Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht [1 ed.] 3161614828, 9783161614828

Der Verein "Hereditare Wissenschaftliche Gesellschaft für Erbrecht e.V." verfolgt das Ziel der wissenschaftlic

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Inhalt
Anatol Dutta — Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang
Michael Holtz / Katja Rosa — Erbauseinandersetzungsverträge im Zivil- und Steuerrecht
Jan David Hendricks — Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichtsverträgen – Weg frei für ein erbrechtliches Überrumpelungsverbot?
Maximilian Freiherr von Proff zu Irnich — Verträge über den Pflichtteilsanspruch: Erlass, Abtretung
Christoph Karczewski — Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht und sonstigen Zivilrecht
Jan David Hendricks / Jan Hüchtebrock — Diskussionszusammenfassung zu den Vorträgen des 11. Bochumer Erbrechtssymposiums
Autorenverzeichnis
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Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht [1 ed.]
 3161614828, 9783161614828

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I

Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht Band 11 (2021)

II

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Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht herausgegeben von

Karlheinz Muscheler

Mohr Siebeck

IV Manuskripte bitte an: Prof. Dr. Katharina Uffmann Ruhr-Universität Bochum Juristische Fakultät Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Recht der Familienunternehmen Universitätsstr. 150 44801 Bochum [email protected] Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei eingereichten Manuskripten um unveröffentlichte Originalbeiträge handelt, die nicht an anderer Stelle zur Verfügung vorgelegt worden sind. Für Verlust oder Schädigung eingesandter Manuskripte übernehmen Herausgeber und Verlag keine Haftung. Manuskripte können auch per E-mail eingereicht werden. Bei Postsendungen ist eine digitale Version beizulegen. Zitiervorschlag: Autor, Hereditare 11 (2021), S. 1 ff.

ISBN 978-3-16-161482-8 / eISBN 978-3-16-161647-1 ISSN 2192-3795 / eISSN 2569-4049 (Hereditare) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Minion gesetzt, von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

V

Inhalt Anatol Dutta Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michael Holtz / Katja Rosa Erbauseinandersetzungsverträge im Zivil- und Steuerrecht . . . . . . . . . . . .

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Jan David Hendricks Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichtsverträgen – Weg frei für ein erbrechtliches Überrumpelungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . .

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Maximilian Freiherr von Proff zu Irnich Verträge über den Pflichtteilsanspruch: Erlass, Abtretung . . . . . . . . . . . . . .

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Christoph Karczewski Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht und sonstigen Zivilrecht . . . . . . . . . .

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Jan David Hendricks / Jan Hüchtebrock Diskussionszusammenfassung zu den Vorträgen des 11. Bochumer Erbrechtssymposiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

VI

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Anatol Dutta*

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang A. Ausgangspunkt Verträge sieht das Privatrecht universell als etwas Positives an, vor allem im Schuldrecht. Schuldverträge enthalten grundsätzlich eine „Richtigkeitsgewähr“, um die berühmte Formulierung von Walter Schmidt-Rimpler aufzugreifen1. Umso mehr verwundert es, dass gerade das Erbrecht in vielen Rechtsordnungen zurückhaltend mit der Gewährung einer Vertragsfreiheit ist, soweit es um Verträge über eine künftige Rechtsnachfolge von Todes wegen geht: Zwar gestattet das deutsche Privatrecht den am Erbgeschehen Beteiligten, jedenfalls in Grenzen, mittels eines Vertrags ihre erbrechtlichen Verhältnisse im Voraus festzulegen. Aber zahlreiche ausländische Rechte verbieten erbrechtliche Verträge in großem Stile. Es drängt sich damit die Frage auf, ob Verträge im Erbrecht anders zu bewerten sind als im Privatrecht allgemein. Keine Schwierigkeiten mit Verträgen im Erbrecht haben die meisten Rechtsordnungen, soweit der Erbfall bereits eingetreten ist. Dann sind die Beteiligten frei, ihre kraft Gesetzes entstandenen Rechtsbeziehungen auf Basis der Vertragsfreiheit zu modifizieren. Bei solchen Verträgen nach dem Erbfall muss der Spaziergang daher nicht Station machen. Auch soll nicht der Frage nachgegangen werden, inwieweit vor allem die gewillkürte Rechtsnachfolge von Todes wegen als solche eigentlich auf einer vertraglichen Basis erfolgt. Es kommen auch hier vertragsähnliche Mechanismen zum Zuge. Das Erbrecht zwingt die bedachten Personen nicht, eine erbrechtliche Zuwendung – etwa eine Stellung als Erbe oder Vermächtnisnehmer – zu akzeptieren. Die Begünstigten können das ihnen erbrechtlich Zugewandte ausschlagen, wenn sie etwa mit Bedingungen des Erblassers nicht einverstanden sind. Prozedural unterscheidet sich die Konstellation kaum von der eines Vertragsschlusses2, wie bereits Immanuel Kant („Die * Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den der Verfasser am 18.6.2021 an der Ruhr-Universität Bochum auf dem 11. Erbrechtssymposium gehalten hat. Der Text enthält wenig Neues, sondern verarbeitet und komprimiert Material aus früheren Veröffentlichungen zu den drei Stationen dieses Spaziergangs. 1 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941) 130 (132 ff., 149 ff. sowie 157 ff.). 2 Etwa Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff (2001) 211.

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Beerbung ist die Uebertragung […] der Habe und des Guts eines Sterbenden auf den Ueberlebenden durch Zusammenstimmung des Willens beyder“3) zutreffend beobachtet hat. Die letztwillige Verfügung des Erblassers entfaltet damit im Verhältnis zum Bedachten sogar im Schmidt-Rimpler’schen Sinne eine Richtigkeitsgewähr4. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass Bedachte und Erblasser die Bedingungen der Rechtsnachfolge nicht aushandeln. Vielmehr stellt der Erblasser die erbrechtlich Bedachten mit seinen Bedingungen vor die Entscheidung „take it or leave it“. Aber auch das ist aus der Sicht des Vertrags nichts Ungewöhnliches, sondern ähnelt der Situation bei standardisierten Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus kommt auch hier zum Tragen. Der Anbietende – hier der Erblasser – muss dann nämlich den „Interessenausgleich, der sich sonst als Resultat eines Verhandlungsprozesses einstellt, bereits bei der Formulierung der […] Konditionen“ vorwegnehmen5. Ansonsten muss der Anbietende aufgrund des verkürzten Abschlussprozesses ohne Nachverhandlungsmöglichkeit befürchten, dass der potentiell Annehmende – hier die bedachte Person – sein Angebot ausschlägt. – Zwar wirft diese Vertragsähnlichkeit der gewillkürten Rechtsnachfolge von Todes wegen interessante Fragen auf, vor allem bei der Wirksamkeitskontrolle von letztwilligen Verfügungen6. Da aber alle Rechtsordnungen jedenfalls in Grenzen dem Erblasser eine Testierfreiheit einräumen, passt diese Fragestellung nicht zur ausgewählten Route dieses Spaziergangs: den verbotenen Verträgen im Erbrecht.

B. Erste Station: Verträge des Erblassers über eine bestimmte Ausübung der Testierfreiheit Zunächst verbieten die meisten Rechtsordnungen dem Erblasser, sich einem anderen Teil gegenüber bei der Ausübung der Testierfreiheit zu binden.

I. Ausschluss schuldrechtlicher Testierverträge So kann der Erblasser die allgemeine Vertragsfreiheit im Schuldrecht regelmäßig nicht zu einer solchen Selbstbindung nutzen. Zwar könnte etwa nach deutschem Recht eine bestimmte Ausübung oder Nichtausübung der Testier3 4

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Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797) 134. Anders Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941) 130 (156 in Fn. 32), selbst, der die Freiwilligkeit der Erbenstellung übersieht und deshalb dem Testament nur eine eingeschränkte Richt igkeitsgewähr zubilligt („bedürfen […] einer besonders scharfen Richtigkeitsprüfung“). Fornasier, Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht – Zugleich ein Beitrag zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (2013) 41. Etwa Röthel, AcP 210 (2010) 32 (42 ff.); näher auch Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung (2014) 322 ff.

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang 3

freiheit durch den Erblasser als geschuldete Handlung durchaus Gegenstand eines Schuldvertrags nach § 311 Abs. 1 BGB sein. Eine nichtvertragsgemäße Leistung des Erblassers würde dann als Pflichtverletzung jedenfalls eine Schadensersatzpflicht nach den §§ 280 ff. BGB auslösen. Allerdings verbietet § 2302 BGB jeden „Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben“. Das deutsche Recht geht jedoch nicht so weit, auch Verfügungen von Todes wegen, die der Erblasser zur Erfüllung eines nichtigen Testiervertrags trifft, automatisch zu invalidieren. Dennoch wird eine letztwillige Verfügung, die in vermeintlicher Erfüllung des unwirksamen Testiervertrags errichtet wurde, meist keinen Bestand haben. Solange diese Verfügung widerruflich ist, besteht keine Selbstbindung des Erblassers. Ferner wird man eine vermeintliche Bindung des Erblassers an den unwirksamen Testiervertrag als nach § 2078 Abs. 2 Fall 1 BGB beachtlichen Motivirrtum zu qualifizieren haben, der zur Anfechtung berechtigt. Eine wie auch immer geartete „Kondiktion“ der zu Erfüllungszwecken errichteten letztwilligen Verfügung scheidet dagegen aus, zumal diese stets eine causa in sich trägt. Auch fremde Rechtsordnungen schließen die allgemeine Schuldvertragsfreiheit als Mechanismus für eine erbrechtliche Selbstbindung aus. Die meisten Erbrechte verbieten wie § 2302 BGB eine Selbstbindung des Erblassers durch Testierverträge7. Nur ausnahmsweise lässt das Recht Testierverträge zu, etwa erlaubt das common law, contracts to make (or not to make) a will or to revoke (or not to revoke) a will8.

II. Bindende Verfügungen von Todes wegen Das Verbot schuldrechtlich wirkender Testierverträge lässt allerdings nicht automatisch den Schluss darauf zu, dass eine erbrechtliche Selbstbindung des Erblassers mittels eines Vertrags verboten ist. Denkbar ist, dass das Erbrecht selbst eine solche Bindung des Erblassers ermöglicht, konkret durch bindende Verfügungen von Todes wegen, wie das im deutschen Recht der Fall ist. Dann sichert das Verbot der Testierverträge nur, dass sich der Erblasser bei seiner erbrechtlichen Selbstbindung des vom Gesetz vorgegebenen Numerus clausus der Bindungsmechanismen bedient, konkret der vertragsmäßigen Verfügung in einem Erbvertrag oder der wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament. Beide Verfügungsarten sorgen – quasi mit dinglicher Wirkung und damit weitergehend als ein schuldrechtlicher Tes7

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Art. 1100/1 § 1 belg. Code civil; Art. 722 franz. Code civil; Art. 368 Abs. 2 griech. Astikos kōdikas; Art. 458 Satz 1, Art. 679 ital. Codice civile; Art. 1047 poln. Kodeks cywilny; Art. 2028 Abs. 1, Art. 2311 port. Código civil; Kap. 17 § 3 Satz 1 schwed. Ärvdabalk; Art. 103, 105 slowen. Zakon o dedovanju; Art. 737, Art. 1271 Abs. 2 span. Código civil. Parry/Kerridge, T he law of succession (13. Aufl. 2016) Rn. 6–01.

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tiervertrag9 – für eine Bindung des Erblassers an die betreffende letztwillige Verfügung. Der Widerruf einer vertragsmäßigen oder wechselbezüglichen Verfügung ist nicht mehr ohne weiteres möglich. Natürlich tragen auch diese selbstbindenden Verfügungen ohne Testiervertrag eine causa in sich10 (vgl. bereits oben B.); eine vertragsmäßige oder wechselbezügliche Verfügung würde jedenfalls dem Bedachten, anders als eine widerrufliche Verfügung von Todes wegen, einen bereicherungsrechtlich relevanten wirtschaftlichen Vorteil verschaffen, ist aber auch ohne Testiervertrag als Rechtsgrund kondiktionsfest. Wie aber wirkt sich eine solche Selbstbindung des Erblassers durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament aus? Konkret ordnet das Recht an, dass eine spätere Verfügung des gebundenen Erblassers, die von der vertragsmäßigen oder wechselbezüglichen Verfügung abweicht, ab dem Bindungszeitpunkt unwirksam ist (§ 2289 Abs. 1 Satz 2, § 2271 Abs. 2 BGB); der gebundene Erblasser kann unter Lebenden frei verfügen (§ 2286 BGB direkt bzw. analog), soweit keine die Selbstbindung beeinträchtigende Schenkung vorliegt (§§ 2287, 2288 BGB direkt bzw. analog). Nur der Vollständigkeit halber sei auch darauf hingewiesen, dass eine der vertragsmäßigen oder wechselbezüglichen Verfügung von Todes wegen ähnliche Selbstbindung auch ein Schenkungsversprechen von Todes wegen schafft11. Durch einen solchen Vertrag (§ 518 Abs. 1 Satz 1 BGB), der auf den Tod des Schenkers befristet und durch das Überleben des Beschenkten aufschiebend bedingt ist, schafft der Schenker grundsätzlich zu seinen Lebzeiten unwiderruflich einen Anspruch des Beschenkten gegen den Nachlass nach dem Tod des Schenkers. Wenig verwunderlich ordnet deshalb § 2301 Abs. 1 Satz 1 BGB an, dass ein solches Versprechen als will-substitute12 den Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen unterliegt, und zwar nach der überwiegenden Ansicht aufgrund seiner vertraglichen Natur den Regelungen über den Erbvertrag13, was auch wegen der Selbstbindung des Erblassers als Schenker überzeugt. Formal handelt es sich im Übrigen nicht nur bei vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag und Schenkungsversprechen von Todes wegen, sondern auch bei wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament um Verträge zwischen dem Erblasser und dem jeweils an-

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So betonen auch die Motive zum BGB V 311 [= Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. V (1899) 164], dass der Erbvertrag nicht „lediglich obligatorische Wirkungen hat“. Vgl. auch von Lübtow, Erbrecht, Bd. I (1971) 399. Schirmer, Die Selbstbindung des Erblassers im deutschen und französischen Recht (2019) 2, 29, 160; die Funktionsäquivalenz („dem Erbvertrage nahe Kommendes“) betonen auch bereits die Motive zum BGB V 310 [= Mugdan (Fn. 9) 164]. Näher etwa Dutta, FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut (2018) 627 (630). Siehe etwa Staudinger/Kanzleiter (2019) § 2301 BGB Rn. 3; anders etwa Münch. Komm. BGB/ Musielak (8. Aufl. 2020) § 2301 BGB Rn. 13.

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang 5

deren Teil, da sie wechselseitige Willenserklärungen voraussetzen. Erstaunlicherweise dogmatisch sehr viel stringenter als das deutsche Recht ist insoweit mittlerweile der Gesetzgeber der Europäischen Union: In der Terminologie der Erbrechtsverordnung14 (EuErbVO) handelt es sich bei all diesen bindenden Verfügungen von Todes wegen (neben weiteren erbrechtlichen Rechtsgeschäften) um Erbverträge, selbst wenn sie als wechselbezügliche Verfügungen in einem – nach deutscher Terminologie – gemeinschaftlichen Testament enthalten sind oder die Gestalt eines Schenkungsversprechens von Todes wegen annehmen15. Der Unionsgesetzgeber definiert in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b EuErbVO den Erbvertrag als „Vereinbarung, einschließlich einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente, die […] Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen begründet“. Eine bindende Verfügung von Todes wegen nach deutschem Recht begründet stets solche verbindlichen Rechte an einem Nachlass. Mit dieser Möglichkeit einer erbrechtlichen Selbstbindung durch unwiderrufliche Verfügung von Todes wegen nimmt das deutsche Recht rechtsvergleichend eine Sonderstellung ein – eine Möglichkeit, die sich historisch auch bei uns erst spät durchgesetzt hat16. Nur wenige ausländische Rechtsordnungen gestatten dem Erblasser, sich im Hinblick auf eine bestimmte Ausübung der Testierfreiheit zu binden. So sieht etwa das schweizerische Recht in Art. 494 Abs. 1 des Zivilgesetzbuchs die Möglichkeit eines Erbvertrags (Art. 512 ff.) vor, mit dem sich der Erblasser zu einer Erbeinsetzung oder einem Vermächtnis verpflichtet, was eher nach der Zulässigkeit eines Testiervertrags klingt17. Allerdings stehen auch beim schweizerischen Erbeinsetzungs- oder Vermächtnisvertrag nicht die schuldrechtlichen Bindungen des Erblassers im Vordergrund, sondern die quasi dingliche Wirkung der Selbstbindung. Entgegenstehende Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen sind nach Art. 494 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs anfechtbar. Nicht mehr ohne Weiteres einseitig vom Erblasser widerruflich sind auch nach estnischem Recht wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten und vertragsmäßige Verfügungen in Erbverträgen18, nach katalanischem Recht Verfügungen in einem Erbvertrag19, nach let14

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Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. 2012 L 201/107. Vgl. österr. OGH 29.6.2020, FamRZ 2021, 1322; BGH 24.2.2021, FamRZ 2021, 802 (wechselbezügliche Verfügung in gemeinschaftlichem Testament als „Erbvertrag“) und EuGH 9.9.2021, Rs. C-277/20 (UM), FamRZ 2021, 1825 (Schenkungsversprechen von Todes wegen als „Erbvertrag“). Näher Kipp/Coing, Erbrecht (14. Aufl. 1990) 231 f. Ähnlich auch § 56 Abs. 1 norw. Arvelov. §§ 93, 103 estn. Pärimisseadus. Art. 431–14, Art. 431–18 Abs. 1 katal. Codi civil.

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tischem Recht die erbvertragliche Erbeinsetzung20, nach litauischem Recht Verfügungen in gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten21, nach norwegischem Recht Verfügungen in gemeinschaftlichen und gegenseitigen Testamenten22 sowie nach tschechischem23 und ungarischem24 Recht vertragsmäßige Zuwendungen in Erbverträgen. Überwiegend verbieten ausländische Rechtsordnungen aber bindende Verfügungen von Todes wegen, indem sie als Verfügung von Todes wegen nur das Testament zur Verfügung stellen, das frei widerruflich ist25. In Frankreich, Italien und Portugal, um nur drei Beispiele zu nennen, hat der Gesetzgeber die Widerruflichkeit des Testaments sogar in die Legaldefinition dieses Rechtsgeschäfts aufgenommen26. Teils wird überdies die Form eines gemeinschaftlichen Testaments in einer Urkunde27 oder allgemein wechselbezügliche Verfügungen28 verboten, um bereits faktisch eine wechselseitige Beeinflussung der Erblasser zu verhindern. Aber selbst soweit gemeinschaftliche Testamente zulässig sind, entfalten die jeweils in ihnen enthaltenen Verfügungen auch nach Vorversterben eines Ehegatten nur selten Bindungswirkung29. Konsequenterweise werden auch Schenkungsversprechen von Todes wegen, die, wie eben gesehen, ebenfalls zu einer Selbstbindung des Erblassers als Schenker führen, in diesen selbstbindungsskeptischen Rechtsordnungen meist eingeschränkt30. Allenfalls finden sich für den Einzelfall Ausnahmen vom Verbot bindender Verfügungen von Todes wegen, etwa für Ehegatten31.

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Art. 647 lett. Civillikums. Art. 5.46 Abs. 1 litau. Civilinis kodeksas. § 49 Abs. 3, § 57 Abs. 3 norw. Arvelov. § 1590 tschech. Občanský zákoník. § 7:50 Abs. 1 Satz 1 ung. Polgári Törvénykönyv. Art. 895, Art. 1035 ff. franz. Code civil; Art. 1763 ff. griech. Astikos kōdikas; Art. 589, Art. 679 ff. ital. Codice civile; Art. 4:42 Abs. 2, Art. 4:111 ff. nied. Burgerlijk Wetboek; Art. 943, 946 f. poln. Kodeks cywilny; Art. 2179 Abs. 1, Art. 2311 ff. port. Código civil; Art. 99 ff. slowen. Zakon o dedovanju; Art. 737 ff. span. Código civil. Vgl. Art. 895 franz. Code civil; Art. 589 ital. Codice civile; Art. 2179 Abs. 1 port. Código civil. Art. 968 franz. Code civil; Art. 1717 griech. Astikos kōdikas; Art. 589 ital. Codice civile; Art. 4:93 nied. Burgerlijk Wetboek; Art. 942 poln. Kodeks cywilny; Art. 2181 port. Código civil; Art. 669 span. Código civil. Art. 635 ital. Codice civile. Vgl. Kap. 10 § 7 finn. Perintökaari und schwed. Ärvdabalk; Art. 606, 608 lett. Civillikums. So geht Art. 893 Abs. 2 franz. Code civil von einem Dualismus zwischen widerruflichem Testament (Art. 895) und unwiderruflicher Schenkung unter Lebenden (Art. 894) aus, die ein Schenkungsversprechen von Todes wegen grundsätzlich ausschließt, auch wenn der Tod des Schenkers durch verschiedene Gestaltungen bei der Schenkung berücksichtigt werden kann. Nachweise etwa bei Dutta, ZfPW 2020, 20 (28).

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang 7

III. Gründe für das Verbot Die Möglichkeit einer erbrechtlichen Selbstbindung durch den Erblasser lässt sich leicht rechtfertigen, wenn man die Testierfreiheit als etwas rechtspolitisch grundsätzlich Wünschenswertes voraussetzt32. Zwar schränkt die Selbstbindung des Erblassers, sei es durch vertragsmäßige oder wechselbezügliche Verfügung oder Schenkungsversprechen von Todes wegen, auf den ersten Blick die Testierfreiheit ein33. Richtigerweise stellt die Zulässigkeit einer erbrechtlichen Selbstbindung durch den Erblasser allerdings eine Erweiterung seiner Testierfreiheit dar34. Sie ermöglicht dem Erblasser, eine erbrechtliche Begünstigung, die dem Bedachten mehr verschafft als eine jederzeit widerrufliche Zuwendung. Hiervon profitiert nicht nur der Bedachte, sondern auch der Erblasser, der erst durch die Zulässigkeit einer erbrechtlichen Selbstbindung seinen Nachlass im Rahmen seiner Testierfreiheit zu einem zu seinen Lebzeiten marktfähigen Gut machen kann. Denn niemand wird sich zu einer Gegenleistung für eine erbrechtliche Begünstigung durch den Erblasser verpflichten wollen, wenn sich der Erblasser jederzeit einseitig durch Widerruf seiner letztwilligen Verfügung davonstehlen kann. Die erbrechtliche Selbstbindung erweitert damit den privatrechtlichen Handlungsspielraum des Erblassers beträchtlich und ist daher in jeder Rechtsordnung, welche die Testierfreiheit in den Mittelpunkt des Erbrechts stellt, ein konsequentes Element. Setzt man dagegen die Testierfreiheit nicht apriorisch als etwas Wünschenswertes voraus, sondern als ein Element des gesetzlichen Erbrechtsmodells, dessen Einsatz der Erbrechtsgesetzgeber rechtspolitisch rechtfertigen muss, dann ist der Befund, dass eine erbrechtliche Selbstbindung sinnvoll ist, nicht mehr so eindeutig. Ein Mehr an Testierfreiheit durch eine Zulässigkeit der Selbstbindung könnte nämlich die überindividuellen Zwecke gefährden, die der Gesetzgeber mit der Gewährung der Testierfreiheit verfolgt, sodass Grenzen einer erbrechtlichen Selbstbindung gerechtfertigt sein könnten. Ein Erbrechtsgesetzgeber kann die Testierfreiheit nämlich aus verschiedenen Gründen als Element seines Erbrechtsmodells einsetzen – zu überindividuellen Zwecken, die über die bloße Anerkennung der Privatautonomie des Erblassers hinausgehen. So kann die Testierfreiheit Teil einer Anreizstruktur sein und beim Erblasser und den potentiell Bedachten Anreize zu einem vom Gesetzgeber gewünschten Verhalten setzen: Die Testierfreiheit wird bereits seit Langem als ein Hauptelement einer erbrechtlichen Motivation gesehen, die Erblasser – also jedes Mitglied der 32 33 34

Vgl. etwa Schirmer (Fn. 11) 230 f. Siehe etwa Helms, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, hrsg. von Basedow/ Hopt/Zimmermann, Bd. I (2009) 428 (429). Deshalb sollte die erbrechtliche Selbstbindung primär auch als eine Ausübung der Testierfreiheit des Erblassers gedacht werden und weniger einer Vertragsfreiheit des Erblassers und des anderen Teils, näher etwa Dutta, ZfPW 2020, 20 (30 ff.).

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Gesellschaft – zur Produktivität und Sparsamkeit anhält35. Ohne Möglichkeit, über den Nachlass frei zu verfügen, könnte der Antrieb des Erblassers zu wirtschaftlicher Aktivität nachlassen, wenn sein Vermögen für die eigenen Bedürfnisse ausreicht36. Die Testierfreiheit gibt aber auch den potentiell Begünstigten einen Anreiz, etwa (1) ebenfalls zu Produktivität und Sparsamkeit, wenn sie wegen der Testierfreiheit zu Lebzeiten des Erblassers nicht sicher mit ererbtem Vermögen rechnen können, (2) zum Altruismus in der Familie sowie (3) zur Qualifikation als am besten für die Nachfolge geeignete Person, wenn der Erblasser unerwünschtes Verhalten oder fehlende Qualifikation mit dem Entzug erbrechtlicher Erwartungen ahnden kann37. Gerade in der (familien-)ökonomischen Diskussion des Erbgeschehens nimmt diese anreizsteuernde Eigenschaft der Testierfreiheit breiten Raum ein. So wird etwa die Freiheit des Erblassers, bis zum Erlöschen der Nähebeziehung zu seinen gesetzlichen oder gewillkürten Erben über die Rechtsnachfolge von Todes wegen zu entscheiden, als ein wichtiges Element zur Durchsetzung des Altruismus in der Familie angesehen: Gerade nicht-altruistisch eingestellte Mitglieder der Familie – so genannte „rotten kids“ – werden durch die Entscheidungsgewalt des potentiell Erstversterbenden über die Testierfreiheit jedenfalls zu einem altruistischen Verhalten angeregt38. Ein wichtiger Vorteil von Nähebeziehungen in der Gesellschaft – der Altruismus der durch die Nähebeziehung verbundenen Mitglieder der Gesellschaft39 – wird damit, wenn auch nicht in der inneren Einstellung, so aber doch im Verhalten der Beteiligten verankert. Dieser Gedanke ist freilich nicht neu: Bereits Jeremy Bentham betont, dass „[t]his same power [gemeint ist die Testierfreiheit, d. Verf.] may also be considered as an instrument of authority, confided to individuals, for the encouragement of virtue and the repression of vice in the bosom of families“40. Entscheidend für diese Anreizfunktion der Testierfreiheit ist freilich, dass der Erblasser stets das letzte Wort behält41, und dies kann der Gesetzgeber eigentlich nur durch die grundsätzliche Widerrufbarkeit letztwilliger Verfügungen sicherstellen. Ein Gesetzgeber, der eine erbrechtliche Selbstbindung zulässt, gibt damit jedenfalls graduell die Anreizsteuerung durch Testierfreiheit auf – und das könnte womöglich auch der eigentliche Grund für die Skepsis gegenüber einer erbrechtlichen Selbstbindung in zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen sein. 35 36 37 38

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Hierzu mit weiteren Nachweisen Dutta (Fn. 6) 153 ff. Siehe etwa Bentham, Principles of the Civil Code [1786], in: T he works of Jeremy Bentham I, hrsg. von Bowring (1843) 338. Etwa Dutta (Fn. 6) 236 f., 422 ff., 530 f. G. S. Becker, Economica 48 (1981) 1 (9); ders., A treatise on the family (1991) 293 f. sowie 284, wonach „a selfish beneficiary […] is led by the invisible hand of self-interest to act as if she is altruistic“. Näheres bei Dutta (Fn. 6) 390 f. Bentham (Fn. 36) 337. Vgl. Hirshleifer, J. Econ. Lit. 15 (1977) 500.

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang 9

C. Zweite Station: Verträge mit dem Erblasser über den Verzicht auf künftige erbrechtliche Positionen Aus rechtsvergleichender Perspektive besteht Uneinigkeit auch bei der Frage, ob potentiell Erbberechtigte bereits vor dem Erbfall auf ihre künftigen Positionen verzichten können. Eine zunehmende Anzahl von Rechtsordnungen gestattet wie das deutsche Recht mit dem Erb- und Pflichtteilsverzicht nach § 2346 BGB solche Verzichte auf künftige erbrechtliche Positionen42. Zwar stehen die vom traditionellen französischen Code civil geprägten Erbrechtsordnungen einem Erbverzicht zurückhaltend gegenüber43. Allerdings finden sich zunehmend Ausnahmen zu diesem Verzichtsverbot. So verbietet auch das französische Recht selbst grundsätzlich immer noch den Erbverzicht44; jedoch kann der Pflichtteilsberechtigte mittlerweile vor dem Erbfall auf seine Ansprüche verzichten45. Der pacte successoral global nach belgischem Recht ermöglicht einen Verzicht auf die Ausgleichung von lebzeitigen Zuwendungen46. Zum Teil beschränkt der Erbrechtsgesetzgeber die Möglichkeit eines Pflichtteilsverzichts aber auch auf bestimmte Vermögenseinheiten. So verbietet das italienische Recht immer noch einen Verzicht der Noterben auf ihren Pflichtteil47, erlaubt aber ausnahmsweise im Rahmen eines patto di famiglia einen Pflichtteilsverzicht zur Weitergabe eines Unternehmens, freilich grundsätzlich gegen Abfindung48. Auch andere Gesetzgeber machen den Verzicht von einer angemessenen Gegenleistung abhängig49. Der Vorteil einer Vertragsfreiheit des Erblassers und der potentiell Erbberechtigten im Hinblick auf deren künftige erbrechtliche Positionen liegt auf der Hand. Die privatautonome Entscheidung der Beteiligten führt grundsätzlich zu einem gerechten Ausgleich der Interessen der Beteiligten und behebt damit 42

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Siehe etwa Art. 274, 492 arag. Código del derecho foral; Art. 224 ff. galic. Ley de derecho civil; Sec. 113 irisch. Succession Act; Art. 766, Art. 768 lett. Civillikums; §§ 551, 758 Abs. 1 öster. ABGB; Art. 1048 ff. poln. Kodeks cywilny; Art. 495 ff. schweiz. ZGB. Vgl. auch Art. 137 Abs. 2 slowen. Zakon o dedovanju, der eine Ausschlagung zu Lebzeiten durch Vereinbarung mit dem Erblasser ermöglicht. Einen Verzicht verbieten grundsätzlich etwa Art. 791 Fall 1, Art. 1100/1 § 1 belg. Code civil; Art. 368 Satz 1, Art. 1851 Satz 1 griech. Astikos kōdikas; Art. 458 Satz 2 Fall 2 ital. Codice civile; Art. 451–26 Abs. 1 katal. Codi civil; Art. 791 Fall 1, Art. 1130 Abs. 2 Fall 1 luxem. Code civil; Art. 4:4 Abs. 2 nied. Burgerlijk Wetboek; Art. 2170 port. Código civil; Art. 956 rum. Codul civil; Art. 816 span. Código civil. Art. 722 franz. Code civil. Art. 929 ff. franz. Code civil. Art. 1100/7 belg. Code civil. Nachweis oben in Fn. 43. Art. 768 bis ff. ital. Codice civile, siehe vor allem Art. 768 quater Abs. 2 und 4. Kap. 17 § 1 Abs. 2 Satz 2 finn. Perintökaari; § 45 Abs. 1 Satz 2 norw. Arvelov; Kap. 17 § 2 Abs. 1 Satz 2 schwed. Ärvdabalk. Vgl. auch Art. 224, 225 galic. Ley de derecho civil; Art. 768 quarter Abs. 2 ital. Codice civile.

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Schwächen sowohl der Testierfreiheit als auch der starren gesetzlichen Erbberechtigung – jedenfalls im Grundsatz. Allerdings wird auch bei dieser einvernehmlichen Anpassung der erbrechtlichen Teilhabe durch die Beteiligten nicht immer die Entscheidungsfreiheit der Beteiligten und die Vertragsgerechtigkeit gewahrt, sodass die Entscheidung der Beteiligten oftmals nur eine eingeschränkte Richtigkeitsgewähr entfaltet: Ohne hier näher auf die Relativierungen der Richtigkeitsgewähr eines Verzichts im Einzelfall eingehen zu können50, rechtfertigen diese Bedenken nicht allgemein ein Verzichtsverbot, sondern erfordern allenfalls flexible Grenzen der Vertragsfreiheit, etwa bei uns eine Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle nach § 138 Abs. 1 und § 242 BGB51.

D. Dritte Station: Verträge über die Rechtsnachfolge von Todes wegen noch lebender Dritter Es existiert noch eine dritte Gruppe von Verträgen im Dunstkreis der Rechtsnachfolge von Todes wegen, welche gesetzlich regelmäßig verboten werden: Verträge über die Rechtsnachfolge von Todes wegen noch lebender Dritter. So ist bei uns gemäß § 311b Abs. 4 Satz 1 BGB ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig, wobei Satz 2 der Vorschrift diese Nichtigkeitssanktion auf Verträge über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten erstreckt. § 311b Abs. 5 Satz 1 BGB macht eine Ausnahme vom Verbot dieser – im deutschen Recht traditionell als Erbschaftsverträge bezeichneten52 – Vereinbarungen, und zwar für Verträge zwischen künftigen gesetzlichen Erben über ihren gesetzlichen Erbteil oder Pflichtteil. Das Erbschaftsvertragsverbot ist allerdings keine Spezialität des deutschen Rechts. Ähnliche Verbote finden sich – oftmals sogar ohne entsprechenden Ausnahmetatbestand – auch in zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen53. Das Erbschaftsvertragsverbot – das komplizierte Abgrenzungsfragen aufwirft54 – soll nach den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch die guten Sitten schützen: Erbschafts-

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Hierzu Dutta (Fn. 6) 442 ff. Vgl. etwa Dutta, AcP 209 (2009) 760 (774 ff.); Röthel, NJW 2012, 337; dies., AcP 212 (2012) 157 (196 ff.). Vgl. etwa bereits Beseler, Die Lehre von den Erbverträgen, Bd. II/2 (1840) 328. Siehe etwa Art. 1100/1 § 1 Abs. 1 Satz 2 belg. Code civil; Art. 426 bras. Código civil; Art. 26 Abs. 1 bulg. Zakon za zadălženijata i dogovorite; Art. 722 franz. Code civil; Art. 368 Satz 1 Fall 2 griech. Astikos kōdikas; Art. 458 Satz 2 Fall 1 ital. Codice civile; Art. 1130 Abs. 2 Fall 2 luxem. Code civil; Art. 4:4 Abs. 2 nied. Burgerlijk Wetboek (vgl. auch Abs. 1 der Vorschrift); § 879 Abs. 2 Nr. 3 öster. ABGB; Art. 1047 poln. Kodeks cywilny; Art. 2028 Abs. 1 Fall 3 port. Código civil; Art. 636 Abs. 1 schweiz. ZGB; Art. 104 slowen. Zakon o dedovanju; Art. 1271 Abs. 1 span. Código civil. Näher etwa Dutta, ZfPW 2017, 34 (39 ff.).

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang

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verträge seien grundsätzlich sittlich verwerflich55. Die Nähe des Erbschaftsvertragsverbots zur Sittenwidrigkeit lässt sich im Ausland mitunter sehr viel deutlicher als bei uns erkennen. So führt in Österreich das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch einen Vertrag, mit dem „eine Erbschaft oder ein Vermächtnis, die man von einer dritten Person erhofft, noch bei Lebzeiten derselben veräußert wird“, als Regelbeispiel für einen gesetzes- oder sittenwidrigen Vertrag an56.

I. Kein zwingender Verstoß gegen die guten Sitten Lässt sich dieses absolute Sittenwidrigkeitsverdikt rechtfertigen, auch vor dem Hintergrund, dass jedenfalls das Bürgerliche Gesetzbuch Erbschaftsverträge in Ausnahmefällen (§ 311b Abs. 5 Satz 1 BGB) durchaus zulässt? Die Tatsache, dass Erbschaftsverträge mittelbar an den Tod eines Dritten anknüpfen (ein „Nachlass“ im Sinne des § 311b Abs. 4 Satz 1 BGB setzt voraus, dass der Betreffende gestorben ist), reicht für eine allgemeine sittliche Verwerflichkeit von Erbschaftsverträgen sicherlich nicht aus57. Verträge über den Tod eines Dritten mögen mulmige Gefühle auslösen und sind auch außerhalb der Erbschaftsverträge reglementiert, vgl. für die Versicherung fremden Lebens § 150 Abs. 2 VVG. Allerdings lässt sich die Zurückhaltung des Rechts, vertragliche Dispositionen für den Fall des Todes eines Dritten zuzulassen, wohl mit eher irrationalen Gründen erklären. Wir empfinden das Nachdenken über den Tod eines anderen Menschen als pietätlos und damit erst recht Verabredungen über dieses Ereignis ohne Beteiligung des Betreffenden. Der eigene Tod löst stets kognitive Dissonanzen aus und wird deshalb verdrängt; daher sollen andere nicht für den Fall disponieren, dass man selbst stirbt. Ob das Privatrecht auf solche Empfindungen mit einem Erbschaftsvertragsverbot reagieren sollte, ist freilich zweifelhaft, auch wenn bis ins gemeine Recht sogar darüber nachgedacht wurde, ob der Abschluss eines Erbschaftsvertrags eine Erbunwürdigkeit der Vertragsparteien nach dem Dritten als Erblasser begründet58. Der Tod ist ein sicher eintretendes Ereignis, das stets jedenfalls erbrechtliche Fragen aufwirft. Es ist nicht gerade ein rationales Signal des Gesetzes, wenn das Recht den Erb55 56 57

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Motive zum BGB II 184 [= Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. II (1899) 101]. § 879 Abs. 1, 2 Nr. 3 öster. ABGB; ähnlich Art. 26 Abs. 1 bulg. Zakon za zadălženijata i dogovorite. Anders aber z.B. nachdrücklich Beseler (Fn. 52) 334: „Denn auch jetzt noch und allen Zeiten muß es unanständig (inhonestum) erscheinen, wenn über die künftige Erbschaft eines noch Lebenden von den muthmaßlichen Erben Verfügungen getroffen werden, welche zeigen, wie sehr sie sich schon mit Gedanken an seinen Tod, ohne welchen ja kein Nachlaß ist, beschäftigen“; von einer „Beleidigung“ des Erblassers spricht Hasse, Rhein. Museum f. Jurispr. 2 (1828) 149, 226. Dafür etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. II (5. Aufl. 1879) 424; Köppen, Lehrbuch des heutigen römischen Erbrechts (1895) 147; dagegen Beseler (Fn. 52) 341 f.

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lasser durch die Bereitstellung der Testierfreiheit zur Regelung seiner Rechtsnachfolge von Todes wegen auffordert, aber den Überlebenden – die von dieser Rechtsnachfolge vor allem betroffen sind – vorsorgende Dispositionen über diese Rechtsnachfolge verbietet. Nachdenken ließe sich darüber, ob Erbschaftsverträge die Testierfreiheit des Dritten als Erblasser einschränken. Rechtlich wird die Testierfreiheit des Erblassers, anders als etwa bei einem Erbvertrag, mit dem sich der Erblasser selbst bindet (oben B.), von einem Erbschaftsvertrag nicht berührt59. Der Erblasser kann frei und in den allgemeinen Grenzen seiner Testierfreiheit über seinen Nachlass verfügen60, auch wenn ausländische Gesetze das Erbschaftsvertragsverbot oftmals in einem Atemzug mit dem Erbvertragsverbot aussprechen61, das den Erblasser vor einer Selbsteinschränkung seiner Testierfreiheit bewahren soll (oben B. III.). Nicht übersehen werden darf indes, dass ein Erbschaftsvertrag einer Verfügung von Todes wegen praktisch die Wirkung nehmen kann. Wenn etwa der Erblasser in seinem Testament eine Teilungsanordnung nach § 2048 BGB trifft, aber sich die künftigen Erben zu seinen Lebzeiten in einem Erbschaftsvertrag über eine abweichende Verteilung des Nachlasses einigen, dann würde bei Wirksamkeit des Erbschaftsvertrags die Teilungsanordnung ins Leere laufen. Die rein schuldrechtliche Bindung der Teilungsanordnung würde durch den Erbschaftsvertrag modifiziert. Bei Lichte betrachtet handelt es sich bei dieser vermeintlichen Einschränkung allerdings um eine der Testierfreiheit immanente Wirkungsgrenze. Die Testierfreiheit ist nämlich – von Ausnahmen abgesehen, etwa der Vollziehung einer Auflage im öffentlichen Interesse nach § 2194 Satz 2 BGB – stets davon abhängig, dass sich die jeweils durch die Verfügung von Todes wegen Bedachten auf ihre erbrechtliche Position berufen und diese nicht einvernehmlich mit den Verpflichteten abändern. So können sich die Erben – um im Beispiel der Teilungsanordnung zu bleiben – einvernehmlich über Anordnungen des Erblassers zur Auseinandersetzung des Nachlasses hinwegsetzen62. Eine rechtspolitische Basis für das Erbschaftsvertragsverbot lässt sich allenfalls im Schutzbedürfnis der Vertragsparteien sehen. So betonen zum Bürgerlichen Gesetzbuch bereits die Motive, dass Erbschaftsverträge „vom volkswirthschaftlichen Standpunkte aus bedenklich“ seien, weil künftige Erben leichtfertig 59

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Deshalb ist es bemerkenswert, dass aus der deutschrechtlichen Zulässigkeit von Erbverträgen oftmals auch die gemeinrechtliche Zulässigkeit von Erbschaftsverträgen abgeleitet wurde, siehe beispielsweise T hibaut, System des Pandekten-Rechts, Bd. II (3. Aufl. 1809) 113 f.; weitere – auch im Hinblick auf diese Vermengung – kritische Nachweise bei Dutta, ZfPW 2017, 34 (37 in Fn. 11). Vgl. auch Motive zum BGB II 183 [= Mugdan (Fn. 55) 100 f.]. Art. 1100/1 § 1 belg. Code civil; Art. 722 franz. Code civil; Art. 368 griech. Astikos kōdikas; Art. 458 ital. Codice civile; Art. 1130 Abs. 2 luxem. Code civil; Art. 2028 Abs. 1 port. Código civil; Art. 103 ff. slowen. Zakon o dedovanju; Art. 1271 Abs. 1 span. Código civil. Vgl. für den Ausschluss der Auseinandersetzung nach § 2044 BGB etwa BGH 25.9.1963, BGHZ 40, 115 (117).

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang 13

oder in Not Vermögen verschleudern könnten und es sich bei Erbschaftsverträgen um Spekulationsgeschäfte handele63. Auch in der Rechtsprechung wird vor allem der Schutz vor risikoreichen Verträgen betont64. In der Tat lassen sich die Parteien jedenfalls auf zwei Unsicherheiten beim Erbschaftsvertrag ein: Sie kennen weder Ob noch Umfang der künftigen erbrechtlichen Begünstigung, die sie zum Gegenstand ihres Erbschaftsvertrags machen. Beide Fragen hängen von künftigen und ungewissen Ereignissen ab, etwa der Ausübung der Testierfreiheit durch den Erblasser, dem Vorversterben des Erblassers, aber auch schlicht der Entwicklung seines Vermögens. Diese Unsicherheiten sind jedoch für die Parteien von Anfang an offensichtlich, sodass sie darauf reagieren können und reagieren werden. Ähnliche Unsicherheiten für die Parteien bestehen im Übrigen auch bei anderen aleatorischen Rechtsgeschäften, im Erbrecht etwa bei den eben erwähnten (oben C.) Erb- oder Pflichtteilsverzichten65. Vor allem kann das Schuldvertragsrecht mit unerwarteten künftigen Entwicklungen umgehen66, anders als womöglich noch vom historischen Gesetzgeber befürchtet. Denkbar wäre es etwa, Erbschaftsverträge einer Ausübungskontrolle nach § 242 BGB zu unterwerfen, wenn sich die vertragsgegenständliche erbrechtliche Position abweichend von den Vorstellungen der Parteien entwickelt67. Auch kann das Recht mithilfe der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage und mithilfe des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf Entwicklungen zwischen Vertragsschluss und Erbfall reagieren. Allenfalls ließe sich überlegen, ob es bei Erbschaftsverträgen regelmäßig zu Störungen der Entscheidungsfreiheit kommt und diese deshalb verboten werden sollten68. Zwar drohen Störungen der Entscheidungsfreiheit bekanntlich speziell im familiären Kontext, in dem auch Erbschaftsverträge regelmäßig geschlossen werden. Anders als bei Verträgen mit dem Erblasser, etwa bei Pflichtteilsverzichten (oben C.), werden sich allerdings die Parteien eines Erbschaftsvertrags in der Familie, etwa als Geschwister, auf Augenhöhe begegnen. Auch kann das Recht im Einzelfall mit Störungen der Entscheidungsfreiheit umgehen, etwa mit einer Wirksamkeitskontrolle im Einzelfall nach § 138 Abs. 1 BGB. Ein allgemeines Verbot schießt über das Ziel hinaus. Sehr lohnend ist deshalb ein Blick in die vom common law geprägten Rechtsordnungen, die Erbschaftsverträge nicht mit einem allgemeinen Verbot belegen – im Gegenteil, im 19. Jahrhundert stellte in England sogar der Gesetzgeber klar, dass Verfügungen über künftige, auch erb63 64 65 66 67 68

Motive zum BGB II, 184 [= Mugdan (Fn. 55) 101]; so etwa auch von Gierke, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (1889) 214. Etwa bereits BGH 5.2.1958, BGHZ 26, 320 (325). Hierauf weist auch Daniels, Verträge mit Bezug auf den Nachlaß eines noch lebenden Dritten (1973) 23, hin. Vgl. auch bezogen auf den Erbschaftsvertrag jurisPK-BGB/Ludwig (9. Aufl. 2020) § 311b BGB Rn. 511 ff. Vgl. Wiedemann, NJW 1968, 769. In diese Richtung Limmer, DNotZ 1998, 927, 930.

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rechtliche Rechtspositionen grundsätzlich durchsetzbar sind69. Vielmehr setzte hier die Diskussion um contracts with expectant heirs einen der Startschüsse für die doctrine of unconscionability, die beim Vertragsschluss Störungen der Entscheidungsfreiheit bewältigen soll70. Erbschaftsverträge sind daher nach englischem Recht allenfalls gerichtlich daraufhin zu untersuchen, ob eine schwächere Verhandlungsposition des künftigen Inhabers der erbrechtlichen Position ausgenutzt wurde71.

II. Vielmehr: Bedarf für Erbschaftsverträge Das wenig überzeugende Verbot der Erbschaftsverträge wäre freilich nicht allzu schädlich, wenn kein Bedarf für diesen Vertragstypus bestünde. Diese Hoffnung erfüllt sich jedoch leider nicht. Bereits die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch betonten das „Bedürfniß der Zulassung solcher Verträge in Deutschland […] für Verträge innerhalb der Familie, bei Gutsübergaben, Auswanderungen, Abfindungen von Geschwistern u. dergl.“72. Auch der Ausnahmetatbestand in § 311b Abs. 5 BGB legt nahe, dass der Gesetzgeber Raum für Erbschaftsverträge sieht. Streng genommen ist die Frage nach einem Bedarf für einen bestimmten Vertragstypus bereits verfehlt. Da ein Schuldvertrag nur die jeweiligen Vertragsparteien bindet und im Hinblick auf deren Interessen von einer Richtigkeitsgewähr des Vertrags auszugehen ist (oben A.), besteht – auch aus ökonomischer Sicht – immer dann Bedarf für einen Erbschaftsvertrag, wenn sich nur zwei Parteien finden, die einen solchen Vertrag abschließen wollen, selbst gegen73 oder ohne Willen des Erblassers. Auch schaffen diese Verträge doch für die Vertragsparteien zu Lebzeiten des Erblassers Planungssicherheit und sind deshalb ökonomisch sinnvoll74. Bemerkenswert ist aber, dass ein Erbschaftsvertrag oftmals auch den Interessen des Erblassers als Drittem dient und damit ein über die Verwirklichung der Parteiinteressen hinausgehender Bedarf bestehen kann75. Ein Erbschafts69 70 71 72

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Siehe das Sales of Reversions Act 1867, das in Sec. 174 Law of Property Act 1925 überführt wurde. Siehe zur Entwicklung z.B. Angelo/Ellinger, Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Journal 14 (1992) 455, 460 ff. Siehe etwa Lloyds Bank Ltd v. Bundy (1974) EWCA 8. Motive zum BGB II 184 [= Mugdan (Fn. 55) 101]; anders Seuffert, Die allgemeinen Grundsätze des Obligationenrechts in dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (1889) 57: „für solche Verträge besteht kein Verkehrsbedürfniß“. Anders die Motive zum BGB II 185 [= Mugdan (Fn. 55) 102]: „Wo die T heilnahme des künftigen Erblassers an dem Vertrage nicht zu erzielen ist, werden regelmäßig gute Gründe für die Weigerung des Erblassers vorhanden sein“. Nachdrücklich auch Wiedemann, NJW 1968, 769. Das verkennt etwa Mommsen, Entwurf eines deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht nebst Motiven (1876) 274 f., wenn er die Gründe für Erbschaftsverträge auf egoistische Motive der

Verbotene Verträge im Erbrecht – Ein rechtsvergleichender Spaziergang 15

vertrag kann sinnvoll sein, wenn die Vertragsparteien die Aufgabe des Erblassers übernehmen müssen, für eine gerechte Rechtsnachfolge von Todes wegen zu sorgen. Vor allem besteht im Interesse des Erblassers ein Bedürfnis für einen Erbschaftsvertrag, wenn der Erblasser die (gesetzliche oder durch eine frühere Verfügung von Todes wegen gewillkürte) Rechtsnachfolge von Todes wegen rechtlich nicht mehr gestalten kann. Konkret betrifft dies etwa Fälle, in denen der Erblasser nicht mehr geschäftsfähig oder testierfähig ist oder durch einen Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament in seiner Testierfreiheit eingeschränkt ist. Man denke nur an den sicherlich nicht seltenen Fall, in dem ein dementer Erblasser von einem Familienmitglied gepflegt wird und sich alle potentiell erbrechtlich Begünstigten einig sind, dass das pflegende Familienmitglied erbrechtlich bessergestellt werden muss, als es nach der gesetzlichen oder gewillkürten Erbfolge steht. Solche Fälle könnten de lege ferenda über eine gerichtliche Befugnis, die Erbfolge abzuändern, bewältigt werden. Das englische Recht gestattet etwa dem Gericht, im Wege eines statutory will für eine gerechte Rechtsnachfolge von Todes wegen im „best interest“ des Erblassers zu sorgen76. Darüber hinaus kann das Gericht nach dem Erbfall allgemein im Wege der family provision nicht nur eine gewillkürte, sondern auch die gesetzliche Erbfolge anpassen77. In einer solchen Situation sind aber wohl sehr viel sachnäher die potentiell den Erblasser Überlebenden, die von der Ausübung der Testierfreiheit durch den Erblasser betroffen sind, vor allem also die potentiell Erbberechtigten. Bereits das preußische Allgemeine Landrecht erkannte den Bedarf für Erbschaftsverträge bei handlungsunfähigen Erblassern. Erbschaftsverträge waren nach dem Allgemeinen Landrecht nur zulässig, soweit der Erblasser zustimmt78. Hiervon machte das Gesetz aber eine Ausnahme: „Wenn der, über dessen künftige Erbschaft ein solcher Vertrag […] geschlossen wird, eine verbindliche Willenserklärung abzugeben unfähig ist, so kann […] der Vertrag, auch ohne seinen Beytritt, gültig geschlossen werden“79. Die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch lehnten es dagegen explizit ab, eine entsprechende Regel zu übernehmen, wobei vor allem dem Fall die Sorge galt, dass der Handlungsunfähige später seine Handlungsfähigkeit wiedererlangt80. Es darf jedoch bezweifelt werden, ob den Vätern des Bürgerlichen Gesetzbuchs am Ende des 19. Jahr-

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Parteien reduziert, wonach „derartige vorgängige Abmachungen ein Feld [sind], auf welchem der Eigennutz sich sehr thätig zeigt“. Siehe vor allem Sec. 18 Abs. 1 lit. i Mental Capacity Act 2005; siehe auch Schedule 2 Abs. 1 bis 4 des Gesetzes. Sec. 1 Abs. 1 Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975: „[T he applicant] may apply to the court for an order […] on the ground that the disposition of the deceased’s estate effected by his will or the law relating to intestacy, or the combination of his will and that law, is not such as to make reasonable financial provision for the applicant“. Teil I Tit. 12 § 650 preuß. ALR (1794). Teil I Tit. 12 § 653 preuß. ALR (1794). Motive zum BGB II, 186 [= Mugdan (Fn. 55) 102].

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hunderts bereits bewusst war, dass aufgrund des demographischen Wandels testierunfähige Erblasser zu einem häufigen Phänomen werden81.

E. Schlusspunkt Die drei Stationen des Spaziergangs haben gezeigt, dass sich die allgemein privatrechtliche Vertragsfreundlichkeit nicht ohne Weiteres auf das Erbrecht erstreckt, jedenfalls außerhalb des deutschen Rechts, das rechtsvergleichend eine Ausnahmestellung einnimmt und nur wenige Vertragsverbote im Erbrecht kennt (oben B. I. und D.). Die grundsätzliche „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrags (oben A.) genügt dem Erbrecht als Rechtfertigung für eine umfassende Vertragsfreiheit im Hinblick auf eine künftige Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht. Übergreifende Gründe für diese vor allem rechtsvergleichend zu beobachtende Vertragsskepsis im Erbrecht sind nur zum Teil auszumachen, etwa die Sorge um eine Wahrung der Entscheidungsfreiheit und der Vertragsgerechtigkeit, der mit flexiblen Grenzen ohne starre Vertragsverbote begegnet werden könnte (oben C. und D. I.).

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Ausführlich zu diesem Problemkreis Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft (2016).

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Erbauseinandersetzungsverträge im Zivil- und Steuerrecht A. Einleitung Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, bilden diese eine Erbengemeinschaft. Ein grundlegender Unterschied zu anderen Gemeinschaften des BGB – Vereinen, Gesellschaften oder auch einer ehelichen Gütergemeinschaft – besteht darin, dass die Erbengemeinschaft nicht aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarung der Beteiligten begründet wird. Die Erbengemeinschaft entsteht automatisch und ohne Gründungsakt völlig unabhängig vom Willen der Erben selbst. Die Erben finden sich nach dem Erbfall damit in einer Art „Zufalls- oder Zwangsgemeinschaft“1 wieder, ohne mit dem entsprechenden umfangreichen zivil- und steuerrechtlichen Regelwerk vertraut zu sein und ohne sich die anderen Personen, mit denen sie eine Gemeinschaft bilden, ausgesucht zu haben. Die häufig unterschiedlichen Vorstellungen der Miterben zur Aufteilung des Nachlasses, zur Bewertung von Nachlassgegenständen und die teils gegenläufigen tatsächlichen wirtschaftlichen und steuerlichen Interessen müssen bis zur finalen Erbauseinandersetzung in Einklang gebracht werden. Die damit verbundenen Herausforderungen und auch die Eigenarten der rechtlichen Grundlagen führen dazu, dass die Erbengemeinschaft die wohl konfliktträchtigste Gemeinschaft im deutschen Rechtssystem darstellt. Der Erblasser kann bei seiner Nachfolgeplanung dafür sorgen, dass es hierzu nicht kommt. Oftmals überblickt er bei seinen Nachfolgeüberlegungen die Aufgaben nicht, die er seinen gemeinschaftlichen Erben aufbürdet, obwohl er zu Lebzeiten viele Gestaltungsmöglichkeiten hätte, um das Konfliktpotential nach seinem Versterben deutlich zu begrenzen. Oder es werden überhaupt keine letztwilligen Verfügungen getroffen und die Erbengemeinschaft ergibt sich aus dem Eintritt der gesetzlichen Erbfolge. Abgesehen von den rechtlichen und tatsächlichen Herausforderungen werden erb- und ertragsteuerliche Fallstricke und * Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser Holtz auf dem 11. Bochumer Erbrechtssymposium der Hereditare – Wissenschaftliche Gesellschaft für Erbrecht e.V. am 18.6.2021 gehalten hat. 1 Lange, Erbrecht, 2. Aufl. 2017, Kap. 14 Rn. 10.

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Gestaltungsmöglichkeiten bei der Erbauseinandersetzung häufig verkannt. Die Verteilung von Nachlassgegenständen auf einzelne Miterben kann im Rahmen der Erbauseinandersetzung zu vermeidbaren Steuerbelastungen führen. Die nachfolgenden Überlegungen befassen sich nicht mit dem denklogisch ersten Schritt, nämlich einer sinnvollen Nachfolgeplanung des Erblassers, dem viele Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen durch lebzeitige und letztwillige Verfügungen, um eine Erbengemeinschaft von Anfang zu vermeiden und damit eine Erbauseinandersetzung entbehrlich zu machen, oder in die Erbengemeinschaft nur solches Vermögen fallen zu lassen, welches leicht bewertbar und möglichst teil- bzw. verteilbar ist. Vorliegend wird vielmehr die Situation der Erbengemeinschaft und der einzelnen Erben ab dem Erbfall beleuchtet. Hierfür werden die zivilrechtlichen Grundlagen zur Erbengemeinschaft und die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Erbfall erläutert.

B. Zivilrechtliche Grundlagen I. Entstehung der Erbengemeinschaft Die Erbengemeinschaft entsteht kraft Gesetzes automatisch und ohne Gründungsakt völlig unabhängig vom Willen der Erben mit dem Erbfall, wenn mehr als eine Person denselben Erblasser beerbt. Obwohl der Gesetzgeber im Bürgerlichen Gesetzbuch systematisch die Regelungen für den Fall der Alleinerbschaft den Regelungen einer Erbengemeinschaft voranstellt (§ 1942 bis § 2031 BGB), stellt diese eher die Ausnahme dar. Wenn der Erblasser keine letztwillige Verfügung (Testament/Erbvertrag) mit einer wirksamen Erbeinsetzung hinterlassen hat, dann tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Die gesetzliche Erbfolge wird vom sogenannten Verwandtenerbrecht (§§ 1924 ff. BGB) und dem danebenstehenden Ehegattenerbrecht (§ 1931 BGB) bestimmt. War der Erblasser im Zeitpunkt des Erbfalls verheiratet, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich neben dem Ehegatten auch dessen nächsten Verwandten nach den Regeln der §§ 1924 ff. BGB Erben werden und damit eine Erbengemeinschaft entsteht. Es gibt daher wenige Fälle einer Alleinerbschaft nach gesetzlichem Erbrecht. Erbeinsetzungen im Wege der letztwilligen Verfügung (gewillkürte Erbfolge) gehen der gesetzlichen Erbfolge vor (§ 1937 BGB). Insofern steht dem Erblasser die Möglichkeit offen, die Bildung von Erbengemeinschaften nach seinem Tod zu vermeiden. Dennoch ist die Scheu groß, zur Vermeidung einer Erbengemeinschaft beispielsweise nur eins von mehreren Kindern als Erbe einzusetzen oder den Ehegatten nicht mit in die Erbfolge einzubeziehen. Der Erblasser hat häufig die nicht ganz unberechtigte Sorge, dass sich nach seinem Tod einer seiner Liebsten nicht entsprechend wertgeschätzt fühlt. Der psychologische Aspekt und die Enttäuschung über eine

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„Enterbung“ dürfen bei keinem Beteiligten unterschätzt werden. Somit kommt es auch bei der gewillkürten Erbfolge in der Praxis überwiegend zur Bildung von Erbengemeinschaften.

II. Rechtsnatur der Erbengemeinschaft Das Verständnis der Rechtsnatur der Erbengemeinschaft ist für das Verständnis der mit der Bildung einer Erbengemeinschaft verbundenen Schwierigkeiten zwangsnotwendig. Die Erbengemeinschaft ist in den §§ 2033 ff. BGB als eine sogenannte Gesamthandsgemeinschaft ausgestaltet. Sie ist kein selbstständiges Rechtssubjekt, keine juristische Person.2 Der BGH hat die Rechts- und Parteifähigkeit der Erbengemeinschaft ausdrücklich verneint.3 Das Vermögen der Erbengemeinschaft (Nachlassvermögen) bildet ein vom Privatvermögen der einzelnen Miterben getrenntes, durch den Verwaltungs-, Nutzungs- und Liquidationszweck dinglich gebundenes Sondervermögen.4 Der einzelne Miterbe hat eine (ideelle) Gesamtberechtigung am Nachlass (§ 2033 BGB) sowie einen Anspruch auf Auseinandersetzung. Bis zur Erbauseinandersetzung hat der einzelne Miterbe damit keine unmittelbare dingliche Berechtigung an einzelnen Nachlassgegenständen und der einzelne Miterbe kann bis zur Auseinandersetzung des Nachlasses lediglich über seinen Erbteil, nicht aber über einzelne Nachlassgegenstände verfügen (§ 2033 Abs. 1 BGB). Hierzu bestehen wenige Ausnahmen. Insbesondere gehen Beteiligungen an Personengesellschaften im Wege der Sondererbfolge unmittelbar im Verhältnis der Erbquoten auf die jeweiligen Erben über.5 Um Brüche zwischen Gesellschafts- und Erbrecht zu vermeiden, hat die Rechtsprechung insoweit auf die Bildung von Gesamthandsvermögen verzichtet und das Gesellschaftsrecht dem Erbrecht vorgezogen („Gesellschaftsrecht bricht Erbrecht“). Einer Auseinandersetzung bedarf es insoweit nicht. Sollte der Gesellschaftsvertrag eine Beschränkung des Kreises der nachfolgeberechtigten Personen vorsehen (durch sogenannte Nachfolgeklauseln), gehen die Anteile des Erblassers unmittelbar auf diejenigen Erben über, die die Qualifikation gemäß der Nachfolgeklausel erfüllen.6 Allerdings ist bei der Bestimmung der Teilungs-

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BGH NJW 1989, 2133 f.; BGH NJW 2002, 3389 f.; MüKoBGB/Gergen, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rn. 12; Grüneberg/Weidlich, 80. Aufl. 2021, § 2032 Rn. 1; Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft, 2019, § 3 Rn. 4. BGH NJW 2002, 3389 f.; darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu anderen Gemeinschaften und Gesellschaften, wie der BGB-Gesellschaft. MüKoBGB/Gergen, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rn. 7; Burandt/Rojahn/Flechtner, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2032 Rn. 12; Lange, Erbrecht, 2. Aufl. 2017, Kap. 14 Rn. 9; Grüneberg/Weidlich, 80. Aufl. 2021, § 2032 Rn. 1; Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft, 2019, § 3 Rn. 4. BGH BGHZ 22, 186; weitere Ausnahmen: Liquidationsgesellschaften, BGH NJW 1995, 3314. BGH BGHZ 68, 225.

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quote die unmittelbar an den oder die Nachfolgeerben gefallene Beteiligung wertmäßig zu berücksichtigen.7

III. Verwaltung des Nachlasses durch die Erbengemeinschaft Der Gesetzgeber gibt den Erben für eine Auseinandersetzung des Nachlasses und die Beendigung der Erbengemeinschaft keine zeitliche Vorgabe, obwohl die Erbengemeinschaft als Liquidationsgemeinschaft konzipiert ist. Erbengemeinschaften können daher über Jahre und selbst über Generationen hinweg fortbestehen. Bis zu einer endgültigen Erbauseinandersetzung muss der Nachlass von den Erben verwaltet werden. Im Ergebnis ist die Erbengemeinschaft als Organisationsform für das Halten und Verwalten von Vermögen allerdings schwerfällig.8 Da es sich bei der Erbengemeinschaft um eine Gesamthandsgemeinschaft handelt, verwalten die Miterben das Sondervermögen Nachlass gemeinschaftlich (§ 2038 Abs. 1 S. 1 BGB), sind also zusammen dessen handlungsfähiges Organ.9 Die gemeinschaftliche Verwaltung des Nachlasses umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherung, Erhaltung, Vermehrung und Nutzung des Nachlasses dienen. Es wird unterschieden zwischen ordentlicher, außerordentlicher und der Notverwaltung und je nach Einordnung der Maßnahme – was in der Praxis häufig bereits Streitthema sein kann – gelten unterschiedliche Voraussetzungen. Für Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung (die laufende Verwaltung des Nachlasses betreffend) gilt das Stimmmehrheitsprinzip. Ist eine Einstimmigkeit unter den Erben nicht erreichbar, beschließen die Miterben über eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung und Benutzung mit Stimmmehrheit, die nach der Größe der Erbteile zu berechnen ist (§ 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 1 S. 2 BGB). Für außerordentliche Verwaltungsmaßnahmen, also Maßnahmen, die eine wesentliche Veränderung des Nachlasses herbeiführen, gilt das Einstimmigkeitsprinzip (§ 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 3 S. 1 BGB). Eine Notgeschäftsführung umfasst die Maßnahmen, die zur Erhaltung gemeinschaftlicher Gegenstände notwendig sind, und kann bei unaufschiebbaren Maßnahmen auch von einzelnen Erben vorgenommen werden (§ 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB). Jeder Miterbe ist gemäß § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB verpflichtet, an der gemeinschaftlichen Verwaltung mitzuwirken, und kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er ohne nachvollziehbaren Grund eine Mitwirkungshandlung verweigert. Auch können Miterben die Zustimmung eines Erben zu angestrebten Verwaltungsmaßnahmen notfalls durch Klage erzwingen.10 Die gerichtlichen Verfahren sind indes zeit- und 7 8 9 10

MüKoBGB/Gergen, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rn. 60b; Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, Abschnitt B.3.01 Anm. 4. Winkler, ZEV 2001, 435. Grüneberg/Weidlich, 80. Aufl. 2021, § 2038 Rn. 1. BGH BGHZ 6, 76.

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kostenintensiv und führen durch die zeitweise Handlungsunfähigkeit der Erbengemeinschaft in der Regel zu Nachlasseinbußen.

IV. Die Erbauseinandersetzung Die Erbengemeinschaft endet mit der Auseinandersetzung über den letzten Gegenstand oder wenn ein Miterbe sämtliche Anteile am Nachlass erwirbt.11 Die Liquidation ist der eigentliche Zweck der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft. Durch die vollständige Auseinandersetzung endet auch die gesamthänderische Bindung.12 Doch ist die Auseinandersetzung häufig nicht so einfach, wie es zunächst scheint oder der Erblasser es sich vorgestellt hat. Miterben können den Auseinandersetzungsprozess erheblich blockieren. Hintergrund kann ein Streit über Bewertungen oder die Zuordnung einzelner Nachlassgegenstände sein oder einzelne Miterben fordern vielleicht einen Ausgleich für streitige erbrachte Leistungen oder Schenkungen, die wiederum ein anderer Miterbe zu Lebzeiten des Erblassers erhalten haben soll. Oder der eine Erbe möchte Immobilien aus dem Nachlass halten, kann seinen oder seine Miterben nicht auszahlen, blockiert auf der anderen Seite aber jeden Verkaufsprozess. In anderen Fällen geht es um reine Psychologie, mangelndes Vertrauen, das Gefühl, ein Leben lang hinten anstehen zu müssen und von den Eltern benachteiligt worden zu sein – in dem Fall geht es einfach nur noch darum, „dagegen“ zu sein ohne jede sachliche Grundlage. Was auch immer den Konflikt hervorruft, schon die Blockade eines einzelnen Miterben kann zu großen Schwierigkeiten und jahrelangem Streit führen. Das gilt für die Nachlassverwaltung sowieso, aber genauso auch für den Auseinandersetzungsprozess. Da der Auseinandersetzungsprozess nach herrschender Rechtsprechung keine Verwaltungsmaßnahme gem. § 2038 BGB darstellt, reichen Mehrheitsentscheidungen nicht mehr aus, die Erben müssen die Erbauseinandersetzung vielmehr einstimmig umsetzen.13

1. Gesetzliches Auseinandersetzungsverfahren Der Gesetzgeber räumt grundsätzlich jedem Miterben das gem. § 2042 Abs. 2 i.V.m. § 758 BGB unverjährbare Recht ein, jederzeit Auseinandersetzung des Nachlasses verlangen zu dürfen. Der Anspruch nach § 2042 BGB richtet sich gegen die Miterben und verpflichtet sie, an allen zur Auseinandersetzung notwendigen Maßnahmen entweder gemäß den Anordnungen des Erblassers in seiner letztwilligen Verfügung oder nach den gesetzlichen Teilungsregeln der 11 12 13

MüKoBGB/Gergen, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rn. 5; Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft, 2019, § 2 Rn. 2. Staudinger/Löhnig, BGB, 2020, § 2042 Rn. 1. Grüneberg/Weidlich, 80. Aufl. 2021, § 2046 Rn. 3 m.w.N.

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§§ 2046 ff. BGB mitzuwirken.14 Dieser Grundsatz wird vom Gesetz mehrfach durchbrochen. So ist die Auseinandersetzung ausgeschlossen, wenn der Erblasser dies durch letztwillige Verfügung angeordnet hat. Eine Auseinandersetzung ist ferner ausgeschlossen, solange der Kreis der Miterben noch nicht feststeht (§ 2043 BGB). Und gemäß § 2045 BGB kann sich ein Miterbe einer Auseinandersetzung widersetzen, solange ein Aufgebotsverfahren läuft. Das gesetzliche Auseinandersetzungsverfahren gestaltet sich im Übrigen wie folgt: In einem ersten Schritt sollen stets die Nachlassverbindlichkeiten berichtigt bzw. erfüllt werden (§ 2046 BGB). Dazu gehören insbesondere auch Vermächtnisse und Pflichtteilsansprüche, selbst wenn Miterben selbst Gläubiger sind. Sind im Nachlass nicht genug liquide Mittel vorhanden, um alle Verbindlichkeiten zu erfüllen, kann jeder Miterbe verlangen, dass der Nachlass insoweit in Geld umgesetzt wird, soweit es nötig ist, um die Verbindlichkeiten zu tilgen (§ 2046 Abs. 3 BGB). Im zweiten Schritt werden die Teilungsquoten festgestellt. Der restliche Nachlass ist als Überschuss entsprechend dem Verhältnis der Erbteile zu verteilen (§ 2047 Abs. 1 BGB). Dabei sind allerdings mögliche Ausgleichungspflichten der Erben untereinander zu berücksichtigen. Diese können sich aus §§ 2050 ff. BGB (lebzeitige ausgleichungspflichtige Zuwendungen des Erblassers) ergeben, genauso aus vom Erblasser verfügten Teilungsanordnungen (§ 2048 BGB), aus §§ 2042 Abs. 2 i.V.m. 756 S. 1 BGB oder aus nur einzelnen Erben zur Last fallenden Verbindlichkeiten. Erblasseranordnungen gehen den gesetzlichen Teilungsregelungen grundsätzlich vor. Allerdings dürfen sich die Miterben einverständlich auch durch gesonderte Vereinbarung über solche Erblasseranordnungen hinwegsetzen.15 In einem dritten Schritt soll sodann die Aufteilung des Nachlasses in Natur (bei teilbaren Gegenständen wie Bargeld) oder durch Verwertung erfolgen. Die Teilung in Natur soll stets den Vorrang genießen. Die Teilung durch Verkauf unter Aufteilung der Veräußerungserlöse soll lediglich das letzte Mittel darstellen. Kommt es in der Erbengemeinschaft zu Auseinandersetzungen, erfolgt die Verwertung von Mobilien im Wege des Pfandverkaufs (§§ 1235 Abs. 1, 383 Abs. 3 BGB), die Verwertung von Immobilien im Wege der Teilungsversteigerung (§§ 753 Abs. 1 S. 1 BGB, 180 ff. ZVG). Die zwangsweise Verwertung, die gerichtlich auch von einzelnen Erben gegen die übrigen Miterben durchgesetzt werden kann, endet letztlich in der Regel mit erheblichen Wertverlusten. Können sich die Erben untereinander nicht auf einen gemeinsamen Weg verständigen, dann muss die Auseinandersetzung notfalls zwangsweise durchgesetzt werden. Der Prozess ist indes mühsam und häufig nicht erfolgsversprechend. Zivilprozessual wird der Auseinandersetzungsanspruch der Miterben 14 15

MüKoBGB/Ann, 8. Aufl. 2020, § 2042 Rn. 4; Hartlich, RNotZ 2018, 285. MüKoBGB/Ann, 8. Aufl. 2020, § 2048 Rn. 9; Muscheler, ZEV 2010, 340, 341; Hartlich, RNotZ 2018, 285, 287 f.

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durch eine Klage auf Zustimmung zu einem bestimmten Teilungsplan durchgesetzt, wobei der Klageantrag zugleich auf die dinglichen Erklärungen zur Durchführung des Plans gerichtet sein kann.16 Gerichtlich geltend zu machen ist daher regelmäßig die Pflicht zur Zustimmung spezifisch bestimmter und bezeichneter Maßnahmen.17 Das impliziert allerdings auch, dass der Nachlassbestand, die Nachlasswerte, Nachlassverbindlichkeiten und mögliche Ausgleichspflichten, beispielsweise durch lebzeitige Schenkungen, bekannt und bestenfalls unstreitig sind, ein konkreter Teilungsplan vorgelegt werden kann und der Nachlass mithin teilungsreif ist. Das Gericht ist nicht befugt, den Teilungsplan zu ändern. An der Teilungsreife scheitern die meisten Auseinandersetzungsklagen dann auch. Insofern bietet es sich ggf. an, den Erbauseinandersetzungsprozess durch vorläufige Feststellungsklagen zu einzelnen, bereits bekannten Streitpunkten vorzubereiten. Der BGH hat solche Feststellungsklagen aus prozessökonomischen Gründen trotz deren Subsidiarität zur Leistungsklage ausnahmsweise als zulässig erachtet.18 Die Verfahrensdauer bis zu einem rechtskräftigen Urteil über die Erbauseinandersetzung beträgt infolgedessen in der Regel viele Jahre. Der Gesetzgeber hilft also der Erbengemeinschaft bei der konfliktären Auseinandersetzung nur bedingt. Werden sich die Erben untereinander über den Nachlassbestand, die Werte der einzelnen Nachlassgegenstände, mögliche Nachlassverbindlichkeiten und Ausgleichungspflichten nach §§ 2050 ff. BGB nicht einig, gibt es keine gesetzliche Regelung, die es einem Miterben ermöglicht eine amtliche Stelle anzurufen, die den Nachlass vom Amts wegen und mit Bindungswirkung gegenüber den übrigen Erben ermittelt und feststellt. Auch das vom Gesetzgeber eingeführte Vermittlungsverfahren gem. §§ 363 ff. FamFG setzt letztlich voraus, dass die Grundlagen der Erbauseinandersetzung gerade nicht streitig sind, so dass das Vermittlungsverfahren in der Praxis letztlich keine relevante Rolle spielt.19

2. Einvernehmliche Wege der Erben/Erbauseinandersetzungsverträge Es gibt weitere Wege, wie eine Erbengemeinschaft aufgelöst werden kann. Der Auseinandersetzungsprozess kann individuell und losgelöst von dem gesetzlich vorgesehenen Prozedere gestaltet werden. Die gesetzlichen Teilungsregeln wie auch die letztwilligen Anordnungen des Erblassers zur Teilung des Nachlasses sind gegenüber einer einvernehmlichen Erbauseinandersetzung der Erben stets subsidiär. 16 17 18 19

Hartlich, RNotZ 2018, 285, 288 m.w.N. Ruhwinkel, Die Erbengemeinschaft, 1. Aufl. 2013, Rn. 559. BGH NJW 1951, 311. Wetzel/Odersky/Götz/Holtmeyer, Handbuch Erbengemeinschaft, 2019, § 39 Rn. 2.

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a) Erbauseinandersetzungsvereinbarung Ein sehr häufig gewählter Weg zur Beendigung der Erbengemeinschaft ist die sogenannte Erbauseinandersetzungsvereinbarung zwischen den Erben.20 Der Erbauseinandersetzungsvertrag dient in erster Linie der Aufteilung und Überführung des gesamthänderisch gebundenen Nachlassvermögens in Alleinoder Bruchteilseigentum der einzelnen Miterben unter weitest gehender Vermeidung der Zerschlagung wirtschaftlicher Werte. Er tritt an die Stelle des von jedem Miterben klageweise durchsetzbaren soeben dargestellten gesetzlichen Teilungskonzepts, welches hinsichtlich des unteilbaren Nachlassvermögens, zu dem insbesondere regelmäßig auch Unternehmen gehören, eine Zwangsverwertung oder Teilungsversteigerung vorsieht. Eine solche Zwangsverwertung führt regelmäßig nicht nur zu Werteinbußen bis hin zu einer Wertvernichtung, sondern zudem auch häufig zu unnötigen Liquiditätsbelastungen durch Steuern auf die dabei entstehenden Veräußerungsgewinne. Die Erbauseinandersetzungsvereinbarung ist ein äußerst flexibles Instrument zur Beendigung der Erbengemeinschaft und ist gut durchdacht auch ein geeignetes Mittel, um den Familienfrieden zu wahren oder wiederherzustellen. Die Erben sind in der Gestaltung letztlich frei. Auf diese Weise lässt sich die Erbauseinandersetzung differenziert, interessengerecht und wirtschaftlich vernünftig regeln. Die Erben schließen im Wesentlichen einen Vertrag, in dem sie sich gegenseitig zur Übertragung der Nachlassgegenstände aus dem Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft an einen oder mehrere Miterben verpflichten. Der Erbauseinandersetzungsvertrag unterliegt keinen Formerfordernissen. Allerdings gelten die allgemeinen Formvorschriften, so dass auch der Erbauseinandersetzungsvertrag notariell beurkundet werden muss, sobald beispielsweise Immobilien (§ 311b Abs. 1 BGB) oder GmbH-Anteile (§ 15 GmbHG) im Nachlass vorhanden sind und übertragen werden sollen.

b) Erbanteilübertragung Eine weitere Möglichkeit sind die Erbanteilübertragung auf Miterben gegen Abfindung und Erbanteilübertragungen auf Dritte. Die Erbengemeinschaft findet auf diesem Weg dadurch ihr Ende, dass alle Erbteile auf einen Miterben oder einen Dritten übertragen werden, der dann alle Erbteile in einer Hand vereint und damit das gesamte Nachlassvermögen hält. Die ihren Erbteil Übertragenden erhalten eine entsprechende Abfindung, der Dritte zahlt einen Kaufpreis. Sowohl die Erbanteilübertragung auf Miterben als auch der Erbanteilverkauf bedürfen stets der notariellen Beurkundung (§§ 2033 Abs. 1 S. 2, 2371 BGB). 20

Für Formulare zu verschiedenen Erbauseinandersetzungsverträgen vgl. Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, Abschnitt B.3.

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c) Abschichtung Aus Kostengründen, oder weil sich ein Mitglied der Erbengemeinschaft beispielsweise im Ausland aufhält, kann es sinnvoll sein, über Alternativen zu einem Erbteilungsvertrag nachzudenken. Eine solche vom BGH seit 1998 in analoger Anwendung der §§ 1135, 2094, 2095 BGB anerkannte, aber in der Praxis wenig beachtete Alternative stellt eine sog. Abschichtung dar. Darin gibt der lösungswillige Miterbe seine Mitgliedschaft an der Erbengemeinschaft und damit auch sein Recht auf ein Auseinandersetzungsguthaben auf. Sein Erbteil wächst den übrigen Miterben kraft Gesetzes gemäß § 738 BGB analog an. Es handelt sich hierbei seinem Wesen nach nicht um eine Übertragung des Erbteils, sondern um einen Verzicht des Miterben auf seine Mitgliedschaftsrechte an der Erbengemeinschaft. Daher ist die Abschichtungsvereinbarung – anders als der Erbanteilübertragungsvertrag – grundsätzlich formfrei möglich.21 Insbesondere, wenn Immobilien zum Nachlass gehören, kann die Abschichtungsvereinbarung eine sinnvolle und kostengünstige Variante zu einem Erbanteilübertragungsvertrag sein. Die Abschichtungsvereinbarung wirkt allerdings ausschließlich im Innenverhältnis der Erben untereinander. Der ausgeschiedene Miterbe scheidet im Außenverhältnis gegenüber Dritten nicht aus dem Haftungsverband der Erbengemeinschaft aus. Sind also noch Nachlassverbindlichkeiten offen oder zu erwarten, sollte ein anderes Gestaltungsmittel gewählt werden. Eine Abschichtung kann nur in Bezug auf den gesamten Nachlass erfolgen. Die Abschichtung muss zu einem gänzlichen und endgültigen Ausscheiden des Miterben aus der Erbengemeinschaft führen.

d) Individuallösungen Es gibt zahlreiche weitere individuelle Lösungsmöglichkeiten (z.B. der freihändige Verkauf von Nachlassgegenständen, die Übertragung der Nachlassgegenstände auf alle Miterben in Bruchteilsgemeinschaft, die Umwandlung der Erbengemeinschaft in eine Personengesellschaft oder sogar die Ausschlagung des Erbes). Bei allen Vereinbarungen ist zu beachten, dass hierin nicht zwingend eine endgültige Erbauseinandersetzung zu liegen braucht, die nur dann erreicht wird, wenn entweder der letzte Nachlassgegenstand verteilt ist oder sich sämtliche Erbteile in einer Hand vereinigen und die Erbengemeinschaft dadurch erlischt.22

21 22

§§ 2033, 2371 BGB werden nicht analog angewendet. Hartlich, RNotZ 2018, 285, 286.

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V. Konfliktvermeidung vor dem Erbfall Für den Erblasser bietet es sich an, schon zu Lebzeiten mögliche konfliktäre Situationen zu prüfen und durch letztwillige Verfügungen und andere Gestaltungsmaßnahmen einen geordneten Vermögensübergang sicherzustellen. Der sicherste Weg ist die Vermeidung einer Erbengemeinschaft durch die Einsetzung nur eines Erben. Eine wirtschaftliche Gleichstellung kann durch die testamentarische Anordnung von Vermächtnissen erreicht werden, die vom Alleinerben zu erfüllen sind. Als psychische Barriere kann sich der Wunsch nach technischer Gleichstellung erweisen. Dann ist zu überlegen, ob die Familie in die Nachfolgeplanung einbezogen werden, damit schon vor dem Erbfall ein gemeinsames Verständnis geschaffen wird, Fragen geklärt und Sorgen ausgeräumt werden können. Das kann freilich nicht verhindern, dass es nach dem Erbfall doch zu Unstimmigkeiten kommt. Zudem können sich die Vorstellungen des Erblassers ändern, was dann erneut Gespräche erfordert und auch zur unangenehmen Situation führen kann, dass erklärt werden muss, warum das Testament geändert werden soll. Die Einbeziehung der (potentiell) Begünstigten ist daher nicht unproblematisch. Als weitere Möglichkeit der Konfliktvermeidung kann sich die Ernennung eines Testamentsvollstreckers anbieten, der dann die Nachlassabwicklung einschließlich der Erbauseinandersetzung übernimmt. Für die Erbauseinandersetzung hat der Erblasser zudem verschiedene von Gesetzes wegen zulässige Gestaltungsoptionen, wie die Teilungsanordnung, die Anordnung von (Voraus-) Vermächtnissen, Regelungen zum Zeitpunkt der Erbauseinandersetzung (z.B. ein – zeitlich befristetes – Teilungsverbot). Es können Übernahmerechte einzelner Begünstigter verfügt werden oder auch Strafklauseln, Schiedsoder Mediationsklauseln. Durch Anwendung richtiger testamentarischer Gestaltungsmittel können Schwierigkeiten und mithin Streitpunkte, welche sich aus dem Bestehen einer Erbengemeinschaft möglicherweise ergeben, vermieden werden.

C. Steuerliche Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten Neben den zivilrechtlichen Besonderheiten sind bei Erbauseinandersetzungsverträgen auch die steuerlichen Rahmenbedingungen zu beachten. Das gilt für die Erbschaftsteuer auf den Erwerb als Erben und auch für etwaige Steuerfolgen durch die Erbauseinandersetzung.

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I. Erbschaftsteuerlicher Stichtag Nach § 9 ErbStG liegt der Steuer ein strenges Stichtagsprinzip zugrunde. Bei Erwerben von Todes wegen entsteht die Steuerschuld grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Es müssen keine weiteren Umstände hinzutreten, insbesondere wird die Kenntnis oder Billigung des Erwerbs nicht vorausgesetzt. Dafür kann die bereits entstandene Steuerschuld durch Zurückweisung (§ 333 BGB) oder Ausschlagung (§§ 1942 ff. BGB) noch abgewendet werden. Von diesem Grundsatz bestehen Ausnahmen für – aufschiebend bedingte, betagte und befristete Erwerbe (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) ErbStG), – den Pflichtteilsanspruch, der erst mit Geltendmachung zu einem steuerpflichtigen Erwerb wird (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) ErbStG), und – Abfindungserwerbe nach § 3 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 ErbStG, die erst zum Zeitpunkt der Aufgabe der Erwerbsposition durch Verzicht, Ausschlagung, Zurückweisung oder Nichtgeltendmachung besteuert werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben f) und g) ErbStG). Für die Erbauseinandersetzung gibt es keine allgemeine Sonderregel. Der erbschaftsteuerliche Erwerb durch Erbfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) ist auch bei einer Mehrheit von Erben mit dem unmittelbaren Vermögensübergang am Todestag abgeschlossen. Die nachfolgende Erbauseinandersetzung ist für die Besteuerung grundsätzlich ohne Bedeutung. Den einzelnen Miterben wird der Erwerb mit dem Anteil am Gesamtnachlasswert zugerechnet (wertmäßige Zurechnung nach dem Verhältnis der Erbquoten). Für die Höhe der Steuerschuld ist es daher zunächst unerheblich, welche Nachlassgegenstände bei der Erbauseinandersetzung (auch aufgrund eines Auseinandersetzungsvertrages) dem einzelnen Miterben zugewiesen werden und welchen Steuerwert diese Gegenstände haben.23 Es gilt der Grundsatz, dass Erbanfall und Erbauseinandersetzung getrennt zu beurteilen sind. Die Erbauseinandersetzung hat grundsätzlich keine Auswirkung auf die erbschaftsteuerliche Behandlung der Erben. Aus dieser „Trennungstheorie“ ergibt sich, dass die Erben mit dem besteuert werden, was sie beim Erbfall erhalten, nicht mit dem, was als Ergebnis der Abwicklung des Erbfalls im Zuge der Auseinandersetzung in ihr Vermögen endgültig übergeht.

23

Nur BFH BStBl. II 1983, 329; R E 3.1. ErbStR; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl. 2021, § 3 Rn. 24.

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II. Begünstigungstransfer Dieser Grundsatz erfährt jedoch Ausnahmen beim Erwerb von unternehmerischem Vermögen (§ 13a Abs. 5, § 13c Abs. 2 S. 1, § 28a Abs. 1 S. 3, 4 sowie § 19a Abs. 2 ErbStG), beim Erwerb des Familienheims (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b, 4c ErbStG) sowie beim Erwerb von zu Wohnzwecken vermieteten Grundstücken (§ 13d Abs. 2 ErbStG). Diese Begünstigungen sollen dort ankommen, wo auch die vom Gesetzgeber als begünstigungswürdig anerkannte Tätigkeit ausgeübt und das als begünstigungswürdig qualifizierte Vermögen tatsächlich gehalten wird. Kommt es im Zuge der Erbauseinandersetzung zur Verteilung von solchen Vermögenswerten, gibt das Gesetz einen Übergang der sachlichen Steuerbefreiungen vor. Ohne diese Sonderregelungen würden die Steuerbegünstigungen erbquotenentsprechend bei allen Erben verbleiben, auch wenn nur ein Miterbe das begünstigte Vermögen im Rahmen der Erbauseinandersetzung erhält. So sieht das Gesetz für die Steuerbefreiung von Kulturgütern (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) oder zu Erholungszwecken dienendem Grundbesitz (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) keinen Begünstigungstransfer vor, so dass alle Miterben unverändert von der Befreiung profitieren, auch wenn sie die Vermögensgegenstände nicht behalten. Diese Steuerfolgen sind bei der Erbauseinandersetzung zu beachten und ggf. bei den Interessen der einzelnen Miterben im Rahmen der Einigung über einen Erbauseinandersetzungsvertrag einzupreisen. Es wird diskutiert, ob der Begünstigungstransfer von einer zeitnahen Umsetzung der Erbauseinandersetzung abhängt. Nach der Auffassung des Bundesfinanzhofs ist dem erwerbenden Miterben (z.B. dem Ehegatten) unabhängig davon, ob die Erbauseinandersetzung zeitnah erfolgt, die Begünstigung des Familienheims in vollem Umfang zuzusprechen, wenn er die sonstigen Voraussetzungen erfüllt.24 Auch zum Begünstigungstransfer bei unternehmerischem Vermögen hat der Bundesfinanzhof25 unter ausdrücklicher Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung klargestellt, dass eine zeitliche Nähe zum Erbfall für die Teilung des Nachlasses nicht vorgeschrieben ist. Die Finanzverwaltung will bei einer freien Erbauseinandersetzung dagegen einen Begünstigungstransfer nur dann vornehmen, wenn die Auseinandersetzung innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt. Bei einer späteren Auseinandersetzung soll ein Begünstigungstransfer nur dann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Steuerpflichtige besondere Gründe für die Verzögerung darlegen kann.26 Als solche Gründe nennt die Finanzverwaltung beispielhaft Erbstreitigkeiten oder die Erstellung von Gutachten. Eine Grundlage im Gesetz ist für diese Auffassung nicht zu finden. Aus anderen Gründen hat das Fi-

24 25 26

BFH BStBl. II 2016, 225 entgegen R E 13.4 Abs. 5 Satz 11 ErbStR. BStBl. II 2016, 225 zur Familienheimbefreiung, zitiert in H E 13a.11 ErbStH. H E 13a.11 ErbStH.

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nanzgericht Baden-Württemberg27 bei einer drei Jahre nach dem Erbfall erfolgten freien Teilerbauseinandersetzung die Gewährung der Steuerbegünstigung an den das begünstigte Vermögen übernehmenden Miterben abgelehnt. Hier hatte die Übernehmerin das begünstigte Vermögen, ein Hofgut, jedoch bereits wenige Wochen nach der Erbauseinandersetzung verkauft. Das Finanzgericht hat in diesem Sonderfall argumentiert, dass der Begünstigungstransfer denjenigen entlasten soll, der die Unternehmensfortführung tatsächlich gewährleistet. Das sei im entschiedenen Fall – durchaus nachvollziehbar – nicht die Übernehmerin, sondern die das Hofgut immerhin drei Jahre fortführende Erbengemeinschaft. Auch bei zu Wohnzwecken vermietetem Grundbesitz sieht der Bundesfinanzhof die zeitnahe Erbauseinandersetzung als keine Voraussetzung für den Begünstigungstransfer an.28

III. Schenkungsteuer bei wertmäßiger Ungleichverteilung Auch nach den Vorschriften über den Begünstigungstransfer bleibt es jedoch dabei, dass allein der Anteil am Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls den Umfang des Erwerbs des Erben bestimmt. Dieser Erwerb fällt nicht deswegen unterschiedlich hoch aus, weil im Rahmen der Auseinandersetzung Gegenstände von unterschiedlichem steuerlichem Wert auf die einzelnen Erben übertragen werden. Jedoch kann ein außerhalb des Erbfalls liegender schenkungsteuerpflichtiger Vorgang gegeben sein, wenn ein Miterbe auf Kosten eines anderen Miterben bei der Erbauseinandersetzung mehr erhält als ihm nach den gesetzlichen Vorschriften oder nach der letztwilligen Verfügung eigentlich zusteht. Daraus kann sich eine nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerbare freigebige Zuwendung ergeben.29 Das Finanzgericht Baden-Württemberg30 hat eine steuerbare gemischte Schenkung bei einer Teilerbauseinandersetzung angenommen. Hier bestanden hohe Wertunterschiede (im Streitfall mehr als das Doppelte) zwischen den von den Miterben übernommenen Wertgegenständen und das Finanzgericht sah auch den subjektiven Tatbestand als gegeben an.

IV. Erbschaftsteuerliche Beurteilung eines Erbvergleichs Davon abzugrenzen sind vergleichsweise Regelungen und auch Vereinbarungen über die Auslegung von Verfügungen. Bei ernsthafter Zweifelhaftigkeit der Erbrechtslage sind Vereinbarungen, zu denen sich die Beteiligten ernstlich be27 28 29 30

EFG 2020, 1146 rkr., Rev. II R 12/20 zurückgenommen. BFH BStBl. II 2016, 225; entgegen R E 13d VIII 11 ErbStR; s. auch Erlass v. 3.3.2016, BStBl. I 2016, 280. FG Münster DStRE 2017, 674, 676. FG Baden-Württemberg ZEV 2020, 447.

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kennen, auch für die Besteuerung zu übernehmen.31 Der Vergleich muss seinen Rechtsgrund im Erbrecht und nicht in Zweifeln über die außererbrechtliche Lage haben.32 Dann ist der zwischen (möglichen) Miterben nachträglich abgeschlossene Vergleich auf den Erbfall zurück zu beziehen.33

V. Unwirksame Verfügungen Da zwischen der Errichtung des Testamentes und dem Eintritt des Erbfalls oftmals eine große Zeitspanne liegt, kann es vorkommen, dass der Verstorbene in der Zwischenzeit andere Pläne gemacht hat und diese entweder mündlich im Familienkreis oder als digitale Niederschrift kundgetan oder festgehalten hat. Auch ein zwar unterschriebenes aber maschinell geschriebenes Dokument ist denkbar. Gemeinsam ist allen diesen vom Testament abweichenden Verfügungen ihre Formunwirksamkeit (vgl. §§ 2231, 125 BGB). Aus steuerlicher Sicht ist vom Bundesfinanzhof jedoch eine Korrekturmöglichkeit anerkannt. Es gilt im Steuerrecht der Grundsatz, dass anders als im Zivilrecht ein (form-)unwirksames Testament nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO erbschaftsteuerlich zu beachten ist, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis der Verfügung eintreten und bestehen lassen. Voraussetzung dafür ist, dass eine Anordnung des Erblassers vorliegt, die dieser im Hinblick auf seinen Tod getroffen hat und die von den Beteiligten unter Beachtung des erblasserischen Willens ausgeführt wird.34 Führen die Erben die unwirksame Verfügung von Todes wegen also tatsächlich aus, entfaltet dies auch eine Bindungswirkung für die Zwecke des Steuerrechts.

VI. Zuordnung von Erträgen Grundsätzlich erzielt die Erbengemeinschaft vom Zeitpunkt des Erbfalls bis zu ihrer Auseinandersetzung laufende Einkünfte aus dem geerbten Vermögen. Ausnahmsweise wird eine Rückbeziehung der Erbauseinandersetzung auf den Todeszeitpunkt des Erblassers für die Zurechnung der laufenden Einkünfte anerkannt. Die Rückbeziehung ist regelmäßig möglich, wenn die Auseinandersetzung innerhalb von sechs Monaten erfolgt.35 Bei Erbauseinandersetzungen, die erst mehr als sechs Monate nach dem Erbfall stattfinden, ist nach der Auffassung des Bundesfinanzhofs36 die Zurechnung der Einkünfte an den Übernehmer von 31 32 33 34 35 36

FG Rheinland-Pfalz FamRZ 2012, 586; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl. 2021, § 3 Rn. 31 f. BFH BStBl. II 2008, 629 f. BFH BStBl. III 1961, 133; FG München EFG 1988, 32. Ständige Rechtsprechung BFH BStBl. II 1970, 119; 1982, 28; 2000, 588; ZEV 2021, 53. BMF BStBl. I 2006, 253, Tz. 8. BFH BStBl. II 2002, 850.

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Vermögen aufgrund einer Teilungsanordnung dann zulässig, wenn die testamentarische Verfügung eine Gewinnzuordnung enthält und dies auch von den Erben in ihrem Verhalten akzeptiert wurde.

Veräußerungstatbestände Die interne Verteilung der Nachlassgegenstände ist ertragsteuerneutral. Jedoch können bei Ausgleichszahlungen aus dem Eigenvermögen ertragsteuerliche Belastungen entstehen. Der Erwerb eines Mehrempfangs von Nachlassgegenständen gegen einen sog. Spitzenausgleich ist als Veräußerungsgeschäft zu qualifizieren. Ob den veräußernden Miterben ein Veräußerungsgewinn entsteht und ob dieser steuerpflichtig ist, hängt dann wesentlich davon ab, ob die anteilig veräußerten Nachlassgegenstände (z.B. Unternehmen, eigengenutzte und fremdvermietete Immobilien, Wertpapiere etc.) steuerverstrickt sind oder nicht und wie hoch ihr Buchwert ist oder ihre Anschaffungskosten waren.

D. Schlussbetrachtung Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, können sich bei einem Erbfall mit mehreren Erben zahlreiche rechtliche und steuerliche Fragestellungen ergeben. Anders als bei der erbschaftsteuerlich optimierten Testamentsgestaltung steht der Sachverhalt nach dem Erbfall fest und ist keinen Anpassungen mehr zugänglich. Mit einem Erbauseinandersetzungsvertrag setzen die Erben eine Einigung für die Auflösung der Erbengemeinschaft um. Dabei gibt es keine zivilrechtlichen Grenzen. Die Erben sind nach dem BGB frei darin, wie sie den Nachlass auseinandersetzen. Zu beachten sind aber die steuerlichen Auswirkungen, die mit einer Erbauseinandersetzung einhergehen können. Die individuellen Steuerfolgen sind bei der Einigung zu berücksichtigen und es sind zusätzliche Steuerbelastungen zu vermeiden. Hieraus ergeben sich die Grenzen für die Ausgestaltung von Erbauseinandersetzungsverträgen.

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Jan David Hendricks*

Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichtsverträgen – Weg frei für ein erbrechtliches Überrumpelungsverbot? Der „größte Stachel im Fleisch“1 des Erblassers und des diesen beratenden Kautelarjuristen bei der vorsorgenden Nachlassplanung ist das Pflichtteilsrecht. Denn Mittel, um die auf dem Vermögen ruhende Pflichtteillast zu verringern, bestehen nur wenige. Vor allem der Pflichtteilsverzicht ist das Instrument der Wahl. Denn (isolierte) Pflichtteilsverzichte sind in größerem Maße ausgestaltbar als umfassende Erbverzichte, weil eine § 1950 BGB entsprechende Norm in den §§ 2346 ff. BGB nicht vorgesehen ist.2 Anders als beim Erbverzicht können daher beim isolierten Pflichtteilsverzicht, der schließlich nur einen Geldanspruch in dessen Entstehung hindert, Gegenstand der Beschränkung auch ganz spezielle Vermögensgegenstände sein3 – etwa Gesellschaftsanteile.4 Solche Ausgestaltungsmöglichkeiten sind in der Beratungspraxis weitverbreitet. Allerdings werden Pflichtteilsverzichte nach dem Erbfall nicht selten angegriffen: Zu reizvoll ist das jetzt so greifbare Vermögen des Erblassers, womit die eigene Entscheidung, in der Vergangenheit auf den Pflichtteil verzichtet zu haben, leicht bereut werden kann. Neben dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB und der Irrtumsanfechtung, §§ 119 ff. BGB, kommt als „Beseitigungsinstrument“ vor allem die Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB in Betracht. Denn Pflichtteilsverzichte bieten einen potentiell fruchtbaren „Nährboden für sittenwidrige Rechtsgeschäfte“5. Da sie ausschließlich zwischen Familienmitgliedern geschlossen werden, § 2346 Abs. 1 S. 1 BGB, befindet man sich in fa-

* Der Beitrag beruht auf einem Vortrag am 18.6.2021, den der Verfasser auf dem 11. Bochumer Erbrechtssymposium der Hereditare – Wissenschaftliche Gesellschaft für Erbrecht e.V. gehalten hat. 1 Siebert, NJW 2013, 3013, 3015. 2 Muscheler, in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019, § 18, Rn. 18.11. 3 Litzenburger, in: BeckOK BGB, 59. Aufl. 2021, § 2346 BGB Rn. 24; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.11, 18.63 ff.; von Proff, in: NK-PflichtteilsR, 2. Aufl. 2017, § 2346 BGB Rn. 17 ff. 4 Von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 17. 5 Inkmann, Die Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichtsverträgen, 2019, 108.

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miliären Strukturen, in denen sich die Kontrahierenden in größerem Maße6 als bei geschäftlichen Kontakten zwischen Fremden vertrauen. Hinzukommen unausgesprochene Erwartungshaltungen und emotionale Abhängigkeiten, die in die getroffenen Entscheidungen miteinfließen und diese mitunter nicht als besonders „überlegt“ erscheinen lassen können. Dass in solchen Fällen prinzipiell eine besondere Anfälligkeit für sittenwidrige Gestaltungen besteht, zeigen das Paradebeispiel der Familienbürgschaften,7 aber auch die ausdifferenzierte Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen.8 Die Gerichte verhalten sich demgegenüber bei der Inhaltskontrolle von Pflichtteilsverzichten bis dato eher zurückhaltend.9 Auch die Literatur behandelt das T hema der Inhalts- und Sittenwidrigkeitskontrolle in dem Bestreben, die Einzelfallprüfung einer systematischeren Ordnung zuzuführen.10

A. Ausgangslage beim Pflichtteilsverzicht I. Rechtsfolgen und praktische Bedeutung Obgleich die gesetzliche Systematik den Pflichtteilsverzicht als besondere Ausprägung eines Erbverzichts konstruiert,11 ist es doch der Pflichtteilsverzicht, dem in der Kautelarpraxis die weitaus größere Bedeutung zukommt.12 Der 6

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Sieht man einmal von Konstellationen ab, in denen der Verzicht mit (unehelichen) Abkömm lingen geschlossen wird und in denen der Kontakt zwischen künftigem Erblasser und Abkömmling sich auf einem geringen Niveau bewegt und die Parteien sich trotz Verwandtschaft gleichsam fremd sind. BVerfG, 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89, 214 ff. Vgl. BVerfG, 29.3.2001 – 1 BvR 1766/92, NJW 2001, 2248; BVerfG, 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89 ff. Nunmehr st. Rspr. des BGH, s. nur BGH, 27.5.2020 – XII ZB 447/19, NJW 2020, 3243 ff.; BGH, 20.6.2018 – XII ZB 84/17, NJW 2018, 2871 ff.; BGH, 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 ff.; BGH, 25.5.2005 – XII ZR 296/01, NJW 2005, 2386 ff.; BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81 ff. Eingehend zur Entwicklung Schulz, Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsverzicht – Die Gretchenfrage des modernen Erbrechts?, 2015, 94 ff. Ausgeblendet wird hier die Frage der Auswirkungen eines sittenwidrigen Ehevertrages auf einen damit verbundenen Pflichtteilsverzicht. Dazu im Überblick m.w.N. Inkmann (Fn. 5), 300 ff. Die Zahl der Entscheidungen, in denen Verzichte tatsächlich als sittenwidrig und nichtig beurteilt wurden, ist gering, Zimmer, NJW 2017, 513. Vgl. monographisch nur Aldinger, Die Übertragbarkeit der Inhaltskontrolle von Eheverträgen auf Pflichtteilsverzichtsverträge, 2012; Inkmann (Fn. 5); Kühle, Die gerichtliche Überprüfung von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen im Spiegel ehevertraglicher Inhaltskontrolle, 2011; Ludyga, Inhaltskontrolle von Pflichtteilsverzichtsverträgen, 2008; Schulz (Fn. 8). Eingehend auf das Verhältnis und i.E. ebenso Inkmann (Fn. 5), 42 ff. Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 23; Müller-Engels, in: Schlitt/ Müller-Engels, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017, § 10, Rn. 50; Muscheler, in: Groll/ Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.8, 18.15, 18.30 ff. Erstaunlicherweise betrafen die vier hier zu besprechenden Gelegenheiten, in denen die Rechtsprechung sich zur Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten äußern musste (LG Karlsruhe, 7.2.2020 – 7 O 324/18, unveröffentlicht; LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593 ff.; OLG Hamm, 8.11.2016 –

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Pflichtteilsverzicht gilt als der beste Weg zur Pflichtteilsreduzierung, weil er unter anderem13 unerwünschte Folgen des Erbverzichts vermeidet14 und daneben durch umfassende Gestaltungsmöglichkeiten maßschneiderbar ist.15

1. Unterschiedliche Rechtsfolgen Pflichtteilsverzichte stellen eines der wenigen Instrumente dar, uneingeschränkte Testierfreiheit zu erlangen.16 Denn der Pflichtteil ist die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Teilhabe der Berechtigten am Nachlass.17 Zwar lässt sich der Pflichtteil eines Berechtigten auch mit einem umfassenden Erbverzicht beseitigen, der nach gesetzlicher Ausgestaltung den Pflichtteilsverzicht, § 2346 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB, mit beinhaltet. Der Regelfall eines Erbverzichts führt allerdings zum vollständigen Entfall des Erbrechts aufgrund der Vorversterbensfiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB. Ein isolierter Pflichtteilsverzicht, eine besondere Ausprägung des Erbverzichts, hingegen beseitigt allein das Pflichtteilsrecht des Verzichtenden, sodass sämtliche hieraus möglicherweise resultierenden Ansprüche von vornherein nicht entstehen.18

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10 U 36/15, NJW 2017, 576 ff.; OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154 ff.), umfassende Erb- und Pflichtteilsverzichte. Als Vorteile sind daneben zu nennen: Kein zwingendes Erfordernis einer Gegenleistung für den Verzicht und Ersparnis der Nachlasswertbestimmung zur Ermittlung des Restpflichtteils bei Anrechnung und Ausgleichung, vgl. Mayer, ZEV 2000, 263. Auf gleichwohl denkbare, unerwünschte Nebenwirkungen des Pflichtteilsverzichts blickt Mayer, ZEV 2007, 556 ff. Allerdings ist auch der umfassende Erbverzicht nicht ohne praktische Bedeutung: Dieser ist Mittel der Wahl etwa dann, wenn der Erblasser zwischenzeitlich testierunfähig, § 2229 Abs. 4 BGB, geworden ist und daher eine Enterbung durch letztwillige Verfügung, § 1938 BGB, nicht mehr aussprechen, oder eine bestehende letztwillige Verfügung nicht mehr widerrufen, §§ 2253 ff. BGB, kann. Denn im Gegensatz zur Vornahme letztwilliger Verfügungen ist eine Vertretung beim Erbverzicht nicht ausgeschlossen, §§ 2064, 2347 Abs. 2 BGB. Ferner ist die Überwindung einer Bindungswirkung, die einem Widerruf entgegensteht, denkbar, vgl. Wegerhoff, in: MüKo BGB XI, 8. Aufl. 2020, § 2346 BGB Rn. 8. Zur Zweckmäßigkeit darüber hinaus Keim, RNotZ 2013, 411, 412. Mayer, ZEV 2000, 263. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.15, 18.62; ders., Erbrecht, Band I, 2010, Rn. 2423. Die einzig übrige, zweckmäßige Möglichkeit – die Pflichtteilsunwürdigkeit, §§ 2345 Abs. 2, Abs. 1, 2339 BGB – ist an sehr restriktive Voraussetzungen geknüpft, vgl. dazu Herzog, in: Muscheler, Hereditare: Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht, 2021, 55 ff. BVerfG, 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00, 1 BvR 188/03, BVerfGE 112, 332 ff. = NJW 2005, 1561 ff. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.8, 18.65. Dazu sind zu zählen: Ansprüche aus §§ 2303, 2306 BGB (Pflichtteilsansprüche); §§ 2305, 2307 BGB (Pflichtteilsrestansprüche); die Berufung auf Rechte nach §§ 2318 Abs. 1, Abs. 3, 2319, 2328 BGB; der Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325 ff. BGB); sowie Pflichtteilsvermächtnisse, Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 23; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 3), § 18, Rn. 18.8, 18.65; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 17.

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Aufgrund der Vorversterbensfiktion entledigt ein umfassender Erbverzicht die Testierfreiheit nicht ihrer pflichtteilsbedingten Schranken, weil § 2310 S. 2 BGB beim umfassenden Erbverzicht anwendbar ist. Das hat zur Folge, dass sich die Erb- und infolgedessen die Pflichtteilsquoten der weiteren Berechtigten erhöhen und gegebenenfalls ein gesetzliches Erbrecht entfernterer Verwandter begründet wird.19 Letztlich verändert sich die Höhe der Pflichtteilslast beim umfassenden Verzicht daher nicht, wenn nicht verzichtende Pflichtteilsberechtigte übrigbleiben.20 Das bedeutet nicht nur keine Erweiterung der Testierfreiheit, sondern läuft den Zielen vieler Erblasser bei der Gestaltung ihrer Nachfolge zuwider.21 Dies vermeidet der isolierte Pflichtteilsverzicht, weil § 2310 S. 2 BGB nicht auf ihn anwendbar ist und in Ermangelung einer Vorversterbensfiktion auch kein Erbrecht Dritter begründet werden kann.22 Wer als Erblasser gänzlich freie Hand wünscht, wird mithin am Pflichtteilsverzicht nicht vorbeikommen.

2. Maßgeschneiderte Pflichtteilsverzichte Zweitens ist wie erwähnt anders als beim Erbverzicht,23 der dem erbrechtlichen Typenzwang unterliegt und bei dem daher der Grundsatz der Universalsukzession zu beachten ist,24 eine Beschränkung auf gewisse Nachlassgegenstände zulässig. Die Möglichkeit gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzichte bietet gerade für die Ausgestaltung von Nachfolgekonzepten wichtige Freiheiten,25 und stellt daher die praxishäufigste Variante eines beschränkten Pflichtteilsverzichts dar.26 Darüber noch hinausgehend zulässig ist letztlich jede Beschränkung, die mit dem Charakter einer Geldschuld vereinbar ist,27 was den Charme von Pflichtteilsverzichten etwa im Rahmen eines (Unternehmens-)Nachfolgekonzepts ausmacht: So können Stundung,28 Ratenzahlung, eine von §§ 2311 ff. 19 20 21 22 23

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Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 29; Müller-Engels, in: Schlitt/MüllerEngels (Fn. 12), § 11, Rn. 9, 11; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 4. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.15, 18.60 f. Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 29. Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 30; Müller-Engels, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2310 BGB Rn. 9 f. Zu Möglichkeiten der zulässigen Gestaltung eines „Teilverzichts“ beim Erbverzicht vgl. Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 14 ff.; Müller-Engels, in: Schlitt/MüllerEngels (Fn. 13), § 10, Rn. 34 f.; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 15 ff. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.11. Vgl. von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 4. Weitere Beispielskonstellationen bei Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.5. Müller-Engels, in: Schlitt/Müller-Engels (Fn. 12), § 10, Rn. 87. Müller-Engels, in: Schlitt/Müller-Engels (Fn. 12), § 10, Rn. 73; Müller-Engels, in: Schlitt/ Müller-Engels (Fn. 12), § 11, Rn. 9; Muscheler (Fn. 16), Rn. 2424 ff.; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 21 f. Abweichend von den Voraussetzungen einer einseitig einforderbaren Stundung nach § 2331a BGB, der trotz mehrfacher Reformen vermehrt nur im Rahmen taktischer Überlegungen und zur Stärkung der Verhandlungsposition genutzt wird, Lange, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2331a

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BGB abweichende Berechnungsmethode oder eine Höchstgrenze vereinbart werden, um einen plötzlichen, hohen Liquiditätsabfluss aus dem Nachlass zu vermeiden.29 Bedeutung gewinnt der Pflichtteilsverzicht als Gestaltungsinstrument demnach in Konstellationen, in denen eine einzelne Vermögensposition den wesentlichen Wert des Nachlasses ausmacht und eine Vermögenszersplitterung vermieden werden soll. Dem Ziel, das Familienwohnheim für den Erben zu hinterlassen oder das Familienunternehmen als Einheit zu Gunsten des Erben zu übertragen,30 ist es schließlich hinderlich, wenn eben jene Nachlassgegenstände zur Erlangung der zur Begleichung der Pflichtteilsansprüche notwendigen Geldmittel liquidiert werden müssen. Abfindungen als Gegenleistung für den Verzicht können zwischen den Parteien frei vereinbart werden.31 Je nachdem, ob eine Gegenleistung vorgesehen ist oder nicht, wird von einem entgeltlichen32 oder unentgeltlichen33 Pflichtteilsverzicht gesprochen.

II. Rechtsnatur: Abstraktes Verfügungsgeschäft Der Pflichtteilsverzicht ist auf der Ebene der Verfügungsgeschäfte anzusiedeln. Es handelt sich nach heute34 herrschender Auffassung um ein vertragliches, abstraktes Verfügungsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall.35 Daraus ergibt

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BGB Rn. 1 f.; Müller-Engels, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2331a BGB Rn. 1 f. Dementsprechend gering ist die Zahl der Gerichtsentscheidungen in diesem Bereich. Inkmann (Fn. 5), 59; Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 24; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.64; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 22. Vgl. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.71 ff. Es kommt grundsätzlich jedes Dulden oder Unterlassen in Betracht, üblich sind Geldzahlungen oder Sachzuwendungen, Inkmann (Fn. 5), 48; Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 35; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.120. Als entgeltlich wird ein Pflichtteilsverzicht bezeichnet, bei dem das Grundgeschäft eine Verpflichtung des Erblassers zur Gewährung einer wie auch immer gearteten Abfindung als Gegenleistung enthält, die mit dem Verzicht verknüpft wird, von Proff, DNotZ 2017, 84, 102. Vgl. zur Frage der Rechtsnatur der Abfindungen Inkmann (Fn. 5), 48 f.; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.118 ff.; Schotten, in: Staudinger, 16. Aufl. 2016, § 2346 BGB Rn. 124 ff.; von Proff, DNotZ 2017, 84, 102 ff. Als unentgeltlich wird der Verzicht bezeichnet, wenn der Pflichtteilsberechtigte ohne Erhalt irgendeiner Kompensation verzichtet, Inkmann (Fn. 5), 46; von Proff, DNotZ 2017, 84, 102. Das Grundgeschäft ist dann ein einseitig verpflichtender Vertrag, der lediglich eine Verpflichtung des Verzichtenden zum Abschluss des Pflichtteilsverzichts beinhaltet. Heute wird dieses, meist konkludent geschlossene, Verpflichtungsgeschäft als unentgeltliche Zuwendung sui generis bezeichnet, Inkmann (Fn. 5), 46 f.; Litzenburger, in: BeckOK BGB, (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 34; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 121; von Proff, in: NK- PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 39; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 5. Vormals wurden – statt dem heute vorherrschenden Verständnis – der Erbverzicht und ebenfalls der Pflichtteilsverzicht als kausale Verfügungsgeschäfte eingeordnet, die keiner weiteren causa bedurften, sondern diese in sich selbst trugen, vgl. je m.w.N. Inkmann (Fn. 5), 45 f.; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.116; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 115; Zimmer, NJW 2017, 513, 514. Inkmann (Fn. 5), 45; Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 2, 4, 33; Müller-

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sich für die anschließende Betrachtung der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten zweierlei. Erstens erfordern abstrakte Verfügungsgeschäfte – und damit auch der Pflichtteilsverzicht – eines Verpflichtungsgeschäfts36 als causa, damit sie kondiktionsfest sind.37 Dieses Erfordernis erweitert die Angriffsfläche, die der Rechtsanwender nutzen kann, um den Verzicht gegebenenfalls wieder zu beseitigen. Denn das notwendige Vorhandensein einer causa eröffnet mit der Verpflichtungsebene eine weitere Stufe. Die Kondiktion eines infolge nichtiger causa rechtsgrundlosen Verzichts erfolgt zu Lebzeiten des Erblassers durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages, § 2351 BGB,38 wenn nicht ausnahmsweise auch das Verfügungsgeschäft automatisch entfällt, weil die Gründe, die zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts geführt haben, auf die Verfügungsebene durchschlagen (Fehleridentität),39 oder Verpflichtungsgeschäft und Verzicht miteinander im Sinne des § 139 BGB „stehen und fallen“ sollen.40 Zweitens ist die Rechtsnatur als Verfügungsgeschäft bedeutsam für die Beurteilung des Verzichts selbst nach § 138 Abs. 1 BGB, denn Verfügungsgeschäfte sind grundsätzlich aus sich heraus sittlich neutral und von einer etwaigen Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts in der Regel nicht erfasst.41

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Engels, in: Schlitt/Müller-Engels (Fn. 12), § 10, Rn. 5; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.3 f.; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 3; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 2 f. Das denselben Formanforderungen, wie das Verfügungsgeschäft unterliegt, § 2348 BGB analog, hM, von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2348 BGB Rn. 2 m.w.N.; ders., DNotZ 2017, 84, 97 ff.; Weidlich, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 2348 BGB Rn. 1. Heute ganz hM, vgl. nur Inkmann (Fn. 5), 45; Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 2, 33; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 115; von Proff, in: NKPflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 36. Im Ausgangspunkt so auch LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 594, wenngleich es im Folgenden feststellt, „[a]ufgrund der Ausgestaltung als abstraktes Verfügungsgeschäft bedarf es keines rechtlichen Grundes […]“, LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 595. Vorsichtig zweifelnd Zimmer, NJW 2017, 513, 514 f., ferner dort Fn. 21. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.132 f.; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 183. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.132; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 180. Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 30. S.u. B. III. HM, vgl. nur Armbrüster, in: MüKo BGB I, 9. Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 165; Ellenberger, in: Grüneberg, (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 20; Inkmann (Fn. 5), 104 f., 110; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rn. 36.

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B. Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten Aus der skizzierten Ausgangslage und dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip folgt, dass die Frage nach der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten differenziert gestellt werden muss. Beide Ebenen eines Pflichtteilsverzichts müssen für sich genommen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Das Sittenwidrigkeitsverdikt könnte sich zum einen auf den Pflichtteilsverzicht selbst beziehen. Nur das wäre streng genommen dann die Frage nach der Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts. Allerdings kann es sich auch auf das dem Verzicht zugrundeliegende Kausalgeschäft beziehen. Eine Sonderfrage ist diejenige nach einer Verknüpfung der beiden Ebenen im Rahmen von Pflichtteilsverzichten im Wege des § 139 BGB. Denn es ist schon umstritten, ob sich überhaupt Kausalund Erfüllungsgeschäft zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft verbinden lassen. § 138 BGB stellt eine notwendige und lückenfüllende Beschränkung der Privatautonomie dar.42 Zur Konkretisierung eines gegen die guten Sitten verstoßenden Geschäfts hat sich die sogenannte Anstandsformel herausgebildet.43 Sittenwidrig ist danach ein Rechtsgeschäft, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.44 Ein solcher Verstoß gegen die guten Sitten kann sich aus dem Inhalt des jeweiligen Rechtsgeschäfts oder aus dessen Gesamtcharakter ergeben (sog. Umstandssittenwidrigkeit45).46 Bei der Inhaltssittenwidrigkeit kommt es auf etwaige subjektive Elemente der Parteien genauso wenig an,47 wie auf eine weitergehende Betrachtung der Gesamtumstände. Entscheidend ist allein, ob das Rechtsgeschäft seinem Inhalt nach mit den fundamentalen Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung unvereinbar erscheint.48 Ergibt sich die Sittenwidrigkeit nicht schon aus dem Inhalt, so bleibt Raum für eine Beurteilung des Rechtsgeschäfts anhand seines Gesamtcharakters, der sich aus Inhalt,49 Zweck und Beweggründen zusammensetzt.50 Dazu zählen in

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Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 1; Inkmann (Fn. 5), 64 ff.; Schmidt-Räntsch, in: Erman, 16. Aufl. 2020, § 138 BGB Rn. 1. Zur Kritik an dieser Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 14 f.; Inkmann (Fn. 5), 77 ff. BGH, 15.10.2013 – VI ZR 124/12, NJW 2013, 1380. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 594. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 7; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 14. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 7; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 19. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 7. Hier wird zumeist das Verpflichtungsgeschäft in die Betrachtung miteinbezogen. S. nur BGH, 15.10.2013 – VI ZR 124/12, NJW 2013, 1380 f., st. Rspr.; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 14 m.w.N.; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rn. 21.

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subjektiver Hinsicht vor allem auch Motive und Absichten der Parteien.51 Eine solche Überprüfung erfordert letztlich eine Gesamtschau sämtlicher objektiver und subjektiver Momente, die für das Rechtsgeschäft eine Rolle gespielt haben.52 Schädigungsabsicht oder Bewusstsein über die Sittenwidrigkeit sind nicht erforderlich, ausreichend ist vielmehr Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatsachen.53

I. Verfügungsebene 1. Grundsatz: Keine (Inhalts-)Sittenwidrigkeit des Verfügungsgeschäfts (Inhalts-)Sittenwidrig ist grundsätzlich nach § 138 Abs. 1 BGB nur das Verpflichtungsgeschäft,54 weil der Inhalt von Verfügungsgeschäften durch das Gesetz vorgezeichnet ist und diese daher sittlich indifferent sind.55 Das Verfügungsgeschäft ist nur ausnahmsweise wegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es seinerseits sittenwidrig ist, was wiederum der Fall ist, wenn das dingliche Geschäft selbst sittenwidrige Zwecke verfolgt,56 oder der Sittenverstoß gerade in der Zuwendung bzw. der Änderung der dinglichen Rechtslage liegt.57 Selbst wenn man diese Ausnahmen anerkennt,58 wird die letztgenannte beim Pflichtteilsverzicht kaum jemals vorliegen können: Fälle, in denen der Sittenverstoß in der Zuwendung an sich liegt, sind kaum denkbar, zumal die „Zuwendung“ – möchte man von einer solchen überhaupt sprechen – bloß in der Befreiung des Vermögens des künftigen Erblassers von einem Teil der Pflichtteilslast und insoweit der Erweiterung der Testierfreiheit dient. Wie die Gewährung eines Mehr an immerhin grundrechtlich verbürgter Testierfreiheit59 für sich betrachtet einen Sittenverstoß darstellen soll, ist nicht begründbar. Andererseits kann der Pflichtteilsverzicht selbst sittenwidrige Zwecke verfolgen. Bei der Einzelfallprüfung ist dabei darauf zu achten, dass aufgrund des Verhältnisses der Privatautonomie zu ihren Beschränkungen nicht die sittliche Rechtfertigung eines Rechtsgeschäfts besonderen Begründungsaufwand erfor-

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BGH, 10.10.1997 – V ZR 74/96, NJW-RR 1998, 590 ff. Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 20 ff. Statt aller Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 8. Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 27. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 165; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 20; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 17, 27. Vgl. die Beispiele bei Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Aufl. 2020, § 46 Rn. 68. Vgl. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 165, mit Beispielen, dort Fn. 972. Dagegen Inkmann (Fn. 5), 108 ff. Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG, vgl. BVerfG, 30.10.2010 – 1 BvR 3196/09, 1 BvR 3197/09, 1 BvR 3198/09, NJW 2011, 366, 367 m.w.N. aus der Rspr.

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dert, sondern vielmehr seine Unwirksamkeit konkret belegt werden muss.60 Bis auf besondere Ausnahmekonstellationen ist daher regelmäßig der Pflichtteilsverzicht selbst nicht inhaltssittenwidrig.

2. Ausnahmekonstellation: Pflichtteilverzicht zulasten der Sozialhilfe? Eine solche Ausnahmekonstellation, in der bereits aufgrund seines Zwecks der Verzicht selbst als sittenwidrig beurteilt werden könnte,61 betrifft den Fall des Verzichts eines pflichtteilsberechtigten Sozialhilfeempfängers, weil es den Parteien hierbei häufig nicht um eine Mehrung der Testierfreiheit gehen wird, sondern aktiv der Zugriff des Sozialhilfeträgers verhindert werden soll. Ob in einer solchen Konstellation der Verzicht nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, war lange umstritten.62 Der BGH lehnte – in einem Urteil einen behinderten Sozialhilfeempfänger betreffend – einen Sittenverstoß ab.63 Er führt überzeugend aus, dass die Beurteilung eines Pflichtteilsverzichts eines behinderten Sozialhilfeempfängers als sittenwidrig – wenn man sie konsequent aus Richtung der Rechtsprechung zum „Behindertentestament“64 zu Ende denkt – ausscheiden müsse.65 Denn weder handele es sich bei dem entscheidungsgegenständlichen Verzicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter, noch wirke der Nachranggrundsatz aus dem Sozialhilferecht über die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB in das Zivilrecht fort.66 Auch die negative Erbfreiheit des Verzichtenden müsse zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, weil diese dazu führe, dass es keine Pflicht gebe, etwas aus dem Nachlass eines anderen anzunehmen, sodass auch die Entscheidung gegen die Nachlassteilhabe zu respektieren sei.67 Der sehr grundsätzliche Begründungsweg, den der BGH in dieser Entscheidung wählt, spricht dafür,68 dass die Entscheidung auf einen nicht behinderten Sozialhilfeempfänger69 60

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BGH, 19.1.2011 – IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96, 101; von Proff, ZEV 2017, 301, 302. A.A. für Pflichtteilsverzichte vor dem Hintergrund ihres sozialen und ökonomischen Zwecks Röthel, AcP 212 (2012), 158, 196 f., „besonderes […] rechtfertigendes berechtigtes Interesse […]“. Dagegen Grziwotz, DNotZ 2016, 732, 742 f. m.w.N.; von Proff, ZEV 2017, 301, 302. In diese Richtung SG Dortmund, 25.9.2009 – S 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54, 55, m. krit. Anm. Keim. Ausführlich Inkmann (Fn. 5), 225 ff. Vgl. zum Streitstand die Nachweise bei BGH, 19.1.2011 – IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96, 99 f. Exemplarisch Armbrüster, ZErb 2013, 77 ff.; Wendt, ZErb 2012, 290 ff. BGH, 19.1.2011 – IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96 ff. BGH, 24.7.2019 – XII ZB 560/18, NJW 2020, 58 ff.; BGH, 20.10.1993 – IV ZR 231/92, BGHZ 123, 368 ff.; BGH, 21.3.1990 – IV ZR 169/89, BGHZ 111, 36 ff. Einordnend Dreher/Görner, NJW 2011, 1761 ff.; Milzer, NZFam 2019, 1046 ff.; Weidlich, ZEV 2020, 136 ff. BGH, 19.1.2011 – IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96, 100 f. BGH, 19.1.2011 – IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96, 101 ff. BGH, 19.1.2011 – IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96, 104 f. Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 70b. Sog. „Bedürftigentestament“, Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 50a; Klühs, ZEV 2011, 15.

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übertragbar ist.70 Denn auch zu dessen Gunsten greift die negative Erbfreiheit ein.71 Dafür spricht daneben der aleatorische Charakter72 des Pflichtteilsverzichts: Die zukünftigen Entwicklungen bis hin zum Entstehen des Pflichtteilsanspruchs mit dem Erbfall, § 2317 Abs. 1 BGB, sind regelmäßig zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht absehbar, sodass auch die Auswirkungen des Verzichts auf den Sozialhilfeträger ex ante nicht zu beurteilen sind.73 Letztlich sind solche Verzichte mithin nicht aufgrund ihres Zwecks sittenwidrig. Zwar mag die Zielsetzung, den Sozialhilfeträger vom Nachlasszugriff auszuschließen, auf den ersten Blick verwerflich sein. Dahinter steht aber das familiäre Interesse an einer Absicherung der behinderten oder bedürftigen Nachkommen und damit ein sittlich anerkennens-, wenn nicht gar begrüßenswerter Zweck.

II. Verpflichtungsebene Das Verpflichtungsgeschäft zum Pflichtteilsverzicht ist regelmäßig Gegenstand näherer Betrachtung. Hier spielt sprichwörtlich die Musik und es bietet sich breiter Raum für die Prüfung anhand des § 138 Abs. 1 BGB. Denkbar sind grundsätzlich sowohl Inhalts- als auch Umstandssittenwidrigkeit.

1. Inhaltssittenwidrigkeit a) Äquivalenzstörung Sieht das Kausalgeschäft eine Abfindung für den Verzicht vor, stellt sich immer wieder die Frage, ob eine große Diskrepanz zwischen Abfindungssumme und Wert des Pflichtteilsanspruchs allein eine Inhaltssittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts begründen kann. Vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung des BGH zu den sog. wucherähnlichen Geschäften74 ist das ab70

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So die wohl hM, vgl. statt Aller Müller-Engels, in: Schlitt/Müller-Engels (Fn. 12), § 10, Rn. 68; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.200 ff.; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 70b m.w.N.; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 5a. Differenzierend Keim, RNotZ 2013, 411, 419 f.; Menzel, MittBayNot 2013, 289, 291 f.; von Proff, RNotZ 2012, 272, 280 f. A.A. Ellenberger, in: Grüneberg, (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 50a, der regelmäßg von Sittenwidrigkeit ausgeht. Deutsches NotarInstitut, DNotI-Report 2019, 65, 66 f.; in diese Richtung tendiert auch von Proff, RNotZ 2012, 272, 280 f. Muscheler, in: FS Spiegelberger 2009, 1079, 1089 m.w.N; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), Einleitung zu §§ 2346–2352 BGB Rn. 24 ff. So Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 70b. BGH, 16.2.1994 – IV ZR 35/93, BGHZ 125, 135, 137; BGH, 10.7.1986 – III ZR 133/85, BGHZ 98, 174, 176 ff.; BGH, 12.3.1981 – III ZR 92/79, BGHZ 80, 153, 158 ff. Siehe auch Armbrüster, in: MüKo BGB I, (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 112 ff. Vgl. im Zusammenhang mit Pflichtteilsverzichten neuerdings knapp BFH, 1.9.2020 – II B 16/20, ZEV 2021, 53, 54.

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zulehnen. Selbst eine besonders krasse Äquivalenzstörung kann zur Begründung der Sittenwidrigkeit nicht allein herangezogen werden.75 Ganz allgemein spricht dafür das Verhältnis der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB zum Regelbeispiel § 138 Abs. 2 BGB: Ist im Einzelfall eines der Tatbestandsmerkmale des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt, ist der Rückgriff auf Abs. 1 nur zulässig, wenn ein weiteres, nicht aus § 138 Abs. 2 BGB stammendes, Sittenwidrigkeitselement hinzutritt.76 Im Kontext von Pflichtteilsverzichten lässt sich das allerdings noch weiter stützen. Wenn nämlich schon nach gesetzlichem Leitbild ein abfindungslos, nur um seiner selbst willen erklärter Pflichtteilsverzicht vorgesehen ist, dann muss erst recht die Vereinbarung einer objektiv zu geringen Gegenleistung zulässig sein.77 Ließe man eine krasse Äquivalenzstörung zur Begründung einer Inhaltssittenwidrigkeit ausreichen, so unterliefe man nicht nur die Entscheidung des historischen Gesetzgebers für einen auch abfindungslosen Verzicht,78 sondern noch dazu verschlösse man die Augen vor im Familienverbund üblichen „Sonderkonditionen“ für Verträge.79 Ferner käme es – wenn man die Möglichkeit eines abfindungslosen Verzichts nicht aberkennen möchte – zu dem systemwidrigen Ergebnis, dass eine Abfindung von 0 nicht sittenwidrig wäre, eine in Höhe von 1 % bis 50 % einen Sittenverstoß begründen könnte, und eine wiederum darüber liegende nicht. Und das blendet schon bewusst die Probleme aus, die die Ermittlung eines Schwellenwertes, ab der das Missverhältnis beachtlich wird, bereiten würde.80 Außerdem stellt sich ganz praktisch die Schwierigkeit, dass zur Beurteilung des Vorliegens eines besonders krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung der Wert des Verzichts beziffert werden muss. Das macht eine rückwirkende Bewertung des Vermögens des Erblassers zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verpflichtungsgeschäfts notwendig, um den fiktiven Wert des Pflichtteilsanspruchs zu bestimmen.81 Denn der Erklärungszeitpunkt ist derjenige Zeitpunkt, auf den es zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit ankommt.82 Je 75 76 77

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Inkmann (Fn. 5), 137 ff.; LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 596. A.A. Schulz, (Fn. 8), 172 ff. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 142; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 39; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rn. 41. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 596; Horn, ZEV 2010, 295, 296; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 173. Im Ergebnis so auch LG Düsseldorf, 29.1.2014 – 7 O 132/13, ErbR 2014, 607 ff.; dazu Inkmann (Fn. 5), 120 ff. Dort ging es immerhin um eine Abweichung des fiktiven Pflichtteilsanspruchs von der Abfindungssumme um das Hundertfache. Inkmann (Fn. 5), 127 f. Inkmann (Fn. 5), 129 f. Inkmann (Fn. 5), 130 f.; Schulz (Fn. 8), 173 f., legt seinem Vorschlag eine Abweichung von mehr als 100 % zugrunde. Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 758; Wachter, ZErb 2004, 306, 308, 311. HM, s. nur Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 133 ff.; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 9; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 138 BGB

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nachdem, wie viel Zeit zwischen Vornahme von Verzicht und Kausalgeschäft einerseits und Sittenwidrigkeitsprüfung andererseits vergangen ist, kann die Wertermittlung des Verzichts nahezu unmöglich sein.83 Um diese Schwierigkeit zu vermeiden, müsste schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Vermögen des künftigen Erblassers offengelegt werden, damit der Vertragsgestalter die Gefahr der Äquivalenzstörung bewerten kann. Eine solche Offenlegungspflicht besteht im Rahmen von Pflichtteilsverzichten indes grundsätzlich nicht84 und würde hiermit mittelbar dennoch eingeführt. Selbst wenn man eine solche Offenlegungspflicht konstruieren würde, spräche der aleatorische Charakter des Pflichtteilsverzichts85 gegen eine Sittenwidrigkeit allein aufgrund einer krassen Äquivalenzstörung. Ob sich der Pflichtteilsverzicht angesichts der Abfindung „gelohnt hat“ wird regelmäßig erst der weitere Zeitverlauf zeigen.86 Für sich betrachtet kann eine Äquivalenzstörung eine Inhaltssittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts daher nicht begründen.87 Indes gilt auch hier, dass eine „empfindlichere Äquivalenzstörung zum Anlass genommen werden [sollte], nach dem Einwirken anderer Sittenwidrigkeitselemente [Herv. im Original] Ausschau zu halten.“88 Etwa kann eine schon bei Vertragsschluss vorliegende krasse Äquivalenzstörung indizieren, dass die verzichtende Partei nicht in der Lage war, ihre Interessen adäquat zu vertreten.89 So wird ein inhaltlicher Aspekt des Verpflichtungsgeschäfts zum Bestandteil des Indizienbündels, das zur Begründung von Umstandssittenwidrigkeit herangezogen werden kann.

b) Fesselnde Bedingungen und unzumutbarer Druck Das Kausalgeschäft zum Pflichtteilsverzicht kann grundsätzlich die Verpflichtung zur Abfindungsleistung von beliebigen Bedingungen und Befristungen abhängig machen. Daraus folgt, dass ein weiterer Einwand gegen die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts eine sittenwidrige Bedingungsausgestaltung sein

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Rn. 26. Die dort teils befürwortete Ausnahme für letztwillige Verfügungen, die zum Errichtungszeitpunkt sittenwidrig waren, heute – bei Eintritt der Rechtsfolgen mit dem Erbfall – aber sittlich nicht zu beanstanden sind, ist – unabhängig ihrer dogmatischen Berechtigung – nicht auf Pflichtteilverzichte und deren Kausalgeschäfte zu übertragen. Diese zeitigen ihre Rechtsfolgen schließlich sofort. So auch Inkmann (Fn. 5), 131 f. OLG Düsseldorf, 21.2.2013 – I-3 Wx 193/12, NJW-RR 2013, 966, 967; Horn, ZEV 2010, 295, 296 f. S.o. Fn. 72. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 597; von Proff, ZEV 2017, 301, 302 f.; Zimmer, NJW 2017, 513, 515. So auch neuerdings das OLG Koblenz, 27.7.2021 – 12 U 1681/20, unveröffentlicht, LS. 2, in einem Hinweisbeschluss. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 37. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 596.

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kann. Daher fragt sich, wo konkret die Grenzen sittenwidriger Bedingungsverknüpfungen verlaufen.

aa) Knebelnde Bedingungen beim Pflichtteilsverzicht? Ganz grundsätzlich ist als Fallgruppe des § 138 BGB die Gruppe der „Knebelungsverträge“90 anerkannt. Hiernach verstoßen Verträge gegen die guten Sitten, wenn ein Vertragspartner seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit nahezu völlig einbüßt.91 Das kann zwar aus umfassenden Eingriffs- und Kontrollbefugnissen folgen,92 ist indes auf die Konstellation von Pflichtteilsverzichten nicht ohne Weiteres übertragbar. Denn der Pflichtteil ist bloß eine künftige und unbestimmte Vermögensposition auf die verzichtet wird, sodass der Verzicht unmittelbar keine sofortigen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Handlungsfreiheit hat. Allerdings lässt sich fragen, ob qualitativ vergleichbare Einschränkungen beim Pflichtteilsverzicht denkbar sind. Der korrigierende Eingriff, den die Rechtsprechung unter Rückgriff auf die Fallgruppe der Knebelungsverträge vornimmt, lässt sich im Wesentlichen mit der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte begründen, die in Rechtsverhältnisse zwischen Privaten über das Einfallstor der Generalklauseln ausstrahlen.93 Der Geknebelte begibt sich seiner grundrechtlich verbürgten Privatautonomie. Qualitativ vergleichbar sind daher Konstellationen, in denen der Verzichtende in der Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheiten so stark beschränkt wird, dass diese faktisch leerlaufen. Dann kann ein korrigierender Eingriff gerechtfertigt werden.

bb) Qualitativ vergleichbare Einschränkungen: Faktischer Leerlauf grundrechtlicher Freiheiten? In diesem Kontext ist eine Entscheidung des OLG Hamm94 beachtlich, in der es unter anderem aufgrund der im Kausalgeschäft vorgesehenen Bedingungen zur Sittenwidrigkeit des Kausalgeschäfts und gleichzeitig wegen § 139 BGB zur Nichtigkeit des Erb- und Pflichtteilsverzichts kam. Der Verzichtende, der gerade volljährige Sohn des künftigen Erblassers, sollte die Gegenleistung für seinen Verzicht – einen Sportwagen mit Neuwert ca. 100.000 € – lediglich dann erhalten, wenn drei kumulative Bedingungen erfüllt wurden. Der Sohn sollte den Wagen erst mit Vollendung seines 25. Lebensjahres erhalten und auch nur, 90 91 92 93 94

Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 39. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 71; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 39, je m.w.N. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 39. BVerfG, 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE, 198 ff. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576 ff.

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wenn er seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker mit der Note 1 bis zum 31.12.2017, sowie auch die Meisterprüfung bis zum 31.12.2021 mit der Note 1 bestehen würde.95 Der Verzicht andererseits wurde nicht von einer irgendwie gearteten Bedingung abhängig gemacht.96 Für das OLG Hamm sprach es für Sittenwidrigkeit, dass aufgrund der ersten Bedingung das Fahrzeug erheblich an Wert verlieren würde, immerhin lagen zwischen Vornahme des Rechtsgeschäfts und Eintritt der ersten Bedingung mindestens 7 Jahre.97 Das ist für sich genommen indes kein ausreichender Grund für die Annahme von Sittenwidrigkeit, betrifft es doch das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und damit eine Frage der Äquivalenzstörungen. Daneben sei der Sohn aber auch unzumutbar in der Wahl seines beruflichen Werdegangs eingeschränkt.98 Der starre Zeitrahmen und das zwingende Erfordernis die Bestnote zu erreichen sowie die zum Erhalt des Wagens unabänderlich vorgegebene Ausbildung kombiniert mit dem jungen Alter des Sohnes und der Tatsache, dass dieser die Ausbildung gerade erst angefangen hatte, führten zu dieser Einordnung.99 Dagegen wurde eingewandt, dass auch im durch das OLG Hamm entschiedenen Fall die kumulativen Bedingungen keine unzulässige Freiheitseinschränkung bewirkt hätten. Immerhin hätten diese der Ausbildungsförderung des Sohnes und dem Formen seiner Persönlichkeit gedient, gewissermaßen getreu dem Motto: Fordern und Fördern.100 Dabei mag es zutreffend sein, dass der sozialrechtliche Grundsatz des Förderns und Forderns, §§ 1 Abs. 2; 2 SGB II, grundsätzlich verallgemeinerbar sein mag und dass daraus folgt, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn die Abfindung für einen Erbverzicht an das Erreichen bestimmter billigenswerter und vom Verzichtenden beeinflussbarer Ziele geknüpft wird.101 Das führt aber nicht zu einer anderen als der vom OLG Hamm vorgenommenen Wertung. Denn Fördern und Fordern verlangt sicherlich nicht, Bestnoten in Bestzeit zu erreichen. Hier ist dem OLG Hamm zuzustimmen, wenn es ausführt, dass gerade im Bereich der Bestnoten die konkrete Endnote auch von Umständen abhängt, die nicht vollständig vom Prüfling beeinflusst werden können.102 Gegen das zentrale Argument des OLG Hamm, der Sohn sei durch die Bedingungen seinem Spielraum beruflicher Umorientierung beraubt, wurde da95 96 97

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OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577. Das liquide Vermögen des Vaters lag damals bei ca. 2 Mio. €, der Wert des fiktiven Pflichtteilsanspruchs hätte 250.000 € betragen. Der Sportwagen hätte einen geschätzten Zeitwert von unter 50.0000 € gehabt, vgl. Inkmann (Fn. 5), 183; Löhnig, NotBZ 2017, 192, 195. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577. Von Proff, ZEV 2017, 301, 304 f. Von Proff, ZEV 2017, 301, 304. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577.

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rauf hingewiesen, dass im Falle einer Umorientierung § 313 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Vertragsanpassung oder ein Rücktrittsrecht, § 313 Abs. 3 S. 1 BGB, hätte begründen können.103 Zuzugeben ist diesem Hinweis, dass § 313 BGB jedenfalls vor dem Eintritt des Erbfalls auf Erb- und Pflichtteilsverzichte anwendbar ist104 und es hier nicht um eine Anwendung auf Verfügungsebene, sondern auf der Verpflichtungsebene ging. Allerdings ist die Anwendung gerade bei umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzichten – wie einer im Falle des OLG Hamm vorlag – auf besonders extreme Ausnahmefälle beschränkt.105 Ob eine berufliche Umorientierung einen solchen dargestellt hätte, ist zu bezweifeln, zumal es sich auch keinesfalls hierbei um eine Entwicklung handelte, die außerhalb jeder Vorstellung der Vertragsparteien gelegen hätte. Inwieweit der Einwand des § 313 BGB unter Berücksichtigung dessen restriktiver Voraussetzungen und der unüberschaubaren Bandbreite der Vertragsanpassungen, die auf Rechtsfolgenseite hätten vorgenommen werden können,106 zutrifft, ist daher fragwürdig. Zudem lässt sich argumentieren, dass die Ausbildungswahl nach den Gesamtumständen und der Vertragsgestaltung nicht bloße Geschäftsgrundlage war, sondern zum Vertragsinhalt geworden ist. Dafür sprechen der väterliche Beruf und seine Verquickung mit der Betreibergesellschaft des Dentallabors und die konkrete Formulierung der Berufserwartungen als Bedingungen.107 Es ist nicht auszuschließen, dass es dem Vater gerade darauf ankam, den Sohn durch die Ausgestaltung der Bedingungen auf den als „besten“ empfundenen, denkbaren Berufsweg verpflichtend festzulegen und ein Abweichen des Sohnes von diesem mit dem Verlust der Abfindung zu sanktionieren. Dann ist die wesentliche Voraussetzung des § 313 BGB schon nicht erfüllt. Zuletzt ist bei fesselnden Bedingungen im Bereich des Erbrechts stets an die Entscheidung des BVerfG in Sachen Hohenzollern zu denken.108 Zwar mag man im Fall des OLG Hamm die Bedingungen als weniger einschneidend bewerten als im vom BVerfG entschiedenen Falle. Immerhin ging es dort um die Eheschließungsfreiheit und die Bedingung war nur unter Mitwirkung ganz bestimmter Dritter – standesgemäßer Ehepartner – erfüllbar, von denen faktisch immer weniger existierten.109 Allerdings ist auch die Berufsfreiheit kein im Ver103 104

105 106 107

108 109

Von Proff, ZEV 2017, 301, 304 f. OLG Nürnberg, 12.11.2002 – 3 U 1192/02, FamRZ 2003, 634, 636, m. Anm. Grziwotz. Aber str., zum Streitstand bzgl. der Anwendbarkeit des § 313 BGB auf der Verfügungsebene von Proff, in: NK-PflichtteilsR, (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 54 m.w.N. Bejahend für den Erbverzicht Müller-Engels, in: Schlitt/Müller-Engels, (Fn. 12), § 10, Rn. 41 ff.; nur Anwendbarkeit auf das Kausalgeschäft bejahend Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 189 ff. Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 191. Finkenauer, in: MüKo BGB III, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB Rn. 89 f. Zur Bewertung von Bedingungen im Kontext der Abgrenzung der Geschäftsgrundlage vom Vertragsinhalt vgl. Böttcher, in: Erman (Fn. 42), § 313 BGB Rn. 18; Finkenauer, in: MüKo BGB III (Fn. 106), § 313 BGB Rn. 57. BVerfG, 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01, NJW 2004, 2008 ff. BVerfG, 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01, NJW 2004, 2008, 2010.

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fassungsgefüge per se minderwertigeres Recht als die Eheschließungsfreiheit. Zudem sind berufliche Entscheidungen, gerade im jungen Alter gefällt, regelmäßig solche von fundamentaler Bedeutung für den restlichen Lebensweg. Zu bedenken ist im Kontext der Entscheidung des OLG Hamm, dass der Sohn sich zwar selbst nach einem Praktikum für die Laufbahn als Zahntechniker entschieden hat,110 er aber mit erheblichen Schulschwierigkeiten zu kämpfen hatte, denen er auf Angebot seines Vaters durch die Ausbildung im Dentallabor entfliehen konnte.111 Daneben wird es eine entscheidende Rolle gespielt haben, dass die Ausbildung in einem Betrieb angefangen wurde, in dessen Betreibergesellschaft der Vater Gesellschafter war,112 sodass der Ausbildungsplatz ohne großen Aufwand zur Verfügung stand. Zudem fällte der Sohn die Entscheidung für die Ausbildung als Minderjähriger, der gerade die gymnasiale Oberstufe erreicht hatte. Inwiefern unter Berücksichtigung dieser Faktoren belastbar von einer freien Wahl für den Berufsweg gesprochen werden kann, ist zweifelhaft. Vermutlich war die Ausbildung nur der opportune Weg des geringsten Widerstandes hinaus aus den Schulschwierigkeiten und nicht der Weg zum „Traumjob“.

cc) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt – freilich mit einem weinenden Auge des Kautelarjuristen – dass eine absolute Aussage zu zulässigen Bedingungsverknüpfungen zwischen Abfindung und Verzicht nicht getroffen werden kann. Für sich betrachtet können besonders fesselnde Bedingungen eine Inhaltssittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts nicht begründen, weil vor dem Hintergrund dessen, dass ein vollständiger Verzicht möglich ist, auch strenge Bedingungen grundsätzlich akzeptabel sein mögen, weil diese im schlimmsten Fall auch bloß zum Verlust der Gegenleistung führen. Ein Unterschied kann allerdings noch darin gesehen werden, dass im Fall einer anfangs nicht vereinbarten Abfindung der Verzichtende sich damit bewusst hat abfinden können, während er auf die Chance, die Bedingungen zu erfüllen um eine Gegenleistung zu erhalten, hinarbeiten kann und sich den Bedingungen daher zunächst faktisch unterwirft. So können die Bedingungen im Einzelfall eine missbilligenswerte Verhaltensteuerung bewirken. Bei der Ausgestaltung sollte daher darauf geachtet werden, dass die, gegebenenfalls kumulativen, Bedingungen nicht zu sehr in besonders grundrechtlich unterlegte Rechtspositionen eingreifen.113 Ein solcher Übergriff kann abermals eine gestörte Verhandlungsparität indizieren. So wäre vermutlich das OLG

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Von Proff, ZEV 2017, 301, 304 f. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576. Im Ergebnis so auch Inkmann (Fn. 5), 188.

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Hamm zu einer anderen Bewertung gelangt, wenn entweder Bestnotenerfordernis oder der konkret, zwingend festgelegte Berufszweig entfallen wären.114 Zeitliche Bedingungen, die im Ergebnis zu einer Minderung des objektiven Wertes einer Sachabfindung führen, sind für sich genommen unproblematisch, führen sie doch im schlimmsten Fall lediglich zu einer Wertdiskrepanz zwischen Leistung und Gegenleistung, die isoliert betrachtet sittlich unschädlich ist. Soll die Abfindungszahlung von einer oder mehreren Bedingungen abhängig gemacht werden, kann es angezeigt sein, auch den Verzicht zu bedingen, um die Gefahr einer zu einseitigen Belastung des Verzichtenden abzumildern.

2. Umstandssittenwidrigkeit Anders als die soeben dargestellte Inhaltssittenwidrigkeit kann sich eine Umstandssittenwidrigkeit auch unmittelbar auf die Verfügungsebene beziehen. Da sich die Beurteilungskriterien hierzu auf Verpflichtungs- und Verfügungsebene nicht wesentlich voneinander unterscheiden, gelten die folgenden Ausführungen für beide Ebenen gleichermaßen.

a) Täuschungen? Im Bereich der Umstandssittenwidrigkeit sind zunächst solche Geschäfte zu betrachten, die durch eine Täuschung des künftigen Erblassers gegenüber dem Verzichtenden wesentlich (mit-)beeinflusst wurden. Arglistige Täuschungen weist die gesetzliche Systematik in § 123 BGB grundsätzlich dem Bereich der Willensmängel zu, was die Frage nach dem Verhältnis von § 123 BGB und § 138 BGB zueinander aufwirft.

aa) Grundsätzlich: Verhältnis von § 123 BGB zu § 138 BGB Prinzipiell handelt es sich bei § 123 BGB um eine gegenüber § 138 BGB vorrangige Sonderregelung.115 Daher sind im Ausgangspunkt durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zustande gekommene Geschäfte bloß anfechtbar und nicht ipso iure nach § 138 BGB nichtig. Für sittenwidrigkeitsbedingte Nichtigkeit müssen zu der unzulässigen Willensbeeinflussung wei-

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Ähnlich Everts, ZEV 2017, 166, 167; Inkmann (Fn. 5), 205. Umgekehrt vermutet Inkmann (Fn. 5), 185, allerdings auch, dass die Bedingungen allein für das OLG Hamm nicht ausreichend gewesen wären, um Sittenwidrigkeit anzunehmen. HM, vgl. statt aller Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 6 m.w.N.; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rn. 5 m.w.N.; a.A. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 123 BGB Rn. 100; Sack/Fischinger, in: Staudinger, 16. Aufl. 2017, § 138 BGB Rn. 28 ff.

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tere Umstände hinzutreten, die das Geschäft seinem Gesamtcharakter nach als sittenwidrig erscheinen lassen.116 Vorliegen müssen also die Voraussetzungen des § 123 BGB und hinzutreten müssen weitere Umstände.117 Einen Unterschied macht das in zeitlicher Hinsicht: Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts kann zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden,118 für eine Anfechtung nach § 123 BGB ist die Jahresfrist des § 124 BGB zu beachten.119 Denkbar ist beim Kausalgeschäft zu einem Pflichtteilsverzicht eine aktive Täuschung durch den Erblasser über seine Vermögensverhältnisse durch unrichtige Angaben,120 oder durch Unterlassen, wenn er werthaltige Vermögensbestandteile verschweigt.121 Denn obgleich grundsätzlich keine Offenlegungspflicht das Vermögen betreffend besteht,122 können Einzelfallumstände eine solche begründen, etwa falls die Abfindung konkret auf der Grundlage des Vermögens-Status-quo berechnet werden soll, oder wenn der künftige Erblasser die unrichtigen Vermögensvorstellungen des Verzichtenden erkennt und ausnutzt, um eine geringere Abfindung auszuhandeln.123 Hier gilt letztlich nichts anderes als der allgemeine Grundsatz, dass zwar bei Vertragsverhandlungen allgemein keine Aufklärungspflichten bestehen, sich solche aber aus den Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise ergeben können.124 Besonders bedeutsam kann bei Pflichtteilsverzichten, die ihrer Natur nach meist im familiären Nahbereich abgeschlossen werden, die Fallgruppe der Aufklärungspflichten bei besonderem Vertrauen sein, weil gerade enge familiäre Bindungen ein solches besonderes

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St. Rspr., vgl. nur BGH, 17.1.2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982, 983 m.w.N.; Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 123 BGB Rn. 100; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 14; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 6; von Proff, ZEV 2017, 301, 305; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rn. 5. Anders insoweit das LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 595, „unterhalb dieser Schwellen“, wenngleich es sodann beispielhaft Umstände nennt und prüft, die eine Anfechtung nach § 123 BGB gerechtfertigt hätten. Zur Frage, ob die Geltendmachung der Sittenwidrigkeit der Verwirkung nach § 242 BGB offensteht, im Ergebnis offenlassend LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 598. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 595. Lange/Horn, ZEV 2019, 381, 383; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 51. Nach dem OLG Düsseldorf, 19.7.2013 – I-7 U 170/12, ZEV 2014, 102, 104, besteht allerdings keine Pflicht des künftigen Erblassers, den Verzichtenden von sich aus über die Angemessenheit einer angebotenen Abfindung aufzuklären. Zudem begründe es weder Anfechtbarnoch Sittenwidrigkeit, wenn es gegenseitig verzichtenden Ehegatten den Umständen nach ersichtlich nicht auf die gegenseitigen Vermögensverhältnisse ankommt und nach dem Tod des einen Ehegatten ein beträchtliches Auslandsvermögen bekannt wird, OLG Düsseldorf, 21.2.2013 – I-3 Wx 193/12, NJW-RR 2013, 966 f. Dazu Inkmann (Fn. 5), 151 ff. S.o. Fn. 84. Horn, ZEV 2010, 295, 296 f.; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 175. Eingehend Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 123 BGB Rn. 33 ff.; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 123 BGB Rn. 5a ff.

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Vertrauen begründen können, wenn ein erkennbarer Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrung des Vertragsgegners vorliegt.125 Daraus folgt, dass bei den Verhandlungen über Verzicht und Abfindung und bei der Gestaltung der Verträge äußerste Vorsicht geboten ist.126 Macht man im Rahmen solcher Verhandlungen Angaben über die Vermögensverhältnisse, müssen sie der Wahrheit entsprechen.127 Nach den (bestrittenen) klägerischen Ausführungen habe der Vater im Sportwagenfall des OLG Hamm seinem Sohn gegenüber behauptet, er sei eigentlich zahlungsunfähig und der Sohn solle froh sein überhaupt etwas zu bekommen.128 Darauf kam es allerdings nicht mehr an, da zur Überzeugung des OLG Hamm der Vertrag auch ohne Berücksichtigung dessen sittenwidrig war.129 Nach dem Vorgesagten wäre dies ohnehin eher im Rahmen der Prüfung einer Anfechtbarkeit des Vertrages zu berücksichtigen gewesen.130

bb) Zusätzlicher Sittenwidrigkeitsfaktor Nun kann es, wenn die Frist des § 124 Abs. 1, Abs. 3 BGB verstrichen ist, im Einzelfall notwendig sein, gegen einen nicht mehr anfechtbaren Pflichtteilsverzicht bzw. dessen Grundgeschäft131 mit der Sittenwidrigkeitseinwendung vorzugehen. Was kommt als „X-Faktor“, der über die unzulässige Willensbeeinflussung hinaus dem Rechtsgeschäft nach den Gesamtumständen seinen sittenwidrigen Charakter verleihen mag, dann in Frage? Hierzu zählt das Ausnutzen einer Zwangslage,132 was im Einzelfall allerdings der sich auf Sittenwidrigkeit Berufende beweisen muss.133 Auch kann grund125 126

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BGH, 7.10.1991 – II ZR 194/90, NJW 1992, 300, 302; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 123 BGB Rn. 5c. Wie hier Lange/Horn, ZEV 2019, 381, 383 f. Horn, ZEV 2010, 295, 296 f., geht so weit, von sämtlichen Vermögensangaben abzuraten. Völlige Unkenntnis über die Vermögenssituation des künftigen Erblassers schließt nach dem LG Düsseldorf, 2.3.2007 – 6 O 182/06, BeckRS 2007, 16585, die Anfechtbarkeit nach § 123 BGB gestützt auf den Einwand einer Täuschung über die Vermögensverhältnisse aus. Eine solche Empfehlung kann allerdings nur insoweit helfen, als die Abfindung sich nicht am Vermögen des künftigen Erblassers und am daher zu erwartendem Umfang des fiktiven Pflichtteilsanspruchs orientiert. Für solche Fälle legen die Ausführungen bei Lange/Horn, ZEV 2019, 381, 384, sogar eine Aufklärungspflicht nahe. Eine Offenlegungsempfehlung geben Inkmann (Fn. 5), 219 ff.; Wachter, ZErb 2004, 306, 307 f. Wie hier Inkmann (Fn. 5), 149; Lange/Horn, ZEV 2019, 381, 383. Vgl. die Ausführungen der Vorinstanz LG Detmold, 7.4.2015 – 1 O 224/14, Rn. 10 – juris. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 578. So auch von Proff, ZEV 2017, 301, 305. Gerade im Falle der Anfechtung nach § 123 BGB werden häufig beide Geschäfte von der Nichtigkeitsfolge erfasst sein, Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 180; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 49; ders., ZEV 2017, 301, 305. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 6; von Proff, ZEV 2017, 301, 305. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 595. Dort hatte die Klägerin behauptet, der Pflichtteilsverzicht sei Bedingung dafür gewesen, dass die notwendige Zu-

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sätzlich eine besonders krasse Äquivalenzstörung einen weiteren Umstand darstellen, der den Gesamtcharakter des Geschäfts sittenwidrig macht,134 wobei allerdings im Kontext von Pflichtteilsverzichten die obigen Besonderheiten bei der Bewertung zu berücksichtigen sind.135 Daneben wird von der Rechtsprechung auf das bewusste Ausnutzen von Verständnis-, Wissens- oder Aufmerksamkeitsdefiziten und auf bewusstes Herabspielen oder Verharmlosen der Rechtsfolgen des Geschäfts durch Verzerrung oder Verschweigen wesentlicher Informationen abgestellt.136 Zurückzugreifen ist damit in Teilen auf die Merkmale, die auch in § 138 Abs. 2 BGB genannt sind, was die Frage nach der Abgrenzung der beiden Absätze des § 138 BGB voneinander aufwirft. Dabei ist anerkannt, dass, wenn die restriktiven Voraussetzungen137 von § 138 Abs. 2 BGB nicht vorliegen, nach der Fallgruppe der sogenannten wucherähnlichen Geschäfte, § 138 Abs. 1 BGB gleichwohl anwendbar ist, wenn weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten – etwa eine besonders verwerfliche Gesinnung.138 Auch im Fall „Wildmoser“139 wurde die Umstandssittenwidrigkeit mit einer Kombination aus alters- und erfahrungsmäßig schwächerer Position der Verzichtenden und der Schilderung unrichtiger Ausgangstatsachen im Hinblick auf die Berechnungsgrundlage begründet.140 Hinzu trat dort, dass der künftige Erblasser einen Rechtsanwalt mit gebundener Marschrichtung mit den Vertragsverhandlungen beauftragte, der nach außen hin – möglicherweise beabsichtigt – den Anschein der neutralen Beratung erwecken konnte.141 Aus alledem folgt insgesamt ein hohes Risiko der Unwirksamkeit des unter einer Täuschung erschlichenen Pflichtteilsverzichts. Denn gerade im Kontext solcher wird das § 123 BGB + X-Erfordernis unter Zuhilfenahme jedenfalls der familientypischen Gemengelage aus besonderem Vertrauen und typischem Er-

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stimmung der Eltern zu einer beabsichtigten Eheschließung erteilt werde. Den notwendigen Beweis konnte sie nicht antreten. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 123 BGB Rn. 100; ders., in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 138 BGB Rn. 6. B. II. 1. a). Ähnlich Inkmann (Fn. 5), 166 f. LG Karlsruhe, 7.2.2020 – 7 O 324/18, unveröffentlicht; LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 595 f., wenngleich im Einzelfall verneint. Inhaltlich zu diesem Kriterium auch OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577 f. Auch in diesem Kontext nur für Anfechtbarkeit Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.193b; von Proff, ZEV 2017, 301, 305 f. Für das OLG Koblenz, 4.3.1993 – 6 W 99/93, NJW-RR 1993, 708 f., reichte es indes nicht aus, dass der Vater seiner Tochter die Entgeltlichkeit ihres Verzichts vorgespielt und die Unerfahrenheit der Tochter bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt habe, vgl. dazu Inkmann (Fn. 5), 140 ff. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 65. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 138 BGB Rn. 34 ff.; Schmidt-Räntsch, in: Erman (Fn. 42), § 138 BGB Rn. 39, 59 f., je m.w.N. S. schon oben Fn. 74. OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154 ff.; dazu und zur geäußerten Kritik daran Inkmann (Fn. 5), 143 ff. OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154, 155 f. OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154, 156.

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fahrungsgefälle zwischen den Parteien argumentativ regelmäßig gut begründbar sein. Auch jenseits der Anfechtbarkeit nach § 123 BGB droht daher Nichtigkeit wegen Umstandssittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB in Täuschungskonstellationen.142

b) (Strukturelle?) Übermacht- und Schwächeverhältnisse aa) Einseitige Dominanz und Kräfteungleichgewicht? Gerade bei Überprüfung von Pflichtteilsverzichten anhand des § 138 Abs. 1 BGB kommt Kräfteungleichgewichten besondere Bedeutung zu,143 denn in der typischen Ausgangssituation eines Verzichts auf den Kindespflichtteil ergibt sich zwischen künftigem Erblasser und Verzichtendem oftmals eine beachtliche Altersdifferenz, die sich auf der Ebene geschäftlicher Gewandtheit widerspiegelt.144 Auch hier fragt sich, wo die Grenze sittenwidrigen Ungleichgewichts verläuft. Da immerhin das Ungleichgewicht in der Verzichtssituation selbst angelegt ist, kann es für sich betrachtet Sittenwidrigkeit nicht begründen, sondern es bedarf weiterer Umstände.145 Auch hier ist also eine Gesamtbetrachtung angezeigt, insbesondere ob und wie sich das Kräfteverhältnis im konkreten Einzelfall ausgewirkt hat. Zu achten gilt es nicht nur auf eine (altersbedingte) Unerfahrenheit des Verzichtenden, sondern auch auf Anzeichen einer besonderen Drucksituation, die der künftige Erblasser schafft, auf etwaige Überrumpelung, auf besondere Geschäftsgewandtheit des künftigen Erblassers und auf einen erkennbaren inhaltlichen Niederschlag der Kräfteverhältnisse146 im Vertragswerk.147 Im Kontext der Unerfahrenheit eines Teils gewinnt § 17 Abs. 1 S. 2 BeurkG an Bedeutung,148 demzufolge der Notar darauf achten soll, dass unerfahrene 142 143 144 145

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Inkmann (Fn. 5), 171 f. „starkes Indiz“, Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.193. Inkmann (Fn. 5), 174 f., 196 ff. Auf die besondere Geschäftsgewandtheit des künftigen Erblassers stellte auch das OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154, 156, ab. Braun, MittBayNot 2016, 60; Everts, ZEV 2017, 166, 166 f., sprechen von einer schädlichen einseitigen „Dominanz“. Inkmann (Fn. 5), 200 f., weist zutreffend darauf hin, dass unterschieden werden sollte zwischen dem üblichen Alters- und Erfahrungsgefälle und einer bewussten Ausnutzung oder Verstärkung dessen durch den dominanteren künftigen Erblasser. Das erinnert an die Rechtsprechung des BGH zur Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen, bei dem ein inhaltlich unausgewogener Vertrag erst dann sittenwidrig ist, wenn zur Unausgewogenheit weitere, außerhalb der Urkunde liegenden Umstände hinzukommen, die aus bloßer Überlegenheit schädliche Dominanz machen, s. noch u. C. I. 1. Der sich etwa auch in besonderen Bedingungen, von denen die Gegenleistung zum Verzicht abhängt, zeigen kann, s.o. B. II. 1. b). Insgesamt ist dieses Erfordernis einer inhaltlichen Auswirkung des Kräfteungleichgewichts durch die verfassungsrechtliche Rechtsprechung vorgezeichnet, vgl. etwa BVerfG, 29.3.2001 – 1 BvR 1766/92, NJW 2001, 2248; BVerfG, 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89, 101. Inkmann (Fn. 5), 195 ff. In eine ähnliche, ergänzende Richtung wirkt § 17 Abs. 2 S. 1 BeurkG, demzufolge der Notar

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und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden.149 Der Notar ist demnach grundsätzlich mit einer Fürsorgepflicht bedacht, wenn er ein Informationsgefälle bemerkt, die aber gleichzeitig dadurch beschränkt ist, dass eine vorsorgliche „quasi-richterliche“ Kontrolle des Vertragswerkes ihm nicht obliegt.150 Gleichfalls ist es nicht an ihm, die wirtschaftlichen Faktoren, die zum Vertragsschluss geführt haben, zu bewerten.151 Da allen Formerfordernissen und somit auch dem der notariellen Beurkundung eine Warn- und Beratungsfunktion innewohnt,152 sollte der Notar bei der Verfahrensgestaltung darauf achten, dass diese erfüllt werden kann. Zuzustimmen ist aus diesem Grund dem Gestaltungshinweis, dass auch bei Pflichtteilsverzichten die Beteiligten in der Regel einen Vertragsentwurf erhalten sollen,153 damit die Überrumpelungsgefahr minimiert wird. Es verwundert letztlich nicht, dass auch in der Rechtsprechung auf alters-154 und erfahrungsmäßig schwächere Positionen der Verzichtenden zur Begründung der Sittenwidrigkeit zurückgegriffen wird.155 Exemplarisch sei nochmal die Entscheidung des OLG Hamm und deren Begründungsstrang herangezogen, in dem die unterschiedlichen Merkmale eines Kräfteungleichgewichts kumuliert auftraten. In dem dieser Entscheidung zugrundliegenden Sachverhalt trat neben die sonstigen bereits dargestellten Umstände,156 dass der geschäftsgewandte Vater seinen gerade volljährig gewordenen Sohn überrumpelte. Dieser erhielt keinen Vertragsentwurf (Leerlauf der Warnfunktion) und hatte bis zur Ankunft beim Notar keine Kenntnis von den Plänen seines Vaters, da dieser ihm nur mitteilte, es gehe um eine „Überraschung“.157 Das verstärkte das ohnehin

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Bedenken hinsichtlich der Gesetzeskonformität des Geschäfts mit den Beteiligten erörtern muss. Die Norm dient dazu, die Pflichten aus § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG zu erfüllen. Vgl. im Einzelnen dazu Grziwotz, in: Grziwotz/Heinemann, 3. Aufl. 2018, § 17 BeurkG Rn. 53. Rechtsvergleichend ist der deutsche Verfahrensschutz bei Pflichtteilsverzichten sehr zurückhaltend ausgestaltet, Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 758. Grziwotz, in: Grziwotz/Heinemann (Fn. 148), § 17 BeurkG Rn. 37, 40. St. Rspr., BGH, 5.11.1992 – IX ZR 260/91, DNotZ 1993, 459; BGH, 7.2.1991 – IX ZR 24/90, DNotZ 1991, 759, 760. So auch Grziwotz, in: Grziwotz/Heinemann (Fn. 148), § 17 BeurkG Rn. 24 m.w.N. Arnold, in: Erman (Fn. 42), § 125 BGB Rn. 2, 5; Einsele, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 125 BGB Rn. 8; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 125 BGB Rn. 2, 5. Everts, ZEV 2017, 166, 167; Inkmann (Fn. 5), 204; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 71. Das Alter ist häufig entscheidend, gerade bei eben Volljährigen schlug das Pendel zu Gunsten der jungen Pflichtteilsverzichtenden aus: OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576 ff.; OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154 ff. Im Falle eines 29-Jährigen dagegen wurde Sittenwidrigkeit unter Hinweis auf das Alter abgelehnt, LG Düsseldorf, 2.3.2007 – 6 O 182/06, BeckRS 2007, 16585. S. auch Inkmann (Fn. 5), 187 f., 199. LG Düsseldorf, 2.3.2007 – 6 O 182/06, BeckRS 2007, 16585; OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154, 156. Fesselnde Bedingungen (s.o. B. II. 1. b)) und Äquivalenzstörung als Sittenwidrigkeitsindiz (s.o. B. II. 1. a)). OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577 f.

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schon zwischen Vater und Sohn bestehende Gefälle im Hinblick auf Lebensund Geschäftserfahrung auf ein nicht mehr erträgliches Maß. Erschwerend kam hinzu, dass der Vater dem Sohn die erbetene Rücksprache mit der Mutter verweigerte und der Sohn zu diesem Zeitpunkt in gewisser Abhängigkeit zum Vater stand (Drucksituation), da er kürzlich die Ausbildung im väterlichen Dentallabor begonnen hatte und zu ihm gezogen war.158 Zudem habe der Vater bei der Wahl der Abfindung bewusst und zielgerichtet „Rationalitätsdefizite“, die er zuvor noch gefördert hatte, beim Kläger ausgenutzt, indem er ihm genau den Sportwagen in Aussicht stellte, für den der Sohn sich besonders begeisterte.159 Da der Notar sich nicht erinnern konnte, ob er dem Sohn umfassend vor Augen geführt habe, was der Verzicht für in bedeute, konnte nicht aufgeklärt werden, ob das Gefälle zwischen Vater und Sohn zumindest im Ansatz durch Belehrung ausgeglichen wurde.160

bb) Insbesondere: „Rationalitätsdefizite“ Das Stichwort „Rationalitätsdefizite“ macht die Herkunft dieses Argumentationsstranges offenkundig:161 Röthel, die zwar nicht vom OLG Hamm, wohl aber von der Vorinstanz, dem LG Detmold, ausdrücklich genannt wurde,162 hatte sich basierend auf einer Argumentation mit Rationalitätsdefiziten für eine erhöhte Kontrolldichte bei Pflichtteilsverzichten ausgesprochen.163 In familiären Beziehungen sei die Selbstbestimmung besonders schwierig, weil „situationstypische Durchsetzungsgefälle und verzichtstypische Rationalitätsdefizite“164 bestünden. Wenn schon bei Ehegatten beim Abschluss von Eheverträgen in der Verhandlungssituation korrekturbedürftige Ungleichgewichtslagen vorlägen, sei das in der typischen Verzichtssituation auf den Kindespflichtteil sogar noch wahrscheinlicher.165 Kein gerade volljähriges Kind könne in Anbetracht winkenden kurzfristigen Geldsegens und moralischer

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I.E. so auch Inkmann (Fn. 5), 184, 202 f. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577. LG Detmold, 7.4.2015 – 1 O 224/14, Rn. 31 – juris. Inkmann (Fn. 5), 184; von Proff, ZEV 2017, 301, 303. LG Detmold, 7.4.2015 – 1 O 224/14, Rn. 29 – juris. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 189 ff.; dies., NJW 2012, 337 ff. Zur damit zusammenhängenden Diskussion um die Übertragbarkeit der ehevertraglichen Inhaltskontrolle s.u. C. I. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 192. S. ferner dazu Röthel, NJW 2012, 337, 338 f.; dies., AcP 210 (2010), 32, 45, zur „Beherrschungsaffinität“ des Erblassers. Solche Durchsetzungsgefälle werden auch im Arbeitsrecht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und ganz typisch im Verbraucherrecht zwischen Verbraucher und Unternehmer angenommen. In beiden Bereichen werden besondere, zwingende Schutzpflichten für die strukturell unterlegene Partei normiert, weil auf die Schutzfunktion der Privatautonomie nicht vertraut wird. Vgl. unten Fn. 189. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 192 f.

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Anerkennung und Dankbarkeit der Eltern kühlen Kopfes abwägen.166 Hinzu komme ferner, dass es auch beim Pflichtteilsverzicht um einen Verzicht auf einen zukünftigen Anspruch aus einer familiären Nähebeziehung gehe. Gerade bei solchen bestehe die Gefahr überoptimistischer Fehleinschätzungen der Vermögens- und Beziehungsentwicklung in ähnlicher Weise, wie bei ehevertraglichen Vereinbarungen.167 Diese Ausführungen trafen auf vielfältige Kritik,168 auf die vollumfänglich einzugehen hier nicht der Ort ist. Herauszugreifen ist allerdings ein besonderer Kritikpunkt: Die Rationalitätsdefizite und besonderen Machtstrukturen im Eltern-Kind-Verhältnis seien nicht fundiert begründet.169 Notwendig hierzu seien psychologisch fundierte Untersuchungen.170 Letzterem ist zuzustimmen. Freilich sind allerdings die beschriebenen Defizite nicht nur für die Eltern-Kind-Beziehung, sondern als allgemeine Muster in der Verhaltensökonomie anerkannt. Denn das, was Röthel beschreibt, sind nichts anderes als besondere biases, die durch empirische Untersuchungen bereists festgestellt und erklärt wurden. Wenn die Rede ist von einer „eigentümliche[n] […] Verlockung […], die gerade ein entgeltlicher Pflichtteilsverzicht für junge Erwachsene bedeuten kann“171 ist das nichts anderes als die Umschreibung des Present Bias172 und des Time Discounting,173 die eine Rolle bei Intertemporal Choices, also Entscheidungen, die Auswirkungen potenziell erst (weit) in der Zukunft zeitigen, spielen.174 Menschen messen kurzfristig erreichbaren Werten einen höheren relativen Wert zu, als zukünftigen: 10 € heute sind erstrebenswerter als 15 € morgen (Present Bias). Das wird unterstützt durch Time Discounting: Es hat sich gezeigt, dass der relative Wert, der der Gewinnerwartung zugemessen wird, in Relation zu der Zeit, die verstreichen muss, um den Gewinn zu erlangen, abnimmt. Dabei können die Gewinnaussichten auch so weit in die Zukunft rücken, dass sie für die Entscheidungsfindung keine Rolle mehr spielen, insofern also als nichtexis166 167 168 169

170 171 172 173 174

Röthel, AcP 212 (2012), 158, 192 f. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 193. Vgl. nur die Nachweise bei Inkmann (Fn. 5), 190, dort Fn. 703. Zustimmend dagegen Löhnig, NotBZ 2017, 192 ff. Grziwotz, DNotZ 2016, 732, 743. Den Vorwurf fehlender fundierter Beweise müssen sich indes auch die Kritiker gefallen lassen, wenn sie behaupten, Kinder würden heutzutage früher mündig, als zu den paternalistischen Zeiten bei Entstehung des BGB, so Everts, ZEV 2017, 166; Grziwotz, DNotZ 2016, 732, 741. Auch das wird – unter Hinweis auf die „Generation Praktikum“ – durchaus bestritten, vgl. Löhnig, NotBZ 2017, 192, 196. Grziwotz, DNotZ 2016, 732, 743. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 200. Zurückgehend auf O’Donoghue/Rabin, AER 89 (1999), 103 ff. Vgl. ferner Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, 106 ff. Frederick/Loewenstein/O’Donoghue, JEL 40 (2002), 351 ff.; Laibson, QJE 112 (1997), 443 ff. Dazu und zum Folgenden im Überblick Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, 109.

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tent unterstellt werden. Das gilt selbst für hohe Werte. Für entgeltliche Pflichtteilsverzichte bedeutet das: Eine sofortige Abfindung im Wert von 50.000 € ist erstrebenswerter als ein weit in der Zukunft liegender Pflichtteilsanspruch in Höhe von 250.000 €. Auch und gerade in Situationen, in der junge Menschen ihren Eltern gegenüber verzichten, kann die Gewinnerwartung in Gestalt der Erbaussicht so weit in der Zukunft liegen, dass sie für die Entscheidung (fast) keine Rolle mehr spielt. Dass „kühle Analysen zu Stand und Perspektiven des elterlichen Vermögens“175 vor dem Hintergrund der Möglichkeit, durch eine „kurze Erklärung sichtliche Anerkennung und Dankbarkeit der Eltern verdienen [zu] können“176 gerade von kürzlich volljährig gewordenen Kindern nicht zu erwarten sind, lässt sich darüber hinaus mit einer Tendenz zur Auswahl derjenigen Entscheidungsvariante erklären, die Immediate Gratification177 verspricht. Ebenso verhaltensökonomisch beweisbar ist der Hinweis darauf, dass in familiären Näheverhältnissen die Gefahr überoptimistischer Fehleinschätzungen der Vermögens- und Beziehungsentwicklung besonders hoch ist. Das gilt allerdings keinesfalls nur in familiären Nähebeziehungen, sondern ist verallgemeinerbar auf sämtliche Entscheidungen unter Risiko, die ex ante eine Bewertung erfordern. Auch hier sind zwei anerkannte Faktoren zur Begründung heranzuziehen. Nach dem Projection Bias178 tendieren Entscheider dazu, ihre jetzige Gefühlslage in die Zukunft zu projizieren und von einer stabilen Weiterentwicklung ausgehen. Der Status-quo wird zum erwarteten Status-futurus. Die Möglichkeit zeitlich bedingter Diskontinuitäten in den für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien (Beziehungs- und Vermögensentwicklung), wird nicht bedacht. Hat der Verzichtende zum Beispiel im Entscheidungszeitpunkt ein gutes Verhältnis zum künftigen Erblasser und seinen Geschwistern und schließt den Verzicht ab, um dem Wunsch des Vaters nach einer (Unternehmens-)Nachfolge durch die Geschwister nachzukommen, wird er zumeist davon ausgehen, dass in Zukunft die guten Beziehungen anhalten und damit die Motivation für das Rechtsgeschäft fortbesteht. Die Möglichkeit einer Verschlechterung oder gar eines Abbruchs wird er ausblenden. Hinzu tritt der sogenannte Optimism Bias.179 Damit wird die Tendenz von Menschen bezeichnet, die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung zu über- und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer negativen Entwicklung zu unterschätzen. Mit der Frage konfrontiert, ob die guten Beziehungen, die den

175 176 177 178 179

Röthel, AcP 212 (2012), 158, 193. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 193. O’Donoghue/Rabin, J. Behav. Decis. Making 13 (2000), 233 ff. Leistner, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2. Aufl. 2012, 101, 109 m.w.N. Vgl. nur Hacker (Fn. 172), 87 ff. m.w.N; Sharot, CB 21 (2011), R941–R945. Ähnlich im Ansatz Dutta, AcP 209 (2009), 761, 780 ff.

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Verzichtenden zum Verzicht motivieren180 auch in Zukunft noch fortbestehen werden, führt der Optimism Bias tendenziell zu einer optimistischen Prognose. Konkreter gesprochen: „Streitigkeiten ums Erbe kommen bloß in anderen Familien vor, uns kann das nicht passieren!“. Dasselbe gilt für die Einschätzung der Entwicklung der eigenen Vermögensverhältnisse, was dazu führen kann, dass der Entscheider sicher zu wissen glaubt, er werde weder auf eine Abfindung noch auf seine Nachlassteilhabe in Zukunft angewiesen sein. Damit stellt sich – akzeptiert man diesen verhaltensökonomischen Beweisweg – nicht mehr die Frage nach konkreten Nachweisen für die Rationalitätsdefizite.181 Stattdessen ergibt sich eine ganz grundsätzliche Frage: Unter welchen Voraussetzungen rechtfertigen solche verhaltensökonomischen Erkenntnisse normativ steuernde Eingriffe?182 Schließlich ist es jedenfalls nicht ohne Weiteres zwingend, von der Existenz der Defizite auf die Notwendigkeit einer Intervention183 rückzuschließen. Eine abschließende Beantwortung dieser dogmatischen und teils rechtsphilosophischen Frage im Rahmen dieses Textes ist weder möglich noch angezeigt. Bedeutsam ist diese Feststellung dennoch, verschiebt sie doch den Fokus vom Streit über das Vorliegen der Defizite hin zur Folgefrage, ob im konkreten Fall von Pflichtteilsverzichten eine korrigierende Intervention durch die Judikative angezeigt erscheint. Beachtenswert ist dafür auch die Frage, ob überhaupt bzw. ab wann die genannten Rationalitätsdefizite aus einer materiell privatautonomen Entscheidung eine unselbstständige Entscheidung machen.184

cc) Zwischenergebnis Bei Pflichtteilsverzichten auf den Kindespflichtteil liegt häufig ein alters- und erfahrungsbedingtes Machtgefälle vor, das zur Dominanz des künftigen Erblassers führt. Gerade bei Verzichtenden im Heranwachsendenalter185 kann das Alter erhöhte Vorsicht notwendig machen. Ein solches Gefälle allein ist für sich 180

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182 183 184

185

Zimmer, NJW 2017, 513, 515 f., geht davon aus, dass solche altruistischen Verzichte den Großteil der von Kindern erklärten Erb- und Pflichtteilsverzichte ausmachen. Das mache die Fehleinschätzung über die Fortentwicklung der Beziehung zum bedeutendsten Risiko. Wenngleich sich noch fragen ließe, ob die dargestellten biases bei jungen Menschen ausgeprägter sind als bei älteren, was gerade im Kontext des Schutzes junger Verzichtender von entscheidender Bedeutung sein könnte. Ausführlich etwa Hacker (Fn. 172), 205 ff., 287 ff.; Leistner, in: Riesenhuber (Fn. 178), 101 ff. Z.B. die Übertragung der ehevertraglichen Inhaltskontrolle auf Pflichtteilsverzichte, dazu unten C. I. Vgl. zur Grenze der Sittenwidrigkeit verlaufend auf dem Grad zwischen materieller und bloß noch formeller Privatautonomie Inkmann (Fn. 5), 209, unter Bezugnahme auf von Proff, ZEV 2017, 301, 303. Begründet von Canaris, AcP 200 (2000), 273, 296 ff. im Kontext von Familienbürgschaften. § 1 Abs. 2 JGG: Volljährige, die noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben. Im Fall des OLG Hamm war der Verzichtende 18, im Fall Wildmoser waren die Geschwister 19.

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genommen aber noch kein ausreichender Grund, Sittenwidrigkeit anzunehmen. Es bedarf weiterer Umstände, die die Dominanz der einen Seite sittlich verwerflich machen. Das sind insbesondere: Eine erblasserseits geschaffene besondere Drucksituation, Überrumpelung, besondere Geschäftsgewandtheit des künftigen Erblassers, die das Machtgefälle noch steiler macht, und ein etwaiger inhaltlicher Niederschlag der ungleichen Kräfteverhältnisse im Vertragswerk. Auch ausgenutzte Rationalitätsdefizite können dazugehören.

c) Zwischenergebnis und Best-Practice Notwendig bleibt nach alledem eine Einzelfallbetrachtung. Das liegt schon an der naturgemäßen Unbestimmtheit von Generalklauseln, die nur bis zu einem gewissen Maße konkretisierbar sind.186 Gleichzeitig liegt das in Natur des Pflichtteilsverzichts als abstraktes Verfügungsgeschäft, welches grundsätzlich nicht inhaltlich sittenwidrig sein kann.187 Da für den Verzicht im Gesetz keine Gegenleistung vorgesehen ist, können auch Äquivalenzstörungen im Verpflichtungsgeschäft nur ein Indiz für eine weitergehende Umstandssittenwidrigkeit sein. Dieser wiederum ist die Notwendigkeit, alle Einzelfallumstände zu betrachten, immanent. Das führt dazu, dass zur Sicherheit und Beständigkeit des Pflichtteilsverzichts im Verfahren besondere Vorkehrungen zu treffen sind, damit die Gefahr eines späteren Angriffs mittels der Sittenwidrigkeitseinwendung minimiert wird. Dazu gehört es, auf die oben dargestellten Faktoren, insbesondere im Zusammenhang mit einem bedenklichen Kräfteungleichgewicht zu achten. Das Vorliegen eines solchen wird man kaum jemals verhindern können, wenn zwischen künftigem Erblasser und Verzichtendem ein erheblicher Alters- und Erfahrungsunterschied besteht. Allerdings kann die Gefahr minimiert werden, dass ex post der Eindruck entsteht, dass Ungleichgewicht habe sich in sittenwidriger Weise ausgewirkt.188 Zu einem Verfahren, das diese Gefahr verringert, gehört eine persönliche Vorbesprechung mit den Beteiligten, damit der Notar sich ein Bild von den Motiven der Vertragsparteien machen kann und die Gefahr einer Überrumpelungssituation minimiert wird. Hiernach sollte ein entsprechender Entwurf den Parteien zugesandt werden mit einer (mindestens) vierzehntägigen Bedenk-

186 187 188

Für Pflichtteilsverzichte ebenso Inkmann (Fn. 5), 207, 210. S.o. B. I. 1 Ausführlicher zur Verfahrensgestaltung s. Becker/Hendricks, RFamU 2022, 23, 28 ff. Vgl. ferner Inkmann (Fn. 5), 214 ff., der sich an Wachter, ZErb 2004, 306 ff., orientiert. S. ferner von Proff, ZEV 2017, 301, 303. Auch Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 758, geht davon aus, dass ein solches Verfahren zumindest für Verbesserung sorgen, nicht jedoch Schutzlücken schließen kann.

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zeit.189 So kann sich gerade die tendenziell unterlegene Partei mit von ihr ausgesuchten Vertrauenspersonen über den Verzicht beraten. Es sollte auch auf eine höchstpersönliche Abgabe der Erklärung des Verzichtenden hingewirkt werden, obgleich diese gesetzlich nur für den künftigen Erblasser vorgesehen ist, § 2347 Abs. 2 BGB.190 Das minimiert die Gefahr eines Leerlaufens der Warnfunktion des Formerfordernisses. Zudem sollten – trotz Fehlens einer Offenlegungspflicht – die Vermögensverhältnisse des künftigen Erblassers thematisiert werden.191 So steigt zum einen die Wahrscheinlichkeit, dass dem Verzichtenden die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung gewahr wird, zum anderen erhöht auch ohne eine Offenlegungspflicht das vollständige Verschweigen der Vermögensverhältnisse die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, die Unerfahrenheit des Verzichtenden sei ausgenutzt worden. Denn dieser wird von sich aus die Verhältnisse nur schwer einschätzen können.192 In direktem Zusammenhang mit der gewissenhaften Darstellung der Vermögensverhältnisse kann dann auch die Höhe des fiktiven Pflichtteilsanspruchs zum Verzichtszeitpunkt beziffert werden, was wiederum dem Verzichtenden die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung vor Augen führen mag. Die Verfahrensgestaltung sollte in der Urkunde vermerkt werden, sodass im Streitfall die richterliche Überprüfung möglich ist. Will man sicher gehen, ist eine Abfindung zum Zeitwert des Pflichtteilsanspruchs anzuraten.193 Mag damit – stagnierende Vermögensentwicklung unterstellt – zwar kein wirtschaftlicher Gewinn einhergehen, so können doch immerhin die Modalitäten der Zahlung ausgestaltet werden, was gerade bei Unternehmensnachfolgeplanungen ein wichtiger Faktor sein kann. Ist ein unentgeltlicher Verzicht auch durch den Verzichtenden gewünscht, so kann späteren Einwänden vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Unvernünftigkeit vorgebeugt werden, indem die Motive des Verzichtenden in der Urkunde niedergeschrieben werden.

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Orientiert an § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG, der eine „Cooling Down“-Frist von 2 Wochen bei Verbraucherverträgen vorsieht, zu denen Pflichtteilsverzichte indes nicht zählen. Vgl. dazu Grziwotz, in: Grziwotz/Heinemann (Fn. 148), § 17 BeurkG Rn. 40. Eine Orientierung an dieser Frist ist überzeugend, weil auch in Verbraucherverträgen, ähnlich wie bei Pflichtteilsverzichten, typischerweise ein Informations- und Kraftungleichgewicht zwischen erfahrenem und gewandtem Unternehmer und Verbraucher besteht, das es auszugleichen gilt. Allgemeiner liegt beidem tendenziell eine typische Beziehungsdynamik zwischen One-Shottern und Repeat Playern, wie sie von Galanter, LSR 1974, 95 ff., erstmals beschrieben wurde, vor. Repeat Player sind aufgrund ihrer geschäftlichen Gewandtheit gegenüber One-Shottern im Vorteil, soweit es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht. Mit einem ebensolchen Vorschlag Röthel, AcP 212 (2012), 158, 200. Inkmann (Fn. 5), 219 ff.; Wachter, ZErb 2004, 306, 307 f. A.A. Horn, ZEV 2010, 295, 297. Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 759. Anders im konkret entschiedenen Fall des LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 597. Inkmann (Fn. 5), 222. Dadurch wird zumindest der Indizcharakter einer Äquivalenzstörung vermieden.

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III. Verknüpfung von Verfügungs- und Verpflichtungsebene Obgleich Trennungs- und Abstraktionsprinzip wie dargestellt eine differenzierte Betrachtung Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit erfordern,194 und daher die Nichtigkeit beider unterschiedlich zu beurteilen sein kann, nimmt die Rechtsprechung zuweilen keine dergestalt differenzierte Prüfung vor und behilft sich durch Anwendung von § 139 BGB.195

1. Gründe für die Anwendung des § 139 BGB bei Pflichtteilsverzichten Warum? Der erste Grund liegt vermutlich darin, dass ein Weg zur Prüfung der Sittenwidrigkeit des Erb- und Pflichtteilsverzichts als an sich wertneutrales Verfügungsgeschäfts gesucht wird.196 Das ist in Fällen nicht nötig, in denen Umstandssittenwidrigkeit in Frage steht, da nur Inhaltssittenwidrigkeit bei Verfügungsgeschäften regelmäßig ausscheidet. Hieran schließt sich der zweite mögliche Grund unmittelbar an: Würde nur das Kausalgeschäft auf Sittenwidrigkeit hin geprüft und wäre unwirksam, der Verzicht aber gleichzeitig wirksam gewesen, dann hätte eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung stattfinden müssen.197 Eine solche vermeidet die Anwendung von § 139 BGB, infolge derer die Rechtswirkungen beider Geschäfte ohne weiteres Zutun der Parteien ipso iure entfallen. Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines rechtsgrundlosen Erb- und Pflichtteilsverzichtes andererseits erfolgt zu Lebzeiten des Erblassers im Wege der Leistungskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB,198 wobei die Herausgabe des Erlangten durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages nach § 2351 BGB erfüllt wird.199 Der Anspruch ist gerichtlich durchsetzbar und nach § 894 ZPO vollstreckbar.200 Nach Eintritt des Erbfalls tritt an die Stelle des unmöglich 194

195 196 197

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200

Was zuweilen auch durch die Gerichte zumindest nicht ausdrücklich geschieht, vgl. die Kritik bei Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 173; T heiss/Boger, ZErb 2006, 164, 165, am OLG München, 20.1.2006 – 15 U 4751/04, ErbR 2007, 154 ff. Das OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577, bemüht einen schlichten Verweis auf eine herrschende Meinung, statt die Voraussetzungen des § 139 BGB zu prüfen. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576. So die Begründung von Inkmann (Fn. 5), 186, der darauf hinweist, dass diese „verhältnismäßig kompliziert“ gewesen wäre. Er bleibt eine Erklärung, warum die Rückabwicklung kompliziert gewesen wäre, freilich schuldig. Str., aber hM, vgl. zum Streitstand Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 183; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 153 m.w.N. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.133; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 183; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 49; Weidlich, in: Grüneberg (Fn. 36), § 2346 BGB Rn. 2311; ders., NotBZ 2009, 149, 153. So Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.133; T heiss/Boger, ZErb 2006, 164, 166. Da-

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gewordenen Abschlusses des Aufhebungsvertrages201 ein Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB.202 Selbstverständlich umfasst die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung die Herausgabe einer bereits geleisteten Abfindung.

2. § 139 BGB und die Verbindung von Kausalund Erfüllungsgeschäft Dieser Lösungsweg ist nicht so einfach, wie die Ausführungen insbesondere des OLG Hamm es vermuten lassen. Schon im Ausgangspunkt ist umstritten, ob Verpflichtungsgeschäft und Erfüllungsgeschäft zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft im Sinne von § 139 BGB verbunden werden können. Während hauptsächlich die Rechtsprechung und Stimmen in der Literatur dies bejahen,203 sind es andere Teile der Literatur, die dies ablehnen,204 da hiermit das Abstraktionsprinzip zur Disposition der Parteien gestellt würde.205 Dogmatisch überzeugt dieser Einwand indes nicht. Denn unstreitig können die Parteien die Wirksamkeit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft mittels einer Bedingung voneinander abhängig machen,206 sodass das Abstraktionsprinzip keinen absolut zwingenden Vorrang vor der Privatautonomie hat.207 Warum punktuell dieser Vorrang bei § 139 BGB, der schließlich auch einen Parteiwillen voraussetzt, greifen soll, bei § 158 BGB indes nicht, erscheint widersprüchlich. Gleichwohl müssen, lässt man die Verbindung grundsätzlich zu, ganz besondere Umstände und konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die für eine Zusammen-

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gegen und für § 888 ZPO Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 183, unter Hinweis auf die Höchstpersönlichkeit des Aufhebungsvertrages. Allerdings greift § 894 ZPO auch für höchstpersönliche Erklärungen ein, vgl. Kießling, in: Saenger, 9. Aufl. 2021, § 894 ZPO Rn. 3; Seiler, in: T homas/Putzo, 42. Aufl. 2021, § 894 ZPO Rn. 5a. Der nur zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien geschlossen werden kann, Muscheler, in: Groll/Steiner, (Fn. 2), § 18, Rn. 18.178. Zur Berechnung des konkreten Wertes kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Vgl. im Einzelnen Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.133; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 184; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 153. BGH, 25.1.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415, 417; BGH, 26.10.1990 – V ZR 22/89, BGHZ 112, 376, 378; Busche, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 139 BGB Rn. 20; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 139 BGB Rn. 7; Jakl, in: BeckOGK-BGB 2021, § 139 BGB Rn. 110; Weidlich, in: Grüneberg (Fn. 36), § 2346 BGB Rn. 10; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 139 BGB Rn. 9 ff., je m.w.N. Arnold, in: Erman (Fn. 42), § 139 BGB Rn. 14; Inkmann (Fn. 5), 186; Mansel, in: Jauernig, 18. Aufl. 2021, § 139 BGB Rn. 3; Roth, in: Staudinger, 16. Aufl. 2020, § 139 BGB Rn. 54 f.; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 151; von Proff, DNotZ 2017, 84, 86 f. S. Fn. 204. Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 139 BGB Rn. 7; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 139 BGB Rn. 9. Insbesondere ist auch der Erb- und Pflichtteilsverzicht nicht bedingungsfeindlich, Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.13; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 153 ff.; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 13. Ähnlich Jakl, in: BeckOGK-BGB (Fn. 203), § 139 BGB Rn. 110 f.

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fassung sprechen.208 Hiernach genüge es jedenfalls zur Annahme einer Verbindung nicht, wenn lediglich ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, sodass es typischerweise nicht ausreiche, wenn beide Geschäfte in einer Urkunde zusammengefasst seien.209 In Konflikt mit diesem Erfordernis gerät die zuweilen getroffene Feststellung, bei der Aufnahme von Verzicht und Abfindungsvereinbarung in einer Urkunde spreche eine tatsächlich Vermutung für den Parteiwillen, beide Geschäfte sollten miteinander stehen und fallen.210 Dies ist vor dem Hintergrund der Bedeutung des Abstraktionsprinzips und im Kontext der sonstigen Rechtsprechung nicht überzeugend. Man wird die Aufnahme in dieselbe Urkunde daher lediglich als ein Indiz für den Parteiwillen heranziehen können,211 zu dem noch weitere, ganz konkrete Anhaltspunkte hinzukommen müssen.

IV. Zwischenergebnis: Zurückhaltende Überprüfung durch die Rechtsprechung Festzuhalten ist, dass die Gerichte bei der Überprüfung von Erb- und Pflichtteilsverzichten anhand des § 138 Abs. 1 BGB recht zurückhaltend agieren. Das zeigt sich schon an der nur geringen Zahl von Entscheidungen zu diesem T hemenkomplex. Bemerkenswert ist, dass diese Entscheidungen zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit eine Gesamtbetrachtung der Verfügungs- und der Verpflichtungsebene vornehmen. Dabei lässt sich ein bunter Strauß an Kriterien ausmachen, die als Indizien gegebenenfalls kumulativ zur Umstandssittenwidrigkeit führen. Dazu gehören sich inhaltlich auswirkende Dominanz eines Vertragsteils und Überrumpelungs- und Drucksituationen. Der Sittenwidrigkeitsgefahr lässt sich durch gewissenhafte, transparente und ergebnisoffene212 Aus208

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Das ist Konsens unter den Befürwortern der grundsätzlichen Möglichkeit der Verbindung, vgl. nur Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 139 BGB Rn. 8; Jakl, in: BeckOGK-BGB (Fn. 203), § 139 BGB Rn. 106; Weidlich, in: Grüneberg (Fn. 36), § 2346 BGB Rn. 10; Wendtland, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 139 BGB Rn. 10 f. Auch die Rechtsprechung betont den Ausnahmecharakter, BGH, 25.1.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415, 417; BGH, 26.10.1990 – V ZR 22/89, BGHZ 112, 376, 378; BGH, 8.4.1988 – V ZR 120/87, NJW 1988, 2364; OLG Düsseldorf, 20.12.2013 – I-7 153/12, ZEV 2014, 265, 265 f. BGH, 20.1.1989 – V ZR 181/87, NJW-RR 1989, 519; OLG Düsseldorf, 20.12.2013 – I-7 153/12, ZEV 2014, 265, 365 f.; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 139 BGB Rn. 8; Jakl, in: BeckOGK-BGB (Fn. 203), § 139 BGB Rn. 106. OLG Hamm, 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576, 577; Everts, in: BeckOGK-BGB (Fn. 203), § 2346 BGB Rn. 43; Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 47; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI, (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 30 m.w.N. So auch BGH, 2.2.1967 – III ZR 193/64, NJW 1967, 1128, 1130; OLG Bamberg, 30.1.1998 – 4 W 5/98, BeckRS 1998, 30832513; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 139 BGB Rn. 8; Weidlich, in: Grüneberg, (Fn. 36), § 2346 BGB Rn. 10. A.A. zum Indizcharakter von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 37; ders., DNotZ 2017, 84, 87 f. Von Proff, ZEV 2017, 301, 303.

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gestaltung des notariellen Verfahrens entgegenwirken, sie lässt sich indes nicht mit absoluter Sicherheit bannen.213 Ihre Zurückhaltung geben die Gerichte allerdings dann auf, wenn bei besonders jungen Verzichtenden aufgrund der Gesamtumstände der Eindruck entsteht, die Verzichtenden seien sprichwörtlich „über den Tisch gezogen worden“. Damit ist ein gewisses Störgefühl angesprochen, dass in Einzelfällen als Motivation der Gerichte ausgemacht werden kann. So gewinnt man beim OLG Hamm den Eindruck, man habe ein unbilliges Ergebnis auf „Teufel komm raus“ verhindern wollen und sei hierfür über den Hebel der Sittenwidrigkeit gegangen. Dieses Unbehagen folgt aus der im Falle von Pflichtteilsverzichten typischerweise vorliegenden Situation, in der ein junger unerfahrener Verzichtender einem älteren erfahreneren Erblasser gegenübersteht und in der daher schon strukturell ein Ungleichgewicht zumindest angelegt ist. Dieses ist mit der Konstellation zwischen Verbrauchern und Unternehmen zu vergleichen, wobei die Rechtsordnung nur hier Schutzmechanismen vorsieht.214 Besondere Schutzinstrumente für einen strukturell unterlegenen Verzichtenden existieren unterdessen nicht. Das kann als „Schutzlücke“ wahrgenommen werden.

C. Erbrechtliches Überrumpelungsverbot? I. Übertragung der Grundsätze der Inhaltskontrolle bei Eheverträgen 1. Wirksamkeitskontrolle + Ausübungskontrolle = Inhaltskontrolle Lange Zeit wurde diskutiert, ob die durch das BVerfG und den BGH entwickelte215 Inhaltskontrolle von Eheverträgen auf Pflichtteilsverzichte übertragen werden kann, um eine solche Schutzlücke zu schließen. Bei der Beurteilung von Eheverträgen ist bekanntlich zweistufig vorzugehen: Auf eine Wirksamkeitskontrolle anhand des § 138 Abs. 1 BGB folgt auf zweiter Stufe eine Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB.216 Bei der Wirksamkeitskontrolle ist zu bewerten, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Schei213 214

215 216

Vgl. zu einem Gestaltungsvorschlag für ein sichereres Verfahren Becker/Hendricks, RFamU 2022, 23, 28 ff. Nicht umsonst schlägt Röthel, AcP 212 (2012), 158, 199 f.; dies., NJW 2012, 337, 341; die Einführung eines Widerrufsrechtes – immerhin, neben Informationspflichten, das Verbraucherschutzinstrument im BGB – für Erb- und Pflichtteilsverzichte vor. Darüber hinaus fordert etwa Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 760, Aufklärungspflichten. Auch solche sind im Verbraucherrecht Mittel der Wahl. S.o. Fn. 8. Grundlegend BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81, 94 ff.

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dungsfall führt, dass ihr wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise zu versagen ist.217 Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig erst in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts (sog. Kernbereichslehre) ganz oder zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder gerechtfertigt wird.218 Dadurch soll verhindert werden, dass durch die Disponibilität des Scheidungsfolgenrechts deren Zweck beliebig unterlaufen wird.219 Der BGH geht in seiner Rechtsprechung schon bei der Beurteilung auf Ebene der Wirksamkeitskontrolle anhand § 138 Abs. 1 BGB zweigeteilt vor. Ausgangspunkt ist die dargestellte Kernbereichslehre. Einerseits können schon einzelne Regelungen in einem Ehevertrag isoliert betrachtet diesen sittenwidrig erscheinen lassen, andererseits kann aber auch eine Gesamtbetrachtung aller in dem Vertrag befindlichen Regelungen das Verdikt objektiver Sittenwidrigkeit begründen.220 Zunächst erfolgt mithin eine inhaltliche Betrachtung des Vertragswerkes. Erforderlich ist ferner subjektive Sittenwidrigkeit. Auf die erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten könne bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen geschlossen werden, „wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt.“221 Dazu bedarf es verstärkender, außerhalb der Urkunde liegender Umstände, die die Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit nahelegen.222 Diese Kriterien erinnern – mit Ausnahme vom Bezug zum Kernbereich – an die oben herausgestellten Kriterien, auf die die Rechtsprechung bereits im Rahmen der Prüfung einer Umstandssittenwidrigkeit abstellt.223 Erst wenn die Vereinbarung der Wirksamkeitskontrolle standhält, ist zu prüfen, ob und inwieweit es einem Ehegatten nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs verwehrt ist, sich auf eine ihn begünstigende 217 218 219 220 221 222 223

BGH, 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101, 1102; BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81, 100. BGH, 27.5.2020 – XII ZB 447/19, NJW 2020, 3243, 3245; BGH, 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101, 1102. BGH, 27.5.2020 – XII ZB 447/19, NJW 2020, 3243, 3245; BGH, 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101, 1102; BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81, 96 ff. BGH, 27.5.2020 – XII ZB 447/19, NJW 2020, 3243, 3245 f. BGH, 20.3.2019 – XII ZB 310/18, BGHZ 221, 308, Rn. 42. BGH, 27.5.2020 – XII ZB 447/19, NJW 2020, 3243, 3246; BGH, 20.3.2019 – XII ZB 310/18, BGHZ 221, 308, Rn. 42. S.o. B. II. 2. b).

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Regelung zu berufen.224 Dabei kommt es im Gegensatz zur Wirksamkeitskontrolle nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, sondern auf den Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe.225 Rechtsfolge eines Scheiterns der vertraglichen Regelung an der Ausübungskontrolle ist nicht Nichtigkeit des Vertrages, sondern die Anordnung einer Rechtsfolge, die der eingetretenen Situation ausgewogen Rechnung trägt, wobei diese sich je näher an der gesetzlichen Regelung orientieren soll, desto zentraler die Rechtsfolge im Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts angeordnet ist.226

2. Keine Ausübungskontrolle beim Erb- und Pflichtteilsverzicht Im Ausgangspunkt sei zunächst klargestellt, was eine Übertragung der Inhaltskontrolle konkret zur Folge hätte, würde man sie bejahen: Die Kontrolldichte bezüglich Erb- und Pflichtteilsverzichten würde erhöht, weil zur Wirksamkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB, eine weitere, zweite Prüfung käme, nämlich die Ausübungskontrolle. Da niemand ernstlich die grundsätzliche Überprüfbarkeit von Erb- und Pflichtteilsverzichten sowie deren Kausalgeschäften anhand des § 138 Abs. 1 BGB bezweifelt, lässt sich die Übertragungsfrage konkretisieren: Ist bei Erb- und Pflichtteilsverzichten eine Ausübungskontrolle anhand des § 242 BGB vorzunehmen? Das ist mit der heute herrschenden Meinung abzulehnen.227 Denn Erb- und Pflichtteilsverzichte einerseits und Eheverträge andererseits unterscheiden sich grundlegend voneinander.228 Dient das Scheidungsfolgenrecht vorwiegend dem Zweck, ehebedingte Nachteile auszugleichen, „die ein Ehegatte um der Ehe oder der Kindererziehung willen in Bezug auf berufliches Fortkommen, den Aufbau einer Altersversorgung und den Aufbau von Vermögen in Kauf nimmt“229, hat das Erbrecht allgemein und das Pflichtteilsrecht

224 225 226 227

228 229

BGH, 27.5.2020 – XII ZB 447/19, NJW 2020, 3243, 3247; BGH, 20.6.2018 – XII ZB 84/17, NJW 2018, 2871, 2872; BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81, 100 f. BGH, 20.6.2018 – XII ZB 84/17, NJW 2018, 2871, 2872. BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81, 101. S. nur LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 594; Bengel, ZEV 2006, 192, 196; Horn, ZEV 2010, 295, 297; Lange, ErbR 2017, 397, 398; Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 32; Münch, ZEV 2008, 571, 576; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.197 ff.; ders., in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1083; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 197; Simon, in: Erman (Fn. 42), Vorbemerkung vor § 2346 BGB Rn. 15; von Proff, ZEV 2017, 301; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 6; Weidlich, in: Grüneberg (Fn. 36), § 2346 BGB Rn. 17; ders., NotBZ 2009, 149, 159. A.A. Dutta, AcP 209 (2009), 761, 799 ff.; Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 744; Röthel, AcP 212 (2012), 158, 190 ff.; dies., NJW 2012, 337, 338 ff.; Wachter, ZErb 2004, 306, 243 ff. Differenzierend Schulz (Fn. 8), 141 ff., der eine Übertragung bei der Abwälzung familienbedingter Nachteile durch den Verzicht befürwortet, den so definierten Anwendungsbereich aber selbst zu Recht als „relativ schmal“ bezeichnet, 163. Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 197. Weidlich, NotBZ 2009, 149, 158.

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speziell eine solche Unterhaltsfunktion nicht,230 oder jedenfalls nicht vordergründig.231 Insbesondere spricht gegen eine Ausübungskontrolle beim Erb- und Pflichtteilsverzicht ferner dessen Charakter als aleatorisches Geschäft,232 weil die Ausübungskontrolle als maßgeblichen Zeitpunkt beim Erb- und Pflichtteilsverzicht auf den Zeitpunkt des Erbfalls abstellen müsste.233 Würde in diesem Zeitpunkt eine an der Entwicklung der Umstände bis zum Erbfall ansetzende Ausübungskontrolle eines isolierten Pflichtteilsverzichts oder des Verpflichtungsgeschäfts stattfinden, bliebe vom Risikocharakter nichts übrig.234 Dahingegen haben Eheverträge keinen Wagnischarakter.235 Zuletzt wird in der Diskussion häufig auf die Kernbereichslehre Bezug genommen. Zwar ist diese auf beiden Stufen der Inhaltskontrolle bedeutsam. Letztlich ist sie aber eine Hilfestellung bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit auf Stufe der Wirksamkeitskontrolle. Sie lässt ich in diesem Zusammenhang als von der allgemeineren Bewertung anhand Inhalt, Zweck und Beweggrund abweichender, konkreterer Prüfungsmaßstab speziell für Eheverträge begreifen. Fragen lässt sich dabei, ob das Pflichtteilsrecht einerseits zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts und andererseits zum Kernbereich des Erbrechts zu zählen ist. Beides ist nicht der Fall. Der Entfall des Pflichtteilsrecht im und gegebenenfalls vor dem Scheidungsfall, § 1933 BGB, verdeutlicht, dass schon nach gesetzgeberischer Wertung dem Pflichtteil im Rahmen der Scheidungsfolgen keine Bedeutung mehr zukommen soll.236 Gegen die Einordnung des Pflichtteils in den Kernbereich des Erbrechts spricht bereits die Debatte vor Einfüh230 231 232 233

234

235 236

Münch, ZEV 2008, 571, 573 ff.; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.196; ders., in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1086 f.; Schulz (Fn. 8), 130; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 158 f. LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 594; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 39. S.o. Fn. 72. Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.198; ders., in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1089. Allein aufgrund dieses Zeitpunktes scheidet eine Ausübungskontrolle bei einem – einen Pflichtteilsverzicht umfassenden – Erbverzicht auf der Verfügungsebene aus: Eine Anpassung auf dieser Ebene kann nicht mehr vorgenommen werden, weil mit dem Erbfall die Notwendigkeit von Rechtssicherheit einer Aufhebung des Erbverzichts entgegensteht, Muscheler, in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1088 m.w.N. Denkbar wäre bloß eine Anpassung des Kausalgeschäfts. Eingehend Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.199; ders., in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1089. Mit dem Risikocharakter argumentieren weitere Stimmen gegen die Ausübungskontrolle, s. nur LG Nürnberg-Fürth, 23.3.2018 – 6 O 6494/17, ZEV 2018, 593, 594; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 197; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 70; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 39; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 159. A.A. Schulz (Fn. 8), 152 ff. Muscheler, in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1089. Bengel, ZEV 2006, 192, 196; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.194c; ders., in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1085; von Proff, in: NK-PflichtteilsR (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 66 f.; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 39.

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rung des BGB, in der versucht wurde, eine Kodifikation des Pflichtteilsrechts zu verhindern.237 Ließe man sich auf einen Vergleich zwischen Scheidungsfolgenrecht und Erbrecht ein, so entspräche das Pflichtteilsrecht als einmalige Vermögensteilhabe am ehesten dem Zugewinnausgleichsanspruch, § 1378 Abs. 1 BGB, der auf der letzten Stufe der Kernbereichslehre anzusiedeln ist.238 Bei einmaligen Teilhaberechten ist die Kontrolldichte niedriger als bei wiederkehrenden in Gestalt von Unterhaltsansprüchen. Zwar mag man noch argumentieren, dass dem Erbrecht ohnehin eine einmalige Teilhabe zugrunde liegt, die sich mit dem Erbfall realisiert. Allerdings fällt der Nachlass den Erben dauerhaft zu, sodass statt wiederkehrender Teilhabe dauerhafter Nutzen die Regel ist. Daher wäre das Pflichtteilsrecht nicht dem Kernbereich des Erbrechts zuzuordnen, selbst wenn man eine Kernbereichslehre im Erbrecht konstruieren wollte. Soweit gegen das Argument, die Kernbereichslehre sei im Erbrecht ohne Gegenstück, eingewandt wird, dem ließe sich begegnen, indem die Kontrolle der quantitativen Abweichung der Vereinbarung vom dispositiven Recht durch eine Prüfung der Gründe für den Pflichtteilsverzicht ersetzt wird,239 kann das nicht überzeugen. Denn das würde das Verhältnis von Privatautonomie zu ihren Einschränkungen umkehren. Die Ausübung von der durch die Privatautonomie eingeräumten Rechte bedarf keiner vorhergehenden Rechtfertigung.240

3. Zwischenergebnis Mithin muss es bei einer Wirksamkeitskontrolle anhand des § 138 Abs. 1 BGB mittels der oben dargestellten allgemeineren Leitlinien bleiben und muss eine darüberhinausgehende Inhaltskontrolle ausscheiden.241 Freilich ergeben sich Parallelen in der Prüfung. So ähneln bereits jetzt die Leitlinien der Wirksamkeitskontrolle bei Eheverträgen denjenigen, die die Rechtsprechung in ähnlicher Weise bei Pflichtteilverzichten anlegt – mit dem Unterschied, dass eine Kernbereichssystematisierung im Erbrecht bisher richtigerweise nicht stattfindet. Ähn237 238 239 240

241

Insgesamt dazu Muscheler, in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1084. BGH, 11.2.2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81, 98 f. Röthel, AcP 212 (2012), 158, 194 ff.; dies., NJW 2012, 337, 339 f. S. schon oben Fn. 60. Vgl. darüber hinaus im Kontext erbrechtlicher Verzichte Schulz (Fn. 8), 84 ff., der infolge historischer Betrachtung zum Ergebnis kommt, dass solche Verzichte nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nur vor dem Hintergrund eines besonderen Familieninteresses erfolgen können sollten. Er schließt daraus letztlich, dass eine „teilhabebezogene Inhaltskontrolle“ dreistufig erfolgen müsse: (1) Missverhältnis zwischen fiktivem Pflichtteilsanspruch und gewährter Abfindung, (2) Fehlen eines berechtigten Interesses für die geringe Beteiligung, (3) Eingeschränkte oder fehlende Selbstbestimmung des Verzichtenden, ders. (Fn. 8), 172 ff. So Im Ergebnis je auch Litzenburger, in: BeckOK BGB (Fn. 3), § 2346 BGB Rn. 32; Muscheler, in: Groll/Steiner (Fn. 2), § 18, Rn. 18.197; ders., in: FS Spiegelberger (Fn. 72), 1079, 1092; Schotten, in: Staudinger (Fn. 32), § 2346 BGB Rn. 197; Wegerhoff, in: MüKo BGB XI (Fn. 14), § 2346 BGB Rn. 6; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 159; für Ausnahmefälle von Proff, ZEV 2017, 301, 306.

Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichtsverträgen 69

lichkeit ist dabei besonders bei der Umstandssittenwidrigkeit festzustellen, bei der die Rechtsprechung zu Pflichtteilsverzichten aufgrund einer Gesamtschau überprüft, ob sich die Überlegenheit eines Teils inhaltlich im Vertrag niedergeschlagen hat und ob das aufgrund außerhalb des Vertrags liegender Umstände auf eine verwerfliche Gesinnung schließen lässt. Eine weitere Annäherung ist nicht ausgeschlossen, zumal sich die Rechtsprechung vom Ausgangspunkt der Umstandssittenwidrigkeit (Inhalt, Zweck, Motive) schon einigermaßen entfernt hat. Der Gedanke der Kernbereichslehre kann für Pflichtteilsverzichte nicht fruchtbar gemacht werden. Eine weitergehende Ausübungskontrolle anhand des § 242 BGB ist nicht angezeigt. Eine Beseitigung verbleibender Störgefühle auf diesem Wege ist dogmatisch nicht möglich.

II. Ausblick: Das Gebot fairen Verhandelns als erbrechtliches Überrumpelungsverbot? Ausgehend vom Vorgenannten soll im Folgenden eine weitere Möglichkeit umrissen werden, mit der die verbleibenden Störgefühle zwar nicht vollständig beseitigt werden können, die aber die Prüfungsdichte erhöht und ausdifferenziert. Wie gezeigt bestehen Störgefühle aufgrund des Fehlens besonderer Schutzmechanismen für (strukturell) unterlegende Verzichtende aufgrund eines schwer fassbaren familiären Näheverhältnisses und der daraus resultierenden Gefahr einer Übervorteilung. Es bietet sich nach dem oben Gesagten an, nicht an den Vertragsinhalt anzuknüpfen, sondern an das Verhalten, das zum Vertragsschluss geführt hat.242 Statt der Prüfung anhand des § 138 Abs. 1 BGB könnte ein Anspruch des Verzichtenden auf Vertragslösung aus §§ 280 Abs. 1 S. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo, c.i.c.) zugesprochen werden. Ein Fundament für dieses Vorgehen bietet die (neuere arbeitsrechtliche)243 Rechtsprechung, die ein Gebot fairen Verhandelns anerkennt.244

1. Das Gebot fairen Verhandelns in seiner durch das BAG konturierten Ausprägung Obgleich das Gebot fairen Verhandelns durchaus im allgemeinen Zivilrecht bereits diskutiert wurde,245 ist es durch ein neueres BAG-Urteil nunmehr auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung angekommen. Es soll hiernach ein 242 243 244

245

So für Verzichte auch der Vorschlag von Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 757 ff. Zur Entwicklung Kamanabrou, RdA 2020, 201, 202 ff. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 31 ff. Zuweilen auch: Verbot unfairen Verhandelns, Heinkel, ZTR 2020, 261, 266; Reinecke, in: FS Düwell 2011, 410; Schmidt, AP BGB § 620, Nr. 50. Exemplarisch Reinecke, in: FS Düwell (Fn. 244), 410 ff.

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Instrument darstellen, mit dem einer möglichen Überrumpelungsgefahr eines Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen begegnet werden kann und als Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB hergeleitet werden.246 Das Gebot schützt unterhalb der Schwelle der §§ 105, 123 ff. BGB247 die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen.248 Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns könne es darstellen, wenn eine Verhandlungssituation herbeigeführt oder ausgenutzt werde, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstelle.249 Weil der Interessenschutz des § 241 Abs. 2 BGB nach ausdrücklichem Willen des Gesetzgebers auch die Entscheidungsfreiheit des Verhandlungspartners umfasse,250 liege eine solche unfaire Behandlung insbesondere dann vor, wenn die Entscheidungsfreiheit in zu missbilligender Weise beeinflusst wird.251 Gerade in der vorkonsensualen Phase könne so unzulässige Fremdbestimmung verhindert werden.252 Das BAG macht ganz deutlich, dass nicht der Inhalt des Rechtsgeschäfts Anknüpfungspunkt ist, sondern es bezieht sich „auf den Weg zum Vertragsschluss“253. Erforderlich für ein den Anforderungen des Gebots fairen Verhandelns genügendes Verfahren sei keinesfalls eine besonders angenehme Verhandlungssituation, sondern ein Mindestmaß an Fairness.254 Dieses sei nicht mehr gegeben, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder unmöglich macht, etwa indem besonders unangenehme Rahmenbedingungen geschaffen werden.255 In Betracht komme daneben die Ausnutzung erkennbarer körper-

246

247

248

249 250 251 252 253 254 255

BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 31 m.w.N. Zustimmend etwa Bachmann/ Ponßen, NJW 2019, 1966, 1970; Schmidt, AP BGB § 620, Nr. 50. Kritisch gegen das Gebot fairen Verhandelns als eigene Fallgruppe von Nebenpflichten exemplarisch Kamanabrou, RdA 2020, 201, 210; Sutschet, in: BeckOK BGB, (Fn. 3), § 311 BGB Rn. 59a ff. Damit liegt es, folgt man der hM zum Verhältnis von § 123 BGB und § 138 BGB, auch unterhalb der Schwelle der Sittenwidrigkeit, weil für eine Anwendung des § 138 BGB neben § 123 BGB über die Anforderungen aus § 123 BGB hinausgehende Umstände vorliegen müssen, vgl. schon oben B. II. 2. a). BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 32. Es knüpft so an die Rechtsfigur des undue influence aus dem englischen und angloamerikanischen Recht an, dazu im Überblick Giesing, Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge, 2008, 219 ff. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34; Giesing (Fn. 248), 229. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34; Giesing (Fn. 248), 214; je bezugnehmend auf BT-Drs. 14/6040, 126, 163. Dagegen Kamanabrou, RdA 2020, 201, 204. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34; Lorenz, JZ 1997, 277, 281 f.; T hüsing, RdA 2005, 257, 268 f. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 42; Zimmer, JZ 2019, 897, 899; ders., NJW 2017, 513, 516. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34, unter Verweis auf Reinecke, in: FS Düwell (Fn. 247), 410. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34; Lorenz, JZ 1997, 277, 282.

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licher oder psychischer Schwächen sowie die Ausnutzung eines Überraschungsmoments, wobei es aber auf die konkrete Situation im Einzelfall ankomme.256 Abzugrenzen sei von bloßer Vertragsreue.257 Hauptanwendungsfall sind bisher arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge.258

2. Anwendung in Pflichtteilsverzichtskonstellationen Womit ließe sich nun eine Anwendung auch im Bereich von Pflichtteilsverzichten rechtfertigen? Zunächst steht im Vordergrund das Bestreben, einen weitergehenden Schutz der Selbstbestimmung in solchen Fällen zu schaffen, in denen zum einen keine besonderen Schutzvorschriften existieren und in denen zum anderen tendenziell ein Machtungleichgewicht herrscht. Dass beides beim Erb- und Pflichtteilsverzicht typischerweise der Fall ist, wenn junge Erwachsene ihren Eltern gegenüber verzichten,259 haben obige Ausführungen gezeigt. Eine breite Anwendung des Gebots fairen Verhandelns nicht nur im Arbeitsrecht, sondern darüber hinaus im Erbrecht, ja vielleicht im gesamten bürgerlichen Recht, böte die Chance, eine „Richtschnur für eine möglichst einheitliche Kontrolle“260 für Fälle ausgenutzter struktureller Unterlegenheit zu entwickeln. Für eine breite Anwendung im Zivilrecht streitet zunächst die dogmatische Herleitung, denn das BAG knüpft an keine arbeitsrechtlichen Sondervorschriften, sondern an allgemeine Grundnormen des BGB an.261 Zwar mögen bei der Anwendung auf Aufhebungsverträge die Herleitung des notwendigen Schuldverhältnisses und das Heranziehen der Treuepflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis,262 um den Pflichtenkatalog zu konkretisieren, besonders gut möglich sein. Aber auch jenseits dessen sind die Voraussetzungen durchaus erfüllbar. Schließlich stellt das Gebot fairen Verhandelns lediglich ein besonderes Pflichtenprogramm auf, das im Rahmen einer Prüfung eines Anspruchs aus c.i.c. bei der Pflichtverletzung zu prüfen ist. Zur Begründung eines (vorvertraglichen) Schuldverhältnisses – auch ohne im Hintergrund bereits wirkendes Dauerschuldverhältnis263 – kann ohne Weiteres auf § 311 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden, der gleichzeitig den prüfungsrelevanten Abschnitt des Weges, 256

257 258 259 260 261 262 263

BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34. Giesing (Fn. 248), 222 ff., stellt exemplarisch einige Faktoren zur Beurteilung dar. Ausführlich Kamanabrou, RdA 2020, 201, 206 ff. Eine abschließende Kasuistik zu entwickeln, dürfte unmöglich sein, so Heinkel, ZTR 2020, 261, 266 f. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 34. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 31. Zimmer, JZ 2019, 897, 899 f. Zimmer, JZ 2019, 897, 900. Fischinger, NZA 2019, 729, 734 f.; Plum, MDR 2020, 69, Rn. 6 ff. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 31. Heinkel, ZTR 2020, 261, 265 f.

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der zum Vertragsschluss geführt hat, angemessen verkürzen kann. Notwendig sind ansonsten Vertretenmüssen und der Nachweis eines Schadens.264 Gerade beim Verzicht auf den Kindespflichtteil ist in diesem Kontext zu beachten, dass zwar zwischen den Beteiligten kein Dauerschuldverhältnis besteht, die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern allerdings gleichwohl normativ durch Art. 6 GG und § 1618a BGB geprägt ist.265 So bestehen zwar keine besonderen, schuldrechtlichen Treuepflichten. Gleichwohl folgt ein besonderes Vertrauensverhältnis aus der familiären Nähebeziehung.266 Zeichnet man die bestehenden Schutzinstrumente gegen unzulässige Beeinflussungen der Entscheidungsfreiheit nach und berücksichtigt ergänzend das Gebot fairen Verhandelns ergäbe sich eine dreistufige Absicherung: Auf der – gemessen an der Intensität der Beeinflussung – untersten Stufe stünde das Gebot fairen Verhandelns, darüber § 123 BGB und wiederum darüber § 138 BGB. Soweit man einwenden könnte, dass dadurch die Voraussetzungen des § 123 BGB unterlaufen würden,267 ist dem entgegenzuhalten, dass dies der gesetzgeberischen Intention bei Einführung des § 241 Abs. 2 BGB entspricht, der als Interesse im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB ausdrücklich die Entscheidungsfreiheit geschützt wissen wollte.268 Abgemildert wird dies durch das Erfordernis eines Vermögensschadens,269 der für § 123 BGB absolut irrelevant ist. Zudem wäre auch unter Anerkennung dieses Weges eine Beseitigung des Rechtsgeschäfts nicht zeitlich unbegrenzt möglich, unterliegt der Anspruch doch der Regelverjährungsfrist, §§ 195, 199 BGB.270 Darüber hinaus ist ohnehin anerkannt, dass § 123 BGB mit c.i.c.-Ansprüchen konkurriert.271

264 265 266 267

268 269

270 271

Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Schadens wird auf den Inhalt des Vertrages zu blicken sein, vgl. T hüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, 9. Aufl. 2020, § 123 BGB Rn. 46 f. Vgl. dazu eingehend Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 759 ff. Zimmer, NJW 2017, 513, 516 f. Anders noch Fischinger, NZA 2019, 729, 730 f., der für den Fall des BAG für eine Lösung über § 138 BGB plädiert und befürchtet, eine Kontrolle am Gebot fairen Verhandelns könnte zu einer „light-version“ der §§ 104 ff., 119 ff., 138 BGB mutieren. Dagegen Schmidt, AP BGB § 620, Nr. 50. Auch Kamanabrou, RdA 2020, 201, 206, lehnt eine grundsätzliche Sperrwirkung der §§ 123, 138 BGB ab und weist auf notwendige Grenzziehung hin. Vgl. dort m.w.N. zur Annahme einer Sperrwirkung in der Lit. S.o. Fn. 250. Zweifel, ob diese Aussage den Schluss des BAG trägt, äußert Fischinger, NZA 2019, 729, 730. Giesing (Fn. 248), 214, 231 ff., unter Berufung auf Canaris, JZ 2001, 499, 519, dort Fn. 183. Vgl. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 123 BGB Rn. 104; im Einzelnen Feldmann, in: Staudinger, 17. Aufl. 2018, § 311 BGB Rn. 176 ff.; Heinkel, ZTR 2020, 261, 267 f.; Plum, MDR 2020, 69, Rn. 21 f., m.w.N. zu den (weiten) Erfordernissen der Rechtsprechung. Grundlegend BGH, 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302 ff. Giesing (Fn. 248), 232; Heinkel, ZTR 2020, 261, 268. Zu beachten ist gerade beim Pflichtteilsverzicht § 207 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 BGB. Armbrüster, in: MüKo BGB I (Fn. 41), § 123 BGB Rn. 103 f.; Ellenberger, in: Grüneberg (Fn. 36), § 123 BGB Rn. 27; Heinkel, ZTR 2020, 261, 268 m.w.N.

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Speziell bei Pflichtteilsverzichten hat die Verallgemeinerung Charme: Durch den Fokus auf den Weg zum Rechtsgeschäft vermeidet die Vorgehensweise mit der c.i.c. den – der postulierten Wertneutralität von Verfügungsgeschäften geschuldeten – „Umweg“ über die Umstandssittenwidrigkeit und die Gesamtbetrachtung des Verfügungsgeschäfts mit seinem Verpflichtungsgeschäft. Zudem sind sowohl Aufhebungsvertrag als auch Pflichtteilsverzicht Verfügungsgeschäfte,272 die vom Gesetz grundsätzlich abfindungslos vorgesehen sind, was weiter für eine Anwendung jedenfalls auf Pflichtteilsverzichte spricht. Im Gegensatz zur ehevertraglichen Ausübungskontrolle wäre das Ganze auch nicht auf eine ex post Kontrolle nach den veränderten Umständen gerichtet, sondern auf eine Überprüfung anhand der „Vorgeschichte“ des Vertragsschlusses. Die Argumente gegen die Ausübungskontrolle273 schließen die Berücksichtigung des Gebots fairen Verhandelns daher nicht aus. Wesentlicher Unterschied zwischen Aufhebungsvertrag und Erb- sowie Pflichtteilsverzicht ist die notwendige Beteiligung eines Notars bei Letzteren. Dies spricht aber nicht gegen eine Verallgemeinerung, weil die Einschaltung eines Notars nicht zwingend vor Überrumpelung schützt.274 So verbleiben trotz Einschaltung eines Notars mögliche Schutzlücken.275 Gerade die Einbeziehung eines Notars kann aber der überlegenen Partei dabei „helfen“, das Gebot fairen Verhandelns einzuhalten.276 Auf Rechtsfolgenseite gilt es indes nach zu justieren.277 So stellte das BAG in seinem Urteil fest, dass ein Vertrag, der unter Verletzung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen sei, im Regelfall unwirksam sei.278 Dies war zu Recht einer der Hauptkritikpunkte der Literatur bei der Rezeption des Urteils.279 Die Rechtsfolgen sollten sich näher an der Systematik der §§ 249 ff. BGB bewegen. Statt ipso iure Unwirksamkeit des Vertrages hieße das, dass der Schadensersatzpflichtige den Zustand wiederherzustellen hat, der ohne den zum Ersatz verpflichtenden Umstand bestünde, § 249 Abs. 1 BGB.280 Für Fälle von 272 273 274 275 276

277 278 279 280

Für den Aufhebungsvertrag umstritten, vgl. aber Glahe, Die Rückabwicklung arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge, 2018, 32 ff., 152. S.o. C. I. 2. So auch Zimmer, NJW 2017, 513, 516 f. Eingehend Lettmaier, AcP 218 (2018), 724, 758. Ähnlich Zimmer, NJW 2017, 513, 516 f. Eben dadurch, dass dieser darauf achtet, das Verfahren fair zu gestalten und sensibel auf das geforderte Mindestmaß an Fairness hinwirkt. Das gelingt etwa durch Verfahrensgestaltung wie unter B. II. 2. c). beschrieben. Das hat selbstverständlich die Grenzen des Möglichen, da der Notar zur einen begrenzten zeitlichen Wegabschnitt wahrnehmen kann. Vgl. ausführlicher Becker/Hendricks, RFamU 2022, 23, 28 ff. Zimmer, JZ 2019, 897, 900. BAG, 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, BAGE 165, 315, Rn. 35 ff.; weiter eingehend Heinkel, ZTR 2020, 261, 267 f. Fischinger, NZA 2019, 729, 732 ff.; Holler, NJW 2019, 2206, 2210; Kamanabrou, RdA 2020, 201, 210; Schmidt, AP BGB § 620, Nr. 50; Schwarze, JA 2019, 789, 791. So auch Fischinger, NZA 2019, 729, 733; Kamanabrou, RdA 2020, 201, 210.

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Erb- und Pflichtteilsverzichten liefe das auf einen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages hinaus, § 2351 BGB. Soweit dies nicht mehr möglich ist, ist nach § 251 Abs. 1 BGB Geldkompensation zu leisten. Zuzugeben ist allerdings, dass dadurch für eine Übergangszeit, in der die Rechtsprechung die Anforderungen des neuen Gebots ausdifferenzieren müsste, nicht viel an Rechtssicherheit gewonnen wäre.281 Die Notwendigkeit einer Konkretisierung durch die Rechtsprechung darf daher nicht ausgeblendet werden. Denkbar ist eine Orientierung an Fallgruppen.282

D. Fazit Gezeigt hat sich, dass die Rechtsprechung bei der Beurteilung von Pflichtteilsverzichten durchaus Zurückhaltung übt und diese nur in besonderen Ausnahmefällen aufgibt. Dann greift sie auf eine Prüfung des Vertragswerkes anhand eines bunten Indizienstraußes zurück, in deren Rahmen sämtliche Umstände des Vertragsschlusses herangezogen werden. Die Grenzen, die Trennungs- und Abstraktionsprinzip einer Gesamtbetrachtung ziehen, verschwimmen dabei mitunter. Insbesondere, wenn § 139 BGB auf das Verhältnis von Verfügungsund Verpflichtungsgeschäft angewandt wird, ohne das Vorliegen seiner Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen. Aus gestaltender Sicht lässt sich das Sittenwidrigkeitsrisiko nicht endgültig ausschließen, wohl aber durch faire Ausgestaltung des Beurkundungsverfahrens minimieren. Teil eines solchen sollte ein Vorbesprechungstermin mit sämtlichen Beteiligten sein, damit eine Überrumpelung vermieden wird. Auch eine Bedenkfrist von wenigstens 14 Tagen sollte eingeräumt werden, während der Verzichtende den ihm zugesandten Entwurf mit ausgesuchten Beratern besprechen kann – so er das denn wünscht. Zudem sollten die Vermögensverhältnisse wahrheitsgetreu thematisiert werden, allein schon um die wirtschaftliche Bedeutung des Verzichts vor Augen zu führen. Wenn eine Abfindung vorgesehen werden soll, geht derjenige sicher, der diese an dem wahrheitsmäßig berechneten fiktiven Pflichtteilsanspruch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausrichtet. Im Falle unentgeltlicher Verzichte kann es angezeigt sein, die Motive der Verzichtenden hierzu näher zu beleuchten und diese ausdrücklich – neben der sonstigen Verfahrensgestaltung – in die Urkunde mit aufzunehmen. Während eine Übertragung der Grundsätze der ehevertraglichen Inhaltskontrolle auf Pflichtteilsverzichte ausgeschlossen ist, könnte sich in Zukunft durch die Entwicklungen um das Gebot fairen Verhandelns eine weitere Kon281 282

Mit dieser Begründung ablehnend Inkmann (Fn. 5), 211 ff. Optimistischer Zimmer, JZ 2019, 897, 900. Schmidt, AP BGB § 620, Nr. 50, auf Lorenz, JZ 1997, 277, 282, bezugnehmend. Ähnlich Bachmann/Ponßen, NJW 2019, 1966, 1970.

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trollstufe im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit unterhalb der althergebrachten §§ 123, 138 BGB ergeben. Ob sich der BGH dem BAG anschließen wird und dem Gebot fairen Verhandelns im allgemeinen Zivilrecht mehr Bedeutung zumisst, bleibt dabei genauso abzuwarten, wie eine inhaltliche Konkretisierung der sich aus diesem ergebenden Pflichten. Die Gefahr, die für Pflichtteilsverzichte durch dieses neue Gebot begründet wird, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Umgekehrt würde aber auch der Schutz, der der Entscheidungsfreiheit zukommt, ausdifferenziert. Insgesamt dürfte in der Zwischenzeit derjenige auf der sicheren Seite sein, der das Verfahren schon den strengeren Anforderungen aus § 138 BGB entsprechend gestaltet.

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Maximilian Freiherr von Proff zu Irnich*

Verträge über den Pflichtteilsanspruch: Erlass, Abtretung A. Zäsurfunktion des Erbfalls 1. Vor dem Erbfall Vor dem Erbfall (§ 1922 Abs. 1 BGB) steht den Eltern, dem Ehepartner und den Kindern des potentiellen künftigen Erblassers noch kein Pflichtteilsanspruch i.S. eines Zahlungsanspruchs gegen den Erblasser zu. Das Gesetz erlaubt gleichwohl schon in diesem Stadium in eng umgrenzten Konstellationen, den „Pflichtteil“ (§ 2346, § 311b Abs. 5 S. 1 BGB) zum Gegenstand von Rechtsgeschäften zu machen: – dem Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 5 S. 1 BGB) – und dem Erbschaftsvertrag (§ 311b Abs. 5 S. 1 BGB). Nach der Rechtsprechung des BGH soll das in § 311b Abs. 4 BGB angeordnete Verbot von Verträgen über den Nachlass eines noch lebenden Dritten in erster Linie verhindern, dass auf der einen Seite aus Leichtsinn Vermögen verschleudert und auf der anderen Seite solcher Leichtsinn ausgebeutet wird.1 Schon die Bibel thematisiert derartige Verträge und die ihnen innenwohnende Gefahr, wenn sie erzählt, dass Jakob, der jüngere Sohn Isaaks, seinem älteren Bruder Esau dessen Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht abkaufte, als Esau erschöpft von der Jagd heimkehrte.2 Es handelt sich dabei um besondere, auf den „Pflichtteil“ als Vertragsgegenstand zugeschnittene Rechtsgeschäfte; ihre gesetzliche Verankerung macht zugleich deutlich, dass der Pflichtteil als solcher (vor dem Erbfall) grds. nicht geeigneter *

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Der Beitrag beruht auf einem Vortrag am 18.6.2021, den der Verfasser auf dem 11. Bochumer Erbrechtssymposium der Hereditare – Wissenschaftliche Gesellschaft für Erbrecht e.V. gehalten hat. BGH v. 25.10.1995, IV ZR 83/95, DNotZ 1997, 122, 124; v. 23.11.1994, IV ZR 238/93, NJW 1995, 448 = ZEV 1995, 142 m. Anm. T hode = DNotZ 1996, 763, 765; vgl. schon Mot. II 184; BGH v. 5.2.1958, IV ZR 274/57, BGHZ 26, 320, 324 f. = NJW 1958, 705 f.; v. 4.7.1962, V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, 323; Staudinger/Schumacher, BGB, 17. Aufl. 2017, § 311b IV und V Rn. 2; Limmer in: Reimann/Bengel/Mayer, 7. Aufl. 2020, A 426. Genesis 25, 29–34.

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Gegenstand der allgemeinen Rechtsinstitute, v.a. des Erlasses (§ 397 Abs. 1 BGB) und der Abtretung (§ 398 BGB) ist. Gegenstand dieser beiden Rechtsgeschäfte (Pflichtteilsverzicht, Erbschaftsvertrag) ist das Pflichtteilsrecht, d.h. die bloße Chance, (erst) mit dem Tod des (vom Verzichtenden zu überlebenden) Erblassers den schuldrechtlichen Pflichtteilsanspruch zu erwerben, nicht dagegen ein Anwartschaftsrecht oder der künftige Pflichtteilsanspruch.3 Diese Verträge können nur zu Lebzeiten des Erblassers geschlossen werden: – Der Erb- oder Pflichtteilsverzicht kann nur zu Lebzeiten des Erblassers mit diesem höchstpersönlich vereinbart werden (§ 2347 Abs. 2 S. 1 Hs. 1).4 – Der Erbschaftsvertrag (§ 311b Abs. 5 S. 1 BGB) kann ohne („unter künftigen gesetzlichen Erben“), darf aber auch mit (formeller) Beteiligung des Erblassers5 geschlossen werden.6 Beide Vertragstypen bedürfen der notariellen Beurkundung (§ 2348 BGB bzw. § 311b Abs. 5 S. 2 BGB). In beiden Fällen soll die in § 2348 vorgeschriebene notarielle Beurkundung eine sachkundige unparteiische Beratung und Belehrung gewährleisten (Schutzfunktion), vor übereiltem Handeln bewahren (Warnfunktion) und Abschluss sowie Inhalt des Verzichts belegen (Beweisfunktion).7

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BeckOK BGB/Litzenburger, 1.11.2021, § 2346 Rn. 2; Mayer, MittBayNot 1997, 85, 86; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 7 IV 1; FAKomm-ErbR/Tschichoflos, 6. Aufl. 2015, § 2346 Rn. 2; RG v. 28.1.1907, 276/06 IV, JW 1907, 167, 168 („Hoffnung“). A.A. v. Lübtow, Erbrecht, Bd. I, 1971, 524 („gegenwärtige, im objektiven Recht begründete Anwartschaft“). Demgegenüber bezeichnet der „Verzicht auf einen Pflichtteil“ in §§ 1643 Abs. 2 S. 1, 1822 Nr. 2 (sprachlich unpräzise) den Verzicht auf den mit dem Erbfall entstandenen (§ 2317 Abs. 1) Pflichtteilsanspruch, setzt damit den Tod des Erblassers voraus und ist in Wirklichkeit ein Erlassvertrag (§ 397) über den entstandenen Pflichtteilsanspruch. Ab 1.1.2023 (Art. 16 Abs. 1 Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 4.5.2021, BGBl. 2021 I, 882) gelten insofern § 1851 Nr. 1 BGB, ggf. i.V.m. § 1643 Abs. 1 bzw. i.V.m. § 1799 Abs. 1 BGB. Diese sind präziser formuliert: dort ist von der Genehmigungspflicht durch das Betreuungs- bzw. Familiengericht für den „Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs“ des Betreuten bzw. Minderjährigen die Rede. Die notarielle Beurkundungsform ist auch in diesem Fall einzuhalten, vgl. BGH v. 23.11.1994, IV ZR 238/93, NJW 1995, 448 = ZEV 1995, 142 m. Anm. T hode = DNotZ 1996, 763, 766; Staudinger/Schumacher, BGB, 17. Aufl. 2017, § 311b IV und V Rn. 23; Limmer, DNotZ 1998, 927, 940. Zur Geltung des § 311b Abs. 5 BGB nur für Verträge zu Lebzeiten des Erblassers vgl. LG Stralsund v. 7.4.2011, 6 O 203/10, BeckRS 2011, 21332 unter I.2.a. der Gründe; Erman/Grziwotz, 16. Aufl. 2020, § 311b Rn. 96. Für § 2348 BGB vgl. Staudinger/Schotten, BGB, 2016, § 2348 Rn. 2; Bamberger/Roth/J. Mayer, BGB, 3. Aufl. 2012, § 2348 Rn. 1; MüKoBGB/Wegerhoff, 5 Aufl. 2010, § 2348 Rn. 1; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 150. Für § 311b Abs. 5 BGB vgl. BGH v. 23.11.1994, IV ZR 238/93, NJW 1995, 448 = ZEV 1995, 142 m. Anm. T hode = DNotZ 1996, 763, 766.

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II. Nach dem Erbfall Mit dem Erbfall entsteht der „Anspruch auf den Pflichtteil“ (= „Pflichtteilsanspruch“ iSd § 852 Abs. 1 ZPO), § 2317 Abs. 1 BGB. Er ist vererblich und übertragbar, § 2317 Abs. 2 BGB. Er kann somit Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, insbesondere einer Abtretung (§ 398 BGB) oder eines Erlasses8 (§ 397 Abs. 1 BGB). Der Pflichtteilsanspruch ist jedoch im Interesse der persönlichen Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten nur beschränkt pfändbar: er ist der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist, § 852 Abs. 1 ZPO. Da der Erblasser definitionsgemäß tot ist, ist Vertragspartner stets eine andere Person. Beim Erlass ist Schuldner der Erbe und Verzichtender der Pflichtteilsberechtigte (vom Sonderfall der vorherigen Abtretung oder Legalzession abgesehen). Bei der Abtretung ist Zedent der Pflichtteilsberechtigte und Zessionar ein Dritter.

B. Der Erlass des Pflichtteilsanspruchs I. Kausalgeschäft Der Erlass ist ein abstrakter Verfügungsvertrag.9 Um kondiktionsfest zu sein, bedarf er grds. eines Rechtsgrundes.10 Fragen wir näher nach dem Kausalgeschäft. Naheliegend ist es zumeist, von einem Vergleich (§ 779 BGB) oder einer Schenkung (§ 516 Abs. 1 BGB) auszugehen. Wird die Schenkung nicht nach § 517 BGB ausgeschlossen? Nach § 517 Var. 2 BGB liegt eine Schenkung nicht vor, wenn jemand zum Vorteil eines anderen auf ein angefallenes, noch nicht endgültig erworbenes Recht verzichtet. Erst recht liegt keine Schenkung vor, wenn jemand zum Vorteil eines anderen einen Vermögenserwerb unterlässt, § 517 Var. 1 BGB. Hierunter fällt der Pflichtteilsverzicht (§ 2346 BGB) zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten.11 Daher liegt ihm auch keine Schenkung zu Grunde. Der Pflichtteilsverzicht hindert nämlich den Pflichtteilsanspruch am Entstehen.12 Der Erlass des Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des betreffenden Erblassers fällt jedoch nicht unter § 517 BGB.13 Denn mit dem Erbfall ist der Pflichtteilsanspruch entstanden (§ 2317 Abs. 1 BGB). § 517 BGB setzt aber ein noch nicht entstandenes Recht voraus. 8 9 10 11 12 13

KG v. 5.6.1975, 12 U 195/75, OLGZ 1976, 193; v. 26.2.1973, 12 U 2463/72, OLGZ 1974, 263, 266; LG Deggendorf v. 19.9.2019, 32 O 779/18, BeckRS 2019, 31855 = ErbR 2020, 205 Rn. 16. BeckOGK/Paffenholz, 1.1.2020, BGB § 397 Rn. 8. BeckOGK/Paffenholz, 1.1.2020, BGB § 397 Rn. 12. BeckOGK/Harke, 1.4.2021, BGB § 517 Rn. 8. Vgl. Staudinger/Schotten, BGB, 2016, Einl. zu §§ 2346 ff. Rn. 14; Keller, ZEV 2005, 229, 232. Muscheler, ZEV 2005, 119 f.

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II. Formfragen Der Erlassvertrag über den Pflichtteilsanspruch kann formfrei geschlossen werden.14 Dies gilt auch dann, wenn das zugrunde liegende Kausalgeschäft formbedürftig ist. Ein schenkweiser Erlass bedarf daher nicht der Form des § 518 Abs. 1 BGB. Eine Form ist nur erforderlich, wenn der schenkweise Erlass erst versprochen ist. Meist werden Grundgeschäft und Erlass uno acto vereinbart. Mit Abschluss des Erlassvertrages tritt Heilung (§ 518 Abs. 2 BGB) ein.15 Da ein Erlass des Pflichtteilsanspruchs formfrei möglich ist, kann er sogar mündlich und konkludent zu Stande kommen. Verglichen mit der Rechtslage vor dem Erbfall (vgl. oben I.1.) ist dies ein bemerkenswertes Gefälle in den gesetzlichen Formanforderungen: notarielle Beurkundung als strengste bürgerlich-rechtliche Form vor dem Erbfall (§ 2348 BGB) gegenüber völliger Formfreiheit nach dem Erbfall. Die Beurkundungspflicht des Pflichtteilsverzichts (§ 2348 BGB) rechtfertigt sich v.a. aus seiner Schutzfunktion für den Verzichtenden: vor dem Erbfall ist der Pflichtteil wirtschaftlich betrachtet noch nicht greifbar. Der Verzichtende kann, von den Ausnahmefällen des Verzichts am Sterbebett einmal abgesehen, nicht ausschließen, dass er vor dem Erblasser stirbt. Erst recht kann er nicht einschätzen, wann ihm wie viel Pflichtteil dereinst zustehen wird. Hierin kommt der Wagnischarakter des Pflichtteilsverzichts zum Ausdruck.16 Wenn ihm seine Eltern ansinnen, auf eine derartige völlig ungewisse bloße Chance zu verzichten, mag mancher Pflichtteilsberechtigter bereitwillig dem Wunsch der Familie entsprechen. Ob man hierin ein Rationalitätsdefizit erkennen soll17, soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden.18 Jedenfalls dürfte die Vorstellung des Verzichtenden, nur etwas in ungewisser Zukunft Liegendes aufzugeben, seine Bereitschaft zum Verzicht fördern. Dieser Aspekt begründet die Schutzfunktion der notariellen Beurkundungspflicht für den Pflichtteilsverzicht (§ 2348 BGB). Versetzen wir uns nun in die Lage nach dem Erbfall. Hier ist die Situation aus Sicht des Pflichtteilsberechtigten grundlegend anders. Der Nachlass steht in seinem Bestand und Wert konkret fest. Der Pflichtteilsanspruch kann auf Euro und Cent beziffert werden. Zwar wird der Pflichtteilsberechtigte dazu nicht selten selbst außer Stande sein. Enterbt wird meist, wer wenig Kontakt zum Erb14 15 16

17 18

KG v. 5.6.1975, 12 U 195/75¸ OLGZ 1976, 193; LG Deggendorf v. 19.9.2019, 32 O 779/18, BeckRS 2019, 31855 = ErbR 2020, 205 Rn. 16. BeckOGK/Paffenholz, 1.1.2020, BGB § 397 Rn. 15. Für den Verzichtenden ist in der Regel nicht vorhersehbar, ob er im Zeitpunkt des Erbfalls noch Sozialleistungen empfängt oder nicht mehr. Daher ist der Verzicht auch dann nicht sittenwidrig, wenn der Verzichtende Sozialleistungen bezieht; vgl. Ls.G Bayern v. 30.7.2015, L 8 SO 146/15 B ER, BeckRS 2015, 71493 Rn. 17; SG Stuttgart v. 8.3.2012, S 15 AS 925/12 ER, NotBZ 2012, 398 unter II.2. der Gründe. OLG Hamm v. 8.11.2016, 10 U 36/15, MittBayNot 2018, 54 m. Anm. Andrissek; Röthel, AcP 212 (2012), 157, 190 ff. Näher zu diesem Aspekt v. Proff, ZEV 2017, 301 f.

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lasser hat und daher zwangsläufig dessen Vermögen nicht, jedenfalls nicht im Detail kennt. Jedoch hat es der Pflichtteilsberechtigte selbst in der Hand, dass diese Unkenntnis nur vorübergehender Natur ist. § 2314 BGB gibt dem Pflichtteilsberechtigten weitreichende Auskunftsansprüche gegen den oder die Erben an die Hand. Er kann Auskunft über den Bestand und Wert des Nachlasses durch privates oder notarielles Nachlassverzeichnis verlangen (§ 2314 Abs. 1 BGB) und dabei darauf bestehen, hinzugezogen zu werden. Die Kosten fallen dem Nachlass zur Last (§ 2314 Abs. 2 BGB) und treffen somit den Pflichtteilsberechtigten wirtschaftlich nur quotal. Wenn der Pflichtteilsberechtigte in dieser Situation dem Erben seinen Pflichtteilsanspruch erlassen will, weiß er oder kann es jedenfalls ermitteln (lassen), worauf er konkret verzichtet. Und er gibt einen fälligen Anspruch auf, also eine gegenwärtige bezifferbare Zahlungsforderung. Hier wird er in sich vermutlich eine deutlich höhere Hemmschwelle zum Erlass verspüren, als vor dem Erbfall. Auch wird nach dem Erbfall der potentielle Druck aus der Familie auf Aufgabe des Anspruchs nicht selten erheblich geringer sein, da gerade der Familienpatriarch nicht mehr am Leben ist. Dies lässt den Verzicht des Gesetzes auf jedwedes Formerfordernis für den Erlass des Pflichtteilsanspruchs legitim erscheinen.

III. Strenge Anforderungen der Rechtsprechung an das Zustandekommen Freilich sind mit einem Erlass einschneidende Konsequenzen verbunden, geht doch die Forderung endgültig verloren. Dies gilt bei jedem Erlass, nicht nur speziell hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass ein Gläubiger nicht ohne Weiteres auf seine Forderungen verzichtet.19 Das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrags muss daher nach der Rechtsprechung unmissverständlich erklärt werden.20 Der Verzichtswillen darf nicht vermutet werden. An seine Feststellung sind vielmehr strenge Anforderungen zu stellen.21 Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind.22 Speziell beim Pflichtteilsanspruch wird man im Einzelfall besonderes Augenmerk darauf zu richten haben, ob der Pflichtteilsberechtigte wirklich seinen

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BeckOGK/Paffenholz, 1.1.2020, BGB § 397 Rn. 1. BGH v. 3.6.2008, XI ZR 353/07, NJW 2008, 2842 Rn. 20; v. 10.5.2001, VII ZR 356/00, NJW 2001, 2325 („Erlassfalle“); ausführlich BeckOGK/Paffenholz, 1.1.2020, BGB § 397 Rn. 56 ff. BGH v. 3.6.2008, XI ZR 353/07, NJW 2008, 2842 Rn. 20; v. 7.3.2006, VI ZR 54/05, NJW 2006, 1511, 1512 Rn. 10. LG Deggendorf v. 19.9.2019, 32 O 779/18, BeckRS 2019, 31855 = ErbR 2020, 205 Rn. 17.

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Anspruch aufgeben will23, wenn er z.B. am Rande der Trauerfeier mündlich äußert, nichts vom Erbe haben zu wollen. Derartige Äußerungen können bisweilen ohne Rechtsbindungswillen aus Pietätsgefühl und in der Absicht, den Familienfrieden für die Zeit der Trauer unter dem Eindruck des Verlusts des Angehörigen (Erblassers) nicht zu stören, dahingesagt sein. In einer älteren Entscheidung hat das KG freilich einen mündlichen Erlassvertrag am Tage der Trauerfeier bejaht.24 Die Erblasserin hinterließ einen Pflegesohn, den sie testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt hatte, und ihre 88 Jahre alte Mutter. Letztere erklärte am Tage der Trauerfeier für die Erblasserin Anfang Mai 1973 nach dem Verlesen des Testaments und der Aufklärung über ihren Pflichtteil sowohl gegen 19 Uhr im Büro eines Zeugen als auch gegen 21 Uhr in der Wohnung der Erblasserin mündlich, dass sie außer ein paar Kleinigkeiten zum Andenken an ihre Tochter ohnehin nichts aus dem Nachlass ihrer Tochter haben wolle. Sie hat sich einige Sachen aus dem Nachlass in der Wohnung der Erblasserin herausgesucht und mitgenommen. Hierbei hat sie nochmals gesagt, dass sie neben diesen Kleinigkeiten nichts weiter aus dem Nachlass haben wolle. Sie hat damit aus Sicht des KG den Erlass des Pflichtteilsanspruchs angeboten (§ 397 Abs. 1 BGB). Das LG Deggendorf hat ebenfalls einen mündlichen Erlass kürzlich unter umfangreicher Beweiswürdigung angenommen.25 Mit dem Tod seiner zweiten Ehefrau wurde deren Ehemann und die gemeinsame Tochter gesetzliche Erben. Die Erblasserin hatte mit im Notarvertrag erklärter Zustimmung ihres Ehemannes elf Monate vor ihrem Tod ein Hausgrundstück, das ihr wesentliches Vermögen darstellte, auf die Tochter übertragen. Nach dem Erbfall erklärte der Witwer seiner Tochter gegenüber mündlich, „dass er zwar formal der Erbe sein möge, dennoch aber nichts von der Klägerin haben wolle.“ Ihr solle alles, was das Hausgrundstück betrifft, gehören. Das LG Deggendorf hat in dieser Erklärung ein Angebot auf Erlass von Pflichtteilsergänzungsansprüchen im Hinblick auf die Immobilie erblickt.

C. Abtretung des Pflichtteilsanspruchs Die Abtretung ist, wie der Erlass ein abstraktes Verfügungsgeschäft zwischen Zedent und Zessionar.26 Die Abtretung ist daher von dem zu Grunde liegenden Kausalgeschäft zu unterscheiden.

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Vgl. LG Deggendorf v. 19.9.2019, 32 O 779/18, BeckRS 2019, 31855 = ErbR 2020, 205; KG v. 5.6.1975, 12 U 195/75, OLGZ 1976, 193; v. 26.2.1973, 12 U 2463/72, OLGZ 1974, 263. KG v. 5.6.1975, 12 U 195/75, OLGZ 1976, 193. LG Deggendorf v. 19.9.2019, 32 O 779/18, BeckRS 2019, 31855 = ErbR 2020, 205. Vgl. BeckOGK/Lieder, 1.4.2021, BGB § 398 Rn. 2.

Verträge über den Pflichtteilsanspruch: Erlass, Abtretung 83

Die Abtretung unterliegt grds. keiner Form.27 Die Abtretung bedarf nach einhelliger Auffassung insbesondere auch dann keiner besonderen Form, wenn das Kausalgeschäft formbedürftig ist, wie z.B. der Schenkungsvertrag gem. § 518 BGB.28

D. Besonderheiten bei Sozialleistungsempfängern, v.a. Übergang und Überleitung des Pflichtteilsanspruchs auf Sozialleistungsträger Besonderheiten sind zu beachten, wenn der Pflichtteilsberechtigte Sozialleistungen bezieht, nämlich Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) oder Sozialhilfe.

I. Einführung Seit 1.1.2005 ist Grundform der staatlichen steuer- und nicht beitragsfinanzierten Sozialleistungen nicht mehr die Sozialhilfe (SGB XII), sondern das Arbeitslosengeld II (ALG II, frühere Arbeitslosenhilfe) (vgl. § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dieses wird allen erwerbsfähigen (§ 8 SGB II) Hilfebedürftigen (v.a. Langzeitarbeitslosen) im Alter zwischen 15 und 65 Jahren (beim Höchstalter schrittweise Anhebung um zunächst einen, später zwei Monate beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1947 auf zuletzt 67 Jahre ab Geburtsjahrgang 1964, vgl. § 7a SGB II) für die eigene Person und zur Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) gehörende Personen gewährt. Sozialhilfe erhalten dagegen insbesondere erwerbsunfähige Behinderte und Personen im Alter. Eine besondere Form der Sozialhilfe ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Diese für Dauerbezieher von Sozialhilfe konzipierte Sozialleistung wird nach § 41 Abs. 1 S. 1 Älteren (ab 65 Jahren; schrittweise Anhebung um zunächst einen, später zwei Monate beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1947 auf zuletzt 67 Jahre ab Geburtsjahrgang 1964, vgl. § 41 Abs. 2 SGB XII) und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen gewährt, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen beschaffen können. Daneben besteht noch die gegenüber der Sozialhilfe subsidiäre (§ 5 Abs. 2 SGB II) Sonderform des Sozialgelds nach § 23 SGB II, welches nicht erwerbsfähigen Angehörigen gewährt wird, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben. Das gesamte Sozialhilferecht wird vom Nachranggrundsatz geprägt. So erhält gem. § 2 Abs. 1 SGB XII Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner 27 28

Vgl. BeckOGK/Lieder, 1.4.2021, BGB § 398 Rn. 89. BGHZ 89, 41 = NJW 1984, 973; RG JW 1916, S.37 Nr. 3; BeckOGK/Lieder, 1.4.2021, BGB § 398 Rn. 90.

84 Maximilian Freiherr von Proff zu Irnich

Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Auch ALG II wird grundsätzlich nur nachrangig gewährt. So setzt § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II voraus, dass der Leistungsberechtigte hilfebedürftig ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

II. Nachrang Bevor ALG II bzw. Sozialhilfe gewährt wird, ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen – mit Ausnahme des Schonvermögens – und Einkommen einzusetzen (§ 12 Abs. 1 SGB II, § 90 Abs. 1 SGB XII). Eine Erbschaft ist dann Vermögen, wenn der Erbfall vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist; ist der Erbfall später eingetreten, wird sie zum Einkommen gezählt.29 Entsprechendes muss für den mit dem Erbfall entstandenen (§ 2317 Abs. 1 BGB) Pflichtteilsanspruch eines Leistungsempfängers gelten.30 Im Einzelfall kann er jedoch u.U. (vorübergehend) nicht verwertbar sein, etwa wenn nach § 2338 BGB für den Pflichtteilsberechtigten Testamentsvollstreckung angeordnet ist31 (Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht) oder soweit die Voraussetzungen einer Pflichtteilsstundung (§ 2331a BGB – etwaige Ratenzahlungen sind anzurechnen!) erfüllt sind oder der Erbe zur zeitnahen Erfüllung des Pflichtteils außerstande ist, weil der Nachlass nicht aus kurzfristig verfügbaren Barmitteln, sondern aus schwer verwertbarem Vermögen besteht und auch kein flüssiges Eigenvermögen vorhanden ist (vgl. § 9 Abs. 4 SGB II, § 90 Abs. 3 SGB XII).32 Allerdings wird in derartigen Fällen ALG II bzw. Sozialhilfe regelmäßig nur darlehensweise gewährt (vgl. § 24 Abs. 5 SGB II, § 91 SGB XII). Zudem muss der Pflichtteilsanspruch realisiert oder in absehbarer Zeit realisierbar sein, weil er „als bereites

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BSG v. 29.4.2015, B 14 AS 10/14 R, FamRZ 2015, 1494 Rn. 29; v. 17.2.2015, B 14 KG 1/14 R, ZEV 2015, 484; v. 25.1.2012, B 14 AS 101/11 R, BeckRS 2012, 69664. Vgl. Ls.G Nordrhein-Westfalen v. 11.6.2015 – L 9 SO 410/14 B, BeckRS 2015, 69695; BGH v. 8.12.2004, IV ZR 233/03, NJW-RR 2005, 369 = ZEV 2005, 117; BGH v. 19.10.2005, IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223 = ZEV 2006, 76; VGH Mannheim v. 8.6.1993, 6 S 1068/92, NJW 1993, 2953, 2955; Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 33 Rn. 32. Zur u.U. fehlenden Verwertbarkeit im Falle von Dauertestamentsvollstreckung vgl. BSG v. 17.2.2015, B 14 KG 1/14 R, ZEV 2015, 484. Vgl. zur fehlenden Verwertbarkeit BVerwG v. 25.6.2015, 5 C 12.14, BeckRS 2015, 52169; LG Kassel v. 17.10.2013, 3 T 342/13, ZEV 2014, 104, 106 m. Anm. Wirich; Ls.G Hamburg v. 13.9.2012, L 4 AS 167/10, BeckRS 2012, 73564.

Verträge über den Pflichtteilsanspruch: Erlass, Abtretung 85

Mittel zur Verfügung stehen“ muss.33 Hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet, gibt der Testamentsvollstrecker jedoch dem Leistungsempfänger Nachlassgegenstände zur eigenen Verfügung frei, so stehen sie als bereite Mittel zur Verfügung.34

III. Übergang bzw. Überleitung des Pflichtteilsanspruchs auf den Sozialleistungsträger Bezieht der Pflichtteilsberechtigte ALG II und ist der Erbfall bereits eingetreten, der Pflichtteilsanspruch mithin entstanden (§ 2317 Abs. 1 BGB), geht dieser kraft Gesetzes und ohne, dass eine Überleitungsanzeige erforderlich wäre, auf den Leistungsträger über (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB II).35 Der Übergang ist auf die Höhe der vom Leistungsträger erbrachten Aufwendungen begrenzt. Anders als ein vor dem Erbfall vereinbarter Pflichtteilsverzicht ist ein nach dem Erbfall geschlossener Erlassvertrag zwischen dem Leistungsbezieher und dem Erben (§ 397 BGB) dann im Umfang des Übergangs schon mangels Forderungsinhaberschaft und unabhängig von § 138 BGB unwirksam.36 Demgegenüber findet bei der Sozialhilfe kein Übergang kraft Gesetzes statt. Vielmehr bewirkt erst die schriftliche Überleitungsanzeige, dass der Pflichtteilsanspruch auf den Träger in der Höhe der von ihm seit dem Erbfall erbrachten37 Sozialleistungen übergeht (§ 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII).38 Weil auch unpfändbare Ansprüche auf den Leistungsträger übergehen (§ 33 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII), soll der Leistungsträger nach zwei BGH-Entscheidungen aus den Jahren 2004 und 2005 den Pflichtteils(ergänzungs)anspruch auch dann durchsetzen können, wenn die lediglich für andere Gläubiger geltenden einschränkenden Pfändungsvoraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO (vertragliche Anerkennung oder Rechtshängigkeit) nicht gegeben sind (Privilegierung des Leistungsträgers).39 33 34 35 36

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Vgl. BSG v. 17.2.2015, B 14 KG 1/14 R, ZEV 2015, 484 Rn. 21; Doering-Striening, ErbR 2016, 10, 12. Ls.G Niedersachsen-Bremen v. 13.11.2014, L 15 AS 457/12, ZEV 2015, 291; VG Berlin v. 5.11.2014, VG 80 K 46.11 OL, BeckRS 2015, 40310; Doering-Striening, ErbR 2016, 10, 12 ff. Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 33 Rn. 22; Schneider, ZEV 2018, 68, 69; Doering-Striening/Horn, NJW 2013, 1276. Vgl. Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 33 Rn. 22; hinsichtlich der Rechtswahrungsanzeige nach altem Sozialhilferecht offenlassend BGH v. 17.9.1986, IVb ZR 59/85, NJW 1987, 1546. AG Mannheim v. 10.7.2009, Go 2 XVII 1717/92 BtPrax 2009, 255 = FamRZ 2010, 69 Rn. 12; OLG Frankfurt v. 7.10.2003, 14 U 233/02, ZEV 2004, 24 = RNotZ 2004, 164. AG Mannheim v. 10.7.2009, Go 2 XVII 1717/92 BtPrax 2009, 255 = FamRZ 2010, 69 Rn. 12; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 459. BGH v. 8.12.2004, IV ZR 233/03, NJW-RR 2005, 369 = ZEV 2005, 117; BGH v. 19.10.2005, IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223 = ZEV 2006, 76; OLG Frankfurt v. 7.10.2003, 14 U 233/02, ZEV 2004, 24 = RNotZ 2004, 164; AG Mannheim v. 10.7.2009, Go 2 XVII 1717/92 BtPrax 2009, 255 = FamRZ 2010, 69 Rn. 16: Überleitung wirksam unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil überhaupt geltend macht; van de Loo, NJW 1990,

86 Maximilian Freiherr von Proff zu Irnich

Die in § 93 Abs. 2 SGB XII angeordnete Rückwirkung führt dazu, dass der Leistungsempfänger seine Forderungsinhaberschaft am entstandenen Pflichtteilsanspruch für die Zukunft, nicht jedoch rückwirkend, verliert, so dass eine vorherige Verfügung dem Sozialhilfeträger gegenüber grundsätzlich wirksam ist.40

IV. Erlass des Pflichtteils durch einen Sozialleistungsempfänger Erlässt er dem Erben die mit dem Erbfall entstandene (§ 2317 Abs. 1 BGB) Pflichtteilsschuld (§ 397 BGB) in der Absicht, seine Hilfebedürftigkeit herbeizuführen oder zu vertiefen, zieht dies jedoch die Absenkung bzw. (falls dem Obliegenheitsverstöße vorangegangen sind) den Wegfall des ALG II (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) bzw. die unbefristete Einschränkung der Sozialhilfe auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche41 (§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII) nach sich. Diese Sanktionen dürften nach ihrem Wortlaut („in der Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung herbeizuführen“) schon zu einem Zeitpunkt greifen, in dem die betreffende Person noch kein ALG II bzw. Sozialhilfe bezieht.42 Die nur für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geltende ausdrückliche Regelung in § 41 Abs. 4 SGB XII – danach hat keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wer in den letzten 10 Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat43 – erlaubt insofern für das ALG II und die Sozialhilfe keinen Gegenschluss. Der Erlassvertrag (§ 397 BGB) über die bereits entstandene (§ 2317 Abs. 1 BGB) Pflichtteilsschuld ist in derartigen Fällen nach Teilen der Rechtsprechung zudem regelmäßig nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig (Handeln zulasten der Sozialträger).44 Ob diese Rechtsprechung nach der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 201145 noch Bestand haben kann, ist indes zweifelhaft.46 Ob die BGH-Rechtsprechung zum Verzicht auf nachehelichen Unterhalt zulas-

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2852, 2856. A.A. BayObLG v. 18.9.2003, 3Z BR 167/03, NJW-RR 2004, 1157; Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, (2002), 235; ders., ZEV 2005, 119. Gerenkamp in: Mergler/Zink, SGB XII, 53. Aufl. 2021, § 93 Rn. 40. „Das zum Lebensbedarf Unerlässliche“ wird zwischen 70 % (VGH München v. 26.11.1993, 12 CE 93.3058, FEVS 45, 102, 105 = NVwZ-RR 1994, 398; v. 5.11.1991, 12 B 91.219, FEVS 42, 405, 410 = NVwZ-RR 1993, 501) und 80 % (Ls.G BW v. 29.1.2007, L 7 SO 5672/06; OVG Bremen v. 19.2.1988, 2 B 17/88, FEVS 37, 471) des jeweiligen Regelsatzes angesiedelt. Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31 Rn. 73. Hierunter soll der im Scheidungsverfahren zulasten des Leistungsbeziehers vereinbarte Verzicht auf nachehelichen Unterhalt fallen; vgl. Karmanski in: Jahn, SGB XII, 341. Aufl. 2021, § 41 Rn. 69; a.A. in: LPK-GSiG/Schoch, (2003), § 2 Rn. 96. VGH Mannheim v. 8.6.1993, 6 S 1068/92, NJW 1993, 2953, 2955. OLG Stuttgart v. 25.6.2001, 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 = ZEV 2002, 367, 369 m. Anm. J. Mayer; OLG Frankfurt v. 22.6.2004, 20 W 332/03, FamRZ 2005, 60; Muscheler, ZEV 2005, 119, 120. BGH v. 19.1.2011, IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96. Vgl. Wendt, ErbR 2012, 66, 78.

Verträge über den Pflichtteilsanspruch: Erlass, Abtretung 87

ten des Sozialträgers auf den Erlass des entstandenen Pflichtteils zu übertragen ist, ist ungeklärt und nicht zweifelsfrei. Diese Rechtsprechung nimmt Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) an, wenn der verzichtende Ehegatte und spätere Leistungsbezieher bereits bei Vertragsschluss oder aufgrund des Verzichts seinen eigenen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen oder Vermögen nicht decken kann und staatlicher Sozialleistungen bedarf (objektiver Tatbestand); in subjektiver Hinsicht müssen sich die Beteiligten zudem des objektiven Tatbestandes bewusst gewesen sein oder diesen jedenfalls grob fahrlässig verkannt haben; dieses subjektive Tatbestandsmerkmal vermutet die BGH-Rechtsprechung, so dass es praktisch keine Hürde darstellt, zumal nicht erforderlich ist, dass die Beteiligten die Schädigung des Sozialleistungsträgers beabsichtigen.47 Gegen eine Übertragung dieser Grundsätze auf den Erlass des entstandenen Pflichtteils spricht die vom BGH anerkannte „´negative Erbfreiheit´“. Dem Erlassvertrag kann jedoch eine Schenkung (§ 516 BGB) zu Grunde liegen.48 In diesem Fall geht der Anspruch aus § 528 auf den Leistungsträger über.49

E. Zusammenfassung Der Erbfall setzt rechtlich eine deutliche Zäsur. Vor dem Erbfall steht den Eltern, dem Ehepartner und den Kindern des potentiellen künftigen Erblassers noch kein Pflichtteilsanspruch i.S. eines Zahlungsanspruchs gegen den Erblasser zu. Sie haben nur ein Pflichtteilsrecht, eine bloße Chance, (erst) mit dem Tod des (vom Verzichtenden zu überlebenden) Erblassers den schuldrechtlichen Pflichtteilsanspruch zu erwerben. Der Pflichtteil kann zum Gegenstand des Pflichtteilsverzichts (§ 2346 Abs. 5 S. 1 BGB) und des Erbschaftsvertrags (§ 311b Abs. 5 S. 1 BGB) gemacht werden. Diese Verträge können nur zu Lebzeiten des Erblassers und nur in notariell beurkundeter Form geschlossen worden; letztere hat nicht nur Beweis-, sondern auch Schutz- sowie Warnfunktion. Mit dem Erbfall entsteht der „Anspruch auf den Pflichtteil“ (= „Pflichtteilsanspruch“ iSd § 852 Abs. 1 ZPO), § 2317 Abs. 1 BGB. Er ist vererblich und übertragbar, § 2317 Abs. 2 BGB. Er kann somit Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, insbesondere einer Abtretung (§ 398 BGB) oder eines Erlasses (§ 397 Abs. 1 BGB). Der Erlass ist formfrei und ein abstrakter Verfügungsvertrag. Um kondiktionsfest zu sein, bedarf er grds. eines Rechtsgrundes. Meist wird dies ein Vergleich (§ 779 BGB) oder eine Schenkung (§ 516 Abs. 1 BGB) sein. Da ein Gläu47

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BGH v. 5.11.2008, XII ZR 157/06, FamRZ 2009, 198 Tz. 40 m. Anm. Bergschneider = NJW 2009, 842 m. Anm. Grziwotz; hierzu auch Born, LMK 2009 274744; BGH v. 17.9.1986, IVb ZR 59/85, NJW 1987, 1546; BGH v. 8.12.1982, IVb 333/81, NJW 1983, 1851 = FamRZ 1983, 137 =  BGHZ 86, 82, 88; BGH v. 9.7.1992, XII ZR 57/91, NJW 1992, 3164 = DNotZ 1993, 524. Muscheler, ZEV 2005, 119 f. Muscheler, ZEV 2005, 119 f.

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biger nicht ohne Weiteres auf seine Forderungen verzichtet, sind an die Annahme eines mündlichen Erlasses über den Pflichtteil hohe Anforderungen zu stellen. Auch die Abtretung ist abstraktes Verfügungsgeschäft. Sie ist formfrei. Besonderheiten sind zu beachten, wenn der Pflichtteilsberechtigte Sozialleistungen bezieht, nämlich Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) oder Sozialhilfe. Der Pflichtteilsanspruch ist grds. als verwertbares Vermögen bzw. Einkommen des Leistungsbeziehers zur Deckung von dessen Lebensbedarf einzusetzen, bevor ALG II bzw. Sozialhilfe gewährt wird. Er geht bei ALG II-Bezug kraft Gesetzes bzw. bei Sozialhilfebezug aufgrund Überleitungsanzeige auf den Leistungsträger über. Anders als ein vor dem Erbfall vereinbarter Pflichtteilsverzicht ist ein nach dem Erbfall geschlossener Erlassvertrag zwischen dem Leistungsbezieher und dem Erben (§ 397 BGB) dann im Umfang des Übergangs schon mangels Forderungsinhaberschaft und unabhängig von § 138 BGB unwirksam. Erfolgt der Erlass durch den Leistungsbezieher (= Pflichtteilsberechtigten) in der Absicht, seine Hilfebedürftigkeit herbeizuführen oder zu vertiefen, zieht dies jedoch die Absenkung bzw. (falls dem Obliegenheitsverstöße vorangegangen sind) den Wegfall des ALG II (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) bzw. die unbefristete Einschränkung der Sozialhilfe auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche (§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII) nach sich.

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Christoph Karczewski

Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht und sonstigen Zivilrecht A. Pflichtteilsrecht I. Pflichtteilsergänzung, § 2325 BGB1 1. BGH vom 13. November 2019 – IV ZR 317/172 Der im Jahre 1964 geborene Kläger nimmt die Beklagten im Wege der Stufenklage auf Auskunft, Wertermittlung und Duldung der Zwangsvollstreckung wegen ergänzungspflichtiger Schenkungen nach dem am 5. Juli 2007 verstorbenen und von den Parteien gesetzlich beerbten Erblasser in Anspruch. Die Mutter des Klägers war zum Zeitpunkt seiner Geburt in erster Ehe verheiratet. Nach Scheidung dieser Ehe heiratete sie den Erblasser, aus dessen erster Ehe die beiden Beklagten hervorgegangen waren. Auch diese zweite Ehe wurde durch Scheidung aufgelöst. In den Jahren 1995 und 2002 übertrug der Erblasser den Beklagten mehrere Grundstücke schenkungsweise unter Nießbrauchvorbehalt. Auf den Vaterschaftsanfechtungsantrag des Klägers vom 29. März 2012 und seinen weiteren Feststellungsantrag wurde mit Beschluss vom 18. Februar 2015 festgestellt, dass Vater des Klägers nicht der bereits im Jahre 2001 verstorbene erste Ehemann seiner Mutter, sondern der Erblasser war. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses forderte der Kläger die Beklagten unter anderem zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses auf. Die Beklagten überließen ihm ein Verzeichnis, das einen negativen Nettonachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalles auswies. Sie erheben im Übrigen die Einrede der Verjährung. Das Landgericht hat die im November 2015 erhobene Stufenklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die vom Kläger gemäß § 2329 Abs. 1 und 3 BGB geltend gemachten Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht durchsetzbar sind, weil die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreift (§ 214 Abs. 1 BGB). Ebenso wie der in seinem Pflichtteilsrecht beeinträchtigte Alleinerbe können auch die insoweit zu kurz gekommenen Miterben in entsprechender Anwendung von § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB direkt gegen den Beschenkten vorgehen. Weiterhin kann auch der beschenkte Miterbe nach § 2329 BGB haften. Etwaige Ansprüche des Klägers 1 2

Vgl. auch Karczewski, Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den beschenkten Ehegatten: Neue Entwicklungen bei § 2325 BGB, ZEV 2020, 733 – 740. ZEV 2020, 101 m. Anm. Muscheler = ErbR 2020, 179 m. Anm. Wendt.

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aus § 2329 BGB sind gemäß § 2332 Abs. 2 BGB in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung (im Folgenden: § 2332 Abs. 2 BGB a.F.) i.V.m. Art. 229 § 23 Abs. 2 S. 2 EGBGB verjährt. Nach § 2332 Abs. 2 BGB a.F. verjährt ein solcher dem Pflichtteilsberechtigten gegen den Beschenkten zustehender Anspruch in drei Jahren von dem Eintritt des Erbfalles an. Diese kurze kenntnisunabhängige Verjährungsfrist ist ohne Rücksicht auf die Miterbenstellung der beschenkten Beklagten einschlägig und war hier am 5. Juli 2010 – drei Jahre nach dem Tod des Erblassers – und somit lange vor Klageerhebung im November 2015 abgelaufen. Dem Eintritt der Verjährung steht nicht entgegen, dass der Kläger erst seit Rechtskraft des Beschlusses vom 18. Februar 2015, mit dem die Vaterschaft des Erblassers festgestellt wurde, die damit verbundenen Rechtswirkungen und auch mögliche Ansprüche im Sinne von § 2329 BGB geltend machen konnte. Nach § 1600d Abs. 4 BGB in der bis zum 30. Juni 2018 geltenden Fassung (im Folgenden: § 1600d Abs. 4 BGB a.F.; seitdem: § 1600d Abs. 5 BGB) können die Rechtswirkungen der Vaterschaft, soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt, erst vom Zeitpunkt ihrer – dann allerdings rückwirkenden – Feststellung an geltend gemacht werden. Ob die sogenannte Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB a.F. den in § 2332 Abs. 2 BGB a.F. bestimmten Beginn der Verjährung bis zur Rechtskraft der postmortalen Vaterschaftsfeststellung hindert, ist umstritten. Nach einer in der Literatur vertretenen Meinung soll die Verjährung von Ansprüchen aus § 2329 BGB erst mit Rechtskraft der Vaterschaftsfeststellung beginnen. Nach der – auch vom Berufungsgericht vertretenen – überwiegenden Ansicht soll die Rechtsausübungssperre dem Beginn der Verjährung nicht entgegenstehen, soweit das Gesetz hierfür – wie etwa in § 2332 Abs. 2 BGB a.F. – allein an den „Erbfall“ anknüpft. Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Bei der Anwendung von Verjährungsvorschriften kommt dem Wortlaut des Gesetzes besondere Bedeutung zu. Dem Verjährungsrecht liegt der Gedanke zugrunde, dass gewisse tatsächliche Zustände, die längere Zeit hindurch unangefochten bestanden haben, im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit nicht mehr in Frage gestellt werden sollen. Da der Rechtsverkehr klare Verhältnisse erfordert und die Vorschriften über die Verjährung dementsprechend eine formale Regelung enthalten, ist es grundsätzlich geboten, sich bei der Anwendung solcher Vorschriften eng an deren Wortlaut zu halten. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist des dem Abkömmling zustehenden Anspruchs allein auf den Zeitpunkt des Erbfalles an und nicht auf die – ggf. rückwirkende – Entstehung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den Beschenkten. Die Entstehungsgeschichte des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. lässt ebenfalls nicht darauf schließen, dass der Beginn der Verjährungsfrist ausnahmsweise nicht von dem Erbfall, sondern von anderen Umständen – wie etwa der postmortalen Feststellung der Vaterschaft des Erblassers – abhängen kann. Ausweislich der Protokolle (V S. 594) zog die Mehrheit eine vorgeschlagene Regelung vor, „nach welcher der Anspruch gegen den Beschenkten einer selbständigen, in drei Jah-

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ren von dem Eintritt des Erbfalls sich vollendenden Verjährung unterliegt. Man hielt es für richtiger, den kondiktionsartigen Anspruch gegen den Beschenkten in Bezug auf die Verjährung von dem Pflichtteilsanspruch gegen den Erben vollständig abzulösen und glaubte umso mehr dem Interesse des Beschenkten durch Festsetzung einer von einem festen Zeitpunkte beginnenden kurzen Verjährungsfrist Rechnung tragen zu sollen, …“ An der Sonderverjährung des Anspruchs aus § 2329 BGB hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24. September 2009 (BGBl. I 2009, 3142) festgehalten und die Regelung des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. ohne inhaltliche Änderung in § 2332 Abs. 1 BGB übernommen. Dem Sinn und Zweck des § 2332 Abs. 2 BGB a.F., dem Beschenkten bald Klarheit zu verschaffen, ob er das Geschenk behalten kann oder an den Pflichtteilsberechtigten herausgeben muss, entspricht es, nur auf das Datum des Erbfalles und nicht den Zeitpunkt der Rechtskraft der postmortalen Vaterschaftsfeststellung abzustellen. Der beschenkte Dritte oder Miterbe hat ein berechtigtes Interesse daran, dass er ohne Rücksicht auf den Kenntnisstand des Pflichtteilsberechtigten, an den der Gesetzgeber erklärtermaßen auch bei der Reform des Erbrechts nicht anknüpfen wollte, nach kurzer Frist sicher sein kann, das Geschenk nicht wieder herausgeben zu müssen. Dieses Interesse besteht unabhängig davon, ob dem Pflichtteilsberechtigten der Erbfall, die Schenkung oder aber seine leibliche Abstammung vom Erblasser unbekannt geblieben ist, und ist deshalb besonders schutzwürdig, weil der Beschenkte, auch wenn er Miterbe ist, nach § 2329 BGB mit seinem Privatvermögen und nicht aus dem Nachlass haftet. Die wortlautgetreue Anwendung des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. widerspricht nicht allgemeinen Grundsätzen des Verjährungsrechts. Entgegen der Ansicht der Revision ist die vorherige Entstehung des Anspruchs nicht unabdingbare Voraussetzung für den Lauf einer jeden Verjährungsfrist. So sind etwa in § 199 Abs. 2 BGB und in § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB Verjährungshöchstfristen für die dort bezeichneten Ansprüche „ohne Rücksicht auf ihre Entstehung“ bestimmt. Weiterhin ist, anders als die Revision meint, die Zumutbarkeit der Klageerhebung nicht generell eine übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn, sondern kann nur im Zusammenhang mit der kenntnisabhängigen Verjährung von Bedeutung sein. Auch eine Hemmung der Verjährung bis zur rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft des Erblassers entsprechend den §§ 205, 206 BGB hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Nach § 205 BGB ist die Verjährung gehemmt, solange der Schuldner auf Grund einer Vereinbarung mit dem Gläubiger vorübergehend zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist. Eine entsprechende Anwendung des § 205 BGB auf Fallgestaltungen, in denen diese Wertungsgrundlage nicht gegeben ist, scheidet aus. Dies gilt insbesondere für gesetzliche Leistungsverweigerungsrechte und auch für die hier in Rede stehende Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB a.F., die ebenfalls nicht auf dem Parteiwillen beruht. § 206 BGB sieht eine Hemmung der Verjährung

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vor, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Es handelt sich um eine im Interesse des Schuldners eng auszulegende zusätzliche Schutzvorschrift, deren Anwendung unter anderem bei einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht in Betracht kommen kann. Wenn die Vaterschaftsfeststellung – wie hier – erst nach Ablauf der in § 2332 Abs. 2 BGB a.F. bezeichneten Frist beantragt werden konnte, ist es auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, vom Wortlaut der Vorschrift abzuweichen. Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, sind zwar die Schutzbereiche des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, welche die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass gewährleisten, durch die Verjährungsregelung des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. betroffen, weil sie die Durchsetzbarkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ohne Rücksicht auf seine – ggf. rückwirkende – Entstehung einschränkt. Dies ist aber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Verjährungsregeln müssen mit Rücksicht auf von Verfassungs wegen geschützte Forderungsrechte stets einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Schuldners und des Gläubigers darstellen. Ein Verjährungsbeginn unabhängig von der Möglichkeit, von den Umständen der Anspruchsentstehung Kenntnis zu nehmen, kann daher nur dann als gerechtfertigt angesehen werden, wenn die Verjährungsfrist so bemessen ist, dass typischerweise mit der Erkennbarkeit innerhalb der Frist zu rechnen ist. Das ist bei § 2332 Abs. 2 BGB a.F. der Fall. In aller Regel weiß ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling, dem ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen einen beschenkten Dritten oder Miterben zusteht, vor Ablauf von drei Jahren nach dem Tod des Erblassers, dass er von diesem abstammt. Nur in vereinzelten Sonderfällen wird einem pflichtteilsberechtigten Miterben erst aufgrund einer postmortalen Vaterschaftsfeststellung mehr als drei Jahre nach dem Erbfall seine Abstammung vom Erblasser bekannt. § 2332 Abs. 2 BGB a.F. ist auch mit Art. 6 Abs. 5 GG vereinbar. Durch die Verjährungsregelung des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. werden nichteheliche Kinder im Verhältnis zu ehelichen Kindern nicht unmittelbar schlechter gestellt. Eine solche – nur in, wie ausgeführt, sehr seltenen Ausnahmefällen gegebene – Ungleichbehandlung ist aber durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die nicht an die Ehelichkeit bzw. Nichtehelichkeit anknüpfen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Regelung des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. liegt das Interesse des vom Erblasser noch zu dessen Lebzeiten Beschenkten an Rechtssicherheit zugrunde, das unabhängig davon besteht, wann die Abstammung des pflichtteilsberechtigten Abkömmlings vom Erblasser festgestellt wird. Der Beschenkte muss, sofern er sich nicht treuwidrig verhält, nach einem überschaubaren Zeitraum Klarheit darüber haben, ob er das Geschenk an einen Pflichtteilsberechtigten herauszugeben hat oder nicht, zumal seine Haftung nicht auf den Nachlass begrenzt ist. Müsste er auf unabsehbare Zeit damit rechnen, von einem Jahre nach dem Erbfall als Kind

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des Erblassers festgestellten Pflichtteilsberechtigten in Anspruch genommen zu werden, liefe das dem der Verjährung zugrundeliegenden Prinzip der Rechtssicherheit zuwider. Diesen Belangen gebührt bei der erforderlichen Abwägung gegenüber dem Interesse des nichtehelichen Kindes an einem Aufschub des Verjährungsbeginns bis zur Rechtskraft der Vaterschaftsfeststellung der Vorzug. Im Regelfall ist das pflichtteilsberechtigte nichteheliche Kind dadurch hinreichend geschützt, dass es gegen den beschenkten Erben Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 BGB geltend machen kann, die der regelmäßigen, kenntnisabhängigen Verjährung (§§ 195, 199 BGB) unterliegen. Durch diese Ansprüche, deren Verjährung von der Kenntnis des Gläubigers und damit auch von der Vaterschaftsfeststellung abhängt, werden Härten zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten weitgehend abgemildert. Nur wenn diese Ansprüche nicht weiterführen, weil der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist, kommen Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2329 BGB in Betracht. Selbst dann wird das nichteheliche Kind in der Regel bis zum Ablauf der dann maßgeblichen dreijährigen Verjährungsfrist (§ 2332 Abs. 2 BGB a.F./§ 2332 Abs. 1 BGB n.F.) nach dem Erbfall Kenntnis von seiner Abstammung erlangt haben. Ist dies ausnahmsweise einmal nicht der Fall, so ist der Verjährungseintritt im generellen Interesse an Rechtssicherheit hinzunehmen. In etwaigen Extremfällen, beispielsweise bei einer treuwidrigen Erhebung der Verjährungseinrede, könnte ggf. Einzelfallgerechtigkeit über § 242 BGB geschaffen werden. Unbedenklich ist die Verjährungsfrist des § 2332 Abs. 2 BGB a.F. auch mit Blick auf die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu berücksichtigen und in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung einzupassen. So misst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Prüfung, ob ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des nichtehelichen Kindes und denen der weiteren Betroffenen stattfindet, auch dem nationalen Verjährungsrecht dahingehende Bedeutung zu, ob Ansprüche auf den Pflichtteil noch nicht verjährt und die berechtigten Erwartungen der Erben daher lediglich „relativ“ waren (vgl. EGMR NJW 2017, 1805 Rn. 75). In diesem Sinne ist die Position der Beklagten als beschenkte Dritte seit Ablauf der in § 2332 Abs. 2 BGB a.F. bezeichneten Frist gerade nicht mehr bloß „relativ“ und daher vorrangig gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Durchsetzung etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche.

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2. BGH vom 3. Juni 2020 – IV ZR 16/193 Der Kläger verlangt von der Beklagten die Ermittlung des Wertes zweier Eigentumswohnungen. Er ist der Sohn aus erster Ehe des 1946 geborenen und am 2. Januar 2017 verstorbenen Erblassers, der seit 1991 in zweiter Ehe mit der 1953 geborenen Beklagten verheiratet war. Mit notariellem Kaufvertrag vom 25. Juli 2008 erwarb eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bestehend aus dem Erblasser und der Beklagten, eine Eigentumswohnung in der L.Straße 55 in H. Der Erblasser und die Beklagte in Gesellschaft bürgerlichen Rechts wurden nachfolgend als Eigentümer eingetragen. Zur Finanzierung nahmen sie ein durch Grundschuld gesichertes Darlehen über 125.000 € auf, für das sie zu gleichen Teilen hafteten; der restliche Kaufpreis wurde aus Eigenmitteln finanziert. Zins und Tilgung des Darlehens wurden aus den Mieteinnahmen der Wohnung gezahlt. Die Wohnung ist zu einem unter der ortsüblichen Miete liegenden Mietzins an den gemeinsamen Sohn des Erblassers und der Beklagten vermietet. Mit notariellem Kaufvertrag vom 27. Dezember 2011 erwarb eine zugleich gegründete und aus dem Erblasser und der Beklagten bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine noch zu errichtende Eigentumswohnung im H.Weg 30 in H. In diesem Vertrag hieß es unter anderem: „Die Gesellschaft wird mit dem Tode eines Gesellschafters aufgelöst; der Anteil des verstorbenen Gesellschafters wächst dem Überlebenden an. Die Erben erhalten – soweit gesetzlich zulässig – keine Abfindung; […]. Dieser wechselseitige Abfindungsausschluss beruht auf dem beiderseits etwa gleich hohen Risiko des Vorversterbens und ist im Interesse des jeweils überlebenden Gesellschafters vereinbart.“ Der zu zahlende Gesamtkaufpreis für die Wohnung nebst Stellplätzen von 3.224.739,51 € wurde in Höhe von 3.200.000 € aus dem Verkaufserlös für ein Grundstück, dessen Eigentümer der Erblasser und die Beklagte in Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewesen waren, erbracht. Nach Fertigstellung der Wohnung zogen der Erblasser und die Beklagte dort ein. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts wurde als Eigentümerin eingetragen. Am 11. September 2014 schlossen der Erblasser und die Beklagte eine „Gesellschaftsrechtliche Vereinbarung“ für mehrere aus den beiden bestehende Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die jeweils Eigentümer von Wohnungen, unter anderem derjenigen im H.Weg und in der L.Straße, waren. Für die darin genannten Gesellschaften wurde dort eine mit der vorstehend zitierten Passage aus dem Kaufvertrag vom 27. Dezember 2011 wortgleiche Regelung getroffen. Mit notariellem Testament vom 24. Februar 2016 setzte der Erblasser die Beklagte als Alleinerbin und den gemeinsamen Sohn als Ersatzerben ein. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Beklagte verurteilt, den Wert der beiden Wohnungen am Todestag des Erblassers durch Vorlage von Gutachten öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zu ermitteln.

Die Revision hat keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass dem Kläger als Pflichtteilsberechtigtem gegen die beklagte Erbin gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB ein Anspruch auf Wertermittlung hinsichtlich der Gesellschaftsanteile des Erblassers zusteht. Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 BGB setzen voraus, dass der Erblasser eine Schenkung im Sinne von § 516 BGB gemacht hat, d.h. eine Zuwendung, die den Empfänger aus dem Vermögen des Gebers bereichert und bei der beide Teile darüber einig sind, dass sie 3

ZEV 2020, 420 m. Anm. Hölscher = ErbR 2020, 633 m. Anm. Lienenlüke/Kurth.

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unentgeltlich erfolgt. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass die vereinbarte Anwachsung der Gesellschaftsanteile des Erblassers unter Ausschluss eines Abfindungsanspruchs im Fall seines Vorversterbens eine Schenkung des Erblassers an die Beklagte im Sinne von § 2325 Abs. 1 BGB war. Als Mittel der gewillkürten Weitergabe von Vermögensgegenständen im Todesfall stehen dem Erblasser im deutschen Recht neben den Verfügungen von Todes wegen auch rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb des Erbrechts offen. Insbesondere im Recht der Personengesellschaften besteht die Möglichkeit der Zuwendung von Rechtspositionen auf den Todesfall kraft gesellschaftsvertraglicher Regelungen. Der allseitige Abfindungsausschluss für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters wurde dabei für sich allein nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht als Schenkung gewertet. Zum einen geht die – bisher zu Personenhandelsgesellschaften ergangene – Rechtsprechung davon aus, dass gesellschaftsvertragliche Nachfolgevereinbarungen, auch wenn sie Abfindungsansprüche der Erben völlig ausschließen, im Allgemeinen nicht den Sinn haben, dem jeweils in Aussicht genommenen Nachfolger in den Gesellschaftsanteil letztwillig etwas zuzuwenden, sondern sie sollen in erster Linie gewährleisten, dass das Gesellschaftsunternehmen beim Tod eines Gesellschafters erhalten bleibt und seine Fortführung durch die oder den verbliebenen Gesellschafter nicht durch Abfindungsansprüche erschwert wird. Zum anderen soll es sich in der Regel beim allseitigen Abfindungsausschluss nicht um eine Zuwendung an die Mitgesellschafter, sondern um ein aleatorisches (zufallsabhängiges) Geschäft handeln. Diese Rechtsprechung lässt aber für andere Fallgestaltungen hinreichend Raum, um auch bei Berücksichtigung des Fortführungsinteresses aus der Sicht eines Unternehmens die schutzwürdigen Belange der Nachlassbeteiligten wie zum Beispiel der Pflichtteilsberechtigten zur Geltung zu bringen. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Vereinbarung einer Nachfolgeklausel mit Abfindungsausschluss hier keine gesellschaftsrechtliche Zwecksetzung zur Sicherung des Fortbestands des Gesellschaftsunternehmens zugrunde lag. Dabei kommt es zwar nicht entscheidend darauf an, dass die hier betroffenen Gesellschaften nur aus zwei Gesellschaftern bestanden und daher durch den Tod des Erblassers aufgrund der Anwachsungsregelung aufgelöst wurden; das Ziel, das Gesellschaftsunternehmen für den Todesfall eines Gesellschafters zu sichern, kann auch bei Zweipersonengesellschaften bestehen. Das Berufungsgericht erkennt aber rechtsfehlerfrei, dass die Fortführung eines Unternehmens bei dieser Vereinbarung nicht im Vordergrund stand. Die Gesellschaften dienten vielmehr allein der Wahrnehmung der Eigentümerposition für jeweils eine Wohnung, die selbstgenutzt bzw. zu nicht marktgerechtem Mietzins an einen Angehörigen vermietet war. Das Berufungsgericht nimmt im Ergebnis auch rechtsfehlerfrei an, dass die Beklagte nach der getroffenen Vereinbarung keine Gegenleistung für die Zuwendung in Form von Arbeitsleistungen oder der Übernahme eines Haftungsrisikos erbringen sollte. Die Haftung für Ver-

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bindlichkeiten der Gesellschaft, die als Gegenleistung für die Aufnahme in eine Personengesellschaft übernommen werden kann, trifft einen Mitgesellschafter bereits vor einer Anwachsung weiterer Gesellschaftsanteile beim Tod eines anderen Gesellschafters. Jedenfalls geht das Berufungsgericht aber rechtsfehlerfrei davon aus, dass die Übernahme der Gesellschaftsanteile des Erblassers hier für die Beklagte kein relevantes Risiko einer Haftung für mit dem Erwerb der Wohnungen verbundene Verbindlichkeiten mit sich brachte. Nach den aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts war die Wohnung H.Weg 30 aus Eigenmitteln finanziert; für das zur Finanzierung der Wohnung L.Straße 55 aufgenommene Darlehen haftete die Beklagte ohnehin mit. Weiter hat die Beklagte für die Verwaltung der beiden Wohnungen nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts keine konkrete Arbeitsleistung übernommen. Das Berufungsgericht geht außerdem rechtsfehlerfrei davon aus, dass nach dem Willen der Beteiligten die Zuwendung des Erblassers auch nicht durch die entsprechende Erklärung der Beklagten ausgeglichen wurde, ihre Gesellschaftsanteile sollten im Fall ihres Vorversterbens abfindungsfrei dem Erblasser anwachsen. Hier haben die Beteiligten nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts diese Vereinbarung nicht getroffen, um unter Übernahme des Risikos eines abfindungsfreien Verlusts der eigenen Gesellschaftsanteile eine Chance auf den Erwerb der Anteile ihres Mitgesellschafters zu erwerben. Das in den zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für den Fall eines allseitigen Abfindungsausschlusses angenommene aleatorische (zufallsabhängige) Geschäft zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesellschafter das Risiko, im Fall ihres Vorversterbens den Gesellschaftsanteil ohne Abfindungsanspruch ihrer Erben zu verlieren, eingehen, um als Gegenleistung die Chance auf den abfindungsfreien Erwerb der Anteile ihrer Mitgesellschafter zu erlangen. Diese Voraussetzungen lagen hier aber nicht vor. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass der Erblasser mit der Vereinbarung kein Verlustrisiko einging, sondern die abfindungsfreie Übertragung der Gesellschaftsanteile gerade seiner Zielsetzung entsprach. Obgleich es nicht Voraussetzung für die Annahme einer Schenkung ist, dass die Beteiligten den Gesellschaftsvertrag auch oder sogar allein zu dem Zweck geschlossen haben, die Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge des Erblassers zu vermindern, spräche dies in besonderem Maße für den Schenkungswillen der Beteiligten. Den Willen des Erblassers, die Gesellschaftsanteile der Beklagten zuzuwenden, legte hier bereits deren Stellung als seine Ehefrau nahe; ein Übergang seiner Anteile auf eine familienfremde Person durch die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung war damit ausgeschlossen. Das weitere Ziel, erbrechtliche Ansprüche des Klägers auszuschließen, wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch die Einsetzung der Beklagten als Alleinerbin bestätigt. Die Möglichkeit, dass die Beklagte vor dem Erblasser hätte sterben können, steht der Annahme des Berufungsgerichts entgegen der Ansicht der

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Revision nicht entgegen. In diesem Fall hätten die Gesellschaftsanteile der Beklagten nicht ohne Weiteres den späteren Pflichtteilsanspruch des Klägers nach dem Erblasser erhöht, so dass der Kläger letztlich durch die Vereinbarung sogar begünstigt worden wäre. Es wäre nur das Ziel des Erblassers, der Beklagten etwas zuzuwenden, weggefallen, doch hätte er neu testieren oder unter Lebenden über sein Vermögen verfügen können. Umgekehrt besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Erblasser diese Vereinbarung traf, um auf ein Vorversterben der Beklagten zu spekulieren und eine Chance auf den Erwerb ihrer Gesellschaftsanteile zu erhalten. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Schenkungen wirksam waren. Die Schenkung war bereits durch Abschluss der gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung im Sinne von § 2301 Abs. 2 BGB vollzogen und der Formmangel nach § 518 Abs. 2 BGB geheilt. Denn ein Geschäft unter Lebenden ist vollzogen, wenn der Erblasser zu Lebzeiten alles getan hat, was von seiner Seite zur Zuordnung des Gegenstandes an den Begünstigten erforderlich ist, und seinen Zuwendungswillen in entsprechendem Umfang in die Tat umgesetzt hat. Das gilt auch dann, wenn der Erwerb befristet oder – wie hier durch das Vorversterben des Zuwendenden – bedingt ist. Es genügt für den Vollzug einer Schenkung, dass für den Beschenkten ein Erwerbs- oder Anwartschaftsrecht begründet wird, das sich bei Eintritt der Bedingung zwangsläufig zu einem Vollrecht entwickelt. Das ist bei der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung einer Nachfolgeklausel unter Abfindungsausschluss der Fall.

II. Auskunftspflicht, § 2314 Abs. 1 BGB4 1. OLG Saarbrücken vom 6. September 2019 – 5 W 45/195 Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Stufenklage, mit der sie vom Beklagten als Erben Auskunft, Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung und Zahlung verlangt. Den Streitwert hat sie mit 10.000,00 € angegeben. Nach Klageerhebung, aber noch im Rahmen der Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin ergänzte der Beklagte seine Auskünfte, insbesondere auch zu lebzeitigen Schenkungen der Erblasserin, der Mutter der Parteien. Danach errechnet sich kein höherer Pflichtteilsanspruch der Klägerin als 5.000,00 €. Die Klägerin hält die Auskünfte nach wie vor für unzureichend. Mit dem angefochtenen Beschluss verweigerte das Landgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe, weil das Auskunftsbegehren, auf das es für die Beurteilung der begehrten Prozesskostenhilfe ankomme, keine Aussicht auf Erfolg biete. Die zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet.

Die Auskunft muss die zur Durchsetzung der Gläubigerinteressen notwendigen Informationen enthalten. Dazu ist eine geordnete Zusammenstellung der Aktiva und Passiva des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls mitzuteilen, die auf 4 5

Vgl. Keim, ZEV 2018, 501; Lange, ZEV 2020, 253 – 262; Heinze, ErbR 2020, 446 – 452; Außner, ZEV 2020, 743 – 748; zur Wertermittlung ferner Horn, ZEV 2018, 627. ZEV 2020, 297.

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Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfbar sein und das Nachvollziehen des Ergebnisses ohne Beiziehung sachverständiger Hilfe erlauben muss. Geschuldet sind daher zum einen die nähere Bezeichnung der einzelnen Nachlassgegenstände und zum anderen die Informationen in Bezug auf die Nachlassgegenstände, die der Gläubiger zur Durchsetzung seines Anspruchs benötigt. Die Auskunftspflicht des Erben erstreckt sich nicht nur auf den tatsächlich im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen, sondern darüber hinaus auch auf den fiktiven Nachlass. Zum fiktiven Nachlass gehören anrechnungs- (§ 2315 BGB) und ausgleichungspflichtige (§ 2316 BGB) Zuwendungen. Die Auskunftspflicht nach § 2314 BGB umfasst im Hinblick auf § 2325 BGB auch die vom Erblasser gemachten Schenkungen. Dabei spielt der Wert der Schenkung für die Frage des „Ob“ einer Auskunftspflicht keine Rolle. Gleiches gilt für die Bezeichnung durch den Erblasser. Der Erbe darf keine rechtlichen Würdigungen vorwegnehmen, sondern muss dem Pflichtteilsberechtigten die Umstände offenlegen, damit dieser sie nachvollziehen und überprüfen kann. Auch wenn es sich letztlich um eine bei der Pflichtteilsberechnung nicht zu berücksichtigende Anstandsschenkung handelt (§ 2330 BGB), ist sie bei der Auskunft anzugeben; denn der Pflichtteilsberechtigte soll selbst über den Charakter der Schenkung befinden können. Die Auskunftspflicht erstreckt sich wegen § 2325 Abs. 3 BGB zumindest auf die in den letzten zehn Jahren gemachten Schenkungen. Die Auskunftspflicht umfasst nicht nur das pflichtteilsrechtlich relevante Wissen, das der Auskunftspflichtige selbst hat, sondern schließt auch die Pflicht ein, sich fremdes Wissen – soweit zumutbar – zu verschaffen. Ein Anspruch auf Berichtigung oder Vervollständigung oder Ergänzung eines Verzeichnisses, das nach § 2314 BGB aufgestellt ist, wird abgelehnt und der Pflichtteilsberechtigte, soweit die Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB gegeben sind, auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung verwiesen. Der Auskunftsanspruch erlischt aber erst mit vollständiger Auskunftserteilung. Mit lückenhaften Teilverzeichnissen braucht sich der Pflichtteilsberechtigte nicht zu begnügen. Hat der Schuldner überhaupt keine erfüllungstaugliche Handlung erbracht, weil er etwa Auskunft in ungenügender, weil unübersichtlicher und unzusammenhängender Form oder erkennbar unvollständig (trotz entsprechender Aufforderung etwa hat er keine Auskunft über den fiktiven Nachlass gegeben) Auskunft erteilt hat, so ist der Anspruch nicht erfüllt und der Pflichtteilsberechtigte kann weiterhin Auskunft durch Vorlage eines neuen oder ergänzten Verzeichnisses verlangen. Gleiches gilt, wenn die Nichtangabe bestimmter Dinge auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung des Auskunftsverpflichteten beruhen; denn unterlässt es der Auskunftspflichtige infolge eines Rechtsirrtums, gewisse Vermögenskomplexe im Bestandsverzeichnis aufzuführen, begründet dies nicht ohne Weiteres den Vorwurf eines Sorgfaltsmangels. In einem derartigen Fall steht dem Auskunftsberechtigten ein Anspruch auf Ergänzung des Verzeichnisses zu, da der ursprüngliche Auskunftsanspruch noch nicht erloschen bzw. noch nicht ganz erfüllt ist. Nach diesen Grundsätzen hatte der Beklagte zu dem Zeitpunkt

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ausreichende Auskunft erteilt. Der Beklagte hat die Aktiva und Passiva und die aus seiner Sicht zu berücksichtigenden Schenkungen in seiner Auskunft aufgeführt. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit, die den Anspruch auf Neuerteilung oder Ergänzung begründen könnte, liegen nicht vor. Denn entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Auskunftspflicht nach § 2314 BGB keine Pflicht zur Rechnungslegung. Im Rahmen des § 2314 BGB ist nicht Auskunft über die Vermögensentwicklung des Erblassers über einen bestimmten Zeitraum hinweg geschuldet, sondern nur Auskunft über den Vermögensstand zu einem punktgenauen Stichtag, den Erbfall, sowie im Hinblick auf den fiktiven Nachlass ggf. über bestimmte konkrete Vermögenstransaktionen. Lediglich eine Darlegung kann verlangt werden, wenn konkrete Verdachtsmomente ausgeräumt werden müssen, etwa wenn vor dem Erbfall größeres Vermögen vorhanden war, nicht aber mehr im Zeitpunkt des Erbfalles. Dazu hat die Klägerin lediglich auf die Vermögensentwicklung in den Jahren 2012 bis 2016 Bezug genommen. Ein diesbezüglicher Auskunftsanspruch der Klägerin ist aber durch die Angabe des Beklagten, das Vermögen habe teilweise für Pflegeleistungen aufgewandt werden müssen, erfüllt. Diese mangelnden Erfolgsaussichten hinsichtlich des Auskunftsantrages auf der ersten Stufe führen allerdings nicht dazu, dass die Erfolgsaussichten für die Stufenklage insgesamt zu verneinen wären. Nach überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur, die auch der Senat vertritt, ist bei einer Stufenklage nach § 254 ZPO Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich einheitlich für sämtliche Anträge zu bewilligen oder zu versagen. Diese Rechtslage führt in dem Fall, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag keine hinreichende Erfolgsaussicht für den Auskunftsantrag besteht, aber eine solche für die gleichzeitig geltend gemachte Stufenklage insgesamt dazu, dass Prozesskostenhilfe für die Stufenklage zu bewilligen ist, mit Ausnahme des Auskunftsantrages.

2. OLG Düsseldorf vom 10. September 2019 – I-7 W 29/196 a) Auskunftsanspruch und Wertermittlungsanspruch müssen streng voneinander unterschieden werden. b) Der Notar hat im notariellen Verzeichnis keinen Wert von Nachlassbestandteilen zu ermitteln, sondern die Beschaffenheit bzw. die wertbildenden Faktoren anzugeben. c) Welcher Zeitraum vor dem Todesfall von dem Notar auf mögliche unentgeltliche Zuwendungen zu untersuchen ist, kann nur für den Einzelfall beantwortet

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ErbR 2019, 772 m. Anm. Horn.

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werden. Wenn der Auskunftstitel konkrete Fristen beinhaltet, sind diese von dem Notar zu beachten.

3. OLG Stuttgart vom 18. November 2019 – 19 W 72/187 Die grundsätzliche Aufrechterhaltung des auf § 888 ZPO beruhenden Beugemittels gegen die mittlerweile unter Betreuung stehende Schuldnerin (nicht gegen den Betreuer, vgl. etwa OLG Zweibrücken, Beschluss vom 23. April 2003 – 3 W 78/03 – juris Tz. 6, 12), rechtfertigt das nicht ausreichende Tätigwerden des Betreuers seit Amtsantritt. Im Vollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO besteht in Fällen, in denen – wie es hier der Fall ist – die Möglichkeit der Vornahme einer Handlung von der Mitwirkung eines Dritten abhängt und diese Mitwirkung zweifelhaft ist, auch die Verpflichtung, die Handlung des dem Schuldner gegenüber mitwirkungspflichtigen Dritten mit der gebotenen Intensität einzufordern, die dem Schuldner zustehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Dritten zu einer Mitwirkung zu bewegen und alle insoweit zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen. Erst wenn feststeht, dass trotz derartigen intensiven Bemühens um die Mitwirkungshandlung des Dritten diese nicht zu erlangen ist, ist die titulierte unvertretbare Handlung nicht unmittelbar erzwingbar. Voraussetzung für eine solche Feststellung ist, dass seitens des Vollstreckungsschuldners alles in seiner Macht Stehende getan worden ist, um die Mitwirkung des Dritten zu erlangen, und dass die darauf gerichteten Bemühungen seitens des Vollstreckungsschuldners im Einzelnen dargelegt worden sind. Daran fehlt es hier gleich aus mehreren Gründen. Der Betreuer hat sich seit Amtsantritt Anfang Juli 2019 schon nicht intensiv genug um die Mitwirkungshandlung des Notars bemüht. Nach eigenem Vorbringen der Vollstreckungsschuldnerin hat es seit diesem Zeitpunkt monatelang gedauert, bis auch nur Kontakt mit dem Notariat aufgenommen worden ist. Erst recht ist nichts dafür ersichtlich, dass irgendwelche weiteren in Betracht kommenden Möglichkeiten – das Setzen einer Erledigungsfrist und nach deren fruchtlosem Ablauf der Kündigung des Auftrags unter Beauftragung eines anderen Notars oder die Einlegung einer Dienstaufsichtsbeschwerde bzw. ein Vorgehen nach § 15 BNotO zur Bewirkung der Mitwirkung des Notars seitens der Vollstreckungsschuldnerin auch nur erwogen worden oder gar ergriffen worden wären. Vor diesem gesamten Hintergrund ist es nach Ansicht des Senats erforderlich, die Vollstreckungsschuldnerin durch Zwangsgeld dazu anzuhalten, der sie treffenden Verpflichtung nunmehr endlich kurzfristig nachzukommen.

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ErbR 2020, 198 m. Anm. Horn.

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4. OLG Düsseldorf vom 3. Februar 2020 – 7 W 92/198 Nach einem Erbfall im Juli 2018 forderte die Pflichtteilsberechtigte im September 2018 die Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses von der Auskunftsverpflichteten an. Mangels Auskunft erhob sie im März 2019 Stufenklage. Daraufhin erging im Juni 2019 aufgrund sofortigen Anerkenntnisses ein Teilanerkenntnisurteil in der Auskunftsstufe. Erst im August 2019 wurde das Verzeichnis vorgelegt. Dennoch wurde die Klägerin im Rahmen des landgerichtlichen Schlussurteils in die Kosten verurteilt. Auf die gegen die Kostenentscheidung erhobene Beschwerde legt der Senat die Kosten des Rechtsstreits der Auskunftsverpflichteten auf. Da das privatschriftliche Nachlassverzeichnis bei Klageerhebung mehr als acht Monate nach dem Erbfall und sechs Monate nach dem ursprünglichen Aufforderungsschreiben immer noch nicht erteilt war und erst ca. zwei weitere Monate nach Erlass des Teilanerkenntnisurteils vorgelegt wurde, geht der Senat davon aus, dass derjenige, der nicht einmal nach der Klageerhebung die Erfüllungshandlung vornimmt, auch ursprünglich nicht bereit war, die Leistung früher zu erbringen, und Klageanlass gibt. Selbst für notarielle Nachlassverzeichnisse wird in der Regel ein Anfertigungszeitraum von nicht mehr als drei bis vier Monaten zugebilligt.

5. OLG Düsseldorf vom 20. Februar 2020 – 7 W 9/209 Die gemäß § 793 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung kann nicht festgestellt werden, dass der Schuldner sich nicht intensiv genug um die erforderliche Mitwirkungshandlung des Notars bemüht hätte. Grundsätzlich muss ein Schuldner alles in seiner Macht Stehende tun, um die Mitwirkung des Dritten zu erlangen und seine darauf gerichteten Bemühungen im Einzelnen darlegen. Dem hat der Schuldner im vorliegenden Fall genügt. Zwar hat der mit der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses beauftragte Notar A., auch nachdem etwa 8 Monate nach der Titulierung des Auskunftsanspruchs der Gläubigerin vergangen sind, noch kein notariell beurkundetes Bestandsverzeichnis vorgelegt. Allerdings ergibt sich, dass der Notar mit Schreiben vom 07. Februar 2020 dem Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin den Entwurf eines Nachlassverzeichnisses übersandt hat, zu dem dieser mit Schriftsatz vom 10. Februar 2020 Stellung genommen und neben sonstigen Beanstandungen insbesondere bemängelt hat, dass die Werte für die Vermächtnisse an die Enkel und für die Fahrzeuge fehlten. Abgesehen davon, dass diese Beanstandung unberechtigt ist, weil das Bestandsverzeichnis Wertangaben nicht zu enthalten braucht, ist nicht ersichtlich, in welcher Weise der Schuldner 8 9

ZEV 2020, 293 m. Anm. Horn. ZEV 2020, 294 = ErbR 2020, 509 m. Anm. Horn.

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auf den Notar in der gegebenen Situation, dass ein nicht erkennbar unvollständiges Nachlassverzeichnis im Entwurf vorgelegt wird und der Notar bereit ist, sich mit den Einwendungen der Pflichtteilsberechtigten auseinanderzusetzen, Druck auf den Notar ausüben soll.

6. OLG Hamm vom 16. März 2020 – I-5 W 19/2010 Die titulierte Verpflichtung, durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Vermögensverzeichnisses Auskunft zu erteilen, betrifft eine nach § 888 ZPO zu vollstreckende unvertretbare Handlung. Der von dem Schuldner erhobene Erfüllungseinwand ist nicht berechtigt. Der Schuldner ist seinen Verpflichtungen aus dem Teilanerkenntnisurteil vom 09. Mai 2017 durch Vorlage der notariellen Urkunden des Notars XY nicht in der geschuldeten Weise nachgekommen. Der Auskunftsanspruch ist nicht erfüllt, soweit zwar eine Auskunft erteilt wurde, diese aber bereits formell offensichtlich unvollständig ist. In diesem Fall besteht ein Anspruch auf Ergänzung der Auskunft. Das gilt etwa, wenn zu einem abgrenzbaren Gegenstand keinerlei Angaben gemacht wurden. Gemessen an diesen Grundsätzen liegt hier eine formelle Unvollständigkeit des notariellen Nachlassverzeichnisses vor, die einen nach § 888 ZPO zu vollstreckenden Anspruch auf Ergänzung der Auskunft begründet. Der Schuldner ist nach dem Tenor des Anerkenntnis-Teilurteils vom 09. Mai 2017 verpflichtet, unter anderem Auskunft über alle pflichtteilsergänzungsrelevanten Zuwendungen zu erteilen, die die Erblasserin zu Lebzeiten getätigt hat, und zwar ohne zeitliche Begrenzung auch über den Zehn-Jahres-Zeitraum hinaus. In dem notariellen Nachlassverzeichnis des Notars XY heißt es auf S. 2, dass die Erblasserin nach Kenntnis des Schuldners während der letzten zehn Jahre vor dem Tode keine Schenkungen gemacht habe, die über Anstandsschenkungen hinaus gingen. Zu dem davorliegenden Zeitraum verhält sich das Nachlassverzeichnis mithin nicht. Damit ist es bereits formell offensichtlich unvollständig mit der Folge, dass die Gläubigerin gegen den Schuldner einen Anspruch auf Ergänzung der Auskunft hat. Die weiteren Einwendungen der Gläubigerin gegen den Inhalt des notariellen Nachlassverzeichnisses sind dagegen unbegründet. Das im Streitfall geschuldete durch einen Notar aufgenommene Nachlassverzeichnis liegt nicht bereits dann vor, wenn der Notar lediglich Erklärungen des Auskunftspflichtigen über den Bestand beurkundet, sondern setzt vielmehr voraus, dass der Notar den Nachlassbestand selbst ermittelt hat und durch Unterzeichnung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringt, dass er für dessen Inhalt verantwortlich ist. Die Aufnahme des Verzeichnisses durch eine Amtsperson soll dem Pflichtteilsberechtigten einen höheren Grad an Richtigkeit der Auskunft gewährleisten als die Privatauskunft des Erben. Sie ist schon 10

ZEV 2020, 295.

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begrifflich eine eigene Bestandsaufnahme, nicht nur Aufnahme von Erklärungen einer anderen Person. Der Notar entscheidet unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände nach eigenem Ermessen, welche Ermittlungen er vornimmt. Zu Nachforschungen ins Blaue hinein ist er nicht verpflichtet. Das Ergebnis dieser Ermittlungen muss er in der Urkunde niederlegen und als eigene Erklärung zum Ausdruck bringen, dass nach diesen Ermittlungen weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden sind. Diesen Anforderungen genügt die notarielle Urkunde des Notars XY. Dieser lässt sich entnehmen, dass der Notar nicht nur Erklärungen des Schuldners entgegengenommen, sondern auch eigene Feststellungen zu dem Bestand des Nachlasses getroffen hat. Der Notar hat dargelegt, dass er mehrere ausführliche Gespräche mit dem Schuldner geführt, die drei im Nachlass befindlichen Immobilien in Augenschein genommen sowie eine Ortsbesichtigung des Wohnhauses der Erblasserin vorgenommen habe, bei der auch das Inventar und die persönliche Habe gesichtet worden seien. Zudem seien die vom Schuldner vorgelegten Unterlagen in Augenschein genommen worden. Damit hat der Notar in ausreichender Weise dargelegt, dass und welche Ermittlungstätigkeiten er nach seinem Dafürhalten für erforderlich gehalten und durchgeführt hat. Ebenfalls mit Erfolg rügt die Gläubigerin indessen einen Verstoß gegen ihr Hinzuziehungsrecht nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB. Ein Verstoß gegen die verlangte Zuziehung begründet einen Anspruch auf Wiederholung der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses. Hier ist das Zuziehungsrecht von der Gläubigerin mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin vom 11. Juli 2019 geltend gemacht worden und damit lange vor Erstellung des notariellen Notarverzeichnisses vom 04. Dezember 2019.

7. BGH vom 20. Mai 2020 – IV ZR 193/1911 Die Klägerin begehrt im Wege der Vollstreckungsabwehrklage, die Zwangsvollstreckung aus dem Teil-Anerkenntnis- und Teilurteil des Amtsgerichts Bonn vom 23. November 2017 für unzulässig zu erklären. Sie ist eine Tochter und die testamentarische Erbin der am 22. September 2010 verstorbenen Erblasserin. Die Beklagten sind die Töchter einer weiteren vorverstorbenen Tochter der Erblasserin. Sie nahmen die Klägerin in dem Verfahren Amtsgericht Bonn 105 C 6/17 im Wege der Stufenklage auf Zahlung des Pflichtteils in Anspruch. Durch Teil-Anerkenntnis- und Teilurteil des Amtsgerichts Bonn vom 23. November 2017 wurde die hiesige Klägerin verurteilt, gegenüber den Beklagten Auskunft gemäß § 2314 BGB über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariell aufgenommenen und vom Notar unterzeichneten ausführlichen, systematischen und vollständigen Verzeichnisses zu erteilen und die Beklagten (dortige Klägerinnen) bei der Aufnahme des Verzeichnisses zuzuziehen. Die Klägerin erteilte dem Notar zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses am 24. September 2015 eine Vollmacht, Kontenauskünfte zur Errichtung des Nachlassverzeichnisses bei deutschen Kreditinstituten zu beantragen. In der Folge legte die Klägerin ein notarielles Nach-

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ErbR 2020, 555 m. Anm. Fleischer/Horn.

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lassverzeichnis am 4. Mai 2018 vor. In dem Nachlassverzeichnis wies der Notar unter III (2) (b) darauf hin, dass er einen Kontendatenabruf für Konten in Österreich nicht habe vornehmen können. Die Klägerin habe die erforderliche Zustimmung zu einer derartigen Ermittlung nicht erteilt. Teil des Nachlassverzeichnisses ist unter anderem ein Protokoll der Erbantrittserklärung und Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung eines österreichischen Notars vom 4. Januar 2011. Unter den Aktiva von insgesamt 87.751,22 € ist dort ein Gemeinschaftskonto Nr. … bei der Raiffeisenbank Millstättersee in Höhe von 3.596,09 € aufgeführt mit der zusätzlichen Erklärung der Klägerin gegenüber dem österreichischen Notar, sonstiges Nachlassvermögen in Österreich sei nicht vorhanden. Bereits am 4. November 2010 hatte die Raiffeisenbank Millstättersee die jeweiligen Kontenstände dem österreichischen Notar mitgeteilt. Die Klägerin meint, sie habe den titulierten Auskunftsanspruch durch die Vorlage des notariellen Verzeichnisses vom 4. Mai 2018 erfüllt. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Vollstreckungsabwehrklage der Klägerin gemäß § 767 Abs. 1 ZPO unbegründet ist. § 2314 BGB soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Hierbei soll ein notarielles Nachlassverzeichnis eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das private Verzeichnis des Erben bieten. Dementsprechend muss der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt verantwortet. Der Notar ist in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er muss zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. Allerdings darf er sich hierauf nicht beschränken und insbesondere nicht lediglich eine Plausibilitätsprüfung durchführen. Vielmehr muss er den Nachlassbestand selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. Die Verpflichtung des Erben zur Mitwirkung an der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses richtet sich danach, in welchem Umfang diese Mitwirkung für die ordnungsgemäße Aufnahme des Verzeichnisses erforderlich ist. Maßgebend sind danach jeweils die Umstände des Einzelfalles. Hierbei darf und muss der Notar das Wissen des Erben sowie das in seiner Person vorhandene Aufklärungspotential ggf. in der Weise nutzen, dass er den Erben auffordert, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten bzw. sonstigen Dritten durchzusetzen. Liegt – wie hier – ein notarielles Nachlassverzeichnis vor, so kann der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich nicht dessen Berichtigung oder Ergänzung verlangen. Vielmehr ist er in diesem Fall, soweit die Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB vorliegen, auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung verwiesen. Von diesem Grundsatz sind allerdings verschiedene Ausnahmen anerkannt. So kann ein Anspruch auf Ergänzung bzw. Berichtigung eines Nachlassverzeich-

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nisses bestehen, wenn in diesem eine unbestimmte Mehrheit von Nachlassgegenständen – etwa aufgrund eines Rechtsirrtums des Pflichtigen – nicht aufgeführt ist. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht hier ausgegangen und hat auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei angenommen, dass das notarielle Nachlassverzeichnis vom 4. Mai 2018 unvollständig ist, weil es keine umfassenden Angaben über die Geschäftsbeziehung der Erblasserin zu der Raiffeisenbank Millstättersee enthält. Die Klägerin hat ausweislich des notariellen Nachlassverzeichnisses einen Kontendatenabruf des Notars für Kontenverbindungen in Österreich nicht ermöglicht und keine entsprechende Zustimmungserklärung erteilt. Infolgedessen und mit Rücksicht auf den von ihm zu dem Kontendatenabruf bei österreichischen Banken aufgenommenen Hinweis kann hier davon ausgegangen werden, dass er – wie geboten – bei Vorliegen einer entsprechenden Zustimmungserklärung der Klägerin für die Konten in Österreich, hier insbesondere bei der Raiffeisenbank Millstättersee, ebenfalls Auskunft eingeholt hätte. Die Klägerin wäre aufgrund der sie gemäß § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB treffenden Verpflichtung gehalten gewesen, sich über ihr eigenes Wissen hinaus die zur Auskunftserteilung notwendigen Kenntnisse so weit wie möglich zu verschaffen und von Auskunftsrechten gegenüber Kreditinstituten Gebrauch zu machen. Dies hat sie durch die Verweigerung des Kontendatenabrufs bei der Raiffeisenbank Millstättersee nicht getan, so dass insoweit eine teilweise Unvollständigkeit des notariellen Nachlassverzeichnisses vorliegt. Entgegen der Auffassung der Revision beruht das Berufungsurteil auch nicht auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Offenbleiben kann, ob – wie von der Revision geltend gemacht – dem von der Klägerin mit der Erstellung des Nachlassverzeichnisses vom 4. Mai 2018 beauftragten deutschen Notar das in dem Protokoll in Bezug genommene „Schreiben vom 4.11.2010“ vorgelegen und ob sich die Anfrage des österreichischen Notars auf alle Kontoverbindungen der Erblasserin bei der Raiffeisenbank Millstättersee bezogen hat. Die Anlage 4 zum Nachlassverzeichnis vom 4. Mai 2018, die das Protokoll der Erbantrittserklärung für das Vermögen in Österreich zum Gegenstand hat, enthält jedenfalls zunächst lediglich das Protokoll des österreichischen Notars. Demgegenüber ergibt sich aus dem notariellen Nachlassverzeichnis nebst Anlagen nicht, dass dem deutschen Notar auch das von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 2019 nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht überreichte Schreiben der Raiffeisenbank Millstättersee an den österreichischen Notar vom 4. November 2010 vorgelegen hat. Insoweit fehlt es schon an der Entscheidungserheblichkeit dieses gerügten Gehörsverstoßes, weil die vom Erben abzugebende Vermögenserklärung nach § 170 des österreichischen Außerstreitgesetzes (AußStrG) in ihrer Funktion nicht einem notariellen Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB entspricht. Nach

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§ 170 AußStrG hat der Erbe, wenn – wie hier – kein Inventar zu errichten ist, das Verlassenschaftsvermögen nach allen Bestandteilen wie in einem Inventar zu beschreiben und zu bewerten und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärung durch seine oder seines Vertreters Unterschrift zu bekräftigen. Diese Vermögenserklärung bleibt hinter einem notariellen Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 BGB zurück, da den Notar im Rahmen von § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB eine eigene Ermittlungspflicht trifft und er durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses zum Ausdruck bringt, dass er den Inhalt selbst verantwortet. Demgegenüber handelt es sich bei der Vermögenserklärung gemäß § 170 AußStrG um eine reine Erklärung des Erben selbst, die vom Gericht nicht auf ihre Richtigkeit überprüft wird, nicht den Charakter einer öffentlichen Urkunde hat und deren Wirkungen allein auf das Verlassenschaftsverfahren beschränkt sind. Auch für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche hat die Vermögenserklärung grundsätzlich keine Bedeutung. Da der Erbe indessen gemäß § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB auch nach privatschriftlicher Auskunftserteilung berechtigt ist, die Vorlage eines notariellen Verzeichnisses zu verlangen, ohne dass hierfür besondere Voraussetzungen vorliegen müssen, muss das auch im Verhältnis zur Vermögenserklärung nach § 170 AußStrG gelten.

8. OLG Frankfurt vom 9. Juli 2020 – 10 W 21/2012 Die Schuldnerin wendet sich gegen die Verhängung eines Zwangsgelds, mit dem sie zur Erteilung der im Wege eines Teilanerkenntnisurteils titulierten Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses angehalten werden soll. Zur Begründung führt sie aus, ein für den 16. April 2020 vereinbarter Termin mit dem Notar bei ihr habe im Hinblick auf die „momentane Situation“ verschoben werden müssen, da sie wegen ihrer eigenen stark erhöhten Gefährdungslage derzeit jegliche Kontakte mit Dritten vermeide. Sie habe alles Erforderliche für die Erstellung des Verzeichnisses getan.

Die Schuldnerin wendet eine vorübergehende Unmöglichkeit ein, während deren Dauer Zwangsmaßnahmen im Sinne von § 888 ZPO unzulässig sind. Hierfür ist die Beklagte indes darlegungs- und beweispflichtig. Ihre Ausführungen zu einer Terminsaufhebung im Hinblick auf die „eigene stark erhöhte Gefährdungslage“ – offenbar im Hinblick auf die Covid-19–Pandemie und ihr Alter – genügen dafür nicht. Dazu wäre erforderlich, dass der Schuldnerin eine Terminswahrnehmung (sei es – wie geplant – in ihrem Hause oder am Amtssitz des Notars) auch bei Einhaltung der gebotenen Schutzmaßnahmen nicht zumutbar ist, ggf. auch unter Darlegung der vom Notar veranlassten Hygienemaßnahmen. Im Übrigen ordnet § 2314 BGB keine persönliche Wahrnehmung des Termins zur Aufnahme eines Bestandsverzeichnisses an. Auch die Rechtsprechung sieht das nur für den Regelfall vor. In Betracht kämen unter den gegebenen Umständen

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ZEV 2020, 557 m. Anm. Keim.

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auch eine schriftliche oder fernmündliche Korrespondenz mit dem Notar und/ oder die Mitwirkung eines Vertreters. So auch LG Bad Kreuznach vom 24. August 2020 – 3 O 255/1913

9. OLG Koblenz vom 10. August 2020 – 12 W 136/2014 Mit Beschluss vom 24. März 2020 hat das Landgericht den Antrag der Klägerin auf Festsetzung eines Zwangsgeldes, ersatzweise Zwangshaft, zur Erzwingung der in dem Verfahren 11 O 88/19 (LG Trier) mit Teilurteil vom 9. Juli 2019 festgestellten Auskunftsverpflichtung durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die Klägerin, Tochter des Erblassers, nimmt die Beklagte, dessen Ehefrau, auf Zahlung von Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung in Anspruch. Die Beklagte wurde durch Teilurteil vom 20. August 2019 zur Auskunftserteilung über den Nachlass durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt. Die Beklagte hatte bereits im Sommer 2018 den in T. ansässigen Notar S damit beauftragt, das Nachlassverzeichnis zu erstellen, womit der Notar auch begann. Nachdem die Klägerin nicht bereit war, bei der Aufnahme der beweglichen Nachlassgegenstände anwesend zu sein und mitzuwirken, lehnte der Notar die Erstellung des Nachlassverzeichnisses ab. Die Beklagte strengte daraufhin im September 2019 gegen den Notar ein Beschwerdeverfahren bei dem Landgericht Trier an, in welchem die Beschwerdekammer den Notar am 22. Januar 2020 anwies, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu erstellen, ohne die Erstellung von der Mitwirkung der pflichtteilsberechtigten Klägerin abhängig zu machen. Im weiteren Verlauf jenes Verfahrens folgten eine Anhörungsrüge des Notars und ein Zwangsgeldantrag der Beklagte gegenüber dem Notar. Eine zwischenzeitlich eingelegte Verfassungsbeschwerde des Notars blieb erfolglos. Nach einem weiteren Ortstermin vom 6. Juli 2020 wurde durch den Notar die Vorlage des Verzeichnisses für die 32. Kalenderwoche angekündigt.

Die zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den Antrag der Klägerin auf Festsetzung eines Zwangsgeldes gemäß § 888 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen, da die Voraussetzungen für die beantragte Vollstreckung nicht vorlagen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte nunmehr das Nachlassverzeichnis vorgelegt hat. Nach § 888 Abs. 1 ZPO ist – sofern der Schuldner seine Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme ausschließlich von seinem Willen abhängt und die durch einen Dritten nicht vorgenommen werden kann, nicht erfüllt – auf Antrag des Gläubigers vom Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu erkennen, dass der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Dem entsprechend hat der Schuldner einer Auskunftsverpflichtung, wenn der beauftragte Notar untätig bleibt oder unzureichend tätig wird, im Wege der Dienstaufsicht oder im Zivilrechtsweg ein hinreichendes Nachlassverzeichnis zu erzwingen, indem dienstrechtliche Maßnahmen gegen den Notar eingeleitet werden, oder aber einen anderen Notar mit der Erstellung des Nachlassverzeichnisses zu beauftragen. Erst wenn feststeht, dass trotz derartigen intensiven Bemü13 14

ZEV 2020, 792. ZEV 2020, 697 = ErbR 2020, 877 m. Anm. Horn.

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hens um die Mitwirkungshandlung des Dritten diese nicht zu erlangen ist, ist die titulierte unvertretbare Handlung nicht unmittelbar erzwingbar. Voraussetzung für eine solche Feststellung ist, dass der Vollstreckungsschuldner alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die Mitwirkung des Dritten zu erlangen, und dass er seine darauf gerichteten Bemühungen im Einzelnen dargelegt hat. Zutreffend hat das Landgericht hier angenommen, dass die Bekl. diesen Anforderungen entsprochen hat. Sie hat sich noch vor Eintritt der Rechtskraft des Teilurteils vom 20. August 2019 konsequent um die Errichtung eines Nachlassverzeichnisses durch den Notar S bemüht, indem sie ein Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht angestrengt hat, welches mit dem Beschluss der Beschwerdekammer vom 22. Januar 2020 endete, wodurch der Notar zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses angewiesen wurde. Dass sich das Verfahren durch eine anschließende Anhörungsrüge seitens des Notars und die spätere Anrufung des BVerfG durch diesen in die Länge zog, ist nicht der Beklagten, die im weiteren Verlauf auch einen Zwangsgeldantrag gegen den Notar stellte, anzulasten. Auch die Beauftragung eines anderen Notars hätte sich insofern nicht als zweckmäßig erwiesen, da dadurch kein zeitlicher Vorteil zu erwarten gewesen wäre. Die noch heute fortdauernden, aber insbesondere im Frühjahr 2020 massiv bestehenden Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens durch das Virus SARSCoV-2 führten, wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, zu einer zusätzlichen tatsächlichen Schwierigkeit bei der Beauftragung eines neuen Notars, auf die das Landgericht nicht eigens hinzuweisen brauchte. Die Beauftragung eines bisher mit der Sache nicht befassten Notars wäre, abgesehen von diesen praktischen Erwägungen, voraussichtlich ohnehin nicht geeignet gewesen, zu einer früheren Beendigung des Verfahrens zu führen, da mit dessen neu beginnender Tätigkeit ein erheblicher Reibungsverlust verbunden gewesen wäre. Vgl. hierzu auch LG Trier vom 22. Januar 2020 – 11 T 1/1915 a) Ein Notar ist nicht berechtigt, die Erstellung eines notariellen Verzeichnisses davon abhängig zu machen, dass der Pflichtteilsberechtigte selbst oder durch Vertreter an der Inventarisierung des Nachlasses teilnimmt. b) Gegen die Verweigerung des Notars ist die Untätigkeitsbeschwerde nach § 15 BNotO statthaft.

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ErbR 2020, 878 m. Anm. Horn.

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III. Anrechnung, § 2315 BGB OLG Koblenz vom 15. Juni 2020 – 12 U 1566/1916 Der Gesamtwert des Nachlasses beträgt 127.776,42 €. Der der Klägerin zustehende 1/8 Pflichtteil beläuft sich folglich auf den von dem Landgericht ausgeurteilten Betrag von 15.972,05 €. Entgegen der Auffassung der Beklagten waren von diesem Betrag nicht die 5.000,00 € in Abzug zu bringen, die der Klägerin von ihrer Mutter bereits zu Lebzeiten zugewendet worden sind. Gemäß § 2315 BGB hat sich der Pflichtteilsberechtigte auf den Pflichtteil das anzurechnen zu lassen, was ihm von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Der Erblasser muss die Anrechnung hierbei vor oder bei der Zuwendung anordnen. Die Anordnung muss so eindeutig sein, dass sie für den Pflichtteilsberechtigten vor oder bei der Zuwendung als solche erkennbar ist. Unstreitig trugen die entsprechenden Überweisungen an die Klägerin „lediglich“ den Verwendungszweck „Erbteil“. Aus dieser Formulierung („Erbteil“) lässt sich nicht ohne Weiteres der Schluss ziehen, der Erblasser (hier die Mutter der Klägerin) habe eine Anrechnung auch auf den Pflichtteil gewollt. Es müssen vielmehr zu der gewählten Formulierung („Erbteil“) weitere Anhaltspunkte hinzutreten, die eine Auslegung dahingehend ermöglichen, die Anrechnung solle auch auf den Pflichtteil erfolgen. Gleiches gilt im Ergebnis soweit die Beklagte eine weitere Zuwendung an die Klägerin in Höhe von 12.709,50 € von dem Pflichtteil in Abzug bringen will. Hierbei handelt es sich um eine Zahlung des Vaters der Klägerin vom 26. Oktober 2017. Der Vater der Kläger hat zwar in seinem Testament vom 16. Januar 2019 ausgeführt, dass der Beklagten in Bezug auf ihr Pflichtteilsrecht bereits der Betrag von 12.709,50 € zugewendet worden sei („… zur vollständigen Abgeltung des Pflichtteilsanspruchs erhalten wird. Einen Geldbetrag von 12.709,50 € hat sie bereits von mir erhalten“). Entscheidend ist aber, dass der Erblasser die Anrechnung vor oder bei der Zuwendung anordnen muss. Beweisbelastet für eine diesbezügliche Anrechnungsbestimmung (auf den Pflichtteil) ist der Erbe. Die Beklagte hat weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass der Vater der Klägerin eine solche Anordnung bei der Zuwendung der 12.709,50 € am 26. Oktober 2017 getroffen hat. Die Zuwendung erfolgte 1 Jahr und 3 Monate vor Abfassung des Testaments. Es ist nach der Überzeugung des Senats nicht ausgeschlossen, ja sogar naheliegend, dass sich der Vater der Kläger erst nachträglich zu der im Testament niedergelegten Anrechnungsbestimmung entschlossen hat.

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ErbR 2020, 638 m. Anm. Horn.

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B. Testament I. Auslegung testamentarischer Bestimmungen 1. OLG Oldenburg vom 11. September 2019 – 3 U 24/1817 Die verwitwete Erblasserin hatte sieben eheliche Kinder, darunter die Klägerin und die Beklagte zu 1. Ein Kind verstarb im Säuglingsalter. Der Beklagte zu 2 ist der Sohn der Beklagten zu 1. Die Erblasserin verfasste 1973 zusammen mit ihrem 2001 verstorbenen Ehemann ein notarielles, gemeinschaftliches Testament. Die Eheleute setzten sich gegenseitig zu alleinigen Erben ein, mit der Maßgabe, dass der Überlebende über das Nachlassvermögen des Erstversterbenden frei verfügen können sollte. Weiter heißt es in dem Testament: „2. Zu Erben des Überlebenden von uns berufen wir unsere gemeinschaftlichen Abkömmlinge zu gleichen Anteilen. 3. Der Überlebende erhält jedoch das Recht, die Erbfolge unter den gemeinschaftlichen Abkömmlingen abändern und anderweitig bestimmen zu können.“ Es existiert ein weiteres, mit dem Namen der Erblasserin unterschriebenes, handschriftliches Testament, datiert 20. Dezember 2001. Hier heißt es: „Erbe ist auf meinen Wunsch AA und BB je zur Hälfte. Sie müssen den Geschwistern den Pflichtteil auszahlen.“ Die Klägerin beantragte einen Erbschein, nach dem die Erblasserin von ihren sechs Kindern zu je 1/6 beerbt worden ist. Die Beklagte zu 1 beantragte den Erlass eines Erbscheins, der die Beklagten zu je ½ als Erben ausweist. Das Nachlassgericht entschied im Sinne der Klägerin. Die Beklagte zu 1 legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Der Senat änderte den Beschluss des Nachlassgerichts und erachtete die Tatsachen für festgestellt, nach denen die Beklagten Erben zu je ½ geworden sind. In dem Senatsbeschluss heißt es: „Der Begriff „Abkömmlinge“ in dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahre 1973 ist so auszulegen, dass hiermit alle Abkömmlinge und nicht nur Kinder gemeint sind. Hierfür spricht bereits der Wortlaut, der eine Einschränkung nicht vornimmt. Sofern eine Einschränkung auf Kinder und damit eine untechnische Nutzung des Wortes „Abkömmlinge“ beabsichtigt gewesen wäre, hätte es nahegelegen, diese Einschränkung in das Testament aufzunehmen und eine übliche Formulierung zu wählen, wie etwa „unsere gemeinsamen Abkömmlinge oder deren Abkömmlinge“ oder „unsere gemeinsamen Abkömmlinge nach Stämmen“ oder „unsere gemeinsamen Abkömmlinge nach der gesetzlichen Erbfolge“. Dies ist vorliegend nicht geschehen, so dass davon auszugehen ist, dass das Wort „Abkömmlinge“ keiner Einschränkung unterliegen sollte. Die Tatsache, dass das Testament vor einem Notar abgeschlossen wurde, streitet ebenfalls dafür, das Wort „Abkömmlinge“ im rechtlichen Sinne zu verstehen. Für diese Auslegung spricht auch, dass die Kinder der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentsabfassung auch sämtlich bereits geboren waren. Das jüngste Kind war bereits neun Jahre alt. Vor diesem Hintergrund hätte es nahegelegen, die Kinder, wenn denn nur diese erben sollten, namentlich zu benennen. Letztlich spricht auch die Tatsache, dass sich die Erblasserin offenbar für befugt hielt, die Beteiligten zu 2. und 7. zu ihren Erben einzusetzen dafür, dass die Eheleute das Wort „Abkömmlinge“ nicht auf die Kinder beschränken wollten. Anderenfalls wäre zu erwarten gewesen, dass die Erblasserin sich auf eine Einsetzung der Beteiligten zu 2. als Alleinerbin beschränkt hätte, denn sie wollte offenbar die Beteiligten zu 1. und 3. bis 6. nicht mehr als Erben belassen. “

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ZEV 2020, 246.

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Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass sie zu 1/6 Erbin geworden ist. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die Klägerin ist nicht Erbin zu 1/6 geworden. Sie ist durch das Testament der Erblasserin aus dem Jahr 2001 enterbt worden. Die Erblasserin war durch das gemeinschaftliche Ehegattentestament nicht gehindert, die Beklagten zu ihren Erben einzusetzen. Für eine Auslegung des Wortes „Abkömmlinge“ im Testament von 1973 im Sinne des BGB (§ 1924 BGB) spricht ganz entscheidend, dass die Erblasserin, die das Testament von 1973 mit verfasst hat, bei Abfassung des Testaments von 2001 offenbar ohne Weiteres davon ausging, auch ihren Enkel zum Erben berufen zu können. Es ist im Übrigen auch plausibel, dass Menschen für den Fall ihres Ablebens auch ihre Enkel direkt bedenken wollen. Denn häufig sind beim Versterben der Großeltern die Enkel gerade in einem Alter, in dem sie sich ein eigenes Lebensumfeld schaffen und finanzielle Unterstützung nötig haben, während die Kinder der Erblasser bereits eine gesicherte Lebensstellung haben und daher nicht auf das vollständige Erbe „nach Stämmen“ angewiesen sein. Es ist dann auch weiter plausibel, dass die Erblasser eine gleichmäßige Verteilung zwischen allen Abkömmlingen für gerecht halten und nicht eine Verteilung nach Stämmen, nach der der Umfang der Partizipation der Enkelkinder am Erbe letztlich davon abhängt, wie viele Geschwister sie haben. Die gegenläufige Argumentation überzeugt nicht: Dass 1973 noch nicht feststand, wie viele Abkömmlinge es später einmal geben werde, spricht nicht für eine Auslegung des Wortes „Abkömmlinge“ als „Kinder“. Denn es ist durchaus vorstellbar, dass die Eheleute alle Abkömmlinge gleichbehandeln und eben nicht nach Stämmen vererben wollten. Aber auch, wenn man das Wort „Abkömmlinge“ im Sinne des Landgerichts als „Kinder“ versteht, ist die Klägerin nicht Erbin zu 1/6 geworden, so dass die Klage der Abweisung unterliegt. Denn in diesem Falle wäre das Testament nur in Bezug auf die Erbeinsetzung des Beklagten zu 2 unwirksam. Die Erbeinsetzung der Beklagten zu 1. zu ½ hätte dagegen Bestand. Wäre die Erbeinsetzung des Beklagten zu 2 ungültig, würde das zu einer Anwachsung des Erbteils von ½ zum Erbteil der Beklagten zu 1 führen, so dass diese Alleinerbin wäre. Streitig ist zwar, ob ein Erbe auch „wegfällt“, wenn seine Einsetzung nichtig ist. Für die Bejahung einer Anwachsung auch in diesen Fällen spricht, dass dies dem Willen des Erblassers Rechnung trägt, über den gesamten Nachlass abweichend von der gesetzlichen Erbfolge vollständig zu verfügen. Auch im Falle des § 2096 BGB wird unstreitig davon ausgegangen, dass unter einem „Wegfall“ auch die von Anfang an nichtige Erbeinsetzung zu verstehen sei. Insofern wäre es systemwidrig, beide Begriffe unterschiedlich auszulegen.

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2. OLG Schleswig vom 4. November 2019 – 3 Wx 12/1918 Die Beteiligten zu 1 – 3 (B) sind die drei Kinder der Erblasserin (E). Diese und ihr vorverstorbener Ehemann (M) errichteten 2001 ein notarielles gemeinschaftliches Testament, in dem sie ihre drei Kinder zu je 1/3 als Erben nach dem Tode eines jeden von ihnen einsetzten. B 1 erhielt aus dem Vermögen jedes Elternteils je ein Vorausvermächtnis. Sämtliche Bestimmungen des Testaments sollten, soweit nicht anders bestimmt und soweit gesetzlich zulässig, wechselbezüglich sein. Das Testament schließt mit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung. E und M benannten B 3 zum Testamentsvollstrecker. Dieser sollte die Vorausvermächtnisse erfüllen und den Nachlass auseinandersetzen. Er sollte die Aufgabe unentgeltlich ausüben. 2015 errichtete E ein notarielles Testament, in dem sie die Einsetzung des Sohnes B 3 zum Testamentsvollstrecker im gemeinschaftlichen Testament widerrief und als neue Testamentsvollstreckerin B 4 bestimmte. E ordnete eine Testamentsvollstreckervergütung nach den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins an. Für den Fall, dass die Auswechslung der Person des Testamentsvollstreckers unwirksam sein sollte, sollte die Anordnung der Testamentsvollstreckung vollumfänglich als aufgehoben gelten. B 4 nahm das Amt an. Sie hat die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses für sich beantragt. Das Nachlassgericht hat die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses nach Antrag angekündigt. B 2 hat Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde hat Erfolg. B 4 kann ein Testamentsvollstreckerzeugnis nicht erteilt werden. In ihrem gemeinschaftlichen Testament hatten die Ehegatten die Kinder zu Erben eines jeden von ihnen bestimmt. Die Wechselbezüglichkeit dieser Bestimmung ergibt sich aus der ausdrücklichen Anordnung im gemeinschaftlichen Testament. Eine derartige unzulässige Beeinträchtigung der Schlusserbeinsetzung der Kinder im gemeinschaftlichen Testament stellt die nachträglich einseitig verfügte Berufung der B 4 zur Testamentsvollstreckerin dar. In Rede steht hier der Austausch der Person des Testamentsvollstreckers. Der BGH hat sich mit der Frage – soweit ersichtlich – bislang nur in Fällen befasst, die den Austausch der Person eines erbvertraglich benannten Testamentsvollstreckers betrafen. Er hat die Zulässigkeit offengelassen. Auf einseitige Verfügungen in Erbverträgen sei § 2289 BGB zwar nicht anwendbar. Grundsätzlich sei ein Erblasser damit weiterhin berechtigt, den von ihm für seinen Nachlass benannten Testamentsvollstrecker auszuwechseln. Gleichwohl könne eine Änderung der Person des Testamentsvollstreckers nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sein. Dies sei der Fall, wenn die Auswechslung den Vertragserben beeinträchtige, was sich wiederum nur durch eine Auslegung des Vertragsinhalts ermitteln lasse. Diese Betrachtung hält der Senat für richtig. Im vorliegenden Fall erweist sich der Austausch der Person des Testamentsvollstreckers als unzulässig. Sie ist mit einer Beeinträchtigung der Erben verbunden, zu der E nicht befugt war. Die Beeinträchtigung der Schlusserben ergibt sich aus der mit dem Austausch der Person verbundenen Vergütungsregelung. Im gemeinschaftlichen Testament war ausdrücklich verfügt, dass der Testamentsvollstrecker (…) die Aufgabe unentgeltlich ausüben solle. Der in den späteren Testamenten der E eingesetzten Testamentsvollstreckerin sollte jedoch 18

ZEV 2020, 158 = ErbR 2020, 580 m. Anm. Tamoj.

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eine Vergütung nach den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins zustehen. Die Beeinträchtigung ergibt sich aus der Vergütungsanordnung. Mit dieser Anordnung wird ein Anspruch des Testamentsvollstreckers gegen den Nachlass begründet. Gegen diesen – und damit gegen die Erben als Gesamtschuldner – richtet sich sein Vergütungsanspruch. Darin liegt nicht etwa eine rechtlich unbedenkliche rein wirtschaftliche Beeinträchtigung der Schlusserben. Mit der testamentarischen Neuregelung der Testamentsvollstreckung hat E einen Vergütungsanspruch der Testamentsvollstreckerin gegen den Nachlass geschaffen (s. o.). Die Erben sind gesamtschuldnerisch zur Erfüllung des Anspruchs verpflichtet. Die Neuregelung führt damit auch zu einer rechtlichen Belastung.

3. OLG Düsseldorf vom 8. November 2019 – I-3 Wx 142/1819 Die Beteiligten sind die Söhne der Erblasserin. Die Erblasserin war zusammen mit ihrem Ehemann zu je ½ Miteigentümerin des Familienheims. Sie hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann, dem Vater der Beteiligten, am 29. Oktober 1981 wie folgt gemeinsam testiert: „Wir, die Eheleute …, setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben sollen unsere beiden Söhne … zu gleichen Teilen sein. Das zum Nachlass gehörige Grundvermögen darf vom Vorerben weder verkauft, verschenkt noch mit Hypotheken oder Grundschulden belastet werden. Sollte einer unserer beiden Söhne seinen Pflichtteil nach dem Erstversterbenden verlangen, dann soll er auch nach dem Letztversterbenden nur seinen Pflichtteil erhalten.“ Am 23. Juni 2016 ließ die Erblasserin ein notarielles Testament beurkunden, in dem sie zu ihren Erben den Beteiligten zu 2 zu ¾ und den Beteiligten zu 1 zu ¼ einsetzte. Der Beteiligte zu 1 hat einen Erbschein beantragt, wonach die Erblasserin von den Beteiligten zu 1 und zu 2 zu je ½ beerbt worden ist. Das Nachlassgericht hat die Tatsachen für festgestellt erachtet, die zur Begründung des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 1 erforderlich sind.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2 hatte keinen Erfolg. Die Erbfolge nach der Erblasserin richtet sich nach dem gemeinschaftlichen Testament der Eltern der Beteiligten vom 29. Okt. 1981. Nach diesem Testament sind die Beteiligten zum einen zu je ½ Schlusserben nach der – längstlebenden – Erblasserin; zum anderen ist diese Erbeinsetzung als wechselbezügliche Verfügung mit dem Tod des Vaters der Beteiligten bindend geworden. Daher ist die notarielle Verfügung der Erblasserin vom 23. Juni 2016 insoweit unwirksam, als sie die Rechte des wechselbezüglich bedachten Beteiligten zu 1 beeinträchtigen würde. Das gemeinschaftliche Testament der Eltern enthält nach seinem Wortlaut – nur – eine Regelung für die Erbfolge nach dem Tod des Erstversterbenden. Für den Fall des Todes des überlebenden Ehegatten gibt sein Wortlaut nichts her. Es ist also offen und durch Auslegung nach den anerkannten Grundsätzen gemäß §§ 133, 2084 BGB zu bestimmen, ob die Eheleute mit der Formulierung der Einset19

ZEV 2020, 361.

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zung der Nacherben nur über den Nachlass des Erstversterbenden und nicht auch über den des Letztversterbenden testieren wollten. Der vorliegende Fall entspricht insoweit dem, der der Entscheidung des Kammergerichts (NJW-RR 1987, 451) zugrunde lag. Das Kammergericht hat dazu folgendes ausgeführt: „Die testierenden Eheleute haben sich dem Wortlaut nach gegenseitig zu befreiten Vorerben ihrer Nachlässe eingesetzt. Bei der Anordnung der Nacherbschaft, eine logische Folge der Vorerbschaft, haben sie bei der Formulierung nicht zwischen dem Nachlass des Erstversterbenden und dem des Zweitversterbenden unterschieden, sondern nach der gegenseitigen Einsetzung zu Vorerben schlechthin „Nacherbschaft“ angeordnet, ohne dass dem Testamentswortlaut zu entnehmen wäre, wie nach dem Tode des Letztversterbenden in Bezug auf dessen Nachlass die angeordnete Vorerbfolge des anderen Ehegatten und damit die Nacherbfolge der Beteiligten zu 1 zu aktualisieren wäre; denn nach dem Tode des Letztversterbenden kann der erstverstorbene Ehegatte nicht mehr Vorerbe des anderen werden (§ 1923 Absatz 1 BGB) und damit kann der im Testament zum Nacherben Eingesetzte in Bezug auf den Nachlass des letztversterbenden Ehegatten auch nicht mehr Nacherbe werden. Diese aus dem Begriff der Vor- und Nacherbschaft hergeleitete Überlegung schließt indessen nicht eine Willenserforschung in der Richtung aus, ob die Testierenden nicht auch für den Nachlass des überlebenden Ehegatten den als „Nacherben“ Bezeichneten zum Erben einsetzen wollten (§§ 133, 2084 BGB; vgl. auch RG, Recht 1922 Nr. 438; OLG München, JFG 15, JFG Band 15 Seite 246 = HRR 1937, Nr. 1094; LG Berlin, FamRZ 1976, 293). …“

Diesen Ausführungen hat der Senat nichts hinzuzufügen. Hier ergibt bereits die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments, dass die Eheleute nicht nur die Erbfolge nach dem Tod des Erstversterbenden, sondern auch die nach dem Tod des Überlebenden haben regeln wollen. Ersichtlich ging es den Eheleuten als Eltern der Beteiligten darum, ihren Kindern das im Wesentlichen aus dem Familienheim bestehende gemeinsame Vermögen zu erhalten. Dieses Ziel wäre jedoch nicht zu erreichen, wenn der Überlebende hinsichtlich seines hälftigen Miteigentumsanteils beliebig anderweit hätte von Todes wegen verfügen können. Dies spricht dafür, das gemeinschaftliche Testament dahin auszulegen, dass für den Tod des Längstlebenden die als Nacherben benannten Beteiligten dessen Schlusserben werden sollten. Weiter spricht dafür auch die im letzten Satz des gemeinschaftlichen Testaments enthaltene Regelung, wonach derjenige, der nach dem Erstversterbenden seinen Pflichtteil fordern würde, auch nach dem Letztversterbenden nur seinen Pflichtteil erhalten sollte. Diese Pflichtteilsstrafklausel soll – regelmäßig und so auch hier – verhindern, dass der überlebende Ehegatte durch Forderungen eines der Kinder in finanzielle Schwierigkeiten gebracht wird. Einen Anreiz dazu hat das pflichtteilsberechtigte Kind jedoch nur, wenn es damit rechnen kann, beim Tode des Längstlebenden dementsprechend als (Schluss-)Erbe zum Zuge zu kommen. Selbst wenn man das Testament nicht wie dargestellt auslegen wollte, käme man zu keinem anderen Ergebnis. Denn wenn die Willenserforschung weder positiv zur Bejahung einer Ersatzberufung noch negativ zu einer Verneinung dieser Ersatzberufung führt, ist Raum für die vom Nachlassgericht praktizierte

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Anwendung der „Zweifelsregelung“ des § 2102 Abs. 1 BGB (KG, a.a.O.). Hierzu hat schon das Kammergericht ausgeführt: „Diese Vorschrift ist nach Auffassung des Senats auch dann anwendbar, wenn in einem gemeinschaftlichen Testament sich Ehegatten gegenseitig zu Vorerben und Dritte zu Nacherben einsetzen. Ergibt also eine Willenserforschung der testierenden Eheleute hinsichtlich des Nachlasses des überlebenden Ehegatten weder eine gewollte noch eine nicht gewollte ersatzweise (Voll)erbenberufung der als Nacherbe eingesetzten Person, besteht insoweit also ein non liquet, ist von einer solchen Ersatzberufung auszugehen. In diesem Fall bedeutet die Verwendung des Wortes „Nacherbe“ in Anwendung der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB die ersatzweise Einsetzung als (Voll)erbe des überlebenden Ehegatten, nämlich für den Fall, dass der erstverstorbene Ehegatte nicht Vorerbe des Überlebenden und damit insoweit auch die als Nacherbe bezeichnete Person nicht Nacherbe werden kann. … Die Vorschrift des § 2102 Abs. 1 BGB will gerade in Fällen, in denen die Einsetzung eines Nacherben wegen Wegfalls des Vorerben nicht zum Tragen kommt, der Verfügung im Zweifel Wirksamkeit verleihen, indem nach gesetzlicher Auslegungsregel der Nacherbe ersatzweise als (Voll)erbe berufen ist. Dieser Gesichtspunkt gilt in gleicher Weise für den Fall, dass die Ehegatten sich nicht in getrennten, sondern in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Vorerben und Dritte zu Nacherben einsetzen. In beiden Fällen erfüllt die Vorschrift des § 2102 Abs. 1 BGB den Zweck, dem Willen des Erblassers im Zweifel einen der Lebenserfahrung entsprechenden Ausdruck zu verleihen. …“ Der Senat schließt sich dem aufgrund eigener Prüfung an. Die somit vorliegende Einsetzung der Beteiligten zu Schlusserben nach dem Tode der Erblasserin als Längstlebende hat auch wechselbezügliche Bindungswirkung, so dass die Erblasserin gehindert war, durch letztwillige Verfügung die Rechte des wechselbezüglich bedachten Beteiligten zu 1 zu beeinträchtigen. Insoweit ist die notarielle Verfügung vom 23. Juni 2016 daher unwirksam. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung liegt die Annahme nahe, dass der Ehepartner, der den anderen Elternteil zum Alleinerben einsetzt und damit die gemeinsamen Kinder übergeht, dies in einer Wechselwirkung dazu sieht, dass nicht nur er selbst, sondern auch der andere Elternteil im Gegenzug dafür als Schlusserben des beiderseitigen Vermögens die Kinder einsetzt. Jedenfalls ist nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB, die hier durch eine Auslegung nicht widerlegt ist, von einer Wechselbezüglichkeit auszugehen.

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4. OLG München vom 12. November 2019 – 31 Wx 183/1920 Die verheiratete Erblasserin ist am 22. August 2018 verstorben. Sie hinterlässt ihren Ehemann (Beteiligter zu 1) und die beiden gemeinsamen Kinder (Beteiligte zu 2 und 3). Die Ehegatten errichteten am 10. August 2002 ein von ihnen eigenhändig ge- und unterschriebenes Testament, in dem es auszugsweise heißt: „Wir (Ehemann) geb. am (…) und (Ehefrau) geb. am (…) wollen, dass nach unserem Tod das Haus unser Sohn (Beteiligter zu 2) … bekommt. Er muss aber unserer Tochter 35 % ausbezahlen. Wenn noch Geld vorhanden ist, bekommt jedes die Hälfte. (Beteiligter zu 2) bekommt die Münzen und Vaters Sachen. (Beteiligte zu 3) bekommt Schmuck, Puppen, Handarbeiten, Kaffee- und Speiseservice, Silber-Besteck.“ Auf der Grundlage dieses Testaments beantragte der Ehemann beim Nachlassgericht einen Alleinerbschein. Das Nachlassgericht lehnt die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins ab. Es ist der Ansicht, dass das fragliche Testament keine Regelung für den ersten Erbfall enthalte.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg. Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer die Erblasserin nicht aufgrund Testaments vom 10. August 2002 allein beerbt hat. Das Testament vom 10. August 2002 enthält keine ausdrückliche Erbeinsetzung des Beschwerdeführers für den ersten Erbfall. Soweit der Beschwerdeführer meint, eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall ergebe sich durch Auslegung der Verfügung, trifft dies nicht zu. Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann den aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sie ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig. Auch wenn Ehegatten sich üblicherweise gegenseitig selbst bedenken, stellt diese Tatsache keinen ausreichenden Anhalt für eine gegenseitige Erbeinsetzung dar. Die gegenseitige Erbeinsetzung kann daher nicht allein aufgrund der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes angenommen werden. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teilt der Senat die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach das verfahrensgegenständliche Testament für den ersten Erbfall keine Erbeinsetzung des Beschwerdeführers enthält. Dabei bedurfte es auch nicht zunächst einer Beweisaufnahme durch das Nachlassgericht zur Klärung der Frage klärt, ob die Ehegatten den Überlebenden als Alleinerben einsetzen wollten oder nicht. Das Nachlassgericht durfte einen entsprechenden Willen unterstellen und zugleich im Wege der Testamentsauslegung ermitteln, ob ein entsprechender Wille im Testament angedeutet ist oder nicht. Auch nach Auffassung des Senats findet sich für eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten keine hinreichende Andeutung in der Verfügung. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, eine solche Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut, da die Ehegatten von „unserem Tod“ ge20

ZEV 2020, 47; so jetzt auch erneut OLG München v. 11.3.2020 – 31 Wx 10/20, ErbR 2020, 485.

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sprochen haben, trägt dieser Einwand nicht. Die Formulierung kann ebenso gut zur Begründung dafür herangezogen werden, dass die Eheleute (gerade nur) den Tod des Letztversterbenden regeln wollten, denn dann wäre die Formulierung „nach unserem Tod“ im Sinne von „wenn wir beide tot sind…“ passend für die Formulierung eines entsprechenden Willens. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Ehegatten von „unserem Haus“ sprechen. Die Formulierung selbst ist für sich genommen wenig aussagekräftig, da es durchaus naheliegend ist, dass die Eheleute zu Lebzeiten das gemeinsam erwirtschafte Vermögen als Einheit betrachtet haben. Dass nach dem Tode des Letztversterbenden das Pronomen „unser“ unzutreffend wäre, weil dann der überlebende Ehepartner Alleineigentümer geworden wäre, reicht nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht aus, um darin die Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall zu sehen.

5. OLG Brandenburg vom 18. Februar 2020 – 3 W 9/2021 Die Beteiligten streiten in einem Erbscheinverfahren um die Erbfolge nach dem Erblasser. Der Erblasser und seine im Jahr 2007 vorverstorbene Ehefrau setzten sich mit gemeinschaftlichem Testament vom 22. September 2004 gegenseitig zu Alleinerben und die Nichte des Erblassers zur Schlusserbin ihres gemeinsamen Nachlasses ein. Nachdem die Nichte 2008 ebenfalls verstorben war, testierte der Erblasser am 26. September 2009 in der Form neu, dass er den Antragsteller und die allerdings 2016 ebenfalls vorverstorbene Schwester, als deren Ersatzerbin ihre Tochter, die Beteiligte zu 2, (sinngemäß) zu gleichen Teilen als Erben einsetzte. Der Antragsteller beantragt, ihm einen Erbschein auf der Grundlage der letztwilligen Verfügung vom 26. September 2009 zu erteilen. Die Beteiligte zu 4 macht hingegen geltend, die nämliche letztwillige Verfügung sei unwirksam, weil der Erblasser noch an das wechselbezügliche Anordnungen enthaltende Ehegattentestament aus dem Jahr 2004 gebunden gewesen sei. Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1 mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 erweist sich als begründet. Die Erbfolge nach dem Erblasser richtet sich nach dem Inhalt dessen wirksamen Testamentes vom 26. September 2009. Es ist bereits nicht anzunehmen, dass die Einsetzung der Nichte des Erblassers zur Schlusserbin des gemeinsamen Nachlasses der Ehegatten durch das Testament vom 22. September 2004 im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB wechselbezüglich zur Einsetzung des Erblassers zum Erben seiner vorverstorbenen Ehefrau war. Ist nämlich der Schlusserbe nur mit dem überlebenden Ehegatten verwandt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass der vorversterbende Ehegatte seinem Partner regelmäßig das Recht belassen will, als Überlebender jederzeit die Einsetzung des Schlusserben zu ändern, insbesondere im Fall einer Verschlechterung seiner persönlichen Beziehungen zu dem Bedachten. Nachdem die eingesetzte Schlusserbin vorverstorben ist, unterliegt das Ehegattentestament zudem der Auslegung dahingehend, ob die Ehegatten einen Ersatzerben eingesetzt haben oder, hätten sie den Tod der Nichte bedacht, ein21

ZEV 2020, 381.

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gesetzt hätten. Die Auslegungsregel gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann (sofern kein entgegenstehender Testierwille besteht) anwendbar, wenn sich die Einsetzung des Ersatzerben durch entsprechende Auslegung zweifelsfrei feststellen lässt, nicht jedoch, wenn die Annahme der Ersatzerbeneinsetzung allein auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruht. Eine Kumulation der Auslegungsregel des § 2069 BGB mit derjenigen des § 2270 Abs. 2 BGB ist nicht gerechtfertigt. Für die Annahme, die Ehegatten hätten einen Ersatzerben für die eingesetzte Schlusserbin einsetzen wollen, spricht jedoch nach dem Inhalt des streitgegenständlichen Testamentes nichts; ein derartiger Wille deutet sich darin nicht einmal ansatzweise an. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen gemäß § 2069 BGB nicht vor, da es sich bei der eingesetzten Schlusserbin um keinen Abkömmling des Erblassers handelt, und diese Vorschrift wäre zudem – wie ausgeführt – im Zusammenspiel mit § 2270 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Das Ehegattentestament vom 22. September 2004 entfaltet vor dem Hintergrund des Vorstehenden keine Rechtswirkungen mehr und ist vielmehr (spätestens, d.h. soweit überhaupt Wechselbezüglichkeit anzunehmen wäre) durch den Tod der Schlusserbin gegenstandslos geworden (§ 1923 Abs. 1 BGB).

6. LG Düsseldorf vom 11. Mai 2020 – I-3 Wx 135/1922 a) Ein notarieller Erbvertrag (1997), in dem die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann sich gegenseitig – unter ausdrücklich vereinbarter Bindungswirkung – als alleinige und unbeschränkte Erben und zu Erben des Letztversterbenden „mit Beteiligung zu je ein Halb“ den gemeinsamen Sohn und die „ersteheliche“ Tochter der Erblasserin eingesetzt haben, steht der Wirksamkeit eines von der Erblasserin nach dem Tode des Ehemannes errichteten privatschriftlichen Testament (2017) mit dem sie den gemeinsamen Sohn zu ihrem unbeschränkten und alleinigen Erben einsetzt, nicht entgegen, wenn – wie hier – die ursprüngliche Verfügung im Erbvertrag zugunsten der „erstehelichen“ Tochter der Erblasserin als Schlusserbin zu 1/2 durch deren Vorversterben hinfällig geworden ist. b) Für ein Erbrecht der Enkelin (Kind der „erstehelichen“ Tochter) nach der Erblasserin ist entscheidend, ob sie für die vorverstorbene Tochter der Erblasserin – wie hier vom Senat verneint – als Ersatzerbin eingesetzt und die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes an eine solche Ersatzerbeneinsetzung gebunden war

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ErbR 2020, 648.

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II. Formwirksamkeit von Testamenten, §§ 2247, 2267 BGB 1. OLG Bamberg vom 25. Februar 2019 – 1 W 4/1923 Liegen keine besonderen Umstände vor, die gegen eine eigenhändige Errichtung eines privatschriftlichen Testaments sprechen, genügt es, wenn der Tatrichter selbst die Schriftzüge des ihm vorliegenden Testaments mit anderen Schriftproben vergleicht und das Ergebnis würdigt. Die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit eines eigenhändigen Testaments ist nur in Zweifelsfällen geboten (BayObLG, Beschluss vom 20. Juli 1994 – 1Z BR 108/93; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Juli 2013 – I-3 Wx 105/13). Einen derartigen Zweifelsfall vermag der Senat trotz der durch die Beschwerdeführer erhobenen Einwände nicht zu erkennen.

2. OLG Düsseldorf vom 22. Februar 2019 – I-25 Wx 65/1824 a) Wird eine Kopie einer Testamentsurkunde vorgelegt, unterliegt es der freien Beweiswürdigung, ob der Erblasser ein formgerechtes Testament mit diesem Inhalt errichtet hat. b) Es besteht keine tatsächliche Vermutung, dass der Erblasser das Original in der Absicht der Aufhebung vernichtet hat. und OLG Brandenburg vom 5. September 2019 – 3 W 79/1825

3. OLG Köln vom 18. Mai 2020 – 2 Wx 102/2026 Das Testament wird … dem Unterschriftserfordernis nach § 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG gerecht. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH vom 25. Oktober 2002 – V ZR 279/01, MDR 2003, 384 = NJW 2003, 1120) wird „mit der Unterschrift … dokumentiert, dass sich die Beteiligten ihre Erklärungen zurechnen lassen und die Urkunde in ihrer körperlichen Form genehmigen. Die Identifizierbarkeit der Beteiligten ist indes nicht Sinn der Unterschrift; hierzu dient die nach § 10 BeurkG zu treffende Identitätsfeststellung.“ Im Streitfall hat die Erblasserin zumindest angesetzt, ihren Familiennamen „K…“ zu schreiben, was in der Urkunde in dem „K“ und der anschließenden geschlängelten Linie seinen Niederschlag gefunden hat. Aufgrund der besonderen Umstände liegt die Annahme nahe, dass die Erblasserin damit nicht lediglich eine Paraphierung beabsichtigte, sondern eine volle Niederschrift ihres Familiennamens, was ihr indes vor dem Hintergrund ihrer 23 24 25 26

ZEV 2019, 587. ErbR 2019, 59. ErbR 2020, 113. ZEV 2020, 763.

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Schwächung durch die schwere Erkrankung nach der glaubhaften Darstellung des Urkundsnotars nicht vollständig gelang. Die Voraussetzungen einer Schreibunfähigkeit nach § 25 BeurkG lagen damit noch nicht vor, denn die Erblasserin war noch schreibfähig, wenn auch mit einem Duktus, der durch ihre krankheitsbedingte Schwächung geprägt war. Ohne Erfolg beruft sich die Beschwerde ferner auf Literaturstellen zu § 2247 BGB, wonach eine bloße Unterzeichnung mit dem Anfangsbuchstaben des Namens nicht genüge. Zum einen hat die Erblasserin, wie dargestellt, sich hier nicht auf die Abkürzung des Familiennamens mit dem Anfangsbuchstaben beschränken wollen und hat dies auch nicht getan. Zum anderen kommt der Unterschrift bei einem eigenhändigen Testament nach § 2247 BGB auch eine Identifizierungsfunktion zu, im Falle notarieller Beurkundung hingegen – weil hier die Identifizierung vom Notar gewährleistet wird – lediglich die einer Bekundung der Verantwortungsübernahme. An letzterem kann bei der Unterzeichnung des Testaments … kein Zweifel bestehen.

III. Widerruf, Ausschlagung und Anfechtung27 1. KG vom 11. Juli 2019 – 19 W 50/1928 Die Antragstellerin begehrt die Ausstellung eines Erbscheins, der sie und ihre Tochter, die Beteiligte zu 2, als Erben zu je 1/2 ausweist. Die Antragstellerin war mit dem Erblasser verheiratet. Aus der Ehe ging eine gemeinsame Tochter hervor, die Beteiligte zu 2. Diese bekam ihrerseits im Februar 2016 eine Tochter. Am 8. Oktober 2018 starb der Erblasser. Er hinterließ keine Verfügungen von Todes wegen. Mit notarieller Urkunde vom 13. November 2018 erklärte die Beteiligte zu 2, dass sie die Erbschaft nach dem Erblasser „aus allen Berufungsgründen“ ausschlage. Als alleinige Sorgeberechtigte schlage sie die Erbschaft auch für ihre Tochter aus allen Berufungsgründen aus. Die rechtlichen Folgen einer Erbausschlagung seien ihr bekannt. Mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag und vor demselben Notar beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Erbscheins. Darin wird auf die Erbausschlagung der Beteiligten zu 2 und ihrer Tochter Bezug genommen. Der Erblasser sei somit nach gesetzlicher Erbfolge beerbt worden von seiner Ehefrau – der Antragstellerin – als Alleinerbin. Mit Verfügung vom 21. November 2018 wies das Amtsgericht darauf hin, dass die eidesstattliche Versicherung nichtzutreffend sei. Als Erben seien gemäß § 1931 BGB neben dem Ehegatten auch die Erben der zweiten Ordnung und Großeltern berufen. Es seien deshalb die Sterbeurkunden der Eltern und der Großeltern des Erblassers einzureichen. Mit notarieller Urkunde vom 18. Dezember 2018 erklärte die Beteiligte zu 2 die Anfechtung der von ihr erklärten Erbausschlagung wegen Irrtums und erklärte zugleich die Annahme der Erbschaft. Auf die Nachfrage des Amtsgerichts nach dem konkreten Irrtum und dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung erklärte die Beteiligte zu 2, dass die Erbausschlagung in der Erwartung erfolgt sei, dass der Nachlass damit der Antragstellerin nicht mehr nur zur Hälfte, sondern allein zufalle. Nach der Zwischenverfügung habe die Beteiligte zu 2 am 13. Dezember 2018 Rechtsrat eingeholt, wobei ihr die gesetzlichen Gegebenheiten und Rechtsfolgen der Erbausschlagungserklärung und die Erbfolge im Einzelnen erläutert worden seien. Mit Beschluss vom 19. Februar 2019 hat das Amtsgericht diesen Antrag 27 28

Keim, Unterschätzte Risiken bei lenkenden Erbausschlagungen werthaltiger Nachlässe! – Beispiele aus der Rechtsprechung, ZEV 2020, 393 – 402. ZEV 2020, 152 m. Anm. Muscheler.

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zurückgewiesen. Die Anfechtung sei zwar frist- und formgerecht erfolgt, es liege jedoch kein wirksamer Anfechtungsgrund vor.

Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer Ausschlagung nicht Erbin geworden. Die Ausschlagung ist wirksam. Die erklärte Anfechtung hat die Ausschlagungserklärung nicht erfolgreich beseitigt, da ein Anfechtungsgrund nach § 119 BGB nicht gegeben ist. Dabei kann ein – hier allein in Betracht kommender – Inhaltsirrtum nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. BGH vom 29. Juni 2016 – IV ZR 387/15, Rn. 11; BGH vom 5. Juli 2006 – IV ZB 39/05, Rn. 19). Von diesen Grundsätzen ausgehend befand sich die Beschwerdeführerin bei Erklärung der Ausschlagung allenfalls in einem – rechtlich unbeachtlichen – Motivirrtum. Ihr Irrtum lag offensichtlich allein darin, dass sie die gesetzliche Erbfolge und dabei insbesondere die Rechtsfolge aus § 1931 BGB verkannt hat, wonach nämlich neben den Ehegatten auch noch Verwandte zweiter Ordnung oder Großeltern treten und der Ehegatte nur Alleinerbe wird, wenn solche Personen im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr vorhanden waren, § 1931 Abs. 2 BGB. Die Anfechtende hat hingegen nicht angenommen, dass durch die Ausschlagung ihr Erbteil den neben ihr bereits vorhandenen Erben unmittelbar anwächst; eine solche Vorstellung könnte ein Irrtum über eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung darstellen. Ihr war vielmehr bewusst, dass nach der Ausschlagung die gesetzliche Erbfolge neu zu bewerten ist, so als ob die Anfechtende zu keinem Zeitpunkt Erbin geworden wäre. Dafür spricht schon, dass sie selbst die gesetzliche Erbfolge in der Ausschlagungserklärung darstellt und die Ausschlagung nicht nur für sich, sondern auch für ihre Tochter erklärt. Schließlich spricht auch für eine Kenntnis davon, dass grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge so eintritt, als wäre die Anfechtende nicht Erbin geworden, dass taggleich vor demselben Notar die Mutter der Anfechtenden die Annahme der Erbschaft erklärt und einen Erbschein als Alleinerbin beantragt hat. Dieser Irrtum der Beteiligten zu 2 über die Rechtsfolge aus § 1931 BGB ist kein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum, sondern ein unbeachtlicher (Motiv-) Irrtum über eine nur mittelbare abstrakte Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung. Diese Auffassung entspricht der immer noch ganz herrschenden Meinung, wonach der Irrtum über die Person desjenigen, dem die

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Ausschlagung zugutekommt, nur einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt. Der Senat schließt sich dieser Auffassung jedenfalls für den vorliegenden Fall eines auf § 1931 BGB bezogenen Irrtums an. Denn die Anwendung des § 1931 BGB ist keine direkte und wesentliche Folge der Ausschlagung, sondern bei jedem Erbgang als Teil der Prüfung der gesetzlichen Erbfolge beachtlich. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung sind demnach zwar – als zwei Seiten einer Medaille – der Verlust der Rechtsstellung als Erbe beim Ausschlagenden (§ 1953 Abs. 1 BGB) sowie der Anfall der Rechtsstellung als Erbe bei dem, der berufen sein würde, wenn der Ausschlagende im Zeitpunkt des Erbfalls nicht gelebt hätte (§ 1953 Abs. 2 BGB). Wer konkret dieser Erbe nach § 1953 Abs. 2 BGB dann ist, ergibt sich hingegen nicht aus den Regeln der Ausschlagung, sondern aus den allgemeinen Regeln zur gesetzlichen Erbfolge; unmittelbare Rechtsfolge ist mithin nur die Streichung des Ausschlagenden aus der gesetzlichen Erbfolge, nicht jedoch der Eintritt und die Ermittlung der gesetzlichen Erbfolge als solche (a.A., aber diesen Punkt und § 1931 BGB nicht erörternd OLG Düsseldorf vom 12. März 2019 – 3 Wx 166/17). Die gesetzliche Erbfolge ist vielmehr nur unmittelbare Rechtsfolge des Erbfalls. Gewollte und auch eingetretene Rechtsfolge der Ausschlagung ist demnach hier, dass die Beteiligte zu 2 ihre Erbenstellung verloren hat und bei der Neubewertung der gesetzlichen Erbfolge nicht mehr berücksichtigt wird. Hingegen ist die von der Beteiligten zu 2 angenommene Alleinerbschaft der Antragstellerin nur eine mittelbare Rechtsfolge, die zu den genannten gewollten Rechtsfolgen hinzutritt. Allein der Umstand, dass dies der Hauptgrund und die Hauptmotivation für die Ausschlagung gewesen sein mag, ändert nichts an der dargestellten Abgrenzung zwischen unbeachtlichem Motivirrtum und beachtlichem Inhaltsirrtum. Eine Rechtsfolge wird nicht allein dadurch zu einer im Sinne der oben genannten Rechtsprechung „unmittelbaren“ Rechtsfolge, nur weil diese Rechtsfolge der Hauptgrund für die Erklärung der Ausschlagung war (a.A. wohl OLG Düsseldorf vom 12. März 2019 – 3 Wx 166/17 Rn. 26, das entscheidend auf den Lenkungswillen des Ausschlagenden abstellt). Auch aus Gründen der Rechtssicherheit ist es geboten, die Anfechtbarkeit wegen eines Rechtsfolgenirrtums auf die Fälle zu begrenzen, in denen die Rechtsfolge, auf die sich der Irrtum bezieht, sich nach der gesetzlichen Regelung und Systematik – insoweit objektiv – unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft bzw. der Willenserklärung ergibt. Ob etwas anderes gelten würde, wenn die Anfechtende sich konkret über die, dann als Erbin anzusehende Person irrt, kann vorliegend offenbleiben. Dies wäre nur relevant, wenn die Anfechtende vorliegend angefochten hätte, weil feststeht, dass ihre Mutter nicht Alleinerbin wurde, sondern noch andere – der Anfechtenden vorher unbekannte – Miterben bestehen würden. Dies hat sie aber ausdrücklich nicht getan. Sie beruft sich allein auf die bloße Möglichkeit, dass es solche Miterben geben könnte. Dies ist jedoch aus den oben dargestellten Gründen kein beachtlicher Irrtum. Insoweit weicht der Fall maßgeblich ab von der zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 21. September 2017; dort war ein

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zuvor unbekannter weiterer Erbe aufgetaucht, so dass die gewollte Folge einer Alleinerbschaft der Ehefrau des Erblassers – trotz Kenntnis der Anfechtenden von dem rechtlichen Umfang der gesetzlichen Erbfolge – nicht eintreten konnte. Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass es keinen Unterschied macht, ob der Ausschlagende die gesetzliche Erbfolge aus rechtlichen Gründen (zum Beispiel wegen Unkenntnis von § 1931 BGB) oder aus tatsächlichen Gründen (zum Beispiel wegen Unkenntnis der Existenz eines Geschwisterteils des Erblassers) verkennt. Zulässig wäre demnach eine Anfechtung allenfalls dann, wenn der Ausschlagende annahm, dass durch die Ausschlagung eine Anwachsung des Erbteils bei den übrigen Erben erfolgt, also die gesetzliche Erbfolge nicht neu bewertet wird. Ein solcher Fall liegt hier jedoch aus den dargestellten Gründen nicht vor. Aus den Entscheidungen des BGH vom 29. Juni 2016 (IV ZR 387/15) und vom 5. Juli 2006 (IV ZB 39/05) ergibt sich nichts anderes. In den dort entschiedenen Fällen wurde einem die Erbschaft annehmenden Erben ein Anfechtungsrecht zugestanden, weil der Erbe nicht gewusst hatte, dass er das Pflichtteilsrecht im Falle der Ausschlagung nicht verlieren würde. Der Erbe hatte sich dort also über das ihm nach § 2306 Abs. 1 BGB zustehende Wahlrecht geirrt. Dieses Wahlrecht bzw. der Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge der Annahme einer Erbschaft hat der BGH als unmittelbare und wesentliche Rechtsfolge eingeordnet und deshalb einen Irrtum über diese Rechtsfolge als Inhaltsirrtum qualifiziert. Dem ist zuzustimmen. Dies führt aber im vorliegenden Fall zu keiner anderen Bewertung. Denn das Wahlrecht bzw. die Entstehung des Pflichtteilsrechts ist in § 2306 Abs. 1 BGB unmittelbar mit der Ausschlagung verknüpft. § 1931 BGB hingegen hat unmittelbar mit der Ausschlagung nichts zu tun und ist nur mit dem Eintritt des Erbfalls verknüpft. Ein Irrtum hierüber bleibt deshalb im Falle der Ausschlagung ein unbeachtlicher Motivirrtum.

2. OLG Brandenburg vom 23. Juli 2019 – 3 W 55/1929 a) Die Überschuldung des Nachlasses kann eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellen, die zur Anfechtung berechtigt; dies indes nur, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, also bezüglich des Bestandes an Aktiva oder Passiva, beruht. b) Nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag und seine Entscheidung auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage getroffen hat.

29

ErbR 2019, 704; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 7.8.2019 – 3 Wx 170/18, ErbR 2020, 46.

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3. Vgl. aber auch OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2020 – I-3 Wx 167/1930 Die Beteiligten zu 1 bis 11 sind die Kinder der Erblasserin. Die Stadt D veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin. Mit Schreiben vom 24. Juli 2013 teilte sie mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 könne zu Gunsten der Beteiligten zu 1 bis 11 eine unbillige Härte anerkannt werden, weswegen von einer Kostenersatzforderung bezüglich der Bestattungskosten abgesehen werde. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Da diese unbillige Härte Sie jedoch nicht von der Erbschaft befreit, füge ich diesem Schreiben eine Kopie der Sterbeurkunde Ihrer Mutter bei und empfehle Ihnen das Erbe beim Nachlassgericht … oder bei dem für Ihren Wohnort zuständigen Nachlassgericht auszuschlagen.“ Daraufhin schlugen die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 die Erbschaft aus. Zur Begründung gab die Beteiligte zu 1 an, der Nachlass dürfte überschuldet sein. Die Beteiligte zu 2, 3 und 7 erklärten, die Zusammensetzung des Nachlasses sei ihnen nicht bekannt. Nachdem der Beteiligte zu 12 mit Schreiben vom 9. August 2018 mitgeteilt hatte, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf von Grundeigentum und Begleichung aller Verbindlichkeiten auf ca. 35.000,00 €, erklärten die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärungen. Am 18. Dezember 2018 hat die Beteiligte zu 3 Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge beantragt, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 Anteil ausweist. Mit Beschluss vom 18. Juli 2019 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag vom 18. Dezember 2018 zurückgewiesen, weil die Erbausschlagungen nicht erfolgreich angefochten worden seien, so dass der Erbschein nicht zu Gunsten sämtlicher im Erbschein aufgeführter Erben erteilt werden könne.

Die Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts haben die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 ihre Ausschlagungserklärungen wirksam angefochten. Ein Anfechtungsgrund in der Form eines Eigenschaftsirrtums gemäß § 1954 Abs. 1 i.V.m. § 119 Abs. 2 BGB liegt vor. Allerdings stellt ein Irrtum über die Größe des Nachlasses grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund dar, da nicht der Wert selbst, sondern die wertbildenden Faktoren als Eigenschaften anzusehen sind. Wer eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen hat, kann dies nicht anfechten, wenn sich später das Vorhandensein eines wertvollen Nachlassgegenstandes herausstellt oder sich ein Nachlassgegenstand als wertvoller herausstellt, als bei der Ausschlagung angenommen wurde. Zu den Eigenschaften der Erbschaft gehört dagegen die Zusammensetzung des Nachlasses, so dass ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass zur Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung berechtigen kann, wenn es sich dabei um eine wesentliche Eigenschaft handelt. Das wird bei einem Irrtum darüber angenommen, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht, sofern der Irrtum auf falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder -verbindlichkeiten beruht, nicht aber auf einer fehlerhaften Einschätzung des Wertes. Daraus folgt zugleich, dass nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer 30

ZEV 2020, 484 = ErbR 2020, 666 m. Anm. Krüger.

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Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag; mit anderen Worten sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer, bewusst ungesicherter, Grundlage getroffen hatte. Im vorliegenden Fall haben sich die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 ausweislich ihrer Ausschlagungserklärungen zwar keine vertieften Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht. Allerdings sind die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 bei der Ausschlagung der Erbschaft einer ausdrücklichen Empfehlung der Stadt D im Schreiben vom 24. Juli 2013 gefolgt. Die Erbausschlagung der Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 folgte danach der irrtümlichen Annahme, die Stadt D habe eine Überschuldung des Nachlasses festgestellt. In einem solchen Fall kann keine Rede davon sein, dass die Anfechtenden ihre Entscheidung auf einer spekulativen, bewusst ungesicherten Grundlage getroffen hätten.

4. OLG Köln vom 22. April 2020 – I-2 Wx 84/2031 Der Erblasser kann ein Testament jederzeit und ohne besonderen Grund widerrufen (§ 2253 BGB). Der Widerruf eines Testamentes kann unter anderem dadurch erfolgen, dass der Erblasser in der Absicht, das Testament aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet (§ 2255 S. 1 BGB). Hat der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet, so wird vermutet, dass er die Aufhebung des Testaments beabsichtigt habe (§ 2255 S. 2 BGB). Sind allerdings mehrere Urschriften eines Testaments vorhanden, so kann zum Widerruf die Vernichtung oder Veränderung nur einer von mehreren Urschriften nur dann genügen, wenn kein Zweifel über den Aufhebungswillen des Erblassers besteht. Die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB findet keine Anwendung. Diese setzt voraus, dass die einzig vorhandene Testamentsurkunde vernichtet oder verändert wurde. Daher unterliegt es der freien, nicht durch die Vermutungsregelung des § 2255 S. 2 BGB gebundenen Beurteilung, ob der Erblasser die Absicht hatte, auch dass in der anderen, gleichlautenden Urschrift niedergelegte Testament zu widerrufen. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass es die Aussage des Zeugen … als glaubhaft ansieht, wonach die Erblasserin ein Original des Testaments in seiner Gegenwart zerstört und dabei zweifelsfrei bekundet hat, an der Erbeinsetzung der Beschwerdeführerin nicht festhalten zu wollen. Weiter hat das Nachlassgericht auch rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass die Existenz eines weiteren Originals dem nicht entgegenstünde. Zu Recht hat das Nachlassgericht in diesem Zusammenhang angeführt, dass (nicht zuletzt angesichts des Lebensalters der Zeugen) angenommen werden kann, dass sie das zweite Original vergessen hat. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass die 31

ZEV 2020, 695.

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Erblasserin unstreitig versucht hat, die Übertragung ihres Grundstücks an die Beschwerdeführerin rückgängig zu machen und zu dieser seit Mitte 2017 auch keinen persönlichen Kontakt mehr hatte ….

5. Vgl. hierzu auch OLG München vom 5. Mai 2020 – 31 Wx 246/1932 Der ledige und kinderlose Erblasser ist 2017 verstorben. Er errichtete am 08. Juli 2011 zwei im Wesentlichen gleichlautende Testamente. Ein Exemplar verblieb beim Erblasser, ein Exemplar gab er der Beteiligten zu 1, seiner Cousine. Die Verfügungen haben folgenden Wortlaut: „Testament

1.) Im Falle meines Ablebens setze ich meine Cousine … …, …, … str., zu meiner Alleinerbin ein. 2.) Als Vermächtnis erhalten: …, … in … 10.000 € 3.) Ersatzerben: … …, Pfarrer in … … den 8.7.2011 (Unterschrift des Erblassers)“ Die beiden Exemplare unterscheiden sich lediglich insoweit, als ein Exemplar, nämlich das, was beim Erblasser verblieben war, die Wörter „meine Cousine“ als Einfügung oberhalb der ersten Zeile enthält und die Gliederungsziffern (1, 2, 3) nicht enthält. Die beim Erblasser verbliebene Verfügung wurde nach dem Vortrag der Beteiligten im Verfahren vor dem Nachlassgericht im Jahre 2017 vom Betreuer des Erblassers zerrissen. Das bei der Beteiligten zu 1 verbliebene Exemplar habe der Betreuer von dieser herausverlangt, jedoch verweigerte die Beteiligte zu 1 nach Angaben des Betreuers die Herausgabe. Die Beteiligte zu 1 hat, gestützt auf die Verfügung, die bei ihr verblieben war, einen Erbschein beantragt, dessen Erteilung das Nachlassgericht angekündigt hat. Die Beschwerdeführer, die zu den gesetzlichen Erben gehören, sind der Ansicht, das Testament sei wirksam widerrufen und gesetzliche Erbfolge eingetreten.

Die zulässigen Beschwerden bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbrechtslage nach dem Testament richtet, das der Erblasser am 08. Juli 2011 errichtet und der Beteiligten zu 1 ausgehändigt hat. Bei dem Testament vom 08. Juli 2011, das an die Beteiligte zu 1 ausgehändigt wurde, handelt es sich um ein formwirksames, mit Testierwillen errichtetes Testament (wird ausgeführt). Das Testament ist formwirksam errichtet, § 2247 Abs. 1 BGB. Nachdem der Erblasser am gleichen Tag zwei im Wesentlichen gleichlautende, inhaltlich identische Verfügungen niedergeschrieben hat, war zu klären, ob der Erblasser eine Urschrift und eine Abschrift/Kopie, aus der heraus selbst keine Rechte hergeleitet werden könnten, errichten wollte. Hätte in einem solchen Fall der Erblasser lediglich die Abschrift an die Beteiligte zu 1 ausgehändigt, würde die Vernichtung des Originals die Unwirksamkeit der Verfügung zur Folge haben können (§ 2256 Abs. 1 BGB), die Abschrift müsste und 32

ZEV 2020, 694.

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könnte schon nicht widerrufen werden, da sie bereits keine wirksame Verfügung von Todes wegen enthielte. Allerdings ist der Senat überzeugt, dass es sich bei der Urkunde, die der Erblasser der Beteiligten zu 1 ausgehändigt hat, um ein (ggf. weiteres) Original, jedenfalls nicht um eine bloße Abschrift handelte. Für das Vorliegen eines Originals spricht bereits der Umstand, dass die äußeren Merkmale der aus den Händen gegebenen Urkunde eher dem entsprechen, was man als „Schönschrift“ bezeichnen würde: Die einzelnen Absätze weisen Gliederungsnummern auf, die beim Erblasser verbliebene Urkunde weist einen oberhalb der Zeile befindlichen Einschub auf. Darüber hinaus wäre zu erwarten gewesen, dass der Erblasser das Dokument entsprechend als Kopie kennzeichnet, z.B. indem er auf der Urkunde vermerkt, dass es sich lediglich um eine Abschrift/ Kopie handelt. Auch der Umstand, dass der Erblasser angeblich seinen Betreuer gebeten hatte, die der Beteiligten zu 1 ausgehändigte Urkunde von dieser zurückzuerlangen, spricht für das Vorliegen eines Originals. Schließlich wurde dieses Testament auch nicht wirksam widerrufen, § 2255 BGB. Die Vernichtung des in den Händen des Erblassers befindlichen Originals schlägt nicht auf das weitere Original vom selben Tag durch.

IV. Heimgesetz OLG Köln vom 21. August 2019 – 2 Wx 216/19 und 217/1933 Das auf den 8. Juni 2016 datierte Testament ist nicht gemäß § 134 BGB, § 7 WTG nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 WTG vorliegen, d.h. ob die Beteiligte zu 1 Leistungsanbieterin im Sinne von § 3 Abs. 2 WTG gewesen ist, Betreuungsleistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 WTG für den Erblasser erbracht hat und sich für ihre Betreuungsleistungen Geld- oder geldwerte Leistungen über das vertraglich vereinbarte Entgelt hinaus hat versprechen oder gewähren lassen. Denn Leistungsanbieterin kann die Beteiligte zu 1 allenfalls in der Form eines ambulanten Dienstes gemäß § 2 Abs. 2 Ziff. 4, § 33 WTG gewesen sein. Auf ambulante Dienste sind die Regelungen des 2. Kapitels, d.h. die §§ 4–10 WTG, also auch § 7 WTG, gemäß § 34 S. 1 WTG indes nur anwendbar, wenn sie ihre Leistungen in Angeboten gemäß § 24 Abs. 1 WTG erbringen, was hier bei den Leistungen der Beteiligten zu 1 für den Erblasser, der in der Zeit, in der er von der Beteiligten zu 1 betreut worden ist, allein in seinem eigenen Haushalt und nicht in einer Wohngemeinschaft mit älteren oder pflegebedürftigen Menschen oder mit Menschen mit Behinderungen gelebt hat, nicht der Fall gewesen ist. Die Anwendung des § 7 WTG ist hier daher gemäß § 34 S. 1 WTG ausgeschlossen, so dass dahinstehen kann, ob die Beteiligte zu 1 einen ambulanten Dienst betrieben hat und die übrigen Voraussetzungen des § 7 WTG vorliegen. 33

ZEV 2019, 703.

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Der Wortlaut des § 34 S. 1 WTG ist entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts und des Beteiligten zu 2 auch nicht teleologisch insoweit zu reduzieren, als § 7 WTG von § 34 S. 1 WTG nicht erfasst wird. … Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht schon der eindeutige Wortlaut von § 34 S. 1 WTG, der grundsätzlich keinen Raum für eine teleologische Reduktion lässt. Zudem ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 34 S. 1 WTG und § 34 S. 2 WTG, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des 2. Kapitels des WTG offensichtlich und eindeutig zwischen ambulanten Diensten, die Leistungen in Angeboten nach § 24 Abs. 1 WTG erbringen, und allen anderen ambulanten Diensten unterscheiden wollte. Während auf ambulante Dienste, die Leistungen in Angeboten nach § 24 Abs. 1 WTG erbringen, alle Vorschriften des 2. Kapitels, d.h. auch § 7 WTG, keine Anwendung finden sollen, wird für alle anderen ambulanten Dienste eine Vorschrift des 2. Kapitels ausdrücklich ausgenommen, und zwar § 9 WTG. Diese eindeutige Unterscheidung zwischen den verschiedenen ambulanten Diensten und das Herausgreifen einer konkreten Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber hier offenbar bewusst unterschieden und auch sämtliche Vorschriften des 2. Kapitels des WTG in den Blick genommen hat, so dass eine unbewusste Regelungslücke ausgeschlossen werden kann. Auch die Gesetzesbegründung lässt eine abweichende Schlussfolgerung nicht zu. Eine teleologische Reduktion von § 34 S. 1 WTG scheidet im vorliegenden Fall daher aus. Auch wenn es im Hinblick auf vorstehende Ausführungen nicht mehr darauf ankommt, ist zudem darauf hinzuweisen, dass eine Anwendung von § 7 WTG auf alle ambulanten Leistungen nicht unproblematisch wäre, weil in diesem Fall die Abgrenzung von ambulanten Leistungen zu Hilfeleistungen von Nachbarn, Freunden und Verwandten für einen im eigenen Haushalt lebenden pflegebedürftigen Menschen zu Schwierigkeiten führen würde, die der nordrhein-westfälische Gesetzgeber offenbar vermeiden wollte.

V. Testierfähigkeit, § 2229 BGB 1. OLG Hamm vom 15. November 2019 – I-10 W 143/1734 a) Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Testierunfähigkeit des Erblassers besteht kein Anlass, wenn die erforderlichen Anknüpfungstatsachen, die ein Sachverständiger auswerten könnte, nicht vorliegen und vom Beschwerdeführer auch nicht vorgetragen sind. Es darf zwar nur ausnahmsweise von der Einholung eines Gutachtens abgesehen werden. Das ist jedenfalls aber dann der Fall, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, die von ihm festgestellten Tatsachen reichen auch bei Beauftragung eines Sachverständigen

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ZEV 2020, 415.

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nicht aus, um sichere Rückschlüsse auf die Testierunfähigkeit des Erblassers zuzulassen. b) Der Wirksamkeit eines Testaments steht nicht entgegen, dass der vorgesehene Erbe die Errichtung des Testaments maßgeblich veranlasst hat. Ein Notar hat gemäß § 17 BeurkG den Willen des Erblassers zu erforschen und muss sich bei der Beurkundung davon überzeugen, dass der von dem Dritten vorgetragene Wille mit den eigenen Vorstellungen des Erblassers übereinstimmt und sich dies von dem Erblasser persönlich bestätigen lassen. c) Stellt sich nachträglich bei der Beurkundung heraus, dass der Erblasser seinen Namen nicht schreiben kann, dann muss ein zweiter Notar hinzugezogen und in dessen Gegenwart dem schreibunfähigen Erblasser die Niederschrift erneut vorgelesen werden.

2. OLG München vom 14. Januar 2020 – 31 Wx 466/1935 a) Die Beurteilung der Testierfähigkeit des Erblassers im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich Fachärzten für Psychiatrie vorbehalten. b) Die Auswahl eines ungeeigneten Sachverständigen stellt regelmäßig einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten erheblich beeinträchtigt. c) Das Beschwerdegericht kann die Entscheidung und das ihr zugrundeliegende Verfahren aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Ausgangsgericht zurückgeben, wenn anderenfalls das Beschwerdegericht eine umfangreiche Beweisaufnahme durchführen müsste.

C. Erbengemeinschaft I. Verwaltung, § 2038 BGB 1. BGH vom 7. Oktober 2020 – IV ZR 69/2036 Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 2 auf anteilige Kostenerstattung für die Erteilung eines Erbscheins in Anspruch. Der am 25. Februar 2015 verstorbene Vater der Parteien wurde im Wege der gesetzlichen Erbfolge von seiner Ehefrau zu 1/2, den Parteien des Revisionsverfahrens sowie einem weiteren Bruder, dem früheren Beklagten zu 1, zu je 1/6 beerbt. Zum Nachlass gehört auch ein Hausgrundstück in D. Die Klägerin beantragte bei dem zuständigen Nachlassgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein, der ihr am 7. Dezember 2015 erteilt wurde. Am 17. Dezember 2015 wurden die Mitglieder der Erbengemeinschaft nach dem Vater der Parteien 35 36

ErbR 2020, 256 m. Anm. Cording. ZEV 2021, 25.

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als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Das Nachlassgericht stellte der Klägerin für die Erteilung des Erbscheins einen Betrag in Höhe von 1.870 € in Rechnung, den sie beglich. Am 9. Dezember 2018 verstarb die Mutter der Parteien, die aufgrund testamentarischer Erbfolge durch den Beklagten beerbt wurde. Die Klägerin hat den Beklagten und seinen Bruder auf anteilige Erstattung der Kosten für die Erteilung des Erbscheins in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 1.246,67 € sowie seinen Bruder zur Zahlung von 311,67 € jeweils nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage gegen den Beklagten abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Revision hat keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht entschieden, dass der Klägerin gegen den Beklagten kein Anspruch aus Gesamtschuldnerausgleich, aus § 2038 Abs. 1 BGB oder aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 BGB auf Erstattung der anteiligen Kosten für die Beantragung des Erbscheins zusteht. Lediglich im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht ferner angenommen, dass die Klägerin ebenfalls keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Herausgabe der Bereicherung gemäß § 684 S. 1 BGB i.V.m. § 812 BGB hat. Liegen – wie hier – die Voraussetzungen des § 683 BGB nicht vor, so ist der Geschäftsherr verpflichtet, dem Geschäftsführer alles, was er durch die Geschäftsführung erlangt, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben. In der Beantragung des Erbscheins durch die Klägerin für die Erbengemeinschaft liegt ein jedenfalls auch fremdes Geschäft. In diesen Fällen wird regelmäßig ein ausreichender Fremdgeschäftsführungswille vermutet. Unzutreffend vertritt das Berufungsgericht sodann allerdings die Auffassung, ein Anspruch aus § 684 S. 1 BGB i.V.m. § 812 BGB komme wegen des Vorrangs des § 2038 BGB nicht in Betracht, weil dieser einen Ausgleich der Miterben für eigenmächtige Maßnahmen nach allgemeinen Vorschriften ausschließe. Eine derartige Sperrwirkung des § 2038 BGB für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag besteht nicht. § 2038 BGB regelt ausschließlich die Verwaltung des Nachlasses. Diese steht den Erben grundsätzlich gemeinschaftlich zu (§ 2038 Abs. 1 S. 1 BGB). Ferner ist jeder Miterbe den anderen gegenüber verpflichtet, zu Maßregeln mitzuwirken, die zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich sind; die zur Erhaltung notwendigen Maßnahmen kann jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen (§ 2038 Abs. 1 S. 2 BGB). § 2038 Abs. 2 BGB verweist hierzu auf Vorschriften des Gemeinschaftsrechts. Nicht ausgeschlossen wird von der Regelung über die Verwaltung des Nachlasses in § 2038 BGB ein auf anderen Rechtsgrundlagen beruhender Anspruch eines Miterben gegen die übrigen auf Aufwendungsersatz oder Herausgabe einer Bereicherung. Entsprechend findet nach ständiger Rechtsprechung des Senats und einhelliger Auffassung im Schrifttum das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag neben § 2038 BGB Anwendung. Dies gilt auch in den Fällen, in denen ein Miterbe, dem lediglich ein Minderheitsanteil zusteht, ein Geschäft für die Erbenge-

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meinschaft außerhalb seiner Befugnis zur Notverwaltung gemäß § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB durchführt. Auch in der Sache wäre eine Verdrängung der Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag und die ungerechtfertigte Bereicherung durch § 2038 BGB nicht gerechtfertigt. Diese Vorschrift betrifft ausschließlich die Meinungsbildung der Erbengemeinschaft über die Verwaltung des Nachlasses durch einstimmige Entscheidungen, Mehrheitsbeschlüsse oder Notverwaltungsmaßnahmen eines einzelnen Miterben. Nicht vorgegeben wird durch § 2038 BGB demgegenüber, ob einem Miterben, der Maßnahmen auch für die Erbengemeinschaft trifft, ein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen oder Herausgabe der bei den anderen Miterben eingetretenen Bereicherung zusteht. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich indessen aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Soweit die Klägerin den Erbschein zum Zweck der Berichtigung des Grundbuchs beantragt hat, fehlt es schon an einer herauszugebenden Bereicherung des Beklagten. Die Befreiung von einer Verbindlichkeit durch die Übernahme der Kosten für die Beantragung des Erbscheins durch die Klägerin kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese den Erbschein allein beantragt hat und daher ausschließliche Kostenschuldnerin gemäß § 22 Abs. 1 GNotKG ist. Zwar können, worauf die Revision zu Recht hinweist, im Rahmen des § 684 S. 1 BGB auch ersparte Aufwendungen des Geschäftsherrn in Ansatz gebracht werden. Der Beklagte hat aber durch die Beantragung des Erbscheins seitens der Klägerin keine Aufwendungen erspart, die ihm ohne die Tätigkeit der Klägerin zwingend ebenfalls entstanden wären. Seine Miterbenstellung ergibt sich gemäß § 1922 BGB bereits mit dem Erbfall aus dem Gesetz und setzt nicht konstitutiv die Beantragung eines Erbscheins voraus. Die Erbengemeinschaft ist mit dem Erbfall auch unmittelbar Eigentümerin des Grundstücks in D. geworden. Zwar wurde das Grundbuch hierdurch unrichtig, da in diesem noch der Erblasser als Eigentümer eingetragen war. Insoweit wäre eine Grundbuchberichtigung durchzuführen gewesen, für die gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GBO grundsätzlich ein Erbschein oder ein Europäisches Nachlasszeugnis erforderlich ist. Die Klägerin durfte hier aber nicht gegen den erklärten Willen der übrigen Miterben mit Kostenlast für diese einen Erbschein beantragen, um bereits 2015, im Jahr des Erbfalls, eine Grundbuchberichtigung durchzuführen. Hierzu waren die übrigen Miterben auch nicht aufgrund grundbuchrechtlicher Vorgaben verpflichtet. Ist das Grundbuch hinsichtlich der Eintragung des Eigentümers durch Rechtsübergang außerhalb des Grundbuchs unrichtig geworden, so soll das Grundbuchamt gemäß § 82 S. 1 GBO dem Eigentümer oder dem Testamentsvollstrecker, dem die Verwaltung des Grundstücks zusteht, die Verpflichtung auferlegen, den Antrag auf Berichtigung des Grundbuchs zu stellen und die zur Berichtigung des Grundbuchs notwendigen Unterlagen zu beschaffen. Das Grundbuchamt soll diese Maßnahme gemäß § 82 S. 2 GBO zurückstellen, solange berechtigte Gründe vorliegen. Als Zurückstellungsgrund kommt etwa eine beabsichtigte Verfügung über das Grundstück, bei der die Voreintragung

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nach § 40 GBO entbehrlich ist, z.B. die Veräußerung des Grundstücks an einen Dritten oder im Rahmen der Erbauseinandersetzung an einen Miterben, in Betracht. Zu denken ist ferner an eine beabsichtigte Zwangsversteigerung zur Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft, die nach § 181 Abs. 2 S. 1 ZVG ebenfalls ohne vorherige Eintragung der Erbengemeinschaft im Grundbuch möglich ist. Ein Zurückstellungsgrund liegt auch vor, wenn die Beschaffung der zur Berichtigung erforderlichen Unterlagen unverhältnismäßige Schwierigkeiten bereitet. Ferner ist es nicht geboten, sofort nach Bekanntwerden der Erben ein Verfahren nach § 82 GBO einzuleiten. Vielmehr soll das Grundbuchamt für einen gewissen Zeitraum vom Vorliegen berechtigter Gründe nach § 82 S. 2 GBO ausgehen, da den Erben zunächst Zeit gegeben werden soll, den Nachlass abzuwickeln und sich darüber klar zu werden, was mit dem Grundstück geschehen soll. Auf dieser Grundlage wird angenommen, es sei in Anbetracht der Parallelregelung in Nr. 14110 Kostenverzeichnis GNotKG, nach der für die Zeit von zwei Jahren ab dem Erbfall keine Gebühren für die Eintragung erhoben werden, nicht gerechtfertigt, vor Ablauf dieser Zeit ein Zwangsberichtigungsverfahren gemäß § 82 GBO einzuleiten. Hier hat das Grundbuchamt nach dem Erbfall kein Zwangsberichtigungsverfahren durchgeführt. Vielmehr hat die Klägerin Ende 2015, noch im Jahr des Erbfalles, einen Erbschein beantragt, der dann nach seiner Erteilung zur Eintragung der Erbengemeinschaft im Grundbuch führte. Die Klägerin war indessen auf der Grundlage der obigen Ausführungen nicht berechtigt, auf Kosten der Erbengemeinschaft außerhalb eines vom Grundbuchamt selbst eingeleiteten Zwangsberichtigungsverfahrens und gegen den Willen der Mehrheit der Erbengemeinschaft einen Erbschein zur Grundbuchberichtigung zu beantragen. Sie hat nicht vorgetragen, warum ein derartiger Erbschein einschließlich der nachfolgenden Grundbucheintragung hier noch im Jahre des Erbfalles zugunsten der Erbengemeinschaft zwingend erforderlich gewesen wäre. Durch ihr Vorgehen hat sie die Voraussetzungen eines Verfahrens gemäß § 82 GBO, bei dem die übrigen Miterben ggf. Zurückstellungsgründe nach § 82 S. 2 GBO hätten vortragen können, verhindert. Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, durch den Erbschein werde auch im Übrigen das Tätigwerden der Erbengemeinschaft im Rechtsverkehr wegen der Gutglaubenswirkung des § 2366 BGB erleichtert. Insoweit ist nicht erkennbar und wird auch von der Klägerin nicht vorgetragen, dass trotz des entgegenstehenden Willens der Mehrheit der Erbengemeinschaft bereits im Jahr 2015 die Erteilung eines Erbscheins zwingend erforderlich gewesen wäre, zumal die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft einschließlich der Erbanteile unstreitig und auch im Rechtsverkehr, etwa gegenüber Kreditinstituten, nicht in jedem Fall ein Erbschein zum Nachweis der Rechtsnachfolge zwingend erforderlich ist. Entgegen der Auffassung der Revision sind die Kosten der Beantragung eines Erbscheins auch keine Nachlasserbenschulden, für die der gesamte Nachlass

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haftet. Vielmehr handelt es sich hierbei ausschließlich um Eigenverbindlichkeiten des Erben. Die Erbscheinserteilung erfolgt nur im subjektiven Interesse der Person, die sich für erbberechtigt hält und zu deren Gunsten die beantragte Erbscheinserteilung bewilligt wurde.

2. BGH vom 4. November 2020 – VII ZB 69/1837 Der Antragsgegner wendet sich gegen eine vom Antragsteller erwirkte Vollstreckungsklausel zu einem Zuschlagsbeschluss vom 24. Mai 2012, mit dem der Antragsgegner ein zum Nachlass seines verstorbenen Vaters gehörendes Grundstück ersteigert hat. Die Zwangsversteigerung des zum Nachlass des verstorbenen Vaters gehörenden Grundstücks erfolgte zur Aufhebung der Erbengemeinschaft. Diese besteht aus dem Antragsgegner, seinem Bruder und dessen Sohn, dem Antragsteller. Nach Abschluss des auf den Zuschlag folgenden Verteilungsverfahrens stellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 28. August 2012 fest, dass der Erbengemeinschaft gegen den Antragsgegner noch eine Forderung in Höhe von 152.306,60 € zusteht. Über diese Forderung der Erbengemeinschaft hat das Amtsgericht dem Antragsteller am 2. September 2014 eine vollstreckbare Ausfertigung des Zuschlagsbeschlusses mit folgender Vollstreckungsklausel erteilt: „Vorstehende Ausfertigung wird dem ehemaligen Miteigentümer D. W. (Anmerkung: Antragsteller) zum Zwecke der Zwangsvollstreckung gegen den Ersteher Dr. H. W. (Anmerkung: Antragsgegner) … wegen folgender Forderung erteilt: 152.306,60 € den ehemaligen Miteigentümern Dr. H. W., D. W. und Di. W. zustehender unverteilt gebliebener Erlösüberschuss.“ Gegen die Erteilung dieser Vollstreckungsklausel hat der Antragsgegner Erinnerung eingelegt und beantragt, die Vollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung für unzulässig zu erklären. Das Amtsgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsgegner sein Begehren weiter.

Die gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht die von dem Antragssteller beantragte Vollstreckungsklausel zum Zuschlagsbeschluss (§ 724 ZPO, § 132 Abs. 2 ZVG) erteilt. Der Antragsteller ist nach § 2039 S. 1 BGB befugt, die Erteilung einer Vollstreckungsklausel zu beantragen, die als Vollstreckungsgläubiger ausschließlich ihn ausweist. Die inhaltlichen Anforderungen einer zugunsten eines Miterben im Rahmen eines Zuschlagsbeschlusses zu erteilenden Vollstreckungsklausel sind erfüllt. Der Antragsteller ist antragsbefugt. Gehört ein Anspruch zum Nachlass, kann jeder Miterbe von dem Verpflichteten die Leistung an alle Erben fordern (§ 2039 S. 1 BGB). § 2039 S. 1 BGB soll gewährleisten, dass jeder Miterbe die durch Untätigkeit einzelner Miterben drohenden Nachteile abwenden kann, ohne selbst einen unberechtigten Sonder37

ZEV 2021, 42.

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vorteil zu haben und ohne erst umständlich auf Zustimmung der übrigen Miterben klagen zu müssen. Auf dieser Grundlage ist es allgemeine Meinung, dass jeder Miterbe, der allein oder zusammen mit den weiteren Miterben einen Titel über einen zum Nachlass gehörenden Anspruch erwirkt hat, die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels verlangen kann, wenn gesichert ist, dass die Zwangsvollstreckung allen Miterben zugutekommt. Dem Antragsteller ist zu Recht eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt worden, die als Vollstreckungsgläubiger ausschließlich ihn ausweist. Nach dem Sinn und Zweck von § 2039 S. 1 BGB soll es jedem Miterben möglich sein, unabhängig von den weiteren Miterben einen zum Nachlass gehörenden Anspruch einzufordern, einzuklagen und im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Letzteres würde erheblich erschwert bzw. verhindert, könnte ein Miterbe nur eine vollstreckbare Ausfertigung erlangen, die nicht ausschließlich ihn, sondern alle Miterben als Vollstreckungsgläubiger ausweisen würde. Werden in einer vollstreckbaren Ausfertigung mehrere Personen als Vollstreckungsgläubiger bezeichnet, so ist der Vollstreckungsantrag (s. für die Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher § 753 ZPO) grundsätzlich durch alle als Vollstreckungsgläubiger bezeichneten Personen gemeinsam zu stellen. Anderes gilt, wenn sich aus dem, dem Titel zugrundeliegenden Rechtsverhältnis materiell-rechtlich ergibt, dass jeder Vollstreckungsgläubiger die Leistung an alle fordern kann. Nach dem Prinzip der Formalisierung der Zwangsvollstreckung ist es aber grundsätzlich nicht die Aufgabe des Vollstreckungsorgans, materiell-rechtliche Prüfungen vorzunehmen. Die Vollstreckungsorgane haben deshalb eine titulierte Forderung nicht dahingehend zu bewerten, ob es sich um einen von einem Miterben geltend gemachten Nachlassanspruch handelt und deshalb die Voraussetzungen des § 2039 S. 1 BGB erfüllt sind. Das Vollstreckungsorgan kann daher auf den Vollstreckungsantrag eines von mehreren Vollstreckungsgläubigern hin nur tätig werden, wenn sich aus dem Titel unabhängig von einer materiell-rechtlichen Prüfung eindeutig das Recht dieses Vollstreckungsgläubigers ergibt, losgelöst von den anderen den titulierten Anspruch zu vollstrecken. Die Rechte des Vollstreckungsschuldners werden nicht dadurch in unangemessener Weise eingeschränkt, dass jeder Miterbe, der Titelgläubiger ist, eine vollstreckbare Ausfertigung verlangen kann, die nur ihn als Vollstreckungsgläubiger ausweist. In diesem Fall kann zwar aufgrund mehrerer vollstreckbarer Ausfertigungen in das Vermögen des Schuldners vollstreckt werden, wobei es hier dahingestellt bleiben kann, ob es sich um weitere vollstreckbare Ausfertigungen nach § 733 ZPO handelt. Der Schuldner ist aber dadurch hinreichend geschützt, dass er im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 1, § 775 Nr. 1, § 776 S. 1 ZPO und im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 769, 775 Nr. 2 ZPO geltend machen kann, der titulierte Anspruch sei bereits durch eine erfolgreiche Vollstreckung eines anderen Miterben ganz oder teilweise erfüllt.

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Der Antragsteller ist deshalb grundsätzlich berechtigt, den Anspruch der Erben gegen den Antragsgegner auf Zahlung von 152.306,60 € durchzusetzen und zu diesem Zweck eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels zu verlangen, die nur ihn als Vollstreckungsgläubiger bezeichnet. Voraussetzung ist aber, dass die beabsichtigte Zwangsvollstreckung zugunsten aller Miterben durchgeführt wird, der Erlös der Zwangsvollstreckung also allen Miterben zugutekommt. Das ist durch die vom Amtsgericht erteilte Klausel gewährleistet. Grundsätzlich bedarf es bei der Erteilung einer Vollstreckungsklausel zugunsten eines Miterben keines besonderen Hinweises darauf, dass Leistungen an alle Miterben erfolgen müssen. Denn dies hat sich bereits aus dem Titel selbst zu ergeben, mit dem die Vollstreckungsklausel eine Einheit bildet (§ 725 ZPO). Soll dagegen, wie hier, wegen einer Forderung gegen den Ersteher vollstreckt werden, die sich aus einem Teilungsplan im Rahmen der Zwangsversteigerung eines Grundstücks ergibt (§ 132 Abs. 1 ZVG), erfolgt die Zwangsvollstreckung nach § 132 Abs. 2 Satz 1 ZVG nicht aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Teilungsplans, sondern einer vollstreckbaren Ausfertigung des Zuschlagsbeschlusses. Da der Zuschlagsbeschluss die sich aus dem Teilungsplan ergebende Forderung gegen den Ersteher nicht beinhalten kann, bestimmt § 132 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 ZVG, dass in der Vollstreckungsklausel der Berechtigte sowie der Betrag der Forderung anzugeben sind. Sind Berechtigte alle in der Gesamthand verbundenen Miterben, müssen alle Miterben in der Vollstreckungsklausel als Berechtigte angegeben werden. Diesen Anforderungen genügt die zugunsten des Antragstellers erteilte vollstreckbare Ausfertigung zum Zuschlagsbeschluss vom 24. Mai 2012. Die Vollstreckungsklausel nennt als Berechtigte die „ehemaligen Miteigentümer Dr. H. W., D. W. und Di. W.“ und bezeichnet die Forderung mit 152.306,60 € als „unverteilt gebliebener Erlösüberschuss“. Damit ist hinreichend deutlich, dass der Antragsteller keine ihm allein zustehende Forderung vollstreckt, sondern zwei weitere Personen Inhaber einer deshalb unteilbaren Forderung sind. Der Klausel lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass die drei berechtigten Personen gesamthänderisch als Erbengemeinschaft verbunden sind. Damit ermöglicht die Klausel keinen rechtlichen Schluss auf § 2039 S. 1 BGB und damit der Befugnis des Antragstellers, die Leistung nur zugunsten aller Miterben fordern zu können. Das ist aber unschädlich, da sich jedenfalls aus § 432 Abs. 1 S. 1 BGB die entsprechende Rechtsfolge ergibt. § 432 BGB enthält Regelungen für den Fall, dass eine unteilbare Leistung mehreren Gläubigern, die nicht Gesamtgläubiger sind, gemeinschaftlich zusteht. In diesem Fall kann der Schuldner – wie im Anwendungsbereich von § 2039 BGB – nur an alle Gläubiger gemeinschaftlich leisten und jeder Gläubiger die Leistung nur an alle fordern.

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II. Auseinandersetzung und Abschichtung OLG Frankfurt a.M. vom 25. Februar 2019 – 20 W 43/1938 Im streitgegenständlichen Grundbuchblatt sind die Beteiligte zu 1 zu ¼ als Miteigentümerin und der Beteiligte zu 3 zu ½ als Miteigentümer eingetragen, die Beteiligten zu 2 und zu 3 sind in Erbengemeinschaft zu ¼ als Miteigentümer eingetragen. Am 23. August 2018 trafen die Beteiligten zu 2 und zu 3 eine Vereinbarung, überschrieben mit „Erbauseinandersetzung durch Abschichtung“. Die Beteiligten zu 2 und zu 3 vereinbarten hierin eine auf das im Grundbuchblatt im Bestandsverzeichnis unter lfd. Nr. 6 eingetragene Grundstück gegenständlich beschränkte Erbauseinandersetzung im Wege der Abschichtung. Unter § 3 vereinbarten sie, dass die Erbengemeinschaft an dem Grundstücksanteil aufgelöst werde, wobei die Beteiligte zu 2 ohne Ausgleichszahlung aus der Erbengemeinschaft an dem Grundstücksanteil ausscheide. Mit Beschluss vom 9. Januar 2019 hat die Grundbuchrechtspflegerin den Antrag auf Eintragung der Eigentumsumschreibung vom 24. August 2018 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie unter Bezugnahme auf den erfolgten Schriftverkehr ausgeführt, eine Erbauseinandersetzung durch Abschichtung könne nur am gesamten Nachlass erfolgen, nicht an einzelnen Nachlassgegenständen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Grundbuchamt hat den Antrag auf Eigentumsumschreibung zu Recht zurückgewiesen. Es fehlt am Nachweis einer nachträglichen Grundbuchunrichtigkeit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 GBO. Vorliegend hat sich keine Rechtsänderung außerhalb des Grundbuchs vollzogen, da bezüglich des ¼ Miteigentumsanteils an dem streitgegenständlichen Grundstück eine Anwachsung des Anteils der Beteiligten zu 2 an den Beteiligten zu 3 aufgrund Abschichtung nicht erfolgt ist. Ein Nachlass kann – was allgemein anerkannt ist – nicht nur durch Erbteilsübertragung nach § 2033 BGB oder Vertrag nach § 2042 BGB auseinandergesetzt bzw. geteilt werden, sondern auch im Wege der sogenannten Abschichtung. Indem ein Miterbe unter Aufgabe seiner Mitgliedschaftsrechte einverständlich aus der Erbengemeinschaft ausscheidet, wächst sein Anteil den in der Erbengemeinschaft verbleibenden Miterben im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile kraft Gesetzes an. Eine Teilauseinandersetzung findet insofern statt, wenn mehrere weitere Miterben vorhanden sind; eine Beendigung der Erbengemeinschaft – mit Alleineigentum für den weiteren Miterben – tritt ein, wenn sich mit der Abschichtung alle Erbteile in der Hand eines Miterben vereinigen. Gehört ein im Grundbuch eingetragenes Recht zum Erbe, vollzieht sich in diesem Fall der Wechsel des Berechtigten nach Abschluss eines derartigen Abschichtungsvertrages außerhalb des Grundbuchs; dieses ist dann entsprechend zu berichtigen. Im Rahmen der Abschichtung erfolgt das Ausscheiden eines Miterben stets insgesamt aus der Erbengemeinschaft. Auch nach § 2033 BGB ist die Verfügung eines Miterben über seinen Anteil an einzelnen Nachlassgegenständen nicht möglich; bei einer gemeinschaftlichen Verfügung aller Erben über einen einzelnen Nachlassgegenstand nach § 2040 38

ErbR 2019, 592 m. Anm. Rasche/Kurth.

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Abs. 1 BGB sind wiederum die entsprechenden Formvorschriften einzuhalten, da sich der Eigentumsübergang nicht außerhalb des Grundbuchs vollzieht. Insofern handelt es sich bei der Abschichtung um eine persönliche Teilauseinandersetzung mit dem Ziel des Ausscheidens eines Miterben aus der Erbengemeinschaft im Sinne eines Verzichts auf den Nachlassanteil. Von der Abschichtung zu unterscheiden ist eine gegenständliche Teilauseinandersetzung mit dem Ziel der Herausnahme einzelner Nachlassgegenstände aus der gesamthänderischen Bindung durch ihre Überführung in Einzeleigentum, was mit Einverständnis aller Miteigentümer stets möglich ist. Zum einen dürfen hierbei aber berechtigte Belange anderer Nachlassbeteiligter nicht beeinträchtigt werden, zum anderen ist zu beachten, dass sich die Rechtsänderung hinsichtlich solcher Verfügungen nicht außerhalb des Grundbuchs vollzieht. Insofern könnte die Erbengemeinschaft ein zum Nachlass gehörendes Grundstück ohne Weiteres an einen der Miterben auflassen. Der Vollzug einer solchen gegenständlichen Teilauseinandersetzung bewirkt dann das Ausscheiden des betreffenden einzelnen Nachlassgegenstands aus dem Gesamthandsvermögen, wobei der übrige Nachlass ungeteilt bleibt und die Erbengemeinschaft fortbesteht. Diesen Weg haben die Beteiligten zu 2 und zu 3 aber gerade nicht gewählt. Die Vornahme einer nur auf einzelne Nachlassgegenstände beschränkten Abschichtung mit einer sich außerhalb des Grundbuchs vollziehenden Rechtsänderung hingegen ist – als Durchmischung einer persönlichen und gegenständlichen Teilauseinandersetzung – nicht möglich.

III. Akteneinsicht OLG Braunschweig vom 12. Juni 2019 – 1 W 41/1939 Die Eheleute W. und M. L. waren vormalig Eigentümer des im Grundbuch des Amtsgerichts H. eingetragenen Hausgrundstücks. Der Antragsteller ist ein Sohn der Eheleute. Sein Vater W. L. verstarb 2013. W. und M. L. haben sich durch privatschriftliches gemeinschaftliches Testament aus dem Jahr 1993 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und ihre drei Kinder zu gleichen Teilen als Erben des Letztversterbenden bestimmt. M. L. verstarb 2018. Sie wurde von dem Antragsteller, seiner Schwester sowie den Erbinnen des vorverstorbenen Bruders D. gemeinsam beerbt. M. L. hatte ihr Eigentum an dem Hausgrundstück im Jahr 2013 auf ihre Tochter B. R. übertragen. B. R. veräußerte das Grundstück kurz darauf an eine dritte Person weiter. Der Antragsteller begehrt einen Grundbuchauszug und die Erteilung von Abschriften der notariellen Verträge, die zu einem Eigentumswechsel von W. L. und/oder M. L. auf dritte Personen geführt haben. Er macht geltend, im Hinblick erbrechtliche Ausgleichungs- und/oder Anrechnungsansprüche ein berechtigtes Interesse an den begehrten Auskünften zu haben.

Der Antragsteller kann gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 GBO und § 46 Abs. 1, 3 S. 1 GBV einen uneingeschränkten Grundbuchauszug und die Erteilung von beglaubigten Abschriften der Veräußerungsverträge verlangen. Die Einsicht in 39

ZEV 2019, 581 m. Anm. Sarres.

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das Grundbuch ist jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt (§ 12 Abs. 1 S. 1 GBO). In diesem Rahmen umfasst das Einsichtsrecht auch die in Bezug genommenen Urkunden (§ 12 Abs. 1 S. 2 GBO) und über § 12 Abs. 3 Nr. 1 GBO i.V.m. § 46 GBV den übrigen Inhalt der Grundakten, auch wenn dieser keinen unmittelbaren Bezug zur Grundbucheintragung hat. Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch im Sinne von § 12 Abs. 1 GBO ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargetan wird, dass sich im Unterschied zum rechtlichen Interesse nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes Rechtsverhältnis stützen muss, sondern auch mit einem (beispielsweise) bloß tatsächlichen, insbesondere wirtschaftlichen Interesse begründet werden kann. Der Antragsteller ist Erbe der verstorbenen früheren Grundstückseigentümerin M. L. und befindet sich in einer Erbengemeinschaft mit seiner Schwester B. R., die das hier betroffene Grundstück zu Lebzeiten von M. L. erworben und sodann an die aktuelle Eigentümerin weiterveräußert hat. Der Antragsteller hat ausreichend dargelegt, dass sein Gesuch der Klärung von Ausgleichspflichten nach §§ 2050 ff. BGB dient. Vorliegend erscheinen derartige Ansprüche möglich, weil die Erblasserin ihrer Tochter B. R. das hier gegenständliche Hausgrundstück zu Alleineigentum zugewendet hat, ihr nach gesetzlichem Erbrecht jedoch wertmäßig nur 1/3 des Nachlasses zusteht, weil Abkömmlinge zu gleichen Teilen erben (§ 1924 Abs. 4 BGB). Bei gewillkürter Erbfolge könnten die Ausgleichsregeln der §§ 2050, 2051 BGB demnach über § 2052 BGB anwendbar sein. Das Anliegen des Antragstellers ist vergleichbar mit einem Pflichtteilsberechtigten, dem in der Regel ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 12 GBO i.V.m. § 46 GBV zuerkannt wird, wenn er nach dem Tod des im Grundbuch eingetragenen Erblassers seine erbrechtlichen Ansprüche prüfen will. Der Erwerber muss es hinnehmen, dass erbrechtliche Beteiligte über die Grundbucheinsicht das Bestehen etwaiger Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erbfall prüfen. Der Antragsteller kann aus § 12 Abs. 1 S. 1 GBO einen vollständigen Grundbuchauszug verlangen. Denn neben den Eigentumsverhältnissen ist für die Höhe der Zuwendung an B. R. auch von Bedeutung, ob und ggf. in welchem Umfang dingliche Belastungen übernommen oder neu begründet worden sind. Der Antragsteller hat zudem gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 1 GBO i.V.m. § 46 Abs. 1, 3 GBV Anspruch auf eine beglaubigte Abschrift des Veräußerungsvertrages vom 21. März 2013 zwischen M. L. und ihrer Tochter B. R. Der Veräußerungsvertrag vermag Aufschluss zu geben über schuldrechtliche Vereinbarungen, die nicht zum eigentlichen Grundbuchinhalt gehören, dessen Publizität § 12 Abs. 1 GBO sicherstellt, und die daher nicht dem Einsichtsrecht nach § 12 Abs. 1 S. 2 GBO unterliegen. Insofern ist das Interesse an der Grundbucheinsicht mit dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme schutzwürdige Interessen der Eingetragenen oder ihrer Rechtsnachfolger verletzt werden können, um Unbefugten keinen Einblick

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in deren Rechts- und Vermögensverhältnisse zu gewähren. Bei Abwägung der maßgeblichen Umstände überwiegen hier die Interessen des Antragstellers. Der Antragsteller kann gemäß § 46 Abs. 1, 3 GBV auch eine beglaubigte Abschrift des notariellen Kaufvertrages vom 13. November 2013 verlangen. Das berechtigte Interesse des Antragstellers an der Einsicht in den Vertrag überwiegt die schützenswerten Belange der Erwerberin des Grundstücks. Die Einsicht in den Vertrag ist zur Befriedigung des berechtigten Interesses des Antragstellers erforderlich. Dahinter hat das Geheimhaltungsinteresse der Käuferin des Grundstücks hinsichtlich dieser Daten zurückzustehen. Der Antragsteller muss sich nicht auf seinen Anspruch aus § 2057 BGB gegen seine Schwester B. R. als Miterbin verweisen lassen.

IV. Streitwert BGH vom 8. Oktober 2019 – IV ZR 33/1940 Der Kläger begehrt mit seinem Hauptantrag die Verurteilung der Beklagten dazu, von einem Konto einer aus beiden Parteien bestehenden Erbengemeinschaft mit je hälftigem Anteil einen Betrag von 114.278,10 € auf ein allein auf seinen Namen lautendes Konto zu zahlen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und den Streitwert auf 57.139,05 € festgesetzt. Der Senat hat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen und den Streitwert ebenfalls auf 57.139,05 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die im eigenen Namen erhobene Gegenvorstellung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.

Die Gegenvorstellung ist zulässig aber unbegründet. Gegen einen Streitwertbeschluss des Bundesgerichtshofs ist zwar keine Beschwerde zulässig. Statthaft ist aber eine Gegenvorstellung, die in der für eine Beschwerde geltenden Frist des § 68 Abs. 1 S. 3 GKG eingelegt werden muss. Die Gegenvorstellung ist jedoch unbegründet. Maßgebend für die Streitwertfestsetzung gemäß § 3 ZPO ist das wirtschaftliche Interesse des Rechtsmittelklägers an dem Erfolg seines Rechtsmittels. Dabei ist grundsätzlich nur auf den unmittelbaren Gegenstand der Entscheidung abzustellen. Der tatsächliche oder rechtliche Einfluss der Entscheidung auf andere Rechtsverhältnisse bleibt demgegenüber außer Betracht. Hier erstrebt der Kläger mit seinem Antrag die Wiedererlangung der alleinigen Verfügungsbefugnis über einen Betrag von 114.278,10 €, auf den bisher nur beide Parteien als Miterben gemeinschaftlich zugreifen konnten (vgl. §§ 2038, 2040 BGB). Auch wenn die Beklagte mithin alleinige Verfügungen des Klägers über das Konto verhindern konnte, ändert dies nichts daran, dass er durch die ursprünglich vorgenommene Überweisung der 114.278,10 € auf ein Konto der Erbengemeinschaft diesen Betrag nicht vollständig aus seinem Vermögen ausgegliedert hat, sondern über die Erbengemeinschaft weiterhin zur Hälfte an diesem Vermö40

ZEV 2019, 706.

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genswert beteiligt ist. Sein wirtschaftliches Interesse beläuft sich daher nur auf die Hälfte dieses Betrages, mithin auf 57.139,05 €.

D. Vor- und Nacherbschaft I. Eintritt der Vor- und Nacherbfolge OLG Frankfurt vom 13. August 2019 – 8 U 99/1841 Der Kläger nimmt die Beklagte, seine Mutter, auf Sicherheitsleistung gemäß § 2128 Abs. 1 BGB in Anspruch. Die am 13. Februar 1971 verstorbene Erblasserin, Mutter der Beklagten, errichtete am 18. April 1969 ein notarielles Testament. In diesem heißt es unter anderem: „Ich habe zwei Töchter, nämlich I. S. … und I. K. geb. … [= Beklagte]. … Mein Nachlass soll je zur Hälfte diesen beiden Töchtern bzw. ihren Nachkommen als Erben zufallen und zwar nach folgender Maßgabe: … Meine Tochter I. K. erhält als Vorerbin 30 % meines Nachlasses. Die restlichen 20 % meines Nachlasses erben deren beiden Kinder R. [= der Kläger] und S. und zwar zu gleichen Teilen untereinander. Diese beiden Kinder sind auch Nacherben ihrer Mutter und gegebenenfalls auch deren Ersatzerben. Die Nacherbfolge tritt mit dem Tod der Vorerbin ein. … Es ist mein Wunsch, daß die beiden mir gehörigen Grundstücke Frankfurt am Main, F. Landstraße und L. Straße, der Nachkommenschaft erhalten bleiben. Deshalb ordne ich Testamentsvollstreckung an, die bis zum 31. Dezember 1980 dauern soll.“ Der am 10. März 1971 ausgestellte gemeinschaftliche Erbschein des Amtsgericht Frankfurt a.M. weist I. S. zu 5/10, die Beklagte zu 3/10, den Kläger zu 1/10 und Frau S. K. ebenfalls zu 1/10 aus. Ferner heißt es in dem Erbschein unter anderem: „Bezüglich des 3/10-Erbanteils der [Beklagten] ist Nacherbfolge angeordnet, die mit dem Tode dieser Vorerbin eintritt. Nacherben sind zu gleichen Teilen die unter Ziffer 3 a und b genannten Miterben.“ In einem von der Beklagten und ihrer Schwester am 10. September 1971 unterzeichneten Nachlassverzeichnis sind neben den im Testament erwähnten Grundstücken Bankguthaben in Höhe von rund 247.000 DM und Wertpapiere im Wert von rund 42.980 DM angegeben. Entsprechende Werte finden sich auch in der Erbschaftssteuererklärung der Schwester der Beklagten vom 30. Oktober 1971 für die Erbengemeinschaft. Am 9. Juli 1982 schlossen die Parteien des Rechtsstreits sowie Frau I. S. und die Schwester des Klägers einen mit „Erbauseinandersetzungsvertrag“ bezeichneten notariell beurkundeten Vertrag. In diesem heißt es unter anderem: „4. Die vorgenannten beiden Grundstücke sind die einzigen noch vorhandenen Nachlasswerte der Erblasserin. …

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ZEV 2020, 364 = ErbR 2020, 270 m. Anm. Wendt; hierzu Rudy, ErbR 2020, 234.

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5. Hinsichtlich der Erbengemeinschaft nach der [Erblasserin] setzen sich die Erschienenen wie folgt auseinander: 5.1 Das Grundstück in der L. Straße 10 … erhalten als Eigentümer I.K. zu 6/10, R. K. zu 2/10 und S. K. zu 2/10. Der Nacherbenvermerk bleibt bestehen. Der Testamentsvollstreckervermerk muss gelöscht werden.“ Das Grundstück F. Landstraße sollte Frau I. S. als Alleineigentümerin erhalten und als Ausgleich an die Beklagte 66.000 DM sowie an den Kläger und seine Schwester je 20.000 DM zahlen. Das Grundstück L. Straße wurde von den Parteien und der Schwester des Klägers am 1. April 2016 an einen Dritten veräußert, wobei sich die Parteien dieses Rechtsstreits hinsichtlich der Verteilung des Verkaufserlöses verständigen konnten. Am 31. März 2016 trafen die Parteien eine Rentenvereinbarung, in der sich der Kläger verpflichtete, 500 € monatlich an die Beklagte zu zahlen. Tatsächlich leistete er wegen verschiedener Auseinandersetzungen der Parteien keine Zahlungen. Mit Urteil des Landgericht Frankfurt a.M. vom 31. August 2017 wurde die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein von einem Notar unter Hinzuziehung des Klägers aufgenommenes Verzeichnis vorzulegen, das alle zum Zeitpunkt der Aufnahme des Verzeichnisses zum Nachlass der Erblasserin gehörenden Grundstücke beinhaltet, wobei auch sämtliche Gegenstände anzugeben sind, die nach dem Erbfall im Wege der Surrogation in den Nachlass gefallen sind. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 2. November 2017 unter Fristsetzung auf, den titulierten Auskunftsanspruch zu erfüllen. Er behauptet, der Nachlass habe neben den zwei Immobilien auch ein erhebliches Wertpapier- und Barvermögen umfasst. Auf dieser Grundlage schätzt der Kläger den Wert der auf ihn entfallenden Vorerbmasse heute auf mehr als 100.000 €. Auf dieser Grundlage nimmt er die Beklagte auf Sicherheitsleistung unter Fristsetzung in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 9. Juli 2018 stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Begründetheit der Klage stehe bereits entgegen, dass die Parteien nicht mehr als Vor- und Nacherben miteinander verbunden seien, weil die Nacherbenstellung des Klägers durch den Auseinandersetzungsvertrag vom 9. Juli 1982 und die nachfolgende Veräußerung des Grundstücks L. Straße entfallen sei. Hierfür spräche bereits der Wortlaut des Vertrages sowie seine Entstehungsgeschichte. Auch Vor- und Nacherben seien berechtigt, sich auseinanderzusetzen. Dieser Auslegung stehe weder der Erblasserwille noch das Urteil des Landgericht Frankfurt a.M. vom 31. August 2017 entgegen. Der Kläger habe auch nicht unter Beweis gestellt, dass bei Abschluss des Auseinandersetzungsvertrages noch weitere Nachlassgegenstände vorhanden gewesen seien. Eine ergänzende Vertragsauslegung scheitere an einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke. Eine möglicherweise fortbestehende Vor- und Nacherbschaft sei jedenfalls konkludent im Zusammenhang mit der Grundstücksveräußerung im April 2016

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beendet worden. Unabhängig davon stünde der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zu, weil der Kläger bislang auf den Rentenanspruch der Beklagten in Höhe von monatlich 500 € keine Leistungen erbracht habe.

II. Nacherbenvermerk im Grundbuch 1. OLG München vom 17. Juni 2019 – 34 Wx 434/1842 Die Beteiligte zu 1 ist als Erbin nach ihrem Ehemann im Grundbuch als Eigentümerin von Wohnungseigentum sowie von Grundbesitz eingetragen. Der Eintragung liegt der Erbschein vom 21. März 2016 zugrunde, nach dem außer der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 Nacherbfolge angeordnet ist. Als Nacherben bestimmt sind danach die Abkömmlinge aus der Ehe des Verstorbenen mit der Beteiligten zu 1, nämlich die Beteiligten zu 2 und 3. Zudem ist nach dem Erbschein Ersatznacherbfolge angeordnet, wobei Ersatznacherben die Abkömmlinge der Nacherben sind, soweit sie bei der gesetzlichen Erbfolge an deren Stelle treten würden. Die Beteiligten zu 1 und 2 führen vor dem Landgericht einen Rechtsstreit, der derzeit ruht. Zur Beilegung des Rechtsstreits schlossen die Beteiligten zu 1 und 2 eine Vereinbarung, dass der Nacherbenvermerk an den streitgegenständlichen Immobilien gelöscht werden solle. Am 5. September 2018 errichteten die Beteiligten zu 1 bis 3 eine notarielle Urkunde, wonach die Nacherbfolge und die mit der Einsetzung der Nacherben verbundenen Beschränkungen für den in der Urkunde näher bezeichneten Grundbesitz ab sofort nicht mehr gelten sollen. Vielmehr sollte die Beteiligte zu 1 über diesen Grundbesitz frei verfügen können. Die Beteiligten zu 2 und 3 gaben den in der Urkunde bezeichneten Grundbesitz von ihrer Nacherbenanwartschaft frei. Sie bewilligten die Löschung der Nacherbenvermerke. Am 11. September 2018 legte der Notar die Urkunde zum Vollzug vor. Daraufhin hat das Grundbuchamt eine fristsetzende Zwischenverfügung erlassen, wonach die Bewilligung der Ersatznacherben zur Löschung des Nacherbenvermerks vorzulegen sei, da die Rechtsstellung der Ersatznacherben von einer solchen Verfügung unberührt bliebe.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Löschung eines die Verfügungsbeschränkungen des Vorerben nach § 2113 BGB zum Ausdruck bringenden Nacherbenvermerks vor Eintritt des Nacherbfalls (§ 2139 BGB) setzt entweder die Bewilligung aller Nacherben und etwaiger Ersatznacherben gemäß § 19 GBO oder den Nachweis der Grundbuchunrichtigkeit gemäß § 22 Abs. 1, § 29 Abs. 1 GBO voraus. Nachträglich unrichtig wird das Grundbuch nicht nur, wenn das zum Nachlass gehörende Grundstück durch wirksame Verfügung des Vorerben aus dem Nachlass ausscheidet, weil der Vorerbe mit Zustimmung aller Nacherben über das Grundstück verfügt hat. Nach allgemeiner Ansicht kann eine Auseinandersetzung hinsichtlich einzelner Nachlassgegenstände zwischen Vor- und Nacherben mit der Folge vorgenommen werden, dass die dem Vorerben übertragenen Gegenstände aus dem Nachlass ausscheiden und damit von der Nacherbeneinsetzung nicht mehr erfasst werden. Begründet wird dies damit, dass durch ein Rechtsgeschäft zwischen dem Vorerben und dem Nacherben ein Erbschaftsgegenstand aus dem Nachlass herausgenommen werden kann 42

ZEV 2019, 536.

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und in Folge nicht mehr der Nacherbschaft unterliegt. Da Verfügungen über das Grundstück der Zustimmung des Ersatznacherben nicht bedürfen, besteht auch keine Veranlassung, eine solche für eine Auseinandersetzungsvereinbarung zwischen dem Vorerben und dem Nacherben oder für ein Rechtsgeschäft zwischen dem Vor- und dem Nacherben zu verlangen, mit dem ein Erbschaftsgegenstand aus dem nacherbengebundenen Nachlass herausgenommen werden wird. Somit scheidet das Grundstück mit dem grundbuchmäßigen Vollzug der notariellen Urkunde aus dem Nachlass aus und das Grundbuch wird unrichtig, soweit es noch den Nacherben- und Ersatznacherbenvermerk enthält.

2. OLG Düsseldorf vom 7. April 2020 – I-3 Wx 230/1943 Der verfahrensgegenständliche Wohnungsgrundbesitz stand ursprünglich im Eigentum des Vaters des Beteiligten zu 1. Jener hatte in seinem am 25. Januar 2012 notariell errichteten Testament den Beteiligten zu 1 sowie dessen beiden Geschwister zu seinen Erben zu je 1/3–Anteil bestimmt und dabei dem Beteiligten zu 1 die Stellung eines nicht befreiten Vorerben zugewiesen. Nacherben sollen die Beteiligten zu 2 und 3 – sie sind die Kinder des Beteiligten zu 1 – ersatzweise deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge sein. Der Vater des Beteiligten zu 1 verstarb am 25. Mai 2012 und in den Nachlass fiel unter anderem der im Grundbuch von Weeze auf Blatt … eingetragene Grundbesitz. Nach Teilung dieses Grundbesitzes in zwei separate Wohnungseigentumseinheiten wurde der Beteiligte zu 1 aufgrund Auflassung und Teilung nach § 8 WEG am 23. Januar 2013 als Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes im Grundbuch eingetragen. Zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3 wurde in Abteilung II ein Nacherbenvermerk eingetragen; die angeordnete Ersatznacherbschaft wurde nicht vermerkt. Mit notarieller Urkunde vom 13. Juni 2019 übertrugen die Beteiligten zu 2 und 3 den verfahrensgegenständlichen Grundbesitz in das nicht der Nacherbfolge unterliegende Vermögen des Beteiligten zu 1 und erklärten die Freigabe des Grundbesitzes aus der Nacherbschaft. Mit notariellem Antrag vom 26. Juni 2019 haben die Beteiligten die Löschung des in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen Nacherbenvermerks beantragt. Sodann hat das Grundbuchamt mit weiterem Beschluss vom 22. Oktober 2019 den Löschungsantrag der Beteiligten zurückgewiesen und dies auf seine unveränderte Rechtsauffassung über die Erforderlichkeit der Beibringung einer Löschungsbewilligung der Ersatznacherben gestützt. Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihrer Beschwerde.

Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Löschung eines Nacherbenvermerks im Grundbuch setzt nach herrschender Auffassung voraus, dass entweder die Bewilligung aller Nach- und etwaiger Ersatzerben vorliegt oder die Grundbuchunrichtigkeit nach §§ 22, 29 GBO nachgewiesen ist. Die Unrichtigkeit eines eingetragenen Nacherbenvermerks bestimmt sich nach materiellem Erbrecht. Sie ist gegeben, wenn hinsichtlich des konkreten Grundstücks oder Grundstücksrechts, bei dem der Nacherbenvermerk eingetragen ist, das Nacherbenrecht im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht (mehr) besteht. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die Nacherbfolge nach Eintragung des Vermerks weggefallen ist. Eine Nacherbfolge ist nachträglich weggefallen und 43

ZEV 2020, 550 m. Anm. Weidlich.

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kann nicht mehr eintreten, wenn der Vorerbe materiell-rechtlich wirksam – sei es mit Zustimmung oder nach Genehmigung der Nacherben, sei es aufgrund seiner Stellung als befreiter Vorerbe, § 2136 BGB – über das nacherbenbehaftete Grundstückseigentum oder -recht verfügt. Es entspricht einhelliger Auffassung, dass es einer Zustimmung der Ersatznacherben zu einer Verfügung des Vorerben über das nacherbenbehaftete Grundstück bzw. das Grundstücksrecht weder materiell-rechtlich noch grundbuchverfahrensrechtlich bedarf. Von einer Verfügung des Vorerben über das nacherbenbehaftete Grundstück oder das Grundstücksrecht zu unterscheiden ist jedoch die – auch hier gegebene – Situation einer Verfügung zwischen Vor- und Nacherben über die Nacherbenbindung des Grundstücks bzw. des Rechts an ihm. Die Möglichkeit einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung zwischen Vor- und Nacherben darüber, ein zum Nachlass gehörendes und der Nacherbenbindung unterliegendes Grundstück aus der Nacherbenfolge zu entlassen, ist im Grundsatz wohl ebenfalls allgemein anerkannt. Ebenfalls überwiegend anerkannt ist weiter, dass auch eine solche Verfügung unabhängig von einer Zustimmung des Ersatznacherben materiell-rechtlich wirksam ist und grundbuchverfahrensrechtlich die Löschung des Nacherbenvermerks wegen nachgewiesener Unrichtigkeit des Grundbuchs ermöglicht. Bei Prüfung der Frage, ob die vorstehend dargestellten Grundsätze zur materiell-rechtlichen Wirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Freigabevereinbarung ohne Mitwirkung der Ersatznacherben auf den vorliegenden Fall übertragen werden können, ist die hier gegebene Besonderheit zu berücksichtigten, dass es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Grundbesitz um den einzigen nacherbengebundenen Nachlassgegenstand handelt. Nach Auffassung des Senats ist bei Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit von Verfügungen zwischen Vor- und Nacherben über die Nacherbenbindung auch den Interessen des Ersatznacherben und seiner Schutzbedürftigkeit vor ihn beeinträchtigenden Verfügungen Rechnung zu tragen. Dass aber der Ersatznacherbe vor ihn beeinträchtigenden Verfügungen des Nacherben zu schützen ist, ist anerkannt. Der Ersatznacherbe hat ein – doppelt bedingtes – Anwartschaftsrecht in Bezug auf den Nachlass, der Nacherbe kann nur über sein Nacherbenrecht verfügen, nicht aber über die Anwartschaft des Ersatznacherben. Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzes des Ersatznacherben ist aber nach Auffassung des Senats nicht lediglich der Schutz einer rein formalen Position, sondern der Schutz der dahinterstehenden materiellen Position. Ein weiterer Aspekt, der gegen die uneingeschränkte Zulässigkeit von Freigabeverfügungen spricht, ist die anderenfalls mögliche Gefährdung der Rechte der Nachlassgläubiger. Würde durch eine Vielzahl von Einzelfreigaben der gesamte Nachlass in das ungebundene Eigenvermögen des Vorerben überführt, bestünde der Nachlass nur noch als formale Position, den Nachlassgläubigern ginge ihr Haftungssubstrat verloren. Problematisch und bislang – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung nicht entschieden, ist die Frage, anhand welcher Kriterien die Zulässigkeit von Einzelfreigaben zu bestimmen ist. In der Literatur vorgeschlagen wird eine

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Orientierung an ähnlichen Vorschriften, die ebenfalls einen Schutz der Gläubiger bezwecken. Zurückgegriffen werden könne etwa auf die zu § 419 BGB a.F. entwickelten Grundsätze, nach der ein gesetzlicher Schuldbeitritt des Erwerbers dann eintrat, wenn der übertragene Einzelgegenstand 90 % des Gesamtvermögens ausmachte. Eine Entscheidung des Senats darüber, wie die (Wert-)Grenze für die Zulässigkeit einer Einzelfreigabe zu bestimmen ist, ist im hier zu beurteilenden Einzelfall entbehrlich, denn – wie gezeigt – handelt es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Grundbesitz um den einzigen Nachlassgegenstand, für den der Erblasser die Nacherbschaft angeordnet hat, so dass seine Freigabe unzweifelhaft und ohne Weiteres zu einer Entleerung des Nachlasses führt. Demzufolge ist die hier von den Beteiligten mit notariellem Vertrag vom 13. Juni 2019 vereinbarte Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbenbindung materiell-rechtlich unwirksam, denn eine Zustimmung der Ersatznacherben zu dieser den gesamten Nachlass betreffenden Verfügung ist erforderlich und liegt nicht vor.

3. OLG Braunschweig vom 13. Mai 2020 – 3 W 74/2044 a) Ein Nacherbenanwartschaftsrecht ist grundsätzlich übertragbar und vererblich; ob ein entgegenstehender Wille des Erblassers vorgelegen hat und er eine Ersatznacherbschaft angeordnet hat, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu ermitteln, namentlich durch die erläuternde Auslegung, hilfsweise durch die ergänzende Auslegung (Anschluss BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150 [1151 Ziff. III.2]). b) Erst wenn sich nach den allgemeinen Auslegungsregeln kein eindeutiges Ergebnis ergibt, ist auf die nachrangigen gesetzlichen Auslegungsregelungen des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB und des § 2069 BGB zurückzugreifen (Anschluss OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2013 – I-15 W 107/13, juris Rn. 16 und BayObLG, Beschluss vom 30. September 1993 – 1Z BR 9/93, NJW-RR 1994, 460). c) Wenn ein vom Erblasser als Nacherbe bedachter Abkömmling nach Testamentserrichtung wegfällt, ist gemäß § 2069 BGB zwar im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Dies gilt aber nicht, wenn ein als Nacherbe eingesetzter Abkömmling aus freien Stücken als Erbe wegfällt und dafür etwas erhält, etwa dann, wenn er sein Nacherbenanwartschaftsrecht veräußert (Fortführung BGH, Urteil vom 29. Juni 1960 – V ZR 64/59, NJW 1960, 1899).

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ZEV 2020, 687 m. Anm. Kollmeyer.

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E. Testamentsvollstreckung45 I. Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, §§ 2205, 2208, 2216 ff. BGB BGH vom 24. Juli 2019 – XII ZB 560/1846 Der Betroffene wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen die ihm auferlegte Verpflichtung zur Erstattung einer bereits aus der Landeskasse bezahlten Betreuervergütung. Für den Betroffenen ist wegen einer psychischen Erkrankung seit 1998 ein Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge sowie Geltendmachung von gesetzlichen Ansprüchen bestellt. Der am 30. Oktober 2014 verstorbene Vater des Betroffenen setzte in einem notariellen Testament vom 23. Juni 2010 den Betroffenen und dessen Schwester, die zu 100 % behindert ist, mit einem Anteil von jeweils 18 % am Nachlass als Vorerben ein. Ein weiterer Sohn des Erblassers wurde zum Vollerben mit einem Anteil von 64 % bestimmt und im Übrigen auch als Nacherbe nach dem Betroffenen und dessen Schwester eingesetzt. Weiter ordnete der Erblasser hinsichtlich der beiden Vorerben Dauertestamentsvollstreckung nach § 2209 BGB bis zu deren jeweiligen Tod an. Als Aufgabe des Testamentsvollstreckers bestimmte der Erblasser die Ausübung der den Vorerben zustehenden Verwaltungsrechte. Verfügungen über die Erbteile selbst sind dem Testamentsvollstrecker nicht gestattet. Der Wert des Erbteils des Betroffenen beträgt nach Auskunft des Testamentsvollstreckers ca. 32.456 €. Der Nacherbe erklärte sich bereit, auf eine mündelsichere Anlage des Erbteils zu verzichten, und gestattete es dem Testamentsvollstrecker, für den Betroffenen aus der Vermögenssubstanz jährlich „bis zu 2.500 €“ zur Steigerung von dessen Lebensqualität zu entnehmen. Nachdem die Betreuervergütung zunächst im vereinfachten Verwaltungsverfahren aus der Landeskasse gezahlt wurde, hat das Amtsgericht mit dem angegriffenen Beschluss entschieden, dass der Betroffene für den unverjährten Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. März 2018 einen Betrag in Höhe von 3.432 € an die Landeskasse zu erstatten hat. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Vergütungsschuldner des Berufsbetreuers ist bei Mittellosigkeit des Betreuten die Staatskasse (§§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1836 Abs. 1 S. 3 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 2 VBVG) und bei vorhandenem verwertbarem Vermögen der Betreute (§§ 1908 i Abs. 1 S. 1, 1836 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 1 VBVG). Soweit die Staatskasse Leistungen zur Vergütung eines Betreuers erbracht hat, geht gemäß § 1908i Abs. 1 BGB i.V.m. § 1836e Abs. 1 S. 1 BGB der Anspruch des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse über. Ob bzw. inwieweit die Staatskasse den Betreuten aus der übergegangenen Forderung tatsächlich in Anspruch nehmen kann, bestimmt sich nach dessen Leistungsfähigkeit. Maßstab hierfür ist das nach § 1836c BGB einzusetzende Einkommen und Vermögen des Betreuten, auf das seine Inanspruchnahme begrenzt ist. Danach verfügt der Betroffene über kein verwertbares Vermögen. Der Betroffene muss weder seinen Erbteil noch die daraus erzielten Erträge für die Betreu45 46

Vgl. Reimann, Erbe gegen Testamentsvollstrecker, ErbR 2017, 186 – 194; sowie Wendt, Regieren aus dem Grab? Der Regent und sein Vollstrecker, ZNotP 2017, 394 – 409. ZEV 2020, 41 m. Anm. Zimmer = ErbR 2020, 247, hierzu Wendt, a.a.O. 238 – 243.

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ervergütung einsetzen. Die angeordnete Testamentsvollstreckung schränkt die Verfügungsbefugnis des Betroffenen gemäß § 2211 BGB ein; dementsprechend können sich die Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten, § 2214 BGB. Dies schließt eine Verwertung des Nachlasses für die Betreuervergütung grundsätzlich aus. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist das Testament vom 23. Juni 2010 auch nicht nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sogenannten Behindertentestament sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus. Den Grund für die Annahme, das vorliegende Testament sei sittenwidrig, hat das Landgericht insbesondere darin gesehen, dass in der letztwilligen Verfügung keine konkreten Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker enthalten sind, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken der Betroffene Vorteile aus dem Nachlass erhalten soll. Aus diesem Unterschied zwischen dem „klassischen“ und damit nicht sittenwidrigen Behindertentestament zu dem vorliegenden Testament hat das Landgericht geschlossen, dass die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft im vorliegenden Fall allein dazu diene, den Zugriff des Sozialhilfeträgers auf die Erbteile der behinderten Kinder zu verhindern und dies zur Sittenwidrigkeit des Testaments führe. Dem kann nicht gefolgt werden. Aufgrund der grundrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Testierfreiheit kann einer letztwilligen Verfügung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Wirksamkeit versagt werden, wenn dies aufgrund übergeordneter Wertungen, etwa infolge objektiver Wertentscheidungen der Grundrechte, die über Generalklauseln wie § 138 Abs. 1 BGB in das Zivilrecht hineinwirken, erforderlich ist. In solchen Fällen muss jedoch stets die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, nicht etwa dessen Rechtfertigung konkret begründet werden. Im Lichte dieses Verständnisses kommt eine Einschränkung der Testierfreiheit durch Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB nur in Betracht, wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit auf eine klare, deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers oder allgemeine Rechtsauffassung stützen könnte. Weder das eine noch das andere hat das Landgericht hier festgestellt. Allein die vom Landgericht dem Erblasser unterstellte Absicht, durch die Gestaltung des Testaments den gesamten Nachlass nur zugunsten des nicht behinderten Sohns sichern und einen Zugriff der Sozialhilfe- und übrigen Leistungsträger auf die Erbteile der beiden behinderten Familienangehörigen verhindern zu wollen, würde hierfür nicht genügen. Hinzu kommt, dass die An-

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nahme des Landgerichts, dem Betroffenen würden aus der (Vor-)Erbschaft keinerlei Vorteile zufließen, nicht zutrifft. Auch der Vorerbe ist grundsätzlich wahrer Erbe und damit Inhaber der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte. Allerdings kann er, soweit er nicht gemäß § 2136 BGB von den Beschränkungen und Verpflichtungen des § 2113 Abs. 1 BGB und der §§ 2114, 2116 bis 2119, 2123, 2127 bis 2131, 2133, 2134 BGB befreit wurde, nicht über die Nachlassgegenstände verfügen. Ihm stehen jedoch im Verhältnis zum Nacherben die vollen Nutzungen (§ 100 BGB) seiner Vorerbschaft zu, während für den Nacherben lediglich die Substanz des Nachlasses erhalten bleiben muss. Ist eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet, erfasst diese allerdings auch die aus der Vorerbschaft erwirtschafteten Erträge. Ob und in welchem Umfang der Testamentsvollstrecker die Erträge an den Vorerben auszahlen muss, bestimmt sich vorrangig nach den Verwaltungsanordnungen, die der Erblasser in der letztwilligen Verfügung festgelegt hat. Finden sich dort – wie im vorliegenden Fall – keine entsprechenden Regelungen, bestimmt sich dies nach § 2216 Abs. 1 BGB. Der Testamentsvollstrecker ist demnach – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 2338 Abs. 1 S. 2 BGB – grundsätzlich befugt, Erträge zu thesaurieren. Nutzungen sind jedoch an den Erben herauszugeben, soweit dies zur Bestreitung des angemessenen Unterhalts des Erben sowie zur Begleichung fälliger Steuerschulden erforderlich ist. Da der Erblasser im vorliegenden Fall keine anderweitigen Verwaltungsanordnungen für den Testamentsvollstrecker getroffen hat, insbesondere keine ausschließliche T hesaurierung der durch die Erbschaftsgegenstände erzielten Erträge angeordnet hat, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Betroffene im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2216 Abs. 1 BGB) vom Testamentsvollstrecker die Auszahlung von erzielten Erträgen zur Bestreitung seines Unterhalts verlangen kann und ihm deshalb bis zum Eintritt des Nacherbfalls Vorteile aus der Vorerbschaft zufließen. Eine Sittenwidrigkeit des Testaments im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB liegt somit nicht vor.

II. Schadensersatz BGH vom 4. Dezember 2019 – IV ZR 100/1947 Der Kläger verlangt als Alleinerbe seiner am 12. September 2008 verstorbenen Urgroßmutter von der Beklagten, deren Tochter, unter anderem Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Pflichten als Testamentsvollstreckerin, zu der sie bis zur Volljährigkeit des am 13. Oktober 1993 geborenen Klägers bestimmt worden war. Zum Nachlass gehörte ein Mehrfamilienhaus mit drei Wohnungen. Die Wohnung im Erdgeschoss war von September 2008 bis Dezember 2010 nicht vermietet. Für eine weitere Wohnung wurden 2010 nur zwei Monate lang Mietzahlungen vereinnahmt. Der Kläger hat Schadensersatz in Höhe der Mietausfälle verlangt. Soweit für 47

BeckRS 2019, 35015.

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das Beschwerdeverfahren noch von Interesse, hat das Landgericht die auf Schadensersatz wegen der Mietausfälle gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat insoweit auf die Berufung des Klägers der Klage auf Schadensersatz in Höhe von 20.830 € stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe der Beklagten als Testamentsvollstreckerin oblegen, für eine möglichst gewinnbringende Verwertung des Wohnobjekts zu sorgen. Die Wohnung im Erdgeschoss sei zwischen September 2008 und Dezember 2010 nicht vermietet gewesen. Der allgemeine Verweis auf Renovierungsarbeiten in Eigenarbeit genüge in diesem Zusammenhang nicht. Insofern sei der Beklagten wegen der Renovierungsarbeiten ein dreimonatiger Leerstand zuzubilligen. Es ergebe sich so eine Forderung von 25 Monaten x 710 € = 17.750 €. Der Leerstand einer weiteren Wohnung von zehn Monaten im Jahr 2010 sei wiederum nicht hinreichend erklärt. Nach Zubilligung einer angemessenen Renovierungsdauer von drei Monaten ergebe sich eine weitere Forderung von sieben Monaten x 440 € = 3.080 €. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt.

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzt die Beklagte in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass das Berufungsgericht der Klage nicht im ausgeurteilten Umfang stattgeben durfte, ohne der Beklagten zuvor die von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragte Schriftsatzfrist zu gewähren. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Ein rechtlicher Hinweis des Gerichts erfüllt seinen Zweck nur dann, wenn der Partei anschließend die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Hinweises zu ergänzen. Erteilt ein Gericht einen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne Weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen Partei nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Seine Ansicht, dass die Nichtvermietung der beiden Wohnungen eine Pflichtverletzung der Beklagten als Testamentsvollstreckerin gewesen sei, begründet es damit, der allgemeine Verweis der Beklagten auf Renovierungsarbeiten in Eigenarbeit genüge nicht und der Leerstand sei nicht hinreichend erklärt; insofern sei der Beklagten wegen der Renovierungsarbeiten (nur) ein dreimonatiger Leerstand zuzubilligen. Das Berufungsgericht hat der Beklagten jedoch keine Gelegenheit gegeben, zu den durchgeführten Renovierungsarbeiten weiter vorzutragen. Nachdem das

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Landgericht die Klage auf Schadensersatz abgewiesen hatte, bestand für die Beklagte zunächst kein Anlass, sich in der Berufungsinstanz genauer zu den Renovierungsarbeiten zu erklären. Erst in der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass ein Schadensersatzanspruch in Betracht komme, da die von der Beklagten behaupteten Renovierungsarbeiten keine Nichtvermietung über einen Zeitraum von zwei Jahren rechtfertigten. Den daraufhin von der Beklagten beantragten Schriftsatznachlass hätte das Berufungsgericht gewähren müssen, damit sie den laut Berufungsurteil fehlenden konkreten Vortrag zu den Renovierungsarbeiten hätte nachholen können.

III. Entlassung des Testamentsvollstreckers, § 2227 BGB 1. OLG Hamburg vom 18. April 2019 – 2 W 4/1948 Die Beteiligten zu 2 und 3 sind aufgrund des notariellen Testaments der Erblasserin vom 26. Juli 2017 deren Erben zu je 1/2. Die Beteiligten zu 1 und 3 sind die Söhne der Erblasserin, der Beteiligte zu 1 ist der Vater des Beteiligten zu 2. Durch § 5 des Testaments hat die Erblasserin hinsichtlich des Erbteils des Beteiligten zu 2 Testamentsvollstreckung in Form der Dauervollstreckung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Beteiligten zu 2 angeordnet und den Beteiligten zu 1 zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Der Beteiligte zu 1 ist mit Urteil des Landgerichts H. vom 23. Januar 2008 wegen Betruges in 13 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Über das Vermögen des Beteiligten zu 1 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts H. vom 21. Juli 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 3. April 2018 (ca. 7 Stunden nach dem Tod der Erblasserin) hob der Beteiligte zu 1 mit Hilfe einer Generalvollmacht, die die Erblasserin den Beteiligten zu 1 und 3 erteilt hatte, vom Konto der Erblasserin 11.500 € ab, wodurch ein Debetsaldo in Höhe von 7.500 € entstand. Am 15. Juni 2018 widerrief der Beteiligte zu 3 die Generalvollmacht gegenüber dem Beteiligten zu 1. Am 24. August 2018 hob der Beteiligte zu 1 weitere 830 € von dem Konto der Erblasserin ab. Der Beteiligte zu 3 hat beim Nachlassgericht die Entlassung des Beteiligten zu 1 als Testamentsvollstrecker beantragt. Durch Beschluss vom 14. November 2018 hat das Nachlassgericht den Beteiligten zu 1 als Testamentsvollstrecker entlassen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 3 hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das Nachlassgericht die Voraussetzungen für die Entlassung des Testamentsvollstreckers gemäß § 2227 BGB bejaht. Der für eine Entlassung gemäß § 2227 BGB erforderliche Antrag einer hierzu berechtigten Person liegt in Form des Entlassungsantrages des Beteiligten zu 3) vor. Zwar ergibt sich die Antragsberechtigung des Beteiligten zu 3 nicht ohne Weiteres aus seiner Miterbenstellung, da sich die Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht auf den Erbteil des Beteiligten zu 3 bezieht. Jedoch kann sich nach der überwiegend vertretenen Auffassung ein Antragsrecht eines nicht mit der Testamentsvollstreckung belasteten Miterben daraus ergeben, dass durch die Art und Weise der Durchführung des Testamentsvollstreckeramts seine eigenen rechtlichen Interessen als Miterbe nachteilig betroffen werden können. Dies kommt insbesondere deshalb in Be48

ZEV 2020, 290.

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tracht, weil dem Testamentsvollstrecker im Innenverhältnis der schuldrechtlich verbundenen Erbengemeinschaft die Verwaltungs- und Entscheidungsbefugnis für den der Testamentsvollstreckung unterliegenden Erbteil zukommt. Durch eine pflichtwidrige oder verzögerte Ausübung seines Amtes kann es deshalb zu Vermögensnachteilen für sämtliche Teile des Nachlasses kommen, durch die alle Miterben belastet werden. Zutreffend führt das Nachlassgericht aus, dass ein wichtiger Entlassungsgrund im Sinne des § 2227 BGB auch ohne ein Verschulden des Testamentsvollstreckers dann vorliegt, wenn er durch die bei ihm bestehenden Verhältnisse oder sein persönliches Verhalten begründeten Anlass zu der Annahme gibt, dass ein längeres Verbleiben im Amt der Ausführung des letzten Willens des Erblassers hinderlich sei oder sich hierdurch eine erhebliche Gefährdung der Interessen der am Nachlass Beteiligten ergeben werde. Erhebliche Zweifel hinsichtlich der Eignung des Beteiligten zu 1 als Testamentsvollstrecker und damit als treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens ergeben sich bereits daraus, dass er mehrfach wegen Vermögensdelikten – nämlich wegen Betrugs in insgesamt 14 Fällen – vorbestraft ist. Noch gravierender fällt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beteiligten zu 1 im Jahr 2015 ins Gewicht. Der vorstehende Sachverhalt ist im Rahmen des § 2227 BGB verwertbar und relevant, obwohl er der Erblasserin nach dem Vorbringen des Beteiligten zu 1 bei Errichtung des Testaments in vollem Umfang bekannt gewesen sein soll. Zwar ist weithin anerkannt, dass dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers bei der Beurteilung der Frage, ob ein wichtiger Entlassungsgrund gemäß § 2227 BGB vorliegt, eine gewisse Bedeutung zukommt. Die Berücksichtigung des Erblasserwillens findet jedoch ihre Grenze jedenfalls in den für den Erblasser nicht abdingbaren (§ 2220 BGB) Pflichten des Testamentsvollstreckers zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 BGB), zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses und zur Rechnungslegung gegenüber den Erben. Jedenfalls soweit es um die Erfüllung dieser Pflichten geht, steht auch die Vorschrift des § 2227 BGB nicht zur Disposition des Erblassers, da die nicht abdingbaren Rechte der Erben aus den §§ 2215 ff. BGB ohne das in § 2227 BGB geregelte Verfahren gar nicht oder nur sehr eingeschränkt durchsetzbar wären. Dieser Gedanke steht nicht nur einer ausdrücklichen Abbedingung des § 2227 BGB durch den Erblasser entgegen, sondern schließt es auch aus, § 2227 BGB deshalb für unanwendbar zu erachten, weil der Erblasser bewusst einen mit Blick auf die Einhaltung der Vorschriften der §§ 2215 ff. BGB ungeeigneten Testamentsvollstrecker ausgewählt habe. Eine solche Konstellation liegt hier vor. Ein weiterer Grund für die Entlassung des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er für die von ihm unstreitig vorgenommenen Abhebungen vom Konto der Erblasserin in Höhe von 11.500 € bzw. 830 € weiterhin keine plausiblen Gründe angibt.

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2. OLG München vom 9. Juli 2020 – 31 Wx 455/1949 Die formellen Voraussetzungen für die von der Beteiligten zu 4 beantragte Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Amt des Testamentsvollstreckers in Bezug beider Erbteile sind gegeben. Die Beteiligte zu 4 ist als verwaltungsunterworfene Miterbin, deren Erbenstellung sich im Wege der (erläuternden) Auslegung der von der Erblasserin verwenden Formulierung betreffend die Bedachte ergibt, nicht nur in Bezug auf ihren Miterbenanteil, sondern auch in Bezug auf den Erbteil des Beteiligten zu 5 antragsberechtigt im Sinne des § 2227 BGB. Zur Antragstellung sind alle Personen berechtigt, deren Rechte und Pflichten durch die Testamentsvollstreckung unmittelbar betroffenen werden können, die also ein rechtliches Interesse an der Testamentsvollstreckung haben. Solange die Erbengemeinschaft nicht vollständig auseinandergesetzt ist, bezieht sich die Verwaltung des Erbteilstestamentsvollstreckers auf den gesamten Nachlass, so dass der Erbteilstestamentsvollstrecker in einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu allen – auch den vollstreckungsfreien – Erben steht. Insofern lässt sich eine Beschränkung der Testamentsvollstreckung auf einen Erbteil nicht als Beschränkung nur dieses Erbteils werten. Vielmehr wirkt die vom Erblasser angeordnete Erbteilstestamentsvollstreckung als Beschränkung auch für die vollstreckungsfreien Miterben, solange die Erbengemeinschaft besteht. Demgemäß können auch die von der Testamentsvollstreckung nicht unterworfenen Miterben durch die Verwaltung des Testamentsvollstreckers in ihren Rechten berührt sein, und haben somit ein rechtliches Interesse daran, von welcher Person und auf welche Person die Testamentsvollstreckung geführt wird. Insoweit bejaht die obergerichtliche Rechtsprechung sowie die Literatur die Antragsbefugnis eines Miterben, der nicht selbst von dieser Testamentsvollstreckung erfasst ist. Unter Zugrundelegung dieses Grundsatzes betreffend das Antragsrecht eines Miterben erstreckt sich das Antragsrecht eines Miterben, dessen Erbteil der Verwaltung durch einen Testamentsvollstrecker unterworfen ist, daher auch auf die Entlassung eines Testamentsvollstreckers in Bezug auf einen (anderen) Erbteil, der ebenfalls der Testamentsvollstreckung unterworfen ist. Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die materiellen Voraussetzungen im Sinne des § 2227 BGB betreffend die Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Amt des Testamentsvollstreckers vorliegen. Nach § 2227 Abs. 1 BGB kann der Testamentsvollstrecker auf Antrag eines Beteiligten aus dem Amt entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Das Gesetz gibt als Beispiele eine grobe Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers oder dessen Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung an. Neben den im Gesetz genannten Beispielfällen kann ein wichtiger Grund ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Testamentsvollstreckers auch dann vorliegen, wenn dieser 49

ZEV 2020, 554 m. Anm. Reimann = ErbR 2020, 806 m. Anm. Tamoj.

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durch sein persönliches Verhalten begründeten Anlass zu der Annahme gibt, dass ein längeres Verbleiben im Amt der Ausübung des letzten Willens des Erblassers hinderlich sei oder dass sich dadurch eine Schädigung oder eine erhebliche Gefährdung der Interessen der am Nachlass Beteiligten ergeben könnte. Auch ein nicht nur auf subjektiven Gefühlsmomenten, sondern auf Tatsachen beruhendes Misstrauen eines Beteiligten, zu dem der Testamentsvollstrecker Anlass gegeben hat, kann zur Entlassung des Testamentsvollstreckers führen. Schließlich kann auch ein erheblicher Interessengegensatz zwischen Testamentsvollstrecker einerseits und Erben andererseits ein wichtiger Grund zur Entlassung sein. Andererseits setzt das Amt des Testamentsvollstreckers kein Vertrauensverhältnis zu den Erben voraus. Der Testamentsvollstrecker muss unabhängig von diesen den Willen des Erblassers ausführen, wenngleich er sich im Rahmen des ihm zustehenden Verwaltungsermessens nicht grundlos über die Interessen und Vorstellungen der Erben hinwegsetzen darf. Daher ist an eine Entlassung des Testamentsvollstreckers wegen berechtigten Misstrauens ein strenger Maßstab anzulegen; die Beteiligten dürfen nicht in die Lage versetzt werden, einen ihnen möglicherweise lästigen Testamentsvollstrecker durch eigenes feindseliges Verhalten oder aus für sich genommenen unbedeutendem Anlass aus dem Amt zu drängen. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze teilt der Senat die von dem Nachlassgericht festgestellten groben Pflichtverletzungen des Beschwerdeführers in Bezug auf Verwaltung seiner Verwaltung unterstellten Nachlasses in Bezug auf die Beteiligten zu 4 und 5. Der Entlassungsantrag der Beteiligten zu 4 ist bereits deswegen begründet, da der Beschwerdeführer das Vermögen von der Erblasserin mit seinem Eigenvermögen vermischt hat. Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass eine grobe Pflichtverletzung des Beschwerdeführers darin liegt, dass er seiner Verpflichtung im Sinne des § 2218 Abs.1 i.V.m. § 666 BGB in Bezug auf die Beteiligte zu 4 nicht nachgekommen ist.

IV. Beendigung der Testamentsvollstreckung OLG Saarbrücken vom 15. Oktober 2019 – 5 W 61/1950 Mit notarieller Urkunde vom 27. Juni 2019 bewilligte die als Eigentümerin des im Grundbuch von … verzeichneten Grundbesitzes eingetragene Stiftung als Sicherungsgeberin zugunsten der Antragstellerin die Eintragung einer Buchgrundschuld in Höhe von 74.000 €. Die Eigentümerin hat den vorstehenden Grundbesitz im Wege der gewillkürten Erbfolge nach der am 6. August 2007 verstorbenen Erblasserin erworben. Die Erblasserin hatte sie mit notariellem Testament vom 16. Juli 2007 zu ihrer alleinigen Erbin eingesetzt. In dem Testament hatte die Erblasserin außerdem ihrer Tochter das Recht vermacht, sämtliche Räume des Anwesens lebenslänglich, unentgeltlich und unter Ausschluss des jeweiligen Eigentümers als Wohnung zu benutzen. Außerdem hatte die Erblasserin „(Abwicklungs-)Testamentsvollstreckung“ ange50

ZEV 2020, 97.

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ordnet und Herrn G. S. zum Testamentsvollstrecker bestimmt mit der Aufgabe, „den Nachlass abzuwickeln (§§ 2203, 2204 BGB), insbesondere das vorbezeichnete Vermächtnis zu erfüllen“. Dieser hatte das Amt am 3. Januar 2008 angenommen, ihm war unter dem 14. Mai 2008 ein Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt worden und ein entsprechender Vermerk ist im Grundbuch eingetragen. Der Testamentsvollstrecker ist am 29. Oktober 2010 verstorben. Das Amtsgericht – Grundbuchamt – hat in der angefochtenen Zwischenverfügung darauf hingewiesen, dass der beantragten Eintragung die fortbestehende Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers entgegenstehe.

Die Beschwerde gegen die Zwischenverfügung des Grundbuchamtes ist begründet. Die von der Antragstellerin begehrte Eintragung durfte nicht unter Hinweis auf die fortbestehende Testamentsvollstreckung und eine deshalb fehlende Bewilligungsbefugnis der Eigentümerin abgelehnt werden. Ist – wie hier – ein Testamentsvollstrecker ernannt und dies bei der Eintragung des Erben mit eingetragen worden (vgl. § 52 GBO), so hat dies zur Folge, dass die materiell-rechtlichen Verfügungsbeschränkungen der Erben, die mit der Testamentsvollstreckung verbunden sind, gemäß § 891 BGB auch für das Grundbuchverfahrensrecht vermutet werden und das Grundbuchamt Eintragungsanträge, die nur auf eine Bewilligung des Erben gestützt sind, mangels seiner Bewilligungsbefugnis zurückzuweisen hat. Im vorliegenden Fall ist von diesem Grundsatz allerdings eine Ausnahme zu machen, weil – was nach Maßgabe der §§ 22, 29 GBO nachgewiesen ist – die Testamentsvollstreckung beendet ist und der Testamentsvollstreckervermerk daher wegen offenkundiger Unrichtigkeit zu löschen wäre. Eine Unrichtigkeit des Grundbuches im Sinne des § 22 GBO liegt vor, wenn die Testamentsvollstreckung insgesamt materiell-rechtlich beendet, also nicht nur ein bestimmter Testamentsvollstrecker weggefallen ist. Wie das Amtsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, führt allein der Tod des Testamentsvollstreckers gemäß § 2225 BGB nicht zwingend auch zur Beendigung der Testamentsvollstreckung, sondern nur, wenn der erklärte oder durch Auslegung zu ermittelnde Wille des Erblassers dahin geht, dass sie nach dessen Ausscheiden nicht weitergeführt werden soll. Darüber hinaus endigt die Testamentsvollstreckung mit der Erledigung aller dem Testamentsvollstrecker obliegenden Aufgaben. Danach ist vorliegend im Anschluss an das durch öffentliche Urkunde nachgewiesene Versterben des von der Erblasserin eingesetzten Testamentsvollstreckers (§ 2225 BGB) die Testamentsvollstreckung wegen Erfüllung aller dem Testamentsvollstrecker obliegenden Aufgaben erloschen. Ausweislich des bei den Grundakten befindlichen notariellen Testaments vom 16. Juli 2007 (vgl. § 29 GBO) hatte die Erblasserin Testamentsvollstreckung hier ausdrücklich – nur – zur „Abwicklung“ des Nachlasses angeordnet; dem Testamentsvollstrecker waren als Aufgaben ausdrücklich – nur – die Geschäfte nach den §§ 2203, 2204 BGB und hierbei insbesondere die Erfüllung des zugunsten der Tochter der Erblasserin verfügten Vermächtnisses zugewiesen. Eine weiterge-

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hende Beschränkung der Rechte des Erben, etwa in Gestalt einer Dauervollstreckung (§ 2209 BGB), hat sie nicht vorgesehen. Schon daraus erhellt ihr Wille, die Testamentsvollstreckung nach Erledigung dieser Aufgaben, d.h. insbesondere nach Ausführung der letztwilligen Verfügung, für beendet anzusehen und jedenfalls für diesen Fall auch bei einem vorzeitigen Ableben der von ihr eingesetzten Person keinen anderen als neuen Testamentsvollstrecker zu berufen. Die durch das Testament begünstigte Grundstückseigentümerin ist Alleinerbin geworden, sie hat das Erbe angetreten, die damit verbundenen dinglichen Rechtsakte sind vollzogen. Auch das der Tochter der Erblasserin zugewandte Vermächtnis ist noch zu Lebzeiten des Testamentsvollstreckers durch Eintragung in das Grundbuch erfüllt worden. Weiterer Abwicklungsbedarf ergibt sich auch insoweit nicht mehr, nachdem das Wohnrecht lebenslang eingeräumt war, nicht übertragbar ist und nach dem Tode der Begünstigten, der hier ebenfalls durch Sterbeurkunde nachgewiesen ist, keine Rechtswirkungen mehr zeitigen kann.

F. Prozessuale und verfahrensrechtliche Fragen I. Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen OLG Karlsruhe vom 14. August 2019 – 7 U 238/1851 Nach § 630g Abs. 3 S. 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 BGB kann im Falle des Todes des Patienten der Erbe Einsicht in die Behandlungsakten zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen und die nächsten Angehörigen hinsichtlich immaterieller Interessen nehmen. Nach § 630g Abs. 3 S. 3 BGB sind die Rechte allerdings ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht. Die Beklagte macht geltend, die verstorbene Tochter der Klägerin habe besonderen Wert daraufgelegt, dass Gesprächsnotizen der Sitzungen, deren Gegenstand die Beziehung der Patientin zu ihrer Familie und namentlich zur Mutter waren, absolut vertraulich behandelt würden. Sie habe stets zu erkennen gegeben, dass diese Inhalte keineswegs der Mutter jemals zur Kenntnis gelangen dürften. Eine solche Erklärung steht dem Begehren der Klägerin, Einsicht in die gesamte Behandlungsakte zu nehmen, um gerade diese Fragen für sich zu klären, entgegen. Die von der Klägerin bestrittene Erklärung ist der Prüfung des Einsichtsbegehrens zugrunde zu legen. Zwar ist eine Beweisführung durch Zeugen nicht mehr möglich, da sowohl der Arzt als auch die Patientin verstorben sind. Es ist in der Rechtsprechung aber anerkannt, dass dem Arzt bei der Prüfung des Patientenwillens ein Ermessen zusteht, das nur begrenzt gerichtlich überprüfbar ist. Demnach ist der in Anspruch genommene Arzt 51

ZEV 2019, 715.

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gewissermaßen selbst die letzte Instanz. Die damit verbundene Missbrauchsgefahr muss wegen des hohen Stellenwertes, der dem Vertrauensschutz zukommt, grundsätzlich hingenommen werden. Allerdings muss der Arzt darlegen, dass und unter welchem allgemeinen Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht. Diesen Anforderungen hat der Arzt genügt. So hat er differenziert dargelegt, dass die Tochter klar zu erkennen gegeben hat, Informationen nicht weiter zu geben, die das Verhältnis zu ihrer Familie, insbesondere zu ihrer Mutter betreffen. Die so anzunehmende Verweigerung der Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung ist nicht durch die Erklärungen sowohl in der Vorsorgevollmacht als auch in der Patientenverfügung über die Schweigepflichtentbindung und das Recht auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen überlagert. In der Vorsorgevollmacht hat die Tochter der Klägerin das Recht eingeräumt, Krankenunterlagen einzusehen; gleichzeitig hat sie unter anderem die zukünftig behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Nach der Regelung unter Ziff. 5 soll die Vollmacht auch über den Tod hinauswirken. Zusätzlich ist in den Schlussbestimmungen aufgenommen, dass Entscheidungen aus dem Bereich der Gesundheit im Sinne des in der Patientenverfügung Festgehaltenen auszuüben sind. Dort ist unter Ziff. 8 ebenfalls eine Schweigepflichtentbindung und ein Einsichtsrecht in Krankenunterlagen geregelt. Dieses Recht wiederum, auf das in der Vollmacht verwiesen wird, steht nach § 1901a Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 BGB unter dem Vorbehalt, dass die Regelungen noch mit der aktuellen Lebensund Behandlungssituation zu vereinbaren sind. Allein hieraus folgt bereits, dass der nach Erstellung der Vollmacht und der Patientenverfügung erklärte Wille, keine Gesprächsinhalte betreffend familiäre Beziehungen bekannt zu geben, nicht von der Vollmacht umfasst ist. Zudem ist die Vollmacht vorliegend dahingehend einschränkend auszulegen, dass sie keine Inhalte betreffen soll, deren Offenbarung eine Behandlung verhindern würden.

II. Akteneinsicht in Testamentsakte 1. KG vom 11. Juni 2019 – 19 W 46/1952 Den selbstständigen Erbenermittlern steht kein Akteneinsichtsrecht zu, da sie weder ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 13 Abs. 2 S. 1 FamFG noch ein rechtliches Interesse im Sinne des § 357 Abs. 1 FamFG an der Akteneinsicht haben. Der Senat folgt insoweit der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, wonach es das Interesse an der Sammlung von Daten und deren wirtschaftlicher Verwertung nicht rechtfertigt, Einblick in persönliche Verhältnisse zu gewähren, die in einem gerichtlichen Verfahren offenbart werden. Das 52

ZEV 2019, 598; zur Erbenermittlung vgl. auch Siebert, ZEV 2019, 688.

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berufliche Interesse eines Erbenermittlers genügt nur dann, wenn es durch den Auftrag eines Berechtigten – z.B. eines Nachlasspflegers – legitimiert ist. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts kann eine Akteneinsichtsrecht nicht im Hinblick darauf angenommen werden, dass sich nach öffentlicher Aufforderung gemäß § 352d FamFG in der Praxis häufig nur gewerbliche Erbenermittler melden. Denn nach der gesetzlichen Regelung wird allein auf das Interesse der Person abgestellt, die Akteneinsicht nehmen will. Ein hinreichendes Interesse des Erbenermittlers liegt aber – wie dargestellt – nicht vor.

2. KG vom 12. April 2019 – 19 W 42/1953 a) Darf bei einem Ehegattentestament der überlebende Ehegatte die Schlusserbeneinsetzung jederzeit frei widerrufen, ist dem Schlusserben nach dem Tod des anderen Ehegatten das Testament nicht gemäß § 348 Abs. 3 FamFG bekanntzugeben, da er noch nicht Beteiligter ist. b) Den enterbten Geschwistern des Erblassers ist das Testament nur ohne die Regelung über die Schlusserbeneinsetzung bekanntzugeben, da die erbrechtliche Stellung der Geschwister im ersten Erbvorgang durch die frei widerrufliche Schlusserbeneinsetzung nicht betroffen sein kann und dann hinter dem geltend gemachten Geheimhaltungsinteresse des überlebenden Ehegatten zurücktritt.

3. OLG Düsseldorf vom 6. Dezember 2019 – 3 Wx 224/1954 Ist dem Verfahrensbevollmächtigten eines potentiellen Erben, der die Wirksamkeit bzw. Authentizität des privatschriftlichen Testaments des Erblassers anzweifelt, Einsicht in eine in der Verfahrensakte befindliche beglaubigte Kopie gewährt worden, so hält sich die Entscheidung des Gerichts, die Versendung des Original-Testaments zwecks Einsichtnahme im Wege der Rechtshilfe an das örtlich zuständige Amtsgericht mit Blick auf die Verlustgefahr zu versagen und auf die Möglichkeit zu verweisen, die Originalurkunde vor Ort beim Nachlassgericht einzusehen, im Allgemeinen – so auch hier – in den Grenzen pflichtgemäßen Ermessens.

53 54

ZEV 2019, 537. ZEV 2020, 302.

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III. Nachlasspflegschaft 1. OLG Celle vom 20. März 2020 – 6 W 142/1955 (nicht rechtskräftig, Az. des BGH: IV ZB 16/20) Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 14. Juni 2018 gemäß § 1961 BGB Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben angeordnet und den Beteiligten zu 1 zum Nachlasspfleger bestellt. Es hat festgestellt, dass der Nachlasspfleger das Amt berufsmäßig ausübt. Mit Antrag vom 14. Mai 2019 hat der Beteiligte zu 1 für den Zeitraum vom 14. Juni 2018 bis 14. Mai 2019 eine Vergütungsfestsetzung in Höhe von 2.972,89 € brutto beantragt. Die Vergütungssumme hat der Beteiligte zu 1 wie folgt berechnet:

23,517 Stunden x 80 € zzgl. 19 % Umsatzsteuer Gesamt

1.881,33 € 357,45 € 2.238,79 €

In Höhe dieses Betrages hat Beteiligte zu 1 die Entnahme aus dem Nachlass beantragt. Für weitere 14,733 Stunden hat der Beteiligte zu 1 einen Stundensatz von 33,50 € angesetzt, weil insoweit Nachlass zur Begleichung der Vergütung nach Abzug der 2.238,79 € nicht mehr vorhanden wäre. Gegen die Staatskasse festzusetzen, hat der Beteiligte zu 1 beantragt:

14,733 Stunden x 33,50 € = Auslagen Zwischensumme zzgl. 19 % Umsatzsteuer Gesamt

493,57 € 123,33 € 616,90 € 117,21 € 734,11 €.

Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Bezirksrevisorin die Vergütung mit dem angefochtenen Beschluss auf aus der Staatskasse zu erstattende 1.671,61 € festgesetzt. Den darüberhinausgehenden Vergütungsfestsetzungsantrag hat das Amtsgericht abgelehnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Nachlasspfleger einen Anspruch auf Vergütung und Ersatz von Aufwendungen gemäß § 1915 BGB, § 168 FamFG, §§ 1835, 1836 Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 2, 3 VBVG a.F. habe. Die von dem Beteiligten zu 1 in seinem Abrechnungsantrag vorgenommene Splittung der Stundensätze, die auf der Annahme beruhe, dass der Nachlass so lange als werthaltig zu betrachten sei, wie liquide Mittel vorhanden seien, sei nicht zu folgen. Dagegen wendet der Beteiligte zu 1. sich mit der Beschwerde.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Höhe der dem Beteiligten zu 1 nach § 1836 Abs. 1 S. 2 BGB zustehenden Vergütung bestimmt sich im vorliegenden Fall nicht teilweise nach § 1915 Abs. 1 S. 2 BGB und teilweise nach § 12 VBVG i.V.m. § 3 Abs. 1 bis 3 VBVG a.F., sondern im gesamten Umfang nach § 3 VBVB a.F. Eine von den Stundensätzen des § 3 VBVB abweichende, sich nach den für die Führung der Pflegschaft nutzbaren Fachkenntnissen und dem Umfang und der Schwierigkeit der Pflegschaftsgeschäfte richtende Vergütungshöhe, kommt nur in Betracht, „sofern der Pflegling nicht mittellos ist“ (§ 1915 Abs. 1 S. 2, letzter Halbsatz BGB). Im vorliegenden Fall ist der Nachlass mittellos. Der Senat bleibt bei seiner zuletzt 55

ZEV 2020, 355.

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im Beschluss vom 28. Juni 2018 (6 W 90/18 – unveröffentlicht) geäußerten Auffassung, dass im Gesetz bestimmt ist, wann Mittellosigkeit im Sinne des § 1915 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt, nämlich in den Fällen des § 1836 d Nr. 1 BGB, wenn Aufwendungsersatz oder die Vergütung „aus dem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufgebracht werden kann.“ Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. (Beschluss vom 29. Juni 2018 – 21 W 75/18, juris) unter Zitierung von Zimmermann (Die Nachlasspflegschaft, 3. Aufl. Rn. 745) und Jochum/Pohl (Nachlasspflegschaft, 5. Aufl. Rn. 875 ff.), das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschluss vom 29. Mai 2017 – 8 W 110/17, juris) ohne nähere Begründung sowie das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 8. November 2019 – I – 3 Wx 62/18) bei sog. teilmittellosem Nachlass eine Abrechnung nach gespaltenem Stundensatz innerhalb eines Abrechnungszeitraums für zulässig erachten, überzeugt dies den Senat nicht. Im Übrigen vertritt Zimmermann (Die Nachlasspflegschaft) in der 4. Auflage (dort Rn. 768) wie der Senat die Auffassung, dass der Stundensatz bei teilmittellosem Nachlass sowohl für die aus dem Nachlassvermögen zu zahlende Teilvergütung wie auch für die aus dem Vermögen zu zahlende Teilvergütung einheitlich nach VBVG (im Beispielsfall bei Zimmermann, a.a.O., 33,50 € für einen Anwalt) zu bestimmen ist. Die von dem Amtsgericht vorgenommene Berechnung der Vergütung mit einem Stundensatz von 33,50 € gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG a.F. (vgl. Übergangsregelung in § 12 VBVG) für den gesamten zeitlichen Aufwand ist daher nicht zu beanstanden.

2. OLG Braunschweig vom 20. April 2020 – 3 W 37/2056 a) Im Rahmen einer Nachlasspflegschaft gibt es auch für Aktienvermögen keine generelle Pflicht zur Umschichtung in eine mündelsichere Anlage. Der Nachlasspfleger hat vielmehr im Einzelfall unter Würdigung aller Vermögenspositionen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, inwieweit im Hinblick auf die nach Kapitalanlagekriterien zu ermittelnden Risiken eine Fortführung des Aktieninvestments vertretbar erscheint (Anschluss an Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 21. Februar 2019 – I-3 Wx 8/19 und Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7. April 2017 – 15 W 136/17). b) Auch die durch die Corona-Krise verursachten Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt dürften keinen Anlass geben, ein Aktiendepot insgesamt aufzulösen. Inwieweit es geboten sein könnte, Teile des Depots zu verkaufen oder umzuschichten, dürfte nur – ggf. mit Hilfe fachkundiger Beratung – für jede Aktienposition gesondert entschieden werden können. 56

ZEV 2020, 353.

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IV. Zuständigkeit OLG Celle vom 12. September 2019 – 6 AR 1/1957 § 343 Abs. 1 FamFG stellt seit seiner Reform im Zusammenhang mit der EuErbVO und im Gleichlauf mit Art. 4 EuErbVO auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ des Erblassers ab. Unter dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in der Zeit vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist. Inwieweit dabei neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element erforderlich ist, nämlich ein Aufenthaltswille, und welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, scheint nicht abschließend geklärt. Eine Mindestdauer des Aufenthalts ist nicht erforderlich, jedenfalls kann auch – wie hier – ein Zeitraum von nur einigen Wochen ausreichend sein, einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ zu begründen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – der Ortswechsel dazu dient, sich in ein Pflegeheim zu begeben und mit einer Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort nicht gerechnet wird. Ob die Erblasserin zur Zeit ihres Umzugs von Peine nach Salzgitter geschäftsunfähig war, steht nicht allein aufgrund der vom Amtsgericht P. im Beschluss vom 29. August 2019 genannten Umstände fest. Es bedarf aber dazu auch keiner weiteren Ermittlungen. § 8 BGB, wonach derjenige, der geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben kann, ist nicht (mehr) anwendbar. § 343 FamFG a.F. stellte noch auf den Wohnsitz ab, die Neufassung der Vorschrift hingegen „nur“ auf den gewöhnlichen Aufenthalt. Davon unabhängig gilt für den vorliegenden Sachverhalt jedenfalls, dass Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit eines Erblassers im Verfahren der Bestimmung des für ein Erbscheinverfahren zuständigen Gerichts nicht nachzugehen ist. Es erscheint dem Senat fernliegend, allein in diesem Zusammenhang Ermittlungen anzustellen, die umfangreich und kostenintensiv sein können, die für das weitere Verfahren möglicherweise aber ohne Bedeutung sein werden.

V. Erbscheinsverfahren 1. OLG München vom 10. Juli 2019 – 31 Wx 242/1958 a) Der Grundsatz der (strengen) Bindung des Nachlassgerichts an den gestellten Erbscheinsantrag führt zur Aufhebung einer Entscheidung, in der das Nachlassgericht die Tatsachen für die Erteilung eines Erbscheins als festgestellt erachtet,

57 58

ZEV 2020, 229 m. Anm. Kurth. ZEV 2020, 166.

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der die Erbteile ausweist, der Antrag hingegen auf die Erteilung eines quotenlosen Erbscheins gerichtet ist. b) Die Erteilung eines quotenlosen Erbscheins setzt voraus, dass alle in Betracht kommenden Miterben auf die Aufnahme der Erbteile in den Erbschein verzichten. Da ein Erbschaftsverkauf die Erbenstellung des Veräußerers unberührt lässt, ist auch dessen Verzichtserklärung für die erstrebte Erteilung erforderlich. Anders OLG Düsseldorf vom 17. Dezember 2019 – 25 Wx 55/1959 c) Für die Erteilung des quotenlosen gemeinschaftlichen Erbscheins nach § 352a Abs. 2 S. 2 FamFG genügt es, dass der antragstellende Miterbe den Verzicht auf die quotenmäßige Feststellung der Erbteile erklärt. Der Verzicht aller (potentiellen) Miterben auf die Angabe der Erbteilsquote ist nicht erforderlich. d) Die übrigen Miterben sind ausreichend dadurch gesichert, dass sie selbst einen (gegenläufigen) Erbscheinsantrag stellen und damit das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung für die Erteilung eines quotenlosen gemeinschaftlichen Erbscheins verhindern können.

2. OLG Hamburg vom 7. April 2020 – 2 W 83/1960 Gegenstand des Verfahrens ist die Erteilung eines Erbscheins nach der Erblasserin U. Die Beteiligten sind die Söhne der Erblasserin. Mit notariellem, gemeinschaftlichem Testament vom 20. Oktober 1982 setzten die Erblasserin und ihr am 14. April 1984 verstorbener Ehemann sich gegenseitig zu Alleinerben ein und die Beteiligten als Erben zu gleichen Teilen nach dem Überlebenden. Eine Bindungswirkung besteht aufgrund ausdrücklicher Regelung in II. § 2 des Testaments nicht. Die Erblasserin hat ein weiteres notarielles Testament vom 17. Dezember 2015 hinterlassen. Danach soll es grundsätzlich bei der hälftigen Erbeinsetzung der Beteiligten gemäß dem Testament vom 20. Oktober 1982 verbleiben, wobei detaillierte Regelungen zur Erbauseinandersetzung erfolgten, insbesondere im Hinblick auf das Hausgrundstück in der M.Straße, Hamburg, wo der Beteiligte zu 2 mit seiner Familie lebt. Bezüglich dieses Testaments streiten die Beteiligten über die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin. Hintergrund ist, dass sich der Beteiligte zu 1 aufgrund der Teilungsordnung gegenüber dem Beteiligten zu 2 benachteiligt sieht. Der Beteiligte zu 1 hat einen Erbscheinsantrag dahingehend gestellt, dass die Beteiligten aufgrund gewillkürter Erbfolge Erben zu je 1/2 sind. Das Nachlassgericht hat die hierfür erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, ohne indes festzustellen, ob dies aufgrund des Testaments vom 17. Dezember 2015 oder vom 20. Oktober 1982 erfolgte. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1. Er habe, was zutrifft, seinen Erbscheinsantrag ausdrücklich auf das Testament vom 20. Oktober 1982 gestützt.

59 60

ZEV 2020, 167 m. Anm. Zimmermann. ZEV 2020, 489 m. Anm. Regenfus = ErbR 2020, 571 m. Anm. Kohlmeyer; nicht rechtskräftig, Az. des BGH: IV ZB 17/20.

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Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Nachlassgericht offengelassen, ob es die zur Begründung des Antrags des Beteiligten zu 1 erforderlichen Tatsachen aufgrund des Testaments vom 20. Oktober 1982 oder aufgrund des Testaments vom 17. Dezember 2015 für festgestellt erachtet, weil nach beiden Testamenten die Beteiligten zu 1/2 Erben geworden sind. Dem Gesetz ist nämlich allenfalls aus § 352 FamFG zu entnehmen, dass zwischen einem Erbscheinsantrag auf gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge zu unterscheiden ist. Eine weitergehende Differenzierung oder gar Bindung des Nachlassgerichts an ein bestimmtes Testament enthält die gesetzliche Regelung gerade nicht. § 352 FamFG regelt lediglich die Substantiierungspflichten desjenigen, der einen Erbschein beantragt und wendet sich nicht an das Nachlassgericht. Ließe man eine weitergehende Bindung des Nachlassgerichts zu, könnte dieses durch entsprechende Antragstellung gezwungen werden, verschiedene einzelne Testamente auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, ohne dass dies Folgen für die Erbenstellung hätte. Dies ist aber nicht Sinn und Zweck des Erbscheinverfahrens. Der Erbschein ist lediglich ein vom Nachlassgericht erteiltes Legitimationszeugnis, ohne dass ihm selbst konstitutive Wirkungen oder Auswirkungen auf die materielle Rechtslage zukommen würden. Das Erbscheinverfahren dient nicht dazu, die Auseinandersetzung zwischen den Miterben zu regeln oder auch nur vorzubereiten. Dies hat ggf. im Rahmen eines Zivilprozesses zu erfolgen. Dem Beteiligten zu 1 geht es aber vorliegend nicht in erster Linie um die (unstreitige) Feststellung seines Erbrechts, sondern um die Klärung der Frage, ob die Teilungsordnung im Testament von 2015 wirksam ist, weil er sich durch sie einseitig benachteiligt sieht. Dieses auf die Auseinandersetzung der Miterben zielende Rechtsschutzziel ist aber kein tauglicher Gegenstand des Erbscheinverfahrens. Eine Klärung könnte und müsste nach Ansicht des Senats mit einem entsprechenden Feststellungsantrag vor dem Landgericht im ordentlichen Zivilprozess erfolgen. Nur vor den ordentlichen Gerichten käme zudem eine abschließende, in Rechtskraft erwachsene Klärung in Betracht. Das Erbscheinverfahren hat insoweit auch keinerlei präjudizielle Wirkung. Hiergegen spricht auch nicht die Regelung des § 35 GBO, wonach der Nachweis der Erbfolge nur durch einen Erbschein oder ein Europäisches Nachlasszeugnis geführt werden kann. Der Argumentation des Beteiligten zu 1, er könne die Beseitigung der aus seiner Sicht aufgrund des Testaments vom 17. Dezember 2015 unrichtig vorgenommenen Grundbucheintragungen hinsichtlich des o.g Grundstücks nur mit der begehrten expliziten Angabe im Beschluss des Nachlassgerichts zum genauen Berufungsgrund erreichen, kann nicht gefolgt werden. Denn aus dem Erbschein als solchem geht auch dann nicht hervor, auf welcher Verfügung er beruht. Vor diesem Hintergrund verbleibt auch insoweit nur der Klageweg vor den ordentlichen Gerichten etwa dahingehend, die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs durch den Beteiligten zu 2 nach § 894 BGB zu verlangen. Diese Vorgehensweise ist im Übrigen auch der einzig richtige Weg, die Grundbuchberichtigung zu erreichen, da § 35 GBO lediglich vorsieht, dass

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der Nachweis der Erbfolge nur durch Erbschein geführt werden kann. Zur Frage der Grundbuchberichtigung wegen der Unwirksamkeit einer Teilungsanordnung verhält sich die Vorschrift nicht. Die Erbfolge ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich aus dem zu erteilenden Erbschein. Für das eigentliche Rechtsschutzziel des Beteiligten zu 1 die Grundbuchberichtigung hinsichtlich der Wohnrechte des Beteiligten zu 2 zu erreichen, hilft der Erbschein somit nicht weiter. Der Beteiligte zu 1 muss in jedem Falle die Zustimmung zur Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB vom Beteiligten zu 2 verlangen und ggf. insoweit Klage vor den Zivilgerichten erheben. Im Rahmen eines solchen Verfahrens wäre dann inzident die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin bezogen auf den 17. Dezember 2015 zu klären. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FamFG zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von der Auffassung des Oberlandesgericht Schleswig ab, wonach das Nachlassgericht nur entweder dem Antrag, einen Erbschein zu erteilen, so wie er gestellt ist, stattgeben oder abweisen könne, woraus sich ergebe, dass, wenn verschiedene Testamente vorhanden seien und der Erbe sich entschließe, sein Erbrecht ausschließlich nur auf ein Testament zu stützen, die Erteilung eines Erbscheins auf Grundlage eines anderen Testaments nur dann möglich sei, wenn sicher feststehe, dass der Erbe die Erbschaft auch aus dem anderen Berufungsgrund angenommen habe (Oberlandesgericht Schleswig, Beschluss vom 15. Mai 2015 – 3 Wx 45/16; Anschluss Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 26. September 1977 – 20 W 359/77 jeweils zitiert nach juris). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben, weil der Beteiligte zu 1 ersichtlich nur die Annahme bezüglich des Testaments vom 20. Oktober 1982 erklärt hat und eine Feststellung dahingehend, dass er das Erbe auch aus dem Berufungsgrund des Testaments vom 17. Dezember 2015 angenommen hat bzw. bereit ist, es insoweit anzunehmen, vor diesem Hintergrund nicht möglich ist.

3. BGH vom 17. September 2020 – V ZB 8/2061 Die Beteiligten zu 1 und 2 sind eingetragene Eigentümer eines Grundstücks. In Abteilung III des Grundbuchs ist zugunsten des Vaters der Beteiligten zu 3 und 4 eine Grundschuld über den Betrag von 219.000 € eingetragen. Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 6. Februar 2018 bewilligten die Beteiligten zu 3 und 4 deren Löschung. Die Beteiligten beantragten die Löschung des Grundpfandrechts und legten hierzu die Kopie eines mit Beschluss vom 21. Oktober 2016 eingezogenen Erbscheins des Amtsgerichts Düsseldorf vom 11. Mai 2016 vor, wonach der Vater der Beteiligten zu 3 und 4 von ihrer Mutter beerbt wurde und Testamentsvollstreckung angeordnet ist, sowie einen gemeinschaftlichen Erbschein des Amtsgerichts Gießen vom 15. November 2016, wonach die Beteiligten zu 3 und 4 Miterbinnen je zur Hälfte nach ihrer Mutter sind. Das Grundbuchamt hat eine Zwischenverfügung erlassen mit dem Inhalt, 61

ZEV 2020, 773.

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dass zur Grundbuchberichtigung ein Erbnachweis nach dem Vater der Beteiligten zu 3 und 4 erforderlich sei.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Grundbuchamt hat die Löschung der Grundschuld zu Recht verweigert. Die Löschung eines Grundpfandrechts erfordert entweder die Bewilligung des von der Löschung Betroffenen (§ 19 GBO) und die Zustimmung des Eigentümers des Grundstücks (§ 27 S. 1 GBO) oder den Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs (vgl. § 22 Abs. 1 S. 1, § 27 S. 2 GBO). An beidem fehlt es. Auf der Grundlage der Löschungsbewilligung der Beteiligten zu 3 und 4 und der von den Beteiligten zu 1 und 2 als Grundstückseigentümer erklärten Zustimmung könnte die Grundschuld nur gelöscht werden, wenn die Beteiligten mit den eingereichten Unterlagen den Übergang der Grundschuld auf die Beteiligten zu 3 und 4 im Wege der Erbfolge nach ihrem Vater als im Grundbuch eingetragenem Berechtigten nachgewiesen hätten. Dies ist nicht der Fall. Der Nachweis der Erbfolge kann nach § 35 Abs. 1 GBO nur durch einen Erbschein oder ein Europäisches Nachlasszeugnis geführt werden oder, wenn sie auf einer Verfügung von Todes wegen beruht, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, durch Vorlage der Verfügung und der Niederschrift über deren Eröffnung. Mit den von den Beteiligten eingereichten Erbscheinen ist die Erbfolge nach dem Vater der Beteiligten zu 3 und 4 nicht nachgewiesen. Der Erbschein des Amtsgerichts Gießen bekundet nur die Erbfolge nach ihrer Mutter, und mit dem eingezogenen Erbschein des Amtsgerichts Düsseldorf, der die Erbfolge nach dem Vater bekundet, kann der für § 35 GBO erforderliche Nachweis der Erbfolge nicht geführt werden. Mit einem eingezogenen Erbschein kann der Nachweis der Erbfolge gemäß § 35 Abs. 1 GBO nicht geführt werden. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass der Besitz einer Urschrift oder Ausfertigung des Erbscheins im Hinblick auf § 2361 BGB besondere Bedeutung hat. Nach dieser Vorschrift hat das Nachlassgericht einen erteilten Erbschein, dessen Unrichtigkeit sich ergibt, einzuziehen. Mit seiner Einziehung wird der Erbschein nach § 2361 S. 2 BGB kraftlos. Die Einziehung wird durch das Nachlassgericht beschlossen (§ 38 FamFG) und in der Weise durchgeführt, dass sämtliche erteilten Ausfertigungen und – sofern ausnahmsweise ausgehändigt – die Urschrift zurückgefordert und ggf. unbrauchbar gemacht werden. Kann der Erbschein nicht sofort zurückerlangt werden, so hat ihn das Nachlassgericht gemäß § 353 Abs. 1 S. 1 FamFG durch Beschluss für kraftlos zu erklären. Der Zweck dieser Regelungen besteht darin, die von einem unrichtigen Erbschein aufgrund des öffentlichen Glaubens (vgl. § 2366 BGB) für den Rechtsverkehr ausgehenden Gefahren in einem förmlich festgelegten Verfahren zu beseitigen. Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn – noch dazu im besonders formalisierten Grundbuchverfahren – ein eingezogener Erbschein als tauglicher Nachweis für die darin bekundete Erbfolge angesehen würde. Vielmehr hat das Grundbuchamt, dem bekannt ist, dass der Erbschein eingezogen oder

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für kraftlos erklärt wurde, den gestellten Antrag zurückzuweisen oder – wie vorliegend geschehen – einen anderen Erbschein zu verlangen. Dabei kommt es nicht darauf an, aus welchem Grunde der Erbschein eingezogen wurde. Das folgt schon aus der funktionellen Aufgabenverteilung zwischen Nachlassgericht und Grundbuchamt. Dieses hat den Erbschein allein darauf zu prüfen, ob er von der sachlich zuständigen Behörde erteilt worden ist und ob er das Erbrecht formell und unzweideutig bezeugt; auf seine inhaltliche Richtigkeit ist der Erbschein – von eventuellen, hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen – nicht zu überprüfen, die Verantwortung hierfür liegt allein bei dem Nachlassgericht

VI. Rubrumsberichtigung BGH vom 6. Mai 2020 – V ZR 225/1762 Parteien dieses Rechtsstreits waren ursprünglich M.B. auf Klägerseite und T.R. auf Beklagtenseite. Beide verstarben während des Rechtsstreits. Der Rechtsstreit wurde auf Klägerseite durch die Erben von M.B. übernommen, die im Urteil des Senats vom 22. Februar 2019 als Kläger aufgeführt sind. Auf Beklagtenseite nahmen aufgrund eines entsprechenden Erbscheins H. und I.R. den Rechtsstreit auf, die deshalb auch als Beklagte im Rubrum des Urteils aufgeführt sind. Der Vollzug des auf Abgabe einer Auflassungserklärung und Eintragungsbewilligung gerichteten Urteils scheiterte, weil zwischenzeitlich ein weiteres Testament von T.R. aufgefunden wurde, demzufolge D. und R.R. die wahren Erben von T.R. sind. Der bisherige Erbschein wurde eingezogen und durch einen Erbschein ersetzt, der D. und R. R. als Erben ausweist. Diese sind jetzt als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Kläger beantragen, das Rubrum des Urteils dahin zu berichtigen, dass Beklagte richtigerweise nicht H. und I.R., sondern D. und R. R. sind.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Die Berichtigung des (Passiv-)Rubrums eines Urteils setzt nach § 319 ZPO unter anderem voraus, dass die Identität der Partei, im Verhältnis zu der das Prozessrechtsverhältnis begründet worden ist, gewahrt bleibt und dass die Unrichtigkeit offenkundig ist. Schon die erste Voraussetzung liegt nicht vor. Die beantragte Rubrumsberichtigung ließe die Identität der beklagten Partei nicht unberührt, denn die Personen, die nunmehr durch Erbschein als Erben ausgewiesen sind, sind andere als diejenigen, die den Rechtstreit aufgenommen und geführt haben. Tatsächlich erstreben die Kläger auch nicht die Berichtigung einer fehlerhaften Parteibezeichnung, sondern der Sache nach entweder die Feststellung, dass die wahren Erben kraft Gesetzes Partei des Rechtsstreits waren und durch die Scheinerben nicht verdrängt worden sind, oder dass das Urteil des Senats jedenfalls im Sinne einer Rechtskrafterstreckung zu Lasten der wahren Erben wirkt. Beides geht über eine Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten im Sinne des § 319 Abs. 1 ZPO weit hinaus.

62

ZEV 2020, 428.

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VII. Verfassungsbeschwerde BVerfG vom 25. Mai 2020 – 1 BvR 1060/2063 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie offensichtlich unzulässig ist. Die Verfassungsbeschwerde wahrt bereits nicht den in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität. Dieser erfordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach der Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Eine derartige Möglichkeit besteht hier. Der Beschwerdeführer könnte vor den Fachgerichten eine Erbenfeststellungsklage erheben und auf diesem Weg ohne Weiteres noch sein eigentliches Ziel − die Feststellung der Erbenstellung – erreichen. Unabhängig von dem entgegenstehenden Inhalt eines Erbscheins kann der wirkliche Erbe jederzeit vor dem Prozessgericht gegen den Erbscheinserben Klage auf Feststellung seines Erbrechts erheben, wobei das Prozessgericht nicht gehindert ist, von den Feststellungen des Nachlassgerichts abzuweichen. Der Vorrang der Erbenfeststellungsklage gilt auch nicht nur in den Fällen, in denen es allein um eine inhaltliche Überprüfung des Ergebnisses des Erbscheinsverfahrens geht, sondern auch, wenn – wie hier – Verfahrensfehler im Erbscheinsverfahren gerügt werden. Der Beschwerdeführer kann im Rahmen der noch zu erhebenden Erbenfeststellungsklage seinen als übergangen gerügten Vortrag erneut vorbringen sowie erneut auf die aus seiner Sicht abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte hinweisen, um so der gerügten Verletzung von grundrechtsgleichen Rechten Abhilfe zu verschaffen.

VIII. Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht BGH vom 20. Juli 2020 – NotZ(Brfg) 1/1964 Die Parteien streiten über die Befreiung eines Notars von seiner beruflichen Verschwiegenheitspflicht. Der Kläger ist Sohn aus erster Ehe des 2016 verstorbenen A. S. Dieser setzte nach dem beim Nachlassgericht verwahrten Dokument in einem von dem Notar T. beurkundeten gemeinschaftlichen Testament vom 21. August 2012 mit seiner zweiten Ehefrau die Kinder aus zweiter Ehe zu Erben des Letztversterbenden ein. Die zweite Ehefrau ist bereits im Jahr 2015 verstorben. Aufgrund der Testamentseröffnung erfuhr der Kläger von seiner Enterbung. Er beantragte bei dem Beklagten, den Notar gemäß § 18 Abs. 2 BNotO von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, was dieser ablehnte. Mit seiner Klage zum Oberlandesgericht hat der Kläger beantragt, den Ablehnungsbescheid des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu 63 64

ZEV 2020, 489. ZEV 2020, 691 m. Anm. Zimmer.

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verpflichten, den Notar T. von seiner notariellen Schweigepflicht zu befreien „zwecks Einsichtnahme in das notarielle Testament des Vaters des Klägers vom 21.8.2012, UR-Nr. 115/2012“. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Die zulässige Berufung des Klägers hat weitgehend Erfolg, da die zulässige Klage überwiegend begründet ist.

Die Ablehnung der Befreiung des Notars T. von der Verschwiegenheitspflicht durch den Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Da die Sache wegen Ermessensreduzierung auf Null spruchreif ist, ist die Verpflichtung des Beklagten auszusprechen, den Notar T. von der Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich des Inhalts der den Kläger betreffenden letztwilligen Verfügung seines Vaters, wie er sich aus der beim Notar befindlichen Abschrift des notariellen Testaments ergibt, zu befreien (§ 111b Abs. 1 S. 1 BNotO, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Soweit sich der Klageantrag auf Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht auch auf den Inhalt der letztwilligen Verfügung des Vaters erstreckt, die den Kläger nicht betrifft, ist die Klage indessen unbegründet. Gemäß § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO kann, wenn ein Beteiligter verstorben ist, die Aufsichtsbehörde an dessen Stelle den Notar von seiner gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 BNotO bestehenden Pflicht zur Verschwiegenheit befreien. Dabei hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist. Demnach genügt es für die Erteilung der Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht, wenn durch den Todesfall das Interesse des oder der Beteiligten an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist. Mit seinem Tod ist das Interesse des Vaters des Klägers an der Geheimhaltung seines letzten Willens diesem als gesetzlichen Erben gegenüber insoweit entfallen, als der letzte Wille ihn betrifft. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nicht testamentarisch eingesetzter Erbe, sondern enterbter gesetzlicher Erbe ist. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch letztere informiert werden. Dementsprechend hat das Nachlassgericht – wie vorliegend geschehen – den gesetzlichen Erben den (sie betreffenden) Inhalt der Verfügung von Todes wegen bekannt zu geben (§ 348 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 FamFG). Das Interesse der verstorbenen Beteiligten an der Geheimhaltung des den Kläger betreffenden Inhalts der Verfügung von Todes wegen ist nicht nur in Bezug auf das zum Nachlassgericht gegebene Original des Testaments weggefallen, sondern auch in Bezug auf die beim Notar verbliebene Abschrift. Hinsichtlich des Inhalts der letztwilligen Verfügung des Vaters, die den Kläger nicht betrifft, ist hingegen weder das Geheimhaltungsinteresse entfallen noch kann davon ausgegangen werden, dass der Vater, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung insoweit erteilen würde. In diesem Umfang sind die Klage und die Berufung daher unbegründet (vgl. auch § 348 Abs. 3 S. 1 FamFG).

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G. Materiell-rechtliche Sonderfragen I. Digitaler Nachlass65 BGH vom 27. August 2020 – III ZB 30/2066 Die Parteien streiten über den Zugang zum Benutzerkonto eines sogenannten sozialen Netzwerks, das die Beklagte betreibt. Die Gläubigerin hat beansprucht, Zugang zu dem bei der Schuldnerin unterhaltenen Konto ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu erhalten. Das Landgericht hat die Schuldnerin am 17. Dezember 2015 verurteilt, der Erbengemeinschaft Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Auf die Berufung der Schuldnerin hat das Kammergericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Gläubigerin hat der Senat mit Urteil vom 12. Juli 2018 das Urteil des Kammergerichts aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts zurückgewiesen (III ZR 183/17, BGHZ 219, 243). Die Schuldnerin hat am 30. August 2018 der Gläubigerin einen USB-Stick übermittelt, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält, die nach den Angaben der Schuldnerin eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der Verstorbenen bei der Schuldnerin geführten Konto enthält. Zwischen den Parteien ist streitig, ob hierdurch die Verpflichtung der Schuldnerin aus dem Urteil des Landgerichts vom 17. Dezember 2015 erfüllt ist und inwieweit die auf dem USB-Stick enthaltenen Daten strukturiert angeordnet sind. Auf Antrag der Gläubigerin hat das Landgericht wegen Nichterfüllung der Verpflichtung aus seinem Urteil vom 17. Dezember 2015 gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld von 10.000 € festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Kammergericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen die Schuldnerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Kammergericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Gläubigerin die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

Die nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Gläubigerin ist begründet. Die Voraussetzungen zur Festsetzung eines Zwangsmittels gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO liegen vor. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat die Schuldnerin mit der am 30. August 2018 erfolgten Übermittlung eines USB-Sticks an die Gläubigerin ihre Verpflichtung aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom 17. Dezember 2015, der Erbengemeinschaft Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, nicht erfüllt. Der Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto beinhaltet die Möglichkeit der Gläubigerin, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie dies die Erblasserin konnte. Das bedeutet, dass sich die Gläubigerin in dem Benutzerkonto – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – so „bewegen“ können muss wie zuvor die Erblasserin selbst. Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich bereits aus dem Tenor des Vollstreckungstitels, jedenfalls aber aus dessen Entscheidungsgründen und den Entscheidungsgründen des Senatsurteils vom 65 66

Vgl. hierzu jüngst Raude, ZEV 2017, 433; Uhrenbacher, ZEV 2018, 248. ZEV 2020, 714 m. Anm. Heintz.

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12. Juli 2018. Vorliegend ergibt bereits die Auslegung des Tenors des Vollstreckungstitels, dass der Gläubigerin durch die Schuldnerin nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einzuräumen ist, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie dies die Erblasserin konnte. Die im Tenor ausgesprochene Verpflichtung der Schuldnerin, der Gläubigerin, „Zugang“ zu dem vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, weist schon sprachlich darauf hin, dass die Gläubigerin in das im Herrschaftsbereich der Schuldnerin befindliche Konto „hineingehen“ können muss und ihr nicht lediglich dessen Inhalte zu übermitteln sind. Aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Landgerichts vom 17. Dezember 2015 und des Senatsurteils vom 12. Juli 2018 ergibt sich ebenfalls, dass der Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto, zu dessen Gewährung die Schuldnerin verurteilt worden ist, auch die Möglichkeit der Gläubigerin beinhaltet, vom Benutzerkonto und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie dies die Erblasserin konnte. Die Gläubigerin muss sich in dem Benutzerkonto – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – so „bewegen“ können wie zuvor die Erblasserin selbst (wird im Einzelnen ausgeführt). Der Senat hat ausgeführt, das Vertragsverhältnis sei mit seinen Rechten und Pflichten mit dem Tod der Erblasserin auf die Erben übergegangen, die hierdurch in dieses eingetreten seien und deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten hätten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Erblasserin aus dem mit der Beklagten bestehenden Vertragsverhältnis folgt ohne Weiteres, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren ist wie zuvor der Erblasserin. Einen Unterschied zwischen den diesbezüglichen Rechten der Erben und der Erblasserin gibt es – mit Ausnahme der aktiven Nutzung – nicht. Die Schuldnerin hat ihre Verpflichtung aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom 17. Dezember 2015, der Gläubigerin Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, nicht erfüllt. Sie hat der Gläubigerin nicht die Möglichkeit eingeräumt, vom Benutzerkonto und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, d.h. sich in dem Benutzerkonto – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – so „bewegen“ zu können wie zuvor die Erblasserin selbst. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung räumt ein, mit der Überlassung des USB-Sticks der Gläubigerin keinen „direkten“ Zugang zum Benutzerkonto gewährt zu haben. Letzteres ist indes – wie ausgeführt – zur Erfüllung der titulierten Forderung der Gläubigerin erforderlich. Ob dieser Verpflichtung überhaupt mittels der Übergabe eines USB-Sticks nachgekommen werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denkbar wäre das allenfalls, wenn durch die auf dem Stick

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befindlichen Dateien das Benutzerkonto vollständig und originalgetreu abgebildet werden würde einschließlich nicht nur der Darstellung seiner Inhalte, sondern auch der Eröffnung aller seiner Funktionalitäten – mit Ausnahme derer, die seine aktive Weiternutzung betreffen – und der (deutschen) Sprache, in der das Benutzerkonto zu Lebzeiten der Erblasserin vertragsgemäß geführt wurde. Die Schuldnerin hat einen solchen Inhalt des von ihr übergebenen USB-Sticks, auf dem sich unstreitig nur eine einzige PDF-Datei befindet, nicht vorgetragen. Im Übrigen ergibt sich ein fehlendes originalgetreues Abbild von dem Benutzerkonto bereits daraus, dass die Inhalte der vorgenannten PDF-Datei – im Unterschied zu dem Benutzerkonto selbst – zum Teil in englischer Sprache gehalten sind. Der angefochtene Beschluss erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Es kann weder von einer Unmöglichkeit noch von einer Unzumutbarkeit oder Unverhältnismäßigkeit der Erfüllung der titulierten Verpflichtung der Schuldnerin ausgegangen werden. Dabei kann unterstellt werden, dass es derzeit zu den Benutzerkonten des Netzwerks der Beklagten keinen „read only“-Zugang gibt, d.h. einen auf die übliche Weise mittels der Zugangsdaten erfolgenden Zugang zu dem Benutzerkonto, der lediglich die aktive Nutzung des Kontos nicht zulässt. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung trägt in diesem Zusammenhang nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit vor, dass es technisch nicht möglich ist, einen „read only“-Zugang in vorgenanntem Sinne einzurichten. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an. Denn die Einrichtung eines „read only“-Zugangs ist nur eine von mehreren Handlungen, mittels derer die Schuldnerin ihre Verpflichtung aus dem Vollstreckungstitel erfüllen kann. Dies kann etwa auch durch die Aufhebung des Gedenkzustandes erfolgen, durch den der Gläubigerin derzeit der Zugang zu dem Benutzerkonto verwehrt wird. Soweit ihr hierdurch ein über den titulierten Anspruch hinausgehender Zugang gewährt werden würde, der es ihr faktisch ermöglichen würde, das Benutzerkonto auch aktiv weiter zu nutzen, ist dies vollstreckungsrechtlich unbedenklich. Die Gläubigerin wäre zu einer solchen weitergehenden Nutzung des Kontos nicht aufgrund des Vollstreckungstitels berechtigt. Ist die Schuldnerin der Auffassung, dass die Gläubigerin zu einer derartigen Nutzung auch materiell-rechtlich nicht berechtigt ist, kann sie von ihr Unterlassung verlangen. Im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Gläubigerin im Falle der vollumfänglichen Zugangsgewährung das Benutzerkonto aktiv weiternutzen würde. Weder hat sie dies angekündigt noch ist ein Interesse ihrerseits hieran ersichtlich. Der Schuldnerin ist die Erfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Vollstreckungstitel im Wege der Aufhebung des Gedenkzustandes auch nicht aus den von ihr angeführten Gründen unzumutbar. Denn sie könnte das Benutzerkonto umbenennen und hierdurch oder auf andere Weise gegenüber den Nutzern des Netzwerks kenntlich machen, dass das Konto nicht mehr von der Erblasserin, sondern von deren Erben genutzt wird und daher etwaige automatisch generierte

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Meldungen nicht von der Erblasserin stammen oder durch deren Kontonutzung angestoßen worden sind.

II. Haftung des Erben 1. BGH vom 25. September 2019 – VIII ZR 138/1867 Der Bruder des Beklagten mietete im Jahr 1985 von den Rechtsvorgängern des Klägers eine Wohnung in K. Der Kläger erwarb das Anwesen im Jahr 2002. Der Bruder des Beklagten verstarb im August 2014. Der Kläger nahm den Beklagten in einem Vorprozess als Erben seines Bruders auf Zahlung der Mieten für die Monate September bis Dezember 2014 sowie auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch. Das Amtsgericht gab mit Urteil vom 4. August 2015 der Zahlungsklage sowie, gestützt auf eine durch den Kläger am 30. April 2015 erklärte Kündigung, auch der Räumungsklage statt. Auf Antrag des Beklagten wurde am 12. November 2015 die Nachlassverwaltung angeordnet. Die Zwangsräumung der Wohnung erfolgte Ende Januar 2016. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Landgericht das vorgenannte Urteil teilweise ab. Die Verurteilung zur Räumung blieb aufrechterhalten, die Zahlungsklage wurde abgewiesen. Bei den geltend gemachten Mietforderungen handele es sich um reine Nachlassverbindlichkeiten, für welche der Beklagte infolge der zwischenzeitlich angeordneten Nachlassverwaltung nicht mehr hafte. Erst für die Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis, die nach Ablauf der Kündigungsfrist des § 564 S. 2 BGB entstünden – vorliegend ab dem 21. März 2015 – könne der Beklagte weiterhin persönlich in Anspruch genommen werden. Der Kläger nimmt den Beklagten im vorliegenden Verfahren auf Zahlung von Miete und Nutzungsentschädigung für den Zeitraum vom 21. März 2015 bis zum 31. Januar 2016 in Höhe von insgesamt 5.664,93 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen und dem Beklagten vorbehalten, die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass geltend zu machen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Die Revision hat Erfolg. Noch zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beklagte wegen der ab dem 12. November 2015 angeordneten Nachlassverwaltung nicht für reine Nachlassschulden in Anspruch genommen werden kann, sondern nur für solche Verbindlichkeiten, die er vor diesem Zeitpunkt durch Maßnahmen der Nachlassverwaltung selbst begründet hat und für die er deshalb (auch) selbst haftet (vgl. §§ 1975, 1984 Abs. 1 S. 1 und 3 BGB). Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch allein in dem Unterbleiben einer Kündigung des Beklagten nach § 564 S. 2 BGB eine dessen persönliche Haftung begründende Verwaltungsmaßnahme gesehen. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das Mietverhältnis mit dem Beklagten als Erben fortgesetzt worden ist (§ 1922 Abs. 1, § 564 S. 1 BGB). Auch die erst nach dem Tod des Mieters fällig werdenden Forderungen des Vermieters aus einem vom Erblasser eingegangenen Mietverhältnis – vorliegend die Mieten sowie die Nutzungsentschädigung – sind „vom Erblasser her67

ZEV 2020, 29 m. Anm. Joachim.

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rührende Schulden“ im Sinne des § 1967 Abs. 2 BGB, sogenannte Erblasserschulden. Der Zugriffsmöglichkeit der Gläubiger unterliegt dabei (zunächst) sowohl der Nachlass als auch das Eigenvermögen des Erben. Eine Möglichkeit, die mit dem Erbfall beziehungsweise mit der Annahme der Erbschaft – vorliegend durch Ablauf der Ausschlagungsfrist (§ 1943 Hs. 2 BGB) – eingetretene Vermögensverschmelzung zwischen dem ererbten Vermögen sowie dem Eigenvermögen wieder rückgängig zu machen, mithin beide Vermögensmassen voneinander abzusondern, ist die – vorliegend im November 2015 angeordnete – Nachlassverwaltung. Diese führt dazu, dass der Erbe für Erblasserschulden nicht mehr mit seinem eigenen Vermögen haftet, sondern sich die Haftung auf den Nachlass beschränkt (§ 1975 BGB). Der Erbe verliert seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 1984 Abs. 1 S. 1 BGB). An seine Stelle tritt der Nachlassverwalter, so dass Ansprüche gegen diesen geltend zu machen sind (§ 1984 Abs. 1 S. 3 BGB). Die Haftungsbeschränkung erstreckt sich jedoch nicht auf Forderungen, für welche der Erbe nicht nur als solcher, sondern (auch) persönlich haftet. Dies ist der Fall bei Nachlasserbenschulden. Hierbei handelt es sich um Verbindlichkeiten, die der Erbe bei der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses eingeht. Sie haben eine Doppelnatur und sind sowohl Eigenverbindlichkeiten des Erben als auch Nachlassverbindlichkeiten. Für sie haftet der Erbe persönlich mit seinem Vermögen und mit dem Nachlass. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht diesbezüglich indes angenommen, dass das Unterlassen der Kündigung nach § 564 S. 2 BGB eine Verwaltungsmaßnahme darstelle, die zu einer Eigenhaftung des Beklagten führe. Nach § 564 S. 2 BGB sind sowohl der Vermieter als auch der Erbe, mit dem das Mietverhältnis fortgesetzt wird, berechtigt, dieses innerhalb eines Monats außerordentlich mit der gesetzlichen Frist (§ 573d BGB) zu kündigen, nachdem sie vom Tod des Mieters und davon Kenntnis erlangt haben, dass weder ein Eintritt in das Mietverhältnis – nach § 563 Abs. 1, 2 BGB – noch dessen Fortsetzung – nach § 563a Abs. 1 BGB – erfolgt sind. Der Senat hat bereits entschieden, dass im Falle der Ausübung dieses Kündigungsrechts auch die nach dem Erbfall und bis zur Beendigung des Mietverhältnisses fällig gewordenen Forderungen reine Nachlassverbindlichkeiten bleiben. Ob der Erbe demgegenüber im Falle der Nichtausübung des vorgenannten Kündigungsrechts für die nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Forderungen unbeschränkbar (auch) persönlich haftet, ist umstritten. Nach einer Ansicht sind Ansprüche aus dem Mietverhältnis, die nach dem versäumten Kündigungstermin des § 564 S. 2 BGB fällig werden, jedenfalls auch Eigenverbindlichkeiten des Erben. Andere sehen in den nach Ablauf der Kündigungsfrist des § 564 S. 2 BGB fällig werdenden Forderungen sogar reine Eigenverbindlichkeiten des Erben. Nach der Gegenansicht bleiben auch die nach Ablauf der Frist des § 564 S. 2 BGB entstandenen Forderungen reine Nachlassverbindlichkeiten im Sinne von § 1967 BGB. Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Allein die Nichtausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts durch den Er-

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ben führt nicht dazu, dass danach fällig werdende Forderungen aus dem Dauerschuldverhältnis Nachlasserbenschulden beziehungsweise Eigenverbindlichkeiten werden. Bereits der Sinn und Zweck der außerordentlichen Kündigungsmöglichkeit des § 564 S. 2 BGB spricht dagegen, in deren bloßen Nichtausnutzung eine zur Eigenhaftung des Erben führende Verwaltungsmaßnahme zu sehen. Der Zweck des § 564 S. 2 BGB liegt darin, der fehlenden persönlichen (vertraglichen) Verbindung zwischen dem Vermieter und dem Erben Rechnung zu tragen. Tritt der bisher nicht in einer solchen Verbindung zum Vermieter stehende Erbe in das Mietverhältnis ein, gewährt § 564 S. 2 BGB jeder Vertragspartei das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Dieses Recht ist jedoch keine Pflicht. Es räumt dem Erben lediglich die Möglichkeit ein, sich aus dem Mietverhältnis, in das er eingetreten ist, zu lösen. Die Kündigungsmöglichkeit des § 564 S. 2 BGB schützt somit lediglich die Interessen beider Vertragspartner an Neudispositionen, begründet im Falle ihrer Nichtausübung jedoch nicht die Eigenhaftung des Erben. Auch dient das Sonderkündigungsrecht dabei in erster Linie dem Vermieter, da die im Einzelfall aufgrund der Dauer des Mietverhältnisses verlängerte Kündigungsfrist (§ 573c Abs. 1 S. 2 BGB) abgekürzt wird (§ 573d Abs. 2 BGB) und er insbesondere kein berechtigtes Interesse darlegen muss (§ 573d Abs. 1 BGB). Demgegenüber kann der Mieter gemäß § 573d Abs. 2 S. 1 BGB das Mietverhältnis ohnehin innerhalb der gesetzlichen Frist und ohne Vorliegen eines Grundes kündigen. Auf das Sonderkündigungsrecht des § 564 S. 2 BGB ist er somit nur angewiesen, wenn es sich um ein Zeitmietverhältnis (§ 575 Abs. 1 BGB) handelt oder wenn die Kündigung zulässigerweise für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen ist. Vom Erben binnen eines Monats ab Kenntnis vom Eintritt in das Mietverhältnis und seiner Erbenstellung die Kündigung zu verlangen, um eine persönliche Haftung zu vermeiden, ist zudem mit seinem Recht, über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft zu entscheiden, nicht zu vereinbaren. Hierfür steht dem Erben gemäß § 1944 Abs. 1 BGB ein Zeitraum von sechs Wochen zur Verfügung. Da die Kündigungsfrist des § 564 S. 2 BGB mit vier Wochen kürzer ist als diejenige zur Ausschlagung, müsste der Erbe somit im Einzelfall vor seiner Entscheidung, ob er die Erbschaft annimmt oder ausschlägt, bereits das Mietverhältnis kündigen. Damit würde dem vorläufigen Erben faktisch eine Pflicht zur Verwaltung des Nachlasses auferlegt, die ihn aber grundsätzlich nicht trifft. Die Annahme einer nicht beschränkbaren persönlichen Haftung des Erben ist auch nicht zum Schutz des Vermieters geboten. Zwar führt die Nachlassverwaltung dazu, dass sich der Vermieter bezüglich der nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten nur aus dem Nachlass befriedigen kann. Dies ist jedoch Folge der gesetzlich vorgesehenen Haftungsbeschränkungsmöglichkeit, wobei den Interessen der Nachlassgläubiger dadurch hinreichend Rechnung getragen wird, dass der Erbe nicht mehr über den Nachlass verfügen

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(§ 1984 Abs. 1 S. 1 BGB) und diesen damit nicht mehr schmälern kann. Zur Vermeidung weiterer auflaufender Forderungen kann auch der Vermieter das Mietverhältnis kündigen. Neben dem außerordentlichen Kündigungsrecht aus § 564 S. 2 BGB kann er sich regelmäßig auf eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 543 Abs. 1 BGB berufen, etwa wenn der Erbe auf die erste ausgebliebene Mietzahlung erklärt, der Nachlass sei wertlos, und die Dürftigkeitseinrede erhebt. Der Vermieter muss in einem solchen Fall nicht die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB, mithin weitere Nichtzahlungen, abwarten. Zudem hat der Vermieter die Möglichkeit, einer Berufung des Erben auf die Haftungsbeschränkung auf den Nachlass entgegenzuwirken. Er kann ihn zur Aufstellung eines Inventarverzeichnisses über den Nachlass auffordern. Versäumt der Erbe die ihm hierzu gesetzte Frist (§ 1994 Abs. 1 S. 2 BGB) oder ist ihm Inventaruntreue (§ 2005 Abs. 1 S. 1 BGB) vorzuwerfen, führt dies ohne Verschulden zu einer unbeschränkbaren, persönlichen Haftung allen Nachlassgläubigern gegenüber. Der Erbe wird allerdings in der Regel Anlass haben, sich in eigenem Interesse Gedanken über die Fortführung des Mietverhältnisses zu machen. Denn wenn er die Kündigung unterlässt, obwohl er die Wohnung nicht nutzt und auch nicht nutzen will, entstehen laufend unnötige weitere Mietkosten, die den Nachlass des Erben schmälern. Zudem kommt ggf. auch eine Haftung des Erben mit seinem Eigenvermögen gegenüber den übrigen Nachlassgläubigern in Betracht (§ 1978 Abs. 1 BGB), wenn die Haftungsmasse dadurch geschmälert wird und zur Befriedigung der Nachlassverbindlichkeiten nicht mehr ausreicht. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Zwar kommt eine Eigenhaftung des Beklagten insoweit in Betracht, als er im Zeitraum vor der Anordnung der Nachlassverwaltung einen fälligen Anspruch des Klägers auf Herausgabe der Mietsache nach der Beendigung des Mietvertrages nicht erfüllt hat. Denn das Unterlassen hat Handlungsqualität, wenn für den Erben eine Rechtspflicht zum Handeln bestand und er hiergegen verstößt. Eine solche Pflicht bestand vorliegend in Form der Pflicht zur Rückgabe der Mietsache gemäß §§ 546 Abs. 1, 985, 857 BGB nach wirksamer Beendigung des Mietverhältnisses. Insoweit fehlt es jedoch bisher an ausreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, zu welchem Zeitpunkt das Mietverhältnis geendet hat und der Herausgabeanspruch des Klägers fällig geworden ist. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass ein Vorbehalt nach § 780 ZPO nur ausgesprochen werden darf, wenn der Erbe als Prozesspartei wegen einer (reinen) Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) in Anspruch genommen wird, was vorliegend nicht der Fall ist. Denn die Vorschrift des § 780 ZPO soll sicherstellen, dass der Titel bereits regelt, ob sich der Erbe in der Zwangsvollstreckung auf die Beschränkung seiner Haftung (noch) berufen kann. Im vorliegenden Verfahren kann der Kläger den Beklagten nur wegen Eigenverbindlichkeiten

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mit Erfolg in Anspruch nehmen, weil die Nachlassverwaltung angeordnet ist und eine Klage wegen reiner Erblasserschulden nur gegen die Nachlassverwalterin gerichtet werden kann (§ 1984 Abs. 1 S. 3 BGB).

2. BGH vom 21. Oktober 2020 – VIII ZR 261/1868 Die Klägerin ist ein Energie- und Wasserversorgungsunternehmen. Sie nimmt den Beklagten wegen der Lieferung von Gas, Strom und Wasser in Anspruch. Eigentümer dieses Anwesens war der Vater des Beklagten. Dieser verstarb 2008 und wurde vom Beklagten und seinen zwei Brüdern zu jeweils 1/3 beerbt. Im Dezember 2010 unterzeichnete ein Bruder des Beklagten eine sogenannte Anmeldekarte der Klägerin zum Bezug von Strom, Gas und Wasser für die oben genannte Verbrauchsstelle. In der Rubrik „Mieter/Eigentümer“ trug er „Erbengemeinschaft K. S., zu Händen A. S.“ ein. Den Antrag der Erben auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wies das Amtsgericht mangels Masse ab. Die Klägerin macht die Vergütung für die Energie- und Wasserlieferungen im Zeitraum 2011 bis November 2013 geltend. Ihre auf Zahlung von 12.975,29 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat vor dem Landgericht Erfolg gehabt. Es hat dem Beklagten, der die Dürftigkeitseinrede (§ 1990 Abs. 1 BGB) sowie die Verschweigungseinrede (§ 1974 Abs. 1 BGB) erhoben hat, die Geltendmachung der beschränkten Haftung auf den Nachlass vorbehalten (§ 780 Abs. 1 ZPO). Die Berufung der Klägerin, mit welcher diese eine Verurteilung ohne Vorbehalt anstrebte, wurde als unzulässig verworfen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter.

Die Revision hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klägerin durch den zugunsten des Beklagten ausgesprochenen Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung (§ 780 Abs. 1 ZPO) beschwert (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Denn ein solcher Vorbehalt ist zugleich mit der Feststellung verbunden, dass das Gericht vom Vorliegen einer reinen Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) ausgeht. Im Falle der Rechtskraft des den Vorbehalt aussprechenden Urteils wäre das nachfolgende Gericht bei Erhebung einer – auf diesen Vorbehalt gestützten – Vollstreckungsabwehrklage des Beklagten an diese Beurteilung gebunden. Nach § 780 Abs. 1 ZPO kann der als Erbe des Schuldners verurteilte Beklagte die Beschränkung seiner Haftung (auf den Nachlass) nur geltend machen, wenn sie ihm im Urteil vorbehalten ist. Hat der Erbe die Beschränkung seiner Haftung schon im Erkenntnisverfahren geltend gemacht, steht es dem Prozessgericht frei, deren materielle Voraussetzungen zu prüfen und zum Beispiel die Verurteilung auf Leistung aus dem Nachlass zu beschränken oder – wenn etwa die Erschöpfung des Nachlasses im Sinne von § 1990 Abs. 1 BGB feststeht – die Klage abzuweisen. Das Gericht kann sich aber auch in diesen Fällen, in denen sich der Erbe die Einrede seiner beschränkten Haftung nicht lediglich vorbehalten will, sondern diese bereits im Erkenntnisverfahren erhebt und behauptet, deren Voraussetzungen seien erfüllt, – wie hier – in der Regel damit begnügen, allein den Vorbehalt in das Urteil aufzunehmen, und es dem Beklagten überlassen, gegen die Zwangsvollstre68

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ckung die Klage aus §§ 785, 767 Abs. 1 ZPO zu erheben. Hieraus folgt jedoch nicht, dass im Erkenntnisverfahren der Vorbehalt allein aufgrund der bloßen Einrede des Beklagten ausgesprochen wird. Wie bereits aus dem Wortlaut des § 780 Abs. 1 ZPO folgt, setzt dies vielmehr zusätzlich voraus, dass der Erbe als Prozesspartei wegen einer (reinen) Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) in Anspruch genommen wird. Handelt es sich dagegen (auch) um eine Eigenverbindlichkeit des Erben – in Form einer durch ein Handeln des Erben bei der Verwaltung des Nachlasses begründeten Nachlasserbenschuld oder einer reinen Eigenverbindlichkeit –, haftet der Erbe (auch) mit seinem Privatvermögen und kann seine Haftung nach den §§ 1973 ff. BGB oder §§ 1989 ff. BGB schon aus diesem Grund nicht auf den Nachlass beschränken. Demzufolge kommt in diesen Fällen der Vorbehalt einer beschränkten Erbenhaftung nach § 780 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Danach muss das Gericht, auch wenn es die Frage der eigentlichen Beschränkung der Haftung des Erben auf den Nachlass nicht weiter klärt, vor dem Ausspruch des Vorbehalts prüfen, ob eine reine Nachlassverbindlichkeit vorliegt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht diese fehlende Prüfung der weiteren Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung einer Beschwer der Klägerin durch den Ausspruch des Vorbehalts nach § 780 Abs. 1 ZPO im Erkenntnisverfahren nicht entgegen. Denn bereits die Rechtskraftwirkungen des Vorbehalts sind für die Klägerin vorliegend nachteilig und begründen für sie eine Beschwer. Das über die Vollstreckungsabwehrklage entscheidende Gericht wäre an einen rechtskräftig ausgesprochenen Vorbehalt, der in diesem Verfahren eine Vorfrage darstellt, gebunden. Damit geht einher, dass die Klägerin, die eine Verurteilung ohne Vorbehalt erstrebt, da sie der Ansicht ist, bei ihren Forderungen handele es sich (auch) um Eigenverbindlichkeiten des Beklagten, so dass dieser seine Haftung von vornherein nicht auf den Nachlass beschränken könne, nach den Grundsätzen der sogenannten Tatsachenpräklusion mit (erneutem) Vorbringen zur Art der Forderungen im Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage ausgeschlossen wäre. Die Bindung des über die Vollstreckungsabwehrklage entscheidenden Gerichts an den Vorbehalt sowie der Ausschluss der Klägerin mit erneutem Vortrag zum Nichtvorliegen einer reinen Nachlassverbindlichkeit (Tatsachenpräklusion) folgt aus der Rechtskraftwirkung (§ 322 Abs. 1 ZPO) des den Vorbehalt aussprechenden Urteils. Infolge dieser Unangreifbarkeit des Vorbehalts ist das Gericht daran gehindert, die Art der Verbindlichkeit (nochmals) zu prüfen und gleichsam über diesen „Umweg“ die Rechtmäßigkeit des Rechtsfolgenausspruchs (Vorbehalt) in Frage zu stellen. Würde im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage das Vorliegen einer reinen Nachlassverbindlichkeit verneint werden, würde das Gericht der Sache nach entscheiden, dass dem Beklagten der Vorbehalt zu Unrecht zugesprochen wurde. Dies ist ihm nach Vorstehendem verwehrt. Gegen eine nochmalige Prüfung der Art der Verbindlichkeit im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage spricht auch die durch § 780 Abs. 1 ZPO bewirkte Funktionsteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungs-

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verfahren. Die Verlagerung der Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Haftungsbeschränkungen nach den §§ 1973 ff. BGB beziehungsweise §§ 1989 ff. BGB in das Vollstreckungsverfahren dient der Entlastung des Erkenntnisverfahrens von der regelmäßig zeitaufwändigen Klärung des Umfangs der Haftung des Erben, insbesondere der Zusammensetzung des Nachlasses. Demgegenüber ist die vorgeschaltete Klärung der Art der Verbindlichkeit als eine vom Erblasser herrührende Schuld im Sinne des § 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB typischerweise eine Sache des Erkenntnisverfahrens. Von der aufgezeigten Präjudizialität des Vorbehaltsausspruchs nach § 780 Abs. 1 ZPO abgesehen, liegt eine Beschwer der Klägerin auch darin, dass es ihr selbst ebenfalls nach den Grundsätzen der sogenannten Tatsachenpräklusion verwehrt wäre, im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage (erneut) Einwände gegen die Einordnung der Schuld als reine Nachlassverbindlichkeit geltend zu machen. Somit sind die Parteien mit dem Vortrag solcher Tatsachen, die im maßgebenden Zeitpunkt des Vorprozesses schon vorhanden waren und mit denen das Ziel verfolgt wird, das „kontradiktorische Gegenteil“ der früher festgestellten oder abgelehnten Rechtsfolge auszusprechen, insoweit ausgeschlossen, als diese Tatsachen bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang gehören. Demnach könnte die Klägerin im Falle der Rechtskraft die im Erkenntnisverfahren schon vorhandenen Tatsachen, welche aus ihrer Sicht der Einordnung der Schuld als reine Nachlassverbindlichkeit entgegenstehen, im Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage nicht (nochmals) vorbringen. Zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht kann sich das Berufungsgericht nicht auf Entscheidungen des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur fehlenden Beschwer durch einen im Urteil ausgesprochenen Vorbehalt stützen. Diese betrafen Fälle des § 780 Abs. 2 ZPO und damit die – vorliegend nicht relevanten – Besonderheiten des Fiskalerbrechts (siehe BGH, Urteile vom 17. Februar 2017 – V ZR 147/16, NJW-RR 2017, 1040 Rn. 15; vom 14. Dezember 2018 – V ZR 309/17, NJW 2019, 988 Rn. 5 und 11 f.). Die Frage des Vorliegens einer Beschwer im hier gegebenen Fall des § 780 Abs. 1 ZPO wurde (demgegenüber) ausdrücklich offengelassen. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dieses wird bei der Prüfung der Frage, um welche Art von Verbindlichkeit es sich bei den streitgegenständlichen Forderungen in Bezug auf den Beklagten – dessen grundsätzliche Inanspruchnahme infolge seiner Berufungsrücknahme rechtskräftig feststeht – handelt, zu berücksichtigen haben, dass dessen persönliche Haftung ein eigenes Verhalten als Haftungsgrundlage voraussetzt; für Verbindlichkeiten aus der Verwaltung des Nachlasses, die ohne sein Zutun entstehen, haftet der Erbe demgegenüber nur als Träger des Nachlasses.

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III. Schenkung von Todes wegen BGH vom 2. Oktober 2019 – XII ZB 164/1969 Gegenstand des Verfahrens ist die betreuungsgerichtliche Genehmigung eines Schenkungsversprechens. Für die Betroffene ist wegen einer schweren geistigen Behinderung eine Betreuung eingerichtet. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2014 wurde ihr Vater, der Beteiligte zu 1, zum Betreuer unter anderem mit dem Aufgabenkreis Vermögensangelegenheiten bestellt. Mit Beschluss vom 12. Juli 2018 wurde der Beteiligte zu 2 zum Ergänzungsbetreuer mit dem Aufgabenkreis „Abgabe eines Schenkungsversprechens von Todes wegen“ bestellt. Dieser gab am 4. September 2018 im Namen der Betroffenen zur Niederschrift eines Notars ein Schenkungsversprechen ab, wonach die Betroffene ihren gesamten zum Todestag bestehenden Netto-Nachlass abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten einer von ihren Eltern gegründeten Stiftung, die mit dem Tod des Vaters der Betroffenen entstehen sollte, verspricht. Die von dem Beteiligten zu 2 beantragte betreuungsgerichtliche Genehmigung der von ihm im Rahmen des Schenkungsversprechens abgegebenen Erklärungen hat das Amtsgericht nach Bestellung des Beteiligten zu 3 zum Verfahrenspfleger abgelehnt. Die von dem Beteiligten zu 2 im Namen der Betroffenen eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Genehmigung des Schenkungsversprechens verweigert. Die betreuungsgerichtliche Genehmigung eines vom Betreuer im Namen des Betreuten vorgenommenen genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäfts darf nicht erteilt werden, wenn das zugrundeliegende Rechtsgeschäft gesetz- oder sittenwidrig oder unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften zustande gekommen ist, insbesondere wenn der Betreuer bei der Abgabe der Willenserklärung für den Betroffenen von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen ist. Danach war im vorliegenden Fall das notarielle Schenkungsversprechen nicht genehmigungsfähig, weil es weder als Schenkungsversprechen von Todes wegen nach § 2301 Abs. 1 BGB noch als unbedingtes Schenkungsversprechen gemäß § 518 Abs. 1 BGB wirksam zustande gekommen ist. Das Landgericht hat angenommen, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Schenkungsversprechen von Todes wegen gemäß § 2301 BGB handelt. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Schenkung unter der Bedingung steht, dass der Begünstigte den Schenker überlebt. Ein unbedingtes Schenkungsversprechen fällt hingegen nicht unter § 2301 Abs. 1 BGB, selbst wenn seine Erfüllung auf die Zeit des Todes des Schenkers oder später hinausgeschoben wird. Im vorliegenden Fall will die Betroffene nach ihrem Tod jedoch die noch zu gründende Stiftung ihrer Eltern (§ 83 BGB) als Beschenkte einsetzen. Wird in einem Schenkungsversprechen allein eine juristische Person (§ 80 Abs. 1 BGB) als Begünstigte eingesetzt, liegt die Annahme fern, dass die Wirksamkeit der Schenkung von einer echten Überlebensbedingung im Sinne von § 2301 Abs. 1 BGB abhängig gemacht werden soll. Vielmehr dürfte in einem solchen Fall eine unbedingte Schenkung, 69

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deren Erfüllung bis zum Tode des Schenkers aufgeschoben ist, vorliegen, auf die § 2301 BGB keine Anwendung findet. Diese Abgrenzung kann hier jedoch dahinstehen. Nimmt man mit dem Landgericht an, dass es sich bei dem notariellen Schenkungsversprechen um ein Schenkungsversprechen von Todes wegen gemäß § 2301 Abs. 1 BGB handelt, wäre dieses unwirksam. Nach § 2301 Abs. 1 S. 1 BGB finden auf das Schenkungsversprechen von Todes wegen die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung, wobei unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten werden, ob hierbei die für den Erbvertrag geltenden Formvorschriften einzuhalten sind oder die Form des § 2247 BGB genügt. Ungeachtet dieser Frage setzt die Abgabe eines Schenkungsversprechens von Todes wegen daher entweder die Testierfähigkeit des Schenkers (§ 2229 BGB) oder dessen Geschäftsfähigkeit (§ 2275 Abs. 1 BGB) voraus. Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist die Betroffene aufgrund ihrer geistigen Behinderung weder geschäfts- noch testierfähig, so dass sie persönlich ein Schenkungsversprechen von Todes wegen nicht hätte abgeben können. Nimmt man hingegen an, es liege ein Schenkungsversprechen unter Lebenden im Sinne von § 518 Abs. 1 BGB vor, scheitert die Wirksamkeit und damit auch die Genehmigungsfähigkeit des Rechtsgeschäfts jedenfalls an dem betreuungsrechtlichen Schenkungsverbot der §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1804 BGB. Danach kann der Betreuer in Vertretung des Betreuten keine Schenkungen vornehmen (§ 1804 S. 1 BGB). Ausgenommen von diesem Verbot sind lediglich – hier nicht vorliegende – Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird (§ 1804 S. 2 BGB). Da es sich bei § 1804 BGB um ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB handelt, wäre eine vom Betreuer vorgenommene Schenkung selbst dann nichtig, wenn das Geschäft vom Betreuungsgericht genehmigt worden wäre. Allein der Umstand, dass der Anspruch aus dem Schenkungsversprechen erst nach dem Tod der Betroffenen fällig werden sollte, ändert hieran nichts. Der Zweck des § 1804 BGB liegt in dem Schutz des Vermögens des Betreuten, aus dem nichts unentgeltlich weggegeben werden soll. Im Übrigen wäre das Vermögen der Betroffenen mit Abschluss des Schenkungsversprechens bereits zu Lebzeiten mit der Verpflichtung belastet, den im Zeitpunkt ihres Todes vorhandenen Nachlass an die noch zu gründende Stiftung zu übertragen. Von dieser Verpflichtung könnte sich die Betroffene bis zu ihrem Tod nur unter den engen Voraussetzungen eines Schenkungswiderrufs nach § 530 Abs. 1 BGB lösen. Zudem wäre die Betroffene, und im Falle ihres Versterbens wären ihre Erben, bei einer nicht rechtzeitigen oder nicht ordnungsgemäßen Erfüllung des Schenkungsversprechens gemäß §§ 280 ff., 521 BGB der Beschenkten zum Schadensersatz verpflichtet.

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H. Internationales Privatrecht, insbesondere EuErbVO I. OLG Hamm vom 21. März 2019 – 10 W 31/1770 Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines gegenständlich beschränkten Teil-Erbscheins nach dem 2016 verstorbenen J. Der Erblasser war türkischer Staatsangehöriger. Sein gewöhnlicher Aufenthalt war zuletzt in T. Er war in erster Ehe mit Frau H verheiratet. Die Ehe wurde 1977 rechtskräftig geschieden. Bei den Beteiligten zu 1 bis 5 handelt es sich um die leiblichen Kinder aus dieser Ehe. Seit 1977 war der Erblasser mit der Beteiligten zu 6, die ebenfalls türkische Staatsangehörige ist, verheiratet. Einen Ehevertrag haben die Eheleute nicht geschlossen. Die Beteiligten zu 7 bis 10 sind die gemeinsamen Kinder aus dieser Ehe. Der Erblasser hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Zum Nachlass gehört unter anderem ein Grundstück in Deutschland. Mit ihrem Antrag vom 11. Mai 2016 haben die Beteiligten zu 1 bis 5 für sich die Erteilung eines Teil-Erbscheins mit einer Quote von jeweils 1/12, beschränkt auf den inländischen unbeweglichen Nachlass, beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Nachlassgericht die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Antragsteller zu 1 bis 5 erforderlich sind, für festgestellt erachtet.

Die Beschwerde hat insgesamt keinen Erfolg. Die Erbfolge nach dem 2016 verstorbenen Erblasser J bestimmt sich bezüglich des zum Nachlass gehörenden, in Deutschland belegenen unbeweglichen Vermögens nach deutschem Recht. Maßgeblich für die Bestimmung des anwendbaren Erbrechts ist § 14 der Anlage zu Artikel 20 des Konsularvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28. Mai 1929 (im Folgenden: Nachlassabkommen). Der Anwendungsbereich des Nachlassabkommens ist eröffnet, da der Erblasser türkischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland war. Gemäß Art. 75 Abs. 1 Eu-ErbVO findet das Nachlassabkommen auch nach Inkrafttreten dieser Verordnung weiterhin Anwendung. Gemäß § 14 des Nachlassabkommens kommt es zur Nachlassspaltung. Während sich die erbrechtlichen Verhältnisse bezüglich des beweglichen Vermögens nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Erbfalls angehörte, hier also der Türkei, richten, verweist § 14 S. 2 des Nachlassabkommens bezüglich des unbeweglichen Vermögens auf das Recht des Belegenheitsortes. Da der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat, greift die gesetzliche Erbfolge. Der Erblasser war zum Todeszeitpunkt verheiratet und hatte neun Kinder. Die Erbquote der Beteiligten zu 6 ist nicht gemäß § 1371 Abs. 1 BGB zu erhöhen, da der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht eröffnet ist. Hierbei kann die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage, ob die Vorschrift erb- oder güterrechtlich zu qualifizieren ist, offenbleiben. Bei güterrechtlicher Qualifikation wird die Teilfrage des anwendbaren Güterrechts selbständig angeknüpft. Nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 EGBGB ist somit das Recht des Staates der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten maßgeblich. Der Erblasser und die Beteiligte zu 6 waren bei Eheschließung und während der Ehe beide durch70

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gehend türkische Staatsangehörige. Somit findet für das Güterrecht türkisches Recht Anwendung. Das somit anzuwendende türkische Güterrecht sieht eine Erhöhung des Erbteils bei der Beendigung der Ehe durch den Tod eines Ehepartners nicht vor. Denn auch der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft nach neuem Recht sieht keine erbrechtliche Lösung in Form einer Erhöhung des Erbteils des Ehepartners vor, sondern lediglich schuldrechtliche Ausgleichsansprüche. Hierbei handelt es sich um Nachlassverbindlichkeiten, die keinen Einfluss auf die Erbquote haben. Qualifiziert man § 1371 Abs.1 BGB hingegen erbrechtlich, kommt die Vorschrift zwar unmittelbar zur Anwendung. Jedoch sind die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Erbteils nach dieser Vorschrift nicht erfüllt. § 1371 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt des Erbfalls im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten. Das Vorliegen einer Zugewinngemeinschaft ist damit eine Vorfrage. Wie gezeigt, verweisen die Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 EGBGB auf türkisches Recht, das die Verweisung annimmt. Das türkische Sachrecht kennt den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nicht. Nach dem Gesagten können die nach türkischem Recht in Betracht kommenden Güterstände auch nicht im Wege der Substitution dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft gleichgestellt werden. Nach dem Grundsatz der Substitution können Erscheinungen unter einem fremden Recht den Figuren deutschen Rechts nur dann gleichgestellt werden, wenn sie funktional gleichwertig sind. An einer solchen Übereinstimmung in den wesentlichen normprägenden Merkmalen fehlt es hier. Denn wie gezeigt, fehlt es sowohl bei dem gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft nach türkischem Recht alter Fassung als auch bei dem gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft nach türkischem Recht neuer Fassung an einer erbrechtlichen Lösung für den Fall der Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehepartners. Dies ist aber nach zutreffender herrschender Meinung ein normprägendes Merkmal der Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts.

II. KG vom 3. September 2019 – 1 W 161/1971 Der Nachweis der Bewilligungsbefugnis eines Erben kann durch ein Europäisches Nachlasszeugnis nur durch Vorlage einer von der Ausstellungsbehörde ausgestellten beglaubigten Abschrift des Zeugnisses geführt werden, deren Gültigkeitsfrist im Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch noch nicht abgelaufen ist (Art. 70 Abs. 3 EuErbVO). Das gilt auch bei Ablauf der Gültigkeitsfrist nach Antragstellung beim Grundbuchamt.

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ErbR 2019, 696 m. Anm. Wachter = ZEV 2019, 643.

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III. OLG München vom 24. September 2019 – 31 Wx 326/1872 Die kinderlose Erblasserin war griechische Staatsangehörige. Sie ist am 12. Mai 2015 in B. verstorben. Die Beteiligten zu 1 und 2, die Geschwister der Erblasserin, beantragen die Einziehung des vom Nachlassgericht am 26. Februar 2018 erteilten Erbscheins, der sie zu Erben nach ihrer Schwester zu je 1/8 und den am 10. Juni 2015 nachverstorbenen Ehemann der Erblasserin zu ¾ ausweist. Dem liegt zugrunde, dass die Erblasserin zwar griechische Staatsangehörige war, sie aber mit ihrem Ehemann ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, woraus das Nachlassgericht im Erbscheinserteilungsverfahren den Schluss gezogen hatte, dass auf den vorliegenden Fall griechisches Erb- und deutsches Güterrecht anzuwenden sei. Es hat deshalb den Erbteil des Ehemannes gemäß §§ 1937 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB entsprechend erhöht. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (ZEV 2018, 205 ff.) sind die Beschwerdeführer nunmehr der Ansicht, die vom EuGH angenommene erbrechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB sei auf den vorliegenden Fall mit der Folge zu übertragen, dass der erteilte Erbschein unrichtig und deswegen einzuziehen sei. Stattdessen sei ein Erbschein zu erteilen, der die Beschwerdeführer zu je 1/4 und den Ehemann zu 1/2 ausweist. Das Nachlassgericht hat den erteilten Erbschein nicht eingezogen.

Die zulässigen Beschwerden bleiben in der Sache ohne Erfolg. Die Voraussetzungen der Unrichtigkeit des Erbscheins liegen im vorliegenden Fall nicht vor, denn der BGH hat seine Rechtsprechung zur Qualifizierung von § 1371 Abs. 1 BGB nicht geändert und der Senat folgt dieser Rechtsprechung und die Rechtsprechung des EuGH bindet vorliegend den Senat nicht. Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall griechisches Erbrecht zur Anwendung kommt, Art. 25 Abs. 1 EGBGB (in der bis zum 16. August 2015 geltenden Fassung), weil die Erblasserin griechische Staatsangehörige war und vor Inkrafttreten der EuErbVO verstorben ist. Entsprechend dem griechischen ZGB wird dabei der überlebende Ehegatte neben Verwandten der 2. Ordnung Erbe zu ½. Zugleich findet deutsches Güterrecht Anwendung, weil die Ehegatten in Deutschland zum Zeitpunkt der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Deswegen steht dem überlebenden Ehegatten neben seinem gesetzlichen Erbteil von ½ gemäß § 1371 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns durch Erhöhung des gesetzlichen Erbteils um ¼, mithin eine Gesamtquote von ¾ zu. Der Senat teilt im Hinblick auf diese Frage die Ansicht des Bundesgerichtshofs (ZEV 2015, 409 ff.), wonach die Durchführung des pauschalen Zugewinns bei Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten gemäß § 1371 BGB güterrechtlich zu qualifizieren ist. Das folgt aus der vom Bundesgerichtshof überzeugend begründeten Annahme, dass es der Zweck der Vorschrift ist, den Güterstand als Sonderordnung des Vermögens der Eheleute während und aufgrund der Ehe abzuwickeln, nicht aber den Längstlebenden kraft seiner nahen Verbundenheit mit dem Erblasser an dessen Vermögen zu beteiligen. Insbesondere teilt der Senat die Ansicht des Bundesgerichtshofs, wonach durch § 1371 Abs. 1 BGB gerade die Schwierigkeiten vermieden werden sollen, die nach dem 72

ZEV 2019, 631 = ErbR 2020, 360 m. Anm. Kleinschmidt.

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Tod eines Ehegatten entstehen können, wenn die Erben einerseits über den Bestand von Anfangs- und Endvermögen nicht Bescheid wissen und andererseits die Eheschließung u.U. schon geraume Zeit zurückliegt und deswegen die erforderlichen Feststellungen zu Bestand von Anfangs- und Endvermögen nicht mehr (leicht) getroffen werden können. In diesen Fällen hat sich der Gesetzgeber für die pauschale Erhöhung der gesetzlichen Erbquote entschieden, was nichts am güterrechtlichen Charakter der Regelung ändert. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (ZEV 2018, 205) rechtfertigt im vorliegenden Verfahren keine abweichende Beurteilung. Soweit der EuGH die Vorschrift des § 1371 Abs. 1 BGB erbrechtlich qualifiziert, um ihn der EuErbVO zu unterwerfen und die Handhabung des Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) zu erleichtern, kann dieses Argument im vorliegenden Fall schon deshalb nicht greifen, weil die Erteilung eines ENZ hier nicht in Betracht kommt; auch die EuErbVO spielt im vorliegenden Verfahren keine Rolle. Da der Anwendungsbereich der EuErbVO nicht eröffnet ist, ist der Senat an die Rechtsprechung des EuGH auch nicht gebunden. Er folgt vielmehr aus den dargestellten Gründen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

IV. OLG Köln vom 11. Dezember 2019 – 2 Wx 342/1973 Durch ein handschriftlich in deutscher Sprache errichtetes Testament vom 17. Dezember 2010 ernannte die in Neapel lebende Erblasserin, welche die deutsche Staatsangehörigkeit hatte, Herrn Rechtsanwalt P. in Köln zum Testamentsvollstrecker und wendete ihre Wohnung in Neapel sowie bewegliche Vermögensteile verschiedenen Personen zu. In einem weiteren handschriftlichen Testament vom selben Tage wendete sie ihren „gesamten Besitz bei der C.-Bank Köln“ und die Immobilie in Köln, L-Weg 40, dem Zentrum für Kinderheilkunde, Pädiatrische Onkologie und Hämatologie unter der Bedingung zu, die Immobilie der Beteiligten zu 1 als Mieterin zu verkaufen, falls diese es wünsche, oder ihr Mietrecht zu gewähren, solange sie wolle. Ein weiteres handschriftlich in deutscher Sprache errichtetes Testament vom 1. Juni 2017 hat folgenden Inhalt: „Hiermit lege ich folgendes testamentarisch fest: Ich vermache meine Wohnung L.-Weg 40, 50829 Köln Frau M. K., geb. …, als Vermächtnis. Mein gesamtes Guthaben auf Konten, im Depot und in sonstigen Anlagen bei der C.-Bank, geht zu gleichen Teilen an die Onkologieabteilung für krebskranke Kinder der Universitätskliniken K. und das Sozialwerk A. für hilfsbedürftige Kinder. Das vorhergehende Testament ist hiermit nicht mehr gültig.“ Am selben Tag errichtete die Erblasserin ein weiteres Testament in italienischer Sprache, welches die Zuwendung in Italien befindlichen unbeweglichen und beweglichen Vermögens, darunter die Wohnung in Neapel, betraf.

Die Anwendung italienischen Rechts auf die Rechtsnachfolge nach der Erblasserin folgt aus Art. 21 Abs. 1 EuErbVO, da sie ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hatte. Eine ausnahmsweise engere Bindung zu Deutschland im Sinne des Art. 21 Abs. 2 EuErbVO kann nicht festgestellt werden. Auch hat die 73

ZEV 2020, 218.

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Erblasserin keine Rechtswahl in Richtung auf die Anwendung deutschen Rechts getroffen. Sie lässt sich unter Berücksichtigung der Grundsätze des Art. 22 Abs. 2 EuErbVO den letztwilligen Verfügungen nicht entnehmen. Dass die Erblasserin die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, dass ein Teil des Immobilienvermögens in Deutschland belegen und die betreffende letztwillige Verfügung in deutscher Sprache errichtet worden ist, genügt unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles, insbesondere in Anbetracht des im Wesentlichen in Italien gelegenen Vermögens und des dortigen gewöhnlichen Aufenthalts der Erblasserin für eine solche Auslegung nicht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Erblasserin in Bezug auf ihren in Italien belegenen Nachlass ein Testament in italienischer Sprache verfasst hat, das nach den vorliegenden Angaben bereits umgesetzt sein soll. Das italienische Erbrecht ist auf den gesamten Nachlass anzuwenden; unter der Geltung der EuErbVO ist eine gespaltene Rechtswahl aus den zutreffenden Überlegungen des Amtsgerichts nicht möglich. Nach Erwägungsgrund Nummer 37 zur EuErbVO soll aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung einer Nachlassspaltung der gesamte Nachlass dem sich aus der allgemeinen Kollisionsregelung ergebenden Recht unterliegen, unabhängig von der Art der Vermögenswerte und unabhängig davon, ob diese in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat belegen sind.

V. OLG Köln vom 11. Dezember 2019 – 2 Wx 332/1974 Der Beteiligte zu 1 begehrt die Erteilung eines ihn als Alleinerben des Erblassers ausweisenden Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) auf der Grundlage eines handschriftlichen Testaments, worin es heißt: „Hiermit gebe ich W. K., geb. am ……1949 in Deutschland – A., wohnhaft in den Niederlande Kerkrade (…) meinen letzten Willen bekannt. Nach meinem Tod, verfüge ich, dass mein Neffe P. K. geb. am …… 1974 z. Zt. wohnhaft in Deutschland (…) mein Haus und Grundstück, in den Niederlande Kerkrade Z.-Str… erben soll. Außerdem verfüge ich, dass meine Lebensgefährtin S. R., geb. C., (…), ein lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht, in meinem Haus (…) hat. Weiterhin verfüge ich, sollte zu diesem Zeitpunkt, Barvermögen vorhanden sein, das dies meine Lebensgefährtin S. R. erhält.“ Der Beteiligte zu 1 hat seinen Antrag auf Erteilung eines ENZ mit Schriftsatz vom 27. September 2018 beim Amtsgericht Schöneberg eingereicht. Beigefügt hat er ein Schreiben des Notars M. in Enschede vom 26. September 2018, in dem es gemäß der deutschen Übersetzung heißt: „Aufgrund des Gutachtens von S. H. vom Het Notarieel Bureau und ihrer Stellungnahme vom 21.9.18 komme ich zu dem Ergebnis, dass Herr K. nach deutschem Erbrecht beerbt worden ist. Da ich darauf nicht spezialisiert bin und die deutschen Behörden besser in der Lage sind, die erbrechtlichen Folgen von Herrn K. eigenhändigem Testament (ein solches wäre nach niederländischem Recht nicht möglich) zu beurteilen, erkläre ich mich gemäß Art. 6 a EU-ErbVO für unzuständig, ein Nachlasszeugnis auszustellen.“

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ZEV 2020, 230 m. Anm. Eule.

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Durch den 13. August 2019 erlassenen Beschluss hat der Nachlassrichter des Amtsgericht Aachen, an den das Amtsgericht Schöneberg die Sache verwiesen hat, den Antrag des Beteiligten zu 1 als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Es mangelt im vorliegenden Fall an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte für die Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses nach dem Erblasser, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 4 EuErbVO in den Niederlanden hatte. Eine solche Zuständigkeit ergibt sich nicht aus Art. 7 lit. a EuErbVO. Nach dieser Vorschrift sind die Gerichte eines Mitgliedsstaates, dessen Recht der Erblasser nach Art. 22 EuErbVO gewählt hat, für die Entscheidungen in einer Erbsache zuständig, wenn sich ein zuvor Angerufenes nach Art. 6 EuErbVO in derselben Sache für unzuständig erklärt hat. Die Bestimmung knüpft die Begründung der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates, dessen Recht der Erblasser gewählt hat, damit an eine Unzuständigkeitserklärung unter den Voraussetzungen des Art. 6 EuErbVO an. Bei dem Schreiben des niederländischen Notars vom 26. September 2018 handelt es sich danach nicht um eine wirksame und bindende Unzuständigkeitserklärung nach Art. 6 lit. a EuErbVO, weil die Voraussetzungen, unter denen das Ermessen („kann“) für eine Unzuständigkeitserklärung nach dieser Bestimmung eröffnet ist, aus dem Schreiben des Notars nicht ersichtlich sind. Nach dieser Bestimmung setzt die in das Ermessen gestellte Unzuständigkeitserklärung einen entsprechenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten voraus, der weder vom Beteiligten zu 1 auf Hinweis des Amtsgerichts vom 7. November 2018 hin mitgeteilt worden ist, noch sich aus dem Schreiben des Notars ergibt. Weiterhin setzt die Bestimmung eine Rechtswahl des Erblassers nach Art. 22 EuErbVO voraus, die sich aufgrund des schlichten, nicht konkretisierten Verweises auf ein „Gutachten von S. H. vom Het Notarieel Bureau und ihre Stellungnahme vom 21.9.18“ nicht nachvollziehen lässt. Mangels Entscheidungserheblichkeit kann hier daher offenbleiben, ob das Verfahren nach Art. 6, 7 EuErbVO auf – wie hier – vor Inkrafttreten der EuErbVO errichtete letztwillige Verfügungen Anwendung finden kann, bei denen sich die Rechtswahl – entgegen dem Wortlaut der Vorschrift – nicht aus Art. 22 EuErbVO, sondern allenfalls aus den Übergangsvorschriften (Art. 83 Abs. 2, 4 EuErbVO) ergeben kann.

VI. OLG München vom 10. Februar 2020 – 34 Wx 357/1775 Der Miteigentumsanteil an in Deutschland gelegenem Grundbesitz eines deutschen Staatsangehörigen, der seinen gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich hatte und dort verstorbenen ist, wird, auch bei ausdrücklicher Zuweisung des Grundbesitzes im Europäischen Nachlasszeugnis an einen Miterben, nicht zu Alleineigentum erworben, da nach dem maßgeblichen österreichischen materiellen 75

ZEV 2020, 233 m. Anm. Süß.

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Erbrecht Universalsukzession eintritt, das österreichische Recht keine dingliche Teilungsanordnung kennt und daher die Richtigkeitsvermutung des Europäischen Nachlasszeugnisses keine Wirkung entfaltet.

VII. OLG Köln vom 27. März 2020 – I-2 Wx 73/2076 2019 ist die Erblasserin mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in England verstorben. Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige. Sie war verwitwet und hat neben den Beteiligten 1 und 3 drei weitere Kinder hinterlassen. Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 22. Februar 2019 hat der Beteiligte zu 1 für sich und gemeinsam mit Frau C B für ihr gemeinsames minderjähriges Kind D B die Erbschaft nach der Erblasserin aus jedem Berufungsgrund ausgeschlagen. Die Erklärung hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 an das Amtsgericht Heinsberg mit der Begründung übersandt, dass die Erblasserin vor ihrer Auswanderung ins Vereinigte Königreich in Deutschland zuletzt in E gelebt habe. Mit Schreiben vom 17. April 2019 hat das Nachlassgericht darauf hingewiesen, dass eine Zuständigkeit für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärung nur vorliegen würde, wenn sich Nachlassgegenstände im Inland befinden würden. Mit Schreiben vom 27. Mai 2019 hat das Nachlassgericht die Urschrift der Ausschlagungserklärung vom 22. Februar 2019 an den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 zurückgesandt, da nicht mitgeteilt worden sei, ob sich Nachlassgegenstände im Amtsgerichtsbezirk befinden würden. … Durch am 6. Januar 2020 erlassenen Beschluss hat sich das Nachlassgericht Heinsberg „für unzuständig erklärt“ und zur Begründung ausgeführt, dass eine Zuständigkeit gemäß Art. 10 EuErbVO nicht gegeben sei, weil sich im Amtsgerichtsbezirk Heinsberg kein Nachlassvermögen befinde.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerde gemäß § 58 Abs. 1 FamFG findet nur statt gegen Endentscheidungen der Amts- und Landgerichte in Angelegenheiten nach dem FamFG. Nicht anfechtbar sind dagegen bloße Äußerungen wie etwa die schriftliche Beantwortung einer Anfrage durch das Gericht ohne Umsetzung der geäußerten Ansicht in eine Entscheidung in einem anhängigen Verfahren oder die bloße Übermittlung einer Rechtsauffassung. So liegt der Fall hier. Das Nachlassgericht hat sich lediglich für unzuständig erklärt. Es hat an diese Äußerung keine Rechtsfolge geknüpft. Es hat die Sache weder an ein anderes Gericht verwiesen noch einen Antrag zurückgewiesen noch ein Verfahren in sonstiger Weise beendet. Vielmehr war das Verfahren bereits durch die Entgegennahme der Ausschlagungserklärungen, spätestens aber durch die Zurücksendung der Urschriften an die Erklärenden beendet worden. Die „Unzuständigkeitserklärung“ des Nachlassgerichts kann daher nur als nachträgliche Rechtfertigung der vorhergehenden Verfahrensweise verstanden werden und ist als bloße Kundgabe einer Rechtsauffassung nicht anfechtbar. Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 1. Nach § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Eine solche unmittelbare Rechtsbeein76

ErbR 2020, 561 m. Anm. Mankowski.

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trächtigung hat der angefochtene Beschluss indes nicht zur Folge. Eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung des Beteiligten zu 1 könnte allenfalls dadurch eingetreten sein, dass das Nachlassgericht die Urschrift der Ausschlagungserklärung am 27. Mai 2019 mit dem Hinweis, es sei nicht zuständig, wieder zurückgesandt hat. Dieser Vorgang ist indes nicht angegriffen worden. Dass sich das Nachlassgericht Monate später in dem angefochtenen Beschluss vom 06. Januar 2020 für unzuständig erklärt, beeinträchtigt den Beteiligten zu 1 dagegen nicht unmittelbar in seinen Rechten. Zudem wird die Frage, ob die Ausschlagung durch Einreichung der Ausschlagungserklärung beim Amtsgericht Heinsberg wirksam erfolgt ist, von dem Gericht zu prüfen sein, das letztlich in der Nachlasssache entscheidet. Auch wenn es nicht darauf ankommt, weist der Senat zur Klarstellung auf Folgendes hin: Die internationale Zuständigkeit für die Entgegennahme einer Ausschlagungserklärung, die bei Fällen mit Auslandsberührung – wie hier – von Amts wegen vorweg zu prüfen ist, kann sich aus Art. 4, 10 oder 13 EuErbVO ergeben. Art. 4 EuErbVO scheidet offenbar aus, weil die Erblasserin ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der EuErbVO, sondern im Vereinigten Königreich, Teilrechtsordnung England, hatte. Ob Art. 10 EuErbVO eingreift, hängt davon ab, ob sich Nachlassgegenstände im Inland (nicht im Amtsgerichtsbezirk!) befinden, was derzeit nicht ersichtlich ist. Also bleibt allein Art. 13 EuErbVO. Insoweit ist indes umstritten und derzeit höchstrichterlich ungeklärt, ob die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn eine Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates der EuErbVO gemäß Art. 4 oder Art. 10 EuErbVO – wie hier – nicht ersichtlich ist.

VIII. EuGH vom 16. Juli 2020 – C – 80/1977 E. E. ist litauischer Staatsangehöriger. Seine Mutter, die ebenfalls die litauische Staatsangehörigkeit besaß, hatte den deutschen Staatsangehörigen K.-D. E. geheiratet und zog mit E. E. zu ihm nach Deutschland. Am 4. Juli 2013 errichtete sie vor einer Notarin in Litauen ein Testament, in dem sie ihren Sohn als Alleinerben einsetzte. Beim Tod der Mutter von E. E., der sich in Deutschland ereignete, war eine Immobilie, nämlich eine Wohnung in Kaunas (Litauen), auf die Erblasserin eingetragen. Am 17. Juli 2017 wandte sich E. E. an eine Notarin in Kaunas und beantragte die Eröffnung des Nachlassverfahrens und die Ausstellung eines Nachlasszeugnisses. Am 1. August 2017 lehnte die Notarin die Ausstellung des Nachlasszeugnisses mit der Begründung ab, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 als in Deutschland belegen anzusehen sei. E. E. erhob gegen diese Ablehnung Klage. Unter diesen Umständen hat der Oberster Gerichtshof Litauens beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (wird ausgeführt). Mit seiner ersten und seiner fünften Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen ist, dass ein „Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug“ vorliegt, wenn der Erblasser die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hatte und im Zeitpunkt seines Todes seinen Aufenthalt in 77

ZEV 2020, 628 = ErbR 2020, 711 m. Anm. Mankowski.

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einem anderen Mitgliedstaat hatte, aber seine Verbindung zu dem erstgenannten Mitgliedstaat nicht abgebrochen hatte, und ob in diesem Fall der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Sinne dieser Verordnung in einem einzigen Mitgliedstaat liegen muss.

Die Verordnung zielt ausweislich ihres 67. Erwägungsgrundes auf eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug ab. Um festzustellen, ob eine Erbsache einen grenzüberschreitenden Bezug hat und daher in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 650/2012 fällt, ist erstens der Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu ermitteln und zweitens zu bestimmen, ob der gewöhnliche Aufenthalt aufgrund dessen, dass sich ein anderer erbrechtlicher Anknüpfungspunkt in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, befindet, in einem anderen Mitgliedstaat verortet werden kann. Hierzu ist festzustellen, dass der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes“ im Sinne der Verordnung Nr. 650/2012 zwar in keiner Bestimmung definiert wird, jedoch die Erwägungsgründe 23 und 24 nützliche Hinweise enthalten. Nach dem 23. Erwägungsgrund dieser Verordnung obliegt es der mit der Erbsache befassten Behörde, den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zu bestimmen, wobei diese Behörde sowohl den Umstand, dass der allgemeine Anknüpfungspunkt der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt des Todes ist, als auch sämtliche Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes zu beachten hat und dabei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen hat, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte eine besonders enge und feste Verbindung zwischen dem Nachlass und dem betreffenden Staat erkennen lassen. Insoweit sind im 24. Erwägungsgrund der Verordnung verschiedene Fälle aufgeführt, in denen es sich als komplex erweisen kann, den gewöhnlichen Aufenthalt zu bestimmen. War der Erblasser ein Staatsangehöriger eines Staates oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in diesem Staat, so könnte – wie es im letzten Satz dieses Erwägungsgrundes heißt – seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände sich befinden, ein besonderer Faktor bei der Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen Umstände sein, wenn sich der Erblasser aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen – unter Umständen auch für längere Zeit – in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten, aber eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrechterhalten hat. Daraus folgt, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers von der mit der Erbsache befassten Behörde anhand einer Gesamtbeurteilung der Umstände des Einzelfalls in einem einzigen Mitgliedstaat festzulegen ist. Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat

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und wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, würde eine Auslegung der Verordnung Nr. 650/2012, wonach der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in mehreren Mitgliedstaaten festgelegt werden könnte, zu einer Nachlassspaltung führen, da der gewöhnliche Aufenthalt das Kriterium für die Anwendung der allgemeinen Vorschriften der Art. 4 und 21 dieser Verordnung darstellt, nach denen sich sowohl die Zuständigkeit der Gerichte für den gesamten Nachlass als auch das nach der Verordnung auf den gesamten Nachlass anwendbare Recht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt richten. Eine solche Auslegung wäre daher mit den Zielen dieser Verordnung unvereinbar. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Nachlass einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, weil sich ein anderer erbrechtlicher Anknüpfungspunkt in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, befindet. Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass ein Erbfall grenzüberschreitenden Bezug hat, wenn der Nachlass Vermögen umfasst, das in verschiedenen Mitgliedstaaten – und insbesondere in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Erblasser zuletzt seinen Aufenthalt hatte – belegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2018 – C-20/17, EU:C:2018:485, Rn. 32). Außerdem sind in der Verordnung Nr. 650/2012 beispielhaft andere Umstände angeführt, die auf das Vorliegen eines Nachlasses unter Beteiligung mehrerer Mitgliedstaaten hindeuten können.

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Diskussionszusammenfassung zu den Vorträgen des 11. Bochumer Erbrechtssymposiums Diskussion nach dem Vortrag von Prof. Dr. Anatol Dutta Die Diskussion, die sich an den Vortrag von Herrn Prof. Dr. Dutta anschloss, eröffnete Dr. Heitmeier, der nach den Konstellationen fragte, bei denen Dutta darüber verwundert gewesen sei, dass diese nicht unter das Verbot des § 311b Abs. 4 BGB fallen. Dutta führte aus, dass es sich dabei um die Koordination von lebzeitigen Zuwendungen und Verfügungen von Todes wegen handele. Er illustrierte das am Beispiel eines Sohnes, der lebzeitig ein Grundstück geschenkt bekommen habe, und einer Tochter, die von Todes wegen ein anderes Grundstück erhalten habe. Wenn man hier sicherstellen wolle, dass eine Ausgleichspflicht entsteht, dann handele es sich um einen Erbschaftsvertrag, da man die Ausgleichspflichten unter Miterben modifiziere. Damit greife man in die erbrechtliche Rechtsposition ein. Auch im Gesellschaftsrecht könne man sich Konstellationen vorstellen, bei denen Erblasser verpflichtet würden, erbrechtlich etwas nicht zu tun. Dies seien oft Testierverträge oder Verträge, in denen bestimmte erbrechtliche Rechte der anderen Gesellschafter begründet werden müssen, bei denen sich zumindest die Frage stelle, ob man sich schon im Anwendungsbereich des Erbschaftsvertragsverbots befinde. Auch andere Verträge, wie z.B. der Vertrag darüber, einen Pflichtteilsverzicht aufrechtzuerhalten, falle darunter. In der Praxis gebe es Kinder, die vereinbaren, ein Angebot des künftigen Erblassers, einen abgeschlossenen Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung rückgängig zu machen, abzulehnen. Heitmeier teilte die Überraschung Duttas. Dr. Freiherr von Proff zu Irnich bedankte sich zunächst für den Vortrag und zeichnete dann einen Fall nach, der in der Literatur umstritten und in der Rechtsprechung bisher nicht behandelt worden sei. Es gehe um die Frage, ob § 311b Abs. 4 BGB einschlägig sei, wenn jemand eine Verpflichtung, z.B. eine Bürgschaft eingehe und dabei davon ausgehe, er könne diese aus einer künftigen Erbschaft erfüllen, was teilweise bejaht werde. Dutta antwortete, dass es darauf ankommen müsse, was Gegenstand des Vertrages geworden sei. Hierfür komme es wirklich auf den Inhalt des Vertrages an und nicht darauf, dass die (künftige) erbrechtliche Berechtigung Motiv oder Geschäftsgrundlage des Verpflichtungsvertrages gewesen sei. Darüber werde freilich diskutiert. Er ergänzte

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seine Ausführungen rechtsvergleichend, dass es im Vereinigten Königreich in den „contracts of expected heirs“ Fälle gebe, in denen jugendliche potenzielle Erben die Güter ihrer Eltern verpfändet hätten, welche sie allerdings noch nicht hatten. Dort sei die Doktrin entstanden, dass man genau untersuchen müsse, ob das freiwillig geschehen sei. Herr Prof. Dr. Muscheler wollte etwas grundsätzlicher fragen und führte aus, dass man im BGB an recht versteckter Stelle das Verbot eines bestimmten Vertragstyps habe, welcher im gemeinen Recht noch erlaubt gewesen sei. § 2301 BGB normiere im Grunde genommen, dass eine Schenkung auf den Todesfall unzulässig ist. Im gemeinen Recht sei dies noch ein eigener Vertragstypus gewesen und das BGB zwinge nun in § 2301 BGB zu einer haarscharfen Unterteilung in eine rein lebzeitige Schenkung und in eine Verfügung von Todes wegen. Damit verbiete man also gesetzlich die echte Schenkung auf den Todesfall als lebzeitiges Rechtsgeschäft und ordne die gesetzliche Umdeutung in eine Verfügung von Todes wegen an. Anders sei § 331 BGB, unter den die Rechtsprechung Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall nicht subsumiere. Das Bild eines liberalen Gesetzgebers, der alle Verträge, soweit es nur geht, zulasse, werde so getrübt. Dutta stimmte Muscheler grundsätzlich zu, dass es sich hierbei um eine Einschränkung der Vertragsfreiheit handele. Dann schlug Dutta den Bogen zur EU-Erbrechtsverordnung, laut der eine Schenkung auf den Todesfall nach der herrschenden Meinung ein Erbvertrag sei. Dies sei aber noch vom EuGH zu entscheiden, wozu es möglicherweise zeitnah komme, weil der österreichische oberste Gerichtshof dem EuGH eine solche Konstellation vorgelegt habe. Im konkreten Fall ginge es darum, ob eine Schenkung auf den Todesfall nach deutschem Recht ein Erbvertrag sei. Der EuGH sei zwar erbrechtlich nicht gerade „bewandert“ und habe eine sehr weite Legaldefinition des Erbvertrages in § 3 I b der EU-Erbrechtsverordnung als Ausgangspunkt. Daher, so die Prognose von Dutta, werde der EuGH wahrscheinlich einen Erbvertrag annehmen. Muscheler fragte nunmehr rechtsvergleichend weiter. Viele ausländische Rechtsordnungen ließen den Erbvertrag entweder gar nicht oder bloß sehr restriktiv zu. Hierzu interessierte Muscheler die rechtspolitische Überzeugung Duttas und ob dieser die deutsche Lösung oder ein vollständiges Verbot befürworte. Dutta erwiderte, dass das deutsche Recht dadurch, dass es sich mit der erbrechtlichen Selbstbindung auseinandersetze, anderen Rechtsordnungen durchaus überlegen sei. Dadurch werde die Testierfreiheit erweitert und die deutsche Richtung sei insgesamt klug. Nicht zuletzt deswegen denke man im Ausland vielfach darüber nach, die deutsche Regelung zu übernehmen. Skeptischer äußerte sich Dutta die deutschen Regelungen zum Erbverzicht betreffend: Im Ausland assoziiere man Erbverträge häufig mit Erbverzichten, weil es Situationen gebe, in denen solche Verzichte – gerade Pflichtteilsverzichte – in familiären Drucksituationen abgeschlossen würden.

Zusammenfassung der Diskussionen

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Das nahm Frau Prof. Dr. Uffmann als Anlass, um zu fragen, was Duttas Ansatz bei den Pflichtteilsverzichtsverträgen wäre und ob er ein Verbot befürworten würde. Dutta regte an, auf die Rechtsprechung zur Kontrolle von Eheverträgen zurückzugreifen. Das würde hohe Anforderungen in Bezug auf Sittenwidrigkeit bedeuten, aber auch die Möglichkeit einer nachträglichen Ausübungskontrolle, wenn der Vertrag zu weit greife. Gerade bei später bedürftigen Pflichtteilsberechtigten sei dies wichtig. Allerdings sei die Diskussion recht müßig, da der BGH eine harte Linie fahre. Vielleicht könnten künftige Generationen des Erbrechtssenates diese verlassen.

Diskussion nach dem Vortrag von Dr. Michael Holtz Die erste Frage nach dem Vortrag von Dr. Holtz lautete, wie es sich in der Praxis verhalte, wenn steuerlich auf den Todeszeitpunkt veranlagt werde, sich die Erbengemeinschaft aber tatsächlich erst (Jahre) später auseinandersetze. Grund dafür könnte sein, dass Immobilien verkauft werden müssten, bei denen sich Verkehrswertbetrachtung zum Todeszeitpunkt einerseits und tatsächlich erzielter Marktpreis andererseits erheblich unterschieden, etwa weil die entsprechenden Objekte weniger marktgängig gewesen seien, als das Finanzamt ursprünglich gemeint habe. Dann frage sich, ob verhandelt werden müsse oder es Steuererleichterungen und Rückzahlungen gebe. Holtz stellte dar, dass es erbschaftsteuerlich ein strenges Stichtagsprinzip gebe. Wenn man das Pech gehabt habe, Wirecard Aktien zu erben, als diese noch hochwertig waren und diese dann „in den Keller gefallen“ seien, bliebe man grundsätzlich erbschaftssteuerlich bei den Quoten zum Zeitpunkt des Erbfalls. Die einzige Möglichkeit sei dann, an die Finanzverwaltung heranzutreten und einen sogenannten Billigkeitserlass zu erfragen. Sowohl Finanzamt als auch Rechtsprechung reagierten hierauf allerdings sehr zurückhaltend. Gewährt werde ein solcher Erlass vor allem in solchen Fällen, in denen sich die Ereignisse überschlagen hätten und noch kein Zugriff auf den Nachlassgegenstand bestanden habe. In diesen Fällen könnte man mit guten Gründen ausführen, dass man eigentlich verkaufen wollte, es aber rein tatsächlich noch nicht konnte. Der Fall der Fragestellerin sei allerdings anders gelagert. Dort würde verhandelt und es ändere sich im Laufe des Verhandelns der erbschaftsteuerliche Status. Das könne durchaus sehr gravierend sein, wenn etwa über die Jahre der Erbengemeinschaft aus Brachfläche Bauland geworden und sich so der Wert deutlich erhöht habe. In einem solchen „guten“ Fall müsse keine Erbschaftsteuer nachgezahlt werden. Im „schlechten“ Fall dagegen müssten meist Steuern nachgezahlt werden. Im Rahmen der Erbauseinandersetzung sei es dann eine Frage der Verhandlung, wie viel Wert den einzelnen Gegenständen zugemessen wird.

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Dr. Grote fragte auf die Sechsmonatsfrist anspielend, dass es für deren Lauf wahrscheinlich auf die Wirksamkeit des Vertrages ankommen werde. Er habe aber bei Erbauseinandersetzungen manchmal das Problem, dass Minderjährige oder ähnlich Geschäftsunfähige mitwirken, die der Zustimmung durch das Betreuungsgericht oder Familiengericht bedürften. Dort könne man dann aber schnell über die Sechsmonatsfrist „hinwegrutschen“, wenn die Gerichte nicht schnell genug tätig werden würden. Grote erhoffte sich daher Einsicht in praktische Erfahrungen hierzu von Holtz. Dieser sah hier die Gerichte in der Pflicht, ausreichend schnell tätig zu werden. Aus steuerlicher Sicht gäbe es eher die Fälle, in denen Minderjährige beschenkt würden und sich dann die Frage stelle, ob eine gerichtliche Genehmigung zurückwirke. Zivilrechtlich sei das wegen § 184 BGB laut Holtz der Fall. Fraglich sei dann nur die (erbschaft-)steuerrechtliche Rückwirkung. Da gelte der Grundsatz, dass Privatgenehmigungen nicht zurückwirken. Das Erbschaftsteuerrecht wolle nicht, dass man Verträge mit vollmachtlosem Vertreter schließe und sich so in einen Schwebezustand begebe, in dem man sich überlegen könne, ob der Vertrag mit Rückwirkung genehmigt werden soll oder nicht. Es gebe aber eine Richtlinie, die letztlich besage, dass behördliche Genehmigungen zurückwirken sollen. Dies sei auch hier der Weg, um dem Finanzamt zu verdeutlichen, dass es nicht um die Willensbildung hinsichtlich der privatrechtlichen Zuordnung gehe, die schließlich abgeschlossen sei, sondern um den Vollzug, der – bei den Gerichten – in Behördenhand liege. Er sei in solchen Fällen optimistisch. Man habe schließlich für Notfälle auch noch die Möglichkeit, der Finanzverwaltung besondere Gründe darzulegen, warum es innerhalb von sechs Monaten nicht zu einer Lösung gekommen sei. Wenn man dort auf die familiengerichtliche Genehmigung verweisen würde, müsste das Finanzamt das grundsätzlich akzeptieren, so Holtz. Heitmeier kam sodann auf eine Konstellation zurück, auf die Holtz in seinem Vortrag eingegangen sei, nämlich dass nach dem Erbfall das Interesse bestehen könne, eine Generation auszulassen und das Erbe der danach folgenden Generation zu übergeben. Er selbst habe in seiner notariellen Gestaltungsberatung die Erfahrung gemacht, dass dieses Interesse tatsächlich sehr häufig bestehe und man dann versuche, Bausteine in die Gestaltung der Testamente einzubauen, die eben solche Weitergaben als postmortale Erbschaftsteuerkorrektur ermöglichen. Einer dieser Bausteine, der in der letzten Zeit gerne genommen würde, wären die Zweckvermächtnisse, bei denen ein Vermächtnis zugunsten der enterbten Kinder ausgesetzt werde. Dieses habe den Zweck, die Erbschaftsteuerfreibeträge bestmöglich auszunutzen. Dem überlebenden Ehegatten stehe es dann frei, im eigenen Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Höhe diese Zweckvermächtnisse erfüllt würden. Heitmeier finde das eine grundsätzlich schöne Ausgestaltung, ihm fehle aber die praktische Erfahrung mit dieser Ausgestaltungsvariante. Daher interessierte ihn, ob Holtz Erfahrungen dahingehend hat, ob diese Gestaltung von den Finanzämtern akzeptiert wird.

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Holtz führte aus, dass er noch kein Finanzamt erlebt habe, welches diese Gestaltung nicht akzeptiert habe. Er glaube, dass es viel mehr Testamente, die so gestaltet seien, gebe als es bisher zum Finanzamt geschafft hätten, da bei vielen schlicht der Erbfall noch nicht eingetreten sei. Die Fälle aber, die Holtz kenne, seien durch die Finanzverwaltung akzeptiert worden. Außerdem glaube er, dass es keinen tragbaren Grund gebe, aus dem das Finanzamt ein Problem mit dieser Variante haben sollte. Muscheler interessierte sodann, ob es Kriterien dafür gebe, wann ein Erbvergleich „ernsthaft“ wäre. Denn Holtz habe ausgeführt, dass der Fiskus beim sogenannten Erbvergleich auch unwirksame Verfügungen und Gestaltungen, die mit der zivilrechtlichen Lage möglicherweise oder sicher nicht übereinstimmen, anerkenne. Der Erbvergleich müsse aber ernsthaft sein. Holtz erläuterte, dass die Abgrenzung dadurch erfolge, ob zwei sich vergleichen oder freigiebig Vermögen transferieren wollen würden. Letzteres wäre eine freie Zuwendung. Wenn es aber mit Freigiebigkeit nichts zu tun habe, sondern der Streitbeilegung dienen oder Zweifelsfragen beseitigen soll, das Finanzamt dies als ernsthaften Vergleich meist anerkenne. Maßgeblich seien demnach Streitpositionen. In „normalen“ Fällen sei dies kein Problem: Wenn zwei oder drei Jahre zwischen Anwälten hin und her geschrieben worden sei, dann zweifele niemand daran, dass dies ein ernsthafter Vergleich sei. Man könne diese Konstellation mit einer anderen vergleichen: Wenn sich zwei Ehegatten im Rahmen der Trennung auseinandersetzen und eine Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung schließen, in der es eine Einigung über Gegenstände oder Zahlungen gibt, die höher ausfallen, als gesetzlich eigentlich geschuldet wäre. Hier müsse man sagen, dass die Eheleute in dieser Situation darüber streiten und verhandeln und zu einem Ergebnis kommen, sodass nur wenig Raum vorhanden ist, um eine Schenkung anzunehmen. Das müsse auch von der Finanzverwaltung akzeptiert werden. Der Ausgangspunkt sei der gleiche: Die Frage, die es zu beantworten gelte, sei, warum jemand eine Position aufgebe. Entweder, weil er sich vergleiche, oder weil er dem anderen etwas schenken wolle. Und wenn man dies auf die Erbengemeinschaft als Zwangsgemeinschaft beziehe, bei der die Familie plötzlich merke, wie wenig sie sich alle leiden könnten, dann bestehe die realistische Chance, dass es sich um einen Erbvergleich handele und keine Schenkung. Frau Rechtsanwältin Hiesgen fragte weiter zur T hematik des ernsthaften Vergleichs. Sie interessierte, ob es schädlich sein kann, sich „zu früh“ zu einigen. Dazu bildete sie als Beispiel eine Konstellation, in der man sich einige, bevor eine Partei überhaupt einen ernsthaften Angriff auf die Wirksamkeit eines Testaments unternehmen kann. Sie befürchtete, dass in einer solchen Konstellation die Finanzverwaltung – nach den von Holtz erläuterten Kriterien – einen ernsthaften Vergleich nicht annehmen werde. Sie fragte daher, ob es nicht sinnvoller wäre, abzuwarten, bis eine Seite schriftlich mitteilt, dass sie das Testament für

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gültig oder ungültig hält, oder ob es schädlich sei, wenn der derjenige, der vom Fortbestehen des Testaments profitieren würde, auf ersten Angriff der anderen Seite vergleichend einlenkt. Holtz gab zu, dass solche Konstellationen grundsätzlich schwierig seien und es keine allgemeingültige Antwort gebe. Es hänge immer davon ab, an welches Finanzamt und welchen Bearbeiter man jeweils gerate. Er tendiere in solchen Fällen dazu, möglichst alles zu sammeln und festzuhalten. Es sei letztlich wie beim Grundbuchamt: Wenn dort eine Eintragung erstmal erfolgt sei, sei es immer misslich, dagegen im Einspruchs- oder Klageverfahren vorgehen zu müssen. Dasselbe gelte für ein Vorgehen gegen Bescheide des Finanzamts. Als nächstes fragte Uffmann aufbauend auf dem rechtspolitischen Ansatz, den Dutta geäußert hatte, den § 311b Abs. 4, Abs. 5 BGB abzuschaffen. Wenn in der Folge die dort bisher verbotenen, lebzeitigen Rechtsgeschäfte nunmehr erlaubt seien, sei es ja auch möglich, die von Holtz dargestellten Auseinandersetzungsverträge lebzeitig zu schließen. So würde zeitlich vor den Erbfall gezogen die Vermögensaufteilung geschaffen, die gewünscht wird. Sie interessierte, ob und welche steuerlichen Auswirkungen dies haben könnte. Holtz führte aus, dass man in der Tat vorverlagere – auch steuerlich. Wenn man als Beispiel den Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung heranziehe, stelle dieser eine freiwillige Zuwendung dar, welche zur Schenkungssteuer führe. Er plädiere für eine Gleichbehandlung ähnlicher Verträge, die de lege lata verboten sind, de lege ferenda aber erlaubt werden könnte, wie von Uffmann unterstellt. Die wesentliche Frage sei die Besteuerung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Mit der Erbschaftsteuer bei Erwerben von Todes wegen könne man in dieser Konstellation nur begrenzt Einfluss nehmen. Untersucht werden müsse, ob der Abschluss des Vertrages schon ein steuerpflichtiger Vorgang sei.

Diskussion nach dem Vortrag von Jan David Hendricks Herr Dr. Markus Schewe begann die an den Vortrag von Jan David Hendricks anknüpfende Diskussion und machte auf einen vermeintlichen Widerspruch aufmerksam: Hendricks habe in seinem Vortrag festgehalten, dass zum einen das Modell des unentgeltlichen Pflichtteilsverzichts das Standardmodell des Gesetzes sei, zum anderen jedoch der vollentgeltliche Pflichtteilsverzicht unter Berücksichtigung des aktuellen Zeitwerts, der sicherste Weg sein solle, um die Sittenwidrigkeit eines Verzichts i.S.d. § 138 BGB abzuwenden. Führe man dies ad absurdum und vergegenwärtige man sich das grundsätzliche Gesetzesmodell, den unentgeltlichen Pflichtteilsverzicht, dann stelle die Tatsache, dass das Gegenteil jedoch der sicherste Weg sei, einen Widerspruch da. Hendricks stimmte vollends zu und verriet, dass er unterschlagen habe, dass dies ausschließlich für entgeltliche Konstellationen gelten solle. In der unentgeltlichen Konstellation

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sei dies freilich nicht zwingend der sicherste Weg, allerdings gelte auch dort der Rest des von ihm empfohlenen Best-Practice Verfahrens. Vor dem Hintergrund, dass jeder Verzichtende auch für die Unterzeichnung eines abfindungslosen Verzichts einen Grund habe, plädierte Hendricks dafür, dass zwecks ihrer neutralen Rolle Notare in einem persönlichen Vorgespräch mit allen Beteiligten die Gründe für einen Verzicht erforschen und gegebenenfalls zur Rechtssicherheit in einer Urkunde festhalten. Denn auch ein abfindungslos geschlossener Verzicht könne seinen Grund in einem ausgenutzten Kräfteungleichgewicht haben. Darüber hinaus solle der Notar auf eine höchstpersönliche Erklärung hinwirken, damit nicht hinterher rauskäme, dass „irgendetwas komisch gelaufen“ sei und man abfindungslos verzichtet hätte, obwohl man dies nicht wollte. Nochmals stellte Hendricks jedenfalls klar, dass der ursprünglich formulierte „sicherste Weg“ nur für die entgeltliche Konstellation gelte und es ihm keinesfalls darum gehe, den unentgeltlichen Pflichtteilsverzicht faktisch abzuschaffen. Heitmeier hielt sodann fest, dass es praktisch gesprochen noch immer sehr einzelfallabhängig sei, wie die einzelnen Umstände zu betrachten seien, wenngleich man die Systematisierung durch Fallgruppen versuche. Sodann berichtete er von einem Fall aus seiner anwaltlichen Praxis: Der angesprochene Fall hatte zur Besonderheit, dass der Pflichtteilsverzicht im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Adoption ausgesprochen werden sollte. Der Pflichtteilsverzicht war aufschiebend bedingt auf den zukünftigen Beschluss der Volljährigenadoption. Den Fall zugrunde gelegt, stellte Heitmeier die Frage, ob man in einer solchen Konstellation grundsätzlich Bedenken bezüglich der Sittenwidrigkeit haben sollte. Hendricks gab sich allerdings skeptisch, da es aus seiner Sicht bloß die Kombinationen zweier für sich legitimer Rechtsinstrumente sei. Weiterhin gelte jedoch die Gesamtschau: Wenn man sähe, dass der Verzicht nur erklärt werde, um eine Volljährigenadoption auf den Weg zu bringen, sei dies kein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Janitzki interessierte sodann, was die Kunst eines guten Pflichtteilsverzichtsvertrages sei. Dabei nahm er Bezug auf den im Vortrag geschilderten Fall des OLG Hamm, bei dem der Notar – so resümierte Janitzki – schließlich sämtliche Regeln des Beurkundungsgesetzes missachtet habe und sah Parallelen zu Ehe- oder Scheidungsfolgeverträgen. Aus seiner Sicht dürfe man keine Angst vor Vertragslyrik haben, denn oftmals beschränke man zwar Regelungen auf juristische Inhalte, gerade bei Pflichtteilsverzichtverträgen komme es jedoch entscheidend darauf an, dass man die Umstände des Einzelfalls darstelle. Dies sollte man nicht negativ als Vertragslyrik bezeichnen, sondern als notwendigen Bestandteil eines jeden guten Pflichtteilsverzichtsvertrags akzeptieren. Hendricks stimmte den Ausführungen zu und verwies auf seine vorherigen Ausführungen zum Plädoyer für eine inhaltsstarke Urkunde, die letztlich unter anderem gegen den Einwand eines Kräfteungleichgewichts angeführt werden könne.

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Darauf aufbauend fragte Uffmann nach, was die konkreten Pflichten des Notars wären. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BAG, das das Gebot fairen Verhandelns im Hinblick auf einen Aufhebungsvertrag erstmals höchstrichterlich fruchtbar gemacht hatte, ergebe sich diese Frage, weil der Aufhebungsvertrag – anders als ein Pflichtteilsverzicht – ohne notarielle Beteiligung geschlossen werden könne. Uffmann wollte daher wissen, ob man die von Janitzki angesprochene Vertragslyrik als Teil der notariellen Pflichten sehen könne, wenn man das Gebot fairen Verhandelns bei Pflichtteilsverzichten nutzen wolle. Hendricks war der Meinung, dass, wenn man sich an das von ihm vorgestellte Best-Practice Verfahren halte, man im Ergebnis sowohl die Sittenwidrigkeit des Verzichts als auch die Gefahr eines Verstoßes des Gebots fairen Verhandelns ausschließen könne. Aus notarieller Sicht müsse man dies jedoch ein wenig einschränken, da dieser schließlich nie den ganzen Weg zum Vertrag sähe. Für diesen Teilbereich könne man aber sichergehen, dass nichts schiefgelaufen sei.

Diskussion nach dem Vortrag von Freiherr von Proff zu Irnich Die erste Frage nach dem Vortrag von von Proff kam von Schewe, der ausführte, dass thematisch betrachtet die Verträge über den Pflichtteilsanspruch neben der Erbengemeinschaftsklärung zahlenmäßig vermutlich das Gros ausmachen und diese meistens – teilweise vorgerichtlich, teilweise nachgerichtlich, oder aber auch außergerichtlich – in einem Vergleich enden. Mit Blick auf die durch von Proff erörterten Besonderheiten bei den Sozialleistungsempfängern sei dies jedoch eine spezielle Situation, denn neben dem Staat, der den Pflichtteilsanspruch als verwertbares Vermögen bei der Entscheidung über Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe betrachte, gebe es schließlich auch andere Gruppen, die im Falle eines Vermögenszuwachses von diesem profitieren wollen würden. Eine vergleichbare Situation habe man bei der Insolvenz einer Person und hier sei die Rechtsprechung eine ganz andere. Schewe stellte sich schließlich die Frage, ob es fair sei, dass der Gesetzgeber den privaten Gläubiger anders behandeln wolle als den gesetzlichen Gläubiger. Und auch von Proff gab zu, dass, wenngleich man die gesetzliche Wertung letztlich mit dem Nachrangprinzip begründen könne, sodass sich der gesetzgebende Staat dort wohl ein Privileg erlaubt habe, es wertungsmäßig nicht ganz widerspruchsfrei sei: Schließlich könne man die Fälle, in denen ein Vergleich geschlossen wurde, auch in ein anderes rechtliches Kleid bringen. Sollte der Pflichtteil beispielsweise – anders als es das Gesetz modelhaft vorsähe – nicht durch Geld, sondern durch Übertragung von Nachlassgegenständen ausgeglichen werden, sei dies eine Leistung an Erfüllung statt, da der Erbe, der nicht in der Lage sei, in Geld zu zahlen, eine Immobilie übertragen müsste. Dieses Szenario sei steuerrechtlich durchaus interessant, denn wenn der

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Erbe zum Beispiel dem Pflichtteilsberechtigten zur Abgeltung seines Pflichtteils eine Immobilie, welche aus dem Nachlass kommt, übertrage und der Erblasser diese Immobilie zum einen erst in den letzten zehn Jahren erworben habe und zum anderen vielleicht auch nicht selbst bewohnt habe, dann befinde man sich im Bereich der Spekulationssteuer und sei zudem nicht privilegiert. Frau Krämer fragte im Anschluss daran bzgl. der Abtretung eines Pflichtteilsanspruchs zum Verständnis nach, warum der dieser dinglichen Verfügung zugrunde liegende Vertrag nicht unter § 311b Abs. 4 BGB falle. Daraufhin räumte von Proff ein, dass auch dies nicht ganz widerspruchsfrei sei, da § 311b Abs. 4 BGB – wie auch der ganze § 311b BGB – eine Regelung des Schuldrechts sei. Dieser regele Verträge, durch die man sich zu bestimmten späteren, dinglichen Geschäften verpflichte. Die Abtretung sei kein verpflichtendes Geschäft, sondern ein Verfügungsgeschäft. Deswegen ginge man davon aus, dass die Vorwegzession nicht in den Anwendungsbereich des § 311b Abs. 4 BGB und auch nicht in den § 311b Abs. 5 BGB falle. Es sei aber durchaus erstaunlich, dass man die Verpflichtung nicht vorweg begründen könne, die Vorwegabtretung allerdings schon – man könne einen Anspruch abtreten, bevor der überhaupt bestünde. Schewe merkte daraufhin an, dass es dabei aber kein Grundgeschäft gebe und es dementsprechend nicht kondiktionssicher sein dürfte. Von Proff war sich dessen jedoch unsicher, da er der Meinung war, dass dem reinen Schenken nichts im Wege stehe und auch sofort erfüllt würde, schließlich würde die Abtretung ja sofort, unbedingt erklärt. Wirksam werde sie aber erst mit dem Tod eines Dritten, weswegen das Problem mit § 2301 BGB wegfallen würde. Dies sei auch keine Umgehung von § 311b Abs. 4 BGB. Das Spekulieren auf den Nachlass eines Dritten sei nicht per se verboten.

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Autorenverzeichnis Prof. Dr. Anatol Dutta Ordentlicher Professor Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Institut für Internationales Recht Ludwig-Maximilians-Universität München Jan David Hendricks Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Recht der Familienunternehmen, Prof. Dr. Katharina Uffmann Ruhr-Universität Bochum Dr. Michael Holtz Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Partnerschaft mbB Jan Hüchtebrock Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Recht der Familienunternehmen, Prof. Dr. Katharina Uffmann Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Christoph Karczewski Richter am Bundesgerichtshof Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Maximilian Freiherr von Proff zu Irnich Notar Dr. Katja Rosa Rechtsanwältin, Mediatorin Flick Gocke Schaumburg Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Partnerschaft mbB