Liga Als Partner der protestantischen Interessengruppen traten die possedierenden Fürsten und die Kurpfalz auf. Zu beiden bauten die Deputierten der evangelischen Gemeinde stabile Beziehungen auf. Die protestantischen Reichsstädte, Sachsen-Coburg und Kursachsen spielten dagegen, trotz kurzer Korrespondenzen, als politische Partner der Aachener Protestanten kaum eine Rolle. Die Kontakte zu den Possedierenden in Jülich und zur Kurpfalz basierten wie bereits weiter oben angedeutet wurde, zum Teil auf Netzwerken, die von Vertretern der lutherischen und der reformierten Konfessionskirchen in Aachen geknüpft wurden. So wurde der Kontakt zu Pfalzgraf Wolfgang von Pfalz-Neuburg von Lutheranern wie Konrad von Heggen und Johann Kalckberner aufrecht erhalten, während die Beziehung zu Kurfürst Friedrich V. beziehungsweise zur kurpfälzischen Administration wesentlich von dem Aachener Reformierten Gerhard Men getragen wurde. Der in Frankfurt residierende Aachener Lutheraner Johann Ruland trug ebenfalls zur Kommunikation mit Heidelberg bei, spielte in dieser Funktion aber eine untergeordnete Rolle, während er in den sonstigen reichspolitischen Aktivitäten der Deputierten und des durch den Vikariatsrezess eingesetzten Rates einen wichtigen Knotenpunkt bildete. Die innerprotestantische Spaltung der Außenbeziehungen der protestantischen Interessengruppe in Aachen unterstrich die Konfessionalisierung der politischen Auseinandersetzung um Aachen. Die Ansätze zu dieser Spaltung wurden im Frühjahr 1612 besonders deutlich, als nach dem Tod Rudolfs II. sowohl Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg als auch Johann von Pfalz-Zweibrücken die Administration der Kurpfalz und das Pfälzer Reichsvikariat für sich beanspruchten. Die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft in Aachen sahen in der Unterstützung eines protestantischen Reichsvikars eine Gelegenheit, ihre Position in den Auseinandersetzungen in Aachen zu stärken. Während eine Gruppe von lutherischen Deputierten jedoch darauf setzte, den Neuburger, dessen Sohn Wolfgang Wilhelm als possedierender Fürst in Jülich bereits zu den eigenen politischen Partnern gehörte, als Vikar anzuerkennen, schrieben Gerhard Men und andere Kontaktpersonen der Deputierten am Heidelberger Hof bald sehr eindringlich an

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die Deputierten, sie sollten jede Uneinigkeit darüber, wer der rechtmäßige Vikar sei, beenden, damit ihre Bitte an die Kurpfalz um Unterstützung durchdringen könne.367 Interne Auseinandersetzungen über die Entscheidung für einen Reichsvikar sind im Detail nicht überliefert. Vieles spricht aber dafür, dass die allgemein stärkere Position Johanns sowohl in der Reichspolitik allgemein als auch in den Konflikten um die kurpfälzische Administration und das Reichsvikariat zu der Entscheidung der Aachener führte auf seine Hilfe zu setzen. Dass der Neuburger Possedierende nach der Entscheidung der Aachener, das Reichsvikariat seines Vaters nicht anzuerkennen, politisch auf Distanz zu den Deputierten der evangelischen Bürgerschaft und zum neuen protestantisch dominierten Rat ging, konnte die evangelische Interessengruppe zum Teil durch ihre Beziehungen zum zweiten, Brandenburger Possedierenden kompensieren. Markgraf Johann Sigismund schaltete sich nicht nur zu Gunsten der Protestanten in die reichspolitischen Bemühungen um die Anerkennung des Pfälzer Vikariatsrezesses ein, sondern er stellte auch eine kleine Garnison von einer Kompanie zur Verfügung, um Aachen notdürftig vor befürchteten militärischen Übergriffen spanischer Truppen zu schützen.368 Nachdem die Beziehungen der politisch aktiven Reformierten und Lutheraner in Aachen zu Pfalz-Neuburg schon im Frühjahr 1612 zu Gunsten der Zusammenarbeit mit der Kurpfalz und Kurbrandenburg gelockert worden waren, änderte die vor ihrer Umsetzung 1614 bereits länger vorbereite Konversion Wolfgang Wilhelms für die Entwicklung der Auseinandersetzungen in Aachen nichts.369 Das politische Engagement der Kurpfalz in den Jahren 1612 bis 1614 ähnelte in vielen Punkten den früheren Aktivitäten Pfalzgrafs Johann Casimirs in der ‚Aachener Sache‘ . Stellt man die Frage, inwieweit die Pfälzer im Vergleich zu den 1580er und 1590er Jahren zur konfessionellen Polarisierung der Auseinandersetzung über Aachen beitrugen, fallen deutliche qualitative Unterschiede auf: 367 Vgl. dazu Ludwig Camerarius an Johann Ruland, Heidelberg, 27. Februar 1612 (Kopie), StAAa, RA II Allg. Akt. 867, f. 99r–100v; Gerhard Men an die Amtsverwalter [des Stadtregiments in Aachen], Heidelberg 6. März 1612, StAAa, RA II Allg. Akt. 867, f. 111r–112v; und Gerhard Men an Johann Ruland, Heidelberg, 13. März 1612, StAAa, RA II Allg. Akt. 867, f. 119r–120v. Der Pfälzer Geheime Rat Ludwig Camerarius – vgl. Friedrich Hermann Schubert, Camerarius, Ludwig. In: NDB (Onlineausgabe). 1957, S. 105–107– hielt zwischenzeitlich, v.a. wenn Men erkrankte, den Kontakt zwischen Heidelberg und Aachen aufrecht. 368 Vgl. Markgraf Ernst zu Brandenburg etc. an die Evangelische Religionsverwandte in Aachen, Kleve 31. Dezember 1611, StAAa, RA II Allg. Akt. 868, f. 71r–72v. Der Markgraf kündigt die baldige Ankunft einer brandenburgischen Kompanie in Aachen an. 369 Zu den ansonsten reichspolitisch durchaus bedeutenden Entwicklungen im Jülicher Erbfolgestreit vgl. zusammenfassend Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, hier: S. 485–491.

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Heidelberg hatte vor der katholischen Restitution 1598 nie so direkt in die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen eingegriffen, wie es das 1612 durch die Legitimation des protestantisch dominierten Rates tat. Diese Anordnung des Reichsvikars hatte inhaltlich fast alle zuvor getroffenen kaiserlichen Befehle zur Gestaltung der politisch-religiösen Verfassung Aachens aufgehoben und war nicht anders zu verstehen als eine konfessionspolitische Maßnahme, die vollendete Tatsachen zu Gunsten der Aachener Protestanten schuf. Die Argumente, mit denen die Pfälzer und die protestantische Interessengruppe in Aachen versuchten, diese konfessionelle Machtpolitik als prinzipiell kaisertreu und vor allem dem Aachener Frieden und Wohlstand dienend darzustellen, waren angesichts der Art und Weise, wie sich das protestantisch dominierte Regiment in Aachen tatsächlich stabilisierte und sich auf eine möglicherweise militärische Verteidigung seiner Position vorbereitete, nicht konsistent. Die reichspolitische Argumentation stellte nach wie vor darauf ab, dass der Reichsstadt Aachen durch den Religionsfrieden garantierte Rechte vorenthalten würden und sie die Solidarität der protestantischen Stände gegen die eigenmächtige Politik des Kaisers und der in Aachen engagierten katholischen Fürsten benötigte. Vor dem Hintergrund der mittlerweile weiter fortgeschrittenen konfessionellen Polarisierung des Reichsverbandes und des damit einhergehenden Funktionsverlusts der Reichsinstitutionen, schließlich auch vor dem Hintergrund der Gründung von Union und Liga, war die von der Kurpfalz versuchte Schaffung einer Konfessionspartei zu Gunsten der Aachener Protestanten dazu geeignet, eine grundsätzliche Konfrontation zwischen katholischen und protestantischen Akteuren auszulösen.370 Dass die ‚Aachener Trubeln‘ tatsächlich im Zusammenhang mit der konfessionellen Blockbildung im Reich diskutiert wurden, zeigen die Bemühungen der Kurpfälzer, allen voran die Unionsstände für die Unterstützung der Aachener Protestanten zu gewinnen.371 Fest eingebunden in die konfessionalistische Reichspolitik wurden die jüngsten Entwicklungen in Aachen vor allem durch die reichspolitische Wahrnehmung des Nordwestens des Reiches als religionspolitische Krisenregion par exellence. Unter dem Eindruck des Jülicher Erbfolgestreits und der militärischen Aktionen sowohl der spanischen Niederlande als auch der Generalstaaten im Rheinland gewann die kurpfälzische Argumentation, das Reichs dürfe seinen ‚Vorort‘ Aachen nicht an die Spanier verlieren neuen Nachdruck. Das Argument wirkte auch dadurch stärker, dass es auf lokaler 370 Zu den Entwicklungen im Reich vgl. zusammenfassend Lanzinner, Konfessionelles Zeitalter 1555–1618, hier: S. 185–195. 371 Vgl. dazu „Johannes Pfalzgraff Tutor, Administrator, Vicarius“ an den Markgrafen von Brandenburg, 20. Februar 1612 (Kopie), StAAa, RA II, Allg. Akt. 867, f. 93r–94v.

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Ebene dauerhaft präsent war, wo die evangelische Bürgerschaft und die Deputierten sich anhaltend mit der Befürchtung beschäftigten, dass der katholische Rat die Stadt den Spaniern habe untertänig machen wollen. Die kurpfälzischen Administration und der kaiserlicher Hof, die sich verhältnismäßig intensiv mit der Sache befassten, stellten die Auseinandersetzungen um Aachen beinahe vollkommen in den Kontext der Religionskämpfe im Nordwesten des Reiches. Dies geschah vor allem dadurch, dass die in Aachen streitenden Interessengruppen in erster Linie als Klienten der in der Region streitenden Konfessionsparteien von Brabant, den Generalstaaten und den possedierenden Fürsten wahrgenommen und beurteilt wurden. Darüber hinaus wurde der Ausgang der politischen Auseinandersetzungen vor allem in Hinblick auf seine Bedeutung für das konfessionspolitische Kräfteverhältnis in der Region beurteilt. Wie diese Perspektive die Behandlung der ‚Aachener Trubeln‘ auf Reichsebene insgesamt prägte, zeigt beispielhaft eine Stellungnahme des kaiserlichen Hofmarschalls zur Frage, ob Vertreter des katholischen Rates oder des neu eingesetzten protestantischen Rates zur Session auf dem Regensburger Reichstag von 1613 zugelassen werden sollten. Er äußerte schwere Vorbehalte gegen beide Parteien, weil die eine den Generalstaaten die andere aber den Brabantern zu stark verbunden sei.372 2.4.5 Ergebnisse: Die Konfessionelle Polarisierung der ‚Aachener Sache‘ unter dem Eindruck eines Zwangs zur Entscheidung Die letzten Befunde legen einen Grund für die Eskalation der konfessionspolitischen Konflikte um Aachen in den Jahren 1611 bis 1614 offen: Die Reduzierung der Auseinandersetzungen in Aachen auf die Rolle eines Schauplatzes der Konfessionskonflikte im Nordwesten wirkte ebenso wie das verstärkte Interesse an den konkreten Auseinandersetzungen in der Stadt. Die beiden Zugänge zu demselben politischen Problem setzten alle beteiligten Akteure unter einen erhöhten Druck, schnelle und umfassende Lösungen für die bestehenden Konflikte in Aachen zu suchen. Die Betrachtungen der ‚Aachener Trubeln‘ als innerstädtischen Konfessionskonflikt auf der einen Seite und als Schauplatz größerer religionspolitischer Machtkämpfe auf der anderen Seite verursachten also zusammen die Eskalation, Radikalisierung und konfessionelle Polarisierung der Auseinandersetzungen. Beide Tendenzen wirkten sich auf die abschließende Regelung des Konflikts in den Jahren 1614 bis 1616 aus. Die Bedeutung der konfessionspolitischen Großkonflikte für den Ausgang der ‚Aachener Trubeln‘ , war schon an 372

Vgl. Protokolle des Aachener Syndicus Anthon Wolff auf dem Reichstag zu Regensburg, 4. Juli–15. Juli 1613 (Kopie), StAAa, RA II, Allg. Akt. 867, f. 7r–19v.

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der von beiden Interessengruppen zumindest vorübergehend erwogenen Option, die Entscheidung mit militärischen Mitteln herbeizuführen, zu ersehen. Tatsächlich war der Aufmarsch der Truppen Spinolas vor den Mauern Aachens allerdings nicht entscheidend für den Erfolg der neuerlichen Exekution des kaiserlichen Urteils.373 Die kleine Brandenburger Besatzung in Aachen und die vom protestantisch dominierten Rat zusätzlich angeworbenen Soldaten waren von Beginn an nicht dazu geeignet, militärischen Widerstand zu leisten. Dennoch zeigte schon die Anwesenheit der ‚katholischen‘ und ‚protestantischen‘ Truppen, dass beide Interessengruppen bereit waren, die ‚Aachener Sache‘ als Anlass für eine religionspolitische Kraftprobe zu betrachten. Der 1614 beginnende Restitutionsprozess trug der in den Auseinandersetzungen der Jahre 1611 bis 1614 erkannten Bedeutung der religiösen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Aachen insofern Rechnung, als die Rekatholisierung der Stadt im Vergleich zu den Jahren 1598 bis 1601 sehr viel detaillierter, eindeutiger und damit auch wirkungsvoller geregelt wurde: Anders als 1598 wurde die konkrete Gestaltung der politisch und religiös katholischen Stadt nicht den lokalen Akteuren überlassen. Die kaiserlichen Befehle und die Kommissionen zu deren Umsetzung machten bereits klare Vorgaben zur künftigen Verfassung der Stadt. Protestantische Bürger wurden nicht nur aus dem Rat, von Regimentsämtern und von Ämtern der Gaffeln ausgeschlossen, sondern aus den Gaffeln insgesamt. Damit verloren sie jede Berechtigung zur politischen Teilhabe in der Stadt und einen bedeutenden Teil ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Die Restitution und Reform der katholischen Kirche sicherten die kaiserlichen Kommissare unter anderem dadurch, dass sie dem restituierten katholischen Rat auferlegten, bedeutende Teile der von den geächteten Protestanten eingezogenen Strafen für die finanzielle Ausstattung der Jesuiten und die Besoldung der Pfarrer aufzuwenden.374 Das Achtlösungsverfahren war jetzt nicht auf Versöhnung und Reintegration der Protestanten in die Bürgergemeinschaft ausgerichtet, sondern auf Bestrafung und Ausweisung. Nachdem 1614 nicht nur die Mitglieder des protestantisch dominierten Stadtregiments, sondern alle protestantischen Urheber des Aufstands von 1611 in die Acht gefallen waren, war jetzt die Mehrheit der Aachener Protestanten direkt von den gegenreformatorischen 373

Das selbe Urteil fällte bereits Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 327. Vgl. Sebastian Planker, Die Besoldung der Aachener katholischen Pfarrer im 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 7 (1885), S. 288–295, hier: S. 289. 374

Ausweitung der Auseinandersetzungen (1598 bis 1616)

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Maßnahmen des Restitutionsprozesses betroffen. Den Entschluss, auf dieser Grundlage die Rekatholisierung Aachens auch im Sinne der möglichst vollkommenen Verdrängung der Protestanten aus der Stadt zu erreichen, unterstrichen die Kaiserlichen nicht zuletzt durch den Prozess und das Urteil gegen die Hauptverantwortlichen der ‚Aachener Trubeln‘. 1616 wurden zwei Protestanten als Rädelsführer des Aufstands öffentlich auf dem Aachener Marktplatz hingerichtet. Dem geflohenen Johann Kalckberner wurde an gleicher Stelle eine „Schandsäule“ errichtet, die dauerhaft sichtbar markierte, dass der Protestantismus und die damit verknüpfte Aufsässigkeit der Bürger in der rekatholisierten Reichsstadt Aachen nicht mehr geduldet wurden. Die höhere Zahl der Emigrationen und Verbannungen protestantischer Einwohner nach 1614 zog im Unterschied zu den Jahren nach 1598 das Herabsinken der Reformierten und Lutheraner in Aachen zu einer marginalisierbaren Minderheit.375 Dieser Endzustand der politischen Auseinandersetzungen über die Reichsstadt Aachen als Gemeinwesen, das drei Konfessionsgruppen – Katholiken, Reformierte und Lutheraner – beherbergte, war nach einer letzten Phase konfessioneller Polarisierung erreicht worden. Die Aachener Akteuren waren in auffälligem Unterschied zu früheren Phasen der Auseinandersetzung bereit, die umfassend konfessionalistische Interpretation der verhandelten Konflikte mitzutragen. Zum Teil ging die Initiative zur konfessionellen Polarisierung des Diskurses sogar von Aachener Katholiken, Reformierte und Lutheraner aus. Diese Aachener Akteure, die über die Verfassung ihrer Stadt verhandelten, waren zu einen größeren Anteil als zuvor direkt für die Gestaltung des Zusammenlebens der drei Konfessionsgruppen verantwortlich oder zumindest unmittelbar und tiefgreifend vom Ergebnis dieser Gestaltung betroffen. Es waren die Verantwortlichen in den Konfessionskirchen, der Ausschuss der evangelischen Bürgerschaft und das zunehmend vom Erfolg seiner Religionspolitik abhängige Stadtregimenten, die sich in die Auseinandersetzungen einbrachten. Einige der Themen, an deren Diskussion sich die Konfessionalisierung der gesamten Auseinandersetzung am deutlichsten ablesen lässt, standen im 375

Wie schon die Migration zwischen den Niederlanden und Aachen in der zweiten hälfte des 16. Jahrhunderts ist auch die Abwanderung von Protestanten aus Aachen nach 1614 nicht im genau fassbar. Sicher ist jedoch, dass die Zahl der Protestanten in der Stadt sich jetzt im Unterschied zu 1598 signifikant verringerte. Vgl. dazu H. von Asten, Die religiöse Spaltung in der Reichsstadt Aachen und ihr Einfluß auf die industrielle Entwicklung in der Umgebung, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 68 (1956), S. 77–190, hier: S. 108–120. Asten kommt zu der Ergebnis, dass besonders protestantische Gewerbetreibende nach 1614 in erheblich größerer Zahl abwanderten als nach der ersten katholischen Restitution.

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Die politische Auseinandersetzung – Akteure, Themen, Argumente

engen Zusammenhang mit den Problemen der Gestaltung des Zusammenlebens der drei Konfessionsgruppen innerhalb der Aachener Bevölkerung: Die Frage, wie frei die Religionsausübung für die Protestanten in Aachen sein würde, entschied direkt über die Entfaltungsmöglichkeiten der reformierten und lutherischen Kirchen. Analog dazu verwiesen die in den Mittelpunkt der Wahrnehmung des Aufstands getretenen Übergriffe auf Kleriker, Institutionen und religiösen Praktiken der katholischen Kirche auf die Frage, wie deren Bestand und Funktion gesichert werden konnten. Die Fragen, wie der Aufstand der bewaffneten Bürger zu beenden sei und ob er religiös motiviert war, korrespondierten direkt mit der Herausforderung, ein Stadtregiment über eine gemischtkonfessionelle Bürgerschaft zu stabilisieren. Schließlich deutete sich im politischen Handeln der Aachener Akteure bereits an, dass der gesamte Verlauf der Auseinandersetzungen eine prägende Erfahrung bildete, die ihr Handeln bei der Gestaltung des konfessionellen Zusammenlebens in der Stadt beeinflusste. Diese Zusammenhänge verweisen auf die Lebenswirklichkeiten der Aachener Akteure und ihrer Mitbürger und Glaubensgenossen. In deren Untersuchung liegt der Schlüssel zum Verständnis des verhältnismäßig friedlichen Zusammenlebens dreier Konfessionsgruppen in Aachen und die Erklärung für dessen Scheitern.

3 Zusammenleben einer Bürgergemeinde und drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel Die Analyse der reichs-, regional- und stadtpolitischen Auseinandersetzungen über die ( Causa Aquensis) hat gezeigt, dass die konkrete Gestaltung des Miteinanders der in der Stadt lebenden Konfessionsgruppen lange Zeit nicht im Mittelpunkt stand. Erst kurz vor dem Ende der Auseinandersetzungen durch die zweite Restitution von 1614 hatten sich die politischen Argumente auf die Frage fokussiert, wie die eskalierten Konflikte des gemischtkonfessionellen Aachener Gemeinwesens zu lösen wären. Die politische Kommunikation vor dem Hintergrund des Bürgeraufstands und des Machtwechsels im Aachener Stadtregiment gab schließlich den Ausschlag für konsequente Bemühungen zur Herstellung monokonfessioneller, katholischer Verhältnisse in der Stadt.

3.1 Obrigkeit, Zünfte und Kirchen – Träger des konfessionellen Zusammenlebens In den vorangegangenen Phasen der Auseinandersetzungen hatten vor allem Akteure, die das Stadtregiment in Aachen ausübten oder beanspruchten, zum Zusammenhang zwischen dem Aachener Religionswesen und den Zielen ihrer Tätigkeit als städtische Obrigkeit Position bezogen: der Förderung von Frieden, Wohlstand und Rechtssicherheit der Stadt. Mitglieder der protestantischen und der katholischen Interessengruppe versuchten, die Legitimität ihres Anspruchs auf die Besetzung des Magistrats unter anderem mit Stellungnahmen zum Zusammenleben der Konfessionen in Aachen zu untermauern. Daneben hielten die kirchlichen Institutionen der Reformierten, Lutheraner und Katholiken Schlüsselpositionen, wenn es darum ging, die Voraussetzungen für das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen zu gestalten. Schließlich ist die Annahme berechtigt, dass die konfessionelle Vielfalt Aachens sich vor allem dort als politische und gesellschaftliche Herausforderung stellte, wo sich ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und auch politischen Lebens in der Stadt abspielte – das heißt in den Zünften, Gesellschaften und Gaffeln. Das Stadtregiment, die Gaffeln und die Konfessionskirchen sind demnach als Träger der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft in der langen Zeit anzusehen, in der sich die politischen Akteure der Causa Aquensis mit

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Drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel

gesellschaftlichen Problemen innerhalb Aachens kaum befassten. Wie sie ihre Organisationsformen und ihr institutionelles Handeln, den Gegebenheiten der gemischtkonfessionellen Stadt anpassten und wie sie ihre Beziehungen zueinander gestalteten, machte die Grundlagen der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen aus. Im Folgenden wird deswegen gefragt, wie Stadtregiment, Gaffeln und Konfessionskirchen das Fundament der Aachener Gesellschaft im konfessionellen Zeitalter legten. 3.1.1 Stadtregiment und Bürgerschaft als Gestalter des städtischen Religionswesens Angesichts der Bedeutung, die das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in der Argumentation der Vertreter des Aachener Rats, der städtischen Amtsträger und der oppositionellen Gruppen zeitweise einnahm, liegt es nahe anzunehmen, dass die städtische Obrigkeit tatsächlich wesentlich zur Gestaltung der Religionspolitik in Aachen und damit zur Regelung des konfessionellen Zusammenlebens in Aachen beitrug. Dem entspricht die Forschungsmeinung, das mehrheitlich protestantische Stadtregiment der Jahre 1582 bis 1598 habe auf die Einführung der Reformation in Aachen hingearbeitet und habe der „late city reformation“ in Aachen damit obrigkeitliche Prägung einer „magistrates’ reformation“ gegeben.1 Um die tatsächliche Rolle der regulären und außerordentlichen Regimenter der Stadt Aachen bei der Gestaltung der religiösen Verhältnisse in Aachen zu verstehen, müssen zunächst die institutionellen und rechtlichen Voraussetzungen sowie die innerstädtischen Abhängigkeiten und Machtverhältnisse untersucht werden, von denen die religionspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der städtischen Obrigkeit abhingen. Vor diesem Hintergrund kann auch die Bedeutung der Religionspolitik der verschiedenen Magistrate im Rahmen ihres gesamten politischen Programms beurteilt werden. Dabei ist nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass jedes Regiment sowohl außerhalb der Stadt – in den politischen Verhandlungen über die Causa Aquensis – bestehen musste, als auch nach innen – gegenüber den Einwohnern verschiedener Konfessionen – die Rechtmäßigkeit und Stabilität seiner Regierung behaupten musste. Jede Aachener Obrigkeit gestaltete das Zusammenleben der Konfessionsgruppen im Spannungsfeld der politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten in der Stadt. Drei Voraussetzungen für die Gestaltung der religiösen Verhältnisse in Aachen, sollen beginnend mit den Beziehungen zwischen Rat und Bürgerschaft betrachtet werden: Erstens bestand die Verfassungsidee fort, der zufolge die Bürgergemeinde 1

Vgl. Greyerz, The Late City Reformation in Germany, hier: S. 205.

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als Genossenschaft der eigentliche Träger der politischen Unabhängigkeit der Städte war.2 – unabhängig davon, wie sehr sich Rat und Amtsträger in Reichsstädten als Obrigkeit verstanden, deren Autorität autonom war oder sich vom Kaiser als Stadtherrn ableitete. In Aachen war dieses genossenschaftliche Konzept, das im Gegensatz zu oligarchisch-patrizischen Entwürfen stand, noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts vergleichsweise lebendig und einflussreich. So konnten die Bürger sowohl über ihre verfassungsmäßige Beteiligung an der Ratsherrschaft als auch über die Beziehungen zwischen Magistrat und Bürgerschaft Einfluss auf die Politik nehmen. Zweitens hingen die religionspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der städtischen Obrigkeit von ihren Rechten und Kompetenzen im Bereich der Kirchenhoheit und der Jurisdiktion ab. Die Kirchenhoheit des Rates war, soweit sie bestand, die Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein obrigkeitliches Kirchenwesen geprägt werden konnte. Nur in den Grenzen seines Einflusses auf die städtische Gerichtsbarkeit konnte das Stadtregiment gewährleisten, dass seine religionspolitischen Konzepte nicht zur Gefahr für die Rechtssicherheit in der Stadt wurden oder Übertretungen gegen eine gesetzte religiöse Ordnung auch tatsächlich geahndet wurden. Drittens entschieden die Beziehungen des Stadtregiments zu den drei Konfessionskirchen in Aachen über die Gestaltung des Religionswesens in der Stadt. Institutionelle Verbindungen, personelle Überschneidungen, gemeinsame oder entgegensetzte Interessen, Einflüsse oder Zwänge, die Magistrat und Kirchen aufeinander ausübten, bestimmten mit, wie die Bedingungen des Religionslebens jeder der drei Konfessionsgruppen und das Zusammenleben der christlichen Einwohner Aachens insgesamt gestaltet wurden. Je schwächer und zurückhaltender die Einflüsse des Stadtregiments in diesem Beziehungsgeflecht blieben, desto stärker traten die Institutionen der einzelnen Konfessionskirche als Gestalter der religiösen Verhältnisse in Aachen hervor, sodass auch deren Abhängigkeiten und Spielräume untersucht werden müssen.

2 Eine knappe Zusammenfassung der entsprechenden Forschung zur städtischen Verfassungsgeschichte und ihrer Neuinterpretation aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht bietet Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden, hier: S. 17–18. Zuletzt hat Schilling, Die deutschen Städte in den politischen und religiösen Umbrüchen des „langen 16. Jahrhunderts“, hier: S. 326–327 zum wiederholten Mal zurückgewiesen, dass sich schon zur Mitte des 16. Jahrhunderts eine Zäsur feststellen lasse, nach der sich Stadtregiment und Bürger eindeutig als Obrigkeit und Untertanen verstanden.

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Drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel

3.1.1.1 Das Bekenntnis des Bürger als Problem der Politik von Gemeinde, Gaffeln und Rat Die politische Verfassung der Reichsstadt Aachen gab die Voraussetzungen für die obrigkeitliche Religionspolitik vor. Während des gesamten Untersuchungszeitraums war der Gaffelbrief die Basis der Aachener Stadtverfassung. Das Verfassungsdokument war 1450 aus Kämpfen zwischen dem bis dahin in der Stadt allein regierenden Patriziat und einer neuen, zum Teil bürgerlichen, in Zünften und Gesellschaften verankerten Oberschicht hervorgegangen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts – nach weiteren Aufständen – erhielten die Regeln zur Beteiligung der verschiedenen Einwohnergruppen am Stadtregiment ihre für das gesamte Ancièn Régime gültige Form.3 Demnach galt für die Reichsstadt Aachen eine genossenschaftliche Zunftverfassung. Die politisch berechtigte Bürgerschaft war in 14 Gaffeln organisiert.4 Einige der 14 Gaffeln entsprachen jeweils einer Ambacht, also der berufsgenossenschaftlichen Organisation der Meister eines Handwerks. Zusätzlich bestanden mit der Gesellschaft zum Bock und der Gesellschaft zum Stern zwei Gaffeln ohne zunfthandwerklichen Hintergrund, in denen zum einen die akademisch gebildete, Handel treibende oder von Renten lebende Oberschicht und zum anderen die Patrizier organisiert waren. Besonders Angehörige der gesellschaftlichen Oberschicht konnten ihre Gaffelzugehörigkeit aber unabhängig von ihrem Beruf wechseln. Aus jeder Gaffel wurden jährlich vier Personen in den großen Rat gewählt, wodurch die Hälfte der 112 ‚Gaffelgeschickten‘ in diesem Gremium ersetzt wurden.5 Durch die Teilnahme kommunaler Amtsträger – der Bürgermeister der vorherigen Wahlperiode, eines gewählten Rentmeisters, der Werkmeister, Baumeister und Weinmeister sowie der sechs für die Steuererhebung zuständigen Neumänner – hatte der große Rat regulär insgesamt 125 stimm3 Vgl. Erich Meuthen, Der gesellschaftliche Hintergrund der Aachener Verfassungskämpfe an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 74/75 (1962/63), S. 299–392. Die Arbeit zeichnet zwar die Entwicklung der Stadtverfassung nach 1513 nicht mehr im Detail nach, ist aber die wichtigste Studie zum Gaffelbrief und auch für das Verständnis der Aachener Verfassung im 16. und 17. Jahrhundert grundlegend. Abgesehen davon liefert Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 98–103 nach wie vor den kompaktesten Überblick über die politische Verfassung der Reichsstadt Aachen. 4 Eine zeitlich differenzierte Übersicht der politisch berechtigten Gaffeln bietet Alex Hermandung, Das Zunftwesen der Stadt Aachen bis zum Jahre 1681. Münster 1908, hier: S. 11–20 u. S. 105–106. 5 Offensichtlich wurden zumindest von einem Teil der Gaffeln zeitweilig die doppelte Anzahl von Gaffelgeschickten zum Rat präsentiert, so dass die im Rat verbleibenden Männer wählen konnte, wen sie neu aufnahmen. Vgl. dazu Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock 1553–1618, StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 12r ff.

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berechtigte Mitglieder. Dazu kamen die regierenden Bürgermeister sowie ein Sekretär und ein Syndicus der Stadt.6 Der Große Rat wählte gegen Ende seiner Wahlperiode die städtischen Amtsträger, von denen die beiden Bürgermeister die mit Abstand einflussreichste Postion im Magistrat einnahmen. Dass zumindest einer der höchsten Amtsträger als Schöffenbürgermeister aus dem Kreis des Patriziats neben den Bürger- oder Gemeindebürgermeistern gewählt werden musste, war ein verfassungspolitisches Relikt aus der Zeit, in der der städtische Adel das Stadtregiment monopolisiert hatte. Die alltäglichen Regierungsgeschäfte führte neben den Amtsträgern der Kleine Rat, der sich aus jeweils zwei der Geschickten jeder Gaffel zusammensetzte. Der Große Rat wurde zu Fragen, welche die Freiheit, den Wohlstand und die Privilegien der Reichsstadt Aachen und ihrer Bürger in besonderer Art und Weise betrafen konsultiert.7 Insbesondere Entscheidungen zur reichsstädtischen Außenpolitik und zu grundsätzlichen Regelungen der friedlichen Verhältnisse innerhalb der Stadt wurden mit allen Geschickten der Gaffeln beraten, sodass die Konsultationen des großen Rates während der regional- und reichspolitischen Auseinandersetzungen über die Causa Aquensis vergleichsweise häufig vorkamen. In Krisensituationen holte das Stadtregiment sogar mehr als einmal die Gutachten aller Gaffeln ein, die bei diesen Gelegenheiten ihre Mitglieder in ihren Versammlungshäusern zusammenrufen mussten, um ihre Meinung zu politischen Fragen der städtischen Amtsträger oder des Rates abzugeben. Die Gaffeln repräsentierten die gesamte politisch berechtigte Bürgerschaft und in bestimmten Zusammenhängen die gesamte Reichsstadt als genossenschaftliches Korpus. In dieser Position konnten sie politisch nicht übergangen werden. Für jedes Stadtregiment, ob es ein regulärer Rat oder ein außerordentliches Gegenregiment war, war der Rückhalt der Gaffeln 6 Vgl. Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 99–100. Dort ist auch eindeutig ausgeführt, dass das Amt des zweiten Rentmeisters automatisch vom Gemeinde-Bürgermeister der abgelaufenen Wahlperiode eingenommen wurde. Bei Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 225 ff. sind die entsprechenden Angaben missverständlich. Auch die Angaben bei Quix, Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Aachen und ihrer Umgebungen, hier: S. 141–145 dürfen nicht falsch verstanden werden: Es ist zwar korrekt, dass die städtischen Amtsträger im Rat ihre Stimme – die dritte Stimme im Rat – abgaben. Rent-, Bau- und Bürgermeister wurden aber nicht wie Quix schreibt Neumänner genannt, sondern bildeten zusammen mit den sechs Neumänner eine 15. stimmberechtigte Gruppe im Rat, die Noppius, Acher Chronik, hier: S. 99 „die Herren Neumänner“ nennt. Der Schöffenbürgermeister des Vorjahres stimmte im übrigen nicht mit den Vertretern dieser ‚15. Gaffel‘ ab, sondern mit den Geschickten der Gesellschaft zum Stern. 7 Vgl. ebd., hier: S. 100–101.

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entscheidend.8 Auch um sich religionspolitischen Handlungsspielraum zu verschaffen, musste jede Obrigkeit ihre Übereinstimmung mit den Gaffeln und der von ihnen getragenen städtischen Verfassung zeigen. Die Analyse der politischen Auseinandersetzungen über die Causa Aquensis hat gezeigt, dass der Große Rat und die Gaffeln von der städtischen Obrigkeit in kritische Entscheidungen eingebunden wurden. Beispielsweise hatten die Gaffeln die Initiative ergriffen, in deren Folge protestantische Bürger 1574 wieder zu Rat und Ämtern zugelassen wurden. Eine tiefgreifende konfessionelle Spaltung der Gaffeln war zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben.9 In der Krise der Jahre 1580 bis 1584 und in den darauf folgenden Auseinandersetzungen bemühte sich zunächst der mehrheitlich protestantische Ratsteil und später das protestantisch dominierte Stadtregiment um den Rückhalt der Gaffeln. Doch schon im Vorfeld der Eskalation dieses Konflikts befassten sich die Gaffeln mit den konfessionellen Entwicklungen in der Stadt. Weil die Gaffeln dabei den Verlauf der Causa Aquensis kaum beeinflussten, ihre politischen Stellungnahmen zur ‚Aachener Sache‘ aber sehr wohl Licht auf das Zusammenleben der Konfessionen in Aachen werfen, wird im folgenden analysiert, welche Rolle die Gaffeln in den Streitigkeiten zwischen katholischen, reformierten und lutherischen Interessengruppe in Aachen spielten. Zunächst wurden die Gaffeln mit einer Entscheidung des Rates zur Einwanderungs- und Einbürgerungspolitik konfrontiert, die sie als Träger der politischen und gesellschaftlichen Organisation der städtischen Bürgerschaft in besonderem Maße betraf: Im April 1580 erließ der Aachener Rat ein Edikt, das die Rolle von Zuwanderern im politischen Leben der Reichsstadt veränderte. Alle Bürger der Stadt, die nicht Mitglieder einer Gaffel waren, sollten innerhalb von 14 Tagen eine Gaffel auswählen, um ihr beizutreten. Bei Zuwiderhandlung sollten die Betroffenen ihr Bürgerrecht verlieren.10 8 Schmitz, Verfassung und Bekenntnis, hier: S. 351–352 betont, dass die Aachener Stadtverfassung in der Theorie und vor allem in der politische Praxis starke Tendenzen zu einer Verengung der Herrschaft auf eine oligarchische Führungsschicht aufwies und das Verhältnis zwischen Stadtregiment und Bürgerschaft als Beziehung einer Obrigkeit zu ihren Untertanen konstruiert wurde, anstatt Amtsträger und Rat als Repräsentanten der politisch berechtigten Bürgergemeinde zu begreifen. Dieses Urteil ist soweit berechtigt, wie es dazu dient, irrige Vorstellung vom Maß der in Aachen herrschenden Demokratie zu korrigieren. Es darf aber nicht über die gerade im Vergleich zu eindeutig oligarchisch verfassten Reichsstädten im Süden des Reiches beträchtliche politische Bedeutung der in den Gaffeln organisierten bürgerlichen Schichten in Aachen hinwegtäuschen. 9 S. o. S. 80. 10 Vermerk zum Edikt des Aachener Rates vom 15. April 1580 im Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock, StAA HS 225 D (Zünfte), sowie Vermerk zum Edikt des Aachener Rates vom 15. April 1580 in den Auszügen aus den Rollen der Gesellschaft zum Bock, StAA HS 399 (Zünfte).

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Das Stadtregiment wollte zugewanderte Neubürger in die Gaffeln und damit in den Kreis der wahlberechtigten Bürger einführen. Durch die Stadtverfassung waren Bürgerrecht und Mitgliedschaft in den Gaffeln miteinander verknüpft. Es ist unklar, ob ein potentieller Neubürger in Aachen zunächst Mitglied in einer Gaffel werden musste, um dann das Bürgerrecht erteilt zu bekommen, oder ob die Gaffelmitgliedschaft der Verleihung des Bürgerrechts durch die städtische Obrigkeit folgte.11 In der Praxis behauptete der Magistrat bei verschiedenen Gelegenheiten den Anspruch, als erste Instanz über die Annahme von Bürgern zu entscheiden und auch über die Aufnahme neuer Mitglieder in die Gaffeln zu bestimmen.12 Somit ist es zwar unwahrscheinlich, dass in Aachen geborene Bürger in größerer Anzahl keiner Gaffel angehörten, an Einwanderer der 1570er Jahre konnte der Rat aber durchaus das Bürgerrecht verliehen haben, ohne dass sie in der Folge einer Gaffel beigetreten waren.13 Die Einwanderer selbst drängten am Ende der 1570er Jahre nicht wahrnehmbar auf den mit Vollbürgerschaft und Gaffelmitgliedschaft verbundenen politischen Einfluss in Aachen. Dass sie konkrete religionspolitische Ziele verfolgt hätten, denen sie durch ihre Aufnahme in die Gaffeln näher gekommen wären, wurde zwar vermutet, lässt sich aber nicht belegen.14 Hinter 11

Isenmann, Bürgerrecht und Bürgeraufnahme in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, S. 237–238 gibt an, dass in den Reichsstädten der Frühen Neuzeit beide Varianten verbreitet waren. 12 Prominentestes Beispiel für ein solches Handeln des Magistrats ist das gerade diskutierte Ratsmandat selbst. Auch bei der durch die Obrigkeit geplanten Aufnahme der niederländischen Textilhandwerkerfamilien in den 1540er Jahren kam es offensichtlich zu keinen Konflikten zwischen Rat und Gaffeln, in denen Letztere das Recht des Magistrats zur Erteilung des Bürgerrechts grundsätzlich in Frage stellten oder von der vorherigen Aufnahme in die Gaffeln abhängig machten. Nach der ersten katholischen Restitution von 1598 befahl der Rat einigen Gaffeln die Aufnahme bestimmter Mitglieder – Vgl. Abschriften nach 1789 aus Zunftrollen 1443–1786, 1789, StAAa, HS 101 (Zünfte), hier: S. 51, wo vermerkt ist, dass die Schmiedegaffel am 13. März 1602 auf Befehl von Bürgermeister Joachim Berchem den Meister Johan von Eihs aufnahm. Diesen Befehle betrachtete die Gaffeln zwar als außergewöhnlich, leisteten ihnen aber Folge – ein weiterer Hinweis darauf, dass in der Reichsstadt Aachen nicht das selbstständige Bestimmungsrecht der Gaffeln über die Aufnahme neuer Mitglieder, sondern Anordnungen des Rates über die Aufnahme von Neubürgern entschieden. 13 Zuwanderern war es in Aachen schon seit dem Zuzug der niederländischen Textilhandwerker in den 1540er Jahren gestattet worden, ihr Gewerbe außerhalb der Zunftorganisation zu betreiben. Vgl. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, hier: S. 74–75. Quix, Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Aachen und ihrer Umgebungen, hier: S. 150 teilt eindeutig mit, dass das Bürgerrecht Voraussetzung für die Aufnahme in eine Gaffel gewesen sei. In der Regel blieb das Recht der Gaffeln, selbst über die Aufnahme neuer Genossen zu entscheiden, davon unberührt – vgl. dazu Hermandung, Das Zunftwesen der Stadt Aachen bis zum Jahre 1681, hier: S. 41. 14 Vgl. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, hier: S. 170–171,

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der oben beschriebenen Verordnung des Rates stand also wahrscheinlich die politische Absicht, die Zuwanderer soweit in die Bürgergemeinschaft zu integrieren, dass sie voll und ganz der städtischen Friedenswahrung verpflichtet waren.15 Die Gaffeln waren dennoch unsicher über die politische Bedeutung des Ratsedikts. Auf dem ersten Wahltag zum Stadtrat nach der vom Rat verordneten Aufnahme neuer Mitglieder wurden in der Gesellschaft zum Bock Stimmen laut, die forderten, die kürzlich Aufgenommenen nicht zur Wahl zuzulassen. Die Mehrheit der Gaffelgenossen wies die Forderung schließlich mit dem Hinweis zurück, dass die Aufnahme der neuen Mitglieder vom Rat verordnet und deswegen rechtens sei und dass außerdem schon bei früheren Gelegenheiten neue Gesellen an Wahlen teilgenommen hatten. Der kurz aufgeflammte Streit zeigte dennoch die Uneinigkeit der Herren zum Bock über die Bedeutung des Edikts für bevorstehende Ratswahlen.16 Konfessionelle Vorbehalte gegen die nach dem Erlass des Rates aufzunehmenden neuen Mitglieder äußerten die Mitglieder nicht. Das Fehlen religionsbezogener Polemik in den Überlieferungen der Bockgaffel zu den Entwicklungen des Jahres 1580 ist umso bemerkenswerter, weil die außerordentlich aufgenommenen Gaffelgenossen teilweise zu den führenden Mitgliedern der deutsch-reformierten Gemeinde zählten.17 Einige dieser wo Schilling vor allem den reformierten Zuwanderern aus den Niederlanden politische Ambitionen und Kompetenzen zuschreibt. 15 Die mit dem Bürgerrecht in frühneuzeitlichen, deutschen Städten verbundenen Pflichten zur Förderung von Gemeinwohl und Frieden erläutert Ulrich Meier, Gemeinnutz und Vaterlandsliebe. Kontroversen über die normativen Grundlagen des Bürgerbegriffs im späten Mittelalter, in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.), Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250– 1550). (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft, Bd. 30.) Berlin 2002, S. 53– 81, hier: S. 70–71. Vgl. ebenfalls: Isenmann, Bürgerrecht und Bürgeraufnahme in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, S. 205. Außerdem ist denkbar, dass der Rat neue Mitglieder für die Gaffeln gewinnen wollte, nachdem diese wahrscheinlich wie die übrige Einwohnerschaft Aachens im Verlauf einer Epidemie im Jahr zuvor dezimiert worden waren. Vgl. zur Auswirkung der Seuche auf die politische Führungsschicht Aachens StAAa, HS 60, f. 238v bis 239r sowie ausführlicher zu Ursachen und Verlauf der Epidemie Egon Schmitz-Cliever, Pest und pestilenzialische Krankheiten in der Geschichte der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 66/67 (1954/1955), S. 108–168, hier: S. 140–144. 16 Vermerk zum Wahltag der Gesellschaft zum Bock am 22. Juni 1580 im Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock, StAA HS 225 D (Zünfte). 17 Bei den ersten Neuzugängen handelte es sich um Johann Frentz, Peter Peltzer, Merten Peltzer, Mathis Koep, Claus von den Bannis, Abraham von Colen, Goerth von Boechholtz, Mathis Geyer und Peter von der Schleyden – vgl. StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 18r. Boechholtz, Merten Pelltzer und Schleyden waren Mitglieder der deutsch-reformierten Gemeinde. Frentz, Peter Peltzer, Bannis und Colen waren als Amtsträger oder führende Gemeindemitglieder für die Kirchenleitung tätig.

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Männer gelangten schon im selben Jahr als Geschickte der Gesellschaft zum Bock in den Rat und in den folgenden Jahren auch in Gaffelämter.18 Die Mitglieder und Mitorganisatoren der reformierten Kirche wurde also verhältnismäßig reibungslos in die Gesellschaft zum Bock integriert und gelangten über diese Gaffel in politische Verantwortung. Offensichtlich waren die Mitglieder der Gaffel nicht in dem Maße konfessionell polarisiert, dass sich katholische Mitglieder entschieden gegen diese Entwicklung gestellt hätten. Die Gaffeln handelten auch bei ihren nächsten Verwicklungen in die Causa Aquensis als Ganzes oder mehrheitlich nicht konfessionalistisch: Als die Auseinandersetzungen um den politischen und konfessionellen Status der Reichsstadt Aachen 1581 regional- und reichspolitisch zu eskalieren begannen, ging das protestantisch dominierte Stadtregiment mit politischen und juristischen Maßnahmen gegen die Jülicher Verkehrssperren vor und versuchte, die Bemühungen der sich bildenden katholischen Opposition, den regierenden Magistrat politisch zu isolieren, zu kontern. Dafür suchten die Vertreter des Magistrats die Zustimmung der Gaffeln. Auf Nachfrage des Regiments stimmten die Mitglieder der Schneidergaffel der Darstellung des Stadtregiments zu, der zufolge die regierenden Bürgermeister und weitere städtische Amtsträger keine Verantwortung dafür trügen, dass Jülich den Handel gesperrt hatte. Weiter versicherten sie ihren Gehorsam gegenüber dem Stadtregiment und versprachen es im Notfalle „[. . . ]myt leyf goutt und bloitt wie byllich und recht [. . . ]“ zu unterstützen.19 Ähnlich verlief die Befragung der versammelten Mitglieder der Gesellschaft zum Bock zu den Auseinandersetzung um die Annahme Johanns von Thenen als Vogtmeier am 10. Januar 1585.20 Wiederum hatte der Rat die Gaffeln gefragt, ob sie mit seiner Politik übereinstimmten und sie unterstützten wollten. Die Mehrheit der Mitglieder der Gesellschaft zum Bock stimmte dem Urteil des Magistrats zu, das von Thenen nur dann als Vogtmeier akzeptiert werden könne, wenn es ihm gelänge, die gegen seine Amtseignung vorgebrachten Vorbehalte vollständig auszuräumen. Es kann nicht als Zeichen einer konfessionspolitischen Parteinahme gedeutet werden, dass eine nicht zu vernachlässigende Minderheit der Gaffelgenossen anders votierte, weil sie zum einen Teil nicht über von Thenens Eignung 18 Das Verzeichnis der Greven der Gesellschaft (ebd., f. 23v) weist aus, dass Peter Peltzer und Abraham von Colen 1581 für ein Jahr in das höchste Amt gewählt wurden. Die Vermerke der Bockzunft zur Wahl ihrer Gaffelgeschickten – Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock, StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 25r – zeigen, dass dieselben Männern gemeinsam mit den Neuzugängen Merten Peltzer und Goerth Boechholtz 1582 zum Rat präsentiert wurden. 19 StAAa, HS 108 (Zünfte), f. 58v bis 59r. 20 StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 27v bis 29r.

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Drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel

zum Vogtmeier urteilen wollte und zu einem anderen Teil ausdrücklich der Meinung war, er sei für das Amt geeignet.21 Wenn Konfessionskonflikte allerdings in die politischen Beziehungen zwischen Rat und Gaffeln hineinspielten, konnten sie offensichtlich glimpflich beigelegt werden, wie der Verlauf einer weiteren Initiative des Magistrats, sich die Unterstützung der Gaffeln zu sichern, aus dem Jahr 1591 zeigt. Im Januar des Jahres teilten Doktor Pedro de Spina und Niclas Wolff, die Greven der Gesellschaft zum Bock, ihren Gaffelgenossen mit, dass sich in Zukunft alle Mitglieder der Gaffeln eidlich verpflichten sollten, dem Stadtregiment Gehorsam zu leisten und die Privilegien der Reichsstadt bewahren zu helfen. Der Eid sei von Altmitgliedern und neu aufgenommenen Gaffelgenossen den Greven der Gaffeln zu leisten, die in diesem Zusammenhang die Rolle von Stellvertretern des Stadtregiments übernehmen sollten.22 Der geforderte Eid scheint in dieser oder ähnlicher Form in Aachen vorher nicht gebräuchlich gewesen zu sein, obwohl er inhaltlich den in anderen Reichsstädten zu leistenden Bürgereiden entsprach.23 Der Zeitpunkt, zu dem der Rat sich mit dieser Neuerung der Unterstützung durch die Gaffeln versichern wollte, lässt einen Zusammenhang des Vorstoßes mit den Entwicklungen der Causa Aquensis vermuten, die gerade auf ein wirkungsvolles kaiserliches Urteil gegen den amtierenden Rat zusteuerte.24 Wie gesehen 21 22

42r.

23

Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock, StAA HS 225 D (Zünfte), f. 27v–29r. Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock, StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 41v bis

So beschreibt beispielsweise Robert Giel, Politische Öffentlichkeit im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Köln (1450–1550). (Berliner historische Studien, Bd. 29.) Berlin 1998, hier: S. 155–160 wie die Bürger und Eingessenen Kölns über die dortigen Gaffeln eidlich auf die Stadtverfassung verpflichtet wurden. Vergleichbar mit der Situation in Aachen war hingegen die Bürgereidspraxis in Bern, wo ein regelmäßiger Schwörtag unbekannt war, der Rat aber in Krisensituation den Treueid seiner Bürgerschaft einforderte – vgl. Andreas Würgler, Zwischen Verfahren und Ritual. Entscheidungsfindung und politische Integration in der Stadtrepublik Bern in der Frühen Neuzeit, in: Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5.) Konstanz 2004, S. 63–91, hier: S. 81–82. 24 Einen besonders engen und klar definierten Zusammenhang zwischen den Auseinandersetzungen um Aachen in Reich und Region und den Bemühungen des Rates um den Rückhalt der Zünfte sieht Hermann Keussen, Der Kölner Prozess gegen Gerhard Ellerborn und seine Aachener Vorgeschichte, 1590–1594, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 15 (1893), S. 26–62, hier: S. 35–36: Als der Aachener Rat am 20. Februar 1591 ein Edikt erlassen habe, dass alle Bürger der Stadt zum Gehorsam gegenüber ihrer rechtmäßigen Obrigkeit aufforderte, sei dies eine unmittelbare Reaktion darauf gewesen, dass am Vortag Jülicher Gesandte unter Umgehung der Autorität des Rates ein Protestschreiben gegen verschiedene Vergehen des protestantisch dominierten Stadtregiments in der Stadt hatten verbreiten lassen. Da der Treueeid der Gaffelmitglieder aber schon im Januar des Jahres verlangt worden waren, können sie nicht das Ergebnis der akuten Konfrontation mit der Jülicher Gesandtschaft gewesen sein. Die Ereignisse im Februar

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warf der protestantisch dominierte Rat der katholischen Opposition vor, die Freiheiten und Rechte Aachens aufs Spiel zu setzten, indem sie auf ein solches Urteil hinwirkte. Dieses Argument gehörte in genau den Zusammenhang über den die Gaffeln als Repräsentanten der politisch berechtigten Bürgerschaft mit der größten Autorität urteilen durften. Wenn die Gaffelgenossen als Vertreter der gesamten Bürgergemeinde entschieden, dass die vom Rat vertretene Position die Richtige sei, stärkten sie damit vor allem dessen obrigkeitlichen Anspruch im Inneren der Stadt – in den Auseinandersetzungen auf den Ebenen von Reich und Region blieben entsprechende Voten der Gaffeln Fußnoten. Tatsächlich gewährten die Gaffeln dem Rat diesen Rückhalt zu Beginn des Jahres 1591. Allerdings nicht, ohne dass die konfessionalistischen Argumente der im Hintergrund geführten politischen Diskussion in die Beschäftigung der Gaffelgenossen mit der geforderten Eidesleistung eingeflossen wären. Während die Mehrheit der anwesenden Mitglieder des Bocks bereit war, den vom Rat geforderten Eid zu leisten, beschwerten sich Paulus Gartzweiler und Simon Neustatt. Die Greven de Spina und Wolff berichten über den Widerstand der beiden, sie hätten „[. . . ] sich demselben hefftig widersetzt und uns greven mit ungrundt bezichtiget wir hetten ihnnen anders alß ein Erbar Rath befolhen vorgehalten und sie der Religon halben [übermäßig zu beslagen . . . ]“25 Gartzweiler und Neustatt standen dem geforderten Eid, wie der kurze Vermerk zeigt, aus zwei Gründen kritisch gegenüber. Sie fühlten sich aus religiösen Gründen beschwert, weil sie die Forderung des Rates mit den Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis in Verbindung brachten. Die beiden Genossen der Gesellschaft zum Bock empfanden es demnach als religionsbezogene Belästigung, dass sie genötigt wurden die Position des Rates gegen die der eigenen katholischen Interessengruppe zu vertreten. Damit übertrugen sie konfessionell polarisierte Argumente aus den Diskussionen über die Causa Aquensis auf die Aushandlung des Verhältnisses zwischen Stadtregiment und Bürgern. Der Vorwurf, die Greven hätten den Eid ohne entsprechenden Befehl des Rates eingefordert verleiht der Entgegnung Gartzweilers und Neustatts zunächst zusätzliche Brisanz, weil der Verdacht gegen die beiden obersten Amtsträger der Zunft sehr wahrscheinlich ebenfalls konfessionelle Hintergründe hatte. Sowohl de Spina als auch Wolff waren Mitglieder der deutsch-reformierten Gemeinde, innerhalb derer sie als waren eine besonders auffällige Episode einer Politik des Rates zur Einbindung der Zünfte, die sich nicht auf punktuelle Aktionen beschränkte, sondern vor dem Hintergrund der seit 1589 erschwerten außenpolitischen Lage zumindest mittelfristig angelegt war. 25 Rechnungsbuch der Gesellschaft zum Bock, StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 42r. Der gesamte Vorgang ist ebd. auf den f. 41v bis 42r dokumentiert.

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Konsistoriale aktive Rollen spielten.26 Den bekannten Protestanten traute man offensichtlich zu, dass sie ihre Gaffelgenossen aus konfessionspolitischen Motiven hintergehen würden. Solch ein konfessioneller Vorbehalt hätte der Ausgangspunkt für eine Spaltung von Gaffeln und Bürgerschaft entlang religiöser Trennlinien sein können. Die Art und Weise wie Gartzweiler und Neustatt ihr Misstrauen auf die protestantischen Greven ihrer Gaffel fokussierten zeigt aber zugleich den Ausweg aus der Gefahr einer solchen Polarisierung. Die beiden Kritiker des Treueeides unterstellten zwar den Greven konfessionelle Parteilichkeit, waren aber letztlich bereit, das Stadtregiment als überkonfessionelle Obrigkeit zu akzeptieren. So berichten de Spina und Wolff, dass die beiden widerstrebenden Gaffelgenossen kurze Zeit, nachdem sie ihre Vorbehalte geäußert hatten zu einer Einigung mit dem Stadtregiment gelangt seien. Einige Monate später zeigte die Gesellschaft zum Bock, die grundsätzliche Bereitschaft ihrer Mitglieder, die Politik des Rates zu unterstützen, indem sie den vom Magistrat vorgelegten Entwurf einer Klage beim Reichskammergericht gegen die erneuten militärischen Übergriffe des Herzogs von Jülich ratifiziert.27 Im darauffolgenden Jahr 1592 bezog die Gesellschaft zum Bock ausdrücklich Stellung zu der Auseinandersetzung zwischen der protestantischen Interessengruppe um den amtierenden Rat und dem politischen Netzwerk der katholischen Opposition. Der Magistrat erklärte den versammelten Gaffeln anlässlich der politischen Aktivitäten der katholischen Opposition auf dem Städtetag in Speyer seine grundsätzliche Position gegenüber der katholischen Interessengruppe in der Causa Aquensis und insbesondere gegenüber dem katholischen Exilregiment und dem Herzog von Jülich. In aller Deutlichkeit polemisierte die Erklärung des Rates gegen die Selbstbezeichnung der katholischen Oppositionellen, denen der Rat selbst die Rolle von ‚wenigen Widerwärtigen‘ zuschrieb. Keinesfalls seien sie katholische Bürgermeister und Schöffen oder die Vertreter eines Ausschusses der katholischen Bürgerschaft. Unter dieser angemaßten Selbstbezeichnung hätten die ‚Widerwärtigen‘ dem Herzog von Jülich Rechte angetragen, die ihm nicht zustünden, und dadurch die Freiheiten Aachens geschmälert.28 Auf diesen Vortrag antwortete die Gesellschaft zum Bock wie folgt: Erstens sei sie der Meinung, dass die Rechte, die dem Herzog von Jülich durch die ‚Widerwärtigen‘ zugesprochen wurden, nicht begründet seien. Zweitens hätten die Personen, die auf dem Städtetag im Namen der Aachener 26 Während de Spina in den Jahren 1592, 1593 und 1597 regelmäßig Beschlüsse des deutsch-reformierten Ältestenkonsistoriums ausführte rückt Wolff erst in den Jahren 1603 und 1604 in dieselbe Position auf. Er war aber bereits in den 1590er Jahren Diakon der deutsch-reformierten Gemeinde gewesen. 27 StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 42rv. 28 Vgl. Hierzu zum Folgenden StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 44v–46r.

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Bürgerschaft aufgetreten waren, dafür keine Vollmacht der Gaffel erhalten. Drittens würden die Gaffelgenossen niemand anderen als dem amtierenden Rat und die Amtsträger als ihre ordentliche Obrigkeit anerkennen. Zu dieser letzten Antwort gab Simon Neustatt, der schon 1591 Vorbehalte gegen den geforderten Treueeid zum Stadtregiment geäußert hatte, ein abweichendes Votum ab. Er erkenne das amtierenden Stadtregiment zwar ebenfalls als Obrigkeit an, wolle aber keinen anderen Personen ihre Rechte absprechen. Er war also nicht bereit, den von den Vertretern der katholischen Opposition erhobenen Anspruch auf das Stadtregiment unrechtmäßig zu nennen. Aber selbst Neustatt stellte sich nach diesem Einwand nicht grundsätzlich gegen die Politik des protestantisch dominierten Rates und auf die Seite der katholischen Opposition. So gab er zu, 1581 während der innerstädtischen Unruhen und der Spaltung des Rates an Versammlungen katholischer Bürger teilgenommen zu haben. Nachdem die zeitweilig ausgewichenen Ratsmitglieder wieder in die Stadt zurückgekehrt seien und sich mit dem übrigen Rat versöhnt hatten, habe er aber mit derartigen Ausschüssen nichts mehr zu tun gehabt. Damit bestätigte auch der katholische Ratskritiker Neustatt indirekt und zurückhaltend das Argument des protestantisch dominierten Stadtregiments, demnach die katholische Opposition sich nicht auf den Rückhalt des katholischen Teils der Bürgerschaft berufen konnte.29 Die Möglichkeit, sich auf diese Art und Weise über konfessionelle Gegensätze hinwegzusetzen und sich mit dem protestantisch dominierten Rat zu solidarisieren, hatten katholischen Bürger dadurch, dass der Rat seine Legitimität in den außenpolitischen Auseinandersetzungen durch überkonfessionelle politische Ziele und Werte rechtfertigte, die auch für die Bürgergemeinde konsensfähig waren. Obwohl der Konsens zwischen protestantisch dominiertem Rat und den Gaffelgenossen aller Konfessionen überwiegend aus den verhältnismäßig dichten Überlieferungen der Gesellschaft zum Bock abzulesen ist, wäre es verfehlt, davon auszugehen, dass nur die Herren zum Bock hinter dem Stadtregiment standen. Zwar liegen einige Hinweise darauf vor, dass die Gesellschaft zum Bock einen vergleichsweise hohen Anteil reformierter und lutherischer Mitglieder hatte, auch gab es Überschneidungen des Kreises der Amtsträger des Bocks mit der Führung der deutsch-reformierten Gemeinde, die Bockgaffel handelte deswegen aber nicht als reformiert konfessionalisitischer Aktivposten in der Stadtpolitik. Vielmehr agierten katholische und protestantische Gaffelgenossen gemeinsam mit dem Rat im Rahmen der reichsstädtisch-genossenschaftlichen Werte von Friedens- und Rechtswahrung. Insofern erhielt das Stadtregiment auf seine Frage zum Umgang 29

StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 44v bis 46r.

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mit den Jülicher Rechtsansprüchen im Kontext der Causa Aquensis wahrscheinlich keine spezifisch protestantische Antwort der Bockgaffel, die sich von Voten mit stärker ‚katholischem‘ Einschlag der übrigen Bürgerschaft unterschieden hätte. Gegen die Vermutung, die Gaffeln hätten aus religiösen Gründen mit dem Stadtregiment gebrochen, spricht auch, dass die alltägliche politische Zusammenarbeit zwischen dem Magistrat auf der einen Seite und den Ambachten und Gesellschaften auf der anderen Seite reibungslos funktionierte. Fragen der Gewerbeaufsicht und der speziellen Privilegien für die einzelnen Handwerke, die der Rat immer wieder auf Bitten der Gaffeln entscheiden musste, gaben offensichtlich kaum Anlass für konfessionelle Streitigkeiten oder für religiös motivierte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Magistrats. Der Konsens zwischen städtischer Obrigkeit und Gaffeln endete aber in der Zeit nach der katholischen Restitution von 1598. Der Wandel im Verhältnis von Magistrat und Bürgerschaft ist dabei nicht als sofortiger Bruch weiterhin protestantisch dominierter Gaffeln mit dem neuen katholischen Regiment zu erklären. Die Gründe für die zu beobachtende Entfremdung zwischen Amtsträgern, Rat und Gemeinde sind komplexer. Dies zeigte sich schon an den ersten Handlungen der Gaffeln in den wieder auflebenden Konflikten um den politischen und religiösen Status Aachens nach 1598. Während der Auseinandersetzungen zwischen Ratsund Schöffenpartei innerhalb des Stadtregiments wurden angeblich durch die Gaffeln verlaufende Bruchlinien in der politischen Diskussion thematisiert. Die Gaffeln gaben im September 1609 unterschiedliche und gespaltene Voten dazu ab, ob der kaiserliche Befehl, der die Wiedereinsetzung der fünf auf Druck der Schöffen und Jülichs entlassenen Ratsherren und Amtsträger vorschrieb, befolgt werden sollte. Die Fünf erklärten diese Voten mit den konfessionellen Mehrheitsverhältnissen in den Gaffeln. Sie hoben ausdrücklich hervor, dass nur diejenigen Gesellschaften den kaiserlichen Befehl abgelehnt hätten, die mehrheitlich unkatholisch wären. Selbst in diesen Gaffeln hätten aber die katholischen Mitglieder geschlossen dafür votiert, dem Kaiser zu gehorchen.30 Michael Klocker und die anderen Entsetzten zeichneten an dieser Stelle deutlich das Bild einer konfessionellen Spaltung der Aachener Bürgerschaft. Wenn das konfessionsspezifische Abstimmungsverhalten in den Gaffeln sich tatsächlich so zeigte, wie dem Kaiser berichtet wurde, müssen dafür allerdings nicht allein religiöse Motive den Ausschlag gegeben haben. Indem sie gespaltenen Voten abgaben, nahmen die Gaffeln auch zu den 30 Vgl. Franz Widderradt, Gillis Bleienheuff, Simon Moll, Reinnhard Horbach und Michael Klocker an Kaiser Rudolf II. [nach dem 3. September 1609], StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 91r bis 94v.

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unterschiedlichen Rechtfertigungen Stellung, auf die das protestantisch dominierte Stadtregiment bis 1598 und der katholische Magistrat seit diesem Jahr ihre Herschaftsansprüche stützten. Das protestantisch dominierte Regiment hatte seinen Machtanspruch vor allem auf seine reguläre Wahl durch die Bürgerschaft gestützt. Auch den fortgesetzten Gehorsam aller Bürger der Stadt, unabhängig von ihrer Konfession, hatte der protestantisch dominierte Rat zu seiner Legitimation angeführt. In beiden Argumenten spielten die in den Gaffeln organisierten Bürger der Stadt eine zentrale Rolle. Die Rechtfertigung des protestantisch dominierten Rates entsprach den verfassungspolitischen Werten der Gaffeln. Der katholische Rat nach 1598 legitimierte sich ebenfalls durch die Bestimmungen des Gaffelbriefs, wurde aber durch die Umstände seiner Einsetzungen und die danach fortbestehende außenpolitischen Lage gezwungen, seine Herrschaft zusätzlich durch die Säulen Katholizität, Kaisertreue und gute Nachbarschaft zu den Niederlanden, Kurköln und Jülich zu stützten. Auch diese mehrschichtige Begründunge reichsstädtischer Obrigkeit war mit dem genossenschaftlichen Verfassungsmodell der Gaffeln grundsätzlich vereinbar. Sie war aber in Auseinandersetzungen über die Unterstützung der Gaffeln für den Rat, wie gesehen, von verschiedenen Seiten her angreifbar: Oppositionelle Akteure legten die Bemühungen des Rates, gute Beziehungen zu den spanischen Niederlanden aufzubauen und die außenpolitische Position Aachens zu stärken, als Verletzung der Rechte Jülichs aus. Die gegenreformatorischen und reformkatholischen Aktivitäten des Rates wurden als direkte Angriffe auf die im Gaffelbrief verbürgten Rechte des protestantischen Anteils der Bürgerschaft kritisiert. Diese Kritikpunkte waren mögliche Gründe für das gespaltene Votum der Gaffeln im Jahr 1609. Dass der katholische Rat sich auf die Unterstützung des Kaisers als Reichsoberhaupt und Stadtherrn stützte, erkannten die Gaffeln grundsätzlich durchgehend als legitim an. Auch als einzelne Gaffeln oder die Gaffeln insgesamt während der Krisen von 1608 und 1611/12 ins Fahrwasser der jeweils gegen den amtierenden Rat gerichteten Opposition von Schöffen beziehungsweise der evangelischen Bürgerschaft gerieten, setzten sie keine nachweisbaren Impulse für eine radikal antikaiserliche, protestantische oder republikanische Politik. Die Deputierten des Ausschusses der Gemeinen Gaffeln von 1608 erhielten die Zustimmung der Bürgerschaft für ihre reichspolitischen Aktivitäten durch Argumente die fest auf dem Boden der Aachener Stadtverfassung stehen sollten.31 Die Befürchtung, Deputierte und Gaffeln könnten auch radikale religionspolitische Ziele verfolgen, ging vor allem von Bürgermeistern und Rat aus. Sie stellten die außenpolitische Legitimation des Ausschusses 31

S. o. S. 190ff.

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der Gemeinen Gaffeln in Frage. Die Mitglieder der Gaffeln waren aber nicht gezwungen sich zu entscheiden, ob der amtierende Rat oder Ausschuss und Deputierte die Aachener Bürgerschaft exklusiv und rechtmäßig vertraten. Sie spalteten sich über solcherlei Fragen weder entlang konfessioneller noch anderer Grenzen. Ähnlich gestaltete sich auch das Verhältnis zwischen Gaffeln, Rat und protestantischer Opposition zu Beginn des Aufstands von 1611. Im weiteren Verlauf dieser Krise polarisierten sich die politischen Meinungen innerhalb der Gaffeln dann allerdings. Zwischen Ende Juli und Anfang August 1611 bemühten sich die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft, stärkeren politischen Rückhalt bei den Gaffeln zu gewinnen. Vor den versammelten Mitgliedern der einzelnen Gaffeln warben sie darum, ihren Widerstand gegen den amtierenden katholischen Rat als rechtmäßig anzuerkennen. Sie erreichten, dass die Gaffeln Vertreter in den Ausschuss entsandten, der die Deputierten bevollmächtigte. Nach diesem Erfolg konnten die Deputierten sich also ähnlich wie die Opposition aus Schöffen und protestantischen Bürgern des Jahres 1608 auf den Rückhalt der politisch berechtigten Gemeinde berufen. Auf dieser Grundlage bestellten die Deputierten am 2. und 5. August 1611 in zwei aufeinanderfolgenden Gruppen die gesamte Aachener Bürgerschaft auf das von den bewaffneten aufständischen Bürgern kontrollierte Rathaus, um sie dort zur Einigkeit zu ermahnen. Die Versammlungen und der Aufruf dienten nur oberflächlich dem erklärten Ziel der Deputierten, den noch andauernden Aufstand zu befrieden. Vor allem zeigten sie mit der Inszenierung sowohl der Befragung der Gaffeln als auch der Aufnahme der Gaffelgesandten in den Ausschuss und der Ermahnung der Bürgerschaft, dass sie die volle Unterstützung der politisch berechtigten Einwohner der Stadt genossen.32 Um diese Zustimmung der Gaffeln zu gewinnen, verließen sich die Deputieren nicht etwa auf die Annahme, dass die Gesellschaften und Handwerksgenossenschaften soweit protestantisch majorisiert seien, dass man sie für den politischen Kampf gegen das katholische Stadtregiment leicht mit konfessionalistischen Argumenten gewinnen konnte. Statt dessen griffen sie in ihrer ausführlichen Erklärung auf den argumentativen Dreiklang zurück, demzufolge ihre Bemühungen der Erhaltung der Stadtverfassung, der inneren und äußeren Sicherheit und der Sicherung der Privilegien der Bürger Aachens galten.33 Johann Kalckberner trug die Argumente für die Deputierten den Gaffelgenossen vor und wandelte die bekannte überkonfes32

Vgl. Memorialbuch, f. 94rv. Vgl. „Verzeichnuß was die Evangelische burgerschafft deputirte auff den gaffelen oder zunfften in gegenwardt der Notarien Wilhelm Bastenach und Joan Crum und gezeugen mundtlich vorgetragen“, Memorialbuch, f. 95v–106v. 33

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sionelle Rechtfertigung eines Aachener Stadtregiments lediglich geringfügig ab, um den Erwartungen der Gaffeln und den durch den Aufstand gegebenen Bedingungen zu entsprechen. Im Sinne der Prinzipien der Friedenswahrung, der bürgerlichen Einigkeit und der grundsätzlichen Treuepflicht gegenüber der städtischen Obrigkeit, bemühte sich Kalckberner, die Deputierten und den Ausschuss der evangelischen Bürgerschaft von radikalen Entwicklungen des Aufstands zu distanzieren. Die Deputierten hätten den Aufstand nicht ausgelöst. Im Gegenteil verurteilten sie alle ungebührlichen Handlungen, zu denen es währenddessen gekommen sei. Es sei nicht ihr Ziel gewesen, das Stadtregiment zu übernehmen. In der jetzigen Situation seien sie jedoch genau dazu gezwungen, weil die Stadt dringend eine handlungswillige und handlungsfähige Obrigkeit benötige. Ebenso deutlich wie politische Umsturzpläne stritt Kalckberner ab, dass die Deputierten eine umfassende evangelische Reformation in Aachen einführen wollten. Sie wollten den Katholiken weder ihre Kirche nehmen, noch sie auf andere Art und Weise in ihrer Religionsausübung einschränken. Es ginge vielmehr darum, die Stadt Aachen und ihre Rechte zu erhalten, was ein Ziel von Katholiken und Religionsverwandten gleichermaßen sein sollte. Letztlich sei es das bisherige Stadtregiment, das den Aufstand zu verantworten haben. Es hätte sich nämlich einiger Vergehen schuldig gemacht, von denen viele im Zusammenhang mit dem Burgundischen Konkordat standen. Wie wichtig schließlich das Thema der Beziehung der Reichsstadt Aachen zu ihren Nachbarn war, um den Bürgeraufstand konfessionsneutral zu begründen und ihn so gegenüber den Gaffeln zu rechtfertigten, zeigt die prominente Rolle, die der mutmaßliche Inhalt der erneuerten Burgundischen Verträge in der Argumentation Kalckberners einnahm. Der Erfolg dieser Argumentation blieb im Herbst 1611 erstmals in engen Grenzen. Trotz der Ergänzung des Bürgerausschusses durch die Abgesandten der Gaffeln, konnten die Deputierten nicht überzeugend vermitteln, Gaffeln und Bürgerschaft stünden geschlossen hintern ihren politischen Zielen und in Opposition zum amtierenden katholischen Stadtregiment. Der Eindruck einer ambivalenten oder zwiegespaltenen Haltung der Bürgerschaft gegenüber dem katholischen Rat auf der einen Seite und der protestantischen Opposition auf der anderen Seite, blieb auch erhalten, nachdem die Protestanten zunächst faktisch und dann auch offiziell und durch den Vikariatsrezess im Frühjahr 1612 rechtlich sanktioniert das Stadtregiment übernommen hatten. Zunächst stellten die von den Gaffeln in den Bürgerausschuss entsandten politisch berechtigten Bürger sichtbar nur einen Teil der Unterstützer der Deputierten in der Aachener Bevölkerung. Den anderen Teil stellten die

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bewaffneten evangelischen Bürger und ihre Hauptleute. Sie beeinflussten das politische Handeln der Deputierten maßgeblich, indem sie unter anderem die Entmachtung der Amtsträger des katholischen Magistrats vorantrieben und auf die Visitation der Ratsarchive drängten, durch welche die Verfehlungen des katholischen Rates bewiesen werden sollten. Auch die Wiederaufnahme des öffentlichen reformierten Religionslebens leiteten die bewaffneten Einwohner auf eigene Initiative hin ein. Das bereits vor 1598 als reformierte Kirche genutzte Haus zum Großen Klüppel nahmen sie im Herbst 1611 in Besitz und begannen dort Gottesdienste zu feiern, ohne dass das Konsistorium der deutsch-reformierten Gemeinde zuvor informiert worden wäre.34 Daraus darf nicht geschlossen werden, dass der Aufstand insgesamt von den protestantischen Konfessionskirchen oder auch nur von deren führenden Akteuren geleitet worden wäre. Die Umstände machen aber deutlich, dass die bewaffneten Einwohner sich deutlich von der durch die Gaffeln repräsentierten politisch berechtigten Bürgerschaft abhoben. Diese Einordnung bestätigten im übrigen auch Vertreter des katholischen Magistrats und des später eingesetzten protestantischen Stadtregiments. Sie beschrieben die Bewaffneten im Rahmen von Berichten über deren Aktionen häufig als „unbedachtsame junge Leuth“35 , unruhige oder schlicht bewaffnete Personen. Reformierte oder lutherische Berichterstatter gestanden ihnen selten, katholische nie das Prädikat ‚bürgerlich‘ zu.36 Den Deputierten haftete also der Makel an, sich unter anderem auf eine Gruppe zu stützen, deren unfriedliches Verhalten, deren unausgeglichenen religionspolitischen Ziele und deren zweifelhafte soziale Prägung sie nicht als berechtigte bürgerliche Opposition erscheinen ließ. Die Beteiligung der Gaffeln am Bürgerausschuss konnte diesen Mangel nicht aufwiegen, weil für die Gegner der Deputierten der Verdacht nahe lag, dass nur solche Gaffelgenossen in den Ausschuss gelangten, die wie die bewaffneten Bürger reformiert oder lutherisch und zum Aufstand geneigt waren. Der weitere Verlauf der Ereignisse legt nahe, dass es innerhalb der Gaffeln nun zu einer konfessionellen Spaltung gekommen war, die auch politische Auswirkungen zeigte. Bei der Wahl zum neuen durch den Administrator der Kurpfalz legitimierten Rat im Mai 1612 verweigerte offensichtlich eine beträchtliche Anzahl von katholischen Gaffelgeschickten ihre Aufnahme 34 Vgl. den Vermerk im Memorialbuch zum 29. Juli 1611, f. 91v. Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 477 vermerkt fälschlich den 29. Juli 1610. 35 „Anzeigh und Protestation der Evangelischer Burgerschafft zu Aach Deputirten Anno 1611“, Memorialbuch, f. 116r 36 Vgl. entsprechende Aussagen in „Anzeigh und Protestation der Evangelischer Burgerschafft zu Aach Deputirten Anno 1611“, Memorialbuch, f. 113r–118r, „Protocollum und anzeigungh was sich bey dem Aachischen tumulte, von tagh zu tagh zugetragen und allerseidt vorgelauffen“, StAAa, HS 60, f. 82r und 83r.

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in den Großen Rat. Während die kurpfälzischen Kommissare und die Deputierten, beziehungsweise Amtsverwalter, den neuen Rat konstituierten, mussten sie immer dann, wenn ein Katholik sich weigerte Ratsherr im neuen Regiment zu werden, auf den nächsten von dessen Gaffel präsentierten Kandidaten ausweichen.37 Der Verlauf der Ratswahlen wirft ein seltsam undeutliches Licht auf den Stand der konfessionspolitischen Meinungsbildung innerhalb der Gaffeln. Zu allererst macht er deutlich, dass die eindeutigen konfessionellen Mehrheitsverhältnisse in dem vom Reichsvikar eingesetzten Rat weder allein auf eine protestantische Dominanz innerhalb der Gaffeln noch auf eine offensichtliche Bevorzugung protestantischer Kandidaten bei der Ratswahl zurückzuführen waren. Vielmehr grenzten sich einige Gaffelmitglieder bewusst vom neuen Rat ab und protestierten so gegen die faktische Absetzung des katholischen Stadtregiments. Warum sie ihre Position aber erst markierten, nachdem sie bereits durch ihre Gaffelgenossen zum großen Rat geschickt worden waren, kann mehrere Gründe gehabt haben. Anzunehmen, die entschiedenen Unterstützer des katholischen Rats hätten das neue protestantisch dominierte Regiment so möglichst öffentlichkeitswirksam diskreditieren wollen, würde eine besonders tiefgreifende konfessionelle Spaltung der Gaffeln voraussetzen. Unter deutlich weniger polarisierten Verhältnissen könnten sowohl protestantische als auch katholische Gaffelgenossen ohne konfessionelle Vorbehalte für die Schickung katholischer Genossen in den Rat votiert haben, deren ablehnende Haltung gegenüber dem Neuen Regiment sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannten. Dafür, den Grad der konfessionellen Spaltung der Bürgerschaft nicht zu hoch zu veranschlagen, spricht die Tatsache, dass in den neuen Großen Rat des Frühjahrs 1612 trotz des demonstrativen Verzichts einiger katholischer Ratsherren auf ihren Ratssitz immerhin noch etwa halb so viele Katholiken gelangten wie bei den regulären Wahlen des Jahres 1598.38 Für ratsfähige katholische Bürger bestand 1612 noch etwa dieselbe Chance durch konfessionsoffene Wahlen in den Gaffeln und Gesellschaften in den Rat zu gelangen wie gegen Ende des protestantisch dominierten Regiments. Dass aber der politische Wille zur konfessionellen Abgrenzung bei vielen Akteuren innerhalb der Gaffeln gewachsen war, zeigte sich noch einmal im Zuge der Verhandlungen zwischen dem neuen, protestantisch domi37 Vgl. Memorialbuch zum 11. Mai 1612, f. 165r. Dort heißt es zur ersten Versammlung der Gaffelgeschickten in der Ratsstube und zur Leistung des Ratseides: „Die so vonn ihren Gaffelenn zum Rath erwelte Rom: Catholischen sein nit erscheinen. Inn deren platz Man die negste Stimmen zum Rathssitz genohmmen.“ Der damit vermittelte Eindruck, es seien keine Katholiken unter den Gaffelgeschickten verblieben ist allerdings irreführend. 38 In den Rat gelangten 46 Reformierte, 40 Lutheraner und 12 Katholiken, vgl. Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 196–197.

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nierten Stadtregiment, dem abgesetzten katholischen Magistrat und der Kommission Kaiser Matthias’ um den Jahreswechsel 1612/1613. Der katholische Magistrat zeigte sich gegenüber den Kommissaren sehr erfolgreich als rechtmäßige und anerkannte Obrigkeit der Reichsstadt. Dazu gehörte, dass er sein eigenes Ausweichquartier, das Kloster der Aachener Dominikaner, gegen das Rathaus, auf dem sich das protestantisch dominierte Stadtregiment eingerichtet hatte, als Verhandlungsort durchsetzte. Darüber hinaus versammelte der katholische Magistrat zu wichtigen Verhandlungssitzungen katholische Bürger in größerer Anzahl im Kloster, um seinen Rückhalt in der Aachener Bürgerschaft zu demonstrieren.39 Noch aussagekräftiger war die Fähigkeit des katholischen Magistrats, fast ein Jahr nach der Einsetzung des protestantisch dominierten Stadtregiments einen Großen Rat aus Geschickten der Gaffeln einzuberufen. Die veranschulichten Beziehungen zwischen dem katholischen Stadtregiment und der Gemeinde werfen Fragen zum Stand der konfessionellen und politischen Spaltung der Aachener Bürgerschaft und Bevölkerung auf. Zu dem Beziehungsdreieck zwischen Deputierten, Gaffeln und bewaffneter Bürgerschaft hatte sich die Frage gestellt, ob die Deputierten den Rückhalt der politisch führenden, in den Gaffeln organisierten Bürgern genossen, oder ob radikalere konfessionalistisch ausgerichtete Teile der Bürgerschaft und Einwohnerschaft der Stadt die eigentliche Basis der Opposition gegen das katholische Regiment bildeten. Die Fragen sind insbesondere, was die konfessionspolitische Ausrichtung der Gaffeln betraf, nicht eindeutig zu beantworten. Vergleichbar unscharf, stellen sich die Beziehungen zwischen katholischem Magistrat, der katholischen Bürgerschaft und der Bevölkerung Aachens insgesamt im Frühjahr 1613 dar. Dafür sorgt nicht nur die lückenhafte Überlieferungen zu diesen Beziehungen. Die Beziehungen blieben wahrscheinlich in Bewegung. Aus Berichten beider konfessionspolitischer Interessengruppen geht hervor, dass die bürgerlichen Unterstützer des katholischen Magistrats durchweg Katholiken waren.40 Das Urteil, demnach sich katholische Bürger hinter 39

Vgl. Memorialbuch ab der Ankunft der kaiserlichen Kommissare am 25. November 1612, f. 168r ff. Zum 3. Dezember 1612 (f. 168v) heißt es: „[. . . ] des Morgens in aller fruhe is der alte endtsetzte Rath in der Prediger Cloester versamblet neben vil Pabstische burger, also das die kirch allenthalben vol Volcks wahr.“ Die repräsentative Bedeutung von Versammlungsorten für städtische Regimenter hatte in Aachen bereits 1581 eine Rolle gespielt – S. o. S. 101. 40 Wie gesehen charakterisierte der Bericht im Memorialbuch die Versammlungen im Dominikanerkloster als exklusiv katholische Veranstaltungen. Auch das Protokoll zum Aufstand von 1611 aus katholischer Feder in StAAa, HS 60 spricht an keiner Stelle von protestantischen Unterstützern für die politische Position des abgesetzten Stadtregiments.

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dem alten Stadtregiment versammelten entsprach den mittlerweile parteiübergreifend eingefahrenen konfessionell polarisierenden Argumentationen. Tatsächlich bildeten die katholischen Bürger, die den alten Magistrat politisch unterstützten, mehrere Gruppen, deren Zustimmung zu konfessionalistischen Argumenten vorausgesetzt werden kann: Zum einen waren es Mitglieder des 1611 gewählten Großen Rates, die sich dem Prozess der Bildung eines neuen Stadtregiments im Frühjahr 1612 offensichtlich so konsequent und zahlreich entzogen hatten, dass das katholische Stadtregiment sie auch noch 1613 als reguläre Gaffelgeschickte berufen konnte. Zu dem Kreis dieser alten Gaffelgeschickten gehörten wahrscheinlich auch einige der Männer, die im Mai 1612 nach ihrer erneuten Schickung in den Großen Rat die Annahme des Ratssitzes verweigert hatten. Ihre Zugehörigkeit zum katholischen Großen Rat von 1613 markierte sowohl die konfessionelle Spaltung der Aachener Bürgerschaft als auch die zum Teil quer zu konfessionellen Grenzen verlaufende Teilung der Gaffeln. Die katholischen Bürger, die neben den alten Gaffelgeschickten an der Seite des katholischen Magistrats standen, sind bis auf den Umstand, dass sie katholisch waren, kaum weiter zu identifizieren. Ihre eigenen Motive für die politische Stellungnahme und wohl auch konfessionelle Parteinahme sind nicht ausdrücklich überliefert. Zusammenfassend zeichnen sich nach der Betrachtung der Beziehungen zwischen amtierender oder prätendierter städtischer Obrigkeit auf der einen Seite und der politisch relevanten Einwohnerschaft auf der anderen Seite der Verlauf und die Konturen konfessionspolitischen Spaltungen der Aachener Bürgerschaft ab: Grundsätzlich waren Bürger und Gaffeln aufgrund ihrer Rolle in der Aachener Verfassung empfänglich für Rechtfertigungen städtischer Obrigkeit, die sich auf städtische und bürgerliche Privilegien beriefen. Das protestantisch dominierte Stadtregiment konnte mit überkonfessionellen Argumenten, die auf Aussagen zu eben diesen Themenbereichen reichsstädtische Freiheit und reichsstädtische Verfassung aufbauten, während seiner gesamten Regierungszeit die Gaffeln von einer fast reibungslosen Kooperation überzeugen. Aus der Möglichkeit, in den regional- und reichspolitischen Auseinandersetzungen überkonfessionell zu argumentieren, erwuchs somit auch auch die Freiheit, die politisch berechtigte Bürgerschaft in Aachen überkonfessionell unter einer Obrigkeit zu integrieren. Die Mitglieder der Gaffeln waren flexibel und bereit, situationsbedingt zu unterscheiden: Zwischen konfessionellen und nicht-konfessionellen Politikbereichen, zwischen Akteuren die konfessionspolitische Interessenvertreter waren und solchen, die als Vertreter der Bürgergemeinde handelten, stellenweise sogar zwischen verschiedenen Rollen, die ein und derselbe Akteur in verschieden Bereichen von Politik, Gesellschaft und Religion spielte.

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Diese Beweglichkeit zeigt, dass die einzelnen Bürger keinem Zwang zur Bildung einer konfessionellen Identität unterlagen und die Gaffeln nicht zu konfessionellen Interessengruppen werden mussten. Impulse, die nach 1598 die fortschreitende konfessionelle Polarisierungen der Bürger und Einwohner Aachens beschleunigten kamen wiederum zum Teil aus den konfessionspolitischen Auseinandersetzung in Reich und Region. Diese Auseinandersetzungen wirkten sich in dieser Phase allerdings vor allem indirekt aus – vermittelt durch die Gegenwartswahrnehmungen und Zunkunftsperspektiven der Bürger. Je deutlicher die Gaffelgenossen die konfessionelle Lagerbildung in diesen Auseinandersetzungen zur Kenntnis nahmen, je stärker die Auseinandersetzungen sich als Kampf um eine eindeutig katholische oder eindeutig protestantische Zukunft der Reichsstadt darstellten, je dringlicher die Entscheidung dieses Kampfes schließlich vor dem Hintergrund außenpolitischer Bedrohungen und der Destabilisierung der innerstädtischen Verhältnisse erschien, desto nötiger erschien es den Gaffelgenossen, sich konfessionspolitisch zu positionieren, um ihre eigenen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Lebensverhältnisse zu schützen. Ob die Bürger, die sich daraufhin zu konfessionspolitischen Stellungnahmen entschlossen, die religiöse Abgrenzung vom situativ ausgemachten konfessionellen Gegner auch dauerhaft verinnerlicht hatten, ließ sich an ihrem Handeln nicht ablesen. Um ihr Verhalten zu verstehen und es in den Gesamtbefund der politischen Konfessionalisierung der Aachener Bürgerschaft einzuordnen, ist eine Überprüfung konfessioneller Einzel- und Gruppenidentitäten nicht nötig.41 Unabhängig von den zugrundeliegenden konfessionellen Identitäten, wirkte die politische Haltung der in den Gaffeln organisierten Bürger als Multiplikator für Einstellungen und Handlungsweisen angesichts der Herausforderung in der gemischtkonfessionellen Stadt. Die Gaffelgenossen adaptierten Positionen zur Mehrkonfessionaliät, die im außenpolitischen Diskurs abgesteckt worden waren – sowohl konfessionalistische als auch bewusst überund unkonfessionelle – entwickelten sie weiter und trugen zu ihrem Transfer in die religiöse und gesellschaftliche Alltagskultur Aachens bei. Die Haltung von Bürgerschaft und Gaffeln wirkte sich nicht nur im Bereich der innerstädtischen Politik und Religionspolitik aus, sondern trug auch wesentlich zur Wahrnehmung der politischen und gesellschaftlichen Stabilität und Sicherheit in Aachen bei. Diese Wahrnehmung prägte, wie noch zu zeigen

41 Vielmehr gestalteten die Mitglieder der Aachener Gaffeln den Zusammenhang zwischen ihren Bekenntnissen und ihrer bürgerlich-politischen Identität wohl ähnlich flexibel wie viele andere Menschen in konfessionellen Grenzräumen des Alten Reiches – vgl. Duhamelle, De la confession imposée à l’identité confessionnelle, hier: S. 527.

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sein wird, das alltägliche Zusammenleben der Konfessionsgruppen in der Reichsstadt wesentlich mit. 3.1.1.2 Sozialstrukturelle Grundlagen der konfessionellen Spaltung In der Beziehung zwischen Obrigkeit und politisch berechtigter Bürgerschaft manifestierte sich die konfessionelle Polarisierung Aachens. Die Konturen der sich bildenden Konfessionskulturen innerhalb der Aachener Gesellschaft bleiben aus dieser Perspektive unklar. Insbesondere bleibt die Frage offen, ob sich in den konfessionellen Gruppen bestehende soziale Gruppen der reichsstädtischen Gesellschaft spiegelten. Entsprach die Sozialstruktur der Reichsstadt Aachen also in etwa den Verwerfungen zwischen den Konfessionsgruppen oder wiesen die Konfessionsgruppen ein spezifisches Sozialprofil auf? Die Voraussetzungen zur Beantwortung dieser Frage sind bereits auf der grundlegendsten Ebene mangelhaft. Schon die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse in der Aachener Gesamtbevölkerungen lassen sich kaum zuverlässig schätzen. Es fehlen belastbare Daten zur allgemeinen Demographie der Reichsstadt, die im Untersuchungszeitraum verschiedenen Schätzungen zur Folge zwischen zwölftausend und zwanzigtausend Menschen beherbergt haben könnte.42 Die in diesem Rahmen veranschlagten Zahlen erlauben keine Aussage darüber, wie sich die Menschen auf die Stadt selbst und auf die Dörfer im Aachener Reichd43 , dem reichsstädtischen Landgebiet, verteilten. Wie viele politisch berechtigte Bürger, sonstige Einwohner oder Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Schichten zu der geschätzten Bevölkerung gehörten, ist völlig unbekannt. In diesem Kontext bleiben Zahlen, zur der Anzahl katholischer, reformierter und lutherischer Bürger, mit denen in der historischen Forschung gearbeitet wird, von geringer Aussagekraft. Häufig wird die Schätzung herangezogen, nach der zu Beginn der 1580er-Jahre 8.000 reformierte und lutherische Bürger 12.000 Katholiken gegenüberstanden.44 Ein weiteres 42 Ulrich Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit. (Geschichte Kompakt.) Darmstadt 2006 führt Aachen in seiner tabellarischen Aufstellung mit geschätzten 15.000 Einwohnern im Jahr 1500, mit 23.000 im Jahr 1600 und mit 12.000 im Jahr 1650. 43 Wie über die Geschichte des Aachener Reichs und seiner Dörfer in der Frühen Neuzeit ist auch über deren Bevölkerungsgeschichte wenig bekannt. Hubert Groß, Zur Geschichte des Aachener Reiches. Teil 1, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 5 (1883), S. 105–116 und Hubert Groß, Zur Geschichte des Aachener Reiches. Teil 2, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 5 (1883), S. 219–240 beschränkt sich weitgehend auf pfarrgeschichtliche Darstellungen. 44 Die Schätzung basiert auf Wolffs Auswertung der für diesen Zeitraum bruchstückhaft überlieferten Kirchenbücher der deutsch-reformierten Gemeinde und Extrapolationen über die Stärke der lutherischen und wallonisch-reformierten Konfessionsgruppen zur

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ebenso enges wie schwaches Schlaglicht auf die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse in der Aachener Bevölkerung setzt eine Schätzung für das Jahr 1598, der zufolge in diesem Jahr 7.000 Deutsch-Reformierte und insgesamt 15.000 Protestanten in Aachen gelebt haben sollen.45 Unabhängig von der veranschlagten Gesamtgröße Aachens hätte dies ein überwältigendes Übergewicht des protestantischen Bevölkerungsanteils gegenüber den katholischen Bürgern bedeutet. Die Schätzung basiert allerdings auf wenigen Daten und muss noch vorsichtiger beurteilt werden als die Zahlen zu den Jahren um 1580.46 Alle Schätzungen dieser Art sind wenig belastbar. Zusätzlich lassen sie sich kaum mit den zeitgenössischen, zweifelsfrei politisch beeinflussten, Behauptungen zum Anteil von Protestanten und Katholiken an der Aachener Bevölkerung in Einklang bringen. Sowohl die Vertreter der katholischen als auch der protestantischen Interessengruppe behaupteten zu verschiedenen Zeitpunkten, dass ihre jeweilige Klientel die Mehrheit der Aachener stellte. Konkret führten katholische Akteure, dass drei Viertel der Aachener Bevölkerung altgläubig seien.47 Sie bezogen in ihre Rechnung ausdrücklich auch die Einwohner des Aachener Reiches mit ein, die offensichtlich fast ohne selben Zeit. Vgl. dazu Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), hier: S. 63. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, hier: S. 96 und S. 177–178 beurteilt dieses Zahlen vor dem Hintergrund des von ihm untersuchten Vergleichsmaterials zu Städten, die wie Aachen Ziel von Emigrationsbewegungen aus den Niederlanden waren, als plausibel. Er ergänzt die Einschätzung, dass ca. 3.000 der 8.000 zu Beginn der 1580er-Jahre mutmaßlich in Aachen lebenden Protestanten niederländischer oder wallonischer Herkunft waren. 45 Vgl. Macco, Zur Reformationsgeschichte Aachens während des 16. Jahrhunderts, hier: S. 85. 46 Die Schätzung ist in erster Linie Ausdruck der konfessionell befangenen Überzeugung des protestantischen Aachener Genealogen Hermann Friedrich Macco. Er ging davon aus, dass sich die evangelischen Konfessionen zwangsläufig hätten durchsetzen müssen, weil sich die katholische Kirche in Aachen im Verfall befunden habe. Von dieser Grundannahme ließ sich im übrigen auch Walther Wolff leiten, auf den die religionsdemographischen Schätzungen zum Beginn der 1580er-Jahre zurückgingen. So stellte er, ausgehend von einer als selbstverständlich angenommenen Expansion der evangelischen Konfessionsgruppen, fest, dass es am Ende des protestantische dominierten Stadtregiments noch immer mit einem katholischen „Gegengewicht“ in der Bevölkerung zu rechnen gewesen sei. Vgl. Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen (Abschnitt IV), hier: S. 62–63. Generell stehen die auf der bruchstückhaften Überlieferung der deutsch-reformierten Kirchenbücher fußenden demographischen Schätzungen Wolffs und Maccos sowie alle daran anknüpfenden Überlieferungen auf unsicherem Grund, weil das vorhandenen Material ohne Einreihung in längere Datenreihen nicht zuverlässig interpretriert werden kann. Die dazu notwendigen Überlieferungen fehlen. 47 Vgl. zur entsprechenden Argumentation der katholischen Interessengruppe schon 1580 Altmann, Die Pfarre St. Foillan in der Aachener Stadt- und Kirchengeschichte, hier: S. 196.

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Ausnahme Katholiken waren. Von protestantischer Seite wurde hingegen behauptet, zwei Drittel der Aachener Bürger seien evangelisch.48 Trotzdem wurde versucht, die konfessionelle Prägung der Aachener Gesellschaftsstruktur detaillierter zu untersuchen als auf der Ebene der Mehrheitsverhältnisse in der Gesamtbevölkerung. Die gegen das katholische Stadtregiment gerichtete Opposition der Jahre 1608 bis 1614 erhielt durch diese Bemühungen ein verhältnismäßig deutliches Profil. Sie wurde von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Oberschicht getragen. Mitglieder der Kupferschlägergaffel und der Gesellschaft zum Bock gestalteten die Politik der Deputierten, des Ausschusses der evangelischen Bürgerschaft und des Übergangsregiments an entscheidenden Stellen mit.49 In der Gesellschaft der Kupferschläger organisierten sich die Unternehmer des kapitalstärksten und für die Aachener Gesamtökonomie aufgrund seiner Bedeutung als Arbeitgeber prägenden Gewerbes. In der Gesellschaft zum Bock waren ausschließlich Vertreter der bürgerlichen Oberschicht organisiert. Der Kreis der Aachener Honoratioren und Wirtschaftsbürger in den Reihen der Verantwortlichen für Aufstand und Oppositionspolitik der Jahre 1611 bis 1614 wurde durch Handel treibende Vertreter anderer Gaffeln komplettiert.50 Die Dominanz der bürgerlichen Oberschicht beschränkte sich auf den Bereich der organisatorisch verfestigten und in ihrer Politik gemäßigten Opposition. Die Verantwortlichen für Gewaltaktionen und radikale Forderungen könnten überwiegend zu weniger vermögenden Teilen der Bürgerschaft und nicht bürgerlichen Schichten gehört haben.51 Gegen 48 Vgl. „Verzeichnuß etzliche beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], Memorialbuch, f. 77v und vor allem „Anzeigh und Protestation der Evangelischer Burgerschafft zu Aach Deputirten“ [9. September 1611], Memorialbuch, f. 113v. 49 Vgl. Schilling, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, hier: S. 202–203. 50 Vgl. Rudolf Arthur Peltzer, Geschichte der Messingindustrie und der Künstlerischen Arbeiten in Messing (Dinandrien) in Aachen und den Ländern zwischen Maas und Rhein von der Römerzeit bis zur Gegenwart, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 30 (1908), S. 235–463, hier: S. 304–305. 51 Dieser Befund kann wenn überhaupt nur ex negativo erhoben werden: In den Namenslisten, die nach 1614 von der kaiserlichen Exekutionskommission erstellt wurden, um die Schuldigen des vorangegangenen Aufstands zu erfassen und in Gruppen einzuteilen, fehlen unter denjenigen, die beschuldigt wurden an Gewaltmaßnahmen beteiligt gewesen zu sein, Vertreter der Gaffeln, die eindeutig der bürgerlichen Oberschicht zuzuordnen sind. Die Liste als Abbildung der Opposition gegen das katholische Regiment und deren interner Untergliederung auszuwerten, ist bereits eine Herausforderung. Die von den kaiserlichen subdelegierten Kommissaren gebildeten Klassen von Schuldigen bilden die Grenzen zwischen Deputierten und Amtsverwaltern, Ausschuss der evangelischen Bürgerschaft, der bewaffneter Bevölkerung und deren Hauptleute nur unzureichend ab. Die Kategorien „Auctores tumultus, et Invasores domus civium“ und „Qui Claves civitatis

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die andere Seite des gesellschaftlichen Spektrums hob sich das Sozialprofil von Deputierten und Amtsverwaltern ab, weil Schöffen und Mitglieder der Gesellschaft zum Stern nur vereinzelt in der politischen Führung der evangelischen Opposition zu finden waren.52 Mit der deutlichen Prägung durch wirtschaftliche Oberschicht und Honoratioren ging einher, dass unter den Deputierten und anderen wichtigen Handlungsträgern der Opposition, vor allem unter den Männern, welche die außenpolitischen Kontakte der protestantischen Interessengruppe aufrecht erhielten, Mitglieder der reformierten und lutherischen Gemeindeführungen außerordentlich stark vertreten waren. Daraus folgerte Heinz Schilling, dass die Presbyterien der deutsch-reformierten und lutherischen Gemeinde ein wichtiges Betätigungsfeld der protestantischen Wirtschaftsbürger und Honoratioren gewesen waren, während diese von der politischen Teilhabe im Stadtregiment ausgeschlossen waren. Die evangelischen Führungseliten seien in den evangelisch-kirchlichen Institutionen auch nach 1598 organisiert geblieben und hätten dort weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten gehabt. Aus dieser Position heraus sei es ihnen leichter gefallen wieder in stadtpolitische Verantwortung zu drängen. Es dürfe deswegen aber nicht der Fehler gemacht werden, den Konfessionskirchen die Funktion von Keimzellen des evangelischen Bürgeraufstands zuzuschreiben.53 Insgesamt sollten von den Einzelbefunden zum Sozialprofil der evangelischen Opposition der Jahre 1608 bis 1614 nur sehr vorsichtig Aussagen zur Entwicklung des konfessionellen Zusammenlebens in Aachen und dessen Voraussetzungen abgeleitet werden. Möglich, aber problematisch, ist die Konstruktion von drei Zusammenhängen: Erstens, die Ableitung von den personellen Überschneidungen zwischen evangelischer Opposition, den Gesellschaften der oberen bürgerlichen Schichten und den evangelischen ab officiatis et Christopheris [. . . ] extorserunt“ erfassten tatsächlich Vertreter aus allen Teilgruppen der Opposition. Lediglich die Beschuldigten der Gruppen „Invasores Collegii sociatatis“ und „Qui Mandatum Caesareum dilacerarunt, et affigentem vulnerarunt [. . . ]“ beschränkten sich auf die bewaffnete Bürgerschaft, erfassten sie aber nur soweit, wie sie an ganz bestimmten Handlungen während des Aufstand beteiligt war. Die Männer in dieser besonderen Gruppe von Beschuldigten lassen sich ihrerseits kaum identifizieren. Die prosopographisch verwertbaren Überlieferung sind dazu nicht dicht genug. Selbst erfolgreiche Zuordnung von Bewaffneten zu einer Gaffel bleiben letztlich ohne besonderen Aussagewerte für das Sozialprofil der Gruppe, da über den gesellschaftlichen Stellenwerte der verschiedenen Gaffeln abseits von Stern, Bock und Kupferschlägern kaum etwas bekannt ist und soziale Grenzen auch durch einzelne Gaffeln verlaufen konnten. 52 Vgl. Schilling, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, hier: S. 183 u. 205 und Theodor Oppenhoff, Die Aachener Sternzunft, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 15 (1893), S. 236–326, hier: S. 260. 53 Vgl. Schilling, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, hier: S. 212–214.

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Konfessionskirchen auf das Ausmaß der konfessionellen Polarisierung der Aachener Gesellschaft. Zweitens Aussagen über die konfessionelle Prägung bestimmter sozialer Gruppen der Aachener Gesellschaft. Und drittens die Übertragung von Befunden konfessionellen Spaltung Aachens auf die Zeit vor 1611 und insbesondere vor 1598. Die personellen Verbindungen zwischen bürgerlicher Opposition und Führungsschicht sowie den evangelischen Kirchenleitungen legen auf den ersten Blick weitreichende Folgerungen nah. Die Beteiligung der evangelischen Kirchenführung an der bürgerlichen Opposition kann als ein Indiz für die evangelisch-konfessionalistische Prägung der politischen Bewegung gewertet werden. Die These müsste durch den Nachweis erhärtet werden, dass die Presbyterialen der deutsch-reformierten und lutherischen Kirche als Deputierte und Amtsverwalter die Interessen ihrer Konfessionskirchen verfolgten. Sie zeigten entsprechende religionspolitische Absichten jedoch nur in einem Teil ihres Handelns und ihrer politischen Argumentation. Die konfessionalistische Ausrichtung der bürgerlichen Opposition durch ihre evangelisch-kirchliche Prägung bleibt also eine Vermutung. In umgekehrter Richtung kann von dem politischen Engagement der evangelischen Kirchenführungen im Gremium der Deputierten darauf geschlossen werden, dass die reformierten Ältesten innerhalb der evangelischen Bürgerschaft eine besonders stark gegen das katholische Stadtregiment politisierte Gruppe bildeten, weil innerhalb der Kirchen die konfessionelle Polarisierung der Bürgerschaft vorangetrieben worden sei. Gegen dieses Vermutung spricht, dass die evangelischen Konfessionskirchen sich sowohl während der Unruhen der Jahre 1611 bis 1614 als auch davor in aller Regel politisch sehr passiv verhielten. Die konfessionspolitische Polarisierung der Führungspersonen der evangelischen Kirchen lässt sich also nicht einfach aus ihrem Engagement in der politischen Opposition ableiten. Ob die Konfessionskirchen die politische Konfessionalisierung vorbereiteten, muss anhand der konkreten Erfahrungen entschieden werden, welche die reformierten Ältesten und lutherischen Senioren in ihren Kirchen gemacht hatten, bevor sie als Deputierte politisch aktiv wurde. Nur wenn ihr Handeln und Erleben im Kontext ihrer religiösen Gemeinde motivierend und prägend auf ihre politischen Aktivitäten wirkte, darf der starken Vertretung der Presbyterialen in den Organen der politischen Opposition größere Bedeutung zugeschrieben werden. Andernfalls bliebe zu konstatieren, dass sobald ein bedeutender Anteil der bürgerlichen Oberschicht evangelische und lutherische Bekenntnisse angenommen hatte, politisches und kirchliches Führungspersonal zwangsläufig aus derselben Gruppe von Menschen rekrutiert wurde. Darüber hinausgehende Ableitung zum Grad der konfessionellen Polarisierung der städtischen Gesellschaft wären Zirkelschlüsse.

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Etwas zuversichtlicher, aber immer noch mit einiger Vorsicht, sind Aussagen über die konfessionelle Prägung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, das heißt einzelner Gaffeln zu beurteilen. Nur über die konfessionelle Prägung derjenigen Zünfte, in denen sich große Teile der bürgerlichen Oberschicht sammelten, können überhaupt Einschätzungen abgegeben werden. Die Feststellung protestantischer Mehrheiten unter den Mitgliedern des Bocks und der Kupferschlägergaffel reicht aber zur Erklärung des Zusammenlebens der verschiedenen Konfessionsgruppen in Aachen nicht aus. Wie auch bei der Überschneidung von protestantischen Kirchenführungen und politischer Opposition seit 1611 müsste auch in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass die Mitglieder der protestantischen Konfessionsgruppen das gesellschaftliche und politische Leben innerhalb der Gaffeln auf eine für ihre religiösen und religionspolitischen Interessen typische Art beeinflussten. Die Gesellschaft zum Bock betrieb bereits sehr früh eine Politik, die als protestantisch-konfessionalistisch ausgelegt wurde. In den Auseinandersetzungen um die Ausweisung niederländischer Zuwanderer und den Ausschluss von Ratsherren und Amtsträger ohne katholisches Bekenntnis der Jahre 1559 und 1560 votierten die Geschickten der Gesellschaft zum Bock im Großen Rat gegen das schließlich durchgesetzte Ausweisungsedikt.54 Die Kupfermeister konnten oder wollten für den seit 1560 zu konstituierenden Rat keine Geschickten nominieren, was bald danach – spätestens seit der konfessionellen Polarisierung in Aachen nach 1598 – als Beweis für die tiefgreifende protestantische Prägung der Gaffel betrachtet wurde.55 Als Beweis dafür gilt auch die Nachricht, der zu Folge protestantische Kupfermeister im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit systematisch katholische Bürger und Einwohner von der Lohnarbeit im für die ganze Stadt wichtigen Messinggewerbe ausschlossen.56 Die Indizien für den Entschluss der Herren zum Bock und der Kupfermeister, ab 1611 eine dezidiert protestantische Politik zu betreiben, wurden bereits diskutiert. In dieser letzten Phase der Auseinandersetzungen um die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen gestalteten die Gaffeln ihre Politik deutlich nach konfessionalistischen Überlegungen, wenn diese auch immer noch nicht allein bestimmend waren. In der Zeit vor 1598 spielten, wie der erste Teil der Studie gezeigt hat, konfessionsspezifische religionspolitische Themen und Argumente eine Rolle, die nur im Zusammenhang mit gleichzeitig verhandelten verfassungs-, reichs- und machtpolitischen Themen verstanden werden können. Auch 54 Vgl. „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, 12. Oktober 1559, StAAa, RA II Allg. Akt. 866, f. 18v. 55 Vgl. „Anfangh der Newen Religion in Aach, wie sich sulchs erfindt uff eines Erb. Rath. ueberkumbst“, 28. März 1560, StAAa, RA II Allg. Akt. 866, f. 23v. 56 Vgl. den Hinweise auf eine entsprechende Beschwerde katholischer Bürger vom 18. Oktober 1580 bei Beeck, Aquisgranum, hier: S. 276.

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das konfessionell gedeutete Handeln der Gesellschaft zum Bock und der Kupferschlägergaffel, erscheint in diesem Kontext nicht mehr unbedingt als Beleg für die konfessionelle Polarisierung dieser Gesellschaften. Noch zweifelhafter als die politisch wirksame protestantische Prägung der beiden genannten Gaffeln ist die dezidierte Katholizität der Gesellschaft zum Stern und des städtischen Patriziats in der Zeit von 1580 bis 1598. Die Einschätzung, dass dieser besondere Teil der Aachener Oberschicht vom Einfluss evangelisch reformatorischer Überzeugungen kaum erfasst wurde, ist sehr verbreitet. Sie wurde allerdings zuletzt mit Blick auf die Beteiligung protestantischer Sternherren an den oppositionellen Aktivitäten gegen das katholische Stadtregiment nach 1598 relativiert.57 Das Bild vom katholisch bleibenden Patriziat hält sich dennoch aus verschiedenen Gründen: Es stimmt mit lange bekannten Klischees zu den christlichen Konfessionsgruppen überein, denen zu Folge der Protestantismus das Bekenntnis der Wahl für wirtschaftlich aktive und gesellschaftlich aufstrebende bürgerliche Gruppen war, während stadtadelige Schichten, die sich um die Wahrung ihrer politischen und gesellschaftlichen Privilegien bemühten auch für eine religiös konservative Linie im Sinne der alten Kirche optiert hätten.58 Für die Katholizität der Aachener Sternzunft sprechen neben der geringen Anzahl nachweisbarer protestantischer Sternherren einige Gelegenheiten, zu denen sich die Gesellschaft oder ihre Mitglieder in konfessionellen Konflikten eindeutig auf Seiten katholischer Interessengruppen positionierten. Innerhalb der katholischen Opposition der Jahre 1581 bis 1598 – des Exilregiments, der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten und des Ausschusses der katholischen Bürgerschaft – war die Sterngaffel durch einige Schöffen überproportional vertreten.59 Im Zuge der allmählich zunehmenden konfessionellen Polarisierung der politischen Auseinandersetzung seit Ende der 1580er Jahre vereinnahmten die innerstädtischen Akteure der katholischen Interessengruppe zusätzlich einige Sternherren, die in früheren Phasen der Auseinandersetzung eine Rolle gespielt hatten, für ihre eigene Selbstdarstellung als Kämpfer für die katholische Kirche in Aachen. Sie interpretierten das Handeln des Schöffenbürgermeisters Ellerborn in der 57

Vgl. Schilling, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, hier: S. 205–206. 58 Vgl. zusammenfassend zu den Implikationen der sozialen Schichten in den Städten für die Reformation mit der einschlägigen Literatur: Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, hier: S. 32–33. 59 Vgl. dazu bereits die Aufstellungen bei Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 235 zu den ersten Vertretern der katholischen Opposition zu Beginn der 1580er Jahre. Unter den neun Ratsverwandten, die auch nach der zweiten Verständigung zwischen dem mehrheitlich protestantischen und dem katholischen Ratsteil im Exil verblieben, befanden sich demnach fünf Mitglieder des Sterns.

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Affäre um Adam von Zevel sowie die Stellungnahme Leonhard von Hoves gegen die reichspolitischen Bemühungen der Aachener Protestanten um die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung als frühe Beispiele gegenreformatorischer Politik in Aachen, in deren Kontinuität sie sich selbst sahen.60 Unabhängig von der Ausdeutung durch die katholische Interessengruppe können die Konflikte um die Besetzung des Schöffengerichts in den Jahren nach 1589 nur dann als Konfessionspolitik betrachtet werden, wenn die konfessionellen Aspekte des Gesamtkonflikts in den Vordergrund gestellt werden. Ein Teil der Schöffen nahm darin eindeutig die Position der katholischen Interessengruppe ein. Bevor daraus auf die konfessionelle Prägung des Aachener Patriziats und dessen Einfluss auf das Zusammenspiel der verschiedenen Konfessionskulturen geschlossen wird, sollte auch in Rechnung gestellt werden, dass gegen die katholischen Sternherren, die Anspruch auf Sitze im Schöffengericht erhoben, protestantische Genossen derselben Zunft ihre Sitze verteidigten und sich zeitweilig durchsetzten. Die katholischen Schöffen, die sich zum Teil aus religiösen Motiven gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment stellten, taten dies eventuell als Vertreter der organisierten katholischen Opposition, nicht aber als Vertreter einer katholisch konfessionalistischen Sternzunft. Im Gegensatz zur Gesellschaft zum Bock und zur Kupferschlägergaffel häufen sich für die Sternzunft in der Regierungszeit des restituierten katholischen Stadtregiments die Belege für eine ambivalente religionspolitische Haltung. Auffälligstes Beispiel für diese Tendenz ist die Zusammenarbeit der Sterngaffel mit den Protestanten im Ausschuss der Gemeinen Gaffeln von 1608.61 Dieser Unterschied wirft die Frage auf, wie weit die katholische Opposition ihrem eigenen Anspruch und ihrer Selbstdarstellung gerecht wurde, Vertreter aller katholischen Einwohner Aachens zu sein. Wann immer während der politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis angeklungen war, dass nicht alle Aachener Katholiken die katholischen Bürgermeister und Schöffen unterstützten, hatten diese eingewandt, dass zumindest diejenigen Aachener, die fest zum Katholizismus standen und nicht durch das protestantisch dominierte Stadtregiment unterdrückt wurden, die politischen Bemühungen zur Restitution des katholischen Rates unterstützten. Am überzeugendsten klang diese Aussage, wenn sie auf die Aachener Schöffen gemünzt wurde. Jederzeit waren unter denjenigen katholischen Oppositionellen, die in den politischen Auseinandersetzungen in Region und Reich aktiv hervortraten, Schöffen beziehungsweise Mitglieder des Aachener Pa60 Vgl. Katholische Bürgermeister, Schöffen und Bürgerschafft verordneter Ausschuss an Kaiser, 1. Juni 1589, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 157–158v. 61 S. o. S. 190.

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triziats. Über lange Zeit gehörte beispielsweise der Schöffe Albrecht Schrick zu den prominentesten Vertretern der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten und des Ausschusses der katholischen Bürgerschaft. Er trat, nachdem er zu den ersten gehört hatte, die nach der Spaltung des Rates 1581 die Stadt verlassen hatten, noch in den 1590er Jahren beim kaiserlichen Hof für die Ziele der katholischen Opposition ein.62 Der Verweis auf die Schöffen in der Selbstbezeichnung katholische Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandte war also berechtigt, wenn auch nur mit der schon genannten Einschränkung, dass es in Aachen auch protestantische Schöffen gab, welche die Interessen des dort amtierenden Stadtregiments stützten. Daneben waren die Bürgermeister und Ratsverwandten, die ihre reichsstädtischen Amts- und Ehrentitel als Mitglieder der katholischen Interessengruppe beständig weiter führten, mehr Wahrer des Rechtsanspruchs auf Restitution, als verfassungsgemäß legitimierte Vertreter der politisch berechtigten Aachener Bürgerschaft. Durchaus zu Recht wies das protestantisch dominierte Stadtregiment bereits sehr früh darauf hin, dass die im Exil befindlichen Oppositionellen bei den städtischen Wahlen seit spätestens 1583 nicht wieder durch Gaffeln oder Großen Rat in ihren Ratssitzen oder Ämtern bestätigt worden seien.63 Für die Frage, welche Bedeutung die katholische Opposition als Bezugspunkt für die konfessionelle Polarisierung der Aachener Gesellschaft spielte ist deswegen entscheidender, welche Teile der Aachener Bevölkerung hinter den vom Exilregiment ebenfalls als Teil ihrer Selbstbeschreibung geführten Gruppenbezeichnungen ‚katholische Bürgerschaft‘ und ‚Ausschuss der katholischen Bürgerschaft‘ verbargen. Die katholische Bürgerschaft – also die Gesamtheit der katholischen Bürger – sollte als legitimierende Gruppe hinter der katholischen Opposition stehen. Nur bei wenigen Gelegenheiten drückten allerdings Aachener Katholiken tatsächlich ihre Solidarität mit dem Exilregiment aus. Eine Erklärung von der Basis der katholischen Einwohnerschaft Aachens, wie sie für das Jahr 1580 mit der Bittschrift der katholischen Frauen Aachens vorliegt, ist für spätere Zeit nicht wieder aufzufinden. Lediglich indirekt kann auf den Rückhalt der katholischen Opposition in der katholischen Bevölkerung geschlossen werden, wenn man berücksichtigt, dass die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten aus Aachen finanzielle Unterstützung erhielten, um die Kosten zu decken, die ihnen durch ihrem Aufenthalt außerhalb Aachens entstanden.64 62 Vgl. Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 235. 1590 war Schrick in die Auseinandersetzung zwischen Stadtregiment und weltlichen Sendschöffen verwickelt. S. u. S. 283. 63 Vgl. ebd., hier: S. 235. 64 Ein Teil der finanziellen Belastungen, die der katholischen Opposition und ihren

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Vor allem aber gingen die Vertreter der katholischen Opposition deshalb dazu über, das Bild von einer politisierten katholischen Bürgerschaft in Aachen aufrecht zu erhalten, indem sie allgemeine Bedrohungs- und Unterdrückungsszenarien beschrieben, in deren Zentrum die vom protestantisch dominierten Stadtregiment geschädigten Aachener Katholiken standen. Die Katholiken in Aachen mussten demnach gar nicht aktiv als konfessionspolitisch gegen den protestantischen Rat geeinte Gruppe hervortreten. Sie seien schon durch die gemeinsame Erfahrung er Unterdrückung ihrer Kirche und die Beschränkung ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten vereint. Dabei blieb allerdings unklar, welche Teile der Aachener Bevölkerung die umschriebene bedrückte katholische Bürgerschaft ausmachten. In den Entschädigungsverhandlungen nach 1598 blieb der Kreis der Katholiken, die Ausgleichszahlungen für Schäden erhielten, die ihnen der protestantisch dominierte Rat zugefügt hatte, verhältnismäßig eng. Im Wesentlichen empfingen nur die Mitglieder der aus dem Exil heraus tätigen katholischen Opposition oder deren Verwandte Kompensationszahlungen.65 Die katholische Bürgerschaft trat also als gesellschaftliche Gruppe oder Erfahrungsgemeinschaft, die sich auf die katholische Opposition hin ausrichtete, bis 1598 nicht in Erscheinung. Auch die Arbeit eines Ausschusses der katholischen Bürgerschaft – im Sinne eines konfessionspolitisch ausgerichteten Gemeindeausschusses – blieb offensichtlich nur eine Episode zu Beginn der 1580er Jahre. Unmittelbar nach der Spaltung des Rates gab ein solcher Ausschuss der sich bildenden katholischen Opposition kurzfristig größeren Rückhalt in der Stadtgemeinde. Der aus Mitgliedern der Gaffeln bestehende Ausschuss löste sich ungefähr in der Zeit auf, als der größere Teil der ursprünglich vom Stadtrat abgetretenen Ratsherren wieder mit der protestantischen Ratsmehrheit versöhnt hatte. Offensichtlich konstituierte sich in der Folgezeit keine weitere katholisch-konfessionelle Gruppierung innerhalb der Bürgerschaft beziehungsweise der Gaffeln.66 Die letzte Verbindung der katholischen Aachener Opposition zur Aachener Bevölkerung, mit der die Rolle des Exilregiments als politische Vertreter der katholischen Aachener belegt werden sollte, war die zwischen den katholischen Bürgermeistern, Schöffen und Ratsverwandten und den Vertretern der katholischen Kirche in Aachen. Wie aber bereits gezeigt Anhängern bis 1598 entstanden sind, ist aus der Liste der nach der katholischen Restitution für eine Entschädigung vorgesehenen Personen zu ersehen. Vgl. dazu StAAa, HS 60, f. 14v–18v. 65 Vgl. ebd. 66 Dieser Befund ist das Ergebnis einer Befragung der Herren zum Bock über die Tätigkeit der katholischen Opposition, die der protestantisch dominierte Rat am 27. Juli 1592 durchführen ließ – vgl. Rechnungsbuch der Bockzunft 1553–1618, StAAa, HS 225 D (Zünfte), f. 44v–46r.

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wurde, blieb die Anzahl der Akteure aus dem Umfeld katholisch-kirchlicher Organisationen, welche die Bemühungen des Exilregiments um die katholische Restitution aktiv unterstützten, gering. Lediglich der Aachener Erzpriester schloss sich zeitweilig mit vollem Einsatz den Werbungen des Exilregiments am kaiserlichen Hof an. Das Kapitel des Münsterstifts, das in vielerlei Hinsicht die zentrale Institution der katholischen Kirche in der Stadt war, tat zwar nichts, um die von der katholischen Opposition behauptete Einigkeit zwischen katholischer Geistlichkeit und den Kämpfern für die Rekatholisierung der Stadt öffentlich zu widerlegen, es hielt sich allerdings auf der anderen Seite deutlich und bewusst von jedem Schulterschluss mit dem Exilregiment zurück. Dass die katholischen Bürger Aachens über die katholisch-kirchlichen Institutionen und über die Kleriker, die ihr Religionsleben gestalteten – durch die Teilnahme an Messen, Prozessionen, Taufen, Hochzeiten, Trauerfeier oder Vergleichbarem – auf die politische Linie der katholischen Opposition gebracht und so konfessionell polarisiert wurden, erscheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich.67 Das heißt jedoch nicht, dass nicht kleine Untergruppen der katholischen Bevölkerung Aachens und der katholisch-kirchlichen Funktionsträger in Aachen in einer besonderen Beziehung zur katholischen Opposition gestanden hätten. Tatsächlich waren einige Mitglieder der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten direkt oder über familiäre Verbindungen mit mit der katholischen Amtskirche verbunden. Zu dieser Gruppe gehörten ehemalige Mitglieder des Sendgerichts, dessen Amtsträger, Verwandte von Kapitularen des Münsterstifts und von Erzpriestern. Die persönlichen und familiären Verbindungen zwischen dem Kreis der konfessionspolitisch aktiven Aachener Katholiken und den katholisch-kirchlichen Institutionen der Stadt bestanden auch nach 1598 weiter, als etliche Amtsträger des restituierten katholischen Stadtregiments Verwandte hatten die Kleriker waren oder im Diensten der katholischen Kirche standen.68 Die Verbindungen der städtischen Honoratiorenschicht mit der kirchlichen Funktionselite waren aber niemals so eng, dass sich die Vermutung aufdrängte, es habe zu den wichtigsten Motiven für die dezidiert katholisch-konfessionalistischen Politik einiger Bürger gehört, sich selbst und den Mitgliedern ihrer sozialen Netzwerke den Zugang zu kirchlichen Ämtern und Pfründen offen zu halten. Darin unterscheid sich Aachen entscheidend von Städten, in denen sich eine typische ‚späte Stadtreformation‘ ereignete. Dort hatten die Verbindungen zwischen städtischer und kirchlicher Funktionseliten den 67

Siehe dazu auch die Ausführungen weiter unten S. 363. Vgl. hierzu insbesondere die Familien Ellerborn, Schrick und Berchem – Hermann Ariovist von Fürth, Beiträge und Material zur Geschichte der Aachener Patrizier-Familien. Bd. 3. Aachen 1890, hier: S. 43–46, 74 u. 104–105, Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 32 u. 115–116. 68

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Ausschlag dafür gegeben, dass sich Teile der Bürgerschaft für einen gegenreformatorischen Kurs entschieden.69 In Aachen fehlten die Voraussetzungen für einen solchen Schub der innerstädtischen konfessionellen Polarisierung schon insofern, als die personelle Verpflichtung zwischen der städtischen Oberschicht auf der einen Seite und den Kapitelherren und Amtsträgern des Münsterstifts auf der anderen Seite relativ schwach war. Die Stiftsherren von St. Marien rekrutierten sich zu einem wesentlichen Teil nicht aus der Bürgerschaft, sondern aus Adelsgeschlechtern der Region. Seit Anfang des 17. Jahrhunderts hatte der Anteil des niederen Adels im Kapitel auf Kosten der hochadeligen und bürgerlichen Gruppen in dem Kollegium beständig zugenommen. Diejenigen Aachener Familien, die regelmäßig Stiftsherren stellte, gehörten durchweg dem städtischen Patriziat an und pflegten einen adeligen Lebensstil. So war auch das Selbstverständnis von Stift und Kapitel insgesamt kein bürgerliches, der reichsstädtischen Gemeinde verbundenes, sondern ein gemischt-ständisches mit adeligem Einschlag und Einflüssen nicht nur aus der Stadt sondern aus der weiteren Region.70 Auch diese Grundlagen der Beziehungen zwischen Bürgerschaft und Kapitel sprechen dafür, dass die katholische Opposition mit ihren patrizischen der katholischen Kirche verbundenen Mitgliedern kein Repräsentationsorgan einer konfessionell polarisierten katholischen Bürgerschaft war. Insgesamt waren also weder die Gaffeln noch die Bürgerschaft Aachens entlang konfessioneller Grenzen politisch organisiert. Die Bürgergemeinde war strukturell nicht konfessionell gespalten. Traf das auch auch für die Institution zu, die der Gemeinde gemäß der städtischen Verfassung Aachens gegenüberstand – den Rat? Gab es Konfessionsparteien im Rat? Die Zusammensetzung des Kleinen und Großen Rates gibt entscheidende Hinweise auf den Verlauf und die Grenzen der konfessionellen Polarisierung der reichsstädtischen Gesellschaft Aachen.71 Die für diese Studie erstmals 69 Vgl. zum Einstieg in die Thematik erneut: Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, hier: S. 32–33. Gregor Horstkemper, Spaltungen, Spannungen, Spielräume. Entstehung und Zusammenleben dreier Konfessionen in Essen, in: Jan Gerschow (Hrsg.), Die Mauer der Stadt Essen vor der Industrie 1244 bis 1865. Bottrop 1995, S. 182–196, hier: S. 183 beschreibt, wie die Verbindung zwischen kommunalen Führungsschichten und dem Stiftsklerus in Essen das Fortschreiten der Reformation behinderten. 70 Vgl. zur Zusammensetzung des Kapitels und ihrer Entwicklung Offergeld, Lebensnormen und Lebensformen der Kanoniker des Aachener Marienstifts, hier: S. 89–91 mit Anm. 81 auf S. 91. Die Ergebnisse basieren auf den umfangreichen Quellenstudien des Autors, die er ausführlich in Peter Offergeld, Die persönliche Zusammensetzung des alten Aachener Stiftskapites bis 1614. Diss. RWTH Aachen 1974 präsentiert hat. 71 Quelle für alle folgenden Angaben zur Zusammsetzung des Rates in der genannten Zeitspanne ist das Alphabetisch nahmen Register aller Rathsverwandten der Stadt Aach [. . . 1580 bis 1598], Rijksarchiv in Zeeland, Familiearchiv Verheye-Van Citters 87. Die Zuverlässigkeit der Liste lässt sich aus der Übereinstimmung ihrer Angaben mit

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ausgewerteten Listen der Ratsherren im Zeitraum von 1580 bis 1598 füllen die Lücke, die durch den fast vollständigen Verlust des reichsstädtischen Archivs für die Zeit vor 1656 gerissen wurde, zwar bei weiten nicht, geben aber immerhin Aufschluss über die Namen der Mitglieder des Rates und vermerken mit hoher Zuverlässigkeit deren Konfession. Die Liste umfasst die Mitglieder des Großen und des Kleinen Rates. Auch die städtischen Amtsträger, denen die Teilnahme am Rat zustand, sind enthalten, ohne dass aber kenntlich gemacht wurde, welche Personen zu welchem Zeitpunkt von Amts wegen oder als Geschickte der Gaffeln im Rat saßen.72 Auf dieser Grundlage können zunächst die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse und Mehrheitsverschiebungen im Rat festgestellt werden. Ausgehend davon ist zu beurteilen, ob die Gaffeln über die Ratswahlen zur konfessionellen Polarisierung und Konfessionalisierung des Stadtregiments beitrugen. Offensichtlich ist, dass der Rat zwischen 1581 und 1598 tatsächlich protestantisch dominiert war. Das heißt, die reformierten und lutherischen Ratsherren stellten gegenüber den Katholiken zu jeder Zeit die Mehrheit, denjenigen der parallel überlieferten Ratslisten für die Jahre 1580 und 1581 ableiten. Auch aus anderem Kontext bekannten Amtszeiten von Bürgermeistern entsprechen den in der Liste überlieferten Teilnahme der abgegangenen Bürgermeister am Rat. Bezüglich der konfessionellen Zuordnung der Ratsherren unterliefen dem Kompilator der Liste an wenigen Stellen Fehler, als er reformierte Mitglieder des Rates als Lutheraner markierte. 72 Die Liste führt die Namen aller 369 Ratsherren zwischen 1580 und 1598. Zu katholischen und lutherischen Ratsherren ist die Konfession mit den Abkürzungen „c.“ beziehungsweise „l.“ vermerkt worden. Die Ratsherren, zu denen keine derartige Konfessionsangabe vorhanden ist, sind ausnahmslos reformiert. Dass keine positive Bestimmung ihres Bekenntnisstands vorgenommen wurde, lässt evtl. auf die religionspolitische Position des Kompilators der Liste schließen: Er könnte beabsichtigt haben, die Anhänger der reichsrechtlich geschützten Kirchen sichtbar von Andersgläubigen abzugrenzen, deren Bekenntnis nicht weiter erwogen werden brauchte, weil es in den Bereich der verbotenen Sekten fiel. Hinter den alphabetisch nach Vornamen geordneten Ratsherren sind die Ratsperioden gelistet, in den sie den Rat besessen haben. Die vermerke „g“ und „k“ verweisen darauf, dass eine Person während mehrerer folgender, teilweise aber auch vorangestellter Jahre im Großen beziehungsweise Kleinen Rat saß. Vereinzelt verweisen kurze Anmerkungen darauf, dass ein Ratsherr für eine bestimmte Anzahl von Jahren Mitglied eines der Gremien gewesen sei oder über einen bestimmten Zeitraum zwischen beiden Kammern gewechselt habe. In einigen Fällen fehlen entsprechende Angaben. Die Angaben der Liste zur Verteilung der genannten Ratsherren auf Großen und Kleinen Rat ist die am schwierigsten zu bewertende Information der Quelle. Die Angaben, „g“ und „k“, die sich auf mehrere durch Kommata getrennte Jahreszahlen beziehen können, sind fehleranfällig, weil eine einzelne ausgelassenen Angabe zu falschen Informationen zu etlichen Ratsperioden führen kann. Vollkommen fehlenden Angaben zur Zugehörigkeit zum Großen oder Kleinen Rat können auf solche Fehler oder fehlende Informationen des Kompilators zurückgehen. Offensichtlich rühren sie in einigen Fällen aber auch daher, dass die betroffene Person als Amtsträger und nicht durch Nominierung seiner Gaffel im Rat saß. Alle Schlüsse, die aus der List speziell zum Großen oder Kleinen Rat gezogen werden, müssen demnach als Annäherungen verstanden werden.

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ohne dass sie die Altgläubigen deswegen aber zwangsläufig politisch an den Rand drängen mussten. Abgesehen von der durchgehend bestehenden protestantischen Mehrheit verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse bis 1598 allmählich.73 In den Jahren 1580 und 1581 waren im Rat insgesamt noch mehr katholische Bürger vertreten als reformierte und lutherische jeweils für sich genommen. Allerdings fiel die Anzahl der katholischen Mitglieder des Kleinen Rates bereits von der Ratsperiode 1580/81 auf die Ratsperiode 1581/82 von 13 auf neun Mitglieder. Bei den Wahlen des Jahres 1582 gelangten dann sogar nur noch fünf Katholiken in den Kleinen Rat. Die neue protestantische Mehrheit im Kleinen Rat – mit den fünf katholischen Ratsherren tagten 13 reformierte und 15 Lutheraner74 – resultierte unmittelbar aus der Bildung des Exilregiments. Offenbar hatte sich ein bedeutender Teil der katholischen, bürgerlichen Oberschicht, aus dem sich die Mitglieder des Kleinen Rates rekrutieren mussten, der Ratswahl entzogen, indem sie in Opposition zu dem in Aachen verbleibenden Rat gingen. Auf vergleichbare Art und Weise könnten sich einige ratsfähige katholische Bürger auch noch bei der Ratswahl von 1583 von dem umstrittenen protestantisch dominierten Stadtregiment distanziert haben. In diesem Jahr gelangten insgesamt nur 34 Katholiken in den Großen und Kleinen Rat. Die Gruppe der katholischen Ratsherren schmolz bis 1594 nicht wieder auf einen solchen Wert zusammen. Die Anzahl der katholisch besetzten Ratssitze verminderte sich im Vergleich zu 1582 um ganze Elf. Sie resultierten also nicht allein aus der geringeren Anzahl der katholischen Kleinratsherren. In der Ratsperiode 1583/84 beteiligte die katholische Bürgerschaft sich also vorläufig am geringsten am Stadtregiment, bevor sich die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse im Rat für einige Jahre einigermaßen stabilisierten. 73 Zu den im Folgenden gegenübergestellten Zahlen ist zu beachten, dass im Laufe der Zeit neben der Anzahl der reformierten, lutherischen und katholischen Ratsherren auch die Gesamtzahl der überlieferten Ratsherren schwankte. Die Abweichungen betreffen sowohl die Gesamtzahl der Ratsherren, die zwischen 117 Ratsverwandten im Jahr 1595 und 132 im Jahr 1590 betrug, als auch die Besetzung des Kleinen Rates, dessen Umfang in verschiedenen Jahren mit lediglich 37 Personen zu beziffern ist, während für das Jahr 1598 42 Mitglieder des Kleinen Rates verzeichnet werden können. Ob die Zahl der Ratsmitglieder in der Reichsstadt Aachen in der Regel stabil war und ihre Schwankung auf außerordentlich instabile Verhältnisse innerhalb des Stadtregiments hindeutet, kann mangels weiterer Ratslisten als Vergleichsmaterial nicht sicher beurteilt werden. Es ist schließlich nicht völlig auszuschließen, dass die Daten nicht auf eine tatsächliches Wachsen und Schrumpfen des Rates hindeuten, sondern die Überlieferung an sich fehlerhaft ist. 74 Die Lutheraner stellten 1581 und 1582 die größte Konfessionsgruppe im Kleinen Rat. Damit war die lutherische Bürgerschaft im regierenden Teil des Rates im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung sicherlich deutlich überrepräsentiert. Besondere Gründe dafür sind nicht zu erkennen. Innerhalb der Gesamtheit der Ratsmitglieder inklusive des Großen Rates stellten die Lutheraner nicht die größte Konfessionsgruppe.

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In den Jahren 1584 bis 1594 wurde der Große Rat insgesamt von zwischen 54 und 66 Reformierten, zwischen 32 und 49 Katholiken sowie zwischen 24 und 31 Lutheranern besetzt. Die Reformierten bildeten also immer die größte Konfessionsgruppe innerhalb des Rates, während die katholischen Bürger ausnahmslos mehr Ratsherren stellten als die Lutheraner. Die Zahlen verraten, in Beziehung zu den Schätzungen zu den konfessionellen Mehrheitsverhältnissen in Aachen gesetzt, dass die Reformierten vor allem aber die Lutheraner im Rat überrepräsentiert waren. Die Mehrheitsverhältnisse im Kleinen Rat stellten sich im selben Zeitraum anders dar. Hier standen lediglich sechs bis zehn Katholiken acht bis 14 Lutheranern und 15 bis 23 Reformierten gegenüber. Die katholischen Kleinratsherren befanden sich fast durchgehend in einer deutlichen Minderheitsposition, auch wenn sie in der Regel etwa so zahlreich waren wie ihre lutherischen Ratsgenossen und deren Zahl 1590 erreichten und 1593 sogar übertrafen. Die Reformierten hingegen dominierten den Kleinen Rat zahlenmäßig. In der Ratsperiode 1590/91 stellten sie erstmals mehr Kleinratsherren als die beiden anderen Konfessionsgruppen zusammen. Diese Mehrheitsverhältnisse wurden durch die Wahlen des Jahre 1592 reproduziert und verstetigten sich danach. Was sagen die Befunde zur Zusammensetzung des Rates über das Zusammenspiel der Aachener Konfessionsgruppen in der städtischen Politik aus? Die 1584 im Vergleich zu den unmittelbar davor liegenden Jahren wieder verstärkte Teilnahme katholischer Bürger am Rat deutet darauf hin, dass die konfessionelle Polarisierung der innerstädtischen Krisenjahre 1580 bis 1584 teilweise wieder abklang. Eine deutlich geringere Anzahl von Katholiken aus der bürgerlichen Führungsschicht entschied sich für einen Boykott der Ratswahlen. Nachdem die gemischtkonfessionelle Kommission Kursachsens und Kurtriers in Aachen gearbeitet hatte und der protestantisch dominierte Magistrat vorläufig stabilisiert worden war, bauten sich konfessionelle und politischer Spannungen zwischen einigen politisch aktiven Bürgern ab. Das prominenteste Beispiel für diese Entspannung gab Leonhard von Hove. Zu Beginn der jüngsten innerstädtischen Krise 1580 war er die führende Persönlichkeit innerhalb der ersten katholischen Gruppe gewesen, die sich gegen die Bemühungen der Reformierten und Lutheraner um öffentliche Religionsausübung und gegen die Wahl protestantischer kommunaler Amtsträger gestellt hatte. Von Hove, der in der Klageschrift der katholischen Frauen Aachens zur Symbolfigur des katholischen Widerstands gegen die protestantische Machtübernahme in der Reichsstadt Aachen stilisiert worden war und der während der Auseinandersetzungen um die Bürgermeisterwahl von 1581 zu den ersten katholischen Ratsherren gehört hatte, die demonstrativ die Stadt verließen, legte 1587 erneut den Ratseid

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ab. Bezeichnenderweise zog er aber nicht wieder wie 1580 und 1581 in den Kleinen Rat ein, sondern gehörte lediglich zum Kreis der Gaffelgeschickten. Die Reintegration weiter Teile der führenden, katholischen Bürger in das Stadtregiment nach den vorangegangenen Krisenjahren funktionierte soweit, dass eine relativ stabile und nicht marginalisierbare katholische Konfessionsgruppe im Rat vorhanden war. Sie stieß aber im politisch in der Regel entscheidenden Kleinen Rat an ihre Grenzen. Hier waren die Katholiken so deutlich in der Minderheit, dass sie im Falle einer konfessionspolitischen Konfrontation keinen entscheidenden Einfluss hätten nehmen können. Die Beteiligung der katholischen Bürgerschaft am Stadtregiment blieb nicht nur durch die verzerrte Spiegelung der konfessionellen Mehrheitsverhältnisse der Gesamtbevölkerung im Rat hinter ihren Möglichkeiten zurück. Auch die Karrieremuster der katholischen Ratsherren unterschieden sich im Zeitraum von 1584 bis 1598 von denen ihrer lutherischen und reformierten Ratsgenossen. Trotz der genossenschaftlichen Verfassung Aachens beschränkte sich der Kreis potentieller Ratsherren auf eine praktisch ratsfähige Gruppe innerhalb der politisch berechtigten Bürgerschaft. Für die Mitglieder dieser bürgerlichen Führungsschicht war eine mehr oder weniger kontinuierliche Beteiligung am Stadtregiment nicht ungewöhnlich. Personen, die von ihrer Gaffel in den Großen Rat geschickt wurden verblieben dort für zwei Jahre. Nach einem Jahr Unterbrechung nominierten die Gaffeln sie dann in der Regel wieder für den Rat. Im Kleinen Rat konnten die Ratsherren ohne Einschränkungen mehrere aufeinander folgende Jahre bleiben. Schließlich bestand die Möglichkeit, als Amtsträger in den Rat zu gelangen und so mögliche Lücken in der politischen Karriere auszuschließen. Auf diese Art und Weise gestalteten reformierte und lutherische Ratsherren zwischen 1580 und 1598 häufiger eine lückenlose Beteiligung am Stadtregiment als Katholiken. Während die 146 für die gesamte Zeit von 1580 bis 1598 nachgewiesenen katholischen Ratsherren im Schnitt fünf Jahre im Rat saßen betrug die mittlere Verweildauer derselben Anzahl von Reformierten und der 77 lutherischen Ratsherren auf ihre Sitzen im Mittel jeweils sieben Jahre. Katholische Ratsherren hatten häufiger als ihre Kollegen anderer Konfessionen eine kurze Karriere im Rat. Überproportional viele Katholiken wurden lediglich ein einziges Mal für zwei Jahre in den Großen Rat geschickt. Denkbar sind dafür mehrere Gründe: Zum einen könnte es in den Gaffeln konfessionelle Vorbehalte gegeben habe, katholische Mitglieder in den Rat zu wählen, sodass jede Gelegenheit genutzt wurde, statt eines katholischen Ratsherren, einen Protestanten zu wählen. Möglich wäre auch, dass zu wenige katholische Bürger bereit standen, die für eine längere Karriere im Stadtregiment als qualifiziert angesehen wurden. Die protestantische Interessengruppe in den politischen Auseinandersetzungen um Aachen, hatte

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am Ende der 1580er Jahre bereits damit begonnen zu argumentieren, dass die Protestanten den ‚besseren‘ Teil der Aachener Bürgerschaft stellten.75 Spätere geringschätzige Kommentare protestantischer Akteure, denen zu Folge der katholische Teil der Bürgerschaft nicht qualifiziert sei, das Stadtregiment zu führen, könnten sich auf das Fehlen einer größeren Gruppen von Katholiken im Kleinen Rat und die seltenen längeren katholischen Ratskarrieren bezogen haben. Andererseits könnten sich von der Mitte der 1580er Jahre bis zum Beginn der 1590er Jahre so viele führende Aachener Katholiken vom protestantisch dominierten Rat distanziert haben, dass die Zahl respektabler katholischer Ratskarrieren sich zwangsläufig verringern musste. Trotz der beschriebenen Verhältnisse sind über weite Strecken keine Versuche der protestantischen Ratsmehrheit überliefert, ihre Mehrheit für eine Religionspolitik gegen den unterlegenen katholischen Ratsteil auszunutzen. Vorläufig reichte der Rückhalt des amtierenden Magistrats in der politisch berechtigten katholischen Bürgerschaft aus, um ein überkonfessionell legitimiertes Stadtregiment zu stabilisieren. Das änderte sich auch nach 1594 nicht vollkommen. Die Neigung der katholischen Bürgerschaft sich vom Stadtregiment zu distanzieren wurde allerdings wieder stärker, als sich die Entscheidung der Causa Aquensis zu Gunsten der katholischen Opposition abzeichnete. Ein Zeichen für diesen erneuten Umbruch im politischen Zusammenspiel der Konfessionsgruppen setzte die kurze Rückkehr Albrecht Schricks in den Rat. Der Schöffe Schrick hatte zu den ersten Personen gehört, die sich in der katholischen Opposition der frühen 1580er Jahre profiliert hatten. Im Unterschied zu Leonard von Hove hatte er sich für längere Zeit den katholischen Bürgermeistern, Schöffen und Ratsverwandten im Exil angeschlossen. Nach der kaiserlichen Bannandrohung gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment kehrte Schrick 1589 in die Stadt zurück und wurde Laienschöffe im geistlichen Sendgericht, noch bevor die umfangreichere Ergänzung des Gerichts im darauf folgenden Jahr zu dem geschilderten Konflikt zwischen dem Stadtregiment und dem Synodalgericht führte.76 1590 ließ er sich noch einmal als Ratsherr im kleinen Rat vereidigen. Zum Zeitpunkt seiner Wahl und Vereidigung hatte der Rat bereits das Pfortengebot gegen seine weltlichen Mitschöffen im Sendgericht befohlen. Die Verbannung der Sechs aus der Stadt wurde allerdings erst am 1. August 1590 wirksam. So nahm Albrecht Schrick mit seinem Einzug in den Rat noch nicht Stellung zu dem konfessionell aufgeladenen Konflikt zwischen Rat und Sendgericht. Er holte diese Positionierung nach, indem er schnellst möglich wieder aus dem Rat ausschied. Schon in der Ratsperiode 75 76

Vgl. die Belege auf S. 243. Siehe S. 283.

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1591/92 war er nicht mehr Ratsherr. Damit markierte er den Anfang einer Phase, in der sich katholische Bürger angesichts der immer prekäreren Stellung des protestantisch dominierten Stadtregiments in den laufenden politischen und juristischen Auseinandersetzungen wieder zahlreicher von einer Mitgliedschaft im Rat distanzierten. Die Mehrheitsverhältnisse im Rat entwickelten sich daraufhin wie folgt: Die Zahl der katholischen Ratsherren fiel durch die Ratswahl von 1595 von 32 auf 27. Dieser deutliche Einschnitt war wahrscheinlich Reaktion auf das kaiserliche Endurteil in der Causa Aquensis. Dieses war nach den Ratswahlen des Jahres 1593 im August ergangen. Bis zu den Ratswahlen 1594, war für die Bürger Aachens noch nicht klar erkennbar, dass das Urteil eine nachhaltige und endgültige Delegitimierung des protestantisch dominierten Stadtregiments nach sich ziehen würde. 1595 war bereits absehbar, dass die reichspolitischen Initiativen des Magistrats und der protestantischen Interessengruppe die Exekution des Urteils nicht würden verhindern können. Vor diesem Hintergrund distanzierten sich offenbar nicht nur katholische sondern kurzfristig auch lutherische Bürger von dem amtierenden Magistrat. Die Wahlen des Jahres 1595 brachten nur noch 23 Lutheraner – nach 31 im Vorjahr – in den Rat. In den folgenden Jahren wuchs die lutherische Konfessionsgruppe im Rat wieder auf die vorher übliche Anzahl von 28 bis 32 Ratsherren an. Eine wesentliche Veränderung der konfessionellen Mehrheitsverhältnisse im Rat konnte dadurch aber nicht mehr rückgängig gemacht werden: Seit 1595 stellten die Reformierten bis zur katholischen Restitution von 1598 durchgehend mehr Ratsherren als Lutheraner und Katholiken zusammen. Die absolute Mehrheit der reformierten Konfessionsgruppe machte aus dem protestantisch dominierten Rat potentiell einen reformiert dominierten Rat. Dass dadurch das politische Zusammenleben der Konfessionen in der Stadt tiefgreifend verändert worden wäre, ist schwer zu belegen. Am ehesten lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Dominanz der Reformierten im kleinen Rat, die schon 1589 begann, und der im selben Jahr eskalierenden Krise um den Bau einer reformierten Kirche konstruieren.77 Lutherische Akteure hatten gemeinsam mit katholischen Bürgern gegen den Kirchenbau opponiert. Sie befürchteten, der Bau der Kirche ohne Rücksicht auf misstrauische Beobachter der religiösen Verhältnisse in Aachen könnte die Position der Reformierten und Lutheraner in Aachen insgesamt gefährden. Sie nahmen an, dass ein mehrheitlich reformiertes Stadtregiment die nötige Rücksichtnahme auf den außenpolitischen Druck zur Bewahrung des religionspolitischen status quo in der Stadt und die zumindest äußerliche, politische Anpassung der evangelischen Kirchen in Aachen an die Augsburger Konfession aufgeben könnte und stattdessen auf 77

Vgl. ausführlicher zum Konflikt um den Kirchenbau: S. 162.

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eine offensive Reformationspolitik im Sinne der reformierten Konfession umschwenken würde. Wie zutreffend lutherische und katholische Bürger die Ziele der reformierten Konfessionsgruppe im kleinen Rat damit einschätzten, ist schwer zu entscheiden, weil Absichtserklärungen zur städtischen Religionspolitik aus der Zeit des Konflikts um den Kirchenbau nicht überliefert sind. Dass allerdings reformierte Fürsten wie Pfalzgraf Johann Casimir es für nötig hielten, den Aachener Rat in Sachen Kirchenbau zur Vorsicht zu ermahnen, deutet darauf hin, dass das von Reformierten dominierte Stadtregiment durchaus Tendenzen gezeigt hatte, den überkonfessionellen, innerstädtischen Konsens über die religiösen Verhältnisse aufzukündigen. Die Trennung von Reformierten, Lutheranern und Katholiken in der Stadtpolitik trat aber nicht ein, wie die weitere Beteiligung lutherischer und katholischer Ratsherren an dem reformiert dominierten Stadtregiment der Jahre 1590 bis 1598 und dessen von tiefgreifenden Konflikten freie Arbeit zeigen. Die beschriebenen Verschiebungen der konfessionellen Mehrheitsverhältnisse und deren Folgen für das Zusammenspiel der drei Konfessionsgruppen im Bereich der Politik müssen auf die eine oder andere Art und Weise mit dem Wahlverhalten, der konfessionellen Prägung und den politischen Interessen der Gaffeln zusammengehangen haben. Wie eng war dieser Zusammenhang tatsächlich? Sollten konfessionspolitische Erwägungen das Wahlverhalten der Gaffeln maßgeblich beeinflusst haben und sollte so die in einigen Gaffeln sicherlich vorhandene reformiert-lutherische Mitgliedermehrheit zwangsläufig ihre Entsprechung in der Bekenntnisverteilung der Gaffelgeschickten gefunden haben, müssten auch die gaffelinternen Wahlen zu ähnlichen Mehrheitsverhältnissen unter den Amtsträgern der Gesellschaften geführt haben, wie sie sich im Rat entwickelten. Die Verschiebungen und Umbrüche der Mehrheiten im Großen und kleinen Rat müssten sich so oder ähnlich auch an den Listen der Gaffelamtsträgern ablesen lassen. Nur für einige wenige Gaffeln liegen aber die nötigen Quellen vor, um ihre Führungsgruppen zunächst einmal namentlich zu identifizieren. Der zweite notwendige Schritt, der darin bestünde, die Greven, Meister oder Baumeister – wie die obersten Zunftämter je nach Gesellschaft hießen, soweit prosopographisch zu untersuchen, dass zumindest ihre Konfession, ihre Rolle in ihrer Konfessionskirche und ihre Beteiligung an der Stadtpolitik geklärt werden würde, ist für kaum eine Zunft gangbar, geschweige denn für eine Auswahl von Personen, die groß genug wäre, um belastbare Aussagen über die Grundgesamtheit der Gaffelamtsträger zwischen 1580 und 1598 zu machen. Einige Indizien zum Niederschlag einer möglichen konfessionell-

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en Polarisierung er städtischen Politik ergibt dennoch die exemplarische Untersuchung der Amtslisten der Schneidergaffel. Die Baumeister der Schneidergaffel sind als höchste Amtsträger ihres Handwerks für den gesamten Untersuchungszeitraum bekannt.78 Die Aachener Schneider wählten demnach üblicher Weise einzelne Mitglieder wiederholt in das Amt eines Baumeisters. Dadurch lassen sich rudimentäre Amtskarrieren innerhalb der Gaffelführung und gegebenenfalls auch deren konfessionspolitisch bedingte Überformungen beobachten.79 Die Verteilung der Amtsjahre nachweisbar katholischer und reformierter Baumeister – lutherische Amtsträger sind nicht nachweisbar – unterstreicht zunächst die anhand der Ratslisten gemachten Beobachtungen: Die Krisen der Jahre 1580 bis 1584 und 1589 bis 1594 führten auch in der Schneidergaffel zu 78

Vgl. die entsprechenden Ämterlisten im Zunftbuch der Schneider 1570–1624, StAAa, HS 108 (Zünfte), f. 6r–49r. 79 In diesem Punkt unterscheidet sich die Ämtervergabe in der Schneidergaffel und damit der spezifische Quellenwert ihrer Amtsliste von der entsprechenden Praxis anderer Gaffeln. Für die Greven der Fassbinder und der Bockgaffel sind Amtslisten vergleichbaren Umfangs überliefert. Allerdings besetzte kaum ein Bockherr oder Fassbindermeister mehr als einmal das Amt eines Greven. Die Zahl der verwertbaren Karrieren in der Schneidergaffel ist indes ebenfalls überschaubar: Thies Kirchrad war 1578, 1582 und 1586 Baumeister. Während für Kirchrad selbst keine prosopographischen Informationen zu ermitteln sind, sind sowohl reformierte als auch katholische Männer gleichen Familiennamens bekannt. Der Katholik Wynand Schmitz war in den Jahren 1582, 1588, 1590 und 1592 Baumeister. Schmitz schied aus dem Stadtrat zwischen 1580 und 1594 nur turnusmäßig nach jeweils zwei aufeinander folgenden Jahren im Kleinen oder Großen Rat aus. Seine Karriere in Gaffel und Rat ist ein Beispiel dafür, dass einige katholische Bürger sich auch in politischen Krisenzeiten nicht vom protestantisch dominierten Rat distanzierten. Das Ende beider Karrieren erklärt sich durch Schmitz’ Tod während der Ratsperiode 1594/95. Die längste Karriere als Baumeister der Schneidergaffel kann im Untersuchungszeitraum Emont Wyler aufweisen (Baumeister 1591, 1593, 1595, 1601, 1603, 1605, 1607 u. 1614). Seine regelmäßige Rückkehr in das Amt in der Zeit des ersten restituierten katholischen Regiments weist ihn als Katholik aus. Eventuell gehörte er zur Familie Wilre, von der mehrere Mitglieder bis 1598 in der katholischen Oppositon aktiv waren. Zu beachten ist zum einen seine Amtsführung über die Verkündigung des kaiserlichen Endurteils von 1593 hinaus und zum anderen die Koinzidenz des Endes seiner Gaffelkarriere mit der innerstädtischen Krise von 1608. Die reformierten Schneider-Baumeister Lambrecht [Lambert] Kip (1585, 1587 u. 1593), Lambrecht von Lohn (1585, 1587 u. 1593) sowie Peter Kobrae (1595, 1597 u. 1612) zeigen mit der Verteilung ihrer Amtszeiten, wie parallel zu der Entwicklung im Rat seit 1584 eine neue Gruppe vom Amtsträger in Gaffelämter gelangte. Dahingegen beschränkten sich die Amtszeiten der Katholiken Merten von Creutz (1604 u. 1616), Conrad Coemans (1604, 1606 und 1610), Jan Meporß [Meners] (1608–1610) und Lammert von Sygen auf die Zeit der katholischen Regimenter nach 1598 und 1614. Simon von Berg und Servaes von Immendorf, die wiederum nur zwischen 1611 und 1614 Baumeister waren, waren wahrscheinlich Protestanten. Zu den Personen Wolter Pettersen (1583 u. 1585), Klaes Lontzen (1591 u. 1601) konnte nichts ermittelt werden, das ihrer Karriere in der Gaffel eine weitergehende Aussagekraft verliehen hätte.

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sichtbaren Einschnitten bei der Ämtervergabe. Nach 1581/82 sind Unterbrechungen der Amtskarrieren katholischer Baumeister zu beobachten. 1584 begann eine Reihe von Reformierten, das oberste Zunftamt zu besetzen. Dieselben Männer zogen in diesem Zeitraum auch erstmals in den Rat ein. Wie im Rat war aber auch die Verlagerung der konfessionellen Machtverteilung in der Gaffel nicht absolut. Nach 1584 nahmen katholische Schneider, die in der Krise der beginnenden 1580er Jahre zunächst nicht mehr gewählt worden waren, wieder Ämter ein und füllten sie scheinbar auch neben reformierten Amtskollegen konfliktfrei aus. Die Schneidergaffel schritt den Tendenzen zur reformierten Majorisierung des Rats in keinem Fall voran, indem die Gaffelmitglieder etwa frühzeitig darauf verzichtet hätten, katholische Genossen zum Baumeistern zu wählen oder indem sie darauf gedrängt hätten, ein rein reformiertes Kollegium an der Spitze der Zunft zu konstituieren. Im Gegenteil können die Amtsperioden verschiedener katholischer Baumeister vorsichtig dahingehend gedeutet werden, dass konfliktfreie politische Zusammenarbeit von Katholiken und Reformierten in den Gaffeln noch länger und weitgehender möglich blieb als im Rat. Die Wahl des reformierten Matthias Wettem zu einem der Baumeister des Jahres 1599 und ein Jahr später könnte sogar weitergehend dahin gedeutet werden, dass die Schneider die konfessionelle Zugehörigkeit ihrer Mitglieder bei den Ämterwahlen in einigen Fällen völlig außer Acht ließen. Schließlich nahmen die Gaffelgenossen hin, dass sie mit der Wahl Wettems gegen die Bestimmungen Kaiser Rudolfs II. zur Restitution des katholischen Regiments in Aachen verstießen.80 Abgesehen von Wettems Amtszeiten nach 1598 stellten die abrupten innerstädtischen Machtwechsel dieses Jahres sowie der Jahre 1611/12 und 1614 aber die deutlichsten Umbrüche in der Ämterbesetzung der Schneider dar. Insbesondere wurden zwischen 1598 und 1611 sowie nach 1614 eine Reihe von Katholiken Baumeister, die das Amt in keinem anderen Zeitabschnitt besetzt hatte. Zwischen 1611 und 1614 wählten die Schneider protestantische Amtsträger die auf keine Karriere in der Gaffelführung zurückblicken konnten – im deutlichen Kontrast zu der Zeit zwischen 1580 und 1598, während derer das politische Leben der Gaffeln weitgehend konfliktfrei von Angehörigen verschiedener Konfessionsgruppen gestaltet wurde. Wenn die Verhältnisse in der Schneidergaffel auch etwas über das Wahlverhalten der anderen Aachener Gaffeln aussagen, dann trugen die Gaffeln zwar ihren Teil zu Verschiebung der konfessionellen Mehrheitsverhältnisse im Aachener Rat bei, sie regten darüber hinaus aber wahrscheinlich keine einschneidende konfessionelle Polarisierung der Politik an. Waren es stattdessen die protestantischen Konfessionskirchen, die in den Rat hin80

Siehe oben S. 195.

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ein regierten? Welche Bedeutung hatte es, dass immer wieder führende Mitglieder der reformierten Konfessionskirche in den Rat einzogen? Nicht nur eine Reihe von reformierten Bürgermeistern, hatte vor ihrer Wahl in das reichsstädtische Amt im Presbyterium der deutsch-reformierten Kirche gesessen, sondern auch Mitglieder des Großen und Kleinen Rates waren gestaltend in ihrer Kirche aktiv. Über diese allgemeine Feststellung hinaus ist zu beobachten, dass besonders diejenigen reformierten Männern, welche ihre Kirche durch langjährige und intensive Mitarbeit auch außerhalb ihrer Amtsperioden als Älteste mit gestalteten, auch lange Karrieren im Rat vorweisen konnten und als Kleinratsherren oder Amtsträger Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen konnten. Mehrere Älteste die schon zu Beginn der 1580er Jahre und davor eine führende Rolle in der deutsch-reformierten Kirche gespielt hatten, wurden in den Jahren 1582 bis 1584 vermehrt Mitglieder des Stadtregiments und blieben es bis zur Restitution von 1598.81 Die reformiert-kirchliche Führungsgruppe war aber mit der reformierten Konfessionsgruppe im Rat keinesfalls identisch. Eine Reihe von reformierten Ratsherren und Amtsträgern, die eine beträchtliche Anzahl von Jahren im Stadtregiment vorweisen konnten, lassen sich nicht als Funktionsträger der Kirchengemeinde nachweisen. Umgekehrt nahmen einige – wenn auch wenige – Älteste die beträchtliche Arbeit in der reformierten Konfessionskirche leisteten niemals einen Ratssitz oder ein städtisches Amt an.82 Die reformierte Gemeinde und ihre Führung darf somit trotz der personellen Überschneidungen mit den Handlungsträgern der städtischen Obrigkeit nicht als Inkubationsstätte für eine reformiert-konfessionalistische Politik betrachtet werden. Die Überschneidungen zwischen Rat und reformierter Konfessionskirche werfen kein neues Licht auf die konfessionelle Prägung des Stadtregiments zwischen 1580 und 1598. Sie bestätigen lediglich, dass Konsistoriale und Ratsherren der reformierten Konfessionsgruppe sich in der Zeit des protestantisch dominierten Stadtregiments aus demselben Kreis von Bürgern rekrutierten. Auf die Frage, inwieweit das Aachener Stadtregiment zwischen 1580 81 Entsprechend verliefen bspw. die Karrieren von Emondt Schardinel (Der kurze Vermerk zur Person bei Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 111 weist lediglich auf die Ratsmitgliedschaft 1580 hin.), Jost von Beeck und Johann von Gangelt in Rat und Kirche. 82 Das auffälligste Beispiel hierfür liefert Aegidius Roß, der zwischen 1592 und 1598 immer wieder für das Ältestenkonsistorium der deutsch-reformierten Kirche arbeitete, aber niemals in den Stadtrat gewählt wurde. Frambach Lull war ebenfalls, trotz einer langen Karriere in der deutsch-reformierten Kirche, die von 1577 über die katholische Restitution hinaus bis 1604 andauerte, niemals Ratsherr. Dabei verraten die Konsistorialprotokolle für die Zeit von 1595 bis 1604, dass Lull zu den aktiveren Mitgliedern der Kirchenleitung gehörte. Vgl. zu Lull auch: Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 276.

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und 1598 konfessionell geprägt war, ist insgesamt zu antworten, dass die Wirklichkeit der städtischen Obrigkeit über den gesamten Zeitraum hinweg ihrem Anspruch entsprachen, einen überkonfessionellen Magistrat zu stellen und den politisch berechtigten Bürger reformierter, lutherischer und katholischer Konfession eine weitgehend friedliche politische Zusammenarbeit zu ermöglichen. An diesem Konzept hielten die Handlungsträger in Rat und Regierung über die Krisen um die Ratsspaltung von 1581 und die kaiserliche Urteilsverkündung von 1589 und 1593 hinweg prinzipiell fest. Die veränderte Beteiligung der verschiedenen Konfessionsgruppen am Stadtregiment deutet zwar darauf hin, dass das politische Zusammenleben sowohl von reformierten und katholischen als auch von reformierten und lutherischen Bürgern seit Beginn der 1590er Jahre schwieriger wurde; der Magistrat orientierte sich aber weiterhin am konfessionellen Konsens. Die Konfessionsgruppen im Rat trugen keine religionspolitischen Machtkämpfe aus und die zunächst protestantische, dann reformierte Mehrheit nutzte ihre Position nicht für eine Religionspolitik aus, die lediglich ihrer eigenen Konfession zu Gute gekommen wäre. Auch die die Beziehungen zwischen Rat, Gaffeln und Gemeinde waren bis 1598 nicht übermäßig von Konfessionskonflikten belastet. 3.1.2 Möglichkeiten und Grenzen der obrigkeitlichen Religionspolitik in der Reichsstadt Aachen Die ältere Forschung hat dem ‚protestantischen‘ Rat der knapp zwanzig Jahre vor 1598, eindeutig die Absicht zur Reformation zugeschrieben, während sie mit der Restitution des katholischen Rates das Zeitalter der Gegenreformation in Aachen gekommen sah. Die bisher diskutierten Befunden zu den außenpolitischen Auseinandersetzungen über die Causa Aquensis und die politische Stellung der reichsstädtischen Magistrate in Aachen haben hingegen gezeigt, dass die Entscheidung für ein Bekenntnis und dessen Kirche, in deren Sinne die Stadt konfessionell hätte vereinheitlicht werden können, sowohl wegen innen- als auch wegen außenpolitischer Einflüsse nicht ohne Weiteres umzusetzen war. Offensichtlich wurde eine solche Entscheidung vom politisch bestimmenden Teil der Bürgerschaft auch nicht gewünscht oder für nötig gehalten. Die Träger des protestantisch dominierten Stadtregiments – Reformierte, Katholiken und Lutheraner – erkannten keinen absoluten ‚Zwang zur Konfessionalisierung‘. Religionspolitische Mittelwege, die sich angesichts dieser Voraussetzungen anzubieten schienen, waren ebenfalls nicht ohne Widerstände durchzusetzen. Neben denselben Zwängen und Diskussionen, die auch zur Durchsetzung einer monokonfessionellen Reformations- oder katholischen Reformpolitik zu überwinden waren, kam für den Versuch eines dritten Weges erschwerend

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hinzu, dass die Konfessionsbildung der reformierten und lutherischen Kirche in Aachen 1580 bereits weit fortgeschritten war. Die Konfessionskirchen standen einander und der katholischen Kirche in Lehre, Frömmigkeit und Organisationsform soweit abgegrenzt gegenüber, dass der Übergang in eine reichsstädtische, kommunale Vermittlungskirche sehr schwer fallen musste.83 Wollte das Stadtregiment das Religionsleben in der Stadt also überhaupt regeln und so ein kommunales, obrigkeitliches Kirchenwesen schaffen, musste es bei der Ordnung der Religiosität jeder einzelnen der drei Konfessionskirchen und bei deren Verhältnis zueinander ansetzen. Dazu standen ihm einige Optionen offen, die aber jeder für sich auch zu spezifischen Widerständen und Grenzen führten. 3.1.2.1 Keine trikonfessionelle Kirchenordnung – Obrigkeitliche Regeln zum Aachener Religionswesen Die zwischenkirchlichen Verhältnisse begann das Stadtregiment sehr zurückhaltend durch allgemeine Bestimmung zu regeln, die im wesentlichen in dem prominenten, auch regional- und reichspolitisch diskutierten Edikten von 1574 und der Freigabe des evangelischen exercitium publicum 1583 enthalten waren. Der Rat änderte seine Religionspolitik, nach der Krise der Jahre 1580 bis 1584 und mit Beginn der Zeit protestantisch dominierter Räten nicht radikal. Er blieb bei seinem seit der Wiederzulassung der Augsburger Konfessionsverwandten Bürger zu Rat und Ämtern grundsätzlich unveränderten religionspolitischen Konzept: Der protestantische Rat wollte Garant für Sicherheit, Frieden und Wohlstand aller Bürger und – was immer wieder ausdrücklich betont wurde – auch Patron der katholischen Kirche in Aachen sein. Das Stadtregiment konnte also nicht in üblicher Weise als christliche Obrigkeit wirken, die sich um die religiöse Verbesserung der Bürgergemeinde als Sakralgemeinschaft oder corpus christianum im kleinen bemühte.84 . Bürgermeister und Rat hatten deswegen aber keine säkulare Vorstellung vom Charakter der Reichsstadt Aachen, ihrer Bürgergemeinschaft und von sich selbst – der reichsstädtischen Obrigkeit. Sie betonten, dass Religion 83 Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitte 3.1.3.1. Unter anderen Voraussetzungen hätte in Aachen eine erasmianische via media Anklang finden können, wie sie in den benachbarten Jülicher Territorien eine Zeit lang nicht ohne Einfluss war. Vgl. dazu als jüngere einschlägige Arbeit mit Verweisen auf die ältere Literatur Helbich, „Von allem schelden der alden oder nuwer lere sich gentzlich enthalden“. 84 Das Konzept der Stadtgemeinde als corpus christianum ist grundlegend für die Interpretation von Moeller, Reichsstadt und Reformation.

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und Gottesdienst neben Sicherheit, Frieden und Wohlstand das wichtigste Gut seien, dass der Magistrat seinen Bürgern zu sichern habe.85 Der Rat musste die christliche Religion allerdings nicht in Form einer einheitlichen Aachener Magistratskirche schützen, sondern in Form dreier einzelner und weitgehend autonomer Konfessionskirchen. Die Bestimmungen der religionspolitischen Edikte beschränken sich auf Garantien für den Bestand der katholischen Kirche auf der einen Seite und für die religiösen Freiheiten der Augsburger Konfessionsverwandten auf der anderen Seite. Für keine der Konfessionskirchen wurden ausdrücklich Institution, Lehren oder religiöse Praktiken bestimmt, auf welche sich die Garantie des Magistrats beziehen sollte, die Religion und ihre Anhänger in der Aachener Bürgerschaft zu schützen. Am nächsten kam die häufig wiederholte Wendung, die katholische Kirche solle in ihren Rechten, ihrem Besitz und ihren Bräuchen nicht geschädigt sondern geschützt werden, einer positiven Erklärung über Umfang und Ziel der obrigkeitlichen Religionspolitik. Sie war aber weit von dem entfernt, was die Magistrate evangelischer Reichsstädte ‚ihren‘ Kirchen an Ordnungen vorschrieben und hatte auch wenig mit den Ansprüchen und Einflüssen zu tun, mit den katholische Stadtregimenter sich konfessionalisierende reformkatholische Institutionen in den Grenzen ihrer Kommunen konfrontierten. Der Rat machte keine generellen Auflagen zur Gestaltung der katholischen, reformierten oder lutherischen Kirchen. Auch die religiösen Aspekte des gesellschaftlichen Lebens der Bürgergemeinde insgesamt ordnete die städtische Obrigkeit allenfalls rudimentär. Die Religionspolitik des protestantisch dominierten Rates und seiner Nachfolger lässt sich geradezu dadurch charakterisieren, dass die Maßnahmen katholischer oder evangelischer Reform in ihrer üblichen Form unterlassen wurden: In konfessionell eindeutiger Form wurde weder das Verhältnis von Kirchen, Klerikern und Stadtgemeinde neu geordnet, noch wurde die religiöse und sittliche Gerichtsbarkeit von Seiten des Rates konfessionell reformiert; auch die theologisch, dogmatische Ausrichtung der Kirchen, der Gottesdienst und das religiöse Schulwesen sowie das in der christlichen Religion fundierte städtische Armenwesen ordnete die Obrigkeit nicht wie in konfessionell homogenen Städten.86 Diese oberflächlichen Unterschiede zwischen der Aachener Religi85 So unter anderem in der Rechtfertigungsschrift des protestantischen Rates für die Stände auf dem Frankfurter Wahltag von 1612, StAAa, RA II Allg. Akt. 869, f. 78v oder im selben Jahr in der Antwort des protestantisch dominierten Stadtregiments auf die Proposition der kaiserlichen Kommission vom 3. Dezember 1612, StAAa, RA II Allg. Akt. 868, f. 53r. 86 Hamm, Bürgertum und Glaube, hier: S. 73–76 u. 81–82 macht in den Bemühungen von Obrigkeit und Gemeinde, das gesellschaftliche und religiöse Leben in eben diesen

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onspolitik und derjenigen von Magistraten in eindeutig konfessionalisierten oder formal bikonfessionell verfassten Städten geben für sich genommen noch keinen Aufschluss über die Strategie, mit der der Aachener Rat das Zusammenleben der Konfessionsgruppen zu stabilisieren versuchte. Dazu ist ein detaillierterer Blick auf die klassischen Felder der Religions-, Reformations- und Konfessionalisierungspolitik nötig: Die kirchliche Organisation, die gottesdienstliche Versorgung, Theologie und Dogma, Religions-, Sitten- und Friedensgerichtsbarkeit sowie die Gestaltung von Schulwesen und Armenfürsorge. Das Verhältnis von Bürgerschaft und Weltklerus wurde nicht neu geregelt: Der protestantisch dominierte Rat fasste keine Grundsatzentscheidung zu den bürgerlichen Pflichten katholischer Geistlicher. In bedeutenderen evangelischen Reichsstädten war die volle Steuerpflicht und die grundsätzliche Wehrpflicht für den Stadtklerus in der Regel spätestens mit der Durchsetzung des protestantischen Kirchenwesens eingeführt worden. Häufig waren die Kleriker schon vor der eigentlichen Reformation, im Zuge der allmählichen Ausweitung der Kirchenhoheit des Magistrats in den Rechtsstatus von Bürgern und Untertanen des Rates überführt worden.87 Auch katholische Städte waren in der Regel bestrebt, den Weltklerus weitgehend in die städtische Gemeinschaft zu integrieren und ihn der städtischen Obrigkeit zu unterstellen.88 In Aachen wurde derartiges weder durch die protestantisch dominierten Räte noch durch ihrer katholischen Nachfolgerregimenter erreicht. Besonders in den Jahren 1581 bis 1598 zeigten sich Bürgermeister und Rat zwar keines falls gleichgültig gegenüber dem Problem, dass sich nicht nur der Welt- und Ordensklerus sondern auch die ‚Untertanen‘ verschiedener katholisch-kirchlicher Institutionen weitgehend ihrem Einfluss entzogen, sie handelten mit den betroffenen Institutionen und Personen aber von Fall zu Fall Lösungen aus, anstatt das Verhältnis zwischen weltlicher Obrigkeit und Geistlichkeit grundsätzlich neu zu ordnen. Der häufigste Verhandlungspartner in solchen situationsbezogenen Aushandlungen war das Marienstift. Der Aushandlungsprozess zwischen dem protestantisch dominierten Magistrat und dem Domkapitel wurde dabei an einigen Stellen Bereichen zu ordnen und zu intensivieren, den Kern jener Tendenz zur „Normativen Zentrierung“ aus, welche die Stadtreformation bestimmt habe. 87 So hebt Hamm, Bürgertum und Glaube, hier: S. 98 hervor, dass die Städte mit der Art und Weise, wie die Kleriker in den Bürgerverband integrierten, auch für landesfürstliche Reformationen Vorbild gewesen seien. 88 Wilfried Enderle, Konfessionsbildung und Ratsregierung in der katholischen Reichsstadt Überlingen (1500–1618) im Kontext der Reformationsgeschichte der oberschwäbischen Reichsstädte. Stuttgart 1990, hier: S. 206 kommt beispielsweise für Überlingen zu dem Ergebnis, dass sich die Stellung des dortigen Klerus in der Stadtgemeinde praktisch nicht von der der Geistlichen in protestantischen Städten unterschieden habe.

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dadurch belastet, dass dem Stadtregiment verschiedentlich zugeschrieben wurde, dezidiert protestantisch und antikatholisch ausgerichtet zu sein. Er funktionierte aber insgesamt zufriedenstellend, sodass das Verhältnis zwischen weltlicher Obrigkeit und katholischer Kirche nicht in Frage gestellt werden musste.89 Unter dem restituierten katholischen Rat blieben Spannungen und einzelne, begrenzte Konflikte zwischen städtischer Obrigkeit und dem Marienstift alltäglich. Auch das spricht dafür, dass die kleineren Konfrontationen zwischen Rat und Kapitel in den Jahren 1581 bis 1598 keiner konfessionalistischen Handlungsweise der Akteure geschuldet waren. Die konfessionsunabhängige Ratspolitik gegenüber den Konfessionskirchen und insbesondere gegenüber den katholisch-kirchlichen Institutionen der Stadt erstreckte sich nicht nur auf die Rechte und Pflichten von Klerikern, Klöstern und Stiftskirchen, sondern betraf auch die materiellen Grundlagen der Kirchen. Dass es in Aachen zu keinerlei systematischer Umwidmung katholischen Kirchenguts zu Gunsten der protestantischen Kirchen oder zu Zwecken der kommunalen Armenfürsorge oder Schulbildung kam, ist eine bemerkenswerte Tatsache. Sie deutet entschieden darauf hin, dass für Aachen keines falls von einer evangelischen Reformation die Rede sein sollte. Daneben verweist sie aber auf einen weiteren überkonfessionell konstanten Aspekt der obrigkeitlichen Religionspolitik in Aachen: Kein Magistrat im Untersuchungszeitraum erließ neue Auflagen zum kirchlichen Besitz in der Stadt. Weder beschränkte die Obrigkeit die Ausweitung dieses Besitzes auf Kosten von Gemeinde oder Rat, noch veränderte sie den Status den kirchlicher Besitz im Vergleich zu Eigentum der Stadt oder von Privatleuten hatte. Die schon länger bestehenden Ratsedikte, durch die verhindert werden sollte, dass katholisch-kirchliche Institutionen weitere Grundstücke und Immobilien der Besteuerung durch die weltliche Obrigkeit entziehen konnten, wurden nicht angetastet – weder durch den protestantisch dominierten Rat, um sie zu verschärfen noch durch die katholischen Magistrate, um der katholischen Kirche die Expansion zu erleichtern.90 Als die Jesuiten sich 1599 dauerhaft in Aachen ansiedelten und der katholische Rat erlaubte, ihren neuen Besitz in der Stadt der ‚Toten Hand‘ zu zuführen, war das kein Paradigmenwechsel der Ratspolitik, sondern eine Ausnahmeregelung, die durch die Abhängigkeit des neuen Rates von auswärtigen Akteuren erzwungen wurde.91 Die protestantische Opposition übte später Kritik an 89

Vgl. S. 363. Vgl. Hans-Jörg Gilomen, Städtische Sondergruppen im Bürgerrecht. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250–1550), in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.), Neubürger im späten Mittelalter. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft, Bd. 30.) Berlin 2002, S. 125–167, hier: S. 160–166 zur Bedeutung der Besteuerung von Geistlichen für deren Integration in den städtischen Bürgerverband. 91 Vgl. Pohle, Aachen – Jesuiten, hier: S. 69 mit weiterer Literatur. Zu den an die 90

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den Zugeständnissen des katholischen Rats gegenüber den Jesuiten. Sie ordnete die finanzielle Unterstützung der Jesuiten bezeichnender Weise nicht bei den Vergehen ein, die das katholische Regiment aus religiösen und konfessionalistischen Motiven gegen die evangelische Bürgerschaft begangen habe, sondern stellt sie als Verstoß gegen die allgemeinen Regeln guter Regimentsführung dar.92 Zwar waren die Akteure der reformierten oder lutherischen Interessengruppe generell bemüht, auch konfessionelle Konflikte als profane und politische darzustellen. Dass sie selbst im Zusammenhang mit den Jesuiten, die sie jeder Zeit offen als Feinde ihrer Konfession und der städtischen Gemeinschaft angriffen, den allgemeinen überkonfessionellen Wert der traditionellen Ratspolitik in Bezug auf kirchlichen Besitz hervorhoben, kann dennoch belegen, wie anhaltend und eigenständig dieses Konzept reichsstädtischer Ordnungspolitik über die religionspolitischen Brüche hinweg wirkte. Der Umgang der reichsstädtischen Obrigkeit mit dem Besitz der protestantischen Kirchen war während des Konfessionellen Zeitalters nicht annähernd so konstant. Vor 1574 waren die Orte, an denen sich Reformierte und Lutheraner zu ihren Gottesdiensten versammelten, geheim. Ihre Preisgabe hätte die Gemeinden oder zumindest ihre Prediger der Verfolgung durch den Rat ausgesetzt. An eine rechtlich privilegierte Stellung protestantischen Kirchenbesitzes war also nicht zu denken. Der Status der Grundstücke und Immobilien, die für die reformierte und lutherische Konfessionskirche in Aachen von Bedeutung waren, änderte sich allerdings auch nach 1574 und selbst nach 1583 nicht grundlegend. Für die protestantischen Kirchen eröffnete sich mit der Duldung und der schließlich durchgeführten offiziellen Freigabe der öffentlichen Religionsausübung die Möglichkeit ihre, Predigthäuser dauerhaft für ihre Gottesdienste einzurichten, ohne sich über Geheimhaltung ihrer religiösen Versammlungsorte zu sorgen. Die ‚Hauskirchen‘ und Predigthäuser konnten dauerhaft im Eigentum einzelner Gemeindemitglieder gehalten werden und wurden faktisch Besitz der Konfessionskirchen selbst. Eine besondere rechtliche oder wirtschaftliche Behandlung durch das protestantisch dominierte Stadtregiment erhielten die protestantischen Kirchenbauten deswegen nicht. Während der politischen Auseinandersetzungen um den versuchten reformierten Kirchenbau am Ende der 1580er Jahre zeigte das Stadtregiment deutlich seine HalJesuiten übergebenen Immobilen zusammenfassend Brecher, Die Kirchliche Reform, hier: S. 354. 92 Vgl. „Verzeichnuß deßen das die gemeinte dato den 7. July 1611 durch ihre abgesandtenn mundtlich vortragen lassen“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 73r. Ähnlich: „Verzeichnuß etzlicher beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], ebd., f. 80v–81r.

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tung gegenüber Bauten der protestantischen Konfessionsgemeinschaft: Zwar schritt es nicht unmittelbar gegen das Bauvorhaben der Reformierten ein, doch war es zu keinem Zeitpunkt bereit, das Bauvorhaben politisch in Schutz zu nehmen oder gar finanziell zu unterstützen. Der katholische Rat maß dem evangelischen Kirchenbauten folglich keine besondere Bedeutung für seine Rekatholisierungsbemühungen bei. Das wichtigste Predigthaus der Große Klüppel wurde beschlagnahmt. Es diente zunächst als Privathaus und wurde zeitweilig auch einem Schulmeister zur Nutzung überlassen. Nach der endgültigen katholischen Restitution 1614 nutzte das Stadtregiment den Klüppel länger Zeit als Lagerhaus und Ort der städtischen Waage.93 Anders als reformierte und lutherische Prediger, waren Gebetshäuser und Versammlungsorte in den ersten Jahren nach der Restitution kein bevorzugtes Ziel der gegenreformatorischen Bemühungen des Rates. Die Beschlagnahmung und Umwidmung des Großen Klüppels begründete der Rat nicht mit der Notwendigkeit, das Religionsleben außerhalb der katholischen Kirche in der Stadt zu unterbinden, sondern führte sie ohne besondere Hervorhebung zusammen mit der Beschlagnahmung von Vermögenswerten verschiedener reformierter und lutherischer Bürger durch, denen im Zuge des Restitutionsprozesses Geldstrafen auferlegt worden waren. Der protestantisch dominierte Rat und das ihm nachfolgende katholische Regiment hatten aber offensichtlich Anlässe für Konflikte mit den protestantischen Konfessionsgruppen gegeben, indem sie sich weigerten zwischen den Orten des protestantischen Religionslebens und gewöhnlichen Privathäusern zu differenzieren: Während der politischen Auseinandersetzungen der Jahre 1611 bis 1614 hatte die evangelische Bürgerschaft den Aufstand des Jahres 1611 nachträglich unter anderem damit gerechtfertigt, dass die Verhältnisse unter dem katholischen Rat für alle Protestanten in der Stadt unerträglich geworden seien, weil sie die Einschränkungen, die ihnen der Magistrat für ihr Religionsleben auferlegte nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten. An erster Stelle stand unter diesen Einschränkungen die Schließung der protestantischen Predigthäuser nach 1598. Nicht nur seien die Häuser für den Gottesdienst geschlossen worden und den Kirchen entzogen worden, sondern der katholische Rat habe sich dabei auch besonders strafwürdigen Verstößen gegen christliche Grundwerte schuldig gemacht. Nach der Enteignung des Großen Klüppels sei das dort vorhandene Inventar demoliert und sogar Bibeln seien verbrannt worden. Nicht erst mit diesem Vorwurf, sondern schon mit der Besetzung des Klüppels in den ersten Tagen des Bürgeraufstands von 1611 hatten reformierte Bürger Aachens ein deutliches Zeichen gesetzt, welche Bedeutung sie ihren Predigthäusern zumaßen. 93

Vgl. Macco, Das Haus Klüppel, hier: S. 9.

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Diese Wertschätzung für den Klüppel und seine Entsprechungen für die lutherische Konfessionsgruppe teilten die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft fast ebenso wenig wie der suspendierte katholische Rat. Sie distanzierten sich ausdrücklich davon, die Übernahme der Predigthäuser durch die aufständischen Bürger unterstützt oder auch nur gutgeheißen zu haben. Auch das 1614 restituierte katholische Regiment wies nicht nur den Vorwurf der evangelischen Bürgerschaft zurück, im Verlauf der Restitution von 1598 seien Bibeln verbrannt worden, sondern behauptete auch, die Protestanten in Aachen seien niemals in Besitz von regelrechten Kirchen gewesen. Sie hätten lediglich zu verschiedenen Zeiten widerrechtlich in Privathäusern ihre Gottesdienste abgehalten.94 Damit lag es auf einer Linie mit den protestantisch dominierten Regimentern, welche zwar die öffentliche Religionsausübung für die Aachener Protestanten freigegeben hatten, aber die Predigthäuser der reformierten und der lutherischen Gemeinde nie in den Stand von Kirchen erhoben hatten. Genauso wenig wie in die personelle, rechtliche und materielle Ausstattung der Kirchen griff der Rat in die religiöse Versorgung seiner Bürger ein: Edikte zur Einrichtung von Predigerstellen und zu deren Ausstattung wurden nicht erlassen und Lebenswandel und Ausbildung der Prediger wurden nicht obrigkeitlich kontrolliert. Erst nach 1614 und auf Druck der kaiserlichen Bestimmungen zur zweiten Restitution des katholischen Stadtregiments, begann der Rat die Pfarrer an drei der vier Hauptkirchen St. Foillan, St. Peter, St. Adalbert und St. Jakob mit einem regelmäßigen Zuschuss zu ihren Einkünften zu unterstützen.95 Zuvor war die gottesdienstliche Versorgung der Aachener Katholiken sowohl unter protestantisch dominierten als auch unter katholischen Räten außergewöhnlich unabhängig von der städtischen Obrigkeit gewesen.96 94 Vgl. „Bericht wie es umb alsolche Clagen bewandt, so der Röm: kay:n Maytt:n unserem Allergenedigsten herrn, wider Burgermeister, Scheffen und Rath, deß königlichen stuls und statt Aach underm Nahmen unnd titul, der Correspondirenden Chur: fursten unndt stendt den Reichs jungstlich nacher Nurnberg Abgeordneter Räth, pottschafften, unnd gesanten zugeschickt“, StAAa, RA II 868, f. 79r bis 89v. 95 Vgl. dazu ausführlich Planker, Die Besoldung der Aachener katholischen Pfarrer im 17. Jahrhundert, hier: S. 290–294. 96 Vgl. beispielsweise die Ausführungen von Enderle, Konfessionsbildung und Ratsregierung in der katholischen Reichsstadt Überlingen (1500–1618) im Kontext der Reformationsgeschichte der oberschwäbischen Reichsstädte, hier: S. 207–208. Inwieweit der durch seine Verwaltung der Ratskapelle und der im Rahmen der siebenjährigen Heiligtumsfahrt bedeutenden Ungarnkappelle Einfluss auf das katholische Kirchenleben nahm lässt sich nicht sagen. Details über die Verwaltung der Ungarnkapelle sind erst für das 17. Jahrhundert überliefert – vgl. Frank Pohle, Die Ungarische Kapelle des Aachener Münsters in der Gegenreformation, in: Ungarn Jahrbuch. Zeitschrift für interdisziplinäre Hungarologie 28 (2005–2007), S. 377–395, hier: S. 379.

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Dass protestantische Prediger auf Betreiben des Rates in Aachen hätten tätig werden können, stand ausschließlich während der politischen Krisenjahre 1580 bis 1584 zur Debatte. Im Januar 1583 baten Bürgermeister und Rat unter anderem Pfalzgraf Johann Casimir, zwei Prediger nach Aachen zu schicken, deren Bekenntnis und Lehre auf dem Boden der Augsburger Konfession standen.97 Der Versuch des Rates, das protestantische Religionsleben in Aachen durch die systematische Anwerbung von Predigern aus führenden protestantischen Territorien zu verbessern, blieb eine kurze Episode. Noch im Frühjahr 1583 änderte sich der politische Rahmen für solche Bemühungen, weil Rudolf II. den Entscheidungsprozess der Causa Aquensis forcierte, und alle protestantischen Fürsten ihre Engagement in der ‚Aachener Sache‘ überdenken mussten. Auch wenn ein kaiserliches Urteil noch einmal abgewandt wurde, zwang die gemischtkonfessionelle Kommission von 1584 das protestantisch dominierte Stadtregiment und seine politischen Partner zur Revision ihrer religionspolitischen Konzepte für Aachen. Auch der erneute Konfessionswechsel der Kurpfalz nach dem Tod Pfalzgraf Ludwigs im Herbst 1583 musste alle gemeinsamen Bemühungen der Kurpfalz und der Hessischen Landgrafen, bei denen der Aachener Rat ebenfalls um die Entsendung von Predigern gebeten hatte, um die Aachener Kirche unterbrechen. Abgesehen davon bildete die Initiative des Rates schon im Januar 1583 nicht einmal einen Ansatz oder eine Grundlage für eine obrigkeitlich geregelte gottesdienstliche Versorgung der Aachener Protestanten: Als sich Bürgermeister und Rat mit der Bitte um die Entsendung von Predigern an Pfalzgraf Johann Casimir sowie in der Folge auch an den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und die Landgrafen Wilhelm und Ludwig von Hessen wandten, verfolgten sie damit keinen konkreten Plan, eine evangelische Ratsreformation in Aachen einzuführen. Offenbar wollten sie unmittelbar nach der Freigabe der öffentlichen Religionsausübung vor allem die gottesdienstliche Versorgung der evangelischen Bürger sicherstellen, ohne damit den Grundstein für eine evangelische Aachener Magistratskirche zu legen. Dieses Projekt hätte das Stadtregiment wenn überhaupt nur dann umsetzen können, wenn es an die vorangegangenen Entwicklungen der protestantischen Konfessionskirchen angeknüpft hätte und mit diesen Kirchen zusammengearbeitet hätte. Tatsächlich beteiligte sich weder die 97 Vgl. Daniel Tossanus an die Prediger der reformierten Gemeinde in Aachen, Lautern 10. Januar 1583, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde. Etwa zur selben Zeit bat der Rat auch Pfalzgraf Ludwig VI. sowie die Landgrafen Wilhelm und Ludwig von Hessen um die Entsendung von Predigern. Vgl. insgesamt zu diesem Zusammenhang die in Die Sendung lutherischer Prediger nach Aachen 1583, HStAM, 4f Staaten A, Aachen 29 überlieferte Korrespondenz.

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deutsch-reformierte noch die lutherische Kirche, an der Werbung um Prediger aus der Kurpfalz und Hessen. Im Gegenteil hinderte die Haltung dieser beiden bestehenden lokalen Konfessionskirchen zu dem Vorhaben letztlich entscheidend dessen Erfolg: Der Hofprediger Pfalzgraf Johann Casimirs wandte sich bald nach Beginn der Diskussion, ob Prediger aus führenden protestantischen Territorien nach Aachen kommen solten, direkt an die deutsch-reformierte Gemeinde.98 Er vertrat gegenüber den Aachener Reformierten die Position seines Fürsten. Johann Casimir sah sich außer Stande, dem Aachener Rat, der seiner Meinung nach zerstritten war, wegen der Anstellung evangelischer Prediger weiter zu beraten. Seine vorherigen Ratschläge in dieser Sache, deren Inhalte heute nichtmehr festgestellt werden können, habe die Aachener Obrigkeit ausgeschlagen. Deswegen hatte Johann Casimir, wie er am 13. Januar 1583 seinem Rat und Feldherren Fabian von Dohna schrieb, Tossanus mit der weiteren Korrespondenz mit den Aachenern beauftragt.99 Der reformierte Prediger hatte sich daraufhin offenbar zuallererst an die deutsch-reformierte Gemeinde gewandt. Er ließ die Ältesten und Prediger wissen, dass es Johann Casimir schwer gefallen sei, die Bitte des Aachener Rates um die Entsendung von Predigern einzuordnen, weil daraus nicht hervorgegangen sei, ob das Anliegen mit der deutsch-reformierten Kirche besprochen und koordiniert war. Der Pfalzgraf und sein Prediger kritisierten die Idee, eine reformierte Konfessionskirche in Aachen unter pfälzischer Führung aufzubauen, aber auch unabhängig davon, ob sie mit oder ohne die Unterstützung der in der Stadt bereits gefestigten Konfessionsgruppe umgesetzt wurde. Tossanus ermahnte die Aachener zu bedenken, dass sie das evangelische Grundrecht der Gemeinde auf die frei Wahl ihres Predigers aufgeben würden, falls sie ihre Kirche unter die Aufsicht und die Herrschaft eines auswärtigen protestantischen Fürsten wie Pfalzgraf Johann Casimir stellten.100 Johann Casimir weigerte sich also, eine mögliche Aachener Ratsreformation in Aachen zu unterstützen. Aus Richtung der Pfalz erhielt der Aachener Rat, der sich verhältnismäßig vorsichtig um auswärtiger Unterstützung für die gottesdienstliche Versorgung evangelischer Bürger bemüht hatte, demzufolge keine Impulse zum Aufbau eines eigenen evangelischen Kirchenregiments. Darüber hinaus empfahl Daniel Tossanus der deutsch-reformierten Gemeinde sogar deutlich, sich 98 Vgl. Daniel Tossanus an die Prediger der reformierten Gemeinde in Aachen, Lautern 10. Januar 1583, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde. 99 Vgl. Johann Casimir an Dohna, Kaiserslautern 13. Januar 1583, Bezold, 1582–1586, Nr. 62, S. 50. 100 Vgl. Daniel Tossanus an die Prediger der reformierten Gemeinde in Aachen, Lautern 10. Januar 1583, Archiv d. EKiR, 4KG 004 01–0,2 Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde.

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weiter in ihrer bestehenden Freiwilligenkirche zu organisieren, statt sich den Theologen und Ordnungen protestantischer Fürsten zu unterwerfen. Indem sich der reichspolitische Akteur Johann Casimir 1583 weigerte, die kirchlichen Verhältnisse in Aachen mitzugestalten, beließ er die Verantwortung der weiteren Gestaltung der Konfessionskirchen in Aachen beim Rat und vor allem bei bei den Vertretern der verschiedenen Konfessionsgruppen. Damit entsprach der Pfälzer unbeabsichtigt auch dem Anliegen der lutherischen Konfessionskirche in Aachen. Die Aachener Lutheraner befürchteten, die Arbeit auswärtiger Theologe könnte die ‚Calvinisten‘ in der Stadt stärken. Ihr Prediger Johann Vietor, versuchte über Mittelsmänner zumindest Ludwig von Hessen davon zu überzeugen, dass er sich nicht an einer möglichen Theologenkommission unter Führung der Kurpfalz beteiligen dürfte.101 Stattdessen sollte der Landgraf das Aachener Stadtregiment zur Ruhe ermahnen. So plädierten Anfang 1583 die beiden protestantischen Aachener Konfessionskirchen und die politischen Partner der protestantischen Interessengruppe in Aachen gegen eine aktive evangelische Reformations- und Religionspolitik der Aachener Obrigkeit. Sie entschieden damit eindeutig, dass die konfessionellen Gegebenheiten in Aachen – insbesondere die Anstellung protestantischer Prediger – in den Händen der lokalen Akteure blieben und das dem Stadtregiment unter den Aachener Handlungsträgern nur eine untergeordnete Rolle zufiel. Daran änderte auch Landgraf Wilhelm von Hessen nichts, indem er weitreichende Pläne zur Entsendung einer kurpfälzisch-hessischen Kommission von Theologen und politischen Räten sowie zur Einführung einer Aachener Kirchenordnung entwickelte.102 Sein Entwurf und die darauf folgende Reaktion Landgraf Ludwigs von Hessen zeigen im Gegenteil, dass die theologischen und Verwerfungen innerhalb des protestantischen Lagers der Reichspolitik mit dazu beitrugen, Entscheidungen über das Zusammen101 Vietor nahm dazu in Frankfurt Kontakt zu einem hessischen Prediger auf. Die Unterschrift dieses Mittelsmanns ist in dem Schreiben, in dem er die Befürchtungen und Bitten der Aachener Lutheraner an Nikolaus Beck, den Sekretär Landgraf Ludwigs von Hessen, weiterleitete, nicht lesbar – vgl. N.N. [Prediger] an Nikolaus Beck, Sekretär Landgraf Ludwigs von Hessen, Echzell, 11. Februar 1583, Die Sendung lutherischer Prediger nach Aachen 1583, HStAM, 4f Staaten A, Aachen 29. 102 Der Einsatz Wilhelms IV. in Aachen stand am Ende seiner Bemühungen den Protestantismus im Nordwesten des Reiches, insbesondere in Jülich aber auch in Aachen politisch zu stärken. Vgl. dazu: Gregor Horstkemper, „Wie ein zartt ding es umb das gewissen sey“. Konfessionsfragen in den Beziehungen zwischen Hessen und Jülich–Kleve– Berg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Burkhard Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 136.) Köln 1999, S. 153–182, hier: S. 162–167 u. 171–176.

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leben der Konfessionen in Aachen in die Stadt zu verlegen:103 Landgraf Wilhelm schlug Kurfürst Ludwig von der Pfalz und Landgraf Ludwig von Hessen vor, eine Kommission von drei bis vier Personen nach Aachen zu schicken. Theologen aus der Pfalz und aus Hessen sollten sich zunächst über strittige Fragen der Lehre vom Abendmahl und der Person Christi verständigen, bevor sie nach Aachen weiterzogen. Man solle die Aachener nicht durch sophistische, theologische Streitigkeiten verunsichern, sondern sie übereinstimmend in der Lehr unterweisen, die in der Heiligen Schrift, der Augsburger Konfession, deren Apologie und der Wittenberger Konkordie festgehalten sei. Als Vorbild für die Ordnung der Aachener Kirche empfahl Wilhelm die Kirchenordnung Hermann von Wieds, welche zu ihrer Zeit von allen Augsburger Konfessionsverwandten Ständen des Reiches anerkannt worden sei.104 Damit sich die Theologe, in Aachen angekommen, an ihre Instruktionen halten würden und sie insbesondere die Befehle beachten würden, die Aachener zu beruhigen, indem sie selbst sich einig zeigten, sollten ihnen ein politischer Rat zur Seite stellen. Landgraf Ludwig von Hessen unterstützte den Vorschlag seines Bruders nicht, obwohl er ihm schrieb, dass er mit den grundsätzlichen Überlegungen Wilhelms zur Zusammensetzung und Ausrichtung einer möglichen Theologenkommission übereinstimme. Für Ludwig überwogen aber letztlich die Argumente gegen ein Engagement in Aachen. Wilhelm IV. hatte in seiner Korrespondenz mit Pfalzgraf Ludwig bereits angedeutet, dass jede Einmischung protestantischer Stände in Aachener Angelegenheiten den Kaiser verstimmen könne. Er sah sich trotzdem in der Pflicht, in dieser Sache die „Ehre Gottes“ zu befördern. Angesichts der innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten, gab schon Wilhelm zu bedenken, dass es gegebenenfalls besser sei, ganz auf die Entsendung von Predigern nach Aachen zu verzichten, wenn man Gefahr laufe, diese könnten sich in Lehrstreitigkeiten verstricken und damit dem Ansehen der protestantischen Stände schädigen. Sein konkreten Pläne für die Theologenkommission zeigen jedoch, wie zuversichtlich er war, diese Gefahr umgehen zu können. Schließlich merkte der Älteste der hessischen Landgrafen noch an, es sei angesichts der jüngst erfolgten Vorladung möglich, dass Prediger 103

Vgl. zum Folgenden: Landgraf Wilhelm von Hessen an Landgraf Ludwig von Hessen, Kassel, 3. Februar 1583, Landgraf Wilhelm von Hessen an Pfalzgraf Ludwig, Kassel, 3. Februar 1583 (Kopie), Landgraf Ludwig zu Hessen an Landgraf Wilhelm von Hessen, 6. Februar 1583 sowie Landgraf Ludwig von Hessen an Pfalzgraf Ludwig, 6. Februar 1583. Alle Schreiben sind überliefert in HStAM, 4f Staaten A, Aachen 29. 104 Vgl. zur Einführung in die umfangreiche Forschungsliteratur zum kurkölnischen Reformationsversuch Bosbach, Köln, Erzstift und Stadt; zur theologischen Ausrichtung des Reformationsversuchs und der Unterstützung Landtgrafs Philipps von Hessen für Hermann von Wied neuerdings auch Andreea Badea, Kurfürstliche Präeminenz, Landesherrschaft und Reform. Das Scheitern der Kölner Reformation unter Hermann von Wied. (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 154.) Münster 2009.

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die man nach Aachen schickte, im übertragenen Sinne „auf die fleischbanck geliefert“ würden. Wilhelm wollte aber nicht von seinem Plan abrücken, bis seine Räte die Bedeutung der kaiserlichen citation – der Vorladung der Parteien in der ‚Aachener Sache‘ an den Hof Rudolfs II. – nicht genau geprüft hätten. Bei allen drei Abwägungen über die Chancen und Gefahren der Entsendung von Predigern nach Aachen kam Landgraf Ludwig zu anderen Ergebnissen als sein Bruder. Dementsprechend teilte er Pfalzgraf Ludwig mit, dass er die Pläne seines Bruders insgesamt für zu weitläufig halte. Er lehnte es ab, in der Causa Aquensis eine Konfrontation mit dem Kaiser zu riskieren. Ähnlich wie das ebenfalls lutherische Kursachsen orientierte sich Hessen-Marburg reichspolitisch an einer kaisertreuen Linie. Für Ludwig IV. schien der Zeitpunkt, zu dem man den Aachener Protestanten beim Aufbau ihrer Kirche hätte helfen können, spätestens mit der Vorladung an den kaiserlichen Hof verstrichen zu sein. Außerdem sah Ludwig die Möglichkeit einer Zusammenarbeit von Theologen der Kurpfalz, Hessen-Kassel und Hessen-Marburg sicherlich kritischer als sein Bruder Wilhelm. Spätestens mit der Berufung Aegidius Hunnius’ nach Marburg im Jahr 1576 hatte Landgraf Ludwig sich als Befürworter der streng lutherischen Orthodoxie positioniert, welche die theologische Verständigung mit Lehrmeinungen in der Tradition Melanchtons oder Calvins ablehnte.105 Am Dissens der hessischen Landgrafen ist abzulesen, dass auswärtige lutherische Fürsten nicht zuletzt wegen ihrer theologischen und reichspolitischen Konflikten darauf verzichteten, die kirchlichen Verhältnisse in Aachen entscheidend zu beeinflussen. Ohne Impulse von etablierten protestantischen Landeskirchen begann der Aachener Rat nicht, protestantischen Prediger zu berufen. Er verzichtete damit auf einen entscheidenden Schritt zu einer evangelischen Reformation. Dieser Befund wirft zwangsläufig die Frage auf, ob das Stadtregiment in anderen Bereichen, welche die religiöse Prägung der Bürgerschaft betra105 Vgl. zusammenfassend zur lutherisch-orthodoxen Prägung der Marburger Hochschule unter Hunnius Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der frühen Neuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft dargestellt am Beispiel des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt Braunschweig. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 62.) Gütersloh 1996, hier: S. 427. Grundlegend zu den konfessionellen und religionspolitischen Positionen Landgraf Ludwigs IV. im Unterschied zu seinem Bruder Wilhelm: Manfred Rudersdorf, Ludwig IV.: Landgraf von Hessen-Marburg 1537–1604. Landesteilung und Luthertum in Hessen. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 144.) Mainz 1991 und Manfred Rudersdorf, Lutherische Erneuerung und Zweite Reformation? Die Beispiele Württemberg und Hessen, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der „Zweiten Reformation“. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195.) Gütersloh 1986, S. 130–153.

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fen ähnlich zurückhaltend agierte wie im Bereich der gottesdienstlichen Versorgung. Zunächst rückt damit mit das städtische Bildungswesen in den Mittelpunkt des Interesses. Wie und in welchem Umfang gestaltete das Stadtregiment vor, während und nach der Zeit der protestantischen Dominanz im Rat die städtische Schullandschaft? Das religiöse Bildungswesen katholischer Prägung blieb von Eingriffen des Stadtregiments fast völlig unbeeinflusst. So wenig ist von einer konfessionellen Bildungspolitik irgendeines Magistrats zwischen 1555 und 1618 zu erkennen, dass selbst die Frage, wem die wesentlichen Kompetenzen zur Gestaltung des Schulwesens in Aachen zustanden, nicht eindeutig beantwortet werden kann. In den außenpolitischen Auseinandersetzungen zur Causa Aquensis ließen die Herzöge von Jülicher immer wieder anklingen, dass sie die Oberaufsicht über alle Aachener Schulen beim Scholaster des Marienstifts sahen. Damit betonten sie vor allem Ansprüche, die der Herzog auf ein Mitspracherecht in Fragen des Aachener Schulwesens anmeldete, weil er gewissen Privilegien bei der Besetzung des Scholasteramts innehatte. Tatsächlich war das Amt aber über einen längeren Zeitraum nicht besetzt und wurde von einem Vicescholasticus ausgeübt, der allein vom Kapitel gewählt wurde.106 Die Tätigkeit des Scholasters oder seiner Stellvertreter beschränkte sich auf die Führung der Schule des Marienstifts. Sie unternahmen nichts, um die katholische Reform in das Aachener Schulwesen zu tragen oder gegen den Einfluss protestantischer Lehrer in der Stadt vorzugehen. Scholaster und Münsterstift sahen sich nicht in der Verantwortung für das Bildungswesen in der Stadt. Sie wiesen bei der Gelegenheit einer Jülicher Beschwerde über die Verbreitung protestantischer Schulen in Aachen darauf hin, dass dem Rat die Aufsicht über Lehrer und Schulmeister in Aachen zustehe.107 Auch vom Rat gingen allerdings zu keiner Zeit größere Initiativen zur Gestaltung der konfessionellen oder allgemein religiösen Bildung in Aachen aus. Als der Lütticher Gesandte Jean Chapeaville 1598 feststellte, dass in Aachen zwei größere und 17 kleinere protestantische Schulen betrieben würden,108 die zu schließen seien, beschrieb er nicht die Ergebnisse der 106

Vgl. dazu u.a. die Kapitelsitzung am 18. Juli 1588, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien, Akten 11d, f. 100v–101r. 107 Vgl. dazu u.a. die Kapitelsitzung am 2. Mai 1575, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien, Akten 11c, f. 66rv. 108 Vgl. Andreas Rutz, Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2006), S. 359–385, hier: S. 369. Ob der Lütticher Kanoniker Chapeaville tatsächlich der Meinung, war in Aachen jeweils eine größere reformierte und lutherische „Stadtschule“ vorgefunden zu haben, kann bezweifelt werden. Die entsprechende Passage in Chapeavilles Chronik berichtet zwar von größeren und kleineren Schulen in der Mitte Aachens, in denen die ‚calvinistische‘ und lutherische Lehren und Katechismen verbreitet würden, sie

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Schulpolitik des protestantisch dominierten Stadtregiments. Eine städtische, das heißt vom Rat betriebene Schule war nicht unter den reformiert oder lutherisch ausgerichteten Lehranstalten. Dass eine solche konfessionelle Ratsschule, wie überhaupt eine Schule des Stadtregiments in Aachen auch nach knapp 20 Jahren der Regierung protestantisch dominierter Räte fehlte, war nicht zuletzt das Ergebnis eines für eine reichsstädtische Obrigkeit nicht untypischen Mangels an schulpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten beziehungsweise einem mangelnden Interesse am Elementarschulwesen.109 Der Aachener Rat verzichtete also nicht aufgrund von Erwägungen der Religionspolitik oder über das Zusammenleben der Konfessionsgruppen auf die Einrichtung protestantischer Ratsschulen, sondern folgte einer traditionellen Linie reichsstädtischer Magistrate, für die Schulpolitik keine zentrale Rolle spielte. Der restituierte katholische Rat brach nach 1598, wenn man die längere Beständigkeit der obrigkeitlichen Politik im Bereich der Rechtsstellung von kirchlichen Institutionen und Bauten sowie zur gottesdienstlichen Versorgung als Vergleich heranzieht, verhältnismäßig schnell mit der traditionellen schulpolitischen Zurückhaltung. Das neue Regiment begrüßte die Ansiedlungen des Jesuitenkollegs in Aachen und drängte die Patres regelrecht dazu, ihre Unterrichtstätigkeit aufzunehmen. Mit der Etablierung des Jesuitengymnasiums, sah es den bildungspolitischen Teil der Rekatholisierung Aachens aber offensichtlich noch nicht als vollkommen abgeschlossen an. Der Rat selbst berief deswegen den zuvor im Westfälischen tätigen Schulmeister Anton Weber zur Stärkung des katholisch-konfessionellen Elementarschulwesens. Später gab Weber an, er sei vom katholischen Rat nach Aachen berufen worden, um die „[. . . ] liebe jugend diesen ort mit Rechnen und Schreiben catholisch zu docirn [. . . ]“110 . Dazu stellte der Rat ihm das Haus Großer Klüppel als Schulhaus zur Verfügung, das bis zur katholischen Redeutet aber nicht an, dass es sich auch nur bei einer dieser Schulen um eine städtische Schule handelte. Vgl. Chapeaville, Qui Gesta Pontificvm Tvngrensivm, Traiectensivm, et Leodiensivm Scripservnt, Avctores Præcipvi, Ad seriem rerum & temporum collocati, ac in tomos distincti, hier: S. 609. 109 Vgl. Stefan Ehrenpreis, Das Schulwesen reformierter Minderheiten im Alten Reich 1570–1750. Rheinische und fränkische Beispiele, in: Heinz Schilling/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur, und Wissenschaft. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft, Bd. 38.) Berlin 2007, S. 97–122, hier: S. 102. 110 Supplikation des Schulmeisters Antonius Weber an die kaiserlichen subdelegierten Kommissare in Aachen, [ca. Dezember 1612], LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 5. Auch die weiteren Angaben zu der nach 1598 auf Initiative des Rates gegründeten Elementarschule beruhen auf dem Bericht Webers in seiner Supplikation, durch die er keine besondere Hilfeleistung einforderte, sondern lediglich die Schäden zur Kenntnis brachte, die er durch die aufständischen Bürger erlitten habe.

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stitution von der deutsch-reformierten Gemeinde als Predigthaus genutzt worden war, und in dem zuvor auch reformierte Schulmeister unterrichtet hatten. Webers Schule florierte, wenn man den eigenen Angaben des Lehrers glauben kann, bis 1611: Neben einem großen Teil der Aachener Bürgerschaft hätten auch Auswärtige ihre Kinder im Klüppel beschulen lassen. Die nicht aus Aachen stammenden Schüler waren im Haus untergebracht und trugen zum Unterhalt des Schulmeisters bei. Als aufständische Bürger den Klüppel in den ersten Tagen der Unruhen von 1611 besetzten und für das Religionsleben der reformierten Konfessionskirche in Besitz nahmen, endete die Tätigkeit dieser katholischen Schule. Weitere katholisch-konfessionelle Schulen mit ähnlichen Verbindungen zum Stadtregiment sind für die Zeit zwischen 1598 und 1611 nicht belegt. Anton Weber sagte aus, dass während er sich schriftlich an die kaiserliche Kommission wandte, bereits wieder reformierter Schulunterricht im Großen Klüppel gegeben wurde. Die Schulpolitik des katholischen Stadtregiments blieb in ihrer klaren konfessionellen Ausrichtung und ihren verhältnismäßig entschlossenen Maßnahmen also zunächst eine Episode. Dazu gehörten auch Maßnahmen gegen protestantische Schulmeister, die nach 1598 in geringerem Umfang als zuvor ihre Tätigkeit in Aachen ausu"ben konnten.111 Die Gründe und Motive, aus denen katholische Bürgermeister und Rat besonderen Wert auf die konfessionelle Schulpolitik legten, waren vielschichtig und hingen mit der besonderen Situation unmittelbar nach der Restitution und in den ersten Regierungsjahren des katholischen Magistrats zusammen. Die Schulpolitik erschien vor allem deswegen als Schlüssel zur beabsichtigten Rekatholisierung der Stadt, weil der Kurfürst Ernst von Köln, die Ansiedlung der Jesuiten zum ersten und wichtigsten konfessionspolitischen Projekt nach der Restitution erklärt hatte. Bürgermeister und Rat wussten, dass die Jesuiten den Katholizismus in Aachen vor allem durch ihre Schule reformieren und stärken sollten, und waren motiviert, diesen Ansatz durch eigene Anstrengungen im Elementarschulbereich zu unterstützen. Das aus katholischer Sicht dramatische Bild das der Lütticher Gesandte Chapeaville von der Bildungslandschaft in Aachen zeichnete, verstärkte diese Motivation auf doppelte Weise.112 Erstens erweckte es den Eindruck, als habe die existenzielle Bedrohung des Aachener Katholizismus, mit der die katholische Opposition vor 1598 immer wieder für eine schnelle Absetzung des protestantisch dominierten 111

Vgl. Rutz, Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung, hier: S. 370. Dass Chapeaville das Aachener Regiment alarmierte, fügt sich nahtlos in die Bemühungen des bischöflichen Gesandten ein, die Gegenreformation wo immer möglich zu befördern. Vgl. zusammenfassend zu zu den politischen Motiven Chapeavilles: Jacques Stiennon, Chapeaville, père de l’historiographie moderne liégeoise, in: René Hoven (Hrsg.), Jean Chapeaville (1551–1617) et ses amis. Contribution à l’historiographie liégeoise. Brüssel 2004, S. 7–15, hier: S. 12–13. 112

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Magistrats argumentiert hatte, viel mit der Expansion des reformierten und lutherischen Schulwesens zu tun gehabt. Die zweite Motivation hatte nichts mit den vorangegangen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis zu tun: Nachdem die zahlreichen bis 1598 in Aachen tätigen reformierten und lutherischen Schulmeister ihre Arbeit einstellen mussten, bestand in der Stadt ein Mangel an Schulen. Dem musste der Rat auch unabhängig von konfessionellen Erwägungen entgegenwirken. Wiederum etwas anders als in der Bildungspolitik sind die Motive, Gründe und Zwänge gelagert, welche die Gestaltung des Armenwesens in Aachen bestimmten. Die städtische Armenfürsorge ist nicht von der obrigkeitlichen Religionspolitik zu trennen, weil sie in frühneuzeitlichen Städten als spezifisch christliche Pflicht verstanden wurde. Gleich mehrere Aspekte der Armenfürsorge dienten der Konstitution der Bürgergemeinde als christlicher Gemeinschaft. Auf der einen Seite leisteten sowohl einzelne Bürger als auch das Stadtregiment in Verantwortung für die gesamte Bürgergemeinde Bedürftigen Hilfe, um dem Gebot der christlichen Nächstenliebe nachzukommen. In anderer Richtung band die Armenfürsorge die Hilfsempfänger in die christliche Bürgergemeinschaft ein, indem sie ihnen das wirtschaftliche Auskommen ermöglicht aber auch indem sie zum Ort des religiösen Lebens der Almosenempfänger wurde. Zu Spitalen – ob in städtischer oder kirchlicher Trägerschaft und Verantwortung – gehörten in der Regel Kapellen, in denen Spendenempfänger oder Beherbergte Gottesdienst feierten.113 Bürgermeister und Rat hatten nennenswerten Einfluss auf die Armenfürsorge, die auf die beschriebenen Art und Weise eine tragende Säule des städtischen Religionswesens war. Das ist insofern bemerkenswert, als es dem Stadtregiment wie gesehen in vielen anderen Bereichen an einer wirkungsvollen Kirchenhoheit fehlte. Die bedeutendsten Einrichtungen der Armenfürsorge in Aachen waren während des Untersuchungszeitraums das Heilig Geist-Spital am Katschhof und das bürgerliche Spital am Radermarkt. Das bürgerliche Spital unterstand vollständig der Leitung des Rates und über das Heilig Geist-Spital hatte das Stadtregiment bereits seit dem 14. Jahrhundert die Aufsicht. Seit dem 15. Jahrhundert war die Verwaltung der beiden genannten Spitäler und weiterer kleinerer Institutionen der Armenfürsorge zusammengelegt und unterstand Provisoren, die dem Rat rechenschaftspflichtig waren.114 Die Provisoren gehörten durchgängig der 113 Vgl. Zusammenfassend zur religiös- spirituellen Bedeutung des städtischen Spitalswesen Scheutz/Weiss, Kein Ort der Armut?, hier: S. 181 u. 187 mit weiterer Literatur. 114 Vgl. Claudia Rotthoff-Kraus, Das Aachener Hospital am Radermarkt von seiner Gründung im Jahre 1336 bis zu seiner Übergabe an die Elisabethinnen im Jahre 1622. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Stadt Aachen im späten Mittelalter, in: Marlene Nikolay-Panter (Hrsg.), Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken. Köln 1994, S. 304–

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bürgerlichen Führungsschicht an und waren in der Regel Ratsherren oder Amtsträger.115 Damit hatte das Stadtregiment im Untersuchungszeitraum auf das gesamte Armenwesen in der Stadt Einfluss. Besonders frei war es, die Arbeit des Hospitals am Radermarkt zu gestalten. Hier bestimmte es den Gasthausmeister und war Patron der Stiftskapelle. Die Aufgaben des Radermarktspitals waren in der Mitte des 16. Jahrhunderts bereits über die ursprüngliche Aufgabe der Beherbergung von Fremden hinaus erweitert worden, sodass im Spital jetzt auch regelmäßig Almosen ausgegeben wurden und am Radermarkt das volle Leistungsspektrum städtischer Armenfürsorge angeboten wurde.116 Wie der Rat das Spital leitete, war also im Unterschied zu anderen Bereichen des städtischen Religionswesen sehr wenig von äußeren Zwängen oder mangelnden Machtmitteln bestimmt. Die Arbeit des Spitals ist demnach besonders aufschlussreich für die Frage nach den Absichten der verschiedenen Magistrate in Bezug auf die religiöse Prägung Aachens und das Zusammenleben der Konfessionen. Passend zum materiellen und rechtlichen Status der Konfessionskirchen und zur gottesdienstlichen Versorgung verblieb auch das Armenwesen in der Reichsstadt über politische Krisen und Regimewechsel hinweg unauffällig und stabil. Insbesondere deutet wenig darauf hin, dass das protestantisch dominierte Stadtregiment seit 1581 versucht hätte, das Bürgerspital am Radermarkt oder andere Einrichtungen der Armenfürsorge im protestantischen Sinne zu konfessionalisieren. So liegen keine Nachrichten darüber vor, dass die in der Kapelle des Spitals zu haltenden katholischen Messen zwischen 1581 und 1598 unterbunden worden wären. Die Aufsicht über die Gottesdienste in der Kapelle oblag, obwohl der Rat das Patronat besaß, dem Erzpriester.117 Der Erzpriester hätte es besonders in den Krisen, während derer er beim Kaiser diverse Klagen gegen das Stadtregiment vorbrachte, wenn dazu ein Anlass vorhanden gewesen wäre, sicher nicht unterlassen, 327, hier: S. 308–313. Die städtische Obrigkeit hatte sich damit vergleichsweise früh die Aufsicht über das Armenwesen gesichert. In den meisten anderen Reichsstädten vollzog sich diese Entwicklung bis zum 16. Jahrhundert – vgl. Hannes Ludyga, Obrigkeitliche Armenfürsorge im deutschen Reich vom Beginn der Frühen Neuzeit bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1495–1648). (Schriften zur Rechtsgeschichte, Bd. 147.) Berlin 2010, hier: S. 170. Unabhängig von obrigkeitlicher Aufsicht blieb hingegen die Almosenverteilung von katholisch-kirchlichen Institutionen wie beispielsweise der Dominikaner – vgl. Elias H. Füllenbach, Aachen – Dominikaner, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 45–51. 115 Vgl. Rotthoff-Kraus, Das Aachener Hospital am Radermarkt von seiner Gründung im Jahre 1336 bis zu seiner Übergabe an die Elisabethinnen im Jahre 1622, hier: S. 317–318, Anm. 110. 116 Vgl. ebd., hier: S. 308 u. 322. 117 Vgl. ebd., hier: S. 308.

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auch auf die Unterdrückung der katholischen Religion in den Spitälern der Stadt hinzuweisen. Wie reibungslos die katholische Religiosität zwischen 1581 und 1598 in einem vom protestantisch dominierten Rat geleiteten Spital ausgeübt wurde, zeigt sich besonders im Kontrast zu Ereignissen im Spital in einer Zeit, als alle Akteure in Aachen einen stärkeren Zwang zu konfessionalistischem Handeln spürten. Als die kaiserliche Kommission am Jahreswechsel 1612/1613 die Ereignisse während des Bürgeraufstands von 1611 untersuchte, befragte sie unter anderem Adam Kremer. Der Vikar am Marienstift war als Pastor für die Gottesdienste in der Kapelle des Bürgerspitals zuständig. Zunächst gab er den kaiserlichen Kommissaren zu Protokoll, wie das Hospital in den ersten Tagen des Aufstands von den Aufständischen gestürmt wurde, woraufhin er Hostien und anderes gottesdienstliches Zubehör aus der dortigen Kirche in Sicherheit bringen musste. Die Bewaffneten, so Kremer, hielten das Hospital noch bis zum Zeitpunkt des Verhörs unter Kontrolle. Den eigentlich entscheidenden Eingriff in die Ordnung des Hospitals habe aber Johann Kalckberner als Mitglied des neuen Regiments vorgenommen: Er habe die Zeit der Almosenspende geändert, um die Spendenempfänger anzustiften, die Messe in der Hospitalskapelle nicht weiter zu besuchen. Während die Almosen der alten Ordnung nach um acht Uhr morgens, unmittelbar nach dem Ende der Messe ausgegeben wurden, hatte Kalckberner dagegen angeordnet, nicht vor zehn Uhr zu spenden. Darüber hinaus habe das neue Stadtregiment am Hospital am Radermarkt genauso wie an anderen Spitälern der Stadt „Religionisten“ für die Verwaltung eingesetzt. Für die Bedürftigen im St. Blasius-Hospital seien die Folgen besonders schwerwiegend gewesen. Unter dem lutherischen Verwalter sei die dortige Kirche verwüstet und das Sakrament entweiht worden. Die Ausübung der Messe sei auch in der Folge gestört worden. Schließlich habe der lutherische Verwalter den Vikar Adam Kremer selbst daran gehindert, einen Kranken im Blasiushospital zu besuchen, der ausdrücklich darum gebeten hätte, einen katholischen Geistlichen zu sehen.118 Diese Ereignisse deuten stark 118 Zur Zeugenaussage Adam Kremers am 2. Januar 1613 vgl. Protokoll zur Vernehmung von Zeugen des Aufstands von 1611 im Auftrag der kaiserlichen Kommissare. Durchgeführt nach Auftrag vom 20. Dezember 1612 durch Joannes Hungerus, unterschrieben vom kaiserlichen öffentlichen Notar Joannes Hungerus, Reinhardt Pempelfurth und Johann Georgen, LA NRW, Abt. Rhld, Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 5. Durchaus bemerkenswert ist, dass Kremer das Bürgerhospital am Radermarkt als St. Elisabeth Spital bezeichnet. Dieser Name für die Einrichtung wurde also nicht erst mit der Ansiedlung des Elisabethanereinnen-Ordens in Aachen und der Übernahme der Krankenpflege in dem Spital durch die Ordensschwestern im Jahr 1622 gebräuchlich. Anders: Claudia Rotthoff-Kraus, Aachen – Elisabethinnen, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 51–59.

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darauf hin, dass die städtische Obrigkeit in der letzten Phase der religionspolitischen Auseinandersetzungen in Aachen vor der endgültigen katholischen Restitution versuchte, die konfessionell katholischen Elemente des Armenwesens in der Stadt zu unterdrücken. Zwar sind keine Bemühungen zu erkennen, die Spitäler stattdessen protestantisch zu konfessionalisieren, aber es handelte sich bei den obrigkeitlichen Eingriffen der Jahre 1611 bis 1614 um eine konfessionell polarisierte Fürsorgepolitik im Kontext einer auch in anderen Bereichen stärker als zuvor konfessionalisierten Politik. 3.1.2.2 Das Aachener Sendgericht. Eine Institution obrigkeitlicher Sittenzucht und der Gegenreformation? Langfristiger und weiterreichend als die Armenfürsorge gestaltete die städtische Obrigkeit im Untersuchungszeitraum die Religions- und Sittenzucht Aachens um. Im Bereich der katholisch-kirchlichen Gerichtsbarkeit führte der protestantisch dominierte Rat grundlegende Veränderungen herbei. Das katholische Sendgericht verlor nach 1581 seine Funktion als Wächter gegen die Ausbreitung protestantischer Religiosität, nachdem das Stadtregiment aufhörte, die Anordnungen des Gerichts mit Drohungen und Strafen durchzusetzen.119 Die Frage, ob diese Veränderung Ausdruck der konfessionalistischen Religionspolitik des protestantischen Rates war, kann indes nicht so eindeutig beantwortet werden wie dies bisweilen getan wurde. Um zu beurteilen, ob die Demontage und Unterdrückung der katholischen Kirche und der konsequente Aufbau eines reformatorischen Kirchenwesens begann, als das Sendgericht in eine neue Rolle gedrängt wurde, muss dessen Verfahrens- und Urteilspraxis über einen längeren Zeitraum untersucht werden. Die religionspolitische Bedeutung des Sendgerichts und sein Einfluss auf das Zusammenspiel der Konfessionskulturen in Aachen hängt maßgeblich davon ab, welche Rolle die städtische Obrigkeit dem Gericht auch über die Brüche von 1574, 1581 und 1598 hinweg zudachte. Bis weit in die 1570er Jahre hinein hatte das Gericht unter anderem Abweichungen von den Normen katholischer Religiosität untersucht und zu unterbinden versucht. Damit waren zwangsläufig immer wieder Angehörige der reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen in Aachen von den Sendschöffen behelligt worden. Zumindest dieser Teil der Arbeit des Gerichts hörte spätestens 1581 auf. Nachdem das Stadtregiment sich in den politischen Auseinandersetzungen darauf berufen hatte, dass Bekenner der Confessio Augustana nicht wegen ihrer Religion verfolgt werden durften, konnte es nicht mehr zulassen, dass das Sendgericht versuchte, das evangelische Religionsleben in der Stadt einzuschränken. Damit hätte es sich 119

Vgl. Lepper, Reichsstadt und Kirche, hier: S. 384–385.

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nach eigener Auffassung selbst eines Verstoßes gegen den Religionsfrieden schuldig gemacht, weil es das Sendgericht mit seinen weltlichen Sendschöffen nicht nur als katholisch-kirchliche sondern auch als reichsstädtische, kommunale Institution betrachtete. Mit der sichtbaren Schwächung des Sendgerichts beabsichtigte der Rat aber nicht, die katholische Kirche und das Religionsleben ihrer Mitglieder systematisch zu untergraben. Tatsächlich behauptete das Stadtregiment im Zuge der Krise um die selbstständige Ergänzung des Gerichts 1590, dass das Gericht bis dahin und bis zur Verbannung der neuen weltlichen Sendschöffen in seiner Arbeit unbeeinträchtigt gewesen sei.120 Am ehesten könnte die Politik des Rates in Bezug auf das Sendgericht als Versuch beschrieben werden, die katholisch-kirchliche Gerichtsbarkeit durch Unterlassung und möglichst vorsichtig und lautlos so anzupassen, wie es der städtischen Obrigkeit im Sinne des Zusammenlebens der drei Konfessionsgruppen in Aachen notwendig erschien. Im Folgenden wird auch überprüft, ob das Gericht dazu in der Lage war, nach diesen Vorstellungen zu arbeiten. Die Arbeit des Gerichts ist für die Zeit zwischen 1566 und 1579 dokumentiert.121 In dem Zeitraum, der sich in etwa vom Ausschluss der protestantischen Bürger vom Stadtregiment 1560 über deren Wiederzulassung 1574 bis zum Ende der 1570er Jahre und damit in das unmittelbare Vorfeld der Zeit der protestantisch dominierten Räte erstreckte, arbeitete das kirchlich-bürgerliche Gericht überwiegend in einer Art und Weise, die sich durchaus mit der überkonfessionell ausgerichteten religionspolitischen Linie des Stadtregiments nach 1582 hätte vereinbaren lassen. Unter den verfassungspolitischen Voraussetzungen der Jahre 1560 bis 1574 wäre es keine Überraschung gewesen, wenn das Sendgericht eine konfessionalistisch katholisch geprägte Verfahrens- und Urteilspraxis gepflegt hätte. Die Ratsübereinkunft von 1560 hätte der Auftakt zu einer konsequenten gegenreformatorischen Offensive des nunmehr offiziell rein katholischen 120 Vgl. [Bürgermeister, Schöffen und Rat der Reichsstadt Aachen] an Kaiser Rudolf II., Aachen [nach März 1590] (Konzept), LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 125r. Das Sendgericht muss während der 1580er Jahre tatsächlich fortbestanden haben. Anders wäre nicht zu erklären, dass die Aufhebung des Sendgericht nicht schon vor 1589 zum Thema der politischen Auseinandersetzungen gemacht wurde. Auch war offensichtlich auch noch 1589 das Kollegium aus Erzpriester und geistlichen Sendschöffen soweit organisiert, dass sie als weltliche Kollegen zunächst Albrecht Schrick und dann die später verbannten Fünf kooptieren konnten. Ob und wie das Gericht in dieser Zeit aktiv war lässt sich nicht nachvollziehen, weil die Aktenüberlieferung des Gerichts schon abbricht, bevor die protestantische Dominanz im Stadtregiment einen Einschnitt in seiner Arbeit herbeiführte. 121 Die relevante Überlieferung umfasst zwei Protokollbände des Sendgerichts, die mit einigen Lücken, die Jahre 1566–1579 dokumentieren. StAAa, RA II, Gerichte 10, 1 und 2.

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Stadtregiments bilden können. Jedoch zeigen sich während der folgenden Jahren keine Indizien für eine aktive katholische Konfessionalisierung des Sendgerichts. Die in den 1560er Jahren verhandelten Fälle bestätigen diesen Befund und zeigen zugleich, welche Abweichungen von der Norm der religiösen Lebensführung das Gericht zum Anlass nahm, Aachener Bürger vorzuladen oder zu bestrafen. An erster Stelle stand das Versäumnis, die Messe zu besuchen und die Sakramente in Empfang zu nehmen. Interessant sind Art und Anwendung der Strafen, die das Gericht in solchen Fällen androhte und verhängte. Wer sich weigerte, die Sakramente und insbesondere die Krankensalbung zu empfangen, konnte durch das Sendgericht dazu verurteilt werden, nicht auf geweihtem Boden bestattet zu werden. Das Gericht handhabte diese Maßnahme allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich. In einigen Fällen verweigerte es den ‚Verächtern des Sakraments‘ tatsächlich mit großer Strenge ein christliches Begräbnis. Die in Aachen in der Regel mit Bestattungen betrauten Alexianerbrüder wurden ermahnt, Begräbnisse nicht gegen die Anordnungen des Sendgerichts durchzuführen. Um diese Anweisungen durchzusetzen, intervenierten der Erzpriester und auch die Bürgermeister persönlich. Sie gingen soweit damit zu drohen, widerrechtlich auf den Friedhöfen der Stadt beerdigte Männer wieder zu exhumieren.122 In anderen Fällen räumte das Sendgericht Hinterbliebenen das Recht ein, ihre Verstorbenen trotz deren religiöser Verfehlungen auf geweihter Erde zu bestatten. Mit diesem Zugeständnis verband das Gericht die Auflage, Kornspenden an die vier Pfarrgemeinde der Stadt zu leisten. 123 Das Verfahren des Synodalgerichts und die Zusammenarbeit der Sendschöffen mit dem Stadtregiment war in Fällen der Verweigerung katholischer Sakramente also nicht rigider oder weiter konfessionell polarisiert als in den 1540er und 1550er Jahren.124 Im Gegenteil lässt die Urteilspraxis eine Flexibilität erkennen, die gegebenenfalls auch genutzt werden konnten, um zwischenkonfessionelle Konfrontationen zu entschärfen. Weitreichendere Rückschlüsse auf eine derartige religionspolitische Linie des Sendgerichts lassen eine Reihe von Fällen zu, mit denen sich Erzpriester 122

Vgl. das Sendgerichtsprotokoll zum 16. Februar 1570, StAAa, RA II, Gerichte 10, 2, f. 67. Einen Monat später kam es tatsächlich zur Umbettung einer Frau, die entgegen der Anweisungen des Gerichts auf dem Friedhof bei St. Anna bestattet worden war. Ob der Umstand, dass es ich bei der Frau um eine „[. . . ] uißwendige fraw [. . . ]“ handelte, Rückschlüsse darauf zulässt, dass das Gericht seine Strafen gegen einheimische und fremde Bewohner der Stadt mit unterschiedlicher Härte durchsetzte, kann auf Grund der geringen Anzahl vergleichbarer Fälle nicht gesagt werden. Vgl. Sendgerichtsprotokoll zum 24. März 1570, fol. 73. 123 Vgl. bspw. Sendgerichtsprotokoll zum 23. September 1569, f. 54v bis 55r. 124 Zur Arbeit des Sendgerichts in dieser Zeit und seiner Rolle im Rahmen der ambulanten Sektenbekämpfung des Stadtregiments vgl. S. 48 ff.

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und Sendschöffen zu Beginn der 1570er Jahre befassten. Die Gemeinsamkeit dieser Verfahren bestand in den Anklagepunkten der irregulären Kindstaufe oder Eheeinsegnung.125 Darüber hinaus zeigten die meisten Angeklagten während der Verfahren deutlich, dass ihre Verstöße mit ihren gefestigten, protestantischen Überzeugungen und ihrer zumindest lockeren Anbindung an eine reformierte oder lutherische, kirchliche Organisation zusammenhingen. Die Sendschöffen ordneten die Angeklagten ausdrücklich weder der lutherischen noch der reformierten Konfessionsgruppe in Aachen zu. Sie müssen aber gewusst haben, dass sie es nicht mit Anhängern diffuser Sekten zu tun hatten. Dementsprechend hätten sie in den betreffenden Fällen eine neue von der üblichen, ambulanten Sektenbekämpfung abweichende konfessionalistische Haltung entwickeln können, wenn ihnen an einer religionspolitischen Linie klarer Ab- und Ausgrenzung der der vom römisch-katholischen Dogma abweichenden Bekenntnisse gelegen gewesen wäre. Stattdessen behielten die geistlichen und bürgerlichen katholischen Sendschöffen ihrer Verhandlungsund Urteilspraxis bei, die auf Konfliktschlichtung und die Wahrung der bürgerliche Einheit: Am 14. Juli 1570 wurde Paulus Birkenholtz ultimativ aufgefordert, innerhalb von 14 Tagen vor dem Gericht zu erscheinen und sich darüber zu rechtfertigen, in welcher Kirche und in Anwesenheit welcher Zeugen seine beiden jüngsten Kinder getauft worden waren. „[. . . D]a eß aber niet angetzeicht werden gedencken bemelte herren [die Sendschöffen] widder jenen dargegen geburlich Insehens tzu doin“126 . Erst Monate später, am 24. November vermerkten die Protokolle des Gerichts Birkenholtz’ schriftliche Weigerung, die geforderten Auskünfte zu geben. Birkenholtz wurde daraufhin gemeinsam mit Friedrich Roh und Alexander van der Sarten dem Gericht des Rates überstellt. Am 28. März 1571 wurde in den Protokollen des Sendgerichts vermerkt, dass der Große Rat diesen drei wegen ungebührlicher Kindstaufe angeklagten Bürgern während seiner jüngsten Sitzung befohlen habe, dem Sendgericht innerhalb von 14 Tagen persönlich die geforderten Informationen über die Taufen ihrer Kinder zu geben. Andernfalls sollten sie verpflichtet sein, die Stadt und das Reich Aachen zu verlassen.127 Im April des Jahres setzte der Rat die Vorladung 125 Aachener Bürger konnten beim Sendgericht bereits verdächtig werden, wenn sie ihre Kinder einige Zeit nach der Geburt, nicht bei der Kapelle St. Johann-Baptist bei St. Foillan hatten taufen lassen. Der Rektor dieser Kapelle besaß das exklusive Taufrecht in Aachen. Vgl. Dazu Leonhard Frohn, Das Sendgericht zu Aachen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Aachen 1913, hier: S. 17. 126 Sendgerichtsprotokoll zum 14. Juli 1570, f. 83. 127 Sendgerichtsprotokoll zum 24. November 1570, f. 87r bis 87v. Van der Sarten war die Überstellung bereits am 14. Juli angedroht worden. Vgl. Sendgerichtsprotokoll zum

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eines weiteren Bürgers vor das Sendgericht durch. Die Androhung von Sanktionen gegen Roh, Birkenholtz und Van der Sarten zeigte allerdings wenig Wirkung. Am 16. September 1573 räumte das Sendgericht Friedrich Roh noch einmal 14 Tage ein, um sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen, er habe seine Kinder ungetauft gelassen und außerdem bei verbotenen religiösen Versammlungen gelehrt und gepredigt. Auch Birkenholtz wurden am 24. März 1574 noch einmal zwei Wochen zu seiner Rechtfertigung eingeräumt. Keiner dieser Männer wurde nachweislich tatsächlich aus der Stadt verwiesen oder mit einer anderen Strafe belegt. Sendgericht und Rat hatten also durch wiederholte Vorladungen, andauernde Ermittlungen und schwere Drohungen gegen die Verdächtigen unübersehbare gegenreformatorische Bemühungen gezeigt. Auf der anderen Seite zeigte sich das Gericht bemerkenswert geduldig und nachsichtig gegenüber den angeklagten Bürgern: Durch die Gewährung immer neuer Fristen und indem die Schöffen darauf verzichteten, den Vorgeladenen ausdrücklich ein verbotenes Bekenntnis vorzuwerfen und dieses zu verdammen. Das Gericht setzte mit seinen Untersuchungen und seinen Urteilen weiterhin nicht bei der Identifikation konfessionell definierter Gegner der katholischen Kirche an. Es verfolgte und strafte weiterhin äußerliche Abweichungen von den Formen katholischer Religiosität nicht dahinter stehende Gesinnungen. Selbst in Fällen, in denen die Abkehr der vorgeladenen Bürger von der katholischen Kirche fast greifbar war, konnte das Gericht sie übergehen und das Verfahren in den Bahnen regulärer Kirchenzucht halten. Das Stadtregiment verzichtete darauf, die angedrohten Verbannungen tatsächlich durchzuführen, und zeigte somit ähnlich wie die Sendschöffen eine große Zurückhaltung, die Konfrontation mit reformierten oder lutherischen Bürgern bis zum Äußersten eskalieren zu lassen. Rat und Sendgericht sowie auch die Vertreter des Rates im Sendgericht vertraten hier eine gemeinsame religionspolitische Linie, welche die katholisch-kirchlichen Normen durchsetzen wollte, dabei aber nicht den bürgerlichen Frieden riskieren sollte. Der Verlauf von anderen Fällen des Sendgerichts deutet allerdings darauf hin, dass die religionspolitischen Vorstellungen der Kleriker im Schöffenkollegium, der Mitglieder des Gerichts, die sich auch als Vertreter der Bürgergemeinde verstanden und des Rates, der das Gericht bei der Durchsetzung seiner Urteile unterstützen sollte, auseinandergingen. Es waren gerade solche Fälle, in denen das Gericht im engeren Sinne gegenreformatorisch hätte aktiv werden können: Das Verfahren gegen Heinrich Radermacher, dem das Gericht bereits am 14. Juli 1570, f. 83r. Zum weiteren Verlauf vgl. 28. März 1571, f. 94v, 5. April 1571, f. 97, 16. September 1573, f. 174v und 24. März 1574, f. 180r.

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14. Juli 1570 vorgeworfen hatte, ein Christusbild, das an der Außenwand seines Hauses angebracht gewesen war, entfernt zu haben, weil er es „[. . . ] vur syne pershoin [. . . ] bey oder an syner behausung [. . . ]“128 nicht haben dulden wollen. Dem vorgeladenen Radermacher wurden also, wie einige Jahre später auch Gert Frelen, der ebenfalls ein religiöses Bildnis von einem öffentlichen Platz entfernte,129 bilderstürmerische Motive unterstellt. In seiner schriftlich übergebenen Rechtfertigung wies Radermacher indirekt den Vorwurf zurück, er habe das Bild aus einer ablehnenden Haltung gegen die katholische Religion entfernt. Er berief sich zur Verteidigung auf den städtischen Baumeister. Das Sendgericht beschloss daraufhin sich mit dem Amtsträger des Magistrats zu besprechen, um Radermachers Aussagen zu überprüfen. Weitere Konsequenzen für Radermacher sind nicht überliefert. Hier war das Sendgericht also dazu geneigt, zwei vergleichsweise unspektakuläre Handlungen – die Entfernung einzelner Heiligen- und Christusbildnisse aus dem öffentlichen Raum – im Kontext weitreichender und gewalttätiger Konfessionskonflikte zu betrachten. Auch daraus ergab sich aber keine konfessionalistische, gegenreformatorische Urteilspraxis des Sendgerichts, weil das Stadtregiment einer solchen Religionspolitik schon 1570 ablehnte. Das Sendgericht könnte deswegen zu Beginn der 1570er Jahre den Entschluss gefasst haben, die Effektivität seiner Gerichtsbarkeit auch unabhängig von der Unterstützung des Stadtregiments zu erhöhen. Als das Gericht in der Woche nach dem fünften Fastensonntag 1573 traditionsgemäß an drei aufeinander folgenden Tagen zusammentrat, befragten die Schöffen Hebammen zu ihren Kenntnissen über das religiöse und private Leben der Aachener Familien mit neugeborenen Kindern.130 Insbesondere sollten die Frauen mitteilen, was sie über Ehebrüche, Eltern, die ihre Kinder ungetauft gelassen hätten, und über Wiedertäufer wüssten. Der Schwerpunkt der Befragung lag also auf der für das Gericht üblichen Sittenzucht und Sektenbekämpfung. Die Sendschöffen bemühten sich um Erfolge auf diesem Gebiet, reagierten aber nicht mit besonderen Maßnahmen auf die Etablierung protestantischer Bekenntnisgruppen in Aachen, von der sie angesichts etlicher einschlägiger Fälle von Taufen und Eheschließungen außerhalb der Stadt Kenntnis haben mussten. 131 128 Sendgerichtsprotokoll zum 14. Juli 1570, f. 83. Radermachers Fall wurde außerdem am 24. November 1570 (f. 87) verhandelt. 129 Sendgerichtsprotokoll zum 26. Oktober 1575, f. 223r. 130 Sendgerichtsprotokoll zum Montag, Dienstag und Mittwoch nach Judika [1573], f. 155r. 131 Die Befragung der Hebammen ist als Beispiel für besonders gründliche, scharfe und besonders gegen die Protestanten gerichtete Ermittlungsmethode der Sendschöffen genannt worden. Vgl. zum Beispiel Frohn, Das Sendgericht zu Aachen bis zur Mitte

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Die in den 1560er Jahren regelmäßig praktizierte Flexibilität, äußerlich reuige Sünder von Strafen der weltlichen Gerichtsbarkeit freizuhalten behielt das Sendgericht auch während der 1570er Jahre bei – auch gegenüber solchen Angeklagten, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit bereits dauerhaft von der katholischen Kirche entfernt hatten. So wurde Gerlach Radermacher, nachdem das Sendgericht ihm 1575 zunächst vorgeworfen hatte, während der Fastenzeit in Bedburg Hochzeit gefeiert zu haben und außerdem mit einer nahen Verwandten ein uneheliches Kind gezeugt zu haben, mit der Auflage entlassen, eine Kornspende an die vier Pfarrkuratien zu leisten.132 Das Sendgericht handelte somit in Rücksicht auf den innerstädtischen Frieden, indem es den langjährigen Ratssyndicus von einer härteren Strafe verschonte und größeres Aufsehen verhinderte. Der besonders vertrauliche und schonende Umgang mit moralischen und religiösen Verfehlungen angesehener Bürger in öffentlichen Ämtern gehörte zu den Charakteristika frühneuzeitlicher Sitten- und Kirchenzucht.133 Das Gericht kontrollierte kirchliche Normen. Sein Ziel war es, dabei die Einheit der christlichen Gemeinde zu wahren und nicht etwa Skandale, gegenseitige Vorwürfe und Misstrauen zu fördern. Auch in Aachen spielten solche Überlegungen wohl für die weltlichen und geistlichen Sendschöffen sowie auch für das Stadtregiment eine Rolle. Während die politisch berechtigte, bürgerliche Oberschicht fallweise tatsächlich geschont wurde, ging das Gericht gegen Bürger mit geringerer Bedeutung für das politische und gesellschaftliche Leben der Stadt rücksichtsloser vor. Sendgericht und Rat verschärften ihre Strafpraxis in Fällen religiöser Vergehen, indem sie auch Aachener Bürgern, die offensichtlich nicht zugewandert waren, scharfe weltliche Strafen wie die Ausweisung androhten. Damit gingen sie einen Schritt weiter als die religionspolitischen Edikte, die bis 1560 unter dem Eindruck der politischen Auseinandersetzungen um den konfessionellen und politischen Status Aachens erlassen worden waren. Die Ausweisungsdrohungen in diesen Erlassen, hatten sich auch dann, wenn sie religiös begründet gewesen waren, immer ausschließlich gegen Zuwanderer und Einwohner ohne Bürgerrecht gerichtet. Ein Teil der an der Gestaltung der geistlichen Gerichtsbarkeit beteiligten Akteure begriff die Verbreitung nicht katholischer Religiosität als politisches Problem, dem auch mit Maßnahmen gegen etablierte Mitglieder der Bürgergemeinde begegnet werden musste. Ausnahmen von einem konsequenten Durchgreifen des 17. Jahrhunderts, hier: S. 121. Tatsächlich ist aber Zweifel an der Besonderheit dieser Art der Erkundigung angebracht, die evtl. nur deswegen kein zweites Mal in den Sendgerichtsprotokollen belegt ist, weil diese verhältnismäßig inselhaft überliefert sind. 132 Sendgerichtsprotokoll zum 4. Juli 1575, f. 312v. Zur Person Gerlach Radermachers vgl. S. 64. 133 Vgl. Pollmann, Off the Record.

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waren aber häufig, sodass auch auch diese während der 1560er und 1570er Jahre im Sendgericht implizit vertretene religionspolitische Linie in keinem grundsätzlichen Gegensatz zu der überkonfessionellen Konsenspolitik der später regierenden protestantisch dominierten Räte stand. Angesichts dieses Befundes bleibt die Frage offen, ob es er der Einfluss von Gemeinde und Rat im Gericht war, der die moderate Urteilspraxis des Gerichts erzwang, oder ob die geistlichen Schöffen sie freiwillig mittrugen. Wenn die spezifische Rolle des Stadtregiments bei der Gestaltung der Sendgerichtsarbeit verstanden werden soll, sind Konflikte zwischen Sendgericht und Stadtrat ein Ansatzpunkt. Der Streit um die Besetzung der weltlichen Sendschöffenposten, könnte ein Versuch des Rates gewesen sein, seine Kompetenz zur Gestaltung der religiösen Gerichtsbarkeit zu erweitern. Tatsächlich gelang es dem Rat, durch eine Übereinkunft mit dem Sendgericht aus dem Jahr 1572, sein Auswahlrecht für die Laienrichter des Synodalgericht zu formalisieren. Das Sendgericht musste von nun an nach dem Ausscheiden eines Richters mehrere geeignete Kandidaten vorschlagen, aus denen der Rat den Mann bestimmte, der das Richteramt tatsächlich übernahm.134 Darüber hinaus vereinbarten Erzpriester, Sendschöffen und Stadtregiment, dass Urteile des Sendgerichts einer Revision durch den Rat unterworfen wurden. Durch keine der beiden Regelungen setzte der Rat allerdings eine zuvor entwickelte religionspolitische Linie innerhalb des Sendgerichts durch. Die weitreichenden Kompetenzen des Sendgerichts im Bereich der Testamentsvollstreckung konnte zwar das weltliche Schöffengericht an sich ziehen, was aber die Gestaltungsfreiheiten des Stadtregiments in religionspolitisch relevanten Fragen nicht entscheidend zu Lasten des Sendgerichts erweiterte.135 Der Rat griff nicht weiter in die Verfahrens- und Urteilspraxis des Sendge134 Die Einleitung zu der entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Sendgericht und dem Erzpriester auf der einen Seite und Bürgermeister, Schöffen und Rat auf der anderen Seite sind in das Protokoll des Sendgerichts inseriert worden. Vgl. Sendgerichtsprotokoll zum 22. Dezember 1572, f. 145r. Als Anlass für die Vereinbarung werden Streitigkeiten genannt, die es zwischen Magistrat und Sendgericht kürzlich über die nach dem Tod der weltlichen Sendschöffen Symon von Wyler und Nicolai Wylreman gegeben habe. Dass die Regelung auf die Vermittlung in einem solchen konkreten Einzelkonflikt zurückging, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass dahinter keine systematische Politik des Rates stand, sich Kompetenzen in der geistlichen Gerichtsbarkeit anzueignen. Ausführlicher berichtet Lepper, Reichsstadt und Kirche, hier: S. 380–383 über die Vereinbarung, zu deren Vorgeschichte er grundsätzlichere Kompetenzstreitigkeiten zwischen weltlichem Schöffengericht und Sendgericht zählt. 135 Anders: ebd., hier: S. 381. Er argumentiert, der Rat habe seine bereits in vielen anderen Bereichen bestehende Kirchenhoheit in den 1570er Jahren auch auf Kosten des Sendgerichts auszubauen. Die für die vorliegende Studie gemachten Beobachtungen widersprechen dieser Aussage, sowohl in ihrem allgemeinen als auch in ihrem speziell das Sendgericht betreffendem Teil.

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richts ein, nachdem er seine Besetzungs- und Revisionsrechte gefestigt hatte. Bevor religionspolitische Überzeugungen als mögliche Gründe für dieses Verhalten des Rates erwogen werden, müssen zwei praktische Einschränkungen der Verfügungsrechte des Rates über das Sendgericht diskutierter werden: Über die Möglichkeit, die Besetzung des Gerichts zu beeinflussen, konnte der Rat die Arbeit des Gerichts erst effektiv lenken, nachdem mehrere weltliche Sendschöffen aus dem Richterkollegium ausgeschieden waren. Mehrere Neubesetzungen der Stellen weltlicher Sendschöffen sind in den Protokollen des Sendgericht dokumentiert. Am 16. Februar 1573 wurden Jakob Pastor, Albrecht Schrick und Johann Fibus136 als weltliche Sendschöffen vereidigt, wobei ausdrücklich vermerkt wurde, dass die Besetzung der Stellen entsprechend der jüngsten Vereinbarung zwischen Sendgericht und Rat durchgeführt wurde.137 Am 3. Juli 1573 beschloss das Gericht, dem Rat zunächst zwei Kandidaten und dann einen dritten Ersatzkandidaten zur Besetzung einer freigewordenen Sendschöffenstelle vorzuschlagen. Dieses Besetzungsverfahren ist nicht bis zu seinem Abschluss dokumentiert.138 Somit wurden innerhalb eines Jahres mehr als die Hälfte der weltlichen Sendschöffenstellen neu besetzt. Insofern kam das neu verbriefte Besetzungsrecht des Rates gleich in vollem Maß zum Einsatz. Falls das Stadtregiment auf diesem Wege eine neue religionspolitische Linie im Gericht durchsetzen wollte, wurde es dabei allenfalls noch durch den Umstand gehindert, dass den weltlichen Sendschöffen in Verfahren, die rein religiöse Vergehen betrafen – also gerade denjenigen, die für die Umsetzung einer konsequenten konfessionalistischen Linie die größte Bedeutung gehabt hätten – nur ein Beratungsrecht zustand, und die geistlichen Mitglieder des Gerichts die Entscheidung allein trafen. Die Wahl von Vertretern von Rat und Bürgergemeinde – als solche wurden die weltlichen Sendschöffen aufgefasst – in das Gericht war also für die Verfahrens- und Urteilspraxis nicht unbedingt und unmittelbar prägend aber sicherlich einflussreich. Das Revisionsrecht des Stadtregiments hätte hingegen unmittelbar auf die sendgerichtliche Praxis wirken können. Es fehlt allerdings jeder Beleg dafür, dass die städtische Obrigkeit die Urteilspraxis des geistlichen Gerichts durch Revisionsverfahren in eine andere Richtung gelenkt hätte. Zu der Beobachtung, dass weder der Rat noch jemand anderes, seit 1560 eine geistliche Gerichtsbarkeit durchsetzte, die zu einer konsequenten katholischen Konfessionalisierung gepasst hätte, fügt sich bruchlos die wei136 Jeder der drei neuen Sendschöffen schloss sich während der stadtpolitischen Krise zu Beginn der 1580er Jahre zumindest vorübergehend der katholischen Opposition an. Schrick und Fibus gehörten zu denjenigen Akteuren des katholischen Exilregiments, die in den politischen Auseinandersetzungen am prominentesten hervortraten. 137 Vgl. Sendgerichtsprotokoll zum 16. Februar 1573, f. 149r. 138 Vgl. Sendgerichtsprotokoll zum 3. Juli 1573, f. 168v.

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tere Entwicklung der sendgerichtlichen Arbeit: Am verfassungspolitischen Umbruch von 1574 ist keine Veränderung der Arbeit des Sendgerichts zu beobachten. Vor und nach der Wiederzulassung der Augsburger Konfessionsverwandten zum Rat verhandelte das Sendgericht dieselben Vergehen mit vergleichbarer Strenge und ähnlichen Ausgängen. Insofern ist die gängige Bewertung des Jahres 1574 als religionspolitischer Wendepunkt für Aachen in Bezug auf die Entwicklung der geistlichen Gerichtsbarkeit nicht nachvollziehbar. Damit stellt sich die Rolle des Sendgerichts als gemeinsames Organ von Bürgergemeinde und katholischer Kirche über den gesamten Verlauf des Untersuchungszeitraums wie folgt dar: Trotz einiger Überlieferungslücken kann eine starke Kontinuität der Sendgerichtsarbeit von den 1550er bis in die 1570er Jahre hinein festgestellt werden. Das Gericht ahndete Abweichungen von den äußerlichen Formen und Normen der katholischen Religion, ohne konfessionalistisch katholisch und gegenreformatorisch zu wirken. Die Sendschöffen handelten damit im Sinne der innerstädtischen Friedenswahrung und auf der politischen Linie des Stadtregiments. Eventuell arbeitete das Gericht in dieser Art und Weise auch noch in den 1580er Jahren. Definitiv verlor das Gericht seine Funktion erst nach der stadt- und außenpolitischen Krise, die aus der ersten kaiserlichen Bannandrohung und der daraufhin erfolgten Ergänzung weltlicher Sendschöffen 1590 entstand. Unter diesen Umständen spalteten sich der Erzpriester, die geistlichen Sendschöffen und die kooptierten weltlichen Sendschöffen von den Kandidaten des Stadtregiments für die Besetzung des Gerichts ab.139 Die Beendigung der Sendgerichtsarbeit folgte aus einem Konflikt im Rahmen der politischen Auseinandersetzung um den politischen und religiösen Status der Reichsstadt Aachen. Als städtisch-kirchliche Mischinstitution, die sich zur Friedenswahrung ebenso wie zur Kontrolle katholischer Normen verpflichtet sah, versagte das Sendgericht erst in einer Phase der krisenhaften Zuspitzung der konfessionellen Abgrenzungsprozesse. Nach der Restitution des katholischen Stadtregiments rückte das Sendgericht nicht wieder zurück in die Rolle einer gleichermaßen kommunalen wie katholisch-kirchlichen Institution. Der Erzpriester gestaltete stattdessen durch das Sendgericht eine gegenreformatorische Politik im Sinne der kaiserlichen Restitutionsmandate und der Anordnungen der kaiserlichen Kommissare. Seine Absicht drückte er in einem bereits 1598 veröffentlichten Edikt aus, das sich ausdrücklich gegen die protestantischen Kirchen und ihre Anhänger in Aachen richtete.140 Erzpriester Johann Ellerborn ließ 139 140

S. o. S. 156. Von der sendt welches zu Aach op St. flien und andere Pfarrkirchen opgehangen

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Anlass und Grund für den an alle Einwohner Aachens gerichteten Befehl des Sendgerichts wie folgt erklären. Die Regelung sei nötig, „[. . . ] nach dem mit tauffen der kinder zusamengeben der Eheleudt, feyren der sontagh und h. tagh, begrebnuß, des abgestorbenen und fleisch verkauffens, und speisens, neben geubten verscheidenen liche Conventiculen und andern verbottenen unzuleissig geubtem handelen eine gerhume, zeit allerhandt unordnungh unrichtigkeite und mißbreuch ingeschlichen, und je lenger je mehr zugenomen und gehebt worden zu nit geringer der einfeltigen und sonsten frommer catholischer christen erbarmlichen argernussen und beschwer, und der christlicher kirchen heilsamblicher ordnungen und insatzung, strafflicher verachtungen und zu widder [. . . ]“141 Das Edikt beseitigte die Spielräume, welche die Aachener Protestanten aufgrund der vom Sendgericht lange Zeit mitgetragenen kommunalen Konsenspolitik gehabt hatten. Das Gericht orientierte sich künftig an dem Ziel, jeden einzelnen Aachener vor der Gefahr zu bewahren, in seiner Frömmigkeit von der katholischen Religion abzuweichen. Damit hatte seine Arbeit eine weitaus größere Reichweite als die konflikteingrenzende Sektenbekämpfung der Vorjahre. Die sich daraus ergebende Verfahrens- und Urteilspraxis ist heute nur noch im Spiegel der Wahrnehmung durch den katholischen Rat und in den Beschwerden der verfolgten Aachener Protestanten zu erschließen. Demnach deutet vieles darauf hin, dass das Sendgericht nach 1598 tatsächlich erstmals tief in das Religionsleben der Einwohner Aachens eingriff: Die Aachener Protestanten klagten, dass ihnen durch die sendgerichtlichen Verbote die Möglichkeit genommen worden sei, ihren grundlegendsten religiösen Gewissenszwängen zu folgen und sie darüber hinaus durch Geldstrafen und Androhungen weiterer Strafen schwer belastet wurden.142 Innerhalb des katholischen Stadtregiments auf der anderen Seite erwogen Ratsherren und Amtsträger, wie bereits diskutiert, ob die Sendschöffen eventuell aus eigennützigen Motiven zu scharfe Strafen verhängten und dadurch den innerstädtischen Frieden gefährden würden. Auch Teile des katholischen Magistrats waren also prinzipiell bereit, dem Ziel, Konflikte innerhalb der ist worden, 8. Oktober 1598, in: Memorialbuch, Archiv der Evangelischen Gemeinde Aachen, f. 27r bis 29r. 141 Ebd., f. 27r. 142 Vgl. Memorial über die Synodalgerichtsbarkeit in Aachen für die kaiserlichen Kommissare. Vom Sendgericht zur Widerlegung der von den Deputierten am 16. Juni 1612 vorgelegten Rechtfertigungs- und Klageschrift mit der Bitte um Vortrag beim Kaiser, ohne Datum, LA NRW Abt. Rhld. Dep. Reichsstadt Aachen 5.

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Bürgerschaft zu schlichten, die eindeutige konfessionelle Normsetzung durch das Sendgericht unterzuordnen. Die religionspolitische Konfliktlinie, an der über die Priorität zwischen dem stadtpolitischen Ideal der bürgerlichen Einigkeit und einer katholischen Reform und Konfessionalisierung gestritten wurde, konnte somit nach 1598 nicht zwischen dem Rat und dem Sendgericht verlaufen. Wie gesehen war der katholische Rat mit einer gewissen Verbindlichkeit auf eine katholisch konfessionalisitische Religionspolitik festgelegt. Ein Vergleich der im engeren Sinne religionspolitischen Edikte des Rates mit dem Sendgerichtsedikt von 1598 macht deutlich, wie der Rat im Rahmen dieser Zwänge versuchte, ein neues Gleichgewicht zwischen konfessionalistischer Entschlossenheit bei der Durchsetzung religiöser Normen und der Ordnung des bürgerlichen Zusammenlebens zum Zweck des friedlichen Zusammenlebens zu finden. Neben den Edikten, welche die politische und gesellschaftliche Teilhabe der Aachener Protestanten eingrenzten und die insofern in erster Linie verfassungspolitischer und nicht im engsten Sinne religionspolitischer Art waren, gab das katholische Stadtregiment die Religion betreffende Befehle zur Ausweisung von Wiedertäufern und zur Regelung protestantischer Begräbnisse aus. Der Ratsbefehl zu nicht-katholischen Begräbnissen wurde erst am 5. Oktober 1599, mehr als ein Jahr nach der Restitution erlassen.143 Schon diese Verzögerung deutet darauf hin, dass die konfessionelle Gestaltung der Aachener Bürgergesellschaft nicht das dringlichste Ziel des katholischen Magistrats war. Inhaltlich liefert ebenfalls keines der beiden Edikte einen Beleg für eine tiefgreifende Konfessionalisierung des katholischen Stadtregiments. Das Wiedertäuferedikt hatte dieselbe Qualität wie Maßnahmen zur Sektenbekämpfung, die in der Reichsstadt Aachen bereits seit den 1540er Jahren in Gebrauch gewesen waren. Das Begräbnisedikt griff in einen Bereich der reformierten und lutherischen Religiosität ein, den 1598 bereits das Sendgericht hatte normieren wollen. Im direkten Vergleich der Regeln, die Rat und Sendgericht für die Begräbnisse der Aachener aufstellten, fällt auf, dass das Stadtregiment die reformierte und lutherische Frömmigkeit in diesem Aspekt geradezu protegierte: Das Sendgericht hatte nicht katholische Begräbnisse grundsätzlich verboten. Dem verlieh es Nachdruck, indem es die bisher übliche Nutzung des Kirchhofs von Klein St. Jakob durch die reformierten und lutherischen Bürger untersagte und außerdem den für Bestattungen zuständigen Brüdern des Alexianerordens untersagte, nicht-katholische Begräbnisse zu unterstützen.144 Dahingegen erkannte der Stadtrat durchaus an, dass weiterhin 143

Vgl. StAAa, RA II, Allg. Akt. 866, f. 51rv (Abschrift). Vgl. „Copia. Von der sendt welches zu Aach op St. flien und andere Pfarrkirchen opgehangen ist worden“, 8. Oktober 1598, Memorialbuch. 144

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praktizierende protestantische Christen in Aachen lebten und sie auch ihre Verstorbenen beerdigen mussten. Die obrigkeitliche Regelung solcher Bestattungen zielte darauf, das Konfliktpotential öffentlicher protestantischer Begräbnisse zu entschärfen. Sie legte die Höchstzahl der Begleiter für ein protestantisches Begräbnis auf maximal 16 fest. Die offizielle Begründung der Maßnahme verdeutlicht die ordnungs- und religionspolitische Position des katholischen Rates zwischen der ihm von verschiedenen Seite auferlegten Pflicht zur katholischen Reform und Gegenreformation und dem Willen zur Umsetzung der traditionellen städtisch-obrigkeitlichen Aufgaben der Friedens-, Sicherheits- und Wohlstandswahrung. In seinem Edikt bezog sich der Rat zunächst auf die sendgerichtliche Anordnung von 1598, unterstrich die Pflicht der Aachener Bürger, sich an diese Normen zu halten, und bezeugte so formell seine Übereinstimmung mit der religionspolitischen Linie des Sendgerichts. Im nächsten Schritt seiner Argumentation begründete das Stadtregiment, warum ihm etwa ein Jahr, nachdem das Sendgericht seine Regeln an den Toren der vier Aachener Pfarrkuratien hatte aushängen lassen, eine weitere, obrigkeitliche Regelung der Begräbnispraxis notwendig erschien: Obwohl der Rat gehofft habe, die „Confessionisten und Uncatholische[n]“ hätten sich nach der entsprechenden Ermahnung des Sendgerichts willig gezeigt, ihre Begräbnisse zwar nicht einzustellen, aber zurückhaltend zu gestalten, hätten sich Dinge zum Schaden der bürgerlichen Gemeinschaft anders entwickelt: „[. . . ] so befinden doch wir im werck und der that, daß bey allsochen begräbnußen und todentragen eine groes anzahl Burger und Einwohner durch des abgestorbenenen befrunnden geruffen und erbetten werden, an daß auch andere, welche nit beruffen, auß lautere ubermuthige frevel, und allein zu sterckung der Reyen und gezahls sich herzudringen [. . . ]“. Bürgermeister und Rat warfen ihren protestantischen Bürgern somit nicht die Abweichung von katholischen, religiösen Normen sondern eine unnötige und absichtliche Provokation zum Schaden ihrer Mitbürger aller Bekenntnisse vor. Er suchte allerdings nicht die Konfrontation mit seinen reformierten und lutherischen Bürgern, zu der es gekommen wäre, hätte er diesen Vorwurf offen geäußert. Der Stadtrat regelte also einen Aspekt des Religionslebens seiner protestantischen Untertanen. Jede einzelne Person, die an Verstößen gegen die Auflagen beteiligt war, sollte ein Strafe von einem Goldgulden zahlen. Das war zwar eine empfindliche Geldstrafe. Sie war aber nicht dazu geeignet, von der Praxis der auffälligen protestantischen Beerdigungen wirkungsvoll abzuschrecken. Vielmehr ermöglichte sie es den Aachener Protestanten sogar, ihre demonstrative Frömmigkeit zu verstetigen, solange sie bereit und in der Lage waren, die Strafzahlungen aufzubringen. Mit seiner Entscheidung über die Art der Strafe unterstrich der Rat noch einmal seine Bemühungen,

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drei schwer miteinander vereinbare politische Ziele zu vereinbaren: Die Wahrung der innerstädtischen Ordnung, die Leistung eines Beitrags zur katholischen Reform und Gegenreformation in Aachen und die friedliche Integration protestantischer Bürger und Einwohner. Wie vielfältig und folgenreich die Möglichkeiten der Aachener Obrigkeit waren, sich unter ganz verschiedenen Voraussetzungen zu diesem Zielkonflikt zu positionieren, zeigt der Umstand, dass selbst nach der zweiten katholischen Restitution von 1614 die Religionspolitik des Aachener Magistrats nicht gleichbedeutend mit Bemühungen zur katholischen Vereinheitlichung und Konfessionalisierung der Stadt war. Die Vorzeichen für die Ausrichtung der städtischen Religionspolitik waren 1614 zunächst eindeutiger. Jetzt ergriff der Rat im Unterschied zu 1598 die Initiative, um das Religionswesen in Aachen umfassend so neu zu ordnen, dass für reformierte und lutherische Konfessionskirchen kein Raum mehr blieb: Mit einem am 19. September 1614 veröffentlichten Edikt wollte der Magistrat den Aachener Protestanten die Grundlagen ihres Religionslebens entziehen:145 Ihre Prediger und Lehrer sollten innerhalb kurzer Fristen die Stadt verlassen. Predigten und Gottesdienste außerhalb der katholischen Kirche wurden verboten. Die religiöse Schulbildung im protestantischen Sinne sollte vollständig unterbunden werden. Auch zu anderen wichtigen Bereichen des religiösen Lebens – der Beachtung der Fastenzeiten und der respektvollen Teilnahme an Prozessionen – befahl der Rat, dass jede Abweichung von „[. . . ] unsere[r] aldten wahren romischen Catholischen allein seeligmachende[n] Religion [. . . ]“146 unterlassen werden sollte. Die Strafe, die der Rat für Verstöße gegen alle genannten Vorschriften aussetzte, unterschied sich grundsätzlich von den 1599 für zu große protestantische Trauergemeinden angedrohten Geldstrafen. Nun wurde ganz allgemein eine willkürliche Strafe an Leib und Leben der nicht katholischen Delinquenten angedroht, was den Willen des Rates zu einer konsequenten Gegenreformation verriet. Diesem Entschluss entsprachen auch diejenigen Bestimmungen in dem Ratsedikt, die darauf abzielten möglichst viele reformierte, lutherische und täuferische Einwohner Aachens zum Verlassen der Stadt zu zwingen. Neben den protestantischen Predigern und Schulmeistern mussten auch alle Wiedertäufer sowie alle Zuwanderer aus der Zeit zwischen dem Beginn des Aufstands von 1611 und der Absetzung des zweiten protestantisch dominierten Regiments 1614, die keine Katholiken waren, aus Stadt und Reich Aachen verziehen. Darüber hinaus sollten auch sämtliche nach 1598 145 Vgl. Ratsedikt vom 19. September 1614, LA NRW, Abt. Rhld., Depositum Reichsstadt Aachen, Akten 5. Weitere Kopien in RA II, Allg. Akt. 869, f. 157r–159v und Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnis, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,1, S. 38–39. 146 Ratsedikt vom 19. September 1614, ebd., S. 38.

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zugezogene Protestanten die Stadt verlassen, die bis zum Erlass des Edikts nicht das Bürgerrecht erworben hatten. In einem nachgeschobenen Edikt schränkte der Rat schließlich im November 1614 erstmals auch die gesellschaftliche Teilhabe von Aachener Protestanten mit Bürgerrecht weiter ein, als das zuvor durch den Ausschluss von der Stadtpolitik der Fall gewesen war: Bürger, die von der katholischen Religion abwichen, sollten nicht mehr in die Gaffeln aufgenommen werden und damit prinzipiell die Möglichkeit verlieren innerhalb des zünftig organisierten Handwerks und Gewerbes in Aachen tätig zu werden.147 Der katholische Rat von 1614 zeigte damit eine bis dahin für eine Aachener Obrigkeit beispiellose Entschlossenheit zu einer konfessionalistischen Politik zur Gestaltung der religiösen Verhältnisse innerhalb der Stadt. Als Grund für diese Neuausrichtung gaben die Autoren des Edikts an, dass Ordnung und Friede in der Reichsstadt in der Vergangenheit immer wieder durch den Einfluss protestantischer Prediger und die Ausbreitung ihrer Lehre erschüttert worden seien. Ohne eine Einigung der Bürger und Einwohner Aachens unter der katholischen Religion sei die dauerhafte Beruhigung der Reichsstadt unmöglich. Diese Überzeugung war das Ergebnis der in den vorangegangenen politischen Auseinandersetzungen immer weiter fortgeschrittenen konfessionellen Polarisierung. Durch die Erfahrung von Unsicherheit und existentieller Bedrohung während des jüngsten Aufstands, hatte sie sich bei der katholischen, bürgerlichen Führungsschicht verfestigt.148 Trotzdem waren Rat, Religionspolitik und Stadtgemeinde auch damit offensichtlich noch nicht dauerhaft katholisch konfessionalisiert. Als die Aachener Obrigkeit, sich einige Jahre später während des 30-jährigen Krieges gegen militärische Übergriffe der niederländischen Generalstaaten absichern wollte, erklärte sie nicht nur die Neutralität Aachens. Sie trat darüber hinaus den Beweis an, zu keinem religionspolitischen Lager zu gehören, indem sie den immer noch in der Stadt verbliebenen Protestanten weitreichende Freiheiten für ihre Religionsausübung zugestand.149 Nach 1621 verschonte 147 Vgl. „E.E. Rath von Acken überkompst Ao 1614.“, 27. November 1614 (Kopie), Archiv d. EKiR, 01–0,2 (Entstehung, Verfassung, Bekenntnis der reformierten Gemeinde), 7. Mappe. 148 Eine ausführlichere Analyse der Konstruktion dieser Überzeugungen folgt unten Abschnitt 3.3 ab S. 417. 149 Vgl. hierzu und zum Folgenden einen Bericht der lutherischen Gemeinde Aachen an die niederländischen Generalstaaten, der wahrscheinlich im Umfeld der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden entstanden ist. Die Aachen Lutheraner versuchten, an Hand der nachsichtigen Religionspolitik des Stadtregiments nach 1621 zu belegen, dass sie im Normaljahr von Münster und Osnabrück – 1624 – faktisch das Recht zur privaten Religionsausübung besessen hatten. „Kurtzer infomatio, wardurch die der Augsp Confeßion Religions verwanten Gemeinde zu Aach, vor, in, und nach Ao. 1624 in poßeßione

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das Sendgericht auf Betreiben des Rates Protestanten, die gegen Gebote zu Taufen, Eheschließungen und Gottesdiensten in privatem Rahmen verstoßen hatten von Strafen. Auch die Prediger der lutherischen Gemeinde wurden zunächst nicht mehr verfolgt. Darüber hinaus gelang es zumindest einzelnen Lutheraner, die Mitgliedschaft in Gaffeln und somit den Zugang zu den zugehörigen Gewerben zu finden. Erst 1637 verstärkte der Rat seine gegenreformatorischen Bemühungen wieder und ließ das Sendgericht erneut konsequent gegen Mitglieder, Prediger und Frömmigkeit der lutherischen Gemeinde vorgehen. Die Lutheraner beschwerten sich darüber später als über eine unrechtmäßige Beeinträchtigung ihres exercitium privatum. Der Exkurs in die Religionspolitik des Aachener Rates bis über die zweite katholische Restitution hinaus zeigt, dass der Rat und das Sendgericht in Aachen langfristig immer wieder fähig waren, religiöse Normen der katholischen Kirche aufzustellen und gerichtlich durchzusetzen, ohne dabei konfessionalistisch zu handeln. Das Konzept der Friedenswahrung zwischen Bürgern und Einwohnern, auch unterschiedlicher Bekenntnisse, verblieb im politischen Repertoire des Aachener Stadtregiments. Wie sich protestantisch und katholische Regimenter durch die Verfolgung solcher Ziele auch schwächen konnte, wird im Folgenden untersucht. 3.1.2.3 Religionspolitische Zurückhaltung, überkonfessionelle Ratspolitik und die Autorität des Stadtregiments Wenn das Stadtregiment sich den bürgerlichen Frieden zum Ziel setzte, musste es den Eindruck vermitteln, dass die innerstädtische Ordnung durch die konfessionelle Überparteilichkeit aufrecht erhalten werden konnte. Seine Autorität konnte das Stadtregiment bei der Verwaltung der Justiz beweisen. Weil der Aktenbestand zur städtischen Kriminalgerichtsbarkeit im Untersuchungszeitraum vollständig verloren ist, lässt sich die Bedeutung von Religionskonflikten und konfessionell aufgeladenen Streitigkeiten vor den Richtern des städtischen Kurgerichts und des königlichen Aachener Schöffenstuhls nicht im einzelnen analysieren. Anhand eines einzelnen prominenten Falls der reichsstädtischen Justiz in Aachen, soll dennoch aufgezeigt werden, welche möglichen Konsequenzen sich aus der Verbindung der gemischtkonfessionellen Verhältnisse in Aachen, der politischen Diskussionen über Aachen und den Pflichten und Ansprüchen der städtischen Gerichtsbarkeit ergaben. Im Dezember 1589 wurde der Aachener Schöffe Gerhard Ellerborn vor das Kurgericht des Rates bestellt. Bürgermeister und Rat warfen ihm vor, den exercitii privati, und burgerlichen handwerckeren gewesen, [. . . ]“, [ca. 1648], Archiv der EKiR, 01–0,16 Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand, Exercitium religionis 1576–1644.

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Kaiser beleidigt zu haben. Tatsächlich war Ellerborn vorgeladen worden, nachdem er die Legitimation des protestantisch dominierten Stadtregiments öffentlich in Frage gestellt hatte. Außerdem hatte er öffentlich in Frage gestellt, ob der Rat die Justiz in der Stadt unparteiisch verwaltete.150 Offenbar kurz vor der Vorladung Gerhard Ellerborns vor das Kurgericht hatte er mit dem Ratssekretär Franz Bocholtz eine öffentliche politische Diskussion im Haus Zum Spiegel geführt.151 Bocholtz drängte Ellerborn dazu, das amtierende Stadtregiment als rechtmäßige Obrigkeit Aachens anzuerkennen. Dieser hielt beständig dagegen, dass der Kaiser der Herr Aachens sei und dass er als solcher das Schöffengericht und den Vogtmeier als oberste Gerichtsbarkeit über die Stadt eingesetzt habe. In den Auseinandersetzungen um die Besetzung des Sendgerichts, die damit verknüpfte Besetzung des Schöffengerichts und die Annahme Johann von Thenens als Vogtmeier habe sich die amtierende Regierung offen dem kaiserlichen Willen widersetzt. Der Kaiser habe in diesem Zusammenhang eindeutig entschieden und zugesagt, die Rechte des Schöffengerichts und der „Catholischen Bürgerschaft“152 zu verteidigen. Ellerborn ließ gegenüber seinem Gesprächspartner Bocholtz keinen Zweifel daran, dass er der Auffassung war, die gegenwärtigen politischen Entwicklungen könnten nicht mehr anders enden als in der Absetzung des amtierenden Magistrats. In diesem Zusammenhang ist die Aussage Ellerborns zu verstehen, die das Stadtregiment zum Anlass für den Prozess gegen ihn nahm: Ellerborn gestand später selbst zu, dass er wortreich und aufgeregt ausgeführt hatte, man müsse den Kaiser überall 150

Der in der Folge beschriebene Prozess in Aachen bildet tatsächlich nur die ‚Vorgeschichte‘ des später in Köln gegen Ellerborn eröffneten Verfahrens und wurde von Keussen, Der Kölner Prozess gegen Gerhard Ellerborn und seine Aachener Vorgeschichte, 1590–1594 dementsprechend nur oberflächlich untersucht. Die Beschreibung der Ereignisse folgt hier zunächst Gerhard Ellerborns Rechtfertigungsschrift, die den Vorfall am dichtesten, plausibelsten und in den wesentlichen Fakten unwidersprochen wider gibt: „Abschrifft Gerhardt Ellerborns von wegen seiner Außgeschreyeter schmehung vermeinter purgantions schrifft“, 23. Dezember 1589, LA NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 97r–105v. 151 Zur Funktion von Gasthäusern als Orte auch politischer und agitatorischer Kommunikation vgl. zusammenfassend: Gerd Schwerhoff, Die Policey im Wirtshaus. Obrigkeitliche und gesellschaftliche Normen im öffentlichen Raum der Frühen Neuzeit. Das Beispiel der Reichsstadt Köln, in: Christian Hochmuth/Susanne Rau (Hrsg.), Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt. (Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven, Bd. 13.) Konstanz 2006, S. 355–376, hier: S. 356–357. 152 Ellerborn bediente sich an mehreren Stellen seiner Rechtfertigungsschrift der Selbstbezeichnungen der katholischen, Aachener Interessengruppen in den politischen Auseinandersetzungen um Aachen. Das protestantisch dominierte Stadtregiment bestritt dagegen in bekannter Form den Anspruch der katholischen Opposition, für die Katholiken in Aachen insgesamt zu sprechen.

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für „[. . . ] eyn schell narr [. . . ]“153 und Wortbrüchigen halten, wenn er die Versprechen, die er den katholischen Bürgern und den Schöffen gegeben hatte, nicht einlösen würde. Damit hatte er offensichtlich in scharfem Sarkasmus seine Zuversicht ausgedrückt, dass der protestantische Rat nach seinem fortgesetzten Ungehorsam gegen den Kaiser gestraft werden würde. In seiner Rechtfertigung gegen die Vorwürfe des Stadtregiments, die er in einem notariellen Instrument festhalten ließ und unter anderem auch an den Kaiser selbst richtete, versicherte er dementsprechend, dass an seiner Treue zum Kaiser weder während des Streitgespräches mit Bocholtz noch zu irgendeinem anderem Zeitpunkt ein Zweifel hätte bestehen können. Nachdem er im Spiegel darauf beharrt hätte, dass die kaiserlichen Befehle den Schöffen und Katholiken in den schwebenden Auseinandersetzungen gegen den amtierenden Rat Recht gaben, hätte er sogar bei seinem Gegenüber, dem Ratssekretär, die stillschweigende Zustimmung darüber wahrgenommen, dass das Stadtregiment sich durch sein Handeln ins Unrecht gesetzt habe. Bocholtz habe deswegen zwar zunächst angedroht, er müsse Bürgermeistern und Rat von Ellerborns politischer Haltung berichten, habe sich dann aber versöhnlich gezeigt und bedauert, dass er in geselliger Runde den vorangegangenen Streit provoziert habe. Gerhard Ellerborn habe seinerseits nichts dagegen gehabt, dass der Rat von seiner Haltung erfuhr, solange Bocholtz in seinem Bericht nur bei der Wahrheit über das Gespräch der beiden bleibe. Das Stadtregiment versuchte im Fall Ellerborn aber nicht weiter, ein objektives Bild von den im Spiegel ausgetauschten Standpunkten zu gewinnen. Bürgermeister und Rat skandalisierten die Äußerungen Ellerborns stattdessen, indem sie sie ihres ursprünglichen Kontexts weitgehend entkleideten. Sie stellten Ellerborn als gefährlichen Feind der politischen Friedensordnung in Aachen dar. Das Verfahren gibt wertvolle Aufschlüsse darüber, welche Bedeutung das Stadtregiment seiner Rechtsprechung gerade für die Aufrechterhaltung des friedlichen Zusammenlebens der Konfessionen zumaß. Zunächst hielten Bürgermeister und Rat als Ergebnis der kurzfristig einberufenen Zeugenbefragung fest, dass das Streitgespräch zwischen Bocholtz und Ellerborn seinen Anstoß an einer Diskussion über die städtische Gerichtsbarkeit genommen habe. Ein Verwandter Bocholtz’ habe darüber geklagt, dass das Aachener Schöffengericht ohne vorherige Untersuchungen gegen seinen Bruder vorgegangen sei. Deswegen habe er sich bei Bürger153 „Abschrifft Gerhardt Ellerborns von wegen seiner Außgeschreyeter schmehung vermeinter purgantions schrifft“, 23. Dezember 1589, LA NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 102r.

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meistern und Rat beschwert.154 In der daran anküpfenden Diskussion habe Ellerborn dem Aachener Schöffenstuhl im Gerichtswesen der Reichsstadt eine höhere Autorität als dem Rat eingeräumt und habe sich schließlich dazu verstiegen, den Kaiser einen Schelm zu nennen. Dass Gerhard Ellerborn in den außenpolitischen Auseinandersetzungen um Aachen zu den Gegnern des Stadtregiments gehörte, griffen Bürgermeister und Rat auf, als sie ihren Prozess gegen den Schöffen vor dem Kaiser rechtfertigten. Sie warfen Ellerborn in diesem Zusammenhang sein nicht nur während des Gesprächs im Spiegel, sondern auch in seiner Tätigkeit als Rittmeister in Diensten der Generalstaaten vor.155 Zunächst standen aber die innenpolitischen Absichten im Vordergrund, die der Rat mit seinem Prozess gegen Ellerborn verfolgte. Indem er die Äußerung Ellerborns in den Zusammenhang eines grundsätzlichen Streits um die Kompetenzen innerhalb der städtischen Gerichtsbarkeit setzte, machte der Rat den Prozess gegen Ellerborn zu einer entscheidenden Maßnahme zur Erhaltung des innerstädtischen Friedens, besonders zwischen Reformierten, Lutheranern und Katholiken. Die Maßnahme wurde mit großer Öffentlichkeitswirkung, ohne Rücksicht auf möglicherweise dadurch ausgelöste Konflikte durchgeführt. So wurde die Ladung Gerhard Ellerborns, die den Hauptvorwurf, der Schöffe habe den Kaiser beleidigt, bereits enthielt, in der Stadt publiziert, während sich der Angeklagte außerhalb Aachens aufhielt. Ellerborns Parteinahme für das Schöffengericht stellte der Rat als Teil jener schädlichen Politik dar, durch die einige Widerwärtige nach dem kaiserlichen Befehl von 1589 die Obrigkeit der Reichsstadt in Frage stellten und den Frieden in der Stadt gefährdeten. Die Widerwärtigen könnten sich nicht auf die Unterstützung der friedliebenden katholischen Bürger Aachens berufen. Die selbsternannten Vertreter der katholischen Bürgerschaft in den Reihen der Schöffen und Sendschöffen hätten die 1584 durch die gemischtkonfessionelle kaiserliche Kommission eingeführte Ordnung der Aachener Justiz umgestoßen, indem sie beispielsweise den damals bestätigten Schreiber des Schöffengerichts abgesetzt hatten. Desweiteren, so implizierte der Rat mit der Verbindung von Ellerborns Beleidigung des Kaisers mit einem Streit über die Arbeit des Schöffengerichts und die Kompetenzverteilung zwischen der Jurisdiktion des Rates und der des Schöffenstuhls, gefährdeten, die ka154 „Inquisitional kundtschafft uber hern Gerhardt Ellerborn scheffen auff die Römisch keiser. Mat. außgegoßene schmehe, ahm 5. Decembris Ao p 89 durch eines Erbaren Raths verodnete abgehort“, LA NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 111r–113v, hier: f. 111rv. 155 Bürgermeister, Schöffen und Rath E. Rom: Kais: Maytt: koniglichen stuels und freier deß heiligen Reichs statt Aach, 15. März 1590 [Stellungnahme des Regiments zum gegen Gerhard Ellerborn erhobenen Vorwurf der Schmähung des Kaisers und den Folgen dieses Vowurfs], LA NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 108r.

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tholischen, oppositionellen Schöffen die innere Ordnung, weil sie die Justiz des Stadtregiments anfochten. Der Rat ließ hier zwar unterschwellig, aber dennoch merklich, die Anklage mitschwingen, dass die Schöffen, die zur katholischen Opposition zählten, aus vorgeschobenen religiösen Motiven nicht an einer gerechten Gerichtsbarkeit interessiert waren. Aus diesem Grund mussten die Verwandten des Ratssekretärs Bocholtz den Schutz des Rates gegen die Willkür des Schöffenstuhls suchen. Gerhard Ellerborn habe sich neben der Beleidigung des Kaisers also der nicht weniger schwerwiegenden Verfehlung schuldig gemacht, für das Schöffengericht zu argumentieren, das aus konfessionalistischen Motiven, den Zusammenhalt der Aachener Bürgergemeinschaft gefährdete. Bürgermeister und Rat sagten voraus, dass die Provokationen der Schöffen, Ellerborn und der weltlichen Sendschöffen, die sich zur selben Zeit in das Synodalgericht hatten aufnehmen lassen, zu einem blutigen Aufstand in der Stadt führen könnte. Das protestantische dominierte Stadtregiment knüpfte damit an bekannte Argumentationsmuster aus den parallelen Auseinandersetzungen in Reich und Region an. Mit dem Verfahren gegen Ellerborn übertrug der Magistrat gleichzeitig das Bedrohungsszenario einer durch ‚Widerwärtige‘, verschuldete Verunsicherung der Reichsstadt Aachen auf die Eindrücke der Aachener Bürger von ihrer innerstädtischen Justiz. Der Rat begegnete im Prozess gegen Ellerborn zwei Problemen, die seine Fähigkeit, in Aachen effektiv Recht zu sprechen, in Frage stellten und damit auch die Gestaltung des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen erschwerten: Das mit der Causa Aquensis verknüpfte Problem, inwieweit das Regiment seine Jurisdiktion in Aachen durchsetzen konnte, nachdem es am kaiserlichen Hof als unrechtmäßig erkannt worden war, versuchte der Rat zu lösen, indem er innerstädtische Gegner seiner Herschaft nun auch den Bürgern und Einwohnern der Stadt gegenüber als Unruhestifter darstellte. Konflikte in Gerichtsprozessen oder über das Justizwesen, durch welche Argumente zur Ächtung katholisch-konfessionalistischer Akteure in die Aachener Bevölkerung transferiert wurden, waren jedoch weder vor noch nach 1589/90 alltäglich. Dass der Prozess gegen Gerhard Ellerborn eine Diskussion um die Legitimation der städtischen Obrigkeit und über die Möglichkeiten und Grenzen des friedlichen Zusammenlebens der Konfessionsgruppen in der Stadtgemeinde trug, lag vielmehr daran, dass er zeitgleich mit einer Zuspitzung der reichs- und regionalpolitischen Auseinandersetzungen um Aachen geführt wurde. Zusätzlich ermöglichte die Person Gerhard Ellerborns dem Rat, in einem Prozess gegen diesen Schöffen besonders offensiv und öffentlichkeitswirksam die eigenen politischen Standpunkte zu demonstrieren. Ellerborn hatte noch kurze Zeit vor den Vorkommnissen im

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Spiegel als Reiterhauptmann im Dienst der Generalstaaten gestanden. Schon diese militärische Tätigkeit nutzte der protestantische Rat, um Ellerborn als Feind des Friedens und „[. . . ]newlicher weill der holländischen staten in die sechs jhar, widder die kon: M. zu hispanien [. . . ] unsers gnadigsten herren, gewesener Rittmeister [. . . ]“156 zu denunzieren. Wenn Ellerborn schon durch sein militärisches Engagement gegen Philipp II. zu einem leichten Ziel für politische Angriffe des Stadtregiments wurde, diskreditierte er sich bei der Aachener Bürgerschaft vollends, als er im Laufe des Jahres 1590 eine wichtige Rolle in der Jülicher Handelsblockade gegen die Reichsstadt Aachen übernahm. Nun als Hauptmann von Soldaten in Jülicher Diensten, zum Teil aber auch auf eigene Rechnung überfiel er Transporte Aachener Kaufleute, beschlagnahmte deren Waren und überführte auch einzelne Aachener Bürger, darunter prominente Mitglieder der politischen Führungsschicht, in Geiselhaft.157 Dadurch erhielt der Aachener Rat noch nachträglich die Gelegenheit, den Bürgern von Aachen die von Ellerborn ausgehende Gefahr für die innere Ordnung der Aachens gemeinsam mit seinen Angriffen auf die äußere Sicherheit der Stadt vor Augen zu führen. Gleichzeitig entzog sich Ellerborn mit seinem Wechsel in Jülicher Dienste dem Zugriff des Kurgerichts. Schon als unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung seiner Vorladung durch den Rat, hatte er sich geweigert, den Rat als seinen Richter zu akzeptieren. Neben dem notariellen Instrument zu seiner Rechtfertigung, mit dessen Hilfe er unter anderem die Unterstützung Kaiser Rudolfs II. gegen den Rat suchte, hatte er die Klage des protestantisch dominierten Stadtregiments durch eine Gegenklage beim Schöffenstuhl abwehren wollen. Die oppositionellen katholischen Mitglieder des momentan gespaltenen Schöffengerichts und der Jülicher Vogtmeier Johann von Thenen ergriffen daraufhin Partei für Ellerborn, wodurch er indirekt zu einem Klienten des Herzogs von Jülich im Streit zwischen Reichsstadt und Herzogtum um die Gerichtshoheit wurde.158 Als Ellerborn zwei Jahre später in Köln vor das Hochgericht gestellt wurde, weil er als Hauptmann im Jülicher Territorium auch Kaufleute aus Köln, überfallen hatte, spielten die Auseinandersetzungen, die der Aachener 156

„Bürgermeister, Schöffen und Rath E. Rom: Kais: Maytt: koniglichen stuels und freier deß heiligen Reichs statt Aach“, 15. März 1590, LA NRW Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 58, f. 108r. 157 Vgl. ausführlich: Keussen, Der Kölner Prozess gegen Gerhard Ellerborn und seine Aachener Vorgeschichte, 1590–1594, hier: S. 136–140. Den Schaden den das Aachener Schlüsselgewerbe – die Messingverarbeitung – durch die Handelssperre nahm skizziert Peltzer, Geschichte der Messingindustrie und der Künstlerischen Arbeiten in Messing (Dinandrien) in Aachen und den Ländern zwischen Maas und Rhein von der Römerzeit bis zur Gegenwart, hier: S. 381. 158 Vgl. Keussen, Der Kölner Prozess gegen Gerhard Ellerborn und seine Aachener Vorgeschichte, 1590–1594, hier: S. 35–36.

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Rat mit dem Schöffen und Rittmeister über die Legitimation des protestantisch dominierten Regiments und über das städtische Justizwesen gehabt hatte, nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Aachener Kläger die in dem Prozess auftraten, warfen Ellerborn ausschließlich seine militärischen beziehungsweise räuberischen Aktionen vor.159 Dahingegen fällt auf, dass nun Gerhard Ellerborn offensiver als zwei Jahre zuvor konfessionalistische Aussagen und Argumente gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment und einzelne protestantische Bürger Aachens wandte. So warf er dem Rat vor, katholischen Bürgern vor Gericht die ihnen zustehenden Rechte zu verweigern und sie darüber hinaus ungerechtfertigter Verfolgung auszusetzen. Wohl noch deutlich offensiver als in dem Streitgespräch, das 1589 zu seiner Vorladung durch den Aachen Rat geführt hatte, äußerte er nun seine Meinung über die Unrechtmäßigkeit und Haltlosigkeit des gegenwärtigen Aachener Regiments angesichts der ergangenen kaiserlichen Befehle. Hermann Keussens Einschätzung, dass sich Gerhard Ellerborn erst zu diesem Zeitpunkt voll und ganz der katholischen Opposition gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment anschloss, erscheint insofern sehr plausibel.160 Unter den neuen Klagen, die Gerhard Ellerborn seit 1592 gegen den Aachener Rat vorbrachte kam auch der Fall Johann Von Werdens zur Sprache. Der Aachener Rat hatte von Werden ähnlich wie Gerhard Ellerborn angeklagt, weil er öffentlich die Legitimität der protestantisch dominierten Obrigkeit in Zweifel gezogen hatte. Von Werden war zunächst gefangen gesetzt worden und sollte dann als Bedingung für seine Freilassung förmlich bei Bürgermeistern und Rat um Entschuldigung bitten. Er entzog sich allerdings, bevor dieses Versöhnungsritual durchgeführt werden konnte, der Gefangenschaft.161 Die Prozesse gegen Gerhard Ellerborn und gegen Johann von Werden 159

Vgl. ebd., hier: S. 42–43. Ellerborns Rhetorik gegen das amtierende Regiment in Aachen war der Gelegenheit der gegen in angestrengten Prozesse geschuldet. Sie war weniger der Ergebnis einer konfessionalistischer Einstellung als Ellerborns Hoffnung, er könne durch die Politisierung des Kölnern Prozesses die eigene Position stärken. Den selben Schluss zu Ellerborns Motiven lässt der Umstand zu, dass er bis 1590 in Aachen gelebt hatte, ohne in größere Konflikte mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment verwickelt worden zu sein. Darüber hinaus verfocht er nach der katholischen Restitution von 1598 keine rücksichtslos gegenreformatorische Religionspolitik, sondern gehörte zu der Schöffenpartei, die 1608 den gemischtkonfessionellen Gemeindeausschuss zur Beilegung der Streitigkeiten mit Jülich unterstützte. 1611 versuchte er in den ersten Tagen des Aufstands gemeinsam mit Protestantischen Bürgern zwischen Bürgermeistern und Rat auf der einen Seite und den Aufständischen zu vermitteln – vgl. dazu: Schilling, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, hier: S. 206 mit Anm. 103. 161 Vgl. Keussen, Der Kölner Prozess gegen Gerhard Ellerborn und seine Aachener Vorgeschichte, 1590–1594, hier: S. 35. 160

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sind während der Regierung der protestantisch dominierten Magistrate in den 1580er und 1590er Jahren die einzigen Fälle in denen sich, die städtische Gerichtsbarkeit nachweislich mit Problemen des Zusammenlebens der verschiedenen Konfessionsgruppen in Aachen befasste. Der Rat nutzte seine eingeschränkte Gerichtshoheit somit nicht, um alltägliche Streitigkeiten über die Religion zu entschärfen, wie dies beispielsweise für Augsburg und andere bikonfessionelle Reichsstädte belegt ist.162 Auch wandte er die Justiz nicht systematisch gegen die Angehörigen der katholischen Konfessionsgruppe um die exklusive Gültigkeit der protestantischen Bekenntnisse in der Stadt durchzusetzten. Die Gute Policey des Aachener Rates stellte kein geordnetes Religionswesen her. Dass keine solche evangelisch-reformatorische Gerichtsbarkeit vom Kurgericht ausging beweist das außerordentliche Aufsehen, dass die Prozesse gegen Ellerborn und Werden auslösten, in denen tatsächlich Katholiken aus konfessionellen Gründen belangt werden sollten. Wäre die Benachteiligung der katholischen Bürger und Einwohner Aachens durch die Gerichtsbarkeit des Rates alltäglicher gewesen, hätten die beiden Prozesse weniger Aufsehen erzeugt und die konfessionelle Polarisierung der Justiz in der Reichsstadt Aachen wäre zu einem prominenteren Thema in den Auseinandersetzungen über die Causa Aquensis geworden. Stattdessen hatte der protestantisch dominierte Rat abweichend von seiner ansonsten in religiösen Dingen zurückhaltenden, wenn nicht geradezu passiven Justizpolitik in den beiden Fällen ein Zeichen an die Aachener setzen wollen, dass er selbst der Garant für die Sicherheit der Stadt und der christlichen Religionsgemeinschaften war, die von den beiden Angeklagten gefährdet wurde. So fügt sich auch das Gerichtswesen Aachens unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment in eine Religionspolitik ein, die nicht darauf ausgerichtet war, eine einheitliche Magistratsreligion in Aachen durchzusetzen. Gleichzeitig regelte das Stadtregiment das Zusammenleben seiner verschiedenkonfessionellen Bürger nicht wirkungsvoll aus eigener Kraft, wie es den Magistraten der meisten bikonfessionellen Reichsstädte mit der allmählichen Gestaltung konfessionsparitätischer Verhältnisse bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts gelungen war. Zum Teil verzichtete der Aachener Rat bewusst auf eine eindeutig bikonfessionelle Politik und entschied sich stattdessen eine Religionspolitik zu wählen, die insofern überkonfessionell war, als sie für die drei größeren Konfessionskirchen, die sich in Aachen bereits etabliert hatten, gleichermaßen Spielräume für die Ausgestaltung ihres Religionslebens ließ. Für den Rat war absehbar, dass die Entscheidung, 162 Vgl. zu den systematischen jurisdiktionellen Maßnahmen der Augsburger Obrigkeit zur Entschärfung konfessioneller Konflikte: Hoffmann, Konfessionell motivierte und gewandelte Konflikte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert.

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die Stadt im Sinne des reformierten oder lutherischen Bekenntnisses zu konfessionalisieren, seine Position in den politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis völlig untergraben hätte. Zudem hätte er sich vor der Aufnahme einer aktiven reformatorischen Religionspolitik sei es bei der Besetzung von Predigerstellen oder in einem Bereich der städtischen Ordnungspolitik – Schulwesen, Armenfürsorge oder Justiz – für ein religiös verbindlicheres Bekenntnis entscheiden müssen als die politische, formelle und zur Umfassung verschiedener protestantischer Lehren geeignete Confessio Augustana. Ein obrigkeitlich geschütztes evangelisches Kirchenwesen in Aachen, wäre von den Akteuren der katholischen Interessengruppe in Reich und Region in jedem Fall kritisch beobachtet worden, obwohl die konkreten religiösen Verhältnisse in der Regel keine bedeutende Rolle in den außenpolitischen Diskussionen spielten. Eine evangelische Kirchenordnung für die Reichsstadt Aachen hätte die Aufmerksamkeit der außenpolitischen Akteure erregen müssen. Sie hätte das oft geführte Argument der protestantischen Interessengruppe in Aachen widerlegt, sie hätte keine Veränderungen des Religionslebens eingeführt, die den protestantischen Bürgern mehr Rechte einräumte, als von der gemischtkonfessionellen Kommission 1584 bestätigt worden waren. Die Überprüfung der evangelischen Kirchenordnung hätte eine lutherische oder reformierte Ausrichtung der Aachener Stadtkirche erkennen lassen müssen, was für die konfessionspolitischen Netzwerke in Bezug auf Aachen eine Neuausrichtung bedeutet hätte. Diese Entscheidung wäre also nicht ohne verheerende Folgen für die politische Stellung des Rates in den Auseinandersetzungen in Reich und Region geblieben. Versuche des Rates, ein geregeltes bikonfessionelles Religionswesen in Aachen einzurichten, hätten allerdings vergleichbare Verschiebungen der politischen Argumentation zur Causa Aquensis nach sich ziehen können. Auch wenn der Rat zwei Konfessionskirchen ausdrücklich privilegiert hätte, hätte er beiden eine Ordnung geben müssen und wäre damit vor dasselbe Problem gestoßen, die Aachener Protestanten nicht länger unter einem theologisch verhältnismäßig offenen Verständnis der Augsburger Konfession integrieren zu können. Neben solchen zum Teil von politischem Zweckrationalismus, zum Teil von überkonfessionellen Werten geleiteten Entscheidungen des Rates für eine offene Religionspolitik wurde er in einigen Situation auch zur religionspolitischen Unbestimmtheit gezwungen. In vielen Bereichen fehlten dem protestantisch dominierten Magistrat, wie auch seinen politischen Vorgängern und Nachfolgern in Aachen schlichtweg die rechtlichen, institutionellen und machtpolitischen Mittel zu einer wirkungsvollen Ordnung der religiösen Verhältnisse. Unabhängig davon, ob die offene Religionspolitik des Rates mehr politischer Wille oder Ergebnis von äußeren Zwängen war, stellt sich die

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Frage, wer die Verantwortung für das friedliche Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen trug: War es trotz aller Einschränkungen seiner Politik der städtische Magistrat? Führte dessen Unwillen und Unfähigkeit geregelte Verhältnisse zu schaffen zum Scheitern des gemischtkonfessionellen bürgerlichen Gemeinwesens in Aachen oder gelang es den in den Konfessionskirchen organisierten Bürgern selbst die drohenden Religionskonflikte einzudämmen? Im alltäglichen Umgang mit den Bedürfnissen und Ansprüchen der Kirchen konnte der Magistrat eine zweite Möglichkeit neben der allgemeinen Normengebung nutzen, um das Zusammenleben von Reformierten, Lutheranern und Katholiken zu beeinflussen. Zu einem großen Teil entschieden aber Kirchen und Gläubige selbst, wie harmonisch beziehungsweise konfliktträchtig die interkonfessionellen Beziehungen im gemischtkonfessionellen Aachen sein würden. Bis 1598 wandte der Rat seine Religionspolitik der religionspolitischen Offenheit und Zurückhaltung auch auf die protestantischen Konfessionskirchen an. In erster Linie tat er das, indem er auf alles verzichtete, was der Einführung einer evangelischen Ratsreformation nahe gekommen wäre. Eine solche Reformation hätte eben dieselben Bereiche betroffen, bei deren Gestaltung sich der Rat auch bei der katholischen Kirche in Aachen zurückgehalten hatte: Die Befestigung von Dogmen, materieller Ausstattung, Organisationsform, Gottesdienst, Bildung und kirchlicher Gerichtsbarkeit. Der Rat hätte, um in diesen Bereichen die Gestaltungshoheit zu gewinnen, in die deutsch-reformierte und die lutherische Konfessionskirche eingreifen müssen, die bereits als presbyterial organisierte, autonome Institutionen bestanden. Stattdessen beließ es der Rat dabei, seine protestantischen Bürger unter den Augsburger Konfessionsverwandten als Angehörige eines geschützten, politischen Bekenntnisses zu betrachten und behandeln.163 Den Lutheranern und Reformierten in Aachen blieb es selbst überlassen, sich dogmatisch festzulegen, soweit sie es nicht schon getan hatten. Die deutsch-reformierte Kirche behielt dabei weitestgehend die Freiheit, sich weiter auf die Augsburger Konfession zu berufen, weil weder das Stadtregiment noch eine andere Instanz für Aachen Normen erließ, welche Glaubenssätze und vor allem welche sichtbaren Elemente von kirchlicher Organisation und religiöser Praxis außerhalb der Augsburger Konfession liegen würden. Selbstverständlich blieben die institutionelle Trennung von lutherischer und reformierter Kirche und die Unterschiede in der Frömmigkeit ihrer Mitglieder offen sichtbar und damit für das Zusammenleben der Konfessionsgruppen nicht unproblematisch. Das Stadtregiment machte diese Unterschiede und Trennungen aber nicht zum Gegenstand seiner Religionspolitik und erreichte auf diesem Weg, dass die Abgrenzung zwischen 163

S. u. S. 311.

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den beiden Kirchen nicht zu schweren politischen Konflikten innerhalb der Stadt führte. Die materielle Ausstattung der evangelischen Kirchen beließ der Rat, seitdem er protestantisch dominiert war, in genau dem Zustand, den die beiden Konfessionsgruppen bis dahin selbst hergestellt hatten: Als Ort der Gottesdienste dienten sowohl Reformierten als auch Lutheraner weiterhin Privathäuser.164 Das Stadtregiment sicherte, indem es die öffentliche Religionsausübung für die Protestanten freigab, den Besitz und die Nutzung dieser Hauskirchen in gewisser Weise ab. Die Konfessionskirchen konnten nun offen als Eigner ihrer Predigthäuser auftreten und mussten weniger befürchten, dass die Häuser ihrem Zugriff durch Vererbung oder Verkauf der Mittelsmänner, die als Besitzer fungierten, entzogen wurden.165 Die Nutzung selbst musste nun nicht mehr geheim gehalten werden, was den Konfessionskirchen größere Freiheiten bei der Gestaltung der Räumlichkeiten für die Predigt gab und ihnen ermöglichte auch größere Versammlungen zu erlauben, die schon aufgrund der Anzahl ihrer Teilnehmer nicht geheim gehalten werden konnten. Das Religionsleben der protestantischen Gemeinden in Aachen wurde demnach zwar mit Hilfe des Stadtregiments öffentlich, die Obrigkeit machte die reformierte und die lutherische Kirche aber nicht zur Öffentlichkeitskirche, wie es in den Aufständischen Provinzen der Niederlande geschah: Der Magistrat gewährte keiner der protestantischen Konfessionskirchen das Monopol zur Religionsausübung in der Öffentlichkeit. Ebenso wenig spiegelten sich die niederländischen Verhältnisse in Aachen, sodass die katholische Kirche öffentlich und die Protestanten auf die Freiheit ihres Gewissens und die Ausübung ihrer Religion innerhalb ihres Familienverbands beschränkt gewesen wären. Die Verhältnisse ähnelten etwas stärker den Bedingungen, welche die Obrigkeit der Stadt Utrecht zeitweilig für das Zusammenleben der angehörigen der reformierten Öffentlichkeitskirche und des verhältnismäßig großen katholischen Bevölkerungsanteils regelte: Dort gestand der Magistrat den Katholiken nicht nur die Gewissensfreiheit zu, sondern räumte ihnen auch die Nutzung zweier Kirchen für ihre Gottesdienste ein. Religiösen Konflikten im gemischtkonfessionellen Utrecht, versuchte der Rat vorzubeugen, indem er die Religionsausübung sowohl der reformierten 164

Einen Überblick über die im Laufe der Zeit von Lutheranern und Reformierten genutzten Predigthäuser findet sich bei Altmann, Die Pfarre St. Foillan in der Aachener Stadt- und Kirchengeschichte, hier: S. 202. Altmanns Aufstellung ist nichts hinzuzufügen 165 Im Vorfeld des versuchten reformierten Kirchenbaus scheint es noch einmal zu einem solchen Fall gekommen zu sein. Der reformierten Kirche gelang es allerdings, auch nachdem sie es nicht geschafft hatten, eine veritable Kirche für ihre Gemeinde zu zu bauen, wieder über ausreichende Räumlichkeiten für ihre Gottesdienste zu verfügen. Ohne die durch den protestantisch dominierten Rat geschaffenen Bedingungen, das heißt die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung, wäre dies wahrscheinlich nicht gelungen.

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Öffentlichkeits- als auch der katholischen Minderheitskirche an möglichen Reibungspunkten einschränkte: Während die Katholiken beispielsweise ihre Prozessionen auf den Grund und Boden ihrer Kirchen beschränken mussten, waren die Reformierten verpflichtet, sich in der Öffentlichkeit an die Fleisch- und Arbeitsverbote katholischer Feiertage zu halten.166 Die Freiheiten zur religiösen Entfaltung der beiden Konfessionsgruppen in Utrecht waren damit ähnlich abgesteckt wie im gemischtkonfessionellen Aachen. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Städten bestand aber darin, dass die Obrigkeit in Utrecht die Religionsverfassung aktiver gestaltete und stabilisierte. Das niederländische Modell einer öffentlichen und einer privaten Kirche und dessen lokale Variationen fanden in Aachen also wie auch monokonfessionelle oder paritätische Religionsverfassungen keine vollständigen Entsprechungen. 3.1.2.4 Ergebnisse: Obrigkeitliche Religionspolitik als Voraussetzung dreifacher Konfessionsbildung Die Garantie für die Religionsausübung der drei großen Konfessionsgruppen in Aachen bildete den Kern der zurückhaltenden Religionspolitik des Stadtregiments. So erleichterten Bürgermeister und Rat auch die Organisation der protestantischen Kirchen. Die Versammlungen der reformierten Konsistorien aus Ältesten, Diakonen und Prediger sowie auch des lutherischen Presbyteriums waren unter den Bedingungen, die der Beschränkung auf die private Religionsausübung verbunden waren, schwerer zu organisieren, als unter dem Schutz des protestantisch dominierten Stadtregiments. Dass die schon seit Beginn der 1570er Jahre presbyterial verfasste deutschreformierte Gemeinde erst seit etwa 1580 soweit institutionalisiert war, dass sich das Ältestenkonsistorium regelmäßig versammelte und die Arbeit der Gemeindeführung in den seit 1589 durchgängig geführten Konsistorialprotokollen verschriftlicht wurde, kann als Ergebnis der unter dem protestantisch dominierten Rat verbesserten religionspolitischen Rahmenbedingungen betrachtet werden.167 Das Stadtregiment förderte das friedliche Zusammenleben der drei Konfessionsgruppen absichtlich nicht durch die regelnde Durchdringung jeder Kirche, sondern durch den Versuch jeder Kirche sichere Voraussetzungen für ihre Entfaltung zu geben. Der Rat schuf den Raum für den Fortbestand von Kirchen und Religiosität dreier Bekenntnisse und damit auch die Voraussetzungen dafür, dass die verschiedenen gläubigen Teile der Bürgerschaft 166 Vgl. sowohl zur Reformierten Öffentlichkeitskirche in den Niederlanden als auch zur speziellen Religionsverfassung Utrechts Kaplan, Calvinists and Libertines, hier: S. 262–272. 167 S. u. S. 319.

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als Konfessionsgruppen fortbestehen und Konfessionskulturen ausbilden konnten. Solange die Räume für die Konfessionsbildung und die konfessionelle Religiosität von Katholiken, Lutheranern und Reformierten sicher erschienen, waren die Mitglieder der jeweiligen Konfessionsgruppen zumindest teilweise von dem Druck befreit, ihre religiösen Entfaltungsmöglichkeiten zu verteidigen, indem sie sich radikal von Angehörigen anderer Bekenntnisse abgrenzten oder Alleingeltungsansprüche ihrer Konfession anmeldeten. Die Garantie von Entfaltungsmöglichkeiten entschärfte aber deswegen nicht automatisch das gesamte Konfliktpotential zwischen den Konfessionsgruppen in Aachen und ihren Kirchen. Die Spielräume, welche die Religionspolitik des Rates den Konfessionskirchen ließ boten Raum für Konfrontationen zwischen den Kirchen untereinander und zwischen den einzelnen Kirchen und dem Rat. Für das Stadtregiment ergab sich daraus die Notwendigkeit, aufkommende Konflikte mit den Konfessionskirchen bei Bedarf auszuräumen. Zusätzlich war es für den Erfolg der überkonfessionellen und offenen Religionspolitik des Rates entscheidend, dass die Bürgerschaft aller Bekenntnisse die Selbstrechtfertigung der städtischen Obrigkeit anerkannten. Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Berufung auf die notwendige Herstellung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand im Rahmen einer vom Augsburger Religionsfrieden vorgegebenen Linie konnten die wenigen, für die Religionspolitik des Rates tatsächlich notwendigen Maßnahmen, untergraben. 3.1.3 Konfessionskirchliche Spielräume und Zwänge bei der Gestaltung des interkonfessionellen Zusammenlebens Wenn also die Konfessionskirchen mit ihren Organisationen und Mitgliedern als gestaltende Akteure der zwischenkonfessionellen Beziehungen in Aachen betrachtet werden, tritt der Magistrat in dieser Perspektive nicht völlig in den Hintergrund. Für viele Teile der konfessionskirchlichen Aktivitäten, die sich direkt oder indirekt auf das Zusammenleben von Reformierten, Lutheranern und Katholiken auswirkten, spielten die Beziehungen zwischen Kirchen und weltlicher Obrigkeit und die alltäglichen Interaktionen zwischen den Beiden eine prägende Rolle. Der Zusammenhang bestand schon deswegen, weil die Konfessionskirchen auf der einen Seite und der städtische Magistrat auf der anderen Seite auf die Herausforderungen der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft reagierten, indem sie dieselben gesellschaftlichen, politischen und religionspolitischen Feldern gestaltend bearbeiteten. Die Parallelen der Aufgaben schlagen sich in vergleichbaren Institutionen und Tätigkeitsfeldern von Stadtregiment und Konfessionskirchen nieder: Wie der städtische Magistrat

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waren auch die Kirchen in den Bereichen des Schulwesens, der Armenfürsorge und der Friedens- und Rechtswahrung – das heißt der Sitten- und Kirchenzucht – aktiv. Die Motive und die äußeren Zwänge, von denen die Konfessionskirchen bei ihren Versuchen zur Gestaltung ihrer gemischtkonfessionellen Umwelt bewegt wurden, unterschieden sich von denen des Stadtregiments: Die Konfessionskirchen beschäftigten sich selbstverständlich intensiver mit ihrer theologischen und dogmatischen Ausrichtung und der Organisation ihrer Gottesdienste, als Bürgermeister und Rat mit diesen Fragen befasst waren. Die Entscheidungsträger in der katholischen, reformierten und der lutherischen Kirche waren ähnlich wie der Magistrat daran interessiert, die individuellen und kollektiven Bedürfnisse ihrer Gemeindemitglieder nach Religiosität und Frömmigkeit zu befriedigen. Auch die Absicht das Christentum der Aachener Bürger von gefährlichen Sekten und Häresien abzugrenzen, teilte jede einzelne Konfessionskirche mit Bürgermeistern und Rat. Dazu war es nötig, theologische Dogmen festzuschreiben und die religiöse Praxis zu normieren. Die einzelnen Konfessionskirchen mussten darüber hinaus ihre theologische Ausrichtung, die Normierung ihres Kirchenlebens und ihre gottesdienstliche Versorgung bedenken – Probleme, die den Magistrat nicht unmittelbar betrafen. Die Konkurrenz der katholischen, reformierten und lutherischen Kirchen in Aachen vergrößerte die besagten Herausforderungen. Dass es zwischen den Konfessionsgruppen und ihren Kirchen auf dem engen Raum der Reichsstadt Wettbewerb und Feindseligkeiten gab, ist eine Grundannahme zur Geschichte Aachens im konfessionellen Zeitalter, die schon auf den ersten Blick ausreichend plausibel erscheint. Ob und wie die Konfessionskirchen ihren Konkurrenzkampf alltäglich austrugen ist allerdings kaum bekannt. Ebensowenig wie die Frage beantwortet ist, inwieweit die latente Konkurrenz der Konfessionskirchen, ihre Möglichkeiten zur Gestaltung des interkonfessionellen Zusammenlebens begrenzte. Diese Vorüberlegungen lenken die Aufmerksamkeit auf zwei Motive, zwischen denen sich das Spannungsfeld entfaltete, in dem die Kirchen bewusst oder unbewusst das Zusammenleben der Konfessionen in Aachen gestalteten: An erster Stelle war ein gewisser Grad erfolgreicher Konfessionsbildung die Grundvoraussetzung für den Bestand der Konfessionskirchen. Die Organisation und die materielle Grundlage der Kirchen war soweit zu sichern, dass ihr Fortbestand nicht gefährdet schien. Die Ordnungen der Kirchen mussten so gestaltet werden, dass sie sich gegen die anderskonfessionelle Konkurrenz vor Ort abgrenzen konnten und sie die Möglichkeit zur Anlehnung an Vertreter ihrer eigenen Kirche außerhalb Aachens wahrten. An zweiter Stelle mussten die Konfessionskirchen so handeln, dass keine folgenreichen

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Nachteile für ihre Beziehungen zur städtischen Obrigkeit entstanden. Diese notwendigen Überlegungen hemmten die konfessionskirchlichen Akteure in ihrem möglichen Drang, die alleinige Geltung des eigenen Bekenntnisses und der dazu gehörigen kirchlichen Organisation durchzusetzen. Jede der drei Konfessionskirchen musste mit dieser Spannung zurecht kommen. Katholiken, Reformierte und Lutheraner gingen bei der Lösung der Probleme von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Vor allem bestimmten die organisatorischen und institutionellen Formen der Konfessionskirchen sowie ihr rechtlicher Status in der Reichsstadt Aachen, wie sie sich in der gemischtkonfessionellen Stadt positionierten.

3.1.3.1 Reformierte und Lutheraner: Etablierte Freiwilligenkirchen mit gehemmtem konfessionellen Geltungsanspruch Wie sich die reformierte und die lutherische Konfessionskirche in Aachen ursprünglich organisierten und institutionell festigten bleibt undurchsichtig. Mit Sicherheit fällt für keine der beiden Konfessionsgruppen der Zeitpunkt, zu dem eine Gemeindegründung in Aachen vermutet werden kann, mit dem Aufbau einer Kirche zusammen, die wesentlich zur Gestaltung des konfessionellen Zusammenlebens in Aachen beitrug. Das Gründungsdatum der deutsch-reformierten Gemeinde in Aachen ist im letzten Drittel der 1550er Jahre zu suchen. Als zugewanderte Einwohner und Bürger seit 1556 Bittschriften an den Rat richteten, um eigene – offensichtlich protestantische – Prediger und Gottesdienste unterhalten zu dürfen, hatten sie bereits Gruppen gebildet, die im Privaten protestantische Religiosität praktizierten. Darauf deuten die während der Affäre um Adam von Zevel erhobenen Vorwürfe, der Bürgermeister habe verbotene religiöse Versammlung beschirmt, das in diesem Zusammenhang geäußerte Bekenntnis Zevels zur Augsburger Konfession, vor allem aber die ersten sicheren Hinweise auf die Arbeit reformierter Prediger in Aachen: Im Laufe der Jahre 1558 und 1559 predigten und lehrten teilweise nacheinander, teilweise zur gleichen Zeit Hermes Backereel und Johann Dirckens aus Emden,168

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Vgl. Goethers, Dokumenten van Adrian Haemstede, waarunder eene gereformeerde geloofs belijdenis van 1559, hier: S. 28.

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Johannes Taffin169 und Adrian Haemstede170 in Aachen. Insbesondere der letztgenannte, aus Antwerpen nach Aachen gekommene Adrian Haemstede wurde gelegentlich als Gründer der ersten ‚deutsch-reformierten‘ – also von Aachener Bürgern und länger ansässigen Einwohnern gebildeten – Gemeinde bezeichnet.171 Hauptsächlich hat Wolff ihm diese Rolle zugeschrieben, weil er davon ausging, dass der Prediger die entscheidenden Impulse für den politischen Vorstoß der Aachener Protestanten auf das exercitium publicum in den Jahren 1558 und 1559 gab. Darüber hinaus soll Haemstede den Aachener Reformierten mit einer Bekenntnisschrift, die er 1559 an Kurfürst Friedrich III. schickte, ihr erstes offizielles Symbolum gegeben haben. Die beiden engen Verbindungen des niederländischen Predigers mit der konfessionellen Entwicklungen in Aachen sind allerdings im Einzelnen bereits relativiert worden, ohne dass aufgrund dessen die einschneidende Bedeutung von Haemstedes Aufenthalt in Aachen insgesamt in Frage gestellt worden wäre: Zunächst war die Datierung des Aufenthaltes, auf der Wolffs Argumentation basierte, offensichtlich falsch. Tatsächlich hielt Haemstede sich nicht schon im Frühjahr 1558 in Aachen auf, um bis weit in das Jahr 1559 in der Stadt zu bleiben, sondern er erreichte Aachen, aus Antwerpen kommend, frühestens im März 1559, blieb nur wenige Monate dort und war im November des selben Jahres bereits für die niederländische Fremdengemeinde in London tätig.172 Dass Haemstede innerhalb eines Zeitraums von maximal einem halben Jahr hauptverantwortlich die Aachener Protestanten in einer Konfessionskirche 169 Vgl. Albert Rosenkranz, Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeindeund Pfarrbuch. Bd. 1: Die Gemeinden. v. Albert Rosenkranz. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 3.) Mülheim a. d. Ruhr 1956, hier: S. 26, Albert Rosenkranz, Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und Pfarrbuch. Bd. 2: Die Pfarrer. v. Albert Rosenkranz. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 7.) Mülheim a. d. Ruhr 1958, hier: S. 514 und außerdem Philipp Denis, Les églises d’étrangers en pays rhénan (1538–1564). Paris 1984, hier: S. 356 u. 391–393 mit weiterführender prosopographischer Literatur. 170 Zu Haemstede vgl. ausführlich Goethers, Dokumenten van Adrian Haemstede, waarunder eene gereformeerde geloofs belijdenis van 1559, hier: S. 1–3. Dieser jüngste Beitrag des Autors erweitert und korrigiert seine älteren Studien: Goethers, Adrian van Haemstede’s Wirksamkeit in Antwerpen und Aachen und Wilhelm Gustav Goethers, Adrian van Haemstede’s Wirksamkeit in Antwerpen und Aachen. Teil II, in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 9 (1907), S. 25–29. Zusammenfassend auch: Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 429–432. 171 So mit besonderem Einfluss auf die weitere Forschung: Walther Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen. Hauptsächlich nach bisher unbenutzten Quellen (Abschnitt III), in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 7 (1905), S. 69–103, hier: S. 95–96. 172 Vgl. Goethers, Dokumenten van Adrian Haemstede, waarunder eene gereformeerde geloofs belijdenis van 1559, hier: S. 8–20.

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organisiert haben soll, erscheint nicht nur angesichts des Umstandes unwahrscheinlich, dass sich von einer solchen Institutionalisierungsleistung keine Überlieferungen erhalten haben. Als die Instruktion für Goswin von Zevel und Arnold Engelbrecht im April 1559 unterzeichnet wurde und die beiden nach Augsburg reisten, um für die öffentliche Religionsausübung der Aachener Protestanten zu werben, war Haemstede, wenn überhaupt, erst seit wenigen Wochen in Aachen. Er kann die religionspolitischen Entscheidungen, die in die Reichstagsgesandtschaft mündeten, allenfalls noch ermutigt und bestätigt, nicht aber angestoßen und mitgetragen haben. Nachdem er bereits nicht mehr in Aachen tätig war, blieb er dem im Frühjahr in der Instruktion formuliertem Ziel aber immerhin soweit verbunden, dass er die Freigabe des protestantischen Gottesdienstes in Aachen durch die Übersendung seines Bekenntnisses an Kurfürst Friedrich III. unterstützte. Haemstede übernahm die Rolle eines anerkannten, verdienten und gut vernetzten reformierten Theologen und Predigers, der seine Zuverlässigkeit durch ein eigenes Glaubensbekenntnis zusätzlich demonstrierte und auf Grundlage dieses persönlichen Kapitals beim Kurfürsten für die ‚Augsburger Konfessionsverwandten‘ in Aachen warb. Eine nicht weiter definierte Gruppe von Aachenern, für die Haemstede wohl gepredigt hatte, hatte den Prediger zuvor offensichtlich um eine solche politische Fürsprache in Form eines Bekenntnisses gebeten, das Friedrich III. gutheißen würde. Das heißt jedoch nicht, dass die Aachener Haemstede damit gebeten hätten, ihnen eine Konfessionsschrift als Bezugspunkt und Kern einer Kirchenordnung für die Gemeinde zu verfassen. Ebenso wenig spricht dafür, dass Haemstede in seinem Bekenntnis Glaubensinhalte und religiöse Praxis der Aachener Protestanten aufgegriffen, zusammengefasst und wiedergegeben hätte. Die ‚Aachener Konfession‘ Haemstedes ist also kein Dokument einer fortgeschrittenen reformierten Konfessionsbildung der Aachener.173 Als gefestigte Organisation oder Bekenner definierter gemeinsamer Glaubenssätze war die deutsch-reformierte Gemeinde demnach bei Haemstedes Weggang und in den unmittelbar darauf folgenden Jahren noch nicht konstituiert. Damit ist allerdings nicht ganz ausgeschlossen, dass sich Aachener Protestanten bereits zu einer reformierten Konfessionsgruppe zusammengeschlossen hatten, die als Gestalter des Zusammenlebens der verschiedengläubigen Aachener hätte aktiv werden können. Für den Zusammenschluss einer solchen Gruppe liegen aber nicht mehr Hinweise vor, als die bereits erwähnten, zumindest gelegentlich stattfindenden protestantischen Predigten 173 Bax, Het protestantisme in het bisdom Luik II, hier: S. 433 fällt diesbezüglich ein anderes Urteil. Er hält es für wahrscheinlich, dass Haemstedes Bekenntnis die Aachener reformierte Gemeinde nachhaltig geprägt hat, weil Haemstede in Aachen vor großem Publikum gepredigt habe.

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und Gottesdienste im Privaten und der Zusammenschluss zu den supplizierenden ‚Augsburger Konfessionsverwandten‘ , die sich an Rat und Reichstag gewandt hatten. In Aachen waren die Formen und Grenzen der protestantischen Konfessionsgruppen am Ende der 1550er Jahre demnach noch im Fluss. Die Männer und Frauen, die an den Gottesdiensten der gelegentlich nach Aachen kommenden Prediger teilnahmen, waren Aachener Bürger und Einwohner sowie französisch- und niederdeutschsprachige Zuwanderer. Sie bildeten noch keine voneinander zu unterscheidenden ethnisch geprägten Einzelgemeinden mit fest zugeordneten Predigern aus. Von einer wallonisch-reformierten, einer deutsch-reformierten und zeitweilig auch einer niederländisch-reformierten Gemeinde, kann erst später – etwa zu Beginn der 1570er Jahre – die Rede sein. Ob die oben bereits genannten reformierten Prediger Taffin und Backereel ausschließlich oder hauptsächlich für niederländische Flüchtlinge predigten und ob Haemstede sich hauptsächlich den protestantischen Bürgern Aachens zuwandte, kann kaum mit Sicherheit gesagt werden. Wahrscheinlicher ist, dass die protestantischen Gemeinden, die sich um die Prediger bildeten offen und teilweise flüchtig waren. Sicherlich prägten Zuwanderer die Gesamtheit der reformierten Konfessionsgruppe und deren Möglichkeiten und Einstellungen zu der Herausforderung, das Zusammenleben der Konfessionen in Aachen zu gestalten. Ihre Anwesenheit in Aachen hatte im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis dazu geführt, dass sich die Supplikanten um die öffentliche Religionsausübung besonders nachdrücklich als Bürger auswiesen. In der Frühphase der reformierten Konfessionsbildung in Aachen fande dieses politische Argument seine Entsprechung in den Positionen der Protestanten zur dominant altgläubigen städtischen Umwelt: Die französisch- und niederländischsprachigen Zuwanderer verzichteten auf jeden aggressiven Vorstoß zur Stärkung ihrer Kirche – schon damit reagierten sie auf die Vorbehalte, die ihnen aus Stadt, Region und Reich entgegengebracht wurden. Indem ‚Welsche‘ und andere Niederländer fast völlig darauf verzichteten, politisch als Gruppe aufzutreten, leisteten sie der Entwicklung Vorschub, dass Augsburger Konfessionsverwandte Bürger als politische Interessengruppe auftraten, bevor eine deutsch-reformierte Gemeinde die Basis dieser politisierten Konfessionsgruppe hätte bilden können. Gleichzeitig ließen die Wallonen und Niederländer, nachdem sie 1556 zum ersten und letzten Mal um einen eigenen Gottesdienst gebeten hatten, die Chance aus, sich in Aachen als privilegierte Minderheits- oder Fremdengemeinde zu festigen. In anderen Städten, die Flüchtlinge aufgenommen hatten oder die als Handelszentren dauerhaft größere Gruppen von Fremden beherbergten, war die Duldung konfessionell devianter Religion im Rahmen

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einer überschaubaren und von der städtischen Bürgerschaft abgegrenzten Gruppe ein gangbarer religionspolitischer Kompromiss. Indem diese Städte den Fremden ihren Gottesdienst in klar definierten Grenzen gestatteten, konnten sie den Frieden wahren und von der Wirtschaftskraft der Gäste profitieren, ohne dafür den Anspruch der konfessionellen Homogenität für die Bürgergemeinde aufzugeben.174 Die zugewanderten Reformierten entschieden mehrheitlich bereits am Ende der 1560er Jahre, in Aachen keine dauerhafte Kirche aufzubauen, sondern die Stadt als Durchgangsstation zu nutzen und von dort zu Orten mit günstigeren religionspolitischen Rahmenbedingungen weiterzuziehen. Der Rat beschleunigte den Weiterzug der Mehrheit der Migranten durch das Ausweisungsedikt von 1559.175 Zwar führte das Edikt nicht unmittelbar zu einer größeren Flüchtlingsbewegung aus Aachen, doch suchten zumindest die in Aachen tätigen Prediger Taffin und Backereel nach einer neuen Heimat für die französischsprachigen Mitglieder ihrer Gemeinde: Sie schickten ein Glaubensbekenntnis mit der Bitte um Aufnahme der wallonisch-reformierten Christen aus Aachen an den Rat der Stadt Worms.176 Ähnlich wie Haemstedes ‚Aachener Konfession‘ suchte das Bekenntnis die Anlehnung an die Augsburger Konfession, ohne dafür Grundpositionen der Reformationstheologie schweizerisch-reformierten Typs aufzugeben. Auch die Reaktionen auf das Bekenntnis waren vergleichbar: Nachdem schon Haemstedes ‚Aachener Bekenntnis‘ von der Tübinger Universität verworfen worden war und Herzog Christoph von Württemberg daraufhin die Anfrage Pfalzgraf Friedrich III. ablehnte, zu Gunsten der Aachener Protestanten zu intervenieren,177 lehnte nun der Wormser Rat die Aufnahme der französisch-sprachigen Protestanten aus Aachen ab, obwohl Friedrich III. sich für sie eingesetzt hatte. 174 Zum möglichen Umgang mit fremdkonfessionellen Kaufleuten vgl. beispielsweise Alfons K. L. Thijs, Minderheden te Antwerpen (16de/20ste eeuw), in: Hugo Soly/Alfons K. L. Thijs (Hrsg.), Minderheden in Westeuropese Steden (16de–20ste eeuw). (Belgisch Historisch Institut te Rome Bibliotheek, Bd. 34.) Brüssel 1995, S. 17–42, hier: S. 27–29. Zur Balance zwischen faktischer Multikonfessionalität und der konfessionelle Homogenität des öffentlichen Raums vgl. Olaf Mörke, Friedlicher Religionskonflikt – konfliktreicher Religionsfriede. Konfessionelle Koexistenz in der niederländischen Republik, in: Heinz Schilling/Heribert Smolinsky (Hrsg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposion aus Anlaß des 450. Jahrestages des Friedensschlusses, Augsburg 21. bis 25. September 2005. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 206.) Münster 2005, S. 455–470. 175 Einschätzungen zu Anzahl und Migrationsmotiven niederländischer Reformierter in Aachen vgl. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, hier: S. 72. 176 Vgl. Heinrich Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555–1581. Bd. 1: 1555–1562. Marburg 1852, hier: S. 321–324. Die Supplikation ist gedruckt als Beilage Nr. XXXIII, S. 111–113. 177 Vgl. Goethers, Dokumenten van Adrian Haemstede, waarunder eene gereformeerde geloofs belijdenis van 1559, hier: S. 36–37.

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Dabei ist nicht auszuschließen, dass ein unmissverständliches Bekenntnis der in Aachen tätigen Prediger zur unveränderten Augsburger Konfession die Chancen der Migrationswilligen auf eine Aufnahme erhöht hätte. Die konfessionspolitische Positionierung von Taffin und Backereel lässt sich aber wie die von Haemstede nicht unmittelbar auf den Stand der reformierten Konfessionsbildung in Aachen übertragen: Sie spiegelten in erster Linie die Lehrmeinung von niederländisch-stämmigen Predigern wieder, die sich vorübergehend in Aachen aufhielten. Die konkrete Ausformulierung der Bekenntnisschriften orientierte sich vornehmlich an den gerade beschriebenen politischen Zielen. Sie waren definitiv nicht darauf ausgerichtet als Glaubensbekenntnis das Zentrum einer dauerhaften reformierten Kirche in Aachen zu bilden. Die Bekenntnisse berücksichtigte nicht die in Aachen zu erwartenden Probleme bei der dogmatischen Konfessionsbildung. Die Kontinuität zwischen der Arbeit der niederländischen Prediger in Aachen in den späten 1550er Jahren und der beginnenden, nachhaltigen reformierten Konfessionsbildung in den 1560er und vor allem in den 1570er Jahren war locker: Als auf der ersten Synode der niederländischen Exilgemeinden in Emden 1571 Prediger und Älteste einer französisch-sprachigen und einer deutsch-reformierten Gemeinde neben den Vertretern der zu dieser Zeit im Aachener Exil befindlichen Maastrichter Gemeinde auftraten, deutete dies auf einige Charakteristika des reformierten Religionslebens in Aachen hin.178 Die nun vollzogene Differenzierung einer ‚bürgerlichen‘ und einer französischen Gemeinde hatte sich bereits angedeutet. Ebenso war die Bindung auch der bürgerlichen Gemeinde an den von flüchtigen Niederländern geprägten, in Emden konstituierten Synodalverband zum Teil die Folge der Rolle, die niederländische Zuwanderer und Prediger in Aachen gespielt hatten. Schließlich war die Anwesenheit der eigenständigen Maastrichter Gemeinde in Aachen mit dem Aufenthalt der französischsprachigen Protestanten in Aachen vergleichbar, für welche die Prediger Taffin und Backereel Ende 1559 eine neue Heimat gesucht hatten – die Maastrichter arbeiteten nicht daran, sich dauerhaft in Aachen einzurichten. Neben diesen Anzeichen für eine mehr oder weniger kontinuierliche Institutionalisierung der reformierten Gemeinden seit dem Ende der 1560er Jahre deuten allerdings starke Indizien darauf, dass die entscheidenden qualitativen Schritte zur konfessionskirchlichen Organisation der Aachener 178 Vgl. zur Teilnahme der drei in Aachen ansässigen Gemeinden am Synodalleben: Goeters, Die Akten der Synode zu Emden 1571, hier: S. 19 – Die Emder Synode ordnet die bürgerliche Gemeinde von Aachen und die Maastrichter Gemeinde dem zweiten von vier Quartieren der Gesamtsynode zu; ebd., hier: S. 88 – Johann Huckelums Unterschrift für die deutsch-reformierte Gemeinde unter die Akten der Synode; Simons, Synodalbuch, hier: S. 75 – Die ‚welsche‘ Gemeinde in Aachen wird vom Quartierkonvent in Bedburg am 3. März 1572 ermahnt, zur nächsten Versammlung Abgeordnete zu schicken.

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Reformierten erst im Zusammenhang mit der Integration der Aachener Gemeinden in den Synodalverband gemacht wurden. Mit den anderen Kirchen der Synode verpflichteten die Aachener Reformierten sich erst jetzt auf ausformulierte und klar definierte dogmatische Grundlagen. Während die Mehrheit der Niederländischen und der deutschsprachigen Gemeinden sich auf den Heidelberger Katechismus verpflichtete, betätigten die französischsprachigen Gemeinden die Gültigkeit der Genfer Ordnung für ihre Kirchen.179 Erst seit Beginn der 1570er Jahren wählten die Gemeinden nachweislich Älteste und auch andere Ämter und Institutionen einer presbyterial verfassten reformierten Kirche sind in Aachen erst in dieser Zeit zu belegen.180 Die Versorgung der reformierten Protestanten mit Predigern funktionierte jetzt erstmals mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Dazu gehörte auch, dass die in Aachen tätigen Prediger jetzt regulär nur einer Kirche zugeordnet waren – der französisch-reformierten, der bürgerlich-reformierten oder der zeitweilig in Aachen verorteten Maastrichter Gemeinde. Wenn Anfang der 1570er Jahre der für die Maastrichter Gemeinde tätige Johann Huckelum zeitweilig auch die bürgerlich-reformierte Gemeinde bediente, wurde dies von den beiden institutionell und personell getrennten Gemeinden formell geregelt und von der Synode bestätigt.181 Dieser Stand der Konfessionsbildung spiegelt sich mit einiger Verzögerung, nämlich seit 1592 in den Protokollen des Konsistoriums der Ältesten der bürgerlich-reformierten Gemeinde. Dort wird erstmals deutlich, wie die reformierte Konfessionskirche auf Grundlage ihrer organisatorischinstitutionellen Verfassung zur Gestaltung des interkonfessionellen Zusammenlebens beitrugen. Wann und wie sich eine lutherische Konfessionsgruppe in Aachen erstmals dermaßen zu einer Konfessionskirche verdichtete, dass sie aktiv in das Zusammenspiel der Konfessionskulturen eingreifen konnte, ist noch etwas unklarer als im Fall der Reformierten: Eine sichere Grundlage für Aussagen über die kirchliche Organisation der Aachener Lutheraner liefert erstmals die 1578 von den Senioren der Gemeinde verabschiedete ‚Hauskirchenordnung‘ 182 . Diese Ordnung für die lutherische Konfessionskirche in 179

Vgl. Goeters, Die Akten der Synode zu Emden 1571, hier: S. 17 u. 19. Vgl. Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen, hier: S. 52–53. 181 Zu den Predigern der verschiedenen Aachener Gemeinden vgl. Albert Rosenkranz, Aachen, in: Albert Rosenkranz (Hrsg.), Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und Pfarrbuch. Bd. 1: Die Gemeinden. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 3.) Mülheim a. d. Ruhr 1956, S. 25–27. 182 Edition bei Hermann Korth, Die Hauskirchenordnung von 1578 der lutherischen Gemeinde zu Aachen, in: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 9 (1960), S. 65–84. 180

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Aachen nahm zwar in vielen Punkten Bezug auf die Kirchenordnung der lutherischen Kirchen in Antwerpen und Pfalz-Zweibrücken, berücksichtigte aber in vielerlei Hinsicht auch den besonderen rechtlichen Status der lutherischen Gemeinde in der Stadt:183 Auf das Fehlen einer öffentlichen Kirche, dessen Konsequenz ein regelmäßiger, aber in Privathäusern stattfindender Gottesdienst war; auf die erzwungene Eigenständigkeit der Gemeinde, die sich weder an eine obrigkeitliche Ratskirche noch an eine synodale Organisation benachbarter Gemeinden anlehnen konnte und schließlich auch auf die fehlenden Vorgaben zur dogmatisch-konfessionellen Ausrichtung der Gemeinde. Obwohl die ‚Hauskirchenordnung‘ damit in Namen und Inhalt widerspiegelte, dass die Organisation der Lutheraner in Aachen nicht den Status einer typischen, voll entwickelten, lutherischen Konfessionskirche erreicht hatte und sie sogar erkennen ließ, dass ihre Urheber sie als Provisorium sahen, das lediglich gebraucht wurde, bis eine öffentliche, obrigkeitlich unterstützte Kirche aufgerichtet werden könnte, bildete sie doch die institutionelle Grundlage für die lutherische Gemeinde für die folgenden 20 Jahre und darüber hinaus. Selbst die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung für die Augsburger Konfessionsverwandten 1583 nahmen die Lutheraner nicht zum Anlass, ihre Kirchenordnung grundsätzlich zu erneuern, sondern sie ergänzten bis 1598 lediglich einzelne Punkte zur ‚Hauskirchenordnung‘ .184 Die bürgerlich-reformierte Gemeinde, die mit Predigern und Ältesten auf den Synoden der niederländischen Fremdengemeinden vertreten war, und die lutherische Gemeinde, die sich die ‚Hauskirchenordnung‘ gab, waren also im Wesentlichen die protestantischen Kirchen, die in der Folge Einfluss auf das Zusammenleben der Konfessionsgruppen nahmen. Beide Kirche hatten gemeinsam, dass sie unabhängig von der städtischen Obrigkeit waren und sich damit als Freiwilligenkirchen konstituierten – ihr Anspruch war nicht, die gesamte Bürgergemeinde oder alle Protestanten in einer Kirche zu integrieren. Sie waren vielmehr darum bemüht, die Männer und Frauen ihres jeweiligen Bekenntnisses zu einer homogenen und abgegrenzten Gemeinde zu formen. Die reformierten Aachener blieben darüber hinaus getrennt in zwei Kirchen – einer bürgerlich- oder deutschreformierten und einer französisch-reformierten – organisiert. Gewählte Laien bildeten in allen drei Gemeinden den festen Kern und die Leitung der Kirche. Bei den deutsch- und französisch-reformierten Gemeinden führte das Konsistorium der Ältesten gemeinsam mit den Predigern und unterstützt von Diakonen die Kirchen. Die lutherische Kirche wurden vom Konsistorium der Senioren im Verein mit den Predigern geleitet. 183 Vgl. Korth, Die Hauskirchenordnung von 1578 der lutherischen Gemeinde zu Aachen, hier: S. 99–100. 184 Vgl. ebd., hier: S. 97.

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Auch hier unterstützten Diakone die Kirchenarbeit vor allem im Bereich der Armenfürsorge. Die Versammlungen der führenden Laien in den Gemeinden bildeten zwischen dem Ende der 1570er Jahre und der zweiten katholischen Restitution von 1614 das organisatorische Rückgrat der deutsch-reformierten und der lutherischen Gemeinde. Die Treffen der reformierten Ältesten und Prediger fanden seit spätestens 1592 wöchentlich am Dienstag statt. Verhältnismäßig häufig nahmen die Presbyterialen auch Ausweichtermine oder zusätzliche Sitzungen an Montagen, Freitagen oder Sonntagen wahr.185 Seit 1582 ist die regelmäßige Wahl reformierter Ältester – wenn auch nicht deren Tätigkeit – nicht mehr nur durch deren Auftritte auf den Synoden zu belegen, sondern lässt sich anhand von Amtslisten nachvollziehen.186 Der Einsatz dieser Listen zur Zeit der ersten protestantisch dominierten Stadtregimenter legt zunächst nahe, dass die reformierte Kirche durch verbesserte religionspolitische Rahmenbedingungen in der Stadt einen Institutionalisierungsschub erhielt. Darauf deuten aber keine konkreten Nachrichten hin. Wenn die Reformierten ihre Konfessionskirche zu einem bestimmten Zeitpunkt in größerem Maße ausbauten, taten sie es am Ende der 1580er Jahre. In dieser Zeit versuchte das Konsistorium ein größeres und repräsentativeres Predigthaus für die Gemeinde zu erhalten und stellte erstmals genaue Regeln über die von den Aachener Reformierten und deren Predigern zu feiernden Gottesdienste auf.187 Politische Motive für diese doppelte, konfessionsbildende Initiative sind nicht zu erkennen. Sie war das Ergebnis des kontinuierlichen institutionellen Ausbaus der Kirche in den vorangegangenen Jahren. Auch gab sie der reformierten Konfessionskirche, wie sie in den 1590er Jahren bis 1598 bestand, keine neue Qualität: Sie existierte weiter mit denselben Organen, im selben rechtlichen Rahmen und mit denselben Betätigungsfeldern wie zuvor. Lediglich die Regelmäßigkeit und organisatorische Professionalität der Arbeit der reformierten Kirchenführung wuchsen in dieser Zeit. Das war auch daran abzulesen, dass die Deutsch-Reformierten ihre Beziehungen zu den in Aachen unabhängig kirchlich organisierten FranzösischReformierten zwischen 1595 und 1613 formalisierten: Versammlungen der Prediger, Ältesten und ausgewählter Diakone der deutsch- und französisch185 Diese Sitzungsmuster ergibt die Gesamtauswertung von Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1–3. 186 Die vorhandenen Informationen zu den Amtsträgern der deutsch-reformierten Gemeinde hat Sylvia Gries, Die Aachener Reformierte Gemeinde im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Universität Düsseldorf, Magisterarbeit. 1991, hier: Tabelle I aufgearbeitet. 187 Vgl. Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen [Mai 1589], Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1. Gedruckt bei Wolff, Beiträge zu einer Reformationsgeschichte der Stadt Aachen, hier: S. 107–108.

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reformierten Gemeinde in Aachen sollten, wie auf einem ersten Treffen dieser Art 1595 beschlossen wurde, mindestens vier mal im Jahr durchgeführt werden. Tatsächlich hielten die Vertreter der Führungen der beiden Kirchen diese Frequenz zunächst bis 1598 ein.188 Sie etablierten mit der Versammlung ein Gremium, das sich stärker mit der Behandlung von Grundsatzfragen der reformierten Konfessionsgruppe in Aachen befasste als die mit alltäglichen Aufgaben der Gemeinde beschäftigten, wöchentlichen Sitzungen des deutsch-reformierten Ältestenkonsistorium. Gleichzeitig setzten sie sich sehr viel intensiver mit den speziellen Herausforderungen auseinander, welche die gemischtkonfessionelle Aachener Gesellschaft an die reformierten Kirchen stellten, als es die Synoden der niederländischen Fremdengemeinden konnten. Die Synode war für die Institutionalisierung der bürgerlich-reformierten Kirche in Aachen insofern von Bedeutung, als sie allgemeine Vorgaben zum Wahlmodus der Konsistorialen, zur Anwerbung von Predigern und zu Bekenntnis und Kirchenordnung machte, die in Aachen sowenig ausgestaltet oder abgewandelt wurden, dass beispielsweise über das genaue Verfahren der jährlichen Ältestenwahl keine besondere Aachener Bestimmung bekannt ist.189 In der Praxis stellte die Gemeinde ihr Ältestenkonsistorium problemlos und konfliktfrei zusammen: Jeweils die Hälfte der acht Ältesten schied alljährlich nach Ablauf ihrer zweijährigen Amtszeit aus dem Konsistorium aus. Eine Rückkehr in die Gemeindeführung zu einem späteren Zeitpunkt war jedoch nicht ausgeschlossen.190 Tatsächlich entstand die große Kontinuität der Arbeit des Konsistoriums aber nicht durch die wiederholte Amtsführung der selben Männer. Stattdessen zogen die amtierenden Ältesten regelmäßig ehemalige Mitglieder des Konsistoriums und andere angesehene Gemeindemitglieder zu ihren Geschäften heran. Somit bildete sich eine erweiterte Führungsgruppe der deutsch-reformierten Kirche, die sich aus den politisch und gesellschaftlich führenden Bürgern Aachens rekrutierte. Sie bildete die Schnittstelle zwischen Kirchenleitung und Stadtregiment – eine Schnittstelle, die durch die Struktur der Aachener Gesellschaft vorgeformt war und nicht aus zweckrationalen Erwägungen des Magistrats oder der reformierten Kirche gestaltet wurde. 188 Zur konstituierenden Sitzung der Versammlungen vgl. „Beschreibung der Versammlungen, so zwischen beiden reformierten Kirchen als Deutsche und Französische gehalten, samt derselben Verträge und Ordnungen“ 1595–1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 2,3, hier: S. 3–6. Zu den weiteren Versammlungen bis 1598 ebd., hier: S. 6–15. 189 Vgl. die Artikel 14 und 15 der Emdener Synode von 1571 Goeters, Die Akten der Synode zu Emden 1571, hier: S. 23. 190 Vgl. die kompilierte Ämterliste bei Gries, Die Aachener Reformierte Gemeinde im 16. und frühen 17. Jahrhundert, hier: Tabelle I.

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Die Unabhängigkeit des Ältestenkonsistoriums von der Stadtpolitik wurde im übrigen auch dadurch untermauert, dass sich die Ältesten zwar aus der städtischen Oberschicht rekrutierten, es aber neben diesem Zusammenhang einen kircheninternen cursus honorum gab. Dieser war nicht verbindlich, führte aber dazu, dass viele der Ältesten ihrer Gemeinde vor ihrem Aufstieg in die engere Kirchenleitung bereits als Diakone gedient hatten.191 Somit war es plausibel, wenn ein reformierter Ältester seine Stellung in der Gemeinde nicht bloß als Ausfluss des Status verstand, den er als angesehener Bürger Aachens und gegebenenfalls als Mitglied des Stadtregiments genoss. Er sah sich seiner Kirchengemeinde verpflichtet, mit der er eine lange, intensive, seinen bürgerlichen Ehren und Pflichten gleichwertige Verbindung pflegte. Die von Beginn an als Aachener Synode konzipierten Treffen zwischen deutsch- und französisch-reformierter Gemeindeführung befassten sich anders als die übergeordneten Synoden konkret mit der Gestaltung der Aachener Kirchen.192 Mit der Aufnahme und Verstetigung dieser Gespräche erreichten die beiden reformierten Kirchen in Aachen erst ihre volle organisatorische Stärke. Wahrscheinlich hat die kleinere und weniger straff organisierte französischsprachige Gemeinde dabei noch stärker profitiert, indem sie Zugriff auf die Ressourcen und Verbindungen der Deutsch-Reformierten erhielt und so zum Beispiel Hilfe bei der Anwerbung von Predigern einfordern konnte.193 Ihrer Bedeutung entsprechend wurden die Versammlungen nach 1598 nach einer kurzen Unterbrechung wieder aufgenommen. Zwar trafen sich die Vertreter der beiden Gemeinden seit 1606 nur noch etwa zweimal jährlich, weil die verstärkte Verfolgung durch die Obrigkeit häufigere Zusammentreffen eine zu große Gefahr bedeutet hätte,194 der Kontakt brach aber niemals ab. Nachdem die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft im Herbst 1611 allmählich das Stadtregiment übernahmen, trafen sich die reformierten Gemeindeführungen wieder häufiger. Sie gaben ihrer Versammlung jetzt offiziell die Aufgaben einer von der Duisburger Generalsynode von 1610 191

Entsprechende Karrieremuster stellte ebd., hier: S. 41 fest. Vgl. „Beschreibung der Versammlungen, so zwischen beiden reformierten Kirchen als Deutsche und Französische gehalten, samt derselben Verträge und Ordnungen“ 1595–1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 2,3, hier: S. 22–23. 193 Über die Unterstützung der französisch-reformierten Gemeinde bei der Suche nach einem Prediger diskutierte das deutsch-reformierte Konsistorium bspw. am 11. März 1597, Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1, S. 63. 194 Vgl. den Beschluss der französisch-deutschen Versammlung vom 7. Dezember 1606, „Beschreibung der Versammlungen, so zwischen beiden reformierten Kirchen als Deutsche und Französische gehalten, samt derselben Verträge und Ordnungen“ 1595–1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 2,3, S. 18. 192

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vorgeschlagenen Aachener Klasse:195 Die beiden Kirchen sollten sich also wechselseitig kontrollieren und unterstützen. Neben dieser synodalen Tätigkeit setzte auch die alltägliche Arbeit der deutsch-reformierten Kirchenführer nach 1598 bald wieder ein:196 Seit dem Beginn des Jahres 1601 kam ein zweiwöchiger Sitzungsrhythmus an Dienstagen in Gebrauch, der aber nicht wieder die Regelmäßigkeit der Jahre 1592 bis 1598 erreichte. Zwischen dem 20. Dezember 1606 und dem 27. Januar 1612 sind keine regelmäßigen Sitzung des reformierten Ältestenkonsistoriums überliefert. Ein einzelner Hinweis deutet darauf hin, dass die Treffen in dieser Zeit tatsächlich durch verstärkte Repressionen des katholischen Stadtregiments behindert wurden.197 Es ist aber dennoch wahrscheinlicher, dass weiter Konsistorialsitzungen stattfanden, die lediglich nicht wie üblich dokumentiert wurden. Die bürgerlich-reformierte Kirche erlebte keine absolute Unterbrechung ihrer institutionellen Funktion. Die kirchliche Organisation war auch in der Zeit von 1598 bis 1614 durchgehend gefestigt, wenn sie auch nicht so intensiv arbeitete wie während der Herrschaft des protestantisch dominierten Stadtregiments.198 Wie beständig die Institutionen und Organe der lutherischen Konfessionskirchen waren, seit sie 1578 definitiv etabliert worden waren, lässt sich nicht mit derselben Zuverlässigkeit sagen. Wie bereits weiter oben erwähnt, dokumentieren die Protokolle der lutherischen Ältesten, die alltägliche Arbeit ihrer Kirche nicht in derselben Detaildichte wie die schriftlichen Zusammenfassungen der reformierten Konsistorialsitzungen. Die lutherischen Protokolle verzeichnen nicht jedes Zusammentreffen der Ältesten, verzichteten weitestgehend darauf, Formalia wie die Anwesenheitsprüfung zu dokumentieren und bestehen demnach aus nichts anderem als Beschlüssen, deren Verschriftlichung dienlich erschien.199 Die Entscheidungsprozesse 195 Vgl. „Beschreibung der Versammlungen, so zwischen beiden reformierten Kirchen als Deutsche und Französische gehalten, samt derselben Verträge und Ordnungen“ 1595–1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 2,3, S. 22–23. Zu den Beschlüssen der ersten Generalsynode vgl. Rosenkranz, Die Akten der Generalsynode I, hier: S. 17–24 196 Die erste Konsistorialsitzung nach der katholischen Restitution ist für den 2. Januar 1600 dokumentiert, Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1, S. 95. 197 S. o. S. 321. 198 Für die fortgesetzte Arbeit der kirchlichen Institutionen auch zwischen 1598 und 1601 sprechen Vermerke zu Kirchenzuchtsfällen, Taufen und Eheschließungen aus diesen Jahren in Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1, S. 154–169. 199 Von 2.380 Vorgängen, die in den Protokollen der Deutsch-Reformierten verzeichnet sind betreffen 613 Formalia wie etwa die Feststellung der Anwesenden zu Beginn der Sitzungen oder die Festlegung von Terminen für weitere Versammlungen. In den Protokollen der lutherischen Gemeindeführung (Protokolle der lutherischen Gemeinde

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hinter diesen Beschlüssen sind hingegen im Vergleich zu den Akten der deutsch-reformierten teilweise ausführlicher dargestellt. Anstatt formalisierter Protokolle liegen für die lutherische Konfessionskirche, beginnend mit der Hauskirchenordnung, eher normative Quellen als Akten zu den täglichen Geschäften vor. Ausgehend von dieser Ordnung und ihren Ergänzungen war die lutherische Gemeindeführung in den beiden Zeiträumen zwischen 1578 und 1598 sowie zwischen 1598 und 1614 in etwa gleich konstituiert: Die Amtsträger der Gemeinde – Senioren oder Deputierten der Gemeinde und die Diakone – wurden jährlich zur Hälfte ausgetauscht. Die Senioren trafen sich zweimal wöchentlich zu Sitzungen mit den Predigern, in denen sie vor allem Beschlüsse zur Kirchenzucht und zur gottesdienstlichen Versorgung der Gemeinde trafen. Darüber hinaus war das Gremium aus Senioren und Predigern für alle weiteren Fragen zuständig, die Bestand und Entwicklung der lutherischen Konfessionskirche betrafen. Der Aufgabenbereich der Diakone war hingegen auf die Armenfürsorge und die Schaffung der materiellen und logistischen Voraussetzung für die Gottesdienste der Gemeinde beschränkt.200 Protokolle und das Memorialbuch der Lutheraner vermitteln den Eindruck, als habe das Konsistorium der Senioren mindestens zwischen 1584 und 1597 einen regelmäßigen Sitzungsrhythmus eingehalten. Die Bücher verzeichnen in dieser Zeit für die meisten Monate zwei bis vier Beschlüsse des Konsistoriums, was angesichts der sehr selektiven Dokumentationspraxis der Lutheraner auf eine kontinuierliche Arbeit der Senioren schließen lässt. Nach 1598 setzten die lutherischen Kirchenratsprotokolle zunächst völlig aus. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums fand die lutherische Konfessionskirche nicht wieder zu einer regelmäßigen Dokumentationspraxis zurück. Lediglich einzelne Notizen, die auf eine arbeitende lutherische Kirchenleitung schließen lassen, sind aus der Zeit nach 1606 überliefert. Wahrscheinlich zerfielen die Institutionen der lutherischen Konfessionskirche aber mit der ersten katholischen Restitution nicht dauerhaft. Die schon vor 1598 im Vergleich zu den Aachener Reformierten spärlichere Dokumentationspraxis der Lutheraner führte lediglich dazu, dass ihre Protokolle unter den für die Organisation lutherischer Kirchlichkeit erschwerten Bedingungen unter dem katholischen Magistrat fast völlig verstummten.201 Die Aufzeichnungen im Schuldbuch der lutherischen Kirchenkasse für die Jahre 1602–1606 belegen den organisatorischen Fortbestand der Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1–2) nehmen vergleichbare Einträge keinen nennenswerten Raum ein. 200 Vgl. Korth, Die Hauskirchenordnung von 1578 der lutherischen Gemeinde zu Aachen, hier: S. 106–108. 201 Vgl. Konzepte von Protokollen der Lutheraner 1607–1833, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 02–1,3.

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während dieser Zeit.202 Im Herbst 1611 schafften es die Lutheraner ebenso wie die Deutsch-Reformierten innerhalb kürzester Zeit ihre Gottesdienste wiederaufzunehmen. Diese Fähigkeit, ihr Kirchenleben zu reaktivieren, hätten die Lutheraner nicht ohne eine gewisse institutionelle Kontinuität ihrer Kirche über das Jahr 1598 hinaus gehabt.203 Wie über die alltägliche Arbeit so ist auch über die personelle Zusammensetzung des lutherischen Seniorenkonsistoriums im Vergleich zu dessen bürgerlich-reformierten Gegenstück weniger bekannt. Allerdings sind zwei Parallelen zwischen der reformierten und der lutherischen Gemeindeführung nicht von der Hand zu weisen: Erstens gehörten auch die Senioren der Lutheraner zur bürgerlichen Führungsschicht in Aachen. Zweitens waren aber die lutherischen Senioren ebenso wie die reformierten Ältesten als Amtsträger ihrer Kirche unabhängig von Bürgermeistern und Rat, auch wenn dieselben Männer neben ihrer Rolle als Presbyteriale auch Ratsverwandte oder städtische Amtsträger waren.204 In der ‚Hauskirchenordnung‘ deutet sich darüber hinaus an, dass die lutherische Kirche ähnlich wie die bürgerlich-reformierte einen erweiterten Kreis an der Kirchenleitung beteiligter Personen aufbauen sollte, durch den die Konfessionskirche organisatorisch gefestigt wurde und die führenden Mitglieder der Gemeinde dauerhaft mit den Interessen ihrer Kirche verbunden wurden: Die Kirchenordnung wies die Ältesten ausdrücklich an, sich in wichtigen Belangen der Kirche mit kompetenten Mitgliedern der Gemeinde zu beraten.205 In einem Zeitraum von etwa 35 Jahren zwischen dem Ende der 1570er Jahre und der zweiten katholischen Restitution 1614 arbeiteten, wie nun 202

A22,1.

Vgl. Schuldbuch der Kirchenkasse 1602–1606 (luth.), Archiv d. EKiR, 4KG 004,

203 Einen Eindruck von der fortgesetzten Aktivität der lutherischen Kirchenführung unter dem katholischen Stadtregiment vermitteln verschiedene Rechnungen zur Kasse der Gemeinde für die Jahre 1605 bis 1611 (Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, S. 60–61 u. 71–147). Insbesondere für die Jahre 1605 bis 1608 spiegeln die Rechnungen wieder, wie die Kirchenleitung sich weiter um die gottesdienstliche Versorgung und die Armenfürsorge ihrer Gemeinde bemühte. Die Gemeinde setzte in den Jahren 1598 bis 1602 allerdings dem Anschein nach die jährliche Neuwahl der Ältesten und Diakone im Januar aus (Notizen zu den zwischen 1585 und 1597 sowie zwischen 1604 und 1612 gewählten Amtsträgern finden sich in A 3, 1, S. 155–178). 204 Im Unterschied zum reformierten Führungspersonal füllten einige Lutheraner vorübergehend gleichzeitig die Rolle eines Ratsherren und eines Konsistorialmitglieds aus (Peter Ruland: Ratsherr und Senior 1588; Matthias Krentzgen: Diakon und Ratsherr 1588 u. 1593; Gillis Meß: Ratsherr und Senior 1591 u. 1595; Heinrich Klermondt: Ratsherr und Senior 1591). Mehrheitlich blieben kirchliche und kommunale Amtsverwaltung aber zeitlich getrennt. 205 Vgl. Korth, Die Hauskirchenordnung von 1578 der lutherischen Gemeinde zu Aachen, hier: S. 113 u. 116.

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gesehen, institutionalisierte und stabile Kirchenleitungen, die von Laien bestimmt wurden, an der Gestaltung der Kirchen der reformierten Konfessionsgruppe und der lutherischen Konfessionskirche in Aachen. Dieselben Institutionen entfalteten ihren Einfluss auf das Zusammenleben der Konfessionsgruppen. Das reformierte Ältestenkonsistorium und die lutherischen Senioren leisteten diesen Beitrag durch die Gestaltung von Religionsleben und Gottesdienst, durch die Organisation von Armenfürsorge und Schulwesen sowie durch die Ausübung der Kirchen- und Sittenzucht über die Mitglieder ihrer Gemeinden.

3.1.3.2 Protestantische Konfessionskirchen und Rat – Zusammenarbeit und Abhängigkeiten Mit den reformierten und lutherischen Bemühungen im Bereich des Schulwesens und der Armenfürsorge, war die Beziehung der Konfessionskirchen zur städtischen Obrigkeit und damit ein zentraler Aspekt zur Gestaltung des Zusammenlebens der Konfessionen eng verknüpft. Die Aktivitäten der beiden Kirchen in diesen Bereichen werden in Hinblick auf diese Frage betrachtet, ansonsten aber keinesfalls umfassend dargestellt. Im Anschluss daran werden das protestantisch, konfessionskirchliche Religionsleben und die Rolle der Prediger in den Kirchen in Hinblick darauf betrachtet, welche Rückschlüsse sich daraus für die dogmatische Konfessionsbildung der Reformierten und Lutheraner in Aachen, für ihre Abgrenzung von jeweils ‚fremden‘ Konfessionen und für die Möglichkeiten und Grenzen ihrer religiösen Entfaltung ziehen lassen. Dabei beschränkte sich die Bedeutung der verschiedenen Bereiche konfessionskirchlicher Arbeit selbstverständlich selten vollkommen auf einen bestimmten Aspekt des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen. Insbesondere die Kirchenzucht, die für die Reformierten mehr als für die Lutheraner zu den zentralen Aufgaben ihrer Kirche gehörte, war nicht nur für die Beziehung zwischen der deutsch-reformierten Gemeinde und der städtischen Obrigkeit wichtig. Die Art und Weise wie Älteste und Prediger Frömmigkeit und Alltagsverhalten der Gemeindemitglieder beaufsichtigten, wirkte sich auch auf die Erfahrung jedes einzelnen Reformierten in der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft und auf die Außenwahrnehmung der Konfessionsgruppe aus. Das Armenwesen der deutsch-reformierten Konfessionskirche hatte sich seit deren organisatorischer Festigung etabliert. Es gehörte den gesamten Untersuchungszeitraum hindurch – sowohl unter protestantisch als auch unter katholisch dominierte Magistraten – zu den Institutionen der Kirche,

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die unter der Ägide der Diakone reibungslos arbeiteten.206 Auch die Lutheraner versorgten die Bedürftigen ihrer Gemeinde regelmäßig mit Almosen. Um die effektive Verteilung der Unterstützungsleistungen zu kontrollieren, verordneten die Senioren im Mai 1592, dass Almosenempfänger wöchentlich vor dem Konsistorium erscheinen mussten.207 Die unterstützten Armen der Gemeinde waren schon zuvor regelmäßig vorgeladen worden, um ihre Hilfsbedürftigkeit zu überprüfen und sie gleichzeitig einer verschärften Kirchenzucht zu unterwerfen. Die institutionalisierte konfessionskirchliche Armenfürsorge diente in dieser Form bei Reformierten und Lutheranern mehreren Zwecken: Sie erfüllte die christliche Pflicht der Kirchen, den Bedürftigen der Gemeinde zu helfen. Für unterstützungsbedürftige Familien in den beiden protestantischen Konfessionsgruppen bedeutete das, dass sie sich ein Stück weit auf die Unterstützung der eigenen Konfessionskirche verlassen konnten. Die Kirchenleitungen hielten sie so davon ab, andere Angebote der Armenfürsorge in der Stadt zu beanspruchen, mit denen immer auch religiöse Handlungen verbunden waren. Wie gesehen konfessionalisierten der Magistrat das religiöse Leben in den städtischen Spitälern nicht und wie noch zu sehen sein wird konnten auch die Formen der Frömmigkeit in Zünften und religiösen Laienbruderschaften überkonfessionell akzeptabel sein. Somit mussten die reformierten und lutherischen Konfessionskirchen ihre ärmeren Mitglieder nicht zwangsläufig auf die eigene Armenfürsorge beschränken, um ihre Bekenntnistreue zu sichern. Sie sahen die Armenfürsorge aber dennoch auch als Mittel der konfessionellen Abgrenzung. Inwieweit die Kirchen dabei genug Hilfe leisten konnten, um den Bedarf aller Bedürftigen ihrer Konfessionsgruppen zu erfüllen, ist nicht festzustellen. Vom Gesamtumfang der protestantischen Hilfsleistung hing in zweierlei Hinsicht ab, inwiefern sie Funktion und Akzeptanz des Aachener Armenwesens insgesamt beeinträchtigen konnten: Die wahrscheinlich besonders gut ausgestattete Armenfürsorge der deutsch-reformierten Diakone konnte bei den Bürgern und Einwohnern Aachens den Eindruck vermitteln, dass die Reformierten die in Aachen verfügbaren Almosen für die eigene Konfessionsgruppe monopolisierten. Den selben Eindruck aus einer anderen Perspektive konnten die Bürger in dem Moment gewinnen, indem ein konfessionskirchliches Armenwesen umfangreiche private Stiftungen von der vergleichsweise neuen Armenfürsorge der Konfessionskirchen angenommen wurden, die prinzipiell den älteren, vorkonfessionellen Einrichtungen des 206 Dazu liegt mit Gries, Die Aachener Reformierte Gemeinde im 16. und frühen 17. Jahrhunderteine umfassende Untersuchung vor. 207 Vgl. Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 13.

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Armenwesens hätten zukommen können. Tatsächlich vermitteln allein die Protokolle des deutsch-reformierten Ältestenkonsistoriums den Eindruck, dass die Gemeindeleitung für ihrer Kirche ausreichend Stiftungen und Vermächtnisse entgegennahm, um entsprechende Befürchtungen zu nähren.208 Wahrscheinlich ist die 1580 politisch instrumentalisierte Klage, traditionelle Stiftungen seien von den Protestanten vereinnahmt worden, in eben diesen Zusammenhang einzuordnen.209 Ähnliche Klagen wurden später nicht wieder laut. Die Armenfürsorge der protestantischen Konfessionskirche stellte demnach zwar ein Konfliktpotential für die gemischtkonfessionelle Aachener Gesellschaft dar, erfüllte aber in der Regel die Bedürfnisse der reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen und Kirche, ohne anderskonfessionelle Bürger zu provozieren. Ähnlich wie das konfessionskirchliche Armenwesen, hatten auch alle Versuche der deutsch-reformierten und lutherischen Kirche, Schulunterricht zu organisieren, das Potential, Reibungen mit der städtischen Obrigkeit zu erzeugen und Verstimmungen über die Gestaltung des Bildungswesens im gemischtkonfessionellen Aachen herbeizuführen. Die Maßnahmen, mit denen Reformierte und Lutheraner im Laufe der Zeit die religiöse Bildung der Jugend ihrer Konfessionsgruppen sicherzustellen versuchten, variierten allerdings merklich. Die Zusammenhänge zwischen konfessionskirchlicher Schulpolitik, den politischen Zielen des Rates und der Aachener Schullandschaft insgesamt sind demnach komplexer als diejenigen zwischen kirchlicher und kommunaler Armenfürsorge. Wie beschrieben baute der Magistrat während des Untersuchungszeitraums in Aachen kein institutionalisiertes Schulwesen auf. Die protestantischen Konfessionskirchen waren weit davon entfernt diese Lücke zu schließen. Sowohl die deutsch-reformierte als auch die lutherische Gemeinde setzten über weite Strecken darauf, private Schulmeister der jeweils eigenen Konfession in ihre Kirche zu integrieren210 und auch einer gewissen Kontrolle durch die Kirchenleitung zu unterziehen, um das Bedürfnis ihrer Gemeindemitglieder nach einer religiösen Erziehung ihrer Kinder zu befriedigen: Reformierte und lutherische Schulmeister in Aachen erhielten im Rahmen

208 Vgl. hierzu beispielsweise die Konsistorialprotokolle zum 28. November 1595 (Protokollband I, S. 45), zum 8. Mai 1601 (Protokollband I, S. 103) und zum 3. Februar 1604 (Protokollband I, S. 127). 209 S. o. S. 96. 210 Eine vergleichbare Strategie hat Ehrenpreis, Das Schulwesen reformierter Minderheiten im Alten Reich 1570–1750, hier: S. 102–103 bei der hochdeutsch-reformierten Kirche in Köln beobachtet, wo die Schulmeister, welche die Kinder der Konfessionsgruppe unterrichteten, ebenfalls Mitglieder der Gemeinde waren.

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der Kirchenzucht besondere Aufmerksamkeit.211 Dabei ermahnte insbesondere die reformierte Gemeindeführung die privat tätigen Lehrer, die Vermittlung des Katechismus nicht zu vernachlässigen. In der Zeit des protestantisch dominierten Stadtregiments erscheint dieses Praxis als eine Art Schulaufsicht der deutsch-reformierten Kirchenleitung über die in Aachen tätigen reformierten Lehrer. Einzelne Schulmeister wurden im Zuge dessen etwas weiter in das Kirchenleben integriert: Sie erhielten die Aufgabe, Jugendliche zu beaufsichtigen, die vor ihrer ersten Teilnahme am Abendmahl standen.212 Generell entfaltete die deutsch-reformierte Kirche ihre größten Bildungsbemühungen zu Vermittlung des Katechismus, ohne dabei aber den Schritt zur Gründung einer regulären Gemeindeschule zu vollziehen. Neben den Schulmeistern sollten selbstverständlich auch die Prediger und neben ihnen die Familienvorstände sowie zeitweise auch geeignete Jugendliche aus der Gemeinde, die Grundlehren der Religion verbreiteten.213 Die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zu beobachtenden Neigung reformierter Kirchen, „[. . . ] dem Schulwesen einen öffentlichen Charakter innerhalb der Gemeinde zu geben [. . . ]“214 – die Bildung also aus den Familien in professionelle Institutionen zu verlegen – setzte sich im gemischtkonfessionellen Aachen nicht durch. Wie wenig die protestantischen Schulmeister durch die Aufsicht der reformierten Ältesten, lutherischen Senioren und Prediger zu Lehrern ihrer jeweiligen Konfessionskirche wurden, zeigt sich an der Geschichte eines lutherischen Schulmeister, der im Winter 1579 ins Visier der Kirchenzucht geriet.215 Die Senioren warfen ihm vor, sexuell mit einer Witwe aus der Gemeinde verkehrt zu haben. Statt sich dafür vor dem Konsistorium zu verantworten, heiratete der Lehrer im folgenden Jahr eine andere Frau und ließ die Ehe katholisch von einem Aachener Karmeliter schließen. Obwohl der Schulmeister damit massiv gegen die Ordnung der lutherischen Konfessionskirche verstoßen hatte, schloss ihn die Kirchenleitung nicht dauerhaft aus der Gemeinde aus. Im Dezember 1584 versöhnte er sich 211

Vgl. das Protokoll zur Sitzung des deutsch-reformierten Konsistoriums am 17. November 1592 (Protokollband I, S. 11). 212 Vgl. Protokoll zum 24. März 1598 (Protokollband I, S. 86) und zum 19. März 1613 (Protokollband II, S. 19). 213 Vgl. Protokollband I zum 9. Juni 1598 (S. 90) und zum 11. September 1600 (S. 99). 214 Stefan Ehrenpreis, Einleitung. Das Erziehungswesen der Reformierten im Kontext frühneuzeitlicher Kultur und Wissenschaft, in: Heinz Schilling/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur und Wissenschaft. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft, Bd. 38.) Berlin 2007, S. 1–17, hier: S. 11. 215 Vgl. Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, S. 8.

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wieder mit der Gemeinde. Damit stand es den Aachener Lutheranern auch wieder offen, ihre Kinder in seinen Unterricht zu schicken. Über die begrenzte Kontrolle von privaten Schulmeistern und deren zeitweilige Verpflichtung zu Aufgaben des Kirchenlebens hinaus, bemühte sich die deutsch-reformierte Konfessionskirche nur punktuell um das Schulwesen in Aachen. Im Frühjahr trat der reformierte Schulmeister Matthaeus Muscinus Muntzius seinen Dienst in Aachen an. Die deutsch-reformierte Gemeinde unterstützte ihn dabei, eine Unterkunft für sich, seine Familie und den zu erteilenden Unterricht zu finden. Die Kirchenleitung hatte die Übersiedlung des Lehrers in die Reichsstadt organisiert und sah fest vor, dass er Kinder aus der Gemeinde unterrichten würde.216 Ob die deutsch-reformierte Gemeinde darüber hinaus auch zu Muntzius’ Einkünften beitrug und damit einen weiteren Schritt zur Unterhaltung eines regelrechten Gemeindelehrers ging, ist nicht zu klären. Ein solches Arrangement ist für das Jahr 1592 überliefert, als die Kirche dem Lehrer Johann Kuhen von Merken nicht nur Räume im Predigthaus Klüppel zur Verfügung stellte, um die Kinder der Gemeinde zu unterrichten, sondern ihm auch 20 Thaler jährlich zahlte.217 Selbst zu diesem Zeitpunkt reichte der von der deutsch-reformierten Kirche unterstützte Unterricht aber nicht aus, um den Bedarf der eigenen Gemeindemitglieder zu decken. Dass die Konfessionskirche das städtische Schulwesen planmäßigen dominiert hat, ist ausgeschlossen. Sehr wohl ist es möglich, dass angesichts zweier mitgliederstarker protestantischer Konfessionskirchen die Mehrheit der in Aachen privat tätigen Schulmeister zur reformierten oder lutherischen Bekenntnisgruppe gehörte. Den planmäßigen Aufbau regelrechter konfessionskirchlicher Schulen verfolgten Reformierte und Lutheraner erst nach dem Bürgeraufstand im Sommer 1611. Zur eiligen Neuorganisation der Konfessionskirchen unter den Bedingungen der kurzfristig gewonnenen Möglichkeit zur öffentlichen Religionsausübung nahmen beide protestantische Konfessionsgruppe den Ausbau ihres religiösen Bildungswesens selbst in die Hand. Das reformierte Konsistorium verstärkte die Kontrolle und die kirchliche Anbindung der wiederum in Aachen tätigen reformierten Schulmeister. Darüber hinaus fasste es den ambitionierten Plan, die Lehrer und ihren Unterricht unter die Ordnung der Hohen Schule von Herborn zu stellen.218 Die deutschreformierte Gemeinde Aachen nahm damit wie viele andere Kirchen und Obrigkeiten im Nordwesten des Reiches das Herborner Modell zum Vorbild 216 Vgl. Matthaeus Muscinus Muntzius an M. Wilhelmenn [zur Weiterleitung an das deutsch-reformierte Konsistorium], Elberfeld 9. Januar 1581, Reformierte Schule, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 34,2. 217 Vgl. Macco, Das Haus Klüppel, hier: S. 20. 218 Vgl. Protokoll der Sitzung vom 18. September 1612, Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1,2, S. 22.

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für eine eigene Schulgründung.219 Wie weit diese Pläne bis zur endgültigen katholischen Restitution 1614 gediehen, ist nicht festzustellen. In jedem Fall ging schon der Plan eine verbindliche Ordnung für alle Schulmeister der eigenen Konfession in Aachen zu erlassen, über alle bildungspolitischen Bemühung hinaus, welche die deutsch-reformierte Konfessionskirche bis dahin unternommen hatte. Parallel zu diesem Höhepunkt der deutschreformierten Bildungsbemühungen stellte die lutherische Konfessionskirche 1611 einen Schulmeister an. Die Gemeindeleitung nahm wahrscheinlich im Winter 1611 ein Zeugnis entgegen, das die Entlassung des Schulmeisters Wilhelm Eberhardts aus dem Dienst der Augsburger Konfessionsverwandten Gemeinde in Montoye am 16. November des Jahres bestätigte220 Im August 1613 erhielt Eberhardts eine Erhöhung seiner Bezüge, unter anderem weil sich die Schule mehr und mehr erhole. Die sich erholende lutherische Schule muss allerings schon deswegen kleiner gewesen sein als die von den Reformierten geplante Anstalt, weil Eberhardts nicht nur als Lehrer sondern auch als Armenpfleger und Vorsänger angestellt war.221 Nichtsdestotrotz wollte keine der protestantischen Konfessionskirchen nach 1611 noch länger darauf vertrauen, dass die religiöse Bildung ihrer Mitglieder auf indirektem Wege, ohne eigene Schulen sicherzustellen war. Sie nahmen nun die Konflikte in Kauf, die jede organisatorische Stärkung einer Konfessionskirche in Aachen barg.222 Für die längste Zeit des Untersuchungszeitraums verzichteten die beiden großen protestantischen Konfessionskirchen in Aachens also auf eine eigene intensive Schulpolitik. Sie erkannten wie andere Kirchen im Rheinland die Bedeutung religiöser Bildung,223 schufen deswegen aber keine neuen Institu219 Vgl. Gerhard Menk, Die Hohe Schule von Herborn in ihrer Frühzeit (1584–1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 30.) Wiesbaden 1981, hier: S. 174–177. Zum Versuch entsprechender Schulgründungen in Wesel und Elberfeld: Gerhard Menk, Das protestantische Schulwesen im frühneuzeitlichen Rheinland. Eine Annäherung für die brandenburgische Herrschaft, in: Andreas Rutz (Hrsg.), Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250–1750). (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung, Bd. 39.) Köln 2010, S. 153–190. 220 Vgl. Zeugnis für Wilhelm Eberhardts. Ausgestellt durch Johann von der Hardt, Rentmeister von Montoye und Prinzipalvorstand der Gemeinde „wahrer Augsburgischer Konfession“, 16. November 1611sn, Lutherische Schulsachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 34,5. 221 Vgl. Notiz vom 7. August [1613], ebd. 222 Zuvor hatte die lutherische Kirche nur zwei Mal, jeweils für sehr kurze Zeit, Lehrer unterstützt – vgl. dazu Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 28, Anm. 20. 223 Zum mit den niederländischen Aufstand einsetzenden Trend zu verstärkten konfessionskirchlichen Bildungsbemühungen in rheinischen Städten vgl. Stefan Ehrenpreis, Schule und Bildung im vormodernen Rheinland. Überlegungen zur Periodisierung und

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tionen, welche die Bildungslandschaft in Aachen grundlegend verändert und konfessionell gespalten hätten. Die vielfältigen Bedeutungen der reformierten und lutherischen Kirchenzucht in Aachen entsprangen ihrer doppelten Zielsetzung. Besonders für die Reformierten diente die Kirchenzucht der unmittelbar religiös relevanten Absicht, die Abendmahlsgemeinschaft als Grundlage der Kirche zu konstituieren. Ihren sakramentalen Charakter erreichte die Abendmahlsfeier nach reformiertem Verständnis, wenn die teilnehmenden Gemeindemitglieder christlich gelebt hatten. Dazu gehörte neben einer Frömmigkeit, die den Lehren und Normen der Konfessionskirche entsprach, die Beilegung aller Streitigkeiten mit anderen Gemeindemitgliedern. Die reformierte Kirchenzucht sollte also die Teilnahme von Personen am Abendmahl ausschließen, die gegen die Normen der reformierten Religion verstoßen hatten oder die mit ihrer Familien, ihren Nachbarn oder ihren Freunden im Streit lagen. Dabei legten die für die Kirchenzucht verantwortlichen Ältesten und Prediger besonderen Wert darauf, dass die Gemeindemitglieder ihre Verstößen gegen die christliche Ordnung bereuten und einstellten, sich miteinander versöhnten und so wieder mit der Kirche und der Abendmahlsgemeinde versöhnt werden konnten.224 Die Aachener Lutheraner sahen im christlichen und friedlichen Leben ihrer Gemeindemitglieder keine dogmatische Voraussetzung für die sakramentale Wirksamkeit des Abendmahls. Dennoch war die Kirchenzucht der lutherischen Senioren und Prediger in der Praxis ähnlich ausgerichtet wie die des reformierten Konsistoriums: Die Senioren forderten die Mitglieder ihrer Gemeinde bei Abweichungen von einer ‚gottgefälligen‘ Lebensweise zur Besserung auf und schlossen sie bei fortgesetzter mangelnder Einsicht von der Teilnahme am Abendmahl aus.225 Auch die Lutheraner zielten damit darauf ab, aus der Kirchenzucht kein Verfahren des Strafens und des Ausschlusses von Gemeindemitgliedern zu machen, sondern ein Instrument zur Bewahrung des innerkirchlichen Friedens. Hier berührten sich die Interessen der lutherischen und reformierten Kirregionalen Vernetzung, in: Andreas Rutz (Hrsg.), Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250–1750). (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung, Bd. 39.) Köln 2010, S. 295–325, hier: S. 308. 224 Vgl. Heinz Schilling, Sündenzucht und frühneuzeitliche Sozialdisziplinierung. Die calvinistisch presbyteriale Kirchenzucht in Emden vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Georg Schmidt (Hrsg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich. Stuttgart 1989, S. 265–302. Wie Schilling geht auch Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht, hier: S. 539–551 bei ihren Überlegungen zur reformierten Kirchenzucht unter anderem von der Zuchtpraxis der Emdener Gemeinde aus und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass unterschiedliche ekklesiologische Konzepte und unterschiedlich Persönlichkeiten in der Leitung verschiedener reformierter Kirchen zu verschiedenen Ausgestaltungen der Kirchenzucht führten. 225 Korth, Die Hauskirchenordnung von 1578 der lutherischen Gemeinde zu Aachen, hier: S. 103.

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chenzucht und der reichsstädtischen Gerichtsbarkeit. Die Ältesten, Senioren und Prediger beider Konfessionskirchen waren an der Eintracht zwischen den Mitgliedern ihrer Kirchengemeinden interessiert. Sie konnten so, entsprechend reichsstädtischer Werte, die Einigkeit der Bürgergemeinde direkt unterstützen. Auf dieser Grundlage kooperierten die deutsch-reformierte Konfessionskirche und das Stadtregiment bei einigen wenigen Gelegenheiten: Das Konsistorium beschloss, soweit es die Protokolle dokumentieren, zwischen 1594 und 1598 nicht häufiger als acht mal, Kontakt mit regierenden Bürgermeistern aufzunehmen. Zwei der darauffolgenden Besprechungen betrafen Erbschafts- und Finanzangelegenheiten, die keine Rückschlüsse auf den Zustand der reformierten Konfessionskirche oder ihre Beziehungen zur städtischen Obrigkeit zulassen.226 Weitere Gesprächen zwischen Beauftragten des Konsistoriums und den ranghöchsten städtischen Amtsträgern betrafen einzelne Kirchenzuchtsfälle. Wenn die reformierten Ältesten und Prediger ihre Gemeindemitglieder vor allem in eskalierenden Streit- und Beleidigungsfällen nicht zum Einlenken bewegen konnten, wandten sie sich an einen Bürgermeister um ihn auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich von Seiten des Stadtregiments dieser Fälle anzunehmen.227 Die Absprachen lassen keine Absicht des Konsistoriums erkennen, das Stadtregiment auf die spezifisch konfessionskirchlichen Ziele seiner Aufsichts- und Strafpolitik zu verpflichten. Die Bürgermeister halfen dem reformierten Konsistorium nicht dabei, streitenden oder mit konfessionskirchlichen Normen brechende Gemeindemitglieder zur Versöhnung zu drängen. Auch wenn das Stadtregiment den Delinquenten im Unterschied zur reformierten Gemeindeführung mit Sanktionen drohen konnte, die über den zeitweiligen Ausschluss vom Abendmahl hinausgingen, fungierte es in keinem Fall als verlängerter Arm der Ältesten und Prediger. Die Ältesten stützten mit ihren Bitten an die Bürgermeister die säkulare Friedensordnung der Stadt, indem sie die Obrigkeit auf hartnäckige Unruhestifter aufmerksam machten. Sie handelten damit als Mitglieder der Bürgergemeinde und als Vertreter der Kirchenleitung, denn ruhiges und 226 Vgl. die Konsistorialprotokolle zum 17. September 1596 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 57) und zum 20. Juli 1598 (ebd., S. 94). 227 Am 16. August 1594 beauftragte das Konsistorium Jost von Beeck und Johannes Radermacher damit, beide Bürgermeister darauf anzusprechen, dass ein Nagelschmied aus der Gemeinde vorgeladen werden solle. Die Bürgermeister sollten außerdem auf ähnliche Fälle achten, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 31. Im folgenden Jahr, am 28. Dezember 1595, hatten die Bürgermeister eine Person, die in der Gemeinde im Zusammenhang mit dem Abendmahl für Unruhe gesorgt hatte, abgemahnt – vgl. ebd., S. 46. Weitere Absprachen zwischen Konsistorium und Bürgermeistern erfolgten nach Beschlüssen am 16. April 1596 (ebd., S. 53) und am 2. Juni 1598 (ebd., S. 90).

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friedliches Verhalten stellte nicht nur das Ideal für jedes einzelne Gemeindemitglied dar, das zum Abendmahl zugelassen werden wollte, sondern war auch ein Wert für die Konfessionskirche insgesamt.228 Der christliche Frieden der Gemeinde entsprach dem religiösen Selbstverständnis von Reformierten und Lutheranern. Die reformierte und lutherische Kirchenzucht festigte somit die städtischen Werte Frieden und bürgerliche Einheit in Aachen.229 Ausgehend von dieser Übereinstimmung mit der Obrigkeit erwartete zumindest die reformierte Konfessionskirche bei einigen wenigen Gelegenheiten die Unterstützung des protestantisch dominierten Stadtregiments zum Aufbau und zur Stabilisierung ihrer Kirche und ihres Religionslebens. Um diesen Anspruch einzufordern, ließ das Konsistorium am 16. Januar 1596 beim Stadtregiment anfragen, ob an Sonntagen das Trommelspiel in der Stadt eingestellt werden könnte. Insbesondere vor dem reformierten Predigthaus, dem Großen Klüppel sollte die Lärmstörung unterbunden werden. Offensichtlich zogen Stadtsoldaten regelmäßig über die Eselgasse, wo sich der Klüppel befand, und störten den Sonntagsgottesdienst der reformierten Gemeinde.230 In diesem Fall bat das Konsistorium um ein begrenztes Zugeständnis des Stadtregiments. Ein weiterer Fall zeigt, dass die Konsistorialen auch weiter reichende Forderungen zur Gestaltung der obrigkeitlichen Politik hatten: Am 16. Dezember 1597 klagte die reformierte Gemeindeführung dem Stadtregiment, dass viele Jugendliche ohne die Erlaubnis ihrer Familien Ehen geschlossen 228

Insofern zeigt sich in der Zusammenarbeit von reformierter Kirchenleitung und städtischer Obrigkeit die zweifache Bedeutung von Werten. Werte wirkten sinnstiftend: Im konkreten Fall motivierten und rechtfertigten sie die kirchlich-obrigkeitliche Zusammenarbeit. Werte waren aber auch sozial konstruiert: Durch ihr Handeln bestätigten und untermauerten Stadtrat und reformierte Konfessionskirche die Bedeutung des innerstädtischen Friedens. Vgl. zusammenfassend zum Werte-Begriff in der Kulturgeschichte: Katharina Ulrike Mersch, Eule oder Nachtigall? Überlegungen zum Wert historischer Werteforschung, in: Maria Luisa Allemeyer (Hrsg.), Eule oder Nachtigall? Tendenzen und Perspektiven kulturwissenschaftlicher Werteforschung. Göttingen 2007, S. 9–34, hier: insbesondere S. 15–19. 229 Vgl. zur Bedeutung kommunikativer Praktiken und symbolischer Repräsentation für die Stabilisierung von Werten Barbara Stollberg-Rilinger, Die Historiker und die Werte. Tendenzen und Perspektiven kulturwissenschaftlicher Werteforschung, in: Maria Luisa Allemeyer (Hrsg.), Eule oder Nachtigall? Göttingen 2007, S. 35–48, hier: S. 44–48 und Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489–527, hier: S. 505–512. 230 Vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 75. Das Trommelschlagen beim Auf- und Abzug der Wachsoldaten war auch 1602 noch üblich – vgl. Hermandung, Das Zunftwesen der Stadt Aachen bis zum Jahre 1681, hier: S. 40.

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hätten.231 Die verstärkte Kontrolle von Eheschließungen stand während der Konfessionalisierung und im Zuge des frühneuzeitlichen Prozesses der Sozialdisziplinierung auf dem Programm aller Obrigkeiten und Konfessionskirchen. Insbesondere reformierte Kirchen gingen intensiv gegen voreheliche Sexualität und die häufig aus solchen Beziehungen hervorgehenden Eheversprechen vor, mit denen sich die Verlobten der Kontrolle ihres sozialen Umfelds entzogen.232 Die bürgerlich-reformierte Kirchenleitung in Aachen erließ dementsprechend Verfügungen, denen zur Folge die Prediger der Gemeinde keine Ehe durch Einsegnung im Gottesdienst bestätigen sollten, die ohne Zustimmung der Eltern der Brautleute geschlossen worden war.233 Auch die schnelle Wiederverheiratung von Witwen und Witwern vor Ablauf einer Trauerzeit von mindestens sechs Monaten sollte verhindert werden.234 Die Kirche versuchte, diese Norm durchzusetzen, indem sie Eheleute dazu verpflichtete, ihre Heirat in drei aufeinanderfolgenden Gottesdiensten der Gemeinde anzukündigen, bevor die Einsegnung stattfinden konnte. Auf Verstöße gegen diese Regeln reagierte die Gemeindeführung mit den regulären Mitteln der Kirchenzucht. Eheleute, die vorehelichen Verkehr gehabt hatten oder denen die Zustimmung ihrer Familie fehlte, konnten, nachdem sie ihre Fehler bekannt hatten, mit der Gemeinde versöhnt werden. Die nachträgliche Einwilligung der Eltern und Freunde vorausgesetzt konnte eine bereits heimlich geschlossene Ehe auch im reformierten Gottesdienst eingesegnet werden. Auch nachdem Ehen von der bürgerlich-reformierten Kirche eingesegnet worden waren, interessierten sich Prediger und Älteste weiter für die Paare. Die christliche Eheführung und Haushaltung der Gemeindemitglieder war ein wichtiger Gegenstand der Kirchenzucht. Sowohl Streitigkeiten zwischen Eheleuten als auch allgemeine Fehlentwicklungen in einem Haushalt die als ‚unordentliches Leben‘ wahrgenommen wurden, führten zu Ladungen von Gemeindemitgliedern vor das Konsistorium oder Besuchen der Ältesten bei den ‚unruhigen‘ Familien.235 Zerwürfnisse zwischen Eheleuten, die trotz der Ermahnungen und Vermittlungsversuche der Konsistorialen andauerten, 231 Vgl. die Konsistorialsitzung am 16. Dezember 1597 – vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 78. 232 Besonders ausführliche Befunde zum Stellenwert und zur Praxis der Sexualzucht innerhalb reformierter Gemeinden hat Schilling, Sündenzucht und frühneuzeitliche Sozialdisziplinierung, hier: 290 ff. herausgearbeitet. 233 Vgl. dazu die Bestätigung dieser schon vorher bestehenden Ordnung und Praxis in der Konsistorialsitzung vom 6. Februar 1606, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 152. 234 Vgl. zu dieser Norm und ihrer Umsetzung die Konsitorialprotokolle zum 4. Februar 1603, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 121 und zum 28. Dezember 1605, ebd., S. 140. 235 Vgl. dazu die Beschlüsse des Konsistoriums am 16. März 1593 (Archiv d. EKiR,

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konnten zur Abmahnung vom Abendmahl führen. Frieden und Ordnung in der Familie waren dabei nicht nur Selbstzweck, sondern bildeten auch die Grundlage für die weitere Stärkung der Kirche: Die Ältesten besuchten im Rahmen von Visitationen alle Haushalte von Mitgliedern ihrer Gemeinde.236 Dazu war jeweils zwei Ältesten ein „Quartier“ zugeteilt, über das sie die Aufsicht führten, wodurch insgesamt das gesamte Stadtgebiet von der Aufsicht der reformierten Kirchenleitung abgedeckt war. Namen, Abmessungen und Zuteilungen der Quartiere sind für den Untersuchungszeitraum nicht bekannt.237 Familie und Haushalt waren damit Orte der reformierten Konfessionsbildung. Die Ältesten forderten unter anderem während der Visitationen besonders die Hausväter auf, auf die christliche Lebensführung und die religiöse Erziehung der ganzen Familie einschließlich der im Haushalt arbeitenden Männer und Frauen zu achten. Die Sorge der Familienoberhäupter sollte unter anderem der Katechese ihrer eigenen Kinder und der Mägde und Knechte im Haus gelten. Auch die Prediger forderten die Eltern während des Gottesdienstes auf, darauf zu achten, dass die Erziehung ihrer Kinder im Sinne der Kirche geschehe.238 Die Sorge um die religiöse Prägung der Jugend endete dabei nicht mit dem Abschluss der schulischen Ausbildung, sondern galt zum Beispiel auch dem Problem, dass die jungen Gemeindemitglieder schädlichem Einfluss ausgesetzt werden könnten, wenn sie für katholische Familien arbeiteten.239 4KG 004, A 1, 1, S. 15), 14. November 1595 (ebd., S. 45) und 25. November 1603 (ebd., S. 126). 236 Über Verlauf und Ergebnis der Visitationen sind keine besonderen Berichte überliefert. Die vorbereitenden Sitzungen des Konsistoriums lassen erkennen, dass die allgemeinen Visitationen zwischen 1592 und 1598 und dann erneut in den Jahren 1612 und 1613 mindestens jährlich häufiger aber halbjährlich durchgeführt wurden (Vgl. die Einträge im Protokollbuch des Ältestenkonsistoriums zum 1. Dezember 1592 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 11), 23. März 1593 (S. 15), 16. August 1594 (S. 31), 19. September 1595 (S. 42), 21. Mai 1596 (S. 54), 3. September 1596 (S. 57), 22. April 1597 (S. 65), 2. Dezember 1597 (S. 77), 10. März 1598 (S. 84), 28. Mai 1612 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 2, S. 5.), 17. September 1613 (S. 27) und 12. November 1613 (S. 30). 237 Erst für das Jahr 1688 ist eine Aufteilung von drei Quartieren überliefert, die auch im 16. und frühen 17. Jahrhundert funktionsfähig gewesen wäre.Vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–3 Pfarrbezirke 1, Reformierte Gemeinde 1600–1834, bes. Angelegenheiten der Eupener Gemeinde, auch Aachener Quartiereinteilung 1688, 2. Mappe. 238 Vgl. die Protokolle zu den Konsistorialsitzungen am 17. November 1592 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 90) und 20. Dezember 1606, S. 11.), 9. Juni 1598 (S. 151). 239 So beauftragte das Ältestenkonsistorium am 17. Februar 1598 Johann Frentz, das Gemeindemitglied Christian Bontwercker zu ermahnen, weil Bontwercker seiner Tochter erlaubt hatte, im katholischen Lüttich als Dienstmagd zu arbeiten – vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 83. Bereits am 20. Januar desselben Jahres war Jacques von Bertum von den Ältesten ermahnt worden, weil er sein Kind nach Lüttich geschickt hatte, welches dadurch nun „[. . . ] im Papstum wohnhaft [. . . ]“ sei (S. 81).

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Die Aufsicht der reformierten Kirchenleitung über Ehen und Familien wurde an dem Punkt problematisch, an dem sie auch Personen betraf, die keine Mitglieder der reformierten Freiwilligenkirche waren. Besonders Ehen zwischen Gemeindemitgliedern und Katholiken waren problematisch. Das Ältestenkonsistorium unternahm aber keine Anstrengungen, solche Mischehen generell zu unterbinden. Die Ältesten nahmen hin, dass in der gemischtkonfessionellen Aachener Stadtgesellschaft immer wieder selbstverständlich Ehen über Konfessionsgrenzen hinweg geschlossen wurden. Gemeindemitglieder, die sich mit Katholiken, Lutheranern oder auch Täufern verheirateten, hatten zwar mit einer Vorladung vor das Konsistorium zu rechnen, dessen Mitglieder sich über die Umstände der Eheschließung erkundigten, sie hatten allein aufgrund ihres fremdkonfessionellen Ehepartners aber keinen Ausschluss vom Abendmahl zu befürchten.240 Die Ältesten und Prediger versuchten lediglich zu verhindern, dass die reformiert-katholischen oder reformiert-lutherischen Ehen von anderen als den eigenen Predigern eingesegnet wurden. Gemeindemitglieder, die vor einen katholischen Priester getreten waren, der ihre Ehe dann ‚befohlen‘ hatte, mussten deswegen häufiger ihre Schuld bekennen und sich bußfertig zeigen, um wieder mit der Kirche versöhnt zu werden.241 Nach der ersten katholischen Restitution von 1598 scheint die Kirchenleitung zeitweilig überlegt zu haben, Hochzeiten vor katholischen Priestern weitreichender zu tolerieren, als sie bei den Kölnern Deutsch-Reformierten anfragte, ob eine Ehe die bereits „[. . . ]christlich und ordentlich befohlen [. . . ]“ sei, von einem Priester eingesegnet werden dürfe.242 Bereits am 2. Mai 1600 beschloss das Konsistorium allerdings in der Gemeinde verkünden zu lassen, dass Eheschließungen außerhalb er eigenen Kirche weder unterstützt noch geduldet würden.243 In der Praxis ermahnten die reformierten Konsistoriale die Mitglieder ihrer Gemeinde nach 1600 häufiger als in der Zeit des protestantisch dominierten Stadtregiments wegen katholisch eingesegneter Ehen.244 Den Eheschluss von 240 Vgl. zu Eheschließungen von reformierten Gemeindemitgliedern mit Katholiken: Die Konsitorialbeschlüsse vom 2. März 1604 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 127) und vom 7. Juni 1612 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 2, S. 6). Nur ein einziger Fall einer reformiert-lutherischen Ehe ging in die Konsistorialprotokolle ein: Am 25. Februar 1597 erhielten Petrus Pedius und Johann Melis den Auftrag, einen nicht benannten reformierten Schulmeister aufzusuchen und ihn kritisch wegen seiner Ehe mit einer Lutheranerin zu befragen (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 62). 241 Vgl. dazu Beschlüsse der deutsch-reformierten Ältesten vom 15. November 1594 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 33), vom 10. Dezember 1596 (S. 60), 11. Februar 1597 (S. 62), 29. April 1597 (S. 65) und 17. Februar 1598 (S. 83). 242 Vgl. das Protokoll zur Konsistorialsitzung vom 20. Februar 1600, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 97. 243 Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 98. 244 Vgl. u.a. Konsitorialprotokolle zum 25. Juli 1600 (S. 156), 13. Mai 1603 (S. 123),

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Gemeindemitgliedern vor lutherischen Pfarrern sah die reformierte Kirchenleitung keines Falls weniger kritisch: Als Peter Symons d.J. seine Ehe von einem lutherischen Prediger in Düren hatte einsegnen lassen, veranlasste er die Konsistorialen dadurch zu Erkundigungen und Briefwechseln mit der reformierten Gemeinde in Düren, die während der Monate August und September 1593 andauerten.245 Auf diese Weise konnte die Kirchenleitung verhindern, dass Gemeindemitglieder in gemischtkonfessionellen Ehen bereits mit der Eheschließung den ersten Schritt hin zu einer fremden Konfessionskirche machten. Allerdings konnten die Ältesten nur Haushalte und Familien, die vollständig reformiert waren, so beaufsichtigen, dass ihre Werte des familiären Friedens und der christlichen Lebensführung umgesetzt wurden. Bezüglich rein katholischer und rein lutherischer Haushalte fehlte der reformierten Gemeindeführung jede Handhabe. Weil die in der eigenen Konfessionsgruppe gesetzten Normen zu Ehe und Familie wie gesehen aber nicht nur konfessionsspezifisch von Wert waren, sondern als konstitutiv für die gesamte städtische Gemeinde betrachtet wurden, sahen es die Ältesten als folgerichtig an, bei den Bürgermeistern um Ordnung der wenig geregelten Eheschließungspraxis in Aachen zu bitten.246 Der Aachener Magistrat hatte keine eigene Eheordnung erlassen und durchgesetzt. Von katholisch-kirchlicher Seite konnte das Sendgericht gemäß mittelalterlicher kirchenrechtlicher Bestimmungen gegen heimliche Ehen vorgehen. Die wesentlich expliziteren und strengeren Bestimmungen des Tridentinischen Konzils im Dekret Tametsi, auf Grundlage derer sich geordnete Verhältnisse hätten schaffen lassen, die den Vorstellungen der reformierten Kirche durchaus näher gekommen wären, wurden im Bistum Lüttich seit 1585 nur sehr zögerlich umgesetzt. In Aachen verkündete der Erzpriester Tametsi erst 1617.247 Dementsprechend waren die reformierten zum 2. April 1613 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 2, S. 20) und zum 3. September 1613 (S. 27). 245 Vgl. die Konsistorialsitzungen vom 17. August, 24. August und 14. September 1593, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 20–21. Zu der kleinen lutherischen Gemeinde in Düren vgl. Karl Ventzke, Evangelische Gemeinde in Düren vom 16. Jahrhundert bis 1944. (Beiträge zur Geschichte des Dürener Landes, Bd. 19.) 1986, hier: S. 23. Albert Rosenkranz, Düren, in: Albert Rosenkranz (Hrsg.), Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und Pfarrbuch. Bd. 1: Die Gemeinden. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 3.) Mülheim a. d. Ruhr 1956, S. 289–291, hier: S. 291 weist den ersten lutherischen Prediger in Düren erst für das Jahr 1611 nach. 246 Vgl. Konsistorialsitzung am 16. Dezember 1597, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 78. 247 Vgl. Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, hier: S. 198. Zur häufig verzögerten Umsetzung der Konzilsbeschlüsse in die kirchliche Praxis vgl. Hansgeorg Molitor, Die untridentinische Reform. Anfänge katholischer Erneuerung

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und lutherischen Konfessionskirchen in Aachen Vorreiter einer restriktiven Eheordnung. Indem das reformierte Konsistorium seine Vorstellung von der Notwendigkeit entsprechender Regelungen an das Stadtregiment herantrug, versuchte es nicht, den Magistrat von einer spezifisch reformiert konfessionalistischen Ordnungspolitik zu überzeugen. Ebenso wenig wie jede andere Kontaktaufnahme oder Absprache zwischen reformierten Ältesten und städtischen Amtsträgern bis 1598 war die Unterredung über die Unordnung der Jugend bei Eheschließungen darauf ausgerichtet, das Stadtregiment zu einer reformierten Obrigkeit zu machen. Dazu fehlte nicht zuletzt die Institutionalisierung der Beziehungen zwischen den Konfessionskirchen und dem Magistrat. Die Kontakte der beiden Akteure verstetigten sich nicht, sondern blieben auf einzelne Gelegenheiten, wie eskalierende Kirchenzuchtsfälle und bestimmte Themen wie Heiratsnormen und den städtischen Frieden beschränkte. Mit solchen sporadischen, stadtpolitischen Initiativen brachten sich die reformierten Ältesten und die lutherischen Senioren zu keinem Zeitpunkt in die Position eines reichsstädtischen Kirchenrates oder einer anders gearteten kirchenpolitischen Behörde des Magistrats. Die Positionen des reformierten Ältestenrates und des lutherischen Presbyteriums, die trotz ihrer Kontakte mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment Gemeindeführungen von Freiwilligenkirchen blieben, änderten sich auch nach 1598 nicht grundsätzlich. Allerdings veränderten sich die Vorzeichen der Beziehungen zwischen protestantischen Konfessionskirchen und reichsstädtischer Obrigkeit. Die Beziehungen der reformierten Konfessionskirche zum katholischen Stadtregiment der Jahre 1598 bis 1611 bestanden selbstverständlich nicht in den freundschaftlichen und produktiven Unterredungen, die zuvor mit den protestantisch dominierten Magistraten möglich gewesen waren. Weil es aber nicht zur Religionspolitik des restituierten Regiments gehörte, die reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen und ihre kirchliche Organisation vollkommen und nachhaltig zu zerstören, war die reformierte Kirche auch nicht darauf festgelegt, sich vor dem katholischen Magistrat ganz in die Heimlichkeit zu flüchten. Stattdessen versuchten die Ältesten lediglich, konfliktträchtige Kontakte mit dem katholischen Regiment zu vermeiden. Ruhe und Konfliktvermeidung waren für die reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen in Aachen ein Mittel, möglichen Problemen des Zusammenlebens mit ihren fremdkonfessionellen Mitbürgern und Nachbarn aus dem Weg zu gehen. Auffälliges oder aggressives Verhalten von Gemeindemitgliedern konnte unter Umständen der gesamten Konfessionsgruppe in der Reichskirche, in: Walter Brandmüller (Hrsg.), Ecclesia militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte. Bd. 1: Zur Konziliengeschichte. Paderborn 1988, S. 399–431.

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angelastet werden und nicht nur die Beziehungen zu fremdkonfessionellen Kirchen und Mitbürgern belasten, sondern auch die Stellung der protestantischen Konfessionskirchen gegenüber dem Stadtregiment schwächen. Um der reformierten Konfessionskirche beim Stadtregiment das Ansehen einer in die Bürgergemeinde integrierten und den städtischen Frieden stärkenden Institution zu geben, ermahnten die Gemeindeführungen sowohl der reformierten als auch der lutherischen Kirche ihre Religionsgenossen, ihre Streitigkeiten nicht leichtfertig vor die städtischen Gerichte zu tragen, sondern sie, wo immer möglich, von Mitgliedern ihrer Kirchengemeinden vermitteln zu lassen.248 Vermutlich veranlassten vergleichbare Motive die reformierte Gemeindeführung einzugreifen, als zwei junge Gemeindemitglieder in eine Schlägerei mit einem Küster von St. Adalbert gerieten.249 Zwischenkonfessionelle, potentiell religiös motivierte Gewalt besonders gegen Vertreter einer anderen Konfessionskirche schien besonders dazu geeignet, die Beziehung zwischen den Konfessionsgruppen und die Stellung der reformierten Kirchen in Aachen zu gefährden. Neben dieser Bemühung, den Frieden im Rahmen der Freiwilligenkirche auch unter den erschwerten Bedingungen einer katholischen Obrigkeit zu wahren, versuchte das reformierte Konsistorium weiter im Dialog mit dem Magistrat die Bedingungen für das eigene Religionsleben zu verbessern. So beschlossen die Ältesten am 8. Februar 1605, dem Rat eine Supplikation wegen eines Kirchhofs zu überreichen250 – eine Bittschrift also in Sachen einer Beerdigungsstätte für die Gemeindemitglieder, denen die Bestattung auf katholischen Friedhöfen in der Stadt verweigert wurde. Aus der kurzen diese Supplikation betreffenden Notiz in den deutsch-reformierten Konsistorialprotokollen geht nicht hervor, welches Anliegen die Vertreter der reformierten Konfessionskirche genau verfolgten. Ein Zusammenhang mit dem Erfolg der lutherischen Konfessionskirche bei der Beschaffung einer Begräbnisstätte ist vorstellbar. 1604 hatte die lutherische Kirche ein Grundstück vor dem Groß-Köln-Tor geerbt, das sie systematisch als Beerdigungsstätte für ihre Gemeindemitglieder zu nutzen begann.251 Even248 Vgl. Versammlung der deutschen und französischen reformierten Gemeinde am 28. Oktober 1608, „Beschreibung der Versammlungen, so zwischen beiden reformierten Kirchen als Deutsche und Französische gehalten, samt derselben Verträge und Ordnungen“ 1595–1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 2,3, S. 21 und die Hauskirchenordnung der Lutheraner, Korth, Die Hauskirchenordnung von 1578 der lutherischen Gemeinde zu Aachen, hier: S. 113. 249 Vgl. Konsistorialprotokolle zum 24. Juli 1601, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 106. 250 Vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 132. 251 Die Notiz über den Übergang des Grundstücks Zum Güldenplan ist in mehrfacher Ausführung im letzten Teil des Protokollbuchs des lutherischen Presbyteriums inseriert. Die Kirchenleitung hat den Erwerb des Friedhofsgeländes bei diversen Vermerken zu

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tuell planten die Reformierten, dieses oder ein anderes Grundstück auf dieselbe Weise zu nutzen und wollten diesen Plan durch eine Erlaubnis des Magistrats absichern. Bemerkenswert ist in jedem Fall der Versuch, die reformierte Konfessionskirche in Übereinstimmung mit dem katholischen Stadtregiment zu organisieren. Die reformierte Gemeindeführung sah also schon in den ersten Jahren nach 1598 die Notwendigkeit eine größere Nähe zum Stadtregiment zu suchen und auf die obrigkeitliche Regelung der interkonfessionellen Beziehungen in Aachen zu setzen. Nachdem sich zwischen Juni 1611 und dem Ende dieses Jahres ein von evangelischen Bürgern dominiertes Stadtregiment durchgesetzt hatte, kam diese neue Einstellung der Gemeindeführung zu den kirchlich-obrigkeitlichen Beziehungen voll zur Geltung: Schon die Häufigkeit, mit der sich die bürgerlich-reformierte Gemeinde nach 1598 und dann vor allem in den Jahren 1612 bis 1614 an das Stadtregiment wandte, deutet auf eine Veränderung der Beziehungen hin. In den knapp drei Jahren, während derer die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft und der durch den Vikariatsrezess legitimierte Rat das Stadtregiment führten, wandte sich die deutsch-reformierte Kirche häufiger an die weltliche Obrigkeit als während der gesamten Regierungszeit protestantisch dominierter Räte bis 1598.252 Die Bürgermeister beteiligten sich nun auf Anhalten des Konsistorium auch sehr viel intensiver an der Kirchenzucht. So beauftragte das Konsistorium den Bürgermeister Adam Schanternell im Januar 1613 direkt damit, den ins Visier der Kirchenzucht geratenen Michael Mewis anzusprechen und ihm mit ernsthaften Maßnahmen von Seiten des Stadtregiments zu drohen, falls er sich der Kirchenzucht der Gemeinde nicht unterwerfe.253 Tatsächlich unterwarf sich Mewis nicht und das Konsistorium beschloss schließlich, seinen Fall ganz dem Magistrat zu überlassen.254 In den Finanz- und Vermögensverhältnissen der lutherischen Konfessionskirche eingeordnet – vgl. den ersten Vermerk zum Güldenplan Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 3, 1, S. 66–77. 252 Vgl. die Konsitorialprotokolle zum 7. August 1612 (Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 2, S. 9), 16. Oktober 1612 (S. 12), 13. November 1612 (S. 12), 2. Januar 1613 (S. 15), 19. Februar 1913 (S. 18), 21. Mai 1613 (S. 22), 28. Mai 1613 (S. 23), 11. Juni 1613 (S. 23), 9. November 1613 (S. 24), 15. Oktober 1613 (S. 29), 26. November 1613 (S. 31), 10. Dezember 1613 (S. 31), 17. Dezember 1613 (S. 32), 14. Januar 1614 (S. 34), 28. Januar 1614 (S. 34), 25. Februar 1614 (S. 35), 11. März 1614 (S. 36), 18. März 1614 (S. 37), 1. April 1614 (S. 38) und 15. April 1614 (S. 39), 29. April 1614 (S. 40). 253 Vgl. reformierte Konsistorialprotokolle zum 2. Januar 1613 (Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 2, S. 16). Zur Amtszeit Schanternells vgl. Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 66. Zur Person vgl. Macco, Aachener Wappen und Genealogien, hier: S. 109, der allerdings der erste Amtszeit Schanternells als Bürgermeister nicht vermerkt. 254 Vgl. Reformierte Kirchenratsprotokolle zum 19. Februar 1614 und zum 5. März 1613.

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einem vergleichbaren aber weniger ausführlich dokumentierten Fall sollte im Mai 1614 ein Bürgermeisterdiener beauftragt werden, eine Person schriftlich vom Abendmahl abzumahnen.255 Auch in weitreichenderen religions- und ordnungspolitischen Angelegenheiten kooperierte die reformierte Kirche nun intensiver mit dem Stadtregiment. Sie plante gemeinsam mit der lutherischen Konfessionskirche und den Bürgermeistern eine Regelung die sonntäglichen Predigtzeiten so zu verlegen, dass es zu keinen Konflikten zwischen den protestantischen Kirchen kam.256 Sie forderte die Bürgermeister auf, gegen die Trunkenheit und das allgemein unordentliche Betragen der Totengräber vorzugehen257 und verlangte vom Stadtregiment schließlich – scheinbar erfolgreich – den Erlass eines Ediktes, das den Besuch von Schankstuben während der Gottesdienstzeiten verbot.258 In der Summe ähnelte die Politik, zu der die Ältesten und Prediger der deutsch-reformierten Gemeinde das Stadtregiment anregten der einer Obrigkeit mit originär evangelischem und reformatorischem Selbstverständnis. Darüber hinaus, hatte die deutsch-reformierte Gemeinde die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft und das sich neu konstituierende Stadtregiment seit dem Herbst 1611 mit Krediten unterstützt.259 Kirche und weltliche Obrigkeit gingen also zumindest eine schwache organisatorische Verbindung ein. Mit diesem zögerlich beginnenden Schulterschluss zwischen reformierter Kirche und städtischer Obrigkeit übertrugen die Ältesten und Prediger einen Teil der Verantwortung für die Gestaltung der Bedingungen ihres Religionslebens und für die Regelung des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen auf die Obrigkeit. Die Entwicklung hin zu einer reformierten obrigkeitlichen Religionspolitik, die versuchte, die Koexistenz der verschiedenen Glaubensgemeinschaften und Kirchen in Aachen konkreten Regeln zu unterwerfen, passte durchaus zu den zur selben Zeit in den politischen Auseinandersetzungen aufkommenden Argumenten, denen zu Folge die Reichsstadt eine eindeutige entweder paritätisch-aequilibre oder monokonfessionelle Religionsverfassung brauchte. Auch, wenn diese Entwicklung bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht abgeschlossen wurde, wirft sie doch die Frage auf, wie die verschiedenen Konfessionskirchen ihr Religionsleben und 255

40.

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S. 17. 257

39.

Vgl. Konsistorialprotokoll zum 12. Mai 1614, Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 2, S. Vgl. Konsistorialprotokoll zum 15. Januar 1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 2, Vgl. Konsistorialprotokoll zum 15. April 1614, Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 2, S.

258 Vgl. Konsistorialprotokoll zum 9. November 1613, Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 2, S. 23. 259 Am 13. November 1612 beschloss das Konsistorium, das geliehenen Kapital vom Rentmeister der Deputierten zurückzufordern – vgl. 13. November 1612, Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 2, S. 12.

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die Beziehungen ihrer Mitglieder untereinander gestalteten, als sie fast unabhängig von der städtischen Obrigkeit als Freiwilligenkirchen konstituiert waren. 3.1.3.3 Kirchenzucht, Gottesdienst, Bildungswesen und die Abgrenzung der Konfessionskirchen Die Kirchenzucht der protestantischen Freiwilligenkirchen diente, soweit sie unabhängig von der städtischen Obrigkeit praktiziert wurde und für das interkonfessionelle Zusammenleben in Aachen relevant war, vor allem dem Ziel, Gläubige von dem Einfluss anderer Konfessionskirchen abzuschirmen und so die Konfessionskirchen insgesamt voneinander abzugrenzen und zu stabilisieren. Die Kirchenzuchtpraxis der Deutsch-Reformierten und der Lutheraner in Aachen lässt sich aufgrund der Art der Protokollführung in den beiden Gemeindeführungen und auch wegen der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne während derer die Kirchenzucht voll ausgeprägt und ungestört funktionierte nicht auf dieselbe Art und Weise quantitativ und statistisch analysieren, wie dies beispielsweise für die reformierten Gemeinden von Genf, Groningen und Emden getan wurde.260 Die Datenreihen, die sich zur Tätigkeit der Konsistorien in bestimmten Bereichen der Kirchenzucht herstellen lassen – seien es Ehe- und Sexualdelikte, Streit- und Beleidigungsfälle, Gewalttaten, wirtschaftliche Vergehen oder Abweichungen von konfessionskirchlichen Dogmen und religiösen Praktiken – sind weder lang noch lückenlos genug, um statistisch belastbare Aussagen über die Zusammenhänge zwischen einem bestimmten Zuchtbereich und den Formen des interkonfessionellen Zusammenlebens in Aachen abzuleiten. Das Gesamtbild der deutsch-reformierten Kirchenzuchtsfälle zeigt aber durchaus, dass die Gemeindeführung alle eben genannten Bereiche behandelte und die konsistoriale Überwachung der Kirchenordnungen damit voll ausgebildet war. Die Fälle, die sich mit anderen Konfessionen und deren Anhängern befassten, nahmen dabei keinen besonders breiten Raum ein. Für eine konfessionskirchliche Zucht in einer gemischtkonfessionellen Stadt wäre ein solcher Schwerpunkt nicht überraschend gewesen. Der reduzierte Stil der Protokolle zu Vorladungen, Ermahnungen, Strafen und Versöhnungen lässt häufig gerade einmal den ungefähren Verlauf des Verfahrens vor den Ältesten oder Senioren erkennen. Die genaue Art der Verstöße gegen die Kirchenordnung und erst recht die Personen, deren Ver260 Vgl. hierzu die kritischen Bemerkungen von Pollmann, Off the Recordzu den Lücken und systematischen Auslassungen bei der Dokumentation von konsistorialer Kirchen- und Sittenzucht, die deren quantitative Auswertung problematisch erscheinen lassen.

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gehen verhandelt wurden, bleiben in einigen Fällen undurchsichtig. Von den vorgeladenen Männern und Frauen nennen die Protokolle häufig nur die Vornamen zusammen mit einem Wohnort oder einer Berufsbezeichnung. Weil personengeschichtliche Quellen sowohl aus städtischer als auch aus kirchlicher Provenienz fehlen, kann aus solchen Angaben kein Sozialprofil der von der Kirchenzucht betroffenen Gemeindemitglieder erstellt werden. Sehr wohl zeigt die Summe der Kirchenzuchtsfälle der deutsch-reformierten Kirche, dass sich ihre Zucht auf alle in der Gemeinde vertretenen gesellschaftlichen Schichten erstreckte. Bürgermeister, andere städtische Amtsträger und als Haushaltsvorstände fungierende Familienväter lud das Konsistorium ebenso vor wie Handwerksgesellen, Knechte und Mägde. Die Ältesten und Prediger unterzogen sich einmal jährlich einer Censura genannten Selbstzucht.261 Die Verfahren für die reformierte und lutherische Kirchenzucht verliefen nach einem für presbyterial organisierte Gemeinden üblichen Muster: Nachdem ein Vergehen entweder durch eine Visitation, durch Gerüchte oder gezielte Denunziation an die Kirchenleitung gelangt war, stellten die Ältesten zunächst Erkundigung über den Hergang der Sache an, luden die Betroffenen vor und ermahnten sie zur Besserung. Zeugenaussagen waren unüblich. Hatte sich der Delinquent gebessert oder handelte es sich um ein einmaliges Vergehen, sollte er seine Schuld vor dem Konsistorium bekennen oder bereuen, um wieder mit der Kirche versöhnt zu werden. Wenn ein Gemeindemitglied für seine Verfehlungen bereits vom Abendmahl oder vom Gottesdienst abgemahnt worden war, oder wenn ein Ehehindernis bestand, das durch Bekenntnis, Reue und Versöhnung ausgeräumt werden sollte, musste die Buße öffentlich vor der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde erfolgen. Die reformierten Kirche wandte im übrigen nur die eben genannten Strafen an. Zu einem vollkommenen Ausschluss eines Mitglieds aus der Gemeinde, der neben dem Ausschluss von sakramentalen und gottesdienstlichen Handlungen auch den weitgehenden Abbruch der sozialen Beziehungen zwischen dem Exkommunizierten und den Gemeindemitgliedern hätte nach sich ziehen müssen, kam es nie. Die Ältesten und Prediger verzichteten eventuell auch deswegen auf dieses letzte Mittel der Kirchenzucht, weil konfessionelle Abgrenzung für eine Freiwilligenkirche in einer gemischtkonfessionellen Gesellschaft nicht nur bedeutete, die eigene Kirchenordnung innerhalb der Gemeinde aufrecht zu erhalten, sondern auch, Aus- und Übertritte von Gemeindemitgliedern zu verhindern. Die Exkom-

261 Die Censura ist für die reformierten Kirchenleitung durch die Protokollbücher für die Jahre 1593–1595, 1597–1598, 1605, 1606 und 1612 dokumentiert – vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004 A1, 1, S. 17, 28, 33, 46, 73, 77, 88, 138, 143, 145 u. 146 sowie A1, 2, S. 5, 6 u. 13.

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munikation wäre in diesem Zusammenhang der Übergabe eines Mitglieds an eine andere Kirche gleichgekommen. Bei öffentlichen Schuldbekenntnissen konnte das Konsistorium von Fall zu Fall entscheiden, ob der oder die Bußfertige in allgemeiner Form bekennen sollte, gesündigt zu haben, oder ob ihre Verfehlungen der Gemeinde konkret benannt wurden. Ein klares Muster, unter welchen Umständen sich die Ältesten für die eine oder andere der genannten Optionen entschieden, ist nicht bekannt. Klar war aber, dass Vergehen, von denen die Gemeinde bereits wusste, auch öffentlich im Gottesdienst gebüßt wurden. Zu diesen öffentlichen Vergehen gehörten auch die meisten Grenzüberschreitungen zwischen der eigenen und fremden Konfessionskirchen. Darunter waren gemischtkonfessionelle Ehen der unerwünschte Kontakt mit Angehörigen und Kirchen fremder Konfessionen, der die reformierte und lutherische Kirchenleitung am häufigsten beschäftigte. Wie bereits weiter oben ausgeführt, versuchten weder die Reformierten noch die Lutheraner, die in Aachen unvermeidlich immer wieder vorkommenden gemischtkonfessionellen Ehen vollkommen zu verbieten. Statt eines Verbotes, das einige Heiratswillige gegebenenfalls zum Konfessions- und Kirchenwechsel gedrängt hätte, verlegten sich Älteste bzw. Senioren auf Regelungen, die vor allem die Annäherung an fremdkonfessionelle Religiosität im Zuge einer Heirat über Konfessionsgrenzen unter Strafe stellte, um den Verbleib des eigenen Gemeindemitgliedes bei Kirche und Kirchenordnung zu sichern. Wie flexibel die Kirchenleitungen bei der Suche nach solchen Regelungen waren, wo sie aber auch an ihre Grenzen stießen zeigt ein konkreter Falle einer lutherisch-katholischen Ehe, für die die lutherischen Senioren eine geeignete Form suchten. Bevor Christof Ruland im April 1588 eine Tochter aus katholischem Hause heiratete, hatten ihm die Senioren nur widerwillig den Wunsch erfüllt, seine Ehe in einem Privathaus und nicht vor der gesamten, zum Gottesdienst versammelten lutherischen Gemeinde einsegnen zu lassen.262 Ruland hatte die Gemeindeführung um die Erlaubnis für das Abrücken vom üblichen Verfahren lutherischer Trauungsgottesdienste gebeten, weil seine Frau und deren Familie, sich weigerten, der Versammlung der Lutheraner beizuwohnen. Es ist fraglich, wie weit es den Senioren im Rahmen ihres Zugeständnisses gelang, Rulands strenge Befolgung der Kirchenordnung und den lutherischen Charakter der Ehe zu sichern. Die Kirchenleitung merkte zwar an, dass der Bitte Rulands nur deswegen entsprochen werden konnte, weil „[. . . ] Man und fraw gleichwol sich zu der reiner lehr des Evangelii biß hero gehalten und bekhandt [. . . ]“, am lutherischen Bekenntnis der Braut und der konfessionellen Eindeutig262

Vgl. hierzu und zum Folgenden: Protokoll des lutherischen Presbyteriums zum 4. April 1588, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 3, 1, S. 30.

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keit ihrer Religiosität durfte aber angesichts ihrer Weigerung, die Ehe im lutherischen Gottesdienst zu schließen, gezweifelt werden. Die Vorstellung von der lutherischen Frömmigkeit der ‚katholischstämmigen‘ Braut und das Arrangement der Eheschließung waren Teil eines interkonfessionellen Kompromisses, der es den beteiligten Katholiken und Lutheraner erlaubte, weitgehend ohne Gefahr für den konfessionellen Charakter ihrer Religiosität miteinander zu interagieren. Die lutherischen Senioren zögerten allerdings, auf diesen Kompromiss einzugehen und stimmten letztlich nur in der Hoffnung zu, dass sich „[. . . ] Gott uber iennichen papistischen die als dhan zugegen sein mochten erbarmen wollte [. . . ]“ und sie von ihrem ‚Irrtum‘ abbringen möge. Der missionarische Impetus hinter diesem lediglich im Kreis der lutherischen Senioren und Prediger geäußerten Wunsch darf nicht überschätzt werden. Entscheidend ist vielmehr die Bereitschaft der lutherischen Kirche zu einem Kompromiss, der sowohl die eigene konfessionelle Abgrenzung und kirchliche Stabilität als auch das friedliche Zusammenleben mit fremdkonfessionellen Mitbürgern sicherte. Diese Grundhaltung zum Problem der konfessionellen Abgrenzung in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt war bei Lutheranern und Reformierten in der Kirchenzucht und darüber hinaus in weiteren Bereichen des kirchlich-institutionellen Handelns zu beobachten. Hatten reformierte oder lutherische Gemeindemitglieder fremdkonfessionelle Gottesdienste besucht, ihre Kinder nach einer anderen Religion getauft, hatten sie Begräbnissen beigewohnt deren Ritus der eigenen Konfession zuwiderlief oder an Prozessionen teilgenommen, führte ihr Weg über eine Ermahnung durch die Kirchenleitung und ein Schuldbekenntnis zur Versöhnung mit der Gemeinde. Dabei gingen die reformierten und lutherischen Konfessionskirchen mit den verschiedenen Begegnungen ihrer Glaubensgenossen unterschiedlich um – abhängig davon, wie eindeutig eine religiöse Praktik fremdkonfessionell besetzt war. Eindeutige und uneingeschränkte Ursache für ein Schuldbekenntnis, ohne Notwendigkeit zur Erörterung der genauen Umstände der Vergehen waren demnach Besuche fremdkonfessioneller Gottesdienste, die Taufe eigener Kinder nach einer fremden Konfession und die Teilnahme an Prozessionen. Dahingegen betrachteten reformierte Älteste und lutherische Senioren den Besuch katholischer Begräbnisse und Hochzeiten zwar misstrauisch, definierten aber, welche Aspekte dieser religiösen Praktiken sie verurteilten und unter welchen Bedingungen sie diese Begegnungen verschiedenkonfessioneller Einwohner Aachens dulden konnten. Begräbnisse von Katholiken blieben demnach unproblematisch, solange sie ohne äußerliche Zeichen katholischer Frömmigkeit von Statten gingen, welche die Reformierten als abergläubisch verurteilten. Das Konsistorium ermahnte am 5. Februar 1613 ein Gemein-

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demitglied, weil es den Leichengang eines Katholiken begleitet hatte dem geweihte Kerzen vorangetragen worden waren. Gleichzeitig nahmen die Ältesten diesen Vorfall zum Anlass, den Predigern aufzutragen, während der Gottesdienste über das Problem der Teilnahme an katholischen Begräbnissen zu sprechen.263 Schon 1597 hatte die deutsch-reformierte Kirche die Frage auf die Tagesordnung gesetzt, ob es ihren Mitgliedern zustehe, im Zuge katholischer Begräbnisse für das Seelenheil des Verstorbenen zu beten. Die reformierten Synoden diskutierten im selben Zusammenhang, wann ein Begräbnis in nicht hinnehmbarer Art und Weise konfessionell katholisch war. Die Versammelten Kirchendiener kamen dabei zu dem Schluss, dass ein reformierter Christ einen katholischen Trauerzug bis zum Grab begleiten dürfe, falls es nicht schon bis dahin zu ‚abergläubischen‘ Handlungen komme. Auf keinen Fall dürfe er die Leichenpredigt hören.264 In Aachen verlief der Kontakt zwischen Reformierten und Katholiken auf Beerdigungen auf dieser Grundlage offensichtlich weitgehend konfliktfrei: Abgesehen von dem gerade diskutierten Fall aus dem Jahr 1613 befasste sich das Konsistorium nur wenige Male und vor 1598 überhaupt nicht mit der Teilnahme von Gemeindemitgliedern an katholischen Begräbnissen. Begräbnisse oder zumindest Teile der Bestattungskultur blieben in Aachen bis 1598 unter der Aufsicht der kompromissbereiten Konfessionskirchen ein überkonfessionelles religiöses und gesellschaftliches Ereignis. In gewisser Weise kündigte der restituierte Rat diesen Kompromiss nach 1598 auf, als er die Anzahl der Teilnehmer an nicht-katholischen Begräbnissen stark begrenzte.265 Damit schränkte er nicht nur die religiösen Entfaltungsmöglichkeiten von Reformierten und Lutheranern ein, sondern unterband auch weitgehend die Teilnahme von katholischen Aachenern an den Begräbnissen ihrer protestantischen Mitbürger und Verwandten. Der zeitweilige Erfolg der überkonfessionellen Begräbnispraxis kann damit zusammengehangen haben,

263

Vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 2, S. 17. Vgl. die Akten der Synoden von Bedburg am 13. April 1580 und von Aachen am 8. April 1587, in: Simons, Synodalbuch, hier: S. 150 u. 202. Damit hatte die Synode zweimal ihren früheren Beschluss vom 3. März 1574 auf dem Bedburger Konvent revidiert, demnach der Besuch von katholischen Begräbnissen generell zu verbieten sei, weil ein reformierter Christ nicht nur für sich alles Böse, das damit verbunden sei, unterbinden müsse, sondern auch jeden Anschein, den damit verbundenen Aberglauben zu unterstützen, vermeiden müsse. Vgl. ebd., hier: S. 95. 265 Vgl. zu den entsprechenden Edikten von Sendgericht und Stadtregiment: „Copia. Von der sendt welches zu Aach op St. flien und andere Pfaarkirchen opgehangen ist worden“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 28rv sowie Ratsbeschluss vom 5. Oktober 1599 [Kopie], StAAa, RA II Allg. Akt. 866, f. 51rv. 264

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dass Bestattungsrituale aus der Sicht der reformierten Konfessionskirchen ihren sakramentalen Charakter verloren hatten.266 Stärker noch als beim Umgang der deutsch-reformierten Kirchenleitung mit Begräbnissen von Katholiken tritt in deren einzigem Kirchenzuchtsfall, der sich mit einem katholischen Kirchweihfest befasst zu Tage, dass nicht der Kontakt von Gemeindemitgliedern mit Katholiken und katholischer Frömmigkeit an sich verhindert werden sollte, sondern lediglich Verfehlungen, die zentrale konfessionell reformierte Werte gefährdeten: Am 19. August 1603 erhielt der Älteste Johann Lintzenich vom Konsistorium den Auftrag, Sara Momma zu ermahnen, nachdem deren Tochter an einem Kirchweihfest teilgenommen hatte. Der Grund für die Ermahnung war aber nicht der katholische Ursprung des Festes, sondern das Tanzen, dessen sich Mommas Tochter dort schuldig gemacht hatte. 267 Trunkenheit, Kartenspielen und Tanz widersprachen wie für viele andere reformierte Kirchen auch für die deutsch-reformierte Gemeindeführung in Aachen dem Ideal christlicher Lebensführung. Die Begründung für die Ermahnung Sara Mommas lässt vermuten, dass das Konsistorium prinzipiell – das heißt, solange es nicht zu ‚unchristlicher‘ Maßlosigkeit führte – auch eine Kirchweihe als überkonfessionelles gesellschaftliches Ereignis zu akzeptieren bereit war. Die Toleranz der protestantischen Kirchen in Aachen gegenüber Kontakten ihrer Mitglieder mit den Religionen anderer Konfessionsgruppen in der Stadt hatte jedoch Grenzen. Sie endete bei solchen religiösen Praktiken, die keine überkonfessionelle familiäre oder gesellschaftliche Komponente hatten. Auch bei solchen Äußerungen von Frömmigkeit, die eine wichtige Rolle für die konfessionelle Abgrenzung fremder Glaubensgemeinschaften spielten und somit konfessionell eindeutig besetzt waren, duldeten die kirchlichen Aufsichtsorgane keine Übertretungen. Während die Kirchenzucht bestimmte alltägliche oder religiöse Handlungen für verboten erklärte und sie soweit möglich unterband, war die eigentliche Basis für die konfessionellen Normen der verschiedenen Kirchen die dogmatischen Aussagen ihres Bekenntnisses. Allerdings sind weder für die deutsch-reformierte noch für die lutherische Konfessionskirche in Aachen detaillierte Dokumente über deren dogmatische Ausrichtung überliefert. Dass sich die Aachener Reformierten auf den Heidelberger Katechismus beriefen, während die Lutheraner sich in ihrer Hauskirchenordnung auf Vorlagen der Kirchen von Antwerpen und Pfalz-Zweibrücken beriefen, sagt praktisch nichts darüber aus, welche theologischen Lehren das Religionsle266 Vgl. Kaspar von Greyerz, Religiöse Erfahrungsräume im Reformiertentum, in: Paul Münch (Hrsg.), „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. (Historische Zeitschrift, Beihefte, N.F. Bd. 31.) München 2002, S. 307–316, hier: S. 308. 267 Vgl. Archiv d. EKiR, 4KG 004, A 1, 1, S. 53.

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ben innerhalb der beiden protestantischen Konfessionsgruppen in Aachen beeinflussten und welche Glaubenssätze gegebenen Falls so kontrovers diskutiert wurden, dass sie das Zusammenleben der Konfessionsgruppen erschwerten. In der Regel ist die Annäherung an die theologischen Grundlagen einer Gemeinde über die Praxis der Katechese möglich. Wie gesehen organisierten die Reformierten und Lutheraner ihre religiöse Bildung aber lange Zeit nur sehr zurückhaltend. Daraus ergab sich, das keine Quellen zum Ablauf der Katechese überliefert sind, welche die Schwerpunkte der konfessionellen Jugenderziehung in Aachen offenlegen und die Frage beantworten, inwiefern dabei die Dynamik zwischen den Konfessionsgruppen berücksichtigt wurde. Unter diesen Einschränkungen kann die theologische Seite der protestantischen Konfessionsbildungen in Aachen hauptsächlich an Herkunft, Ausbildung und Handeln der Aachener Prediger abgelesen werden. Sowohl Reformierte als auch Lutheraner hatten grundsätzlich keine Probleme, Prediger für ihre Kirchen anzuwerben. Beide Gemeinden waren stabil und wohlhabend genug, um den Unterhalt ihrer „Diener des Wortes“ und Pastoren zu bestreiten.268 Seit 1570 sind für die deutsch-reformierte Kirche zu jedem Zeitpunkt mindestens zwei, regelmäßig drei und zeitweise sogar vier Prediger nachzuweisen. Besonders gut war die deutsch-reformierte Gemeinde in den 1580er und 1590er Jahren mit Predigern versorgt, als Johannes Kersten [auch Christianus oder Otzenradt] (1574–1597), Petrus Pedius (1582–1598) und Johannes Badius (1584–1597) mit ihrer langen kontinuierlichen Arbeit die gottesdienstliche Versorgung sicherten. Auch Gottfried Fell, der von 1582 bis 1590 in Aachen predigte, kam damit auf eine beträchtliche Dienstzeit. Nach der ersten katholischen Restitution von 1598 beschäftigte die deutsch-reformierte Gemeinde nur noch einen bis maximal zwei Prediger zur selben Zeit, die zudem in schnellerer Folge wechselten. Immerhin brachten es aber Johannes Breberensis (1600–1604), Theodor Horden (1604–1609), Emmondus Emondi (1603–1607) und Engelbert Breberensis (1607–1614) auf mehrjährige Amtszeiten. Gerardus Herten, der in Aachen selbst von Juni 1609 bis Oktober 1610 nur etwas mehr als ein Jahr diente, predigte danach von 1610 bis 1614 in Vorweiden, wohin die Aachener Deutsch-Reformierten seit dem Herrschaftswechsel in Jülich–Kleve–Berg zum Gottesdienst ausliefen. Er trug also auch nach Ende seines Dienstes in Aachen weiter zur gottesdienstlichen Versorgung der reformierten Christen in der Reichsstadt bei. Die in Aachen selbst arbeitenden Prediger konnten zwar zwischen 1598 und 1611 kein dezidiertes Predigthaus mehr nutzen, sie verlegten aber Gottesdienst und Seelsorge 268

Zu den folgenden Angaben vgl. die überwiegend zuverlässige, wenn auch in Details zu ergänzenden, Zusammenstellungen von Rosenkranz, Die Gemeinden, hier: S. 25–27.

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stattdessen in die Wohnhäuser wechselnder Gemeindemitglieder. Einen sehr fragmentarischen Einblick in die Tätigkeit der Prediger in dieser Zeit vermitteln die Notizen eines Predigers zu verschiedenen Hausbesuchen bei Gemeindemitgliedern in der Zeit von Oktober 1607 bis August 1608.269 Er verzeichnete die Einladung kleiner Gruppen von Gemeindemitgliedern zu Gottesdiensten, Krankenbesuche sowie einzelnen Taufen und Austeilungen der Kommunion. Insgesamt gewährleisteten die Prediger somit auch unter dem katholischen Stadtregiment die religiöse Versorgung der reformierten Konfessionsgruppe. Die Kirchenleitung machte allerdings durchaus auch die Erfahrung, dass es schwierig werden konnte, qualifizierte Prediger für die Gemeinde zu gewinnen. So sorgten sich die Konsistorialen im Frühjahr 1604, die Gemeinde könne nach dem Weggang von Johannes Breberensis ohne Prediger bleiben. Sie bemühten sich besonders, Theodor Horden zu berufen, weil sie der Meinung waren, ihre Gemeinde benötige einen erfahrenen Prediger. Ein Neuling könne die Aachener Reformierten in ihrer schwierigen Situation nicht unterstützen.270 Schon vorher hatten die Ältesten verstärkten Druck verspürt, sich aktiver um nachrückende „Diener des Wortes“ zu bemühen. Am 8. Mai 1601 diskutierte das Konsistorium, ob es sinnvoll sei, einen Theologiestudenten zu unterstützen, welcher der Gemeinde später als Prediger dienen könnte.271 Erst fünf Jahre später gewährte die Kirche dem Sohn des Gemeindemitglieds Matthias Valenzin tatsächlich eine solche Unterstützung.272 Die Kirche stieg damit in Krisenzeiten wieder in die Förderung eines zukünftigen Predigers ein. Ein solchen Aufwand hatte sie zuletzt in den Jahren 1592 bis 1594 unter deutlich günstigeren Bedingungen betrieben. Anders als in der bedrohlich erscheinende Lage unter dem katholischen Magistrat, hatte die reformierte Gemeindeleitung zu Beginn der 1590er Jahre darauf verzichtet, den unterstützten Studenten darauf zu verpflichten, als Prediger nach Aachen zurückzukehren.273 Die reformierten Konsistorialen fanden die Anwerbung 1601 und 1606 auch deswegen schwieriger als zehn Jahre zuvor, weil sie nicht mehr wie zuvor auf die Unterstützung der Synode zurückgreifen können, mit der 269

Vgl. Gottesdienste an Sonntagen, Fest- und Feiertagen, Abendmahlsfeiern, Reformierte Gemeinde, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 21–01, 2, hier: S. 66–69. 270 Vgl. Akten zu den Predigern der Reformierten, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 11-4,1, insbesondere Konsistoriale an Theodor Horden, 24. April 1604. 271 Vgl. Konsistorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1, S. 103. 272 Vgl. Konsistorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen zum 10. August 1605 und 7. September 1606, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1, S. 134 und 148. 273 Vgl. die Konsitorialprotokolle der deutsch-reformierten Gemeinde Aachen zum 22. Dezember 1592, 15. Mai 1593 und 1. März 1594, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A1, 1, S. 12, 16 und 26.

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es zuvor kaum ein Problem gewesen war Prediger für die Aachener Kirche zu finden. Nach 1598 waren die Netzwerke und die organisatorischen Fähigkeiten geschwächt, welche die Aachener Deutsch-Reformierten benötigten, um Prediger anzuwerben. Das wirkte sich allerdings nicht auf die Orthodoxie der Prediger aus, die in Aachen zu Arbeiten begannen: Alle „Diener des Wortes“ die seit 1580 längere Zeit in Aachen predigten, hatten zuvor in Heidelberg oder an der Hohen Schule von Herborn studiert.274 So homogen wie die Ausbildung der reformierten Prediger in Aachen war, so ruhig gestalteten sie Auseinandersetzungen über theologische Fragen in der reformierten Konfessionsgruppe. Die Reformierten waren sich der Stabilität ihres Bekenntnisses sicher, ohne dass sie dessen Inhalte im Detail hätten thematisieren müssen. Die konfessionelle Selbstgewissheit hatte sowohl mit Blick auf die eigenen Prediger als auch in der Auseinandersetzung mit den Lutheranern Bestand. Lediglich als die lutherische Konfessionsgruppe ihre Hauskirchenordnung in Kraft setzte und damit einen bedeutenden Schritt ihrer Konfessionsbildung vollzogen, betonte die reformierte Kirchenleitung einmal deutlich, wie notwendig es sei, sich durch geübte, orthodoxe Predigt von den „[. . . ] einreißenden Ubiquitisten [. . . ]“ abzugrenzen.275 Später spielten reformierte Prediger oder Älteste nicht wieder auf die dogmatische Abgrenzung zu den lutherischen Nachbarn in Aachen an. Kontroverspredigten waren keins der Themen, mit denen sich das Ältestenkonsitorium auseinandersetzte. Die Lutheraner auf der anderen Seite erlebten die Frage der Rechtgläubigkeit der eigenen Prediger und die damit im Zusammenhang stehende konfessionelle Abgrenzung von den reformierten Kirchen in der Stadt als größeres Problem. Schon die Anwerbung von Predigern gestaltete sich für die Senioren der lutherischen Konfessionskirche schwieriger als für die deutschreformierten Senioren. Die lutherische Kirche teilte mit der reformierten zwar presbyteriale Verfassung der Gemeindeleitung, sie war aber nicht in der selben Art und Weise in einen Synodalverband eingebunden. Keine lutherische Obrigkeit unterstützte die Aachener Lutheraner regelmäßig und kein Kirchenverband sprang für die fehlende organisatorische Unter274

Vgl. Rosenkranz, Die Gemeinden, hier: S. 25–27. Die Prediger waren eindeutig reformiert ausgebildet, was aber nicht zu dem Schluss verleiten sollte, dass sie zwangläufig radikale Calvinisten waren. Zu den irenisch-ökumenischen Aspekten der Heidelberger Theologie vgl. Herman J. Selderhuis, Eine attraktive Universität. Die Heidelberger Theologische Fakultät 1583–1622, in: Herman J. Selderhuis/Markus Wriedt (Hrsg.), Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung. (Spätmittelalter und Reformation. N. R. Bd. 27.) Tübingen 2006, S. 1–30, hier: S. 30. Heidelberg war demnach kein zweites Genf. 275 „Diener und Älteste der burgerlichen gemeine zu Aach an Johannes Christianus in Bedbur“, 14. November 1578 (Konzept), Akten zu den Predigern der Reformierten, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 11-4,1.

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stützung ein. Die Senioren der lutherischen Kirche in Aachen versuchten, einen regelmäßigen Briefwechsel mit der Kirche ihrer Konfessionsgenossen in Köln zu etablieren. Daraus entstand aber nie eine Verbindung, auf die sich die Aachener Lutheraner bei ihren Bemühungen um dogmatische und organisatorische Stabilität hätten stützen können.276 Die lutherischen Konfessionskirchen in Aachen und Köln blieben nach ihrer organisatorischen Festigung in den 1570er Jahren jede für sich auf sich allein gestellt.277 Die lutherische Kirche in Aachen kam häufiger in die Verlegenheit, den wenigen lutherischen Gemeinden und Adligen in der Region zum Beispiel in der Grafschaft Schleiden, im Amt Wassenberg und auf dem Gut Breitenbent der Familie Pallant bei der Versorgung bei der Suche nach geeigneten Prediger zu helfen, als sie umgekehrt Hilfe erhielt.278 Auf welcher Grundlage die lutherische Konfessionskirche zu einem solchen kleineren Zentrum des Luthertums im Rheinland werden konnte, ist nicht sofort ersichtlich. Die Aachener Gemeinde pflegte zunächst keine Kontakte zu bestimmten theologischen Fakultäten, die es ihnen im Vergleich zu benachbarten Glaubensgenossen erleichtert hätten, Prediger anzuwerben. Dieser Mangel zeigt sich deutlich im Kontrast zum gleichmäßigen universitären Bildungsgang der reformierten Prediger in Aachen: Die reformierte Konfessionskirche hatte zwar keine regelrechte Landesuniversität, von der sie ihre Prediger bezog, ihre Diener des Wortes kam aber so regelmäßig aus Heidelberg oder Herborn, dass die Gemeinde durchaus an die „theologisch unverdächtige[n]“ Universitäten zweier Territorien angebunden war. Sie suchte ihre Prediger somit nach dem selben Verfahren, das die meisten etablierten Konfessionskirchen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts anwandten.279 Im Unterschied dazu hatten die verschiedenen Prediger der lutherischen Gemeinde in Aachen bis 1598 wenig gemeinsam. Zwar waren 276 Vgl. Protokolle des lutherischen Konsistoriums zum 10. April 1592 (Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,2, (S. 7) und zum 15. April 1592 (S. 9). 277 Vgl. Goeters, Die konfessionelle Entwicklung innerhalb des Protestantismus im Herzogtum Kleve, hier: S. 197–198. 278 Vgl. Protokolle der lutherischen Kirchenleitung zum 15. April 1585, zum 1. April 1586 (Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,1, S. 18), zum 30. April 1589 (S. 32) zum 13. März 1592 (Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,2, S. 5), zum 10. April 1592 (S. 7), zum 28. März 1593 (S. 18), zum 21. April 1596 (S. 41). Zur Verbreitung der lutherischen Konfession im Rheinland siehe Goeters, Die Entstehung des rheinischen Protestantismus und seine Eigenart, hier: S. 169. 279 Vgl. Luise Schorn-Schütte, Geistliche Amtsträger und regionale Identität im 16. Jahrhundert. Ein Widerspruch?, in: Irene Dingel/Günther Wartenberg (Hrsg.), Kirche und Regionalbewusstsein in der Frühen Neuzeit. Konfessionell bestimmte Identifikationsprozesse in den Territorien. (Leucoreastudien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie (LStRLO), Bd. 10.) Leipzig 2009, S. 11–22, hier: S. 14.

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einige der Männer, die sich in Aachen als lutherische Diener des Wortes verpflichten ließen, in weiteren Nachbarschaft der Stadt geboren oder hatten bereits dort gepredigt. Sie kamen aus dem Nordwesten des Reiches und den Niederlanden. Daneben kamen aber auch Lutheraner aus Nürnberg, Sachsen und Hessen nach Aachen um zu predigen, sodass sich für die Herkunft der lutherischen Diener kein eindeutiges Muster abzeichnet.280 Die Studienorte der elf lutherischen Prediger sind überwiegend unbekannt. Von der Ausbildung Johann Engels’, der zwischen 1578 und 1598 in Aachen predigte, in Straßburg und Marburg lässt sich nicht auf besondere Verbindungen der Aachener Lutheraner zu einer bestimmten Universität schließen. Auch aus der Ausbildung Johann Vietors lässt sich Ähnliches nicht unmittelbar folgern. Vietor studierte in Marburg und predigte seit 1583 mit Unterbrechungen, seit 1590 dann regelmäßig für die lutherischen Konfessionskirche in Aachen.281 Das Studium Johann Wilhelmis in Tübingen stellt eine Besonderheit dar, weil die Aachener Kirche seine Ausbildung zum lutherischen Theologen unterstützte. Der lutherische Kirche gelang es damit allerdings nicht, sich für ihre dogmatische Festigung und für die Versorgung mit Predigern dauerhaft mit der Tübinger Universität zu verbinden. Sie unterstützte vor oder nach Wilhelmi keinen weiteren Theologen bei seinen Studien und selbst die Ausbildungshilfe für den ersten und einzigen Stipendiaten der Gemeinde zahlte sich für die Aachener nicht aus: 280

Die prosopographischen Angaben zu den Prediger der lutherischen Gemeinde sind zusammengefasst bei Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 63–64, Rosenkranz, Die Gemeinden, hier: S. 26 und Rosenkranz, Die Pfarrer, hier: S. 117, 154, 228, 236, 352 und 393. 281 Vgl. zu Vietor über Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 63–64 hinaus Oskar Hütteroth, Die althessischen Pfarrer der Reformationszeit. Bd. 2: O–Z. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen Waldeck, Bd. 22.) Zweite unveränderte Auflage. Kassel 1966, hier: S. 378, A.F.C. Vilmar, Kleine Notizen zur Geschichte der Verbesserungspunkte (mit einer Liste der 1605–09 und 1624 vertriebenen Pfarrer), in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde N.F. 2 (1869), S. 167–186, hier: S. 177 und Wilhelm Diehl (Hrsg.), Hessen-Darmstädtisches Pfarr- und Schulmeister-Buch. (Hassia sacra, Bd. 1.) Friedberg 1921, hier: S. 548. Keiner der Autoren datiert den Beginn von Vietors Arbeit in Aachen früher als 1585, wohingegen der Briefwechsel zwischen den Hessischen Landgrafen Ludwig und Wilhelm über die Entsendung eines Prediger nach Aachen (Die Sendung lutherischer Prediger nach Aachen 1583, HStAM, 4f Staaten A, Aachen 29) zeigt, dass er bereits 1583 in der Stadt predigte. Das frühere Engagement Vietors in Aachen wird durch ein Schreiben des Predigers an die lutherischen Konsistorialen vom 23. Oktober 1610 bestätigt, indem Vietor rückblickend von 18 Jahren spricht, während derer er in Aachen gedient habe – vgl. Personalakten der Pfarrer der Lutheraner, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 11–4,3. Der in Aachen tätige Johann Vietor ist nicht mit dem bei Diehl, Hessen-Darmstädtisches Pfarr- und Schulmeister-Buch, hier: S. 12–13 geführten, am 1. August 1574 in Alsfeld geborenen, späteren Darmstädter Superintendenten Johannes Vietor identisch.

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Wilhelmi predigte nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, zunächst in Schleiden. Am 21. April 1596 zeigen die Protokolle der lutherischen Konfessionskirche in Aachen dann, dass sie sich darum bemühte, ihren ehemaligen Stipendiaten anzustellen.282 Doch Verhandlungen zogen sich noch über ein volles Jahr hin. Erst am 27. April 1597 dokumentieren die Konsistorialprotokolle die Einsetzung Wilhelmis ins Predigtamt. Seine Arbeit für die lutherische Konfessionskirche dauerte nicht viel länger als ein Jahr. Die katholische Restitution beendete sie. Anhand der Prediger mit bekannten Studienorten, die in Aachen arbeiteten, lassen sich die Parallelen und die Unterschiede zwischen den Aachener Lutheranern und Reformierten in Bezug auf die Versorgung mit Predigern und auf die dogmatische Festigkeit der Diener des Wortes zusammenfassend so beschreiben: Reformierte und Lutheraner hörten bis 1598 regelmäßig die Predigten von Theologen, die das Kirchenleben ihrer Gemeinden durch ihre langen Amtszeiten hindurch stabilisierten. Neben Johann Engels und Johann Vietor diente auch Nicolas Wirichs der Gemeinde von 1589 bis 1598 über einen Zeitraum von beinahe zehn Jahren.283 Wie die Reformierten beschäftigten die Lutheraner über einen langen Zeitraum dieselben Prediger. Anders als bei den Reformierten war das predigenden Stammpersonal der Lutheraner aber dogmatisch nicht einig. Aus der Uneinigkeit der lutherische Diener des Wortes entstand ein Konflikt, in den sich seit ungefähr 1588 Johann Vietor, Johann Engels, Nicolas Wirichs und verschiedene Laien aus dem Kreis der lutherischen Kirchenleitung verstrickten. Erst Johann Wilhelmis Antritt seiner Predigerstelle im April 1597 leitete die endgültige Beruhigung dieser Streitigkeiten ein. Welche Streitpunkte und Konfrontationen hielten den Konflikt über so lange Zeit lebendig? Welche Versöhnungs-, Vermittlungs- und Eindämmungsversuche unternahmen die Prediger und die Gemeindeführung und was sagt beides über die dogmatische Ausrichtung der lutherischen Konfessionskirche in Aachen aus? Der Streit zwischen Johann Engels und Nicolas Wirichs auf der einen Seite und Johann Vietor auf der anderen Seite eskalierte 1593 anlässlich einer Uneinigkeit über die jährliche Wahl neuer Konsistorialen in der Gemeinde.284 Alle drei Prediger waren sich darüber einig, dass das bisher übliche Verfahren, die Senioren von der ganzen Gemeinde wählen zu las282 Vgl. Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 41–42. 283 Vgl. Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 63–64. Die Akten der Gemeinde führen Wirichs überwiegend unter dessen Vornamen. 284 Derselbe Konflikt war bereits ein Jahr früher aufgekommen, war damals aber bis zum 1. Mai zumindest soweit beigelegt, dass er das Konsistorium für den Rest des

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sen, von einigen Personen missbraucht worden sei, sodass beliebte nicht aber qualifizierte Männer ins Amt gelangt seien. Engels und Wirichs zogen daraus die Konsequenz, dass es besser sei, wenn sich das Konsistorium zukünftig durch Kooption selbst ergänzte. Die so ausgesuchten Senioren sollten der Gemeinde lediglich zur Bestätigung präsentiert werden. Vietor bestand darauf, die Seniorenwahl durch die ganze Gemeinde beizubehalten, wie es die Apostel angeordnet hätten. Am 6. Januar 1593 war entschieden, dass die Ordnung der Seniorenwahl nicht verändert werden würde. Die Laien in der Gemeindeführung hatten die Forderungen der Prediger Engels und Wirichs zurückgewiesen.285 Wenige Tage später begann Johann Engels damit, weitere Streitigkeiten zwischen den Predigern und der Gemeindeleitung wieder aufzuwerfen. Er kündigte wegen der Unordnung in der Aachener Kirche seinen Rücktritt an.286 Engels klagte über große Zweifel, ob „[. . . ] diese Kirche in rechtem und alten Bekenntnis stehe [. . . ]“. Er trage Sorge, dass „[. . . ] wan gleich arianisch in turckis gepredigt wurde man sulchs alles lassen durch unfleiß hingehen [. . . ]“287 . Er warf der Kirchenleitung also vor, dass sie durch ihre Nachlässigkeit die Verbreitung von Irrlehren in der Gemeinde zulasse. Ausdrücklich klagte er Johann Vietor an, in seinen Predigten eine Reihe von falschen Glaubenssätzen zu vermitteln. Engels bezweifelte nicht zum ersten Mal, dass Vietors Predigten der Gemeinde nützlich waren. Schon im Dezember 1588 stritten Engels und Vietor über Fragen der vorehelichen Sexualität, der öffentlichen Buße und der Mahlzeiten zur Zeit der Sonntagspredigt.288 In der Konsistorialsitzung am 9. Februar 1592 berichtete Engels, die Gemeinde verstehe Vietors Predigten nicht.289 Im Übrigen waren in Engels Augen auch die theologischen Ansichten Nicolas Wirichs bedenklich.290 Erst als der Streit zwischen Engels und Vietor im Frühjahr 1593 erneut aufflammte begann allerdings die Phase, in der die Uneinigkeit der Prediger die Gemeinde dauerhaft intensiv beschäftigte. Jahres nicht wieder beschäftigte. Protokoll zum 1. Mai 1592, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 10. 285 Vgl. zu dem gesamten Vorgang: Eintrag zum 6. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 15. 286 Vgl. Einträge zum 10. und zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 15. 287 Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 15. 288 Vgl. Protokoll vom 15. Dezember 1588, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, S. 31. 289 Vgl. zu dem gesamten Vorgang: Eintrag zum 6. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 2. 290 Vgl. Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 16.

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Der theologische Gehalt von Engels Vorwürfen und ihr Verhältnis zu den innerlutherischen Diskussionen im Umfeld des Konkordienstreits, lassen sich nur sehr unscharf erkennen. Hansen hat durchaus richtig festgehalten, dass Engels die Ansichten kritisierte, welche Vietor zur Erbsünde und zur Ubiquität vertrat, während er bei Wirichs falsche Vorstellungen von der Höllenfahrt Christi und von den unsterblichen Körpern der Christen und ihrer Verwesung monierte.291 Die Kritik an den von Wirichs gelehrten Dogmen spielte im weiteren Verlauf des Predigerstreits keine Rolle mehr – das Konsistorium wies die ursprünglichen Vorwürfe Engels’ schon am 17. Januar 1593 zurück.292 Der theologische Streit zwischen Engels und Vietor dauerte noch an. Er entfaltete sich in den Quellen aber kaum in argumentativen Details: Johann Engels kritisierte, dass Vietor in theologischen Fragen auf die Linie der Universität Marburg setzte und sich auf sein dort abgelegtes Bekenntnis berief, sobald man ihn drängte, seine Konfession zu präzisieren. Johann Engels selbst vertraute, obwohl auch er unter anderem in Marburg studiert hatte, auf Dogmen, wie sie die Universität Helmstedt lehrte.293 Darüber hinaus erfahren wir über Vietor, dass er sich zu einem späteren Zeitpunkt im Aachener Predigerstreit positionierte, indem er während seiner Predigten flacianische Lehren zur Erbsünde verwarf und eine strenge Position gegen die Veranstaltung von Mahlzeiten während der sonntäglichen Gottesdienstzeiten einnahm.294 Noch einmal etwas später stellte Vietor klar, dass seine theologischen Überzeugungen sich an den Dogmen des Konkordienbuches orientierten. Am 28. März 1597 teilte er dem Konsistorium mit, er habe keine Bedenken, dass Johann Wilhelmi als Prediger der Gemeinde angenommen werde, weil dessen Bekenntnis mit der Apologie des Konkonkordienbuches übereinstimmte.295 Seit 1594 beharrte Vietor kompromissloser als zuvor auf seinem Bekenntnis. Wahrscheinlich hatte er seine dogmatische Festigkeit während eines Aufenthalts in seiner Heimat gewonnen, für den ihn die Aachener Gemeinde im März 1594 freistellte.296 Während seines Aufenthalts in Hes291

Vgl. Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 56–57. Protokoll zu Engels Vorwurf: Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 16. 292 Vgl. Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 17. 293 Vgl. Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 16–17. 294 Vgl. Eintrag zum 24. Dezember 1595, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 30. Zusätzlich: Eintrag zum 6. Januar 1596, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 31. 295 Vgl. Eintrag zum 28. März 1597, Memorial oder Klattbuch der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,3. 296 Vgl. Zeugnis über Lehre und Leben für Johann Vietor, 17. März 1594, Copey

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sen hatte Vietor, die Gelegenheit, mit den Theologen seiner Marburger Heimatuniversität in Kontakt zu treten. Nach seiner Rückkehr weigerte er sich über Jahre hinweg als letzter der von der lutherischen Gemeinde beschäftigten Prediger, die Kirchenordnung zu unterschreiben und die einträchtige Zusammenarbeit mit den anderen Predigern zu versprechen.297 Die Konsistorialprotokolle der Lutheraner lassen die Frage offen, welche Bedenken es im Einzelnen waren, die Vietor davon abhielten, die geforderte Unterschrift zu leisten. In der Kirchenordnung selbst fand er offensichtlich nichts, was seiner Vorstellung von reiner christlicher Lehre widersprach.298 Er hielt es aber für Gottes Willen und seine Amtspflicht als Diener des Wortes, der Kirchenordnung und der Einigung mit Johann Engels und Nicolas Wirichs nicht eher zuzustimmen, als er sicher sein konnte, dass die anderen beiden Prediger ebenfalls ernsthaft zum Frieden bereit waren und sich an die Lehren halten würden, die er für evangelisch hielt.299 Bis Vietor schließlich am 23. September 1597 einlenkte, drohte die Kirchenleitung, ihn zu entlassen und schloss ihn zeitweilig von der Abendmahlsgemeinschaft aus.300 Nachdem bis 1593 vor allem Johann Engels die offenen Streitigkeiten zwischen den Predigern der lutherischen Gemeinde provoziert hatte, sorgte also seit 1594 eindeutig Johann Vietor für Unfrieden in der Gemeinde. Aus den eben beschriebenen Standpunkten ergibt sich ein einigermaßen klares theologisches Profil Engels und Vietors. Die Notizen zu den Lehren und Bekenntnissen der beiden Prediger lassen aber nicht auf verschiedene dogmatische Lager innerhalb der Kirchenleitung oder auch der gesamten lutherischen Gemeinde schließen. Joseph Hansen interpretiert in den Predigerstreit hinein, dass sich inner der lutherischen Konfessionsgruppe Aachens eine „philippistische“ Mehrheit und eine einflussreiche „gnesiolutheranisch“ Minderheit gegenübergestanden hätten.301 Dafür fehlen überzeugende Belege. Buch abgesandter Brief 1592–1597. Kopien ausgestellter Urkunden (Lutheraner), Archiv d. EKiR, 4KG 004, A8,4. 297 Vgl. Eintrag zum 23. April 1595, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 27. 298 Vgl. Eintrag zum 16. April 1595, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 26. 299 Vgl. Einträge zum 15. August 1597, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 50 und zum 7. September 1597, Memorial oder Klattbuch der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,3. 300 Vgl. Eintrag zum 6. August 1595, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 27–28; zum 11. Februar 1596, ebd., S. 40; zum 13. April 1596, ebd., S. 41; zum 27. Mai 1597, ebd., S. 50 und zum 23. September, ebd., S. 50. 301 Vgl. Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 51.

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Die Konsistorialen traten also nicht als Parteien in einem phillipistischkonkordistisch-gnesiolutherischen Streit auf. Vielmehr beruhigte die Kirchenleitung den schwelenden Streit der Prediger. Mit diesem Ziel versammelten sich über Jahre hinweg immer wieder nicht nur die amtierenden Konsistorialen, sondern auch abgetretene Senioren. Die gesamte Führungsschicht der lutherischen Konfessionsgruppe bemühte sich, den Predigerstreit zu schlichten. Sie verhinderte in der ersten Jahreshälfte 1593 den Weggang von Johann Engels. Ein Jahr später begannen sie damit, die von Johann Vietor verursachten Spannung einzudämmen. Die Konsistorialen wollten vor allem verhindern, das Streitigkeiten zwischen den Predigern oder zwischen Dienern der Wortes und Senioren die Gemeinde beunruhigten oder das Kirchenleben beeinträchtigte. Sie versuchten dabei nie, den theologischen Dissens der Prediger inhaltlich zu entscheiden oder auszuräumen. Gegen Ende des Streits drückten die Konsistorialen ihre wichtigsten Sorge während der jahrelangen Uneinigkeit der Prediger aus, indem sie rückblickend feststellten, die Kirche sei durch den Predigerstreits fast zerstört worden.302 Die Senioren vertagten und verlegten deswegen jede Diskussion von Lehrfragen mit dem Hinweis, dass solche Probleme nicht zwischen den Predigern und den Laien im Konsistorium verhandelt werden könnten, sondern mit der Hilfe benachbarter Prediger zu lösen seien.303 Auf Grund dieser Überlegung bezog die lutherische Kirchenleitung schon 1588 Johann Wilhelmi in die Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Engels und Vietor ein.304 Mehrfach erwogen die Konsistorialen auch, das Gutachten einer Universität wegen des Predigerstreits einzuholen. Die Kirchenleitung setzte diesen Plan allerdings nie in die Tat um.305 So versetzten sich die führenden Laien der lutherischen Gemeinde in Aachen bis zum Ende des Predigerstreits nicht in die Lage, zu den dogmatischen Streitigkeiten ihrer Pfarrer fundiert Position zu beziehen. Die Konsistorialen wollten den Predigerstreit nicht entscheiden sondern ihn beruhigen. Zwischen Vietor, Engels und Wirichs sollte Ruhe einkehren, damit die gesamte Gemeinde sich beruhigen konnte. Strittige Fragen sollten deswegen während der Gottesdienste keiner der Prediger ansprechen.306 302 Eintrag zum 21. März 1596, Memorial oder Klattbuch der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,3. 303 Vgl. Eintrag zum 10. März 1595, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 29. 304 Vgl. Eintrag zum 15. Dezember 1588, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, S. 31. 305 Vgl. Protokolle zum 10. März 1595, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 29 und zum 28. Juli 1596, ebd., S. 47 und den Vermerk zum selben Datum in Memorial oder Klattbuch der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,3. 306 Vgl. Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 17.

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Dass die Gemeindeleitung vor allem Frieden stiften wollte und dabei nicht unbedingt darauf aus war, innerhalb der lutherischen Konfessionskirche dogmatisch eindeutige Verhältnisse zu schaffen, brachte die Konsistorialen bereits in einen Grundkonflikt mit den Predigern. Die Diener des Wortes motivierte während der jahrelangen Streitigkeiten, wie gezeigt, vor allem der Kampf um die ihrer Ansicht nach reine christliche Lehre. Die Konsistorialen auf der anderen Seite taten wenig, um den 1593 von Johann Engels erhobenen Vorwurf zu entkräften, sich nicht um die in der Gemeinde verbreiteten Lehren zu kümmern. An diesen Grundkonflikt zwischen Senioren und Predigern über das nötige Maß von Strenge und Eindeutigkeit in dogmatischen Fragen lagerten sich je länger der Predigerstreit andauerte, weitere Auseinandersetzungen an: Während die Prediger die Senioren zu strengerem Handeln in Lehrfragen drängten und die Senioren die Prediger im Gegenzug zu Ruhe und Frieden ermahnten, kam es zu persönlichen Angriffen und Ehrverletzungen, die neue Streitigkeiten anfachten und dem Gesamtkonflikt befeuerten. In den Jahren 1593 bis 1597 stritten sich vor allem der Prediger Johann Engels und der Konsistoriale Johann Kalckberner darüber, ob sie sich im Zuge des Predigerstreits, gegenseitig in ihrer Ehre verletzt hatten.307 Bei dem insgesamt gespannten Verhältnis zwischen Predigern und Konsistorialen blieb es nicht aus, dass unterschiedliche Gruppen von amtierenden und ehemaligen Senioren Partei für Johann Engels oder Johann Vietor Partei ergriffen, ohne dass sie damit Lager von Anhängern spezifischer lutherischer Theologien bildeten.308 Im Frühjahr gab das Konsistorium ein gespaltenes Votum zu der Frage ab, ob die Gemeinde Johann Vietor als Prediger entlassen sollte, falls er sich weiter weigerte, die Kirchenordnung zu unterschreiben und sich umfassend mit den anderen Predigern zu einigen.309 Eine Gruppe von vier Senioren als deren leitendes Mitglied die Protokolle der Gemeinde Johann Kalckberner beschreiben, sprach sich gegen die Entlassung Johann Vietors aus.310 Dass 307 Zum Ursprung des Streits siehe Eintrag zum 17. Januar 1593, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 17. Vgl. außerdem Eintrag zum 6. Februar 1596. Memorial oder Klattbuch der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,3 und zum 15. Februar 1596. 308 Anders: Hansen, Die lutherische Gemeinde zu Aachen im Laufe des 16. Jahrhunderts, hier: S. 51. 309 Vgl. Eintrag zum 11. Februar 1596, Memorial oder Klattbuch der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3,3. 310 Die Konsistorialprotokolle zeigen Kalckberners Führungsrolle innerhalb dieser Interessengruppe, indem sie einige Monate später, als dieselben Männer vorschlugen, den Predigerstreit durch ein universitäres Gutachten entscheiden zu lassen, sinngemäß festhielten, dass ‚Kalckberner und Konsorten‘ eine theologische Expertise von außerhalb einholen wollten – vgl. 28. Juli 1596, Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 47.

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sich die Gemeindeleitung aus diesem Anlass vorübergehend spaltete, konnte viele Gründe haben. Die Auseinandersetzungen um den politischen und konfessionellen Status der Reichsstadt Aachen gaben die entscheidenden Impulse für den Streit in der lutherischen Gemeindeleitung. So wie die Causa Aquensis auch bei auch vielen anderen Gelegenheiten, die das ansonsten stabile Kirchenleben der drei Konfessionsgruppen in Aachen beeinträchtigte: Die Befürworter und die Gegner von Johann Vietors Entlassung waren gleicher Maßen darauf aus, bei möglichen Partnern im Reich den Eindruck aufrecht zu erhalten, die Aachener Gemeinde sei lutherisch orthodox und damit ein legitimes Ziel religionspolitischer Hilfe. Dafür mussten sie allerdings nicht die theologischen Fragen entscheiden, über die Johann Engels und Johann Vietor stritten. Es kam darauf an, jeden Verdacht zu zerstreuen, der Predigerstreit stünde im Zusammenhang der Verbreitung devianter Lehren in der lutherischen Kirche Aachens oder die Kirche sei insgesamt instabil. Mit dieser Absicht schrieben Vertreter der lutherischen Kirche in Aachen 1595 zweimal und 1597 noch einmal an Jeremias Vietor in Gießen.311 Alle drei Schreiben betonten, dass angesichts des Predigerstreits kein Anlass bestehe an der Rechtgläubigkeit der Gemeinde oder an ihrer Einigkeit zu zweifeln. Ihre Ausführungen lassen erkennen, dass die verschiedenen Positionen, die im Konsistorium zum Predigerstreit vertreten wurden, auch Rücksicht auf die Erwartungen des Gießener Theologen nahmen. Auf der einen Seite wollte das Konsistorium den Eindruck vermeiden, es werde von seinen Predigern insbesondere von Johann Engels und Nicolas Wirichs genötigt, Veränderungen an der Kirchenordnung vorzunehmen und so von der reinen lutherischen Lehre abzuweichen. Deswegen betonten sie, dass sie die Prediger mit Nachdruck und im Großen und Ganzen erfolgreich zur Einigkeit ermahnt hätten. Während des Streits seien keine Zweifel an der dogmatischen Unbedenklichkeit der Kirchenordnung aufgekommen. Auf der anderen Seite musste die Laien in der Leitung der lutherischen Kirche Aachen den Umgang mit ihrem Prediger Johann Vietor während des Predigerstreits gegenüber Jeremias Vietor in besonderem Maße erklären und rechtfertigen. Johann Vietor, der aus Hessen stammte, in Marburg studiert hatte und zur selben, weitverzweigten Predigerfamilie gehörte wie der Gießener Professor Jeremias Vietor, schrieb offensichtlich über seine Ansichten zum Predigerstreit nach Hessen. Die Konsistorialen befürchteten deswegen, Jeremias Vietor könnte jede schärfere Konfrontation mit ihrem 311 Vgl. [Lutherische Gemeinde Aachen] an Jeremias Vietor, 11. Januar 1595, Copey Buch abgesandter Brief 1592–1597. Kopien ausgestellter Urkunden (Lutheraner), Archiv d. EKiR, 4KG 004, A8,4; [Lutherische Gemeinde Aachen] an Jeremias Vietor, [nach dem 12. April 1595], ebd. und Vorsteher der christlichen Kirche zu Aachen an Doctor Vietor, 24. März 1597, ebd.

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Prediger als Abweichung von der Marburger und Gießener Konkordientheologie verurteilen. Deswegen, so die Sorge der Kirchenleitung, könnte die lutherische Kirche Aachens auch die Unterstützung des einflussreichen Theologen Aegidius Hunnius und letztlich auch der Hessischen Landgrafen und anderer lutherischer Fürsten verlieren. Das Konsistorium erklärte Jeremias Vietor also, auch Johann Vietor habe keine theologische Kritik an der Aachener Kirchenordnung geübt, er habe sich vielmehr aus nichtigen Gründen viel zu lange der Einigung mit den anderen Predigern entzogen. Es ging der Mehrheit der Senioren also darum, in Gießen Verständnis dafür zu schaffen, dass sie sich Anfang 1595 dazu entschlossen hatten, Johann Vietor zur Einigung zu drängen, ohne ihn – wie sie betonten – in irgendeiner Weise zu zwingen, gegen sein Gewissen zu handeln. Gleichzeitig nahmen sie sehr kurz Stellung zur Minderheitsmeinung in der Kirchenleitung: Es gebe in der Gemeinde einige Personen, die Johann Vietor stärker unterstützten als ihm zustünde. Auch diese Männer verlängerten somit die Uneinigkeit innerhalb der Kirche. Indirekt zeigt die Argumentation der Mehrheit des Konsistorium, dass ‚Kalckberner und Konsorten‘ zwar auch darauf aus waren, dass Wohlwollen der Gießener und Marburger Theologen für die Aachener Kirche aufrecht zu erhalten, dass sie dazu aber mehr darauf setzten, Johann Vietor zu unterstützten. Die amtierenden und ehemaligen Konsistorialen stritten sich während des Predigerstreits also lediglich um die Mittel und Wege, durch welche sie den Frieden innerhalb der Gemeinde und die die orthodoxe Außenwirkung der lutherischen Gemeinde Aachens erhalten sollten. Die Gemeinde war nicht konfessionell gespalten. Die Versöhnungspolitik des Konsistorium war bis 1598 relativ erfolgreich. Die Senioren konnten verhindern, dass ein Prediger die Gemeinde im Streit verließ und so einen Skandal verursachte, der die Kirche insgesamt sichtbar destabilisiert hätte. Die Kirchen dämmte den Predigerstreit ein und beruhigte ihn, wenn es ihr auch nie gelang ihn völlig beizulegen. Damit behaupteten die Laien in lutherischen Kirche Aachens letztlich auch in Fragen, welche die dogmatische Ausrichtung der Gemeinde betrafen, ihren Führungsanspruch. Obwohl die lutherischen Diener des Wortes während des Predigerstreits auffälliger agierten, als die Prediger der deutsch-reformierten Gemeinde Aachens es jemals taten, blieb das Übergewicht des Konsistoriums gegenüber den Predigern eine Gemeinsamkeit der reformierten und der lutherischen Kirche in Aachen. Die Rolle der Prediger begünstigte insgesamt das friedliche Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen: Keine lutherische oder reformierte Predigerpersönlichkeit gewann genug Einfluss, um ihre eigene Konfessionskirche oder gar die ganze Stadt nach ihrem Bekenntnis zu reformieren und zu konfessionalisieren. Nicht nur während der ersten Jahrzehnte der Reformation hatten einflussreiche Prediger

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in vielen Städten eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung und Durchsetzung der evangelischen Lehre gespielt. Sie halfen auch entscheidend bei der auf die Reformation folgende Konfessionalisierung evangelischer Städte. Gemeinsam mit der weltlichen Obrigkeit bauten Prediger in monokonfessionellen Städten Gesellschaften auf, die wesentlich vom Glaubensbekenntnis ihrer christlichen Mitglieder bestimmt waren.312 In den protestantischen Freiwilligenkirchen Aachens gewannen die Prediger gerade genug Einfluss, um die Bekenntnisse ihrer Gemeinden soweit zu festigen, dass diese selbstbewusst und abgegrenzt von den anderen Konfessionen bestehen konnten. Diese Rolle füllten die Prediger in der deutsch-reformierten Konfessionskirche besonders geräuschlos aus. Die Prediger hatten auch die Möglichkeit, den theologischen Konfessionalisierungsdruck aus dogmatisch besonders profilierten Universitäten und Territorien nach Aachen zu tragen, wie der Predigerstreit der Lutheraner zeigt. Die Laien in der Kirchenleitung federten die Gefahr der konfessionelle Polarisierung, die von ihren Predigern ausging, aber in solchen Fällen bis 1598 relativ erfolgreich ab. So behielten die Konsistorialen der Reformierten und Lutheraner auch wenn es um Reinheit der Lehre ihrer Kirche ging, die Ruhe innerhalb ihrer Konfessionsgruppe und den Frieden in der ganzen Stadt im Auge und handelten im Sinne der überkonfessionellen Friedenwahrungspolitik des Stadtregiments. Eventuell forderte die Zeit nach 1611, in der die Akteure in Aachen eindeutigere politische Entscheidungen verlangten, von der lutherischen Konfessionskirche auch eine entschiedenere dogmatische Ausrichtung. Die Aachener Lutheraner wurden gottesdienstlich weiter von Nicolas Wirichs versorgt, welcher der Gemeinde bereits vor 1598 gedient hatte. Sie zielten bei der Anstellung neuer Diener des Wortes nun aber erstmals auf Theologen mit einem eindeutigen Ausbildungsprofil ab. Die Prediger um deren Anstellung sich die Konsistorialen seit dem Jahr 1600 bemühten, hatten ausnahmslos an den konkordistisch ausgerichteten Universitäten Hessens studiert. Als erster dieser im Sinne der Konkordienbewegung ausgebildeten Prediger diente Georg Hesenus den Aachener Lutheranern bis 1605, nachdem er zuvor in Wittenberg und Marburg studiert hatte.313 Noch vor dem 312

Schorn-Schütte hat zu diesem Zusammenhang mehrfach belegt, dass die Geistlichkeit während der Konfessionalisierung nicht allein mit der weltlichen Obrigkeit und für dieselbe arbeitete, sondern deren Machtpotential auch begrenzte und darüber hinaus auch als Vermittler zwischen den Interessen von Obrigkeit und Untertanen fungierten – Vgl. dazu u.a. Schorn-Schütte, Geistliche Amtsträger und regionale Identität im 16. Jahrhundert, hier: S. 13 und Luise Schorn-Schütte, „Papocaesarismus“ der Theologen? Vom Amt des evangelischen Pfarrers in der frühneuzeitlichen Stadtgesellschaft bei Bugenhagen, in: Archiv für Reformationsgeschichte 79 (1988), S. 231–261. 313 Vgl. Führungszeugnis für den scheidenden Prediger Hesenus vom Bartholomeustag [24. August] 1605. (Konzept), Personalakten der Pfarrer der Lutheraner, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 11–4,3.

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Bürgeraufstand von 1611 begann die lutherische Gemeinde mit weiteren in Hessen studierten Predigern über deren mögliche Beschäftigung in Aachen zu verhandeln. Das Gemeindemitglied Peter Ruland in Frankfurt und der ehemalige Prediger Johann Vietor stellten den dazu nötigen Kontakt zu den Professoren Johann Winckelmans314 und Balthasar Mentzer315 her.316 Neben ihrer Ausbildung teilten die Theologen, die nun mit der lutherischen Kirchenleitung über ihre Anstellung verhandelten, die Erfahrung der „Zweiten Reformation“317 in Hessen. Johannes Battenfeld, mit dem die Verhandlungen über seine Anstellung in Aachen am weitesten fortschritten, hatte seine Pfarrstelle verloren, nachdem er sich geweigert hatte, das neue reformierte Bekenntnis in der Landgrafschaft anzunehmen.318 Nach dieser Erfahrung stimmte Battenfeld der Kirchenordnung der Lutheraner mit der Bemerkung zu, seine Bekenntnistreue sei ohnehin dadurch erwiesen, dass er „[. . . ] inn hessischer religions verenderung [. . . seinen] glauben practicirrendt, Anno 1606 des wegen zugemutete calvinische prob mit verlust [seiner] hab, und guter [. . . ] undt der warheit zu steuer, aus gestanden [. . . ].“319 habe. Die Leitung der lutherischen Kirche in Aachen traf also alle Vorkehrungen, um Prediger nach Aachen zu holen, die nicht nur unzweifelhafte Vertreter des Konkordienluthertums waren sondern auch aus Erfahrung gegen die reformierte Kirche eingestellt waren. Prediger dieser Ausbildung und Vorgeschichte hätten die Kirche durchaus strenger nach dogmatischen Gesichtspunkten ausrichten können als zuvor und hätten dabei eventuell auch 314

Vgl. zur Person Vilmar, Kleine Notizen zur Geschichte der Verbesserungspunkte (mit einer Liste der 1605–09 und 1624 vertriebenen Pfarrer), hier: S. 174 und Hütteroth, O–Z, hier: S. 409–410. 315 Vgl. Vilmar, Kleine Notizen zur Geschichte der Verbesserungspunkte (mit einer Liste der 1605–09 und 1624 vertriebenen Pfarrer), hier: S. 174 und Oskar Hütteroth, Die althessischen Pfarrer der Reformationszeit. Bd. 2: A–N. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen Waldeck.) Kassel 1953, hier: S. 227. 316 Vgl. zur Anbahnung der Verhandlungen Peter Ruland an die lutherische Gemeinde in Aachen, 21. Februar 1611, Personalakten der Pfarrer der Lutheraner, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 11–4,3 und Johann Vietor an die Consitorialen der christlichen Gemeinde Augsburger Confession, am 23. Oktober 1610, ebd. 317 Vgl. Gerhard Menk, Die „Zweite Reformation“ in Hessen-Kassel. Landgraf Moritz und die Einführung der Verbesserungspunkte, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „Zweiten Reformation“. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195.) Gütersloh 1987, S. 154–183. 318 Vgl. Vilmar, Kleine Notizen zur Geschichte der Verbesserungspunkte (mit einer Liste der 1605–09 und 1624 vertriebenen Pfarrer), hier: S. 178 und Hütteroth, A–N, hier: S. 11–12. Hütteroth vermerkt lediglich Battenfelds Immatrikulation in Helmstedt nicht aber dessen Examen in Marburg – vgl. dazu Johannes Battenfeld an die Lutherische Gemeinde Aachen, Mai 1611, Personalakten der Pfarrer der Lutheraner, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 11–4,3. 319 Johannes Battenfeld an die Lutherische Gemeinde Aachen, Mai 1611, ebd.

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die Widerstände der auf Vermittlung bedachten Laien in der Kirchenleitung überwinden können. Die Entscheidung der Konsistorialen für einen neuen Predigertyp schlug sich nur deswegen nicht mehr sichtbar in den Predigten und dem Kirchenleben der lutherischen Konfessionskirche und ihrem Verhältnis zu den anderen Konfessionsgruppen in der Stadt wieder, weil sich Battenfeld und andere Prediger angesichts der unsicheren Verhältnisse in Aachen letztendlich entschieden, nicht nach Aachen zu gehen. Auch waren die drei Jahre zwischen 1611 und 1614 zu kurz, um eine solche Entwicklung zum Abschluss zu bringen. Somit trug die dogmatische Ausrichtung sowohl der reformierten als auch der lutherischen Konfessionskirche in Aachen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht entscheidend zur konfessionellen Polarisierung der städtischen Gesellschaft bei. Vielmehr fanden die Entscheidungsträger der protestantischen Konfessionskirchen in ihren Bemühungen um die wahre Lehre in ihren Gemeinden Mittel, Konfessionskonflikte zu vermeiden – ähnlich wie sie auch Kirchenzucht, Armen- und Schulwesen so gestaltet hatten, dass weitreichende Konfessionskonflikte ausblieben. 3.1.3.4 Das Marienstift: Institutionell gesicherte katholische Kirche mit Drang zur Selbstbehauptung Wenn schon die reformierten und lutherischen Kirchen in Aachen nur zurückhaltend Stellung zu den ihnen jeweils fremden Konfessionen in der Stadt bezogen, obwohl eine klare konfessionelle Abgrenzung für die Etablierung und Stabilisierung der evangelisch-kirchlichen Institutionen wichtig war, musste es der katholischen Kirche, die sich in der Stadt bereits seit Jahrhunderten eingerichtet hatte, noch leichter fallen, den neuen Herausforderungen der Mehrkonfessionalität mit Augenmaß zu begegnen. Diese These kann an Hand der Stellung des Marienstifts in der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft überprüft werden. Das Stift war die mit Abstand prominenteste katholisch-kirchliche Institution in Aachen. Es verdankte sein Ansehen seiner bis auf Karl den Großen und damit auf die Gründung und den Daseinszweck der Stadt Aachen zurückgeführten Verbindung mit dem römisch-deutschen Königtum.320 Königliches Stift war St. Marien aber vor allem durch die Rolle die Kapitelherren, Amtsträger und die Kirche des Stifts bei der Krönung der deutschen Könige spielten. St. Marien zu Aachen hörte zwar mit der Krönung Maximilians II. – wie sich später zeigen sollte dauerhaft – auf der Austragungsort der Krönungszeremonie zu sein, doch das Stiftkapitel bemühte sich bei den 320 Zur Begründung der Stiftskirche durch Karl den Großen vgl. Heinrich Lichius, Die Verfassung des Marienstifts zu Aachen bis zur französischen Zeit, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 37 (1915), S. 1–140.

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Gelegenheiten der nun zumeist in Frankfurt stattfindenden Krönungsfeierlichkeiten regelmäßig und erfolgreich um die Bestätigung Aachens und speziell seiner Kirche als Krönungsort des Reiches. Darüber hinaus blieben Vertreter des Stifts auch bei den abseits von Aachen vollzogenen Krönungen präsent, um die Aachener Kleinodien zu begleiten. Damit repräsentierte das Stift auch die gesamte Reichsstadt.321 Die Verbindung des Stiftes Unserer Lieben Frau zum Königtum wurde zudem durch die formelle Mitgliedschaft jedes Deutschen Königs im Kapitel und durch die in Vertretung des Kaisers durch einen königlichen Vikare repräsentiert.322 Neben den vicarii regis gehörten dem Stift weitere Weltgeistliche an. Zu den Kanonikern selbst, die zu einem Teil zum Priester zumindest aber zum Subdiakon geweiht sein mussten, kamen die Vikare, welche die zahlreichen zum Stift gehörigen Altäre in der Münsterkirche und an anderen Stellen in der Stadt bedienten.323 Ein bedeutender Teil der Weltgeistlichkeit Aachens war damit dem Marienstift verbunden. Weitere katholische Kleriker standen in Beziehung zum Stift, weil dessen Kapitel federführend bei Prozessionen war, an denen verschiedene Ordensniederlassungen, Stifte und Pfarrkuratien in Aachen beteiligt waren oder weil das Stift – teilweise vermittelt durch den Erzpriester, zum Teil aber auch direkt – den Aachener Pfarrklerus beaufsichtigte.324 Das Marienstift war zudem als einflussreichste, vermö321 Vgl. André Krischer, Politischer Zeichengebrauch im barocken Rheinland. Zeremoniell und Repräsentation bei den Kurfürsten von Köln und den Reichsstädten Köln und Aachen, in: Benedikt Mauer (Hrsg.), Barocke Herrschaft am Rhein um 1700. Kurfürst Johann Wilhelm II. und seine Zeit. (Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Düsseldorf, Bd. 20.) Düsseldorf 2009, S. 37–74, hier: S. 68. Krischer betont die Bedeutung von Kirchenschätzen als symbolisches Kapital von Reichsstädten. Für die Kleinodien kam sie besonders zum Tragen. 322 Vgl. Lichius, Die Verfassung des Marienstifts zu Aachen bis zur französischen Zeit, hier: S. 105–109. 323 Zu den geforderten Weihen der Kanoniker vgl. Offergeld, Lebensnormen und Lebensformen der Kanoniker des Aachener Marienstifts, hier: S. 78. 324 Lichius, Die Verfassung des Marienstifts zu Aachen bis zur französischen Zeit, hier: S. 61–62 beschreibt die Abhängigkeiten des Aachener Pfarrklerus von Stiftskapitel und Erzpriester, wobei aber die Gestaltungsmöglichkeiten der Stiftsherren im Bereich der Pfarrkuratien gerade für das 16. und 17. Jahrhundert unklar bleiben. Brecher, Die Kirchliche Reform, hier: S. 16 fasste den Einfluss von Marienstift und Erzpriester innerhalb der katholischen Kirche Aachen pointiert zusammen, indem er formulierte, die beiden Institutionen hätten archidiakonale Gewalt in der Stadt ausgeübt. In der Praxis beauftrage das Kapitel Erzpriester Goswin Schrick am 16. September 1607 während der ersten Sitzung des halbjährlichen Generalkapitels mit einer Visitation der Pfarrkuratien (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 71v). Abgesehen davon sind die konkreten Belege für eine den Pfarrkirchen vorstehende Funktion des Stifts selten: Am 18. August 1588 erhielten die Kirchenmeister von St. Foillan finanzielle Unterstützung für Baumaßnahmen an der Kirche (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 108r), am 15. Mai 1596 rief das Kapitel die vier Pfarrer der

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gendste und organisatorisch am weitesten entwickelte katholisch-kirchliche Institution in Aachen dazu in der Lage, anderen Gliedern der katholischen Kirche in der Stadt mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Auf diesem Wege vernetzte sich das Stift auch mit Aachener Ordensniederlassungen, die prinzipiell völlig unabhängig von seinem Einfluss waren.325 Die Bedeutung des Marienstifts für die katholische Kirche in Aachen ging über die Ebenen der Repräsentation und Organisation hinaus. Zur religiösen Versorgung und Seelsorge der Aachener Katholiken trug das Stift maßgeblich bei. Nicht nur behauptete der zum Kapitel gehörige Erzpriester die Position eines Stadtpfarrers, von dem alle Priester, die an St. Foillan, St. Jakob, St. Peter und St. Adalbert tatsächlich den Pfarrdienst leisteten, abhängig waren, sondern Kapitel, Amtsträger und andere Angehörige des Stifts gestalteten auch direkt wichtige Teile des katholischen Religionslebens. Dazu gehörten die Messen in der Münsterkirche und an ihren zahlreichen inkorporierten Altären sowie die hauptsächlich vom Marienstift organisierten Prozessionen in der Stadt. Die katholischen Laien in Aachen nahmen vor allem die in der Münsterkirche gehaltenen Predigten als wichtigen Teil ihres Religionslebens wahr. Die Attraktivität von Messe und Predigt in der Kirche Unserer Lieben Frau im Vergleich zu den Gottesdiensten der Pfarrkirchen war gegen Ende des Untersuchungszeitraums so hoch, dass die Pfarrer beim Stiftskapitel darum baten, die Münsterpredigt zeitlich von ihren eigenen Gottesdiensten zu trennen, damit die Aachener Katholiken den Messen in St. Foillan, St. Adalbert, St. Peter und St. Jakob nicht entzogen würden. Die Mitglieder des Kapitels gingen inhaltlich nicht weiter auf die Beschwerde ein.326 Schon vorher hatten die Pfarrer 1608 beim Kapitel angefragt, ob es den Kaplänen an der Stiftskirche verbieten könne, die Osterkommunion auszuspenden, weil den Pfarrkirchen dadurch erhebliche Nachteile entstünden. Daraufhin empfahl das Kapitel allerdings lediglich, die Mitglieder der Gemeinde in den Predigten zu ermahnen, das Sakrament zu Ostern in ihren eigenen PfarrkirStadt auf, ihrer Teilnahmepflicht an einer bevorstehenden Prozession nachzukommen und ermahnte sie wegen zurückliegender Verfehlungen (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 444r bis 445r). Die Pfarrstelle von St. Jakob wurde im gesamten 16. Jahrhundert überwiegend von Kanonikern des Marienstifts besetzt – vgl. Brecher, Kirche und Pfarre St. Jakob, hier: S. 20. 325 In diesen Zusammenhang gehören beispielsweise die Überlassung von Messwein an die Franziskaner 1595 (Protokoll der Kapitelsitzung vom 14. März 1595, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 361r) und die Gewährung einer Almose von 10 Talern für die Aachener Augustiner, welche das Kapitel am 19. Juni 1608 freigab, um das Augustinerkloster zu erhalten (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 139r). 326 Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 157v.

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chen einzunehmen. Ihr Recht, die Osterkommunion in der Münsterkirche auszuspenden, wollten die Stiftsherren nicht eingeschränkt wissen.327 Die herausgehobene Stellung der Predigten in der Münsterkirche für die gottesdienstliche Versorgung erklärt, warum Dechant und Kapitel sich seit dem Ende der 1570er Jahre kontinuierlich bemühte, die Predigerstelle mit geeigneten Kandidaten zu besetzen. 1579 war Johannes Haesius, der die Stelle des Münsterpredigers neben dem Amt des Erzpriesters erst seit Kurzem ausgefüllt hatte, an einer Seuche gestorben.328 In der Folge fiel es dem Stift, nicht zuletzt wegen nicht gesicherten Finanzmittel schwer, die Stelle erneut zu besetzen. Kanoniker und Dechant setzten nicht nur die Ressourcen des Stifts ein, um einen Prediger zu gewinnen, sie aktivierten auch ihre Beziehungen zum Bischof und Domkapitel von Lüttich, zum Erzbischof von Köln und zum Franziskanerorden.329 Zwischen diesen Partnern auf der Suche nach einem Prediger für die Münsterkirche gewann das Argument an Bedeutung, dass es nötig sei, diese wichtige Kanzel in Aachen mit einem fähigen Mann zu besetzen, um die Aachener Katholiken gegen den Einfluss ketzerischer Lehren zu wappnen. Vor allem die Verantwortlichen im Bistum Lüttich und im Erzbistum Köln waren überzeugt, dass der zukünftige Münsterprediger hauptsächlich die Position der katholischen Konfessionskirche gegen reformierte und lutherische Angriffe werde verteidigen müssen. In diesem Sinne sorgten sie dafür, dass bereits Anfang der 1580er Jahre kurzzeitig Vertreter des gegenreformatorischen Jesuitenordens in der Kirche Unserer Lieben Frau in Aachen predigten, und dass die Jesuiten nach ihrer dauerhaften Ansiedlung in Aachen 1600 auch die Seelsorge in St. Marien übernahmen. Dechant und Kapitel betrachteten die Predigerstelle hingegen nicht vorrangig als Mittel zur Gegenreformation und katholischen Konfessionalisierung. Sie suchten 327

Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 124rv. Vgl. Alfons Fritz, Gehörte der Aachener Domprediger Johannes Haesius ( 1579) dem Jesuitenorden an?, in: Aus Aachens Vorzeit 18 (1905), S. 107–110. 329 Zu den Bemühungen von Dechant und Kapitel vgl. Kapitelprotokoll zum 19. März 1588 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 62rv), zum 8. August 1588 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 103r–104v), zur Einbeziehung des Ordensprovinzials der Franziskaner in die Suche vgl. das Kapitelprotokoll zum 18. und 19. August 1588, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 108rv, Belege für die Beteiligung Lütticher und Kölner Akteure an der Suche finden sich u.a. in den Protokollen zum 15. Oktober 1588 (f. 123r). Ernst von Bayern vertrat als Bischof von Lüttich und Erzbischof von Köln durchgehend den Standpunkt, die Jesuiten seien am besten geeignet, um den Münsterprediger zu stellen. Dem entsprechend forderte der für Aachen zuständige Offizial, das Kapitel auch im Mai 1600 auf, die Patres mit dem Geld zu versorgen, dass sie benötigen würden, um die Predigerstelle auszufüllen – vgl. das Kapitelprotokoll zum 31. Mai 1600, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 245rv. 328

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einen Prediger, um den Gottesdienst zu gewährleisten, der für die Aachener Katholiken auch unabhängig von konfessionellen Abgrenzungsüberlegungen von Bedeutung war. Es ist deswegen kein Zufall, dass der Mann, der 1589 die Predigerstelle seit längerem wieder regulär ausfüllte, nicht Jesuit sondern Peter Michael, gen. Bastenach, der Prior der Aachener Karmeliter war.330 Damit entschied sich das Kapitel offensichtlich für eine Besetzung der Stelle, für die sich leichter ein überkonfessioneller Konsens finden ließ, als es bei einem Jesuiten auf der Kanzel der Stiftskirche der Fall gewesen wäre. Dass Bastenach dem protestantisch dominierten Stadtregiment bis 1598 gut zu vermitteln war, weil er sich nicht zu sehr katholisch-konfessionell profilierte, zeigen dessen eigene Bedenken, unter dem restituierten, katholischen Rat und neben den Jesuiten weiter in der Münsterkirche zu predigen: Bastenach befürchtete, er sei „[. . . ]Â dennen [den restituierten Katholiken] und andern nit gnugsamb qualificirt und sunsten in ungunst gerathen [. . . ]“. Er ging also davon aus, in den Augen des neuen Regiments nicht entschieden genug gegenreformatorisch gepredigt zu haben.331 Der Eindruck, der Karmeliter sei von den Jesuiten von seiner Predigerstelle verdrängt worden, trügt.332 Allerdings übernahmen die Patres nach ihrer Ankunft in Aachen, viele der Predigten von der Kanzel des Münsterstifts. Wie in ihren Schulen und durch ihre Theaterstücke wollten die Jesuiten auch in ihren Predigten die Verbreitung der protestantischen Bekenntnisse verhindern und wo möglich reformierte und lutherische Aachener zum katholischen Glauben bekehren.333 Dass die Jesuiten dem Marienstift die Schlüsselposition innerhalb der katholischen Kirche Aachens streitig machten, wirkte sich merklich auf die Beziehungen der Konfessionskirchen aus. Das deutsch-reformierte Konsistorium musste nach 1601 mehrfach Gemeindemitglieder ermahnen, damit sie ihre Kinder nicht zur Schule der

330 Am 7. November 1589 waren die Kapitelherren zu Einsicht gekommen, „[. . . ] das auch uber villfeltigen jair euseriste fleiß, muehe und arbeit gein Concionator hiehin zubrengen, auch deßen lenger also bei diesen truebseligen zeiten zu entraiden nit gewist“, und sie beschlossen, „[. . . ] das mit dem herrn priorn in der Carmeliten alhie, gesprochen werden solle ob seine W. sich zu diesem Amptt und dienst geprauchen und bestellen laißen wuldte [. . . ]“ (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 239r). Schon am 20. Dezember 1589 stellte das Kapitel den Bestallungsbrief für den Prior der Karmeliter aus (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 254v bis 255r). 331 Vgl. Kapitelprotokoll zum 11. September 1598, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 68v. Das Kapitel gab der Bitte des Prediger letztlich erst am 17. November 1600 nach, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 291v. 332 Pohle, Glaube und Beredsamkeit, hier: S. 102 mit Anm. 3. 333 Vgl. ebd., hier: S. 622–624 u. S. 635–637.

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Jesuiten schickten oder die Vorführungen des Jesuitentheaters besuchten.334 Auch von den religiösen Angeboten des Marienstifts hatten die Ältesten ihre Gemeinde zuvor fernhalten müssen. Sie hatten sich jedoch nie zu solch eindringlichen Warnungen vor den Mitgliedern und Amtsträgern des Stifts genötigt gesehen, wie sie sie jetzt in Hinblick auf die Jesuiten aussprachen. So wie die Jesuiten durch die Gesamtheit ihrer Arbeit in Aachen das katholische Religionsleben und das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen grundsätzlich veränderten, so löschten die jesuitischen Münsterprediger den vorkonfessionellen Charakter aus, den die Kanzel von St. Marien unter der alleinigen Verantwortung des Stifts hatte. Das Marienstift ließ von der Kanzel seiner Kirche nicht aggressiv gegenreformatorisch predigen und leistete mit seinem Beitrag zur gottesdienstlichen Versorgung der Katholiken vergleichsweise wenig für deren Konfessionalisierung. Das wirft die Frage auf, ob es sich auch in anderen Bereichen dem Zwang zur Konfessionalisierung entzog. Das Stift hätte die Grundlagen schaffen können, um erfolgreich als Agent der katholischen Reform, Gegenreformation und Konfessionalisierung zu arbeiten, indem es sich zunächst intern erneuerte und neu ordnete. Welche Reformen führten die Kapitelherren also durch, um sich auf die Auseinandersetzung mit den protestantischen Konfessionskirchen vorzubereiten? Vorab kann zu dieser Frage festgestellt werden, dass das Marienstift während des Untersuchungszeitraums keine grundlegenden organisatorischen Reformen durchführte. Die weitreichendste strukturelle Veränderung zeigt gleichzeitig die engen Grenzen der Bemühungen des Marienstifts in diesem Bereich: Die Stiftsherren senkten 1576 die Regelzahl der Stiftskanoniker und widmeten die freigewordenen Präbenden um.335 Die Erlaubnis für diese Maßnahme hatte Papst Gregor XIII. bereits 1576 erteilt. Das Geld sollte für die Verbreitung der katholischen Lehre in Aachen ausgegeben werden. Das Stift erzielte damit aber keinen merklichen Erfolg für die religiöse Erziehung der Aachener Katholiken. Zunächst verging einige Zeit, bis die freigewordenen Finanzmittel zumindest teilweise ihrem neuen Zweck zugeführt wurden: Das Stift unterhielt eine Lateinschule, welche nicht nur von den Vikariolen der eigenen Institution sondern auch von Aachener Bürgerkindern besucht wurde. Ob und wie diese Schule Einfluss auf die konfessionelle Bildung der katholischen Konfessionsgruppe in Aachen gewann ist allerdings nicht bekannt. Die geringe Anzahl der Nachrichten über die für Laien offene Stiftsschule deuten eher darauf hin, dass sie eine kleine Einrichtung mit geringen Einfluss blieb. Auch die protestantischen Konfessionskirchen warn334 Vgl. die Protokolle zum 30. April 1602 (Protokollband I, S. 112); 11. Juni 1602 (S. 113); 5. November 1602 (S. 117) und 30. September 1603 (S. 127). 335 Vgl. Brecher, Die Kirchliche Reform, hier: S. 115.

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ten ihre Mitglieder nicht davor, ihre Kinder in der Lateinschule des Stifts ausbilden zu lassen. Erst nach der Eröffnung der Jesuitenschule begann die deutsch-reformierte Kirchenleitung, die katholischen Bildungseinrichtungen in Aachen als Bedrohung für die konfessionelle Integrität ihrer Gemeinde zu betrachten. Die entscheidende Expansion des katholischen Bildungswesens fand in Aachen erst nach 1614 statt, als neben den Jesuiten beispielsweise auch die Ursulinen ihre Schulen in der Stadt eröffneten.336 Die Lateinschule zu betreiben, schöpfte die Mittel aus den erledigten Präbenden noch nicht aus. Das Kapitel des Marienstifts beriet deswegen bis 1577 immer wieder, ob und wie das Geld auch für die Anstellung und Versorgung eines kompetenten Münsterpredigers genutzt werden könnte.337 Wie wenig diese noch länger anhaltenden Bemühungen letztlich zu konfessionalistischen Predigten auf der Kanzel des Marienstifts beitrugen, wurde bereits erläutert. Dass das Marienstift durch Veränderung seiner Struktur und Organisation wenig zur katholischen Konfessionalisierung beitrug, schließt jedoch nicht aus, dass das Kapitel mit kleineren, alltäglichen Reformen und Maßnahmen die Abgrenzung der katholischen Konfessionsgruppe von den anderen Bekenntnissen in Aachen beförderte. Das Stiftskapitel disziplinierte seine eigenen Mitglieder sowie die übrigen Angehörigen und Amtsträger des Stifts traditionell während der zweimal im Jahr abgehaltenen Generalkapitel. Während der Generalkapitel ermahnten die Stiftsherren einander und auch die Vikare, ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Allem voran sollten sie die Altäre der Münsterkirche versorgen und die Messen halten, die für das Religionsleben der Katholiken in Aachen wichtig waren. Die entsprechenden Ermahnungen hält das Protokoll der Kapitelsitzung zwar nur sehr formelhaft fest. Trotzdem kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Kapitel die Sorge um die religiöse Versorgung der katholischen Konfessionsgruppe ernst nahm. Auch abseits der Generalkapitel ermahnten die Stiftsherren Kapläne, ihre Residenzpflicht einzuhalten, und bestrafte sie für Versäumnisse.338 Auch wenn das Kapitel die Lebensführung der Männer kontrollierte, die das Marienstift vertraten, hatte es neben der inneren Stabilität des Stifts auch dessen Außenwirkung und seinen Einfluss auf die katholischen 336

Vgl. Johannes Kistenich, Geistliche Orden und öffentliches Schulwesen im Rheinland 1250–1750, in: Andreas Rutz (Hrsg.), Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250–1750). (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung, Bd. 39.) Köln 2010, S. 119–151, hier: S. 131. 337 Vgl. Kapitelprotokoll zum 24. Juli 1576, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 c, f. 100r; zum 13. August 1576, 11 c, f. 101r und 19. März 1577, 11 c, f. 123r. 338 Vgl. beispielsweise das Protokoll zur Kapitelsitzung vom 11. Januar 1595, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 350v.

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Einwohner Aachens im Sinn. Immer wieder betonte das Kapitel, wenn es beispielsweise die Kleiderordnung für die Kapitularen durchsetzte, dass die Geistlichen vor allem ordnungsgemäß auftreten sollten, damit sie beim gemeinen Mann nicht in geringes Ansehen gerieten. Das Stift wollte jeden öffentlichen Skandal in Bezug auf seine Angehörigen verhindern.339 Das Marienstift reformierte sich, um die katholische Religion in Aachen zu stärken. Konfessionalisierte das Stift die katholische Kirche in der Stadt damit aber auch? Die Antwort hierauf lautet nein. Das Stift war reformbereit. Es rezipierte bei seinen Erneuerungsbemühungen auch durchaus die Beschlüsse des Tridentinischen Konzils. So musste ein Notar, den das Kapitel am 11. April 1594 als Schriftführer anstellte, seinen Glauben gemäß des Konzils bekennen.340 Die Bemühungen des Stifts waren aber dennoch weiter auf die Reform der katholischen Kirche in ihrer traditionellen mittelalterlichen Form ausgerichtet. Das Stift erneuerte seinen Teil der katholischen Kirche in Aachen angesichts der protestantischen Konfessionskirchen soweit, dass der institutionelle Fortbestand der Kirche und ihre Attraktivität für die Einwohner der Stadt nicht gefährdet waren. Die Kapitelherren richteten die Kirche aber nicht gegen die protestantischen Konfessionskirchen aus oder leiteten Schritte ein, die auf eine parallele Konfessionalisierung von Katholiken, Reformierte und Lutheraner in Aachen zielten. Ähnlich wie das Marienstift durch begrenzte Reformen, die nicht konfessionell polarisierten den Fortbestand von katholischer Kirche und Religionsleben sicherte, verfuhren auch andere katholisch-kirchliche Institutionen in Aachen: Das zweite Kanonikerstift in der Stadt – St. Adalbert – stabilisierte sich durch eine Reihe von Disziplinarmaßnahmen gegen seine Mitglieder und Amtsträger und erhöhte 1584 und 1604 die allgemeinen Anforderungen an die geistliche Qualifikation seiner Stiftsherren.341 Die örtlichen Franziskaner hatten bereits 1506 die Observantenreform angenommen. Sie konnten sich damit sicher im gemischtkonfessionellen Aachen positionieren. Erst 1628 hielt die Ordensniederlassung weiterreichende Reformen für notwendig.342 339

Vgl. Protokoll der Kapitelsitzung vom 19. September 1569, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 c, f. 12v und Protokoll zur Kapitelsitzung vom 5. Mai 1595, 11 d, f. 368r. 340 Vgl. Protokoll zur Kapitelsitzung vom 11. April 1594, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 273r. 341 Vgl. Dirk Tölke, Aachen – St. Adalbert, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 156–169, hier: S. 158–159. 342 Vgl. Frank Pohle, Aachen – Franziskaner, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Bd. 1: Aachen bis Düren. (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 37.) Siegburg 2009, S. 59–68, hier: S. 60.

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Das Marienstift und andere wichtige Organisationen der katholischen Kirche in Aachen veränderten sich während der Herrschaft protestantisch dominierter Magistrate in Aachen kaum. Sie entwickelten keine Agenda, sich angesichts der gemischtkonfessionellen Bevölkerung ihrer Stadt als Vorkämpfer des katholischen Konfessionalismus zu profilieren. Auch zwangen die protestantischen Konfessionskirchen oder die städtische Obrigkeit die Stifte und Klöster nicht, ihre Organisationsform oder ihre Beiträge zum katholischen Religionsleben grundsätzlich zu überdenken. Das Verhältnis zwischen dem Marienstift und dem Aachener Rat wurde von Streitigkeiten belastet, wie sie immer dann entbrannten, wenn geistliche Immunitäten mit umfangreichen eigenen Hoheitsrechten in der Mitte einer Stadt lagen. Konflikte entstanden vor allem, wenn Rat und Kapitel unterschiedliche Auffassungen über die Grenzen der Stiftsimmunität oder über die Auslegung der rechtlichen Freiheiten des Stifts vertraten. Rat und Stift mussten sich koordinieren, damit beispielsweise die Rechtspflege und die Gewerbeaufsicht an den Grenzen zwischen Ratsherrschaft und Stiftsimmunität nicht andauernd behindert wurde. Darüber hinaus wirkten sie bei bestimmten Gelegenheiten – insbesondere im Rahmen der alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumsfahrt nach Aachen – gemeinsam als Repräsentanten der städtischen Gemeinschaft. Ein bemerkenswerter Befund zu der Rolle, die das Marienstift innerhalb der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft spielte, lautet, dass die Beziehungen von Stift und reichsstädtischer Obrigkeit sich in den drei gerade skizzierten Bereichen kaum veränderten, während zunächst protestantisch dominierte Magistrate und später ein rein katholisches Stadtregiment die politische Macht in Aachen übernahmen. In der Zeit der protestantisch dominierten Magistrate wurde eine überschaubare Anzahl von Konflikten zwischen Marienstift und Rat soweit aktenkundig, dass der Verlauf der Auseinandersetzungen heute noch anschaulich ist. Diese Konflikte zu untersuchen, verspricht Antworten auf die Frage, ob eine religiös begründete Feindschaft zwischen Stift und Rat heranwuchs. Im Mai 1594 brach ein vom Rat beauftragter Zimmermann den Verkaufsstand eines Krämers auf dem Münsterkirchhof ab. Das Kapitel bestritt, dass der Rat über die Bebauung auf dem Kirchhof entscheiden und eigenmächtig den Abriss hatte verfügen dürfen. Indem sie gegen den Vorfall protestierten, leiteten die Vertreter des Stifts die Klärung des Konflikts mit dem Rat ein.343 Wenn sich Stift und Rat in solchen Fällen bemühten, Streitsachen zu entscheiden, entstanden daraus fallweise langwierige Prozesse. Das zeigt auch die Auseinandersetzung über die Hoheitsrechte über 343

Vgl. Protokoll zur Kapitelsitzung vom 23. Mai 1594, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 285rv.

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eine Straße, welche den Fischmarkt mit der Stiftsimmunität verband.344 Der Rat hatte an der Pflasterung dieser Straße, die vollständig von Häusern von Stiftsangehörigen gesäumt wurde, im Sommer 1595 Reparaturen vornehmen lassen. Das Stift protestierte dagegen, weil es für den Probst die alleinige Hoheit über die Straße beanspruchte. Es konnte sich dazu unter anderem auf eine Urkunde Friedrichs III. aus dem Jahr 1476 berufen, mit welcher der Kaiser die gesamte Straße der Stiftsimmunität zugeschlagen hatte.345 Dagegen behauptete der Rat, Reparaturen an dem Weg stünden beiden Parteien zu gleichen Teilen zu. Er stützte sich dazu auf einen noch älteren Rechtstitel aus dem Jahr 1407. Der entscheidende Punkt war, dass Konflikte zwischen Rat und Stiftskapitel auch in der Zeit der protestantisch dominierte Magistrate nicht eskalierten, obwohl häufig verworrene und uneindeutige Rechtslagen die Beilegung von Kompetenzstreitigkeiten erschwerten. Konfessionelle Fragen belasteten die Beziehungen nicht zusätzlich. In Streitfällen, die sich an schwereren Eingriffen in die Immunitätsrechte entzündeten, trugen Stift und Rat ihre Konflikte durchaus auch mit härteren politischen und rechtlichen Mitteln aus. So bemühte das Kapitel auf dem Höhepunkt des Streits um die versuchte Verhaftung und Verbannung eines vom Stift beschäftigten Boten durch den Rat im November 1595 die Hilfe des Kurfürsten von Köln. Ernst von Bayern ermahnte den Rat eindringlich die Rechte und Freiheiten des Stifts zu respektieren.346 Leonard Loetgens hatte Ende August als Bote im Namen des Kapitels Händler – vielleicht auch Schausteller und Taschenspieler – von der bereits bekannten Straße vom Fischmarkt zur Geiß verwiesen. Weil der Rat dadurch seine Hoheitsrechte verletzt sah, schickte er einen Bürgermeisterdiener, um Loetgens mitzuteilen, er habe sich bis zum Sonnenuntergang im Graßhaus einzufinden. Der Bote des Kapitels erfuhr nichts darüber, warum er einbestellt wurde, erhielt aber die Andeutung, dass die Sache durch ein Gespräch mit den Bürgermeistern ausgeräumt werden könne. Allerdings entschied sich Loetgens gänzlich dagegen, im Stadtgefängnis oder bei den Bürgermeistern vorzusprechen. Stattdessen meldete er den Besuch des Bür344

Vgl. zum Vorgang insgesamt Protokoll zur Kapitelsitzung vom 18. August 1595, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 391v–392r. 345 Vgl. Thomas R. Kraus (Hrsg.), Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Nach Archiven und Bibliotheken geordnet. Bd. 7: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regierungsbezirks Köln. Wien 1990, hier: Nr. 591. 346 Vgl. insgesamt zu dem Vorgang die Protokolle zu den Kapitelsitzungen vom 1. September 1595 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 398rv), 2. September 1595 (f. 398v–399r), 5. September 1595 (f. 399v), 7. September (f. 399v– 400r), 26. September 1595 (f. 405rv), 12. und 13. Oktober 1595 (f. 409r) und 6. November 1595 (413r–415v). Die Interzession von Kurfürst Ernst ist auf den Blättern 414v–415v des Protokollbuchs inseriert.

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germeisterdieners beim Vizedekan des Stifts, Johann Berchem. Berchem wiederum forderte vom amtierenden Bürgermeister Dietrich Vercken, das Pfortengebot umgehend zurückzunehmen. Leonard Loetgens unterstehe als Bediensteter des Marienstifts allein der Gerichtsbarkeit des Probstes. Nachdem Vercken erklärt hatte, er dürfe das Gebot ohne Rücksprache mit dem Rat weder aufheben noch aussetzen, befahl Johann Berchem dem Boten Leonard Loetgens, keinesfalls ins Graßhaus zu gehen, sondern sich bis auf weiteres auf dem Gebiet der Stiftsfreiheit aufzuhalten. Auf jeden Fall sollte der Eindruck vermieden werden, Loetgens, Berchem oder das Stift insgesamt, würde die Maßnahme des Rates als rechtmäßig anerkennen. Diese Grundsatzentscheidung bildete den Ausgangspunkt für den weiteren Konflikt: Bis zum 5. September 1595 beschloss der Rat, Loetgens für drei Monate aus der Stadt zu verbannen, weil er dem Graßgebot nicht nachgekommen war. Loetgens hatte allerdings dem Befehl des Kapitels gehorcht und hielt sich innerhalt der Stiftsimmunität auf, sodass die Bürgermeisterdiener den Bannbefehl lediglich seiner Tochter mitteilen konnten. Nach diesem Vorfall sprach Johann Berchem im Auftrag des Kapitels ein letztes Mal informell mit Bürgermeister Vercken. Er teilte ihm mit, das Stift sei fest entschlossen, seine Privilegien zu verteidigen. Falls der Rat sich nicht einsichtig zeige, werde man alle dazu nötigen Mittel ergreifen. Zwar trug Vercken dem Rat diese Warnung vor, doch folgten darauf keine für das Stift zufrieden stellende Entscheidung. Am 26. September 1595 protestierte das Kapitel zunächst in schriftlicher Form beim Rat. Am 12. und 13. Oktober beschloss das Kapitel dann, den Bischof von Lüttich, den Herzog von Jülich und in Düsseldorf anwesende kaiserliche Kommissare um Unterstützung im Streit mit dem Rat zu bitten. Nur Kurfürst Ernst setzte sich daraufhin für das Stift ein, indem er ein Befehlsschreiben an den Aachener Rat aufsetzte. Dass sich der Herzog von Jülich und die kaiserlichen Kommissare, nicht in die Auseinandersetzung einbrachten, ist bemerkenswert, weil durchaus die Gelegenheit bestanden hätte, den angeblichen Übergriff des protestantisch dominierten Rates auf die Privilegien des Marienstifts zum Thema der Causa Aquensis zu machen. Das geschah nicht, wodurch der bereits früher erhobene Befund gestützt wird, demzufolge die reichspolitische Auseinandersetzung um den religionspolitischen Status Aachens nur in Ausnahmefällen direkt auf lokale Konflikte Bezug nahm. Dementsprechend handelte Ernst von Bayern nicht als Akteur in der Causa Aquensis, als er auf der Seite des Marienstifts in den Streit um das Graßhausgebot gegen Leonard Loetgens eingriff. Die Autorität, dem Rat in dieser Sache Befehle zu erteilen stützte er voll und ganz auf sein Rolle als zuständiger Bischof und Schutzherr des Marienstifts. Der Kölner Kurfürst ersparte es dem Rat nicht, dessen Eingriff in die Rechte des

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Stifts mit scharfen Wort zu beschreiben. So warf er dem Magistrat vor, sich ohne Recht zum Meister über die Aachener Geistlichkeit aufzuschwingen.347 Er verband diesen Vorwurf aber nicht einmal ansatzweise mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit des protestantischen dominierten Stadtregiments, wie sie ihm Rahmen der Auseinandersetzungen um die ‚Aachener Sache‘ gestellt wurde. Somit verschärfte das Marienstift zwar die Auseinandersetzung über seinen Boten, in dem es seinen Bischof mit einbezog, sprengte aber nicht den Rahmen indem Konflikte mit dem Rat sich auch vor und nach der Herrschaft des protestantisch dominierten Magistrat bewegten. Streit zwischen Stift und Rat wurde mit überkonfessionellen Strategien beigelegt – weitgehend unabhängig von jeder konfessionellen Polarisierung in Aachen. So stellten die Bürgermeister im Falle des Streits über den Stiftsboten Loetgens unmittelbar nach Empfang des Befehlsschreibens Ernsts von Bayern in Aussicht, dass sich die Sache durch ein direktes Gespräch zwischen Vertretern von Rat und Kapitel sicher werde beilegen lassen. In der Folge ist nichts davon überliefert, dass noch einmal versucht worden wäre Graßhausbefehl oder Bann gegen Leonard Loetgens durchzusetzen. Auf die weitestgehend ungestörten Beziehungen zwischen Stift und Rat werfen Beispiele der Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen ein Schlaglicht: Im Februar 1596 untersuchte das Kapitel den Hintergrund moralischer Verfehlungen des Stiftsscholasters, der unter anderem im Konkubinat gelebt haben sollte. Als es während der Untersuchungen an den Punkt kam, an dem es Untertanen des Rates als Zeugen befragen musste, holte es dazu selbstverständlich die Erlaubnis der Bürgermeister ein. Die amtierenden Bürgermeister Simon Engelbrecht und Bonifacius Colyn sowie der Altbürgermeister Anastasius Segraedt erteilten die nötige Zustimmung offensichtlich ohne Probleme.348 Ein noch deutlicheres Indiz dafür, dass das Verhältnis zwischen Stift und Rat nicht durch Konfessionskonflikte zerrüttet war, ist deren Zusammenwirken bei der Vorbereitung und Durchführung der siebenjährigen Heiligtumsfahrt. Vertreter des protestantisch dominierten Stadtregiments wirkten in den Jahren 1587 und 1594 bei der feierlichen Öffnung der Behältnisse der Hauptreliquien, der Sorge für Sicherheit und Ordnung der Heiligtumsfahrt und der anschließenden Wiederverschließung und Versieglung der Heiligtümer mit. Für den reibungslosen Ablauf vor allem des rituellen Umgangs mit den Reliquien war es sicher hilfreich, dass hierzu keine protestantischen Mitglieder des Rates hinzugezogen werden mussten, sondern katholische Regimentsmitglieder wie zum Beispiel Bonifacius Colyn 347

Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 415r. Vgl. Protokoll zur Kapitelsitzung vom 16. Februar 1596, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 430rv. 348

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diese Aufgabe übernehmen konnten.349 Kapitel und Magistrat arbeiten in dieser Sache somit bis 1598 problemloser zusammen als bei der ersten Heiligtumsfahrt nach der katholischen Restitution. Im Jahr 1601 forderte das Stadtregiment, dass der gesamte Kleine Rat bei der Aufschließung der Hauptreliquien anwesend sein sollte. Der Magistrat sah den Eröffnungsakt wohl als besondere Gelegenheit, seine Katholizität zu demonstrieren. Das Kapitel wies diese Forderung letztlich erfolgreich mit dem Hinweis zurück, dass sie nicht den alten Gewohnheiten entsprach.350 Nicht nur dieses Beispiel zeigt, dass die Beziehungen des Kapitels zum 1598 restituierten Rat nicht harmonischer waren als zum vorangegangenen Regiment. Ein Reihe von Konflikten in den Jahren 1598 bis 1610, nahmen in etwa denselben Verlauf wie zuvor die Auseinandersetzungen mit dem protestantisch dominierten Magistrat. Auch die Anlässe für die Streitigkeiten waren vergleichbar: Stift und Rat stritten über das Recht, innerhalb der Stiftsfreiheit akzisefrei zu brauen,351 über die Kompetenzen des Kapitels, die Geschäfte von Krämern in der Immunität zu regulieren352 und über die Frage, ob Untergebene des Kapitels zum städtischen Wachtdienst herangezogen werden durften.353 Ein Streit über die Verpflichtung eines Bierbrauers des Stifts für die Wacht weitete sich im Januar soweit aus, dass ähnlich wie in der Auseinandersetzung über das Graßgebot gegen den Stiftsboten Loetgens im Jahr 1595 erst eine Intervention des Bischofs von Lüttich die Entscheidung brachte. Im übrigen wiederholten sich unter dem katholischen Regiment auch Streitigkeiten über Pfortengebote gegen Stiftsangehörige beziehungsweise über auf der Immunität vollzogene Pfortengebote.354 Schließlich dauerte auch der Streit über die Rechte an der Straße vom Fischmarkt zur Geiß an und markierte so die Kontinuität

349 Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 6rv, 9v, 278v und 302v–303r. Das Kapitel des Marienstifts protokollierte die Teilnahme des Rates an der Verwaltung der Heiligtümer. Ob das protestantisch dominierte Stadtregiment wirklich in vollem Umfang „[. . . ] in der gewöhnlichen Weise teilgenommen [. . . ]“ hat wie es J. Pschmadt, Aus dem „Buche Weinsberg“, in: Aus Aachens Vorzeit 15 (1902), S. 73–83, hier: S. 76 beschreibt, ist nicht sicher. 350 Vgl. Protokoll zur Kapitelsitzung vom 7. Juli 1601, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 344rv. 351 Vgl. Protokolle zur Kapitelsitzung vom 5. Juni 1601 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 335r). 352 Vgl. Protokolle zur Kapitelsitzung vom 20. Juni 1601 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 340r). 353 Vgl. Protokolle zur Kapitelsitzung vom 13. Dezember 1601 bis zum 22. Januar 1602 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 380r–393r). 354 Vgl. Protokolle zum 10. und 13. Juni 1609 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 238r–239r u. 242rv).

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der Beziehungen zwischen Stift und Rat über die Restitution von 1598 hinweg.355 Dass die Eskalation von Konflikten des Stifts mit den Obrigkeiten verschiedener Konfession sich in etwa im selben Rahmen bewegte, darf nicht den Blick darauf verstellen, dass die Stiftsherren sich in den 1580er und 1590er Jahren von den religionspolitischen Rahmenbedingungen durchaus unter Druck gesetzt fühlten. Das Kapitel des Münsterstifts erlebte die Zeit der wachsenden reformierten und lutherischen Konfessionskirchen und des protestantisch dominierten Stadtregiments als Krisenzeit, was aber nicht vorrangig daran lag, dass besondere Konflikte mit dem Stadtregiment hätten ausgetragen werden müssen. Vielmehr fielen die Jahre, in denen die Protestanten in Aachen die größten Freiheiten genossen, mit einer Zeit zusammen, in der das Stift durch den niederländischen Krieg viele seine Einkünfte aus den Niederlanden einbüßte.356 Dadurch gerieten die Stiftsherren nicht nur wirtschaftlich unter Druck, sondern sie begannen auch, die reformierte Konfession, die sie als treibende Kraft hinter dem Aufstand gegen die Herrschaft Philipp II. ausmachten, als konkrete politische Bedrohung zu betrachten. Sie verhielten sich deswegen allerdings gegenüber protestantische dominierten Stadtregiment nicht feindselig. Wie die Kapitelherren ihre Beziehungen zum protestantisch dominierten Stadtregiment verstanden und ob sie einen Entscheidungszwang zwischen konfessioneller Abgrenzung und Verständigung mit der weltlichen Obrigkeit verspürten, deuten zwei in den Protokollen der Kapitelsitzungen verzeichnete Vorgänge an, die im Zusammenhang mit der Causa Aquensis stehen. Zunächst fällt in diesem Zusammenhang auf, dass Bürgermeister und Rat im Mai 1589 das Kapitel baten, die Position des protestantisch dominierten Regiments in den Auseinandersetzungen um den politischen und konfessionellen Status Aachens zu stärken. Dazu sollten die Vertreter des Stifts bestätigen, dass das Stadtregiment entgegen anders lautender politischer Vorwürfe seit dem Kommissionsbeschluss von 1584 die katholische Kirche in Aachen weder allgemein beeinträchtigt habe, noch den Katholiken zwei Kirchen zu Gunsten der Lutheraner oder Reformierten abgenommen habe. Schon die Anfrage zeigt, dass der Rat sein Verhältnis zum Marienstift für weitestgehend intakt hielt. Ausgehend von der Antwort des Marienstifts beruhte diese Einschätzung wohl auf Gegenseitigkeit. Das Kapitel versprach, sich entsprechend des „[. . . ] nachparlichen gutten willen[s] [. . . ]“357 355 Vgl. Protokolle zum 8., 18. und 23. Juni 1610 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 330v–331r, 332v u. 334v). 356 Vgl. Reiner Nolden, Getreidepreise in Aachen nach Quellen des Marienstifts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 111/112 (2010), S. 59–99, hier: S. 66–67. 357 Protokoll zur Kapitelsitzung vom 19. Mai 1589, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 185v.

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kooperativ zu verhalten. Auch wenn das Kapitel vorschob, es könne auf die Fragen des Rates nicht eingehen, weil sie zuvor mit Amtsträgern diskutiert werden müssten, die sich nicht in Aachen aufhielten und das Stadtregiment dagegen protestierte, weil es vor allem die Antwort auf die Frage nach der angeblichen Übernahme zweier Kirchen durch Reformierte und Lutheraner für offensichtlich hielt,358 wurde ein Eklat zwischen Stift und Rat vermieden. Beide ließen die Sache auf sich beruhen. Weder setzte der Rat die Stiftsherren unter Druck, um das gewünschte Unterstützungschreiben zu erhalten, noch nutzte das Marienstift die Gelegenheit, dem protestantisch dominierten Regiment politischen Schaden zuzufügen. Offensichtlich legte das Marienstift großen Wert darauf, seine Beziehung zum Rat unabhängig von konfessionellen Verwerfungen in der Stadt und trotz des Drucks, der von den Konflikten um die Causa Aquensis ausging, zu pflegen. Dafür behielten die Siftsherren bis unmittelbar vor der Restitution von 1598 die nötigen Spielräume. So beschloss das Kapitel noch im Juli 1598 in Absprache mit dem Kurfürsten von Köln, keine der Parteien in der Causa Aquensis zu unterstützen.359 3.1.4 Ergebnisse: Religionspolitische Zurückhaltung als Grundlage des friedlichen Zusammenlebens Insgesamt betrachtet stellt sich die Verteilung der Kompetenzen und der tatsächlichen Beitrage zur Gestaltung des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen in Aachen zwischen der städtischen Obrigkeit und den einzelnen Konfessionskirchen so dar, dass die Hauptverantwortung für die friedliche Koexistenz von Katholiken, Lutheranern und Reformierten bei den Kirchen lag. Das Stadtregiment konnte und wollte nicht einmal eine subsidiäre oder vermittelnde Religionspolitik beisteuern, sondern beschränkte sich völlig darauf, die eigene Handlungsfähigkeit als überkonfessionelle Obrigkeit aufrechtzuerhalten und gleichzeitig durch allgemeine Garantieerklärungen und weitgehende religionspolitische Zurückhaltung jeder Konfession die Entfaltung ihrer Religion freizustellen. Jede der Konfessionskirchen hatte unterschiedliche Spielräume, um sich in der gemischtkonfessionellen Gesellschaft zu positionieren, die unter anderem von ihrer Größe und ihrer organisatorischen Stärke abhingen. Innerhalb dieser Freiräumen gestalteten sie kein formalisiertes System interkonfessioneller Koexistenz. Dennoch trugen alle Konfessionskirchen zumindest bis 1598 zum verhältnismäßig friedlichen Zusammenleben der Konfessi358 Vgl. Protokoll zur Kapitelsitzung vom 29. Mai 1589, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 190v–191r. 359 Vgl. Protokolle zu den Kapitelsitzungen vom 16. Juli 1598 und vom 24. Juli 1598, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 49v u. 52r.

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onsgruppen bei, indem sie ihre jeweiligen dogmatischen und kirchlichen Alleingeltungsansprüche nicht offensiv verfolgten, um das Konfliktpotential zwischen den Kirchen zu mindern. Um sich in der Konkurrenz zu den jeweils anderen Konfessionskirchen zu behaupten, ging keine der Kirchen soweit, in den anderen Konfessionsgruppen zu missionieren oder gar auf die Verbreitung des eigenen Bekenntnisses in der ganzen Bürgerschaft hinzuarbeiten. Katholiken, Lutheraner und Reformierte erkannten, welche Grenzen sie in der Entfaltung ihres Kirchenwesens setzen mussten, wenn sie nicht entweder den interkonfessionellen Frieden in der Bürgerschaft, die Beziehungen zwischen Kirche und städtischer Obrigkeit oder auch die Stellung der Reichsstadt Aachen aufs Spiel setzen wollten. Das institutionelle Handeln von Stadtregiment, Gaffeln und Konfessionskirchen erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, als hätten sie aus politischer Schwäche und unter dem Druck von Sachzwängen darauf verzichtet, auf die Verwirklichung einer monokonfessionellen Religionsverfassung für Aachen hinzuarbeiten. In all ihren Details und Widersprüchlichkeiten betrachtet erwiesen sich die Strukturen, auf die sich die Träger der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft stützten aber nicht als Mangelerscheinungen. Die Verfassung, die sie aus vorkonfessioneller Zeit beibehielten, die sie anpassten oder neu schufen, erfüllte die an sie gestellten Anforderungen. Das Stadtregiment konnte ohne konfessionalistische Verfassungsänderung den städtischen Frieden wahren. Die Gaffeln sorgten weiter für Geselligkeit und Nahrung, gerade indem sie die konfessionelle Spaltung ihrer Mitglieder verhinderten. Die Konfessionskirchen sicherten schließlich die Voraussetzungen für die religiöse Entfaltung ihrer Mitglieder, indem sie stellenweise auf die Erweiterung ihres Einflusses und auf radikale dogmatische Strenge verzichteten. Nicht aus Schwäche, sondern aus der Überzeugung heraus, auf einer festen organisatorischen und dogmatischen Basis zu stehen, machten gerade die Konfessionskirchen die Zugeständnisse, die nötig waren, um die Eskalation konfessioneller Konflikte zu vermeiden. Auch das Stadtregiment und die Gaffeln waren kaum durch widrige Umstände gezwungen, ihren vorkonfessionellen oder gemischtkonfessionellen Charakter zu akzeptieren. Vielmehr waren sie institutionell und organisatorisch stark genug, um eine in vielerlei Hinsicht überkonfessionelle Verfassung zu wählen. Die politische, gesellschaftliche und religiöse Verfassung Aachens garantierte unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment nach wie vor, dass die wichtigsten Institutionen der Stadt handeln konnten. Niemand war gezwungen, das städtische Gemeinwesen insgesamt auf eine völlig neue, monokonfessionelle oder rechtlich definierte bikonfessionelle Grundlage zu stellen. Überhaupt blieb eine systematische Neuordnung der Reichsstadt Aachen

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angesichts der neuen Herausforderung der konfessionell gespaltenen Bevölkerung aus. Stadtregiment, Gaffeln und Konfessionskirchen arbeiteten nur sehr punktuell koordiniert daran, die Vorraussetzungen für das friedliche Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen zu schaffen. Die verschiedenen Träger der gemischtkonfessionellen Gesellschaft handelten weitgehend aus eigenem Antrieb, hatten aber jeder für sich Interesse daran, in der Stadt keine Konfessionskonflikte eskalieren zu lassen. Die Institutionen, welche die Lebensumstände in Aachen maßgeblich gestalteten, schufen die Voraussetzungen für das Zusammenleben der Konfessionen, indem sie aufeinander und auf das gemeinsame Ziel des innterstädtischen Friedens Rücksicht nahmen. Sie koordiniert sich wie gesagt nicht, interagierten aber insofern miteinander, als jede obrigkeitliche, gesellschaftliche oder kirchliche Institution die Rechte, Bedürfnisse und Ansprüche der Anderen beachtete. Als Ergebnis dieser besonderen Art des Zusammenspiels schufen die tragenden Institutionen der Aachener Gesellschaft Grundlagen für das Zusammenleben der Konfessionen, die sich vor allem durch ihre Offenheit und ihre Beweglichkeit auszeichnete. Sie legten das Leben der Bewohner Aachens mitnichten auf Bahnen fest, auf denen alle Konfessionskonflikte ausgeschlossen waren. Vor allem schufen sie keine Strukturen, die das alltägliche und religiöse Leben der Aachener bis ins Detail festlegten. Die gemischtkonfessionelle Aachener Bevölkerung Aachens musste ihr Zusammenleben letztlich selbst ausgestalten.

3.2 Erfahrungsgemeinschaften der gemischtkonfessionellen Stadt Alle bisher erhobenen Befunde vermitteln zusammen das Bild einer hoch komplexen, unübersichtlichen und wandelbaren gesellschaftlichen Konstellation in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen. Die Einwohner Aachens mussten die reichsstädtische Politik und den Zustand der Bürgergemeinde dementsprechend als beweglich und ordnungsbedürftig erleben. Das gesellschaftliche und religiöse Leben der Aachener konnte damit nicht unmittelbar die Reichsstadt als einen einheitlichen politischen Körper repräsentieren. Die Einwohner Aachens erlebten nicht die mittelalterlichen Idealvorstellung der Gleichheit von bürgerlicher Genossenschaft und corpus christianum. Ebensowenig prägte ein politisches Gemeinwesen, das sich um eine eindeutige und alleingültige konfessionelle Religion herum konstituierte, ihre Lebenswirklichkeit. Fehlte eine stabile Repräsentation der politischen Ordnung Aachens im Alltag der Aachener tatsächlich vollständig, mussten die Bürger und Einwohner zwangsläufig verunsichert und unruhig werden und den Zusammenhalt

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der gemischtkonfessionellen Gesellschaft schließlich sprengen. Allerdings taten sie eben dies lange Zeit nicht: Die Einwohner Aachens bemühten sich, als Mitglieder ihrer Gaffeln und Konfessionskirchen stattdessen erfolgreich um die Stabilisierung der Position Aachens im reichspolitischen Diskurs und festigten die politischen und kirchlichen Institutionen in Aachen. Die Stadt war trotz der politischen Streitigkeiten und der religiösen Unentschiedenheit nicht in Wirren versunken und zerfallen. Scheinbar machten die Aachener Einwohner trotz aller Krisen und Unsicherheiten im ausreichenden Maße die Erfahrung von überkonfessioneller Zusammengehörigkeit und Stabilität. Erst der Verlauf der finalen innerstädtischen Krise der Jahre 1611 bis 1614 legt nahe, dass sich die Lebenswelten der verschiedenen Konfessionsgruppen zu diesem Zeitpunkt soweit verändert und voneinander getrennt hatten, dass verschiedene konfessionsspezifische Gruppenerfahrungen zur Desintegration der städtischen Gemeinschaft beitrugen. Den traditionellen symbolischen Repräsentationen der gesamten Reichsstadt, welche die gemischtkonfessionelle Gesellschaft übernahm und abwandelte, sind die Erfahrungen gegenüberzustellen, welche die Einwohner Aachens abhängig davon machten, welcher Konfessionsgruppe sie angehörten. Dabei stellt sich die Frage, ob jede Repräsentation einer Konfessionskirche im öffentlichen Raum der Stadt einem Versuch zur konfessionellen Vereinnahmung der Bürgergemeinschaft und damit einem Beitrag zu ihrer konfessionellen Polarisierung gleichkam. 3.2.1 Die gemischtkonfessionelle Bürgergemeinde als christliche Gemeinschaft Ausgehend von der Hypothese, dass seit den 1570er Jahren bis zur letzten Eskalation innerstädtischen Unruhen potentiell Angehörige aller Konfessionsgruppen duldsame bis unterstützende Einstellungen gegenüber dem gemischtkonfessionellen status quo der reichsstädtischen Gesellschaft erleben konnten, ist es sinnvoll, zunächst mögliche überkonfessionelle Repräsentationen der Bürgergemeinde zu betrachten, durch welche die Bürgergemeinschaft sich insgesamt als Erfahrungsgemeinschaft festigte. Gemeinsame Erfahrungen machten die Aachener vor allem in ihren Zünften und in der Wahrnehmung ihrer städtischen Obrigkeit. 3.2.1.1 Das gesellschaftliche Leben in den Gaffeln Die Gaffeln trugen in sehr ähnlicher Weise zur Repräsentation der reichsstädtischen Ordnung und der bürgerlichen Gemeinschaft bei, wie sie politisch den Scharnier zwischen der Bürgerschaft aller drei Konfessionsgruppen und dem Rat als eigentlichen Träger der politischen Macht bildeten. Das

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gesellige Leben in den Gaffeln stand stellvertretend für den Zusammenhalt der gesamten Bürgergemeinschaft. Die Genossen jeder der Gaffeln, die gleichzeitig die politisch und gesellschaftlich relevanten Männern der Stadt waren, drückten ihre Gemeinschaft in symbolträchtiger Art und Weise auf den jährlichen Stuhltagen aus. Bei dieser Gelegenheit organisierten die Gaffeln nicht nur ihre politischen Funktionen, indem sie sowohl die Amtsträger ihrer Selbstverwaltung als auch die Geschickten für den Rat wählten. Sie bestärkten auch Freundschaft und Frieden der Gaffelmitglieder, indem sie die gesellige Mahlzeit in den Mittelpunkt des Stuhltags stellten. In der Regel setzten die Gaffeln diese repräsentative Geselligkeit über die politischen Umbrüche und religionspolitischen Veränderungen des Untersuchungszeitraums hinweg unvermindert fort. Lediglich finanzielle Engpässe ließen die Gaffeln zeitweilig darüber nachdenken, ihre Stuhltage auszusetzen oder einzuschränken.360 Verständigungsschwierigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten verhinderten die Stuhltage nicht. Das war alles andere als selbstverständlich, weil die Tradition der zur Üppigkeit neigenden Gastmähler beispielsweise ins Visier der gegen ausschweifende Festlichkeiten gerichteten reformierten Kirchenzucht hätten geraten können.361 Darüber hinaus hatten die Stuhltage auch religiöse Komponenten. Zumindest ein Gemeinsames Gebet war im Zuge der Festlichkeiten unerlässlich. Auch über dessen angemessene Form hätten die Vertreter der verschiedenen Konfessionsgruppen in den Gaffeln streiten können. Offensichtlich ließen sie solche Konflikte aber zumindest nicht bis zu dem Punkt eskalieren, an dem eine überkonfessionelle Gemeinschaft unmöglich geworden wäre. Eine Möglichkeit, die christliche Gemeinschaft innerhalb der Gaffeln trotz bestehender konfessioneller Differenzen aufrechtzuerhalten, deuten die Formeln an, welche das christliche Selbstverständnis der Bock- und Schneidergaffel in deren Zunftbüchern zum Ausdruck brachten: Genauer gesagt hatten die Verantwortlichen der Gesellschaft zum Bock auf den ersten Seiten des Mitgliederverzeichnis der Gaffel bezeichnenderweise zwei Formulierungen gestrichen. Zunächst strichen sie ein kurzes, gereimtes Gebet, das den Schutz der Heiligen Maria für neu aufgenommenen Gaffelmitglieder erbat.362 Nur einige Zeilen später fiel eine Bitte für das Seelenheil verstor360

Vgl. dazu die Überlegungen der Gesellschaft zum Bock, den Stuhltag wegen der 1587 andauernden allgemeinen Teuerung auszusetzen. Rechnungsbuch der Bockzunft 1553–1618, StAAa, HS 225D (Zünfte), f. 34v. 361 Nur einmal kritisierten die reformierten Konsistorialen in Aachen im Rahmen der dokumentierten Kirchenzucht ausdrücklich die Geselligkeit in den Zünften, als sie am 2. Dezember 1597 Heinrich Welters, Wilhelm Leersch und Jan Fründt vorluden. Die drei hatten an einem Fast- und Bettag der reformierten Gemeinde auf ihrer Gaffel gefeiert (Protokollbuch I, S. 77). 362 Der auch nach der Streichung lesbare Text lautet

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bener Mitglieder der Streichung zum Opfer.363 Beide Wendungen waren mit reformierten und lutherische Vorstellung zur Heiligenverehrung und zum Heilserwerb nicht zu vereinbaren. Ein überkonfessionelles, christliches Selbstverständnis hielt die Schneidergaffel 1589 auf dem Titel ihres neu angelegten Zunftbuches fest: „Anno 1589 den 12. Jannywairus die furcht des herren is ein anfang aller weysheit also hatt gott die welt geleybt dais Er seynen Eyngen geboiren son geif auf dais all die yenyge die an Ihen geleuben nicht verloirren werden sonder dais Ewich Leben haben Diet boich gehoirt zu der schneider gaiffel fyr gott und haild seyn geboiedt“ 364 Die katholischen, reformierten und lutherischen Mitglieder der Gaffel drückten gemeinsam ihr Vertrauen in die göttliche Gnade und ihren Willen zur Befolgung der christlichen Gebote aus. Die Gemeinschaft innerhalb der Gaffeln blieb auch im Bereich der Bestattungskultur bestehen. Zu den gesellschaftlichen und religiösen Aufgaben der Gaffeln gehörte von jeher die kollektive Sicherung einer würdigen Bestattung und eines angemessenen Totengedenkens. Ungeachtet der unterschiedlichen konfessionellen Bestattungstraditionen und des vorsichtigen Abrückens der Gesellschaft zum Bock vom typisch katholischen Brauch der Gebete für das Seelenheil verstorbener Genossen büßten die Gaffeln ihre Bedeutung für die Bestattung ihrer Mitglieder nicht ein. So ließ die Gaffel der Fassbinder noch im Jahr 1578365 und die Schneidergaffel in den Jahren 1591 und 1595366 neue „Leichenkleider“ anfertigen. Die Gewänder, die beim Bestattungsritus der Gaffelgenossen verwandt wurden, behielten also ihren Nutzen auch als viele Protestanten in den Gaffeln vertreten waren. Erst die religionspolitischen Veränderungen im Zuge der ersten katholischen Restitution schränkten diese überkonfessionelle, religiöse Erfahrung der Aachener Bürger ein. Die ‚Protestantische Bürgerschaft‘ beklagte im Juli 1611, dass „[. . . ] obwohl die gaffelen und geselschafft besondere grabkleider machen lassen, welch die Religions verwandten so wol als „S. Maria maget fyn, wilt deßer gesellen geleide syn. Amen“ – vgl. Mitgliederverzeichnis der Bockzunft, StAAa, HS 398 (Zünfte), f. 2r. Vgl. ebd. 364 Zunftbuch der Schneider 1570–1624, StAAa, HS 108 (Zünfte), f. 3r. 365 Vgl. Faßbinderzunft. Ratssatzungen, Namen von Meistern, Greven u. Lehrjungen 1576–1595 (1637), StAAa, Faßbinderzunft-Truhe 7, Eintrag zum St. Jakobstag [25. Juli] 1578, f. 113r. 366 Vgl. Zunftbuch der Schneider 1570–1624, StAAa, HS 108 (Zünfte), f. 58v zum 15. Juli 1591 und zum 13. Juli 1595. 363

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die catolischen bezalt, das doch den abgestorbenen die gaffels klyder verweigerdt werden, und den gaffelen verbotten wirdt, das sy ihre abgestorbener gaffels genossen so sich zu der religion bekandt zu der begrebnis nit begleiten durffen [. . . ]“ 367 Die bekannten Edikte von Rat und Sendgericht verboten den Aachenern ausdrücklich, weder an den Begräbnissen ihrer protestantischen Gaffelgenossen teilzunehmen, noch zwangen sie die Gaffeln dazu, die Vergabe ihrer Leichenkleider konfessionell zu beschränken. Dennoch verhinderten schon die restriktiven Auflagen der Obrigkeit zur Teilnehmerzahl protestantischer Begräbnisse und der hinter der neuen Gesetzgebung stehende Gedanke, jeden öffentlichen, demonstrativen Charakter der Trauerzüge zu verhindern, dass die Gaffeln auf traditionelle Art und Weise an den Beerdigungen ihrer protestantischen Mitglieder teilnahmen. Bis 1611 hatte sich der überkonfessionelle Umgang mit den Trauerzügen also nicht durch eine zunehmende konfessionelle Polarisierung innerhalb der Gaffeln erledigt, sondern durch den verschärften religionspolitischen Rahmen. Leider ist kaum etwas darüber zu erfahren, ob die Aachener ihr übriges religiöses Leben innerhalb der Gaffeln in ähnlicher Weise frei von konfessioneller Polarisierung halten konnten. Die Gaffeln besetzten seit dem Mittelalter eine Schlüsselposition für die Frömmigkeit der Aachener. Sie waren neben gewerblichen, politischen und gesellschaftlichen Organisationen auch religiöse Bruderschaften. Als solche unterhielten sie Altäre, stifteten Messen, feierten ihre Patronatsfeste und ließen ihre Mitglieder organisiert an Prozessionen teilnehmen. Über all diese Aktivitäten der Gaffeln in Aachen ist allerdings wenig bekannt.368 Ausschließlich religiös definierte Bruderschaften ohne zusätzlichen gewerblichen und politischen Hintergrund standen im Schatten des starken religiösen Engagements der Gaffeln.369 Die Quellen berichten aus dem Religionsleben der Gaffeln während des Untersuchungszeitraums von keinen größeren Konflikten zwischen Katholiken und Protestanten. Die Gaffelmitglieder vermieden, ihre Gesellschaften konfessionell zu spalten. Damit hatten sie sich ähnlich entschieden, wie religiöse Bruderschaften in der benachbarten Reichsstadt Köln. Dort hatten sich vorreformatorische religiöse Laiengemeinschaften der katholischen Konfessionalisierung der Stadt entzogen. Sie stellten an die Religiosität 367 „Verzeichnuß etzliche beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 82v. 368 Einen Überblick liefert Hermandung, Das Zunftwesen der Stadt Aachen bis zum Jahre 1681, hier: S. 67 u. S. 88–91. 369 Vgl. Joseph Gaspers, Die Sakramentsbruderschaft von St. Foillan, 1521 bis 1921. Aachen 1921, hier: S. 3.

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ihrer Mitglieder weiterhin lediglich die Forderung, dass sie ihren „Vertragspflichten“ gegenüber Genossen nachkamen. Versäumnisse nahmen die Bruderschaften nicht etwa zum Anlass sie zu größerer Frömmigkeit oder konfessioneller Disziplin zu erziehen – das blieb den später gegründeten Brüderschaften vorbehalten, die sich an die katholischen Reformorden der Jesuiten und Kapuziner anschlossen:370 Vom Verhalten der Laienbruderschaften in Köln lässt sich vorsichtig auf die religiösen Erfahrung schließen, die katholische, reformierte und lutherische Mitglieder der Gaffeln in Aachen machten. Die Aachener konnten ihre gaffelgebundene Frömmigkeit nicht wie die Kölner mit allen Gaffelgenossen fortsetzen. Die protestantischen Bürger mussten sich von einigen traditionellen religiösen Praktiken distanzieren, weil sie den Dogmen ihrer Konfessionskirche widersprachen, auch wenn sie nicht spezifisch konfessionell katholisch waren. In Köln fiel es weniger ins Gewicht, dass einige Aspekte der vorkonfessionellen Frömmigkeit von Protestanten nicht mitgetragen wurden. Zum Einen waren Reformierte und Lutheraner in Köln eine marginale Minderheit. Zum Anderen waren Laienbruderschaften in Köln von den Gaffeln getrennt, sodass Protestanten nicht zur Mitgliedschaft gezwungen waren. Die Freiräume, welche den Mitgliedern der Bruderschaften beziehungsweise Gaffeln in Köln und Aachen entstanden, weil sie für Versäumnisse bei ihren religiösen Pflichten lediglich finanziell bestraft wurden, waren aber trotz der genannten Unterschiede ähnlich: In Aachen konnten Protestanten, ohne ihr religiöses Gewissen zu belasten, Mitglieder ihrer Gaffeln bleiben und sogar an ausgewählten Teilen von deren Religionsleben teilzunehmen. Gleichzeitig blieb innerhalb die Gaffeln Raum für einige traditionelle Formen christlicher Frömmigkeit, denen im Zuge der Abgrenzung der verschiedenen Konfessionskirchen in Aachen ein konfessionell-katholischer Charakter zugeschrieben worden war. Dazu gehörte prinzipiell auch die Teilnahme an Prozessionen. Insgesamt verraten die Quellen wenig darüber, wie aktiv die katholische Konfessionsgruppe unter der protestantisch dominierten Obrigkeit den Brauch feierlicher religiöser Umgänge durch die Immunitätsbezirke einzelner Kirchen, zwischen verschiedenen Gotteshäusern oder insgesamt durch die Stadt ausübten. Sicherlich stellten die Aachener nicht alle Prozessionen ein. Zwar verzichteten das Marienstift und das Stadtregiment bis 1598 darauf, die gemeinsame Prozession zum 370 Vgl. Rebekka von Mallinckrodt, Reichweite und Grenzen des Konfessionalisierungs-Paradigmas am Beispiel Kölner Laienbruderschaften des 17. Jahrhunderts. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, in: Kaspar von Greyerz (Hrsg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 201.) Gütersloh 2003, S. 16–47, hier: S. 18–19, 25, 37 u. 42.

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Sakramentstag durchzuführen, die zweifelsfrei die größte und aufwendigste in Aachen war. Die Veranstalter entschlossen sich, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, allerdings wegen der besonderen politischen Bedeutung der Fronleichnamsprozession zu diesem Moratorium.371 Verschiedene andere Prozessionen zogen regelmäßig durch Aachen.372 Wenn sich die Kapitelherren dazu entschlossen, sie ausfallen zu lassen oder ihren Ablauf zu ändern, begründeten sie ihren Entscheidung häufig mit der allgemeinen politischen Unsicherheit, mit der übermäßigen finanziellen Belastung des Stifts und insbesondere mit der Gefahr, dass Prozessionen, die sich außerhalb der Stadtmauern bewegten, kriegerischen Übergriffen zum Opfer fallen könnten.373 Nichts deutet darauf hin, dass die Aachener Gesellschaft und insbesondere die Gaffeln sich bis 1598 soweit konfessionell polarisiert hatten, dass sie Bürger und Klerus zwangen, auf Prozessionen zu verzichten. Auch wenn die überlieferten Statuten, welche die Teilnahme der Gaffelgenossen an bestimmten Prozessionen regeln, sich nicht auf die Zeit bis 1598 beziehen,374 371

S. u. S. 391. Vgl. den Beschluss des Kapitels vom 14. August 1578, eine Prozession zur Abwendung der Pest von Aachen durchzuführen, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 c, f. 183r. Ähnliche Prozessionen, die zusätzlich den Erfolg der in Köln stattfindenden Vermittlungsversuche im Niederländischen Krieg dienen sollten, beschloss das Kapitel noch einmal am 16. Mai 1579, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 c, f. 206rv. Am 25. Juli 1587 beschloss das Kapitel auf Anregung des Bischofs von Lüttich, mehrere Prozessionen zur Abwendung göttlicher Strafe durchzuführen – LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 9v–10r; am 15. Mai 1588 beschlossen die Stiftsherren während des Generalkapitels ein Prozession anlässlich des von Papst Sixtus ausgerufenen Jubiläums – vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 78r. 373 Vgl. Protokoll zur Kapitelsitzung vom 15. Mai 1577, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 c, f. 125v–126r; außerdem zum 19. und 20. Januar 1579, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 c, f. 196r. Am 23. Mai 1588 stellte das Kapitel ausdrücklich fest, dass die Gründe, die eine Prozession nach Burtscheid zuvor verhindert hatten, nun nicht mehr vorlägen. Lediglich die Abwesenheit des Dechants, der die endgültige Entscheidung in dieser Sache hätte treffen müssen, führte dazu, dass die Prozession erneut innerhalb der Stadtmauern verlief – vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 77rv. Am 15. Mai 1594 beschloss das Kapitel, dieselbe Prozession wiederum ausschließlich innerhalb Aachens durchzuführen – vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 279v. Entscheidungen des Kapitels vom 24. April 1596 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 441r) und 24. April 1598 (LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 23r) zeigen darüber hinaus einen weiteren nicht mit konfessionellen Konflikten zusammenhängenden Grund für den unregelmäßigen Ablauf von Prozessionen: Gefangene im Graßhaus, konnten die Freiheit erlangen, indem sie sich einer vorbeiziehenden Prozession anschlossen. Wollte der Vogtmeier dies in Einzelfällen sicher ausschließen, gestand das Kapitel ihm zu, die Prozession über einen Weg zu führen, der das Graßhaus nicht berührte. 374 Vgl. entsprechende Bestimmungen der Hutmacherambacht vom 14. September 372

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ist davon auszugehen, dass katholische Mitglieder der Gesellschaften auch unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment an Prozessionen teilnahmen. Weil die organisierte Religiosität der Gaffeln keinen erzieherischen Impetus an den Tag legte, stand es den lutherischen und reformierten Gaffelgenossen gleichzeitig frei, sich von den Prozessionen fern zuhalten. Ihre Konfessionskirche lehnte Prozessionen, wie gesehen, als eindeutig katholischkonfessionelle Praktik ab. Die Aachener Bürger machten also auf Grundlage der vertragsmäßig organisierten Religiosität der Gaffeln nicht unbedingt überkonfessionelle religiöse Erfahrung, sie erlebten innerhalb der Gaffeln aber durchaus, dass sie unterschiedliche Frömmigkeitsformen konfliktfrei und ungestört nebeneinander ausleben konnten. Erst die Laienbruderschaften, welche die Jesuiten seit 1603 aufbauten, schränkten vergleichbare Erlebnisse in der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft deutlich ein.375 Die Jesuiten wollten damit den führenden, katholischen Teil der Aachener Gesellschaft zu katholisch-konfessioneller Frömmigkeit erziehen und sie zur stärkeren Abgrenzung von den Reformierten und Lutheranern in der Stadt bewegen. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn die in den Brüderschaften der Jesuiten geförderte Frömmigkeit gerade im Vergleich zur interkonfessionellen Vermittlung innerhalb der Gaffeln als Bedrohung der Einigkeit zwischen den Einwohnern betrachtet wurde. Einen entsprechenden Eindruck von der Wirkung der Marianischen Kongregationen geben die Beschwerden der ‚evangelischen Bürgerschaft‘ im Juli 1611 wieder: Die Jesuiten hätten die Mitglieder ihrer Laienbruderschaften dazu verleitet, jedes politische und private Geheimnis an die Patres zu verraten, „[. . . ] dadurch sich dan offt zu dieser statt begibt, das manchen den seinenn frundt, nachbar oder vertrawten mit burger by sich zu haben vermeint, sich bey seinem feyent und verräther finden thudt [. . . ]“.376 Auch wenn die Schärfe dieses Vorwurfs zum Teil den im Sommer 1611 brisanten politischen Situation in Aachen und dem bei Protestanten allgemein verbreiteten Feindbildern gegen den Jesuitenorden geschuldet war, verdeutlicht er doch den Kontrast zwischen den Freiheiten, die das Religionsleben innerhalb der Gaffeln für eine interkonfessionelle Verständigung ließ und der konfliktfördernden Wirkung der jesuitischen Gründungen. 1684, StAAa, RA II, Allg. Akten 372 (Zünfte), 1r–7v. Auch Hermandung, Das Zunftwesen der Stadt Aachen bis zum Jahre 1681, hier: S. 89 kann lediglich sagen, dass es 1577 bei den Zünften „gebräuchlich“ gewesen sei, in bestimmter Form an der Prozession zum Sakramentstag teilzunehmen. 375 Vgl. zur Gründung der Sodalitäten zusammenfassend: Pohle, Aachen – Jesuiten, hier: S. 72. 376 „Verzeichnuß etzliche beschwernissen deren sich gemeine Religions Verwandten der Statt Aach beclagen“ [23. Juli 1611], Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 81r.

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Trotz der Möglichkeiten für überkonfessionelle Erfahrungen, welche die Gaffeln boten, wäre es verfehlt in diesem Bereich ihren größten Beitrag zur Stabilisierung der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft zu sehen. Weiter oben wurden bereits beschrieben, wie die Gaffeln über die konfessionellen Veränderungen hinweg lange Zeit ihre Funktion als politische Institutionen weiter erfüllten und so der konfessionellen Polarisierung und Spaltung Aachens entgegenwirkten. Wenn die Bürger über konfessionelle Grenzen hinweg ihre Obrigkeit als funktionsfähig und verfassungskonform wahrnahmen, waren diese Erfahrung nicht zuletzt in der regulären politischen Tätigkeit der Gaffeln begründet. Noch mehr als das politische Leben prägten die Gaffeln allerdings das wirtschaftliche Leben in Aachen. Diejenigen Gaffeln die zugleich Ambachten, dass heißt die genossenschaftlichen Vereinigungen eines bestimmten Handwerks oder Gewerbezweigs waren, regelten den Zugang zu diesem Gewerbe und legten die Normen fest, nach denen die Gewerbetreibenden produzierten und ihre Waren vertrieben. Auf diese Weise sollten sie das wirtschaftliche Auskommen ihrer Mitglieder sichern. Die Frage, ob die Gaffeln unter den verschiedenen Stadtregimentern die Aachen zwischen 1555 und 1614 hatte, der Aufgabe gerecht wurden, die ‚Nahrung‘ ihrer katholischen, reformierten und lutherischen Mitglieder zu sichern, war eng damit verknüpft, wie die Aachener ihre gemischtkonfessionelle Stadt erlebten. Hätten die Aachener einer Konfessionsgruppe beispielsweise erfahren, dass Mittglieder anderer Konfessionskirchen sie regelmäßig gegen die Prinzipien der Gaffeln wirtschaftlich benachteiligt, hätte dies unmittelbar zu ihrer Unzufriedenheit mit dem gemischtkonfessionellen städtischen Gemeinwesen beigetragen. Tatsächlich waren solche Erfahrungen aber bis 1598 nicht repräsentativ für die Lebenswelten der Aachener. Lediglich im Zuge der politischen Krise zu Beginn der 1580er Jahre klagten Akteure der katholischen Interessengruppe an, dass die protestantischen Kupfermeister Arbeit ausschließlich an Glaubensgenossen vergeben würden und so vielen katholischen Einwohner Aachens die Lebensgrundlage entzogen hätten.377 Statt wirtschaftliche Diskriminierung aufgrund ihrer Konfession zu erfahren, erlebten die Aachener in der Regel, dass die Gaffeln auch ihre wirtschaftspolitischen Aufgaben erfüllten. Dafür mussten die Gaffeln auch mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment zusammenarbeiten. Eine Reihe von gewerbepolitischen Entscheidungen, die der Magistrat zwischen der Wiederzulassung protestantischer Bürger zu Rat und Ämter 1574 und der katholischen Restitution von 1598 durch die Gaffeln umsetzte, zeigen, dass eben diese Zusammenarbeit funktionierte: So richtete die Gaffel der Brauer 1587 eine Supplikation an Bürgermeister 377

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und Rat, weil viele Einwohner in Aachens, die nicht zu ihrem Ambacht gehörten, Bier brauten und ausschenkten. Diese Konkurrenz ließe die Brauerfamilien Aachens verarmen – umso mehr, weil die gegenwärtige Teuerung viele unter ihnen bereits in ein prekäre Lage gebracht habe. Die Bürgermeister Simon Engelbrecht und Bonifacius Colyn erließen aufgrund dieser Eingabe ein Edikt, demnach nur noch Angehörige der Brauergaffel „hohes bier“ in Aachen brauen oder nach Aachen einführen durften. Insbesondere Schankwirte und die Betreiber von Herbergen, sollten durch den Erlass dazu gezwungen werden, vom Bierausschank abzulassen.378 Die obrigkeitliche Verordnung stand bereits in Kontinuität zu einem vergleichbaren Edikt aus dem Jahr 1579 – also aus der Zeit unmittelbar bevor das Stadtregiment mehrheitlich protestantisch besetzt war.379 Zwanzig Jahre später, am 21. Oktober 1599, bestätigten die katholischen Bürgermeister Ägidius Valenzin und Christian Meeß das Privileg für die Brauer.380 Sie bekräftigten damit gleichzeitig, dass die konfessionelle Vielfalt in Aachen kein Hindernis für die wirtschaftspolitischen Interessen der Gaffeln sein musste. Bürgermeister und Rat wahrten über den politischen Bruch von 1598 eine gewisse Kontinuität der Gewerbepolitik. Sie förderten so überkonfessionelle Erfahrungen von politischer und wirtschaftlicher Sicherheit in den Gaffeln. Dagegen stehen einige gewerbepolitische Beschlüsse aus der Zeit nach 1598, die den Eindruck vermitteln, als hätten Rat und Gaffeln die Entwicklung des Handwerks in der Zeit der protestantisch dominierten Stadtregimenter nicht zum Besten der Stadt gestaltet: Am 21. Oktober 1599, also noch während der Aufbauphase des katholischen Stadtregiments, ergänzte die Ambacht der Bombasinenmacher ihre Satzung, um den Zugang neuer Meister zu dem Handwerk einzuschränken. Ambacht und Rat, der die Ordnung und ihre Ergänzungen als Privileg gewährte, verpflichtete Anwärter auf die Stellung eines Bombasinenmachermeisters auf eine mindestens zweijährige Lehrzeit, auf die Vorlage eines Probestücks bei den Greven und Siegelmeistern der Ambacht und auf die Zahlung eines Ambachtsgelds von sechs Gulden. Magistrat und Ambacht begründeten diesen Schritt damit, dass das Handwerk bisher, also offensichtlich in der Zeit des protestantisch dominierten Rates, von zu vielen Meistern ausgeübt worden sei. Durch die Reform der Ambachtsordnung stellten sie sicher, dass in Aachen zukünftig wieder gute Kaufmannsware hergestellt werde.381 Möglicherweise hatten die städtische Obrigkeit und die Ambacht der Bombasinenmacher vor 1598 aus konfessionalistischen Motiven zu großzügig neue Meister zugelassen. 378 Vgl. bis 6v. 379 Vgl. 380 Vgl. 381 Vgl.

Rollen und Protokolle der Brauer 1577–1674, StAAa, HS 136 (Zünfte), f. 5v Rolle der Brauer, StAAa, RA II Allg. Akt. 358 (Zünfte), f. 8r. Rollen und Protokolle der Brauer 1577–1674, StAAa, HS 136 (Zünfte), f. 7r. Bombasinenmacher. Rolle 1572–1618, StAAa, HS 410, f. 9r.

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Die Herstellung von Baumwollmischstoffen war durch niederländische Zuwanderer in Aachen eingeführt worden. Es ist nicht auszuschließen, dass Mitglieder der reformierten Konfessionsgruppe in Ambacht und Rat die weitere Zuwanderung von konfessionsverwandten Bombasinenmachern aus den überwiegend reformiert geprägten Gewerberegionen der Niederlande so sehr begrüßten, dass sie Überlegungen zu einem möglichen Überangebot oder zu einem Qualitätsverfall innerhalb des Handwerks dagegen zurückstellten. Katholische Bombasinenmachermacher und andere textilherstellende Handwerker konnten einen solchen politischen Einschlag als konfessionelle Diskriminierung und als Makel des gemischtkonfessionellen Aachener Gemeinwesens erleben. Erst als sich die religionspolitischen Gräben in der Stadt zwischen 1611 und 1614 entscheidend vertieften, büßten Gaffeln und Stadtregiment die Fähigkeit ein, aus einer überkonfessionellen Haltung heraus, angemessene Bedingungen für Handwerk und Handel in der Stadt zu schaffen. Nach dem Aufstand im Sommer 1611 erzwangen die Deputierten der evangelischen Bürgerschaft und später der neue, protestantisch dominierte Stadtrat offensichtlich die Aufnahme von Protestanten in bestimmte Gaffeln, ohne dabei Rücksicht auf die nötigen wirtschaftspolitischen Erwägungen zu nehmen. Konkret beschwerte sich die Aachener Brauerambacht am 30. September 1614, „[. . . ] daß Johan Lonssen und Frein Morsbach durch die Regimentsfuhrer ihnen in ihrem Ambacht uffgetrungen [. . . ]“ worden waren.382 Der Rat beschloss daraufhin, Lontzen und Morsbach seien aus der Brauerambacht auszuschließen. Nicht nur bei dieser Gelegenheit stellte das 1614 restituierte, katholische Stadtregiment klar, dass es die gerade abgesetzte Obrigkeit nunmehr ausschließlich als konfessionspolitischen Gegner betrachtete und dass es selbst deren Gewerbepolitik möglichst vollständig revidieren wollte. Von einer konfessionell unbeeinflussten, kontinuierlichen Gewerbepolitik von Rat und Gaffeln konnte zu diesem Zeitpunkt kein Rede mehr sein. Bürgermeister und Rat markierten diesen Einschnitt noch im Herbst 1614 ein weiteres Mal, als sie entschieden, dass der Bierbrauer Christian Meeß, der Jüngere, nicht bestraft werden dürfe. Meeß hatte sich geweigert, Regeln seiner Ambacht zu befolgen, die das abgesetzte Stadtregiment aufgestellt hatte. Darüber war er mit den Führern der Zunft in einen Streit geraten, der über die Restitution des katholischen Rates hinaus angehalten hatte.383 Die Entscheidung des Rates, Christian Meeß in seiner unversöhnlichen Haltung gegenüber der Gewerbepolitik des protestantisch dominierten Rates zu unterstützen, zielte darauf ab, das Wirtschaftsleben innerhalb der Gaffeln 382 383

Rollen und Protokolle der Brauer 1577–1674, StAAa, HS 136 (Zünfte), f. 8rv. Vgl. ebd., f. 8v bis 9r.

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und Ambachten katholisch zu konfessionalisieren und so den Raum für überkonfessionelle Erfahrungen entscheidend einzuschränken. Das Stadtregiment verfolgte dieses Ziel entschlossener und radikaler als nach der ersten katholischen Restitution von 1598. Damals hatten Bürgermeister und Rat solche Bürger, die sich unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment gegen ihre Gaffel gestellt hatten, noch nicht ungefragt als Vertreter der katholische-konfessionellen Sache betrachtet und dafür honoriert. So beschloss der Rat am 30. Januar 1601, dass Jakob Musch sein Handwerk als Schuhmacher nicht wieder ausüben durfte, ohne erneut das Aufnahmegeld für die Gaffel zu zahlen. Musch hatten sich zuvor drüber beschwert, dass die Greven der Gaffel ihm die Arbeit als Schumacher in Aachen verboten hatten. Er hatte Aachen vor der katholischen Restitution „[. . . ] wegen alhie entstandener Commotion [. . . ]“ verlassen und hatte in Kornelimünster gelebt und gearbeitet. Deswegen hatten die Greven der Aachener Schuhmachergaffel seine Mitgliedschaft und die damit verbundenen Privilegien als erledigt betrachtet, bis er gegebenenfalls ein weiteres Mahl aufgenommen wurde. Das restituierte katholische Stadtregiment erkannte die Beweggründe für Muschs Weggang aus Aachen prinzipiell an. Allerdings räumten sie ihnen letztlich sowenig Bedeutung ein, dass der Schuhmachermeister sein Privileg auf kostenlose Rückkehr in die Gaffel aus der Sicht der katholischen Obrigkeit schon dadurch verspielt hatte, dass er nach der katholischen Restitution nicht unverzüglich nach Aachen zurückgekehrt war.384 Die Gaffeln setzten insgesamt ihre traditionellen Gemeinschaftsformen zumindest bis 1598 fort. Sie bestärkten dadurch, die christliche Gemeinschaft ihrer Mitglieder in Gastlichkeit, Bestattungskultur und den Bemühungen um ihr wirtschaftliches Auskommen. So überführten sie einen Teil der Repräsentationen reichsstädtischer Einheit in überkonfessionell vermittelbarer Formen. Die Gaffelgenossen hielten somit die Erfahrung bürgerlicher Einheit trotz konfessioneller Unterschiede aufrecht. Als diesen Erfahrungen nach 1598 zum Teil die Grundlage entzogen wurde, verbanden die Aachener diesen Einschnitt direkt mit den politischen Einschnitten im Zuge der ersten katholischen Restitution. Die konfessionelle Polarisierung von zuvor in den Gaffeln überkonfessionell gestalteten Lebensbereichen erfuhren die Bürger und Einwohner nicht als selbst herbeigeführten allmählichen Wandel sondern als Ergebnis einer politischen Krise.

384

Vgl. Rolle der Schuhmacher 1461–1680. Weiteres 1591–1704, StAAa, RA II, Allg. Akt. Nr. 360 (Zünfte), f. 25r–26r.

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3.2.1.2 Repräsentationen reichsstädtischer Ordnung unter wechselnder Obrigkeit Die Repräsentation der Einheit der Stadtgemeinde im Rahmen der zünftigen Geselligkeit, Frömmigkeit und wirtschaftlichen Koordination musste allerdings an Eindrücklichkeit und Nachhaltigkeit hinter den vorkonfessionell katholischen Demonstrationen der bürgerliche und christlichen Einigkeit Aachens an zentralen Orten der Stadt – auf dem Marktplatz, vor dem Rathaus und auf den Stadtmauern – zurückstehen. Die wichtigste Demonstration dieser Art stellt traditionell die Prozession zum Fronleichnamsbeziehungsweise Sakramentstag dar. Der Rat fragte alljährlich beim Marienstift an, ob dessen Stiftsherren an der Prozession teilnehmen würden. Die Prozession war als religiöses Ereignis nur denkbar, wenn die Stiftskleriker mitwirkten. Die Kapitelherren waren aber nur Nebendarsteller in einer Inszenierung, in der Ratsherren, Regimentsmitglieder und Gaffeln die bürgerliche Gemeinde als Christengemeinde inszenierten. In den Jahren 1580 bis 1598 blieb dies Inszenierung aus, weil der protestantisch dominierte Rat die Prozession zum Sakramentstag nicht organisierte. Wahrscheinlich entschieden sich, die Protestanten im Stadtregiment tatsächlich aus religiösen Gründen dafür, mit der Tradition zu brechen, die lange Zeit das wichtigste Symbol für die Einheit von Bürgergemeinde und Christengemeinde in Aachen gewesen war. Die Feier der geweihten Hostie war so deutlich auch ein explizit konfessionellkatholisches Sakramentsverständnis, mit dem sich die reformierten und lutherischen Ratsherren und Amtsträger nicht gemein machen wollten. Die Prozession am Sakramentstag eignete sich denkbar wenig als gesamtchristlicher, überkonfessioneller Bezugspunkt für die Gemeinschaft der christlichen Einwohner Aachens, weshalb der Rat nicht zögerte sie auszusetzen. Der restituierte katholische Rat betrachtete die Jahre ohne Fronleichnamsprozession nachträglich als Jahre der unterdrückten katholischen Religion in Aachen. Er bemühte sich die Prozession zu erneuern – nicht nur als Zeichen für die Wiederbelebung des Katholizismus in Aachen, sondern auch als Repräsentation seiner eigenen Herrschaft und einer jetzt explizit katholischen städtischen Gemeinde. Die benachbarten Fürsten von Jülich und Köln erschwerten allerdings den Versuch des Rates, sich auf diese Art und Weise als starke Obrigkeit einer geschlossen katholischen Bürgergemeinde zu inszenieren. Dass die Autorität der restituierten Obrigkeit vom Wohlwollen der umliegenden Fürsten abhängig war, störte auch hier: Der Herzog von Jülich beanspruchte für seinen Vogtmeier das Recht, sowohl bei der Prozession am Sakramentstag als auch bei der neu eingeführten Prozession zum Gedenken an die katholische Restitution am Ägidiustag, dem ersten September, für Sicherheit und Ordnung zu Sorgen. Damit bestritt er das

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Recht des Rates, Soldaten zu diesen Prozessionen abzustellen, die nicht nur der Sicherung der religiösen Umzüge sondern auch der Demonstration der Autorität des Rates dienen sollten. In den Jahren 1605 bis 1607 drängte der Herzog von Jülich das Stiftskapitel in solcher Regelmäßigkeit dazu, die beiden Prozessionen nicht stattfinden zulassen, solange der Rat darauf bestand, sie mit Soldaten zu begleiten, dass zumindest der Fortbestand der Prozession zum Ägidiustag ernsthaft in Frage stand.385 Zwar entschied sich das Kapitel letztlich in jedem Jahr, beide Prozessionen durchzuführen, aber ihre repräsentative Wirkung wurde weitgehend untergraben. So äußerte der Herzog von Jülich, dass das Stadtregiment sich der Restitution mittlerweile als unwürdig erwiesen habe, die es alljährlich zum Ägidiustag feiern wolle. Seine Provokation blieb offenbar nicht ungehört. Der Kurfürst von Köln stellte im Sommer 1607 im Rückblick auf die Prozessionen der vergangen Jahre fest, dass sie weniger der Verehrung Gottes als der Erregung öffentlicher Skandale gedient hätten.386 Der Kurfürst mahnte ganz im Sinne des Herzogs von Jülich an, dass der Stadtrat jeden Eindruck vermeiden solle, er sei den benachbarten Fürsten, denen er seine Restitution verdanke, undankbar. Ansonsten könne der Rat für Beunruhigung der Aachener Bürgerschaft und eventuell sogar für einen erneuten Aufstand verantwortlich gemacht werden. Prozessionen, mit denen solche Befürchtungen verbunden wurden, konnten kaum zum Symbol bürgerlicher und katholisch-christlicher Einheit der Stadt werden. Alltäglicher und lange Zeit wirkungsvoller als die gerade diskutierten Prozessionen repräsentierte die gemeinsam Sorge der Bürger Aachens um die militärische Sicherheit ihrer Stadt die städtische Gemeinschaft. Schilling hat zurecht darauf hingewiesen, dass die überkonfessionelle Solidarität der Einwohner Aachens zeitweise vor allem dadurch verstärkt wurde, dass alle Menschen in der Stadt während der krisenhaften Zuspitzungen in der Causa Aquensis Angriffe auf ihr Gemeinwesens befürchten mussten.387 Offensichtlich rückten die Aachener verschiedener Konfessionen angesichts äußerer Bedrohungen zusammen, obwohl die über lange Zeit akuteste militärische Gefahr, die vom Niederländischen Krieg ausging, durchaus spaltend hätte wirken können: Unter anderem durch die zahlreichen im Umlauf befindlichen Flugschriften und auch durch die Vermittlung der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten 385 Vgl. die Korrespondenz zwischen Jülich und dem Marienstift: Die Münsterkirche und die Stadt Aachen, DomAAa VII. 10, Nr. 7 u. 8. Außerdem: Protokoll zur Kapitelsitzung vom 28. Mai 1607, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 f, f. 36v. 386 Vgl. Kurfürst Ernst von Köln an Dechant und Kapitel des Marienstifts in Aachen, 23. August 1607, Die Münsterkirche und die Stadt Aachen, DomAAa VII. 10, Nr. 8. 387 Vgl. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, hier: S. 76.

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kamen die Aachener mit der leyenda negra und der Vorstellung in Kontakt, es bilde sich eine Allianz zwischen den spanischen Habsburgern und dem Papst zur Zerstörung der evangelischen Lehre.388 Als Exponent dieser Verschwörung und der vor allem den Spaniern zugeschriebenen Rücksichtslosigkeit erschien seit 1567 der spanische Statthalter Herzog Alba. Diese Ansicht konnte sich vor allem in den reformierten Gemeinden der Stadt verbreiten, die während der 1560er und 1570er Jahre an Form gewannen und dabei unter anderem über die synodale Organisation ihrer Kirche in regem Austausch mit niederländischen Flüchtlingen standen.389 Die Katholiken in Aachen auf der anderen Seite lernten, obwohl die Tendenzpublizistik der prospanischen Seite während des niederländischen Aufstandes weit weniger umfangreich war als die der oranischen, das Argumentationsmuster kennen, nach dem von Protestanten und insbesondere den Reformierten eine ständige Gefahr für jede Obrigkeit ausging. Weil im Reich etwa gleichzeitig während der 1560er Jahre die Diskussion über die reichsrechtliche Legitimierung der reformierten Konfession, das heißt über ihre Übereinstimmung mit der Confessio Augustana, in verschärfter Form geführt wurde, könnte in Aachen unter dem zusätzlichen Einfluss der spanisch-katholischen Argumentation schon zu diesem Zeitpunkt die Grundlage für ein dezidiert anti-reformiertes Feindbild gelegt worden sein. Die Niederländischen Unruhen hatten also das Potential, konfessionelle Feindbilder in Aachen zu verbreiten und konfliktträchtige konfessionsspezifische Positionen zu den Themen Einwanderung und dem Charakter der Augsburger Konfession vorzuzeichnen. Tatsächlich funktionierte die von den Gaffeln getragene Stadtverteidigung während der Herrschaft des protestantisch dominierten Rates aber problemlos. Reformierte, lutherische und katholische Bürger waren am städtischen Wachdienst beteiligt, ohne dass daraus Konflikte entstanden. Auch nach der ersten katholischen Restitution bildete die Wehrverfassung Aachens noch keinen Anlass zu Konfessionskonflikten. Die friedliche Zusammenarbeit von Aachener Reformierten, Lutheranern und Katholiken bei der Verteidigung ihrer Stadt war keine Selbstverständlichkeit. Sie ist ein weiteres Indiz dafür, dass bis 1598 und mit einigen Einschränkungen auch noch bis 1611 viele Voraussetzungen für die erfolgreiche Verständigung der drei Konfessionsgruppen in Aachen gegeben waren. Seit 388 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648, hier: 239 ff. 389 Zum Transfer von Vorstellungen von Vaterland und Freiheit aus den Niederlanden in das Reich vgl. auch Alastair Duke, In Defence of the common Fatherland. Patriotism and Liberty in the Low Countries, 1555–1576, in: Robert Stein (Hrsg.), Networks, regions and nations. Shaping identities in the Low Countries, 1300–1650. Leiden 2010, S. 217–239, hier: insbesondere S. 218–219.

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1611, als sich die konfessionelle Polarisierung in Aachen ausgehend von den politischen Auseinandersetzungen um den religionspolitischen Status der Stadt in vielen Bereichen verschärfte, gehörte der bürgerliche Wachdienst zu den Anlässen, zu denen sich Konfessionskonflikte manifestierten. Aus den Supplikationen an die kaiserlichen Kommissare, die sich am Jahreswechsel 1612/1613 in Aachen aufhielten, geht der Verlauf eines schwerwiegenden und gewalttätig eskalierenden Streits zweier Gaffelgenossen während ihrer Wache hervor. Der Protestant Adam von Gielen und der Katholik Collin Schonau gerieten, während sie in der selben Rotte ihren Wachdienst versahen, in Streit. Hauptsächlich warf jeder dem anderen vor, dass dessen Konfessionsgruppe die politischen Unruhen in der Stadt absichtlich schürte. Nachdem Schonau den Vorwurf erhoben hatte, die Reformierten seien allein an dem Bürgeraufstand Schuld gewesen, konterte Gielen, die Katholiken hätten sich in der Folge jedem Versöhnungsangebot verweigert. Darüber hinaus beleidigte Gielen seinen katholischen Rottengenossen, weil dieser einen Zeit lang im Kloster gelebt hatte und am Tag des Streits in einem Chorrock oder in ähnlich anmutender Kleidung zur Wache erschienen war. Auf dem Höhepunkt des Streits griff Gielen Schonau an und verletze ihn schwer am Arm. Die Klage und Verteidigungsschriften, die beide wegen dieses Vorfalls an die kaiserlichen Kommissare richteten, sprechen davon das solcherlei konfessionell motivierte Gewalt im Jahr 1611 nicht selten war.390 Darüber hinaus war die Wehrverfassung allgemein zum Anlass für Verstimmungen zwischen katholischen und protestantischen Bürgern der Stadt geworden. Viele katholische Bürger und Witwen klagten, dass die Deputierten nach dem Aufstand die Wacht verdoppelt hätten. Selbst Kinder seien zur ungewöhnlichen Wacht aufgefordert worden und durch Belegung der Eltern mit Soldaten dazu gezwungen worden.391 Weil die Deputierten die Art und Weise änderten, auf die sie Aachen militärisch zu sichern versuchten, gerieten sie auch mit den katholischen Reichsuntertanen in Streit. Schon am 16. August versuchte das provisorische Stadtregiment, Reichsbauern zur Wache und zu Schanzarbeiten zu verpflichten. Einige Bewohner der Reichsdörfer weigerten sich jedoch, diesen Befehlen nachzukommen, woraufhin die Deputierten sie mit Soldaten belegten. Es gelang dem Regiment jedoch nicht, die Bauern dazu zu bewegen, bei Aachens Verteidigung zu helfen.392 In den folgenden Jahren zeigte sich bei verschiedenen Anlässen, dass ausgehend von diesem Konflikt eine tiefe Spaltung zwischen den Deputierten und den Reichsuntertanen außerhalb 390

Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 5. Vgl. ebd. 392 Vgl. Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, hier: f. 112v–113r. 391

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der Stadtmauern entstand. Vor allem polarisierten sich Deputierte und Reichsbauern konfessionell, weil die Bewohner der Reichsdörfer zuletzt zu der Überzeugung kamen, dass das neue Regiment ihnen die Freiheit nehmen würde, ihre katholische Religion auszuüben.393 Überkonfessionelle Repräsentation der bürgerlichen Einheit funktionierten im Untersuchungszeitraum also zu jedem Zeitpunkt nur eingeschränkt und wurden seit 1611 noch weiter geschwächt. Die Aachener Bürger kompensierten diesen Mangel kaum. Allenfalls die bereits 1574 erfolgte Umstellung der Eidesformel für Ratsherren und städtische Amtsträger auf eine für Katholiken und Protestanten akzeptable Form ohne Anrufung der Heiligen kann als vorsichtiger Schritt in dieses Richtung verstanden werden.394 Insgesamt muss also festgestellt werden, dass der Stadt Aachen zwischen 1580 und 1614 eine starke symbolische Repräsentation ihrer Einheit als gemischtkonfessionelle Bürgergemeinschaft fehlte, auch wenn sich die Zerrüttung oder konfessionelle Spaltung der Gemeinde ebenso wenig repräsentierte. 3.2.2 Zwischen Abgrenzung der Konfessionskirchen und konfessioneller Vereinnahmung der Bürgergemeinschaft Genauso, wie eine zentrale, symbolische Repräsentation eines gesamtchristlichen, überkonfessionellen Selbstverständnis der städtischen Gemeinschaft, fehlten bis 1598 Versuche der einzelnen Konfessionsgruppen, die jeweils eigene Gemeinde exklusiv als religiöse Entsprechung der Bürgergemeinde zu etablieren. Die realisierten Alternativen zu solchen konfessionell-kommunalen Repräsentationen lassen in vielfältiger Art und Weise auf Erfahrungen von Sicherheit und Unsicherheit schließen, welche Einwohner aller Konfessionen in Aachen machten. 3.2.2.1 Reformierte zwischen Öffentlichkeits- und Untergrundkirche Die Aachener Reformierten und Lutheraner konnten die üblichen Wege konfessionell evangelischer Repräsentation der Stadtgemeinde nicht mit der Politik des protestantisch dominierten Stadtregiments vereinbaren – ebensowenig mit den Organisationsformen ihrer Konfessionskirchen: In homogen evangelischen Städten und einigen Reichsstädten, deren Bikonfessionalität verfassungs- und religionsrechtlich gesichert und geregelt war, nutzten die protestantischen Bürger unter anderem Reformationsjubiläen, um die eigene konfessionelle Religion und ihre Bedeutung für das 393 Vgl. Akten betreffend die Aachener Religionsunruhen III, StAAa, RA II Allg. Akt. 868, f. 214r–218v. 394 Vgl. Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 156–157.

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städtische Gemeinwesen zu inszenieren.395 Für öffentliche Rituale und symbolische Repräsentationen lutherischer oder reformierter Religion in Aachen blieben die wiederkehrenden Daten von Luthers Thesenanschlag, der Übergabe der Confession Augustana oder des Zustandekommens des Augsburger Religionsfriedens hingegen ohne Bedeutung, was nicht allein auf den Umstand zurückgeführt werden sollte, dass die reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen in Aachens bereits auf den Status marginaler religiöser Minderheiten zurückgefallen waren, als die ersten Hundertjahrfeiern dieser Ereignisse begangen wurden. Vielmehr schloss die besondere Geschichte der Formierung der reformierten und lutherischen Konfessionskirchen aus, dass Reformierte und Lutheraner Meilensteine der Reformationsgeschichte im Reich zu tragenden Elementen der protestantischen Erinnerungskultur in der Kaiserstadt machten. Die Anfänge der Konfessionsgruppen lassen sich nicht auf die Lebzeiten Luthers, seiner Zeitgenossen oder gar auf deren unmittelbaren Einfluss zurückführen. Erst die katholische Chronistik dehnte die Aachener Reformationsgeschichte nach 1614 rückwärts bis in die 1520er Jahre aus, um eine möglichst lange Tradition ‚ketzerischer‘ Einbrüche in Aachen und ihrer letztlich erfolgreichen Bekämpfung durch die Katholiken zu konstruieren.396 Die Mitglieder der reformierten Konfessionsgruppe in Aachen konnten ihr Selbstverständnis ohnehin nur sehr eingeschränkt auf die Traditionen der Wittenberger Reformation stützen. Das protestantisch dominierte Stadtregiment und die protestantischen Bürger Aachens konnten also aus der Erinnerung an Luthers Wirken und an die Übergabe der ursprünglichen Confessio Augustana kein gesamtprotestantisches Selbstverständnis der Stadt und ihrer Obrigkeit aufbauen. Selbst wenn die Konstruktion des städtischen Gemeinwesens im spezifischen reformierten Sinne vorstellbar gewesen wäre, hätte das protestantisch dominierte Stadtregiment davon zurückstehen müssen, um seine politisch bedeutsame Selbstdarstellung als überkonfessionelle Obrigkeit nicht zu gefährden. Diese Selbstdarstellung basierte wie gesehen unter anderem darauf, dass der Magistrat seine protestantischen Mitglieder und Untertanen nicht näher beschrieb als mit dem vornehmlich politischen und damit theologisch sehr flexibel auszulegenden Begriff ‚Augsburger Konfessionsverwandte‘ . Ebenso wenig wie in der allgemeinen Reformationsgeschichte der Jahre 1517 bis 1530, wurden die Aachener Protestanten auf der Suche nach identitätsstiftenden Ereignissen in der lokalen Geschichte ihrer Heimatstadt fündig. Weder die Gründungszeit der reformierten und der lutherischen 395 Vgl. Susanne Rau, Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln. (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas, Bd. 9.) Hamburg/München 2002, hier: S. 522. 396 Vgl. ausführlicher: S. 433.

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Gemeinden in den 1550er, 1560er und 1570er Jahren noch die Wiederzulassung protestantischer Bürger zum Stadtregiment oder die Zulassung der öffentlichen Religionsausübung für Augsburger Konfessionsverwandte dienten den Mitgliedern der protestantischen Konfessionsgruppe als Erinnerungsorte zur Vergegenwärtigung der Einführung von Reformation und Evangelium in Aachen. Statt eines oder mehrerer Einzelereignisse mit der Bedeutung einer ‚Aachener Reformation‘ aufzuladen, erinnerten die Reformierten ihr Kirchenleben als mehr oder weniger stabil und kontinuierlich über die politischen Umbrüche hinweg. Die Angehörigen der reformierten Konfessionsgruppe verstanden sich als ‚unter dem Kreuz‘ Lebende, das heißt als Christen, die Verfolgung ausgesetzt waren. Die reformierte Synode, in der die Aachener Reformierten mit benachbarten Gemeinden verbunden waren, die tatsächlich unter prekäreren Bedingungen existierten als die protestantischen Konfessionskirchen in der Kaiserstadt, bekräftigte dieses Selbstbild der Aachener Reformierten. Unter diesem Einfluss änderten die reformierten Kirchen ihr Selbstverständnis auch nach 1583 nicht zu dem einer selbstbewusst agierenden Kirche mit dem Recht auf öffentliche Religionsausübung. Die andauernde Selbstbetrachtung der reformierten Konfessionskirchen in Aachen erlebten deren Mitglieder unter anderem an den ein bis zwei mal jährlich abgehaltenen Fast- und Bettagen, welche die Synode regelmäßig aufgrund der anhaltenden Verfolgung der Kirche ansetzte.397 Das Bild einer Kirche ‚unter dem Kreuz‘ passte nicht ohne weiteres auf die Situation der deutsch-reformierten und der französisch-reformierten Gemeinde in Aachen seit 1574 und besonders zwischen 1580 und 1598. Ein völlig regelmäßiges Kirchenleben, die Erlaubnis des Magistrats zur öffentlichen Religionsausübung und die volle Anerkennung der bürgerlichen Rechte der Angehörigen der reformierten Konfessionsgruppe widersprachen der Vorstellung, die Reformierten in Aachen würden verfolgt. Wie die Reformierten diesen Widerspruch in ihrem Selbstverständnis auflösten oder zumindest damit umgingen, deutet sich in der Beurteilung der Predigt an, die zur Eröffnung der am 9. August 1589 in Aachen tagenden Synode gehalten wurde.398 Die Synodalprotokolle vermerken die Tatsache, dass die Predigt öffentlich gehalten wurde als außergewöhnlichen Umstand, obwohl öffentliche Gottesdienste der Reformierten in Aachen zu diesem Zeitpunkt bereits seit mindestens sechs Jahren legal waren. Auf der anderen Seite beschloss die Synode, nachdem sie auf diese Weise vergleichsweise günstigen Rahmenbedingungen für die Reformierten in Aachen hervorge397 Vgl. zu den synodal verordneten Bettagen im Zeitraum zwischen 1573 und 1608: Simons, Synodalbuch, hier: S. 83, 87, 94, 118, 128, 145, 158, 162, 166, 171, 175, 180, 193, 196, 198, 205, 209, 211, 219, 227, 238, 241, 250, 255, 263, 271, 283, 290 u. 297. 398 Ebd., hier: S. 212.

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hoben hatte, in den folgenden Jahren, die Mitglieder ihrer Kirche in der Kaiserstadt weiter an den Bettagen teilhaben zu lassen, die das gemeinsame Selbstbild aller in der reformierten Synode verbundenen, verfolgten Christen bestätigte. Das Ältestenkonsistorium der deutsch-refomierten Gemeinde in Aachen traf jährlich ein- bis zweimal die Vorkehrungen, um die Teilnahme seiner Gemeindemitglieder an den entsprechenden Fast- und Bettagen zu gewährleisten.399 Im Unterschied zu der Zeit nach der katholischen Restitution von 1598 sahen die Ältesten unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment nicht die Notwendigkeit anzuordnen, dass die Gemeindemitglieder die Tage der intensiven religiösen Besinnung so gut wie möglich im privaten Rahmen abhalten sollen. Entsprechende Anordnungen verhinderten in späterer Zeit, dass die Fast- und Bettage unter dem katholischen Regiment zur potentiell gefährlichen Demonstration reformiert-konfessioneller Religiosität wurden.400 Bis 1598 repräsentierte also jeder der Fast- und Bettage, die häufig von deutsch-reformierter und französisch-reformierter Gemeinde gemeinsam begangen wurden, die reformierte Konfessionsgruppe in der städtischen Öffentlichkeit Aachens. Das dürfte sich vor allem in vermehrten Gottesdiensten in den bekannten Predigthäusern der Reformierten und in der demonstrativen Zurückhaltung vieler Mitglieder der reformierten Konfessionsgruppe von weltlichen Geselligkeiten an diesen Tagen geäußert haben. Die Repräsentation der reformierten Konfessionsgruppe Aachens durch ihre Bettage hatte dabei einen Doppelcharakter, der durchaus der Situation der reformierten Kirchen in Aachen entsprach, gleichzeitig aber auch der religionspolitischen Linie des protestantisch dominierten Magistrats gerecht wurde und den Notwendigkeiten des Zusammenlebens dreier Konfessionen in Aachen Rechnung trug: Die Mitglieder der reformierten Konfessionskirchen erlebten die Bettage zugleich als Ausdruck der Stabilität und Kontinuität ihres Religionslebens, weil sie ihre Konfessionskirche zu besonders intensiven religiösen Handlungen aufforderte und sie weder von der Obrigkeit noch von ihren Mitbürgern an deren öffentlicher Verrichtung gehindert wurden. Anders als beispielsweise im paritätischen Ravensburg, wo der um 399 23. Juni 1592 (Protokollband I, S. 8), 30. Juni 1592 (S. 8), 4. August 1592 (S. 10), 20. Juli 1593 (S. 29), 9. November 1593 (S. 37), 15. März 1594 (S. 49), 20. September 1594 (S. 60), 19. September 1595 (S. 80), 14. Januar 1597 (S. 117), 28. Oktober 1597 (152) und 23. Juni 1598 (Protokollband II, S. 27). Mit vergleichbarer Regelmäßigkeit fasste die Gemeinde zunächst bis zum vorerst letzten Termin am 24. August 1606 (Protokollband I, S. 148) und dann wieder zwischen dem 24. Februar 1612 (Protokollband II, S. 1) und dem 12. Mai 1614 (S. 39) Beschlüsse, Fast- und Bettage zu halten. 400 Schon am 27. Juli und am 3. August 1598 ordneten die Ältesten in Erwartung des politischen Machtwechsels an, einen bevorstehenden Bettag so gut wie möglich innerhalb von Privathäusern zu begehen (Protokollband II, S. 32).

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konfessionelle Neutralität bemühte Rat jede Repräsentation von Religion in der Öffentlichkeit unterband, hatten die Aachener Reformierten mit ihren Bettagen auch die Möglichkeit zur „[. . . ] religiöse[n] Krisenbewältigung [. . . ]“401 . Diese Gelegenheit nutzten sie insbesondere immer dann, wenn sie an Bettagen, politische Krisen reflektierten, welche die Freiheit ihrer Religionsausübung bedrohten. So vergegenwärtigten die Aachener Reformierten aber auf der anderen Seite an denselben Tagen auch die Einschränkungen und Bedrohungen, von denen ihre Kirchen betroffen waren. Das öffentliche Beten fand nicht in einer öffentlichen Kirche statt – weder in einer übernommenen katholischen Kirche, die durch eine lange vorreformatorische Tradition symbolisch bereits als wichtiger sakraler Raum in der Stadt besetzt war noch in einem Kirchenbau, der sich durch seine architektonische Neugestaltung oder durch seine ausdrückliche Widmung zur reformierten Kirche im repräsentativen architektonischen Raum Aachens neu positioniert hätte.402 Statt dessen griffen die Reformierten vor allem mit dem Großen Klüppel auf ein Haus zurück, in dem sie ihren Gottesdienst zwar in angemessener Form und in Sicherheit feiern konnten, dessen Beschaffenheit ihnen aber zugleich deutlich machte, dass sie einzelne Merkmale einer Untergrundkirche noch nicht abgelegt hatten. Sie schafften es nicht eine “[. . . ] konfessionelle[. . . ] Markierung des städtischen Raums [. . . ]“ vorzunehmen.403 Die reformierten Gottesdienste und auch die besonderen Repräsentationen reformierter Religiosität an Fast- und Bettagen waren nicht mehr privat oder geheim im eigentlichen Sinne, was bedeutet hätte, dass sie innerhalb von Privathäusern jeweils nur von der dort wohnenden ganzen Familie unter Ausschluss anderer Gemeindemitglieder und auch eines extra dazu berufenen Predigers hätten gefeiert werden dürfen. Sie waren aber auch nicht so öffentlich wie es beispielsweise die privilegierten Konfessionsgemeinschaften in konfessionell homogenen oder bikonfessionellen Städten oder auch die katholische Kirche in Aachen war. Letztere hatten von ihren im Stadtraum etablierten Pfarr-, Stifts- und Klosterkirchen aus sowie mit Glockengeläut und Prozessionen die Mög401

Holzem, Konfessionskampf und Kriegsnot, hier: S. 55. Vgl. zur besonderen repräsentativen Bedeutung von Kirchenbauten im öffentlichen Raum: Gerd Schwerhoff, Öffentliche Räume und politische Kultur in der frühneuzeitlichen Stadt. Ein Skizze am Beispiel der Reichsstadt Köln, in: Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5.) Konstanz 2004, S. 113–136, hier: S. 125–126 und Schilling, Die konfessionelle Stadt, hier: S. 67–69 jeweils mit weiterführender Literatur. 403 Anna Ohlidal, Kirchenbau in der multikonfessionellen Stadt: Zur konfessionellen Prägung des städtischen Raums in den Prager Städten um 1600. Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen, in: Vera Isaiasz (Hrsg.), Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen. (Eigene und fremde Welten, Bd. 4.) Frankfurt/M. 2007, S. 67–81, hier: S. 79. 402

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lichkeiten, weit in den städtischen Raum auszugreifen und gegebenenfalls auch zu beanspruchen, alle Christen Aachens zu vertreten. Am ehesten war die Situation der Protestanten in Aachen mit der Lage der Katholiken in Utrecht zu vergleichen, die für ihre Gottesdienste Priester hinzuziehen konnten und in ‚Schulkirchen‘ feierten, die nur äußerlich den Anschein von Privathäusern wahrten, deren Innenraum aber zu regelrechten Kirchen ausgebaut war.404 Die bescheidenere Präsenz der protestantischen Konfessionskirchen hatte sich bereits in den 1570er Jahren etabliert, war durch die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung 1583 abgesichert worden und stellte seitdem den organisatorischen und religionspolitischen Besitzstand sowie das symbolische Kapital dar, das zumindest die reformierte Konfessionsgruppe zu bewahren versuchte, ohne einen Ausbau der eigenen Position und eine Selbstdarstellung als Repräsentantin der Aachener Bürgergemeinde als Gemeinschaft von Christen anzustreben. Insofern war das Selbstverständnis und die Außenwirkung der reformierten Konfessionsgruppe gut mit der religionspolitischen Linie des protestantisch dominierten Stadtregiments vereinbar, das Wert darauf legte, dass seit 1574 keine verbotenen Änderungen der Religion vorgenommen worden waren, dass die Möglichkeit der öffentlichen Religionsausübung für Reformierte und Lutheraner also eine rechtlich notwendige und schon lange ausgeübte Freiheit sei und dass dadurch gleichzeitig die Rechte der katholischen Konfessionskirche nicht in Frage gestellt wurden. 3.2.2.2 Die Lutheraner: Zurückgestelltes Streben nach der vollen Religionsfreiheit Die Art und Weise, wie die Mitglieder der lutherischen Konfessionsgruppe ihre Rolle in der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft erlebten, unterschied sich in einigen Punkten von der Selbstwahrnehmung der Reformierten. Der Umgang der Aachener Lutheraner mit den Einschränkungen ihrer öffentlichen Religionsausübung bis 1583 lässt sich von einem Schriftstück ableiten, das 1579 Eingang in die Akten der lutherischen Gemeinde fand. Es handelt sich um den Bericht eines im selben Jahr in Köln wegen des Besuchs protestantischer Gottesdienste in Privathäusern verhafteten Kölner Bürgers.405 Der anonyme Autor berichtet, wie er nach seiner Verhaftung von verschiedenen Dienern und Amtsträgern des Kölner Magistrats befragt wurde und dazu gedrängt worden sei einzugestehen, dass sein Besuch von Privatgottesdiensten ein Verstoß gegen Gebote des Kölner Rats darstellte. 404

Vgl. Kaplan, Calvinists and Libertines, hier: S. 271. „Eines inn hiemlicher bewhonung einer privat predigt inhaftirten bekentniß 1579 [. . . ] 1579 ad 5 Martty am abendt Empff.“, Archiv. d. EKiR, 4KG 004, 01–0,16. 405

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Er sollte, um aus der Haft entlassen zu werden, sein Vergehen eingestehen und versprechen, in Zukunft keine weiteren Predigten in Privathäuser anzuhören. Stattdessen habe er den Vertretern des Rates aber dargelegt, warum er die Predigtbesuche erstens für eine notwendige Gewissensentscheidung hielt, warum zweitens nach seinem Verständnis der religionspolitischen Entscheidungen des Rates Gottesdienste von Augsburger Konfessionsverwandten nicht verboten seien und warum deswegen drittens seine Verhaftung gegen seine bürgerlichen Rechte verstoße. Die Überlieferung des Berichtes in den Aktenbeständen der lutherischen Gemeinde Aachens legt nahe, dass die Gemeindeführung den Text, nachdem sie ihm am 5. März 1579 empfangen hatte, auf die ein oder andere Art nutzte, um die Einstellung der eigenen Gemeinde zu Gottesdiensten im Privaten und obrigkeitlichen Einschränkungen ihres Religionslebens zu beeinflussen oder zu bestätigen. Die Prediger konnten der lutherischen Gemeinde Aachens die Geschichte des Kölner Glaubensgenossen während des Gottesdienstes vermittelt haben oder der Bericht könnte schriftlich oder mündlich verbreitet worden sein. In jedem Fall wären es folgende Aspekte der Erzählungen gewesen, welche die Aachener Lutheraner mit ihren Erlebnissen im gemischtkonfessionellen Aachen ohne offizielles exercitium publicum verbinden und in ihr Selbstverständnis integrieren konnten: Zunächst hatte der anonyme Häftling gegen seine Verhaftung und die ihm auferlegte Geldstrafe protestiert, weil ihm keine Straftat nachgewiesen worden sein. Er habe in all seinen Erklärungen und Supplikationen bestritten gegen Edikte des Rates verstoßen zu haben, weil der Kölner Rat zwar ausdrücklich private Versammlungen verboten hatte, deren Ziel es war, sich gegen die Obrigkeit zu verschwören oder sich zu bewaffnen. Darüber hinaus seien in den Morgensprachen die Predigten von Sakramentierern und Sekten untersagt worden, nicht jedoch die Gottesdienste von Augsburger Konfessionsverwandten. Selbst wenn sich der Kölner Rat zu einem solchen Verbot und zu der Verfolgung von Lutheranern in der Stadt verstiegen hätte, so der Inhaftierte, wäre dies unrechtmäßig gewesen. Denn die Gesandten der Reichsstadt Köln hätten dem Augsburger Religionsfrieden und damit dem Verbot, Anhänger der Confessio Augustana wegen ihrer Religion zu behelligen, zugestimmt. Die ‚evangelische Bürgerschaft‘ Aachens hatte ihre Gesandten 1559 auf dem Reichstag von Augsburg auf vergleichbare Weise mit der Pflicht des Aachener Magistrats argumentieren lassen, den Religionsfrieden zu befolgen und die Augsburger Konfessionsverwandten zu dulden. Als 1574 ausdrücklich Bürger der Augsburger Konfession wieder zu Rat und Ämtern zugelassen wurden, hatte der im Religionsfrieden mit Privilegien verbundene politische Konfessionsbegriff Eingang in die Aachener Stadtpolitik gefunden. Allerdings war die Augsburger Konfession selbst in ihrer für Dogmen und

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Frömmigkeit einzelner Gemeinden wenig verbindlichen politischen Form für die Frage, welche Konfessionen in Aachen das Recht auf öffentliche Religionsausübung erhielten, bis 1583 nicht von Bedeutung. Reformierte und Lutheraner waren darauf angewiesen, dass das Stadtregiment ihre Gottesdienste nicht unter Berufung auf ältere Edikte gegen verbotene Sekten unterband. Seit 1574 konnten sich die protestantischen Konfessionsgruppen auf eine solche implizite Duldung zunehmend verlassen. Die Aachener Lutheraner konnten sich mit dieser Situation arrangieren, indem sie an die Argumentation des Kölner Gefangenen anknüpften. Dessen Haltung zeigte einen gewissen Gleichmut des gläubigen Lutheraners gegenüber obrigkeitlicher Verfolgung seiner Konfessionskirche. Vor allem vermittelte der Bericht aus Köln die Botschaft, dass es für Augsburger Konfessionsverwandten zumutbar sei und ihr Christentum in gewisser Weise sogar bestätigte, wenn sie mit Einschränkungen ihres Religionslebens und unter Verfolgung lebten. Für die lutherische Gemeinde in Aachen, die im Unterschied zu den Kölner Mitgliedern ihrer Konfessionsgruppe vergleichsweise sicher sein konnte, dass ihre Gemeinde durch die Religionspolitik des Rates nicht in ihrem Bestand gefährdet werden würde, bedeutete diese Einstellung zum erzwungenen Privatgottesdienst vor allem eine Vergewisserung, dass an der gegenwärtigen Verfassung ihrer Kirche und deren Beziehung zum Aachener Magistrat nicht zwingend etwas verändert werden musste. Die lutherische Gemeindeführung stellte das Selbstverständnis ihrer Konfessionsgruppe in Aachen, die mit dem bis dahin erreichten Status obrigkeitlicher Duldung ihres privaten Gottesdiensten zufrieden war, erst sichtbar in Frage, als auch die öffentliche Religionsausübung bereits einige Jahre offiziell erlaubt war, ohne dass sich dadurch die Organisationsform und das Religionsleben der Aachener Lutheraner grundsätzlich geändert hatten. Zunächst dokumentierte die Wiederaussöhnung des Schöffen und vormaligen Bürgermeisters Johann Lontzen, der zuvor über längere Zeit vom Abendmahl ausgeschlossen worden war, mit der Gemeinde am 1. März 1588, wie sehr die Aachener Gemeindeführung die Notwendigkeit des uneingeschränkten Rechts auf öffentliche Religionsausübung mittlerweile verinnerlicht hatte.406 Johann Lontzen war in seiner letzten Amtszeit als Bürgermeister, 1583, der Bestechlichkeit angeklagt worden. Deswegen hatte ihn das Stadtregiment 1586 verurteilt und ihm den Verlust all seiner Ämter und städtischen Pfründe sowie empfindliche Strafzahlungen auferlegt. In einem Reichskammergerichtsprozess, den Lontzen daraufhin anstrengte gelang es ihm nicht, seine Reputation wiederherzustellen. Die Vergehen Lontzens als Bürgermeister – er hatte Kriminellen gegen Bestechungsgelder Straf406

Vgl. zu diesem Vorgang im Folgenden: Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, S. 28–29.

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freiheit zugesichert – waren sicher maßgeblich dafür gewesen, dass ihn die lutherische Kirchenzucht vom Abendmahl ausgeschlossen hatte. Davon ist umso mehr auszugehen, als der 1583 begonnene Skandal um Lontzen auch Familienstreitigkeiten umfasste, um deren Beilegung die Senioren in der Regel besonders bemüht waren.407 Im Zuge der Versöhnung Johann Lontzens mit der lutherischen Gemeinde, spielte die Gemeindeführung auf diese Vorgänge, die dafür gesorgt hatten, dass Lontzen lange Zeit „[. . . ] vor ein unnutz glid der Christlicher Kirchen gehalten [wurde]“408 , nur vage an. Stattdessen betonte sie, es sei Lontzens Hauptvergehen gewesen, dass er als Bürgermeister nicht sein Bestes getan habe, um die öffentliche Religionsausübung für seine Kirche zu erlauben. Der Vorwurf bezog sich auf die Amtszeiten Lontzens vor 1583, als das erxercitium publicum tatsächlich freigegeben wurde. Insbesondere 1581 hatte Lontzen aus der Sicht der lutherischen Gemeindeführung von 1588 eine Gelegenheit verstreichen lassen, die religionspolitischen Rahmenbedingungen für seine Konfessionsgenossen zu verbessern. Während er im Jahr der Ratsspaltung zunächst vom mehrheitlich protestantischen Ratsteil zum Bürgermeister gewählt worden war, aber auch nach dem ersten Kompromiss zwischen dem protestantisch dominierten und dem katholischen Ratsteil im Amt geblieben war, habe er nichts getan, um die öffentliche Religionsausübung voranzubringen. Stattdessen habe er sich sogar gegen das exercitium publicum für seine Glaubensgenossen gesperrt. Deswegen wurde der Gottesdienst der Lutheraner erst zwei Jahre später von der Einschränkung befreit, im Privaten gefeiert werden zu müssen. Lontzen war zu diesem Zeitpunkt zwar wiederum Bürgermeister, stand aber bereits unter dem Druck der Vorwürfe wegen seiner unregelmäßigen Amtsführung und trug offensichtlich nichts zur Entscheidung des Stadtregiments bei, die öffentliche Religionsausübung für Augsburger Konfessionsverwandte freizugeben. Die Führung seiner Konfessionskirche sprach Lontzen fünf Jahre später jedes Verdienst um die Verbesserung der politischen Bedingungen für die Lutheraner in Aachen ab. Die Senioren und Prediger beurteilten die Bedeutung von Lontzens religionspolitischer Haltung für dessen Frömmigkeit und Moral sowie für die Außenwirkung und das Selbstverständnis der lutherischen Gemeinde Aachens in vielsagender Art und Weise: Weil er nicht alles getan hatte, um die öffentliche Religionsausübung durchzusetzen, wozu er durch sein Amt und sein Gewissen verpflichtet gewesen wäre, habe er 407 Vgl. dazu Coels van der Brügghen, Die Schöffen des Königlichen Stuhls von Aachen von der frühesten Zeit bis zur endgültigen Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung 1798, hier: S. 293–294. 408 Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, S. 28.

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„[. . . ] nicht allein, bey den hiesigen: sondern auch bey weyt geseßenen, den nahmen bekommen das er ein gewißer heuchler und so viell als seiner eigner sonst warer Religon eyn verhinderer wehre. Alß das wo er nicht unbesunnen wieder uns Zum Babsthum getretten doch vergeßlich zum Calvinisten oder andere Verbottener Secten sich geschlagen hette. [. . . ]“409 Zu diesem Eindruck habe besonders beigetragen, dass Lontzen seine Verfehlungen zunächst nicht eingestanden habe, sondern versucht hätte, sie zu verbergen und zu rechtfertigen. Lontzen habe seinen anfänglichen Widerstand gegen die Freigabe der öffentlichen Religionsausübung damit erklärt, dass er zu seiner Zeit das richtige Mittel zur Erhaltung des „[. . . ] eusserlichen friedens [. . . ]“410 gewesen sei. Wie falsch diese Haltung sei, sei Lontzen anhand der Heiligen Schrift dargelegt worden, sodass er kürzlich aufgehört habe, sich zu rechtfertigen, und echte Buße zeige. Indem die Gemeindeführung nicht anerkannte, dass Lontzen 1581 eher den bürgerlichen Frieden wahren wollte, als seiner eigenen Konfessionskirche größere religiöse Freiheiten einzuräumen, distanzierte sie sich von dem Konsens, der noch 1579 zwischen lutherischer Konfessionskirche und städtischer Obrigkeit über die implizite Duldung der privaten Religionsausübung bestanden hatte. Dass sich Lontzengewissermaßen ohne Not mit dem privaten Gottesdienst für sich und seine Glaubensgenossen zufrieden gab, war mit dem Selbstverständnis der Gemeinde von 1588 nicht mehr zu vereinbaren. Für sie hatte eine christliche Obrigkeit nun in jedem Fall dafür zu sorgen, dass die Kirche der Augsburger Konfessionsverwandten frei und unbehindert bestehen konnte. Diese Einstellung hing sicherlich eng mit der Erfahrung der politischen Auseinandersetzungen zusammen, wie sie gerade zum Ende der 1580er Jahre auf die Gemeindemitglieder wirkten, als die katholische Opposition intensiv auf die Umsetzung kaiserlicher Befehle gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment drängte. Vor diesem Hintergrund mussten die Lutheraner befürchten, dass die religionspolitischen Errungenschaften, von denen ihre Gemeinde seit 1583 profitiert hatte, zur Disposition gestellt werden würden. Sie stellten deswegen klar, dass jeder Augsburger Konfessionsverwandte Christ das exercitium publicum als ein hohes Gut zu betrachten habe, das verteidigt werden musste. Eine Rückkehr zum privaten Gottesdienst durfte nicht ohne Widerstand zugelassen werden. Anders als für die Reformierten spielten die Erfahrung und die aktive Reflexion der politischen Entwicklungen in der Causa Aquensis für die 409

S. 28. 410

Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 1, Ebd.

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Lutheraner eine vergleichsweise bedeutende Rolle in der Konzeption ihrer Konfessionskirche und ihres Verhältnisses zur städtischen Obrigkeit. Nachdem Kaiser Rudolf II. am 11. April 1592 befohlen hatte, die streitenden Parteien in der Causa Aquensis sollten Abgesandte nach Prag schicken, um sein endgültiges Urteil in der Sache anzuhören, und die entsprechende ‚Citation‘ in Aachen beim Stadtregiment eingegangen war, besprachen die Ältesten der lutherischen Gemeinde, gemeinsam mit ehemaligen Konsistorialen und aktuellen, lutherischen Mitgliedern von Rat und Stadtregiment am 26. und 28. Mai, was in der Sache zu tun sei.411 Aus den Reihen der Gemeindeführung wurden Stimmen laut, dass sich die Kirche, falls das exercitium publicum erneut verboten würde, den entsprechenden Edikten widersetzen könnte. Für diese Überlegung warben sie mit dem Verweis auf die große Bedeutung des öffentlichen Gottesdienstes für das Religionsleben, die bereits im Bericht zu Johann Lontzens Buße beschrieben worden war, und auf ein aus Apg. 5, 29 abgeleitetes Widerstandsrecht in Glaubensfragen. Dagegen vertraten vor allem die lutherischen Ratsherren und städtischen Amtsträger den Standpunkt, es stehe allein dem Stadtregiment zu, Entscheidungen in Religionssachen zu treffen. Wenn sich der Rat gezwungen sähe, die öffentliche Religionsausübung für Protestanten wieder zu verbieten, habe die lutherische Gemeinde zu folgen. Die Durchsetzung der kaiserlichen Resolutionen könne demnach schreckliche Folgen für die Kirche haben, die sich durch diese Aussicht aber nicht dazu verleiten lassen dürfe, Dinge anzufangen, die zu keinem guten Ende führen könnten. Letztlich kam der erweiterte Kreis der lutherischen Gemeindeführung auch am zweiten Tag seiner Beratungen über die gegenwärtige Zuspitzung der Causa Aquensis zu keinem Konsens darüber, wie sich die lutherische Kirche zum Stadtregiment verhalten sollte, falls dieses in Zukunft wieder eine restriktivere Religionspolitik verfolgen sollte. Die Besprechung wurde vertagt. Zu späteren Diskussionen über das Thema sind keine Aufzeichnungen vorhanden. Eventuell knüpften die späteren politischen Bemühungen einiger Vertreter der lutherischen Gemeindeführung ein exklusiv lutherisches, die reformierte Konfession ausschließendes, exercitium publicum an die Überlegungen angesichts der ‚Citation‘ von 1592 an. Wenn dem so war, darf daraus allerdings nicht geschlossen werden, dass die Senioren der Lutheraner, sich schon 1592 oder noch früher ganz von der überkonfessionellen, religionspolitischen Linie des Stadtregiments lossagten. Sie betonten im Selbstbild ihrer Kirche lediglich stärker als die Reformierten die Gefahren und Unwägbarkeiten der Abhängigkeit von der überkonfessionellen und politisch angefochtenen obrigkeitlichen Religionspolitik. Es gehörte also auch für die 411

Vgl. Protokolle der lutherischen Gemeinde Aachen, Archiv d. EKiR, 4KG 004, A3, 2, S. 12–14.

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lutherische Konfessionsgruppe bis kurz vor 1598 zu ihrem Selbstverständnis den religionspolitischen Kompromiss in Aachen mitzutragen. Dass weite Teile der lutherischen Konfessionsgruppe und nicht nur die Kirchenleitung die beschriebenen Erfahrungen und Überlegungen in vergleichbarer Art und Weise reflektierten und deswegen mit Recht von Erfahrungen und Selbstverständnis der Gesamtgemeinde gesprochen werden darf, deuten die Kontexte an, in denen der Bericht über die Buße Johann Lontzens und die Beratung über die ,Citation‘ zur Verkündung des kaiserlichen Endurteils zu verorten sind. Zur Beratung über die erwartete Entscheidung der Causa Aquensis zog die engere Gemeindeführung aus Senioren und Predigern zusätzlich ehemalige Konsistoriale sowie lutherische Mitglieder des Stadtregiments hinzu. Die so konstituierte Versammlung hatte deutlich die Funktion, die gesamte Führungsschicht der lutherischen Konfessionsgruppe und damit der lutherischen Kirchen in Aachen zu repräsentieren. An Johann Lontzens Buße und der darin enthaltenen Stellungnahme zum Verhältnis zwischen Konfessionskirche und städtischer Obrigkeit wurde die lutherische Gemeinde in Form der Besucher des regulären Gottesdienstes beteiligt. Zwar konnte Lontzen aus gesundheitlichen Gründen nicht, wie sonst in der Gemeinde üblich, persönlich vor die zur Predigt versammelte Gemeinde treten, um seine Schuld zu bekennen und Buße zu tun, doch stattdessen wurde der in den Protokollen der Gemeindeführung überlieferte Bericht zu Lontzens Vergehen und Reue im Gottesdienst verlesen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass weder die reformierte noch die lutherische Konfessionsgruppe unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment versuchte, sich als Aachener Konfessionskirche mit Alleingeltungsanspruch zu etablieren. Einzelne Indizien für ein öffentlichkeitswirksames konfessionell protestantisches Auftreten von Vertretern des Stadtregiments sprechen nicht gegen diesen allgemeinen Befund. Als etwa die ‚Katholischen Frauen Aachens‘ die häufiger werdende Teilnahme von Ratsherren an nicht-katholischen Gottesdiensten als Zeichen dafür deuteten, dass das Stadtregiment und die Stadt insgesamt unkatholisch wurden, passten sie sich mehr dem akut eskalierenden Streit über die politischen und religiösen Verhältnisse in Aachen an, als dass sie eine nachhaltige Veränderung der kofessionellen Prägung des Magistrats beschrieben. Aus Phasen, während derer die politische Diskussion vergleichsweise ruhig geführt wurde, sind dementsprechend kaum Berichte über ein demonstrativ protestantisch konfessionelles Gebaren von Vertretern des Stadtregiments überliefert. Selbst die katholische Opposition und das restituierte katholische Stadtregiment, deren politische Argumentation das protestantisch dominierte Stadtregiment in allen Belangen als unkatholisch und antikatholisch darstellte, führte

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keine Belege dafür an, dass protestantische Akteure die Stadt Aachen und ihr Regiment als evangelische Stadt inszeniert hätten. 3.2.2.3 Traditionelles Religionsleben und die neue konfessionelle Identität der Katholiken Anders als für die reformierte und die lutherische Konfessionsgruppe stellt sich für die Gesamtheit der katholischen Einwohner Aachens zunächst die Frage, nach welchen Kriterien sie überhaupt als Gruppe erfasst und betrachtet werden können. Die katholische Kirche war in Aachen dezentraler organisiert als ihre protestantischen Gegenstücke und band ihre Mitglieder lockerer in das Kirchenleben ein. Dass ein Aachener formal einer der vier katholischen Pfarrkuratien anhängig war, sagt sehr wenig darüber aus, wie sein Religionsleben aussah. Schließlich kommt erschwerend hinzu, dass selbst die Facetten katholischer Frömmigkeit, die durch die Pfarrzugehörigkeit geprägt wurden, heute mangels Quellen nicht untersucht werden können. Die folgenden Überlegungen zum Zusammenhang zwischen spezifisch katholischen Erfahrungen in Aachen und den Beziehungen zwischen den drei Konfessionsgruppen in der Stadt knüpfen deswegen an Ereignisse an, die potentiell von allen Katholiken in Aachen erlebt wurden. Zunächst werden noch einmal die Prozessionen interessant, über deren Bedeutung für die von den Gaffeln angebotenen überkonfessionellen Erfahrungen bereits diskutiert wurde. Für die Frage, ob Prozessionen auch besondere konfessionelle Indentifikationsangebote für ihre katholischen Teilnehmer bot, ist auch Heiligtumsfahrt noch einmal relevant. Besondere Erfahrungen als Aachener Katholiken machten außerdem die Mitglieder der katholischen Opposition. Sie sind nicht repräsentativ für spezifische Erfahrungen der katholischen Konfessionsgruppe – besonders wenn man den weiter oben erhobenen Befund berücksichtigt, dass die ‚katholische Bürgerschaft‘ als geschlossene Anhängerschaft der religionspolitisch aktiven Katholiken weitestgehend eine Fiktion war. Dennoch war die Art und Weise wie Männer, die sich als Verteidiger der katholischen Religion in Aachen verstanden, das katholische Leben in der Stadt wahrnahmen, aussagekräftig und beeinflusste das Zusammenspiel der Konfessionskulturen. Wie gesehen bewahrten die meisten katholischen Prozessionen in Aachen ihren vorkonfessionellen Charakter. In dem Maße, wie reformierte und lutherische Aachener den religiösen Umzügen fernblieben, nahmen die Aachener Katholiken aber dennoch wahr, dass sie sich während der Prozessionen von einem wachsenden Teil ihrer Mitbürger unterschieden. Weil die Teilnehmer schwanden, konnten die Mitglieder der katholischen Konfessionsgruppe die Prozessionen als Beispiel für die Schwächung ihrer Religion betrachten. Dass das protestantisch dominierte Stadtregiment die

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Prozession zum Sakramentstag ganz aussetzte, konnte sogar als Zeichen der existentiellen Bedrohung der katholischen Kirche in Aachen gedeutet werden. Gleichzeitig erfuhren die Aachener Katholiken während der Prozessionen die Fortsetzung ihrer traditionellen Frömmigkeit, sodass das Prozessionswesen ihnen insgesamt ambivalente Eindrücke von ihrer Stellung in der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft vermittelte. Ganz ähnlich gestalteten sich die die Erfahrung der Aachener Katholiken mit der Heiligtumsfahrt. Das protestantisch dominierte Stadtregiment behinderte das religiöse Großereignis der Katholiken nicht. Trotzdem erkannten die Katholiken auch an den Heiligtumsfahrten der Jahre 1587 und 1594 Krisensymptome ihrer Religion. In diesen beiden Jahren reisten deutlich weniger Pilger als zuvor an, um die Reliquien der Marienkirche zu sehen. Unter anderem verkleinerte sich die traditionell großen Besuchergruppe aus Ungarn vom ersten zum zweiten Termin um etwa ein Viertel.412 Der Grund für die verminderte Pilgerzahl lag wohl vor allem darin, dass die An- und Weiterreise der Besucher angesichts des niederländischen Kriegs, der auf die Umgebung Aachens ausgriff, besonders gefährlich war.413 Damit war ein wesentlicher Eindruck, den die Aachener Katholiken vom Zustand ihrer Religion in der Stadt – das heißt hier konkret von deren Niedergang – gewannen, von den politischen Verhältnissen außerhalb der Stadt abhängig. Umgekehrt stärkten aber äußere Einflüsse gerade im Zusammenhang mit Pilgern, die Aachen besuchten, um die Hauptreliquien der Marienkirche zu sehen, auch das katholische Selbstbewusstsein und den Eindruck von der Sicherheit und dem Fortbestand der katholischen Religion: Wenn das Marienstift Männern, die in ganz Europa oder zumindest regional als politische Vorkämpfer für den Katholizismus bekannt waren, die Besichtigung der Reliquien erlaubte, riefen deren Besuche den Aachener Katholiken in Erinnerung, dass ihre Stadt trotz ihrer gemischtkonfessionellen Bevölkerung als katholische Stadt Teil der katholischen Religionsgemeinschaft in Europa war. Solche Zugehörigkeit zum überregionale Katholizismus erlebten die katholischen Bewohner Aachens beim Heiligtumsbesuch Alexander von Parmas im September 1589414 oder Erzbischof Ernsts von Köln im November 1595.415 Auch die neue Prozession zum Ägidiustag entfaltete eine stärkende sym412 Vgl. Pohle, Die Ungarische Kapelle des Aachener Münsters in der Gegenreformation, hier: S. 380. 413 Vgl. Hermann Weinsberg, Die autobiographischen Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs. Digitale Gesamtausgabe. Bd. 2: Liber Senectutis, hier: f. 656rv und Hermann Weinsberg, Die autobiographischen Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs. Digitale Gesamtausgabe. Bd. 3: Liber Decrepitudinis, hier: f. 322v. 414 Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 221v–222r. 415 Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 412r.

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bolische Wirkung auf den konfessionellen Katholizismus in Aachen, welche die tragende Bedeutung der einen restituierten Religion für die öffentliche Ordnung betonte. Das traf besonders dann zu, wenn der Erzbischof sie begleitete – wie 1608 geschehen.416 Wenn der Münsterprediger zu Gebeten für das Seelenheil in Frankreich kämpfender Soldaten Philipps II. aufrief oder wenn das Marienstift Votivmessen halten ließ, damit die Verhandlungen zur Beendigung des niederländischen Kriegs erfolgreich waren, versicherten sich die Aachener Katholiken, dass sie in einer Stadt lebten, die auch katholisch war.417 Besuche prominenter Katholiken in der Stadt und Gebete für den Erfolg des politischen Katholizismus in Europa nahmen die katholische Bevölkerung dabei nicht gegen ihre protestantischen Mitbürger oder das protestantisch dominierte Stadtregiment ein. So stimmten Marienstift und Rat zumindest die Vorführung der Reliquien für Besucher miteinander ab und demonstrierten damit die Möglichkeit zu überkonfessionellen Kooperation auch in katholisch-religiösen Angelegenheiten.418 Die Erfahrung der katholischen Opposition stellten dieses Potential zur Zusammenarbeit und zum Zusammenleben der Konfessionsgruppen allerdings radikal in Frage. Mitglieder der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten sowie ähnlicher Gruppen erlebten die Zeit, während der sie außerhalb Aachens daran arbeiteten, ihre politischen Ziele zu verwirklichen, als Exil und Notstand. Sie konnten nur eingeschränkt auf ihren Besitz in Aachen zugreifen. Während sich die politischen Auseinandersetzungen wie zum Beispiel in den Jahren 1581 und 1582 zuspitzten, mussten sie fürchten, dass ihre Häuser zerstört oder enteignet würden.419 Darüber hinaus sahen sich die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten vor allem in ihrer Ehre verletzt. Sie beklagten bei verschiedenen Gelegenheiten, dass das protestantisch dominierte Stadtregiment alles Mögliche unternehme, um sie gegenüber den Bewohnern der Stadt nicht nur als Alleinschuldige der politischen Auseinandersetzungen darzustellen, sondern sie auch insgesamt in Verruf zu bringen. Dazu seien ehrabschneidende Symbole wie Galgen und Räder an den Häusern der Mitglieder des Exilregiments angebracht worden. In den Straßen würden Spottlieder auf sie gesungen und öffentlich ausgehängte Ratsmandate stellten die Politik der katholischen Opposition in ein falsches Licht. Schließlich würden die Bürger 416

Vgl. Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 158v. Vgl. Protokoll der Kapitelsitzung vom 2. August 1595, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 387r und Protokoll zur Kapitelsitzung vom 5. August 1598, LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 e, f. 58r. 418 Vgl. Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 412r. 419 Vgl. Klageschrift der katholischen Bürgermeister Schöffen und Bürger, aufgenommen durch den Notar Johannes Kleins, [31. März 1582], LA NRW, Abt. Rhld., Dep. Reichsstadt Aachen, Akten 57. 417

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durch den Verkauf günstigen Korns bestochen, die Politik des regierenden Rats zu unterstützen.420 Die Frage, inwiefern die Erfahrungen der überschaubaren Gruppe katholischer Oppositioneller mit denen der katholischen Konfessionsgruppe in Aachen übereinstimmte oder inwiefern die Erlebnisse der katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten die Mehrheit der Aachener Katholiken zumindest beeinflussten, ist schwer zu beantworten. Die punktuell überlieferten Klagen der katholischen Politiker lassen offen, ob sie die beschriebene Unterdrückung und Herabsetzung unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment alltäglich erlebten. Wenn dem so war, machten mit größerer Wahrscheinlichkeit auch Katholiken ähnliche Erfahrungen, die nicht unmittelbar mit der katholischen Opposition in Verbindung standen. Weil die beiden Quellen, die am deutlichsten von den negativen Erfahrungen der Katholiken unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment sprechen, in direktem Zusammenhang mit der innerstädtischen Krise von 1581 und 1582 beziehungsweise mit der Zuspitzung Auseinandersetzungen über das kaiserliche Endurteil in den Jahren 1589 bis 1593 entstanden, ist allerdings eher davon auszugehen, dass sie krisenspezifische Erfahrungen und nicht den katholischen Alltag der Jahre 1580 bis 1598 zusammenfassen. Dass in dieser Zeit öffentliche Angriffe auf die Ehre oppositioneller Katholiken nicht ununterbrochen vorherrschten, zeigt die Beerdigung des ehemaligen Bürgermeisters Leonhard von Hove im Mai 1589. Hove hatte zu Beginn der 1580er Jahre der katholischen Opposition nahe gestanden, war dann aber unter dem protestantisch dominierten Stadtregiment wieder in den Rat eingezogen. Nach seinem Tod beschloss das Marienstift, seine Beerdigung von feierlichem Glockengeläut begleiten zu lassen.421 Das protestantisch dominierte Stadtregiment tat nichts, um dieses Ehrenbekundung zu verhindern. Die katholische Konfessionsgruppe in Aachen erlebte also, dass ihre Mitglieder auch unter dem mehrheitlich protestantischen Rat als Mitglieder der politischen und gesellschaftlichen Elite der Stadt anerkannt werden konnten – insbesondere, wenn sie die Politik des amtierenden Stadtregiments mittrugen. Zudem deutet einiges darauf hin, dass sich Spott und Ablehnung der Protestanten in Aachen gegen Aachener Katholiken nicht nur zeitlich auf politische Krisensituation konzentrierten, sondern auch sehr gezielt auf Männer gerichtet waren, die aktiv eine katholisch-konfessionalistische, gegen die lutherischen und reformierten Konfessionsgruppen in Aachen 420 Vgl. ebd. sowie Johann von Thenen aus Jülich an den Abgesandten des Aachener katholischen Ausschusses am kaiserlichen Hof in Prag, 22. April 1591, StAAa, RA II, Allg. Akt. 206, f. 7r–8v. 421 Vgl. LA NRW, Abt. Rhld., Aachen St. Marien Akten Nr. 11 d, f. 183r.

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gerichtete Politik betrieben. Einige gereimte Polemiken und Spottlieder, die aus protestantischer Sicht Fehlentwicklungen in Aachen in den Jahren 1581 sowie 1598 bis 1611 kritisieren und die eventuell zu der Art von Pasquillen gehören, über deren Verbreitung in Aachen die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten sich 1581 beschwerten, griffen verbal eine sehr überschaubare Gruppe von Männern an. Ein Lied über Ratsspaltung und Bürgeraufstand von 1581 macht Franz Voss in seiner Rolle als Münsterprediger, den späteren Vogtmeier Johann Thenen sowie eine Hand voll Mitgliedern des ersten Exilregiments namentlich für den Streit in der Aachener Bürgerschaft verantwortlich.422 Das Lied legt diesen Männern die Worte „[. . . ] auß auß ihr geussen alzumael / laest unß catholische regeren / dan wir blyve altzyt die herren [. . . ]“423 in den Mund. „[C]atholische“ sind hier offensichtlich ein Feindbild. Gemeint sind aber eindeutig nicht die Angehörigen einer ganzen Konfessionsgruppe in Aachen, sondern eine kleine Gruppe von Männern, die selbstsüchtig nach politischer Macht strebten. Ebenso entschieden beleidigten drei weitere Lieder politisch verantwortliche Katholiken, ohne gegen die ganze katholische Konfessionsgruppe zu polemisieren. Die Lieder handeln von der Herrschaft des restituierten Rates in den Jahren nach 1598 und erzählen, welche Ungerechtigkeiten die Bürger in den Jahren 1608 und 1611 dazu provoziert hätten, sich bewaffnet zu erheben.424 Diese jüngeren Dichtungen entluden ihren Spott auf eine größere Anzahl von Männern, indem sie beispielsweise auch den Hauptmann Gerhard Ellerborn und die Mehrheit der katholischen Bürgermeister seit 1598 für ihre angeblichen Vergehen und moralischen Schwächen anprangerte. Alle, die in den Versen angegriffen wurden, hatten aber gemeinsam, dass sie „Catholische Practicanten“425 waren – keine beliebigen Mitglieder der katholischen Konfessionsgruppe, Männer, die nach politischer Macht strebten und die „Religions Verwantten“426 in der Stadt unterdrücken wollten. Wie verdorben diese ganz spezielle Gruppe von Aachener Katholiken war, charakterisierten Spottverse mit folgendem Umstand. Als sie 1598 nach dem 422

Vgl. „Was sich Anno 1581 jaer zu Aachen zu gedragen haedt. Een neuw liedt auff die weise von den Mort van Paris“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 8ff. 423 Ebd., f. 8v. 424 Vgl. das sehr ausführliche „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 29v–36v; „Een Nu Liedeken van die Godloose heeren van Aken op die weise van die 100 psalm“, ebd., f. 53v–54v, das die Bewaffnung der Bürger im Jahr 1608 rechtfertigt und „Ein Newes Liedt, im thoen es wahren Neun Soldaten“, ebd., f. 142r–143r, das den Aufstand von 1611 als notwendige Folge der tyrannischen Herrschaft des katholischen Rates darstellt. 425 „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, ebd., f. 29v. 426 Ebd.

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Tod des Bürgermeisters Albrecht Schrick Wilhelm von Wilre in dessen Amt hoben, hätten sie zunächst befürchtet, ihre Regiment könnte dadurch schon nach kurzer Zeit wieder zerbrechen. Sie hätten Wilre für einen gefährlichen Betrüger gehalten.427 Erst eine eigentlich unschmeichelhafte Feststellung zu Wilre habe die „Catholische Practicanten“ mit dessen Wahl zum Bürgermeister versöhnt: „Ehr ist doch woll recht een feyndt der geusen / Ich glaub er wirdt ungestrafft lassen die beusen“428 Während der Liedtext Wilhelm von Wilre auf diese Art und Weise in ein schlechtes Licht stellte, bezeichnete er den Bürgermeister auch als „bastart“429 . So stellte die Polemik die bürgerliche Ehre ihres Opfers in Frage. Das selbe Ziel verfolgte der Liedautor auch, als er schon zuvor Johann Dammerscheid, ein mutmaßlich führendes Mitglied der katholischen Opposition gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment,430 als Sohn eines Mönchs bezeichnete.431 Diese Spitze richtete sich nicht vornehmlich gegen den katholischen Klerus, die katholische Kirche oder die katholische Konfessionsgruppe insgesamt, sondern gegen den unehelich geborenen „Catholische Practicanten“ Dammerscheit. Das Lied „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haed“ trieb die Polemik gegen die politisch aktiven Katholiken in Aachen zum Höhepunkt. Die 1611 bereits verstorbenen Mitglieder des verspotteten katholischen Exilregiments, deren politische Unterstützer und die Amtsträger des restituierten katholischen Stadtregiments trafen sich, wie das Lied schildert, in der Hölle.432 Dort sprachen sie darüber, wie sie die Aachener „geusen“ verfolgt hatten und wie sie sich auf deren Kosten bereichert hatten. Sie erwarteten, dass ihre Weggenossen in der katholischen Opposition und die Mitglieder des restituierten Stadtregiments ihnen bald in der Hölle Gesellschaft leisten würden. Die Höllenfahrtepisode des Spottliedes verdeutlicht ein weiteres Mal, 427 Zum Amtswechsel zwischen Schrick und Wilre vgl. Coels van der Brügghen, Die Aachener Bürgermeister von 1521 bis 1798, hier: S. 65. Zu diesem Vorgang in protestantischen Spottversen vgl. „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 30v–31r. 428 ebd., f. 31r. 429 „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, ebd., f. 30v. 430 Obwohl ihm die Rolle eines Rädelsführers zugeschrieben wurde, ist über Dammerscheids tatsächliche Rolle im katholischen Exilregiment wenig bekannt – vgl. Hansen, Die Aachener Rathswahlen in den Jahren 1581 und 1582, hier: S. 236–237. 431 „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 30r. 432 Vgl. hierzu und zum Folgenden: „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, ebd., f. 32r.

Erfahrungsgemeinschaften der gemischtkonfessionellen Stadt

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wie die protestantische, politische Polemik, die zur Erfahrungswelt der katholischen Konfessionsgruppe in Aachen gehörte, die Konfessionsbezeichnung ‚katholisch‘ konnotierten. Mit Katholiken oder „papisten“ meinten die Spottverse eindeutig eine kleine politisch definierte Gruppe. Selbst wenn die protestantischen Autoren diese besondere Auswahl von Aachener Katholiken zur Hölle schrieben, begründeten sie ihre Verdammnis nicht damit, dass sie die Lehren der römischen Kirche anhingen. Die „Catholische[n] Practicanten“ hatten gesündigt, indem sie die Aachener Reformierten und Lutheraner verfolgt hatten und währenddessen nicht nur selbstsüchtig sondern auch gegen die Interessen der gesamten Bürgergemeinschaft handelten. Die protestantischen Liedautoren nutzten ‚katholisch‘ als Schmähwort, entkleideten es dazu allerdings fast vollständig seines religiösen und konfessionellen Gehalts. Aus ihrer Sicht griffen sie damit die oberflächliche Art und Weise auf, mit der sich auch die katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten oder das restituierte Stadtregiment des Attributs ‚katholisch‘ bedienten. Die Religion, so vermittelten die Spottlieder übereinstimmend mit der politischen Argumentation des protestantisch dominierten Stadtregiments, schoben die „Catholische[n] Practicanten“ lediglich vor, um ihre böswilligen politischen Ziele durchzusetzen. Zu diesem Kunstgriff von katholischer Opposition und katholischen Regiment gehörte aus der Sicht der Liedautoren auch die Verunglimpfung der Aachener Protestanten als „geusen“. In den Liedern kommt dieser Kampfbegriff als eindeutig von den katholischen Politikern gebrauchte Beleidigung vor. Die Protestanten führen sie aber auch ironisch als Selbstbezeichnung neben dem neutralen „Religions Verwantte[. . . ]“.433 Die Verse, in denen die Aachener Protestanten in Auseinandersetzung mit den „Catholische[n] Practicanten“ ihre Gruppenidentität schärften, konnten selbstverständlich auch auf die Mehrheit der katholischen Konfessionsgruppe ausgrenzend und feindselig wirken. Diese Erfahrung relativierten allerdings fast alle heute bekannten protestantischen Spottlieder, indem sie die angegriffenen katholischen Politiker, vor allem für ihre Verstöße gegen allgemeine bürgerliche Werte verurteilten. So machten sie überkonfessionell gültige Indentifikationsangebote. Auch die Katholiken, die das protestantisch dominierte Stadtregiment unterstützten standen in den Augen der Bewohner Aachens, die den Liedern zuhörten oder sie lasen, als vergleichsweise ehrenhafte Verteidiger reichsstädtischer Freiheiten und bürgerlicher Werte da, wenn die katholischen Oppositionellen als „[. . . ] Eidts und ehrvergessen leudt [. . . ]“,434 besungen wurden. Katholiken, welche die Außenpolitik des restituierten, katholischen Stadtregiments kritisierten, 433 434

Vgl. ebd., f. 29v. „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“, ebd., f. 29v.

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Drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel

stimmten dem „Nu Liedeken van die godloose heeren van Aken“ eventuell zu, wenn es behauptete, die katholischen Amtsträger hätten ihre Intrigen gesponnen, um „[. . . ] op die spanische seyde [. . . ]“435 zu kommen. Lediglich das „Newe[. . . ] Liedt, im thoen es wahren Neun Soldaten“ verfolgte in 21 Versen konsequent das Ziel, das katholische Stadtregiment mit Tyrannen, Sündern und apokalyptischen Gestalten beider Testamente gleichzusetzen,436 verzichtete also auf solche konfessionsübergreifende Anknüpfungspunkte. Der größte Teil der katholischen Konfessionsgruppe in Aachen erfuhr also nicht dieselben Anfeindung, welche die Mitglieder der katholischen Opposition dulden mussten. Deswegen solidarisierten sie sich nicht mit den Männern, deren Selbstverständnis es war, politisch für den Erhalt der katholischen Religion in der Stadt zu kämpfen. Wenn die katholischen Einwohner Aachen eine Gruppe bildeten, dann nicht im Sinne der katholischen Bürgerschaft, auf die sich das Exilregiment als legitimierende Körperschaft berief. Die Aachener Katholiken bildeten eine Gemeinschaft, die ihre Konfession teilte und dadurch ambivalente Erfahrungen machte, wie weit sie sich im gemischtkonfessionellen Aachen religiös entfalten konnte und wie sicher ihr Wohlstand und ihre Freiheit waren. Nur diejenigen Katholiken, die sich aktiv für die Gegenreformation in Aachen einsetzten, hatten zu diesen Fragen klare Postionen. Mit ihren konfessionell polarisierten Standpunkten beeinflussten katholische Opposition und katholisches Regiment zwar ihre Konfessionsgruppe. Es gelang ihnen aber zunächst nicht, deren Einstellung zum gemischtkonfessionellen Aachener Gemeinwesen entscheidend zu prägen. 3.2.3 Ergebnisse: Verbindende und polarisierende Erfahrungen in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen Die Mitglieder der katholischen Konfessionsgruppe gelangten in der Zeit zwischen 1550 und 1616 lange zu keiner einhelligen Einstellung zu ihrem Leben in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen. Insbesondere in den Jahren 1580 bis 1598 machten die Aachener Katholiken alltäglich die widersprüchlichen Erfahrung, dass Laien und Kleriker ihrer Konfessionsgruppe ihre Religion auf der einen Seite in ihren üblichen Formen des Gottesdienstes, der Prozession und der für Aachen typischen Heiligtumsfahrt weiter pflegten und dass auf der anderen Seite die katholische Religion in der Stadt von allgemeinen politischen Entwicklungen in ihrem 435 „Een Nu Liedeken van die Godloose heeren van Aken op die weise van die 100 psalm“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 53r–54v, hier: f. 54r. 436 Vgl. ebd., f. 142r–143r.

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Bestand grundsätzlich bedroht war. Die katholischen Einwohner der Stadt lebten ihre Frömmigkeit frei aus, überlagerten diese Erfahrung aber mit der Furcht, ihre Kirche könne sich in ihrer Heimatstadt nicht angemessen entfalten und so auf Dauer nicht bestehen. Ganz anders gestalteten sich die Lebenswelten der reformierten und lutherischen Aachener. Reformierte, lutherische und katholische Einwohner Aachens arrangierten sich besonders während der Herrschaft des mehrheitlich protestantisch dominierten Rates mit der Komplexität und den Widersprüchen ihrer Lebenswelten, als sie sich in Aachen religiös weitgehend frei entfalten konnten. Einwohner aller Konfessionen trugen dazu bei, dass das gesellschaftliche Leben in den Zünften und die öffentliche Repräsentation der reichsstädtischen Ordnung auch im gemischtkonfessionellen Aachen weiter die Gemeinschaft aller Einwohner der Stadt stärkte. In ihren voneinander abgegrenzten Konfessionskirchen schufen sich die Aachener Rahmenbedingungen, unter denen sie die Überzeugung festigen konnten, in einem insgesamt zufriedenstellenden Gemeinwesen zu leben. Die Möglichkeit, konfessionelle Spannungen zu entschärfen, war also eng an den Fortbestand der Institutionen geknüpft, die das politische und gesellschaftliche Leben der Reichsstadt Aachen bestimmten. Wie im Kapitel über die Träger des konfessionellen Zusammenlebens hinreichend gezeigt wurde, organisierten Stadtregiment, Gaffeln und Konfessionskirchen sich im gemischtkonfessionellen Aachen so, dass sie diese Möglichkeit offen halten konnten. Die Bewohnern Aachens unterschiedlicher Konfession waren nun herausgefordert, innerhalb der Institutionen so zu handeln, dass sie ihre widersprüchlichen Erfahrungen bezüglich der Sicherheit oder Unsicherheit ihrer Religion in einen sinnvollen Zusammenhang brachten und die Gegebenheiten der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft akzeptieren konnten. Die Aachener schöpften die Möglichkeit aus, das gesellschaftliche Leben in den Gaffeln zu gestalten, ohne sich dabei an speziellen Normen einzelner Konfessionskirchen zu orientieren. Auf diese Art und Weise pflegten sie sehr erfolgreich die überkonfessionelle Geselligkeit in den Gaffeln weiter. Auch ihrem Handwerk und ihrem Handel gingen die Aachener weiter nach, indem sie den Regeln folgten, wie sie Stadtregiment und Gaffeln schon seit vorkonfessioneller Zeit vorgaben. So schnitten selbst die gravierenden religionspolitischen Umschwünge der Jahre 1598 und 1611 weitaus weniger in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Aachen als zu befürchten gewesen wäre. Die Aachener verhalfen sich selbst zu Erlebnissen gesellschaftlicher Stabilität in ihrer gemischtkonfessionellen Stadt. Sie hielten den Wert der bürgerlichen Einigkeit auch angesichts der verhältnismäßig neuen Gefahr konfessioneller Spaltung mit seit langem bewährten Verfahren hoch. Die bisherige Forschung zu Aachen im konfessionellen Zeitalter und

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Drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel

insbesondere zur Zeit der sogenannten ‚protestantischen Herrschaft‘ hat nicht gewürdigt, dass es den Bewohnern der Aachens so besonders zwischen 1580 und 1598 regelmäßig gelang, den Zusammenhalt ihrer gemischtkonfessionellen Stadt zu repräsentieren. Nach den Beiträgen institutioneller Akteure zum friedlichen Zusammenleben der Konfessionen in Aachen, wie sie weiter oben bereits untersucht wurde, war die unkonfessionelle Alltagsgestaltung der zweite entscheidende Baustein für die Stabilität der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft. Die Aachener bewältigten ihre komplexen Lebenswirklichkeiten auch mit einem Bündel Praktiken, die den veränderten Lebensbedingungen im gemischtkonfessionellen Aachen auf ganz besondere Art und Weise Rechnung trugen. Diese Strategien für das Zusammenleben im gemischtkonfessionellen Aachen waren nicht unkonfessionell. Die Bewohner der Stadt entwickelten sie vor allem innerhalb der einzelnen Konfessionskirchen. Die reformierten und lutherischen Kirchen richteten Rituale wie die regelmäßigen Bettage, die Wirkung ihrer Gebetshäuser im öffentlichen Raum und ihre Zusammenarbeit mit der städtischen Obrigkeit so ein, dass sie ihrem Status in der Stadt, der zwischen Öffentlichkeitskirche und bedrohten Untergrundkirche anzusiedeln war, widerspiegelten. So gewannen die Gemeindemitglieder den Eindruck, dass im gemischtkonfessionellen Aachen sicher und christlich lebten. Die Katholiken schafften es ebenfalls, Aachen so zu erleben, dass sie politische Bedrohungen ihre Kirche zwar reflektierten, insgesamt aber die Kontinuität ihrer Religion in Prozessionen, Heiligtumsfahrt und den Beziehungen zwischen Klerus und weltlicher Obrigkeit im Vordergrund stehen sahen. Die repräsentativen Handlungen, mit denen sich die Aachener selbst ihrer bürgerlichen und religiösen Werte versicherten, waren insofern Ausdruck einer Konfessionalisierung der Aachener Gesellschaft, als sie zeigten, wie sehr die Bewohner der Stadt in vielen Bereichen ihres Lebens der Umstand Rechnung trugen, dass ihre städtische Gemeinschaft aus Mitgliedern dreier nach Dogma, Organisation und Frömmigkeit abgegrenzter Konfessionskirchen bestand. Keine der Konfessionsgruppen erhob aber durch ihre interne oder öffentliche Selbstdarstellung den Anspruch, dass in Aachener allein die Normen ihrer eigenen Konfessionen gelten sollten. Auch bei Inszenierung ihrer bürgerlichen Gemeinschaft und der reichsstädtischen Ordnung verzichteten die Aachen darauf, den Eindruck zu vermitteln, ein rein katholisches, rein reformiertes oder rein lutherisches Aachen sei wünschenswert. Die Aachener konfessionalisierten ihre Gesellschaft, indem sie sehr flexibel, vielgestaltig und ohne konfessionalistische Eindeutigkeit auf die Herausforderungen von Glaubensspaltung und Konfessionsbildung reagierten. Während das institutionelle Handeln der städtischen Obrigkeit und der Konfessionskirchen die

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Spielräume für das Zusammenleben der Konfessionen eröffnete, waren die alltäglichen gemeinsamen Aktivitäten der Aachener der eigentlichen Schlüssel zur Stabilität der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft. Dieses Zusammenspiel etablierte Aachen als gemischtkonfessionelles Gemeinwesen mit einer erkennbar anderen Grundlage als monokonfessionelle Städte oder Reichsstädte mit einer bikonfessionellen Religionsverfassung. Reformierte, Lutheraner und Katholiken beurteilten auf Grund ihrer Erfahrungen in Aachen das Zusammenleben der Konfessionsgruppen unterschiedlich und wünschten sich im Detail verschieden Formen des Religionswesens in der Stadt. Sie entwickelten aber keine konfessionsspezifischen Idealvorstellungen von der Aachener Bürgergemeinschaft, die sich gegenseitig ausschlossen. Solche antagonistischen religionspolitischen Entwürfe blieben auf die Diskussionen über die Causa Aquensis begrenzt. Die Frage ist, ob deren Akteure die Überzeugungen ihrer Glaubensgenossen so beeinflussen konnten, dass diese schließlich doch konfessionsspezifische politische Idealvorstellungen annahmen. Die verunsichernden und bedrohlichen Erfahrungen im Leben der Mitglieder aller drei Konfessionsgruppen standen häufig in engem Zusammenhang mit den politischen Krisen, welche die Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis in Aachen auslösten. Angesichts des Umstands, dass Angehörige aller Konfessionsgruppen vor allem in politischen Krisensituationen konfessionsspezifische und potentiell konfessionell polarisierende Erfahrungen machten, ist auch zu fragen, inwieweit sich die Krisenerfahrungen zu Geschichtsbildern verdichteten, die jeder einzelnen Konfessionsgruppe eigen waren. Das folgende Kapitel geht auch der Entstehung solcher konfessionsspezifischer Geschichtsbilder und ihrer Bedeutung für die Herausbildung abgegrenzter Konfessionskulturen nach.

3.3 Von Katholischer Reichsstadt und verfolgten Protestanten: Konfessionelle Geschichtsbilder und Konfessionskulturen in Aachen Warum sollten die Einwohnern Aachens sich gegen Ende des Untersuchungszeitraum konfessionsspezifische Geschichtsbilder zu eigen gemacht haben, nachdem sie zuvor über drei Jahrzehnte gut damit gelebt hatten, ihre gemischtkonfessionelle Umwelt in der Stadt als kompliziert aber ausreichend sicher wahrzunehmen? Die Annahme, dass die Aachener seit etwa 1598 schneller und konsequenter an der Konstruktion von konfessionell polarisierten Auslegungen ihrer Lebenswelten arbeiteten und damit den Grundstein für abgegrenzte Konfessionskulturen legten, die das Zusammenleben von Anhängern verschiedener Bekenntnisse im weiteren Verlauf der Aachener

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Drei Konfessionen im Zusammenspiel

Geschichte erschwerten, erscheint auf auf Grund mehrerer Hinweise so plausibel, dass sie untersucht werden muss. Die politischen Krisen, die schon vor 1598 gelegentlich Anlass gegeben hatten, die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens der Konfessionen bei gleichzeitiger religiöser Entfaltung aller Bekenntnisgruppe in Frage zu stellen, gewannen mit der ersten katholischen Restitution eine neue Qualität. Für die die Mitglieder der reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen verstetigte sich die Erfahrung, dass ihre Religionsgemeinschaften in Aachen verfolgt und existenziell bedroht wurden. Gleichzeitig bezogen das katholische Stadtregiment und neue katholisch konfessionalistisch handelnde Akteure – vor allem die Jesuiten – die Aachener Katholiken in neue Repräsentationen der katholischen Religion ein, welche für die Vorstellungen standen, das nur eine monokonfessionell katholische Bürgergemeinschaft und ein ebenso katholischer Magistrat Friede, Wohlstand und Privilegien der Reichsstadt Aachen sichern könnte und dass die katholische Religion, die in der Stadt allein gepflegt werden sollte, der reformierte und gegen die ‚Calvinisten‘ und Lutheraner gerichtete Katholizismus der Jesuiten sein müsse. Alle Konfessionsgruppen erlebten in dieser Phase also, dass die Art und Weise, wie sie sich in der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft zuvor friedlich arrangiert hatten, nun grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Es musste den Aachener zunehmend schwer fallen, als plausibel oder gar wünschenswert zu betrachten, dass Stadtregiment, Gaffeln und Konfessionskirchen in der nahen Vergangenheit aufeinander Rücksicht genommen hatten und bestimmte Bereiche des politischen, sozialen und religiösen Lebens in Aachen absichtlich nicht hatten normieren wollen, um Konfessionskonflikte zu vermeiden. Vielen Aachenern musste ihr eigenes Verhalten oder das ihrer Vorfahren im nachhinein inkonsistent erscheinen. Insbesondere konnten die seit 1580 alltäglich flexibel ausgehandelten Verständigungsversuche als Irrtum erscheinen, als die politisch Verantwortlichen während der Krise der Jahre 1611 bis 1614 keine andere Möglichkeit mehr sahen, als die Verhältnisse in Aachen zu Gunsten einer monokonfessionellen oder paritätisch beziehungsweise im Sinne eines Aequilibriums geregelten Religionsverfassung zu verändern. Um das eigene Handeln angesichts dieser Zuspitzung der religionspolitischen Konflikte in Aachen zu rechtfertigen, mussten Aachener aller Konfessionsgruppen ihrer Geschichte der vergangen dreißig Jahre mit den aktuellen ‚Aachener Wirren‘ in Einklang bringen. Sie konnten dazu an Deutungsmuster anknüpfen, die schon bei früheren Eskalationen der Auseinandersetzungen um den konfessionellen politischen Status Aachens einflussreich gewesen waren. Um solche Deutungen einzelner Ereignisse zu einer geschlossenen historischen Erzählungen zusammenzufügen, mussten

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die verschiedenen Autoren aber noch einen roten Faden spinnen, welcher der Geschichte Aachens bis dahin fehlte. Die widersprüchlichen und wechselnden Argumentationen in den politischen Auseinandersetzungen und die Mehrdeutigkeiten der Gestaltung von Gesellschaft und Religion in der Stadt mussten geglättet werden. Dazu konnten die Aachener verschiedene Geschichtsbilder entwerfen, die sich innerhalb von Konfessionsgruppen oder über Konfessionsgrenzen hinweg verbreiten konnten. Um diesen Prozess der Konstruktion konfessioneller und überkonfessioneller Geschichtsbilder zu verstehen, die Bedeutung der verschiedenen Geschichtsbilder einzuordnen und ihre Rolle für Herausbildung von Konfessionskulturen zu identifizieren, werden drei Aspekte genauer untersucht. Wie die Geschichte Aachens im konfessionellen Zeitalter zu konsistenten Geschichtsbildern verdichtet wurde und diese ins Bewusstsein der Aachener Bevölkerung rückten, wird an Hand der Medien dargestellt, in denen diese Verdichtung und Übertragung stattfand. Auf Grundlage der Untersuchung dieser Medien können die entstandenen Geschichtsbilder inhaltlich beschrieben werden. Dabei geht es nicht nur darum zu zeigen, wie es den Aachen gelang, die komplexen und widersprüchliche, jüngere Geschichte ihrer Stadt verständlich und plausibel darzustellen. Vor allem muss die Untersuchung möglichst differenziert zeigen, welche Alternativen geschichtlichen Deutungen sich verbreiteten, ob und wie die unterschiedlichen Versionen der Geschichte an bestimmte Konfessionsgruppen gebunden waren und welche Geschichtsbilder gegebenenfalls dominierten. Daran anknüpfend wird als dritter und abschließender Aspekt der historischen Deutungen zu überprüfen sein, welche Vorstellungen vom Zusammenleben der Konfessionen in den Geschichtsbilder dominierten, welche Eigen- und Fremdwahrnehmungen die Konfessionsgruppen in ihren Erzählungen von der jüngeren Vergangenheit verarbeiteten und wie beides zu einzelnen Konfessionskulturen und einer Kultur der konfessionellen Interaktion in Aachen beigetragen haben könnte. Die Diskussion dieser Probleme leitet zu den abschließenden Überlegungen, Ergebnissen und Ausblicken der vorliegenden Studie über. Im Licht der Geschichtsbilder und der sich darin widerspiegelnden Aspekte veränderter Konfessionskulturen in Aachen gewinnen die Besonderheiten der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Aachen in den vorangegangenen Jahrzehnten weiter an Kontur. 3.3.1 Von Krisenerfahrungen zum geschlossenen Geschichtsbild – Erlebnisberichte, Flugschriften und Chronistik Als Medien der Konstruktion von Geschichtsbildern spielten Erlebnisberichte eine Rolle, in denen Menschen ihre eigenen Erfahrungen mit der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft oder den Auseinandersetzungen um

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die Causa Aquensis zum Ausgangspunkt für ihre historische Deutung und Bewertung der Geschichte Aachens und seiner Konfessionsgruppen machten. Das zweite Medium, in dem Geschichten Aachens im konfessionellen Zeitaltern erzählt wurden, waren Flugschriften. Angesichts der besonderen Dramatik der ‚Aachener Wirren‘ und ihrem Zusammenhang mit dem Ausgreifen des niederländischen Kriegs auf den niederrheinisch-westfälischen Kreis wurde in den Jahren 1611 bis 1614 erstmals eine bemerkenswerte Anzahl von Flugschriften über die religionspolitischen Auseinandersetzungen in der Kaiserstadt in Umlauf gebracht. Die dritte Quelle, in der sich die Entstehung von Geschichtsbildern widerspiegelt, sind offensichtlich solche Texte, deren Autoren hauptsächlich die Absicht verfolgten, die Geschichte von Religion und Politik in Aachen zu erzählen. Die Chronisten Beeck und Noppius haben in diesem Sinne verhältnismäßig kurz nach der zweiten katholischen Restitution Stadtgeschichten verfassten. Alternative Erzählungen tauchen in einigen der schon erwähnten Lieder auf, die ebenfalls zu Beginn des 17. Jahrhunderts gedichtet wurden. Darüber hinaus entwickelten die reformierten und lutherischen Kirchen in Aachen, nachdem die zweite katholische Restitution 1616 abgeschlossen war, eigene Versionen der Geschichte Aachens im konfessionellen Zeitalter, auf deren Grundlage sie unter anderem politisch für ihr Recht kämpften, im nun offiziell katholischen Aachen ihre Religion auszuüben. Die Aachener Stadtchronisten und die protestantischen Konfessionskirchen unter dem katholischen Stadtregiment waren bei weiten nicht die Ersten, die die widersprüchliche Geschichte Aachens in klar strukturierte Erzählungen fassten, über die sich einfache Urteile fällen ließen. Lange Zeit versuchten vor allem die Aachener Akteure in den politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis aber auch die einzelnen Konfessionskirchen, die zweitweise unüberschaubaren politischen Konflikte in und um Aachen so zu ordnen, dass sie für sie selbst, ihre Konfessionsgruppe oder für die gesamte Aachener Bevölkerung sinnvoll erschienen. Einige dieser Versuche sind bereits in anderen Zusammenhängen diskutiert worden. So erzählte das lutherische Konsistorium, als es 1588 Johann von Lontzen wieder mit seiner Gemeinde versöhnte, eine eigene Version der Geschichte seiner Kirche: Seit spätestens 1580 grenzten sich die Aachener Lutheraner kompromisslos von den Reformierten und Katholiken in der Stadt ab und strebten die uneingeschränkte Anerkennung ihrer Kirche auf der rechtlichen Grundlage des Augsburger Konfessionsfriedens an. Dass Johann Lontzen als Bürgermeister im Krisenjahre 1581 seinen Konfessionsgenossen nicht das exercitium publicum verschaffte, war im Rahmen dieses Geschichtsbildes eine unverständliche Fehlentscheidung.437 Etwa zur gleichen Zeit wie die 437

Vgl. S. 402.

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Führung der lutherischen Konfessionskirche schrieb auch die katholische Opposition ihre eigene Geschichte Aachens im konfessionellen Zeitalter entscheidend fort. Sie setzten den Schöffenbürgermeister Gerhard Ellerborn, der 1558 dabei geholfen hatte, Adam von Zevel aus dem Bürgermeisteramt zu verdrängen, an den Anfang einer nicht mehr abreißenden Reihe von aufrechten Katholiken, die sich bis zum Erfolg 1598 politisch gegen den gefährlichen Protestantismus in Aachen stemmten.438 Die Geschichtsbilder der lutherischen Kirchenleitung und der katholischen Opposition hatten einiges gemeinsam. Sie bezogen sich inhaltlich auf die schweren politischen Krisen in Aachen. Weder die lutherischen Senioren noch die Mitglieder des katholischen Exilregiments erzählten ihre Geschichte als kontinuierliche Abfolge von Ereignissen, die den Mustern der Bemühungen orthodoxer Lutheraner um ihre Religionsfreiheit beziehungsweise des Kampfes unbeirrter Katholiken für den Erhalt ihrer Religion entsprachen. Ereignisgeschichte waren die beiden Berichte nur in Bezug auf Ausschnitte der politischen Krisen von 1580 bis 1581 beziehungsweise von 1558 bis 1560. Als stringente historische Erzählungen funktionierten sie nur deswegen, weil sie von der Beschreibung konkreter Streitigkeiten abhoben und den Protagonisten ihrer Geschichten – der Gemeinde unverfälschter Augsburgischer Konfession in Aachen beziehungsweise den katholischen Bürgern Aachens über einen langen Zeitraum konstante Motive unterstellten. Die Protagonisten selbst wurden in gewisser Weise erst für die Erzählungen erfunden, um sie zusammenzuhalten. Wie weit diese Geschichtsbilder die Verhältnisse in Aachen erklärten, blieb allerdings eng an die Umstände gebunden, unter denen sie entstanden. Die Erzählung der lutherischen Senioren rechtfertigte den Umgang mit Johann Lontzen angesichts dessen Wiederversöhnung mit der Gemeinde und das Geschichtsbild des katholischen Exilregiments sollten dessen Position um Kampf um ein kaiserliches Urteil gegen den protestantisch dominierten Rat unterstützen. Somit blieben die lutherischen und katholischen Versionen der Stadtgeschichte vor 1598 thematisch auf politische Krisen beschränkt ihre Verbreitung war situativ begrenzt und der Kreis der Personen, welche sie vertraten und verbreiteten, blieb überschaubar. Dennoch bildete sie eine Grundlage für historische Deutungen, welche auch die Ereignisse nach 1598 und besonders in den Jahren 1611 bis 1614 plausibel machten, weil sie den Akteuren klare konfessionelle und politische Motive unterstellten, wie sie in der Zeit der ‚Aachener Wirren‘ tatsächlich politisch wirkten. Bis 1598 fehlten spezifisch reformierte Erzählungen, auf die ein geschlossenes konfessionelles Geschichtsbild hätte aufbauen können. Erst die katholische Restitution von 1598 und das katholische Regiment der folgenden 438

Vgl. S. 155.

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Jahre machten die Aachener Reformierten zum Thema entsprechender Geschichten. Die vorherrschenden Medien, in denen diese neuen reformierten Aachener Geschichten erzählt wurden, waren neben Gravamina der evangelischen Bürgerschaft und der politischen Korrespondenz der Deputierten und von 1612 bis 1614 des protestantisch dominierten Rates situationsgebundene Äußerungen einzelner Vertreter der reformierten Konfessionskirchen in Aachen oder Berichte einzelner reformierter Akteure in den politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis. In zwei Quellen aus diesem Umfeld zeigen sich die typischen Muster von Erzählungen, auf Grundlage derer sich eine reformierte Geschichte Aachens formen ließ besonders deutlich: In seinem Abschiedsschreiben an seine deutsch-reformierte Gemeinde in Aachen gibt der Prediger Petrus Pedius im Jahr 1598 einen Ausblick auf die zu befürchtende Zeit der Unterdrückung der Gemeinde nach der katholischen Restitution. Er belehrt die Gemeindemitglieder, wie sie sich in Zukunft ‚unter dem Kreuz‘ christlich verhalten konnten, und gab ihnen dabei die Richtung vor, in der sie die Zeit vor der katholischen Restitution zu deuten und zu bewerten hatten.439 Gerhard Men entwickelte andere Aspekte reformierter Geschichtsbilder als er im Juli 1612 dem protestantisch dominierten Aachener Rat von den Mühen berichtete, die er als politischer Berater, Gesandter und Fürsprecher des Protestantismus in Aachen gehabt hatte. Men beschrieb plastisch die politischen Feinde und Feindseligkeiten, denen er als prominenter Aachener Reformierter nicht erst seit 1598 ausgesetzt gewesen war.440 Petrus Pedius ermahnte die deutsch-reformierte, aus deren Dienst er 1598 angesichts der katholischen Restitution geschieden war, auf Grundlage zahlreicher Bibelstellen mit weitgehend allgemein gehaltenen Ausführungen zur Verfolgung christlicher Gemeinden und dem Vertrauen auf das göttliche Heilsversprechen. Am Ende seines Schreibens erklärt er seinen Adressaten ausdrücklich, dass er ihnen nur deswegen nichts Konkreteres geschrieben hatte und nur Wenigen von ihnen persönliche Schreiben hatte zukommen lassen, weil zu befürchten war, dass jeder seiner Briefe in die falschen Hände gelangen könnte.441 Obwohl Pedius also sehr vorsichtig formulierte stellte er 439 Vgl. Petrus Pedius, „Eene herliche Vermaenungh so geschreben aen die bedrubte Gemeinde der christliche Religion der statt aach Anno 1598“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 47v–49v. 440 Vgl. „D. Men erzehlt seine gehabte muhe und außgestandene labores [. . . ]“, Heidelberg 22. Juli 1612, StAAa, RA II, Allg. Akt. 868, f. 10r–15r. 441 Vgl. Petrus Pedius, „Eene herliche Vermaenungh so geschreben aen die bedrubte Gemiende der christliche Religion der statt aach Anno 1598“, Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 49v.

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einige Punkte völlig klar. Mit Blick auf die bevorstehenden Einschränkungen des reformierten Religionslebens der Aachener Reformierten unter dem katholischen Stadtregiment, erinnerte Pedius seine ehemalige Gemeinde daran, dass Christen ihre Zuversicht nicht auf Wohlstand und Sicherheit in der Welt setzen sollten. Ganz im Gegenteil sei das „[. . . ] Evangelium von Christo Jesu ein wordt des Creutzes [. . . ]“442 und das Heil der Christen gerade in Zeiten der Verfolgung im wahren Glauben liege. Durch Verfolgung könne eine Gemeinde, die fest zu ihrem Glauben stehe geradezu gereinigt werden. So beschrieb Pedius die folgenden Jahre seiner Aachener Gemeinde bereits vorab als Zeit der Unterdrückung, in der sie Besonders fest zu ihrem Glauben stehen musste. Nachdem der Prediger die Entwicklung seiner Gemeinde unter dem katholischen Stadtregiment vorzeitig gedeutet hatte, nutzten die Aachener Reformierten das angedachte Deutungsmuster und erzählten die Geschichte Aachens nach 1598 als Geschichte ihrer eigenen Verfolgung durch Stadtregiment und Sendgericht. Bevor die Besonderheiten dieser Geschichte weiter untersucht werden, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Pedius in seinem Mahnschreiben auch zur historischen Bewertung der Zeit vor 1598 aus reformierter Sichte einen entscheidenden Beitrag leistete. An zwei Stellen seines Schreibens behandelte Petrus Pedius die Zeit vor 1598. Zunächst beantwortete er die im Raum stehende Frage, welchem wahren Glauben die Aachener Reformierten auch in Zeiten der Verfolgung folgen sollten. Er schrieb, dass die Gemeinde genau die Lehren aufrecht erhalten sollten, die er selbst ihnen in den vergangenen fast 19 Jahren vermittelt habe.443 Damit lobte Pedius nicht nur seine eigene Arbeit in der Aachener reformierten Gemeinde, sondern er gab auch eine erste Einschätzung ab, der zu Folge sich die Reformierten in Aachen vor 1598 als rechtgläubige Angehörige einer etablierten Kirche entfalten konnten. Diese geschichtliche Bewertung unterstrich er etwas weiter in seinem Schreiben. Er forderte die Gemeinde auf, sich an die Zeit vor der katholischen Restitution als Zeit besonderer Segnungen zu erinnern. Sie sollten nicht vergessen „[. . . ] in welcher freyheit euch Christus verkundiget worden ist, und mit die heillige sacramenten unverhindert als sieglen der gnaden und schetze des Himmels seit bedeinet worden, nun aber etwas sparsamer wie ich erachts, durch allerley forcht mittel und wege so man haben magh zu bekommen seindt, und man derwegen pillich mit allem Ernst und fleiß desen hievor gehabtten Uberflus sich zu erinneren sol wissen und deren Brosamen so damallen unter die fueß getretten, als leckerbißlein wider umb suchen [. . . ]“444 . Die 442 443 444

Ebd., f. 48r. Vgl. ebd. Ebd., f. 48v.

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Untersuchung des institutionellen Handelns der reformierten Konfessionskirche sowie der reformierten Erfahrungsgemeinschaft hat gezeigt, dass Pedius Voraussetzungen und Wirklichkeit des reformierten Religionslebens in Aachen vor 1598 damit zum Teil treffend beschrieb. Allerdings blendete er gleichzeitig ambivalente Aspekte der reformierten Kirchengeschichte in Aachen aus. In dem Bild vom religiösen Überfluss der Aachener Reformierten spiegelten sich nicht wieder, dass sie ihre konfessionellen Alleingeltungsansprüche zurückstellten oder dass ihre Kirche rechtlich und organisatorisch nie den Status einer voll anerkannten Öffentlichkeitskirche erreichte. Pedius zeichnete den Anfang eines reformierten Geschichtsbildes, in dem sich die religiöse Freiheit vor 1598 scharf von der religiösen Unterdrückung durch das katholische Stadtregiment absetzte. Der Erfahrungsbericht des langjährigen Syndicus und Gesandten des protestantischen Rates, Gerhard Men , gab den Feinden der Aachener Protestanten ein Gesicht. Gleichzeitig vermittelte er den Eindruck, als hätten die Reformierten in Aachen schon vor 1598 gegen die Unterdrückung ihrer Religion kämpfen müssen. Men hatte dem protestantisch dominierten Rat seit etwa 1598 gedient. Bis 1598 hatte er die politischen Interessen des in Aachen amtierenden Rates die meiste Zeit außerhalb der Stadt vertreten – am Reichskammergericht, auf Reichstagen, bei den Fürsten von Jülich, Kurköln und Brabant sowie am Prager Hof Rudolf II. Men berichtete dem vom kurpfälzischen Reichsvikar eingesetzten, protestantisch dominierten Rat von diesen Bemühungen, damit die neuen Ratsherren und Amtsträger erfuhren, wieviel er für die Sache der Aachener Protestanten geleistet hatte, ohne dass seine Herren ihn dafür angemessen entschädigt hätten. Weil er über Jahre hinweg der einzige Syndicus des protestantisch dominierten Stadtregiments gewesen sei, habe ihn schon die Dauer seiner Gesandtschaftsreisen ungewöhnlich belastet. Jahrelang habe er den Großteil seiner Zeit außerhalb Aachens arbeiten müssen. Während seiner ausgedehnten Reisen ließ er seine Frau allein in der Stadt zurück und verzichtete auf die Annehmlichkeiten seines Hauses und seines übrigen Besitzes. Neben diesen alltäglichen Belastungen beschrieb Men Situationen, in denen er besonders unter seinen Aufgaben als Aachener Syndicus litt. Den Auftakt zu einer Reihe von Ereignissen, die Men als geradezu traumatisch schilderte, bildet die Verlesung des kaiserlichen Endurteils in der Sachen Aachen gegen Aachen in Prag im Jahr 1593. Gerhard Men erzählte, dass man ihn als Gesandten des amtierenden Aachener Stadtregiments allein vorgeladen habe, um das Urteil gegen seine Herren anzuhören. Der Weg zur Urteilsverkündigung führte ihn durch mehrere Vorzimmer, deren Türen hinter ihm verschlossen wurden. Schließlich habe ihn der Hofmarschall mit gezogenem Schwert an der letzten Tür in Empfang genommen, was den

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Eindruck noch verstärkte, Men sei mehr Gefangener als Gesandter. Der Umstand, dass ihm das Endurteil in Anwesenheit Kaiser Rudolf II. und seiner geheimen Räte verlesen wurde, entmutigte den Aachener Syndicus vollends. Dennoch habe er den kaiserlichen Rechtspruch nicht untertänig hinnehmen können, um sich gefahrlos aus der Affäre zu ziehen. Er habe stattdessen Mut gefasst und die Rechte des protestantisch dominierte Stadtregiments angesichts der Urteilsverlesung reserviert. In seinem Bericht aus dem Jahr 1612 erklärt Men, dass er sich mit diesem Auftritt nicht nur den Hass des Kaisers und seiner Räte sondern praktisch aller katholischen Akteure in den Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis zugezogen haben. Als er 1594 auf dem Reichstag in Regensburg für die Revision des kaiserlichen Urteils warb, seien ihm die Aversionen der Katholiken so heftig entgegengeschlagen, dass die Gesandten einiger protestantischer Stände um sein persönliches Wohlergehen fürchteten. Gerhard Men steuert mit diesem Bericht eine Erzählung zur reformierten Geschichte bei, der zu Folge die Aachener Reformierten seit 1593 den Angriffen der katholischen Konfessionspartei im Reich ausgesetzt waren, zu der ohne Einschränkungen auch der Kaiser gehörte. Als die Aachener Protestanten die religionspolitischen Verhältnisse in der Stadt in den Jahren 1611 und 1612 weitgehend unabhängig von kaiserlichen Rechtsprüchen gestalten wollten, erschien diese Deutung sinnvoll: Die Politik des katholisches Kaisers und der katholischen Reichsstände hatte die Aachener Reformierten schon in den 1590er Jahren existenziell bedroht und musste jetzt überwunden werden. Passend dazu porträtiert Gerhard Men auch die spanische Regierung in Brüssel als besonders gefährlich. Dazu beschreibt Men in groben Zügen die Umstände einer Gesandtschaftsreise, die er noch 1597 nach Brüssel unternahm, um die drohende Exekution des Urteils gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment abzuwenden. Wohl um die Dramatik seiner Unternehmung hervorzuheben, schreibt der Syndicus, er sei nach Brüssel gereist, als seine Herren, die Bürgermeister und Ratsverwandten in Aachen, bereits verbannt gewesen sein. Der Bann mag 1597 bereits absehbar gewesen sein, wurde tatsächlich aber erst im Sommer 1598 beschlossen und publiziert. Für die Atmosphäre, in der sich Gerhard Men in Brüssel bewegen musste, als er dort als Gesandter des protestantisch dominierten Stadtregiments auftrat, spielte das Detail, ob seine Auftraggeber bereits offiziell verbannt waren oder nicht indes keine entscheidende Rolle – Men nahm war, dass er wegen seiner reformierten Konfession beurteilt und bedroht wurde. Der Syndicus bemühte sich die Angst zu veranschaulichen, die er deswegen ausgestanden habe: Kurz bevor er seine Werbung im Rahmen der Audienz des Statthalters, Erzherzog Albrechts von Österreich, habe vortragen müssen, erfuhr er, dass in Brüssel eine Frau mit dem Tod durch lebendiges Begraben bestraft

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worden sei, und zwar „[. . . ] umb sollicher Religion undt glaubens willen, dazu ich mich auch offentlich bekant [. . . ]“445 Angesichts dieser Nachricht, so berichtet Men, habe er ernsthaft erwogen, mit zwei Pferden möglichst schnell aus Brüssel zu fliehen. Er entschloss sich schließlich dennoch, seinen Gesandtschaftsauftrag auszuführen. Men beschreibt seinen Aufenthalt in Brüssel trotz aller Dramatik als letzte Gelegenheit, bei der er der Bedrohung durch die katholischen Gegner der Aachener Reformierten entkam. Seitdem er etwas später dabei half, die Interessen der protestantischen Bürger im Exekutionsprozess zu vertreten, wurde er unmittelbar Opfer von Verfolgung.446 Während der Verhandlungen über die Entschädigungszahlungen, welche die Aachener Protestanten aufbringen sollten, verhaftete der Vogtmeier Gerhard Men, weil er sich weigerte, die politische Korrespondenz des abgesetzten protestantischen Rates herauszugeben. Gleichzeitig quartierte der katholische Rat Soldaten in Mens Wohnhaus ein. Die Vorwürfe gegen Men reichten nicht aus, um ihn für längere Zeit im Graßhaus gefangen zusetzen. Er war sich aber sicher, dass der Herzog von Jülich, dessen Vogtmeier und das katholische Stadtregiment, einen anhaltenden Groll auf ihn entwickelten, gerade weil sie gezwungen waren ihn freizulassen. Er habe deswegen Geschäfte in Aachen in den folgenden Jahre nur heimlich erledigen können. Schließlich habe er nach Köln umziehen müssen, wo er aber ebenfalls jedes Aufsehen vermeiden und mehrfach umziehen musste, bis er schließlich an den Heidelberger Hof berufen wurde. Ein Teil seines Aachener Besitzes fiel während seines Exils in die Hände von Angehörigen des katholischen Stadtregiments. Mit dieser letzten Episode seiner Erzählung führte Men also die gegenreformatorisch aktiven Aachener Katholiken als Feinde der Protestanten ein, nachdem er zuvor – in seinem Bericht über die 1590er Jahre – die Rolle der katholischen Opposition für der Bedrohung der Aachener Reformierten hinter der des Kaisers, der katholischen Reichsstände und der Regierung der habsburgischen Niederlande hatte zurücktreten lassen. Insgesamt hebt Mens Bericht hervor, dass Mitglieder der reformierten Konfessionsgruppe, die sich in den politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis engagierten, schon vor 1598 erlebten, wie Katholiken ihre religiöse Freiheit und ihre persönliche Sicherheit bedrohten. Die katholische Restitution stellte demnach dennoch einen Einschnitt dar: Zwischen 1598 und 1611 erfuhr der politisch involvierte Teil der reformierten Konfessionsgruppe die Verfolgung durch das katholische Stadtregiment und die katholischen Fürsten, die es stützten, besonders intensiv. Sie konnten sich 445 „D. Men erzehlt seine gehabte muhe und außgestandene labores [. . . ]“, Heidelberg 22. Juli 1612, StAAa, RA II, Allg. Akt. 868, f. 10v. 446 Vgl. zum Folgenden: Ebd., f. 12v–13r.

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vorübergehend gar nicht oder nur unter Gefahr in ihrer Heimatstadt Aachen aufhalten. Mit seinem Bericht bereicherte und unterstrich Gerhard Men die allgemeine Erfahrung der Unterdrückung seiner in Aachen verbliebenen Konfessionsgenossen. Darüber hinaus beschrieb er anders als Petrus Pedius eine konsequente historische Entwicklung von den religionspolitischen Auseinandersetzungen der 1580er und 1590er Jahre zu der misslichen Lage der reformierten Konfessionskirchen in Aachen zwischen 1598 und 1611. Er stellte die katholische Restitution von 1598 nicht als alleinstehende, katastrophale Krise dar, sondern als Niederlage in einem lange dauernden Kampf mit eindeutig benannten, katholischen Gegnern. Aus dieser Perspektive war es folgerichtig, die ‚Aachener Wirren‘ des Jahres 1611 und die folgenden Bemühungen um die Stabilisierung des protestantisch dominierten Stadtregiments als wiederholten religionspolitischen Entscheidungskampf um Aachen zu betrachten. Wieweit die diskutierten Texte von den Mitgliedern der reformierten Konfessionsgruppen tatsächlich zu einem eigenen Geschichtsbild ausgebaute werden konnte, hing nicht zuletzt davon ab, ob Pedius und Men als Multiplikatoren ihrer Erfahrungen und historischen Deutungen wirken konnten. Beide erreichten mit ihren Schriften zunächst nur einen kleinen Kreis von Lesern. Ihre Erzählungen und Deutungen erlangten zunächst eine ähnlich große Öffentlichkeit wie das erste Schreiben, in dem sich das katholische Exilregiment in historische Kontinuität zu den politischen Gegnern von Bürgermeister Adam von Zevels setzte,447 oder wie der Brief Johann von Thenens, in dem er 1591 die Verunglimpfung der katholischen Opposition durch das protestantisch dominierte Stadtregiment verurteilte.448 Die Deutung der Geschichte der lutherischen Gemeinde Aachens, welche die Gemeindeführung bei der Versöhnung Johann von Lontzens mit der Kirche vermittelte, erreichte zwar unmittelbar ein etwas größeres Publikum. Auch bei dieser Deutung handelt es sich aber um einen Beitrag zu einem konfessionellen Geschichtsbild, den zunächst nur eine kleine Gruppe von Menschen rezipierte. Dass Pedius, Men, die Mitglieder der katholischen Opposition und die lutherische Kirchenleitung mit ihren Erfahrungsberichten und historischen Deutungen die Grundsteine für konfessionsspezifische Geschichtsbilder legten, ist eine Annahme, die darauf beruht, dass die genannten Autoren durch ihre exponierte Stellung in Politik oder Kirchen Multiplikatoren ihrer Meinungen waren. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass sie nicht die einzigen Führungspersönlichkeiten waren, die mit ihren Erfahrungsberichten und Deutungsversuchen beeinflussten, wie die übrigen Bewohner Aachens die Entwicklungen ihrer Stadt und ihrer Konfessions447 448

Vgl. S. 155. Vgl. S. 409.

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gruppe historisch einordneten. Wenn sich auch nicht direkt beobachten lässt, wie sich Elemente konfessioneller Geschichtsbilder so verbreiteten, sind die Ergebnisse dieses Prozesses doch festzustellen. Elemente aus den Erzählungen Pedius’ und Mens flossen in die historischen Erzählungen der Lieder „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“449 und „Ein Newes Liedt, im Thoen es wahrren Neun Soldaten“450 ein. Wie gesehen sticht das Lied „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“ hervor, weil es die Mitglieder der katholischen Opposition diffamierte.451 Was die Angriffe auf die Ehre der der politisch aktiven Katholiken in die Nähe von Gerhard Mens Beschreibung und Beurteilung der 1590er Jahre rückte, war die Zeit, der das Lied die angeblichen Vergehen der Katholiken gegen die Aachener Protestanten zuordnete. Wie Gerhard Men sah der Autor des Liedes den kaiserlichen Urteilsspruch in der Sache Aachen gegen Aachen als Auftakt für eine verschärfte Verfolgung der Protestanten in Aachen. Er fasste seine Einsicht in folgende Verse: „Im 1593. Jahr Ist een urtheil ergangen das ist wahr in Aach zu gegen den Religions verwanten welches gedaen haben die Catholische Practicanten“452 Ebenfalls ähnlich wie Men betonte das Lied an mehr als einer Stelle, dass der Streit, in dem das kaiserliche Urteil gefallen war, ein religiöser war. Die „Catholische Practicanten“ gingen gegen die „Religions verwanten“ vor, nicht nur gegen das 1593 amtierende Stadtregiment. Das Lied beschrieb einen allgemeinen Konfessionskonflikt in der Stadt Aachen. Die folgenden Verse erzählen allerdings nichts von andauernden Streitigkeiten zwischen katholischen Praktikanten und Religionsverwandten in den folgenden Jahren. Stattdessen erfahren die Leser, dass die Katholiken der Umsetzung ihres Plans, die Religionsverwandten zu bestehlen und auszurauben, durch die Exekution von 1598 ein entscheidendes Stück näher gekommen seien.453 Die Katholiken unterwarfen die Religionsverwandten mit Gewalt und machten sie zu „geusen“. So folgten sie dem Argumentationsmuster, mit dem Gerhard Men seine eigene Verfolgung mit den Religionskämpfen in den Niederlanden Zusammenhang brachte. 449 Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 29v–36v. 450 Vgl. ebd., f. 142r–143r. 451 Vgl. S. 411. 452 Vgl. Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 29v. 453 Vgl. ebd., f. 29v–30r.

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Indem das Lied das Jahr 1598 als weiteren und entscheidenden Schritt zur Unterdrückung der Aachener Reformierten und Lutheraner markierte, erzählte es gleichzeitig eine ähnliche Geschichte wie der reformierte Prediger Pedius. Das „Newe[. . . ] Liedt [. . . ]“ ging denselben Weg noch ein Stück weiter. Es beschreibt, wie die Gravamina der evangelischen Bürgerschaft von 1611 die Belastungen, unter den Reformierten und Lutheranern zwischen 1598 und 1611 zu leiden hatten. Ganz anders als die Gravamina und im Sinne von Pedius betonen die Verse allerdings die im engeren Sinne religiösen Aspekten der Unterdrückung der Protestanten. Das Lied machte sehr deutlich, dass in Aachen ein Kampf gegen die wahre christliche Religion geführt wurde, bevor es fortfuhr die verschiedenen Angriffe auf die protestantischen Kirchen – auf deren Taufen, Ehen und Begräbnisse – zu beschreiben, wobei es die Verfolgung der Aachener Protestanten mit der ägyptischen Gefangenschaft Israels verglich.454 Die Strophen drei bis fünf beginnen damit, das Stadtregiment in eine Reihe mit dem Antichristen der Offenbarung zu setzen. In Aachen dürfe seit dreizehn Jahren niemand regieren, „[. . . ] der nicht wolt verehren / das bildt des grossen thieren / und es wolt pitten aen [. . . ]“455 . Die Absichten des katholischen Stadtregiments ergaben sich zwangsläufig aus dessen antichristlichem Charakter und wurden in der nächsten Strophe wie folgt beschrieben: „Da Man Pflegt zu lehrnen / das heiligh Gottes wohrt / Da Man es thet vercleren / zu Gottes Lob und Ehren / das haben sie verstöhrt.“456 Sie, die Katholiken, zerstörten also systematisch und vollständig den wahren christlichen Glauben. Sie stritten damit – wie die fünfte Strophe des Liedes hinzufügt – für das Reich des Teufels. Die Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten in Aachen war demnach fundamental religiös begründet – sie bestand nicht erst seit 1598. Ganz im Sinne von Pedius’ Aufruf an die reformierte Gemeinde, besonders in Zeiten der Verfolgung stark im Glaube und im Vertrauen auf Gott zu bleiben, drückte das „Newe[. . . ] Liedt [. . . ]“ am Schluss die Hoffnung aus, Gott werde sich der leidenden Aachener Christen annehmen. Die Ermunterung zum Gottvertrauen täuscht aber nicht darüber hinweg, dass sowohl das „Newe[e] Liedt“ als auch „was sich Anno 1598 Jahr zu Aachen zu gedragen haedt“ Versionen der Geschichte Aachens im konfessionellen Zeitalter erzählten, die den Bürgeraufstand von 1611, die Forderungen der evangelischen Bürgerschaft nach freier Religionsausübung und die folgenden politischen Kämpfe um eine eindeutige Gestaltung der religionspolitischen 454 Vgl. Memorialbuch der Reformierten Gemeinde Aachen, Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Aachen, f. 142rv. 455 Ebd., f. 142r. 456 Ebd.

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Verhältnisse in Aachen folgerichtig und sinnvoll erscheinen ließen. Die reformierten Aachener, die das „Newe[e] Liedt“ in den Jahren 1611 bis 1614 hörten oder lasen, verstanden die Zeilen der letzten Strophe wahrscheinlich weniger als Ermahnung, ihre religiöse Unterdrückung zu erdulden. Sie konnten stattdessen zu der Überzeugung kommen, dass Gott sie durch den Erfolg des Aufstands, der Deputierten und des neuen protestantischen Stadtregiments von 1612 bereits dafür belohnte, dass sie die 13 Jahre katholischer Herrschaft nach 1598 ausgestanden hatten. Obwohl Reformierte, Lutheraner und Katholiken sich auf Grund der historischen Erzählungen ihrer Politiker und Kirchenführer und deren Rezeption in etwa in der veränderten Wirklichkeit in den Jahren 1611 bis 1614 orientieren konnten, hatten sie noch kein Geschichtsbild, in dem sich die neuen ‚Aachener Wirren‘ nahtlos in die Entwicklungen der vorangegangen Jahrzehnte einfügten. Gesamtgeschichten über Aachen in der Zeit zwischen der Glaubensspaltung und der zweiten katholischen Restitutionen entstanden erst nach 1614. Zu den dann üblichen Deutungsmustern trugen nicht nur die gerade diskutierten Erzählungen bei, sondern auch Flugschriften über die religionspolitischen Unruhen in Aachen, die in den Jahren 1611 bis 1614 vermehrt in Umlauf gebracht wurden.457 Neben einigen Flugschriften, die von Vorgeschichte und Verlauf der zweiten katholischen Restitution in Aachen 1614 im Kontext der spanischniederländischen Auseinandersetzungen im Nordwesten des Reiches zur selben Zeit berichten,458 stechen zwei Berichte hevor, die ausführlicher auf die Ereignisse in Aachen zwischen 1611 und 1614 eingehen. Die „Wahrhafftige newe Zeitung Welcher Gestalt der Durchleuchtigte Marquis Ambrosius Spinola, uber Kaeyserlicher Mayestät kriegsheer Obrister an der Statt und königlichem Stuell Aach die Kayserliche ergangene Acht exsequirt “459 457 Recherchen in den einschlägigen Datenbanken und Registern, im VD16/17 und in Hans-Joachim Köhler (Hrsg.), Flugschriften des späteren 16. Jahrhunderts. Leiden 1990– 2010 brachten keine Flugschriften zu Tage, die sich eingehend mit den religionspolitischen Auseinandersetzungen in Aachen bis 1598 befassten. 458 Vgl. „Copey zweyer Schreiben Deren eins ihr Roem. Key. May. In Sachen Coelln contra Muelheim abgehen lassen. [. . . ]. Item was die keyserlichen Commissarien zu Aach begehret. [. . . ]“ 1613 und Drey warhafftige newe Zeitung. Die Erste von der grossen auffruhr und Zwitracht so sich in den Niderlanden zwischen dem Brandenb: und Neuburger erhaben [. . . ]. Die ander Zeytung. Von der entstandenen Uneinigkeit und Wiederwillen zwischen dem Raht und Burgerschafft zu Franckfurt. Die Dritte Zeitung. Wie die Statt Aachen eingenommen worden. Köln. 1614. 459 „Wahrhafftige newe Zeitung Welcher Gestalt der Durchleuchtigte Marquis Ambrosius Spinola, uber Kaeyserlicher Mayestät kriegsheer Obrister an der Statt und königlichem Stuell Aach die Kayserliche ergangene Acht exsequirt hernach die fürnembste Städt und Oerter deß Gülschen Landts wie auch endtlich die Statt Nider-Wesel erobert und eingenommen. Auß glaubwuerdigen unpartheyischem Bericht zusammen gezogen“. Düsseldorf 1614.

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berichtete aus katholischer Sicht und feierte die Rückeroberung Aachens für Kaiser und katholische Kirche. Die „Warhaffte und Beständige Erzehlung Welcher massen des h. Reichs Stadt und koeniglicher Stuel Aach am 25/15 Tag Augusti des 1614. Jahrs durch den hern Marquis Ambrosio die Spinola ingenommen und besetzt worden [. . . ]“460 blickt ebenfalls auf das Jahr 1614, beklagt aber, dass die prosperierende Reichsstadt Aachen zerstört und die Verehrung des Evangeliums unterdrückt worden sei. Beide Flugschriften stellten den Aufmarsch der Armee Spinolas vor den Mauern Aachens und dessen unmittelbare Folgen in das Zentrum ihrer Erzählung. Auch wenn die spanischen Truppe lediglich vor der Stadt in Stellung gingen, wobei sie Aachen weder beschossen noch einnahmen, und obwohl Spinola am juristisch, politischen Akt der Achtvollstreckung kaum persönlich beteiligt war, machte die Anwesenheit des berühmten Feldherren und die Stärke seiner Truppen einen wesentlichen Teil des Nachrichtenwerts beider Berichte aus. Wahrscheinlich verbreiteten und verkauften sich die Flugschriften über den Ausgang der ‚Aachener Wirren‘ eher wegen der spektakulären militärischen Begleiterscheinungen als wegen der Bedeutung der zweiten katholischen Restitution für die religionspolitische Entwicklung der Reichsstadt Aachen. Der Aachener Konfessionskonflikt wurde zur Nachricht, weil die Leser von Flugschriften ihn als Nebenschauplatz des spanisch-niederländischen Kriegs betrachten konnten.461 Bei entgegengesetzter konfessioneller Ausrichtung berichteten die „Wahrhafftige newe Zeitung“ und die „Warhaffte und Beständige Erzehlung“ von den Aachener Ereignissen im August und September 1614 als einem Kampf und einer Entscheidung im Rahmen der überspannenden Konfessionskonflikte in Reich und Europa. Diese Perspektive gab vor, die Geschichte des Zusammenlebens der Konfessionen als Vorgeschichte des Entscheidungskampfes zu erzählen. Die beiden Flugschriften wandten die Logik konfessioneller Totalkonfrontation so selbstverständlich auf die gesamte Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten in Aachen an, dass jeweils wenige Worte ausreichten, um 460 „Warhaffte und Beständige Erzehlung Welcher massen des h. Reichs Stadt und koeniglicher Stuel Aach am 25/15 Tag Augusti des 1614. Jahrs durch den hern Marquis Ambrosio die Spinola ingenommen und besetzt worden Auch was sich sonsten alda von gemeldtem tag biß uff den 14/4 tag Septembris begeben. Allen der warheit liebhabern zum besten und wider andere ausgesprengte Zeittungen in Truck gegeben“. o.O. 1614. 461 Johannes Arndt/Esther-Beate Körber, Einleitung. Das Medien-System im Alten Reich der Frühen Neuzeit 1600–1750, in: Johannes Arndt/Esther-Beate Körber (Hrsg.), Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, Bd. 75.) Göttingen 2010, S. 1–23, hier: S. 7 betont, dass der Nachrichtenwert einer Neuigkeit von entscheidender Bedeutung für ihre Verbreitung in Flugschriften war, die auf ihren begrenzten Druckseiten nur die wichtigsten Berichte aufnahmen.

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zu skizzieren welche Entwicklungen zu den Ereignissen von 1614 geführt hatten. Die „Wahrhafftige newe Zeitung“ deutete die Zeit vor 1611 eher in Schlagworten und Andeutungen aus als in einer zusammenhängenden Erzählung. Trotzdem drückte sie Gewissheiten aus, die für ein konfessionalistisch katholisches Geschichtsbild wichtig waren: Die Aachener Protestanten waren schon immer „Sectirer“. Während des 1611 begonnenen Aufstands und auch davor hätten sie für ihre Politik verschiedenste Gründe vorgeschoben. Letztlich ging es aber immer nur um „ihre Evangelische Freyheit“. Die Wendung kommt im Text ohne weitere Erklärung vor. Offensichtlich setzte der Autor der Flugschrift selbstverständlich voraus, dass seine Leser den Kampf um evangelische Freiheit negativ konnotieren würden. Selbstverständlich erschien auch, dass die Reformierten und Lutheraner mit allem was sie taten „[. . . ] die Catholischen [. . . ] höchlich bedränget und betrübet [. . . ]“ hatten. „[D]ie Catholischen“ waren als Kollektiv, ohne Differenzierung, Opfer ihrer konfessionellen Feinde. Eine weitere Konstante im Handeln der feindlichen Sektierer war ihre Missachtung des Kaisers. Sie verstießen während ihres Aufstands nicht nur gegen den Befehl Kaiser Matthias’ zur Wiedereinsetzung des katholischen Rates sondern vor allem gegen das Endurteil Rudolfs II. in der Causa Aquensis. Der abschließende Satz der „Wahrhafftige[n] newe[n] Zeitung“ berichtet dem entsprechend, dass nachdem Spinolas Truppen am 7. September 1614 Wesel erobert hatten auch diese Stadt – ebenso wie Aachen – unter den Gehorsam der kaiserlichen Majestät gebracht wurde. Am Ende befestigte die Flugschrift also noch einmal das Geschichtsbild, demnach 1614 ein Religionskonflikt zu Gunsten von Katholizismus und Kaiser entschieden wurde, der in der exakt selben Form schon immer bestanden hatte. Dieselbe Überzeugung brachte auch die „Warhaffte und Beständige Erzehlung“ zum Ausdruck, indem sie feststellte, es sei „[. . . ] fast menniglich im H. Reich bekant und unentsuncken welcher gestalt nicht allein von etlichen und dreyssig jahren hero in besagter Stadt Aach der Religion halben vielfaltige unruhe wiederwillen und strittigkeiten sich erhoben [. . . ]“462 Ob die beiden Flugschriften tatsächlich die Gestalt von detailreicheren, konfessionellen Geschichtsbildern vorgaben hängt letztlich davon ab, welches Publikum sie erreichten und wie sie auf die Leser wirkten. Zweifelsohne wollten Autoren und Drucker beide Berichte in erster Linie nicht an die Bewohner Aachens verkaufen. Vielmehr hatten sie ein weitaus größeres 462 „Warhaffte und Beständige Erzehlung Welcher massen des h. Reichs Stadt und koeniglicher Stuel Aach am 25/15 Tag Augusti des 1614. Jahrs durch den hern Marquis Ambrosio die Spinola ingenommen und besetzt worden Auch was sich sonsten alda von gemeldtem tag biß uff den 14/4 tag Septembris begeben. Allen der warheit liebhabern zum besten und wider andere ausgesprengte Zeittungen in Truck gegeben“, hier: S. 3.

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politisch interessiertes Publikum im Auge, das bereits vorgefasste konfessionalistische Meinungen zum niederländisch-spanischen Krieg hatte, die es nun auch auf die Ereignisse in Aachen übertragen konnte. Die Deutungsangebote waren aber sicherlich auch für Aachener interessant, die einen Standpunkt zu den eskalierten religionspolitischen Konflikten in ihrer Stadt suchten. Potentiell erreichten sie damit den größten Teil des Aachener Publikums, weil „[. . . n]ur die wirklichen Armen [. . . ] schon aus ökonomischen Gründen von der Rezeption von Flugschriften [. . . ] ausgeschlossen [waren . . . ]“463 Die Flugschriften trugen damit zu konfessionellen Geschichtsbildern in Aachen bei, selbst wenn der Inhalt von Flugschriften keine öffentliche Meinung repräsentierte, sondern lediglich die Fragen und Argumente, mit denen eine „[. . . ] schmale Schicht von Schriftgebildeten sich beschäftigte“464 , welche die politische und sprachliche Vorbildung besaß, um die Flugschriften intensiv zu rezipieren. Gerade diese Intellektuellen vollendeten nämlich die konfessionsspezifischen Erzählungen vom Zusammenleben der drei Konfessionsgruppen in Aachen. Sie verfassten nach 1614 Chroniken und politische Denkschriften, in denen durchaus noch zu erkennen ist, wie Flugschriften zuvor zur medialen Konstruktion und Historisierung der Entwicklung Aachens im konfessionellen Zeitalter beigetragen hatten.465 Der Blick auf die Chroniken von Beeck und Noppius bestärkt den Eindruck, dass diese Autoren den Deutungsmustern folgten, deren Entstehung in Aachen bis 1614 eben beschrieben wurde. Die Chronisten, die ihre Werke 1620 beziehungsweise 1632 erstmals veröffentlichten, hatten vor allem die letzte Phase der religionspolitischen Auseinandersetzungen um Aachen als Zeitzeugen erlebt. Ihr Wissen über die religionspolitischen Konflikte in Aachen nutzten sie, um die Protestanten in der Stadt als Feinde der katholischen Religion zu charakterisieren und um zu beschreiben, wie die Aachener Katholiken diese Bedrohung über Jahrzehnte bekämpften und schließlich abwehrten. Noppius wollte seine Geschichte Aachens als Übertragung von Beecks 463

Ulrich Rosseaux, Flugschriften und Flugblätter im Mediensystem des Alten Reiches, in: Johannes Arndt/Esther-Beate Körber (Hrsg.), Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, Bd. 75.) Göttingen 2010, S. 99–114, hier: S. 112–113. 464 Esther-Beate Körber, Schreiber und Leser politischer Flugschriften des frühen 17. Jahrhunderts, in: Johannes Arndt/Esther-Beate Körber (Hrsg.), Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, Bd. 75.) Göttingen 2010, S. 195–206, hier: S. 204. 465 Zur Feststellung, dass Flugschriften eben diese Rolle ausfüllen konnten, vgl. Rosseaux, Flugschriften und Flugblätter im Mediensystem des Alten Reiches, hier: S. 107–108.

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Chronik ins Deutsche mit einigen Ergänzungen verstanden wissen. Auch wenn der Autor tatsächlich sehr viel mehr Eigenleistung erbrachte, als die Historia Beecks zu übersetzen und zu erweitern, steht Noppius Werk seinem Vorgänger doch so nahe, dass die Chronologie der religionspolitische Auseinandersetzungen in Aachen übereinstimmend beschrieben wird. Beide Autoren beginnen ihre Erzählung über die Konfessionskämpfe in Aachen mit dem Auftritt Albrecht von Münsters 1524. Sie machten in dessen Predigt, den Ursprung des Übels aus, dass sich durch die neuen nicht-katholischen Religionen in Aachen ausbreiten sollte.466 Von 1524 an beschreibt besonders Noppius durchgängig, wie Protestanten die religiöse und politische Ordnung angriffen, während die katholischen Aachener sich verteidigten. Dieser Logik folgend, deutete Noppius, das Bekenntnis der Aachener Gesandten zur Augsburger Konfession, die Ansiedlung fremder Handwerker seit dem Jahr 1544 und die Politik des Bürgermeisters Adam von Zevel zwischen 1552 und 1558. Mit den politischen Entscheidungen der Jahre 1559 und 1560 bekräftigten die Aachener Katholiken demnach, dass sie bei ihrer in Aachen 700 Jahre lang praktizierten Religion bleiben wollten.467 Die Ereignisse entwickelten sich nach Noppius so weiter, dass die Ratsübereinkunft von 1574 durch einen Betrug zugewanderter Fremder am Stadtregiment zu Stande kam.468 Die Krise der Jahre 1580 bis 1582 war ein verzweifelter Ausbruch von aggressiven Angriffen und Drohungen der Protestanten, die politisch und rechtlich auf verlorenem Posten standen.469 Die Herrschaft des protestantisch dominierten Stadtregiments beschrieb Noppius als Tyrannei der Unkatholischen. Einige Anekdoten sollten veranschaulichen, dass die „Uncatholischen“ während dieser Zeit keine Gelegenheit verstreichen ließen, um die katholischen Bürger Aachens und deren Kirche anzugreifen oder zu provozieren. Neben Ereignissen wie der Profanierung des Münsterkirchhofs 1590 oder dem Streit um Vogtmeier Johann von Thenen, die religionspolitische Wellen schlugen, nahm Noppius auch Vorkommnisse in seine Chronik auf, die bis dahin kein Aufsehen erregt hatten. So erzählt der Chronist, wie das Stadtregiment 1585 zugelassen habe, dass ein aus Antwerpen stammender Aachener Schmied in die Münsterkirche gegangen sei und dort abfällig geäußert habe, er müsse „[. . . ] gehen der Pfaffen Gauckelsack zu besehen [. . . ]“470 . Noppius beschrieb den Spott des Schmiedes als Gewaltakt – als Symptom der Tyrannei des protestantischen Regiments. Dass Spott als symbolische Gewalt zwischen 466 Vgl. S. 146. 467 Vgl. 468 Vgl. 469 Vgl. 470 Vgl.

Beeck, Aquisgranum, hier: S. 256–257 und Noppius, Aacher Chronick, hier: ebd., ebd., ebd., ebd.,

hier: hier: hier: hier:

S. S. S. S.

147–155. 156. 161–170. 172.

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Angehörigen verschiedener Konfessionen wirkte, war seit dem Ende des 16. Jahrhunderts und besonders nach 1648 durchaus nicht ungewöhnlich.471 Die Lästereien des protestantischen Schmiedes in der Münsterkirche waren dabei verhältnis mäßig milde. Der Aachener Chronist weiß aber auch von weniger subtilen verbalen Übergriffen auf die Aachener Katholiken zu berichten: Für das Jahr 1590 beschreibt Noppius eine provokantere Beleidigung der Aachener Katholiken. Ein führendes Mitglied des „uncatholischen Magistrats“ habe öffentlich verkündet, „[. . . ] Aach würde keinen Frieden haben, bis daß man mit den Catholischen verführe, gleichs mit den Tempelherren [. . . ]“472 . Ein Reformierter oder Lutheraner, der öffentlich darüber spekulierte, dass man die katholische Religion in Aachen verbieten und unterdrücken müsse, passte zu Noppius klarer Vorstellung von den Auseinandersetzungen der Konfessionsgruppen in der Stadt. Die ‚Unkatholischen‘ forderten die katholischen Bürger Aachens zu einem Kampf heraus. Um die althergebrachte Religion der Stadt zu bewahren, musste dieser Kampf gewonnen werden. 1598 waren die Katholiken schließlich siegreich. Sie übernahmen feierlich und prachtvoll das Stadtregiment und brachten der Stadt den Frieden.473 Noppius sah in der ersten katholischen Restitution die eigentliche Entscheidung des Religionskampfes in Aachen. Die Wirren der Jahre 1608 und 1611–1614 beschreibt er als weitere Belege für die Gefährlichkeit der Protestanten. Sie konnten, aus der Sicht des Chronisten, die Katholizität Aachens nicht grundsätzlich erschüttern oder gefährden und blieben Episoden.474 Beeck und Noppius nahmen, verglichen mit früheren Versuchen, die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Konfessionsgruppen in Aachen zu einem klaren Geschichtsbild zusammenzufassen, keine revolutionären Veränderungen vor. Schon die katholische Opposition gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment hatte versucht, den Topos eines seit langer Zeit anhaltenden Kampfes um die wahre Religion in der der Reichsstadt Aachen zu etablieren. Seit dem Beginn der 1580er Jahre setzten sich politisch aktive Katholiken immer wieder in die Tradition katholischer Vorkämpfer gegen die Bedrohungen des Protestantismus. Bevor Noppius die Verbindung der Aachener Reformierten und Lutheraner mit den protestantischen Parteien in den großen religionspolitischen Krisenherden im Heiligen Römischen Reich, in Europa und insbesondere in den Nie471 Vgl. Christophe Duhamelle, Wandlungen des Spotts. Konfessionelle Gewalt im Religionsfrieden, Eichsfeld 17.–18. Jh. In: Kaspar von Greyerz (Hrsg.), Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen, 1500–1800. Göttingen 2006, S. 321–342, hier: S. 321–322. 472 Vgl. Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 174. 473 Ebd., hier: S. 177–180. 474 Vgl. ebd., hier: S. 181–213.

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derlanden betonte, hatten die „Katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten“ und zuletzt auch einige katholische Flugschriften zu den politischen Unruhen der Jahre 1611 bis 1614 bereits ähnlich argumentiert. Die Aachener Chroniken gewannen die besondere Qualität spezifisch katholischer Geschichtsbilder demnach dadurch, dass sie bereits vorhandenen konfessionsspezifisch Muster zur Deutung der Geschichte der gemischtkonfessionellen Reichsstadt vermehrt und verstärkt anwandten. Beeck und Noppius folgten einer ausschließlich konfessionell, katholischen Logik. Sie blendeten aus, wie vielfältig, flexibel und teilweise ambivalent die Strategien katholischer Akteure in den politischen Auseinandersetzungen um die Reichsstadt Aachen und bei der Aushandlung des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen lange Zeit gewesen waren. Darüber hinaus wandten sie ihre konfessionalistischen Deutungsmuster konsequent auf Ereignisse und Zeiträume an, die bis dahin nur sporadisch aus konfessionell polarisierter Sicht betrachtet wurden. Sie verlängerten die Religionskämpfe in Aachen rückwärts bis zum Auftritt Albrecht von Münsters und reicherten ihre Erzählungen über Jahrzehnte, in denen die Konfessionsgruppen in Aachen friedlich zusammenlebten, mit Anekdoten über protestantische Angriffe auf den Katholizismus an. So konstruierten sie aus den widersprüchlichen Entwicklungen in der Reichsstadt Aachen im konfessionellen Zeitalter eine schlüssige Geschichte, deren konsequente Pointe der wiederholte Sieg des Katholizismus in den Jahren 1598 und 1614 war. Weder Beeck noch Noppius lassen Raum für Zweifel, welche historische Lehre aus dieser Geschichte zu ziehen war. Beeck betont schon in der Widmung seines Werkes an Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, dass Karl der Große die Aachener darauf verpflichtet habe, die religiöse Einheit ihrer Heimatstadt zu wahren, indem er die Marienkirche und die Stadt zu Ehren Gottes gegründet habe.475 Später konkretisiert er seine religionspolitische Idealvorstellung, indem er ein einheitliches Glaubensbekenntnis zum Fundament der städtischen Gemeinschaft erklärt.476 Heinz Schilling hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Beeck damit einen exklusiven katholischen Anspruch auf die Bewahrung des städtischen „corpus christianum“ formulierte.477 Die religiöse Abweichung der Protestanten war nichts anderes als gefährlich und zum Scheitern verurteilt. Das machte auch Noppius klar, indem er die katholischen Siege von 1598 und 1614 unter anderem mit einer Reihe von Gottesurteilen gegen die Aachener „Uncatholischen“ erklärte. So verstand er die Seuchen, die zwischen 1576 und 1579 475

Vgl. Beeck, Aquisgranum, o. S. Ebd., hier: S. 240. 477 Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich, hier: S. 33–34 und Schilling, Die deutschen Städte in den politischen und religiösen Umbrüchen des „langen 16. Jahrhunderts“, hier: S. 332. 476

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viele Todesopfer in Aachen forderten, als Strafe für die Ratsübereinkunft von 1574.478 Noppius vermerkt darüber hinaus die unvermeidlichen Strafen, die einzelne Protestanten für ihre Irrtümer erhielten: Als ein ‚unkatholischer‘ Schmied, wie weiter oben bereits beschrieben, 1585 in der Münsterkirche die katholische Religion verspottete, sei er von der Hand Gottes berührt worden und gestorben.479 Der reformierte Prediger Johannes Kersten [Otzenradt] sei, nachdem er über die Feier des Sakramentstag gelästert habe, 1597 gerechter Weise an eben diesem Tag gestorben.480 Dagegen war Gott den Katholiken gnädig, weil sie ihre wahre Religion verteidigten. Beispielhaft erfüllte sich das Leben Albrecht Schricks als führendem Mitglied der „Katholischen Bürgermeister Schöffen und Ratsverwandten“ in der Restitution von 1598. Nachdem er sich am 1. September in einer Rede auf dem Rathausbalkon für den Lohn seiner Mühe als bescheidener Diener Gottes bedankt hatte, konnte er am 21. September friedlich sterben.481 Die Chroniken von Noppius und Beeck boten den Mitgliedern der katholischen Konfessionsgruppe in Aachen eine Deutung ihrer Geschichte an, welche die Reichsstadt für Vergangenheit und Zukunft als katholische Stadt definierte und die Verteidigung des Katholizismus gegen ‚unkatholische‘ Bedrohungen zum Motive jeder wichtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung seit der Glaubensspaltung erklärte. Auch den Schlüssel zur zukünftigen Wohlfahrt der Reichsstadt Aachens sahen die Chronisten in konsequenter Gegenreformation und in der Bewahrung der katholisch konfessionellen Homogenität. Die Art und Weise, in der die Aachener Katholiken auf Grundlage der Chroniken ihre Lebenswelten deuteten, teilte damit wichtige Motive mit Deutungsmustern, die in nachtridentinisch-katholischen Konfessionskulturen außerhalb Aachens um 1600 entstanden.482 Nach 1614 war in Aachen mit einem spezifisch katholischen Geschichtsbild ein wichtiger Teil einer abgegrenzten katholischen Konfessionskultur lebendig. Die Frage, ob Lutheraner und Reformierte parallel dazu oder im Zusammenhang damit eigene Kulturen pflegten, ist noch zu beantworten.

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Vgl. Noppius, Aacher Chronick, hier: S. 157. Vgl. ebd., hier: S. 172. 480 Vgl. ebd., hier: S. 158. 481 Vgl. ebd., hier: S. 172. 482 Matthias Pohlig, Konfessionskulturelle Deutungsmuster internationaler Konflikte um 1600. Kreuzzug, Antichrist, Tausendjähriges Reich, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), S. 278–316, hier: S. 292–294 u. 314. 479

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3.3.2 Konfessionelle Feindbilder und die konfessionalisierte Aachener Gesellschaft Wahrscheinlich beeinflusste die Verinnerlichung der von Noppius und Beeck verwandten Deutungsmuster sowohl das Selbstverständnis und die Kultur der katholischen Konfessionsgruppe als auch das Zusammenspiel der Konfessionskulturen in Aachen nach 1614. Zur Untersuchung dieser Möglichkeit gehört die Frage, welche alternativen Entwürfe der religiösen Verhältnisse in Aachen nach der zweiten katholischen Restitution in der Stadt rezipiert wurden. Die katholischen Chronisten hatten ein Konzept für eine spezifische katholische Deutung der jüngerer Vergangenheit und der Zukunft Aachens entwickelt, das elaborierter und klarer war, als die in Erlebnisberichten und Flugschriften angelegten spezifisch protestantischen Geschichtsbilder. Nichtsdestotrotz machten sich auch Reformierte und Lutheraner in Aachen Perspektiven auf ihre Stadt zu eigen, welche die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Konfessionsgruppen beeinflussten und zu Bestandteilen Aachener Konfessionskulturen wurden. Tatsächlich machten die Darstellungen der eigenen Konfessionsgruppe und der fremdkonfessionellen Bewohner Aachens die bedeutendsten Besonderheiten aus, wenn Katholiken, Lutheraner oder Reformierte in Aachen die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft ihrer Stadt von religiösen Gesichtspunkten beeinflusst betrachteten. Die Autoren konfessioneller Geschichtsbilder formulierten klare Vorstellungen von den Rollen der eigenen Konfessionskirche und ihren Mitgliedern in Aachen sowie von ihrem Verhältnis zu Angehörigen anderer Religionen. Die Beschreibung der Aachener Katholiken als Opfer protestantischer Übergriffen, vor allem aber als Kämpfer gegen die Bedrohung ihrer althergebrachten Religion, machte es zum Teil des katholisch-konfessionellen Selbstverständnis, alle ‚unkatholischen‘ Religionen abzulehnen und eine konsequent gegenreformatorische Politik zu unterstützen. Katholische Einwohner Aachens mit einem solchen Selbstbild standen ihren reformierten und lutherischen Nachbarn nicht mehr mit der selben Duldsamkeit und Bereitschaft zur Rücksichtnahme gegenüber, wie sie sie vor allem in in der Zeit vor 1598 praktiziert hatten. Zusätzlich leistete die katholische Wahrnehmung der Aachener Reformierten und Lutheraner, die unter anderem in Noppius Chronik auf den Punkt gebracht wurde, einer Kultur der konfessionellen Abgrenzung, Konfrontation und Unterdrückung Vorschub. Die protestantischen Feindbilder, die sich seit dem Aufstand von 1611 und der zweiten katholischen Restitution von 1614 verstärkt in der katholischen Aachener Bevölkerung verbreiteten, waren vornehmlich von den politischen Auseinandersetzungen der vorangegangenen Jahrzehnte geprägt. War damit die Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten in Aa-

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chen, die sich nun kulturell verfestigte, ausschließlich politisch? Einiges deutet daraufhin, dass die eigentliche Religion der ‚Unkatholischen‘ zumindest nicht ganz unwichtig dafür war, dass die katholischen Bürger und Einwohner lernten, sie grundsätzlich abzulehnen. Einige Abschnitte einer um 1614 zusammengestellten, losen Sammlung von Argumenten gegen die Rechtmäßigkeit des 1612 eingesetzten protestantischen Rats weisen darauf hin, welche Rolle Konfession und Religionsleben der Aachener Protestanten für deren Bewertung durch die Katholiken spielten.483 Das hier gezeichnete Negativbild ging wiederum von der Religionspolitik aus. „Ist das die Evangelische Religion“ wird gefragt, wenn man in Aachen, wie sonst in keiner Stadt des Reichs, Calvinisten, Lutheranern und Täufern die Religionsausübung gewähre? Zunächst wurde den Aachener Protestanten also erneut vorgeworfen, dass sie gegen Reichsreligionsrecht verstoßen hatten. Die Antwort auf die rhetorische Frage erweitert den Vorwurf: „[. . . ] who dieß ein Evangelische Religion ist so scheindts, das dieselbe gleich die Fuchs Samsonis mit den Schwantzen beyeinander verbunden, aber in den hauptern under sich gahns und gahr seint zertheilt.“484 Die Metapher der mit den Schwänzen verbundenen Füchsen Samsons vermittelt zwei negative Konfessionsklischees. Die Aachener Protestanten wurden ganz allgemein mit einem Knäuel wilder Tiere verglichen. Die verschiedenen Kirchen der Reformation verschmolzen in der Wahrnehmung der Katholiken zu einem Monstrum, das als christliche Religion nicht zu erkennen war. Dass es sich bei den Protestanten um Samsons Füchse handelte, verdeutlichte, wie gefährlich sie waren. Wie die Tiere, deren Schwänze der alttestamentarische Samson in Brand steckte, um sie in die Felder der Philister zu treiben und so die Ernte seiner Feinde zu vernichten, ging auch von den Protestanten eine unüberschaubare Gefahr für die Lebensgrundlage der Aachener aus. Dieses Feindbild ist insofern interessant, als es sich ausdrücklich gegen spezifische Konfessionsgruppen richtete – Calvinisten, Lutheraner und Täufer. Auch die Umstände, unter denen diese Konfessionsgruppen ihre Religionen in Aachen ausübten, spielten eine Rolle. Die Protestanten waren auch deswegen gefährlich, weil sie das exercitium publicum hatten. Konkrete Glaubensinhalte oder religiösen Praktiken spielten für die katholische Wahrnehmung und Beurteilung der Protestanten keine Rolle. Ähnlich wie bei der politischen Instrumentalisierung der Bezeichnung ‚Calvinisten‘ durch die katholische Opposition in den 1580er und 1590er Jahren, reichte die Nennung von Schlagworten aus, um Vorurteile gegen die Protestanten wachzurufen. Zur Haltung der katholisch-kirchlichen Institutionen gegenüber 483 Vgl. zum Folgenden: StAAa, RA II, Allg. Akt. 866 (Akten betr. d. Religionsunruhen I), f. 177r. 484 Ebd.

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den Reformierten und Lutheranern im selben Zeitraum stand das katholische Feindbild von den Protestanten nicht im völligen Widerspruch. Die katholische Kirche in Aachen hatte unter dem protestantische dominierten Stadtregiment weitgehend darauf verzichtet, die Bekenntnisse und Dogmen der Reformierten und Lutheraner öffentlich anzugreifen. Vor allem das Marienstift hatte sich die Möglichkeit, mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment ungestört von Konfessionskonflikten zu interagieren, eröffnet, indem sie sich um die Religion der Aachener Protestanten, nur dann kümmerte, wenn sie das katholische Religionsleben in der Stadt zu beeinträchtigen drohte. Als die Katholiken begannen, sich stabile konfessionelle Feindbilder anzueignen, interessierten sie sich ebenso wenig für Dogmen und Frömmigkeit von Reformierten und Lutheranern. Das Unwissen der Katholiken über den Glauben der ‚Unkatholischen‘ war sogar eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Kirchen der Reformation als widersprüchliche Nicht-Religion zu verurteilen. Dieser Befund lässt zwei Schlussfolgerungen zu: Konfessionelle Feindbilder verwurzelten sich erst nach 1614 fest in der Weltsicht der Aachener Katholiken. Sie nahmen aber starke Anleihen bei der anti-protestantischen Rhetorik der religionspolitischen Krisen in den vorangegangenen Jahrzehnten. Im Gegensatz dazu spielte die Entwicklung von kirchlichen Institutionen und Religionsleben der reformierten und lutherischen Konfessionsgruppen für die Verbreitung von Konfessionsklischees kaum eine Rolle. Die Katholiken reduzierten ihre Beziehung zu ihren Nachbarn anderer Konfessionsgruppen nicht auf eine natürliche Feindschaft, weil sie die lange Zeit geübte Praxis der Duldung nach erfolgreicher Abgrenzung zwischen den Konfessionskirchen als gescheitert erlebt hatten. Sie kumulierten und verallgemeinerten vielmehr die extreme konfessionelle Polarisierung, zwischen den politischen Akteuren der schwerwiegenden Krisen im Rahmen der Causa Aquensis. Dagegen verdrängten sie die Erinnerung and das alltägliche Zusammenleben im gemischtkonfessionellen Aachen. Die Katholiken deuteten die Beziehungen zwischen den Konfessionsgruppen so, dass sie einfach strukturiert und selbstverständlich erschienen. Die Deutung passte sowohl in die Zeit der religionspolitischen Entscheidung zwischen 1611 und 1614 also auch in die Zeit nach der katholischen Restitution. Nachdem Reformierte und Lutheraner Aachen in größerer Zahl verlassen hatten485 und ihre Gemeinde erstmals seit zwei Generationen eindeutig in den Status von Untergrundkirchen gezwungen worden waren, 485 Wegen der Unmöglichkeit, die Migration nach 1614 objektiv zu beziffern, sei auf die allgemeine Einschätzung der protestantischen Abwanderung bei Hermann Friedrich Macco, Protestantische Aachener Emigranten aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 1906, hier: S. 2–15 verwiesen.

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konnten die Aachener Katholiken ihrem Leitbild – dem kompromisslosen Kämpfer für die alte Religion – problemlos folgen. Spiegelbildlich dazu lieferte die reformierte Selbstwahrnehmung als fromme Märtyrer in einer ‚Kirche unter dem Kreuz‘ das Vorbild für die Rolle der Protestanten nach 1614. Das Selbstverständnis der Aachener Protestanten war nach der zweiten katholischen Restitution eng an die von den Katholiken und deren Chronisten verbreiteten Deutungsmuster geknüpft. Reformierte und Lutheraner stellten nicht in Frage, dass sie und die Katholiken in Aachen 1614 bereits eine über Generationen andauernde Geschichte kontinuierlichen Religionskampfes hinter sich hatten und das die Feindschaft zwischen den Konfessionsgruppen schon immer festgeschrieben war. Eine wahrscheinlich in den 1690er Jahren verfasste Denkschrift der lutherischen Gemeinde Aachens über ihre Rechte zur Religionsausübung stützt ihre historischen Argumente dementsprechend fast vollständig auf die Erzählung von Noppius. Insbesondere zogen sie den katholischen Autor heran, um zu belegen, dass es in Aachen schon vor dem reichsreligionsrechtlich entscheidenden Jahre 1555 eine Augsburger Konfessionsverwandte Gemeinde gab.486 Dieses Argumente war den protestantischen Akteuren in den Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis unbekannt gewesen. Dass die Aachener Lutheraner es sich am Endes des 17. Jahrhunderts aneigneten, zeigt die Dominanz der in den Chroniken von Beeck und Noppius konstruierten Deutungen der Beziehungen zwischen Katholiken und Protestanten. Anders als die ambivalenten Selbstwahrnehmungen der verschiedenen Konfessionsgruppen, die aus den komplexen Erfahrungen im gemischtkonfessionellen Aachen entstanden, waren die konzentrierten Konfessionscharaktere der gerade diskutierten jüngeren und dominanten Deutungsmuster dazu geeignet, das Zusammenleben von katholische, lutherischen und reformierten Bewohner Aachens klar zu strukturieren. Klischees sowohl von der Rolle der eigenen Konfessionsgruppe als auch von den Bekennern anderer Religionen verorteten die katholische Mehrheit und die protestantischen Minderheiten in der Aachener Gesellschaft. Soweit kam es erst, nachdem Katholiken und Protestanten ihre Deutungen des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen an den in den Jahren 1611 bis 1614 verspürten Zwang zur religionspolitischen Entscheidung und die religionspolitischen Folgen der zweiten katholischen Restitution angepasst hatten. Erst jetzt verstanden die Aachener ihre städtische Gemeinschaft so, dass die Polarisierung zwischen Katholiken und Protestanten in Aachen alternativlos erschien. 486 Vgl. „Kurtze Anzeigung der Fundamenten darauf der Evangelischen der ungeenderten Augßpurgischen Confession Verwanten zu Aach Religionsfreyheit und Gerechtigkeit sich grundet“, [nach 1690], Lutherische Kirchengemeinde, Entstehung, Verfassung, Bekenntnisstand Exercitium Religionis 1576–1644, Archiv d. EKiR, 4KG 004, 01–0,16.

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Die für das künftige Zusammenleben der Konfessionen möglicherweise prägende Vorstellung von der vollkommenen Konfrontation der Konfessionsgruppen verbreitete sich erst jetzt nachhaltig. Im Vergleich mit den den viel früheren Argumenten von protestantisch dominierten Stadtregiment und katholischer Opposition in der Causa Aquensis, welche den politischen Streit in der Stadt in bestimmten Situationen als fundamentalen Religionskonflikt darstellten, erscheint die kulturelle Verwurzelung der Vorstellung eines ganzen Zeitalters der Religionskämpfe sich geradezu verspätet zu haben. Tatsächlich hatten die Bewohner der Stadt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts alltäglich die Möglichkeit, nach konfessionellen Erwägungen zu handeln. Konfessionskirchen und Gemeinden grenzten sich voneinander ab, aber Konfessionskonflikte und die Gefahr, die Bürgergemeinschaft könne zerbrechen, entschärften die Aachener allerdings regelmäßig. Die Aachener konfessionalisierten ihre Stadt in dieser Zeit auf besondere Art und Weise. Dass Konfessionskulturen in der Stadt erst später in Form von Konfessionsklischees und konfessionellen Feindbildern Fuß fassten, überrascht als Kontrast zum statischen Bild von den den Religionskämpfen in Aachen. Aachen entwickelte sich damit aber in etwa entlang der üblichen zeitlichen Abfolge von Konfessionalisierung und der Herausbildung von Konfessionskulturen.487 Die Entwicklung der Aachener Konfessionskultur kam in den ersten Jahrzehnten nach 1614 noch zu keinem Abschluss. Die Untersuchung bis zu diesem Zeitpunkt hat jedoch hinreichend gezeigt, wie die höchst wechselhaften religionspolitischen Entwicklungen und zwischenkonfessionellen Beziehungen, welche die Aachener über lange Zeit als flexibles Zusammenspiel dieser Konfessionskulturen hatten gestalten können, am Ende in die Vorstellung von unvermeidlicher Feindschaft der Konfessionen mündete. Die Dynamik, die sich während dieser langen Entwicklung zwischen den Bewohnern Aachens – Katholiken, Reformierten und Lutheranern – ihren Kirchen, politischen Eliten und der Reichspolitik entfaltete, führte letztlich in die konfessionelle Polarisierung der Aachener Gesellschaft. Die wichtigste Befunde der vorliegenden Studie zeigen jedoch, dass die Aachener gerade in der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit dieser Dynamik die Möglichkeit fanden, sich lange Zeit immer wieder für ein friedliches Zusammenleben in ihrer gemischtkonfessionellen Stadt zu entscheiden. 487 Vgl. hierzu Etienne François, Conclusion. Un bilan franco-allemand sur l’époque moderne (XVIe–XVIIe siècles), in: Philippe Büttgen/Christophe Duhamelle (Hrsg.), Religion ou confession. Paris 2010, S. 595–599, hier: S. 598–599 mit Verweisen auf weitere Literatur: Die wichtigste Zeit für die Herausbildung von Konfessionskulturen habe nach dem 30-jährigen Krieg begonnen, während die Konfessionalisierung v.a. vor 1648 stattgefunden habe.

4 Ergebnisse und Ausblick Die vorliegenden Studie hat einige Gewissheiten über die Geschichte Aachens zwischen 1555 und 1618 dekonstruiert. Es lohnt sich zu betrachten, was im Licht dieser Untersuchung nicht mehr sicher ist: Während die Einwohner Aachens nach 1614 eine sehr klare Vorstellung davon erlangten, wie sich Katholiken und Protestanten in ihrer Stadt bekämpft hatten und weiter bekämpften, bleibt das neue Bild von Aachen im konfessionellen Zeitalter widersprüchlich. Die Analyse liefert Ergebnisse, die auch weniger eindeutig sind als bisherige, moderne Interpretationen des Gegenstands. Die geschichtswissenschaftlichen Paradigmen, die bisher auf die Geschichte Aachens im konfessionellen Zeitalter angewandt wurden, übergehen – ähnlich wie die Geschichtsbilder der Zeitgenossen – wie dynamisch das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen war. Besonders die Möglichkeiten der Aachener, die gemischtkonfessionelle Gemeinschaft in ihrer Stadt selbst zu gestalten, wurden übersehen, weil die ‚Aachener Sache‘ ausschließlich als Gegenstand der religionspolitischen Konflikte im Reich betrachtet wurde oder man in Aachen einen Schauplatz von Reformation und Gegenreformation in kurzem Wechsel erkennen wollte. Auch das Konfessionalisierungsparadigma könnte auf Aachen angewandt werden, um Widersprüche zu glätten und die Aachener als Opfer des „Zwangs zur Konfessionalisierung“ darzustellen. Diese Deutungen reproduzieren die Grundstrukturen von Erzählungen der Geschichte Aachens, die kurz nach 1614 entstanden. Die katholische Aachener Chronistik und die moderne Geschichtswissenschaft haben weitgehend das Ziel geteilt, die komplexen Auseinandersetzungen der Konfessionsgruppen in Aachen auf einen einfachen Nenner zu bringen. Ihre Erzählungen werden den Lebenswirklichkeiten und den Entscheidungen der Aachener verschiedener Konfession zwischen 1555 und 1614 nicht gerecht. Die Parallelen zwischen den zeitgenössischen Deutungs- und Argumentationsstrategien und den moderneren historischen Interpretationen weisen auf ein Missverständnis in Bezug auf die gemischtkonfessionelle Reichsstadt Aachen hin: Wenn die Einwohner Aachens die Auseinandersetzung um das Zusammenleben von Katholiken, Reformierten und Lutheranern in einigen Situationen als Religionskampf führten, heißt das noch nicht, dass sie die Konfrontation der Konfessionen einhellig für unvermeidlich hielten. Die Aachener kämpften nicht andauernd darum, ob die Stadt katholisch oder evangelisch werden sollte. Konfessionalistische Argumente in einer bestimm-

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ten Konfliktsituation sind keine Belege für die vollständige konfessionelle Polarisierung einer Gesellschaft. Wie die vorliegende Studie zeigt, kann die Entwicklung des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen in Aachen auch verstanden werden, ohne die Komplexität der Verhältnisse in der Stadt übermäßig zu reduzieren. Katholiken, Reformierte und Lutheraner in Aachen gestalteten ihr Mitund Gegeneinander zwar wechselhaft, aber keinesfalls zufällig oder undurchschaubar. Insgesamt bestätigt die Untersuchung die Hypothese, dass die Formen des Zusammenlebens der Konfessionsgruppen in Aachen weniger umkämpft als interaktiv gestaltet beziehungsweise ausgehandelt wurden. Die folgende abschließende Synthese betont vor allem diejenigen Befunde, die sich von den bisherigen Forschungen zum Untersuchungsgegenstand abheben. Sie weist auf Erkenntnisse hin, die sich aus kapitelübergreifenden Betrachtungen ergeben. Darüber hinaus kommen aber auch solche Aspekte zur Sprache, die besonders dazu geeignet sind, die Geschichte Aachens im Konfessionellen Zeitalter für nachfolgende Studien methodisch nutzbar zu machen. Der zweite Schritt dieser Schlussbetrachtung ordnet neuen Erkenntnisse über die Aachener Geschichte in die Forschungsfelder ein, deren Rezeption einleitend geholfen hat, die Perspektive der Studie zu finden. Im Licht der Ergebnisse, die sich aus der konsequenten Anwendung der für diese Studie zusammengestellten Methodik auf Aachen ergeben haben, zeigt sich, dass in den aktuellen Forschungen zu Stadtreformation, Konfessionalisierung und der Vielfalt der Konfessionskulturen noch stärker als zunächst angenommen Konzepte verfolgt werden, die mit der vorliegenden Studie anschlussfähig sind. Es wird also auch darum gehen, auszuloten, wie vorhandene Ansätze, konfessionskulturelle Entwicklungen in gemischtkonfessionellen Gemeinwesen besser zu verstehen, systematisiert werden können.

4.1 Komplexe Geschichten Aachens im Konfessionellen Zeitalter Die Untersuchung der politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis hat ergeben, dass alle Beteiligten der insgesamt über 60 Jahre andauernden politischen Bemühungen und Streitigkeiten weit weniger als bisher angenommen darauf hinarbeiteten, Aachen zu einer monokonfessionellen Stadt zu machen. Die Aachener Geschichte lief nicht wie vorgezeichnet über mehrere Etappen auf die Rekatholisierung der Stadt zu. Das heißt gleichzeitig, dass Ereignisse, die bisher als epochemachend für die Konfessionskämpfe in Aachen gelten, eine andere Bedeutung für die Entwicklung des Zusammenleben der Konfessionen zukommt.

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Schon der eigentliche Beginn der politischen Auseinandersetzungen um das Religionswesen in Aachen muss umdatiert werden. Erst seit die kaiserliche Kommission von 1550 die Religionsverhältnisse in Aachen zu einem reichspolitischen Thema machte, zwangen der kaiserliche Hof und die Herzöge von Jülich den Aachener Rat dazu, sich kontinuierlich mit der Anwesenheit Einwohner und Glaubensgemeinschaften außerhalb der katholischen Kirche in Aachen auseinanderzusetzen: Die eingeübte und auch in den Jahren nach der Glaubensspaltung bewährte Praxis, deviante religiïose Regungen in der Stadt bei Gelegenheit immer dann zu bekämpfen, wenn sie akute politische Probleme verursachten, stieß an ihre Grenzen. Stattdessen begannen die politisch Verantwortlichen in der Reichsstadt zu lernen, sich mit konfessioneller Vielfalt kontinuierlich auseinanderzusetzen. In den folgenden Jahrzehnten lernten sie, mit dem politischen Problem Konfession umzugehen. Dabei bildeten sie erst allmählich Interessengruppen und politische Koalitionen, um die religiösen und politischen Verhältnisse im gemischtkonfessionellen Aachen auf bestimmte Art und Weise zu gestalten. Der Streit um die Ausweisung von Zuwanderern ohne katholisches Bekenntnis und die Regimentsbeteiligung von Augsburger Konfessionsverwandten in den Jahren 1559 bis 1560 sowie die Wiederzulassung von Lutheranern und Reformierten brachten jeweils politische Streitthemen an die Oberfläche und auf die Tagesordnung der Aachener Politik, die mit der konfessionellen Vielfalt der Stadt in Verbindung standen. Sie boten den Aachenern Gelegenheiten, sich für bestimmte Strategien im Umgang mit der Multikonfessionalität ihrer Stadt zu entscheiden. Erst jetzt begannen politisch aktive Aachener Reformierte und Lutheraner, sich auf die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens zu berufen. Gegner der öffentlichen Religionsausübung und der politischen Beteiligungsrechte für Augsburger Konfessionsverwandte warfen ihnen vor, Angehörige gefährlicher Sekten zu sein, die keinesfalls vom Reichsrecht profitieren dürften. Damit waren die wichtigsten Themen und Argumente eingeführt, um die sich in den kommenden 50 Jahren die politischen Streitigkeiten entspinnen würden. Aber erst seit 1580 standen die Aachener Akteure fest, die um die Causa Aquensis stritten. Mit den Bürgermeistern und Amtsträgern des protestantisch dominierten Stadtregiments auf der einen Seite und den „Katholischen Bürgermeistern, Schöffen und Ratsverwandten“ – der katholischen Opposition – auf der anderen Seite beteiligten sich lediglich zwei sehr überschaubare Gruppen von Aachener Männern aktiv an den politischen Auseinandersetzung. Beide Gruppen waren zudem nicht eindeutig über das Bekenntnis ihrer Mitglieder definiert. Das protestantisch dominierte Stadtregiment integrierte auch katholische Bürger und wurde bei wichtigen Gelegenheiten von dem Katholiken Bonifacius Colyn vertreten.

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Die Mitglieder der katholischen Opposition waren dahingegen ausnahmslos altgläubig und stellten sich bei vielen Gelegenheiten als Verteidiger des Aachener Katholizismus dar. Gleichzeitig handelten sie aber als Angehörige der politischen Elite Aachens, die unabhängig von Konfessionen bestand. Nicht Protestanten und Katholiken insgesamt trugen also die Auseinandersetzungen um das Religionswesen und die politische Verfassung in Aachen aus, sondern viel enger umrissene Gruppen. Obwohl die Themen der Auseinandersetzung bereits um 1560 fest umrissen waren und sowohl das protestantisch dominierte Stadtregiment als auch die katholische Opposition ihre grundsätzlichen Positionen in den Jahren 1580 bis 1582 bezogen hatten, fanden sie in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Möglichkeiten, die unvermeidlich erscheinende Zuspitzung ihres Konfliktes hinauszuzögern. Das protestantisch dominierte Stadtregiment vermied absichtlich eine Entscheidung über den konfessionellen Status in der Stadt. Seit 1582 war in Aachen eine Verfassung Wirklichkeit geworden, die der amtierende Magistrat nicht ändern wollte. Die „Katholischen Bürgermeister, Schöffen und Ratsverwandten“ verfolgten zuoberst das Ziel, das protestantisch dominierte Stadtregiment abzusetzen, um selbst die Schlüsselpositionen in der städtischen Obrigkeit zu übernehmen. Sie wollten dazu den Verfassungsstand von 1560 wiederherstellen und so die politischen Verhältnisse in Aachen durchaus grundsätzlich verändern. Dabei hielten sich aber auch die Mitglieder der katholischen Opposition an die Handlungsweisen, die den politischen und juristischen Auseinandersetzungen in Region und Reich angemessen waren. Deswegen griffen auch sie die bestehende Friedensordnung in Aachen zwischen 1580 und 1598 nicht radikal und rücksichtslos an, obwohl ihnen ihre politischen Gegner eben dieses immer wieder vorwarfen. Sie versuchten in dieser Zeit nicht, das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in der Stadt zu sabotieren, obwohl sie dadurch dem protestantisch dominierten Stadtregiment die Legitimation hätten entziehen können. Die entscheidenden Aachener Akteure in der Causa Aquensis spitzten ihre Auseinandersetzung nicht auf den Kampf um den Sieg von Reformation oder Katholizismus in Aachen zu. Vielmehr entfalteten sie im Laufe der Zeit Strategien, um ihre politischen Ziele zu verfolgen, ohne die politische Grundordnung ihrer Stadt zu zerstören. Auf den politischen Bühnen von Stadt, Region und Reich fanden die Aachener die Räume, um Themen zu setzen und Argumente anzubringen, welche die fundamentale konfessionelle Polarisierung ihrer Konflikte verhinderten. Das Themenfeld Konfession – das heißt die religiösen Verhältnisse in Aachen sowie die Bekenntnisse und religionspolitischen Ziele der maßgeblichen Aachener Akteure – wurde bis 1598 flexibel diskutiert. Konfession konnte ein starkes Argumente für politische Initiativen und die Bildung

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von Koalitionen sein. Auf der einen Seite begründeten die „Katholischen Bürgermeister Schöffen und Ratsverwandten“ ihre Feindschaft gegen das protestantisch dominierte Stadtregiment mit der Notwendigkeit, die katholische Religion zu verteidigen, und gewannen so die Unterstützung des Kaisers und der katholischen Reichsstände. Die katholische Opposition deutete ihren Konflikt mit dem protestantisch dominierten Stadtregiment als Religionssache und griff auf konfessionsbezogene Argumente zurück, um die komplexe und vielschichtige Auseinandersetzungen zuzuspitzen und eine Entscheidung zu erzwingen. Auf der anderen Seite betonten die politisch aktiven Reformierten und Lutheraner, dass ihr Gewissen sie drängte, für die religiösen Rechte ihrer Konfessionsgenossen zu kämpfen. Damit verliehen sie ihrem Anliegen eine Dringlichkeit, welche die Solidarität protestantischer Reichsstände einforderte. Gleichzeitig schlossen sie politische Kompromisse in konfessionellen Grundsatzfragen aus. Der konfessionell argumentierende politische Akteur gewann die Freiheiten, auf die schnelle und klare Entscheidung eines Konflikts zu drängen. Andererseits warfen sich die Aachener Akteure mehrfach vor, religiöse Motive nur vorzuschieben, um egoistische politische Ziele durchzusetzen, die Frieden und Ordnung untergruben. So verfügten beide Seiten über Strategien, um politische Vorstöße mit konfessionsbezogenen Argumenten abzuwehren. Konfessionalistische Argumente waren somit bei weitem nicht der einzige Weg, in den Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis erfolge zu erzielen, sondern sie standen den Aachenern auch oft im Weg, wenn sie sich bemühten, nach den Regeln der Reichspolitik zu handeln. Die Aachener mussten sich immer wieder neu entscheiden, ob sie die politischen Auseinandersetzungen konfessionell polarisieren oder mit überkonfessionellen Argumenten führen wollten. Wie die Aachener das Thema Konfession im Rahmen der Causa Aquensis verhandelten, hing entscheidend von den übrigen Akteuren ab, die aktiv an der Auseinandersetzung beteiligt waren. Sowohl das protestantisch dominierte Stadtregiment als auch die katholische Opposition knüpften Netzwerke, deren Unterstützung sie dazu ermächtigte, auf eindimensionale, konfessionelle Polarisierung ihrer Argumente zu verzichten. Gemeinsam mit den Reichsständen der Augsburger Konfession führte das protestantisch dominierte Stadtregiment die reichsständischen Rechte Aachens an, um seine politische Position zu behaupten. Der Unterstützung Pfalz-Lauterns und der Kurpfalz war es zu verdanken, dass der regierende Magistrat bis 1598 sogar den Anspruch des Kaisers anfechten konnte, die Sache Aachen gegen Aachen allein zu entscheiden. Die protestantischen Reichsstädte lieferten Bürgermeistern und Rat in Aachen die Argumente, mit denen sie sich als die Obrigkeit darstellten, die dem Reichsreligionsrecht entsprechend

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Katholiken und Augsburger Konfessionsverwandte in Aachen schützten. Auf der anderen Seite stellte die katholische Opposition die Autorität des protestantisch dominierten Stadtregiments in Frage, indem sie auf die Rechte verwies, welche der Kaiser, Jülich, Burgund, Lüttich und Kurköln in Aachen geltend machten. Alle Argumente, welche das protestantisch dominierte Stadtregiment oder die katholische Opposition gemeinsam mit ihren politischen Partnern in die Auseinandersetzungen einbrachten, bezogen sich auf geläufige Konflikte und gehörten zu traditionellen Verfahren der Konfliktbewältigung im Reich. Reichsstände und Kaiser hatten diese Argumente bereits erprobt, um mit den politischen Problemen der Glaubensspaltung und mit Konfessionskonflikten umzugehen. Weil sich das protestantisch dominierte Stadtregiment und die katholische Opposition dazu entschieden, diese Argumente auszutauschen, verhinderten sie lange Zeit, dass ihre Streitigkeiten als reiner Konfessionskonflikt eskalierten. Sie entschärften ihre Konfrontation ungewollt, weil sie sich sehr distanziert und formalisiert mit den Problemen auseinandersetzten, die unmittelbar aus dem Zusammenleben von Katholiken, Lutheranern und Reformierten in Aachen entstanden. In den politischen Auseinandersetzungen um die Causa Aquensis war kaum von Katholiken, Lutheranern, Reformierten und deren konkreten Bekenntnissen die Rede. Statt dessen stellten die Akteure zur Beschreibung der Aachener Konfessionsgruppen die ‚Alte katholische Religion‘ der Religion der Confessio Augustana gegenüber. In der politischen Diskussion blieben dies zwei gleichermaßen vage Bekenntnisbegriffe. So konnte vermieden werden, dass aus dogmatischen Unterschieden oder aus konkreten Konflikten im religiösen und gesellschaftlichen Alltag der Aachener politische Zwänge entstanden, welche die Aachener Bürgergemeinschaft zerstörten. Dass die eingeübten Verfahren der religionspolitischen Auseinandersetzungen in Region und Reich auf diese Weise dazu beitrugen, den Konfessionskonflikt in Aachen einzudämmen, gehört zu den wichtigsten Ergebnissen dieser Studie. Die Aachener hatten also häufig entschieden, das Thema Konfession nicht so wichtig zu nehmen, dass ihre politischen Auseinandersetzungen in einer katholisch-protestantischen Totalkonfrontation gipfeln mussten. Bis 1598 hielten sie so die politischen Voraussetzungen für eine stabiles, gemischtkonfessionelles Gemeinwesen in Aachen aufrecht. Nach der katholischen Restitution von 1598 befand das katholische Regiment ebenso wie opponierende reformierte und lutherische Bürger dann allerdings, dass zwischen der Beteiligung der drei Konfessionsgruppen am Stadtregiment und den religiösen Freiheiten der drei Gemeinden ein unzertrennbarer Zusammenhang bestand. Ein katholisches Regiment, das es versäumte, die katholische Reformation und eine konsequente Gegenreformation voranzutreiben, war

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nicht mehr denkbar. Ebenso wenig ein Rat, in dem protestantische Bürger saßen und der kein volles exercitium publicum einräumte und das Verhältnis der Konfessionskirchen in Aachen regelte. Die politischen Partner der Aachener unterstützten diesen Drang zu eindeutigen konfessionspolitischen Entscheidungen. Alle Entscheidungsträger verwarfen jetzt die Möglichkeit Konfessionskonflikten auszuweichen, indem sie sie formalisierten oder auf einer abstrakten Ebene verhandelten, wie sie es in den Jahren vor 1598 in den reichspolitischen Verhandlungen über die Causa Aquensis getan hatten. Die Herausforderung, mehrere Konfessionen in einer Stadt zu befrieden, war politisch nichtmehr im Konsens zu bewältigen, als die Verantwortlichen sich vornahmen, alle daraus erwachsenden Probleme und Unsicherheiten eindeutig zu regeln. Aachener, Reichsstände und Kaiser konnten seit dem Bürgeraufstand im Sommer 1611 nicht mehr so flexibel wie zuvor über die Konflikte in der Reichsstadt Aachen verhandeln, weil sie in Stadt, Region und Reich nicht über Aachen sprechen konnten, ohne auch die tatsächlichen religiösen Verhältnisse in der Stadt zu diskutieren. Im 1598 begonnenen katholischen Restitutionsprozess schufen Kaiser Rudolf II., Erzbischof Ernst von Köln, die spanische Regierung in Brüssel und das katholische Stadtregiment Voraussetzungen, die ihren politischen Einfluss in Aachen direkt mit dem Zustand der katholischen Religion in der Stadt verknüpfte. Konkret konnten sie den Erfolg des Katholizismus in Aachen an der Arbeit der neuen Jesuitenniederlassung und dem Erfolg der der Gegenreformation in der Stadt bemessen. So unmittelbar wie jetzt hatte sich die katholische Interessengruppe in Region und Reich vor 1598 niemals mit den den Lebensumständen der Katholiken in Aachen befasst. Anlässlich des Bürgeraufstands von 1611 ließen auch die Mitglieder der protestantischen Interessengruppe die Verhandlungen über Verfassung und reichspolitischen Status Aachens mit der Diskussion der Konfessionskonflikte in der Stadt zusammenfließen. Sobald die possedierenden Fürsten und die kurpfälzische Administration in die Aachener Politik eingriffen, kamen sie nicht umhin, sich zu Anwälten konkreter religiöser und politischer Rechte der Aachener Protestanten zu machen. Gemeinsam mit den Deputierten der evangelischen Bürgerschaft entschieden sie, dass der Aufstand sie zwang, Freiheiten der protestantischen Einwohner Aachens festzuschreiben und konstitutionell zu verankern. Die erste katholische Restitution von 1598 und der Bürgeraufstand von 1611 veränderten die politische Auseinandersetzungen um Aachen stärker und nachhaltiger als frühere Krisen und Einschnitte im Verlauf der Verhandlungen über die Causa Aquensis. Anders als in früheren Studien muss nach dieser Untersuchung betont werden, dass die streitenden Parteien nach der Spaltung des Aachener Rates 1580 zwar radikale konfessionalistische

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Argumente austauschten, danach aber einen Weg zurück zu einem weniger polarisierten Verhandlungsstil fanden. Erst seit 1598 und endgültig seit 1611 wurde die konfessionelle Polarisierung der politischen Auseinandersetzungen über Aachen unumkehrbar. Die vorliegende Studie konnte also die Voraussetzungen und Entscheidungen aufzeigen, die dazu führten, dass die Causa Aquensis bis 1598 nicht in eine rücksichtslose Konfrontation von Protestanten und Katholiken einmündete. Damit hat sie gleichzeitige erste Hinweise darauf herausgearbeitet, wie es den Aachener, gerade zwischen 1582 und 1598 gelang, das Zusammenleben von drei Konfessionsgruppen in ihrer Stadt friedlich zu gestalten. Der zweite Teil der Untersuchung hat gezeigt, dass die Einwohner Aachens verschiedener Konfession ihr Zusammenleben im Alltag friedlich gestalteten, ohne jeden Aspekt des trikonfessionellen Religionswesens ihrer Stadt und jede Begegnung von Aachenern unterschiedlicher Religion zu regeln. Besonders in den Jahren von 1582 bis 1598 bewältigten die Aachener die Herausforderung, ihre Bürgergemeinschaft trotz der unterschiedlichen Religionen der Bürger zu bewahren. Analog zu den politischen Auseinandersetzungen um den konfessionellen Status, die Verfassung und die Besetzung des Stadtregiments in Aachen halfen auch bei der konkreten Gestaltung des Zusammenlebens der verschiedenen Konfessionsgruppen traditionelle Konfliktbewältigungsstrategien und Institutionen. Angesichts der Urteile der älteren Forschungsliteratur, die nicht in Frage gestellt hatten, dass protestantische Bürger die Aachener Stadtpolitik bis zur katholischen Restitution von 1598 allein bestimmten, überrascht der Befund, dass gerade der Rat zu den Institutionen gehörte, welche die Voraussetzungen für das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen schufen. Obwohl sich die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse der Ratssitze mit der Zeit verschoben, erfüllte der Rat insgesamt fast bis 1598 die Erwartung der bürgerlichen Elite – inklusive der in Aachen verbliebenen Katholiken, ihre Beteiligung am Stadtregiment zu ermöglichen. Dies geschah, ohne dass die Aachener eigens Regeln dafür aufgestellt hätten, wie Reformierte, Lutheraner und Katholiken an Ratssitzen und Ämtern der Stadt beteiligt wurden. Auch die Gaffeln, Zünfte und Gesellschaften Aachens nahmen Bürger aller drei großen Konfessionsgruppen auf. Sie hegten anfallende Konflikte auf traditionelle Art und Weise ein. Weder Rat, noch Gaffeln, noch die städtischen Gerichte akzeptierten, dass Konflikte zwischen den Konfessionsgruppen die Ordnung und den Frieden der Bürgergemeinschaft gefährdeten. Die Bürgergemeinde war bereits aus vorkonfessioneller Zeit daran gewöhnt, eine Vielzahl von Konflikten zu bewältigen. Sie hatte dazu eine Vielzahl von Institutionen entwickelt, die nicht jeden Streit zwischen Bürgern und Einwohnern der Stadt nach

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eindeutigen Normen entschieden, sondern immer wieder verschiedene und vorübergehende Schlichtungsmöglichkeiten fanden. Dasselbe überkomplexe, aber flexible System von Institutionen bewältigte in Aachen jedenfalls bis 1598 auch den neuen Konfliktherd konfessioneller Vielfalt. Wenn die Aachener ihr Zusammenleben in mehreren Religionsgemeinschaften ganz und gar so behandelt hätten wie die Konflikte, die schon in vorkonfessioneller Zeit in der Reichsstadt auftraten, wäre es falsch, die gesellschaftliche Entwicklung Aachens im konfessionellen Zeitalter als Konfessionalisierungsprozess zu beschreiben. Tatsächlich verzichtete der Aachener Magistrat darauf, seine Herrschaft im Schulterschluss mit einer einzelnen Konfessionskirche zu stärken und zu rationalisieren und seine Untertanen zu disziplinieren. Das protestantisch dominierte Stadtregiment wollte als Obrigkeit akzeptiert werden, welche die Wohlfahrt der Stadt sicherte und reformierte und lutherische Einwohner ebenso wie katholische schützte. Das Auftreten von Bürgermeistern und Rat als überkonfessionelles Regiment war für ihre Argumentation in den politischen Auseinandersetzungen in Stadt, Region und Reich und auch als Grundlage für ihre Autorität bei der Gestaltung der innerstädtischen Ordnung entscheidend. Das Stadtregiment beschloss also aus zwei wichtigen Gründen eine zurückhaltende Religionspolitik. Es blieb weitestgehend den drei großen Konfessionskirchen überlassen, das Religionsleben in der Stadt und die Beziehungen der Konfessionsgruppen aktiv zu gestalten. Sie trieben den Prozess der interaktiven Konfessionalisierung Aachens an. Die lutherische und die reformierte Konfessionskirche in Aachen erreichten während der 1580er und 1590er beide ein Organisationsniveau, auf dem sie ein stabiles Religionsleben ihrer Mitglieder bewerkstelligten. Lutheraner und Reformierte schlossen ihre Konfessionsbildung ab. Gleichzeitig bestanden Institutionen und Religionsleben der katholischen Kirche und ihrer Mitglieder in Aachen weitgehend fort. Die katholische Kirche in Aachen eignete sich vor 1598 zwar kaum neue, konfessionelle Charakteristika an, sie grenzte sich und ihre Mitglieder aber dennoch erfolgreich von den anderen beiden großen Konfessionskirchen ab. Weil alle drei Konfessionskirchen eine stabile Existenzgrundlage hatten, waren sie dazu in der Lage, das Zusammenleben der Konfessionsgruppen in Aachen zu gestalten. Organisatorische Festigkeit der Konfessionskirchen war eine der beiden Voraussetzungen für die interaktive Konfessionalisierung Aachens. Die Kirchen von Katholiken, Reformierten und Lutheranern waren zwar so stabil, dass sie objektiv weder um ihren institutionellen Bestand noch um die konfessionelle Integrität ihrer Gemeinde fürchten mussten, gleichzeitig waren sie aber weit davon entfernt, den gleichen Entwicklungsstand zu haben, gleichberechtigt zu sein oder zu einem paritätischen Religionswesen zu gehören. In Aachen waren

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es gerade auch die Asymmetrien der verschiedenen Konfessionsbildungen, welche das Zusammenleben der verschiedenen Konfessionsgruppen ermöglichten und die Dynamik der interaktiven Konfessionalisierung antrieben. Diese Einsicht war nur durch die zusammenhängende Untersuchung der drei Konfessionsgruppen und der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Institutionen der Reichsstadt Aachen zu erlangen. Alle drei Konfessionskirchen verstanden ihre eigene Position in Aachen als zufriedenstellend, aber unvollkommen. Deswegen entschieden sich die Verantwortlichen der Kirchen dazu, ihre Gemeinde so zu disziplinieren, dass die Abgrenzung gegen die religiösen Praktiken und Dogmen der anderen Konfessionen jederzeit gewährleistet war. Sie gestalteten das Kirchenleben gleichzeitig so, dass unnötige Konflikte mit anderen Konfessionskirchen und deren Mitgliedern vermieden wurden. Die Reformierten, Lutheraner und Katholiken hielten die Stabilität des Stadtregiments und der Bürgergemeinschaft für nötig, weil sie für den Fall eines schwerwiegenden Konfessionskonflikt, der die Ordnung Aachens erschüttert hätte, um den Fortbestand ihrer Konfessionskirchen fürchteten. So stabilisierte jede der Konfessionskirchen nicht nur ihre konfessionelle Religion, sondern sie half auch die überkonfessionellen Werte der städtischen Gemeinschaft bei ihren Mitgliedern zu verbreiten. Sie stabilisierten die Aachener Gesellschaft durch Entscheidungen, die sich auf ihre Konfessionen bezogen. So waren es die miteinander verbundenen Entwicklungen der Konfessionsbildung von Katholiken, Reformierten und Lutheranern die Politik und Gesellschaft prägten. Dieses Zusammenspiel der Konfessionskulturen kann zutreffend mit dem Begriff interaktive Konfessionalisierung von unten beschrieben werden kann. Das hier vorgeschlagene Verständnis von ‚interaktiver Konfessionalisierung‘ erweitert das gleichnamige Konzept von Heinrich-Richard Schmidt. Neben Interaktionen zwischen ‚Oben‘ und ‚Unten‘ – das heißt vor allem zwischen städtischer Obrigkeit und Bürgern sowie zwischen Prediger und Gemeinde – prägten in Aachen besonders die Wechselwirkungen zwischen drei Konfessionskirchen und auch die Interaktionen zwischen einzelnen Bürgern sowie einzelnen Institutionen von Stadtregiment und Konfessionskirchen den Konfessionalisierungsprozess. Die Konfessionskirchen bildeten im Rahmen der komplexen Beziehungsgeflechte, die den Prozess strukturierten, die wichtigsten Knotenpunkte. Diese Konfessionalisierung auf Grundlage von drei Bekenntnissen, deren Anhänger einander mit Vorsicht und einer gewissen Rücksichtnahme begegneten führte, nicht zur konfessionellen Homogenisierung der Stadt, sondern ermöglichte ein friedliches Zusammenleben von Katholiken, Lutheranern und Reformierten. Als das Zusammenleben scheiterte, geschah dies nicht, weil die Aachener die Beziehungen zwischen ihren Konfessionskirchen und den Institutionen

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ihrer Reichsstadt grundsätzlich für ungeeignet hielten, den Frieden in der Stadt zu bewahren. Erst die politischen Umstürze der Jahre 1598, 1611 und 1614 zwangen die drei Konfessionsgruppen, ihre Rolle in der Stadt umzudeuten. In den Erfahrungen, welche die Aachener während der genannten Krisen machten, lag die Schnittstelle zwischen den politischen Auseinandersetzungen in Stadt, Region und Reich auf der einen Seite und der Gestaltung des Zusammenlebens von Katholiken, Reformierten und Lutheranern in Aachen. Seit 1611 entwickelten Katholiken und Protestanten auf Basis dieser Erfahrungen Geschichtsbilder, die schließlich die Grundlage für Konfessionskulturen bildeten, in denen für die Vorstellung vom friedlichen Miteinander dreier Konfessionen kein Raum war.

4.2 Gemischtkonfessionelle Gesellschaften außerhalb Aachens Die Reichweite dieser Studie wurde eingangs wie folgt abgesteckt: Auf der einen Seite stand die Annahme, dass die untersuchten Interaktionen zwischen drei Konfessionsgruppen in ihrer Intensität und ihrem Facettenreichtum in der frühen Neuzeit vor allem in städtischen Gesellschaften zu finden waren. Das gewonnene Bild vom Zusammenspiel der Konfessionskulturen in Aachen und das Verständnis vom Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten sollten also besonders nachfolgenden Forschungen zu Städten während des Konfessionellen Zeitalters als Grundlage und Vergleichsmaterial nützlich sein. Es war zunächst nicht zu erwarten, dass die Ergebnisse der Studie unmittelbar zum Verständnis der Interaktionen verschiedenkonfessioneller Gesellschaftsgruppen in der frühen Neuzeit insgesamt beitragen würden. Auf der anderen Seite lag der Studie der Anspruch zu Grunde, die Geschichte Aachens im konfesionellen Zeitalter so zu schreiben, dass sie keinen weiteren stadtgeschichtlichen ‚Sonderfall‘ konstituiert. Die Ergebnisse sollten sich also in ein historisches Gesamtverständnis von Stadtreformation und konfessioneller Stadt einfügen. Beide Erwartungen an die Einordnung der vorliegenden Studie in den Forschungskontext werden nun überprüft und verfeinert. Das Zusammenspiel der Konfessionskulturen konnte sich in der aufgezeigten Form tatsächlich nur in einer städtischen Gesellschaft entfalten. Die Spielräume und die Einschränkungen, innerhalb derer die Akteure ihre Entscheidungen trafen, hingen entscheidend von der sozialen und institutionellen Differenzierung der städtischen Gesellschaft, von der Stadtverfassung und von den ausgeprägten Werten der Bürgerschaft ab. Damit stellen sich die Fragen, wie die Ergebnisse der Studie auf andere Städte übertragen werden können und welche Relevanz die Studie in den genannten Grenzen für nichtstädtische Gesellschaften hat.

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Es hat sich als lohnendes Unterfangen herausgestellt, konsequent alle Aspekte der städtischen Gesellschaft und Politik zu untersuchen, die Alternativen zur konfessionellen Polarisierung eröffneten. Aus dieser Perspektive könnte sich zeigen, dass das vorübergehende Zusammenleben mehrerer Konfessionsgruppen in einer Stadt nicht auf vermeintliche stadtgeschichtliche Ausnahmefälle wie die Orte einer ‚späten Stadtreformation‘ beschränkt war. Für Aachen konnte gezeigt werden, dass das Zusammenspiel der Konfessionskulturen hier zunächst unter anderem deswegen nicht in die vollständige Polarisierung der drei Konfessionsgruppen mündete, weil deren Selbst- und Fremdbezeichnungen lange Zeit miteinander vermittelbar waren. Die in den verschiedenen Konfessionskulturen einflussreichen Selbstbilder erschöpften sich nicht in den stringent gegeneinander ausgerichteten Glaubensbekenntnissen und Lehrmeinungen katholischer, lutherischer und reformierter Theologen. Die Konfessionsgruppen hatten trotzdem ein gesichertes Selbstbild und gaben ihren Mitgliedern die Gewissheit, dass ihre Religion christlich war. Allerdings erlaubten die jenseits von theologischen Fakultäten und den Schreibstuben der Prediger konzipierten konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen gleichzeitig wichtige Entscheidungen für ein friedliches Zusammenleben: Für eine erfolgreiche konfessionelle Abgrenzung im kirchlichen Bereich und eine überkonfessionelle Geselligkeit in den Gaffeln, für ein Stadtregiment, das sich selbst als überkonfessionell darstellte, aber auf jede formale Absicherung der politischen Teilhabe von katholischen, lutherischen und reformierten Bürgern verzichtete, schießlich für Argumente und Aussagen in der Reichspolitik, die darauf gerichtet waren, den konfessionellen und religionspolitischen status quo in Aachen zu bewahren, ohne das faktische Nebeneinander dreier Konfessionsgruppen in der Stadt offen zu diskutieren. Dass Konfessionsgruppen in ihrer organisatorischen Verfassung und alltäglichen Religiösität gerade in städtischen Gesellschaften selten den Vorgaben dogmatisch strenger Bekenntnistheologie entsprachen, ist in der Foschung schon länger bekannt. Die tatsächliche Vielfalt der Institutionen und Frömmigkeitsformen von Kirchen in Städten, die erklärter Maßen katholisch, lutherisch oder bikonfessionell waren, bestand schon während der Reformation und blieb darüber hinaus bestehen.1 Dieser Befund ist nicht neu, findet zuletzt aber größere Aufmerksamkeit und wird auch in bestens erforschten Städten wie Augsburg bestätigt.2 Die Geschichte Aachens zeigt, 1 Vgl. Rolf Kießling, Konfession als alltägliche Grenze – oder: Wie evangelisch waren die Reichsstädte?, in: Wolfgang Jahn u. a. (Hrsg.), „Geld und Glaube“. Leben in evangelischen Reichsstädten. Katalog zur Ausstellung in Antonierhaus, Memmingen 12. Mai bis 4. Oktober 1998. (Veröffentlichungen zur Bayrischen Geschichte und Kultur, Bd. 37.) Augsburg 1998, S. 48–66. 2 Vgl. beispielsweise die systematischen Beiträge in Rolf Kießling (Hrsg.), Im Ringen

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welche Bedeutung diese Vielfalt noch bis ins 17. Jahrhundert hinein auf das Zusammenspiel verschiedener Konfessionskulturen in einer Stadt haben konnte. Die Einsicht, dass auf reichspolitischer Ebene Spielräume für die Vermittlung konfessioneller Gegensätze vorhanden waren, wurde durch zahlreiche Studien verfestigt, die hier bereits in der Einleitung diskutiert wurden. Für die Geschichte Aachens hat sich der Umstand als entscheidend herausgestellt, dass mit Aussagen und Argumenten zur Confessio Augustana effektiv auch die Rechte von Christen verhandelt werden konnten, die nach der herrschenden theologischen Meinung außerhalb des orthodoxen Luthertums standen; mit Aussagen und Argumenten zum Augsburger Religionsfrieden und zu dessen Städteartikel konnte ein städtisches Religionswesen verteidigt werden, das nicht den bikonfessionellen Verhältnissen entsprach, die ohne Weiteres als Gegenstand der religionspolitischen Regelungen von 1555 diskutiert wurden. Mitlerweile ist es gelungen, überzeugend darzulegen, dass solche Strategien nicht unbedingt etwas mit konfessioneller Ambiguität oder Dissimulation der Akteure zu tun hatten.3 Wie für Aachen sollte nun auch für andere Städte der Zusammenhang zwischen den politischen Diskussionen über ein gemischtkonfessionelles Gemeinwesen und den möglichen Erfahrungen einer verhältnismäßig friedlichen Koexistenz der Konfessionsgruppen im städtischen Alltag untersucht werden. Diese Perspektive kann zum einen verständlich machen, warum politische Akteure auch unter erheblichem Druck zur konfessionellen Polarisierung an überkonfessionellen Strategien festhielten oder nach gespannteren Konfliktphasen zu ihnen zurückkehrten. Zum anderen kann der Ansatz ein Licht darauf werfen, wie Gewaltund Krisenerfahrungen und deren Verarbeitung innerhalb der städtischen Gesellschaft vorher gangbare politische Optionen entwerten konnten. Dieser Zusammenhang zwischen den alltäglichen Erfahrungen von politischen Akteuren und der Wahl ihrer religionspolitischen Linie ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der Rolle von städtischen Handlungsträgern und von Politikern, die fürstliche Interessen in konfessionellen Auseinandersetzungen vertraten. Dass die Vertreter von Landesherren in der Regel nicht unmittelbar von Erlebnissen in der Gesellschaft beeinflusst waren, deren religionspolitische Rahmenbedingugen sie verhandelten, schränkt die Möglichkeiten ein, Ergebnisse dieser Studie auf territorialstaatliche Verhältnisse um die Reformation. Kirchen und Prädikanten, Rat und Gemeinden in Augsburg. Epfendorf/Neckar 2011. 3 Vgl. beispielsweise Matthias Pohlig, Wahrheit als Lüge – oder: Schloss der Augsburger Religionsfrieden den Calvinismus aus?, in: Andreas Pietsch/Barbara StollbergRilinger (Hrsg.), Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 214.) Göttingen 2013, S. 142–169.

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zu übertragen. Auch die Rückwirkung von Erlebnissen auf der politischen Bühne auf die Gestaltung des Zusammenlebens der Konfessionen in einer territorialen Gesellschaft konnte nicht auf die Weise stattfinden, die für die Entwicklung der Aachener Verhältnisse entscheidend war. Zwar gab es auch jenseits von städtischen Gesellschaften Spielräume für die Gestaltung des Zusammenspiels mehrere Konfessionskulturen. Die Wechselwirkungen zwischen religionspolitischen Auseinandersetzung und dem religiösen und politischen Alltag waren aber nicht mit denen in Städten vergleichbar. Dahingegen eignet sich die Untersuchung von städtischen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Aachen als wichtig für das Zusammenspiel der Konfessionskulturen herausgestellt haben, besonders, um die Ergebnisse der Studie aufzugreifen und zu überprüfen. Insbesondere eine eingehende Untersuchung politisch berechtigter Gaffeln beziehungsweise Zünfte, wird ein vielversprechender Ausgangspunkt für Untersuchungen zum Zusammenspiel mehrerer Konfessionskulturen in einer Stadt sein. Dabei können neuste Forschungsergebnisse zur Kulturgeschichte der Handwerksvereinigungen und insbesondere zu deren Geschichtsbildern aufgegriffen werden.4 Reichsstädte mit Bewohnern verschiedener Konfessionsgruppen und auch bikonfessionelle Reichsstädte rücken damit in den Fokus der Suche nach gesellschaftlichen Konstellationen, die dem Zusammenspiel der Konfessionskulturen in Aachen ähnelten. In Aachen folgte auf Konfessionsbildungsprozesse, die Raum für die Koexistenz dreier Bekenntnisgruppen ließen, die Bildung von Konfessionskulturen, welche der religiösen Einheit der Bürgergemeinde allerhöchsten Wert zumaßen. Die Bedeutung von politischen Krisen und ihrer Verarbeitung in Geschichtsbildern und Konfessionskulturen für die konfessionelle Polarisierung einer städtischen Gesellschaft kam sicherlich nicht nur unter den speziellen Bedingungen der trikonfessionellen Reichsstadt Aachen zum Tragen. Die hier präsentierten Ergebnisse legen nahe, dass auch in anderen Städten Spielräume für flexible Lösungen der Probleme bestanden, die aus der Glaubensspaltung entstanden. Wie die Aachener wählten wahrscheinlich auch Einwohner anderer Städte erst nach tiefgreifenden Krisenerfahrungen und entscheidenden Einschränkungen ihres politischen Spielraums, das Streben nach konfessioneller Homogenität oder geregelter Parität als Reaktion auf die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Glaubensspaltung. Nichtsdestotrotz: Die verhältnismäßig langanhaltende friedenswahrende Wirkung der interaktiven Konfessionalisierung war wohl nur in der besonderen Situation der Reichsstadt Aachen denkbar. Aachen sollte sich im Vergleich nicht als Ausnahmefall erweisen. Das Ne4

Vgl. Patrick Schmidt, Wandelbare Traditionen – Tradierter Wandel. Zünftische Erinnerungskulturen in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2009.

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beneinander von drei Konfessionen und die verhältnismäßig eingeschränkten Machtmittel des Aachener Magistrats ließen die Bedingungen für ein friedliches Zusammenspiel der Konfessionskulturen besonders deutlich hervortreten. Sicherlich kann die Teilnahme von Reformierten im Zusammenspiel der Konfessionskulturen auch an anderen Orten interessante Handlungspielräume eröffnet haben, die eine Untersuchung wert sind. Allerdings sind dies nicht die einzigen Orte, die eine intensivere Forschungen nach den Interaktionen von Konfessionsgruppen und ihren Folgen rechtfertigen. Vielmehr liegen diese Orte überall dort, wo die Bedingungen dafür erfüllt sind, den forschungspraktisch zugespitzten Begriff von „Mischkonfessionalität“, wie Stefan Ehrenpreis ihn vorgeschlagen hat, anzuwenden. Dort lebten Konfessionsgruppen über einen verhältnismäßig langen Zeitraum zusammen, ohne dass eine von ihnen den Status einer Minderheits- oder Untergrundkirche hatte. Wie sich gezeigt hat, sind Aachen und vergleichbare Städte damit gerade nicht prädestiniert, lediglich die „Grenzen der Konfessionalisierungsthese hevortreten“ zu lassen.5 Es geht insbesondere auch darum, das Zusammenspiel trotz gelungener Abgrenzung und die gesellschaftlichen Folgen einer solchen Interaktion zu verstehen. Wie gesehen konnte die interaktive Konfessionalisierung Aachens sich vorübergehend in Übereinstimmung mit einer Grundannahme des Konfessionalisierungsparadigmas stabilisierend auf das Aachener Gemeinwesen auswirken. Als Aachen am Ende des Untersuchungszeitraums in ein Phase verstärkter konfessioneller Polarisierung eintrat, klang der Konfessionalisierungsdruck vielerorts bereits wieder ab. Auch das rekatholisierte Aachen stand nicht mehr dauerhaft unter dem prägenden Einfluss der Konfessionen und ihrer Verbindungen mit Politik und Gesellschaft in der Stadt. Wenn sich noch im Laufe des 17. Jahrhunderts neue Optionen für die Verständigung zwischen den Konfessionen auftaten, stellt sich die Frage, welche Kontinuität in Aachen zwischen den im 16. und frühen 17. Jahrhundert praktizierten Formen des friedlichen Zusammenspiels der Konfessionskulturen und jetzt wirksam werdenden Formen der Irenik und religiösen Toleranz bestand. Für Aachen war es kaum möglich, neben den praktischen Alltagsinteraktionen, den politischen Kulturen, den Institutionen und den kulturellen Repräsentationen, die das Zusammenspiel der Konfessionsgruppen strukturierten, auch intellektuelle Konzepte oder Ideen zu untersuchen, die dazu geeignet waren, die friedliche Koexistenz von Katholiken, Lutheranern und Reformierten zu gestalten, zu rechtfertigen und zu stabilisieren. Reflexionen 5 Vgl. Stefan Ehrenpreis, Mischkonfessionalität und Konfessionalisierungsforschung. Konzeptionelle Überlegungen, in: Thomas Brockmann/Dieter J. Weiss (Hrsg.), Das Konfessionalisierungsparadigma. Leistungen, Probleme, Grenzen. (Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 18.) Münster 2013, S. 117–126, hier: S. 122–123.

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der res publica litteraria, die Einfluss auf den Verlauf der Aachener Religionssache nahmen, sind ebenso wenig fassbar, wie Überlegung irenischer Theologen, die Konflikte der Konfessionskirchen in Aachen zu überwinden. Das deutet zum einen darauf hin, dass theoretisch fundierte Toleranzmodelle im Untersuchungszeitraum eine nachgeordnete Rolle für die Eindämmung von Konfessionskonflikten spielten. Gleichzeitig besteht keine Veranlassung diesen Faktor aus künftigen Untersuchungen der Grundlagen des Zusammenlebens in gemischtkonfessionellen Gesellschaften auszuklammern. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass der Späthumanismus zwar nicht so eindeutig überkonfessionell war wie zuweilen vermutet wurde, aber dennoch, verbunden mit erheblichem Aufwand der beteiligten Gelehrten, eine Gelegenheit bot, überkonfessionelle Erfahrungsräume zu schaffen.6 Gerade für Städte mit einer starken humanistischen Tradition ließe sich noch mehr darüber herausfinden, wie humanistische Praktiken im Zusammenspiel mit anderen Handlungs- und Erfahrungsbereichen das Zusammenleben von Konfessiongruppen prägten. Interessant wäre auch zu erfahren, welche Einflüsse es waren, unter denen Humanisten vom durchaus denkbaren Ideal uneingeschränkt überkonfessionellem Forschens abzurücken. Vermutlich waren es nicht nur kontroverstheologische Diskurse sondern wiederum gerade in Städten Alltags- und Krisenerfahrunge, die zu einer Teilkonfessionalisierung der res publica litteraria führten. Wo konfessionalistische Aussagen und Praktiken in der gelehrten Welt des 16. und frühen 17. Jahrhunderts sichtbar werden, sollten sie ähnlich wie konfessionell polarisierende Tendenzen in politischen Diskursen zunächst als räumlich und zeitlich begrenzt gedacht werden. So lassen sie sich in Wechselwirkung mit den anderen Teilbereichen untersuchen, die das Leben in gemischtkonfessionellen Gesellschaften ausmachten. Die Vordenker einer irenischen Theologie waren während des konfessionellen Zeitalters bekanntlich vor allem in Heidelberg und an anderen reformierten Höfen des Reiches ansässig.7 Ihre Konzepte für eine Überwindung der Unterschiede und Konflikte zwischen den lutherischen, reformierten und calvinistischen Kirchen Europas legten das theologische Fundament für die kurpfälzische Kirchenpolitik. Die Versuche der Kurpfälzer im Reich 6

Vgl. Magnus Ulrich Ferber, „Cives vestros sine controversia habeo pro Germaniae cultissimis“. Zum Verhältnis von Späthumanismus und Konfessionalisierung am Beispiel der bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg, in: Gernot Michael Müller (Hrsg.), Humanismus und Renaissance in Augsburg. Kulturgeschichte einer Stadt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg. Berlin/New York 2010, S. 409–420, hier: S. 419–420. 7 Vgl. hierzu und zum Folgenden Howard Hotson, Irenicism in the Confessional Age. The Holy Roman Empire 1563–1648, in: Howard P. Louthan/Randall C. Zachman (Hrsg.), Conciliation and confessio. The struggle for unity in the age of reform, 1415–1648. Notre Dame/Ind. 2004, S. 228–285.

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auch die reformierten Kirchen unter den Schutz des Religionsfriedens zu stellen und auf europäischer Ebene möglichst alle Protestanten gegen die römische Kirche und ihre Anhänger zu verbünden, wurden durch Theologen legitimiert, welche die grundsätzliche Einigkeit zwischen den Erben der Wittenberger und der Schweizer Reformation aufzeigten und die beständig betonten, wie sinnlos es sei, über rein äußerliche Widersprüche in den verschiedenen Dogmen in Streit zu geraten. Obwohl die kurpfälzische Politik und Kirche zeitweilig einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der religionspolitischen Auseinandersetzungen in Aachen nahm, haben sich im Verlauf dieser Untersuchung keine wesentlichen Einflüsse der pfälzischen Irenik auf das Religionsleben in der Stadt gezeigt. Das wirft Fragen auf, die nicht nur für Aachen sondern für alle gemischtkonfessionellen Gemeinwesen im konfessionellen Zeitalter relevant sind: Wie konnten irenische Konzepte Einfluss auf das Religionsleben von Gemeinden gewinnen? Gab es zumindest unter Reformierten eine irenisch geprägte Konfessionsbildung und konnte sie zur Eindämmung von Konfessionskonflikten beitragen? In der Geschichte Aachens deutet zunächst nichts darauf hin, dass die Irenik eine solche Wirkung entfalten konnte, bevor ein auf Toleranz bezogener Diskurs zur Vermittlung in Konfessionskonflikten beitrug. Hier drängt sich vielmehr die Frage auf, inwieweit einige Akteure konfessionalistische Argumente auf eine bestimmte Art und Weise vortrugen, weil sie gerade auch in der Auseinandersetzung mit irenischen Positionen geübt waren. Gerade die in der Gemeinde der Aachener Lutheraner von einigen Predigern geübte Kritik an der vermeintlichen dogmatischen Ambiguität der Gemeindeführung ließe sich eventuell als Teil eines gegenirenischen Diskurses verstehen. Das heißt vor allem, dass irenische Konzepte ein fruchtbarer Forschungsgegenstand sind, dessen Verständnis neben der Untersuchung von Formen konfessioneller Ambiguität dazu beiträgt, Handlungsspielräume jenseits des Zwangs zur Konfessionalisierung zu identifizieren und einzuordnen. Gerade bei der Untersuchung gemischtkonfessioneller, städtischer Gesellschaften muss danach gefragt werden, welchen Einfluss irenische Konzepte auf die Gestaltung des konfessionellen Miteinanders ausübten. Warum die Einflussnahme der Irenik auf das Zusammenspiel der Konfessionskulturen in Aachen annähernd zu vernachlässigen ist, liegt an Besonderheiten der gemischtkonfessionellen Aachener Gesellschaft, die in dieser Studie aufgezeigt wurden. Die Abwesenheit prominenter, theologisch oder humanistisch versierter Predigerpersönlichkeiten in Aachen ist nur die offensichtlichste dieser Besonderheiten. Selbst für Aachen werfen die Ergebnisse der vorliegenden Studie die Frage auf, ob die Besonderheiten der gemischtkonfessionellen Stadt ihre Geschichte auch nach 1614 entscheidend beeinflussten, oder ob sie eine

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Ergebnisse und Ausblick

wirkungslose Episode der Aachener Geschichte blieb: Wie wirkte die Dynamik zwischen drei Konfessionsgruppen, von denen lange Zeit keine als unterdrückte Minderheit gewirkt hatte, fort, nachdem sich die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse und die religionspolitischen Rahmenbedingungen grundsätzlich verändert hatten? Welche Rolle spielte der Fortbestand reformierter und lutherischer Minderheiten in Aachen für die Weiterentwicklung der katholischen Konfessionskultur in der Stadt nach 1614? Wahrscheinlich prägte die katholische Konfessionskultur, die zuletzt Gegenreformation und die konfessionelle Homogenität Aachens aufgewertet hatte, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Konfessionsgruppen von nun an maßgeblich. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob anders als vor 1614 ausdrücklich irenische Konzepte für die Gestaltung des Zusammenlebens der Aachener Konfessionsgruppen rezipiert wurden. In jedem Fall machen die vielfältigen Entscheidungen der Aachener für ein stabiles, gemischtkonfessionelles, städtisches Gemeinwesen deutlich, dass die Möglichkeiten, interkonfessionelle Beziehungen in frühneuzeitlichen Städten aktiv zu gestalten, nicht unterschätzt werden dürfen.

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Personenregister Alba, Fernado Àlvarez, Hzg. von, 77 ff., 393 Albrecht, Erzhzg. von Österr., 20, 186, 189, 193, 195, 199, 425 Altmann, Hans, 10 Amya, Michael, 202 Antonetta, Hzg. von Jülich, 188 Asten, Arnold von, 178 Auf die Kuchen, Adam, 178 Backereel, Hermes, 311, 314 ff. Badius, Johannes, 348 Bannis, Claus von den, 226 Bastenach, Peter, siehe Michael, Peter Bastenach, Wilhelm, 204, 234 Battenfeld, Johannes, 362 f. Beck, Nikolaus, 273 Beeck, Jost von, 101, 178, 211, 262, 332 Beeck, Lambert, 202 Beeck, Peter von, 5, 9, 420, 433– 438, 441 Berchem, 251 – Joachim 183, 207, 225 – Johann 373 Berg, Simon von, 260 Birkenholtz, Paulus, 285 f. Bleienheuff, Gillis, 232 Bleyenheufft, Aegidius, 190 Bocholtz, Franz, 298 f., 301 Boechholtz, Goerth von, 226 Bonen, Franz, 178 Bontwercker, Christian, 335 Breberensis

– Engelbert 348 – Johannes 348 f. Brecher, August, 8 ff. Buret – Jaques 92 – Johann 92 f. Calvin, Jean, 58 Candres, Wilhelm, 100 Chapeaville, Jean, 5, 276, 278 Christoph, Hzg. von Württemberg, 315 Clermont, Niklas von, 49 Colen, Abraham von, 226 Colyn – Bonifacius 123, 146 ff., 167, 176, 374, 445 – Melchior 72 Condonius, Heinrich, 100 Crum, Johann, 234 Dammerscheid, Johann, 412 Dathenus, Petrus, 84 Dickens, Arthur G., 21 Dirckens, Johann, 311 Dohna, Fabian von, 272 Duppengießer, 92 – Matthias 92 ff., 167, 169 Eberhardts, Wilhelm, 330 Eichholtz, Heinrich, 193 Ellerborn, 251 – Gerhard 68, 183, 202, 247, 297– 304, 411, 421 – Johann 125, 154–157, 170, 291

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Personenregister

Emondi, Emmondus, 348 Engelbrecht, 59 – Arnold 58–63, 313 – Caspar 202 – Gerhard 202 – Johann 104, 108 – Simon 93, 101, 374, 388 Engels, Johann, 352–359 Ernst Ludwig, Hzg. von PommernWolgast, 133 Ernst von Bayern, Erzbf. von Köln, 20, 112, 121, 123, 157, 176, 185, 191 ff., 199, 278, 366, 372 ff., 392, 408, 449 Ernst, Mgf. von Brandenburg, 213 Fabricius, Walter, 100 Farnese, Alessandro, Hrzg. von Parma, 20, 98, 121, 129, 408 Ferdinand I., rm.-dt. Kg., 51 f., 54 f., 65 f., 97, 171 Fey, Ignatz, 9 Fibus, Johann, 101, 104, 290 François, Étienne, 25, 27 Frelen, Gert, 287 Friedrich III., Kf. von d. Pfalz, 80, 82, 312 f., 315, 372 Friedrich IV., Kf. von d. Pfalz, 170 Friedrich V., Kf. von d. Pfalz, 198, 212 Fründt, Jan, 381 Gaill, Andreas, 98, 100 Gallio, Tolomeo, 87 Gartzweiler, Paulus, 229 f. Gebhard Truchsess von Waldburg, Kf. von Köln, 87 Georg, Gf. von Montfort, 119 Georg, Ldgf. von Hessen-Darmstadt, 119 Georgen, Johann, 281 Geyer, Mathis, 226

Gielen, Adam von, 394 Grandt, Caspar le, 202 Granvelle, Anton von, 51 f. Gregor XIII., Papst, 368 Grevenbergh, Johann, 202 Gymmnich, Werner von, 100 Haemstede, Adrian, 312–316 Haesius, Johannes, 366 Hansen, Joseph, 8 f., 355 f. Hardenrath, Johann, 98 Hardt, Johann von der, 330 Harff, Wilhelm von, 100 Hase, Heinrich, 52, 63 Heggen, Konrad von, 178, 180, 190, 194 f., 212 Hellesberg, Dietrich, 123 Herten, Gerardus, 348 Hesenus, Georg, 361 Heuffs, Matthias, 202 Heuwer, Johann, 202 Hirwarth, Clais, 178 Hörn, Gerhard von, 100 Horbach, Reinhard, 190, 232 Horden, Theodor, 348 f. Hotman, Jean, 208 f. Hove – Catharina von 94 f. – Leonhard von 94 f., 101, 160, 248, 255, 257, 410 Huckelum, Johann, 316 f. Hunnius, Aegidius, 166, 275, 360 Immendorf, Servaes von, 260 Isabella, Statthalterin der Niederlande, 186 Johann Casimir, Pfalzgraf, 96, 118 ff., 124, 126, 153, 160 f., 163 f., 170, 214, 259, 271 ff. Johann Friedrich, Hzg von Pommern, 133

Personenregister

Johann II. von Pfalz-Zweibrücken, 198 Johann Sigismund, Mgf. von Brandenburg, 213 Johann von Pfalz-Zweibrücken, 85, 164, 212 Johann Wilhelm, Hzg. von Jülich, 183, 189 ff., 200 Johann II. von Pfalz-Zweibrücken, 214 Julius, Hzg. von BraunschweigWolfenbüttel, 133

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– Johann von 79, 93, 101, 178, 389, 402–406, 420 f., 427 – Klaes 260 Ludwig IV., Ldgf., 275 Ludwig, Ldgf., 271, 273 ff., 352 Ludwig VI., Pfalzgf., 271, 274 Luther, Martin, 396

Kalckberner, Johann, 165, 169, 180, 199–202, 212, 217, 234 f., 281, 358, 360 Karl d. Große, 94, 132, 363, 436 Karl V., 51 f., 98, 118 Kersten, Johannes, 348, 350, 437 Keussen, Hermann, 303 Kip, Lambrecht, 260 Kleins, Johannes, 409 Klermondt – Kerst 178 – Heinrich 178, 324 Klocker – Melchior 189 – Melchior 184, 187, 190, 192, 232 Kobrae, Peter, 260 Köln, Caspar von, 178 Koep, Mathis, 226 Kremer, Adam, 281 Krentzgen, Matthias, 324 Kuhen von Merken, Johann, 329 Kuickhoven, Badius, 190, 194 f.

Macco, Hermann Friedrich, 5, 9 Madruzzo, Ludwig von, 139 Marnix, Philipp, von, 83, 86 Matthias, Ks., 198 f., 211, 238, 432 Maximilian II., Ks., 363 Meeß – Christian 169, 201, 388 – Christian d.J. 389 Melis, Johann, 336 Men, Gerhard, 150 f., 178 ff., 212 f., 422, 424–428 Mentzer, Balthasar, 362 Merode-Houffalize, Johann von, 183 Merz, Johannes, 23 Mewis, Michael, 340 Moll, Simon, 190, 232 Momma – Sara 347 – Voucken 202 Morsbach, Frein, 389 Münster – Albrecht von 44 f., 434, 436 – Baltasar von 201 Musch, Jakob, 390 Muscinus Muntzius, Matthaeus, 329

Leersch, Wilhelm, 381 Lintzenich, Johann, 347 Loetgens, Leonhard, 372 ff. Lohn, Lambrecht von, 202, 260 Lontzen

Nassau, Philipp von, 99 f., 104, 107, 138 Neustatt, Simon, 229, 231 Noppius, Johann, 5, 9, 44, 48, 420, 433–438, 441

498

Personenregister

Olevianus, Caspar, 58, 85 Oranien, Wilhelm von, 77 f., 83 Ottheinrich, Pfalzgf, 56 Pallant, 351 Parma, Margarethe von, 52 Pastor, Jakob, 160, 290 Pedius, Petrus, 336, 348, 422 ff., 427 ff. Peltzer – Matthias 101 – Merten 226 f. – Peter 226 f. Philipp II., Kg. von Span., 71 f., 100, 103, 302, 376, 409 Philipp Ludwig, Pfalzgf., 179, 212 f. Philipp, Ldgf., 274 Portia, Bartholomäus, 87 f. Radermacher – Gerlach 63 f., 78, 123, 288 – Heinrich 286 f. – Johannes 332 Roh, Friedrich, 285 f. Roß, Aegidius, 262 Rudolf II., Ks., 7, 12, 51, 92, 96, 99 f., 109, 112, 118 ff., 122 ff., 126, 128, 131 f., 134, 136 f., 139 ff., 147–150, 153, 157 f., 160 f., 192 f., 198, 205, 212, 232, 261, 271, 275, 283, 302, 405, 424 f., 432, 449 Ruland – Cristof 344 – Johann 178, 180, 212 f. – Peter 168 f., 178, 180, 324, 362 Salentin von Isenburg, Ezbf. von Köln, 87 Sarten, Alexander van der, 285 Schanternell

– Adam 202, 340 – Hupprecht 202 Schilling, Heinz, 14, 19, 25, 30, 436 Schleiden, Peter von, 226 Schmidt, Heinrich-Richard, 31 Schmitz, Johann, 202 Schmitz, Walter, 12, 16, 39, 65, 98, 101, 173 Schmitz, Wynand, 260 Schonau, Collin, 394 Schrick – Albrecht 101, 115, 124, 160, 183 f., 249, 251, 257, 283, 290, 412, 437 – Goswin 364 – Matthias 178 Segradt, Anastasius, 374 Senftenau, Jakob Kurz von, 119 Siegen – Johann von 68 – Lammert von 260 Spina, Pedro de, 228 ff. Spinola, Ambrosio, 199, 216, 430, 431 f. Steffart, Wilhelm, 55 Stonpard, Peter, 178 Symons, Peter d.J., 337 Taffin, Johannes, 312, 314 ff. Thenen, Johann von, 93 f., 97, 158 ff., 170, 175, 182, 199, 227, 271, 298, 302, 410 f., 427, 434 Tossanus, Daniel, 271 f. Valenzin – Ägidius 388 – Matthias 349 Vercken – Dietrich 373 – Peter 123 Vietor – Jeremias 166, 359 f.

Personenregister

– Johann 273, 352–360, 362 – Johannes 352 Vieuville, Robert de la, 208 f. Vlatten, Heinrich von, 100, 143 Voss, Franz, 129, 143, 154, 411 Weber, Anton, 277 f. Welters, Heinrich, 381 Werden, Johann von, 303 f. Wettem, Matthias, 196, 261 Widderradt, Franz, 190, 232 Wied, Hermann von, 274 Wilhelm V., Hzg. von Jülich, 17, 53 ff., 65, 77, 83 ff., 97, 112 ff., 121 ff., 131 f., 158 ff. Wilhelm, Ldgf., 160, 271, 273 ff., 352 Wilhelm, Pfalzgf., 274 Wilhelmi, Johann, 352 f., 355, 357 Wilhelm V., Hzg. von Jülich, 51 Wilre, 260 – Gregor von 108, 160 – Johann von 108, 160

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– Wilhelm von 160, 412 Winckelmans, Johann, 362 Wirichs, Nicolas, 353–357, 359, 361 Wolff – Anton, 180, 211, 215, 229 f. – Niclas 228 f. Wolff, Walther, 9 Wolfgang Wilhelm, Pfalzgf., 180, 213, 436 Wolfgang, Hzg. von BraunschweigGrubenhagen, 133 Wolfgang, Pfalzgf., 63, 212 Wormbs von Thomberg, Johann, 184 Zestich, Desiderius, 100 Zevel – Adam von 56, 58, 67–71, 73 ff., 248, 311, 421, 427, 434 – Goswin von 58–63, 313 – Peter von 168 Zuleger, Wenzel, 58, 63, 65, 88

Sachregister Aachener Reich, 130, 394 Aachener Wirren, 418 Abendmahl, 331, 348, 365, 402 Abendmahlsstreit, 273 Achtzigjähriger Krieg, 376, 392, 408, 430 Adel, 251, 350 Ägidiustag, 391 f., 408 Ältestenkonsistorium, 319 f. Alexianer, 284, 293 Amsterdam, 178 Amtswahlen, 92, 104 Antiklerikalismus, 201, 338, 386 Architektonische Repräsentation, 163 Armenfürsorge, 279–282, 325–331 Artois, 47 Aufstand, 87, 104, 107, 151, 163, 197 f., 200–207, 234, 243, 277, 281, 300, 411 Augsburg, 14, 26 f., 41, 46, 52, 56 f., 65, 98, 111, 119 f., 122 ff., 127– 141, 152, 304, 313, 401, 454 Augustiner, 365 Auslaufen, 200 Außenbeziehungen, 232, 235, 359, 373, 391, 404, 431 Bann, 103, 142, 176, 285, 295, 372, 425 Bayern, Hzgtm., 50 Bedburg, 83, 85 f., 288, 316, 346 Bestattung, 154, 284, 293, 339, 345, 382, 410

Bikonfessionalität, 25, 116, 143, 208, 265, 303, 395 Bildersturm, 281, 286 Bildung, 276–279, 368 Bittschrift, 57–64, 66, 92, 94, 97, 136, 168, 277, 312, 339, 393 Bock (Gesellschaft), 222, 246, 381 Bourges, 58 Brabant, 100, 107, 110, 121, 123, 126, 137 f., 153, 158, 176, 186, 194 ff., 198 f., 215, 424 Brandenburg – Ansbach 133 – Kurfstm. 118 f., 123, 200, 213 f., 216 Brauer (Gaffel), 387 Breitenbent, 351 Brüssel, 190, 425 f. Bürgerausschuss, 102, 155, 163, 169, 186–194, 197, 201 f., 205, 218, 230 f., 233–236, 243, 247– 250 Bürgereid, 228 Bürgergemeinde, 223, 249, 371, 379 f. Bürgerhauptleute, 201 Bürgermeister, 68, 101, 104 Bürgerrecht, 224, 295 Burgund, 103, 149, 186–189, 191, 195, 204, 235, 448 Burtscheid, 79, 184 Calvinismus, 109, 111, 315 Christologie, 273, 349, 354 Christophel, 68, 244

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Sachregister

Colmar, 1, 24, 183, 385 Confessio Augustana, 13, 57, 59, 61, 65, 82, 85, 111, 113, 163, 165, 178, 270, 304, 306, 315, 393, 396, 400, 420, 434, 455 Demografie, 113, 241, 254 Den Haag, 20 Deputierte, 201, 233 Deutsch-Reformierte Konfessionskirche, 226, 311–317 Dogma, 310, 347, 349 Dominikaner, 201, 280 Donauwörth, 30 Dortmund, 19, 25 Dreißigjähriger Krieg, 296 Düren, 337 Düsseldorf, 63, 85, 103, 181, 373 Duisburg, 122, 321 Edikt von Nantes, 208 f. Ehe, 186, 284, 328, 333, 335, 344, 374 Ehre, 357, 409, 412, 434 Elberfeld, 330 Elsass, 24 Emden, 31, 311, 316, 342 Enteignung, 409, 426 Erbfolgestreit, 214 Erzpriester, 154, 280 exercitium publicum, 57 f., 65, 74, 89, 92, 117, 124, 130, 143, 165, 167, 178, 203, 235, 268 f., 317, 400, 439 Exil, 409 Familie, 26, 327, 337, 399, 402 Fast- und Bettag, 381, 396 Fischmarkt, 372 Flacianismus, 354 Flandern, 47, 316, 320, 331 Flugschriften, 430, 432

Frankfurt, 40, 58 f., 62, 78, 110– 115, 135, 150, 180, 199, 212, 265, 273, 362, 364 Frankreich, 34, 96, 153, 206–209, 409 Franziskaner, 365, 370 Französisch-Reformierte Konfessionskirche, 319 Frauen, 94, 287 Freiwilligenkirche, 271, 318–325 Fremdengemeinde, 314 Frieden von Passau, 72 Friedenswahrung, 49, 61, 67, 74, 76, 79 f., 90, 93, 105, 114, 116, 145, 159, 181 f., 185 f., 202, 219, 231, 234, 264, 286 f., 292, 297, 331, 360 f., 404, 446 Fronleichnam, 391 Fürstenrat, 137

Gaffelämter, 195, 259 Gaffelbrief, 222 Gaffeln, 38, 57, 80 f., 204, 210, 223, 239, 295, 380–390, 456 Ganzes Haus, 334, 337 Gebet, 380 Gegenreformation, 251, 263, 291, 295, 321, 366, 383, 437 Genf, 342 Genfer Kirchenordnung, 317 Gesandtschaft, 51, 63 ff., 93, 97, 99, 106, 112, 114–118, 123, 135 f., 141, 165, 175, 193, 195, 206, 255, 273, 276 Geschichtsbilder, 155, 207, 417, 443, 456 Geschichtsschreibung, 5, 47, 395, 433 Geselligkeit, 380 Gießen, 166, 359 f.

Sachregister

Glaubensbekenntnis, 80, 85, 88 f., 112, 117, 146, 312, 317 Gottesdienst, 163, 280, 310, 313, 366, 400 Gravamina, 133, 202, 292, 296 Groningen, 342 Großer Klüppel, 235, 269 Großer Rat, 57, 72 f., 223, 237, 239, 285 Hagenau, 130 Handwerk, 387 Hebammen, 287 Heidelberg, 163, 179 f., 212 f., 349 ff., 426 Heidelberger Katechismus, 317 Heiligenverehrung, 94, 381 Heiliges Römisches Reich, 12, 19, 29, 34, 76, 152, 209 f., 435 Heiligtumsfahrt, 408 Hessen, 40, 133, 160, 164 ff., 271– 275, 352, 356, 359–362 – Hessen-Darmstadt 119 – Hessen-Kassel 275 – Hessen-Marburg 275 Hohe Schule von Herborn, 329, 349 ff. Hospital, 279 Hostienschändung, 281 Humanismus, 54, 457 ff. Immunität, 371, 375 Irenik, 208, 273, 350, 457 ff. Jesuiten, 43, 175, 182, 185, 192, 201 ff., 207, 216, 267 f., 277 f., 366–369, 384, 386, 418, 449 Jülich–Kleve–Berg, 16–19, 25, 40, 45, 50 f., 53–56, 62–65, 83–87, 98, 100, 103 ff., 107–113, 115, 117, 120–123, 125 f., 129 ff., 135, 137 f., 149, 153, 155, 160 f., 170,

503

175 f., 180, 182 f., 187–194, 196, 200, 206 f., 209, 212 f., 215, 227 f., 230, 232 f., 264, 273, 276, 302 f., 348, 373, 391 f., 410, 424, 426, 445, 448 Justiz, 45, 54, 113, 143, 145, 158, 184, 221, 283, 297, 338, 340, 372

Kaiser, 12, 52, 61, 65, 98, 108, 136, 141, 155, 159, 193, 233, 298 Kaiserlicher Befehl, 148, 150, 195, 258, 291, 404 Karmeliter, 87, 366 Katechese, 334, 347 Katholische Bürger, 95, 300, 414 Katholische Konfessionskirche, 42, 92, 250 Katholische Opposition, 101, 105, 108, 114, 146, 247 f., 409–414 Katholische Pfarrer, 143 Katholische Reform, 9, 185, 276, 368–371, 418 Kirchenbau, 87, 95, 120, 162, 211, 258, 268, 399 Kirchengemeinde, 373 Kirchengut, 267 Kirchenhoheit, 221, 279, 289 Kirchenleitung, 244, 262, 323 Kirchenmeister, 364 Kirchenordnung, 273, 304, 317, 349, 354 Kirchenzucht, 331–363, 402 Kirchhof, 154 Kirchweihe, 347 Klein St. Jakob, 293 Kleiner Rat, 223, 374 Klerus, 251, 266, 364 Klüppel, 163, 333 Köln – Bstm. 20, 83, 87, 366

504

Sachregister

– Klasse der reformierten Synode 86 – Kurfstm. 16, 19 ff., 40, 65, 83, 86 f., 153, 155 f., 167, 175 ff., 185, 190–193, 195 f., 198 f., 233, 274, 372 f., 377, 391 f., 424, 426, 448 – Stadt 1, 22, 100, 111, 135, 138, 142, 228, 298, 302 f., 327, 336, 351, 383 ff., 400 ff. – Universität 142 Köln-Tor, 104, 107, 339 Kölner Krieg, 86 Königspforte, 68 Kommission, 281 Konfessionalisierung, 28, 456 Konfessionel motivierte Gewalt, 393 Konfessionelle Abgrenzung, 166, 310, 326, 342–363, 366 ff., 376, 384, 386, 388, 413, 418 Konfessionelle Feindbilder, 70, 410 Konfessionelle Stadt, 379, 395, 418 Konfessioneller Kompromiss, 381, 408, 447, 450 Konfessionskirchen, 8, 221, 306, 309, 377 ff., 451 f. Konfessionskonflikte, 25, 228, 371, 376 f., 398, 432, 447 Konkordie, 13, 110, 136, 273, 354, 359, 361 Konsistorialwahlen, 353 Konsistorium, 404 Kontroverspredigt, 354, 356 Konventikel, 68 Konversion, 212, 337, 343, 404 Konzil, 64 Krisenerfahrungen, 390, 398, 410, 417 ff., 426, 449, 455 Krönung, 363 Kupferschläger (Gaffel), 243, 246, 387

Kurgericht, 184, 297, 304 Kurpfalz, 82 Laienbrüderschaft, 383 Landstädte, 23 late city reformation, 24, 251, 453 Lehrstreit, 353 leyenda negra, 392 Liga, 214 Limburg, 123, 131, 187 Lippstadt, 30 London, 312 Lüttich, 168, 335 – Bstm. 20, 98 f., 113, 157, 276, 278, 337, 366, 373, 375, 385 – Hochstift 19 f., 87, 98 f., 103 f., 107, 110, 112, 117, 120 f., 123, 126, 156, 448 Lutherische Konfessionskirche, 41, 317 f. Lutherische Orthodoxie, 359 Maasland, 83 Maastricht, 131, 316 f. Maastrichter-Reformierte Konfessionskirche, 316 Marburg, 166, 360 Marienstift, 42, 63, 87, 143, 154, 175, 184, 251, 276, 363–377, 434, 436 Marienverehrung, 381 f., 386 Marktplatz, 200 Mehrfachkonfessionalisierung, 31 Messe, 94, 281, 284, 364 f., 408 Migration, 47 f., 51 ff., 71, 73, 77– 80, 92, 216, 241, 314 Militär, 392 f., 426 Mischkonfessionalität, 456 Montoye, 330 Naumburger Konvent, 117

Sachregister

Niederländischer Aufstand, 77, 110, 119, 128, 214 Niederlande, 16 f., 19 f., 40, 47 f., 51, 53 ff., 57, 71, 77–83, 85 f., 90, 95 f., 98 f., 102, 104, 109 ff., 119, 123, 128, 131, 152 f., 186 f., 190, 204, 215, 217, 225 f., 233, 242, 246, 296, 307 f., 314 ff., 330, 352, 376, 385, 389, 392 f., 408 f., 420, 426, 428, 430 f., 436 Niederrheinisch-Westfälischer Kreis, 161 Nordwesten des Reiches, 137, 214 Nürnberg, 64, 135, 207, 352 Nuntiatur, 82, 86 ff. Öffentlichkeit, 149, 154, 163, 293, 300 f., 333, 344, 360, 369, 391, 397, 409 Öffentlichkeitskirchen, 307 Offenbarung, 428 Opposition, 236 Parität, 25, 210, 304, 340, 398, 418 Patriziat, 182, 222, 246 Patronat, 270 Pazifikation, 190 Pfalz – Kurpfalz 40, 63, 84 ff., 90 f., 96, 110, 118, 131, 133 f., 136 f., 140, 151, 153, 160, 164 f., 180, 199, 212–215, 236, 271 ff., 275, 447, 449 – Pfalz-Lautern 118 f., 133 f., 140, 447 – Pfalz-Neuburg 133, 179 ff., 200, 213, 436 – Pfalz-Zweibrücken 318, 347 Pfarrkirchen, 270 Polemik, 412 Policey, 303 Prag, 99, 112, 123, 126, 148, 151,

505

155, 159, 162, 193 ff., 405, 410, 424 Prediger, 270, 311, 321, 348, 350, 360, 397, 421 Predigerwahl, 271 Predigt, 83, 94, 365–368, 400 Predigthäuser, 163, 269, 348, 399 Presbyterium, 244, 317 f., 358 Pressburg, 123 Prozessionen, 49, 365, 384, 391, 407 ff. Rat, 66, 70, 75 Rathaus, 101, 200, 234 Ratsedikt, 44, 48, 52, 57, 79 f., 104, 115, 125, 224, 264, 293, 340, 345, 373, 383, 387 Ratseid, 395 Ratsoligarchie, 220, 256 Ratspolitik, 39, 84, 95, 101, 108, 114, 167, 252, 451 Ratsreformation, 220, 271, 337, 340 Ratswahlen, 82, 99–105, 116, 142, 222, 226, 236, 253–259 Raum, 208 Ravensburg, 26, 398 Reformation, 4, 21, 44, 164, 207, 235, 246, 263, 391 Reformationsjubiläen, 395 Reformationsrecht, 66, 72, 117, 130, 134, 404 Reformator, 360 Reformierte Konfessionskirche, 41 Regensburg, 77, 111, 134 f., 150, 152, 180, 198 f., 215, 425 Reichsacht, 150, 153, 167 Reichsdeputationstag, 150 Reichsexekution, 112, 116, 120– 127, 137, 151, 175 Reichshilfe, 128, 133, 198

506

Sachregister

Reichshofrat, 91, 138, 150, 153 Reichskammergericht, 15, 55, 121, 156, 158, 160, 183, 209 Reichspolitik, 7, 12 f., 39, 55, 62, 86, 88, 90, 97, 109, 116 f., 121, 123, 127, 130, 151 f., 159 ff., 178, 186 f., 192, 212, 455 Reichsrecht, 53, 134 Reichsreligionsrecht, 14 Reichsstädte, 13, 21, 51, 75, 93 f., 107, 110, 130, 133 f., 207, 210, 228, 265, 303, 453 Reichsstände, 110, 136 f. Reichstag, 46, 57 f., 121, 128–140, 150, 214, 424 Reichsvikariat, 212 Rekatholisierung, 142, 167, 181 Religionsfrieden, 14, 135, 137, 165, 203, 208, 400, 455 Religionsgespräch, 112 Religionswesen, 141, 157, 159, 185, 207, 214 Reliquien, 188 Repräsentation politischer Ordnung, 234, 237, 379, 406, 434 Repräsentation sozialer Ordnung, 332, 374, 390 f., 395, 415 Repräsentation von Kofessionskulturen, 380 Repräsentation von Konfessionskirchen, 416, 450 Repräsentation von Konfessionskulturen, 27, 395, 398 Rheinland, 11, 45, 215, 330, 351 Rituale, 395

Sachsen, 165, 352 – Kursachsen 118, 123, 133, 136, 141–146, 148, 212, 255 – Sachsen-Coburg 212

Sakralgemeinschaft, 21, 264, 279, 391, 436 Sakramente, 284, 391 Schleiden, 353 Schleiden, Gft., 351 Schneider (Gaffel), 260, 381 Schöffengericht, 145, 158 ff., 232, 257, 289 Schöffenstuhl, 182 f., 302 Scholaster, 276, 374 Sektenbekämpfung, 46, 49, 52 f., 64, 74, 82, 85, 103, 117, 123, 143, 284, 432 Selbst- und Fremdbezeichnungen, 103, 125, 127, 146, 166, 176 f., 230, 248, 396, 402, 406 f., 412, 428, 438, 453 Selbstzucht, 368 Sendgericht, 48 f., 143, 156, 185, 282–297 Seuchen, 224 Sexualität, 333 Sittenzucht, 340, 374, 380 Sozialprestige, 101 Sozialstatus, 113, 203, 222, 241, 287, 320, 342, 410 Spanien, 19, 34, 84, 130, 151, 186, 302, 392 Speyer, 64, 77 f., 110 f., 123, 135, 230 Spottlieder, 410, 427 St. Adalbert, 10, 270, 339, 365, 370 St. Anna, 284 St. Foillan, 9 f., 62, 65, 270, 285, 364 f. St. Jakob, 10, 270, 293, 365 St. Peter, 270, 365 Stadtbrand, 38 Stadtherr, 233, 298 Stadtkirche, 264, 304 Stadtreformation, 21, 360

Sachregister

Stadtrepublikanismus, 211, 220 Stadtverfassung, 75, 80 f., 98, 101, 105, 130, 207, 209, 214, 222 Städtetag, 110, 150, 230 Städtischer Raum, 399 Stern (Gesellschaft), 201, 222, 246 Strafzahlungen, 175, 181, 185, 294 Straßburg, 40, 111, 113, 115, 135, 207, 352 Studium, 349, 351 f., 361 Supplikation, siehe Bittschrift Synode, 82–86, 316, 320 f., 349, 392, 397 Taufe, 186, 284 Theologische Gutachten, 356 Toleranz, 17, 457 Trienter Konzil, 117, 369 Trier – Kurtrier 124, 141–148, 255 – Stadt 142 Tübingen, 315, 352 Ubiquität, 112, 349 Ulm, 40, 113, 115, 135, 150 Ungarn, 123, 408 Union, 214 Universität Gießen, 359 Universität Heidelberg, 349 Universität Helmstedt, 354 Universität Marburg, 59, 166, 273, 275, 352, 354 ff., 359–362 Ursulinen, 368

507

Utrecht, 37, 307 f., 400 Verfolgung, 106, 410, 422, 425 f., 428 f., 432, 434 Verhaftung, 372, 375 via media, 16, 263 Visitation, 334, 364 Vogtmeier, 54, 158, 391 Vorweiden, 348 votum decisivum, 134 Wachdienst, 375 Wassenberg, 351 Weiden, 200 Werte der Reichsstädte, 239, 309, 332, 413, 436, 452 f. Wesel, 330, 432 Westfalen (Landschaft), 277 Widerstandsrecht, 404 Wiedertäufer, 45, 53, 293, 295 Wien, 12, 39 f. Winkelpredigt, 44 Wirtschaft, 26, 47, 83, 100, 114, 130, 153, 161, 183, 186, 217, 232, 243, 246, 301 f., 371, 381, 387 Wittenberg, 361 Wohlstandswahrung, 437 Worms, 77, 315 Zensur, 47 Zwang zur Konfessionalisierung, 239, 263, 360, 448 Zweite Reformation, 361