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German Pages 326 [340] Year 1965
DAUNICHT, DIE ENTSTEHUNG DES BÜRGERLICHEN TRAUERSPIELS IN DEUTSCHLAND
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER
BEGRÜNDET
VON
BERNHARD TEN BRINK U N D WILHELM
SCHERER
NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN V O N H E R M A N N
KUNISCH
8 (132)
RICHARD DAUNICHT DIE ENTSTEHUNG DES BÜRGERLICHEN TRAUERSPIELS IN DEUTSCHLAND
WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TRÜBNER — VEIT & COMP.
DIE ENTSTEHUNG DES BÜRGERLICHEN TRAUERSPIELS IN DEUTSCHLAND
V O N
RICHARD DAUNICHT
ZWEITE,
VERBESSERTE
U N D
VERMEHRTE
AUFLAGE
WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN VORMALS G . J . G Ö S C H E N ' S C H E VERLAGSHANDLUNG J.
G U T T E N T A G , VERLAGSBUCHHANDLUNG K A R L J . TRÜBNER —
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VEIT &
GEORG COMP.
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REIMER
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Archiv-Nr. 43 30 65/1 © Copyright 1965 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany. — Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Berliner Budidrudkerei Union GmbH., Berlin SW 61
INHALT
Einleitung
1
Die Entwicklung der irregulären Elemente innerhalb der französischen klassizistischen Dramentheorie
6
1. Die Definitionen des Dramas und die Comédie larmoyante
6
2. Die
klassizistischen
Tragödienregeln
und
die
Entwicklung
der
irregulären Elemente
18
D I E E N T S T E H U N G DES B Ü R G E R L I C H E N T R A U E R S P I E L S IN DEUTSCHLAND Vorbemerkung
52
Die Frage der Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
53
Die irregulären Elemente in der deutschen Tragödie bis zum Ende der Vorherrschaft Gottscheds
99
Die Entwicklung der deutschen Tragödie in Richtung auf das bürgerliche Trauerspiel zwischen 1741 und 1751
142
Die ersten bürgerlichen Trauerspiele in Deutschland
209
Lessings Miß Sara Sampson
276
Anhang
300
Namenregister
311
Dramenregister
319
Sachregister
324
Z U R E R S T E N AUFLAGE Die ersten fünf Kapitel dieser Untersuchung entstanden in den Jahren 1956 bis 1958, das letzte wurde 1961 endgültig abgeschlossen. Wäre dieses letzte Kapitel in derselben Ausführlichkeit wie die vorhergehenden abgehandelt worden, hätte es die Seitenzahl des Werkes fast auf das Doppelte anschwellen lassen. Es ergab sich daraus der Verzicht auf die Vorlegung des umfangreichen Materials, gleichzeitig aber die Möglichkeit — allerdings unter einer methodischen Schwenkung —, mit einer Interpretation der „Miß Sara Sampson" abzuschließen. Eine Beihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte den Drude. Wertvolle Anregungen gaben die Herren Prof. Alewyn, Prof. Jenisch, Prof. Kunisch, Prof. Trunz, sowie H e r r Dr. Dietrich Jons und H e r r Dr. Eberhard Schulz. Die Universitätsbibliotheken Göttingen, Rostock, Tübingen, die Westdeutsche Bibliothek Marburg, die Ostberliner Staatsbibliothek, die Landesbibliotheken Schwerin und Gotha, sowie das Theatermuseum München stellten mir ihr Material, darunter mehrere Handschriften bereitwillig zur Verfügung. Allen Genannten und den angeführten Instituten und Bibliotheken sage ich meinen herzlichen Dank, insbesondere aber Herrn Prof. Kunisch für die Aufnahme dieser Arbeit in seine Schriftenreihe „Quellen und Forschungen".
ZUR Z W E I T E N AUFLAGE Nach verhältnismäßig kurzer Zeit ist ein Neudruck notwendig. In ihm wird der Text mit nur wenigen Veränderungen wieder vorgelegt, allerdings nach einer sorgfältigen Revision. Druckfehler wurden beseitigt. Eine Berichtigung (S. 190) geht auf das Werk Robert. R. Heitners: „German Tragedy in the Age of Englightenment", Berkeley und Los Angeles 1963, zurück, das Charakterisierungen der meisten gedruckten deutschen Originaltragödien aus dem Zeitraum zwischen 1724 und 1768 liefert, ohne allerdings den Weg zum bürgerlichen Trauerspiel im besonderen zu verfolgen. Auch das Buch von Wolfgang Schaer:
„Die Gesellschaft im deutschen bürgerlichen Drama des 18. Jahrhunderts, Grundlagen und Bedrohung im Spiegel der dramatischen Literatur", Bonn 1963, wurde verglichen. Es enthält u. a. (ähnlich wie Heitners Schrift) eine umfangreiche Bibliographie deutscher bürgerlicher Dramen mitsamt ihren Fundorten. Hinzugekommen sind ein Dramen- u n d ein Sachregister sowie als Anhang der Abdruck von Martinis „Versuch einer Beantwortung der Kritik des H e r r n Röhl".
Es ist meines Wissens noch kein J a h r h u n d e r t , da ein bürgerliches Trauerspiel einer ähnlichen Ungereimtheit beschuldigt werden k o n n t e , weil das B e i w o r t den Bestandteilen der E r k l ä r u n g v o n einem T r a u e r s p i e l w i d e r s p r a c h , u n d was dem M e r k m a l e eines D i n g e s w i d e r s p r i c h t , dem D i n g e selbst widerspricht, nach einer Regel, „die keines Beweises f ä h i g ist". Johann Georg H a m a n n F ü n f H i r t e n b r i e f e das S c h u l d r a m a b e t r e f f e n d (1763) 4. Brief
EINLEITUNG Genau wie in der eigentlichen Historie vollziehen sich auch die Wandlungen der Geistesgeschichte nur unmerklich; langsam umkreisen gleichsam die sich verändernden Formen der Erscheinungen einen imaginären P u n k t und rücken ihm bald ferner, bald näher. Ein Überblick über diese Umbildungen wird jedoch durch die ständigen Bedeutungsschwankungen der Worte und die wechselnden Gedankenassoziationen, mit denen wir beim begrifflichen Denken rechnen müssen, sehr erschwert. Diese Verhältnisse treffen auch f ü r die Entwicklung der dramatischen Theorie zu. Welches ist nun in ihrem Falle jenes gedachte geistige Zentrum? Es scheint, als ob die Poetik des Aristoteles mit ihrem knappen, wenn auch oft dunklen Text, der von allen späteren Auslegungen und Schwankungen der Wortbedeutung in seiner Substanz unberührt bleibt, wenigstens ein gutes Orientierungsmittel abgibt. Wenn Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie sagt: „ . . . zwar mit dem Ansehen des Aristoteles wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit seinen Gründen zu werden wüßte" 1 ), ist die Lage, in der wir uns befinden, angedeutet. Die Spielregeln der dramatischen Theorie haben in den vergangenen Jahrhunderten gewechselt. Niemals wird anscheinend eine einheitliche Auffassung über die Prinzipien der Gestaltung im Drama möglich sein. Man arbeitet ja noch immer an der Interpretierung des Aristotelischen Textes, und inzwischen ist der ganze Vorrat von aufgeführten Stücken und niedergeschriebenen Ansichten hinzugekommen. Die deutsche Theorie des Schauspiels richtete sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach der sozialen Abstufung, dem Stand der H e l den, in zweiter Linie nach dem ernsten oder heiteren Inhalt und dem Stil des Stückes, weniger aber nach dem „tragischen Ende". Fünfzig Jahre später war man auf dem Wege, die hohe Abkunft der Helden, *) 74. Stück (Anfang); Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. Dritte, auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker, Stuttgart 1886 ff. (im folgenden abgekürzt: Lessings sämtliche Schriften (Ladimann-Muncker) oder einfach: LM), Bd. X S. 97. 1 Daunicht, Trauerspiel
Einleitung
2
den ernsten Stoff und zum Teil auch die gehobene (Vers-)Sprache als nicht mehr entscheidend f ü r eine Tragödie anzusehen. Wir H e u t i g e n beharren in vielem auf den früheren S t a n d p u n k t e n ; allerdings erscheint uns nicht einmal mehr die gehobene Sprache vordringlich, d a f ü r ist der Ausgang fast zum einzigen inhaltlichen Trauerspielkriterium geworden. H e r b e r t Jhering meint: „Primitiv u n d b a n a l ausgedrückt: Tragödie ist, wenn der ,Held' zugrunde geht und stirbt 2 )." I n ähnlicher Weise haben sich die Ansichten über das, was auf der Bühne unwahrscheinlich ist und was gegen die guten Sitten verstößt, verändert. H i e r soll die W a n d l u n g der Gedankengänge in der Periode der frühen deutschen A u f k l ä r u n g i m Hinblick auf die Entstehung des modernen bürgerlichen Trauerspiels untersucht werden. I n dieser Zeit d r ä n g t alles zu einem neuen Beginn. Es ist zu zeigen, d a ß dieser Beginn auch die Vollendung eines Prozesses bildet. I m Zuge der E v o l u tion fällt Stein um Stein von dem Lehrgebäude der französischen Klassik ab, bis ein neues Verständnis den Weg zu einer neuen Klassik bahnen k a n n . Allerdings hat sich bei uns die allgemeine Diskussion der d r a m a tischen Theorie erst verhältnismäßig spät der Erörterung u n d Entwicklung einer bürgerlichen Tragödie zugewandt. W ä h r e n d in England schon seit dem 16. J a h r h u n d e r t immer wieder sogenannte „domestic tragedies" auf dem Theater gezeigt wurden, stellte m a n in Deutschland tragische Verwicklungen innerhalb d e r bürgerlichen Welt nicht in entsprechendem M a ß e auf der Bühne dar. Die Renaissanceliteratur h a t t e z w a r überall in E u r o p a ernste dramatische S t o f f e aus dem bürgerlichen Leben gestaltet, aber dies alles w a r längst vorbei, u n d selbst ein später N a c h f a h r e der alten Stücke, Gryphius' „ C a r d e n i o u n d Celinde", wirkte nicht nach. Die Verzögerung hat ihre G r ü n d e . Die politische u n d wirtschaftliche Entwicklung, die von manchen d a f ü r verantwortlich gemacht w i r d , spielt jedoch beim E m p o r k o m m e n der bürgerlichen Tragödie nicht die größte Rolle. W ä r e nämlich die soziale Basis ausschlaggebend, m ü ß t e immer dann, wenn eine Volksschicht besonders stark in Erscheinung tritt, diese Schicht auch bei den H e l d e n der Tragödien in gleicher Weise zu bemerken sein. So einfach liegen die Dinge aber nicht. Die f r a n z ö sische Revolution von 1789 ging beispielsweise über die geschichtliche Bühne, ohne d a ß sich die A n z a h l der bürgerlichen Trauerspiele im besonderen außergewöhnlich vermehrt hätte. 2
) Vom Geist und Ungeist der Zeit, Berlin 1947, S. 26.
Einleitung
3
Will man auf jeden Fall eine Beziehung herstellen, kann man höchstens von einem Anwachsen der bürgerlichen Geisteshaltung im Zusammenhang mit dem Erstarken des Bürgertums sprechen. Diese bürgerliche Weltanschauung braucht sich aber keineswegs stets in einer bürgerlichen Tragödie zu manifestieren. Immerhin kann umgekehrt gesagt werden, daß dort, wo die bürgerliche Tragödie eine Rolle spielt, auch bürgerliche Gesinnung hinter ihr steht. Viel wichtiger f ü r die bemerkte Verspätung waren gewisse Vorurteile und das ausländische Vorbild. In Deutschland gab es um 1700 kaum jemand, der sich in wissenschaftlicher Weise um so zweifelhafte und fernliegende Dinge wie die dramatische Literatur und ihre Theorie bemühte. Alles, was mit dem Theater zusammenhing, war in den Augen vieler, ja der meisten Theologen verdächtig. Bei der engen Verbindung, die zwischen Theologie und allgemeiner Bildung bestand, wirkte dieser Standpunkt stark in die Literatur hinein. Jede gegensätzliche Meinung konnte nur in Opposition zu den herrschenden Anschauungen der Zeit gewonnen werden. Den Praktikern der Bühne aber, den Schauspielern und allen Personen, die eine freiere Ansicht vertraten und sich aus Liebhaberei mit dem Theater befaßten, ging es meistens um den Erfolg ihrer Aufführungen. Sie dachten selten selbständig über das Für und Wider von gelehrten Theorien nach. Schon damals hatte sich die Poetik der Franzosen in Westeuropa weitgehend durchgesetzt. Zumal auf dem Gebiete des Dramas waren die Stücke Corneilles und Racines und die klassizistische Theorie etwa eines d'Aubignac tonangebend geworden. Auch Deutschland begann sich nach dem Abflauen des spanischen und italienischen literarischen Einflusses immer stärker nach seinem unmittelbaren westlichen Nachbarn zu orientieren. Dies hängt wiederum mit dem Absinken der politischen Bedeutung Spaniens und dem Ansteigen der Macht des „Sonnenkönigs" zusammen. Die kulturelle Entwicklung in England, die in der zweiten H ä l f t e des 17. Jahrhunderts nur noch wenig auf das Festland wirkte — die „Englischen Komödianten" kamen längst nicht mehr herüber —, hatte für das übrige Europa kaum Gewicht. Der französische Einfluß, der sich auf alle Gebiete der Mode, der Kunst und der Literatur erstreckte, blieb das ganze 18. Jahrhundert hindurch und darüber hinaus sehr stark. Darum ist es zu verstehen, daß auch die theoretische Auseinandersetzung über die dramatische Dichtungsgattung, die schließlich zu der Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels führte, erst spät aus Frankreich nach Deutschland über-
4
Einleitung
griff, nachdem sie ganz ähnlich wie dort durch die dominierende Stellung der klassizistischen Regeln lange Zeit behindert worden war. Zum Beweis, wie noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Einsichtigen den Einfluß der Franzosen als der unmittelbaren Vorbilder auf dem Gebiete der Dichtkunst und des Theaters einschätzten, genügt es, ein paar Sätze Lessings anzuführen: „ . . . es ist doch gemeiniglich ein Franzose, der den Ausländern über die Fehler eines Franzosen die Augen eröffnet. Diesem ganz gewiß betet er nach . . . daß ein Deutscher selbst dächte, von selbst die Kühnheit hätte, an der Vortrefflichkeit eines Franzosen zu zweifeln, wer kann sich das einbilden?" 3 ). Auch die Spielpläne, .die vielen Übersetzungen machen es deutlich: Im Bereich des Dramas und des Theaters gab so gut wie immer der französische Geschmadt die Richtung an. Sogar das deutsche Streben nach einem Nationaltheater läßt sich auf ein französisches Vorbild zurückführen. Diderot hatte schon 1758 gefordert: „Ein jedes Volk muß also Schauspiele, aber seine eigenen Schauspiele haben" 4 ). Dem Hinweis Lessings auf diese Stelle in dem Vorwort zu seiner DiderotÜbersetzung von 1759 folgend waren dann Jacob Mauvillon 5 ) und Joseph von Sonnenfels 6 ) im Jahre 1766 die ersten, die unter dem dem Französischen nachgebildeten Schlagwort nach einem deutschen „Nationaltheater" riefen. Ebenso abhängig war man im Aufführungsstil, in der Deklamation und überhaupt in Dingen der Ästhetik des Theaters. So führt jede Untersuchung der deutschen Verhältnisse von selbst auf die französischen zurück. Hier hat man anzusetzen, wenn man die Probleme der Bühne und des Dramas in Deutschland behandeln will. Sogar für die Übernahme englischer Anschauungen und f ü r die Einführung Shakespeares ist zu einem guten Teil das literarische Frankreich verantwortlich. Auf Umwegen gelangte die Erkenntnis nach Deutschland, daß es 3 ) Hamburgische Dramaturgie, 32. Stück (gegen Ende); LM I X S. 319. Vgl. Lessings Vorrede zu „Das Theater des Herrn Diderot. Aus dem Französischen. Erster Theil. Berlin 1760." LM VIII S. 286 f. Auch der junge Goethe mokiert sich 1771 in seinem Aufsatz „Zum Schäkespears Tag" über die „Franzosen und angesteckte Deutsche". 4 ) Im „Discours sur le poème dramatique", der an den „Père de famille" (Paris 1758) angehängt ist. Lessing's Werke (Hempel), Berlin o. J., Bd. X I , 2 S. 303; vgl. ebd. S. 4. B ) Freundschaftliche Erinnerungen an die Kochsche Schauspieler-Gesellschaft, bey Gelegenheit des Hausvaters des Herrn Diderots, Frankfurt und Leipzig 1766, S. 80 f., 86 f. 6 ) J. G. Robertson, Lessing's Dramatic Theory, Being an Introduction to and Commentary on his Hamburgische Dramaturgie, Cambridge 1939, S. 19 Anm. 1.
Einleitung
5
noch andere große Dichter als die gepriesenen Klassiker des 17. J a h r hunderts gebe. Erst dann ging man an eine unmittelbare Benutzung der englischen Quellen. Neben dem französischen war (besonders in der ersten H ä l f t e des 18. Jahrhunderts) allerdings noch ein gewisser Einfluß italienischer Theoretiker vorhanden. Dies hindert uns nicht, die französischen Verhältnisse in den Vordergrund zu stellen. Damit soll zugleich die Charakterisierung derjenigen englischen Elemente, die f ü r die Entwicklung der französischen bürgerlichen Tragödie besonders wichtig waren, und die Schilderung ihrer Übernahme in Frankreich verbunden werden.
DIE ENTWICKLUNG DER IRREGULÄREN ELEMENTE INNERHALB DER FRANZÖSISCHEN KLASSIZISTISCHEN DRAMENTHEORIE 1. Die Definitionen
des Dramas
und die Comedie
larmoyante
H a t t e n die Überlegungen des Aristoteles und auch das Lehrgedicht des H o r a z die Anschauungen der A n t i k e zusammengefaßt u n d konnten die Castelvetro, Robortelli o d e r Heinsius noch als K o m m e n t a t o r e n u n d Bestätiger gelten, so geriet die französische Dichtung w ä h r e n d der großen Zeit Corneilles unter die Kontrolle einer ziemlich einseitigen O r d n u n g , die die alten Gesetze nach eigenem Ermessen auslegte. M a n ging in Frankreich um die Mitte des 17. J a h r h u n d e r t s weit über die griechischen und römischen Klassiker hinaus, wobei man sich der Gef a h r eines solchen Weges nicht bewußt w a r . Die D r a m e n Corneilles selbst konnten als Beispielsammlungen der akademischen Theorien d'Auibignacs und La Mesnardi^res gelten u n d halfen so dazu mit, die einmal angenommenen N o r m e n allgemein verbindlich zu -machen. D a jedoch die Grenzen, in denen man sich bewegen d u r f t e , sehr eng gezogen waren, fehlte es seitdem nicht an Versuchen, das scheinbar „natürliche" Reglement auszudeuten oder gar zu umgehen. D a ß m a n dabei immer auf Aristoteles zurückkommen mußte, versteht sich von selbst. So ist schon die Auseinandersetzung über die Definitionen der d r a m a tischen Dichtungsgattungen ein Beispiel f ü r die ständig wechselnden Aspekte, unter denen m a n die Probleme beurteilte. W i r haben dabei zu gewärtigen, d a ß die modernen Begriffe versagen und d a ß unsere Einteilung in Tragödie und Komödie sich nicht ohne weiteres auf f r ü h e r e Schemata übertragen läßt. N u r die historische Betrachtungsweise ermöglicht eine Überschau. Seit der Renaissance ist die Grenze zwischen Tragödie und Komödie fließend gewesen. Das liegt an den Kriterien, die man f ü r die Beantw o r t u n g der Frage, ob Tragödie oder Komödie, heranzog, oder vielmehr daran, welche der Aristotelischen Sätze m a n besonders betonte. W ä h r e n d Aristoteles von den oücEia ^flti u n d der oixeia tpvaig, den jeweiligen C h a r a k t e r e n u n d dem jeweiligen N a t u r e l l der Dichter gesprochen
Die Definitionen des Dramas und die Comédie larmoyante
7
hatte, denen gemäß sich diese Dichter edle, größere u n d ernstere oder niedrigere und lächerliche Stoffe aussuchten 7 ), w ä h r e n d also Aristoteles zweifellos Tragödie u n d K o m ö d i e nach den H a n d l u n g e n b e s t i m m e n will, erklären sich die T h e o r e t i k e r u n d Ausleger seit d e m 16. J a h r h u n d e r t f ü r eine S o n d e r u n g nach der sozialen Stellung der H e l d e n . Aristoteles schreibt: f) 6è xcoficpSia èaxiv OIOKEQ E Ì J I O | I E V ^i|xr|Ois cpauXo[lèv, ov J I É V T O I xaxà jtàaav xaxiav, àì.ì.à T O Ì ai
Œuvres a . a . O . X S. 241. ebd. ebd. S. 421 f. ebd. S. 405.
Regeln und irreguläre Elemente in der französischen Tragödie V o l t a i r e erlebte in den L o n d o n e r Theatern mit einigem
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Erstaunen
die Beliebtheit Shakespeares. 1736 v e r w a n d t e er des E n g l ä n d e r s „ J u l i u s C a e s a r " f ü r seine T r a g ö d i e „ L a M o r t 'de C e s a r " . D a n n benutzte er den „ O t h e l l o " f ü r die „ Z a i r e " , den „ M a c b e t h " f ü r den „ M a h o m e t "
und
den „ H a m l e t " f ü r die „ S e m i r a m i s " . In unzähligen kleinen Veränderungen, die das französische
Drama
an eine größere Natürlichkeit heranführen sollten, läßt sich der stetige Prozeß der Assimilation belegen. Wenn es auch manchmal nur d a r u m ging, ob m a n .den T o d eines Menschen auf der Bühne zeigen d ü r f e oder
ab
ein sich ebendort
produzierender
Geist
dem
aufgeklärten
philosophischen J a h r h u n d e r t nicht H o h n spreche, so sind doch alle diese Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten zusammen M a l e a m Woge, auf dem m a n eine Fessel der klassizistischen Dramentheorie abschüttelte. Seit 1730 etwa dreht sich das R a d
nach der
andern
fast jedes J a h r
ein
bißchen schneller. A n f a n g s steht V o l t a i r e noch mit an der Spitze der B e w e g u n g , b a l d aber überholt m a n ihn, und es ist seiner eigenen und der A u t o r i t ä t
der älteren K l a s s i k e r zuzuschreiben, w e n n nach
zehnten S h a k e s p e a r e nicht g a n z und gar über Corneille und
JahrRacine
gesiegt hat. N a c h d e m V o l t a i r e schon 1724 einen G i f t m o r d in der
„Mariamne"
a u f s Theater brachte, w a g t e er sich mit den nächsten Stücken immer näher a n die D a r s t e l l u n g einer Erdolchung auf o f f e n e r Szene heran. E i n e Linie verbindet die „ Z a i r e " , in der die H e l d i n in die Kulisse fällt, als sie den Todesstoß erhält, mit der „ S e m i r a m i s " , in der die E r m o r d u n g hinter einem A l t a r v o r sich geht. A u f o f f e n e r Bühne selbst erlaubte V o l t a i r e niemals eine solche Kühnheit, und er blieb
stand-
haft, als die C l a i r o n einen G a l g e n auf dem Theater v e r l a n g t e 1 2 2 ) . L a n g s a m , sehr l a n g s a m gab auch die Meinung des P u b l i k u m s nach: M a n lachte noch immer bei ungewohnten A u f t r i t t e n , aber die A u f nahmewilligkeit im ganzen nahm zu. Es k a n n d a r u m nicht verwunderlich sein, wenn V o l t a i r e gleich den anderen Schriftstellern z w a r
um
größere Realistik k ä m p f t e , und wenn aber doch den ersten Versuchen in dieser Richtung nur selten ein E r f o l g beschieden w a r . D i e „ S e m i r a m i s " , in der Ninus* Schatten a u f t r a t , w u r d e z u m Beispiel erst
1743
gespielt. I m J a h r e 1737 brachte Destouches seine „ E c o l e des a m i s "
heraus,
und der Streit der Meinungen über die ernste, empfindsame K o m ö d i e begann. D a tauchte z u m erstenmal die Bezeichnung „bürgerliches T r a u e r 1 2 2 ) Vgl. E. B. O. Borgerhoff, The evolution of liberal theory and practice in the Frendi theater 1680—1757, Phil. Diss. Princeton 1936, S. 80.
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Regeln und irreguläre Elemente in der französischen Tragödie
spiel" auf. Desfontaines schrieb über Destouches' Stück: „À l'égard du genre de cette comédie, genre qui ne sera jamais de mon goût, il a enfin reçu son passeport. Oui, ce genre de comédies sérieuses, sublimes même, et pathétiques, qu'on pourrait nommer des tragédies bourgeoises ne passe à présent que pour le haut comique" 123 ). Eigenartigerweise galt also die neue Bezeichnung zuerst einem bürgerlichen Stück mit glücklicher Entwicklung. Das läßt sich leicht dadurch erklären, daß man bei all den vielen Versuchen und Hypothesen, in denen Schriftsteller und Kritiker neue dichterische Genres kreierten, natürlich immer sehr unsicher war. Man mußte auf dem Alten- aufbauen, und erst allmählich kristallisierte sich die in der Zukunft allein „richtig«" Definition heraus. Man bildete sich nicht wenig auf die minimalen Erweiterungen ein, die man — wie man glaubte, ohne der Institution der Regeln an sich zu schaden — dem Felde der literarischen Gattungen zufügte. Aber mit Schnörkeln war es nicht getan. Kaum merklich glitt man immer weiter, bis es endlich nötig wurde, die unausweichlichen Konsequenzen zu ziehen. Wer will sich schon mit der Hälfte begnügen, wenn er das Ganze haben kann! So ist auch der „Coligny" von Baoulard d'Arnaud aus dein Jahre 1739 nur ein Übergang. Coligny wind in diesem Trauerspiel auf der Bühne getötet. Ein großes Wagnis! Baculard d'Arnauds Vorwort bezeichnet den Standort, den das moderne Paris jetzt nach den vielen tastenden Experimenten gegenüber den dramaturgischen Vorschriften einnahm: „Les partisans des Aristote, des Aubignac, ces esclaves des règles qu'ils appelent la raison, et que quelques auteurs hardis nomment faiblesse, se sont déjà récriés contre la témérité d'avoir fait tuer Coligny sur le théâtre; ils opposent à ces innovations Corneille, Racine; car voilà les mots de rallîment pour le parti. Mais ne peut-on s'ouvrir des routes nouvelles en respectant les anciennes? . . . Ne sera-t-il défendu qu'aux poètes d'innover, tandis que les philosophes tous les jours retranchent, ajoutent, ou inventent à leur gré? Sophocle, Euripide, Shakespeare sont des modèles qu'on ne doit point rougir de suivre. Les Grecs et les Anglais seraient-ils moins éclairés sur la tragédie que les Français?" 124 ). Aber die freimütige Kritik drang noch nicht durch; das Stüde Baculards wurde nie aufgeführt. Doch schon im nächsten Jahre 1740 zeigte 123
) P. F. Desfontaines, Observations sur les écrits modernes (1735—1743), VIII S. 233; vgl. G. Lanson, Nivelle de la Chaussée et la comédie larmoyante, Paris 1903 (éd. nouv.), S. 154. 124 ) Clarence D. Brenner, L'histoire nationale dans la tragédie française du X V I I I e siècle, Berkeley 1929, S. 229.
Regeln und irreguläre Elemente in der französischen Tragödie
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man in Gressets „Édouard I I I . " die erste „edite" Ermordung auf der französischen Bühne. Es sollte nicht die einzige bleiben. N u n kamen entscheidende Neuerungen. Die englischen naturalistischen Vorbilder, Shakespeare und das bürgerliche Trauerspiel, sowie die Erkenntnisse der französischen Theoretiker selbst bestimmten fortan in Frankreich die Fortschritte des Theaterlebens. Das Jahr 1741, als de la Chaussées „Mélanide" im Spielplan erschien, brachte noch zwei weitere bedeutende Bühnenereignisse. In Genf gab man Shakespeares „Macbeth" in einer Privataufführung auf englisch 125 ), und in Paris kam des Malers Landois „Sylvie" heraus. Die Tatsache, daß zum erstenmal nach langen Jahren wieder Shakespeares Worte auf dem Kontinent zu hören waren, hatte kein großes unmittelbares Echo, auch die Aufführung der „Sylvie" schien nur vorübergehenden Erfolg zu haben. Beides sollte aber noch lange nachwirken 1 2 6 ). „Sylvie" wurde nur zweimal dargeboten. Das Publikum war gewiß an diese Kost noch nicht gewöhnt. Am 15. September 1741 berichtete Le Blanc über die „Tragédie Bourgeoise en Prose et en un acte, dont il ne faut parler que comme de ces Monstres qui paroissent de tems en temps, et dont le succès a répondu au ridicule de l'entreprise" 1 2 7 ). Das Schicksal des Ausgelachtwerdens traf das Stück wohl hauptsächlich deswegen, weil alles an ihm anders war, als man es sonst kannte. Schon das Bühnenbild schien höchst eigenartig: „Le théâtre représente l'interieur d'une chambre ou l'on ne voit que les murs; une table sur laquelle est un« lumière, un pot à l'eau et un pain; un habit d'homme et une mauvaise robe de femme" 1 2 8 ). Alles sollte ländlichen Charakter zeigen. Zum bürgerlichen Milieu paßte der Inhalt: Des Francs entdeckt im Rock des Galouin Briefe, die die eigene Frau Sylvie belasten. Er läßt sie herbeiholen, klagt sie des Ehebruchs an und will sie lebenslänglich einsperren, obwohl sie beteuert, unschuldig zu sein. Sie soll zwischen Gift und Dolch wählen. Jetzt aber bricht der Zorn Des Francs' zusammen. Er will sich in seiner Verzweiflung selbst entleiben. Sylvie entschließt sich, mit dem Gatten zu sterben. Da kommt die Aufklärung: Galouin ist inzwischen in einem Duell, das er mit Des Ronais, 125 ) F. Baldensperger, Études d'histoire littéraire. T. II, Paris 1910, S. 169 („Esquisse d'une histoire de Shakespeare en France"). 128 ) In Deutschland bearbeitete Gottlieb Konrad P f e f f e l 17.65 das Stück Landois' unter dem Titel „Serena" für seine „Theatralischen Belustigungen, nach französischen Mustern" (dort N r . 1). m ) Vgl. H e n r y Carrington Lancaster, Frendi tragedy in the time of Louis X V and Voltaire 1715—1774, Baltimore, London, Paris 1950, I S. 265. 128 ) Landois, Sylvie, Tragédie, 1742.
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dem Freund des Des Francs hatte, gestorben. Er hat noch kurz vor dem Tode gestanden, daß er Sylvie durch die Dienstmagd vergiften lassen wollte. Das Eingreifen des Des Francs hatte den Mord verhindert. Ein richtiges bürgerliches Trauerspiel also, auch nach heutigen Begriffen. Der Unterschied allerdings zwischen dieser Dramenart und der „Comédie larmoyante" besteht kaum in mehr als dem Glückswiechsel — was verständlich ist, wenn man ¡bedenkt, daß alle anderen Kriterien des bürgerlichen Trauerspiels erst in statu n.ascendi waren. Sah man, wie es wohl angebracht war, eine Tragödie in der „Sylvie", dann waren die einaktige Form und die Prosa Anzeichen der Tendenz zur größeren Natürlichkeit. Zum erstenmal kam in Frankreich eine Tragödie ohne Alexandrinerverse auf die Bühne, und was die Zahl der Aufzüge betraf, so unterschritt man hier noch das Maß von drei Akten, das Algarotti und andere Italiener vorgeschlagen hatten. Voltaires „La Mort de César", wegen seiner Regelwidrigkeit seit 1735 noch immer nicht aufgeführt, war weit überholt. Landois schuf einen Präzedenzfall. Konnten aber darum die Dichter der neumodischen Stücke, f ü r die Desfontaines nun (1741) den N a m e n „drames" in Bereitschaft hatte 1 2 9 ), nach der wenig freundlichen A u f nahme der „Sylvie" in Zukunft mit einem besseren Erfolg rechnen? Die große Menge jedenfalls belohnte zunächst de la Chaussées rührende Lustspiele mit dem größeren Beifall. Inzwischen ließen sich neue Anzeichen von Regelmüdigkeit bemerken. Weil das Interesse f ü r englische Texte so stark gestiegen war, gab La Place seit dem Jahre 1745 eine Reihe von Übersetzungen der berühmtesten englischen Dramatiker heraus. iEs w a r das „Théâtre Anglois". In den ersten vier Bänden las man jetzt Shakespeares „Othello", „Richard III.", „Heinrich VI.", „ H a m l e t " , „Macbeth", „Julius Caesar", „Antonius und Cleopatra", „Cymbeline", „Timon" und die „Lustigen Weiber von Windsor" auf französisch. Bis 1749 folgten in weiteren vier Bänden unter anderem Stücke von Ben Jonson („Catilina"), Dryden und Congreve, sowie Otways „Venice preserved". Die Stücke konnten und sollten, wie aus einigen Vorreden erhellt, nur als Lesedramen dienen. Niemand rechnete ernsthaft damit, daß sie jemals anders als in umgearbeiteter Form für das französische Theater nutzbar gemacht werden könnten. Wirklich waren sämtliche aufgeführten englischen Trauerspiele so verändert und dem Geschmack und 129 ) Observations a. a. O. X X V S. 28. Aber schon im 17. Jahrhundert war Corneilles „Cid" in dem Urteil der französischen Akademie so genannt wor-
den.
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den Regeln angepaßt, d a ß sie ihre H ö r n e r u n d Zähne verloren hatten. Das läßt sich an den Stücken, die in den folgenden J a h r e n in Frankreich erschienen, klar erkennen. 1746 schrieb La Place sein „Venise sauvée". Das Stück ist, zum Unterschied von der im „Théâtre Anglois" erschienenen Übersetzung, eine Bearbeitung von O t w a y s erfolgreicher Tragödie und zeigt z u m zweitenmal nach Gresset einen M o r d auf der Bühne. Schon O t w a y h a t t e sich ziemlich an die Einheit der Zeit gehalten; La Place nun stellte auch die Einheit des Ortes her, fügte das G a n z e in Verse, beseitigte, so gut es ging, die gröbsten Verstöße gegen Anstand u n d Wahrscheinlichkeit und schnitt die Geister- und komischen Szenen heraus. Von dem wirklichen Gehalt blieb nach solcher Regulierung noch so viel übrig, daß M o u h y schreiben konnte, La Place habe den englischen C h a r a k t e r des Stücks, den de la Fosse in seinem „Manlius Capitolinus" nicht darzustellen wagte, bewahrt 1 3 0 ). Collé urteilte 1764, d a ß „Venise sauvée" das einzige englische Trauerspiel sei, welches in Frankreich ZiU einein Erfolge kam 1 3 1 ). 1747 f ü h r t e m a n es f ü n f z e h n m a l auf, 1783 allerdings fiel es der Lächerlichkeit anheim 1 3 2 ). La Place w a r einer der eifrigsten Verfechter der Freiheit von Beschränkungen. M a n k a n n d a f ü r das V o r w o r t seines „Théâtre Anglois" z u m Beweis heranziehen. „. . . l'on a souvent vu des pièces Françaises regardées comme irregulières les émouvoir et attendrir le spectateur, et d'autres faites dans toutes les règles de l'art m a n q u e r leur but et ne produire que de l'ennui" 1 3 3 ). N e u e Regeln müßten an die Stelle der alten, verstaubten treten. Sein ästhetischer Liberalismus läßt ihn vermuten, d a ß eines Tages noch stärkere Realistik auf der Bühne möglich sei. Geister, Zauberer und D ä m o n e n jedenfalls brauche m a n nicht zu verdammen, wenn sie der „vérité de sentiment" entsprächen 1 3 4 ). U n t e r dem Schlagwort des Gefühls, das damals mitverantwortlich auch f ü r die E i n f ü h r u n g der Comédie l a r m o y a n t e war, bemühte sich La Place, die Tragödie mit mehr und größerem Leben zu füllen. Einem ähnlichen Zweck diente die Bearbeitung von Rowes „ L a d y J a n e G r e y " , die als „Jeanne d'Angleterre" 1748 herauskam. Aber nicht jeder Versuch, englische Stücke zu übernehmen, w a r erfolgreich. 1747 schrieb H é n a u l t ein D r a m a aus der französischen Geschichte, den „François I I I . " . Anscheinend w a r f ü r die Konzeption der Einfluß 13
°) ) 132 ) 133 ) la4 ) 131
Tablettes Dramatiques a. a. O. S. 235. Lancaster a. a. O. I S. 279. Lancaster a. a. O. I S. 278 f. Théâtre Anglois, T. I, Paris 1745, S. LUI (Vorrede). a. a. O. I S. LXXIII ff.
4 Daunicht,
Trauerspiel
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der Shakespeareschen Historiendramen maßgebend gewesen. Absichtlich verzichtete Hénault im Vorwort auf die Aufführung; denn die geschichtliche Treue war ihm wichtiger als die Regeln, die ein Drama erst aufführbar machten. So dehnte sich im „François I I I . " die Zeit zu siebzehn Monaten, die Einheiten des Ortes und der H a n d l u n g waren ebenfalls außer acht gelassen, und überdies war das Ganze in Prosa. 1748 wurde auch Lillos „Merchant of London" in einer brauchbaren französischen Bearbeitung veröffentlicht, nachdem schon 1737 und 1738 eine erste Übersetzung erschienen war, die weniger Aufsehen gemacht hatte. Clément de Genève ist der neue Übersetzer 135 ). Audi der •„Marchand de Londres" ist wahrscheinlich als Lesedrama gedacht, obwohl die Streichung der letzten Szene, in der das Strafgericht f ü r die Verbrecher auf der Bühne zu sehen ist, vermuten läßt, daß Clement unter Umständen eine Aufführung in Betracht zog. In den „Cinq années littéraires" berichtet er: „Voyez monsieur comme je suis modeste, de ne vous avoir encore rien dit de mon Pendu, qui a fait pleurer tout Paris . . . Je voudrais qu'on pût se représenter bien vivement l'état du théâtre dans ce moment-là: cet affreux cachot lugubrement éclairé par cette lampe sepulchrale, ces pierres, ces chaînes, ces deux amis désespérés qui se jettent par terre l'un après l'autre, qui s'embrassent, qui se serrent, qui savourent leur douleur, qui s'abysment délicieusement dans la plus profonde et la plus amère tristesse" 136 ). Dieser Bericht gibt bei aller Eigenliebe des Autors eine Andeutung davon, wie mächtig die Wirkung des englischen bürgerlichen Trauerspiels war. Um so erstaunlicher ist, daß sich angeblich kein Anhaltspunkt d a f ü r fand, daß es in Paris aufgeführt wurde 1 3 7 ). Sechzehn Jahre waren jetzt vergangen, seit der Abbé Prévost über eine Londoner A u f f ü h r u n g in seinem „Le Pour et le Contre" den Franzosen Lillos Stück warm empfohlen hatte 1 3 8 ). Im gleichen J a h r 1748 wurde Voltaires „Sémiramis" uraufgeführt. Immer noch waren der königlichen Bühne in Paris die gereimten Nachbildungen vorbehalten, während den kraftvolleren Originalen das Odium der Ungenießbarkeit anhaftete. Das blieb auch vorläufig weiter so; erst Diderot unternahm es mit einem besseren Ergebnis in den 135
) Le Marchand de Londres, ou l'Histoire de George Barnwell. Tragédie Bourgeoise, traduite de l'Anglois de M. Lillo, Par M.*** (¡Paris:) 1748. 136) p ; e r r e Clément, Les cinq années littéraires (1748—1752), Paris 1755 I, S. 116 f. 137 ) Borgerhoff a. a. O. S. 63. 138 ) Le Pour et le Contre III S. 337; vgl. George R. Hävens, The Abbé Prévost and English literature, Princeton und Paris 1921, S. 106 ff.
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fünfziger Jahren, dem prosaischen bürgerlichen D r a m a , für das er nun eine neue, nach Ständen ordnende Theorie beibrachte, das Theater zu erobern. Wie Diderot aber schon, als der „Marchand de L o n d r e s " gedruckt wurde, über die Theaterverhältnisse in Paris dachte, beweisen einige Sätze aus seinem pikanten R o m a n „Les bijoux indiscrets" : „ J e n'entends point les règles, continua la favorite, et moins encore les mots savants dans lesquels on les a conçues; mais je sais qu'il n'y a que le vrai qui plaise et qui touche. J e sais encore que la perfection d'un spectacle consiste dans l'imitation si exacte d'une action, que !e spectateur, trompé sans interruption, s'imagine assister à l'action meme. Or, y a-t-il quelque chose qui ressemble à cela dans ces tragédies que vous nous vantez? . . . L'emphase, l'esprit et le papillotage qu'y régnent sont à mille lieues de la nature. C'est en vain que l'auteur cherche à se derober; mes yeux percent, et je l'aperçois sans cesse derrière ses personnages. Cinna, Sertorius, Maxime, Emilie sont à tout moment les sarbacanes de Corneille. Ce n'est pas ainsi qu'on s'entretient dans nos anciens Sarrasins. . . . J e dirais volontiers aux modernes: »Messieurs, au lieu de donner à tout propos de l'esprit à vos personnages, placez-les dans des conjonctures qui leur en donnent« 1 3 9 )." U m 1750 drängte die L a g e einer Entscheidung zu. Bürgerliches D r a m a oder Heldentragödie alten Stils — wie würden die Würfel fallen? Maupries „Caliste ou la Belle pénitente" nach Rowes „ F a i r penitent" verharrte auf der Stelle, die L a Place bereits gewonnen hatte. Voltaires D r a m e n bedeuteten kaum ein weiteres Zugeständnis an die neuen Gedankengänge. So sahen die Dinge eher nach einer Stagnation als nach einem Fortschritt aus. Aber schon hatten sich mit der ständig zunehmenden Forderung nach größerem Gefühlsinhalt in der Dichtung die Gewichte verschoben.
13») O e u v r e s complètes de D i d e r o t revues sur les éditions originales . . . p a r J . A s s é z a t , T . I V , Paris 1875, S. 284 ff. 4'
DIE ENTSTEHUNG TRAUERSPIELS
DES IN
BÜRGERLICHEN DEUTSCHLAND
Vorbemerkung Eine genaue Beurteilung der deutschen Theaterverhältnisse des frühen 18. Jahrhunderts ist sehr schwierig. J e weiter man zurückgeht, um so trauriger sieht es mit Verzeichnissen der gespielten Stücke aus. Fast niemals ist mit Bestimmtheit zu sagen, ob eine Schauspielertruppe dies oder jenes Stüde früher oder später als eine andere aufgeführt hat. Vergleichsmöglichkeiten fehlen so gut wie ganz. Darum sind wir nicht oder nur in seltenen Fällen, wenn etwa präzise Nachrichten über einen Dichter vorliegen, in der Lage, den Zeitpunkt, wann ein Drama zum erstenmal auftaudite, zu ermitteln. Die wenigen zufällig erhaltenen Repertoirelisten sind oft zweifelhaft, und nur die Theaterzettel und manchmal Akten bieten authentische Belege. Aber auch bei ihnen kann man die seltsamsten Erfahrungen machen. Falschdatierungen der Zettel um viele Jahre kommen ziemlich häufig vor, denn diese Blätter enthalten gewähnlich
keine
näheren Angaben über das Jahr; andere Unterlagen über die spielende Truppe sind oft überaus mangelhaft. Die gedruckten Stücke, bei denen es sich meistens um Literaturdramen handelt, bieten kaum eine Hilfe. Denn der größte Teil des Repertoires der Wanderbühnen bestand aius Bearbeitungen, von denen wir nicht die Namen der Verfasser wissen. Die ältere Theatergeschichte liegt also noch immer in großem Dunkel. Daran können auch einzelne verdienstlidie Monographien über Schauspieler und Sdiauspielgesellschaften des 18. Jahrhunderts und die wenigen guten Ortstheatergeschichten nichts ändern. Die französischen und englischen Quellen fließen dagegen viel reichlicher, und man sieht mit Neid, daß in manchen Ländern die kirchlichen und gesellschaftlichen Anschauungen eine Beschäftigung mit dem Theater nidit zu verhindern brauchten.
D I E F R A G E D E R D R A M E N K R I T E R I E N U N D DAS D E U T S C H E R Ü H R E N D E LUSTSPIEL I N D E R E R S T E N H Ä L F T E DES 18. J A H R H U N D E R T S So wie man in Frankreich Tragödie und Komödie nach dem sozialen Stand der Personen schied, bekannte sich auch die deutsche Theorie seit dem 17. Jahrhundert zu diesem Kennzeichen. Die Zwittergattung, Tragikomödie genannt, in der sich die komischen und die tragischen Figuren mischten, stand bei den meisten Gebildeten tief im Kurs. Um so mehr hatte sich das Theater der Mischspiele bemächtigt, zu denen die Menge der damals beliebten „ H a u p t - und Staats-Aktionen" gehörte. Auf der Bühne kümmerte man sich wenig um die Vorschriften der Gelehrten, wenn die Zuschauer auf den Bänken und in den Logen Beifall klatschten. In der eigentlichen H a n d l u n g eines solchen Schauspiels traten gewöhnlich die von der Tragödie her bekannten geschichtlichen oder erdichteten Fürsten als Helden auf. Daneben agierte der Spaßmacher allein oder mit seinen Kumpanen nach dem Vorbild der italienischen Commedia dell' arte und erheiterte sein Publikum. Der Einfluß des süd- und südwesteuropäischen Theaters ist unverkennbar. Es gab in dieser Epoche auch ziemlich häufig Bearbeitungen der aus Italien kommenden Musikdramen. Darin waren glückliche Schicksalswendungen möglich, zeitweise sogar üblich. Als Ergebnis der vielfältigen Überschneidungen und Verflechtungen sah man vor Gottscheds Reform ein buntes Durdieinander, in der Hauptsadie Komödien und Stüdte mit possenhaften Szenen. In allen Himmelsriditungen suditen Übersetzer ihre Vorlagen und erhöhten die Vielgestaltigkeit. Es kam nur auf die Wirkung der Stücke an. Die Quellen der Belustigung waren international. Aber die Uneinheitlichkeit der Lustspiel- und die Opernhaftigkeit des Trauerspielrepertoires, die Übernahme so vieler Elemente aus den versdiiedenem Mustern und Zeitabschnitten waren desto fragwürdiger, je drastischer der Tort war, der auf diesen Bühnen herrschte. Unter solchen Umständen machten die ersten Vorboten einer Betonung ernsterer Gefühle, die sich seit Molière im französischen regelmäßigen Lustspiel anmeldeten, wenig Aufsehen; die englischen Produkte dieser Art waren fast gänzlidi unbekannt. Von moralisierenden Komödien,
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
in denen sich um 1700 zuerst die Wandlung der Schauspielkriterien ankündigte, wurde BourSaults „Ésope" 1711 von Reinbaiben übersetzt 1 ). 1723 kam eine zweite Ausgabe heraus 2 ). Dies waren jedoch kaum mehr als Einzelfälle. Und die deutschen Originale der sächsischen Komödie in den zwanziger Jahren enthalten zwar hin und wieder eine exemplifizierte Moral, sind aber im übrigen doch so sehr von bewährten Vorlagen abhängig, daß sie nicht aius der Reihe tanzen. Noch kann der Bürger, wo er auftritt, nur satirisiert werden. Man schildert seine Handlungen vergröbert und übertrieben und verspottet damit seine Schwächen. Eine Besserung der Sitten erscheint durch die immanente oder vorgetragene Moral möglich und ist der Vorwand dafür, daß das gesamte Theaterwesen verteidigt wird, ist vielleicht sogar das Ziel idealistischer Dramatiker, wenn auch noch nicht der dramatischen Vorstellungen. Auch hier springen Verwandte des Harlekin durch die Szene und foppen ihre Mitspieler. Der Dichter benutzt die Gelegenheit und läßt etlichen Zynismen freien Lauf. Als Beispiel solcher doch ziemlich anspruchslosen Komödientechnik soll hier, die bisher unbekannte Inhaltsangabe eines Stückes von Heinrich Gottfried Koch stehen, der seit 1727 bei der Neuberin agierte und später selbst eine Truppe führte. Das Lustspiel wurde schon 1733 in Leipzig unter dem Titel „Der Schmarotzer oder das Leipziger Rosental" gegeben 3 ). „Ein Schmarotzer bediente sich in dem Hause eines wohlhabenden Kaufmanns der Gastfreiheit desselben bis zur Beschwerlichkeit. Er hing nach dem Essen seine Perücke im Nebenzimmer auf, nahm eine Schlafmütze aus der Tasche, entkleidete sich, hielt seinen Mittagsschlaf usw. Hierdurch setzt er diese Familie in besondere Verlegenheit an einem Tage, an welchem die Tochter des Hauses in der Stille Verlobung halten soll. Die Dienstboten, Harlekin und Kolombine, machen die Zimmer rein, treiben ihren Spott mit ihm, fegen seine Perücke, ja ihn selbst bald aus, um ihn wegzutreiben: umsonst! Dann gibt man vor, man fahre nach dem Lustorte . . . und es sei kein Platz, ihn mitzunehmen, er l ) Esopus am Hofe, in: George Wilhelms von Reinbaben Poetische Uebersetzungen und Gedichte, Weimar 1711. a ) Aesopus bey Hofe und Aesopus in der Stadt, Dreßden und Leipzig 1723. s ) Friedrich Johann Freiherr von Reden-Esbeck, Caroline Neuber und ihre Zeitgenossen. Ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Theatergeschichte, Leipzig 1881, bringt S. 115 f. den Theaterzettel vom 1 6 . 1 . 1 7 3 3 ; der Name des Verfassers ist dabei nicht angegeben. Theodor Hampe, Die Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg, Nürnberg 1900, S. 199, nennt — ebenfalls wohl nach einem Theaterzettel — Koch als den Autor, ohne aber auf das Stüde einzugehen.
D i e Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
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aber spaziert zu Fuß dahin. Hierbei wird er denn von allerhand Charakteren, in die man sich verkleidet, vexiert und aufgehalten" 4 ). Der erste, bei dem man vereinzelt rührselige Stimmungen spüren kann, ist Christian Friedrich Henrici (Picander). In seinem Lustspiel „Der Säuffer" 5 ) redet der über seinen Sohn tief bekümmerte alte Valentin den der Trunksucht verfallenen Studenten zweimal mit ernsthaftpathetischem Ton in die Seele; allerdings wird die Wirkung dieser Appelle von Theatergags seiner Partner paralysiert. Audi Antonine (im gleichen Stück) trägt die Züge weiblicher Seelengröße. Als einige französische Komödiendichter wie Marivaux und Destc&uches ihren Stücken immer mehr von dem veränderten Zeitgeschmack mitteilten, merkte man davon in Deutschland zunächst wenig oder nichts. Marivaux war wahrscheinlich nicht leicht zu übersetzen, vielleicht differierte auch die Eigenart seiner Personen zu stark von der damals in Deutschland üblichen. Er ist erst vom Jahre 1734 ab im Spielplan der Neuberin nachzuweisen 6 ). 1735 kommt er dann mit vier Lustspielen vor 7 ). Das erste Stück, ein Nachspiel mit dem Titel „L'île des esclaves", ist bezeichnenderweise eines von denen, die er f ü r das italienische Theater in Paris verfaßte. Auch später gehörten die f ü r seine Entwicklung zur Comédie larmoyante wichtigen Stücke wie „Les serments indiscrets" oder „La mère confidente" anscheinend nicht zum Hauptbestand der Wanderbühnenbibliotheken. Das änderte sich erst in den vierziger Jahren. Damals wurde Marivaux gewissermaßen neu entdeckt. Den „Philosophe marié" des Destoudies von 1727 spielte die Neuberin dagegen schon seit ungefähr 1730, wie Gottsched in der Vorrede zu seinem „Sterbenden Cato" andeutet 8 ). Im Jahre 1734 war Des4 ) Baronesse Elisabet Rosen, Rückblicke auf die Pflege der Schauspielkunst in Reval (Festschrift zur Eröffnung des neuen Theaters), Reval (1910), S. 80, der vielleicht ein Petersburger Theaterzettel vorlag, nach dem sie diese Inhaltsangabe zitierte, kennt ebenfalls den Verfasser nicht. 5
) D e r Säuffer in einem Schau-Spiele vorgestellet v o n Picandern, Berlin, Franckfurt und H a m b u r g 1725. 6 ) Vgl. Beyträge Zur Critischen Historie D e r Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, Hrsg. von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, III (10. Stück 1734), S. 276. 7 ) Reden-Esbeck, Caroline N e u b e r a . a . O . S. 107 ff. (nach Hamburger Theaterzetteln). D e r dort als v o n Marivaux verfaßt angegebene „Le dédain affecté" ist von Monicault. Vgl. Richard Daunicht, D i e Neuberin, Materialien zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts (Studienmaterial f. d. Künstlerischen Lehranstalten, H e f t 2 1956), o. O. 1956, S. 115 f. 8
) a. a. O. (vgl. 3. Kap. A n m . 3) S. X X f.
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
touches mit mindestens zwei, 1735 mit mindestens drei Komödien auf der Neuberschen Bühne vertreten: mit dem eben genannten „Verheirateten Philosophen", dem „Unschlüssigen" (L'irrésolu) und der „Unvermuteten Verhinderung" (L'obstacle imprévu) 9 ). Man geht sicher nicht fehl, wenn man in allen Fällen von Schauspielern angefertigte Alexandrinerübersetzungen annimmt; .das erste der 'drei Stücke war von H . G. Koch übertragen worden 1 0 ). Um diese Zeit waren auch Boissy und Fagan im Repertoire vertreten 1 1 ). Es sind die Jahre, in denen die klassizistische Definition der Dramengattungen in demselben Maße auf die deutsche Bühne Einfluß bekam, wie die Neuberin mit ihrem regelmäßigen Theater Erfolg hatte. Gottsched erklärte das Lustspiel als eine „Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann" 1 2 ). An anderer Stelle erläuterte er diesen Satz: „Die Personen, die z>ur Comödie gehören, sind ordentliche Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stande, dergleichen auch wohl zur N o t h Barons, Marquis und Grafen sind: nicht, als wenn die Großen dieser Welt keine Thorheiten zu begehen pflegten, die lächerlich wären; nein, sondern weil es wider die Ehrerbiethung läuft, die man ihnen schuldig ist, sie als auslachenswürdig vorzustellen" 1 3 ). Hier wurde die konservativste These bekräftigt, dort drängte schon das Neue nach vorn. Als Voltaire 1736 „L'enfant prodigue" schrieb, erhielt die Sache der teilweise ernsten Lustspiele auch in Deutschland stärkeren Auftrieb. Der rührige H . G. Koch übersetzte das Stüde bald darauf 1 4 ). Es wurde wohl 1739 zum erstenmal von der Neuberin gegeben 15 ). Die Versübertragungen Kochs wurden von einigen 9 ) Critische Beyträge III (10. Stück 1734) S. 276; Reden-Esbeck, Caroline Neuber a . a . O . S. 107 ff. (nach Hamburger Theaterzetteln). 10 ) Gottsched, Sterbender Cato a. a. O. S. X X f. und Critische Beyträge VII (26. Stück 1741) S. 295; vgl. Wilhelm Creizenach, Zur Entstehungsgeschichte des Neueren Deutschen Lustspiels, Halle 1879 S. 34. xl ) Reden-Esbeck, Caroline Neuber a. a. O. S. 109 (nach Hamburger Theaterzetteln). 12 ) Versuch einer Critischen Dichtkunst, 3. Aufl. 1742 (vgl. 3. Kap., Anm. 20) S. 739 f. 13 ) ebd. S. 743. 14 ) vgl. Gottscheds „Nachricht von der unter der Presse befindlichen deutschen Schaubühne", Critische Beyträge VI (23. Stück 1740) S. 524. 15 ) Nach einer handschriftlichen Aufzeichnung in Ekhofs Nachlaß (ehem. Staatsbibl. Berlin, Ms. Germ. Fol. 771 Bl. 108 A), die sich, wie aus einem Vergleich mit anderen Zeugnissen hervorgeht, auf die Neuberin bezieht, wurde das Stück am 16. IV. 1739 aufgeführt. Damals war die Neuberin in H a m burg.
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
K r i t i k e r n getadelt, sie haben aber eine wichtige Aufgabe erfüllt:
Sie
hielten den Anschluß an die französische Entwicklung zu einer Zeit, als die Neubersche Truppe allein das regelmäßige Schauspiel pflegte. Als dann seit 1 7 4 0 eine zweite Truppe,
die Schönemannsdie,
der
Neu/berin dieses Privileg streitig machte, ging man auch dort daran, die dramatischen Neuerscheinungen aus Paris den Deutschen möglichst rasch zu vermitteln. Jedoch brachte nicht Schönemann, sondern die neugegründete Gesellschaft der Madame Schröder, späteren M a d a m e Ackermann, die „Mélanide", das H a u p t w e r k de la Chaussées, heraus. D a ß das Stück schon zwei J a h r e nach der Premiere achtmal in anderthalb J a h r e n in Deutschland gegeben wurde, bezeugt das große Aufsehen, das dieses rührende Lustspiel machte 1 6 ). Bei der Neuberin ließ sich allerdings keine Aufführung nachweisen. Gottsched urteilte als erster über die Veränderung, die das alte dramatische
Einteilungsprinzip
bedrohte
und
die
lustige
Komödie
mit
fremden Eigenschaften versah. In seiner „Nachricht von der unter der Presse befindlichen deutschen Schaubühne" zählte er 1 7 4 0 den
„Ver-
schwenderischen S o h n " (Voltaires „L'enfant prodigue" in Kochs Übersetzung), der eben herausgekommen war, zu den Trauerspielen als ein Stück,
„so
fast
auch
einem
Trauerspiele
ähnlicher
ist,
als
einer
C o m ö d i e " 1 7 ) . Seltsame Inkonsequenz des kritischen Professors! W u ß t e er nicht, d a ß er seine eigenen Gesetze verriet und den Feinden eine Angriffsfläche bot, wenn er das Gefühl und den Inhalt eine Stückes als Kriterium höher bewertete als die äußeren Eigenschaften der Helden? 1 6 ) D i e Übersetzung stammte von B a r t h o l d Hinrich Brockes; vgl. Berthold L i t z m a n n , Friedrich L u d w i g Schröder. E i n Beitrag zur deutschen L i t t e r a t u r und Theatergeschichte, I, H a m b u r g und Leipzig 1890, S. 3 2 f. Die A u f f ü h rungen waren am 4., 10., 2 6 . O k t o b e r , 5., 19. N o v e m b e r , 3. D e z e m b e r 1 7 4 2 , 12. F e b r u a r 1743, 8. M a i 1 7 4 4 ; vgl. F . L . W . M e y e r , Friedrich L u d w i g Schröder. Beitrag zur K u n d e des Menschen und des Künstlers, II, 2, H a m b u r g 1 8 2 3 , S. 4 0 — 5 2 . D i e Bedeutung dieses Stückes wird, wenigstens im Hinblick auf die Rührseligkeit, v o n der bei Schönemann und der Schröderin vielgespielten H a m b u r g e r Lokalposse „Der Bookesbeutel" ( F r a n k f u r t und Leipzig 1 7 4 2 ; Neudruck in: Deutsche L i t t e r a t u r d e n k m a l e des 18. und 19. J a h r h u n d e r t s 5 6 / 5 7 , hrsg. von F. F. H e i t m ü l l e r ) nicht erreicht. Hinrich Borkenstein, der Verfasser dieses deutschen Originallustspiels, ließ immerhin eine Reihe von tugendhaften C h a r a k t e r e n , von denen teilweise schon die N a m e n (Gutherz, E h r e n w e r t , Sittenreich) nach der M o d e der Zeit über ihre T r ä g e r aussagen, mit altmodischen, ungebildeten und auch sonst allerlei Schwächen verratenden Figuren kontrastieren. Die Lösung des Knotens bringt die Belohnung der armen und wohlerzogenen Charlotte, indem sie wie im Märchen den rechten Freier e r h ä l t : ein deutscher Beitrag zur M o r a l k o m ö d i e mit leicht rührendem Einschlag. 1T
) Critische B e y t r ä g e V I (23. Stück 1 7 4 0 ) S. 5 2 4 .
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
Bald darauf untersuchte Gottlob Benjamin Straube diese Frage näher. Seine Darlegungen sind f ü r die damaligen Verhältnisse sehr aufschlußreich: „Zum Ueberflusse will ich noch erinnern, daß der Unterscheid der Comödie und Tragödie hauptsächlich auf die Personen, und die erregten Affecten ankomme; und daß man Misgeburten zur Welt bringe, wenn man hierauf nicht acht giebt. Ich weis z. E. Leute, die den Enfant prodigue, oder den verlohrnen Sohn für eine Comödie, andere, die ihn f ü r eine Tragödie gehalten haben; ich selbst aber gebe ihn f ü r eine Tragicomödie, das ist, f ü r einen theatralischen Zwitter aus. Die einen sagten: was lustige Diener, närrische Präsidenten, zankende Gräfinnen, und am Schlüsse eine H e y r a t h hat, das ist eine Comödie. Die andern sagten: ein Stück, das in Versen geschrieben ist, was in vielen Stellen erhaben und pathetisch ist; was eine Historie aus der Bibel vorstellt, (dazu verleitete sie der schlecht übersetzte Titel,) was Verwunderung, Zärtlichkeit und Mitleid, ja gar Thränen erweckt, das muß eine Tragödie seyn. U n d beyde Theile hatten recht. U n d ich sage: wo alles beydes ist, da ist die Comödie und Tragödie zugleich. Man sollte kaum glauben, daß man auf solche Vermischungen fallen könnte, wenn man nicht so viel Exempel von Tragicomödien, Comitragödien, ja gar von Tragicomoedia pastorali (d. i. von allen Schreibarten, Ständen und Orten in einem Stücke zugleich) aufweisen könnte" 1 8 ). Hier war deutlich gesagt: Jede Verletzung der Vorschriften, geschehe sie auch durch einen Voltaire, ist verboten. Das Ergebnis kann nur ein Mischprodukt sein. Es ist dabei anzumerken, daß die von Straube f ü r diese Mischung gewählte Bezeichnung „Tragikomödie" historisch nicht vertretbar war. Immerhin war Straube hier klassischer als Gottsched, der vielleicht aus Achtung für Voltaire, vielleicht aus Höflidikeit gegen den Übersetzer Koch sich einen kleinen dramaturgischen Lapsus geleistet hatte. Ausdrücklich wurde der Gefühlswert als Schauspiieilkriterium hervorgehoben. Der Grund, daß nämlich eine Partei Voltaires Stück wegen dieses Gefühlswertes als Tragödie bezeichnete, verdient besonders beachtet zu werden. Mit den folgenden Beispielen, durch die er seine Ansicht erläutern wollte, hebt Straube aber die Gleichberechtigung der Kriterien wieder auf: „Eben so, wenn idi den großmüthigen Bettler in einem theatralischen Stücke vorstellen wollte, und die Personen dazu einen Bettler, den Bettelvoigt, den Stadtrichter, ein paar Gassenjungen, und des Bettlers 18
) Aus dem (anonym erschienenen) Aufsatz „Ursachen, warum ein Trauerspiel nothwendig in Versen geschrieben seyn müsse", in: Critische Beyträge VII (28. Stüde 1741) S. 654 f.
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Tochter seyn ließe: so kann ich weder die Schreibart, noch die Gedanken edel und erhaben anbringen. Wenn gleich der Bettler unschuldig, großmüthig, beherzt, billig, und als ein heroischer Meister der Tugend vorgestellet werden könnte. Es wird also eine Comödie werden. So bald ich aber setze: daß der oder jener Held des Alterthums ein Kriegsgefangner gewesen, zehn Jahre in einem Loche gesessen, darinnen er den Körper kaum ausstrecken können, und den endlich das Mitleid eines Bedienten aus dem Kerker gelassen; daß dieser sich in Bettlerskleidern auf den Weg gemacht, und auch wegen seiner Bedürfniß betteln müssen: so kann ich ihn sehr leicht unter die Umstände eines Trauerspiels bringen, und der Held, und die Neigungen werden in diesem Falle Verwunderung und Mittleiden, in jenem aber gewiß nur Lachen erwecken" 19 ). Indem Straube dasselbe Sujet einmal als Komödie und einmal als Tragödie behandelte, wird deutlich, daß er dem Kriterium des sozialen Standes noch immer den Vorrang einräumte. Ebenfalls 1741 erörterte Adam Daniel Richter, Rektor zu Annaberg in Sachsen, in einem Schulprogramm die Komödientheorie 2 0 ). D a ihm die Gottschedische „Critische Dichtkunst", die 1737 in zweiter Auflage erschienen war, anscheinend nicht genügte („Ich suchte zwar eine vernünftige Anweisung zu den Lustspielen, aber es war keine aufzutreiben") 2 1 ), schrieb er seine „Regeln und Anmerkungen über die lustige Schaubühne" nieder; sie gerieten in die H ä n d e Gottscheds, und dieser druckte sie in demselben Heft der „Critischen Beyträge" ab, in dem auch Straubes Aufsatz steht 22 ). Hier findet man eine Theorie des Lustspiels, die in wesentlichen Dingen von der Gottschedischen abweicht. Richter kritisiert die übliche Definition der Komödie, wie sie etwa in der „Critischen Dichtkunst" zu finden ist, mit den Worten: „Ich habe . . . dieses zu erinnern, daß ich bey mir die Ursache nicht begreifen kann, warum man in denen Comödien nur allein die Laster zoim Gegenwurfe erwählet" 2 3 ). D a n n setzt er seine eigene Erklärung 19
) ebd. S. 655 f. Regeln und Anmerkungen der lustigen Schaubühne. Wobey zugleich die gesammten . . . Herren Inspectores, alle andere vornehme Gönner und Freunde, wie auch die . . . Bürgerschaft bey instehenden Schulfeste zu Drey Lustspielen, welche die . . . in St. Annaberg studirende Jugend . . . vorstellen wird . . . gehorsamst einladet Adam Daniel Richter, Rect. Annaemont., St. Annaberg, 1741. 21 ) Critische Beyträge VIII (31. Stück 1743) S. 465. 22 ) ebd. VII (28. Stück 1741) S. 577—604. M ) ebd. VII S. 578.
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dagegen: „Die Comödie ist eine Nachahmung einer moralischen H a n d lung, die durch ihr natürliches Wesen die Zuschauer belustigen, aber auch zugleidi erbauen soll" 24 ). Richter begründet seine Ansicht so: „Eine Comödie soll die Zuschauer belustigen: entstehet denn aber die Lust nur aus dem Lächerlichen? und lachet man denn nur allein über das häßliche? H a t man denn nicht auch eine Tugendlust, und lachen wir denn nicht auch über fröhliche und schöne Sachen? K a n n eine tugendhafte Handlung denn nicht auch die Zuschauer in einer Comödie sowohl belustigen als erbauen?" 25 ) Er teilt deshalb das Lustspiel in zwei Kategorien, die tugendhafte und die lasterhafte Komödie. In der ersteren soll eine tugendhafte Handlung auf der Bühne vorgestellt werden. Man könnte annehmen, daß Richter hier die moralischen und rührenden Lustspiele der Franzosen, besonders die des Destouches und des Voltaire verteidigen wollte. Aber Richter fordert von dem Helden und der Handlung seiner tugendhaften Komödien einige spezielle Eigenschaften: Es müsse sich bei der dargestellten um eine echte und besondere Tugend handeln, der Tugendhafte solle ein „witziger Kopf", ein „vornehmer und reicher M a n n " sein, er müsse es „in der Tugend noch weiter und höher gebracht haben, als die noch itzt lebenden", und man könne bei Verstorbenen auch die Namen nennen. Das Ziel dieser Komödie schließlich, die Erbauung und Belustigung, solle dadurch erreicht werden, daß der Tugendhafte darin belohnt werde, daß ihn kein Übel treffe, während die Lasterhaften aber beschämt werden müßten 2 6 ). Gottsched erwiderte dem Annaberger Rektor mit Anmerkungen, die er dem Abdruck des Aufsatzes in den „Critischen Beyträgen" beigab. Nach Gottsched sind Belustigen und Erbauen „nicht der besondre Zweck der Comödie, sondern der allgemeine der ganzen Dichtkunst" 2 7 ). Gottsched kommt dabei stets auf seine Grundmeinung zurück, die er einmal so ausdrückt: „Wir schließen tugendhafte Charaktere von der Comödie keinesweges ganz aus, nur das H a u p t w e r k können sie nicht ausmachen: denn sie sind nicht lächerlich. Die Nebenpersonen können zwar tugendhaft seyn, um den entgegenstehenden Thoren desto besser zu beschämen: allein die Hauptperson kann nicht tugendhaft seyn" 2 8 ). Er belegt 25
) *•) 27 ) 2S )
ebd. ebd. ebd. ebd. ebd.
VII VII VII VII VII
S. S. S. S. S.
581. 578 f. 593 ff. 580 Anm. b). 585 f. Anm. h).
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diesen Standpunkt mit Beispielen aus Molière, Holberg, Destouches und anderen. Man bemerkt, daß Gottsched die Kritik an Richter benutzt, um auch die ernsteren Lustspiele zu tadeln, sobald in ihnen die Affekte „Furcht, Schrecken, Mitleiden und Betrübniß" „in einigem Grade" entstehen sollten. Gottsched bestätigt selbst, daß er Regnards „Le joueur" und Destouches' „Le dissipateur" durchaus nicht als die besten Vorbilder ansah 29 ), obwohl er gerade des letzteren „Verschwender" und „Poetischen D o r f j u n k e r " in den dritten Band der „Deutschen Schaubühne" aufnahm. Gottsched merkt bei Richters Aufsatz auch sogleich an, daß der Verfasser wohl mit seiner tugendhaften Komödie das Schäferspiel gemeint haben müsse 30 ). Wirklich ist die Vermutung, daß Richters Anschauungen von einer ernsteren Lustspielgattung ihrer Zeit vorausgeeilt waren, nicht ganz am Platze. Richter hat später selbst seine Ansiditen präzisiert 3 1 ). Danach war die eigene Unachtsamkeit Ursache einer schiefen D a r stellung. Die Revision seiner Worte müssen wir unbedingt berücksichtigen, wenn wir das erste Elaborat beurteilen. Sie schützt uns davor, die Verteidigung der tugendhaften Komödie allzusehr aus dem Gesichtswinkel des rührenden Lustspiels zu sehen. Richter schreibt nämlich später: „ . . . durch die tugendhafte Comödie habe idi nichts anders, als ein solches Schäfergedichte verstanden wissen wollen; oder zum wenigsten doch ein Gedichte von dieser Art, darinnen entweder Personen aus den Zeiten des güldenen Alters, oder aus den Zeiten der Erzväter, und der Könige in Juda und Israel, . . . oder alte berühmte Philosophen, als große Exempel großer Tugenden, aufgeführet würden. Dahero erforderte ich auch in einer tugendhaften Comödie, daß den Zuschauern nur eine sanfte, innerliche Vergnügung der Seelen, sollte erreget werden . . . Ich bin also mit dem H e r r n Professor Gottsched völlig einerley Meynung" 3 2 ). Von einem Reformprogramm Richters bleibt also nicht viel übrig. Eigenartig ist nur, daß ihm, wie er behauptet, nicht der N a m e des Schäferspiels eingefallen ist, als er seine erste Untersuchung schrieb! 29
) ebd. V I I S. 592 und Anm. r). ä«) ebd. V I I S. 580 Anm. c) und S. 593 Anm. s). 31 ) Gottsched ließ das Sdiulprogramm Richters mit dem Titel „Zufällige Gedanken vom Verse und Reime des Trauerspiels", in dessen Einleitung der Verfasser auf seine frühere Veröffentlichung zurückkommt, im Band V I I I der Critischen Beyträge (31. Stück 1743) S. 465—474 abdrucken. 32 ) ebd. V I I I S. 467.
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Immerhin sind die Arbeiten Richters, sosehr sie auch von oben herab von Gottsched mit verbessernden Anmerkungen bedacht wurden, ein wichtiges Anzeichen dafür, daß das regelmäßige Lustspiel französischer Observanz im tiefsten Innern vieler Deutschen keinen echten Widerhall fand, sondern daß dem „gemütlicheren" Wesen auch ein tugendhafteres, das heißt hier ernsteres, humorvolleres Lustspiel angemessener war. Die Anhänger einer klassizistischen Komödiendefinition änderten indessen ihren Standpunkt nicht. Aber inzwischen kehrte eine gefühlsbetontere Lebensanschauung auch in Deutschland ein. Die englische Philosophie, die theoretische Hauptursache und Begleiterin dieser Wandlung, hatte auf verschiedenen Wegen Eingang in die Literatur und in die Köpfe der Menschen gefunden. Aufklärerische Zeitschriften, die manchmal jahrelang Woche für Woche erzieherisch auf die Menge einzuwirken suchten, nach englischen Vorbildern gearbeitete und seit 1740 auch mehr und mehr englische Romane — dies alles war zur Mode geworden: Das Bürgertum fand neuen Gefallen an Schilderungen seiner Lebensart, an Darstellungen von Schicksalen aus seiner Sphäre. Hier konnte die Bühne nicht zurückstehen. Zwar muß man sich hüten, aus der Tatsache, daß die Gottschedin einige französische Komödien, unter ihnen den oben genannten „Verschwender" und den „Poetischen Dorfjunker" von Destouches, übersetzte 33 ), voreilige Schlüsse zu ziehen, aber sie lieferte auch mit ihrer eigenen Produktion einen wertvollen Beitrag zur Einbürgerung und Ausbildung des rührenden Lustspiels in Deutschland. Nachdem sie 1736 mit einer Bearbeitung von Bougeants „Le femme docteur"
unter dem Titel
„Die Pietisterey im Fischbeinrocke"
ihre
Begabung für das komische Genre bewiesen hatte, versuchte sie 1743 zum zweitenmal, ein halbwegs eigenes Stück zu schreiben. Es war „Die ungleiche Heirat", für die Molieres „George Dandin" das Vorbild darstellte. „Die Hausfranzösin" nach Holbergs „Jean de France" folgte 1744 und ist ähnlich selbständig 34 ). In beiden Fällen wurde die zupackende Komik der Muster verwässert. Mit langstieligen moralischen Sätzen stutzte die Gottschedin die Fabeln auf. Das Ergebnis ist weder Fisch noch Fleisch. Moral ist überall zu spüren, aber die stellenweise sehr denbe Sprache verrät allzuviel von einem absterbenden Geschmack. 3 3 ) Die Deutsche Schaubühne, nach den Regeln der alten Griedien und Römer eingerichtet, und mit einer Vorrede herausgegeben, III, Leipzig 1741. 3 4 ) Die ungleiche Heirat in: Die Deutsche Schaubühne IV (1743); Die Hausfranzösin ebd. V (1744).
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Erst „Das Testament" (1745) ), das vielleicht auf eine der Farcen zurückgeht, die als Nachspiele von den Schauspielergesellschaften nadi den eigentlichen Stücken des Abends gegeben wurden, enthält wenigstens eine modernere Figur. Karoline, eine der beiden Nichten der Oberstin von Tiefenborn, einer „alten reichen Witwe", schlägt einen für die Gottschedin neuen Ton an und kontrastiert darin scharf mit ihrer Schwester. Mit Karoline sollten die Zuschauer Mitgefühl haben. Das offene, viel zu ehrliche Mädchen sagt alles, was sie denkt, ihrer Umwelt ins Gesicht und weist schließlich sogar den Freier ab, der seine Liebe, die nur Liebe zum Geld der Tante ist, von der Schwester auf sie übertragen will: ich will Ihnen nur meine Eigenliebe verraten . . . vorhin war ich Ihnen zu arm, und jetzt komme ich mir zu reich gegen Sie vor. Anitzt erfordert ohnedem die Dankbegierde von mir, d a ß ich meine bisherigen Dienste gegen die Frau Muhme verdoppele, und ich werde gewiß, solange sie lebt, an keine Heirat denken" 3 8 ). Natürlich wird die Rechtschaffenheit des Mädchens belohnt. Die reiche Tante, die mehr als vier Akte lang mit Hilfe eines richtigen und eines falschen Arztes — ihres Bräutigams nämlich — ihren Angehörigen Sand in die Augen gestreut hat, täuscht alle Erwartungen. Karoline jedoch, obwohl sie nach den Worten ihrer Tante „ein vortrefflich Naturell" hat, „in der Welt arm zu bleiben" 37 ), erhält zwanzigtausend blanke Taler und ein Rittergut. Nicht allein die recht zahlreich im ganzen Stück verteilten Moralen, wie etwa: „. . . kein Mensch ist so böse, der nicht auch etwas Gutes an sich hätte" (III, 2), geben von der Wandlung Kunde, die sich praktisch erst jetzt im deutschen Lustspiel zeigte: Die Charakterzeichnung der Hauptfigur, ihre Uneigennützigkeit, ihre Redlichkeit erschlossen ein neues Gebiet. Einmal spricht die Oberstin von der anständigen Gesinnung Karolines: „Ich habe sie hier recht auf die Probe gestellt; sie hat mir aber nicht das mindeste zum Nachteile ihres Geschwisters sagen wollen. Ja zuletzt bat sie gar f ü r den Bruder, und sich selbst vergaß sie. (Bewegt.) Das Mädchen hat mich recht gerührt" 3 8 ). 35
) D i e Deutsche Schaubühne Bd. VI. Neudruck in: D i e bürgerliche Gemeinschaftskultur der vierziger Jahre, Zweiter Teil: Drama, hrsg. v o n F. Brüggemann (Deutsche Literatur, Reihe A u f k l ä r u n g Bd. 6), Leipzig 1933, S. 83—164. 36 ) F. Brüggemann, D i e bürgerliche Gemeinschaftskultur a . a . O . S . 1 6 4 ( V , 9 ) . 37 ) ebd. S. 128 (III, 5). 38 ) ebd. S. 129 (III, 7).
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„Gerührt": das war es. Hier wird in Anlehnung an Destouches und Marivaux bewußt das Gefühl angeredet. Das Mitleid soll die Herzen der Zuschauer höher schlagen lassen. Mehr noch als in den Stücken der „geschickten Freundin" Gottscheds bildet die Rührung in Christian Fürchtegott Gellerts ernsten Lustspielen das tragende Element. Der Verfasser hat sie genau wie die Gottschedin die ihren, um den natürlichen Gesprächston zu treffen, in Prosa geschrieben, zum Unterschied von de la Chaussée, mit dem er oft verglichen wird. Ihre Beliebtheit machten Geliert einst zum Repräsentanten der deutschen empfindsamen Komödie. Schon 1745 erschien als erstes Lustspiel dieser Art „Die Betschwester" in den „Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes" (Bd. 2, Stück 2). Das Stück enthält, wie Voltaire es in seiner Vorrede zu „L'enfant prodigue" gefordert hatte, sowohl eine rührende als auch eine komische Komponente, oder, um mit Gottsched zu sprechen, tugendhafte und lasterhafte Charaktere, und Molière und Destouches haben dabei gemeinsam Pate gestanden. Die Geschichte der Titelfigur wird darin aber nicht, wie man glauben könnte, in den Vordergrund gerückt. Die Betschwester, wieder eine reiche alte Witwe, ist ein sanfter gemaltes Gegenstück zum Heuchler Tartuffe. Den Kern der H a n d lung bildet ein edelmütiger Abtausch von Verzichtleistungen — Intrige wäre ein viel zu starker Ausdruck für diese Vorgänge. Nach dem Vorbilde in „La fausse Agnès" von Destoudies gibt es bei Geliert zwei Freundinnen: Christiane, die Tochter der Frau Richardin (der Betschwester), in ihrer übergroßen Schüchternheit ein ziemlicher Gegensatz zu ihrer redseligen Mutter, und Eleonore, ein armes Mädchen und Haustochter der Witwe. Den Knoten der Verwicklung bildet eine — Kaffeetasse, die Freier Simon im Gespräch mit der zukünftigen Schwiegermutter, der Frau Richardin, fallen ließ, wobei ihm ein kleiner Fluch unterlief; über beides kann sich die fromme Dame nicht beruhigen. Von den beiden Mädchen ist eine immer großmütiger als die andere, als Simon, der eigentlich Christiane freien wollte, diese in Unmut und Enttäuschung zugunsten des Lorchen aufgibt. Zunächst tritt Christiane freiwillig ihren Anbeter ab: „Christianchen. Ach ja. Thun Sie es doch! Sie ist Ihrer viel würdiger, als ich bin. Ich bin zu jung. Ich habe wenig Lebensart. Aber Lorchen — Ach wenn doch mein Bitten —
Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel Simon. H ö r e n Freundinn sagt?
Sie wohl,
mein
liebstes
Lorchen,
was
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Ihre
gute
Lorchen. Ich bin über diese unschuldige Aufrichtigkeit so gerührt, d a ß ich gehen muß, wenn Sie nidit die Zeichen meiner Schwachheit in meinen Augen sehen sollen" 3 9 ). Aber dann ringt sich Eleonore zu einem Entschluß durch: „Simon (zu Lorchen). Wollen Sie Christianchens Wünschen -und mein Bitten S t a t t finden lassen? . . . Ich bin zu zärtlich gerührt, als d a ß ich viel reden könnte. Mein Glück steht bey Ihnen, und ich will es nicht meinen Bitten, sondern Ihrem freywilligen Entschlüsse zu danken haben. Lorchen (zu Christianchen). Dir, redliches Kind, soll ich Liebsten rauben? Dieses kannst D u mir zumuthen" 4 0 ).
Deinen
Als Freier Simon die zersprungene Kaffeetasse mit einem ganzen „ A u f s a t z " guten Porzellans vergütet hat, steht auch von Seiten der Frau Richardin der H e i r a t nichts mehr im Wege. Die rechtschaffene Eleonore, die von sidi sagte: „Ein Mädchen k a n n a r m seyn, u n d doch Verstand, Tugend, Lebensart, und Geschicklichkeit im H a u s wesen haben" 4 1 ), neidet ihrer Freundin den Werber nicht. Sie löst ihre Verlobung mit Simon: „ . . . ich gestehe Ihnen, d a ß ich mir kein größer Glück in d e r Welt wünsche, als die Frau eines so edelgesinnten Mannes zu seyn . . . I h r H e r z w a r nicht f ü r mich, sondern f ü r Christianchen, bestimmt, und je mehr Vergnügen idi in der Ehe mit Ihnen w ü r d e genossen haben, desto unruhiger w ü r d e ich geworden seyn, d a ß ich meiner Freundinn so viel entzogen hatte. Werfen Sie mir nicht vor, d a ß ich zu zärtlich in der Freundsdiafl bin. Idi will lieber durch den Ueberfluß der Freundschaft fehlen, als durch den Mangel" 4 2 ). D e r Lohn f ü r soviel C h a r a k t e r s t ä r k e bleibt nicht aus. Eleonore w i r d von einem reichen V e r w a n d t e n der Familie an Kindesstatt a n genommen; er will sie glücklich machen. Die „Betschwester" ist ein Paradebeispiel, wie man in den vierziger J a h r e n dem Gefühlsleben in den Lustspielen immer größeren Platz einräumte. Die W o r t e Tugend, Empfindung, Zärtlichkeit kehren wieder u n d wieder. Wir befinden uns in einer Welt, in der E m p 39 ) C. F. Gellerts sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe, II, Leipzig 1853 S. 171 (II, 5). « ) ebd. S. 171 f. (II, 5). 41 ) ebd. S. 179 (III, 2). ebd. S. 196 (III, 11).
5 Daunicht, Trauerspiel
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D i e Dramenkriterien u n d das deutsche rührende Lustspiel
finduragsfähigkeit und Seelengröße schöne Ideale darstellten. In dieser Weise wertvolle Eigenschaften zu haben, sollte die beste Empfehlung sein. Wenn die Tugendhaften eine Schwäche haben, ist es oft nur die Schwäche der Armut. Andere Personen dagegen sind begütert, zeigen sich aber nicht gerade immer zu ihrem Vorteil 43 ). Dennoch ist natürlich eine eindeutige Schwarzweißzeichnung, bei der es nur abgrundschlechte und engelreine Menschen gibt, vermieden. Die Charaktere sind gedämpft, Auswüchse nach oben und unten beschnitten. Bezeichnend, daß Geliert in der „Betschwester" den nur Frommen, der doch eigentlich ein Ausbund von Moral sein müßte, parodieren konnte. Es bedeutete, daß der Dichter, und nicht nur er allein, den ganz Tugendhaften als Überspitzung empfand. Er ließ ihn in das Amoralische umkippen, vielleicht aus dem Gefühl heraus, daß sich wirkliche Vollkommenheit an einem Menschen nicht denken lasse 44 ). Eine Besonderheit dieser Komödienspielart liegt in dem zuweilen sächselnden Wortreichtum der Personen u n d in der mangelhaften Verwicklung. Geliert war durch die übliche theologische Schule hindurchgegangen. Mag das die breite Suada mitveranlaßt haben, so wie es die Gesamtatmosphäre des Stücks begünstigt hat. Allerdings war die Weitschweifigkeit im Zeitalter der Komplimente und Reverenzen zu Hause. Die mangelhafte Technik läßt sich dadurch erklären, daß Geliert bis dahin erst wenig dramatische Erfahrung besaß, zumal er vorher nur Schäferspiele geschrieben hatte. In seinem zweiten Stüde, dem damals sehr beliebten „Los in der Lotterie" aus dem Jahre 1746 45 ) stehen sich wiederum einige boshafte und gutherzige Charaktere gegenüber. Mit jedem der fünf Akte gelangt das Los in andere Hände. N u r die erste Besitzerin, Frau Dämon, hatte ein gutes Werk im Sinn, indem sie es dem armen Carolinchen zuwenden wollte; alle anderen, die es erhalten, nach der Reihe der geldgierige Danion, der flatterhafte Simon (ein Deutschfranzose) und die niedrigdenkende Frau Orgon, zeigen ebenso wie der indolente, phlegmatische Orgon selbst ihre moralischen Gebrechen, ehe Caro43 ) A u f die große Rolle, die das Geld bei Geliert spielte, weist H a n s Richard Altenhein hin: Geld und Geldeswert im bürgerlichen Schauspiel des 18. Jahrhunderts, Diss. K ö l n 1952. 44 ) Eine ähnliche Satire der Zeit „auf ihre eigene passive seelische H a l t u n g " hat im Charakter Orgons (Das Los in der Lotterie) F. Brüggemann erblidct (vgl. D i e bürgerliche Gemeinschaftskultur a. a. O. S. 25 f.). D a z u ist allerdings zu sagen, daß der Charaktertypus „Orgon" im Französischen (Moliere!) vorgebildet scheint. 45 ) Bremer Beiträge a. a. O . Bd. III, Stück 5 und 6.
Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
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lindien zuletzt zu dem ihr längst bestimmten Lose gelangt. Es wird mit zehntausend Talern gezogen, und dies gibt Carolindien und Frau Dämon Gelegenheit zu einem Wettstreit des Edelmuts. Eine drängt der andern den Gewinn auf, jede verzichtet von Herzen gern. Carolindien macht endlich nadi vierjähriger Wartezeit ihren gerührten Bräutigam und sich selbst damit glücklich: ein letzter H ö h e p u n k t der edlen Handlungen. Auch in den „Zärtlichen Schwestern", die Geliert zuerst 1747 in seinen „Lustspielen" veröffentlichte, greift er auf die bewährte Polarität von überwiegend guten und überwiegend schlechten Charakteren zurück. Ähnlich wie in der „Betschwester" wird mit Siegmund ein Boshafter an den Pranger gestellt. Eine weitere Entsprechung liegt darin, daß zwei Mäddien um die Palme der Tugend ringen. Die H a n d l u n g folgt in wichtigen Punkten der in „L'ingrat" des Destoudies 48 ). Lottdien und Juldien nebst ihren Liebhabern Siegmund und Damis stehen im Vordergrund. Julchen, das sich seine innere Freiheit bewahren will und zu dessen Ruhe es angeblich gehört, ohne Liebe zu leben, soll zu seinem Glück an der Seite des Damis gezwungen werden — so verabredet es Schwester Lottchen mit den beiden Männern. Inzwischen wird bekannt, daß eine Tante dem Julchen ein Rittergut als Erbschaft hinterlassen hat; Lottchen geht leer aus, sieht aber gern auf -die Freude der Schwester: „Es ist meine größte Wollust die Regungen des Vergnügens bey andern ausbrechen zu sehen. U n d wenn ich viel hätte, idi glaube, ich verschenkte alles, nur um die Welt froh zu sehen" 47 ). Als Julchen endlich (12 Auftritte danach!) davon erfährt, möchte es die traurige Erbschaft mit der edlen Schwester teilen. Sie fühlt sich 46 ) Vgl. Erich Schmidt in der Allgemeinen deutschen Biographie VIII S. 547; Johannes Coym, Gellerts Lustspiele. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Lustspiels (Palaestra II), Berlin 1899, S. 60. Wenn Hans Wetzel, Das empfindsame Lustspiel der Frühaufklärung (1745—1750), Zur Frage der Befreiung der deutschen Komödie von der rationalistischen und französischen Tradition im achtzehnten Jahrhundert, Diss. München 1956, S. 161 f. Erich Schmidts Bemerkung „ein Musterbeispiel, mit dem die ganzen äußerlichen Abhängigkeitsnachweise ad absurdum geführt werden", nennt, so kann man seiner Begründung nicht immer folgen; wie u. a. die weiter unten angeführten Urteile zeigen, die Damis und Lottchen über Siegmund fällen, ist Siegmund sehr wohl mit Destouches' zynischem und skrupellosem Damis zu vergleichen.
*T) Gellerts sämmtlidie Schriften a. a. O. II S. 47 (II, 7). 5*
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überdies jetzt so, wie es die drei „Verschwörer" planten, von ihrem Damis unverstanden. In einer rührseligen Szene standen sich die beiden Liebenden gegenüber. „Julchen (ganz betroffen). Nein, ich bin nicht traurig. Aber ich erschrecke, daß ich Sie so bestürzt sehe. Ja — ich bin nicht traurig. Ich bin ganz gelassen, und ich wollte, daß Sie auch so wären. H a l t e n Sie mich nicht bey der H a n d . Ich will Sie verlassen. Ich wollte meine Schwester suchen und ihr sagen — . . . H e r r Siegmund hat nach ihr gefragt, und meine Schwester sprechen wollen, und mich gebeten — (Sie sieht ihn an.) In Wahrheit, Sie sehen so traurig aus, d a ß man sich des Mitleidens — (Sie wendet das Gesicht bey Seite.) Damis. Meine Juliane! Ihr Mitleiden — Sie bringen mich zur äußersten Wehmuth. Julchen. U n d Sie machen mich auch traurig. Warum hielten Sie mich zurück? Warum weinen Sie denn? (Sie wiill ihre Thränen verbergen.) Was fehlt Ihnen? Verlassen Sie mich, wenn ich bitten darf" 4 8 ). Siegmund war beauftragt, sich in Juldien verliebt zu stellen. Schon hat er sich, wie er glaubt, in ihr H e r z eingeschlidien. Unbeschwerten Sinnes verrät er nun Lonchen, das seit zwei Jahren seine Brau: ist, um mit Julchen das Rittergut zu bekommen; die Gelegenheit ist ja so günstig. Aber Siegmunds Versuch endet schließlich doch erfolglos. Es stellt sidi nämlich heraus, daß nidit Juldien die Erbin ist, sondern L o n chen. Alles, was Siegmund schon eingefädelt hatte und noch einfädeln wollte, ist gescheitert, alle Verstellung hat nichts genützt. Auch der Rückzug auf Lottdien rettet den Heuchler nicht. Er, „der ein böses Herz bey der Miene der Aufrichtigkeit hat" (III, 9), wird entlarvt. In Damis' Augen ist er schlimmer „als ein Mensch, der einen andern aus Hunger auf der Straße umbringt" (III, 9), und er möchte ihn am liebsten „mit Freuden" töten. Aber auch Lottchen überwindet das Unglück nur schwer, sie kann nidit an Siegmunds Untreue glauben, und noch zuletzt, als sie sich von ihm bereits losgesagt hat, will sie ihn mit soviel Geld entsdiädiigen, daß er „künftig weniger Ursache habe, ein redliches H e r z zu hintergehen" (III, 20). Die komischen Szenen in diesem Stüdt treten hinter den ernsten z.urüdc. Sie beschränken sich fast ganz auf die Nebenfigur des Magisters, der mit wolffianischen Deduktionen seiner Nichte Julchen beweisen will, daß sie nach dem „Redite der N a t u r " „zur Ehe verbunden" sei (I, 9). Alle drei Komödien — das „Los in der Lotterie" etwas weniger als die beiden anderen — beziehen aus dem empfindsamen Element ihr 48
) ebd. II S. 44 (II, 4).
D i e Dramenkriterien und d a s deutsche rührende Lustspiel
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Leben und ihre Stärke. D a s ist auch des Dichters künstlerische Absicht. Er selbst gibt den Schlüssel, indem er schreibt: „Sollten einige an der Betschwester, dem Loose in der Lotterie und den zärtlichen Schwestern überhaupt tadeln, daß sie eher mitleidige Thränen, als freudige Gelächter erregten: so danke ich ihnen zum voraus für einen so schönen V o r w u r f " 4 9 ) . Als Vorbilder kommen die charakteristischen Lustspiele des M a r i v a u x und des Destouches in Betracht, weniger die des de la Chaussée, an den man wegen der zeitlichen N ä h e denken könnte 5 0 ). D a s bestätigt Geliert selbst später in seiner Abhandlung über die rührende Komödie, auf die weiter unten näher eingegangen wird 5 1 ). Nachdem er das „ L o s in der Lotterie" ein Beispiel für solche Dichtungen genannt hat, in denen „mit Beybehaltung der Freude und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbewegungen an dem gehörigen Orte angebracht" sind 5 2 ), führt er de la Chaussées „ M é l a n i d e " auf der Gegenseite als ein Stück der „anderen G a t t u n g " an, wo „lustige und auf gewisse Art lächerliche Charaktere" nur wenig hervortreten und „nur der Veränderung wegen mit eingemischt sind und das H a u p t w e r k ganz und gar nicht vorstellen sollen"" 3 ). Ein Vergleich mit der „Mélanide" fällt auch schon wegen der verwickeiteren H a n d l u n g in dem D r a m a de la Chaussées schwer. A n Destouches wiederum reicht Geliert aus anderen Gründen nicht heran. Es mangeln die künstlerische Fertigkeit, die S t r a f f u n g und der Schwung. Unter seinen H ä n d e n verbreitert sich die Verwicklung, verflachen die Charaktere. Diese Stücke meinte Schiller in der „ J e r e m i a d e " : Schöne N a i v e t ä t der Stubenmädchen zu Leipzig, K o m m doch wieder, o komm, witzige Einfalt, zurück! K o m m , Komödie, wieder, du ehrbare Wochenvisite, Siegmund, du süßer Amant, Mascarill, spaßhafter Knecht! Trauerspiele voll Salz, voll epigrammatischer N a d e l n , U n d du, Menuetschritt unsers geborgten Kothurns! ) ebd. II S. 6 (Vorrede zu der A u s g a b e der Lustspiele von 1747). ) Obgleich Wetzel a. a. O . S. 162 die Bemerkung Gellerts über de la Chaussée (vgl. die folgende A n m . ) falsch auslegt und meint, Geliert habe den Franzosen als vorbildlich hinstellen wollen, k o m m t er doch auch zu dem Ergebnis, d a ß zwischen Geliert und M a r i v a u x eine größere V e r w a n d t s c h a f t als zwischen Geliert und de la Chaussée bestehe (vgl. Wetzel a, a. O . S. 162 ff. 168 ff.). 5 1 ) s. S. 88 ff. 62) Gotth. E p h r . Leßings Theatralische Bibliothek, Erstes Stück, Berlin 1754, S. 5 9 ; — Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Mundcer) B d . V I S. 38. 5 3 ) ebd. S. 6 3 ; — Lessings sämtliche Schriften (Ladimann-Mundcer) B d . V I S. 40 f. 49
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Zu Tränen geneigte Männer und Frauen bilden den Kreis der T u gendhaften; f ü r sie ist das Taschentuch ein höchstwichtiges Bühnenrequisit. Sie sollen dem Publikum als lebende Beispiele die „Gelassenheit" in Leiden und Freuden demonstrieren. Die Bösen aber tragen den Lohn ihrer Übeltaten mit sich fort. Trotz mancher künstlerischen Problematik der Technik — der Einakter „Die kranke Frau" ist z. B. nichts anderes als eine dramatisierte Fabel Gellerts — bieten diese sentimentalen Dramen ein getreues Abbild der damaligen Zeit. Man sollte sich hüten, in ihnen nur einen pathologischen Sonderfall zu sehen. Lessing traf den Nagel auf den Kopf: „Es sind wahre Familiengemälde, in denen man sogleich zu Hause ist; jeder Zuschauer glaubt, einen Vetter, einen Schwager, ein Mühmdien aus seiner eigenen Verwandtschaft darinn zu erkennen" 5 4 ). Audi da, wo die Redseligkeit Gellerts fast uferlos scheint, haben wir uns vor Augen zu halten, daß das einst der wahre Gesprächston war. Soll man es Geschwätzigkeit nennen? W a r es nicht vielmehr ein H i n und-her-Wenden des Gedankens, wie es später Lessing immer vollendeter beherrschte? Das gleiche gilt von der vorhin angedeuteten Gedämpftheit der Charaktere. Sie steht zum Gesprächsstil in enger Beziehung. Es läßt sich zeigen, daß Geliert allen harten und groben Formulierungen deshalb die Spitze abbog oder abbrach, weil die Höflichkeit den Ton der Welt ausmachte. Die guten Umgangsformen verlangten einfach, daß jedermann im gewandten Ausdruck exzellierte, daß er vornehm so „tat, als ob", daß er auf den Wortbedeutungen balancierte. Diplomatische Täuschung und Dialektik hatten in die Alltagssprache Eingang gefunden. Wenn Lottchen in den „Zärtlichen Schwestern" Julchen f r a g t : „Bist du etwan darüber verdrießlich, daß ich in der Heftigkeit ein Wort wider den Herrn Damis —" B5 ), so müßte man eigentlich annehmen, Lottchen sei über ihn hergezogen und habe ihn in seiner Abwesenheit schlecht gemacht. Was aber hat Lottchen wirklich in ihrer Heftigkeit gesagt? „ H e r r Damis ist ganz gewiß verständiger, als ich; aber er ist auch ein Mensch, wie ich; und der beste Verstand hat seine schwache Seite" 58 ). M ) Hamburgische Dramaturgie, 22. Stück; — Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Mundcer) Bd. I X S. 273. Vgl. auch Lessings Äußerungen über die weinerlichen Komödien im 8. Stüde der Hamb. Dramaturgie. w ) Gellerts sämtliche Schriften a. a. O. II S. 24 (I, 8). M ) ebd. II S. 23 (I, 8).
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So geht es öfters. Die Ausdrucksweise ist „untertrieben", die Sätze erscheinen d a r u m verklausuliert. Viele der uns heute sehr, sanft und höflich vorkommenden Redewendungen wurden damals ganz anders verstanden und kommentiert. Spitzfindige Bemerkungen heißen „Spöttereyen" 5 7 ), vorsichtige Andeutungen gelten als Beschimpfungen. Aus der immer wieder angewendeten Ironie hört m a n die w a h r e Meinung heraus. Alle Figuren dieser Theaterstücke sind empfindlich, haben feine O h r e n f ü r versteckte Anspielungen. Das ist nicht verwunderlich, w i r d doch oft selbst da, w o m a n beleidigen will, noch ein K o m p l i m e n t daraus: „Siegmund. . . . H ö r t e n Sie nicht den boshaften Ausdruck: W i r wollen wünschen, d a ß alle Liebhaber so edel gesinnt seyn mögen, als mein Mündel? — Ist dieses nicht eine unverschämte Anklage wider mich?" 5 8 ) Diese von der unsrigen gänzlich verschiedene P l a t t f o r m , auf der sich Rede und Gegenrede folgen, ist zu berücksichtigen, wenn m a n die Gesamthaltung der traurigen Komödien G e l l e m bewerten will. Sie bilden mit der Betonung des Gefühlslebens und ihrem vorwiegend ernsten I n h a l t als Spiegelung der Wirklichkeit und der Zeitmode eine wichtige Übergangsstufe. Die Generation der „Bremer Beiträger" leistete damit ihren bedeutendsten Beitrag zum deutschen D r a m a . Mögen diese Stücke auch heute auf der Bühne fast ungenießbar sein, mag ihre Galanterie gefährlich an innere U n w a h r h a f t i g k e i t grenzen, so prägt sich doch in ihnen der Wille der Allgemeinheit aus, die den bürgerlichen Alltag, realistischer auf der Bühne dargestellt sehen wollte. Was bisher in den Intrigen- und Verwechslungsstücken vorgebracht worden w a r , genügte nicht mehr. Die Beschränkungen, von denen das Lustspiel eingeengt w o r d e n w a r , fielen; ja, das Ende der Possen schien h e r a u f z u d ä m m e r n , wenn das Mitleid und die sanften Zähren, die f r ü h e r der Tragödie vorbehalten waren, auch dem Lustspiel eigen sein sollten. Von hier aus gesehen, bezeichnet das Gellertsche Rührstück einen W e n d e p u n k t , und da es sich in anderer Beziehung (Anzahl der Akte!) auch nicht unbedingt an das Regelsystem band, w a r es geeignet, die Bewegung, die die Tragödie von den Vorschriften entfernte, mittelbar zu fördern. 5T S8
) z. B. ebd. II S. 23. ) ebd. II S. 78 (III, 7).
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Aus den Aufführungsdaten, soweit sie überliefert sind, läßt sich ablesen, daß den Gellertschen Lustspielen ein ziemlicher Erfolg besdiieden war und daß sie auf einen festen Zuschauerkreis rechnen konnten. Über den Spielplan der Neuberin sind wir nur ungenügend unterrichtet. Aus einem von mir entdeckten Aufführungsverzeichnis dieser Truppe geht hervor, daß man zwischen dem 1. November 1746 und der Fastenzeit 1747 in Leipzig drei Stücke Gellerts gab. Es waren die beiden Schäferspiele in einem A k t „Das Band" (3. Januar 1747) und „Sylvia" (16. Januar 1747) sowie die dreiaktige „Betschwester" ( S . J a nuar 1747) 59 ). Von der ersten Vorstellung der „Zärtlichen Schwestern" haben wir nur die kurze Nachricht in Chr. H . Schmids „Chronologie des deutschen Theaters". Danach tat das Stück bei der Première „außerordentlichen Effekt, vornehmlich durch das Spiel der Demois. Klefelderinn und Lorenzinn, welche damals die beiden Schwestern machten" 6 0 ). Diese A u f f ü h r u n g dürfte aiber nicht, wie Schmid schreibt, 1745 stattgefunden haben, sondern in die Zeit zwischen Ostern 1747 und Ostern 1748 zu verlegen sein; Ostern 1745 wurde die Schauspielerfamilie Lorenz nämlich von Schönemann engagiert 61 ), Ostern 1748 ging Mademoiselle Lorenz nach Wien152), und aus dem Winterhalbjahr 1746/47 sind keine Vorstellungen des Lustspiels bekannt 6 3 ). Das Stück erschien in Buchform im Jahre 1747 64 ), und Sdiönemann gab es, wie wir gleich seihen werden, seit 1749. Bei ihm, dem schärfsten Konkurrenten der Neuberin, begann die Zeit Gellerts erst verhältnismäßig spät. Wir sind in der Lage, die Erstauffü'hrungstermine der meisten Stücke anzugeben. Sie fallen nämlich in 59 ) Vgl. Christian Nicolaus Naumann, Der Liebhaber der schönen Wissenschaften, Erster Band, Jena 1747, S. 262—273, 400—407; s. auch Daunicht, Die Neuberin a. a. O. S. 95—98. 60 ) Christian Heinrich Schmid, Chronologie des deutschen Theaters, neu hrsg. von Paul Legband (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte Bd. I), Berlin 1902, S. 78. 81 ) Nach Ekhofs Verzeichnis der von Schönemann zwischen dem 28. X I I . 1744 und dem 18. X I I . 1750 gespielten Stücke (vgl. S. 180 f. und Anm. 158) debütierte „Jgfr. Lorenz" am 7. IV. 1745 in Breslau als Fulvia in Corneilles „Cinna". 62 ) Chr. H . Schmid, Chronologie des deutschen Theaters a. a. O. S. 84. 63 ) Daunicht, Die Neuberin a. a. O. S. 95 ff. Schon Woldemar Haynel, Gellerts Lustspiele, Diss. Leipzig 1896, S. 37, erwähnte außerdem eine Anspielung auf den 1746 erschienenen ersten Teil der Gellertschen „Fabeln und Erzählungen" — vgl. Die zärtlichen Schwestern I, 10 — und schloß a . a . O . S. 72 aus ihr, daß das Stüde nicht bereits 1745 gespielt worden sein könne. M ) C. F. Gellerts Lustspiele, Leipzig 1747. Die Vorrede ist datiert: „Leipzig, im Monat September, 1747."
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die Jahre 1745 bis 1750, aus denen Listen Conrad Ekhofs erhalten geblieben sind 65 ). Danach war „Das Band" schon 1745 in das Repertoire aufgenommen worden, „Sylvia" wurde am 18. Mai 1745 zum erstenmal gespielt. Zu den für uns wichtigeren anderen Lustspielen lauten die Daten: „Die Betschwester": Erstaufführung am 12. Februar 1748 in Braunschweig. Weitere Aufführungen: 1748: 15. März, 2., 25. April Breslau, 25. Juni Halle, 9., 14. August Braunschweig, 7. November Hannover. 1749: 23. Januar Celle, 23. September Dessau, 7. Oktober Leipzig, 1. Dezember Breslau. 1750: 12. Januar, 15. Mai Leipzig, 12. September Göhrde (Hannover), 28. Oktober Schwerin. „Das Los in der Lotterie": Erstaufführung am 7. Juni 1748 in Breslau. Weitere Aufführungen: 1748: 9. September Braunschweig, 9. Dezember Hannover. 1749: 31. Januar Braunschweig, l . M a i 5. August Göttingen, 16. Dezember Breslau.
Leipzig,
16. Juni
Halle,
1750: 14. Mai Leipzig, 10., 18., 28. August Hamburg, 15. September Göhrde, 19. Oktober Schwerin. „Die zärtlichen Leipzig.
Schwestern":
Erstaufführung
am
6. Mai 1749
Weitere Aufführungen: 1749: 5. Juni Leipzig, 28. Juli Göttingen, 14., 28. August schweig, 24. November Breslau.
in
Braun-
1750: 8. Mai Leipzig, 20., 26. August Hamburg, 8. September Göhrde, 16. Oktober Schwerin, 30. November Schleswig. Nach dieser Statistik war „Die Betschwester" in 204 Aufführungen des Jahres 1748 achtmal, „Das Los in der Lotterie" dreimal vertreten. 1749 entfielen von 185 Aufführungen 4 auf die „Betsdiwester", 5 auf das „Los in der Lotterie" und 6 auf die „Zärtlichen Schwestern". 1750 waren von 175 Vorstellungen 4 der „Betschwester", ; 6 dem „Los in der Lotterie" und ebenfalls 6 den „Zärtlichen Schwestern" vorbehalten.,Die Zahl der jährlichen Aufführungen nimmt nur bei der „Betschwester" ab. Zum Vergleich damit sollen hier die entsprechenden Ziffern für Gellerts Einakter „Die kranke Frau" folgen. Das Stück wurde am 6S ) Die folgenden Daten stammen aus dem oben Anm. 61 angeführten A u f füheungsregister.
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13. November 1748 in H a n n o v e r erstaufgeführt. 1749 kam es zu insgesamt 11, 1750 zu 10 Vorstellungen, wobei es gewöhnlich als Nachspiel fungierte. Heinrich Gottfried Koch gab G e l l e m Stücke in den ersten beiden Jahren seiner Direktion, die er 1750 antrat, überhaupt nicht 66 ). D a n n begann er am 19. April 1752 mit der „Betschwester" und nahm am 26. Mai desselben Jahres auch die „Zärtlichen Schwestern" in seinen Spielplan auf 6 7 ). Ist diese Verzögerung schon eigenartig, so befremdet die Tatsache, daß Koch das „Los in der Lotterie" erst am 25. Juli 1758 in H a m b u r g zum erstenmal aufführte, noch mehr 6 7 ). Wenn Koch in Leipzig die Lustspiele des einheimischen Dichters so vernachlässigen konnte, bedeutet es wohl ein Absinken der Anziehungskraft des R ü h r stücks in den fünfziger Jahren. Lessing hatte recht, wenn er 1754 über diese Komödien schrieb: „Ihre Zuschauer wollen ausgesucht seyn, und sie werden schwerlich den zwanzigsten Theil der gewöhnlichen Komödiengänger ausmachen. Doch gesetzt sie machten die H e l f t e derselben aus. Die Aufmerksamkeit, mit der sie zuhören, ist, wie es der H e r r Prof. Geliert selbst an die H a n d giebt, doch nur ein Kompliment, welches sie ihrer Eigenliebe machen" 6 8 ). Mittlerweile hatten sidi auch f ü r die meisten französischen rührenden Lustspiele gute deutsche Übersetzer gefunden. Insbesondere aus dem Kreise der „Bremer Beiträger" stammen einige wichtige Übertragungen. Schon 1745 machten sich Karl Christian Gärtner und Johann Elias Schlegel an Destouches* „Le Glorieux" 6 9 ). Gärtner allein übersetzte von demselben französischen Dichter „Les Philosophes amoureux" im 66
) Vgl. das Verzeichnis der Tragödien and Comödien von fünf und drey Ackten, welche vom Jahr 1750 an auf dem Kochischen Theater und wann solche zum erstenmale aufgeführet worden, Hamburg o. J. (um 1760). 67 ) ebd. 68 ) Theatralische Bibliothek a. a. O. I S. 84; LM VI S. 52. 69 ) Vgl. die von Johann von Antoniewicz in der Vorrede zu: Johann Elias Schlegels aesthetische und dramaturgische Schriften (Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts 26), Heilbronn 1887, S. C X X X I I I ff. angeführten Belege. Nach Chr. H . Schmids „Nekrolog, oder Nachrichten von dem Leben und den Schriften der vornehmsten verstorbenen deutschen Dichter", Berlin 1785, hat Schlegel die „von Gärtner angefangene poetische Uebersetzung" vollendet. Zur Ergänzung dieser Nachrichten vgl. Hamburgische Beyträge zu den Werken des Witzes und der Sittenlehre I, 1 (Hamburg 1753), S. 194. Dort wird „Herr Schlegel" als der Übersetzer des „Ruhmredigen" sehr gelobt.
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Jahre 1746 7 0 ). Diese Tatsachen sind nur z u m Teil neu. U n b e k a n n t aber w a r bisher der Urheber der ,,Mélanide"-Ûbersetzung, die in Prosa ebenfalls 1746 in der „Sammlung einiger Schriften z u m Zeitvertreibe des Geschmacks" erschien 71 ). Wie Chr. H . Schmid in seinen „Zusätzen zur Theorie der Poesie" überliefert hat, handelt es sidi um N i k o l a u s Dietrich Giseke 7 2 ). Dies dürfte die gleiche Obersetzung sein, nach der auch 1767 in H a m b u r g gespielt wurde und die Lessing im 8. Stück seiner „ H a m burgischen Dramaturgie" lobend erwähnt 7 3 ). Hierher Adam
gehören
Gottfried
übersetzten, Madame
weiter
Uhlich
einzelne und
andere
und kleinere Piècen v o n
Favart 7 4 ).
Schließlich
kamen
Stücke
von
zwischen
Marivaux, 1745
1750
Poisson
und
Sammlungen
von
Fagan, Voltaire, die
ersten
die
und
70 ) Nach Hans Devrient, Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellsdiaft (Theatergeschichtliche Forschungen X I ) , Hamburg und Leipzig 1895, S. 131 und 362, übertrug Gärtner das Lustspiel „Der verliebte Philosoph" (!) von Destouches ins Deutsche. Es dürfte sich dabei um folgende Ubersetzung handeln: „Die verliebten Philosophen. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen aus dem Französischen des Destouches", Leipzig 1746. Die Angabe Devrients wird dadurch bestätigt, daß auch in der Katalogkartei der ehemaligen Landesbibliothek Neustrelitz Gärtner als Urheber dieser Verdeutschung bezeichnet wurde. Goedeke, Grundriß der deutschen Dichtung, und Betsy Aikin-Sneath, Comedy in Germany in the first half of the eighteenth Century, Oxford 1936, S. 102 kennen den Übersetzer nicht. 71 ) Die in Leipzig 1746 f. veröffentlichte „Sammlung einiger Schriften" rührte von Giseke, Gärtner, Johann Adolf Schlegel und anderen „Belustigern " her; vgl. Schnorrs Archiv f ü r Literaturgeschichte Bd. V (1876) S. 41 und Franz Ulbridi, Die Belustigungen des Verstandes und des Witzes (Probefahrten 18), Leipzig 1911, S. 209. 72 ) Zusätze zur Theorie der Poesie, und Nachrichten von den besten Dichtern. Theorie der Poesie und Nachrichten von den besten Dichtern. Zweiter Theil nebst den Registern über das ganze Werk, Leipzig 1767. 1768. Tabellarischer Plan: Anm. bei S. 482, vgl. a. a. O. S. 41. 73 ) Hildegard Bonde, Die Übersetzer der in der „Hamburgischen Dramaturgie" behandelten französischen Theaterstücke, in: Lessing und Hamburg (Festgabe zur Zweihundertjahrfeier der Geburt des Dichters), Hamburg o. J. (1929), kennt Giseke als Urheber der Übersetzung nicht, ebensowenig ist er Aikin-Sneath (a. a. O. S. 103) und Goedeke bekannt. 74 ) Besonders bedeutsam ist die Einbürgerung von Marivaux' „La mère confidente". Uhlich brachte dies „sensibelste" Stück des französischen Dichters (vgl. Joseph Pinatel, Le drame bourgeois en Allemagne au X V I I I m e siècle, Thèse Lyon 1938, S. 25) im Jahre 1745 oder 1746 heraus: Erste Sammlung neuer Lustspiele, welche theils übersetzt, theils selbst verfertiget hat, A. G. U., Danzig und Leipzig 1746. Uhlich ist auch wegen der in derselben Sammlung befindlichen Komödie „Der Mohr" zu nennen. Der darin enthaltene Anteil an Rührseligkeit kommt allerdings gegen die saftige und drastische Komik nicht auf. Vgl. Ferdinand Heitmüller, Adam Gottfried Uhlich (Theatergeschichtliche Forsdiungen VIII), H a m b u r g und Leipzig 1894, und Aikin-Sneath
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Stüde en moderner französischer Dramatiker in deutscher Sprache heraus. Von Johann Elias Schlegel stammte eine Übersetzung des Saintfoix; ihre beiden Bände erschienen mit der Jahreszahl 1750, in Wirklichkeit aber schon 1749 7 5 ). U n d Johann Christian Krüger lieferte 1747 und 1749 in zwei Bänden eine Gesamtausgabe der Lustspiele des Marivaux 7 8 ). Krüger ist aber nicht nur wegen seiner sehr gut gelungenen Übersetzungen rühmlich ¡bekannt, von denen die vielgespielte Umdichtung des „L'héritier de village" mit plattdeutschen Rollen ein Erfolgsstück Ekhofs war. In seinen eigenen Werken zeigt er sich als ein sehr begabter Lustspielautor der vorlessingischen Epoche. Mit ihm erreicht die Verarbeitung des gefühlvollen Elements in der deutschen Komödie der vierziger Jahre eine neue Stufe 7 7 ). Krüger hält als Theaterfachmann — er war Schauspieler in Schönemanns Truppe — durchaus nicht jede dramatisdie Regel für unantastbar, wie sein Märdienspiel „Der blinde Ehemann" in drei Akten aus dem Jahre 1747 beweist. H i e r hat sich der Dichter nach dem Vorbild Saintfoix', in dessen „L'oracle" eine Prinzessin auftritt, über die Ständeordnung in der Komödie hinweggesetzt 7 8 ). Er konnte sich aber auch, indem er einen Prinzen unter Lustspielfiguren agieren ließ, auf Pierre Corneilles Comédie héroïque und Marivaux' „Le prince travesti" berufen. a. a. O. S. 64. Unter den anderen damals übersetzten Lustspielen waren die Einakter: „L'indiscret" (von Voltaire), „La pupille" (von Fagan), „Le procureur arbitre" (von Poisson) und „La chercheuse d'esprit" (von Mad. Favart); vgl. Aikin-Sneath, a. a. O. S. 102 ff. 7B ) Des Herrn von Saintfoix Theatralische "Werke, aus dem Französischen übersetzt, 2 Teile, Leipzig 1750. Daß J. E. Schlegel der Übersetzer -war, bezeugt Chr. H . Sdhmid, Chronologie des deutschen Theaters a. a. O. S. 97. Zum Erscheinungsjahr vgl. J. S. Ersdi, Das gelehrte Frankreich oder Lexicon der französischen Schriftsteller von 1771 bis 1796, Bd. III, Hamburg 1798, S. 227. Ch. A. Widimann ergänzte 1768 die unvollständig gebliebene Ausgabe mit zwei weiteren Bänden, die bei Goedeke nicht verzeichnet sind. 76 ) Sammlung einiger Lustspiele aus dem Französischen des Herrn von Marivaux übersetzt, 2 Teile, Hannover 1747 und 1749. 77 ) Vgl. Wilhelm Wittekindt, Johann Christian Krüger, sein Leben und seine Werke, Berlin 1898. 78 ) Johann Christian Krügers Poetische und Theatralische Schriften, hrsg. von Johann Friedrich Löwen, Leipzig 1763. Im „Blinden Ehemann" spielt sich' ein heiteres Feenmärchen vor dem Hintergrund einer tugendhaften Handlung ab. Audi Krügers letztes Stück, „Der Teufel ein Bärenhäuter" (1749), beherbergt ein deutlich sichtbares Gefühlselement. Daß Krüger audi sonst sehr bewußt gegen die Vorschriften auftreten konnte, zeigte er, als er die „unnöthigen Regeln, wie z. E. die Regel der fünf Handlungen" tadelte; Natur und Vergnügen schienen ihm höhere Ideale: Auf sie solle der Dramatiker achten. Vgl. Wittekindt a. a. O. S. 106.
Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
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Krüger räumte in seinen Komödien den gefühlvollen Szenen einen festen P l a t z ein. Sie durchdringen manchmal das ganze Stück und bilden das eigentliche Gerüst, sie sind aber zum Zwecke der Theaterwirk'samkeit genau bemessen und stehen mit den nur komischen A u f t r i t t e n im Gleichgewicht. Krüger erkannte, d a ß m a n dem Lustspiel doch immer geben muß, was ihm gehört. Deshalb vereinigen die „ C a n d i d a t e n oder die Mittel, zu einem A m t e zu gelangen" 7 9 ), die damals als sein -beliebtestes Stück galten, eine gefühlvolle H a n d l u n g mit komödiantischem Intrigenschmuck. Das ehrlich denkende P a a r Caroline u n d H e r m a n n zeigt darüber hinaus echtes bürgerliches Selbstbewußtsein. Wenn C a r o line sich den sie mit „niederträchtigen A n t r ä g e n " verfolgenden G r a f e n vom Leiibe hält, nimmt sie die Anständigkeit als Vorrecht des bürgerlichen Menschen in Anspruch: „. . . ich sowohl, als H e r m a n n , wir lassen unsern niedrigen Stand niemals aus den Augen; es ist f ü r uns zu vornehm, so niederträchtig zu seyn. Was uns an äußerlichem Glücke abgeht, müssen wir uns durch das Glück einer zärtlichen und t u g e n d h a f t e n Liebe ersetzen. Leute von Ihrem Stande aber können diese Wollust leicht entbehren; denn Sie können sich in dem Ueberflusse anderer G ü t e r sättigen." ( I I I , 3.) Diese Kontrastierung eines durchaus unsympathischen und im Sinne der Komödientheorie lasterhaften Grafenpaares mit zwei edlen u n d verkannten, aber endlich belohnten Liebesleuten nimmt sozialkritisch ein sehr folgenschweres D r a m e n m o m e n t vorweg, das später Beaumarchais berühmt machen sollte. Ebenso ist Arnold als ränkespinnendes Werkzeug des G r a f e n ein V o r l ä u f e r einer ganzen Reihe verbrecherischer Sekretäre bis hin zu W u r m in Schillers „Kabale u n d Liebe". In der gleichen Ebene wie die Anschauung Krügers, die ihn Sentimentalität und K o m i k mischen hieß, liegt die Theorie J o h a n n Elias Schlegels, den wir sdion als Übersetzer kennen lernten. Die M o r a l ist ein hervorragendes Ingrediens seiner Stücke, und die Rührseligkeit k o m m t , obwohl in geringerem M a ß e als bei Krüger, zu ihrem Recht. So ist der „ T r i u m p h der guten Frauen", der 1748 herauskam 8 0 ), in seiner Gesamthaltung durchaus zeitgerecht. Schlegel schildert in den Personen der H i l a r i a und der K a t h r i n e zwei liebenswürdige u n d gutherzige C h a r a k t e r e . E r erklärt, ihm habe zu diesem Lustspiel „der zärtliche E h e m a n n Richard Steelens die erste Idee gegeben" 8 1 ), w o m i t v o m V o r 79
) J. Chr. Krügers Poetische und Theatralische Schriften a. a. O. ) Beyträge zum dänischen Theater, Koppenhagen 1748. 81 ) Brief an J. J. Bodmer: „Copenhagen den 18. Sept. 1747." Vgl. Johannes Crüger, Briefe Johann Elias Schlegels an Bodmer, in: Schnorrs Archiv 80
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bild her der Zusammenhang mit der englischen rührenden Komödie gegeben ist 82 ). Aber Schlegel vergißt darüber niemals die Komik. Manche wesentlichen Züge etwa der Gellertschen Lustspiele fehlen. Irgendwelche Seelenkämpfe oder einen tragischen Verzicht gibt es nicht — trotz der Erkennungsszene am Schluß des „Triumphs der guten Frauen". Hierzu kommt noch, daß in Schlegels Sprache elegische Elemente kaum anzutreffen sind. Die gleichc Einstellung erkennt man in den theoretischen Schriften, zumal in denen der Kopenhagener Jahre. Die 1747 entstandenen „Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters" beschäftigen sich eingehend mit der Lehre der Komödie und den Prinzipien der Drameneinteilung. Schlegel weiß, daß Nationen und Stände auf den Geschmack ihren Einfluß ausüben, und er weiß ferner, daß allgemeine Grundsätze in Theaterdingen herrschen oder herrschen sollten. Der Endzweck aller Dramen, aller Aufführungen: Ergötzen und Lehren (mit gleichmäßiger Betonung des moralischen und geistigen Lehrens) ist f ü r ihn der Ausgangspunkt seines Entwurfs, die Dramen in ein System zu bringen. Schlegel teilt die theatralischen Stücke nach den Leidenschaften, die von den „sittlichen Handlungen" erregt werden, und nach den „Personen" folgendermaßen ein: „Erstlich, Handlungen hoher Personen, welche die Leidenschaften erregen; zweytens, Handlungen hoher Personen, welche das Lachen erregen; drittens, Handlungen niedriger Personen, welche die Leidenschaften erwecken; viertens, Handlungen niedriger Personen, welche das Lachen erwecken; fünftens, Handlungen hoher oder niedriger, oder vermischter Personen, welche theils die Leidenschaften, theils das Lachen erregen" 83 ). für Literaturgeschichte X I V (1886), S. 48 ff. Bei dem angeführten Stück handelt es sich um „The tender husband or the accomplished fools" (1705), das eines der Lustspiele ist, mit denen Steele die Entwicklung zum Rührstück vorantrieb; Kruuse, Det felsomme drama a . a . O . S. 259 Anm. 2) zählt es zu den Übergangsstücken. 82 ) Auf die Verwandtschaft des Schlegelsdien Lustspiels mit Cibbers „The careless husband" wurde schon von Werner Söderhjelm hingewiesen: „Om Johann Elias Schlegel, särskildt som lustspeldiktare", Helsingfors 1884, S. 84 ff. Schlegel selbst schreibt an Bodmer am 6. IX. 1748: „. . . ich weiß nicht, ob Sie die englischen Originale darinnen finden werden". Sdinorrs Archiv a. a. O. 83 ) J. E. Schlegels Werke a. a. O. III (1764) S. 276.
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Man sieht: Schlegel ist nahe daran, die entscheidende Bedeutung der Kriterienfrage zu erkennen; das beweist sein Wille, den Gefühlsinhalt der Stücke bei seinem Schema zu berücksichtigen. Aber den letzten entscheidenden Schritt, den Gottsched und Straube nicht gewagt hatten, diesen Schritt tut auch er nicht. Den Ausschlag gibt wiederum nicht wie bei Fontenelle die Stimmung eines Dramas, sondern die äußerliche Eigenschaft des Helden. Schlegel fährt nämlich f o r t : „Die erste Art von diesen Handlungen ist der Grund zu denjenigen Schauspielen, die man Tragödien nennt, und aus den andern insgesamt entstehen Komödien, worunter auch die Schäferspiele fallen" 8 4 ). Dies mußte dazu führen, daß das rührende Lustspiel zusammen mit dem bürgerlichen Trauerspiel in die dritte Gruppe der „Handlungen niedriger Personen, welche die Leidenschaften erwecken", gesetzt wurde. Wirklich teilte Johann Adolf Schlegel, als er 1751 in seiner BatteuxObersetzung Auszüge aus diesem Aufsatz zum erstenmal veröffentlichte 85 ), die dritte Gruppe in besagte zwei Gattungen, von denen die eine sanfte, die andere heftige Leidenschaften errege. Er ergänzte damit seinen Bruder, der das bürgerliche Trauerspiel nicht namentlich angeführt hatte 8 6 ). Von dem Rührstück spricht Johann Elias Schlegel in dem gleichen Aufsatz seinen Definitionen gemäß im Zusammenhang mit der dritten und der fünften Gruppe, allerdings ohne es direkt zu nennen. Indem er keine der fünf Handlungsarten „vom Theater ausschließen" will 8 7 ), hat er auch die Aufgabe übernommen, das rührende Lustspiel zu verteidigen. Er beweist aus dem größeren Interesse, das der Zuschauer a n einer Person nimmt, die er liebgewinnt, für die nicht nur der Verstand, sondern „zugleich das H e r z eingenommen wird" 8 8 ), „daß eine Komödie, so sehr es ihre Absicht und Bestimmung ist, Lachen zu erwecken, doch allezeit mit Erregung einiger Leidenschaften vermischt seyn muß. Keine Handlung, an der etwas gelegen seyn soll, kann so beschaffen seyn, daß diejenigen, die sie betrifft, sie ganz gleichgültig und ohne alle Leidenschaft ansähen; und wenn die Zuschauer mit den aufgeführten Personen wünschen und leiden sollen, so kann dieses nicht anders geschehen, 84
) ebd. ) Batteux, Professor der Redekunst an dem Königlichen Collegio von Navarra, Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz aus dem Französischen übersetzt und mit einem Anhange einiger eignen Abhandlungen versehen, Leipzig 1751. S. darin J. A. Schlegels Abhandlung „Von der Eintheilung der Poesie". 86 ) vgl. J. E. Schlegels Werke a. a. O. III S. 277 Anm. 87 ) ebd. III S. 276. 88 ) ebd. III S. 282 f. 85
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als durch Erregung der Leidenschaften. Eine Handlung ohne Leidenschaften ist keine Handlung" 8 0 ). Vorher hatte er gesagt, wenn man im Theater sich nur auf „Vorstellungen des niedrigen Standes", das heißt also auf Possenspiele, beschränken wolle, würde dem Publikum viel Schönes entgehen. „Man würde die edeln Empfindungen des Herzens, die in die höhern Komödien einfließen, und die ein wesentliches Stück der Trauerspiele ausmachen, ganz und gar entbehren müssen" 9 0 ). Aus alledem scheint hervorzugehen, daß Schlegel die höheren Komödien im Stile des Destouches mehr als die Stücke der dritten Gruppe, von denen er de la Chaussées „Gouvernante" als Beispiel anführt" 1 ), •am Herzen liegen; denn „die Erregung der Leidenschaften" schließe das Lächerliche aus, „so bald sie zum Hauptzwecke wird" 9 2 ), hingegen werde, wenn „die Erregung des Ladiens der Hauptzweck ist, die E r weckung der Leidenschaften dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen" 93 ); „ein gewisses Maaß davon" sei „in den mehresten Fällen zuträglich, ja fast nothwendig" 8 4 ). Sdilegel wurde durch den Tod 1749 daran gehindert, seine Ansichten über die Klassifikation der Dramen zu revidieren. Vielleicht hätte ihn der Aufbruch des bürgerlichen Trauerspiels, den er nicht mehr erlebte, sogar z.u einer Modifikation seiner Theorie veranlaßt. Aber obwohl seine Arbeiten von den Ereignissen überholt wurden, haben sie doch gemeinsam mit französischen dramaturgischen Schriften den Anstoß zu neuen Überlegungen gegeben. Man betrachtete von nun an in Deutschland die Theaterfragen von einer höheren Warte als bisher 9 5 ). Sdilegel und auch Krüger verhalfen den Deutschen zur besseren Erkenntnis auf dem Gebiet der rührenden Komödie. Das Wesen dieser dramatischen Gattung wurde klarer. Sie bestimmten als erste die Grenzen des Rührstüdes. Sie fanden, der eine nur praktisch, der andere praktisch und theoretisch, heraus, daß eine Komödie, in der die ernsten 8 9 ) ebd. I I I S. 283. »°) ebd. I I I S. 279. 9 1 ) ebd. I I I S. 276. 9 2 ) ebd. I I I S. 277. 9 3 ) ebd. 8 4 ) ebd. III S. 278. 9 S ) Diesen letzten Punkt betont besonders Antoniewicz, J . E. Schlegels aesthetische und dramaturgische Schriften a. a. O. S. X L I X ; vgl. auch H e r mann Schonder, J . E. Schlegel als Übergangsgestalt (Stadion Bd. 7), Würzburg-Aumiihle 1941, und Elizabeth M. Wilkinson, J . E. Schlegel, a German Pioneer in Aesthetics, Oxford 1945.
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Szenen überwiegen, in Gefahr ist, ihren eigentlichen C h a r a k t e r zu v e r lieren. Diese Erkenntnis ging nicht mehr verloren. D i e Epoche der rührenden Lustspiele fand in den fünfziger
Jahren
keineswegs ihr E n d e . I m Gegenteil, das heitere Repertoire der deutschen „regelmäßigen" Schaubühne stand zunächst auch weiterhin im Zeichen von Destouches und de la Chaussée. 1 7 5 0 , ein J a h r nach der U r a u f f ü h r u n g , erschien Voltaires
„Nanine"
zum erstenmal in deutscher Sprache 9 6 ). Diese Nachdichtung in A l e x a n drinern w a r unzulänglich. „B. G. Straube . . . beschenkte — oder vielmehr beschimpfte unser T h e a t e r mit einer versificirten
Uebersetzung",
meldet C h r . H . Scbmids „Chronologie des deutschen T h e a t e r s " 9 7 ) . Drei J a h r e später unternahm es H e r m a n n Andreas Pistorius, damaliger H o f meister in H a m b u r g und späterer Präpositus in Bergen auf Rügen, die Verse Voltaires in P r o s a wiederzugeben 9 8 ). W i e ein Vergleich des P e r sonenverzeichnisses mit den Theaterzetteln ergibt, wurde das Stück an den deutschen Bühnen wohl in dieser F o r m
aufgeführt").
9 6 ) Nanine, oder das besiegte Vorurtheil. Ein Lustspiel in dreyen Aufzügen in Versen, aus dem Französischen des Herrn von Voltäre übersetzet von Str., Leipzig 1750. 9 T ) a. a. O. S. 97. 9 8 ) Nanine, oder das besiegte Vorurtheil. Ein Lustspiel des Herrn von Voltaire, in: Hamburgische Beyträge zu den Werken des Witzes und der Sittenlehre a. a. O. I I I , 1753, S. 545—642. In einem in der Landesbibliothek Schwerin befindlichen Exemplar der genannten Zeitschrift sind die Verfasser der einzelnen Beiträge angegeben. Am Schluß der Übersetzung der „Nanine" steht der Name Pistorius. D a ß es sich dabei um den bekannten aufklärerischen Theologen H . A. Pistorius, den Freund Nicolais, handelt, entnehme ich vor allem einer Anzahl von Briefen, die im Nachlaß Johann David Michaelis' liegen (Göttingen, Staats- und Univ.-Bibliothek). 9 9 ) D a ß Schönemann Pistorius' Übersetzung spielen ließ, ergibt sich aus den Protokollen der Ekhofschen Schauspielerakademie bei der Schönemannsdien Gesellschaft in Schwerin. Die „Nanine in Versen" (also Straubes) wurde am 20. V I I . 1753 kassiert, und dafür wurden am 8. I X . desselben Jahres die Rollen nach der prosaischen Übersetzung Pistorius* neu ausgeteilt. Vgl. Heinz Kindermann, Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie (österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 230. Band, 2. Abhandlung), Wien 1956, S. 25. 27 f. Die Personen der „Nanine" auf den Theaterzetteln des Hamburger Nationaltheaters von 1767/69 entsprechen genau denen bei Pistorius, wie der Abdruck bei Richard Thiele, Die Theaterzettel der sogenannten Hamburgischen Entreprise, Erfurt 1895, erkennen läßt. In Wien war die Prosaübertragung Pistorius' spätestens seit 1768 im Gange; der Text in: „Neues Theater von Wien", I V , o. O. 1769, stellt sich als fast wörtlicher Nachdruck heraus: „Nanine, oder das besiegte Vorurtheil. Ein Lustspiel des Herrn von Voltaire, in drey Aufzügen. Nebst einer kritischen Vorrede." Wienn, 1768.
6 Daunlcht, Trauerspiel
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1752 war auch die erste Übertragung eines englischen rührenden Lustspiels erschienen. Johann Christian Müldener hatte Steeles »The conscious lovers" unter dein Titel „Die sich mit einander verstehende Liehhaber" übersetzt 1 0 0 ). Über Aufführungen der deutsdien Fassung ist nichts bekannt geworden. Hierher gehört weiter ein im Stil der „M^lanide" von de la Chaussee geschriebenes Lustspiel „Die Heirat durchs Los" von Christian Leberecht Martini (vgl. das 5. Kap.), das 1752 von der Sdiönemannschen Truppe gegeben wurde 1 0 1 ). Im Jahre 1753 endlich veröffentlichte die Gottschedin ihre ProsaÜbersetzung der „Cinie", des Hauptwerks der Mad. de Graffigny 1 0 2 ). D i e Reihe der Verdeutschungen französischer rührender Lustspiele schloß zunächst 1756 mit einer Ausgabe der „Sämtlichen theatralischen Werke" des Dastouches ab 1 0 3 ). Übersetzer war, wie aus einer bisher nicht beachteten N o t i z in Plümickes „Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin" hervorgellt, der spätere Magdeburger Pastor Johann Samuel Patzke 1 0 4 ). Von allen diesen Stücken hatte die „C£nie" den größten, nur dem der „Melanide" vergleichbaren Theatererfolg. Aber trotz vieler A u f führungen, die Koch, Schönemann und die übrigen Schauspieldirektoren mit den rührenden Lustspielen der Franzosen und Deutschen erzielten 1 0 5 ), machte sich um die Mitte des Jahnhunderts die sidi ständig ver10 °) The Conscious Lovers Das ist: Die sich mit einander verstehende Liebhaber. Ein Schauspiel von Ritter Richard Steele in Englischer Sprache geschrieben und nach der Londner Ausgabe von 1723 in das Deutsche übersetzt von Geandern von der Ober-Elbe. [Dresden] 1752. Vgl. Jacob N . Beam, Die ersten Deutsdien Übersetzungen englischer Lustspiele im 18. Jahrhundert (Theatergeschichtliche Forschungen XX), Hamburg und Leipzig 1906, S. 11. 41 ff. Über Steeles Lustspiel, das eines der wichtigsten frühen englischen Rührstücke war, vgl. Kruuse, Det felsomme drama a. a. O. S. 119 ff. 101 ) Vgl. H . Devrient, Schönemann a. a. O. S. 195. 200. 102 ) Cenie, oder die Großmuth im Unglücke, Ein moralisches Stüde der Frau von Grafigny, und Cato, Ein Trauerspiel des H r n . Addisons, übersetzet von Luisen Adelgunden Victorien Gottschedinn. Leipzig 1753. Die Vorrede ist vom 3. III. 1753. (Erste Aufführung bei Koch am 13. V. 1751). 103 ) Des H r n . v. Nericault Destouches sämtliche theatralische Werke, aus dem französischen, 4 Bde., Frankfurt, Leipzig und Göttingen [ = Berlin] 1756. 104 ) C. M. Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin, Berlin und Stettin 1781, S. 249. Patzke war nach der gleichen Quelle auch der Übersetzer der „Sämtlichen Werke" Regnards (Berlin 1757). 105 ) Vgl. z. B. die Aufführungsverzeichnisse, die H . Devrient a. a. O. von Schönemann zusammenstellte, oder die Nachrichten in Schmids Chronologie des deutschen Theaters. Noch Lessings Hamburgische Dramaturgie läßt den Zuspruch, den die rührenden Stücke hatten, deutlich erkennen.
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stärkende Einwirkung des englischen bürgerlichen Trauerspiels bemerkbar und begann die Tendenzen, die ein Weiterwachsen des Rührstücks zur Folge haben konnten, zu absorbieren. Die empfindsame Komödie befand sich in einer Krise. Wie würde sie aus dieser hervorgehen? Das Nebeneinander von Geliert und Krüger, von Gisekes „Milanide"-Übersetzung und Schlegels „Triumph der guten Frauen" sowie die Tatsache, daß sich nicht alle deutschein Lustspielautoren und Kritiker entschlossen, den Weg, der der Komödie immer mehr traurige Szenen einräumte, bis ans Ende mitzugehen, machte klar, wie nötig eine theoretische Klärung der Probleme war. Bald hatten sich auch in Deutschland unter dem Eindruck der französischen Diskussion, in der Voltaire für eine kluge Verteilung der lächerlichen und rührenden Szenen eintrat, zwei Parteien herauskristallisiert. Die Anhänger der einen zahlenmäßig kleineren Gruppe steuerten auf eine stärkere Ausstattung des Lustspiels mit ernsten Elementen hin, die Anhänger der anderen wehrten sich dagegen und behaupteten, daß das Lustspiel niemals auf die Komik verzichten könne, ohne seine Substanz aufzugeben. Folgerichtig mußte ihnen später die bürgerliche Tragödie als rechte Lösung erscheinen. Wenn nun die Parteigänger der einen Seite etwas ältere Dichter waren, die noch die rührende Komödie hatten einführen helfen, und die anderen jüngere radikalere Elemente, mußte sich da nicht f ü r die Zukunft eine neue Wandlung der literarischen Mode voraussagen lassen? Man kann als Repräsentanten der beiden und Geliert betrachten. Besonderen Reiz hat da beide in ihren theoretischen Schriften ihre legten. Sie trugen Anfang der fünfziger Jahre zug der Gestaltung aus.
Schriftstellerlager Lessing diese Gegenüberstellung, Ansichten eingehend darden Kampf um den Vor-
Lessing hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er unter die reine Komik gern auch ernste, ja rührende Züge mischte. Seine Dramen bis hin zum „ N a t h a n " bezeugen es. Als erstes Beispiel wollen wir aus der Leipziger Zeit „Dämon oder die wahre Freundschaft" (1747) heranziehen. Der Einakter des achtzehnjährigen Studenten, dessen Verwicklung der Holbergschen Komödie „Den lykkelige skibbrud" nachgebildet ist, kommt unter allen Stücken Lessings dem Stile Gellerts am nächsten 106 ). Im Gegensatz zu Geliert verzichtet Lessing aber nicht auf ein keckes Kammermädchen, das die Intrige in Gang bringt. Und zum Unterschied von der üblichen Ge108) Ygi Erich Schmidt, Lessing. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften3, Bd. I, Berlin 1909, S. 132 f. 6*
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pflogenheit tritt diesmal nicht der sympathische Held des Stücks mit seinem Partner in einen Wettbewerb, wer mehr Edelmut besitze; diese Frage ist schon beantwortet, als Leanders Falschheit wenigstens vor dem Publikum aufgedeckt wird. Der allein anständige Dämon erteilt aber mit seinem Verhalten dem Freunde eine moralische Lektion; dieser kann nur noch beschämt die H a n d ergreifen, die der andere iihm hinstreckt. Dämon gewinnt, obwohl sich alles gegen ihn zu wenden schien, mit seiner hochherzigen Gesinnung, die ihn auch seinerseits einen inneren Kampf kostet (6. Auftr.), z w a r nicht sein verlorenes Geld, immerhin aber die H a n d der jungen Witwe. Man kann wenigstens hoffen, daß Leander, dem Danion großmütig verziehen hat, nicht nur mit Worten die Folgerungen zieht. „Dämon. Leander, soll idi es glauben? Sie haben mich hintergehen wollen? Leander. Dämon
Ich habe Sie beleidigt. Leiben Sie wohl!
Dämon. Leander, liebster Leander! wohin? Verziehn Sie. Leander. Lassen Sie mich, ich bitte Sie. Ich muß Ihr Angesicht fliehen, ich sterbe vor Scham. Es ist unmöglich, Sie können mir nicht verzeihen. Dämon. Ich Ihnen nicht verzeihen? O Leander, wäre Ihnen meinen Verzeihungen was gedient! Ja ja. Es ist Ihnen schon alles ziehen. . . . Ich weis, wie schwer es ist, einen Freund zu finden. will man ihn schon des ersten Fehlers wegen verlassen, so wird Zeit Lebens suchen, und keinen erhalten. Leander. Dämon rühret bin?
mit verUnd man
Urtheilen Sie aus diesen Thränen, ob ich ge-
Die Witwe. Wohl! Leander, Dämon verzeiht Ihnen. U n d ich weis selbst nicht, ob ich über seine Großmuth, oder über Ihre Reue, mehr gerühret bin. Lassen Sie audi uns unsre Freundsdiaft wieder von neuem anfangen. O Dämon, wie zärtlidi wird Ihre Liebe sein, da Ihre Freundschaft schon so zärtlich ist!" (10. Auftritt) 1 0 7 ). Auch „Die Juden" und „Der Freigeist" (beide 1749) benutzen die Mittel der Rührung. In dem einen Stück läßt der unbekannte Reisende fast einen Bösewicht entwischen, nur um niemand zu verdächtigen, und es gibt eine unerwartete Auflösung, die den edlen Charakter des Juden enthüllt 1 0 8 ). In dem andern wird der bis zum Sdiluß mißtrauische Adrast von der Rechtlichkeit und dem schier übermenschlidien Edelmut des Theophan beschämt. Der gerührte Ausruf: „Theophan! Sie sind doch 107 108
) Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. III S. 200. ) Vgl. E. Schmidt, Lessing a. a. O. I S. 147—152.
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wohl ein ehrlicher Mann." 1 0 9 ) zieht einen Schlußstrich unter die fortwährenden Beleidigungen und Verdächtigungen, die sich der junge Geistliche Theophan von dem gottlosen Freidenker Adrast mit glückseliger Miene und dem Bewußtsein gefallen läßt, d a ß ihm Unrecht geschieht. Nichts bringt ihn davon ab, dem anderen Gutes zu tun. Theophan will ihn sich mit sanfter Gewalt verpflichten. Dieses fünfaktige Lustspiel zeigt die Entwicklung Lessings seit der Leipziger Zeit besonders gut. Abgesehen von der Heiratsintrige nach de l'Isle ähnelt es noch immer dem T y p der Stücke des Destouches 110 ), und auch zu Geliert lassen sich Verbindungslinien entdecken. Dennoch und trotz alles einseitigen Edelmuts des Theophan ist Lessing hier von Gellerts empfindsamer Komödie schon ziemlich weit entfernt. Eine geistige Auseinandersetzung ist der Kern. Es kommt Lessing darauf an, die Gestalt eines „Frommen" psychologisch zu erfassen, zu durchdringen und vor den Menschen zu „retten". Insofern ist der „Freigeist" ein Gegenstück zu den „Juden". Eine solche Rechtfertigung hielt wohl der Berliner Lessing in einer Zeit der Freidenkerei, in einem Kreise von Menschen für nötig, in dem, wie Johann sagt, „Jeder ehrliche Kerl nach der Mode" ein Atheist, ein starker Geist sein mußte (II, 5). Aus diesem Grunde sind die beiden Gegenspieler mit gleichem Verständnis, ajber auch mit gleicher Ironie geschildert. U m ein weniges mehr scheint sich die Neigung Lessings auf Theophan zu richten, der seinem Feinde mit unwahrscheinlicher Langmut in tätiger christlicher Nächstenliebe Gutes erweist. Aber der Dichter läßt gleichzeitig den Theophan sein eigenes Verhalten nicht nur mit Großmut motivieren: „Es kann Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen" (III, 1). Mit Adrast, der im Personenverzeichnis des ersten Entwurfs als „ohne Religion, aber voller tugendhafter Gesinnungen" charakterisiert wird 1 1 1 ), verknüpft den Dichter fast genauso viel. Wie könnte man auch sonst von dem Zuschauer das ganze Stück hindurch die Geduld verlangen, auf solche Lösung zu warten. Dieser Christ w a r ja eine Ausnahme. Jeder andere hätte viel eher die Geduld verloren. Die Erklärung für diese Darstellung liegt in Lessings Entwicklung. Lessing war in Berlin an jenem „kritischen P u n k t " angelangt, von dem 108
) Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. I I S. 117. ) Vgl. Curtis C. D . Vail, Lessing's relation to the English language and literature, N e w York 1936, S. 108 f. m ) Lessings sämtliche Schriften (Ladimann-Muncker) Bd. I I I , S. 262. 110
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Theophan in seinem Urteil über Adrast den Oberblick zu bewahren und schrieb die Motive des aus Frömmigkeit selbstlos Menschliche betont, hat die Gellertsdie gültig überwunden 112 ).
spricht (III, 1). Er suchte sich sich frei. Der „Freigeist", der Handelnden bloßlegt und das Version des Rührstücks end-
Untersuchen wir nun, wie sich der junge Lessing über die Kriterienfrage des Dramas und das rührende Lustspiel äußert. In der „Kritik über die Gefangnen des Plautus" beschäftigt sich Lessing mit der Bedeutung, die das Wort Tragikomödie bei Plautus im Gegensatz zur modernen Interpretation hat. Er kommentiert den Wandel des Begriffs mit den Worten: „Ich will aber damit nicht sagen, als ob die Neuern nicht Grund gehabt hätten in Benennung ihrer Stücke mehr auf den Inhalt als die Personen zu sehen" 113 ). Hier ist Lessings Anschauung über das Kriterienproblem in nuce enthalten. Die Stelle kann nach dem ganzen Zusammenhang nichts anderes bedeuten, als daß Lessing selbst sich denen zugesellt, die im Inhalt das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal beim Drama erblicken 114 ). Ihm muß demnach schon damals (1750) die Erweiterung 112 ) Schon Erich Schmidt (Lessing a. a. O. I S. 146) erkannte, daß der „Freigeist" „nur gegen die blinde Verachtung der Andersdenkenden, nicht gegen jede Freigeisterei gerichtet ist." 113 ) Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters IV, Stuttgard 1750, S. 576 = Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. IV S. 182. 114 ) Auch Johann Adolf Schlegel focht um dieselbe Zeit die landläufige Meinung an, daß die poetischen Gattungen nach den Ständen aufgeteilt werden müßten. In einem der Aufsätze, die er 1751 seiner Batteux-Übersetzung beigab (vgl. oben Anm. 85), wandte er sich dagegen, daß der „Gegenstand allein die Beschaffenheit einer Dichtungsart bestimme". („Von der Eintheilung der Poesie", a. a. O. S. 310.) Schlegel war außerdem davon überzeugt, daß die Sicht des Dichters mindestens ebenso wichtig sei: „ . . . ich glaube, daß es sogar darauf ankömmt, ob das Auge, das den Gegenstand betrachtet, fröhlich oder schwermüthig, muthwillig oder sanft sey" (a. a. O.). Wenn sich dies auch vor allem auf die Ordnung der großen Dichtungsgattungen (Epos, Drama usw.) untereinander bezieht, läßt sich die Anwendung ohne viel Mühe ähnlich auf die Verhältnisse innerhalb des Dramas machen. J. A. Schlegel trat damit in die Nähe Fontenelles, ohne indessen so folgerichtig wie dieser zu sein. In ähnlicher Weise hat Michael Conrad Curtius (über ihn vgl. das 5. Kap.) damals einen der allgemeinen Ansicht entgegengesetzten Standpunkt erreicht. „Ist die Handlung wichtig, ernsthaft und traurig, so entsteht ein Trauerspiel: ist sie nicht wichtig oder traurig, so wird es ein Lustspiel," sagt er vereinfachend und doch nicht ganz eindeutig, wie der Wechsel von „und" und „oder" zeigt. (Curtius, Aristoteles Dichtkunst ins Deutsche übersetzet, Hannover 1753 S. 117). An anderer Stelle heißt es: „Dem ungeachtet bleibt
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des Lustspiels durch zuviel ernste Szenen recht fragwürdig vorgekommen sein. Auf der anderen Seite wird damit eine erste Perspektive auf seine fast gleichzeitigen Versuche mit dem bürgerlichen Trauerspiel eröffnet, von denen im 4. Kapitel zu sprechen sein wird. Denn wenn die soziale Abstufung unerheblich wird, ist der Weg zu einem neuen Drama frei. Die Ansicht Lessings wird durch seine übrigen Urteile über die rührende Komödie bestätigt. In der Übersetzung der „Captivi" des Plautus verdeutscht Lessing die Verse des Prologs: „ H o c paene iniquum est comico choragio, Conari de subito nos agere tragoediam" folgendermaßen: „Denn es wäre sehr unbillig, wenn wir, da die Zuschauer ein Lustspiel erwarten, plötzlich in ein Trauerspiel fallen wollten" 1 1 5 ). Dazu gibt er den Kommentar: „Die neuern Comici würden sehr wohl thun, wenn sie diese kleine Erinnerung merken wollten. Es ist, als wenn sich unsere Zeiten verschworen hätten, das Wesen der Schauspiele umzukehren. Man macht Trauerspiele zum Lachen, und Lustspiele zum Weinen. Den Franzosen könnte man es noch eher erlauben, daß sie sich diese kleine Abwechselung machten. Sie haben schon Trauerspiele genug, die zum Weinen, und Lustspiele, die zum Lachen bewegen. Warum die Deutschen aber, die ihnen hierinne noch weichen müssen, da mit Ruhm anzufangen glauben, wo diese mit Schanden aufgehört haben, das begreifen wir nicht" 116 ). ein seltsamer Unterscheid zwischen dem Trauer- und dem Lustspiele übrig. D a s Lustspiel kann z w a r audi Mitleiden und Schrecken erregen, allein es ist nicht auf eine so empfindliche Weise, als in dem Trauerspiele, in welchem gewaltsame Leidenschaften herrschen. D a s Lustspiel handelt nicht so ernsthafte, noch wichtige Geschaffte ab, als das Trauerspiel. D a s Lustspiel endiget sich endlich niemals mit Blutvergießen, sondern größtentheils zum Vergnügen aller spielenden Personen. Der Ausgang des Trauerspiels aber soll, nach dem Ausspruche der Kunstrichter, nicht an allen Seiten glücklich seyn." (a. a. O . S. 202). In diesen Sätzen ist v o n der alten Trennung nach der sozialen Stellung der auftretenden Personen nichts mehr übrig geblieben. Vgl. aber auch 5. Kap. Anm. 108. 115 ) Beyträge zur Historie und A u f n a h m e des Theaters a. a. O. II (1750) S. 149 = Lessings sämtliche Schriften (Ladimann-Muncker) Bd. I V S. 87. Vgl. das oben S. 10 wiedergegebene Cicerozitat. 116 ) a. a. O. S. 149 = Lessings sämtliche Schriften (Ladimann-Muncker) Bd. I V ebd.
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Gleichen Sinn hat bei aller Liebenswürdigkeit die Rezension der „Cénie" von Mad. de Graffigny. Aus der wohlwollenden Ironie merkt man den Abstand heraus: „Cénie ist ein Meisterstück in dem Geschmacke der weinerlichen Lustspiele. Die Kunstrichter mögen wider diese Art dramatischer Stücke einwenden was sie wollen; das Gefühl der Leser und Zuschauer wird sie allezeit vertheidigen, wenn ihre Verfasser anders das sanftere Mitleiden eben so geschickt zu erwecken wissen, als die Frau von Grafigny"1"). Man kann annehmen, daß sich Lessing zu den Kunstrichtern zählt, denen die weinerlichen Lustspiele zweifelhaft vorkommen. Ähnlich kritisch verhält sich Lessing gegenüber Marivaux 1 1 8 ), während seine Rezension der „Nanine"-Übersetzung von Pistorius wieder positiver ausfällt. Die „Liebhaber dramatischer Gedichte", die die „wohlgerathene Uebersetzung" läsen, würden gewiß besonderes Vergnügen an ihr haben 119 ). Am genauesten bespricht Lessing die Gattung der rührenden Lustspiele zu Beginn des ersten Stückes seiner „Theatralischen Bibliothek" (1754), in der er Chassirons ins Deutsche übersetzte Schrift unter dem Titel „Betrachtungen über das Weinerlich-Komische'' der „Abhandlung f ü r das rührende Schauspiel" von Christian Fürchtegott Geliert gegenüberstellt. Die Anordnung der beiden Aufsätze im Rahmen der „Bibliothek" und das Vorwort beweisen, welche Bedeutung Lessing der Diskussion beimaß. Ehe wir aber diese Kritik näher erörtern, ist es nötig, Gelleres Aufsatz zu betrachten. Geliert hatte seine Abhandlung 1751 als lateinische Antrittsvorlesung in Leipzig vorgetragen un,d noch im gleichen Jahre in Druck gegeben 120 ). Lessing war übrigens nicht ihr einziger Übersetzer: Zu gleicher Zeit dem ) Berlinische privilegirte Zeitung auf das Jahr 1753, 62. Stück (24. V.) = Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. V S. 168. 118 ) s. die Rezension von Marivaux' „Théâtre", Berlinische privil. Zeitung auf das Jahr 1754, 62. Stüde (23. V.) = Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. V S. 403. 119 ) a . a . O . 1754, 14. Stüde (31.1.) = Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. V S. 380 f. 120 ) Pro comoedia commovente, commentatio orationi aditiali d. X I V . Iul. MDCCLI h. I X in audit, philos, habendae praemissa a Christiano Fürchtegott Gellerto. P. P. extrao. Lipsiae o. J. Vgl. Theatralische Bibliothek I (1754) S. 5 = Lessings sämtliche Schriften (Lachmann-Muncker) Bd. VI S. 8.
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dizierte Christian Leberecht Martini seine handschriftliche Übertragung der Schönemannschen Schauspielerakademie 121 ), und nachher soll Geliert selbst einen deutschen Text herausgegeben haben 1 2 2 ). Geliert wehrt sich dagegen, daß man die rührende Komödie als „comédie larmoyante" oder als „abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels" tadle und ablehne 123 ). Nach Aristoteles und seinen Kommentatoren Dacier und Vossius sei zwar die „Stärke der Komödie in das Lächerliche" zu setzen. Aber zweifellos müsse man mit den Gemütsbewegungen abwechseln, um nicht durch ein Zuwenig oder Zuviel zu ermüden oder zu überspannen. Die Regel des Aristoteles, wonach sich die Komödie mit den Lastern zu beschäftigen hat, die belacht, aber nicht betraft werden sollen, werde gelegentlich übertreten, warum dürfe man also nicht auch jene erste Regel beiseitesetzen? Gesetzt aber auch den Fall, daß man in der „sinnreichen Verspottung der Laster und Ungereimtheiten die vornehmste Verrichtung der Komödie" erblicke, so gebe es noch immer zwei Gattungen des Lächerlichen. Die ausgelassene Freude als Wirkung der ersten Gattung erlaube zwar keine „ernsthaftere Gemüthsbewegung", wohl aber werde diese durch die innere Freude des Herzens ermöglicht. Also seien auch die Lustspiele untadelhaft, die die Tugend schildern und neben der ausgelassenen Freude jene ernsthafte Gemütsbewegung hervorbringen, „welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber ungemein süsse ist." Schon bei den Alten habe es eine „sittliche" und eine „lächerliche" Komödie gegeben 124 ). Nach diesen Vorbereitungen definiert Geliert die Komödie, indem er sich auf Joseph Trapps Praelectiones Poeticae (1722) beruft: „. . . die Komödie sey ein dramatisches Gedicht, welches Abschilderungen von dem gemeinen Privatleben enthalte, die Tugend anpreise, 121
) In der Sitzung v o m 9. III. 1754. Vgl. Kindermann, Ekhofs Sdiauspieler-Akademie a. a. O. S. 37. Siehe auch das 5. Kapitel. 122 ) H a y n e l , G e l l e m Lustspiele a. a. O. S. 10 A n m . 3 weist nach, daß dieser T e x t sich nicht, w i e öfters angegeben wird, in den „Vermisditen Schriften" (1756 u. ö.) findet. 1765 brachte das „Hamburgische Journal" (II S. 1057 bis 1088) eine Übertragung. Nach Ersch und Gruber (I, 57, 7) erschien noch 1773 in Leipzig eine Übersetzung. 123
) Im folgenden gebe ich eine interpretierende Paraphrase des Gellertschen Aufsatzes nach Lessings Übersetzung in der Theatralischen Bibliothek I (1754) S. 47—78 = Lessings sämtliche Werke (Lachmann-Muncker) Bd. VI S. 32—49. 124 ) a. a. O. S. 47—51 (LM V I , S. 32—34).
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und verschiedene Laster und Ungereimtheiten der Menschen, auf eine scherzhafte und feine Art durchziehe" 125 ). Hier könnte Gellerts Untersuchung bereits enden, aber der Verfasser wendet sich noch gegen zwei Anklagen, die man gegen die rührende Komödie erhoben hatte. Die erste behauptet, daß bei dieser Dramengattung der Unterschied zwischen Tragödie und Komödie verwischt ist. Geliert verweist demgegenüber darauf, daß die tragischen Handlungen und Leidenschaften eines Lustspiels niemals mit denen eines eigentlichen Trauerspiels verglichen werden könnten. „Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung (:des Mitleids :), welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt" 1 2 6 ). Am Beispiel des Affekts der Liebe lasse es sich belegen: In der Komödie gebe es keine heroische, oder verzweifelnde, sondern eine „angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse u n d Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden" 1 2 7 ), Gelleit geht dann sogar zum Angriff über; er leugnet, daß die T r a gödie ein Recht hat, „aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen", und bezieht sich dabei auf Corneille 128 ). Wie mit der Liebe sei es mit den übrigen von der empfindsamen Komödie beanspruchten Affekten, der Freundschaft, der Beständigkeit, der Freigebigkeit usw. Den zweiten Vorwurf, die rührende Komödie sei ein Widerspruch in sich, weil es der Definition der Komödie zuwiderlaufe, wenn sie nicht die Laster und Ungereimtheiten belache, entkräftet Geliert ebenfalls. Die Stücke der Destouches, de la Chaussée, Marivaux, Voltaire, Fagan beweisen nach Geliert, daß es möglich ist, „mit Beibehaltung der Freude und der komischen Stärke auch Gemütsbewegungen an dem gehörigen Orte" anzubringen 1 2 9 ). Man müsse nur behutsam dabei vorgehen und nicht rührende und lustige Szenen unvermittelt aufeinanderfolgen lassen oder lächerliche und ernsthafte Personen gemeinsam zeigen; wenn alles gehörig abwechsele, werde der Zuschauer zur rechten Zeit „bald mit Vergnügen 12B
) ) 127 ) 128 ) 129 ) 126
ebd. ebd. ebd. ebd. ebd.
S. 52 (LM VI, S. 34). S. 54 (LM VI, S. 36). S. 55 (LM VI, S. 36). S. 56 f. (LM VI, S. 37). S. 58 f. (LM VI, S. 38).
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zürnen, bald trauern, und bald über die Zufälle derjenigen Personen, deren er sidi am meisten annimmt, f ü r Freuden •weinen" 130 ). Geliert verweist hier auf die Entwicklung und besonders auf den letzten A k t in seinem „Los in der Lotterie". An solchen Stücken ist also nichts auszusetzen. Wie steht es aber mit den anderen Komödien, in denen „Scherz und Spott" weniger herrschen und in denen die Personen „von vornehmem Stande, von zierlichen Sitten und von einer artigen Lebensart sind"? 131 ) Geliert möchte die Grenzen der Komödie erweitern, damit auch diese schwieriger einzuordnenden Stücke ihren Platz finden. Er beruft sich auf Johann Elias Schlegels Einteilung, stimmt f ü r freiheitlichere Auslegung „überholter Regeln" und möchte sogar neue Regeln gewinnen, zumal wenn der Beifall bei derartigen Lustspielen offenkundig sei. „In Dingen, welche empfunden werden, und deren Werth durch die Empfindung beurtheilet wird, sollte ich glauben, müsse die Stimme der N a t u r von größerm Nachdrucke seyn, als die Stimme der Regeln" 1 3 2 ). Geliert erörtert darauf den Wert der neuen Gattung. Er liege in der Erfüllung der bekannten Zwecke: Ergötzen und Nützen. Den Zweck des Ergötzens erreichen die Dichter nach Gellerts Ansicht nicht so sehr durch die Fabel selbst wie durch das „Genie und die Kunst, womit sie behandelt wird" 1 3 3 ). Wenn also eine lächerliche Handlung zur Ergötzung nicht unbedingt erforderlich ist, so könne man auch eine ernsthafte Komödie gutheißen. Es gebe viele Vorgänge, die nicht scherzhaft, aber auch nicht traurig sind; ein Beispiel solcher Fabeln biete Voltaires „Nanine". Da für die Ergötzung auch die Charaktere wichtig sind, bestimmt Geliert nun deren Maßstäbe und Werte. Durch die Vorstellung des „bloßen Bildes der Tugend" gefielen sich die Zuschauer in den erdichteten Personen selbst. Obwohl die Gefahr bestehe, daß alltägliche Geschehnisse auf der Bühne keine große Anteilnahme erwecken könnten, müsse man die Schilderungen der tugendhaften und lasterhaften Charaktere übertreiben, könne man übergroße Vortrefflichkeiten mäßigen; die Korrekturen müßten aber vom Dichter geschickt ange130
) ebd. S. 61 (LM VI, S. 40). ) ebd. S. 63 (LM VI, S. 40 f.). 132 ) ebd. S. 65 (LM VI, S. 42). Geliert folgert die Berechtigung einer ernsten Komödie aus der Tatsache, daß die menschlichen Handlungen teils Lachen, teils „ernsthaftere Gemütsbewegungen" erregen könnten. Da eine Komödie „die Nachahmerin des gemeinen Lebens" sei, müsse es auch ernste Komödien geben (ebd. S. 64 = LM VI, 41). 133 ) ebd. S. 69 (LM VI, 44). 131
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
bracht werden, so daß „das ungewöhnliche wenigstens wahrscheinlich scheinet" 134 ). Die Nützlichkeit derartiger Darstellungen könne nicht bestritten werden. Die Schilderung von Charakteren un,d von deren Handlungen zeige den Kontrast des Bösen und Guten und wirke so unmittelbar auf die Besserung des Menschen hin. Zum Schluß faßt Geliert seine Beweisführung zusammen. Ihrem erwiesenen Wert nach müßten die ernsten Lustspiele, wenn sie sich auch „mit Recht den Namen der Komödien nicht anmaaßen können" 1 3 5 ), wenigstens deren Freiheiten und Vorzüge genießen. „Diejenigen wenigstens, welche Komödien schreiben wollen, werden nicht übel thun, wenn sie sich unter andern auch darauf befleißigen, daß ihre Stücke eine stärkere Empfindung der Menschlichkeit erregen, welche so gar mit Thränen, den Zeugen der Rührung, begleitet wird" 1 3 6 ). Geliert will damit nicht etwa die „alte fröhliche Komödie aus ihrem rechtmäßigen Besitze vertreiben" 1 3 7 ), wohl aber will er der neuen G a t tung mit ihren eigenen Charakteren und Fabeln Platz und Bestimmung geben. Er schließt mit der Zuversicht, daß sie sich behaupten werde. G e l l e m Deduktion läßt deutlich erkennen, daß er auf dem Boden der älteren Theoretiker steht; er ist bestrebt, die rührende Komödie in das Regelgebäude einzugliedern. Aber man spürt die Unsicherheit, mit der dies geschieht. Alle Zitate aus den Schriften der Autoritäten verbergen nicht, daß Geliert f ü r eine ungewohnte Neuordnung eintritt. Er weiß das selbst, gibt er doch zu, daß die ernsten Lustspiele nicht gut in die bekannte Definition einzufügen seien, und er bestätigt es, indem er nur ein aus rührenden und lustigen Szenen gemischtes, nicht aber ein ganz und gar rührendes Stück verteidigt. Im Grunde läuft die Gellertsche Abhandlung auf ein einfadies Gesetz hinaus: Gefällt es, ist es gut, gefällt es nicht, ist es schlecht. Auch Geliert kann nicht umhin, das Publikum und die „Stimme der N a t u r " als oberste Richter anzuerkennen. So beweist er denn aus der Tatsache, daß Destouches' Lustspiele gefallen haben, daß ähnliche Lustspiele ebenfalls gefallen müßten. Aber wie weit ein Dichter in der Applikation rührender Szenen gehen konnte, ohne das Lustspielhafte selbst zu ersticken, das war die Frage. Von der heiteren Beimischung einzelner gefühlvoller Elemente bis zum Überwiegen der ernsten Stimmung gab es natürlich W4
) ) 13a ) 13T ) 135
ebd. ebd. ebd. ebd.
S. 73 (LM VI, 46). S. 76 (LM VI, 48). S. 77 (LM VI, 48). (LM VI, 49).
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nur graduelle Unterschiede. Aber über die Grade der Rührung war man sich eben nicht einig. Geliert versucht mit großer Zähigkeit, noch für sich das Beste aus den Schwierigkeiten zu machen. Er wagt eine neue Komödiendefinition, und man verkennt nicht, mit welchem Nachdruck er eine unter Umständen notwendige Freiheit der Entscheidung behauptet. Es ist dies die gleiche H a l t u n g wie in seiner Rede: „Wie weit sich der Nutzen der Regeln in der Beredsamkeit und Poesie erstrecke" 138 ). Geliert weiß um das Unwägbare, das den Dichter erst zum Dichter macht: „Man kann die Regeln wissen, man kann sie durch Fleiß zur Ausübung bringen; und kann ohne Genie doch nicht weiter, als zum Mittelmäßigen, durch sie gelangen" 1 3 9 ). U n d an anderer Stelle: „Die Regeln können selbst ein Genie noch immer fehl führen. Sie sind allgemein, sie sind nicht stets nothwendig, sie sind unvollkommen" 1 4 0 ). Aber der zaghafte Geliert mahnt zur Vorsicht: „Was hofft ein Verächter aller Regeln, der nur seinem Genie folgen will? Hofft er nicht, daß ihm das allein glücken soll, was Vielen nach und nach kaum geglückt ist? . . . Es ist Stolz und Unwissenheit, sich keine Kenntniß der Regeln erwerben mögen. . . . Es ist Verwegenheit, sich auf sich selbst verlassen, und doch nicht leugnen können, daß die N a t u r in vielen Jahrhunderten nur wenige, nur etliche Geister hervorgebracht, die sie mit einer außerordentlichen und göttlichen Stärke des Verstandes, der Einsicht und des Geschmacks begabt hat" 1 4 1 ). Man wird also wohl die Regeltreue als beherrschendes künstlerisches Prinzip Gellerts annehmen müssen. Dann ist sein Eintreten f ü r die rührende Komödie weniger als Ausdruck revolutionärer Gesinnung zu bewerten, sondern als nachträgliche Beweisführung f ü r Ansichten, die im Ausland, zumal in Frankreich, schon zur Reife gekommen waren. Seine Stellung zur Kriterienfrage beweist es. Die erörterte Abhandlung beschäftigt sich vor allem mit dem Inhalt und den Charakteren der Komödie und den bei den Zuschauern bewirkten Leidenschaften; diese werden sogar als sehr bedeutsam f ü r die Definition des Lustspiels angesehen, nirgends aber rückt Geliert von dem gebräuchlichen H a u p t unterscheidungsmerkmal zwischen Lustspiel und Trauerspiel ab, das in 138
) ) 14 °) 141 ) 139
Gellerts sämmtliche Schriften a. a. O. III (1854) S. 462—486. ebd. S. 470. ebd. S. 463. ebd. S. 465.
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dem Stand des H e l d e n liegt. D a r u m die nach unseren Begriffen unklare Betrachtungsweise bei den nur ernsten Lustspielen. D a r u m auch w i r d das bürgerliche Trauerspiel, obgleich seine Erörterung oder E r w ä h n u n g hier nahegelegen Jiätte, von ihm an keiner Stelle berührt. Lessings Beurteilung der beiden gegensätzlichen Schriften Chassirons und Gellerts besteht in der Hauptsache aus einer E i n f ü h r u n g und einem Schlußwort. Die Bedeutung dieser Kritik f ü r die Geschichte des rührenden Lustspiels in Deutschland ist größer, als ihr R a h m e n vermuten läßt. O b w o h l erst 1754 veröffentlicht, f a ß t Lessings wertende Besprechung die Argumente zusammen, die wir schon f r ü h e r bei ihm u n d anderen kennengelernt haben. Sie ist gleichzeitig Ausdruck f ü r das leichte Nachlassen der Anziehungskraft, die das allzu sentimentale Lustspiel in der deutschen Ö f f e n t lichkeit betraf, wie das an dem Beispiel der Theaterwirksamkeit der Gellertschen Stücke bewiesen werden konnte. Zunächst erörtert Lessing die Neuerungen, „welche zu unsern Zeiten in der Dramatischen Dichtkunst sind gemacht w o r d e n " 1 4 2 ) . M a n habe das Lustspiel „um einige S t a f f e l n " zum rührenden Lustspiel erhöht, das Trauerspiel um einige zum bürgerlichen Trauerspiel herabgesetzt. „ D o r t glaubte man, d a ß die Welt lange genug in dem Lustspiele gelacht und abgeschmackte Laster ausgezischt habe; m a n k a m also auf den Einfall, die Welt endlich einmal auch darinne weinen und an stillen Tugenden ein edles Vergnügen finden zu lassen. H i e r hielt m a n es f ü r unbillig, d a ß nur Regenten und hohe Standespersonen in uns Schrecken und Mitleiden erwecken sollten; man suchte sich also aus d e m Mittelstände Helden, und schnallte ihnen den tragischen Stiefel an, in dem m a n sie sonst, nur ihn lächerlich zu machen, gesehen hatte" 1 4 3 ). Nach Lessings Meinung sind f ü r diese Erweiterungen die Mentalitäten der Franzosen und Engländer, von denen die beiden neuen D r a m e n gattungen stammen, verantwortlich zu machen. W ä h r e n d Lessing aber auf das bürgerliche Trauerspiel jetzt nicht näher eingehen will, schafft er einige Materialien zur rührenden oder, wie die Gegner spöttisch sagten, weinerlichen Komödie herbei 1 4 4 ). Schon hier gibt er einen H i n weis auf die eigene Einstellung zu dieser letzteren: „Aus diesen verschiedenen Benennungen ist genugsam, glaub ich, zu sdiliessen, d a ß die Sache selbst eine doppelte Seite haben m ü s s e . . . Sie m u ß eine gute Seite haben, sonst würden sich nicht so viel schöne u n d 142
) Theatralische Bibliothek a. a. O. I S. 2 (LM VI, 6). ) ebd. 144 ) ebd. S. 3 (LM VI, 7). 143
Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
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scharfsinnige Geister f ü r sie erklären: sie muß aber auch eine schlechte haben, sonst würden sich andre, die eben so schön und scharfsinnig sind, ihr nicht widersetzen" 1 4 5 ). In der Abschlußkritik zu beiden Abhandlungen rekapituliert Lessing die Hauptsätze und kommt, das Für und Wider sorgfältig abwägend, zu dem Ergebnis, daß es zwei Gattungen des \ipinerlich-Komischen gebe. Ähnlich wie Geliert betont auch Lessing, daß an dem Genre, worin „Lachen und Rührung, Scherz und Ernst abwechseln" 146 ), offenbar nichts auszusetzen sei. Dramatiker vom Range eines Plautus, eines Molière hätten längst derartige Stücke geschrieben. Die Komödie aber, „wo man gar nicht lacht" 147 ), „worinne man durchgängig weich gemacht wird" 1 4 8 ), sei zwar „nützlich und für gewisse Denkurigsarten angenehm" 1 4 9 ) — eine echte Komödie sei sie nicht. Damit kommt Lessing auf das Trennende zwischen sich und Geliert, auf den wesentlichen Unterschied in ihren Beurteilungen zu sprechen. Wie stark darf das rührende Element in der Komödie sein? Während Geliert vorsichtig die französischen Dichter vorschob, aber seine eigenen Stücke meinte, während Geliert den ernsten, ja weinerlich-empfindsamen Ton in hohem Grade f ü r das Lustspiel empfahl, will Lessing diese Rührung eingedämmt sehen. Niemals habe man Destouches und de la Chaussée — um des letzteren Stücke handele es sich besonders bei den rührenden Komödien — in eine Klasse gesetzt. Die Lustspiele des Destouches sind nach Lessing wie jede andere Komödie, die „so wohl Tugenden als Laster, sowohl Anständigkeit als Ungereimtheit" schildert 150 ), einwandfrei; denn sie kommen dem menschlichen Leben am nächsten. Die zweierlei Abweichungen von dem wahren Lustspiel sind in ihrem Werte dennoch nicht zu vergleichen. Wenn auch in der einen, dem Possenspiel, nur gelacht, und in der anderen, der weinerlichen Komödie, zwar nicht nur geweint, aber auf die Tränendrüsen gedrückt wird, ist es „noch immer der Unterschied zwischen beyden, der zwischen dem Pöbel und Leuten von Stande ist" 1 5 1 ). Der Nutzen des rührenden Schauspiels bestehe in der H ä l f t e des Nutzens der wahren Komödie. Wahrscheinlich täuschten sich die Be145
) ) 14T ) 148 ) 149 ) 15 °) 151 ) 14e
ebd. ebd. ebd. ebd. ebd. ebd. ebd.
S. 4 (LM VI, 7). S. 79 (LM VI, 50). S. 80 S. 81 (LM S. 83
(LM VI, 50). (LM VI, 50 f.). VI, 51). (LM VI, 52).
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
saldier nur selbst, wenn sie in der Vorstellung innerlich erhoben zu sein vorgäben. Der Name, ob Komödie oder nicht, sei übrigens völlig gleichgültig 152 ). Wenn auch Lessing es weit von sich weist, daß er Gellerts Stücke mit seinen Ausführungen habe treffen wollen, so wird doch klar, wie sehr er sich gerade von Geliert distanziert. Er teilt kleine Seitenhiebe aus, ironische Bemerkungen wie die, daß in Frankreich die Made der rührenden Lustspiele ausgekommen sei, aber in Deutschland am meisten Unterstützung gefunden habe 1 5 3 ), oder die, daß es unter Leuten von Stande „immer gezwungne Zärtlinge" gelben werde, „die den Ruhm empfindlicher Seelen auch da zu behaupten suchen, wo andre ehrliche Leute gähnen" 1 5 4 ). H i e r wären auch die vorhin zitierten „gewissen Denkungsarten" anzuführen und die schon früher erwähnte geschickte Berufung Lessiiigs auf einen Satz Gellerts, wonach die Liebhaber der neuen Komödien damit nur jhrer Eigenliebe ein Kompliment machten 155 ). Seltsam genug ist auch, wenn Lessing zunächst behauptet, er könne Gellerts Abhandlung durch eine Übersetzung verbessern, hinterher aber wegen möglicher schlechter Ausdrucksweise um Entschuldigung bittet 1 5 6 ). Und was soll man dazu sagen, daß Lessing wohl Geliert nicht als eigentlichen Nachahmer de la Chaussées ausgibt — er müßte ihn damit ablehnen! —, weil Geliert genügend lädierliche Charaktere und satirische Züge in seinen Stüdten angebracht habe, daß derselbe Lessing aber gleich darauf sein Urteil wieder zurückzunehmen scheint: „Die rührenden Scenen und ganz und gar nicht Mehrere oder Wenigere fasser anzeigt, nicht aber ausmacht?" 157 ) 152
sind bey dem H e r r n Geliert nur die meisten; die einzigen. Wer weis aber nicht, daß das wohl die verschiedne Gemüthsart der Vereinen wesentlidien Unterschied ihrer Werke
) ebd. S. 84 (LM VI, 52 f.). ) ebd. S. 5 (LM VI, 8). Vgl. auch oben S. 87. 1M ) ebd. S. 83 (LM VI, 52). 165 Vgl. oben S. 74 (Anm. 68). Geliert hatte u . a . geschrieben: „Die Tugend selbst gefällt auf der Bühne, w o sie vorgestellt wird, weit mehr als im gemeinen Leben. Denn da bey Betrachtung und Bewunderung eines rechtscliafnen Mannes, auch oft zugleich der Neid sich mit einmischet, so bleibt er doch bey dem Anblicke des bloßen Bildes der Tugend weg, und anstatt des Neides wird in dem Gemüthe eine süße Empfindung des Stolzes und der Selbstliebe erweckt." (a. a. O. S. 72 = LM VI, 46). 156 ) Theatralische Bibliothek a. a. O. I (1754) S. 5 f. u. 47 (LM VI, 8 u. 31 f.). 157 ) ebd. S. 85 (LM VI, 53). Zum Verhältnis Lessings zu Geliert vgl. auch Gellerts Brief an den Herrn L***g, (Gellerts Schriften a . a . O . VI, S. 310), 153
Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel M i t G e l i e r t u n d Lessing t r e n n e n sich die W e g e der
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Generationen.
G e l i e r t w a r w e i t d a v o n e n t f e r n t , die T r a d i t i o n selbst a n z u t a s t e n . D i e ausländischen E x p e r i m e n t e m i t neuen D r a m e n g a t t u n g e n w e n d i g e r w e i s e ihre S p u r e n in D e u t s c h l a n d
mußten
not-
hinterlassen, u n d so v e r -
suchte m a n das N e u e u n d das A l t e u n t e r d e m D a c h e der t r a d i t i o n e l l e n Einteilung zu
vereinigen. A b e r
die Schwierigkeiten
waren
zu
groß,
ü b e r a l l s t i e ß m a n sich a n d e n W ä n d e n . F ü r das W e r d e n d e w a r e n die Z ä u n e z u eng. F ü r G e l i e r t gibt es keine R e v o l u t i o n . Lessing aber m a c h t m i t ihr g e m e i n s a m e Sache. D i e K o m ö d i e n t h e o r i e u n d d i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g ü b e r das w e i n e r liche Lustspiel illustrieren diesen V o r g a n g ausgezeichnet. „ D e r
Name
ist e t w a s s e h r w i l l k ü h r l i d i e s " , sagt Lessing 1 5 8 ). F ü r ihn b e d e u t e t
die
Zusammenfassung
ein
der
beiden
Abhandlungen
und
seine
Kritik
R e s ü m e e d e r E n t w i c k l u n g auf d e m Gebiete des Lustspiels. E r legt sich selbst d a v o n R e d i e n s c h a f t ab. E r k o m m t z u d e m Schluß, d a ß f ü r ihn u n d viele a n d e r e der W e g der r ü h r e n d e n K o m ö d i e in eine Sackgasse m ü n d e n k a n n . D i e w a h r e K o m ö d i e m u ß i m m e r Ernstes u n d H e i t e r e s g e m e i n s a m zeigen. H i e r k a n n sich also nicht viel ä n d e r n . Seine eigenen K o m ö d i e n sind die Beispiele. J e d e grobe A b w e i c h u n g nach der possenh a f t e n o d e r t r a u r i g e n Seite ist f ü r d i e G e s t a l t u n g dieser G a t t u n g v o m Obel. W i e sollte m a n
aber, wollte m a n
außerhalb des
vorgeschriebenen
H e l d e n m i l i e u s ernste D r a m e n s d i r e i b e n , ü b e r h a u p t w e i t e r k o m m e n ? Lessing g i b t a n d e u t u n g s w e i s e in d e r „ T h e a t r a l i s c h e n B i b l i o t h e k " die A n t w o r t . I h m k o n n t e n u r das bürgerliche T r a u e r s p i e l
entwicklungsfähig
erscheinen: „ D e m a n d e r n (: d e m E n g l ä n d e r :) w a r es ärgerlich, g e k r ö n t e n H ä u p t e r n viel v o r a u s z u lassen; er g l a u b t e b e y sich z u f ü h l e n , d a ß g e w a l t same L e i d e n s c h a f t e n u n d e r h a b n e G e d a n k e n nicht m e h r f ü r sie, als f ü r einen aus seinen M i t t e l n w ä r e n . Dieses ist vielleicht n u r ein leerer G e d a n k e ; a b e r genug, d a ß es doch w e n i g s t e n s ein G e d a n k e ist. — — " 1 5 9 ) Die Gedankenstriche
nach d e m l e t z t e n S a t z
darf
man
als sicheres
Anzeichen d a f ü r w e r t e n , d a ß Lessing sich z u m i n d e s t theoretisch m i t dem wobei doch wohl an Lessing als Adressat zu denken ist, und Karl Gotthelf Lessings Erzählung von einem Besuch seines Bruders bei Geliert (nach Weiße?) in: K. G. Lessing, Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen literarischen Nachlasse, I, Berlin 1793, S. 53. 158 ) Theatralische Bibliothek a. a. O. I S. 84 (LM VI, 53). 159 ) ebd. S. 3 (LM VI, 7).
7 Daunicht, Trauerspiel
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Die Dramenkriterien und das deutsche rührende Lustspiel
Problem des bürgerlichen Trauerspiels ernsfihaft beschäftigte. Er fährt f o r t : „Ich -will . . . die Beurtheilung der zweyten (: Veränderung des Dramas, nämlich des bürgerlichen Trauerspiels :) auf einen andern O r t sparen" 1 8 0 ). Auch wir haben jetzt die Entwicklung beim Trauerspiel zu verfolgen und begeben uns an den Ausgangspunkt der Untersuchung zurück.
160
) ebd.
DIE IRREGULÄREN ELEMENTE I N DER T R A G Ö D I E BIS Z U M E N D E D E R
DEUTSCHEN-
VORHERRSCHAFT
GOTTSCHEDS A l s Gottsched im Jahre
1724
aus O s t p r e u ß e n
nach L e i p z i g
kam,
spielte hier z u den M e ß z e i t e n g e w ö h n l i c h die Haackesche K o m ö d i a n t e n truppe, die damals v o n J o h a n n L u d w i g H o f f m a n n geleitet
wurde1).
E i n e Brieischreiiberin schildert in den „ V e r n ü n f t i g e n T a d l e r i n n e n " recht anschaulich an
dem
einen
in einer
der Theaternachmittage stark
besuchten
im
Vorstellung
Leipziger Anfang
Fleischhause, Januar
1725
„ D e r Streit zwischen Ehre u n d Liebe o d e r der s o g e n a n n t e C i d " g e geben w u r d e 2 ) . D i e s Stück Pierre Corneilles i n der alten Bearbeitung 1 ) Wegen der Bedeutung der Leipziger Theaterverhältnisse f ü r die Etablierung der klassizistischen Anschauung soll hier kurz auf die Entstehung der Neuberschen T r u p p e eingegangen werden. Gustav Wustmann, Quellen zur Geschichte Leipzigs, Bd. I, Leipzig 1889 (Zur Geschichte des Theaters in Leipzig 1665—1800), bringt an H a n d der Standgeldrechnungen eine Liste der Leipzig besuchenden Schauspielertruppen, aus der hervorgeht, d a ß der Prinzipal J o h a n n Caspar Haacke zwischen 1712 und 1722 zu den meisten der damals dreimal jährlich stattfindenden Messen in Leipzig gespielt hat (a. a. O . S. 482 f.). Haacke, der seit 1714 sächsischer H o f k o m ö d i a n t war, muß etwa 1722 gestorben sein; denn von 1723 bis 1725 wird die „Haackin", auf die das Privileg überging, in den Standgeldrechnungen als Prinzipalin genannt (a. a. O . S. 483 f.). 1726 berichtet das Wustmannsche Verzeichnis von „Haackens E r ben", 1727 von „Haackischen Hofcomoedianten". E t w a 1725 heiratete die Witwe Haackes den J o h a n n Ludwig H o f f m a n n (vgl. Chr. H . Schmid, C h r o nologie a. a. O. S. 33). Bei dieser T r u p p e befand sich A n f a n g der zwanziger J a h r e das Neubersche Ehepaar, scheint sich aber 1726 selbständig gemacht zu haben; die Neuberin schreibt nämlich im F r ü h j a h r 1736 in der Vorrede zu ihrem Vorspiel »Die von der Weisheit wider die Unwissenheit beschützte Schauspielkunst", sie habe in „9. und einem halben J a h r e " „an 50 Personen" in ihrer T r u p p e gehabt (Wolfgang von Gersdorff, Geschichte des Theaters in Kiel unter den Herzogen zu Holstein-Gottorp, Kiel 1912, S. 223). Die Neuberin erhielt am 8. August 1727 das sächsische Hofschauspielerpatent (v. Reden-Esbeck, Caroline Neuber a. a. O . S. 52 f.). 2 ) Vgl. Die Vernünftigen Tadlerinnen, Erster Jahrtheil, H a l l e im Magdeburgischen 1725, 17. Stück (Gesammelte Schriften von Johann Christoph G o t t sched, hrsg. von Eugen Reichel, l . B d . , Berlin o. J. S. 132—135). Als Absenderin des Briefes wird eine „Eburina" bezeichnet.
T
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Irreguläre Elemente in der frühklassizistischen deutschen Tragödie
Georg Greilingers war nach Gottscheds Bericht in der Vorrede zum „Sterbenden C a t o " „das einzige gute Stücke", das die Truppe in ihrem Repertoire hatte 3 ). Wie Gottsched an anderer Stelle schreibt, empfing er von diesem Drama den Antrieb zu seiner Theaterreform: „Die alte Uebersetzung des Cid hat uns . . . zu der Ueberlegung, von dem Aufnehmen der Schauspiele unter den Deutschen, Gelegenheit gegeben" 4 ). Welche Ironie des Schicksals, daß gerade das Stück, an dem sich gewissermaßen die Regelleidenschaft Gottscheds entzündete, selbst nicht ganz regelmäßig war! Denn Corneille hatte seinen „Cid" als Tragikomödie bezeichnet, weil dieser nicht in allen Punkten den Vorschriften der Französischen Akademie entsprach: Gottsched, der bis dahin gar nicht viel mit dem Theaterleben zu tun gehabt hatte und dem die Regeln unbekannt waren 5 ), lernte später diesen Sachverhalt kennen und lieferte sogar selbst im Jahre 1735 eine kritische Beurteilung 6 ). Außerdem ließ H o f f m a n n das Stüde in einer Prosaauflösung der ursprünglichen Alexandrinerübersetzung spielen 7 ). Immerhin genügte es, in Gottsched Abneigung gegen die üblichen Dramen und die bestehenden Theatersitten und -gepflogenheiten zu erwecken. Von den Schauspielen jener Zeit war schon im 2. Kapitel die Rede. Gottsched wurde in seinen Schriften nicht müde zu betonen, daß die dramatischen Gebilde seltsame Mischungen aus komischen und tragischen Elementen, daß sie „Misgeburten der Sdiaubühne" waren 8 ). Diese übelberüchtigten H a ü p t - und Staatsaktionen gehören in die Entwicklungsgeschichte des deutschen Trauerspiels, weil sie einen Januskopf tragen. Wenn wir uns an Gottsched halten, betrachten wir einerseits die Stücke, in denen der Hanswurst neben dem Helden auftrat, als dramatische Einheiten und damit als Zwittergattungen, andererseits können wir, so oft sich aus dem Ganzen eine tragische H a n d l u n g herausschälen läßt, diese als Tragödie ansehen. Gottsched selbst h a t darum noch in der ersten Auflage der „Critisdien Dichtkunst" — und dies ist eine 3 ) Joh. Christ. Gottscheds Prof. der Poes, in Leipzig, Sterbender Cato ein Trauerspiel, nebst einer Critisdien Vorrede, darinnen von der Einrichtung desselben Rechenschaft gegeben wird, Leipzig 1732, S. X V I (runpaginiert :). 4 ) Critische Beyträge a. a. O. IV (14. Stück 1736) S. 293 f. B ) Gottsched, Sterbender Cato a . a . O . S. XV. X V I I (: unpaginiert:). 6 ) Critisdie Beyträge a. a. O. IV (14. Stück 1736) S. 293—316. 7 ) Gottsched, Sterbender Cato a . a . O . S. X V I (¡unpaginiert:). 8 ) Vgl. Gottsched, Gesammelte Schriften a. a. O., 6. Bd., S. 257 (Akademische Rede: Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer •wohlbestellten Republik nicht zu verbannen — 17291.
Irreguläre Elemente in der frühklassizistischen deutschen Tragödie
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Laxheit des Theoretikers — den regelmäßigen französischen T r a g ö d i e n eine o p e r n h a f t e „Banise 0 , einen „Wallenstein", deren Bearbeiter u n b e k a n n t sind, vergleichend an die Seite gestellt"). Eine Reihe v o n H a u p t - u n d S t a a t s a k t i o n e n sind seither nach den H a n d s c h r i f t e n gedruckt w o r d e n 1 0 ) . D e r W e r t oder U n w e r t einer „Banise" läßt sich jetzt nach der Analogie abmessen. N i e m a n d w i r d leugnen, d a ß solch ein Stüde sich durch eine gewisse Technik auszeichnet, n i e m a n d k a n n jedoch auch übersehen, d a ß es den heutigen Ansprüchen an die D e z e n z nicht genügt. Schon dieser P u n k t w ü r d e eine A u f f ü h r u n g nach unseren Begriffen nicht angebracht erscheinen lassen. Gottsched aber ging es um etwas Absolutes, die Regelmäßigkeit, die ihm m i t der Schönheit gleichbedeutend w a r . N a c h deren Richtlinien, w i r beziehen uns hier auf die D a r l e g u n g e n im 1. K a p i t e l , w a r e n die meisten tragödienähnlichen Stücke w a h r h a f t ungeheuerlich. P r ü f e n w i r einmal mit der Brille Gottscheds! A n den äußeren Eigenschaften der Personen w a r im allgemeinen w o h l nichts auszusetzen, w e n n m a n v o n einzelnen H e l d e n aus der b ü r g e r lichen Sphäre wie D r . Faust u n d den komischen Figuren absieht. D a f ü r bot aber schon die Zeichnung der C h a r a k t e r e zu künstlerischen Bedenken A n l a ß . D e n n oftmals w a r e n die t u g e n d h a f t e n H e r o e n ganz einseitig überhöht, w a r e n die Gegenspieler A u s b ü n d e 'der Schlechtigkeit. Anderseits enthielten manche Stücke „Beyspiele ohnmächtiger u n d verächtlicher H e l d e n 1 1 ) " und widersprachen d a m i t dem Geist der echten Tragödie. D i e H a n d l u n g n a h m keine Rücksicht auf die Einheiten. D a s w a r ein sehr schlimmes Vergehen: 9 ) Vgl. Gottscheds Lebens- und Kunstreform, hrsg. v o n F. Brüggemann (Deutsche Literatur, Reihe A u f k l ä r u n g Bd. 3), Leipzig 1935, S. 46 u. 44 („Von Tragödien oder Trauerspielen" — Zehntes Hauptstück aus dem z w e i t e n Teil des Versuchs einer Kritischen Dichtkunst aus dem Jahre 1730). 10 ) Vgl. z. B. D e r U n g l ü c k s e l i g e Todes-Fall Caroli X I I . , hrsg. v o n Carl H e i n e , H a l l e a. S. 1888. — D a s Schauspiel der Wanderbühne, hrsg. v o n Willi Flemming (Deutsche Literatur, Reihe Barock Bd. 3), Leipzig 1931. — Rudolf Payer v o n T h u m , Wiener H a u p t - und Staatsaktionen (Schriften des Literarischen Vereins in Wien X , X I I I ) , Wien 1908. 1910. — Ein Verzeichnis der gedruckten Wiener H a u p t - und Staatsaktionen gibt O t t o R o m m e l , D i e A l t Wiener Volkskomödie, ihre Geschichte v o m barocken Welt-Theater bis zum T o d e Nestroys, Wien o. J. (1952) S. 994 f. Weitere Drucke sind bei F. Tschirn, D i e Schauspielkunst der deutschen Berufsschauspieler im 17. Jahrhundert, Diss. Breslau 1921, aufgezählt. xl ) Gottsched, Gesammelte Rede: D i e Schauspiele etc.).
Schriften
a. a. O.
6. Bd.,
S. 258
(Akademische
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Irreguläre Elemente in der frühklassizistischen deutschen Tragödie
„Der Schauplatz m u ß (: = darf :) nicht in der ersten H a n d l u n g zu Rom, in d e r andern zu Konstantinopel, in der 'dritten zu Lissabon, u.s.f. seyn; denn die Zuschauer, die an einem O r t e sitzen bleiben, können wahrscheinlicher Weise solche Reisen nicht im Augenblick thun, wo sie nicht etwa auf D . Fausts Mantel durch die Luft hingezaubert werden" 1 2 ). Ein Exzeß hieß auch, wenn die Zeitvorschrift mißachtet w u r d e : „ . . . deswegen ist auch bei uns Deutschen die Tragödie vom Wallenstein, von der Banise, ingleichen von der böhmischen Liibussa ganz falsch und unrichtig, weil sie zum Teil etliche Monate, zum Teil aber viele Jahre zu ihrer D a u e r erfordern" 1 3 ). Gottsched Z/itiert hierzu Cervantes' Verdikt über gewisse spanische Dramen: „Unsere Poeten, sagt er, stellen uns einen H e l d e n in der ersten H a n d l u n g in der Wiege, in der andern als einen Knaben, in der dritten als einen Jüngling, in der vierten als einen Mann, u n d in der f ü n f t e n auf seinem Paradebett vor" 1 4 ). Zu der H a n d l u n g geben.
darf es keine gleichberechtigte
Nebenhandlung
Die Stoffe der meisten H a u p t - und Staatsaktionen sind ebenfalls z