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German Pages 40 Year 2006
Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Neue Folge
Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit
Begründet von Werner Georg Kümmel (†) in Zusammenarbeit mit Christian Habicht, Otto Kaiser (†), Otto Plöger (†) und Josef Schreiner (†) Neue Folge herausgegeben von Hermann Lichtenberger und Gerbern S. Oegema
Band 2 · Lieferung 12 Gütersloher Verlagshaus
Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Neue Folge Band 2
Weisheitliche, magische und legendarische Erzählungen Dieter Lührmann Bundesbuch
2006 Gütersloher Verlagshaus
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
Odil Hannes Steck Hartmut Stegemann zum Gedächtnis
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Dieter Lührmann Bundesbuch
Inhalt I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4.
Die Tura-Papyri . . . . . . . . Der Titel . . . . . . . . . . . . . Der Inhalt . . . . . . . . . . . . Die Fragmente . . . . . . . . . Fragmente 1 bis 4: Kain Fragment 5: Henoch Fragment 6: Turm zu Babel Fragment 7: Abraham 5. Gattung, Herkunft und Zeit 6. Theologische Bedeutung . . 7. Bibliographie . . . . . . . . . .
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III. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragment 1: Der Altersunterschied zwischen Kain und Abel Fragment 2: Kains Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragment 3: Kains Tatwerkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragment 4: Kains Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragment 5: Henochs Versetzung ins Paradies . . . . . . . . . . . Fragment 6: Daten zum Turmbau zu Babel . . . . . . . . . . . . . Fragment 7: Abrahams Versuchung durch den Teufel . . . . .
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Abkürzungen FC LACL3 LibFoed
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Fontes christiani Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. von Siegmar Döpp und Wilhelm Geerlings, Freiburg/Basel/Wien, 32002 Bundesbuch
I. Einleitung 1. Die Tura-Papyri An fünf Stellen seines Kommentars zur Genesis verweist Didymus von Alexandrien auf ein »Bundesbuch« (ββλος τς διαθ κης), um mit seiner Hilfe Unklarheiten des biblischen Textes aufzuhellen1. Dieser Titel greift zurück auf den alttestamentlichen Zusammenhang, nach dem Mose bei seiner Rückkehr vom Berg Sinai ein Buch gleichen Namens verlesen hat (Ex 24,7)2. Vier der Verweise beziehen sich auf die Geschichte von Kain und Abel: den Altersabstand zwischen beiden (1), Gottes unterschiedliche Aufnahme ihrer Opfer (2), Kains Tatwerkzeug (3) und schließlich seinen eigenen Tod (4). Im fünften geht es um Henochs Entrückung. Pierre Nautin, der Erstherausgeber des Genesis-Kommentars, stellte auch bereits eine Verbindung her zu dem sechsten Fragment, einem seit langem bekannten Text mit genauen Daten zu dem in Babel gebauten Turm; dabei handelt es sich um ein Zitat der Nikephoros-Katene mit η διαθ κη als Quellenangabe3. Seit der Ausgabe des Jubiläenbuchs von Hermann Rönsch im Jahre 1874 gilt es aber als die ursprüngliche Fassung von Jub 10,21 und infolgedessen η διαθ κη, verstanden als »das Testament«4, als einer von mehreren Titeln des Jubiläenbuchs. Nautin meint, bei den Fragmenten 1, 4 und 5 auch inhaltliche Parallelen zum Jubiläenbuch sehen zu können, und identifiziert deshalb das von Didymus benutzte Bundesbuch insoweit mit dem Jubiläenbuch. Für die Fragmente 2 und 3 hingegen, wozu es dort nichts Vergleichbares gibt, verweist er auf ein arabisch und äthiopisch überliefertes christliches Adambuch (»Der Streit Adams und Evas mit dem Satan«)5. Da dieses aber allgemein auf das 5. oder 6. Jahrhundert datiert wird, kommt es als Vorlage für Didymus kaum in Frage6. Schließlich konnten Dieter und Ulrike Hagedorn, nachdem der Genesis-Kommentar veröffentlicht war, bei einer neuerlichen Durchsicht von Didymus’ HiobKommentar einen siebten Beleg für das Bundesbuch ausmachen7; hier geht es um Abrahams letztlich doch noch verhinderte Opferung seines Sohnes Isaak. Der 1. Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se I, hg. von P. Nautin SC 233, 1976, 28 f; Nautin hatte den Titel des Werkes jedoch mit »le Livre du Testament« statt »le Livre de l’Alliance« wiedergegeben; vgl. bei Anm. 29. Für Hinweise auf das Jubiläen- und ein Adambuch bedankt er sich bei A. Caquot und M. Philonenko. 2. Die lediglich vier weiteren alttestamentlichen Belege (4Reg 23,2.21; Sir 24,23; 1Makk 1,57) sind nicht nur literarisch von Ex 24,7 abhängig, sondern erscheinen auch einem vorwissenschaftlichen Lesen als Rückbezug darauf. 3. Ein Buch des Titels η διαθ κη ist eben (η) ββλος (Sir 24,23) bzw. (τ) βιβλον (Ex 24,7; 4Reg 23,2.21; 1Makk 1,57) (τς) διαθ κης; von Nautin ist διαθ κη auch hier mit »Testament« wiedergegeben. 4. H. Rönsch, Das Buch der Jubiläen, Leipzig 1874 (Nachdruck Amsterdam 1970), 275. 5. Text: A. Dillmann, Das christliche Adambuch des Morgenlandes, Göttingen 1853. 6. Vgl. zu dem Adambuch A.-M. Denis, Introduction a` la litte´rature religieuse jude´o-helle´nistique, Turnhout 2000, 41–44; trotzdem erwähnt Denis (ebd.) mit Todesdatum 398 auch Didymus. 7. Kritisches zum Hiobkommentar Didymos’ des Blinden, ZPE 67 (1987) 59–78, hier 60.
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Erstherausgeber Albert Henrichs hatte ohne solche Kenntnis keinen eigenen Buchtitel erkennen können und deshalb ββλος τς διαθ κης als »Buch des (Alten) Testaments« verstanden. Nautins Verteilung der Fragmente des Bundesbuchs auf zwei noch einmal andere Quellen wird sich nicht bestätigen. Nicht nur ist wegen der Datierung abzusehen von dem erst späteren Adambuch, sondern es zeigen sich auch gegenüber dem verbleibenden Jubiläenbuch, speziell seiner griechischen Überlieferung8, nicht unerhebliche Differenzen. Im Fragment 1 des Bundesbuchs scheint die Angabe über den Altersunterschied zwischen Kain und Abel genauer gewesen zu sein als in Jub 4,1. Bei Abels Opfer entzündet Feuer vom Himmel das Opfer (Fragment 2); im Jubiläenbuch fehlt in 4,2 eine derartige Angabe, während die Übereinstimmung mit dem Adambuch9 sich leicht aus dem gemeinsamen Vorbild von Elias Opferwettstreit erklärt10. Nach Fragment 3 gibt das Bundesbuch nur einen verschlüsselten Hinweis auf Kains Tatwerkzeug; in Jub 4,31 ist aber ein Stein ausdrücklich genannt – ebenso im Adambuch11 –, und Kain selber kommt dadurch zu Tode, dass sein Haus über ihm zusammenbricht, während nach Fragment 4 des Bundesbuchs Lamech ihn beim Einsturz einer Mauer unvorsätzlich tötet. Die Differenzen bei den Fragmenten 5 und 7 beziehen sich im wesentlichen auf Benennungen, wobei das Bundesbuch etwas abstrakter erscheint: »Paradies« gegenüber »Garten Eden« ( Jub 4,23) und »Teufel« gegenüber »Mastema« ( Jub 17,17)12. Im Detail gehen das Bundes- und das Jubiläenbuch bei aller inhaltlichen Ähnlichkeit also deutlich auseinander, und das Adambuch spielt keine entscheidende Rolle13. Völlig unklar bleibt leider eine Stelle in Didymus’ Sacharja-Kommentar, die noch zu beachten ist14. Ausgehend von dem Stichwort »Bundesblut« in Sach 9,11 geht es um die Besiegelung des Sinaibundes durch ausgegossenes Blut nach Ex 24,8, um das Passa sowie um die Einsetzungsworte des Abendmahls15; insgesamt scheint Didymus eine Typologie von Passa und Abendmahl vorzulegen. Der Herausgeber Louis Doutreleau hat vermutlich zu Recht das auf »das Buch des Gesetzes des« (τ βιβλον το νµου τς) folgende Wort zu »Bundes« (δια[θ κης]) vervollständigt und in einer Anmerkung auf Ex 24,7 verwiesen. Doch stehen diese Wörter völlig 8. Text bei A.-M. Denis, Fragmenta pseudepigraphorum quae supersunt graeca, PVTG 3, 1970, 70–102. 9. Text bei Dillmann (wie Anm. 5) 71. 10. Vgl. bei Anm. 56. 11. Text bei Dillmann (wie Anm. 5) 72: Abel bittet darum, dass Kain statt des Stabs einen Stein nimmt. 12. Vgl. dazu Anm. 113; Fragment 6 muss in dieser Gegenüberstellung, weil in der Zugehörigkeit strittig, natürlich außer Betracht bleiben. 13. Leider folgt A.-M. Denis in seiner maßgeblichen Introduction a` la litte´rature jude´ohelle´nistique (wie Anm. 6, 372 f) Nautins Identifikationen und gibt ihm daher keinen eigenen Paragraphen. 14. ZaT III 228,17 f zu Sach 9,11 f: Didyme l’Aveugle, Sur Zacharie III, hg. von L. Doutreleau, SC 85, 1962, 701. 15. In der Fassung der liturgischen Formulare aus Mk 14,24 und Mt 26,28 »mein Blut des Bundes« (τ αιµα µου τς διαθ κης), anders 1Kor 11,25 und Lk 22,20 »der neue Bund in meinem Blut« (η καιν διαθ κη εν τfω˜ εµfω˜ αιµατι bzw. εν τfω˜ αιµατι µου).
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isoliert in einem ganz und gar zerstörten Teil eines Blattes16, so dass die Frage offen bleiben muss, ob Didymus das nichtkanonische Bundesbuch gemeint oder sich direkt auf Ex 24,7 bezogen hat. Schließlich kommt noch eine enge Parallele zu Fragment 5 ohne Quellenangabe hinzu17, die aber nicht gesondert gezählt, sondern dort mit abgedruckt wird. Insgesamt können wir also von sieben sicheren Fragmenten ausgehen. Die genannten Kommentare stammen zusammen mit weiteren Schriften aus einem großen Fund von acht Codices mit insgesamt etwa eintausend doppelseitig in griechischer Sprache beschriebenen Blättern; datiert werden sie ins 6./7. Jahrhundert, die letzte Zeit vor dem Ende griechischer Überlieferung in Ägypten nach dem Ansturm der Araber in den Jahren 639–641. 1941 wurden sie in einer Höhle nahe der unterägyptischen Stadt Tura entdeckt und seit 1962 nach und nach veröffentlicht18. Zu einem kleinen Teil werden sie Origenes zugeschrieben, in ihrer Mehrzahl Didymus von Alexandrien (*310 oder 313, †398), der, als Kind erblindet, im vierten Jahrhundert in seiner Heimatstadt ein weithin anerkannter und einflussreicher Lehrer war19. Zu seinen Schülern zählen u. a. Rufin von Aquileia (*um 345, †411/12) und Hieronymus (*um 347, †419). Anders als seinem Zeitgenossen Athanasius (*um 295 oder 300, †373) stand ihm zwar der Begriff »Kanon« noch nicht in Gestalt des griechischen Wortes κανν zur Verfügung; im gleichen Sinne verwendete er jedoch als Gegensatz zu »Apokryphen« die ältere Bezeichnung δεδηµοσιευµναι20 ββλοι (»gebräuchliche Bücher«) bzw. die verdoppelte Negation zu »Antilegomena« αναντρρητοι ββλοι (»unwidersprochene Bücher«)21. Obwohl er sich durchaus bewusst war, dass die Zahl der maßgeblichen Bücher begrenzt werden sollte, zeigen seine Werke, wie viel zu seiner Zeit in Alexandrien, das er im übrigen nie verlassen hat, an außerkanonischen Schriften noch vorhanden war und vor allem auch benutzt wurde22. Es finden sich für seine Zeit kaum mehr erwartete positive Hinweise auf nicht kanonisch gewordene Schriften des Neuen wie des Alten Testaments, nicht allein deren Ablehnung. Beim Neuen sind das das ausdrücklich erwähnte Hebräerevangelium, aber auch Zitate ohne Quellenangabe aus dem an anderer Stelle abgelehnten Thomasevangelium 16. Diese Seite des Codex ist so lückenhaft, dass der Herausgeber sogar auf eine Übersetzung der Passage verzichtet hat. Auch der von ihm unten auf der Seite herangezogene Hieronymus-Text hilft nicht viel weiter. 17. PG 39, 1669C aus der Katenenüberlieferung. 18. Vgl. B. Neuschäfer, Art. »Tura-Papyri«, LACL3, 2002, 701 f. Die Edition ist abgesehen von kleinen Fragmenten inzwischen abgeschlossen. 19. Vgl. zur Orientierung: B. Kramer, Art. »Didymos von Alexandrien«, TRE VIII, 1981, 741–746; B. Neuschäfer, Art. »Didymus der Blinde«, LACL3, 2002, 197–199; ein detailliertes Verzeichnis seiner Schriften bei A. Pautler, Didyme d’Alexandrie, Biblia Patristica 7, 2000, 13– 43, hinzu kommt die Ausgabe des in seiner Echtheit umstrittenen Werks De spiritu sancto. Über den Heiligen Geist, übersetzt und eingeleitet von H. J. Sieben, FC 78, 2004. 20. Vgl. das Zitat des »alten rechtgläubigen« Bischofs EcclT I 8,8–11; lateinisch entspricht dem vulgata. 21. Vgl. Fragment 5 und seine Parallele PG 39, 1669C. 22. Vgl. in meinem Buch: Die apokryph gewordenen Evangelien, NT.S 112, 2004, 182–228 das Kapitel »Wer nicht gesündigt hat, hebe einen Stein auf und werfe ihn«. Neue Texte bei Didymos von Alexandrien.
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sowie freie Herrenworte23. Sein Altes Testament ist nach Sprache und Umfang die Septuaginta24, darüber hinaus finden sich Pseudepigraphen (Himmelfahrt Jesajas25, Elia-Apokalypse26, Assumptio Mosis27) und eben das »Bundesbuch«28.
2. Der Titel Die von Pierre Nautin statt »Bundesbuch« gewählte Übersetzung des Titels mit »Livre du Testament«29 ist zwar lexikalisch auch möglich, doch würde im Unterschied zu vergleichbaren Schriften eine Angabe darüber fehlen, um wessen Testament es sich handeln soll30. Da er zu schnell der vorgegebenen Interpretation von Fragment 6 als Teil des Jubiläenbuchs folgt, übersieht er aber vor allem, dass es sich um eine Anspielung auf Ex 24,7 handelt31; es geht nicht um ein Testament, sondern um jenes Buch32, das Mose bereits am Sinai verlesen hat und dem das Volk zustimmte. In einem zweiten alttestamentlichen Zusammenhang heißt es, dass zur Zeit des Königs Josia, kurz vor dem Untergang des Staates Juda im Jahre 587 v.Chr., das Bundesbuch im Tempel (wieder)gefunden und zur verpflichtenden Grundlage für umfangreiche Reformen in Israel gemacht worden sei (4Reg 23,2.2133); gemeint ist sicherlich das Bundesbuch von Ex 24,7. Nach seinen Bestimmungen seien alle Kultstätten außerhalb Jerusalems beseitigt und, wie ausdrücklich hervorgehoben, das Passafest in völlig neuer Weise gestaltet worden34. In der hebräischen Bibel sind dies die beiden einzigen Belege; in der Septuaginta kommen zwei weitere hinzu. Auf das Preislied, das im Sirachbuch die Weisheit auf sich selbst und ihre schöpferische Kraft anstimmt (24,3–22), folgt eine kommentie23. Außerdem gibt es Verweise auf weitere frühchristliche Schriften wie die Didache, den Hirt des Hermas, den Barnabasbrief, die Acta Johannis. 24. Hebräisch kann er nicht (vgl. PsT I 10,9–17); darin unterscheidet er sich nicht von den meisten Kirchenvätern. 25. Aufgenommen bei E. Norelli, L’Ascensione di Isaia, Bologna 1994, 16–21, sowie in der Ausgabe CChr.SA 8, 1995. 26. Vgl. B. Krebber, Exkurs II: Die Eliasapokalypse bei Didymos, in: Didymos der Blinde, Kommentar zum Ecclesiastes (Tura-Papyrus) IV, hg. von J. Kramer, B. Krebber, PTA 16, 1972, 159–161. 27. PG 39, 1815A. 28. Vgl. meinen Aufsatz: Alttestamentliche Pseudepigraphen bei Didymos von Alexandrien, ZAW 104 (1992) S. 231–249. 29. Vgl. P. Nautin (wie Anm. 1) I 28 f sowie in den Übersetzungen aller Fragmente. 30. Von einem Testament Moses z. B. ist im Titel eben nicht die Rede. 31. Ex 24,7 LXX τ βιβλον τς διαθ κης (hebräisch ˙ȯ· ¯ÙÒ); aus liber foederis in der Vulgata-Fassung von Ex 24,7 ergibt sich die Abkürzung LibFoed. Der Bezug auf Ex 24,7 fehlt auch im Stellenregister (wie Anm. 1) II, SC 244, 1978, 258, und dementsprechend bei A. Pautler (wie Anm. 19) 58. 32. Selbstverständlich wäre »Buch« im Sinne von Codex anachronistisch, es bezeichnet aber in der deutschen Sprache auch ein Werk, eine Schrift. 33. Wie Ex 24,7 τ βιβλον τς διαθ κης und ˙ȯ· ¯ÙÒ. 34. Im Umkreis von Ex 24,7 ist vom Passa indirekt die Rede in Ex 23,15. Das Passafest ist im alttestamentlichen Gesetz des Pentateuchs nach seiner Begründung im Auszug aus Ägypten und nach seinem Datum geregelt, nicht aber in seinem genauen Ablauf; vgl. Ex 12; Lev 23,5–14; Dtn 16,1–8.
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rende Bemerkung, alles, was zuvor von der Weisheit gesagt worden sei, meine »das Bundesbuch35 des höchsten Gottes, das Mose uns als Gesetz geboten hat« (24,23). Demnach ist einerseits Gottes Weisheit im Gesetz fassbar, das Gesetz aber ist als ein geschriebenes Buch konkret der Pentateuch, und der beginnt ja mit der Erschaffung der Welt; andererseits geht deshalb das Gesetz auch zurück bis in diese Anfänge. Ähnlich ist der Sprachgebrauch in 1Makk 1,56 f innerhalb eines narrativen Kontextes: Zu der Verfolgung der Frommen, die zum Makkabäeraufstand führte, gehörte die Verbrennung der Bücher des Gesetzes (τ βιβλα το νµου), also der Torarollen; wer dennoch, so heißt es parallel dazu, ein Bundesbuch (βιβλον διαθ κης) behielt bzw. dem Gesetz zustimmte, wurde zum Tode verurteilt. Wie in Sir 24,23 bezeichnet »Bundesbuch« also auch hier konkret den Pentateuch als Buch bzw. Rolle. Das von Didymus herangezogene Werk war hingegen ein eigenes neues Buch. Dass eine Schrift von der Bedeutung des am Sinai vermittelten Bundesbuchs nicht überliefert war, mag dazu gereizt haben, eine vermeintliche Lücke zu schließen, und die Übernahme des alten Titels konnte dem neuen Buch ein hohes Maß an Legitimation verschaffen, wenn es denn aus der unmittelbaren Offenbarung Gottes am Sinai zu stammen schien und nach biblischem Zeugnis eine so wichtige Rolle gespielt hatte. Zudem war im Titel kein Verfasser genannt, daher handelte es sich nicht um ein »Pseudepigraphon« im strengen Sinn; es war keine Schrift, für die fälschlich eine biblische Autorität als Autor in Anspruch genommen wurde36.
3. Der Inhalt In den Tura-Papyri findet sich also keine eigene Handschrift des Bundesbuchs; sie bieten vielmehr in den Werken des Kirchenvaters Didymus von Alexandrien erstmals sechs Verweise auf dieses Werk. Von einem großen Teil der ehemals vorhandenen antiken Literatur kennen wir freilich überhaupt nur Titel, und auch dass wir von einem Buch, bei dem mehr erhalten geblieben ist, nur Fragmente haben, ist nicht ungewöhnlich37. Handschriften haben als Textzeugnisse zwar immer den höchsten Wert, denn wer kopiert, bemüht sich normalerweise stärker um exakte Wiedergabe, als wer – möglicherweise aus dem Gedächtnis – zitiert; erst recht ist bei Wiedergaben in indirekter Rede Vorsicht geboten38. Wo aber wie beim Bundesbuch eigene Handschriften fehlen, müssen und können Zitate doch Vorstellungen über den Inhalt vermitteln. Von Didymus’ Kommentar sind nur die Auslegungen zu Genesis 1,1 bis 2,3, dann wieder zu 3,1 bis 8,20 und schließlich zu 12,1 bis 17,3 erhalten39. Mit ihrem Überge35. Bβλος τς διαθ κης, an dieser Stelle fehlt eine hebräische Überlieferung. 36. Vgl. Didymus, EcclT I 8,3–5: »Deshalb verbietet unsere Lehre das Lesen der Apokryphen, weil deren viele gefälscht worden sind (ε[ψευ]δογραφ θη). Und irgendjemand, der es (selbst) geschrieben hat, gab ihm nach Belieben den Titel Thomas- oder Petrusevangelium.« 37. Vgl. z. B. die klassischen Ausgaben der Vorsokratiker, der Stoiker oder der griechischen Historiker als Sammlungen von solchen Fragmenten. 38. In unserem Zusammenhang fehlen Übersetzungen, die sonst, z. B. bei Didymus’ Schrift De spiritu sancto, durchaus allein die Überlieferung tragen. 39. Der Rest ist verloren abgesehen von Katenen-Fragmenten.
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wicht bei der Geschichte von Kain und Abel sind die Verweise auf das Bundesbuch ungleich verteilt. Einschließlich der beiden anderen Fragmente decken sie aber insgesamt die Spanne von da an über Henoch und den Turmbau zu Babel bis hin zu Abraham. Das Werk wird jedoch nicht mit Kain und Abel begonnen haben, sondern eher bei Adam und Eva und der Erschaffung der Welt. Leider kennen wir aber vom Bundesbuch weder den Anfang noch das Ende als die beiden für das Lesen wichtigsten Orientierungspunkte; daher ist auch keine Mitte zu bestimmen. Der aus dem Titel ableitbare Bezug auf das am Sinai gegebene und später zur Zeit Josias wiedergefundene Bundesbuch lässt jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, dass eine entsprechende Verbindung auch erzählerisch dargestellt worden ist. Insofern wäre das Jubiläenbuch mit seinem Beginn am Sinai durchaus vergleichbar; und wie dort wäre auch in diesem Buch das Gesetz mit Geschichten über die Anfänge der Welt und der Menschheit verbunden gewesen40. Im Jubiläenbuch schreibt Mose freilich die Offenbarung der Engel auf als ein neues Buch und nimmt nicht wie in Ex 24,7 eines entgegen41. Didymus zieht das Bundesbuch nur heran, wenn es um den historischen (καθ ιστοραν) oder Literalsinn (κατ τ ρητν) der Genesis-Texte geht42, nicht bei der zum tieferen Sinn führenden geistlichen, »anagogisch« (κατ αναγωγ ν) genannten Exegese43. Daraus lässt sich schließen, dass es sich bei dem Bundesbuch um eine Nach- und Neuerzählung der biblischen Geschichten gehandelt hat, nicht um eine theologische Bearbeitung in der Art von z. B. Philos allegorischem Kommentar. Die Reihenfolge der Fragmente ist vorgegeben durch ihre Stellung in der fortlaufenden Auslegung des Genesis-Textes; doch wäre in einem narrativen Werk alles andere als die Übernahme des Handlungsfadens der Genesis verwunderlich. Das zeigen nicht zuletzt die neben dem schon erwähnten Jubiläenbuch44 am ehesten vergleichbaren Werke: die knappe Nacherzählung der frühen biblischen Geschichte in den ersten drei Büchern von Josephus’ Antiquitates Judaicae, die entsprechenden Schriften aus Philos allegorischem Kommentar zur Genesis, seine Quaestiones in Genesin et Exo-
40. Auffällig ist auch die Erwähnung der Geschichte von Nadab und Abihu durch Didymus in Fragment 2; vgl. bei Anm. 58. 41. Die Damaskusschrift gibt vermutlich den ursprünglichen Titel des Jubiläenbuchs wieder: »Buch der Aufteilungen der Zeiten nach ihren Jubiläen und ihren Wochen« (CD 16,3 f); hier fehlt jeder Anklang an Ex 24,7. Die Behauptung, das Jubiläenbuch werde unter dem Titel η διαθ κη zitiert, ließe sich einzig mit Fragment 6 belegen und führt sich damit selbst ad absurdum. 42. So ausdrücklich in der Fortsetzung von Fragment 2: »Dies ist die Erklärung nach dem Wortsinn (το ρητο); der weiterführende Sinn (ο τς αναγωγς νος) ist aber folgender« (GenT I 122,2 f); zur Schriftauslegung vgl. W. A. Bienert, »Allegoria« und »Anagoge« bei Didymos dem Blinden von Alexandria, PTS 13, 1972, auch wenn er seinerzeit den Genesis-Kommentar noch nicht berücksichtigen konnte. 43. Die diskutiert er mit anderen, z. B. mit Philo von Alexandrien; vgl. in unserem Textkomplex Fragment 1. 44. Hier ist besonders die bereits erwähnte griechische Überlieferung in der Chronik des Georgius Syncellus vom Anfang des 9. Jahrhunderts zu beachten; Text bei A.-M. Denis (wie Anm. 8) 70–102.
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dum und die für einen Vergleich freilich merkwürdig unergiebig bleibenden Antiquitates Biblicae unter dem Namen Philos45.
4. Die Fragmente Einzig Fragment 6 aus der Nikephoros-Katene ist, wenn auch mit aller Vorsicht, als ein direktes Zitat aus dem Bundesbuch anzusehen. Zwar fehlt die Möglichkeit einer Kontrolle durch einen Vergleich mit anderen Textüberlieferungen, gar einer Handschrift, doch werden Katenen üblicherweise als Sammlungen wörtlicher Exzerpte gewertet und entsprechend hochrangig in Textausgaben gewürdigt46. Deshalb erscheint dieses Fragment als ganzes in Anführungszeichen, die ich auch sonst für direkte Zitate, z. B. aus biblischen Schriften verwende. Der in diesem Fall zusätzliche kursive Druck kennzeichnet bei den anderen Fragmenten nur einzelne Wörter als wahrscheinlich aus dem Bundesbuch übernommen, denn bei Wiedergaben in indirekter Rede können, wenn überhaupt, Umfang und Wortlaut vorgegebener Texte jeweils nur noch in wesentlich geringerem Ausmaß ermittelt werden. Didymus hat bei denen, die seinen Kommentar hörten oder lasen, die Kenntnis des Bundesbuchs vorausgesetzt. Deshalb brauchte er es nicht eigens einzuführen, um seinen Nutzen zu begründen. Da uns heute aber andere Informationen nicht zur Verfügung stehen, sind wir allein auf diese spärlichen Angaben angewiesen; lediglich bei Fragment 5 bietet die Doppelüberlieferung etwas mehr an Sicherheit. Um einen besseren Überblick zu schaffen, habe ich den jeweiligen Kontext von Didymus’ Verweisen relativ breit wiedergegeben. Dadurch werden nebenher auch Beispiele für die Prinzipien von Didymus’ Schriftauslegung und für sein Verhältnis zu Philo vorgestellt und ebenso die Art, wie er sonst mit vorgegebenen Schriften umgeht, biblischen oder anderen. Kursivdruck im genannten Sinn verwende ich eher sparsam, in der Übersetzung ins Deutsche zudem ohne Rücksicht auf in den beiden Sprachen möglicherweise unterschiedliche grammatische Einbindungen. Als Text der biblischen Grundlage ist bei Didymus, aber auch im Bundesbuch selber, stets die griechische Übersetzung vorauszusetzen47; am deutlichsten ist das bei Gen 5,24 in Fragment 5 zu erkennen. Deshalb wird durchgehend immer mit der Septuaginta verglichen, nicht primär mit dem hebräischen Text48. Aus demselben Grund beschränke ich mich aber auch für anderes Vergleichsmaterial auf die Über-
45. Für einzelne Details treten natürlich auch weitere zeitgenössische Schriften hinzu, vor allem Weisheit Salomos und Jesus Sirach. Das Genesis-Apokryphon in aramäischer Sprache zeigt, soweit erhalten, keine Berührungspunkte. Die Fragmente der jüdischen Historiker sind so gering, dass sich für die Anfänge nirgends eine fortlaufende Darstellung ergibt. 46. Vgl. B. Neuschäfer, Art. »Katene«, LACL3, 2002, 424 f. 47. Vgl. dazu N. Walter, Die griechische Übersetzung der »Schriften« Israels und die christliche »Septuaginta« als Forschungs- und als Übersetzungsgegenstand, in: Im Brennpunkt: Die Septuaginta, hg. von H.-J. Fabry, U. Offerhaus, BWANT 153, 2001, 71–96. 48. Ich füge deshalb auch durchgehend das Siglum LXX an die alttestamentlichen Stellenangaben an.
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lieferung, die in griechischer Sprache nachweisbar ist, damit die neue Schrift gegenüber all ihren möglichen Parallelen ein eigenes Recht behält49. Fragmente 1 bis 4: Kain Kain ist in der biblischen Geschichte der erste Mensch, der geboren wird, und der bringt seinen jüngeren Bruder Abel um; gleich der erste Tote in der Geschichte der Menschheit ist nicht friedlich gestorben, sondern hat sein Leben durch Gewalt verloren. Der Altersunterschied zwischen den beiden bleibt in der Genesis unbestimmt, da erst in 5,3 die Datierungen von Geburten nach den Lebensjahren der zeugenden Väter einsetzen. Philos von Didymus in Fragment 1 referierte Meinung, sie seien Zwillinge gewesen50, ist im überlieferten Werk nicht zu verifizieren; zu vermuten ist sie daher für verlorene Teile seiner Quaestiones in Genesin51. Im Bundesbuch hingegen wurde, wenn man die Formulierung von Fragment 1 wörtlich nimmt, eine bestimmte Zahl von Jahren zwischen ihren Geburten genannt, zumindest hätte sie sich errechnen lassen; leider gibt Didymus sie aber nicht wieder, sondern erinnert nur an sie. Im Jubiläenbuch hingegen wird Kains Geburt in die dritte und Abels in die vierte Sieben-Jahre-Einheit oder »Jahrwoche« datiert (4,1); damit ist jedoch der Altersunterschied eben nicht genau bestimmt, wie es im Bundesbuch laut Didymus der Fall war.52 Das erste Fragment bietet also kaum mehr als den Hinweis, dass das Bundesbuch im christlichen Alexandrien des vierten Jahrhunderts so bekannt war, dass Didymus darauf verweisen konnte, um einen biblischen Text auszulegen, und dass er es immerhin auf einer Stufe mit Philos Schriften diskutierte. Zugleich bietet es möglicherweise auch ein bisher unbekanntes Stück aus Philos philologischem Genesis-Kommentar53. Gottes unterschiedliche Aufnahme der Opfer Kains und Abels wird in der biblischen Geschichte lediglich konstatiert (Gen 4,5), in keiner Weise aber erzählerisch 49. In allen Fragmenten geht es um große Themen der jüdischen Überlieferung, so dass natürlich viel mehr Vergleichsmaterial herangezogen werden könnte. Die bewusste Beschränkung auf das hellenistische Judentum griechischer Sprache soll die Ausgabe auf das vorliegende Werk konzentrieren. 50. Eindeutig ein Zwillingspaar sind dagegen Esau und Jakob (Gen 25,22 und 24). Als gleichaltrig und daher Zwillinge sind Kain und Abel z. B. dargestellt in einer Handschrift aus dem 11. Jh. in Oxford (Bodl. MS Junius 11; Abbildung: LCI I, 5 f). 51. P. Nautin (wie Anm. 1) 279 bestreitet diese These für Philo generell. Aber nach sacr 11 (πρεσβ$τερος, νετερος) und quaest in Gen I 59 ist Kain der Ältere und Abel der Jüngere; doch auch unter Zwillingen ist ja einer der Ältere; vgl. Josephus, ant. I 52: »erster« (πρ%τος), »zweiter« (δε$τερος). 52. Daher ergibt dieses Fragment kein Argument für eine Identifizierung beider Werke. 53. In der auf den wiedergegebenen Text folgenden anagogischen Auslegung hingegen bezieht sich Didymus dann auf Philos Schrift »Über die Opfer Kains und Abels«, die zum allegorischen Kommentar zur Genesis gehört; vgl. als Einführung in die verschiedenen Abteilungen seines Werkes z. B. M. Mach, Art. »Philo von Alexandrien«, TRE XXVI, 1996, 523–531. Im übrigen könnte eine Durchsicht von Didymus’ Werken vermutlich einiges an neuem Material für Philo (und Josephus) erbringen; vgl. die knappen Bemerkungen bei Nautin (wie Anm. 1) I 26 f.
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beschrieben, ebensowenig im Jubiläenbuch (4,2) oder bei Josephus54. Für diese Lücke kann Didymus in Fragment 2 aber, was den Literalsinn angeht55, erneut auf das Bundesbuch verweisen, nach dem »vom Himmel herabkommendes Feuer« Abels Opfer erfasst habe; Gottes Urteil war also als sichtbares Zeichen zu erkennen. Als wörtliche Wiedergabe aus dem Bundesbuch kommen die Wörter »vom Himmel herabkommendes Feuer« in Frage; alles andere ist sprachlich und syntaktisch zu sehr eingebunden in Didymus’ eigene Erörterung. Zur Unterstützung fügt Didymus dieser Auslegung zwei biblische Beispiele an. Das bekanntere und auch eindeutigere ist das von Elia, der bei einem Wettstreit mit einer Überzahl von Baalspriestern zum Kriterium machte, der wahre Gott sei der, der in der Lage ist, die ihm zugedachten Opfer zu entfachen, und dann sei Feuer aus dem Himmel gefallen und habe allein seine Opfer verzehrt, nicht die seiner Gegner56. Diese Geschichte bildet das Vorbild für die Darstellung im Bundesbuch wie auch für das spätere von Nautin herangezogene Adambuch57. »Im Leviticus« hingegen, Didymus’ anderes Beispiel, bringen Nadab und Abihu ein als »fremd« und in einem Nachsatz noch einmal verstärkt als nicht Gottes Gebot entsprechend bezeichnetes Brandopfer dar und werden dafür gestraft durch von Gott ausgehendes Feuer, das sie vernichtet58. Hier ist Feuer also ein Mittel zum Töten der Frevler, nicht Zeichen eines Gottesentscheids wie bei Abel und Elia; weder Kain noch die Baalspriester werden jedoch durch Feuer umgebracht. Ein Sinn, der den beiden anderen Beispielen entspricht, ergibt sich nur, wenn »fremd« einem »eigenen« Feuer Gottes kontrastiert, das vom Altar genommen werden muss59; dann liegt der Vorwurf darin, dass Nadab und Abihu ihr Opfer selbst entzündet haben60. Nadab und Abihu begegnen in der Bibel nicht erst »im Leviticus«, sondern auch schon in Ex 24,1.9 im unmittelbaren Kontext der alttestamentlichen Erwähnung eines Bundesbuchs. Mit Aaron und den siebzig Ältesten hatten sie Mose auf den Berg begleitet, bevor er allein weiter nach oben gestiegen war, um Gott selbst zu begegnen. Nach der Septuaginta sahen sie den Ort, an dem der Gott Israels stand61, wenn auch nicht wie im hebräischen Text ihn selber. Aber wer so weit gekommen ist wie sie, kann umso tiefer fallen. Das lehrt die Geschichte ihres Opfers; ihr Beispiel zeigt, wie das Feuer, mit dem sie ein verkehrtes Brandopfer darbrachten, auf sie selbst zurückgefallen ist. Ob nun die Verbindung zu dieser Geschichte bereits im Bundesbuch vorgegeben war oder ob erst Didymus sie hergestellt hat, lässt sich leider nicht zureichend beantworten. In jedem Fall wird die Annahme bestärkt, dass eine Beziehung des Titels zu dem in Ex 24,7 genannten Bundesbuch besteht und damit 54. Ant. I 54. 55. In p. 122,2 bezeichnet Didymus diese Passage als »Auslegung des Gesagten« (το ρητο δι γησις) im Unterschied zu der dann folgenden Anagoge, in der er von Philo (quaest. in Gen I 63) übernimmt, Kain habe die Ablehnung erkannt an der Trübsal, die ihn befiel. 56. 3Reg 18,24 und 38. 57. Vgl. oben bei Anm. 10. 58. Lev 10,1 f; vgl. 24, Anm. b. 59. Vgl. Lev 9,24. 60. Vgl. M. Noth, Das 3. Buch Mose. Leviticus, ATD 6, 41978, 70. 61. Ex 24,10 LXX: κα& ει'δον τν τπον, ου ειστ κει εκει˜ ο θες το Iσρα λ.
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zu der dort unmittelbar mit ihm verbundenen Geschichte von der Gottesbegegnung am Sinai. Lediglich konstatiert wird in der biblischen Erzählung, dass Kain Abel getötet hat62, nichts aber gesagt über die näheren Umstände, ebensowenig bei Philo und Josephus. Wer bibelkundig war, konnte wie Didymus wissen, dass ein Messer, eine Axt63 oder eine Hacke64 nicht in Frage kamen, denn die Bearbeitung von Metall beginnt nach der Genesis erst Generationen später mit Thubalkain (LXX Thobel), einem Sohn Lamechs65. Das Fragment 3 des Bundesbuchs half in diesem Falle auch nicht direkt weiter, gab aber, was sich im nächsten Fragment zeigen wird, einen verschlüsselten Hinweis auf Holz bzw. Stein, denn, das ist Didymus’ Logik, aus den Umständen von Kains Tod beim Einsturz einer von Lamech gebauten Mauer sind Rückschlüsse auf seine Tat möglich; zu Mauern gehören vornehmlich Steine, aber auch Holz. Das Jubiläenbuch, ebenso das Adambuch, hingegen sagt unverschlüsselt, dass Kain einen Stein benutzt habe (4,31)66. Dass sein Delikt dennoch als Mord67 einzuschätzen, also mit der Todesstrafe bewehrt sei, und nicht als Totschlag68, ergibt sich für Didymus aus der Bibel, in diesem Falle aus dem 1. Johannesbrief (3,12). Daraus entsteht die Frage nach einer möglichen Sühne für ein solches Kapitalverbrechen, die im nächsten Fragment aufgenommen ist. Für sich allein gibt auch Fragment 3 kaum etwas her für unsere Kenntnis des Bundesbuchs, denn es weist nur voraus auf das folgende, ohne dass sich ein bestimmter Textbestand festhalten lässt. Bemerkenswert ist freilich, dass Didymus es hier als (fast) so autoritativ einsetzt wie die kanonische Schrift des 1. Johannesbriefs. Die biblische Geschichte sagt nichts darüber, wie Kain zu Tode gekommen ist, ebensowenig Philo und Josephus. Nur einmal noch ist von ihm die Rede (Gen 4,23 f), als Lamech vor seinen Frauen damit prahlt, dass er getötet habe, ohne deshalb selber getötet worden zu sein, sondern lediglich verwundet. Aus diesem Zusammenhang stammt der von Didymus eingangs von Fragment 4 zitierte Satz. Lamech nennt dort als Grund, dass, wenn schon Kain siebenfach gerächt werden solle69, dann er selber siebenundsiebzigfach70. Spielt ersteres auf Gottes eigene Zu62. Gen 4,8 LXX »und er tötete ihn« (κα& απκτεινεν αυτν), bei Didymus zitiert p. 126,7 f. 63. So z. B. in der Illustration der Schedelschen Weltchronik (Blatt 12). 64. So z. B. in der Bilderbibel von Schnorr von Carolsfeld Abb. 13; zur bildlichen Darstellung vgl. S. Poeschel, Handbuch der christlichen Ikonographie, 2005, 41; G. Henderson, Art. »Abel und Kain«, LCI I, 1968, 5–10; ders., Art. »Kain«, LCI II, 1970, 471–474. 65. Gen 4,22 LXX: »Und er war einer, der mit dem Hammer Kupfer und Eisen bearbeitet« (κα η'ν σφυροκπος χαλκευ` ς χαλκο κα& σιδ ρου), bei Didymus zitiert p. 139,20 f. Er interpretiert dies (p. 141,19–23) auf die Herstellung von Kriegsgeräten. 66. Ein weiteres Argument dagegen, eines der Bücher mit dem Bundesbuch zu identifizieren. 67. Vgl. 25, Anm. d; für Didymus beweist »und Kain stand auf gegen Abel« zudem seinen Vorsatz (p. 127,3). 68. Vgl. aber Luthers offenbar sachgemäße Übersetzung des hebräischen ‚¯‰ »und schlug ihn tot«, denn in der Genesis gibt es ja keine Sühne für Abels Tod, sondern nur das Schutzzeichen Kains; der LXX-Text ist an dieser Stelle neutraler, vgl. Anm. 62. 69. Rückbezug auf Gen 4,15 LXX, bei Didymus zitiert p. 133,5 f. 70. Gen 4,24 LXX, bei Didymus zitiert p. 141,27 f.
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sage gegenüber Kain an, so dient das zweite offenbar zur Einschüchterung potentieller Gegner. Sie sollen davon abgehalten werden, Lamech etwas anhaben zu wollen; wer versucht, ihn zu verwunden, muss für sein eigenes Leben fürchten. Im Bundesbuch wird daraus, dass derjenige, den Lamech, wenn auch ohne Vorsatz, getötet hat, niemand anders war als Kain, dass diese Tötung aber nur mit einer Wunde bzw. Strieme, also nicht wie ein Mord vergolten wurde71. Es gibt andere Darstellungen und daraus resultierende Wertungen von Kains Tat. Josephus bezeichnet ihn ausdrücklich als »Brudermörder«72; freilich sei die Sühne ausgesetzt gewesen bis zur siebten Generation73. Lamech, in der fünften zwar von Kain an gerechnet, in der siebten aber von Adam, habe sich dadurch bedroht gefühlt und dies seinen Frauen mitgeteilt74. Damit wandelt Josephus das in der biblischen Erzählung vorgegebene Motiv der Prahlerei Lamechs um in Angst, ohne dass er ausführt, ob sie in irgendeiner Weise berechtigt war. Als ungesühnt gebliebener Mord erscheint Abels Tod auch in der Jesusüberlieferung der Logienquelle, und zwar als Anfang einer seitdem nicht abgerissenen Kette von Bluttaten, deren Sühne am Ende eingefordert werden soll von »diesem Geschlecht«75. Dass auch im 1. Johannesbrief Abels Tötung als Mord angesehen wird, zeigt sich in Fragment 3. Umso auffälliger ist es, dass Didymus die abweichende, noch dazu nichtkanonische Sicht des Bundesbuchs zur Geltung bringt. Anders sieht es dagegen aus, wenn Kains Tat nicht als Mord, sondern als Totschlag gewertet wird, wie die Wortwahl des hebräischen Textes der biblischen Geschichte nahe legt, während die des griechischen neutraler ist76. Zwischen Mord und Totschlag zu unterscheiden, ist keineswegs erst eine moderne Errungenschaft, vielmehr war es zu allen Zeiten nötig, unterschiedliche Kategorien von Tötungsdelikten zu bilden und entsprechend mit ihnen umzugehen. So ist im alttestamentlichen Bundesbuch für Totschläger die Möglichkeit des Asyls an dafür bestimmten Stätten vorgesehen, für Mörder aber ausgeschlossen; wer mordet, hat sein Leben definitiv verwirkt (Ex 21,12–14). Für Totschlag ist der fehlende Vorsatz ausschlaggebend beziehungsweise – in einer merkwürdigen Umschreibung des hebräischen Textes –, dass Gott dem Täter die Hand geführt, nach der Septuaginta ihn in seine Hände gegeben hat. Vor diesem rechtlichen Hintergrund lässt sich das Schutzzeichen Kains, verbunden mit der Zuweisung eines Exils im Lande Nod jenseits von Eden, verstehen als eine Art Asylgewährung zu einer Zeit, als es noch keine Altäre77 gab, an die 71. Das ist eine Uminterpretation des Septuaginta-Textes von Gen 4,23b (zitiert bei Didymus p. 141,24–28), nach dem Lamech für eine erlittene Verwundung getötet, also übermäßig reagiert hat (so auch der hebräische Text). 72. Ant. I 57 φονε)ς ταδελφο; vgl. αδελφοκτονα I 65; vgl. auch Weish 10,3 unten in Anm. 126. 73. Ant. I 58 in Abwandlung der siebenfachen Vergeltung von Gen 4,15; vergleichbar ist die Zahl der 77 Kinder Lamechs (ant. I 63) als Aufnahme der 77 fachen Vergeltung von Gen 4,24. Vermutlich wollte Josephus aus apologetischen Gründen den Gedanken einer übermäßigen Vergeltung vermeiden. 74. Ant. I 65. 75. Lk 11,51/Mt 23,35. Dahinter steht das deuteronomistische Geschichtsbild; vgl. O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, WMANT 23, 1967, 26–33.222–227. 76. Vgl. Anm. 62 und 68. 77. Vgl. Ex 21,14.
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er als Totschläger hätte fliehen können. Nach strafrechtlichen Maßstäben kann mit dieser Umsiedlung der Fall Kains auch als abgeschlossen gelten, sein Tod ist nicht mehr interessant; zudem finden sich in der Genesis für diese frühe Zeit auch sonst nur selten Todesdaten78. Jenseits der juristischen Würdigung blieb die Frage, ob es nicht letztlich doch einen Ausgleich gegeben habe, so dass Kains Tat in seinem eigenen Tod in irgendeiner Weise aufgehoben worden wäre, ob also ein Zusammenhang zwischen seinem Tun und seinem Ergehen zu erkennen sei, ohne dass Gottes Schutzzusage verletzt wäre. Das ist der Fall im Jubiläenbuch, wo Kains Haus (bei einem Erdbeben?) über ihm zusammenfällt und die Steine ihn töten79, so wie er selbst Abel mit einem Stein getötet hatte80. Aus diesem Einzelfall leiten dann die Engel, die dort die ganze Geschichte erzählen, ausdrücklich die strafrechtliche Regel des ius talionis ab, die sie in die himmlischen Tafeln aufnehmen; dieser Grundsatz der Entsprechung von Strafe und Tat steht in einer klassisch gewordenen Formulierung in der Mitte des alttestamentlichen Bundesbuchs (Ex 21,23–25). Ebenfalls durch Steine kommt Kain im Bundesbuch zu Tode, was, wie Didymus in Fragment 3 meinte, einen verschlüsselten Hinweis auf sein Tatwerkzeug liefert81. Die näheren Umstände sind aber andere als im Jubiläenbuch. Lamech ist es, der Kain tötet, wenn auch ohne Vorsatz, wie Didymus doppelt betont. Als er nämlich eine eben hochgezogene Mauer umstürzte, konnte er nicht sehen, dass sich jemand dahinter befand; dass Kain dabei zu Tode kam82, war also nicht als Mord zu werten, denn es fehlte der Vorsatz. Weder ist damit Gottes Kain versprochener Schutz verletzt, noch musste Lamech nun für sein eigenes Leben fürchten. Das Motiv von Strieme und Wunde83 bekommt eine neue Funktion als Ausgleich im Falle von Totschlag. Ist der Mann, den Lamech getötet hat84, Kain, dann ist dies bereits durch seine Verletzung abgegolten, und vor allem hat Kains Tat in seinem Tod eine Entsprechung gefunden, die ihr gerecht wird. Wie in der Übersetzung durch Kursive gekennzeichnet, lässt sich in Fragment 4 erstmals – wenn auch mit aller nötigen Vorsicht – aus Didymus’ Formulierungen ein bestimmter Wortlaut für das Bundesbuch herausarbeiten: »Als er . . . eine Mauer baute, stürzte er sie ein, als Kain sich dahinter befand«. Inhaltlich ergeben sich Beziehungen zum alttestamentlichen Bundesbuch; daher stammt auch die Kategorie »unvorsätzlich« zur Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord85. Darüber 78. In Ant Bib 2,4 findet sich ohne jeden weiteren Kommentar die Bemerkung, Kain sei im Alter von 730 Jahren gestorben; ein Jahr nach Adam stirbt er in Jub 4,31. 79. Jub 4,31; griechische Fassung aus der Chronographia des Georgius Syncellus bei Denis (wie Anm. 8) 84. 80. G. Henderson erwähnt in seinem Artikel »Kain« (LCI II, 1970, 471–474) nur Darstellungen, dass Kain von Lamech mit einem Pfeil getötet wurde. 81. Vgl. bei Anm. 66. 82. Die Szene entspricht Kains Einführung als Erbauer der Stadt namens Henoch in Gen 4,17. 83. Vgl. Ex 21,25 LXX Wunde (τραµα) und Strieme (µλωψ). 84. Gen 4,23; störend ist dann freilich die Bezeichnung des fünf Generationen älteren Kain als »Jüngling« (νεανσκος). 85. Aκουσως; vgl. Ex 21,13 ο δ* ουχ εκν.
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hinaus findet sich die allgemeinere Vorstellung einer Entsprechung menschlichen Handelns im folgenden Ergehen. Fragment 5: Henoch Die biblische Geschichte erwähnt zunächst einen Sohn Kains namens Henoch, nach dem sein Vater die von ihm gebaute Stadt benennt86. Aus der Nachkommenschaft Seths dagegen kommt ein anderer gleichen Namens, von dem es in der SeptuagintaFassung heißt: »Henoch wurde Gott wohlgefällig, und er wurde nicht gefunden, denn Gott hatte ihn versetzt«87. Für die dabei offen bleibende Frage, wohin Gott ihn versetzt hat, entnimmt Didymus dem Bundesbuch, dass er in das Paradies entrückt worden sei; auch das dabei verwendete Verbum »entrückt worden« (αρπ+ζειν) kann von dort stammen, da es weder im Text der Genesis vorgegeben ist noch im Zusammenhang der Elia-Geschichte, die ja ebenfalls im Hintergrund steht. Andererseits verwirft Didymus eine übertragene Deutung der Stelle auf eine Veränderung der Lebensweise (τρπος); er hält sich allein an die des Ortes (τπος), wie die Parallele aus der Katenenüberlieferung die Alternative markiert. Ohne die Quelle seiner Kenntnisse zu nennen, gibt Didymus dort dieselbe Interpretation des biblischen Textes auf eine Versetzung Henochs ins Paradies. Er behauptet zudem, diese Deutung ergebe sich schon aus dem verwendeten Verbum »versetzt werden«, das seiner Meinung nach offenbar allein auf einen Ortswechsel bezogen werden kann. Im Vorfeld von Fragment 5 hatte Didymus auch schon auf Elia verwiesen88, hier jedoch macht er ihn zu seinem Hauptzeugen, denn auch bei ihm werde mit der Angabe »in den Himmel« ein dem »Paradies« vergleichbarer Ort als Ziel seiner Versetzung genannt89. Schließlich kommt als eindeutige Parallele Christi Himmelfahrt hinzu. Merkwürdig ist, dass Didymus in diesem Fall eine »tropologische« Deutung in gar keiner Weise gelten lassen will. Eine solche ist gut zu belegen, und er konnte sie aus seinen Studien im Alten Testament wie in Philos Werken kennen90. Henoch sei ein »Beispiel für Umkehr« (υπδειγµα µετανοας), heißt es in der griechischen Fassung des Sirachbuches 91; im hebräischen Text hingegen wird er »Zeichen der Erkenntnis«92 genannt, womit wohl angespielt ist auf Henochs Rolle als Vermittler von vielerlei Wissenschaften93. Die griechische Übersetzung versteht den Aorist des Referenztextes Gen 5,24 LXX als ingressive Aktionsart: Henoch »wurde Gott 86. Gen 4,17. 87. Gen 5,24 LXX κα& ευηρστησεν Eν-χ τfω˜ θεfω˜ , κα& ουχ ηυρσκετο, οτι µετθηκεν αυτν ο θες (zitiert bei Didymus p. 148,6 f); diese Fassung ist auch in Hebr 11,4 vorausgesetzt. Der hebräische Text hingegen ist eindeutiger: »Henoch wandelte mit Gott und war nicht mehr (da), denn Gott hatte ihn (weg)genommen.« 88. Vgl. p. 148,16 f. 89. Vgl. 4Reg 2,11 in 27, Anm. e. 90. Ich greife im folgenden mit leichten Modifikationen zurück auf meinen Aufsatz: Henoch und die Metanoia, ZNW 66 (1975), 103–116. 91. Sir 44,16; in 49,14 folgt eine zweite Erwähnung Henochs. 92. Der hebräische Text ist in Handschrift B der Kairoer Genizah-Fragmente erhalten; vgl. I. Le´vi, The Hebrew Text of the Book of Ecclesiasticus, 21951, 59: ˙Ú„ ˙‡ . 93. Vgl. dazu die verschiedenen unter seinem Namen laufenden wissenschaftlichen Werke.
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wohlgefällig«, und deshalb wurde er versetzt; er lebte nicht von Anfang an so, sondern erst nach »Buße, Bekehrung, Umkehr, Sinnesänderung« oder wie sonst das griechische Wort µετ+νοια zu übersetzen ist. Die Septuaginta-Fassung stellt Henoch damit als Beispiel hin für alle, die wie er Gott zu gefallen suchen94. In der Weisheit Salomos wird Henochs Geschichte zur Folie für das typische Ergehen des Gerechten, ohne dass sein Name fällt: »Gott wohlgefällig geworden wurde er geliebt, und unter Sündern lebend, wurde er versetzt« (4,10); diese an Gen 5,24 LXX anschließende Aussage wird dann interpretiert: »Er wurde entrückt, damit nicht Schlechtigkeit seinen Sinn verändere oder Trug seine Seele täusche« (4,11). Die wahre Bedeutung dieses Geschehens wird den Sündern erst im Endgericht klar werden, wenn es zu spät ist noch umzukehren (5,3: µετανοοντες). Anders als im Sirachbuch ist Henoch hier nicht selbst ein Beispiel für Umkehr, wohl aber könnte und müsste sie sich bei den Sündern angesichts seiner Geschichte einstellen95. Bei Philo steht Henoch gleich in mehreren größeren Zusammenhängen für »Umkehr«96, und auch bei Clemens von Alexandrien gehört beides zusammen97. Umso erstaunlicher ist es, dass Didymus von einer solchen Interpretation nichts wissen will. Für das Bundesbuch ergibt sich aus Fragment 5 erneut ein kleines Detail auf der Ebene des Literalsinns, das eine in der griechischen Fassung der biblischen Erzählung offen bleibende Frage damit beantwortet, dass Henoch ins Paradies entrückt worden ist. Wenn es im Jubiläenbuch heißt, Henoch sei in den »Garten Eden« geführt worden98, dann ergibt sich trotz aller Ähnlichkeit erneut kein Argument dafür, beide Werke gleichzusetzen. Fragment 6: Turm zu Babel In der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel werden zwar in Gen 11,4 und 8 der Beginn und das Ende der Bauarbeiten erwähnt99, es fehlen aber alle weiteren Angaben zum Bau selber; ebensowenig finden sie sich bei Philo und Josephus. In der griechischen Überlieferung des Jubiläenbuchs bei Georgius Syncellus100 ist wie im Bundesbuch eine Bauzeit von 43 Jahren genannt; als erste nach sechs Siebener-Einheiten oder 42 »Jahrwochen« verstanden bedeutet diese Zahl, dass in die siebte, die Ru94. In der sonstigen Henochliteratur erscheint das Thema der Umkehr nur in der Form, dass Henoch selber als Bußprediger dargestellt wird. 95. Bei Josephus fehlt eine entsprechende Deutung Henochs. 96. Vgl. quaest. in Gen I 82–85; Abr. 17–26; praem. 15–21; vgl. virt. 175–186 περ& µετανοας, wo freilich nur in 184 eine Anspielung auf Gen 5,24 zu finden ist. 97. Vgl. strom. II 70,3. 98. Jub 4,23; nach 4,21 war er offenbar vorher schon im Himmel. 99. Jeweils mit demselben griechischen Verbum (οικοδοµει˜ν), das auch hier im Text erscheint, in Gen 11,8 in einer vergleichbaren partizipialen Konstruktion (επα$σαντο bzw. ε.µειναν οικοδοµοντες). 100. In seiner Chronographia; bei Denis (wie Anm. 8) 88, dort 88 f auch weitere Parallelen. Die äthiopische Überlieferung, wie sie H. Rönsch (wie Anm. 4) 277 nach brieflicher Auskunft von A. Dillmann wiedergibt, enthielt aber offenbar die Zahlenangaben, wenn sie nun auch verstümmelt ist.
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heepoche hinein gearbeitet worden ist101. Zur räumlichen Erstreckung hat auch der äthiopische Text Zahlen; sie werden – wie bereits gesagt – seit Hermann Rönsch’ Textausgabe nach dem Text aus der Nikephoros-Katene korrigiert102. Wegen der Quellenangabe (η διαθ κη) liegt es jedoch näher, ihn einem eigenständigen Bundesbuch zuzurechnen, unbeschadet möglicher Gemeinsamkeiten mit Jub 10,21103. Die Beschreibung der Länge der Mauern bleibt im Bereich des Plausiblen, jedenfalls für eine riesige Stadt, als die Babel der Überlieferung immer gegolten hat104. Höhenmessungen von einer solchen Genauigkeit, wie sie hier behauptet wird, waren hingegen105 erst in der hellenistischen Zeit durch die Euklidische Geometrie möglich geworden, mit deren Hilfe aus dem Verhältnis von Winkeln und Strecken unbegrenzt Höhen berechnet werden konnten. Sie in die Erzählung einzufügen, bedeutete schmückendes Beiwerk und hob das Bundesbuch auf das Bildungsniveau der Zeit. Aber wie bei den 43 Jahren handelt es sich auch hier kaum um eine beliebige Angabe, denn wer die genannten 5433 Ellen durch 7 teilt, erhält 776 plus einen erstaunlichen Rest von 771; es fehlten nur noch sechs Ellen bis zu einer symbolischen Höhe von 7 mal 777106 = 5439 Ellen, und davon waren weitere zwei Handbreiten schon geschafft. Bei Annahme von sieben durch die Planetenbahnen gebildeten Sphären wurde also im allerletzten Moment der Durchbruch in den darüber liegenden Himmel verhindert, sei es allein durch die Multiplizierung der Sprache wie in Gen 11,8 oder dass wie in Jub 10,26 ein Sturm zusätzlich nachgeholfen hat. Dieses einzige direkte Zitat aus dem Bundesbuch zeigt zunächst die auch sonst zu beobachtende Tendenz, vermeintliche Lücken auszufüllen, wobei das Bundesbuch offenbar auch Erwartungen entgegenkam, etwas über technische Daten zu erfahren. In erzählerischer Hinsicht bringen die einzelnen Angaben kaum Gewinn; sie verstärken jedoch auf ihre Weise den Eindruck eines maßlosen Bauvorhabens: ein Turm so hoch wie – damals und heute – auch annähernd nicht vorstellbar107, und ein mit einer Stadtmauer ringsum gesichertes Areal von riesiger Fläche108, das alles zudem aus einzeln gefertigten109 Ziegelsteinen, deren besonderer Wert eigens hervorgehoben ist. Und doch kommt nach Ablauf der zulässigen Arbeitszeit von 42 Jahren alles noch zu Fall. Die Lehre daraus soll wohl die sein, dass auch scheinbar maßloser Hybris durch das Gesetz eine Frist gesetzt ist. 101. Das Sabbatgebot Ex 20,8 bezieht sich zwar – griechisch wie hebräisch – auf den Wochentag, heiligt jedoch auch andere Siebener-Einheiten. 102. H. Rönsch (wie Anm. 4); die erhaltene aramäische Überlieferung aus Qumran hilft an dieser Stelle nicht weiter. 103. Leider fehlt in Didymus’ Genesis-Kommentar mit den Seiten 199 bis 208 die Auslegung von Gen 8,21–11,32, also auch die der Geschichte vom Turmbau zu Babel. 104. Nach Herodot war der quadratische Grundriss mit Seitenlängen von je 120 Stadien noch erheblich größer; vgl. A. Neuburger, Die Technik des Altertums, 1919 (Nachdruck 1977), 273. 105. In Babylon hätte man allenfalls noch die Höhe eines Schutthügels messen können. 106. Vgl. die Gesamtlebenszeit des Lamech aus der Nachkommenschaft Seths von 777 Jahren (Gen 5,31) sowie die Siebenzahl in Gen 4,15 und 24. 107. Je nach dem Ellenmaß geht es um eine Höhe von 2.500 bis 2.900 Meter. 108. Je nach dem Maß des Stadions geht es um ca. 24 mal 56 Kilometer. 109. Der Gegensatz wären Quader aus Steinbrüchen wie in Ägypten.
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Fragment 7: Abraham Da Didymus’ Kommentar zur Genesis nur bis zum Beginn des 17. Kapitels erhalten ist, fehlt seine Auslegung der Geschichte von der Opferung Isaaks in Gen 22. Doch im Kommentar zum Buch Hiob parallelisiert er Abrahams Versuchung mit der Hiobs, insofern er auch hier den Teufel am Werk sieht. Das steht so zwar in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs, nicht jedoch in der Genesis, denn auch in der Septuaginta beginnt die Geschichte mit dem lapidaren Satz: »Gott versuchte Abraham«110. Didymus aber greift auf das Bundesbuch zurück, das er erneut als bekannt voraussetzt, weshalb sein Hinweis leider recht pauschal bleibt. Zu erkennen ist lediglich, dass die vom Teufel initiierte Aufforderung, Isaak zu opfern, Abschluss einer Reihe von vergeblichen Versuchen ist, Abraham von seiner Treue Gott gegenüber abzubringen. Vergleichbares findet sich weder bei Philo noch Josephus, wohl aber im Jubiläenbuch, denn dort handelt es sich um die insgesamt zehnte Versuchung Abrahams111. Jedoch gehen sie alle von Gott selber aus112, und im Jubiläenbuch führt der Gegenspieler als Fürst der Dämonen (10,8) durchgehend den Namen »Mastema«113, während Didymus ihn wie der griechische Text des Hiobbuchs114 »Teufel« (δι+βολος) nennt115. So ergibt sich auch bei diesem Text kein Argument für eine Gleichsetzung beider Werke. Wohl aber zeigt das Bundesbuch einen dualistischen Zug, der sich in der Darstellung von Abels Tötung entgegen anderen Überlieferungen116 gerade nicht fand.
5. Gattung, Herkunft und Zeit Unter den Abteilungen der »Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit« entspricht »Unterweisung in erzählender Form« am ehesten dem Eindruck, der von den Fragmenten ausgeht. Grundsätzlich vergleichbar sind das Jubiläenbuch und andere Neufassungen der vorgegebenen biblischen Erzählungen über die Anfänge der Welt und der Menschheit117. Dem entspricht, dass Didymus das Bundesbuch allein für den historischen oder Literalsinn der Texte heranzieht118, nicht für die anagogische Auslegung. Der aus Ex 24,7 übernommene Titel stellt einen Zusammenhang 110. Gen 22,1. 111. Jub 19,8. 112. Vgl. Jub 17,17. 113. ‰ÓË˘Ó (»Feindschaft, Feindseligkeit«) ist ein Nomen von der Wurzel ÌˢØÔˢ (vgl. »Satan«); vgl. Hos 9,7 f; 1QS 3,23; 1QM 13,11; CD 16,5 der Engel [der] Feindschaft; in der griechischen Überlieferung bei Georgius Syncellus (bei Denis [wie Anm. 8] 94) verballhornt zu Mestipham. 114. Hebräischer Text: »Satan« (Ôˢ‰). 115. G.W. E. Nickelsburg ( Jewish Literature between the Bible and the Mishnah, 22005, 70) weist darauf hin, dass auch im Jubiläenbuch die Geschichte Abrahams nach dem Vorbild des Hiobbuches erzählt ist. 116. Vgl. Weish 2,24: »Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt«. 117. Vgl. bei Anm. 45. 118. Vgl. bei Anm. 42.
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mit der am Sinai gegebenen Offenbarung her; und zu erkennen sind auch inhaltliche Beziehungen zum alttestamentlichen Bundesbuch der Kapitel 20 bis 23 des Buches Exodus119. Die »Unterweisung« füllt also nicht bloß vermeintliche Leerstellen aus, sondern die näheren Umstände von Abels und Kains jeweiligem Tod oder die Baudaten des Turms zu Babel vermitteln Einsicht in den vordergründig verborgenen Ausgleich von menschlichen Taten durch bestimmte Folgen. Nur zu unscharfen Ergebnissen können Überlegungen zur Entstehungszeit und zu möglichen Trägerkreisen des Bundesbuchs führen. Didymus als der einzige historische Fixpunkt zeigt es im 4. Jahrhundert in Alexandrien in der Hand eines angesehenen christlichen Theologen, der bereit ist, es als Hilfe zur Interpretation kanonischer Bücher heranzuziehen120. Damit ist noch nichts gesagt über eine christliche Herkunft des Buches, denn die einst reichhaltige jüdische Literatur in griechischer Sprache ist fast ganz verloren, sofern sie nicht in christlicher Überlieferung aufgenommen worden ist wie die Septuaginta einschließlich ihrer gemessen an der hebräischen Bibel apokryphen Bücher, wie die Werke Philos und Josephus’, aber auch vieles anderes, wovon nur noch kürzere oder längere Zitate bei christlichen Schriftstellern eine Ahnung geben121. Auch beim Bundesbuch spricht nichts dagegen, dass es seinen Ursprung in griechisch sprechenden jüdischen Kreisen der hellenistischen Zeit gehabt hat. Zugrunde liegt, wie die Einzelanalysen zeigen, die Septuaginta als griechische Fassung des Alten Testaments; deshalb wird es in dieser Sprache auch abgefasst worden sein. Der Stand der Vermessungstechnik, wie er in Fragment 6 vorausgesetzt ist, entspricht ebenfalls dieser – freilich weit bemessenen – Zeit. Als Entstehungsort bietet sich, wie in solchen Fällen fast immer, Alexandrien oder überhaupt Ägypten an, doch bleiben die Mutmaßungen über Ort und Zeit der Entstehung zu pauschal, als dass sie viel austragen könnten zum Verständnis des Buchs.
6. Theologische Bedeutung Die Fragmente 1 bis 4 lassen skizzenhaft eine in sich abgestimmte Neuerzählung der Geschichte von Kain und Abel erkennen122. Wie vermutlich schon in der Genesis ist die Bluttat als Totschlag gewertet, nicht als Mord, was der Unterscheidung des alttestamentlichen Bundesbuches (Ex 21,12 f) entspricht. Daher verfällt Kain nicht der Todesstrafe, sondern bekommt von Gott Schutz gewährt. Die über die Vorlage in der Genesis hinausgehende Darstellung der Umstände seines eigenen Todes mag sich vielleicht auch aus der Freude am Detail erklären, vor allem aber nimmt sie die 119. Darauf weist möglicherweise auch die im Zusammenhang von Fragment 2 etwas unvermittelt wirkende Erwähnung der Geschichte von Nadab und Abihu durch Didymus; vgl. bei Anm. 58. 120. Vgl. bes. Fragment 5. 121. Hinzu kommen dann archäologische Funde wie z. B. von Teilen des 1. (äthiopischen) Henoch im Akhmim-Codex, in dem sie neben dem Petrusevangelium und der Petrusapokalypse stehen. 122. Vgl. bei Anm. 76.
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Frage auf, ob das Handeln eines Menschen nicht letztlich in irgendeiner Weise eine Entsprechung findet in seinem Ergehen, und sei es nur in verschlüsselter Weise. Dass Kain von Lamech unvorsätzlich getötet wurde, tut dem in doppelter Hinsicht Genüge; einerseits hatte Kain mit einem Stein oder einer Keule seinen Bruder getötet, und dementsprechend kam er durch eine einstürzende Mauer zu Tode; andererseits wurde Gottes Schutzzusage durch diese Fahrlässigkeit nicht verletzt und nicht Lamech nun seinerseits zum Mörder. Die Behauptung eines solchen Zusammenhangs zwischen Tun und Ergehen bestimmt in Fragment 5 die Darstellung Henochs, der ins Paradies versetzt wurde, nachdem, beziehungsweise weil er begonnen hatte, Gott wohlgefällig zu leben123. Sie steht auch im Hintergrund der Geschichte vom Turmbau zu Babel, denn die Baudaten von Fragment 6 begründen in verschlüsselter Weise die Zerstörung: Mit der angegebenen Höhe, bis zu der die Menschen nach 42 Jahren Bauzeit gekommen waren, ist ausgesagt, dass der Turm im allerletzten Moment vor dem Durchbruch in den Himmel an der Schwelle von siebenmal 777 Ellen doch noch eingestürzt (worden) ist, weil die Zeit der Arbeit von sechsmal sieben Jahren überschritten war. Schließlich zeigt Fragment 7 Abraham als in der Versuchung treu, der sich auch durch den Teufel nicht davon abbringen lässt, Gottes Willen zu gehorchen; das ist in der Überlieferung stets der Grund für Gottes Verheißung an ihn124. Diese Frage nach dem Zusammenhang von Tun und Ergehen bewegte weite Kreise frühjüdischer Weisheitstheologie; dass sie im Hiobbuch grundsätzlich problematisiert wird, unterstreicht nur ihre Bedeutung. Im Bundesbuch kommt mit der Einführung des Teufels zusätzlich ein dualistischer Zug herein wie z. B. gelegentlich auch in der Weisheit Salomos125. Dort lenkt freilich die Weisheit Gottes die Geschichte, und die wird im Unterschied zum Bundesbuch anonymisiert bzw. typisiert erzählt126. Der Titel »Bundesbuch« stellt seinerseits einen expliziten Bezug zum Gesetz her, denn diese Bezeichnung spielt an auf Ex 24,7, wo eine vorausgehende Sammlung von Geboten und Verboten diesen Namen trägt127. Dass damit mehr gemeint ist als lediglich eine formale Übernahme, zeigt die Ausrichtung der Geschichte von Kains Tod auf die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag nach Ex 21,13 f und wohl auch die Bedeutung der Siebenzahl in Fragment 6 entsprechend dem Dekaloggebot Ex 20,8. Das Gesetz des Bundesbuchs im Alten Testament, in seinem Mittelpunkt das ius talionis128, bietet Maßstäbe für die erzählte Welt des nach ihm benannten nichtkanonischen Werks. 123. Voraussetzung ist die griechische Fassung der Genesis; vgl. oben Anm. 87. Assoziationen zu Gottes freier Gnadenwahl sind hier nicht angebracht; es geht um ein aktives Leben, das so gestaltet ist, wie es Gott gefällt. 124. Vgl. z. B. Sir 44,20 f. 125. Vgl. Anm. 116. 126. Vgl. die Darstellung Kains in Weish 10,3: »Als ein Ungerechter sich von (der Weisheit) abwandte in seinem Zorn, ging er zugrunde mitsamt seinen brudermörderischen Gesinnungen.« Nach 10,4 kam die Sintflut seinetwegen. 127. 4Reg 23,2.21 bezieht sich zurück auf Ex 24,7, ebenso Sir 24,23 und 1Makk 1,57. Auf den Sinai-Zusammenhang weist auch die Erwähnung von Nadab und Abihu in Fragment 2, die bereits auf das Bundesbuch zurückgehen kann; vgl. bei Anm. 58. 128. Ex 21,24 f.
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Bei einem erst vor kurzer Zeit entdeckten Buch lässt sich keine Wirkungs- oder Auslegungsgeschichte schreiben. Das Bundesbuch selber gehört jedoch in die Reihe solcher Werke, die ausgehend von den Daten der biblischen Chronologie die Geschichte der Menschheit von ihren Anfängen an erzählen. Das Vertrauen in die Bibel war bis weit in die Moderne so groß, dass die besonders im Humanismus noch einmal entwickelte und im jüdischen Kalender bis heute praktizierte Jahreszählung anno mundi darauf beruht. Auch die einst weit verbreitete »Weltchronik« des Hartmann Schedel129 fußte in dieser Weise auf der Bibel und schrieb sie fort bis zum Jahre 1493 (der üblichen Zählung anno Domini). Zu diesem Zeitpunkt wurde die überkommene Sicht von Welt und Zeit freilich bereits in Frage gestellt durch Entdeckungen neuer Länder und Völker, die auf den drei Kontinenten, die in Gen 10 den Söhnen Noahs zugewiesen werden, nicht mehr unterzubringen waren. Im 19. Jahrhundert konstituierte sich die moderne Geschichtswissenschaft mit dem Ziel, was gewesen ist, allein aus zuverlässigen Quellen kritisch zu rekonstruieren. Zu denen gehörten nun auch archäologisch neu erschlossene, der Genesis vergleichbare, aber bedeutend ältere Texte wie das Gilgamesch-Epos. Vor allem aber setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Welt sehr viel älter sein musste als die nicht einmal 6.000 Jahre einer aus der Bibel errechneten Chronologie und dass auch die Natur ihre Geschichte hat und nicht von Anfang an so bestand, wie sie heute ist. Mit alledem wurde immer deutlicher, dass das Bild, das die ersten Kapitel der Genesis insgesamt vermitteln, historisch nicht Bestand haben konnte. In der Theologie ergab sich mit der historischen Neuorientierung der Wissenschaften u. a. »Geschichte Israels« als eigener Gegenstand von Forschung und Lehre130. Zu deren Ergebnissen gehört seit langem die bis heute bemerkenswert breit akzeptierte Rekonstruktion eines »Bundesbuchs« aus Ex 20,22 bis 23,33; es gilt als »das älteste Rechtsbuch des Alten Testaments«131. Sein Name stammt zwar noch aus Ex 24,7, doch wird es nun aus dem unmittelbaren Kontext der Sinai-Offenbarung herausgenommen und bekommt eine eigene Geschichte, deren Anfang vor allen Pentateuchquellen gelegen hat. Nach Abzug von allerlei kult- und strafrechtlichen Zusätzen aus späterer Zeit bleibt als Kern die rechtliche Regelung von sozialen Verhältnissen, und zwar solchen, die Sesshaftigkeit voraussetzen und nicht zu einer nomadenhaften Existenz passen wie der Wüstenwanderung und dem Aufenthalt am Sinai132. Obwohl also diesem rekonstruierten Bundesbuch historisch ein neuer Ort und eine andere Zeit zugewiesen werden, behält es doch seine Funktion als grundlegendes Rechtsbuch Israels. Das gleichnamige Buch, das die Reformen unter Josia in Gang gesetzt hat, gilt dabei als Neubearbeitung in Richtung auf eine frühe Fassung des Deuteronomiums. 129. Sie liegt vor in einer schönen Faksimile-Ausgabe: H. Schedel, Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493. Einleitung und Kommentar von Stephan Füssel, 2001. 130. Auch in heutigen Bibelausgaben beginnen Zeittafeln nicht mehr mit der Erschaffung der Welt. 131. Vgl. G. Wanke, Art. »Bundesbuch«, TRE VII, 1981, 412–415, das Zitat 412. 132. Vgl. die »klassische« Auslegung von M. Noth, Das 2. Buch Mose. Exodus, ATD 5, 6 1978, 136–157.
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Im Gegensatz zu diesem historisch-kritisch neu gewonnenen Bundesbuch kennen wir von dem antiken nur Fragmente aus Erzählungen von den Anfängen der Menschheit, keine Rechtssätze. Die Kaingeschichte zeigte jedoch eine enge Ausrichtung auf das Gesetz, speziell auf das alttestamentliche Bundesbuch133. Damit führt nicht anders als im Jubiläenbuch das Gesetz hinter die Sinai-Offenbarung zurück bis in den Anfang aller Zeit. Auch der Siracide unterbricht sein Loblied der an der Schöpfung beteiligten Weisheit mit der Entschlüsselung ihres Geheimnisses: »Dies alles ist das Bundesbuch des höchsten Gottes, das Gesetz, das Mose uns geboten hat« (Sir 24,23). Wie in der erzählten Welt des nichtkanonischen Bundesbuchs erscheint das Gesetz als orientierende Kraft, nicht allein in rechtlicher Hinsicht, sondern nun auch als eine Art »Naturgesetz« der Schöpfung. Paulus hingegen gesteht in Gal 3,17 dem Gesetz nur eine Zeit zwischen der an Abraham ohne das Gesetz ergangenen Verheißung und Christus zu und begrenzt es damit historisch wie sachlich134. Dass es auf Mose als Mittler und auf Engel zurückgehe, findet sich zwar ähnlich im Jubiläenbuch, und dass es Fluch bewirken kann, gehört zu seinen Funktionen auch im Alten Testament. Paulus spricht ihm aber ab, ebenso Segen schaffen zu können, behauptet hingegen, dass es zum Tode führt; damit steht er innerhalb seiner zeitgenössischen Diskussion isoliert gegenüber allen anderen am Gesetz orientierten Theologien. Eine grundsätzlichere Alternative zu dem von der Genesis vermittelten Bild der Anfänge bietet in der Moderne Sigmund Freud, für den der erste Tote der ermordete Stammvater, nicht der Bruder Abel ist. Für diese tatsächlich historisch gemeinte135 These greift er zurück auf Charles Darwins Vorstellung einer »Urhorde«, die er durch diese Bluttat umgewandelt sieht zu prinzipieller Gleichheit, in rechtlicher Hinsicht begrenzt durch das Inzest-Tabu und im religiösen Mahl den Vatermord erinnernd. Das alles ist aber nicht mehr einfach die Revolte der Aufklärung gegen alle Willkür und Tyrannei, denn treibende Kraft dahinter ist nicht die Selbstbewusstwerdung des Geistes, sondern der Ödipus-Komplex136, benannt nach jenem griechischen König, der seinen Vater tötete und seine Mutter heiratete. Versammelt ist hier das gesamte Repertoire der Geschichte von Kain und Abel, nur in völlig anderer 133. Deutlich ist ein solches Vorgehen im Jubiläenbuch; vgl. z. B. oben bei Anm. 80. 134. Vgl. meinen Aufsatz: Die 430 Jahre zwischen den Verheißungen und dem Gesetz (Gal 3,17), ZAW 100 (1988) S. 420–423. Nach Ex 12,40 LXX liegen 430 Jahre Aufenthalt in Ägypten und Kanaan zwischen der Ankunft Abrahams hier und dem Auszug dort bzw. zwischen der Verheißung von Gen 12,2 f und dem Gesetz ab Ex 20, wie Paulus in Gal 3,17 interpretiert; entsprechend der Chronologie des Buches Exodus erreicht Israel nach drei Monaten noch im Jahre des Auszugs aus Ägypten den Sinai. Die ganze Epoche ist im Pentateuch durch die Übersiedlung Jakobs von Kanaan nach Ägypten (Gen 47,28) in genau 2 mal 215 Jahre unterteilt. 135. Der entscheidende Satz lautet: »Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende« (Totem und Tabu, Einleitung von M. Erdheim, Fischer-Tb 10451, 92005, 196). Freud spricht einen Zusammenhang mit Gen 4 selber an keiner Stelle an. 136. Ebd. (wie Anm. 135) 212: »So möchte ich denn zum Schlusse dieser mit äußerster Verkürzung geführten Untersuchung das Ergebnis aussprechen, daß im Ödipus-Komplex die Anfänge von Religion, Sittlichkeit, Gesellschaft und Kunst zusammentreffen, in voller Übereinstimmung mit der Feststellung der Psychoanalyse, daß dieser Komplex den Kern aller Neurosen bildet, soweit sie bis jetzt unserem Verständnis nachgegeben haben.«
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gegenseitiger Zuordnung. Als erster getötet wird der Vater, nicht der Bruder, und als erstes Opfer bringen die Söhne den Vater dar, nicht die jeweiligen Erträge ihres Berufs. Nach der Genesis entstehen in der Kainlinie die sogenannten »Kulturerrungenschaften«137, die durch diese Herkunft von einer ähnlichen Ambivalenz gekennzeichnet sind wie bei Freud die Auswirkungen des Vatermords: Städtebau (4,17), Viehzucht (4,20), Musik (4,21), Metallverarbeitung (4,22) und nicht zuletzt bei Kain selber der Ackerbau (4,2)138. Die Religion als Verehrung des wahren Gottes Israels freilich kann nicht auf diese Seite gehören, sondern beginnt (nach Abel) erneut mit Enos (4,26), dem Sohn Seths, denn religiöse Rivalität, nicht sexuelle wie bei Freud hatte ja zum ersten Mord geführt. Das Recht schließlich ist begründet in der noch im Paradies erworbenen Erkenntnis von Gut und Böse (1,17; 3,5.22), und Kain übertritt mit seiner Bluttat das Dekaloggebot »Du sollst nicht töten« (Ex 20,13). Das kann im Bundesbuch nicht anders gewesen sein als in der Genesis.
7. Bibliographie Zu den Didymus-Texten Didyme l’Aveugle, Sur Zacharie I–III, hg. von Louis Doutreleau, SC 83–85, 1962 Didymus der Blinde, Kommentar zu Hiob (Tura-Papyrus) I, hg. von Albert Henrichs, PTA 1, 1968 Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se, hg. von Pierre Nautin, I, SC 233, 1976; II, SC 244, 1978 Didymos der Blinde, Kommentar zum Ecclesiastes (Tura-Papyrus), I.1 hg. von G. Binder, L. Liesenborghs, PTA 25, 1979; I.2 hg. von G. Binder, PTA 26, 1983; IV hg. von J. Kramer, B. Krebber, PTA 16, 1972 Hagedorn, Dieter und Ulrike, Kritisches zum Hiobkommentar Didymos’ des Blinden, ZPE 67 (1987) 59–78 Pautler, Andre´, Didyme d’Alexandrie, Biblia Patristica 7, 2000 Didymus der Blinde, De spiritu sancto. Über den heiligen Geist, übersetzt und eingeleitet von Hans Josef Sieben, FC 78, 2004 Sonstige Literatur Berger, Klaus, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II.3, 1981, 273–575 Bienert, Wolfgang A., »Allegoria« und »Anagoge« bei Didymos dem Blinden von Alexandria, PTS 13, 1972 Denis, Albert-Marie, Liber Jubilaeorum, in: Fragmenta pseudepigraphorum quae supersunt graeca, PVTG 3, 1970, 70–102 137. Vgl. C. Westermann, Genesis I, BK I/1, 1974, 436–467. 138. Die moderne Geschichtswissenschaft schreibt seine Erfindung der »neolithischen Revolution« zu.
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ders., Introduction a` la litte´rature religieuse jude´o-helle´nistique, 2 Bde, Turnhout 2000 Dietzfelbinger, Christian, Pseudo-Philos Antiquitates Biblicae (Liber Antiquitatum Biblicarum), JSHRZ II.2, 1975 Dillmann, August, Das christliche Adambuch des Morgenlandes, Göttingen 1853 Fitzmyer, Joseph A., The Genesis Apocryphon of Qumran Cave 1, BibOr 18A, 2 1971 Ecclesiastico, hg. von Francesco Vattioni, 1968 Freud, Sigmund, Totem und Tabu, Fischer-Tb 10451, 92005 Josephus, Jewish Antiquities, Books I-IV, hg. von H. St. J. Thackeray, LCL, 1961 Kaiser, Otto, Einleitung in das Alte Testament, 31975 Lührmann, Dieter, Henoch und die Metanoia, ZNW 66 (1975), 103–116 ders., Die 430 Jahre zwischen den Verheißungen und dem Gesetz (Gal 3,17), ZAW 100 (1988), 420–423 ders., Alttestamentliche Pseudepigraphen bei Didymos von Alexandrien, ZAW 104 (1992), 231–249 ders., Die apokryph gewordenen Evangelien, NT.S 112, 2004 Nickelsburg, George W. E., Jewish Literature between the Bible and the Mishnah, Minneapolis 22005 Neuburger, Albert, Die Technik des Altertums, Leipzig 1919 (Nachdruck Leipzig 1977) Noth, Martin, Das 2. Buch Mose. Exodus, ATD 5, 61978 ders., Das 3. Buch Mose. Leviticus, ATD 6, 41978 Otto, Eckhart, Art. »Bundesbuch«, RGG4 I, 1998, 1876 f Philo, 10 vol. + 2 suppl., hg. von F. H. Colson, G. H. Whitaker, LCL, 1946 ff Poeschel, Sabine, Handbuch der Ikonographie, Darmstadt 2005 Rehkopf, Friedrich, Septuaginta-Vokabular, Göttingen 1989 Rönsch, Hermann, Das Buch der Jubiläen, Leipzig 1874 (Nachdruck Amsterdam 1970) Sapientia Salomonis, hg. von Joseph Ziegler, Septuaginta, VTG XII,1, 1980 Schedel, Hartmann, Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Einleitung und Kommentar von Stephan Füssel, 2001 Schnorr von Carolsfeld, Julius, Die Bibel in Bildern, 111906 Steck, Odil Hannes, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, WMANT 23, 1967 Die Texte aus Qumran, hg. von Eduard Lohse, 41986 Walter, Nikolaus, Die griechische Übersetzung der »Schriften« Israels und die christliche »Septuaginta« als Forschungs- und als Übersetzungsgegenstand, in: Im Brennpunkt: Die Septuaginta, hg. von H.-J. Fabry, U. Offerhaus, BWANT 153, 2001, 71–96 Wanke, Günther, Art. »Bundesbuch«, TRE VII, 1981, 412–415 Westermann, Claus, Genesis I, BK I/1, 1974 Wintermute, Orval S., Jubilees, OTP II, 1985, 35–142
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II. Übersetzung Fragment 1: Der Altersunterschied zwischen Kain und Abel Didymus, GenT I 118,23 bis 119,2 zu Gen 4,1 f* »Und sie fuhr fort zu gebären den Bruder Kains, Abel«a. Philo nun will sie Zwillinge sein lassen aus einer Empfängnis. Deshalb, sagt er, ist dem »sie gebar Kain«b hinzugefügt »und sie fuhr fort zu gebären seinen Bruder Abel«. Ob sich das tatsächlich so verhält oder nicht, prüfe kundig. Möglicherweise sind sie auch getrennt voneinander zu verschiedenen Zeiten geboren worden, denn, wenn es jemand beliebt, das Bundesbuch zuzulassen, wird er in ihm auch finden, um wie viel in der Zeit der eine dem anderen voraus gewesen ist.
* Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se I, hg. von P. Nautin, SC 233, 1976, 276.278. a) Gen 4,2 LXX. b) Gen 4,1 LXX.
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Fragment 2: Kains Opfer Didymus, GenT I 121,20 bis 122,2 zu Gen 4,5* Was aber heißt: Gott »beachtete (sein Opfer) nicht«, weshalb auch Kain betrübt wurde und sein Gesicht zusammenfiela, könnte jemand sagen, oder: wie erkannte Kain, dass Gott es nicht annahm, so dass er auch betrübt wurde? Dazu könnte jemand das aus dem Bundesbuch anführen, in dem geschrieben steht, wie vom Himmel herabkommendes Feuer die in gebührender Weise dargebrachten Opfer erfasste, woraus Kain folgerichtig erkennen konnte, dass an seine das Feuer nicht kam, während Abels davon verzehrt wurden. Dies geschieht auch im Leviticusb. Diejenigen nämlich, die ein fremdes Brandopfer (πρ αλλτριον)c auf den Altar brachten, erlitten keine geringe Strafe, und Elia, der große Prophet, als er gegen die Baalspriester kämpfte, führte den Beweis, dass Feuer vom Himmel auf seine Opfer herab kam, weil er heilig ward.
* Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se I, hg. von P. Nautin, SC 233, 1976, 284. a) Gen 4,5 LXX; aber eher Paraphrase als wörtliches Zitat. b) Gemeint ist Lev 10,1 f; vgl. 16,1, auch Num 3,2.4; 26,61. c) Das griechische Wort πρ, das an sich nur »Feuer« bedeutet, wird im Deutschen in derartigen Zusammenhängen regelmäßig mit »Brandopfer« wiedergegeben. Zum Verbot fremden Feuers vgl. Ex 30,9. d) Vgl. 3Reg 18,1–38.
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Fragment 3: Kains Tatwerkzeug Didymus, GenT I 126,17 bis 127,2 zu Gen 4,8* Etwas von der Arta erleidet auch der Übeltäter Kain. Nachdem er sich ein wenig umgewandt hat, nährt er den Neidb, den er in seinem Sinn hegt, und sagt zu seinem Bruder mit Hinterlist: »Lasst uns auf das Feld gehen!«c, und legte unterwegs den Zorn nicht ab, sondern greift den Bruder an und tötet ihn. Einige, die auch dies erforschen wollen, sagen: Welche Waffe benutzte er, als er Abel tötete? Das ist wahrlich nicht unlösbar. Denn, wenn auch nicht mit Eisen, so doch mit Stein oder Holz kann dies geschehen sein, was auch das Bundesbuch verschlüsselt angedeutet hat. Mordd nennt die Schrift gleichwohl die wie auch immer geschehene Tötung, wie im Brief des Johannes deutlich wird: »Wie Kain seinen Bruder ermordete, weil seine Werke böse waren, die seines Bruders gerecht.«e.
* Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se I, hg. von P. Nautin, SC 233, 1976, 296. a) Vorher hatte Didymus (p. 126,11–17) den Statthalter Felix angeführt, der sich von Paulus Geld erhofft hatte (Apg 24,26). b) Neid ist die naheliegende Beschreibung von Kains Zustand; er braucht nicht auf den Teufel zurückgeführt zu werden wie in Weish 2,24. c) Gen 4,8 LXX. d) Das griechische Substantiv, das an dieser Stelle steht (σφαγ), und das entsprechende Verbum (σφζειν) in 1Joh 3,12 assoziieren »schlachten« und damit die Benutzung eines metallischen Gegenstandes (Messer, Axt, Dolch, Schwert) bei der Tötung. e) Verkürztes Zitat aus 1Joh 3,12.
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Fragment 4: Kains Tod Didymus, GenT I 142,27 bis 143,3 zu Gen 4,23* »Einen Mann habe ich getötet zur Wunde für mich und einen Jüngling für mich zur Strieme«a. Im Bundesbuch wird gesagt, dass Kain von Lamech unvorsätzlich (ακουσως) getötet worden ist. Als er nämlich eine Mauer baute, stürzte er sie ein, als Kain sich dahinter befandb, der also unvorsätzlich getötet worden ist. Zum Töten sagt er, dass es »für mich zu einer Wunde« geworden ist, weil es nicht vorsätzlich war, »zu einer Strieme für mich«.
* Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se I, hg. von P. Nautin, SC 233, 1976, 328. a) Gen 4,23 LXX, bei Didymus schon zitiert p. 141,26 f. b) Tοι˜χον γρ τινα οικοδοµν προσαντρεψεν αυτν, οπιθεν οντος το Kιν.
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Fragment 5: Henochs Versetzung ins Paradies Didymus, GenT II 149,5 bis 18 zu Gen 5,24* Wenn es jemand beliebt, auch das Bundesbuch zu lesen, wird er erkennen, dass gesagt wird, (Henoch) sei in das Paradies entrückt wordena. Und dies zu wissen, auch wenn es nicht aus einem unwidersprochenen (αναντρρητος) Buch stammt, ist nämlich nicht unsinnig. Es gibt aber auch welche, die sagen, dass die Versetzung (µετθεσις) eine aus einer Lebensweise (τρπος) in eine (andere) Lebensweise ist, weil der Erlöser dementsprechend zu seinen Jüngern gesagt habe: »Ihr seid nicht mehr aus dieser Welt, ich aber habe euch erwählt«b, wobei die Erwählung die Versetzung aus den weltlichen Dingen schaffe, und als weiteres beweiskräftiges Wort hinzu nehmen: »Wir wissen, dass wir hinübergegangen sind aus dem Tod ins Leben.«c Die wir nämlich hinübergegangen sind aus dem Tod, der der Schlechtigkeit folgt, wir sind zum Leben aus der Tugend hinübergekommen. Diese Wiedergabe passt aber nicht allein für Henoch, sondern auch für alle Heiligen. Deshalb sieh ein, dass es angemessen ist, die erste zu wählen. Dazu die Parallele aus der Katenen-Überlieferung zu Apg 8,39**: Übereinstimmend mit dem Gesagten war auch Henoch einer, der von einem Ort (τπος) an einen (anderen) Ort versetzt wurde. Dies ergibt sich klar daraus, dass er »versetzt wurde« (µετατεθει˜σθαι αυτν)d. Da es ja nicht irgendwo in den gebräuchlichen Büchern (δεδηµοσιευµναι ββλοι) gesagt ist, wird es in apokryphen gesagt: im Paradies. Dass es sich so verhält, ist auch an Elia zu sehene: Ist etwa »in den Himmel« nicht dasselbe wie »im Paradies«? Unzweideutig aber wird über den Erlöser gesagt, dass er nach der Auferstehung in den Himmel aufgenommen worden istf. Viele Zeugnisse gibt es dafür.
* Didyme l’Aveugle, Sur la Gene`se II, hg. von P. Nautin, SC 244, 1978, 18. a) P. 149,6: ω"ς [εις] τ#ν παρδεισον η"ρπα˜ σθαι λγεται. b) Joh 15,19 nicht unerheblich verändert: »nicht mehr«, »aber« statt »sondern«. c) 1Joh 3,14. ** PG 39, 1669C; in Apg 8,39 geht es um die Entrückung (α"ρπζειν) des Philippus von der Straße zwischen Jerusalem und Gaza nach Asdod, also eindeutig eine Versetzung von Ort zu Ort. d) Vgl. den Wortlaut von Gen 5,24 LXX in Anm. 87. e) Vgl. 4Reg 2,11 LXX »und Elia wurde aufgenommen . . . in den Himmel« (κα$ ανελµφθη Hλου . . . ω"ς εις τ#ν ουρανν); hebräischer Text: »und Elia fuhr in den Himmel«. f) Vgl. Lk 24,51; Apg 1,11.
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Fragment 6: Daten zum Turmbau zu Babel Nikephoros-Katene I 175 zu Gen 11,4* Der Bund: »43 Jahrea blieben sie am Bauen. Die Höhe war 5433 Ellenb und zwei Handbreiten, die Breite an die 203 Ziegelsteine, die Höhe des Ziegelsteins ein Drittel desselben, die Ausdehnung der einen Mauer 13 Stadien und der anderen 30.«
* A.-M. Denis, Liber Jubilaeorum, in: Fragmenta pseudepigraphorum quae supersunt graeca, PVTG 3, 1970, 70–102, hier 87 f. a) 43 = 6×7, Rest 1; vgl. bei Anm. 100. b) 5433 = 7×776, Rest 771; vgl. bei Anm. 106.
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Fragment 7: Abrahams Versuchung durch den Teufel Didymus, HiobT I 6,17–7,19 zu Gen 22* Als letztem Plan kam (der Teufela) auf Hiobs Auslieferung, in der Meinung, ihn durch diesen Angriff von der Tugend abzubringen, was er auch mit dem Patriarchen Abram gemacht hat, wenn es jemand beliebt, das Bundesbuch zu akzeptieren. Nachdem er vielfältig und vielmals gegen den Heiligen Hand angelegt und völlig verloren hatte, trotzdem aber hoffte, Abram umzuwenden, der ja für den jungen und geliebten eingenommen war, schlägt er die Auslieferung des Kindes vor, die Gott um seiner selbst willen gewährt, weil er den Widersacher beschämen will, indem er sagt: »Nimm deinen geliebten Sohn, den du geliebt hast!«b, durch die gezierten Wörter die Vaterliebe weckend, um seine Tapferkeit offenbar zu machen, die er bewahrte, indem er weder seiner Frau noch dem Gesinde mitteilte, was geschehen werde, damit es kein Hindernis für die Unternehmung gebe. Vielmehr sank er auch bei den Worten des Jungen nicht in die Knie, als der sagte: »Vater, siehe das Feuer und das Holz. Wo ist das Lamm für die Opferung?«c, weil er glaubte, dass, selbst wenn sein Junge tot wäre, Gott ihn auferstehen lassen könned, und gab nicht nach in Bezug auf den Befehl, sondern hätte den einzigen geopfert, wenn Gott nicht seine Bereitschaft gebilligt und ihm den Sohn erhalten hätte.
* Didymus der Blinde, Kommentar zu Hiob (Tura-Papyrus) I, hg. von A. Henrichs, PTA 1,1968, 40.42. a) Vgl. διβολο[ς] zuvor p. 6,4 sowie im Buch Hiob als Vorlage. b) Gen 22,2 LXX; zweimal »geliebt«: im hebräischen Grundtext mit unterschiedlichen Wortstämmen. c) Gen 22,7 LXX, dort das eher seltene Wort ο"λοκρπωσις. d) Didymus nimmt hier Röm 4,17 auf: »Abraham glaubte an Gott, der die Toten lebendig macht«.
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Register 1. Namen und Sachen Adambuch 1, 2, 9, 10 Abel 1, 2, 8, 9, 10, 11, 12, 16, 17, 20 f Abihu → Nadab Anagoge 6 Abraham 16, 18 Asyl 11 f
Kain 8, 10, 11, 12, 18 Kanon 3 Kultur 12
Darwin, Charles 20 Didymus von Alex. passim
µετα´ νοια 14 f Mord/Totschlag 10, 11, 12, 17, 18 Mastema 16 Mose 1, 4, 6, 9, 20
Elia 2, 9, 13 Euklid 15 Freud, Sigmund 20–22 Genesis-Apokryphon 7 Geometrie 15 Georgius Syncellus 6, 12, 14, 16 Henoch 1, 6, 13 f, 18 Hiob 16
Lamech 10, 11, 12 Literalsinn 6
Nadab und Abihu 6, 9, 17, 18 Nikephoros-Katene 1, 3, 7, 15, 28 Philo 6, 7, 8, 13, 14, 16, 17 Schedel, Hartmann 19 Septuaginta 7 f Sinai 1, 2, 4, 5, 6, 10, 17, 18, 19, 20 Tura 3
ius talionis 12, 18 Josephus 6, 9, 11, 16, 17
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2. Stellen
Altes Testament (Septuaginta) Gen 1,17 . . . . . . . . . . 21 3,5.22 . . . . . . . . 21 4,1 . . . . . . . . . . . 23 4,2 . . . . . . . . 21, 23 4,5 . . . . . . . . . 8, 24 4,8 . . . . . . . . 10, 25 4,15 . . . . . . . 10, 15 4,17 . . . . . . . . . . 21 4,21 . . . . . . . . . . 21 4,22 . . . . 10, 11, 21 4,23 f . . 10, 11, 12, . . . . . . . . 24, 26 5,3 . . . . . . . . . . . . 8 5,24 . . . . . 7, 13, 14 5,31 . . . . . . . . . . 15 11,4 . . . . . . . 14, 28 11,8 . . . . . . . 14, 15 22,1 . . . . . . . . . . 16 22,2 . . . . . . . . . . 29 22,7 . . . . . . . . . . 29 47,28 . . . . . . . . . 20 Ex
12,40 . . . . . . . . . 20 20,8 . . . . . . . 15, 18 20,13 . . . . . . . . . 21 21,12–14 . . 11, 12, . . . . . . . . 17, 18 21,23–25 . . . 12, 18 23,15 . . . . . . . . . . 4 24,1.9 f . . . . . . . . 9 24,7 . . 1, 2, 3, 4, 9, . . . . . . . . 16, 18 24,8 . . . . . . . . . . . 2 30,9 . . . . . . . . . . 24
1Makk 1,57 . . . . . . 1, 5, 18 Weish
Sir
9,24 . . . . . . . . . . . 9 10,1 . . . . . . . . 9, 24 16,1 . . . . . . . . . . 24
Num
3,2.4 . . . . . . . . . 24 26,61 . . . . . . . . . 24
Dtn
16,1–8 . . . . . . . . . 4
3Reg
18,24.38 . . . . 9, 24
4Reg
2,11 . . . . . . . 13, 27 23,2.11 . . . 1, 4, 18
24,23 . . 1, 5, 18, 20 44,16 . . . . . . . . . 13 44,20 f . . . . . . . . 18 49,14 . . . . . . . . . 13
Hos
9,7 f . . . . . . . . . . 16
Sach
9,11 . . . . . . . . . . . 2
Jüdische Schriften Jub 4,1.2 . . . . . . . . 2, 9 4,21 f.23 . . . . 2, 14 4,31 . . . . . 2, 10, 12 10,8 . . . . . . . . . . 16 10,21 . . . . . . . 1, 15 10,26 . . . . . . . . . 15 17,17 . . . . . . . 2, 16 19,8 . . . . . . . . . . 16 CD
16,3 f . . . . . . . . . . 6 16,5 . . . . . . . . . . 16
1QS
3,23 . . . . . . . . . . 16
1QM
13,11 . . . . . . . . . 16
AntBib 2,4 . . . . . . . . . . . 12 Philo
Lev
2,24 . . . . . . . 16, 25 4,10 . . . . . . . . . . 14 5,3 . . . . . . . . . . . 14 10,3 . . . . . . . 11, 18
sacr. 11 . . . . . . . . 8 Abr. 17 . . . . . . . 14 virt. 175–186 . . 14 praem. 15–21 . . 14 quaest in Gen I 59 . . . . . . . 8 63 . . . . . . . 9
Josephus ant. I 52 54 57 58 63 65
....... 8 ....... 9 . . . . . . 11 . . . . . . 11 . . . . . . 11 . . . . . . 11
Neues Testament Mt 26,28 . . . . . . . . . . 2 Mk
14,24 . . . . . . . . . . 2
Lk
22,28 . . . . . . . . . . 2 24,51 . . . . . . . . . 27
Q
11,51 . . . . . . . . . 11
Joh
15,19 . . . . . . . . . 27
Apg
1,11 . . . . . . . . . . 27 8,39 . . . . . . . . . . 27 24,26 . . . . . . . . . 25
Röm
4,17 . . . . . . . . . . 29
1Kor
11,25 . . . . . . . . . . 2
Gal
3,17 . . . . . . . . . . 20
Hebr
11,4 . . . . . . . . . . 13
1Joh
3,12 . . . . . . . 10, 25 3,14 . . . . . . . . . . 27
Kirchenväter Clemens von Alexandrien strom II 70,3 . . 14 Didymus von Alexandrien GenT I 118,23–119,2 . . 23 (= Fragment 1) . . . . . . 1, 2, 8, 17 f 121,20–122,2 . . 24 (= Fragment 2) 1, . 2, 6, 8–10, 17 f 122,2 f . . . . . . . . . 6 126,12–127,2 . . 25 (= Fragment 3) 1, . . . . . 2, 10, 17 f 142,27–143,3 . . 26 (= Fragment 4) 1, . . 2, 10–13, 17 f II 149,5–18 . . . . . . 27 (= Fragment 5) 1, . . . . . 7, 13 f, 18 PsT I 10,9–17 . . . . . . . . 4
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EcclT I 8,4–5 . . . . . . . . . . 5 8,8–11 . . . . . . . . . 3 HiobT I 6,17–7,19 . . . . . 29 (= Fragment 7) 1 f, . . . . . . . . 16, 18 SachT III 228,17 f . . . . . . . 2
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