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German Pages 113 [116] Year 1951
LEONHARD FENDT
• KATECHETIK
Die wissenschaftliche
Leitung
der Sammlung
liegt in den Händen D. Dr. Heinrich
Frick,
Marburg,
Töpelmann
von ord. Prof. der
Theol.
Die Sammlung Töpelmann erscheint in zwei Reihen. Reihe I enthält Abrisse zu den hauptsächlichen Disziplinen evangelischer Theologie. Sie richten sich an Studierende der Theologie, an Pfarrer und Religionslehrer, sowie an gebildete Laien und dienen dem Zweck, in wissenschaftlicher Grundhaltung Vertrautheit mit dem Stoff, Einführung in die Probleme und Übersicht über die Literatur des betreffenden Fachgebietes zu vermitteln. Für eine theologisch klärende Erörterung zeitgemäßer Probleme der christlichen Kirche und des evangelischen Glaubens bieten die an die Sammlung angeschlossenen Hilfsbücher (Reihe II) ausreichende Gelegenheit. Ihr Bestreben ist es, durch Leitfäden zu Teilgebieten die „Theologie im Abriß" zu ergänzen. DER
VERLAG
S A M M L U N G Zweite
Reihe:
^ « L
Theologische
T Ö P E L M A N N Hilfsbücher.
Band
i
KATECHETIK Einführung in die Theologie und Technik des kirchlichen Unterrichts VON
D. DR, L E O N H A R D F E N D T PROFESSOR DER THEOLOGIE
2. v ö l l i g u m g e a r b e i t e t e
Auflage
ü V E R L A G A L F R E D T Ö P E L M A N N R E R L I N W 35 1951
Printed
in
Germany
Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Bodo Graefe, Berlin SW 61
Vorwort zur 2. Auflage Es sind seit der 1. Auflage dieser Katechetik (1934), und besonders seit 1945 r zahlreiche der katechetischen Praxis dienende Bücher und Schriften erschienen, welche der Reformation nacheifern und das Bibelchristentum durchhalten. Auch hat die katechetische Methodologie eifrige Bearbeiter gefunden. So dürfte es nicht unnötig sein, wenn in der vorliegenden Neubearbeitung der „Katechetik" ein Durchblick durch die heutige Situation der Katechese und der Katechetik versucht wird — eine Erörterung der Theologie und der Technik der kirchlichen Unterweisung, zur kurzen Einführung derjenigen katechetischen Kräfte, welche heute ihr Leben der katechetischen Verkündigung weihen. B a d L i e b e n z e l l , September 1950 Leonhard Fendt
VII
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort zur 2. Auflage
V
E r s t e r Teil: G r u n d s ä t z l i c h e s : § 1. Weltliche und kirchliche Erziehung § 2. Der biblische Charakter der kirchlichen Erziehung . . . . § 3. Die kirchliche Unterweisung am „alten Äon" § 4. Das erziehliche Moment der kirchlichen Unterweisung . . § 5. Die Katechetik
1 8 14 15 17
Zweiter § 6. § 7. § 8. § 9. § 10.
21 24 26 28 30
Teil: Die Lehre vom Stoff der K a t e c h e s e : Die Dignität des katechetischen Stoffes Die katechetische Differenzierung des biblischen Stoffes . . Die christozentrische Linie Der ökumenische Gesichtspunkt Übersicht über den Inhalt der Bibel
D r i t t e r Teil:
D i e W e g e d e s K a t e c h e t e n zu d e n heiten („Unterrichtseinheiten"): §11. Die Exegese § 12. Die Meditation § 13. Die Komposition
Vierter § 14. §15. §16.
Stoffein-
Teil: Die k a t e c h e t i s c h e M e t h o d e : Die Bedeutung der Methode für den kirchlichen Unterricht Die Freiheit der Methode Beispiele: A. Luther B. Leo Jud C. Christoph Albrecht Löseke D. Entwickelnde Unterrichtsfragen E. Die „formalen Stufen" F. Pfennigsdorfs „Erlebnismethode" G. Otto Eberhard („Lebensschule") H. Adolf Burkert I. Julius Schieder: Stufen vom Evangelium her K. Jakob Rinderknecht
§17. Die Einzelfächer I. Der Bibelunterricht 2. Der Katechismus-Unterricht 3. Das Kirchenlied 4. Der liturgische Unterricht 5. Der kirchliche Unterricht in der K i r c h e n g e s c h i c h t e . . .
34 38 42
48 52 59 60 61 62 63 66 68 70 72 73 79 79 81 82 87 89
vin Seit«
§18. Die I. II. III. IV. Fünfter § 19. § 20. §21. Schluß
einzelnen Unterrichtsgelegenheiten Die öffentliche Schule Der Konfirmanden-Unterricht Der Kindergottesdienst (und die Sonntagschule) Die Unterweisung des Kleinkindes
Teil: Der K a t e c h e t : Der pneumatische Stand des Katecheten Die Wahrhaftigkeit des Katecheten Der Zweifel des Katecheten
. . . .
91 91 95 97 98 100 101 103 105
E r s t e r Teil
Grundsätzliches § 1. Weltliehe und kirchliehe Erziehung E r z i e h u n g ist die ehrwürdige Formel für jene Reihe menschenformender Vorgänge im Bereiche des Einzellebens und des Soziallebens, welche auf der Ebene des Christuslebens ihr pneumatisches Gegenstück in der Wiedergeburt aus Gott, in der Bekehrung und Heiligung durch Gott, also in der Erlösung Jesu Christi, haben. Da man in langen christlichen Zeiten die Erlösung Jesu Christi im Zentrum des Einzel- und Gemeinschaftslebens gesehen hatte, so ist es begreiflich, daß man nach der Säkularisierung des Lebens nicht weniger haben wollte; so erachtete man nun Erziehung als etwas wie eine „weltliche" Erlösung 1 ), als eine „diesseitige" Wiedergeburt, und erblickte im Erzieher einen Schöpfer, der über dem Chaos waltet und Menschen nach seinem Bild und Gleichnisse formt. War aber auf diese Weise der biblische Gott zugunsten des Erziehers deformiert worden, so hinderte nichts, nun den Erzieher zum Handlanger der Machtträger zu degradieren; denn war der Erzieher ein Schöpfer, also ein Mächtiger, so mußte über ihn die Macht der Herrschenden als Übermacht kommen. „Ich bin der Herr, dein Gott" — wer davon abfällt, fällt in die Hände der „Elim", der Machtträger. Herrscht aber die Macht über den Erzieher, so wird die Erziehung zum Zwang; und da die Machthaber wechseln, so wechseln die Ziele der Erziehung, die nur mehr als Tyrannenwille erscheinen. So „erzog" man hier zur Menschenwürde, dort zur Sklaverei; hier zum Herrentum, dort zum Proleten; hier zum Krieg, dort zum Frieden; hier zur Barbarei, dort zur Kultur. Es ging zwar den Tyrannen nicht allerwege alles nach Wunsch und Willen; es gab immer wirkliche Erzieher, die ein edles Menschenbild vor Augen hatten und in vielen Kämpfen gegen Zwang und Tyrannenabsicht zu jenem edleren Bild zu erziehen suchten. Auch arbeitete die Ethik, die Pädagogik, die Psychologie, überhaupt die Philosophie, immer wieder in der Richtung wirklicher Erziehung. Trotz alledem: „Erziehung" erhielt immer stärker den Klang „Zwang", und es ist das Leid der Erzieher bis auf den heutigen Tag, ja heutzutage besonders, daß „Erziehung" als ein Teil der Tyrannenmacht erscheint, gegen welche anzukämpfen gerade die Zöglinge sich berufen fühlen. Und es scheint, daß diesen Freiheitskämpfern kirchliche, staatliche, „scho*) So K e r s c h e n s t e i n e r G e o r g , „Die Erziehung", 1. Jahrgang S. 136. 1 Fendt, Katechetik
Grundsätzliches
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lastische" Erziehung deshalb so zuwider ist, weil solche Erziehung sich als wirkliche Erziehung aus Liebe „tarne", während sie für die Freiheitskämpfer enthüllte Tyrannei sei. Denn sobald ungetarnte Tyrannei nach der Erziehung greift, pflegen recht viele dieser Freiheitskämpfer im Schweigen zu erstarren und die neue „Erziehung" zu akzeptieren. Der horror coactionis, der Horror des Zwanges und der Willkür, liegt auf der Kirchen-, Staats-, Schulerziehung herkömmlicher und pädagogisch, ethisch, psychologisch, philosophisch unterbauten Art der Erziehung — das ist das Erschreckende. Man lehnt die Vergangenheit überhaupt ab, darum auch jene Erziehung. Freiheit ist Freiheit von der Vergangenheit, weil die Vergangenheit Tyrannenzwang gewesen sei. Es ist alles darum zu tun, daß das Gute der Vergangenheit, aueh der herkömmlichen Erziehung, gerettet werde. Das kann geschehen, wenn die Pädagogen und Pädagogiker sich dahin einigen, E r z i e h u n g nur noch da zu konstatieren, wo E r z i e h u n g z u r M e n s c h e n w ü r d e gemeint ist, und zwar m i t a l l e r j e n e r F r e i h e i t , der Erzieher und der Zöglinge, die einer wirklichen Erziehung zur Menschenwürde entspricht und gebührt 1 ). Die Formel „Erziehung" muß für Erzieher und Zöglinge etwas von dem Inhalt bekommen, den Sören Kierkegaard beim Kommen der platonischen „Idee" fühlte: „Wie soll man Linderung finden, wenn nicht in der unendlichen Ruhe, mit der in der Stille der Nacht die Idee losgelöst, heilig leise und doch so mächtig sich im Rhythmus des Dialogs entfaltet, als gäbe es nichts anderes in der Welt" 2 ). Für diese Erziehung zur Menschenwürde liegen in den Philosophien und Pädagogiken der Vergangenheit und Gegenwart mächtige Vorarbeiten zur Hand; ein lebenshungriges Studium der Geschichte der Philosophie wie der Pädagogik, also der Philosophen, der Pädagogen, der Pädagogiker unter d i e s e m Gesichtspunkt ist Ernte, nicht Friedhofswanderung. Aber Ungeheures bleibt noch zu tun, wenn der Tyrannenodem aus der Erziehung zur Menschenwürde ganz weggeblasen werden soll. Machen wir uns die konkrete Situation klar! Noch versteht man recht verschiedenes unter „Menschenwürde". Noch ist man keineswegs einig über die Erziehungsmittel. Noch drängt die Frage mächtig: „Wer ist Erzieher?". Beginnen wir mit der letztgenannten Frage nach dem Träger der Erziehung, so liegt die Sache faktisch so: Die Familie hat in der Erziehung nur noch Restbedeutung; das ist jammerschade, aber es ist so. Ein williger Einzelner, also ein Aristoteles der Erziehung, hat nur noch in Einzel- und Ausnahmefällen pädagogische Wucht. Die Schule wirkt als Vermittlerin von Kenntnissen 3 ) immerhin eindeutig, als Erzieherin ist die Schule zwar nicht abzuschreiben, aber ein peinliches Problem. Wirk*) Man lese: M a r t i n R a n g , Der Geist unserer Zeit, 1947. ) S ö r e n K i e r k e g a a r d , Der Begriff der Ironie. Übers, v. W. Kütemeyer, 1929, S. 24. 3 ) Daß auch Kenntnisse und Können Erziehung einschließen, bleibt hier außer Ansatz. 2
§ 1. Weltliche und kirchliche Erziehung
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liehe Erziehung geht vielmehr vom Freundeskreis aus, von den Altersund Berufsgenossen, vom Beispiel und Vorbild der Selbständigen, der wertgeschätzten Erwachsenen. Hier hat das „Gefälle" der Erziehung sich der Freiheit genähert, die der Menschenwürde entspricht — das Gegenteil wird abgelehnt oder nur „ertragen". Freilich: in welchem Sinne Menschenwürde hier erreicht wird, das ist abhängig von der Stufe der Menschenwürde, auf welcher die „Vorbilder" stehen. Und hier erscheint die überragende Bedeutung der Einwirkung der Standes-, Volks-, Menschheitskultur auf jene „Vorbilder"! Auch die „Vorbilder" sind ja wieder Zöglinge des höheren Kreises — oder doch eines Segments aus demselben. So käme alles auf das Universale an; aber das Universale liegt im Argen, es ist zersplittert, durcheinander, Beute Streitender. Und von diesen Streitenden her strömt nun der Streit, d. i. die Gewalt, in die Menschenwürde-Erziehung ein: Familie, Schule, Staat haben i h r e Auffassung des Universalen und wollen mit Zwang die Einheit setzen, wo die Praxis sich frei die Wege sucht. Den Ausschlag gibt denn auch die Praxis von den „Vorbildern" her, hingegen die Erziehungsziele der Familie, Schule, des Staates bleiben zumeist Theorie. Auch Schule, Familie, Staat erreichen tatsächlich doch nur das, was die Zöglinge am Vorbild der Altersgenossen, der nächst höheren Altersstufe, der ihnen imponierenden Erwachsenen bewundern. Alles „Offizielle" stößt auf praktischen Widerstand. Gewiß bleibt auch etwas „hängen" — aber meist gerade nicht das, was Familie, Schule, Staat wollten. Man muß hier nüchtern sein. Wie bei der Angelegenheit „Erzieher" und beim „Erziehungsziel" erscheint das Minus auch bei der Frage nach den „Erziehungsmitteln". Alles absichtliche Erziehen durch Lenken, Hinweisen, Warnen, Unterrichten erweist sich deutlich als schwächer denn das unabsichtliche Erziehen durch die Vehemenz des „Vorbildes" (im guten, freilich auch im schlechten Sinn). Das „Vorbild" arbeitet wenig mit absichtlicher Erziehung; tut es das doch, so z. B. lenkend, hinweisend, warnend, unterrichtend, so wird das von den „Nachbildern" wie ein Evangelium aufgenommen (oft ist es freilich ein Dysangelium). Von denselben „Nachbildern", die sonst gegen die absichtliche Erziehung der Familie, der Schule, des Staates wie eine Mauer stehen! Ja sogar Zwangsmittel werden erziehlich entgegengenommen, wenn sie aus der Hand des „Vorbildes" kommen; die „ S t r a f e " , die anderswo Revolution zu erregen pflegt (wenn sie nicht überhaupt wie die Keule des Neandertalers belacht wird) oder doch die Erziehung eher hindert als fördert: hier, beim „Vorbild" empfindet man sie nicht als Tyrannei, sondern als hilfreiche Lenkung. So prägt das „Vorbild" allem Pädagogischen einen neuen Stempel auf, auch Primitives beginnt wieder zu leuchten. Die Mittel der „absichtlichen Erziehung" werden als Zwang der „Ergrauten" mit Spott oder geheimer Abwehr quittiert — in der Linie des „Vorbildes" sind sie plötzlich „modern". Es soll aber mit dem Gesagten nicht behauptet sein, Familie, Schule, Staat seien in der Erziehung nicht nötig, im Gegenteil. Aber allerdings 1*
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Grundsätzliches
muß behauptet werden: Familie, Schule, Staat kommen zum Schlag nur, wenn sie die Freiheit respektieren und in ihr Erziehungswerk einbauen, welche auf der Linie der „Vorbilder" dem Erziehungsverlauf Blut und Leben gibt. Ja, wenn sie (Familie, Schule, Staat) in „Vorbildern" erziehlich auftreten. Familie, Schule, Staat können nur so ihre Erziehungskraft wieder gewinnen — und sie sollen das. Alle unabsichtliche Erziehung ist ohne die absichtliche ein Urwald, aber die unabsichtliche Erziehung bedeutet den Humus und den Kräftereichtum. Nennen wir die Erziehung auf der Linie „Vorbilder" die e x e m p l a r i s c h e Erziehung, so können wir als ihr Gegenstück die a u t o r i t ä r e Erziehung buchen (doch wirkt auch das „Vorbild" in seiner Art alsbald autoritär). Da die „Vorbilder" gerade im „Gefälle des Lebens" an die „Nachbilder" herankommen, so schließt die exemplarische Erziehung das mit ein, was man die f u n k t i o n a l e Erziehung heißen kann, insofern man „Funktion" nicht im Sinne Kants, sondern im Sinne F. Cassirers nimmt: eine in Abhängigkeit von einem Vorgang A auftretende Wirkung B. Also in unserem Zusammenhang: Ein Lebenskreis A hat die erziehliche Wirkung B, und das im Abhängigkeitsverhältnis. Also nicht Aufhebung der autoritären Erziehung zugunsten der Alleinherrschaft der exemplarischen (und funktionalen) — sondern Belebung der autoritären durch die exemplarische! Es gilt: 1. In der Erziehung wirkt tatsächlich allerorten das Exemplarische stärker als das Autoritäre; 2. P a s Exemplarische kann so stark wirken, daß alles Autoritäre verschüttet wird; 3. Das Autoritäre hat aber Aussicht, wo es n a c h dem Exemplarischen und auf G r u n d des Exemplarischen eintritt, das Exemplarische deutet, weitet, berichtigt; 4. Je stärker das Autoritäre selbst zum Exemplarischen gewandelt wird, um so erziehlicher wird es. Treten wir mit diesen K o n s t a t i e r u n g e n a n d i e k i r c h l i c h e E r z i e h u n g heran, so finden wir dort einen erfreulichen Fortschritt. 1. Erzieherin ist unbestritten die Kirche, die Gemeinde Jesu. 2. Erziehungsziel ist der Mensch Gottes nach dem Vollmaße Jesu Christi — wiederum ein unbestrittenes Datum. 3. Erziehungsmittel sind einerseits Vorbild und Beispiel der Gemeinde Jesu und der Gemeindeglieder (exemplarische Erziehung), anderseits das der Kirche Jesu Christi von ihrem Herrn aufgetragene „Weiden" (I Petr 5, 2; Jo 21,16; Apg. 20, 28), also überwachen, lenken, behüten, heilen, warnen, drohen, belehren (autoritäre Erziehung). 4. Das kirchliche Erziehungsideal ist wieder unbestritten (wenn auch nicht immer und überall voll realisiert) dieses: die autoritäre Erziehung bis zum Letzten durchblutet von der exemplarischen Erziehung! 5. Die kirchliche exemplarische Erziehung wird nicht dadurch getan, daß Männer und Frauen m e n s c h l i c h e r Größe als Vorbilder ihre Nachbilder erhalten, sondern dadurch, daß Männer und Frauen der G n a d e G o t t e s , Männer und Frauen der Rechtfertigung und Heiligung d u r c h G o t t , die Zeugen für die Macht der Gnade Gottes werden, und daß ihr Zeugnis von der Macht der Gnade Gottes die Nachkommenden zur Gnade Gottes in Wort und Sakrament führt. Das „Lebensgefälle",
§ 1. Weltliche und kirchliche Erziehung
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welches funktional-erziehlich wirkt, ist in der Kirche nicht irgendein Humanes, sondern das Leben der Gemeinde aus dem Hl. Geist. 6. Die kirchliche autoritäre Erziehung kann nicht durch Treiben und Zwingen getan werden, sondern durch Aufzeigung und Nachzeichnung der im Exemplarischen vorgegebenen Gnadenwirklichkeit, und zwar Nachzeichnung nach dem NT, wo das Exemplarische und das Autoritäre in unvergleichlicher Einheit auftritt. So wird die kirchliche autoritäre Erziehung durch das „Wort" getan. 7. Unter der ständigen Voraussetzung, daß Gott es ist, der durch Wort und Sakrament zum Glauben im Vollsinn des Paulus und Luther erzieht, kann man „die speziell kirchliche Erziehung" Erziehung zum christlichen Ethos nennen (Pistis sich entfaltend in Leiturgia und Agape). Die „ontische" Linie enthält schlechthin Erziehung durch Gott und läßt der Kirche nur die Setzung von Wort und Sakrament als der Mittel, durch welche Gottes Erziehung wirkt; aber im NT wird trotzdem sichtbar, daß der Gemeinde Jesu wirkliche Erziehung zugemutet wird, d. h. zur „ontischen" Linie kommt die „praktische" Linie, weil es sich um Menschen handelt 1 ). Paulus erzog! Und das NT bezeugt dies auch bei anderen wie eine Selbstverständlichkeit. (Probleme liegen hier gewiß, aber die Tatsache gibt den Ausschlag.) Nun trifft die kirchliche Erziehung auf die weltliche Erziehung, nämlich bei den Gliedern der Gemeinde, die in den öffentlichen Schulen nicht bloß Kennen und Können erhalten, sondern erzogen werden sollen. Wie verhält sich hier die kirchliche Erziehung zur weltlichen ? Nehmen wir den besten Fall an: kirchlich Ernsthafte sind zugleich weltlich Ernsthafte, und alle Konflikte werden mit Liebe ausgetragen. Fest steht: kirchliche Erziehung ist Erziehung zum Christus-Ethos, weltliche Erziehung sei Erziehung zur Humanität. Für die Reformation war der Weg der Humanität gleichbedeutend mit justitia civilis, „bürgerlicher" Höhenlage (Gerechtigkeit im „weltlichen" Sinn). Hingegen das Christus-Ethos aus Glauben stellt den Wandel in der justitia Dei dar, den Wandel in der Gnadengesinnung und Gnadentat Gottes, also auf der Höhenlage „Erlösung durch Christus". (Luther konnte daher justitia Dei übersetzen mit „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt".) Für die Reformatoren ist jeder Gedanke daran ausgeschlossen, daß etwa auf dem Boden der justitia civilis der Glaube im Vollsinn des Paulus und Luther erreicht werden könnte. Die Erziehung zur Humanität kommt also über das Edelmenschliche nicht hinaus, es besteht eine absolute Schranke zum Glaubensleben hin, und die Reformatoren bezeichneten diese Schranke auch deutlich: die Erbsünde. Doch lobten sie die „bürgerliche Gerechtigkeit" als ein Plus in der menschlichen Gesellschaft (Luthers Lob auf den Türken!). Aber mit dem Augenblick, wo „bürgerliche" Gerechtigkeit sich ganz oder zum Teil an die Stelle der Glaubensgerechtigkeit setzen und den Vgl. F o l k e H o l m s t r ö m , Methodische Einleitung zu einer christlichen Sozialethik (schwedisch), 1943. (Holmström ist Schüler von Anders Nygren in Lund.)
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Grundsätzliches
Glauben (im Vollsinn) wirken will, bricht der Zorn der Reformation aus und sofort erscheint die „bürgerliche" Gerechtigkeit als Satansspuk. Nach den Reformatoren kann also Erziehung zur Humanität nie und nimmer das Ziel „Christus-Ethos" erreichen, auch dann nicht, wenn die Erziehung zur Humanität gewisse Anleihen beim Christuswerk macht. Es gibt kein Christus-Ethos, das in die Humanität als Teil der Humanität eingebaut werden könnte. Eine andere Frage ist die: Wenn der Mensch der bürgerlichen Gerechtigkeit nun die Gottesgerechtigkeit aus Gnaden empfängt, wird dann die von ihm erreichte bürgerliche Gerechtigkeit ausgelöscht — oder wird sie in einem höheren Sinn von der Gottesgerechtigkeit geübt ? Ein Mann, eine Frau der Humanität — was ist mit ihrer Humanität nach der Bekehrung durch die Gottesgerechtigkeit ? Ist alle Wohlerzogenheit des „alten Menschen" nun eine Null oder gar eine Sünde ? Die Reformatoren haben darüber nicht gehandelt, und das NT auch nicht. Aber vielleicht darf man im Sinne der Reformatoren und im Sinne des NT so antworten: Der Mensch der Gottesgerechtigkeit aus Gnaden bringt nun als Früchte der Gottesgerechtigkeit a u c h jene Werke hervor, welche er vor der Wiedergeburt in Christo als bürgerliche Gerechtigkeit erreichen konnte; das christliche Ethos bringt also eine Humanität höheren Stiles mit sich, nämlich die Humanität Christi, und diese humanitas Christi tut reichlich und im neuen Stil das, was auf dem Boden der weltlichen Humanität die bürgerliche Gerechtigkeit leistete. (Ein Unbehagen bleibt bei dieser Lösung des Problems; nämlich an dem Punkte, wo etwa die Wohlerzogenheit eines Mannes oder einer Frau der Ausübung der humanitas Christi nach der Wiedergeburt günstiger sein sollte als die Unerzogenheit anderer im gleichen Falle! Das katholische Prinzip der dreistöckigen Erziehung 1 ) (Gratia supponit naturam) ist hier der verlockende Ausweg; aber der Reformation entspricht ohne Zweifel nur die These: Ob wohlerzogen, ob unerzogen in der weltlichen Humanität, der Wiedergeborene t u t die Gnadenschritte der humanitas Christi ganz neu.) Für die kirchliche Erziehung ergibt sich jedenfalls die Folgerung: Die kirchliche Erziehung als Erziehung zum christlichen Ethos kann von der weltlichen Erziehung zur Humanität Winke dafür abnehmen, welche Gebiete des menschlichen Lebens im Sinne der humanitas Christi erziehlich bearbeitet werden müssen. Das Streuungsfeld, welches die Erziehung zur Humanität im weltlichen Sinn sichtete, kommt auch für die Erziehung zum christlichen Ethos in Betracht, freilich nun im „höheren Chor". Nicht bloß die theologische Ethik, die theologische Sozialethik insonderheit, sondern auch die philosophische Ethik gibt Felder an, wo die Zwecke des christlichen Ethos von der Kirche erreicht werden sollen. In der Tat hat die Reformation in dieser Hinsicht gearbeitet: der Beruf als vocatio Dei — die Schätzung der Ehe und Familie — die rechte Würdigung des Erwerbslebens — der neue Kanon christlicher Fürstentugend — das freudige Erfassen aller Bildungsgüter — diese Momente Vgl. F. X. E g g e r s d o r f e r , Jugendbildung, 3. Aufl. 1930.
§ 1. Weltliche und kirchliche Erziehung
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führt W o l f g a n g T r i l l h a a s 1 ) in dem Sinne an, daß M e l a n c h t h o n hier gar wohl den gesamtreformatorischen Ansatz wahrte. Und Trillhaas fügt bei: „Melanchthon nimmt die Hl. Schrift dahin ernst, daß sie nicht nur in dem religiösen Bezirk gilt, sondern daß sie auch in saecularibus wahr ist und über die ganze Welt hin Gültigkeit beansprucht. Nirgends hat er sich von seinem in Christo gefangenen Gewissen emanzipiert". Freilich weiß dann Trillhaas den Melanchthon darin zu kritisieren, daß dieser dem Gedanken der Erbsünde schließlich seinen radikalen Charakter nicht ganz wahrte, sonst hätte er die Kirche nicht zur Schule, den Staat nicht zum Hüter der Schule machen können, wie er denn in dieser Richtung Dinge, welche die Reformation anfangs gleichsam mit der linken Hand sorglos geordnet hatte, nunmehr in sorgfältige Pflege nahm (formuliertes Gebet, Übung der Tugenden im weltlichen Beruf, Beachtung der Caeremonien u. a. m.). W i r werden das so rubrizieren dürfen: Melanchthon ließ sich von der Humanität weltlicher Art nicht bloß die Bezirke abstecken, sondern gelegentlich auch die Mittel — aber immer blieb sein Zweck doch die humanitas Christi aus dem Glauben, welchen G o t t macht. M a r t i n R a n g hat in einer neueren Veröffentlichung 2 ) dafür gesprochen, daß das humanistische Ethos als das Ethos des Humanen auch im Gesichtsfelde Jesu gelegen habe! Bultmann sei dafür eingetreten, daß nach Jesu Anschauung die göttlichen Forderungen „einsichtig" seien, und das bedeute dasselbe, was die griechischen Philosophen die „Vernünftigkeit" der sittlichen Forderungen nannten. Hier wird also das Problem „Bürgerliche Gerechtigkeit — Gottesgerechtigkeit" bis auf Jesus zurückverfolgt, aber nicht mit einleuchtendem Erfolg. Annehmbar ist, was Rang die P a r a l l e l i t ä t des Ethos des Humanen und des christlichen Ethos nennt. Unannehmbar bleibt die Proposition Rangs, daß der Ungläubige, aber Humane, mitten im NT stehen könne. Schließlich geht es um die Frage, ob man von der Kirche aus die Erziehung der Jugend zur weltlichen Humanität (in der Familie, in den Schulen) christlich tolerieren kann, oder ob die Kirche nur Familien und Schulen gutheißen darf, wo bewußt von der Gottesgerechtigkeit aus zur humanitas Christi erzogen wird (worin dann die Zwecke der weltlichen Humanitätserziehung in einem höheren Sinn miterreicht werden). Es wird alles darum kreisen, ob die Familie oder die Schule ihr weltliches Humanitätsziel als einen geschlossenen und autarken Kreis behandeln will (als die „Gestalt", die „Form" Goethes, der alles andere nur nützen oder schaden kann) — oder aber als einen offenen und nach Erfüllung suchenden Halbkreis, als den „Schatten" in der Höhle Piatos, der von der „Idee" Zeugnis ablegt. Reformatorisch gesprochen: Will die „bürgerliche Gerechtigkeit" angesichts der Offenbarung der „Gottesgerechtigkeit" bei sich bleiben — oder folgsam der Einladung zum großen Gast2
Evang. Theologie 1947, 9. Heft, S. 389ff. ) M a r t i n R a n g , Der Geist unserer Zeit, 1947.
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Grundsätzliches
mahl nachkommen ? Im Rahmen der Erziehungsangelegenheit sieht das so aus: Keine weltliche Humanitätserziehung ist in Ordnung, sobald sie der kirchlichen Erziehung zur humanitas Christi feindlich oder gleichgültig gegenübersteht; jede weltliche Humanitätserziehung, die der kirchlichen Erziehung zur humanitas Christi Raum und Recht läßt, ist kirchlich diskutabel. § 2. Der biblische Charakter der kirchlichen Erziehung Als „exemplarische" ist die kirchliche Erziehung von Gott durch Wort und Sakrament in der Gemeinde Jesu verursacht; und das bedeutet: das Vorbild lebt aus Wort und Sakrament. Die Nachbilder kommen über die Vorbilder zu Wort und Sakrament. Wort und Sakrament aber sind „rein", wenn sie biblisch sind. So ist die exemplarische kirchliche Erziehung biblisch. Die „autoritäre" kirchliche Erziehung auf G r u n d der „exemplarischen" und n a c h der „exemplarischen" kann keinesfalls das Biblische „ausweiten", etwa zum Nationalen, Kulturellen, allgemein Religiösen — sondern bleibt innerhalb des Biblischen, und das heißt: sie zeigt die biblischen Züge in den Vorbildern auf, zeichnet diese Züge aus der Bibel biblisch-rein und -stark vor die Augen und in die Herzen der Zöglinge, f ü h r t die Zöglinge auf den Wegen der Bibel, geleitet sie an der Hand des NT zu Wort und Sakrament der Gemeinde Jesu, läßt sie in der Gemeinde Jesu heimatlich werden. So ist die „autoritäre" kirchliche Erziehung radikal biblisch ohne Makel und Fehl. (Was natürlich nicht besagen will, daß diese biblische Erziehung die Zöglinge in das Biblische einsperrt, sondern: daß diese biblische Erziehung die Zöglinge dazu bereitet, a l s J ü n g e r J e s u in die Welt zu gehen und die Welt zu „durchchristen"). Die „autoritäre" kirchliche Erziehung tritt in der Hauptsache als k i r c h l i c h e U n t e r w e i s u n g an die Zöglinge der Gemeinde Jesu heran. Demnach als Nachzeichnung der biblischen Heils-Indikative und HeilsImperative, und als Vorzeichnung des Heilsweges gemäß der Bibel. Darum ist der „ T e x t " der kirchlichen Unterweisung die Bibel (das Gesangbuch, der Katechismus nur als biblische Früchte). Hier wurde nun oft der Fehler gemacht, daß der „Religionslehrer" die Nachzeichnung und Vorzeichnung der Heils-Indikative und Heils-Imperative an seiner eigenen Christlichkeit orientierte, sei es daß er sich selbst als Vorlage hernahm, sei es, daß er das Biblische nach seiner, des Religionslehrers, Eigenart umbog. Gewiß ist in der kirchlichen Unterweisung Grundbedingung, daß der Religionslehrer selbst ein „Vorbild" (im oben besprochenen Sinne) darstellt, und daß er ferner aus dem „ T e x t " lebt — aber die Nachzeichnung auf Vorzeichnung darf nur biblisch sein, aus der Bibel, zur Bibel hin. Darum ist auch das Gemeindeleben auf der „exemplarischen" Linie hochwichtig, aber auf der „autoritären" Linie ist es Hilfsmittel, Anmerkung, Bild — Text allein hat die Bibel zu sein.
§ 2. Der biblische Charakter der kirchlichen Erziehung
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Daß die kirchliche Unterweisung „zeichnet", ist nur eine Umschreibung der Tatsache, daß die kirchliche Unterweisung mit dem „Worte" arbeitet. Das „Wort" aber ist nicht auf das Erkennen eingeschränkt, sondern ist Gottes Dynamis — aber das Erkennen bleibt wichtig. Quelle also für jene Zeichnung ist einzig und allein die Bibel. Zuvörderst das NT, aber dieses NT tritt engverbunden mit dem AT auf. Zuvörderst bildet also das NT den „Vorwurf" für unsere Zeichnung. Denn im NT haben wir Jesum; Jesus wandelt durch das NT. Und zwar Jesus als derjenige, an welchem Gott sein Gotteswirken an den Menschen urbildlich tat, Jesus als der fleischgewordene Logos Gottes, er selbst Wort Gottes und Sakrament zugleich. Und Jesus als Wort und Sakrament für „die Vielen", Gnadenwirksamkeit Gottes an den Menschen. So konnte Jesus allein authentisch vom Wirken Gottes an dem Menschen reden, auch von dem Wirken Gottes an uns Menschen. Denn in Jesus tat Gott den Voranbruch seines Gottesreiches; die Botschaft Jesu von diesem Reichswirken Gottes war zugleich das Aufbrechen dieses Voranbruchs — Wort war Tat, Wort war Sakrament, und Sakrament meldete die Botschaft. Die Apostel und die Jünger Jesu aber e r f u h r e n den Voranbruch des Gottesreiches im Umgang mit Jesus, durch Wort und Tat Jesu in seinen Erdentagen, durch die Wirkungen Christi aus der Herrlichkeit des Vaters nach der Wegnahme Jesu. So sind auch die Apostel und Jünger Jesu im NT unvergleichliche Zeugen, Martyres, der Heils-Indikative und Heils-Imperative Gottes in Christo. Was aber sonst im NT von diesem Gnadenwirken Gottes an den Menschen steht, geschrieben von Jüngern der Jünger und etwa noch Späteren, das ist Jesus und seinen Aposteln und Jüngern nachgesprochen, nachgedeutet, „im Hl. Geiste" gedeutet. So ist das NT Quelle und Mittel für die kirchliche Unterweisung, welche nachzeichnen und vorzeichnen soll, was vom Hl. Geist in der Kirche des Wortes und Sakramentes als Gottesreichswirksamkeit geschieht und gewollt ist. Das AT aber ist nicht zu übersehende Quelle solcher Zeichnung, weil es a) den „Kommenden", den „Verheißenen" prophetisch schaut; b) die Gotteswirksamkeit v o r dem Reiche Gottes, aber auf das Reich Gottes h i n abspiegelt; c) von Jesus selbst und den Aposteln als für die Sucher des Reiches Gottes und seines Christus kompetent bezeichnet und gehandhabt wurde. Bloß muß bei der Benutzung des AT immer die Auslegung gelten, welche das NT dem AT gibt, insonderheit hat der wirkliche Jesus Christus des NT die prophetischen Gesichte des AT zu konkretisieren. Aber oft wird gerade das AT, das ja im NT als „die Bibel" vorausgesetzt wird, die Aussagen des NT blutvoller, greifbarer und auch in überraschender Perspektive zeigen. Derselbe Gott im NT und im AT — das gibt für die Zeichnung der Reichgotteswirksamkeit Gottes im neuen Bunde einen Reichtum von Lichtern und Schatten. Es wäre aber durchaus nicht schon alles getan, was für die kirchliche Unterweisung nötig ist, wollte sich der kirchliche Erzieher nun einfach in die Bibel stürzen, so wie ein Meisterschwimmer sich ins Meer stürzt.
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Grundsätzliches
Denn die bittere Erfahrung hat gelehrt, daß aus der Bibel jeder etwas anderes hervorholt und mit dem Geschrei anbietet: „Das und das allein ist das echte Christentum". S a m u e l W e r e n f eis, ein reformierter Theologe des 18. Jahrhunderts, hat jene bittere Erfahrung in die Verse gebracht: „Hic liber est, in quo quaerit sua dogmata quisque. Inveniet pariter dogmata quisque sua" 1 ). Man greift sich an den Kopf. Aber die Bibel ist nun einmal so reich an Aufschlüssen über die Taten Gottes an den Menschen, gerade auch über die Taten Gottes in Christo an uns Menschen, und über unsere Aktivierung durch diese Gottestaten, daß man erst genau wissen muß: „Welches sind denn die Mittelpunktsdinge und welches die peripherischen Dinge in dieser erhabenen Angelegenheit ?" Wie soll aber dieses Wissen beschafft werden, wenn doch nichts ü b e r die Bibel gesetzt werden darf? Es gibt keinen anderen Weg als denjenigen, welchen die lutherischen Väter analogia fidei nannten! Zu deutsch: der kirchliche Erzieher tritt an die Bibel heran mittels der Bekenntnisschriften und der Bekenntnistaten der Kirche! Diese Bekenntnisse sagen ihm, welches die Hauptpunkte in der Bibel sind. Z. B. die Hauptstücke des lutherischen Katechismus sind wirkliche „Hauptstücke" der Bibel; wer diese Hauptstücke in der Bibel sucht und findet, der hat das Zentrum der Bibel, wie Jesus und die Apostel es sahen. Damit wird nicht das Konkordienbuch ü b e r die Bibel gesetzt. Denn das Konkordienbuch hat sein Wissen um die Hauptpunkte der Bibel — aus der Bibel. Die Reformation kannte nun einmal die Bibel besser, als wir sie kennen, nämlich was das Wirken Gottes in seiner Gemeinde anlangt. Da sie Reformatoren der Kirche waren, so lag den Männern der Reformation alles daran, aus der Bibel die authentische Kunde vom Wirken Gottes in der Kirche zu erlangen — und darnach zu handeln. So wurden die Reformatoren die Bibelkenner und die Bibelausleger auf der Heilslinie. Das bedeutet nun für den kirchlichen Erzieher: Er tritt mittels der Bekenntnisschriften an die Bibel heran — aber mittels der Bibel klärt er hinwiederum die Bekenntnisschriften (z. B. in Sachen der Sakramente). Somit tritt er als lebendiges Glied der Reformationskirche an die Bibel heran — und aus der Bibel klärt er wieder das Kirchenleben. Nur wenn dieser „Zirkel" lebendig gehandh'abt wird, nur dann ist das Konkordienbuch nicht ü b e r die Bibel gesetzt. Daß dies immer wieder doch geschehe, ist eine rein theologische Angst; es zeigen sich aber in der Praxis gerade in unserer Zeit immer wieder merkwürdige Ansätze zu einer Überordnung des „Dogmas" über die Bibel, und so muß man jene theologische Angst auch in der Praxis ernst nehmen — man entwickelt sich sonst bei allem Lobpreis der Bibel weg von der Bibel, weg von der Reformation. Dennoch ist keine Rede davon, daß nun jeder kirchliche Erzieher sich erst selbst sein Konkordienbuch zurechtzustutzen habe; das ergäbe wohl ein *) Vgl. T e r t u l l i a n , De praescr. haer. 19: Ergo non ad scripturas provocandum nec in his constituendum certamen, in quibus aut nulla aut incerta Victoria est.
§ 2. Der biblische Charakter der kirchlichen Erziehung
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ärmliches „Bekenntnis". Vielmehr freut sich jeder echte kirchliche Erzieher der großen Erkenntnisse der Reformation im Gebiete der Taten Gottes an seiner Kirche laut der Bibel. Es ist weder theologisch noch historisch anfechtbar, der Reformation ein besseres Verständnis der Wege Gottes in der Bibel zuzubilligen als uns selbst. Aber nun muß der kirchliche Erzieher mittels der Bekenntnisschriften wirklich hinein in die Bibel, auf alle Gefahr hin, auf Gedeih und Verderb. Es bleibt ihm nicht erspart, nun er selbst zu sein in der Suche nach den biblischen Erleuchtungen. Die Bekenntnisse der Reformation sind nicht dazu vorhanden, dem kirchlichen Erzieher das Suchen nach den biblischen Erleuchtungen zu ersparen, sondern ihm bei seinem Bibelsuchen klassische Wegweiser zu sein. Die Reformation läßt ihn nicht stecken, die Kirche läßt ihn nipht stecken. Analogia fidei ist nichts anderes als die Tatsache, daß wir nicht erst über einen tiefen Graben hinüber zur Bibel gelangen, sondern mitten in der Kirche, im Herzen unserer Gottesheimat, umringt von einer Schar erprobter Bibelmänner — umhegt von der Reformation. Aber nun wirklich zur Bibel. Freilich ist damit noch nicht die Zeichnung getan, die vom kirchlichen Erzieher für seine Zöglinge zu tun ist. Das ist immerhin ein zweiter Akt. Diese Zeichnung zu vollenden, dazu bedarf der kirchliche Erzieher der Hilfe der T h e o l o g i s c h e n W i s s e n s c h a f t . Hier, in der theologischen Wissenschaft, wird um das Rohmaterial der Bibel gerungen, das die Kirche dann nach Zentrum und Peripherie ordnet und prägt — der analogia fidei gemäß; hier wird der Abstand zwischen dem 16. Jahrhundert und dem Heute gemessen und formuliert — um der Bibel willen; hier wird aus den biblischen Erleuchtungen ein System erarbeitet, um Ordnung und Übersicht zu gewinnen; hier wird die Entwicklung der Kirche und ihres Gotteslebens von Anfang bis heute aus den Quellen studiert; hier wird die Praxis der Kirche in Wort, Sakrament, Seelsorge in das Licht der Bibel gestellt, damit diese Praxis nicht außerhalb der Bibel abenteuere. Der kirchliche Erzieher, der die Zeichnung der Heilsindikative und Heilsimperative vollbringen soll, kann also an der Arbeit der Theologen ermessen, ob er in seiner Zeichnung nüchtern, sachlich, oder aber schwärmerisch, ja willkürlich ist. Es fehlt so vielen Zeichnungen des Gotteswerkes in den kirchlichen Kursen an kritisch-gehorsamer Beachtung des biblischen „Vorwurfs", an Erfassung der wirklichen biblischen Linien und an liebevoller Vorsorge für die Augen derjenigen, für welche die Zeichnung gemacht wird. Das alles kann der kirchliche Erzieher von der Theologie zuhilfe nehmen. Gewiß ist nicht die theologische Wissenschaft der „Vorwurf" für die Zeichnung des kirchlichen Erziehers, aber eine Hilfe kann die Theologie ihm sein, nämlich die Hilfe geübter, sachkundiger Vor- und Mitarbeiter. Schließlich „zeichnet" die Theologie ja ebenfalls, aber aus wissenschaftlicher Erkenntnis für wissenschaftliche Erkenner, hingegen der kirchliche Erzieher aus Glauben für Glaubende. Deshalb können dem kirchlichen Erzieher die „Zeichnungen" der Theologie nur Versuche bedeuten, aber Versuche,
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Grundsätzliches
die musterhaft sind. Es geht ja der Theologie um die gleiche Bibel, um die gleiche Reformation, und um die Erkenntnis der markanten Linien und ihrer Formgewalt — wie dem kirchlichen Erzieher. Stehen doch auch die Theologen heute mitten in der Kirche! Und ist doch auch der kirchliche Erzieher und „Zeichner" ein Erforscher seines biblischen Vorwurfs mittels des Intellekts! So sei der kirchliche Erzieher um jener Zeichnung willen mit Absicht Theologe, ein ewiger Student, ein freudiger Kommilitone der Wissenschaft. Er ist Kirchenlehrer, Doctor ecclesiae, dieses Amt gab ihm Gott — und die Männer der Theologie haben ebenfalls dieses Amt von Gott, in der Kirche — zwei Seiten ein und derselben göttlichen Bibelökonomie! 1 ) So sehe der kirchliche Erzieher in der D o g m a t i k den methodisch und inhaltlich zuverlässigen Versuch eines wissenschaftlich arbeitenden Mannes, auszumachen, vor- und nachzuzeichnen, was von Gott her in der Worts- und Sakramentsgemeinschaft der Kirche vor sich geht, am Ganzen wie am Einzelnen. Der kirchliche Zeichner kritisiere eine solche Dogmatik nicht danach, ob sie große Spekulationen und einen Reichtum von Neuigkeiten vorbringt, sondern er sehe darauf, ob sie, auf Bibel und Bekenntnis ausgerichtet, das dort enthüllte Gotteswerk mit vom Glauben getragener Erkenntnis treu nachzeichnet, formuliert, f-ür Leser und Hörer flüssig macht. Bibel- und Bekenntnistreue: damit ist der kirchliche Erzieher schon auf die exegetischen Handbücher zur Bibel und auf die Reformationsforschung gewiesen. Über die sachgemäße E x e g e s e herrscht ein großer Streit. Aber darin ist man einig: die Exegese soll herausarbeiten, was in der Bibel über die Gotteswirksamkeit kundgemacht wird. Also gerade in dem ist man einig, was der kirchliche Erzieher zu seiner „Zeichnung" am dringendsten braucht. Dagegen streitet man über die Mittel, also über die Methode der Bibelexegese; sind alle Mittel frei, ja geboten, welche zur Eruierung eines Buchinhaltes sonst geübt werden und taugen ? oder darf die Bibel nur durch Biblisches, niemals durch Außerbiblisches, erklärt werden ? Darf man sich auf den Standpunkt Gottes zu stellen versuchen und die Bibel deuten nicht nach dem Geschriebenen, sondern nach dem von uns Gott Zugemuteten, im Glauben Zugemuteten ? Soll die Bibel nach der Dogmatik ausgelegt werden ? Es gibt heute Bibelkommentare in jeder der genannten Arten; und wenn der kirchliche Erzieher sich nicht bloß einer Art verschreibt, sondern alle berücksichtigt, wird er die größte Hilfe haben. Aber den Grund legen doch die Kommentare, welche mit a l l e n Mitteln der Buchauslegung zu Werke gehen. Der kirchliche Erzieher urteilt vielleicht: „Das sind die langweiligsten" — aber w e r langweilt sich ? Im übrigen haben wir jetzt auch Kommentare, die bei aller technischen Sauberkeit und Mühsal mitreißen; da übersehe der kirch!) Vgl. O t t o D i b e l i u s , Theol. Lit.-Ztg. 1947, 72, Nr. 3 Sp. 158ff. Dazu auch Sp. 163ff. S t e p h a n , H e r m a n n , M u l e r t , S c h n i e w i n d , J a c o b i . Theol. Lit.-Ztg. 1948, 73, Nr. 5 Sp. 283ff. K r u m m a c h e r und D o e r n e .
§ 2. Der biblische Charakter der kirchlichen Erziehung
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liehe Erzieher nicht, daß er schließlich ad nihil hingerissen würde, wenn nicht die zuverlässige Kärrnerarbeit zugrunde läge! Die K i r c h e n - u n d D o g m e n g e s c h i c h t e ist für den kirchlichen Erzieher die Deuterin der Schicksale des Gotteswerkes in der Menschheit. Auf und ab, in letzten Gefahren, in Reformation und Gegenreformation, und doch nie dem Untergang verfallen, sondern immer wieder die Hand Gottes, immer wieder Durchbruch des Reiches Gottes, der Herrschaft Gottes — ein Anblick, der den Beschauer auf das Konkrete wirft und ihm die Hand zur richtigen Zeichnung führt. Besonders wichtig wird für den kirchlichen Erzieher die t h e o l o g i s c h e E t h i k . Das Gotteswerk, das die Bibel enthüllt, sieht es ja auf die Früchte des Reiches Gottes ab. Die Aktivierung der Worts- und Sakramentsgenossen durch den Hl. Geist steht im Zentrum. Diese Aktivierung stellt an den kirchlichen Erzieher schwere Fragen, und zur Antwort auf diese Fragen verhilft ihm die theologische Ethik. Wie will der kirchliche Erzieher ohne die Umsicht und Reife des theologischen Ethikers seine Zeichnung z. B. in der Angelegenheit der Heiligung, der sozialen Gemeinschaftslinie, der prophetischen Einflußnahme auf die Öffentlichkeit zustande bringen ? Ohne die theologische Ethik schweift der „Zeichner" auch allzuleicht in die philosophische oder die traditionelle Ethik ab, oft ohne daß er sich dessen bewußt wird. Es geht hier um die Frucht, die die Reben am Weinstock bringen, es geht um die Ernte Gottes; da ist alle Mühe des Zeichners vonnöten, der Phantasie bleibt kein Raum, aber erst recht nicht dem Urteil der „Welt". Schließlich gehe der kirchliche Erzieher nicht an der M i s s i o n s w i s s e n s c h a f t vorüber! Sie bringt ihm den Einblick in die Probleme des Neuanfangs des Gotteswerkes auf bisher nicht christlich durchwirktem Felde; sie führt ihn in die R e l i g i o n s g e s c h i c h t e ein, welche vom Gotteswerk in Christo übernommen werden soll; durch Umwandlung ? durch Ablösung ? sie (die Missionswissenschaft) zeigt ihm das Experiment für die Botschaft Jesu, sie repetiert ihm die Jugendtage des Christentums vor. Die Bibel erhält durch die Missionswissenschaft neue Konkretheit; durch sie erscheint gerade das AT als die Vorhalle Gottes und seines Reiches im Gegensatz zu den Religionen der Völker, die aber für das AT jede mögliche Ernsthaftigkeit haben. Die P r a k t i s c h e T h e o l o g i e , wirklich als Theologie betrieben, als Theologie der kirchlichen Praxis nämlich (und nicht bloß als Einübung dieser Praxis), gibt dem kirchlichen Erzieher die Handreichung für die zuverlässige biblische Zeichnung der Worts- und Sakramentspraxis, näherhin der Gotteswirksamkeit durch Wort und Sakrament heute mit ihrem Vorher und Nachher. Aber auch Handreichung für die Zeichnung des M e n s c h e n , der in die kirchliche Erziehung eintritt und dort verweilt. Ohne echte Praktische Theologie läuft der kirchliche Zeichner Gefahr, in der Angelegenheit der Kirche, des Amtes, der Verkündigung, der Liturgie, der Seelsorge, des Kirchenrechts entweder zu dekretieren oder zu schwärmen. Gerade auf diesem Gebiete wird in der kirchlichen
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Grundsätzliches
Unterweisung selten das in der Sache liegende Maß eingehalten — das „Maß des Engels" (Off. 21,17). Es gibt nun in unserer Zeit (und das wohl auf lange hinaus) zahlreiche kirchliche Erzieher, die keine Theologie studiert haben und von selbst auch keinen Zugang zur Theologie finden. Hier hat die zünftige Theologie eine große Aufgabe: ihnen Vorträge zu halten und theologische Kompendien gerade für diese kirchlichen Erzieher zu schaffen; um der „Zeichnung" willen, die sie zu tun haben! Auch die theologisch geschulten Männer im kirchlichen Amte der Pastoren und Bischöfe haben hier eine vordringliche Pflicht. Freilich darf ihr nicht über die Hand hinüber gedient werden, sondern mit der Akribie derjenigen, die über jedes „unnütze" Wort Rechenschaft geben werden. § 3. Die kirchliche Unterweisung am „alten Äon„ Heute ist einem jeden, der auf die Bibel hört, der Untergang des „alten Äon" klarer vor Augen als vormals. Der alte Äon hört auf Heimat zu sein. Der neue Äon, den Gott schafft, wird zur großen Hoffnung. Darum hat es die kirchliche Unterweisung eindeutig und radikal mit dem in der Bibel enthüllten Gotteswerke an den Menschen, mit Gottes Reichgottestaten von einst, von jetzt, in den Eschata zu halten. Und das auf Leben und Tod, ohne Kompromiß. Res venit ad triarios. Soll da die kirchliche Unterweisung den alten Äon sich selbst überlassen und nur noch seinen Untergang anmelden ? Oder hat sie dennoch Aufgaben auch ihm gegenüber, gerade als einem dem Untergang geweihten ? Der kirchliche Erzieher weiß darum, daß Gott alle Menschen retten will — so wird er in seiner Unterweisung das Missionarische, die Zeugenschaft in den Vordergrund stellen. Er weiß darum, daß Gott es ist, der den alten Äon durch apokalyptische Schrecken bekehren will — so wird er in seiner „Zeichnung" dieses Bekehrungswerk Gottes deutlich machen. Er weiß aber auch darum, daß sie „Gott im Himmel lästerten wegen ihrer Qualen und ihrer Geschwüre und taten nicht Buße für ihre Werke" (Off. 16,11). Wo ist für die kirchliche Unterweisung die Demarkationslinie zwischen den Bekehrten und den Unbekehrten ? (Gott allein kennt diese Linie, aber nicht der kirchliche Erzieher). In der Familie, im Volk, im Staat, in den Parteien, in den Kulturkreisen, in den Arbeits- und Altersgenossenschaften, in den gewachsenen wie in den konstruierten Gemeinschaften der Menschen des alten Äon stecken die Leute der Rettertat Gottes — soll da die kirchliche Unterweisung diese Gemeinschaften aufgeben, ihren Untergang verkündigen, wie der Priester und der Levit des Jesusgleichnisses an ihnen vorübergehen — oder soll die kirchliche Unterweisung diese Gemeinschaften stützen, zu ihrem Ziele lenken, klären, und das im Sinne dieser Gemeinschaften, damit sie seien und bleiben ? Kein Zweifel daran: sie sollen bekehrt werden, durch Gott, und die kirchliche Unterweisung fackelt hier nicht. Aber bis dahin, inzwischen, auf die Bekehrung hin ? Und das in fine saeculorum ? Es wird
§ 4. Das erziehliche Moment der kirchlichen Unterweisung
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hier der kirchlichen Unterweisung nur der Weg bleiben, die Zöglinge der Kirche zur Durchdringung und Belebung dieser Gemeinschaften im Sinne des Gotteswerkes in Christo und dem Hl. Geiste anzuleiten, soweit dies nur immer der Charakter jener Gemeinschaften zuläßt und aufnimmt, den Erfolg und das Ende aber Gott zu überlassen. Sind unter jenen Gemeinschaften dann solche, welche deutlich jede derartige Einwirkung wie einen Fremdkörper ausscheiden, dann lehre der kirchliche Erzieher die kirchlichen Zöglinge eigene ähnliche Gemeinschaften aus dem Geiste des Gotteswerkes zu begründen, damit die Menschen des alten Äons sich darin zu ihren Gemeinschaftszwecken vereinigen können. Aber er zeige, daß über das Gewicht auch dieser Gemeinschaften im Untergang des alten Äon und in der Schöpfung des neuen Äon nur Gott befinden wird, uns ist nichts darüber geoffenbart. Nur das wissen wir: Gott will, daß alle Menschen gerettet werden — und daß allen diese Botschaft gesagt und von allen im Sinne dieser Botschaft gehandelt werde. Sich auf den I. Artikel stützen und wenigstens Familie, Volk, überhaupt Gemeinschaft, als Schöpferordnung aufzeigen, das führt deshalb nicht viel weiter, weil ja der alte Äon auch Schöpfung Gottes ist. Theologisch läßt sich hier viel Interessantes ausmachen, aber praktisch, d. h. hier in der kirchlichen Unterweisung, kommt man da allzuleicht in eine handfeste positive Behandlung des alten Äon, wie sie uns nicht mehr erlaubt ist. § 4. Das erziehliche Moment der kirchlichen Unterweisung In seiner eigentlichen Absicht ist das Evangelium kein Erziehungsmittel in der Hand des Menschen, keine „edle Himmelsgabe" im Dienste der Humanität, sondern schlechthin der große Hinweis auf die Rettertaten Gottes im Gange seines Reichswirkens, das Wort zu den Taten Gottes, ja die in das Wort gefaßten Heilstaten selbst (Rom 1,16). Das bedeutet in unserem Zusammenhange: G o t t erzieht — und das v e r k ü n d i g t (und t u t ) das Evangelium. Denn Gottes Taten in Christo damals, und jetzt in der Gemeinde durch Wort und Sakrament, sind nicht göttliche Demonstrationen um ihrer selbst willen, sondern Wunderwerke der So^cc Kupiou an den Menschen, um sie zu Söhnen und Töchtern Gottes zu machen, sie im Hl. Geiste des Vaters und des Sohnes zu aktivieren. So kann man in der Tat sagen: G o t t erzieht. Wir Glieder der Kirche haben dabei die Aufgabe, dem im Schweigen der Ewigkeit vor sich gehenden Gotteswerke unser Wort zu leihen. Für jeden kirchlichen Erzieher ist es dringend nötig, sich das immer wieder klarzumachen: G o t t erzieht im Räume der Kirche. Lehrer, Schüler, Pfarrer, Hörer, Bischöfe, Kirchgenossen sollen das nicht verschweigen, sondern lautbar machen. Ihnen gab Gott als den „Seinen" die Rolle der Verkündiger, Spender der Sakramente, Hörer, Sakramentsempfänger, der Heischer des Gehorsams des Glaubens, der Gehorsamsleister, der Sündenbekenner und Sündenvergeber, der den Lebenskreis mit Liebe Füllenden und in
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Grundsätzliches
dieser Liebe Wandelnden — die Rolle der das Amen zu den Heilstaten Gottes Sprechenden. G o t t erzieht. Hingegen ist Erziehung von Mensch zu Mensch überall in der Welt eine große Sache, ja vielleicht die große Sache. Aber in der Kirche, also in der Gemeinschaft der durch Wort und Sakrament Heiligen, nicht so. Georg Merz 1 ) stellte einmal fest: Im NT findet sich nur ein sehr sparsamer Gebrauch der Wörter, welche „Erziehung", „Bildung", nämlich von Mensch zu Mensch, bedeuten (eicrpEcpeiv, vouOeteIv, ttociSeueiv, uaiSeia). Im Vordergrunde steht im NT das Retten, Erlösen G o t t e s (crcb^eiv). Indes mußte auch Merz zugeben, daß z. B. Ephes. 6, l f f . und Tit 2 , 1 — 10 ausdrücklich von der „Erziehung von Mensch zu Mensch" geredet wird. Gewiß ist gemeint „im Herrn" — aber gerade das wird für uns besonders wertvoll. W i r sagen nämlich dazu: Also die „im Herrn" sind, die Glieder der Worts- und Sakramentsgemeinschaft, haben expresse ein Erziehungswerk a n e i n a n d e r zu tun! Und in der Tat sprudelt das NT von Imperativen, welche ein Christ dem anderen zuleitet, zumißt, spendet. Z. B. Paulus trägt nicht bloß die Indikative des Wandels „im Herrn" vor seine Gemeinden, auch nicht bloß die von Jesus formulierten Imperative, sondern er, er von sich aus, Paulus, freilich „im Herrn" und nie anders, ruft auf, ermahnt, bittet, beschwört, droht, bannt. Ist das etwas anderes als die augenfällige Tatsache: Paulus e r z i e h t ? Und die Off Joh ist der großartige Versuch, mittels der Apokalyptik — zu e r z i e h e n , ja Märtyrer zu erziehen! Von da aus erscheint es als durchaus nicht abwegig, Jesus selbst (der freilich „der Herr" — und nicht bloß „im Herrn" war) als das „Urbild" der Erziehung von Mensch zu Mensch in den Hallen des Gottesreiches und als den Inaugurator solcher Erziehung zu buchen. Jedenfalls spricht die tatsächliche Übung im NT deutlicher als einzelne Erziehungsstellen des Textes. Wie man das erklären soll, daß die vom Hl. Geist Ergriffenen und Aktivierten auch noch Erziehung aneinander zu tun haben, das ist eine andere Frage. Die Antwort wird davon ausgehen müssen, daß auch der Pneumatiker laut dem NT noch die Möglichkeit zur Sünde, ja zum Abfall hat. Die Möglichkeit! (Nach Luthers Auslegung von Rom 7 sogar die Wirklichkeit!) Diese Möglichkeit ist ein schauerlicher Abgrund. Sie enthüllt die Tatsache, daß der „alte Adam" eine Existenzmöglichkeit für jeden Jünger im Hl. Geiste bleibt. Diese Existenzmöglichkeit bis zum Nullpunkt zu verringern, das ist das Ziel der Christenerziehung von Mann zu Mann. Positiv gewendet: den erst in Christo, aber noch nicht durch den natürlichen Tod Verstorbenen in den Gang des Pneumas einüben, die Leiber und Seelen Stück für Stück den Weg des Pneumas geleiten, das Gestänge der irdischen Existenz dem Pneuma dienstwillig machen — das sollen und das können die Mitchristen, die Mitpneumatiker. *) G e o r g M e r z , Kirchliche Verkündigung und moderne Bildung, 1931, S. 22 ff.
§5. Die Katechetik
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(Ist Luthers Exegese von Rom 7 richtig, dann steht die Sache so: den simul peccator im simul iustus immer stärker unter den simul iustus beugen, den „alten Adam" in dem ihm verliehenen Pneuma exerzieren.) Das alles aber „im Herrn" und nicht einfach menschlich von Mann zu Mann. Wer aus dem „Im Herrn" herausfiele, wäre kein kirchlicher Erzieher. Die M i t t e l dieser kirchlichen Erziehung können darum nicht einfach die der Pädagogik sein, sie müssen vielmehr aus der Worts- und Sakramentsgemeinschaft kommen, aus dem „ I m Herrn". Eben deshalb sind die kirchlichen Erziehungsmittel: die Aufzeigung, die Vor- und Nachzeichnung dessen, was G o t t in der Gemeinde durch Wort und Sakrament wirkt. Aber nun ist klargeworden, daß diese „Zeichnung" nicht bloß berichterstattend geschieht, sondern zugleich erziehlich, erziehlich „im Herrn". Also nicht bloß als Verkündigung des Heilsindikativs und Heilsimperativs des NT, sondern notwendigerweise zugleich als Einübung des Wandels im Gehorsam gegenüber dem Heils-Indikativ und Heilsimperativ. Als Imperativ der Pneumatiker an die Pneumatiker, der Kirche an die Kirchenglieder. Diese kirchlich-erziehlichen Imperative rollen aus den göttlichen Indikativen und Imperativen wie die Bewegung aus dem Leben. Gottes Gnadenwerk geschieht — so beweget euch in der Gnade! Mahnen, Warnen, Drohen, Locken, Mitreißen findet statt, weil Gottes Gnadentaten uns ein göttliches Leben geben, uns aufs höchste aktivieren — die Liebe aber verlangt Hilfe von Mann zu Mann, „im Herrn". § 5. Die Katechetik Da für die „kirchliche Unterweisung" seit alters der Ausdruck KOCTTixeiv in Übung war (lat. catechizare, „katechisieren") 1 ), so empfiehlt es sich nach wie vor, die L e h r e von der „kirchlichen Unterweisung" K a t e c h e t i k zu nennen. Die Katechetik hat zwei Aufgaben, a ) die der Forschung, b) die einer Kunstlehre. Als Forschung beschäftigt sich die Katechetik mit der der kirchlichen Unterweisung zugrundeliegenden W i r k l i c h k e i t , als Kunstlehre zieht sie aus dieser Forschung die Konsequenzen für die A u s ü b u n g der kirchlichen Unterweisung. Vernachlässigt die Katechetik eines von beiden, so hinkt sie; vernachlässigt sie beides (und begnügt sich mit dem Hinweis auf den Elan), so hinkt sie „auf beiden Seiten". Da nun die „kirchliche Unterweisung" primo loco V e r k ü n d i g u n g ist (nämlich „Zeichnung" des Heilsindikativs und des Heilsimperativs d e r B i b e l ) , so ist die Katechetik primo loco die wissenschaftliche Bemühung um die christliche Verkündigung, also Theologie, demnach ein Parallelunternehmen zur Homiletik, nämlich Theologie der kirchlichen Praxis „Verkündigung" unter einem besonderen Gesichtspunkte. Der besondere Gesichtspunkt der Katechetik erfließt aus der Tatsache, daß in der „kirchlichen Unterweisung" die Verkündigung
ev
Z. B. Gal 6 , 6 : dyaSoT;.
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2 Fendt, Katechetik
KOIVCOV6(TCO 6E 6
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Grundsätzliches
im Lehr- und Lern-Verfahren der Schule vor sich geht (während die durch Homiletik zu erforschende Verkündigung in der Weise der öffentlichen Rede geschieht). Katechetik ist also die Lehre von der durch Lehren und Lernen geschehenden Verkündigung der Kirche (Homiletik die Lehre von der in öffentlicher Rede geschehenden Verkündigung der Kirche). Dazu tritt dann secundo loco das Charakteristikum: Katechetik sichtet an der Stelle das Moment der Erziehung, wo Homiletik das Moment der Seelsorge antrifft (wobei freilich die christliche Seelsorge als die Mutter der christlichen Erziehung geachtet werden muß). Endlich tertio loco: es haftet der Katechetik noch mancher Zug an, der aus der nicht allzuweit zurückliegenden Zeit stammt, wo Katechetik ein Abschnitt der Pädagogik war (Homiletik ein Abschnitt der Rhetorik); die Katechetik ist (seit dem 19. Jahrhundert etwa) frei von der Herrschaft der Pädagogik, hält aber Arbeitsgemeinschaft mit ihr gerne aufrecht. (Eine besondere Nähe hätte die Katechetik zu einer „Evangelischen Pädagogik" — aber auch diese bliebe doch Pädagogik und wäre durchaus nicht Katechetik.) Wenn die Katechese Verkündigung unter Benützung des Lehr- und Lernvorgangs ist, so kann hier der Lehr- und Lernvorgang nur ein die echte Verkündigung aufnehmendes, kein die Verkündigung alterierendes Moment sein. Dies setzt aber voraus, daß zwischen echter biblischer Verkündigung und einem solchen Lehr- und Lernvorgang ein theologisches Verhältnis besteht. Das ist der Fall. Denn das NT selbst kennt den Lehrund Lernvorgang in der Verkündigung. Zwar lehnt Gal 1, 12 es ab, daß Paulus sein „Evangelium" „von einem Menschen empfangen oder gelehrt bekommen" habe (-rrapEÄocßov, eSiS&x8r|v); Paulus ist vielmehr Offenbarungsempfänger (8i* örrroKCxAOiyECOs 'ItictoO XpioToO). Aber zwischen den Zeilen kann man doch lesen, daß der normale Vorgang das Empfangen durch das Gelehrtwerden (SiSccxOfjvai) zu sein pflegte. Deutlich geht das aus Hebr 5 hervor. H e b r 5 , l l : „ E s wäre viel darüber zu sagen, Schwerverständliches" (ttoAOs ö Aöyos Kai SuaepixrivEUTOs); es kann aber nicht gesagt werden, weil die Zuhörer „schwerhörig" (vcoöpoi Tals ocKoais) geworden sind. 5,12: die Zuhörer sollten längst selbst „lehren" können (elvai SiSöcctkccAoi), statt dessen brauchen sie schon wieder jemanden, der sie lehrt (xpeiocv ex^te t o ü 5iSöcctkeiv Opas Tiva), und nun gar, daß man sie „die ersten Anfangsgründe der Aussprüche Gottes lehrt" (SiSocctkeiv to cttoixeioc Tfjs otpxfis tcov Aoyicov t o ü Oeoö). Auch 6,1 geht auf das Lehren: „Wir wollen die Anfangslehre über Christus beiseite lassen" (6iö acpEVTES t ö v Tfjs äpxfis toO XpioToü Aöyov) „und uns zur Lehre für Gereifte wenden" (ettI tt)V teAeiött|tcc