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German Pages 1180 Year 2015
Ius quia iustum Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von Elmar Güthoff und Stephan Haering
Duncker & Humblot . Berlin
ELMAR GÜTHOFF/STEPHAN HAERING (Hrsg.)
Ius quia iustum Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag
Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. A l b e r t M . K o e n i g e r † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. H e i n r i c h F l a t t e n † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn und Dr. G e o r g M a y Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz herausgegeben von Dr. A n n a E g l e r Akademische Direktorin i. R. am FB 01 Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Mainz und Dr. W i l h e l m R e e s Professor für Kirchenrecht an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Band 65 ELMAR GÜTHOFF/STEPHAN HAERING (Hrsg.)
Ius quia iustum Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag
Ius quia iustum Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von Elmar Güthoff und Stephan Haering
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: BGZ Druckzentrum GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 978-3-428-14740-3 (Print) ISBN 978-3-428-54740-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84740-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort der Herausgeber Bischof Isidor von Sevilla († 636) gilt als letzter Kirchenvater des Westens und markiert das Ende der Patristik im Abendland. Für die Kanonistik ist sein Name eher indirekt von Bedeutung geworden, nämlich durch die pseudo-isidorischen Dekretalen des frühen Mittelalters, die den Namen und die Autorität des hochangesehenen Bischofs für sich in Anspruch genommen haben. Mit Gewissheit verdanken wir Isidor jedoch seine Enzyklopädie (Etymologiarum sive originum libri XX), ein wertvolles Kompendium des um 600 in Spanien verfügbaren Wissens der Antike und der christlichen Lehre. Aus diesem bedeutenden Werk ist der Titel des vorliegenden Sammelbandes entnommen. Isidor erkennt das Wesen des Rechts in der Gerechtigkeit, die es zur Geltung zu bringen trachtet: Ius autem dictum, quia iustum (lib. V,3). Als Buchtitel einer Festschrift, die Helmuth Pree zum 65. Geburtstag und zum Abschluss seiner aktiven Zeit als Universitätsprofessor gewidmet wird, empfiehlt sich diese etymologische Erklärung in besonderer Weise, bringt sie doch ein Anliegen zum Ausdruck, welches sich durch die gesamte fachliche Tätigkeit des Jubilars in der forscherischen Durchdringung, akademischen Vermittlung und praktischen Anwendung des kanonischen Rechts zieht. Davon können nicht nur seine Hörer an den verschiedenen Universitäten und zahlreiche Ratsuchende beredtes Zeugnis geben. Auch die „Bibliographie Helmuth Pree“, die in diesem Band veröffentlicht wird, tut es auf ihre Weise und ermöglicht zugleich einen raschen Zugang zu dem beeindruckenden literarischen Ertrag der Bemühungen Prees um Recht und Gerechtigkeit. 66 Semester hat Helmuth Pree als Ordinarius für Kirchenrecht an drei Universitäten gewirkt. Zunächst war er in seiner oberösterreichischen Heimat tätig, nämlich an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes-Kepler-Universität Linz, und wirkte dort seit dem Wintersemester 1982/83 als Nachfolger seines akademischen Lehrers Bruno Primetshofer (1929 – 2014); dieser hat ihn zweifellos stark geprägt. 1988 wechselte Helmuth Pree an die Universität Passau und übernahm den kirchenrechtlichen Lehrstuhl der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät. 2004 folgte er schließlich dem Ruf auf den Lehrstuhl für Kirchenrecht, insbesondere für Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, allgemeine Normen und Verfassungsrecht sowie für orientalisches Kirchenrecht, der Ludwig-Maximilians-Universität München. In der bayerischen Landeshauptstadt hat er in den vergangenen elf Jahren am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik eine intensive Wirksamkeit entfaltet. Die Herausgeber dieses Bandes müssen nun das nahende Ausscheiden des hochverdienten Kollegen mit großem Bedauern hinnehmen.
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Vorwort der Herausgeber
Helmuth Pree hat das kanonische Recht auch außerhalb der Universität in verschiedenen Bereichen gepflegt und praktisch gefördert. Zu nennen ist, neben einer ausgedehnten Beratungstätigkeit für kirchliche und nichtkirchliche Institutionen und Stellen, sein Wirken als Anwalt an verschiedenen kirchlichen Gerichten und als Exarchierat der Apostolischen Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien mit Sitz in München. Als Konsultor des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, wozu ihn Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011 ernannt hat, unterstützt Helmuth Pree mit seiner hohen fachlichen Expertise den Apostolischen Stuhl. Erst kürzlich wurde Helmuth Pree zum Richter am Bischöflichen Konsistorium Passau ernannt. Helmuth Pree genießt nicht nur im deutschen Sprachgebiet außerordentliches fachliches und persönliches Ansehen, sondern er zählt zu jenen deutschsprachigen Kanonisten, die auch jenseits der Landesgrenzen überaus bekannt und geschätzt sind. Viele Jahre wirkte er als Mitglied des Vorstands und Vizepräsident der Consociatio internationalis studio iuris canonici promovendo (Rom). Das hohe internationale Renommee des Jubilars wird nicht zuletzt aus der Zusammensetzung der Autorenschaft dieser Festschrift ersichtlich. Der vorliegende Band ist der Mitwirkung Vieler zu verdanken. Ein erster Dank gilt den Autoren, die der Einladung zur Mitarbeit gefolgt sind und ihre Beiträge für diese Festschrift verfasst haben. Die redaktionelle Bearbeitung erfolgte durch Frau Birgit Müller vom Verlag Duncker & Humblot und Frau Anja Lieb. Frau Sandra Graml erstellte das Mitarbeiterverzeichnis. Dott.ssa Giuseppina Camposarcuno koordinierte die gesamte redaktionelle Tätigkeit. Auch ihnen gilt der Dank der Herausgeber. Finanziell wurde diese Publikation durch den Verband der Diözesen Deutschlands, das Erzbistum München und Freising, das Bistum Passau und die Apostolische Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien sowie die Pfarrer-Elz-Stiftung der Katholisch-Theologischen Fakultät München erheblich unterstützt. Für diese notwendige Hilfe danken die Herausgeber sehr. Den Herausgebern der Reihe „Kanonistische Studien und Texte“, Dr. Anna Egler und Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Rees, sowie dem Verlag Duncker & Humblot, Berlin, gilt der Dank für die reibungslose Zusammenarbeit und für die Veröffentlichung dieses Bandes. München, am 3. Mai 2015
Elmar Güthoff und Stephan Haering
Inhaltsverzeichnis Grußwort (Kardinal Marx) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grußwort (Kardinal Coccopalmerio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tabula Gratulatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grundfragen des Kirchenrechts und allgemeine Normen Eduardo Baura Misericordia e diritto nella Chiesa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Salvatore Berlingò Un itinerario di ricerca: Fra “diritto divino” e “diritto silente” . . . . . . . . . . . . .
39
Sabine Demel Recht leben in der Kirche. Voraussetzungen und Herausforderungen . . . . . . . .
49
Stephan Haering Konziliare Ekklesiologie und kanonische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Wilhelm Rees Zwischen Bewahrung und Erneuerung. Zu Entdeckungen und (Weiter-)Entwicklungen im Recht der römisch-katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
Javier Otaduy Actitudes del intérprete de la ley canónica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
Thomas Schüller Optima regula interpretationis iuris?! C. 6 § 2 CIC und die Interpretation kirchlicher Rechtsnormen in der Spannung von geltendem Recht und traditio canonica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
Thomas Amann Wahlen als Anforderung in Demokratie und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
Marcus Nelles Ius semper evolutivum? Überlegungen zur Rechtsentwicklung am Beispiel der facultas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
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Inhaltsverzeichnis
Franz Kalde Klaus Mörsdorf als Bräutigam. Der Umgang mit fehlerhaften Personennamen im Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189
Leben und Recht der orientalischen Kirchen Elie Raad The Christian Family in the Middle East: Value and Challenges . . . . . . . . . . .
197
Thomas Mark Németh Die Orthodoxen in der Steiermark und ihre Versuche einer Gemeindegründung im ausgehenden 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
Hubert Kaufhold Zum ostkirchlichen Charakter der Rechtssprache des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
Anargyros Anapliotis Grundlegendes über die Rolle des Patriarchen im Orthodoxen Kirchenrecht, unter besonderer Berücksichtigung des Ökumenischen Patriarchen und des „Patriarchen des Westens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
Juan Ignacio Arrieta Gli ordinariati per i fedeli orientali. Profili istituzionali di una struttura interrituale personale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265
Andriy Tanasiychuk Leggi, decisioni e atti amministrativi del sinodo dei vescovi delle Chiese patriarcali . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281
Markus Müller Die Behinderung des Eparchialsitzes nach dem CCEO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293
Peter Stockmann Die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren – eine einzigartige personale Teilkirche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303
Péter Szabó The Greek Catholic Eparchy of Hajdúdorog Hundred Years after Statistics, Legal Status, Questions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319
Inhaltsverzeichnis
9
Verfassung und Recht des Volkes Gottes Carlo Fantappiè I diritti dei fedeli: una novità del Codex iuris canonici del 1983? . . . . . . . . . . .
339
Antonio Viana La Sede Apostolica impedita per la malattia del Papa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367
Konrad Breitsching Die Papstwahl. Etappen der kirchlichen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381
Stefan Mückl Eligo in Summum Pontificem – Kontinuität im Wandel: Das Recht der Papstwahl speziell im 20. und 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
399
Juan Fornés Las circunscripciones personales en la organización de la Iglesia . . . . . . . . . . .
419
Giorgio Feliciani Missione e funzioni della Conferenza Episcopale Italiana secondo Papa Francesco. Profili istituzionali . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
431
Norbert Lüdecke Entfernung von Diözesanbischöfen. Kanonistische Erinnerung an den exemplarischen Fall „Bischof Gaillot“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
451
Severin J. Lederhilger Die pfarrliche Residenz- und Präsenzpflicht angesichts der Neugestaltung der Territorialseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
Heribert Hallermann Seelsorger oder Verwalter? ¢ Überlegungen zur Entlastung des Pfarrers von Verwaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
531
Nikolaus Schöch Kanonistische Überlegungen zum Pfarrgemeinderat mit dreifacher Funktion: Gremium zur Koordinierung des Laienapostolats – Pastoralrat – Vermögensverwaltungsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
549
Bernhard Sven Anuth Gottgeweihte Jungfrauen in der römisch-katholischen Kirche. Kanonistische Bemerkungen zu einer spezifisch weiblichen Lebensform . . . . . . . . . . . . . . . .
569
10
Inhaltsverzeichnis
Kirchlicher Verkündigungs- und Heiligungsdienst Reinhard Knittel Fehlt der pastoralen Lehrverkündigung von Papst und Bischöfen ein eigenständiger Grad der lehramtlichen Verbindlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
597
Christoph Ohly Evangelisierung und Katholische Universität. Kirchenrechtliche Überlegungen zu einem aktuellen Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
609
Myriam Wijlens Eucharistiegemeinschaft mit anderen Christen. Vom Verbot mit Ausnahmen zur Erlaubnis unter Bedingungen als Folge vertiefter ekklesiologischer Einsichten
625
Carlos José Errázuriz M. Considerazioni sul rapporto tra il sacramento della penitenza e il diritto nella Chiesa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
651
Winfried Haunerland Pastoralchemie und Requisitenkunde. Anmerkungen zu einem liturgierechtlichen Desiderat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
665
Vermögens-, Arbeits- und Urheberrecht Jesús Miñambres La responsabilità canonica degli amministratori dei beni della Chiesa . . . . . . .
681
Rüdiger Althaus Die Vermögensverwaltung auf diözesaner Ebene in Deutschland – oder: Impressionen einer Nichtrezeption des CIC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
699
Dominicus M. Meier Organe der klösterlichen Vermögensverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
719
Burkhard Josef Berkmann Karitative Organisationen zwischen kirchlicher Autorität und Autonomie . . . .
739
Stefan Ihli Werkvertrag auf dem Wege der Gestellung? Anmerkungen zu einem Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
777
Ulrich Rhode Als es noch keine kirchlichen Arbeitsgerichte gab. Der Rechtsschutz bei Streitigkeiten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts in der Zeit von 1971 bis 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
799
Inhaltsverzeichnis
Elmar Güthoff Das Urheberrechtsgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 19. März 2011 . . .
11
823
Kirchliches Prozessrecht Alejandro W. Bunge Corso rato e non consumato: Fase iniziale diocesana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
837
Matthias Pulte Die Formulierung der Prozessfrage im kanonischen Eheprozess – Nur eine Altlast aus dem römischen Legisaktionsprozess? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
849
Joaquín Llobell Il diritto al doppio grado di giurisdizione nella procedura penale amministrativa e la tutela della terzietà della “Feria IV” della Congregazione per la Dottrina della Fede. A proposito del Rescritto “ex audientia Sanctissimi” del 3 novembre 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
863
Aus der Katholischen Theologie Judith Hahn Gott vor Gericht. Ein Beitrag zur Gerichtstheologie vor dem Hintergrund der Theodizeeproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
887
Andreas Wollbold „Wahrer Gott und wahrer Mensch“ – Christologie und Pastoral . . . . . . . . . . . .
909
Peter Fonk Die Patientenverfügung im Schnittpunkt von Ethik, Medizin und Recht . . . . .
925
Ludger Schwienhorst-Schönberger Ehe und Ehescheidung vom Beginn der Schöpfung her gesehen . . . . . . . . . . .
949
Andreas Weiß Wie unauflöslich ist die Ehe? Zum Umgang der Kirchen mit Scheidung und Wiederheirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
981
Staat und Kirche Yves Kingata Heiliger Stuhl und Vereinte Nationen. Bedeutung und Tragweite der Ansprachen der Päpste vor der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019
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Inhaltsverzeichnis
Felix Bernard Entweltlichung der Kirche – Anmerkungen zum Verhältnis von Kirche und Staat in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils . . . . . . . . . . . . . . . . 1035 Georg Bier Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche und die kirchlichen Dienstverhältnisse. Anmerkungen zu einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . 1045 Martin Rehak Taufbuchberichtigung durch staatliche Gerichtsurteile? Anmerkungen zum Urteil des Amtsgerichts Hagen, Az.: 10 C 187/12, vom 9. Juli 2012 . . . . . . . . 1069 Hugo Schwendenwein Die vereinsrechtliche Bestimmung des österreichischen Konkordates und das katholische Vereinswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105 Martin Grichting Zur Reformbedürftigkeit des Schweizer Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1123 Adrian Loretan Der Jesuitenartikel in den Schweizer Bundesverfassungen von 1848 und 1874 – Ein rechtshistorischer Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1137 Bibliographie Helmuth Pree . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1151 Mitarbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1175
Grußwort Prof. Dr. Dr. Helmuth Pree feiert am 3. Mai 2015 seinen 65. Geburtstag, und wird aus diesem Anlass mit dieser Festschrift Ius quia iustum geehrt. Die stattliche Anzahl von weit über 50 Beiträgen zeigt, dass es zusammen mit beiden Herausgebern Vielen ein Anliegen ist, Prof. Helmuth Pree zu würdigen. Gern reihe ich mich mit diesem Grußwort in diesen Kreis ein, um dem Jubilar zu danken und ihm meine Wertschätzung auszusprechen für sein langjähriges fruchtbares Wirken als Kirchenrechtler in München am namhaften Kanonistischen Institut „Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik“, das seit 2001 den Namen eines seiner Vorgänger trägt. Als Lehrstuhlinhaber war Prof. Helmuth Pree vor allem für die theologische Grundlegung des Kirchenrechts, für allgemeine Normen und Verfassungsrecht sowie für orientalisches Kirchenrecht zuständig. Für diese Inhalte zeichnet er seit 2004 verantwortlich. Seine zahlreichen Publikationen zeigen eine bewundernswerte Bandbreite auf. Als gelernter Jurist geht Prof. Helmuth Pree nüchtern an die Zusammenhänge heran. Sein Blick auf das Kirchenrecht unter juristischem Blickwinkel erlaubt es ihm, das zu verwirklichen, was sich mancher Wissenschaftler und akademische Lehrer wünscht, über den berühmten Tellerrand hinauszublicken. Es tut dem Kirchenrecht gut, wenn man über die aktuelle Gesetzesmaterie hinaus den Blick weitet zur theologischen Grundlegung des Kirchenrechts, wenn man rechtshistorische Fragestellungen mit einbezieht, wenn man über das römisch-katholische Kirchenrecht auf das Ostkirchenrecht blickt, wenn man als deutschsprachiger Kanonist die internationale Bühne nicht scheut. All das macht Prof. Helmuth Pree zu einem anerkannten Kirchenrechtler. Es führt dazu, dass in der Autorenliste der ihm zugeeigneten Festschrift Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschsprachigen wie aus dem internationalen Raum vertreten sind, dass auch katholische Theologen, die keine Kirchenrechtler sind, ihren Beitrag platzieren, ebenso selbstverständlich wie Kirchenrechtler verschiedener „Schulen“ und Herkünfte ihre Themen beisteuern. Prof. Helmuth Pree hat auch über das Institut und die Fakultät hinaus Verantwortung übernommen: Acht Jahre lang war er Vizepräsident der internationalen Vereinigung Consociatio Internationalis Studio Iuris Canonici Promovendo. Zwei Arbeitsperioden lang war er Mitglied in der Rechtskommission des Verbandes der Diözesen Deutschlands, eine durchaus praxisrelevante Tätigkeit für die verfasste Kirche in Deutschland. Er ist überdies Konsultor des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte.
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Grußwort
Prof. Helmuth Pree scheut sich nicht, sich mit aktuellen, wie mit brisanten Themen zu beschäftigen. Dabei kommt ihm zugute, dass er akribisch und sorgfältig ohne Vorurteile auf das jeweilige Thema schaut. So werden seine Abhandlungen nie reißerisch; sie sind solide, klar und unverstellt formuliert und bleiben gleichzeitig immer vornehm und höflich, eine Eigenschaft, die man gern darauf zurückführt, dass Prof. Helmuth Pree ein gebürtiger Österreicher ist. Wir hoffen auf viele weitere Produkte seiner Schaffenskraft und wünschen Gottes Segen. Kardinal Reinhard Marx Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Grußwort Ius quia iustum. Der Titel dieser Festschrift zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Prof. Dr. Dr. Helmuth Pree ist treffend gewählt. Denn der mit dieser Festschrift Geehrte hat sich im Lauf seiner wissenschaftlichen Tätigkeit vor allem mit den Grundfragen des Rechts in der Kirche auseinandergesetzt und vor diesem Hintergrund Einzelfragen der Kirchenrechtswissenschaft und der Beziehung des kirchlichen zum weltlichen Recht behandelt. Seinen Studenten in Linz, Passau, München, Rom sowie im europäischen und außereuropäischen Ausland konnte er so in mehr als dreißig Jahren als akademischer Lehrer einen profunden Einblick in das Recht der Kirche vermitteln, das seinen Ausdruck zwar in der einzelnen Norm findet, seinen Grund aber in der je höheren Gerechtigkeit hat, zu der Jesus die Verantwortlichen und die Gläubigen in der Kirche einlädt. Die Forschungsschwerpunkte des Geehrten und die Internationalität seines Wirkens als akademischer Lehrer und als langjähriger Vizepräsident der Consociatio Internationalis Studio Iuris Canonico Promovendo spiegeln sich im Inhalt dieser Festschrift wider. Autoren u. a. aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien, Ungarn und Italien widmen sich nicht nur aktuellen Themen der Kirchenrechtswissenschaft, sondern auch jenen Grundfragen, welche das Wirken von Prof. Pree geprägt haben: der Rechtsentwicklung, dem Zusammenhang zwischen Barmherzigkeit und Recht, den Rechten der Gläubigen, dem göttlichen Recht, der Interpretation des Rechts, usw. Das Grußwort zu dieser Festschrift ist für mich eine sehr willkommene Gelegenheit, Prof. Dr. Dr. Helmuth Pree für die langjährige fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte zu danken. Immer wieder hat er bei wichtigen Fragen bedeutende Gutachten angefertigt und ist seit seiner Ernennung zum Konsultor durch Papst Benedikt XVI. dem Wirken unseres Dikasteriums noch enger verbunden. Ich danke den Herausgebern und Autoren dieser Festschrift für ihre Mühen, wünsche dem Werk eine geneigte Leserschaft und dem Geehrten einen fruchtbaren Ruhestand. Ad multos annos! Francesco Card. Coccopalmerio Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte
Tabula Gratulatoria Ahlers, Reinhild, Dr.theol., Lic.iur.can., Professorin für Kirchenrecht an der PhilosophischTheologischen Hochschule der Kapuziner Münster, Lehrbeauftragte am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster, Leiterin der Abteilung Kirchenrecht und der Stabsstelle Beschwerdemanagement im Generalvikariat Münster, Richterin am Offizialat Münster. Aymans, Winfried, Dr.iur.can., Professor em. für Kirchenrecht, insbesondere für Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, allgemeine Normen und Verfassungsrecht sowie für orientalisches Kirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Backhaus, Knut, Dr.theol.habil., Professor für Neutestamentliche Exegese und biblische Hermeneutik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission. Bischof, Franz Xaver, Dr.theol.habil., Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Bittner, Claus, Lic.iur.can., Offizial des Bistums Passau, Domkapitular. Breitsameter, Christof, Dr.theol.habil., Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Dennemarck, Bernd, Dr.iur.can., Dipl.-Theol., M.A., Privatdozent für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, Lehrbeauftragter am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster, Leiter der Stabsstelle Kirchenrecht im Ordinariat Eichstätt, Richter am Offizialat Eichstätt. Eder, Joachim, Dr.theol., Lic.iur.can., Beisitzender Richter am Kirchlichen Arbeitsgerichtshof, ehemaliger Vorsitzender der Bayerischen Regional-KODA und der Zentral-KODA, Neuburg/Inn. Ernst, Stephanie, Dr.theol., Privatdozentin für Alttestamentliche Theologie an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität München. Ferme, Brian Edwin, Dr.theol., Dr.iur.can., Sekretär des Päpstlichen Wirtschaftsrates, Professor em. für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht Hl. Pius X. am Studium Generale Marcianum in Venedig. Gaß, Erasmus, Dr.theol.habil., Professor für Biblische Einleitung und Biblische Hilfswissenschaften an der Theologischen Fakultät Trier. Geringer, Karl-Theodor, Dr.theol., Lic.iur.can., Professor i.R. für Kirchenrecht, insbesondere für Ehe-, Prozess- und Strafrecht sowie Staatskirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München, Richter am Konsistorium Augsburg. Guth, Hans-Jürgen, Dr.theol.habil., apl. Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, freier Mitarbeiter am Institut für Religionsrecht der Universität Freiburg/Schweiz, Dekanatsreferent der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
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Tabula Gratulatoria
Heim, Manfred, Dr.theol.habil., Professor für Bayerische Kirchengeschichte an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität München. Henseler, Rudolf CSsR, Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule SVD St. Augustin. Hilpert, Konrad, Dr.theol.habil., Professor i.R. für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Hirnsperger, Johann, Dr.theol., Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz. Kalb, Herbert, Dr.iur., Dr.phil., Professor für Rechtsgeschichte und Kirchenrecht/Staatskirchenrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Linz, Vizerektor für Lehre der Universität Linz. Kany, Roland, Dr.phil., Dr.theol.habil., Professor für Kirchengeschichte des Altertums und Patrologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Kaptijn, Astrid, Dr.iur., Dr.iur.can., Professorin für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz, Vizerektorin der Universität Freiburg/ Schweiz. Kleinschwärzer-Meister, Birgitta, Dr.theol.habil., Juniorprofessorin für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Koncsik, Imre, Dr.theol.habil., Privatdozent für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, a.o. Professor am Institut für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz. Konrad, Sabine, Dr.theol., Akademische Rätin im Fach Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Kreiner, Armin, Dr.theol.habil., Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Kuhn, Alexander, Dipl.-Theol., M.A., Richter am Offizialat Bamberg. Landersdorfer, Anton, Dr.theol.habil., Professor für Kirchengeschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau. Leimgruber, Stephan, Dr.theol.habil., Lic.phil., Professor i.R. für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Lüdicke, Klaus, Dr.iur.can., Dipl.-Theol., Ass.iur., Professor i.R. für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, Richter am Offizialat Münster. Mandrella, Isabelle, Dr.phil.habil., Professorin für Philosophie und philosophische Grundfragen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, Frauenbeauftragte der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Michl, Silvia Andrea, Dipl.-Theol., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Mödl, Ludwig, Dr.theol., Professor i.R. für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München.
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Mühlsteiger, Johannes SJ, Dr.theol.habil., Lic.iur.can., Professor em. für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Müller, Ludger, Dr.theol., Dr.iur.can.habil., Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Richter am Offizialat St. Pölten, Konsultor des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte. Neuner, Peter, Dr.theol.habil., Professor i.R. für Dogmatik und Ökumenische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Oster, Stefan SDB, Dr.theol.habil., Bischof von Passau. Paarhammer, Hans, Dr.theol.habil., Mag.theol., Professor für Kirchenrecht an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Salzburg, Richter am Diözesangericht Linz, Domkapitular. Platen, Peter, Dr.theol, Lic.iur.can., apl. Professor für Kirchenrecht am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster, Ltd. Rechtsdirektor i. K., Leiter der Abteilung Kirchliches Recht in der Zentralstelle des Ordinariates Limburg, Diözesanrichter am Offizialat Limburg, Beisitzender Richter (Dienstgeberseite) des Kirchlichen Arbeitsgerichts erster Instanz für die Bistümer Limburg, Mainz, Speyer und Trier. Pöschl, Hubert, Dr.theol., Richter am Konsistorium Passau, Diakon. Potz, Richard, Dr.iur., Professor em. für Rechtswissenschaft an der Juristischen Fakultät der Universität Wien. Raith, Ronny, Dr.iur.can., Rechtsanwalt, Deggendorf. Riegger, Manfred, Dr.theol.habil., Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München (Lehrstuhlvertretung), apl. Professor für Didaktik des katholischen Religionsunterrichts und Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Schäfer, Christian, Dr.phil.habil., Professor für Philosophie an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Universität Bamberg. Schmitz, Heribert, Dr.iur.can., Professor em. für Kirchenrecht, insbesondere Verwaltungsrecht sowie Kirchliche Rechtsgeschichte am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Selge, Karl-Heinz, Dr.theol.habil., Lic.iur.can., DEA en droit canonique, Privatdozent für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Pázmány Péter in Budapest, Offizialsrat, Richter am Diözesan- und Metropolitangericht Paderborn. Stipp, Hermann-Josef, Dr.theol.habil., Professor für Alttestamentliche Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Stubenrauch, Bertram, Dr.theol.habil., Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Vogt, Markus, Dr.theol.habil., Professor für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Wächter, Lothar, Dr.iur.can., Dipl.-Theol., Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Fulda, Offizial des Bistums Fulda, Leiter der Stabsstelle Kirchenrecht im Generalvikariat Fulda, Domkapitular.
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Walser, Markus, Dr.iur.can., Lic.theol., B.A.phil., Dozent für Kirchenrecht an der Theologischen Hochschule Chur, Generalvikar und Offizial des Erzbistums Vaduz, Richter am Offizialat Chur, Konsultor der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Weber, Margit, Dr.theol., Akademische Direktorin am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München, Frauenbeauftragte der Universität München. Weitlauff, Manfred, Dr.theol.habil., Professor i. R. für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München. Witsch, Norbert, Dr.theol.habil., Privatdozent für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz, Hochschulreferent am Dezernat Schulen/Hochschulen: Fort- und Weiterbildung des Bistums Mainz. Wolf, Lorenz, Dr.iur.can., Dipl.-Theol., Leiter des Katholischen Büros Bayern, Offizial des Erzbistums München und Freising, Domdekan.
Grundfragen des Kirchenrechts und allgemeine Normen
Misericordia e diritto nella Chiesa Eduardo Baura
I. Il trinomio rigor, ius e dispensatio E’ facilmente constatabile la necessità della giustizia quale base ineludibile per la costruzione di una convivenza umana pacifica, ma è altrettanto verificabile l’esigenza della presenza della misericordia e delle altre virtù riconducibili alla benignitas per rendere veramente umana una società. La riflessione profonda sul diritto, infatti, sboccia ineluttabilmente nella questione sui limiti della giustizia.1 Non desta meraviglia, perciò, che fin dagli albori della scienza canonistica sia emerso il problema del rapporto tra giustizia e misericordia. Infatti, già nel Decreto di Graziano, nel raccogliere i testi giuridici del primo millennio, appaiono le parole humanitas, benignitas, charitas, misericordia per esprimere la necessaria correzione del rigor iuris. Di particolare interesse è un passo di sant’Agostino, raccolto nel Decreto, in cui il vescovo di Ippona ricorda che la norma ecclesiastica non è stabilita perché si disperi del perdono, ma per mantenere in vigore alcuni principi (“non disperatione indulgentiae, sed rigore factum est disciplinae”), i quali talvolta devono essere mitigati affinché la carità guarisca mali più gravi (“detrahendum est aliquid severitati, ut maioribus malis sanandis caritas subveniat”).2 E’ proprio commentando questo passo allorché la Glossa ordinaria al Decreto riporta il celebre trinomio – che sarà posteriormente oggetto frequente di riflessione – composto dal rigor, ius e dispensatio. Il rigor iuris viene considerato in una prima analisi come un eccesso di diritto, sebbene non esulerebbe dai limiti giusti qualora si temesse l’esempio cattivo oppure quando il rigore non sarebbe in realtà altro che la subtilitas iuris. La dispensatio – che in molti testi classici viene usata come sinonimo della misericordia oppure nell’espressione dispensatio misericordiae3 – sarebbe una iuris relaxatio, che non deve essere usata 1
Cfr. Josef Pieper, Sulla giustizia, Brescia 1956, pp. 85 – 96. Cfr. Agostino, Ep. 185 de correctione donatistarum (in: PL 33, coll. 792 – 815). Il passo citato è raccolto in D.50 c.25. Ivo di Chartres commenta diffusamente alcuni passi di questa lettera nel Prologo al suo Decreto, il quale costituisce quasi un piccolo trattato sulla dispensatio (cfr. PL 161, coll. 47 – 60). 3 “Dispensatio misericordiae” è proprio il testo del Decreto (C.1 q.7 d.a. c.6) commentato da Rufino per offrire la definizione di dispensa – a cui attingerà la canonistica posteriore – quale specifico istituto con cui l’autorità può concedere un’eccezione alla legge: “iusta causa 2
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se non quando lo richieda la necessità o l’utilità. Infine, lo ius, che si troverebbe a metà strada tra il rigore e la dispensa, sarebbe l’equità, l’uguaglianza, il risultato della giustizia: “hoc debet iudex semper observare”, conclude la Glossa.4 La divisione tripartita ora riportata è stata spesso richiamata da parte degli autori dell’epoca classica del diritto canonico. Il rigore e l’eccezione misericordiosa vengono presentati da questi canonisti come soluzioni estreme, piuttosto eccezionali. Esse non si escludono, ma devono concorrere delle circostanze che le giustifichino. Lo ius, che non di rado viene anche denominato aequitas, non solo costituirebbe la regola generale, ma si afferma perfino che esso deve essere sempre tenuto in considerazione, onde si dovrebbe concludere che lo ius (o aequitas) deve essere presente anche nei casi eccezionali dell’applicazione rigorosa o dell’eccezione misericordiosa, in quanto non sarebbe incompatibile con queste soluzioni. L’analisi dei tre elementi del trinomio messo a fuoco dalla canonistica classica può costituire la falsariga per approfondire il rapporto tra diritto e misericordia nella Chiesa, quasi facendo una glossa alla Glossa.
II. Il rigor iuris Il rigore inteso quale “eccesso” del diritto sarebbe a rigore qualcosa che esula dal diritto, che travalica i suoi limiti, e in ciò che ha di sovrappiù non sarebbe giusto. I diritti hanno dei confini ben precisi. L’arte del giurista consiste proprio nell’indicare i limiti dei diritti di ognuno, non bastando una segnalazione approssimativa dei diritti esistenti. Bisogna dare a ciascuno il suo diritto, ma il dovere di giustizia (il dovere giuridico) riguarda esclusivamente il diritto entro i propri confini. Pretendere di ricevere come diritto ciò che esula dal diritto sarebbe ingiusto. Questo “eccesso” di diritto avverrebbe nel caso dell’abuso (ab-uso) del diritto e dell’abuso del potere, fenomeni sui quali esiste un’abbondante letteratura. In realtà, l’abuso di potere si trova in qualche modo in molte delle cause di illegittimità degli atti amministrativi, e talvolta può essere la ragione specifica per impugnare un atto emanato dall’autorità amministrativa. faciente ab eo, cuius interest, canonici rigoris casualis facta derogato” (Summa decretorum, ed. H. Singer [Paderborn 1902 = Aalen 1963], ad C.1 q.7 d.a. c.6, p. 234). 4 Ecco il testo commentato della Glossa: “Et nota quod aliud est rigor, aliud est ius, aliud est dispensatio. Rigor est quidam excessus iuris, et quaedam austeritas facta ad terrorem, secundum quod dicit canon, quod poenitentia imponitur contrahenti secundas nuptias et quod communio non est danda etiam in fine vitae his, qui defecerunt in accusatione clericorum, hoc est, Episcoporum et rigor non est servandus, nisi ubi timetur exemplum mali quandoque tamen rigor est idem, quod subtilitas iuris. Dispensatio est idem, quod iuris relaxatio: et ea non est utendum nisi sit necessitas, vel utilitas. Ius autem media strata incedit inter rigorem, et dispensationem. Additio. Dicit Hugo idem, s. quod rigor non est ius, immo est iuris excessus in austeritate. Ius autem est aequitas, id est aequalitas, ius suum unicuique tribuens, bonis praemia, malis supplicia: hoc debet iudex semper observare” (D.50 c.25 gl. v. detrahendum est).
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Il rigor iuris, inteso come un eccesso, sarebbe presente anche nel formalismo rigido che privilegerebbe la forma esterna alla sostanza, dimenticando che la prima deve la sua importanza al fatto di essere garanzia e dimostrazione della seconda. Il rigore sarebbe “eccessivo” anche quando, dovendo fare un’eccezione alla norma generale in base all’epicheia (intesa in senso stretto, cioè come la soluzione secondo i principi più alti della giustizia, pur contraria alla regola data ut in pluribus), si applica invece la regola generale positiva: ci sarebbe un rigor legis a scapito dello ius esistente nel caso singolo. Il rigor iuris, nel senso di “eccesso” del diritto, è chiaramente da evitare in ogni caso, proprio perché sarebbe in realtà contrario al diritto, ingiusto: “rigor non est ius, immo est iuris excessus in austeritate”5. In questo senso si può comprendere la massima summum ius, summa iniuria, che, nella sua accezione letterale, è una contradictio in terminis, ma che vuole chiaramente significare che l’eccesso del diritto, servendosi pure del diritto stesso, comporta una lesione della giustizia. Altro è il rigor iuris nel senso della soluzione pesante, dura, ma giusta. L’“austeritas facta ad terrorem” viene giustificata dalla necessità di evitare l’“exemplum mali”, per usare espressioni della Glossa al Decreto. Il prototipo del rigor iuris inteso in questo modo è la sanzione penale, la quale è in sé stessa necessaria e giusta per difendere i diritti dell’eventuale vittima e quelli della comunità (come si è venuto a riscoprire nella Chiesa negli ultimi anni, sebbene la sensibilità comune restringa indebitamente la tipologia delittuosa a solo un tipo di crimine, per quanto esso sia certamente uno di quelli più orrendi). Questo tipo di rigor iuris, per quanto gravoso, è giusto e quindi va applicato, benché in una società sana dovrebbe essere un provvedimento piuttosto eccezionale. Esiste anche il rigore corrispondente alla “subtilitas iuris”. Si tratta di soluzioni gravose per un soggetto, apparentemente troppo rigorose, ma necessarie per rispettare i diritti di altri. Gli esempi potrebbero essere tanti, ma basterebbe qui considerare la necessità di rimuovere da un ufficio ecclesiastico – pur trattandosi di una soluzione molto onerosa per l’interessato sul piano dell’onore, della professionalità e forse anche su quello economico – onde rispettare il diritto di un’intera comunità ad avere pastori idonei. Anche questo tipo di rigore va certamente applicato, altrimenti si recherebbe un danno ingiusto nei confronti dei titolari dei diritti coinvolti.
III. La misericordiae dispensatio e l’oikonomia La menzionata espressione “dispensatio misericordiae” mette in rilievo come alle origini la parola dispensatio fosse usata nel suo significato di amministrazione,
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Cfr. supra, nt. precedente.
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distribuzione, ed applicata precisamente all’elargizione della misericordia.6 Posteriormente, con l’impulso dato dalla decretistica alla scienza canonica, si andò via via consolidando la terminologia tecnica fino a riservare la parola dispensatio all’istituto canonico consistente nell’esonero da un obbligo legale rilasciato dall’autorità competente in un caso singolare a motivo di una causa giustificante l’eccezione alla regola generale, rimanendo questa in vigore per la generalità dei casi.7 La dispensa dalla legge, nel senso tecnico, sarebbe l’istituto più emblematico, ma non l’unico, dei provvedimenti presi dall’autorità ecclesiastica manifestanti la misericordia. L’idea contenuta nell’espressione latina dispensatio misericordiae si avvicina a quella espressa dagli orientali con il termine oikonomia.8 Non esiste una definizione autentica o unanimemente riconosciuta sull’oikonomia, ma si può affermare che il termine vuole far riferimento al principio ispiratore – riverbero in qualche modo dell’economia divina relativa al piano salvifico dell’uomo – dell’attività dell’autorità ecclesiastica allorquando essa prende un provvedimento in un caso eccezionale discostandosi dall’applicazione stretta dei canoni.9 L’economia ha sempre come limite la verità del dogma, sebbene alcuni autori ortodossi si richiamino all’“interpretazione” del dogma, onde poter tollerare alcune soluzioni, quale quella più nota relativa all’ammissione del divorzio.10 Questa concezione della misericordia o economia si presenta, almeno apparentemente, in quanto agli effetti prodotti, come contrapposta al rigore del diritto. Si tratta, infatti, di realizzare un’eccezione a ciò che costituirebbe la regola generale. Perciò la dottrina canonistica ha riflettuto sulla misericordia in occasione dell’istituto della dispensa, sottolineando che essa deve essere causalis et casualis: è essenziale che vi sia una causa giusta, una causa cioè giustificante l’eccezione, da applicare in un singolo caso particolare, il quale dovrà per forza rivestire le caratteristiche dell’eccezionalità rispetto ad una regola comune che rimane invariata per la generalità dei casi.
6 Rispecchia questo significato, ancora non preciso sotto il profilo tecnico, una celebre decretale di Innocenzo III in cui si afferma che la Chiesa “propter diuturnitatem temporis quodammodo dispensando dissimulat et dissimulando dispensat” (3 Comp. 4.13.2). 7 Cfr. Eduardo Baura, La dispensa canonica dalla legge, Milano 1997, pp. 7 – 33. 8 Cfr. Salvatore Berlingò, La causa pastorale della dispensa, Milano 1978, pp. 13 – 98. 9 Nell’ambito cattolico, durante i lavori di preparazione del vigente Codice dei canoni delle Chiese orientali, vennero avanzate proposte di definizione dell’economia, che non arrivarono però in porto. Cfr. Elias Jarawan, Révision des canons De normis generalibus – Canons préliminaires au Code tout entier, in: Nuntia 10 (1980), pp. 92 – 94 e Ivan Zuzek, L’économie dans les travaux de la Commission Pontificale puor la Révision du Code de Droit Canonique Oriental, in: Kanon 6 (1983), pp. 67 – 83. 10 Cfr. Pablo Gefaell, s.v. Oikonomia, in: Javier Otaduy/Antonio Viana/Joaquín Sedano (a cura di), Diccionario General de Derecho Canónico, vol. V, Cizur Menor 2012, pp. 695 – 700 e l’abbondante bibliografia ivi citata.
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La causa giusta è l’elemento determinante la legittimità e opportunità della dispensa affinché essa, che è un vulnus legis, non costituisca un vulnus iustitiae. Proprio in considerazione della causa la canonistica classica ha diviso la dispensa in proibita, permessa e dovuta. Parafrasando un testo di san Raimondo da Peñafort, si può dire che la dispensa proibita sia quella che non si può rilasciare senza una “manifesta decoloratione ecclesiae”, il che accadrebbe ogniqualvolta non esista una giusta causa.11 Prescindendo qui dalla questione sulla validità ed efficacia giuridica di una dispensa senza causa, interessa ora evidenziare come la dottrina abbia sempre demonizzato l’abuso di potere con cui si rilascia una dispensa ingiusta. La dispensa permessa sarebbe quella che appare consigliabile a motivo di certe circostanze da valutare dalla stessa autorità. I motivi giustificanti l’eccezione alla legge riconducono alla fin fine all’utilitas Ecclesiae e alla salus animae. Nel giudicare i motivi di opportunità, l’autorità competente gode di un potere di discrezionalità limitato dagli stessi criteri oggettivi che consentono di qualificare una dispensa come proibita o dovuta. Infine, come è stato segnalato, i classici non esitavano a parlare di una dispensa dovuta. Parlare di una causa giusta che rende la dispensa dovuta in un caso eccezionale riecheggia la dottrina dell’epicheia aristotelico-tomista: nel rifarsi ai principi più alti della giustizia è possibile giungere in un caso eccezionale ad una soluzione diversa da quella prevista astrattamente dalla regola generale. Una mentalità legalista non può comprendere come possa essere possibile affermare la legittimità, anzi la necessità giuridica, di una soluzione diversa dalla legge. Ciò si può capire soltanto se si parte dalla constatazione del fatto che la legge umana è una regola generale astratta, cioè che non tiene conto delle circostanze peculiari individuali, dalle quali invece sorgono esigenze di giustizia.12 Come il rigor iuris consistente nell’eccesso di diritto non è in realtà diritto, così anche si può affermare che la dispensa dovuta non è a rigore una dispensatio misericordiae, in quanto ci sarebbe uno ius a ricevere l’esonero dall’obbligo legale 11
“Item nota quod dispensatio: alias est debita, alias prohibita, alias permissa. Debita est, ubi multorum scandalum timetur […] Item debita est ratione temporis, vel personae, vel pietatis, vel necessitatis, vel utilitatis, vel eventus rei. Licet autem debita sit ex causis praedictis, et peccet praelatus non dispensando, tamen subditi non possunt petere. Sicut episcopatus debetur meliori de ecclesia, non tamen potest eum petere. Prohibita est dispensatio ubicumque non potest fieri sine manifesta decoloratione ecclesiae. Item ubicumque non subest iusta causa dispensandi. Et permissa etiam videtur aliquando dispensatio. Item episcopus qui sine iusta causa dispensat” (Raimondo da Peñafort, Summa de iure canonico [ed. Xavier Ochoa/Aloisius Díez, Roma 1975], II, 27, 6, coll. 143 – 144). La distinzione tra la dispensa proibita e quella permessa non appare molto precisa perché sembra che utilizzi l’espressione “iusta causa” in senso non univoco. Pare che Raimondo intenda dire che la dispensa proibita è quella che non ha nessuna causa che la giustifichi, mentre quella permessa sarebbe la dispensa che, pur avendo una causa giustificante, non ne ha però una che obblighi l’autorità a dispensare (mentre prima ha detto che la dispensa dovuta è quella che fa sì che il prelato pecchi se non dispensa). 12 Cfr. Aristotele, Etica Nichomachea, libro V, n. 10.
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che in un caso eccezionale sarebbe diventato ingiusto. Il rilascio di una dispensa dovuta non è, insomma, un atto di misericordia, bensì una iustitiae dispensatio. Le considerazioni circa la convenienza e legittimità dell’eccezione alla legge mettono in luce come l’eccezionalità del provvedimento dispensatorio sia essenziale. La dispensa, infatti, è un atto che mira a risolvere un caso concreto, ed è possibile in attenzione alle peculiarità della fattispecie, mentre la regola generale continua a valere per i casi comuni. La caratteristica dell’eccezionalità deve essere presente in tutti i provvedimenti singolari che contraddicono la regola generale, non solo nel rilascio della dispensa. Sarebbe un disordine, un controsenso, pretendere di venire in contro ad un problema comune o molto ricorrente nella società mediante provvedimenti eccezionali.13 In tali casi occorre avere la determinazione di cambiare la legge, e se ciò non fosse possibile perché andrebbe contro principi dogmatici, allora occorrerebbe chiedersi se le dispense da tali leggi non sarebbero quelle che i classici chiamavano proibite. La valutazione della causa e dell’eccezionalità della singola fattispecie fanno vedere come il rilascio della dispensa sia un atto prudenziale, proprio perché non si tratta dell’applicazione quasi meccanica di una regola generale, ma al contrario, bisogna cogliere le esigenze del caso concreto, cercando di comprendere in
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Ci sono provvedimenti singolari che non contengono un esonero o una sospensione di una legge, ma comportano in qualche modo un’eccezione ad una regola o criterio generale, in modo tale che recherebbe un danno al principio generale superiore se tali provvedimenti diventassero una prassi abituale. Per esempio, i privilegi praeter legem, pur non essendo direttamente contrari ad una legge, devono rimanere per pochi casi singolari, altrimenti non si capirebbe perché non esista una legge che preveda la possibilità di quelle soluzioni. La stessa cosa varrebbe per le soluzioni previste per la supplenza: se esse diventano abituali vuol dire che manca o che non si sta usando il bene principale supplito. Perfino le norme generali che contengono però un’eccezione ad una regola più generica devono essere interpretate in modo stretto (c. 18 CIC/1983). In ambito matrimoniale, andrebbe avvertito il fatto che le dichiarazioni di nullità, pur non essendo, evidentemente, contrarie alla legge, sono di natura eccezionale rispetto alla normalità consistente nel presupporre che una celebrazione formale di matrimonio ha costituito un vincolo matrimoniale. La dichiarazione di nullità è pur sempre possibile, ma ha di per sé una natura eccezionale rispetto alla regola comune, nonché un qualcosa di traumatico per la comunità e per gli stessi interessati, anche quando sia fortemente desiderato da qualcuno di essi e nonostante non ci sia stata malafede da parte di nessuno, poiché si viene a scoprire la falsità dell’apparenza di un grande bene, quale è il matrimonio, la cui veracità è fortemente garantita da una forma solenne ad validitatem. Perciò, al di là della correttezza o meno con cui si pronunciano le sentenze di nullità del matrimonio, il solo fatto che vi sia un elevato numero di sentenze di nullità rende il sistema matrimoniale canonico paradossale, con il risultato che esso perde credibilità davanti ai fedeli e al popolo in generale. Senz’altro, appellarsi ai processi di nullità (con l’intenzione di agevolarli o allargarli o semplicemente per utilizzarli come mezzo ordinario) allo scopo di risolvere una situazione generale risulta contraddittorio con i principi basilari che reggono l’intera disciplina ecclesiastica in materia e con i beni che essa protegge: la famiglia basata su un vincolo indissolubile, la fiducia nella celebrazione dei sacramenti e altri valori appartenenti a questo ambito. Gli sforzi pastorali dovrebbero andare piuttosto nel senso di prevenire le nullità.
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profondità la situazione delle persone coinvolte.14 Tra l’altro la stessa parola “dispensare” significa dare, concedere15, ma “pesando” ogni cosa separatamente perché il prefisso “dis” indica distinzione; vale a dire che non si tratta di un semplice dare, ma elargire soppesando, ponderando. Oltre alla prudenza, al momento di provvedere ad una soluzione eccezionale che si discosta dalla norma generale, si richiede anche la giustizia o fedeltà nell’individuare la causa giusta legittimante il provvedimento eccezionale. E’ ricorrente nella canonistica classica rifarsi alle caratteristiche evangeliche del buon amministratore – fidelis ac prudens –, che sono quelle che assicurano che la dispensatio misericordiae non sia dissipatio. Sono celebri le parole di san Bernardo di Chiaravalle, con cui esortava Eugenio III a prendere la giusta decisione, non perché gli fosse proibita la fidelis dispensatio, ma perché doveva evitare la crudelis dissipatio.16 Uno dei criteri prudenziali determinanti l’opportunità o meno del rilascio della dispensatio misericordiae additato dalla dottrina classica è il periculum animae del beneficiato.17 Infatti, l’esercizio della misericordia, oltre a dover soppesare l’utilitas Ecclesiae, deve giovare anzitutto alla salus animae, in modo che non può scambiare la comodità contingente derivata dall’esonero legale con la messa in pericolo della salvezza dell’interessato: l’apparente benignità che mette in rischio la salvezza dell’anima è in realtà una crudelis dissipatio.18 14 Di recente il Papa Francesco ha richiamato l’attenzione sulla necessaria maturità umana del giudice – che vale anche per qualsiasi autorità –, che lo porterà a calarsi nelle esigenze umane concrete; così egli “potrà praticare una giustizia non legalistica e astratta, ma adatta alle esigenze della realtà concreta. Di conseguenza, non si accontenterà di una conoscenza superficiale della realtà delle persone che attendono il suo giudizio, ma avvertirà la necessità di entrare in profondità nella situazione delle parti in causa, studiando a fondo gli atti e tutti gli elementi utili per il giudizio” Francesco, Discorso alla Rota Romana, 24 gennaio 2014 (in press/vatican/va, consultato il 24 gennaio 2014). 15 Cfr. Jan Frederik Niermeyer, Mediae Latinitatis Lexicon Minus, Leiden 1976, p. 341. 16 “Quid?” inquis. “Prohibes dispensare?” Non, sed dissipare. Non sum tam rudis, ut ignorem positos vos dispensatores, sed in aedificationem, non in destructionem. Denique quaeritur inter dispensatores, ut fidelis quis inveniatur. Ubi necessitas urget, excusabilis dispensatio est; ubi utilitas provocat, dispensatio laudabilis est. Utilitas dico communis non propria. Nam cum nihil horum est, non plane fidelis dispensatio, sed crudelis dissipatio est” (Bernardo di Chiaravalle, De consideratione, 3.4.18 [PL 182, col. 769]). 17 Cfr., per esempio, Enrico da Susa, Summa aurea, (Lyon 1537 = Aalen 1962), lib. I, de officio archidiaconi, fol. 62rb e Idem, In quinque Decretalium libros commentaria (Venetiis 1581 = Torino 1965), ad X 3.5.30, fol. 25vb. 18 In ambito matrimoniale ciò può avvenire mediante una “benigna” sentenza di nullità in un caso in cui non constava con certezza la nullità del vincolo, favorendo il desiderio del momento degli interessati ma confondendo la loro coscienza. Naturalmente questo discorso presuppone una prospettiva di fede e una visione della vita umana in chiave di eternità. Concretamente, per valutare il periculum animae di cui parlavano i classici è assolutamente necessaria la fede nell’inferno quale luogo di condanna eterna (cfr. Catechismo della Chiesa Cattolica, nn. 1033 – 1037). Se non si crede in questa verità di fede o la si mette in parentesi oppure si pensa che questa pena sia riservata a pochi responsabili di
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I limiti della dispensatio misericordiae, che rende la dispensa proibita o semplicemente impossibile o inefficace, sono quelli costituiti dal diritto divino, dalle leggi costitutive nonché dall’essenza stessa delle cose. Non si tratta tanto di limiti posti volontariamente alla misericordia, quanto piuttosto dell’impossibilità ontologica di alcune azioni: non si può esonerare da ciò che, comunque sia, continua ad esistere come vincolante, non si può smentire il principio metafisico di non contraddizione. I canonisti medievali spiegavano in modo molto semplice come il potere di dispensa non possa intaccare ciò che oggi si chiamerebbe una legge costitutiva, affermando, a proposito dell’obbligo di povertà dei monaci, che il Papa può togliere la condizione di religioso ad un monaco, in modo tale che costui potrebbe esercitare il diritto di proprietà come qualsiasi laico, ma non può dire che continua ad essere monaco e allo stesso tempo svincolato dal voto di povertà.19 In questa linea di pensiero non si può dimenticare il limite espresso nel brocardo quod factum est infectum fieri non potest. In materia di dispensa, si rende necessario, insomma, distinguere la natura della legge umana da quella divina. La legge umana è una regola estrinseca alle cose da essa regolata, elaborata mediante un’astrazione. Talvolta può capitare che proprio un elemento o una circostanza non considerata nella legge sia determinante per la soluzione del caso concreto, onde la giustificazione della dispensa. Viceversa, la legge divina è creatrice, costitutiva della realtà, agisce all’interno dell’essere delle cose, in modo tale che non è possibile un’eccezione perché sarebbe come pretendere di dire che qualcosa non è ciò che è. Per esempio, non è che esista una regola divina – nel senso di norma positiva astratta e estrinseca alla realtà regolata – secondo cui i matrimoni devono essere indissolubili, ma sta di fatto che Dio ha creato l’uomo e la donna in modo tale che un certo matrimonio concreto, se è davvero matrimonio, è indissolubile. Altro è, però, il modo umano (astratto) di formulare ciò che chiamiamo leggi o principi di diritto divino: la formulazione umana del diritto divino, proprio perché avente la limitatezza dell’astrazione, può essere suscettibile di eccezioni. Come prima affermato, l’attuale istituto giuridico della dispensa non esaurisce le possibilità di misericordia presenti oggi nella prassi giuridica. Il privilegio, per esempio, sia esso praeter o contra legem, può costituire un modo di venire incontro benignamente alle necessità della singola persona. La remissione o la non applicazione di una pena è di per sé la migliore manifestazione di misericordia. I limiti a questi provvedimenti sono soprattutto di carattere “giuridico”, nel senso primigenio del termine, vale a dire non si possono prendere queste decisioni se ledono la giustizia, cioè i diritti altrui (di altri o della stessa comunità). Inoltre, delitti di massa contro l’umanità o addirittura che l’inferno sia in realtà vuoto, ciò che si svuota non è l’inferno in sé ma il dogma e tutto il ragionamento sul comportamento morale. 19 Bernardo da Parma, nella Glossa ordinaria alle decretali di Gregorio IX, aderisce alla sentenza di Vincenzo Ispano e di Giovanni de Deo, i quali “dixerunt, quod Papa non potest dispensare, ut monachus habeat proprium existendo monachus: sed de monacho potest facere non monachus” (X 3.35.6 gl. v. abdicatio proprietatis).
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occorre amministrare la misericordia con giustizia: il perdono dovrà essere elargito dall’offeso (o dal suo rappresentante), senza recare danni ingiusti a terzi e senza praticare la misericordia con accezione di persone. Anche la dissimulatio può costituire una manifestazione di misericordia. Infatti, la dissimulazione, ovvero la finzione da parte dell’autorità di non conoscere l’esistenza di una determinata situazione o azione illegittima, che può quindi continuare di fatto ad esistere, può avere la finalità di evitare la produzione di effetti gravosi nei confronti dell’interessato. Poiché, diversamente dall’istituto della dispensa, non produce nessun effetto giuridico, non pretende cioè di creare un nuovo diritto, la dissimulatio può riferirsi anche a situazioni contrarie al diritto divino, le quali non vengono legittimate ma semplicemente di fatto non sanzionate. Ma anche nell’amministrazione della misericordia attraverso la dissimulazione occorre osservare una condotta fedele e prudente. L’autorità competente deve anche qui realizzare un giudizio prudente per verificare se dissimulando si evitano mali maggiori di quelli che si produrrebbero sanzionando una determinata condotta; in ogni caso non è legittima la dissimulatio che comporta una lesione di diritti di altri o, come può succedere più spesso nel caso della dissimulazione, della comunità.20 Per quanto riguarda la tolleranza, ovvero il non riconoscimento di effetti giuridici di una condotta o situazione ritenuta negativa sotto il profilo morale, va osservato che abitualmente non si tratterà tanto di una questione di misericordia quanto piuttosto di prudenza legislativa oppure della constatazione che una determinata materia sia priva di rilevanza giuridica.21 Così, la depenalizzazione di qualche condotta immorale (si pensi, per esempio, al duello) risponde al giudizio del legislatore di ritenere che tale comportamento non sia più una minaccia per la società, ma non presuppone nessun atteggiamento speciale di misericordia nei confronti di un eventuale duellante.
IV. L’aequitas vel ius Secondo il testo menzionato della Glossa al Decreto, lo ius “media strata incedit inter rigorem, et dispensationem”, e viene descritto come l’“aequitas, id est aequalitas, ius suum unicuique tribuens, bonis praemia, malis supplicia” e conclude che “hoc debet iudex semper observare”. Lo ius, il diritto, sarebbe dunque ciò che è giusto, equo, il risultato del trattamento uguale, insomma, l’oggetto della giustizia. Si osserva in questo testo, quindi, la permanenza dell’idea dell’equità come sinonimo della giustizia, come 20 Basterebbe pensare alla dissipatio, al male arrecato alla comunità e alle persone singole, riconosciuto negli ultimi anni, per via di un’imprudente e ingiusta dissimulatio della condotta delittuosa di alcuni chierici nei confronti di bambini. 21 Sulla dissimulatio e la tolleranza, vid. Giuseppe Olivero, “Dissimulatio” e “tolerantia” nell’ordinamento canonico, Milano 1953.
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l’applicazione del principio dell’aequalitas, anzitutto dell’eguaglianza tra il diritto e ciò che è dovuto, che porta a poter parlare persino del rigor aequitatis. Infatti, non sembra che nei primi secoli della Chiesa esistesse un concetto di equità diverso da quello romanistico, ancorato al significato etimologico che riconduce all’aequalitas.22 Ci sono molte accezioni del termine aequitas. Tuttavia, per la concezione grecoromana l’equità non è qualcosa di diverso dalla giustizia. Perfino quando l’equità viene invocata per giustificare un’eccezione alla legge, essa non si presenta come un limite al rigor iuris, bensì al rigor legis, il che è assai diverso. L’epicheia aristotelica, che conduce ad un risultato diverso da quello previsto dalla norma generale, si basa sulla considerazione dell’imperfezione essenziale della legge umana dovuta alla sua astrattezza, incapace quindi di prevedere le esigenze del caso singolo: il risultato dell’epicheia sarebbe contrario al testo legale, ma non alla giustizia. In realtà la possibilità dello strappo alla legge umana trova la sua giustificazione nell’impossibilità di eccepire le esigenze morali e giuridiche della realtà, al punto che queste sono superiori alle formulazioni normative.23 San Tommaso assume questa idea di equità. Per il Dottore Angelico l’epicheia, che egli traduce con aequitas, è una virtù che costituisce una “parte soggettiva” della virtù della giustizia, presente cioè in tutti gli ambiti della giustizia, per l’appunto, la parte princeps della giustizia (“est quasi superior regula humanorum actuum”), consistente nel dare a ciascuno il suo seguendo quello che esige il senso della giustizia (“iustitiae ratio”) considerato alla luce dei suoi principi più alti, pur a prezzo di discostarsi dalla lettera della legge.24 Così concepita, l’equità si manifesta soprattutto al momento di dover abbandonare il testo legale per poter applicare la giustizia25, ma, essendo la parte principale della giustizia, è presente anche al momento – che dovrà presentarsi con maggiore frequenza – di applicare il testo della legge (“legalis iustitia dirigitur secundum epieikeiam”26), il che è in linea con 22 Cfr. Jean Gaudemet, Tradition romaine et réflexion chrétienne: le concept d’“aequitas” au IVe siècle, in Tarcisio Bertone e Onorato Bucci (a cura di), La persona giuridica collegiale in diritto romano e canonico. “Aequitas romana ed aequitas canonica”. Atti del III Colloquio (Roma 24 – 26 aprile 1980) e del IV Colloquio (Roma 13 – 14 maggio 1981), Roma 1990, p. 203. Sono esemplificativi di quanto si è affermato i testi di Agostino (De quantitate animae, IX, 15, in: PL 32, col. 1043) e di Isidoro di Siviglia (Etymologiarum, X, 7, in: PL 81, col. 368), in cui il termine aequitas fa riferimento alla giustizia naturale relativa all’uguaglianza. 23 Cfr. Ángel Rodríguez Luño, La virtù dell’epicheia. Teoria, storia e applicazione. (II) Dal cursus theologicus dei Salmanticenses fino ai nostri giorni, in: Acta Philosophica 7 (1998), p. 75. L’autore si riferisce alle formulazioni umane sulle regole morali; a maggior ragione si può applicare il suo ragionamento alla legge umana. 24 Tommaso d’Aquino, Summa Theologiae, II-II, q. 120, a. 2. 25 Sono i casi in cui bisogna giudicare non secondo la synesis (il buon senso che giudica secondo ciò che succede comunemente), ma secondo un’altra parte potenziale della prudenza che è la gnome, che giudica con perspicacia i casi singoli secondo principi più alti di quelli delle regole comuni (cfr. ibidem, II-II, q. 51, a. 4). 26 Ibidem, II-II, q. 120, a. 2.
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l’affermazione che l’equità o lo ius “debet iudex semper observare” e con l’idea comune di considerare l’equità come un criterio interpretativo della legge.27 Va segnalato inoltre che, essendo l’equità parte della giustizia, l’equo (così concepito) è dovuto ed è esigibile; altro discorso è la difficoltà di prova quando manca un titolo legale (soprattutto quando il testo legale dice il contrario).
V. La iustitia dulcore misericordiae temperata L’equità, però, riecheggia comunemente l’idea di benignità, di limite al rigore delle esigenze giuridiche. Infatti, è celebre e generalmente invocata dalla canonistica posteriore, la definizione che dell’equità riporta il Cardinale Ostiense, attribuendola a san Cipriano: “iustitia dulcore misericordiae temperata”28. Si apre così la strada a quell’idea, tanto ricorrente nella canonistica, di presentare come ideale la giustizia temperata dalla misericordia, che è il risultato di aver ricongiunto la concezione romana di giustizia con quella patristica della misericordia.29 Anche nel tardo diritto romano, per influsso del cristianesimo, si finisce per introdurre la concezione dell’equità intesa come benignitas, ma rimane come qualcosa da applicare eccezionalmente, mentre per il diritto canonico dovrebbe essere la regola.30 Giunti a questo punto, sembrerebbe che il concetto aristotelico-tomista di equità, coincidente sostanzialmente con quello di stretta giustizia, sia stato corretto mediante l’introduzione dell’idea di ammorbidire le esigenze del diritto con la benignità. A me pare che non ci sia stata una correzione, ma piuttosto l’introduzione di un nuovo concetto, rimanendo l’altro. Difatti, lo stesso Ostiense, considerato comunemente come il canonista medievale fortemente sensibile alle esigenze pastorali, che ha reso celebre il concetto della giustizia temperata dalla misericordia, difende l’idea di equità come quella che è “inter rigorem et dispensationem vel misericordiam”, senza esitare ad affermare che “aequitas est iustitia, est motus rationabilis regens sententiam et rigorem”31. 27 Il c. 221 § 2 CIC/1983 proclama il diritto fondamentale dei fedeli ad essere giudicati “servatis iuris praescriptis, cum aequitate applicandis”. 28 Cfr. Enrico da Susa, Summa aurea (nota 17), lib. V, de dispensationibus, fol. 289rb. 29 Cfr. Pier Giovanni Caron, “Aequitas” romana, “misericordia” patristica ed “epicheia” aristotelica nella dottrina dell’“aequitas canonica” (dalle origini al Rinascimento), Milano 1971, passim, ma soprattutto pp. 4 e 7. 30 Cfr. Laura Solidoro Maruotti, Tra morale e diritto. Gli itinerari dell’aequitas. Lezioni, Torino 2013, p. 155. 31 “Haec enim est aequitas – continua l’Ostiense – quam iudex, qui minister iuris est, semper debet habere prae oculis, scilicet sciat bonos remunerare, malos punire. Via regia incedens et se rationabiliter regens, non declinans ad dexteram vel sinistram.” Enrico da Susa, Summa aurea (nota 17), lib. V, de dispensationibus, fol. 289rb (i corsivi del testo sono, naturalmente, miei). Secondo Brugnotto, il Cardinale Ostiense prende la concezione dell’equità, strettamente legata alla giustizia, dal suo maestro Azzone (cfr. Giuliano Brugnotto,
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D’altronde, non mi sembra sostenibile l’idea di pensare che nella Chiesa – la cui funzione è quella di amministrare misericordia – la giustizia, essendo temperata dalla misericordia, sarebbe diversa dalla giustizia nella società civile. Non si deve cadere nella tentazione di “spiritualizzare” il diritto canonico fino al punto di ipotizzare una giustizia ecclesiale di natura diversa dalla giustizia civile. La grazia non distrugge la natura e, sebbene i contenuti siano diversi, la formalità della giustizia (dare a ciascuno il suo) è la stessa in qualunque ambito sociale. Né le necessità pastorali rendono meno cogenti le esigenze della giustizia, soprattutto perché le esigenze pastorali, se sono tali, sono anche di giustizia.32 Non è, infatti, contraddittoria l’idea della giustizia vista dai suoi principi più alti con quella della giustizia a cui si aggiungono la misericordia, la benignità, la carità, la pastoralità e altre virtù.33 Si tratta invero di due accezioni diverse e complementari: la prima ha l’esigibilità propria della giustizia, mentre l’altra, in ciò che ha di misericordia, possiede soltanto l’obbligatorietà degli imperativi morali non giuridici. Il fatto di nominare le due realtà con la stessa parola può portare a confusione, ma si devono mantenere distinte le due accezioni. Altro discorso è la difficoltà pratica di delimitare in un caso concreto un determinato diritto e quindi di decidere fin dove arrivi la giustizia e a partire da quale punto incominci la misericordia. L’equità intesa come la giustizia benigna può essere presente nella stessa disciplina generale: trattasi della cosiddetta aequitas scripta. Ci sono, infatti, numerosi istituti giuridici e disposizioni legali che rispecchiano la volontà di esercitare la misericordia all’interno della legalità. Basterebbe pensare alla possibilità di sanare alcuni atti, alla supplenza della Chiesa in alcune ipotesi (c. 144), alla disposizione della non obbligatorietà della legge in caso di dubbio di diritto (c. 14), alla previsione delle circostanze attenuanti della responsabilità penale (c. 1324), all’interpretazione stretta delle cosiddette leggi odiose (c. 18) e degli atti amministrativi sfavorevoli (c. 36, § 1) – seguendo il tradizionale principio “odia restringi et favores convenit ampliari” della Regula 15 del VI8 –, alla facilità per rimettere alcune pene canoniche (c. 1357) e a tante altre disposizioni che riflettono lo spirito di benignità.34 L’“aequitas canonica”. Studio e analisi del concetto negli scritti di Enrico da Susa [Cardinal Ostiense], Roma 1999, p. 124). 32 Non va dimenticato peraltro che l’attività pastorale altro non è che condurre le anime verso la salvezza. Un’azione pastorale “benigna” (apparentemente) che però confondesse le coscienze fino al punto di presentare come strada verso la salvezza quella che porta in senso opposto sarebbe una ingiusta crudelis dissipatio. Sul punto rinvio a Eduardo Baura, Pastorale e diritto nella Chiesa, in Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi (a cura di), Vent’anni di esperienza canonica: 1983 – 2003, Città del Vaticano 2003, pp. 159 – 180. 33 Perfino un canonista così sensibile ad una concezione del diritto in stretto legame con la giustizia, come Javier Hervada definisce l’equità come la giustizia in quanto entra in rapporto con le altre virtù (cfr. Javier Hervada, Coloquios propedéuticos sobre el Derecho Canónico, Pamplona 1990, p. 84). 34 Talvolta lo spirito di benignità può esprimersi in formule poco precise sotto il profilo tecnico, recando, paradossalmente, l’inconveniente di lasciare il fedele senza la dovuta pro-
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Talvolta la legge si appella all’equità, intesa come benignità, per indicare il modo di comportarsi in certi frangenti.35 In questi casi la benignità non è più misericordia, ma diventa diritto in base alla disposizione legale che stabilisce il dovere di comportarsi equamente. Un tale diritto è però difficile da determinare, sebbene resti sempre il diritto ad interpretare in senso benigno la norma in questione e a vedere manifestato in qualche modo il comportamento segnalato dal legislatore.36 Questa equità o benignità scritta si può trovare pure nella legislazione civile.37 Che la disciplina legale sia benigna è un bene, ma non basta. Non è sufficiente applicare la legislazione misericordiosa, ma si richiede anche una prassi giuridica benigna, cioè la iustitia dulcore misericordiae temperata deve essere presente anche nei singoli provvedimenti anche quando questi non facciano riferimento ad una legge espressamente benigna.38 D’altronde la legislazione cerca anche la giustizia secondo i principi più alti, come si può osservare nella tutela dei diritti coinvolti in situazioni in cui apparentemente basterebbe l’applicazione del rigor iuris (si pensi, ad esempio, alla giusta protezione dei diritti del delinquente). Ma è evidente che la giustizia vista secondo i principi più alti si manifesterà soprattutto nei provvedimenti singolari che contengono un’eccezione alla legge.
tezione giuridica, come capita nella vigente legislazione penale, dove si dà, a mio parere, un eccessivo margine di discrezionalità all’autorità, mediante formule apparentemente benigne, come quelle usate per le pene indeterminate o per quelle facoltative. 35 Il Codice di diritto canonico lo fa per indicare l’atteggiamento da osservarsi con il sacerdote richiamato in diocesi che lavorava in un’altra diocesi (c. 271 § 3), con i religiosi esclaustrati (c. 686 § 3) e con quelli separati dall’istituto (c. 702 § 2), con le donne abbandonate dal poligamo successivamente battezzato (c. 1148 § 3), con il trasferimento dei parroci (c. 1752). 36 Ho spiegato con maggiore dettaglio questa idea nella voce Equidad canónica, in Diccionario General de Derecho Canónico, cit., vol. III, Cizur Menor 2012, pp 649 – 655. 37 Anzi in essa è attualmente assai presente proprio perché, in base ad una concezione positivista e legalista del diritto, rifugge dalla possibilità di trovare una soluzione contraria alla legge, sicché deve cercare di prevedere tutte le possibilità nella norma generale, il che è una vana illusione che non fa altro che accrescere il corpo legale. E’ emblematico di questa mentalità l’aforisma proposto da Scialoja: “aequitas legislatori, jus judici magis convenit” (Vittorio Scialoja, Del diritto positivo e dell’equità. Discorso inaugurale letto all’Università di Camerino il 23 novembre 1879, Camerino 1880, p. 16). Così facendo si trascura l’osservazione che Aristotele aveva notato riguardo la limitatezza delle norme astratte e di conseguenza si moltiplicano le leggi senza tener conto del monito che già Tacito aveva enunciato: “corruptissima re publica plurimae leges” (Tacito, Annales, Lib. III, 27). 38 Talvolta si può osservare anche nella canonistica un certo normativismo che, diffidando della cosiddetta aequitas cerebrina (quella nata nel cervello del giudice), preferisce l’equità scritta. Così, ad esempio, si afferma che solo quando l’equità scritta mancasse sarebbe lecito ricorrere all’equità naturale (cfr. Anaklet Reiffenstül, Ius canonicum universum, Prisiis 1864, lib. I, tit. II, § XVI, nn. 416 – 418), ma, così facendo, si dimentica che in realtà l’equità naturale è presente in quella scritta. Va affermato, infatti, che all’equità naturale occorre invero ricorrere sempre, sia per interpretare l’equità scritta sia per correggere o supplire il testo legale.
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VI. Considerazioni conclusive A ben guardare, il principio aequitatem debet iudex semper observare si può applicare alle due accezioni dell’equità. Bisogna sempre fare giustizia tenendo conto dei principi più alti, anche quando la soluzione opportuna sia quella prevista nella norma generale, come succederà nella maggioranza dei casi. E bisogna anche agire sempre con misericordia, anche quando la soluzione da adottare sia una di quelle qualificabili come rigor iuris: si deve aiutare il delinquente, si deve provvedere al sostentamento del chierico dimesso dallo stato clericale, si dovrà accompagnare i fedeli che non possono accedere ai sacramenti, e così via. La misericordia in senso stretto, proprio perché tale, non potrà essere richiesta giuridicamente, tuttavia non perciò è meno costringente sotto il profilo morale. Certamente le soluzioni da adottare saranno diverse a seconda della natura delle cose coinvolte e delle circostanze, in modo tale che i risultati potranno essere qualificati talvolta come rigorosi, altre volte come misericordiosi o come equi. In ogni caso, è impossibile che l’azione di una virtù sia contraria ad un’altra, dal momento che le virtù sono gli abiti operativi della libertà che spingono ad agire moralmente bene, e non ci può essere un bene morale sotto il profilo di una virtù e allo stesso tempo un male sotto quello di un’altra, giacché, sebbene ci siano diverse specie di virtù a motivo dei rispettivi oggetti, la ragion formale del bene è genericamente una.39 In definitiva, un’azione non può essere moralmente buona sotto un aspetto e cattiva sotto un altro. Per quanto riguarda il rapporto tra la giustizia e la misericordia, è possibile comprendere come la “giustizia” senza la misericordia sia crudeltà40, e la crudeltà sia in realtà ingiusta. Allo stesso tempo, è contraddittoria una pretesa condotta caritatevole senza il rispetto dei diritti41; la misericordia senza giustizia è dissoluzione e in realtà non fa del bene, neanche allo stesso destinatario. La “misericordia” ingiusta è crudelis dissipatio, come affermava san Bernardo. Si comprende perciò che la verità sia il limite dell’oikonomia riconosciuto dagli orientali. In realtà bisognerebbe dire che la verità non è un limite, come se si trattasse di una linea estrinseca di frontiera, ma andrebbe piuttosto affermato che la misericordia, come la giustizia, vanno praticate nella verità. Proprio perché c’è l’unità del bene e diversità di virtù, occorre l’auriga virtutum, la prudenza, per agire correttamente. Non può, dunque, destare meraviglia che l’arte 39
Tommaso d’Aquino, S. Th., I-II, q. 60, a.1. “Iustitia sine misericordia crudelitas est, misericordia sine iustitia mater est dissolutionis” (Tommaso d’Aquino, Super Evangelium Matthaei, cap. 5, lectio 2). 41 Come ha insegnato Benedetto XVI “la carità eccede la giustizia, perché amare è donare, offrire del ‘mio’ all’altro; ma non è mai senza la giustizia, la quale induce a dare all’altro ciò che è ‘suo’, ciò che gli spetta in ragione del suo essere e del suo operare. Non posso ‘donare’ all’altro del mio, senza avergli dato in primo luogo ciò che gli compete secondo giustizia. Chi ama con carità gli altri è anzitutto giusto verso di loro” (Benedetto XVI, Enc. Caritas in veritate, del 29 giugno 2009, [testo italiano in www.vatican.va], n. 6). 40
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giuridica sia sempre stata collegata alla prudenza, al punto di conoscere la scienza giuridica con il nome di “giurisprudenza”42. Addirittura san Tommaso d’Aquino, seguendo Aristotele, parla della gnome come parte della virtù della prudenza che è capace di cogliere la soluzione giusta del caso concreto quando essa richiede discostarsi dalla regola generale.43 La benignità presente sicuramente nell’attuale disciplina canonica non è sufficiente per fronteggiare le necessità uniche e irrepetibili delle singole persone, onde si rende necessaria l’eccezione alla legge generale. Tuttavia, l’eccezione al “diritto” è possibile e talvolta auspicabile solo dove si intenda per diritto la legislazione generale positiva.44 Ad ogni modo, l’eccezione, proprio perché tale, conferma la validità della norma generale per i casi comuni, sicché paleserebbe una mancanza di onestà la proposta di risolvere un problema percepito come generale appellandosi alla possibilità di adottare provvedimenti eccezionali.45 Viceversa, non ha senso parlare di una misericordiosa eccezione alla giustizia: il vulnus legis non può mai essere un vulnus iustitiae. Ciò comporta la necessità di cogliere bene gli elementi insiti nell’essere delle cose che risultano inamovibili per distinguerli dalle disposizioni generali positive. Va osservato come in questo punto la tradizione canonica sulla questione del rapporto tra diritto e misericordia illumini i problemi attuali in cui in fondo in fondo emerge sempre il problema dei limiti del diritto, della necessità della benignitas nei rapporti umani e dell’amministrazione della misericordia nella Chiesa fatta con giustizia. Dal limite – che, essendo metafisico, non è in realtà un limite – del rispetto alla verità delle cose, si conferma che, pur esistendo svariate alternative e risultati opposti, non ci possono essere atti di una virtù contrari ad altre virtù: la giustizia contraria alla misericordia, la giustizia crudele, non è in realtà giusta, come neanche la misericordia ingiusta è davvero misericordiosa. Per lo stesso motivo l’azione pastorale contraria alla giustizia non può davvero condurre alla salus animarum.
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Il tema della prudentia in iure non è stato approfondito teoreticamente dai giuristi medievali, ma le fonti normative, soprattutto quelle canonistiche, richiamano spesso la necessità della prudenza. Cfr. Orazio Condorelli, Prudentia in iure. La tradizione dei giuristi medievali (prime ricerche), in: Alexander Finora/Andreas Niederberger/Merio Scattola (a cura di), Phronêsis – Prudentia – Klugheit. Das Wissen des Klugen in Mittelalter, Renaissance und Neuzeit. Il sapere del saggio nel Medioevo, nel Rinascimento e nell’età moderna, a cura di, Porto 2013, pp. 137 – 201. 43 Cfr. Tommaso d’Aquino, S. Th., II-II, q. 48, a. 1. 44 Per esempio, il discorso circa il rapporto tra misericordia e diritto canonico condotto da Kasper muove da questa prospettiva, cioè si tratta piuttosto della relazione della misericordia con la legge ecclesiastica (cfr. Walter Kasper, Misericordia. Concetto fondamentale del vangelo. Chiave della vita cristiana, Brescia 2013, pp. 258 – 267). 45 La tradizione canonica ha avvertito questa verità racchiusa in alcuni aforismi: “quae a iure communi exorbitant, nequaquam ad consequentiam sunt trahenda” (VI8 Reg. 28); “in argumentum trahi nequeunt quae propter necessitatem aliquando sunt concessa” (ibidem, 78); “quod alicui gratiose conceditur trahi non debet ab aliis in exemplum” (ibidem, 74).
Un itinerario di ricerca: Fra “diritto divino” e “diritto silente” Salvatore Berlingò
I. Alla ricerca delle ragioni del silenzio del diritto Il momento storico attuale – da più parti avvertito come uno dei tornanti più rimarchevoli della vita della Chiesa – sembra spesso favorire la percezione che si preferisca non parlare di diritto canonico o che, addirittura, gli si voglia togliere la parola. Il primo impulso del canonista sarebbe di reagire con forza, ricordando quale cattivo servizio abbia reso l’antigiuridismo (e/o il teologismo) di maniera all’epoca del Concilio Vaticano II, frapponendosi al perpetuarsi dello ‘spirito’ conciliare in concreti sviluppi istituzionali ed operativi.1 Una più meditata riflessione porta, tuttavia, a chiedersi se il diritto canonico – e, prima ancora, più in generale, lo stesso diritto – non si atteggi, di questi tempi, in modo tale da rimanere, già di per sé, senza parole. Si dà il caso, infatti, che molte volte il diritto taccia perché piegato al silenzio dalla chiusura ermetica delle sue forme, di tal guisa che vieppiù vibrante risuona l’eco dell’appello alla giustizia, di quelle forme sostanza. Come ogni arte2, anche l’ars boni et aequi, in cui il diritto si cimenta, risulta avvinta da un enigma: maggiore è il grado di perfezione dei suoi enunciati (summum ius), più alto è il rischio di un travisamento dei suoi obiettivi (summa iniuria). Il fenomeno, comune a tutte le esperienze giuridiche, si manifesta in modo emblematico nell’ordinamento della Chiesa, poiché in esso l’enigma si interseca col
1 Cfr. David Berger, Wider die Veteranen-Sentimentalität. Zur Frage der Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, in: Die neue Ordnung 58 (2004), pp. 108 – 120; Norbert Lüdecke, Studium Codicis, schola Concilii, in: Il Regno-att. LI (2006), pp. 336 – 356; Ladislas Örsy, Diritto canonico-Laici e gerarchia: il popolo di Dio. “Teologia del laicato” e riforma del Codice, in: Il Regno-att. LIII (2009), pp. 435 ss. 2 Torquato Tasso, La Gerusalemme liberata, a cura di Lanfranco Caretti (collana “I Meridiani”, Milano 1976), canto XVI, vv. 109/110: “[…] e quel che ‘l bello e ‘l caro accresce a l’opre, l’arte, che tutto fa, nulla si scopre”.
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mistero.3 L’oggetto di questo mistero, indagato dalla teodicea, è, a sua volta, un silenzio eminente: il silenzio di Dio4. “Chinmoku” (“Silenzio”) titolava, parecchi anni fa, un Autore giapponese, la romanzesca ed appassionata rivisitazione della storia delle missioni cattoliche nel Paese nipponico5 ; e il senso di quel titolo riecheggia nelle raffinate ricerche di un giovane studioso immaturamente scomparso, Edoardo Dieni. A Lui devo lo spunto che mi ha sollecitato a ripercorrere le tappe di un itinerario d’indagine che credo rivesta tuttora un qualche interesse nel contesto odierno: un cammino lungo il quale ho inteso, via via, portare alla luce quello che, anche a me, è parso costituire il sostrato spesso occulto e “silente”, ma pur sempre vivo ed operante dell’esperienza giuridica della Chiesa.6
II. Il “diritto divino” e il principio agapico alla base della missione della Chiesa Già parecchi anni fa, in una voce d’enciclopedia7, rivolgevo la mia attenzione ad un problema, fin da allora emergente, e divenuto ai nostri giorni ancor più pressante. Si tratta del rapporto fra il diritto divino – notoriamente considerato come il fulcro dell’ordinamento canonico – e civiltà o culture “periferiche” (le “periferie del mondo”8), maggiormente esposte alla deriva scaturente da una matrice occidentale, sempre più alterata dai soverchianti influssi dei potentati economico-finanziari9 o dagli incontrollati sviluppi delle tecnocrazie.10 3
Cfr. Gaetano Lo Castro, Il mistero del diritto. I. Del diritto e della sua conoscenza, Torino 1997; per suggestivi richiami alle connessioni del mistero, e quindi del numinoso, con la caratteristica etimologia e contrariis del lucus (o luogo sacro), a non lucendo, cfr. Ermanno Graziani, Il carattere sacro di Roma. Contributo all’interpretazione dell’art. 1 cpv. Conc., Milano 1961, pp. 9 ss. 4 Pierre Coulange, Quand Dieu ne répond pas. Une réflexion biblique sur le silence de Dieu, Paris 2013. 5 Cfr. Shu¯sako Endo, Silenzio, trad. it., Roma 1973. 6 Cfr. Salvatore Berlingò, Lacuna della legge, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale, Rivista telematica [www.statoechiese.it], febbraio 2008, p. 14, con il puntuale richiamo a Edoardo Dieni, Finzioni canoniche. Dinamiche del “come se” tra diritto sacro e diritto profano, Milano 2004, pp. 390 – 403. In argomento, per una trattazione più generale sul linguaggio, anche non giuridico, si v. da ultimo, Nicola Gardini, Lacuna. Saggio sul non detto, Torino 2014. 7 Missioni cattoliche, in: Enc. dir., vol. XXVI, Milano 1976, pp. 581 – 610. 8 Cfr. Giulio Albanese, Alle periferie del mondo. La testimonianza cristiana al passo di Papa Francesco, Bologna 2014. 9 Marchel Henaff, Y a-t-il encore des biens non marchands?, in: Ésprit, février 2002, p. 55; ma v. pure quanto già rilevato al riguardo nel mio saggio, Spazio pubblico e coscienza individuale: l’espansione del penalmente rilevante nel diritto canonico e nel diritto ecclesiastico, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale (nota 6), febbraio 2014, p. 4, anche per ulteriori referenze.
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All’interrogativo se il perseguimento di una “missione” asseveratrice del nucleo assiologico identificativo della Chiesa cattolica potesse contribuire ad universalizzare gli obiettivi di un ordine giusto, sempre più proporzionato all’umano, ovvero militasse, in senso contrario, a favore di un chiuso integrismo e di una strumentalizzazione della politica11, rispondevo, in quella sede, propendendo per il primo termine del dilemma. Questo positivo pronunciamento si fondava sulla percezione – allora più che altro intuita – della vis liberante e creativa insita nella dimensione “relazionale e processuale”12 della rivelazione trinitaria e del mistero dell’incarnazione.13
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Ha notato Dominique Lambert, Noi, robot, in: Il Regno-att., 6/2014, pp. 208 s., che la “nostra società è vittima di un doppio furore”: quello che un altro autore francese (Alain Prochiantz, Qu’est-ce que le vivant?, Paris 2012, pp. 83 – 103) chiama “lo strano furore di essere una scimmia”, e quello che potrebbe definirsi “lo strano furore di divenire un robot”. Prosegue, inoltre, Lambert: “[…] il fatto che l’utopia del post-umano […] ha di mira come suo esito un robot non umano […] potrebbe dire che l’orizzonte dell’uomo è qui la negazione ultima dell’uomo stesso, la sua scomparsa […] L’uso della robotizzazione dell’uomo, o l’uso di robot che simulano capacità umane, può avere senso solo nella misura in cui resta al servizio dell’umano”. Analogamente si esprime Paolo Benanti, Il cyborg. Corpo e corporeità nell’epoca del post-umano, in: Il Regno-att., 12/2013, pp. 366, cui rinvio per altre referenze su queste tematiche: “[…] il processo innovativo delle tecnologie cyborg può essere valutato positivamente solo se si caratterizza come uno strumento giustificato e orientato a un progresso dal volto umano”, ossia come uno “strumento con cui garantire che l’arricchimento umano reso possibile dall’innovazione tecnologica non arrivi ad assumere quelle forme disumanizzanti prospettate dal pensiero post-umano e trans-umano”. Interessante anche, in proposito, la prospettiva dell’in-betweenness evocata da Luciano Floridi, The Fourth Revolution. How the Infosphere is Reshaping Human Reality, Oxford 2014, che, in definitiva, conduce pur sempre ad una dinamica relazionale. 11 Ad avviso di Roberto Esposito, Due. La macchina della teologia politica e il posto del pensiero, Torino 2013, pp. 30 ss., pp. 89 ss., nella storia del cristianesimo il problema della ricorrente sovrapposizione fra auctoritas e potestas, non potrà attingere una soluzione soddisfacente finché si rimane fermi all’idea che l’individuo assurga al ruolo di “persona” solo nel momento in cui può vantare una sorta di proprietà privata e definitiva sul logos, anzi che rendersi disponibile e partecipe alla comune e quotidiana intrapresa di una “parousía senza apocalisse”. Su questo argomento si v. pure Aa. Vv., Costantino I. Enciclopedia costantiniana sulla figura dell’imperatore del cosiddetto editto di Milano. 313 – 2013, 3 voll. curati dall’Istituto dell’Enciclopedia Italiana, Roma 2013, Massimo Borghesi, Critica della teologia politica. Da Agostino a Peterson, la fine dell’era costantiniana, Genova/Milano 2013, Paolo Prodi, Profezia vs. Utopia, Bologna 2013, Gianmaria Zamagni, Fine dell’era costantiniana. Retrospettiva genealogica di un concetto critico, Bologna 2012. 12 Cfr. Christoph Theobald, I riferimenti testimoniali della fede. Identità cristiana: tra dispersione e discernimento, in: Il Regno-att., 4/2014, pp. 123 ss. e, più di recente, Angelo Bertuletti, Dio, il mistero dell’unico, Brescia 2014. 13 Per aggiornati approfondimenti al riguardo si v., per tutti, Jean-Luc Marion (entretien avec), Foi et raison, in: Études, tome 420/2 (= février 2014), pp. 74 ss. , nonché, per i collegamenti con le riflessioni sugli attuali progressi delle neuroscienze, Dominique Lambert, Noi, robot (nt. 9), pp. 207 – 209; Klaus Müller, Il corpo è il messaggio. L’incarnazione al tempo delle cyberfilosofie, in: Il Regno-att., 20/2011, p. 707; Leonardo Paris (a cura di), Sulla libertà. Prospettive di teologia trinitaria tra neuroscienze e filosofia, Roma 2012.
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Ben presto mi sono reso conto, tuttavia, della necessità di argomentare adeguatamente detta opzione, con una ricerca che andasse a fondo nel confronto fra la “teofania” cristiana14 – assunta a base della “missione” della Chiesa cattolica come pure dell’orientamento missionario del suo diritto – e le epifanie giuridiche registrabili in contesti diversi, soprattutto nei termini della promozione dei diritti umani.15 Mi sono proposto, quindi, di saggiare l’attitudine che le missioni o vocazioni religiose – indubbie riserve di senso – appalesano nel “rechauffer le coeur de leurs fidèles bien mieux que la froide universalité des droits de l’homme”16, a cominciare dall’esame dell’articolazione giuridica rinvenibile nella tradizione canonistica. Ho finito, per tal via, col rinvenire la fonte della singolare capacità dispiegata da questa esperienza giuridico-religiosa, ai fini di un pieno coinvolgimento di coloro che vi prendono parte, nell’inversione, in essa ravvisabile, dell’ordine dei termini di un ricorrente binomio: dalla giustizia della carità (secondo la sequenza proposta da Kelsen), alla carità della giustizia (secondo le cadenze tipiche della realtà ecclesiale). Proprio in virtù della posizione primaziale assegnata alla regola agapica, l’ordinamento canonico si rivela estremamente coeso, ma, ad un tempo, quanto mai dinamico ed aperto. Del resto, l’individuazione della carità evangelica come virtù fondante del sensus fidei fidelis, che anima l’intera comunità cristiana e su cui si innestano le connotazioni caratteristiche dello stesso ordine giuridico ecclesiale17, risulta accreditata dalle riflessioni teologiche più recenti ed autorevoli.18 14
Jean-Luc Marion, Foi et raison (nt. 13), p.75. Si è, per altro, rilevato da Markus Pohlmeyer, Incursioni nella modernità. Søren Kierkegaard, 1813 – 1855, in: Il Regno-att., 4/2014, pp. 130 ss., come molte Carte o Dichiarazioni dei diritti umani spesso appaiano, ai nostri giorni, più vicine allo spirito evangelico di quanto lo sarebbero gli “amministratori istituzionali di certe tradizioni cristiane”. Anche nel documento della Commissione Teologica Internazionale, Il sensus fidei nella vita della Chiesa, in: Il Regno-doc., 19/2014, pp. 646 s., si riconosce che lo “sviluppo fra la condanna delle tesi ‘liberali’ contenuta nella X parte del Sillabo degli errori di papa Pio IX (1864) e la dichiarazione sulla libertà religiosa Dignitatis humanae del concilio Vaticano II (1965) non sarebbe stata possibile senza l’impegno di tanti cristiani nella lotta per i diritti umani”. 16 Jean-Pierre Vettovaglia, Conflits et médiation internationale. “Étincelles et barils de poudre”, in: Études, n. 420/3 (= mars 2014), pp. 24 – 27, riportando in termini un’espressione di Silvio Ferrari. Cfr. pure, in proposito, Valentine Zuber, Les droits de l’homme ont une histoire, in: Consc. et lib., n. 73 del 2012, p. 39, dove sottolinea che il rispetto dei diritti dell’uomo è “bien un processus à mettre en œuvre continnuellement et non une “verité” exclusive inegalement reconnue et que seuls les pays développés auraient à délivrer au reste du monde”. 17 Svolgo una serie di argomentazioni in tal senso nei saggi seguenti: Dalla giustizia della carità alla carità della giustizia, in Giustizia e carità nell’economia della Chiesa. Contributi per una teoria generale del diritto canonico, Torino 1991, pp. 3 – 36; La tradizione canonistica ed i rapporti con l’ecumene, ivi, pp. 113 – 139; Il diritto divino e il diritto umano nella tradizione canonistica, in L’ultimo diritto. Tensioni escatologiche nell’ordine dei sistemi, Torino 1998, pp. 1 – 37; Il diritto divino come fattore dinamico, ivi, pp. 39 – 87; L’ontologia normativa del diritto di una chiesa, ivi, pp. 89 – 118; Complementarità e distinzione fra l’ordine delle co15
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III. La tipica dimensione “familiare” (“economica”) del diritto canonico Il paradigma valoriale così individuato non rappresenta, per altro, un ostacolo a che le note tipiche dell’ordinamento canonico possano continuare ad essere ricondotte ad alcune configurazioni delineate in seno alla teoria generale del diritto.19 Una volta inquadrata l’esperienza canonistica all’interno dell’ideale polittico della giuridicità, residuava, tuttavia, il problema ulteriore di come riscattarlo dalla (apparente) omologazione con un archetipo astratto, in sé compiuto e refrattario ad ogni comunicazione con l’esterno, per recuperarlo alla originaria e nativa attitudine a mutuamente completarsi con gli ordini profani, pur da esso distinti. Al riguardo, i saggi sulla dimensione familiare o domestica (“economica”, nel suo più genuino significato20) del diritto canonico21, sono forse tra quelli in cui, scienze e l’ordine delle leggi, ivi, pp. 149 – 188; Laicità e concordato, in: Lessico della laicità, a cura di Giuseppe Dalla Torre, Roma 2007, pp. 143 – 152. 18 Si v. ancora il contributo offerto sul punto dalla Commissione Teologica Internazionale, Il sensus fidei (nt. 15), in specie p. 643: “[…] poiché la fede, intesa come forma di conoscenza, è fondata sull’amore, per animarla e informarla si rende necessaria la carità, al fine di farne una fede viva e vissuta […] e il sensus fidei fidelis è per questa ragione proporzionale alla santità della sua vita […] Ne consegue che lo sviluppo del sensus fidei nello spirito del credente si deve in particolare all’azione dello Spirito Santo. In quanto Spirito d’amore, che infonde l’amore nel cuore umano, lo Spirito Santo apre ai credenti la possibilità di una conoscenza più profonda e più intima di Cristo Verità, sulla base di un’unione di carità: ‘Mostrare la verità conviene propriamente allo Spirito Santo, poiché è l’amore che svela i segreti’ (Tommaso d’Aquino, Expositio super Ioannis Evangelium, c. 14, lectio 4)”. 19 Cfr. Salvatore Berlingò, Lacuna della legge, e Suppletio legis, originariamente in Stato, Chiese e pluralismo confessionale (nota 6), febbraio 2008, pp. 1 – 16 e settembre 2009, pp. 1 – 17 (ora, nella traduzione spagnola, in: Diccionario General de Derecho Canónico, Cizur Menor-Navarra 2013, vol. IV, pp. 941 – 949; vol. VII, pp. 479 – 488), nonché Id., Generalia iuris principia, in: Ius divinum, a cura di Juan Ignacio Arrieta, Venezia 2010, pp. 577 – 593. 20 Per un pertinente richiamo all’ “economia” trinitaria, cfr. ancora, da ultimo, Jean-Luc Marion, Foi et raison (nt. 13), p. 74. Sulla possibilità e l’opportunità di stemperare l’infeconda ed inautentica contrapposizione fra l’homo iuridicus (Alain Soupiot, Homo juridicus: Essai sur la fonction anthropologique du Droit, Paris 2005) e l’homo oeconomicus, si vedano, fra gli altri, Silvano Petrosino, Elogio dell’uomo economico, Milano 2013 e i contributi di Aa. Vv., L’uomo spirituale e l’homo oeconomicus. Il cristianesimo e il denaro, Milano 2013, nonché, per ulteriori considerazioni, Salvatore Berlingò, Spazio pubblico (nt. 9), p. 4, anche in nota. Con aggiornati riferimenti alle tematiche sottoposte all’esame del Sinodo dei Vescovi sulla famiglia, indetto da Papa Francesco, si vedano pure Eduardo Baura, Misericordia, Oikonomia e diritto nel sistema matrimoniale canonico, in: Misericordia e diritto nel matrimonio, a cura di Carlos Juan Errázuriz M./Miguel Ángel Ortiz, Roma 2014, pp. 23 – 45 e Péter Szabó, Famiglia e matrimonio nell’ortodossia, in: Famiglia e diritto nella Chiesa, a cura di Myriam Tinti, Città del Vaticano 2014, pp. 201 – 256, in specie pp. 217 s. 21 Cfr. “Chiesa domestica” e diritto di famiglia nella Chiesa (col titolo originario “Chiesa domestica” y derecho de familia en la Iglesia, in: El matrimonio y su expresión canónica ante el III milenio, Pedro-Juan Viladrich/Javier Escrivá Ivars/Juan Ignacio Bañares/Jorge Miras
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piuttosto che in altri, ho avuto modo di evidenziare questa apertura della realtà giuridica ecclesiale a quanto di meglio generato dall’umano consorzio. Tengo subito a chiarire che con il termine “familiare” ho inteso riferirmi in quei saggi non tanto all’attributo proprio di un’istituzione normativamente predeterminata, quanto piuttosto al carattere tipico del riflesso o dell’epifania nella realtà immanente alla storia degli uomini della relazione interna al “Dieu interpersonel, source de l’amour” e fonte dell’atteggiamento volto a rinvenire “un fondement absolu en la personne de l’autre”22, comune anche a coloro che non credono in quel Dio.23
eds., Pamplona 2000, pp. 641 – 692); “Ursakrament” e “magnum sacramentum”. A quarant’anni dal volume di Francesco Zanchini di Castiglionchio “La Chiesa come ordinamento sacramentale”, in Stato, Chiese e pluralismo confessionale (nota 6), maggio 2009, pp. 1 – 7 (ma anche in Dir.& Rel., IV, 8: 2/2009, pp. 485 – 491 e ora in A quarant’anni dal volume di Francesco Zanchini di Castiglionchio “La Chiesa come ordinamento sacramentale”, a cura di Raffaele Coppola, Cosenza 2012, pp. 23 – 32); La chiesa e il diritto (agli albori del ventunesimo secolo), in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale, dicembre 2009, pp. 1 – 16, ma anche in Atti del Convegno sul tema “La Chiesa in Italia: oggi (16 – 17 ottobre 2009)”, a cura di Giuseppe Leziroli, Cosenza 2011, pp. 67 – 84. 22 Cfr. Philippe Bacq, Tradition chrétienne et évolutions de la famille, in: Études, n. 420/3 (= mars 2014), 32; ma v. pure: Family’s Many Faces – La famille au pluriel. Contemporary Family Patterns, Challenges for Christians – Les modèles familiaux contemporains, défis pour les Chrétiens, Karlijn Demasure/Elaine Champagne/Ramón Martínez de Pisón/Martin Rovers eds., Leuven 2014; Walter Kasper, Il Vangelo della famiglia, Brescia 2014, Paolo Mirabella, L’ ‘oltre’ della coppia. Promessa di umanità compiuta, Assisi, 2014; Paolo Moneta, Il matrimonio nel diritto della Chiesa, Bologna, 2014, in specie pp. 215 ss.; Angelo Scola, Il mistero nuziale, Venezia 2014. Ulteriori, conducenti passaggi sui rapporti fra carità e giustizia nell’esperienza cristiana, possono rinvenirsi nelle aggiornate riflessioni della Commissione Teologica Internazionale, Il sensus fidei (nt. 18), p. 643 e Dio Trinità, unità degli uomini. Il monoteismo cristiano contro la violenza, in Il Regno-doc., 3/2014, pp. 79 s., in specie ai nn. 31 – 35. Si rinvia, infine, anche per altri richiami di analogo tenore, a Salvatore Berlingò, Valori fondamentali del matrimonio nella società di oggi: coniugalità, in Aa. Vv. , Matrimonio canonico e realtà contemporanea, Città del Vaticano 2005, pp. 119 – 139. 23 Cfr. Pierangelo Sequeri/Duccio Demetrio, Beati i misericordiosi, perché troveranno misericordia, Torino 2012 e, fra gli altri, Martha Craven Nussbaum, Creare capacità. Liberarsi dalla dittatura del PIL, trad. it., Bologna 2012; Id., Persona oggetto, trad. it. a cura di Riccardo Mazzeo, Trento 2014; Id., Emozioni politiche. Perché l’amore conta per la giustizia, Bologna 2014. Annota, significativamente, Vincenzo Scalisi, Il nostro compito nella nuova Europa, in Id. (a cura di), Il ruolo della civilistica italiana nel processo di costruzione della nuova Europa, Milano 2007, pp. 9 s., come urga “reinterrogarsi sul principio “famiglia”, ovverosia sull’essenza di ciò che, pur nella pluralità, consente ancora di […] recuperare quell’indispensabile tratto unitario, comune ai diversi modelli, senza il quale la pluralità è destinata a divenire solo atomizzazione dispersiva e varietà dissolvitrice. Questo compito, prima che al piano della positività o alla competenza delle Corti, appartiene principalmente alla cultura giuridica, in quanto scienza del dover essere, perché la famiglia appunto questo è: nesso di necessaria coappartenenza tra Sein e Sollen, tra realtà e regola. Non dunque individuale singolarità […] ma comunitario e solidaristico rapporto di alterità, che però non su altro […] si può ritenere fondato se non essenzialmente ed esclusivamente su ciò che è il proprium dell’ ‘humanum’, ossia la spiritualità, luogo primario del dispiegarsi di ogni strutturale relazionalità”.
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Per converso, questa articolazione dell’ordinamento ecclesiale risulta continuamente esposta – come ho tenuto a segnalare in un altro studio24 – alle frequenti tentazioni di una normolatria puritana ed integrista.25
IV. Dall’ermeneutica del diritto “silente” alle funzioni di custodia e cura delle emergenti istanze di giustizia L’esigenza di contrastare queste derive, ha fatto maturare in me la convinzione che un impegno rilevante, a tutti i livelli, debba essere speso per un efficace e concreto servizio, diretto a far emergere le più profonde e condivise – quand’anche più riposte e “silenti” – istanze di giustizia, nel quotidiano esercizio del poteredovere (o funzione) inerente ai vari uffici che vi fanno capo, pur nella diversità delle vocazioni ministeriali, proprie di ciascuno. A queste problematiche ho perciò dedicato, da ultimo, alcuni lavori26 in cui mi sono posto l’obiettivo di rimarcare nell’operato del canonista – per usare una felice espressione di Paolo Grossi – i tratti propri della “concretezza mediterranea”27. Il recupero in ogni direzione e ad ogni livello, a cominciare dall’Europa – che dal Mediterraneo ha tratto origine – di uno stile siffatto, volto ad imprimere una caratura di servizio ad ogni espressione di autorità, potrebbe, in vero, offrire tuttora un fecondo alimento ed un robusto sostegno all’umano convivere.28 Ministeri, funzioni ed uffici non verrebbero, del resto, adeguatamente esercitati, se gli operatori ad essi addetti, pur agendo all’interno di un ordinamento così specifico come quello canonico, non fossero personalmente animati dall’empito etico intrinseco a chiunque intenda seriamente misurarsi con la non facile “arte” del giurista. Si tratta, infatti, di un’etica che le riflessioni sul modus agendi dei canonisti
24 Frode alla legge o frode della legge?, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale (nota 6), marzo 2011, pp. 1 – 9 e ora, nella traduzione spagnola, in: Diccionario (nt. 19), vol. IV, pp. 107 – 111. 25 Cfr. Philippe Bacq, Tradition (nt. 22), p. 53. 26 Cfr. Il ministero pastorale di governo: titolari e contenuto, in: Dir. & Rel., II, n. 4 (2/ 2007), pp. 92 – 107; Funzione amministrativa ed uffici ecclesiastici, in Stato, Chiese e pluralismo confessionale (nota 6), ottobre 2011, pp. 1 – 22. 27 Anche per il richiamo a Paolo Grossi, rinvio, sul punto, a Salvatore Berlingò, L’affaire dell’U.A.A.R.: da mera querelle politica ad oggetto di tutela giudiziaria, in Stato, Chiese e pluralismo confessionale (nota 6), febbraio 2014, pp. 3 ss. 28 Cfr. Romano Guardini, Europa, Wirklikeit und Aufgabe, in Id., Sorge um den Menschen, Würzburg 1962, pp. 253 – 270, su cui si v. Stephan Waanders, L’Europe de Romano Guardini. Une poliphonie bien accordée, trad. fr., in: Études, tome 420/6 (= juin 2014), pp. 53 – 61.
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possono solo contribuire ad enucleare, come ho evidenziato nell’epilogo di un saggio con cui ho indagato sui vincoli etici dell’esperienza giuridica.29 Il richiamo a quest’ultimo studio non va affatto interpretato come l’avance, pretenziosa e fuorviante, di un canonista che vorrebbe ergersi a maestro di etica per ogni altro giurista. In esso mi sono proposto, per inverso – come può, del resto, dedursi proprio dal sottotitolo (“Alcune riflessioni introduttive”) – di cogliere e sottolineare la validità della tesi secondo la quale tutti i processi di riforma, sia in ambito religioso sia in ambito civile, ed ogni sforzo comunitario volto al superamento di situazioni critiche, sarebbero destinati a fallire, ove non si giovassero del coinvolgimento etico dei singoli operatori e dell’immedesimazione ed interiorizzazione da parte dei soggetti individui della causa comune, da tutti compartita.30
V. Il ruolo del canonista a fianco dei viatores nel perenne e condiviso itinerario di purificazione e di riconciliazione umana e cristiana A tal proposito, il canonista non può non far propria – in modo prioritario e più stringente rispetto a qualsiasi altro giurista – l’avvertenza di Søren Kierkegaard, secondo cui “la ‘comunità’ non ha la sua patria nel tempo”, proprio perché, a seguito dell’Incarnazione, “ogni singolo uomo è invitato a vivere nei rapporti più familiari con Dio”31: “In carne mea, videbo Te, Domine” (Giob 19,26)32. Per un 29 Cfr. I vincoli etici nell’esperienza giuridica contemporanea. Alcune riflessioni introduttive, in Dir. & Rel., II, n. 4 (2/2007), pp. 13 – 32. 30 Cfr., in generale, Natascia Marchei/Daniela Milani/Jlia Pasquali Cerioli (a cura di), Davanti a Dio e davanti agli uomini. La resonsabilità fra diritto della Chiesa e diritto dello Stato, Bologna 2014 e, con specifico riguardo alla comunità ecclesiale, anche la più volte richiamata Commissione Teologica Internazionale, Il sensus fidei (nt. 15), pp. 632 s. e pp. 642 – 647. 31 I riferimenti a questo passo del filosofo danese sono rinvenibili in Markus Pohlmeyer, Incursioni nella modernità (nt. 15), pp. 133 – 137. Per altro, la dottrina secondo cui il cristiano “è colui che più sinceramente pratica le leggi della città, proprio perché non le osserva se non per fini superiori a quelli della città”, è risalente ai primi padri della Chiesa, secondo quanto attestato, da ultimo, in Paolo Prodi, Ripensare Costantino, in: il Mulino, vol. LXIII, n. 472 (2/ 2014), p. 348. 32 Cfr. Ermanno Graziani, Persona e ordinamento nel diritto sacramentale della Chiesa, in: Persona e ordinamento nella Chiesa (= Atti del II Congresso internazionale di diritto canonico, Milano 10 – 16 settembre 1973), Milano 1975, p. 529, il quale fa osservare come l’azione sacramentale inserisca l’individuo nella “vivente realtà visibile” della Chiesa senza che rimanga “assorbito dall’essere collettivo o in esso sommerso, bensì conservando la propria personalità […] quella personalità che neppure la morte distrugge”. Per un approfondimento teso ad evidenziare come la teologia cristiana assuma il dato biblico sulla realtà corporea (e storica) dell’uomo per il tramite del mistero dell’Incarnazione, si v. per tutti, da ultimo, José Granados, Théologie de la chair. Le corps à la charnière de l’histoire du salut, trad. franc., Le Plans 2014.
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verso, il canonista, da parte sua, opera in un ambiente idoneo ad asseverare il convincimento soggettivo e quindi il fondamento etico capace di garantire una forte coesione all’ordine che supporta33 ; e, per altro verso, agisce in un contesto dotato di “una carica sociale esplosiva, perché smaschera tutte le gerarchie umane come assolutamente contrarie a Dio”34. Nel quadro di un’esperienza giuridica così caratterizzata, il singolo ripone la propria dignità oltre che nell’essere titolare dei diritti inalienabili ad ogni uomo inerenti, anche nella responsabilità e nei doveri di solidarietà ad essi correlati ed in quella dignità inclusi35, così da (ri)equilibrare il rapporto tra l’individuo e il potere, assecondando atteggiamenti antitetici rispetto a quelli del possesso o del dominio: “Non estis vestri” (1 Cor 6,20).36 L’ammonimento delle Scritture, ove davvero fosse messo in pratica, contribuirebbe non poco a produrre un salutare anche se sofferto disincanto da ogni “delirio ideologico”, propenso ad illudersi con la prospettiva di una “fine della storia” o di un “progresso all’infinito”, configurato pur sempre in termini seriali e dunque autoreferenziali e sterili37, incapaci di sodisfare quell’ansia di superamento e di
33 Si v. ancora quanto affermato dalla Commissione Teologica Internrancescozionale, Il sensus fidei (nt. 15), p.642. 34 Anche per questo passo di Kierkegaard richiamato nel testo, si v. sempre Markus Pohlmeyer, Incursioni nella modernità, (nt. 15), pp.133 – 137. 35 Cfr. Salvatore Berlingò, Spazio pubblico (nt. 9), pp. 16 s. In un ambito ancora più ampio rispetto a quello interno al diritto canonico – secondo quanto osserva in maniera molto appropriata, Giuseppe Casuscelli, Enti ecclesiastici e doveri di solidarietà, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale, febbraio 2014, pp. 53 s. – la “solidarietà […] lontana dalle contrapposizioni ideologiche e dagli scontri simbolici […] concreta nelle esigenze da soddisfare e negli interessi umani che chiedono ascolto e necessitano di tutela […] potrebbe costituire un nuovo registro e un nuovo orizzonte per i rapporti tra lo Stato e le Chiese e per la reciproca collaborazione”. Si finirebbe, in tal modo, con “l’avvicinare, all’insegna di andare ‘oltre il positivismo giuridico’, giuristi laici e cattolici” (Francesco Donato Busnelli, Il principio di solidarietà e ‘l’attesa della povera gente’, oggi, in: Persona e mercato, 2/2003, p. 109) e con il dare avvio ad una “laicità dialogante”, in forza dell’assunzione da parte dei giuristi del “compito più umile di ricercare e di ‘ritrovare’ l’omogeneità della dimensione giuridica traendola dal basso della società globale” (Sara Domianello, La garanzia della laicità civile e della libertà religiosa nella tensione fra globalismo e federalismo, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale, febbraio 2007, p. 9). 36 Sembra quindi potersi dare un riscontro scritturistico all’auspicio di Roberto Esposito, Due (nt. 11) nei luoghi in precedenza richiamati. Per altro, la stessa Commissione Teologica Internazionale, Dio Trinità (nt. 22), p. 82, n. 96, ribadisce che “la pretesa di auto-dominio dell’uomo […] non può non ferire la dignità umana e non avere conseguenze di assoggettamento violento dell’uomo sull’uomo”. 37 Cfr., per tutti, Jean-Luc Marion, Foi et raison (nt. 13), p. 75; ma v. pure Charles Taylor, Incanto e disincanto. Secolarità e laicità in Occidente, trad. it., a cura di Paolo Costa, Bologna 2014.
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trascendenza del proprio “sé” finito, che alberga in ogni uomo e che, al fondo, intercetta l’enigmatica, anzi “misteriosa”, essenza del diritto.38 Riconosce Benedetto XVI che il disagio indotto da un disincanto siffatto, in coloro che non fruiscono del dono della fede e del “gaudio” – secondo Papa Francesco – da essa prodotto, potrebbe essere imputato alle stesse religioni, da cui l’immagine del vero Dio è “non raramente nascosta”, per il “modo nel quale non di rado sono praticate”39. Per converso, i non credenti, nel momento stesso in cui avvertono la sofferenza nei loro cuori determinata dall’(apparente) silenzio di Dio, devono considerarsi portatori di un misterioso orientamento verso il bene ed il giusto, e quindi “interiormente in cammino verso di Lui”, anch’essi “pellegrini della verità, pellegrini della pace”; come tali, inoltre, capaci di interpellare i credenti, tutti i credenti, perché purifichino la loro fede, rendendo Dio a tutti accessibile.40 Solo a queste condizioni, credenti e non credenti, giuristi e non giuristi, canonisti e non canonisti, saranno in grado di percorrere insieme, come “viatores”, quel tratto di strada comune41, che non potrà mai essere – secondo quanto sembrerebbe pretendersi da qualcuno – aprioristicamente definito, proprio perché “sine fine mansurum”42.
38 Cfr. J.-L. Rivoire/L. Bertagna, Conflits familiaux et droit collaboratif. Une nouvelle civilité, in: Études, tome 420/4 (= avril 2014), p. 46. 39 Cfr., rispettivamente, Benedetto XVI, Affinché Dio diventi accessibile (= Intervento conclusivo nella “Giornata di riflessione dialogo e preghiera”– Assisi, 27 ottobre 2011), in: Il Regno-doc., 19/2011, p. 592, e la Esortazione apostolica di Papa Francesco, Evangelii gaudium, del 24 novembre 2013. Per un’accurata ricerca sui rischi di una riproposizione di intolleranze e conflitti religiosi, si vedano i contributi di A. Hagi/G. Campani (a cura di), Conflitti sociali e religione nel Mediterraneo. Riflessioni teoriche e studi di caso, Firenze 2014 e di Aa. Vv., Religion, Intolerance, and Conflict: A Scientific and Conceptual Investigation, Oxford 2014, come pure la messa a punto della Commissione Teologica Internazionale, Dio Trinità (nt. 22), p. 92, nn. 95 s. E’ significativo, al riguardo,il programma avviato, presso l’Università di Vienna, da una équipe interuniversitaria di ricerca: Religion and Transformation in Contemporary European Society (RaT), che, anche attraverso una serie di iniziative editoriali, si propone di segnalare e sventare i rischi di uno strumentale uso delle religioni, nocivo per la vita democratica e per il rispetto dei diritti umani. 40 Cfr. ancora Benedetto XVI, Affinché Dio diventi accessibile (nt. 39), p. 592. Sulla necessità di una continua purificazione dai travisamenti del più autentico senso del messaggio religioso, si v. già le Costituzioni conciliari LG 8, GS 19 – 21 e, da ultimo, Commissione Teologica Internazionale, Dio Trinità (nt. 39), p. 87, n. 72. 41 Cfr. Papa Francesco/Eugenio Scalfari, Dialogo tra credenti e non credenti, Torino/Roma 2013, su cui si vedano le approfondite annotazioni di Ombretta Fumagalli Carulli, A Cesare ciò che è di Cesare, a Dio ciò che è di Dio (a proposito del dialogo tra Papa Francesco ed Eugenio Scalfari), in: Veritas et Ius 8 (2014), pp. 7 – 30. 42 Leone Magno, Sermo XXII, 1 (= CCL 138,90).
Recht leben in der Kirche Voraussetzungen und Herausforderungen Sabine Demel Zweifelsohne ein Beitrag mit dem Titel „Recht leben“ in einer Festschrift zu Ehren eines Kirchenrechtlers legt die Vermutung nahe, dass hier „Recht“ als „das Recht“ gemeint ist, „Recht“ also als Substantiv zu verstehen ist. Es lässt sich aber auch als Adverb „recht“ lesen im Sinne von „gerecht“, „richtig“, „rechtmäßig“. Die Autorin des Beitrags möchte den Titel in beide Richtungen verstanden wissen, gleichsam als: „das Recht und recht leben“. Sie knüpft damit an die Voraussetzung und Herausforderung an, die der Jubilar pointiert so ausgedrückt hat: „Jede an der Gerechtigkeit orientierte Rechtsordnung wächst letztendlich vom Gewissen der verantwortlichen Rechtsgenossen her. Wo das Gewissen versagt, weil es entweder von außen totalitär unterdrückt wird oder weil es selbst verkümmert ist, ist es um die Gerechtigkeit der betreffenden Rechtsgemeinschaft schlecht bestellt. Gerechtigkeit ohne Ethos gibt es nicht!“1
Welche Konsequenzen damit verbunden sind, um in der Kirche Recht und recht zu leben, wird im Folgenden an dem Phänomen des unrechten Rechts, an dem spezifisch katholischen Selbstanspruch des Seelenheils als oberstes Gesetz und an der Praxis der Rechtsanwendung veranschaulicht:
I. Recht leben als Königsweg gegen unrechtes Recht Recht ist dazu da, um Frieden und Freiheit zu gewährleisten. Nicht selten führt es aber gerade zum Gegenteil dessen, was es soll, nämlich zu Unfrieden und Unfreiheit. Woran liegt das? An einer falschen Anwendung von Recht(svorschriften)? An einem Missverständnis? An einer unerwarteten Entwicklung? Oder kann es auch so etwas wie ein ungerechtes Recht und Gesetz geben? Kann Recht auch Unrecht sein? Und wenn ja: wie ist dann mit ihm umzugehen? Zwei Beispiele aus der Vergangenheit machen die Tragweite der Fragestellung deutlich. In Deutschland gab es eine Zeit lang folgende Rechtsverordnung: „Die Bibliothek ist täglich von 12 – 20 Uhr geöff-
1 Helmuth Pree, Zum Stellenwert und zum Verbindlichkeitsanspruch des Rechts in Staat und Kirche, in: ÖAKR 39 (1990), S. 1 – 23, hier S. 23.
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net. Juden Zutritt verboten!“2 Und in der katholischen Kirche war im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 festgelegt: „Eine weibliche Person darf nicht als Messdiener herangezogen werden, außer in Ermangelung einer männlichen Person und aus einem gerechten Grund sowie unter der Bedingung, dass sie nur von ferne die Antworten gibt und in keiner Weise an den Altar herantritt“ (c. 813 §2 CIC/1917). Diese beiden sehr unterschiedlichen Beispiele führen zu den Fragen: Wodurch unterscheidet sich rechtes Recht von unrechtem Recht? Und: Muss auch Recht, das Unrecht ist, eingehalten und befolgt werden? 1. Das Phänomen unrechten Rechts Was unrechtes Recht im Unterschied zu rechtem Recht ist, kann leider nicht allgemein definiert werden: „Der maßgebliche Grundgedanke lässt sich nur durch Beispielsfälle anschaulich machen. Da die Mindestanforderung an eine Rechtsordnung darin besteht, dass sie den Menschen in seiner Personhaftigkeit achtet, gehören zu den Beispielen Vorschriften, die den Betroffenen einer Behandlung unterwerfen, welche ihm jegliche Selbstbestimmung vorenthält oder entzieht, wie etwa die Aberkennung der Rechts- oder Geschäftsfähigkeit gegenüber bestimmten Rassegruppen der Bevölkerung, Zwangsversuche an Menschen.“3
Auch die mangelnde Einklagemöglichkeit von zustehenden Rechten ist hier zu nennen, das Nichtgewähren von Verfahrensgrundsätzen wie rechtliches Gehör, Angabe der Entscheidungsgründe, Akteneinsicht oder Verteidigungsrechte, ebenso wie intransparente Rechtswege bzw. unklare Festlegungen, welche Angelegenheiten auf dem Gerichtsweg und welche auf dem Verwaltungsweg zu verhandeln sind, welche Regeln für beide gelten und welche Instanzen einzuhalten sind. Weitere Beispiele liefern sittenwidrige Vorschriften sowie Regelungen, die Gemeinschaftsglieder „im Rechtsverkehr untereinander zu einem gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhalten ermächtigen.“4 2. Die Notwendigkeit der Gerechtigkeit als personale Tugend Um unrechtes Recht im Lebensalltag der Rechtsgemeinschaft möglichst weitgehend auszuschalten, reichen Rechtsvorschriften allein nicht aus. Sie müssen vielmehr noch ergänzt, manchmal sogar ersetzt werden durch das, was die personale Tugend der Gerechtigkeit genannt wird. Damit wird das Handeln aus Überzeugung umschrieben bzw. die innere Haltung und Einstellung eines Menschen, „nicht bloß das Gerechte zu tun, sondern es aus einer bestimmten Gesinnung heraus, nämlich des2 Dieter Menath, Recht und Gerechtigkeit. Ein Arbeitsbuch für die Oberstufe des Gymnasiums, München 1997, S. 22. 3 Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, München 1977, S. 564. 4 Ebd., S. 565.
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halb zu tun, weil es gerecht ist, und nicht etwa deshalb, weil man andernfalls bestraft oder sozial gemieden würde.“5 Das, was die Tugend der Gerechtigkeit meint, kommt – sozusagen aus einer anderen Perspektive betrachtet – auch in der sog. Goldenen Regel zum Ausdruck: „Tue dem Anderen nicht, was Du nicht willst, dass man Dir tut!“ Oder positiv ausgedrückt: „Tue dem Anderen, was Du willst, dass man Dir tut!“6 Ansonsten lässt sich „Gerechtigkeit“ ebenso wenig griffig auf den Punkt bringen bzw. definieren wie die Begriffe der Wahrheit, des Guten, des Schönen oder der Liebe und Barmherzigkeit. Anders gesagt: „Gerechtigkeit“ ist ein dem Menschen eingegebener Bewusstseinsinhalt, dessen Ursprung rational nicht zu erklären ist und den der Mensch „im Anruf seines Gewissens erlebt, und zwar als dahingehend verpflichtend, ihn in den menschlichen Lebensverhältnissen zu verwirklichen.“7 Wäre man nicht allgemein von dieser Grundfähigkeit jedes Menschen zur Tugend der Gerechtigkeit überzeugt, hätte es z. B. wenig Sinn, weiterhin an der Formulierung von Menschenrechten festzuhalten. Denn deren „Missachtung kann vom Völkerrecht nur in seltenen Fällen mit Sanktionen belegt werden. Die Durchsetzungsmöglichkeit der Menschenrechte hat mit ihrer inhaltlichen Normierung und der Plausibilität ihrer Notwendigkeit nicht Schritt halten können.“8 Dennoch fühlt sich die Mehrheit der Menschen, Völker und Staaten an die Beachtung der Menschenrechte gebunden. 3. Der verantwortete (Un-)Gehorsam als Ausdruck der Gerechtigkeit als Tugend Wer die personale Tugend der Gerechtigkeit lebt, entlarvt unrechtes Recht und verweigert diesem den Rechtsgehorsam, leistet den sog. „verantworteten Ungehorsam“. Verantworteter Ungehorsam wird nicht leichtfertig und vorschnell, sondern nach gründlicher Abwägung und aus tiefer Überzeugung geleistet; er geschieht nicht aus Bequemlichkeit oder Überheblichkeit, sondern aus einem tiefen Verantwortungsgefühl heraus, und sein Motiv und seine Triebfeder sind nicht ein persönlicher Vorteil, sondern der Dienst an der Gemeinschaft. Verantworteter Ungehorsam ist ein „gewissensbestimmter Protest […] mit appellativer Intention“ an die Gemeinschaft, und hier insbesondere an die Verantwortlichen der Gemeinschaft, „die Diskrepanz zwischen Gerechtigkeitsanspruch und seiner defizienten Realisierung“9 wahrzunehmen. Nicht die Grundlagen der Gemeinschaft werden in Frage gestellt, sondern Einzelregelungen, die diesen Grundlagen zuwiderlaufen. Daher kann der 5 Otfried Höffe, Moral und Recht. Eine philosophische Perspektive, in: StdZ 198 (1980), S. 111 – 121, hier S. 120. 6 Vgl. Henkel, Einführung (Anm. 3), S. 393. 7 Ebd., S. 395. 8 Franz Wolfinger, Die Religionen und die Menschenrechte. Eine noch unentdeckte Allianz, München 2000, S. 11. 9 Gerhard Luf, Gewissen und Recht. Erwägungen zu strukturellen Gemeinsamkeiten im staatlichen und im kirchlichen Recht, in: ÖAKR 38 (1989), S. 18 – 36, hier S. 29.
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verantwortete Ungehorsam weder mit einer revolutionären Umsturzbewegung noch mit individueller Willkür gleichgesetzt werden. Denn im Unterschied zur revolutionären Umsturzbewegung werden beim verantworteten Ungehorsam die Grundlagen und das Gemeinschaftssystem als solches nicht in Frage gestellt, sondern dienen gerade umgekehrt als Argumente für den Ungehorsam gegenüber einer als verfehlt eingestuften Einzelregelung. Und im Unterschied zur individuellen Willkür ist die Person, die den verantworteten Ungehorsam leistet, dazu bereit, „für die möglichen rechtlichen Sanktionen einzustehen, also die Folgeverantwortung zu tragen.“10
4. Die Spannung zwischen Moral und Zwang als Grundlage für eine gerechte Rechtsordnung Die Tugend der Gerechtigkeit und die Notwendigkeit des verantworteten (Un-) Gehorsams führen vor Augen, dass jede gerechte Rechtsordnung aus der Spannung von Moral und Zwang lebt. Zwar muss es Ziel jeder Rechtsgemeinschaft sein, dass ihre Rechtsvorschriften nicht nur aus Angst vor Strafe eingehalten werden, sondern auch aus freier Einsicht in deren Sinnhaftigkeit. Doch darf umgekehrt die Verbindlichkeit der Rechtsvorschriften nicht von der individuellen Einsicht in deren Sinnhaftigkeit abhängig gemacht werden, sondern muss durch die Androhung von Zwangsmaßnahmen gesichert werden. Der Rechtszwang ist ein unerlässliches Instrument, die Ernsthaftigkeit des Willens zum wirksamen Schutz der existentiellen Güter und Werte der Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Wie eine gerechte Rechtsordnung nicht ohne Moral auskommt, so kann sie auch nicht auf den Zwang verzichten. Symbolisch ausgedrückt: Die Waage als Sinnbild der Gerechtigkeit und das Schwert als Sinnbild des geregelten Zwanges gehören zusammen.11 Das Zusammenspiel von Moral und Zwang kann aber wiederum nur dann und so gelingen, dass zwar die Rechtsordnung als Ganze von einem Zwangscharakter geprägt ist, nicht aber jede einzelne Norm. Eine Norm erhält also nicht erst dadurch Rechtscharakter, dass sie zwangsbewehrt ist, sondern dadurch, dass sie Teil eines Normgefüges ist, das als Ganzes zwangsbewehrt ist.12 Nicht ob in jedem Einzelfall Zwangsmaßnahmen zur Einhaltung der Rechtsnorm vorgesehen sind und/oder verhängt werden, ist entscheidend, sondern dass die Rechtsordnung als Ganze so mit Zwangsmaßnahmen ausgestattet ist, dass sie im Großen und Ganzen eingehalten wird, d. h., dass sie im Notfall mit Hilfe der Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden kann.13 Deshalb geht es in den meisten Fällen nur darum, dass der- bzw. diejenige, 10
Ebd., S. 23. Vgl. Reinhold Zippelius, Einführung in das Recht, Heidelberg 2000, S. 16. 12 Vgl. Ludger Müller, Der Rechtsbegriff im Kirchenrecht. Zur Abgrenzung von Recht und Moral in der deutschsprachigen Kirchenrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, St. Ottilien 1999, S. 317. 13 Vgl. ebd., S. 332. 11
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der/die gegen ein rechtliches Gebot oder Verbot verstößt, damit rechnen muss, dass ihn bzw. sie möglicherweise eine eventuell vorgesehene Zwangsmaßnahme trifft.14 Letztendlich hat der Zwang im Recht „nur die Rolle einer Ersatzfunktion, er greift nur da Platz, wo die von dem Wesen des Rechts geforderte innere Einsicht und freiheitliche Entscheidung versagt. Der mögliche Zwang ist daher nicht ein Wesensmerkmal des Rechts; er gibt jedoch dem Recht die um seiner sozialen Funktion willen unerlässliche Vervollkommnung.“15 Mit dem Rechtszwang werden somit zwei Ziele verfolgt: Vordergründig und unmittelbar soll vor der Tat abgeschreckt werden; mittelbares und langfristiges Ziel ist es, auf die Motivation des Täters und der Täterin einzuwirken und dadurch nicht nur seine bzw. ihre momentan geplanten, sondern auch seine bzw. ihre künftigen Handlungen zu beeinflussen. Beim Rechtszwang wird also vor allem auf seine Signalwirkung und auf seine vorbeugende Ausstrahlungskraft gebaut. Das für eine gerechte Rechtsordnung notwendige Zusammenspiel von Moral und Erzwingbarkeit macht die beliebte Frage hinfällig, wer der beiden mehr zu bewirken vermag: der Verpflichtungscharakter ethischer Forderungen oder der Zwangscharakter rechtlicher Normen. Eine realistische Einschätzung weiß, dass beides notwendig ist.16 Denn nur mit beiden zusammen kann das Dilemma vermieden werden, das jeder Gemeinschaft droht: Wenn die Rechtsvorschriften keine Beständigkeit haben, kann man ihnen kein Vertrauen schenken; die Beständigkeit kann aber nur durch ein gewisses Maß an Zwang gewährleistet werden. Wenn die Rechtsvorschriften jedoch keine Veränderung ermöglichen, dann schließen sie die Menschen gewissermaßen wie in einem Gefängnis ein; um Veränderung zu ermöglichen, müssen die Rechtsvorschriften hinreichend Raum für Freiheit und Moral lassen.17
II. Recht leben als Voraussetzung für das Heil der Seelen als oberstes Gesetz Eine Kirche, die sich als Sakrament des Heils für die Welt, als Zeichen und Werkzeug der Liebe und Barmherzigkeit Gottes versteht – wie es die katholische Kirche tut und pointiert auf dem II. Vatikanischen Konzil in der Kirchenkonstitution Lumen gentium (1; 9; 48; 59) zum Ausdruck gebracht hat –, benötigt zur Umsetzung ihres Anspruchs auch ein Rechtsverständnis, eine Rechtsordnung und eine Rechtsanwendung, die diesen Heilsdienst der Kirche unterstützen, garantieren und in geordneten Bahnen lenken. Auf diesem Hintergrund gewinnen die Schlussworte des kirchlichen Gesetzbuches von 1983 paradigmatische Bedeutung: 14
Vgl. ebd., S. 318. Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 8. 16 Vgl. Wolfinger, Die Religionen (Anm. 8), S. 13 f. 17 Vgl. Ladislas Örsy, Das Spannungsverhältnis zwischen Beständigkeit und Entwicklung im kanonischen Recht, in: DPM 8/1 (2001), S. 299 – 313, hier S. 300 f. 15
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Sabine Demel „ […] und das Heil der Seelen vor Augen, das in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muss“ (c. 1752 CIC).18
Der CIC/1917 hat ähnlich und doch ganz anders geendet, nämlich mit den Buchstaben: A.M.D.G. (= Ad Maiorem Dei Gloriam – Zur größeren Ehre Gottes). Damit war die Zielsetzung allen Rechts in der Kirche zusammengefasst: die größere Ehre Gottes, der die Menschen zu dienen haben.19 1. Recht und Gesetz in Dienstfunktion Beide gesetzlichen Schlussakkorde passen gut zusammen und können miteinander verbunden werden: Recht und Gesetz in der Kirche gereichen zur größeren Ehre Gottes, wenn bei ihrer Normierung, Interpretation und konkreten Anwendung stets das Heil der Seelen vor Augen steht, das in der Kirche das oberste Gesetz ist. In dieser Sichtweise sind zwei wesentliche Aspekte enthalten, die sich gegenseitig bedingen: ¢ Recht und Gesetz in der Kirche stehen – idealiter – nicht in Widerspruch zum Heil der Seelen, sondern vielmehr in dessen Dienst. Recht und Gesetz in der Kirche bilden die Grundlage des Heils der Seelen, dürfen deshalb aber nicht zu dessen Grenze werden. Denn das Heil der Seelen steht über Recht und Gesetz, nicht unter ihnen, weil die Erfüllung des Heils der Seelen die Barmherzigkeit ist, die sich an Recht und Gesetz orientiert, diese aber auch übersteigt.20 Das heißt, dass das Heil der Seelen weder ausschließlich durch Barmherzigkeit, also gänzlich ohne Recht und Gesetz, noch umgekehrt gänzlich ohne Barmherzigkeit, also allein mit Recht und Gesetz, verwirklicht werden kann, sondern nur im Zusammenspiel beider. ¢ Das Heil der Seelen ist nicht nur ein Ziel von Recht und Gesetz in der Kirche, sondern deren eigentliches Ziel. Recht und Gesetz in der Kirche haben nicht nur der diesseits-irdischen, sondern auch der jenseits-himmlischen Friedensund Freiheitsordnung der Menschen zu dienen. Deshalb haben sie die Menschen nicht nur als Freiheitswesen im Blick, sondern auch als religiöse Wesen, und sind weniger auf das körperlich-geistige als auf das geistliche Wohl der Menschen ausgerichtet. Das Letztkriterium für die Geltung und Inanspruchnahme von Recht und Gesetz in der Kirche ist somit nicht die innerweltliche, sondern die überweltliche Ordnung, weshalb im Zweifelsfall die überweltliche Ordnung Vorrang hat 18
Von dem Schlussakkord in c. 1752 abgesehen wird das Heil der Seelen an fünf weiteren Stellen im CIC/1983 explizit genannt (cc. 747 § 2; 978; 1152 § 2; 1736 § 2; 1737 § 3). Im Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen kommt dagegen der Ausdruck Heil der Seelen nicht vor, auch nicht in c. 1400 CCEO, der die Parallelbestimmung zu c. 1752 darstellt (vgl. Peter Erdö, Die Funktion der Verweise auf das „Heil der Seelen“ in den zwei Gesetzbüchern der katholischen Kirche, in: öarr 49 (2002), S. 279 – 292, hier S. 288). 19 Vgl. Klaus Lüdicke, nach c. 1752, in: MK CIC (Stand: April 1992). 20 Vgl. Thomas Schüller, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation in der Kirche im Dienste der salus animarum. Ein kanonistischer Beitrag zu Methodenproblemen der Kirchenrechtstheorie, Würzburg 1993, S. 306.
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vor der innerweltlichen und Recht und Gesetz so zu interpretieren und auszulegen sind, dass dem Heil der Seelen der Vorrang zukommt.
2. Gemeinschaftsperspektive unter Beachtung des/der Einzelnen Zur Vermeidung von Missverständnissen ist explizit darauf hinzuweisen, dass hier vom „Heil der Seelen“ im Plural die Rede ist, nicht vom „Heil der Seele“ im Singular. Somit kann das Seelenheil des/der Einzelnen nicht über das Seelenheil der Gemeinschaft gestellt werden. Umgekehrt kann aber ebenfalls formuliert werden, dass ein Seelenheil der Gemeinschaft unter Nichtbeachtung des Seelenheiles des/der Einzelnen einen Widerspruch darstellt. Beide Aspekte gehören zusammen: „Daher dürfen Heil der Gläubigen und Heil des Einzelnen nicht nach numerischen Erwägungen gegeneinander ausgespielt werden, sondern das Spannungsverhältnis von Einzelnem und Gemeinschaft muss je neu nach Situation unter dem Primat der Heilszuwendung zunächst ausgehalten, dann abgewogen und schließlich einer Rechtsentscheidung zugefügt werden.“21
Das Heil der Seelen als oberstes Gesetz in der Kirche und damit als Richtschnur allen kirchlichen Handelns wie auch „Prüfstein allen kirchlichen Rechtes“22 schließt also das Heil des/der Einzelnen und das Heil der unmittelbar betroffenen Gemeinschaft wie auch des Gottesvolkes insgesamt ein. Vielleicht war das ein oder sogar der entscheidende Grund dafür, dass der kirchliche Gesetzgeber die Maxime kirchlichen Rechts nicht als eine isolierte Grundsatznorm formuliert, sondern sie in ein konkretes rechtliches Verfahren eingebunden hat, nämlich in die Versetzung von Pfarrern gegen deren Willen (cc. 1748 – 1752 CIC): „Bei Versetzungssachen sind die Vorschriften des can. 1747 anzuwenden, unter Wahrung der kanonischen Billigkeit und das Heil der Seelen vor Augen, das in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muss.“ (c. 1752)
Hier wird deutlich ins Bewusstsein gehoben, dass bei der rechtlichen Entscheidung nicht nur das Seelenheil des betroffenen Pfarrers oder das der betroffenen Gemeinschaft der Pfarrei zu berücksichtigen ist, sondern das Heil der Seelen beider, aber ebenso auch das der künftigen Pfarrei, in die der Pfarrer versetzt werden soll, wie auch das des (übergeordneten) diözesanen Gottesvolkes und der Kirche insgesamt. 3. Prinzip der Rechtsanwendung Dieses konkrete Beispiel der Versetzung von Pfarrern gegen ihren Willen zeigt aber auch noch ein zweites wichtiges Moment auf: Für die Berufung auf das Seelen21 22
Ebd., S. 318. Lüdicke, nach c. 1752 (Anm. 19).
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heil genügt es nicht, gesetzeskonforme Entscheidungen zu treffen. Die unterschiedlichen Interessen und Umstände, die unter dem Aspekt des Heils der Seelen zu beachten sind, können nur berücksichtigt und miteinander abgewogen werden, wenn zur Beachtung des Gesetzes weitere übergesetzliche Rechtsinstitute gelten und angewendet werden wie z. B. die kanonische Billigkeit – die in diesem Zusammenhang der Versetzung von Pfarrern gegen ihren Willen vom Gesetzgeber selbst schon genannt ist –, die Dispens und die Epikie. Je nachdem, ob sich unter Einbeziehung dieser Rechtsinstitute die Anwendung eines Gesetzes als bester Beitrag zum Heil der Seelen erweist oder nicht, ist es zu befolgen oder (teilweise) nicht zu befolgen. Denn jedes Gesetz soll dem Heil der ChristInnen in der Kirche und in der Welt dienen, und nur insoweit es dazu beiträgt, soll es beachtet, ausgelegt und angewendet werden. Daher ist primär nicht der Buchstabe des Gesetzes verpflichtend, sondern die dahinter stehende theologische Wahrheit der göttlichen Liebe und seines Erbarmens. Sie berechtigen und verpflichten dazu, bei Bedarf ein Gesetz zur wahren Gerechtigkeit hin zu korrigieren.23 Das Heil der Seelen ist somit „vor allem ein Prinzip der Rechtsapplikation, das jedoch, um den Anspruch der Heilszuwendung rechtlich umzusetzen, weiterer Rechtsinstitute bedarf,“24 und hier vor allem der kanonischen Billigkeit. Zugespitzt formuliert kann sogar gesagt werden: Wenn immer das Heil der Seelen oberstes Gesetz der Kirche sein muss, dann muss auch immer die kanonische Billigkeit den Prozess der kirchlichen Rechtsanwendung bestimmen und gestalten.25
III. Recht leben als Maßstab für die Rechtsanwendung Eine Hauptgefahr, die jeder Rechtsordnung droht, ist die Gleichsetzung von Recht und Gesetz. Doch zum Recht gehört mehr als nur das Gesetz; „Gesetze [sind] nicht das Recht schlechthin […], sondern seine vornehmliche Erkenntnisquelle.“26 Demzufolge kann und darf rechtliches Denken und Handeln auch nicht nur auf eine Buchstabengerechtigkeit und einen Gesetzesgehorsam reduziert werden; rechtliches Denken und Handeln verlangt vielmehr, nicht nur auf den Wortlaut eines Gesetzes zu achten, sondern mit Hilfe übergeordneter Rechtsprinzipien wie der (höheren) Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit, Verhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit sowie Zweckmäßigkeit als deren Teilaspekte den Sinn des Gesetzes auf die konkrete Situation anzuwenden. Deshalb kann und darf „Recht“ nicht einfach nur auf die beiden Rechtsebenen der Rechtsvorschrift (= Gesetz) und der Rechtsanwendung reduziert werden. Zum Recht gehört vielmehr eine weitere Ebene wesentlich dazu, nämlich die Metaebene des 23
Vgl. Eugenio Corecco, Handlung „contra legem“ und Rechtssicherheit im kanonischen Recht, in: ders., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht. Hrsg. von Libero Gerosa/ Ludger Müller, Paderborn 1994, S. 35 – 54, hier S. 41, S. 47 u. S. 51. 24 Schüller, Die Barmherzigkeit (Anm. 20), S. 319. 25 Vgl. ebd., S. 420. 26 Müller, Der Rechtsbegriff (Anm. 12), S. 306.
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Rechts. Denn auf der Metaebene des Rechts werden die entscheidenden Fragen nach Sinn und Zweck wie auch nach den Auswirkungen einer konkreten Rechtsvorschrift gestellt. Demzufolge kann und darf eine Rechtsvorschrift nicht einfach nur befolgt und angewendet werden; geschieht dies, ist der Vorwurf einer rein positivistischen Rechtsanwendung zu erheben, die nur und direkt den Buchstaben des Gesetzes beachtet und einen reinen Gesetzesgehorsam leistet, ohne dessen Voraussetzungen, Zielrichtung und Konsequenzen zu bedenken. Wer nicht nur nach der Rechtsvorschrift bzw. nach dem Gesetz handeln will, sondern auch gerecht sein will, ist verpflichtet, vor der Anwendung des Gesetzes die Metaebene des Rechts zu beachten und zu befragen. Hier auf der Metaebene des Rechts wird die Frage nach dem geltenden Recht durch die Frage nach dem rechten bzw. gerechten Recht ergänzt. Diese Rückbindung an die Metaebene des Rechts kann als präpositive Rechtsanwendung bezeichnet werden. Denn sie prüft, ob die konkrete Rechtsvorschrift dem Frieden und der Freiheit, aber auch der Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit sowie dem Wohl der Gemeinschaft und des/der Einzelnen dient. Je nach dem Ergebnis der Prüfung wird dann ein verantworteter Gehorsam bzw. Ungehorsam gegenüber der Rechtsvorschrift und ihrer Anwendung geleistet. Speziell im Kirchenrecht muss aber vor der präpositiven Rechtsanwendung noch eine weitere Metaebene bedacht werden, nämlich die der theologischen Grundlagen der konkreten Rechtsvorschrift. Gerechtigkeit in der Kirche verlangt, eine kirchliche Rechtsvorschrift an den zentralen Glaubensüberzeugungen und Lehren der katholischen Kirche zu überprüfen wie z. B. an den Glaubenslehren über die Kirche als Heilsgemeinschaft Gottes und der Menschen, über die Liebe und Barmherzigkeit Gottes, den Glaubenssinn aller Gläubigen, das gemeinsame und amtliche Priestertum. Deshalb kann hier gleichsam von einer theologisch rückgebundenen präpositiven Rechtsanwendung gesprochen werden. Ihre Kennzeichen sind die beiden Fragestellungen: Welches theologische Anliegen steht hinter den Rechtsbestimmungen? Und kommt dieses theologische Anliegen durch die konkrete Rechtsvorschrift hinreichend zum Tragen? Werden hier theologische Fragwürdigkeiten oder Widersprüche festgestellt, werden diese im Sinne der Theologie zu lösen versucht. Natürlich müssen solche theologisch rückgebundenen Überlegungen nicht bei jedem kirchlichen Lebensbereich im gleichen Ausmaß angewendet werden und auch nicht bei jeder Einzelnorm erfolgen. Hier gibt es eindeutig ein qualitatives Gefälle. Das zeigen folgende Beispiele: So ist etwa das kirchliche Verfassungs-, Verkündigungs- und Sakramentenrecht wesentlich mehr auf seine theologischen Grundlagen und Grenzen zu befragen als etwa das kirchliche Vermögens- und Prozessrecht. Andererseits ist z. B. die vermögensrechtliche Grundnorm, dass alle Gläubigen „verpflichtet sind, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten, damit ihr die Mittel zur Verfügung stehen, die für den Gottesdienst, die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für einen angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig sind“ (c. 222 § 1 i. V. m. c. 1261 § 2 CIC) theologisch wichtiger als manche Einzelnorm aus dem Verkündigungsrecht wie etwa die des c. 765 CIC, dass „zur Predigt vor Ordensleuten in ihren Kirchen oder Kapellen […] die Erlaubnis des nach Maßgabe
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der Konstitutionen zuständigen Oberen erforderlich [ist].“ Generell ist aber festzuhalten, dass erst die theologisch rückgebundene Gesetzesvorschrift mit den übergeordneten Rechtsprinzipien, also der Metaebene des Rechts, konfrontiert werden darf. Gegebenenfalls werden im Anschluss daran für die konkrete Situation die theologischen Rechtsprinzipien des Seelenheiles, der Dispens, kanonischen Billigkeit oder Epikie angewendet. Langfristig werden gesetzliche Verbesserungsmöglichkeiten und Reformmodelle entwickelt, indem z. B. Gesetze geändert, gestrichen oder auch neue hinzugefügt werden. Nur wo und wenn diese verschiedenen Ebenen des Rechts beachtet werden, kann Recht (in der Kirche) den Anforderungen des Lebens entsprechend angewendet sowie fortentwickelt werden und so eine gerechte Ordnung bleiben bzw. werden, die im Dienst (Gottes und) des Menschen steht und nicht umgekehrt (Gott und) den Menschen zu ihrem Diener macht.
IV. Schlussplädoyer: Recht leben in der Kirche als eine Gabe und Aufgabe aller „Eine Rechtsordnung, und sei sie noch so perfekt konzipiert, nimmt die Last eigenverantworteter Entscheidung nicht ab, dennoch leistet sie einen unschätzbaren Dienst, indem sie dafür sorgt, dass der einzelne Rechtsgenosse von dieser Last nicht erdrückt wird. Sie schenkt Luft zum Atmen, Wissen und Erfahrung der Rechtsgemeinschaft stehen jedermann zur Verfügung.“27
Noch schärfer formuliert: „Es darf nicht dazu kommen, dass der Mensch auf der Ebene des Rechts zum reinen Rollenträger abfällt. Recht muss, in Begründung wie Anwendung, sittlich verantwortbar bleiben.“28 Das gilt für jede (ge)rechte Rechtsordnung, aber insbesondere für die Rechtsordnung der katholischen Kirche, die von der Geistbegabung aller ihrer Glieder kraft der Taufe ausgeht. Denn genau diese Geistbegabung ist es, die jeden und jede dazu befähigt, damit aber auch verpflichtet, aktiv – ob gelegen oder ungelegen – dazu beizutragen, „dass das Recht in der Kirche rechtes Recht, d. h. Recht der christlichen Freiheit im Geist“29 ist und wird. Sie haben die Gabe und damit auch die Aufgabe, aus ihrer gelebten Beziehung zu Gott heraus die Rechtsordnung mit ihren Gesetzen und Prinzipien unter dem Aspekt der Gerechtigkeit Gottes und seines Geistes zu prüfen und dementsprechend auszulegen, anzuwenden und gegebenenfalls Reformen vorzuschlagen. Denn – wie der Jubilar zu Recht betont – „gilt nicht ,ius quia iussum‘,
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Klaus Demmer, Christliche Existenz unter dem Anspruch des Rechts. Ethische Bausteine der Rechtstheologie, Freiburg (Schweiz) 1995, S. 213. 28 Ebd., S. 214. 29 Walter Kasper, Die Kirche als Sakrament des Geistes, in: ders./Sauter, G., Kirche-Ort des Geistes, Freiburg i.Br. 1976, S. 14 – 55, hier S. 38.
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sondern ,ius quia iustum‘. Die erste Formel würde auf eine Trennung von Recht und Moral und folglich auch von Recht und Gerechtigkeit hinauslaufen.“30 Soll und will katholische Kirche also eine lebendige und einladende Wirklichkeit im Dienst des Heils der Menschen sein, braucht sie rechtliche Normen, darf diese aber nicht zum Allheilmittel oder allein gültigen Maßstab erheben. Die rechtlichen Strukturen müssen vielmehr so gestaltet sein und werden, dass sie für das Wirken des Heiligen Geistes und die Antwort des Menschen offen sind und bleiben. „Recht [hat] die tragende, stützende Aufgabe eines Skeletts, ohne das Lebewesen nicht sein können. Das Skelett soll ja nicht sichtbar, aber es muss da sein. So hat das Recht zu stützen, Formen zu bieten, zu dienen, zu helfen, anzuspornen, Lebensart zu beeinflussen, Ordnung zu sichern, jedem Glied des Volkes Gottes das Seine zuzuteilen, auf dass das Christliche Leben verwirklicht, das Heil gefunden, die Kirche als Stadt auf dem Berge sichtbar und die Jüngerschaft Christi zum durchwirkenden Sauerteig dieser Welt werde.“31
Entscheidend ist, dass auf der Grundlage von Recht die vielfältigen Dimensionen der Kirche so zum Tragen kommen, dass eine Kirche entsteht, die nach dem Willen Gottes ist und den Bedürfnissen der Menschen in ihrer Zeit und Kultur entspricht. Das wiederum kann aber nur gelingen, wenn die Rechtsnormen nicht nur von der kirchlichen Autorität im Alleingang, sondern in Rückbindung an den Rechtssinn und die faktisch gelebte Rechtsüberzeugung des gesamten Volkes Gottes gestaltet und angewendet werden. Und im gleichen Maße unabdingbar dafür ist die Bereitschaft sowohl der kirchlichen Autorität als auch des gesamten Volkes Gottes der Kirche, sich stets von Neuem darum zu bemühen, Recht so zu leben, dass sie die Spannung aushalten, ja sogar suchen, zwischen Frieden (in der Gemeinschaft) und Gerechtigkeit (im Einzelfall), zwischen „Rechtsgerechtigkeit und Heilsgerechtigkeit,“32 zwischen rechtlichem Formalismus und reinem Subjektivismus, zwischen unrechter (= positivistischer) Gesetzesstrenge und unrechter (= willkürlicher) Barmherzigkeit. Auf den Punkt gebracht, kann mit dem Jubilar formuliert werden: „Wird aber das ethische Fundament des Rechts nicht mehr ernsthaft in Rechnung gestellt, so erreicht das Recht als eine den Menschen nur äußerlich tangierende Größe die Person selbst in ihren Grundvollzügen von vornherein nicht mehr. Dann legt sich auch die Auffassung nahe, Recht stünde der persönlichen Freiheit und Selbstverwirklichung, der Lebensentfaltung des Einzelnen hemmend im Wege, sei eine anonyme Autorität, ein mehr oder weniger notwendiges Übel.“33
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Pree, Zum Stellenwert (Anm. 1), S. 6. Audomar Scheuermann, Die Rechtsgestalt der Kirche, in: Die Kirche. Fünfzehn Betrachtungen. Hrsg. v. Wilhelm Sandfuchs, Würzburg 1978, S. 69 – 82, hier S. 77. 32 Markus Graulich, Unterwegs zu einer Theologie des Kirchenrechts. Die Grundlegung des Rechts bei Gottlieb Söhngen (1892 – 1971) und die Konzepte der neueren Kirchenrechtswissenschaft, Paderborn 2006, S. 408. 33 Pree, Zum Stellenwert (Anm. 1), S. 1 f. 31
Konziliare Ekklesiologie und kanonische Sprache Stephan Haering
I. Einleitung Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) und die Sprache des kanonischen Rechts sind zwei Größen, die auf einen ersten, flüchtigen Blick kaum Berührungspunkte zu besitzen scheinen.1 Da steht auf der einen Seite das Konzept einer Lehre von der Kirche, wie es das Konzil2, vor allem in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium3, aber auch in weiteren Dokumenten, vorgelegt hat. Auf der anderen Seite begegnet man dem System einer spezifischen kirchlichen Rechtssprache, welches im Gesetzbuch Codex Iuris Canonici in besonderer Dichte greifbar wird. Der genauen Erfassung, Sichtung und Durchdringung der kirchlichen Rechtssprache hat unter anderem Helmuth Prees zweiter Vorgänger auf dem Münchner Lehrstuhl, Klaus Mörsdorf (1909 – 1989)4, besondere Aufmerksam1 Abkürzungen: DGDC = Diccionario general de derecho canónico, 7 Bde., Cizur Menor 2012; LKStKR = Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, 3 Bde., Paderborn u. a. I 2000, II 2002, III 2004. Der Jubilar Helmuth Pree, dem dieser Beitrag in dankbarer Verbundenheit gewidmet ist, hat sich während seiner Tätigkeit am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München in zahlreichen Lehrveranstaltungen und Publikationen sowohl mit dem Verfassungsrecht der lateinischen Kirche und der katholischen Ostkirchen, das die Ekklesiologie jeweils juridisch konkretisiert, als auch mit Problemen der kirchlichen Rechtssprache auseinandergesetzt. – Der vorliegende Beitrag geht zurück auf den Vortrag des Verfassers beim Studientag des Bistums Augsburg am 07. 07. 2014 im Haus St. Ulrich in Augsburg; für die Publikation wurde der Vortragstext überarbeitet und ergänzt. 2 Zu Vorgeschichte und Verlauf des Konzils: Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959 – 1965), 5 Bde. Hrsg. v. Giuseppe Alberigo/Klaus Wittstadt (Bde. 1 – 3), Günther Wassilowsky (Bde. 4 – 5), Mainz bzw. Ostfildern/Leuven 1997 – 2009; Agostino Marchetto, Art. Concilio Vaticano II, in: DGDC II, S. 400 – 406 (Lit.). 3 AAS 57 (1965), S. 5 – 75; lat. und dt.: LThK2-Konzilskommentar I (1966), S. 156 – 359; Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen. Lat.-dt. Studienausgabe. Hrsg. v. Peter Hünermann (= Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 1), Freiburg/Basel/Wien 2004, S. 73 – 185. 4 Vgl. Franz Kalde, Art. Mörsdorf, Klaus, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 6, Herzberg 1993, Sp. 11 – 13 (Lit.); Winfried Aymans, Art. Mörsdorf, Klaus, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 17, Berlin 1994, S. 683 f. (Lit.); Andreas Rudiger, Klaus Mörsdorf – bleibender Inspirator der Theologie, in: AfkKR 171 (2002), S. 3 – 37 (mit ausführlicher Dokumentation des Schrifttums zu Mörsdorfs Werk); Winfried Aymans, Art. Mörsdorf, Klaus, in: Lexikon des Kirchenrechts, Freiburg/Basel/Wien 2004, Sp. 1119 f. (Lit.);
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keit gewidmet.5 Doch auch ein anderer bekannter Gelehrter, der wie Helmuth Pree aus der an namhaften Fachvertretern reichen Tradition der österreichischen Kirchenrechtswissenschaft kommt, der jahrzehntelang an der Universität Wien wirkende Rudolf Köstler (1878 – 1952)6, hat der fachlichen Bedeutung der Rechtssprache in seinem Werk speziell Rechnung getragen.7 Die zweifellos wichtige Auseinandersetzung der Kanonistik mit der Sprache des Gesetzes kann indes – durchaus aufgrund einer bewussten forscherischen Entscheidung und methodisch legitim begründet – systemimmanent bleiben und hat nicht zwingend etwas zum Brückenschlag zur kirchlichen Doktrin und deren Aussagen beizutragen. Das System der kanonischen Sprache8, das nicht zuletzt stark historisch vorgeprägt ist, muss trotz allem nicht sonderlich geeignet erscheinen, die in mancher Hinsicht erneuerte und vertiefte Ekklesiologie des Konzils in sich aufzunehmen und diese recht widerzuspiegeln. Papst Johannes Paul II. (1978 – 2005)9 nahm zur Frage der wechselseitigen Berührung und Zuordnung der beiden Phänomene, der Doktrin des Konzils einerseits und des kirchlichen Gesetzbuchs andererseits, einen eigenen Standpunkt ein. Dieser Papst hat gelegentlich den revidierten CIC als das letzte Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils bezeichnet.10 Diese päpstliche Äußerung darf natürlich nicht so ders., Klaus Mörsdorf. Erinnerungen an den akademischen Lehrer und väterlichen Freund anlässlich seines 100. Geburtstages, in: AfkKR 178 (2009), S. 3 – 16; Stephan Haering, Der Münchener Kanonist Klaus Mörsdorf und das Zweite Vatikanische Konzil, in: Erneuerung in Christus. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) im Spiegel Münchener Kirchenarchive. Begleitband zur Ausstellung des Erzbischöflichen Archivs München, des Archivs der Deutschen Provinz der Jesuiten und des Karl-Rahner-Archivs München anlässlich des 50. Jahrestags der Konzilseröffnung. Hrsg. v. Andreas R. Batlogg/Clemens Brodkorb/Peter Pfister (= Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising 16), Regensburg 2012, S. 177 – 190; Arturo Cattaneo, Art. Mörsdorf, Klaus, in: DGDC V, S. 472 – 474. 5 Vgl. Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (= Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröff. der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft 74), Paderborn 1937 (Nachdr. 1967). 6 Vgl. Eva M. Synek, Art. Koestler, Rudolf, in: LKStKR II, S. 588 f. (Lit.; nennt als Geburtsjahr Köstlers irrtümlich 1873); Bruno Primetshofer, Art. Köstler, Rudolf, in: Lexikon des Kirchenrechts (Anm. 4), Sp. 1107 f. (Lit.). 7 Rudolf Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici, München 1927. 8 Vgl. Lothar Wächter, Art. Rechtssprache, in: LKStKR III, S. 379 – 381 (Lit.); ferner Stephan Haering, Lateinische Sprache und kanonisches Recht, in: Seminarium 43 (2003), S. 237 – 256. 9 Vgl. Erwin Gatz, Art. Johannes Paul II., in: Lexikon der Päpste und des Papsttums. Red. v. Bruno Steimer, Freiburg/Basel/Wien 2001, Sp. 208 – 211 (Lit.); Andrea Riccardi, Johannes Paul II. Die Biografie. Übers. aus dem Ital. v. Antje Peter, Würzburg 2012. 10 So etwa in der Ansprache, die Johannes Paul II. am 21. 11. 1983 an die Teilnehmer des Kurses der Päpstlichen Universität Gregoriana über den neuen Codex Iuris Canonici richtete (Original in ital. Sprache), in: Communicationes 15 (1983), S. 124 – 126, hier S. 125; dt. Übers.: AfkKR 152 (1983), S. 517 – 520, hier S. 518; wieder am 26. 01. 1984 in der Ansprache an die Richter der Römischen Rota, in: AAS 76 (1984), S. 643 – 649, hier S. 644; dt. Übers.: AfkKR 153 (1984), S. 130 – 136, hier S. 131.
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verstanden werden, dass der erneuerte CIC von 1983 in formaler Hinsicht den Konzilstexten zugeordnet werden sollte. Das wäre schon aus logischen Gründen nicht möglich, weil das II. Vatikanum bei Promulgation des Gesetzbuchs am 25. Januar 1983 bereits ein, seit mehr als 17 Jahren, abgeschlossenes geschichtliches Ereignis war. Auch die Autoritäten, die formell hinter den Konzilstexten auf der einen und dem CIC auf der anderen Seite stehen, sind klar voneinander zu unterscheiden. Während die Konzilsdokumente von dem gesamten, auf dem Konzil versammelten Bischofskollegium getragen und durch das Haupt des Kollegiums, den Papst, approbiert worden sind, handelt es sich beim CIC um ein allein vom päpstlichen Jurisdiktionsprimat gestütztes Gesetzbuch. Mit anderen Worten: Papst Johannes Paul II. allein hat den CIC formell in Rechtskraft gesetzt, auch wenn die Bischöfe und andere Instanzen an der inhaltlichen Erarbeitung des Gesetzbuchs in erheblichem Maße beteiligt waren. Die genannte Äußerung von Johannes Paul II., die den CIC als letztes Konzilsdokument einstuft, ist also in einem übertragenen Sinn zu verstehen. Der Papst wollte damit zum Ausdruck bringen, dass das Gesetzbuch auf den Beschlüssen des Konzils aufbaue und sich in seiner rechtlichen Ordnung die auf dem Konzil gewonnene Selbstsicht der Kirche ausdrücke. Wie sich das im Einzelnen im CIC niederschlägt, wird noch anzusprechen sein. Die Verbindung von Konzil und kirchlichem Recht ist freilich nicht nur im Hinblick auf das II. Vatikanum und den gegenwärtig geltenden CIC gegeben, sondern sie gehört sozusagen seit alters zum Leben der Kirche. Denn beim Blick in die Kirchengeschichte nimmt man wahr, dass bischöfliche Synoden über lange Zeit den bevorzugten Ort zur Schaffung kirchlicher Normen bildeten. Außerdem dienten partikulare Synoden, besonders im hohen und späten Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit, vielfach dazu, gesamtkirchliche rechtliche Neuerungen bekanntzumachen und sie regional zu implementieren. Synodale Tätigkeit und kirchliche Gesetzgebung berühren sich also insofern, als es bei beiden stets um die Erneuerung und Verbesserung des Lebens der Kirche und des Apostolats des Gottesvolkes geht. Im Fall des Zweiten Vatikanischen Konzils und des CIC/1983 kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, welcher die Zusammengehörigkeit von Konzil und kanonischem Recht besonders deutlich sichtbar macht. Gemeint ist die gleichzeitige öffentliche Kundmachung des Konzilsplans und der künftigen CIC-Reform durch den Papst. Als Papst Johannes XXIII. (1958 – 1963)11 am 25. Januar 1959 in der Basilika St. Paul vor den Mauern in Rom die Einberufung eines ökumenischen Konzils ankündigte, war dies nicht das einzige Vorhaben, welches er den damals versammelten
11 Vgl. Giuseppe Alberigo, Art. Johannes XXIII., in: Lexikon der Päpste und des Papsttums (Anm. 9), Sp. 203 – 207 (Lit.); Marco Roncalli, Heiterkeit, die von Gott kommt. Johannes XXIII. – der heilige Papst. Mit einem Nachw. v. Loris F. Capovilla. Aus dem Ital. übers. v. Barbara Häußler, Würzburg 2014.
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Kardinälen eröffnete.12 Er sprach auch von der bevorstehenden Durchführung einer Synode für die Diözese Rom und von der Revision des kirchlichen Gesetzbuchs Codex Iuris Canonici, dessen Erstellung von Papst Pius X. (1903 – 1914)13 in Auftrag gegeben und das von Papst Benedikt XV. (1914 – 1922)14 im Jahr 1917 promulgiert worden war. Den kirchlichen Bedürfnissen der Gegenwart schien der CIC, der damals mehr als vier Jahrzehnte in Geltung stand, in vieler Hinsicht nicht mehr gerecht zu werden. Das Zweite Vatikanische Konzil und das kirchliche Gesetzbuch, das Johannes Paul II. schließlich 1983 in seiner revidierten Fassung in Kraft setzte, haben also personell und zeitlich denselben Ausgangspunkt, nämlich die Ankündigung durch Johannes XXIII., bereits wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst. Die Tatsache, dass Johannes Paul II. für die Promulgation des erneuerten CIC den 25. Januar 1983 gewählt hat, weist nochmals deutlich auf den Zusammenhang zwischen Konzil und Gesetzbuch hin, denn es handelte sich um den 24. Jahrestag der Ankündigung dieser beiden großen Vorhaben. Nach diesen einleitenden Hinweisen soll im Folgenden einigen Spuren der konziliaren Ekklesiologie im Gesetzbuch nachgegangen werden. Im Anschluss an allgemeine Bemerkungen zum Zusammenhang von Konzil und CIC (II.) wird an ausgewählten Regelungsmaterien des CIC dargestellt, wie das Gesetzbuch wichtige Elemente der Ekklesiologie des jüngsten Konzils in die kanonische Sprache, das Medium des kirchlichen Rechts, umgesetzt hat (III.). In einem kurzen Abschnitt richtet sich dann der Blick auf die Frage, in welchem hermeneutischen Verhältnis die Dokumente des Konzils und die Normen des CIC zueinander stehen (IV.). Es folgen ein Hinweis darauf, dass die kirchliche Gesetzgebung auch zur Herausforderung für die Doktrin werden kann (V.), und eine Schlussbemerkung (VI.).
II. Konzil und Codex Iuris Canonici im Allgemeinen Im Verhältnis von Konzil und CIC kann man den alten Grundsatz wiedererkennen, der lautet: ius sequitur vitam – das Recht folgt dem Leben bzw., anders akzentuiert, ius sequitur doctrinam – das Recht folgt der Lehre, ja man kann sogar sagen, dem Glauben der Kirche. Lehre und Glauben gehen dem Recht in der Kirche voraus und bilden eine wesentliche Voraussetzung und Grundlage für dieses. Die genannte Abfolge ist hier zunächst einfach chronologisch zu verstehen. Das Konzil und die Reform des kirchlichen Gesetzbuchs wurden von Papst Johannes XXIII. zwar gemeinsam angekündigt, aber die Umsetzung beider Vorhaben verlief 12
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Papst Johannes XXIII., Sollemnis Allocutio vom 25. 01. 1959, in: AAS 51 (1959), S. 65 –
Vgl. Roger Aubert, Art. Pius X., in: Lexikon der Päpste und des Papsttums (Anm. 9), Sp. 333 – 338 (Lit.). 14 Vgl. Georg Schwaiger, Art. Benedikt XV., in: Lexikon der Päpste und des Papsttums (Anm. 9), Sp. 33 – 35 (Lit.).
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nicht parallel. Erst 1963 wurde die Kardinalskommission für die Reform des CIC eingesetzt, die sich aber bei ihrer konstituierenden Sitzung selbst sofort vertagte und festlegte, dass die Arbeiten der Rechtsreform erst nach Abschluss des Konzils aufgenommen werden sollten.15 Der Grund für die Entscheidung bestand darin, dass die Ergebnisse des Konzils abgewartet und dann als Basis für die Revisionsarbeiten am Gesetzbuch dienen sollten. Doch ebenso wenig wie das Zweite Vatikanische Konzil die Kirche neu erfunden, sondern die bisherige kirchliche Lehrtradition fortgeführt, vertieft und neuen Erfordernissen angepasst hat, konnte bei der nachkonziliaren Rechtsreform allein auf die Beschlüsse des jüngsten Konzils rekurriert werden. Auch das bisherige Gesetzbuch der Kirche und die kirchliche Rechtstradition insgesamt lieferten wesentliche Anhaltspunkte für die Arbeiten der zuständigen Reformkommission. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass das Zweite Vatikanische Konzil, und insbesondere dessen ekklesiologische Aussagen, das nachkonziliare Gesetzbuch in erheblichem Maße geprägt haben. Nimmt man die 1989 durch die Päpstliche Kommission für die authentische Interpretation des CIC amtlich publizierte Ausgabe des Gesetzbuchs zur Hand, die mit den Quellennachweisen zu den einzelnen Normen versehen ist, dann kann man rasch feststellen, dass, neben den Hinweisen auf jeweils sachlich entsprechende Kanones des CIC von 1917, die Dokumente des Konzils am häufigsten als Ausgangs- und Bezugspunkt für die neuen gesetzlichen Bestimmungen angeführt werden.16 Doch nicht allein inhaltliche Verweisungen sind zu konstatieren; denn bei näherer Prüfung des Wortlauts der Kanones kann man immer wieder beobachten, dass einzelne Normen des Gesetzbuchs wörtlich Passagen von Konzilstexten wiedergeben. So wird die Sprache des Konzils ganz unmittelbar auch die Sprache der Kanones. An dieser Stelle ist beiläufig darauf hinzuweisen, dass solche Zitate von Konzilstexten das Gesetzbuch für den kirchenrechtlichen Nichtfachmann nicht ohne weiteres leichter verständlich machen. Denn die theologische und binnenkirchliche Diktion ist nicht nur in Rechtstexten häufig so spezifisch geprägt, dass es besonderes Verständnis und eine gewisse Erfahrung im Umgang damit braucht. Um nur ein Beispiel für ein wörtliches Zitat aus einem Konzilstext im Gesetzbuch zu nennen, sei auf c. 838 CIC über die Instanzen des liturgischen Rechts verwiesen, eine nur auf den ersten Blick nicht ekklesiologisch einschlägige Bestimmung. Dieser Kanon orientiert sich an Artikel 22 der Konstitution Sacrosanctum Concilium17 und übernimmt in seinem Paragraphen 1 exakt Paragraph 1 des genannten Konzilsarti15 Vgl. Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR2, S. 49 – 76, hier S. 54 f. 16 Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici authentice interpretando, Codex Iuris Canonici auctoritate Ioannis Pauli Pp. II promulgatus. Fontium annotatione et indice analyticoalphabetico auctus, Città del Vaticano 1989. 17 AAS 56 (1964), S. 97 – 134; lat. und dt.: LThK2-Konzilskommentar I (1966), S. 14 – 109; Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (Anm. 3), S. 3 – 56.
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kels, in dem über die Kompetenz des Apostolischen Stuhls und die normierte Kompetenz des Diözesanbischofs in liturgischen Dingen gehandelt wird.18 Als weitere Instanz des liturgischen Rechts erwähnt SC 22 § 2 die Bischofskonferenzen, die ihrerseits in c. 838 § 3 erscheinen, hier allerdings nur bis zu einem gewissen Grad inhaltlich und nicht im Wortlaut die Liturgiekonstitution aufgreifend.19 Im Übrigen sei nur darauf hingewiesen, dass beispielsweise die theologischen Grundaussagen, die sich jeweils im ersten Kanon der einzelnen Titel zu den sieben Sakramenten finden, regelmäßig aus Konzilsdokumenten zitieren. Auch in anderen Materien des Gesetzbuchs, etwa im Dritten Buch über den Verkündigungsdienst der Kirche, finden sich mehrfach solche Zitate aus Konzilstexten. Nicht immer sind solche wörtlichen Übernahmen aus Konzilstexten in das Gesetzbuch möglich und sachlich angemessen gewesen. Denn man darf nicht verkennen, dass auf dem Konzil auch eine Strömung vorhanden und wirksam war, die in einer befürchteten (oder behaupteten) Verrechtlichung von Kirche und Theologie eine schädliche Tendenz wahrnahm. Dies trug dazu bei, dass den Konzilsbeschlüssen teilweise eine gewisse „Rechtsfremdheit“ eignet und man bei der Formulierung der Texte eine rechtlich geprägte Sprache und denkbare rechtliche Bezugspunkte eher zu vermeiden trachtete.20 Einer direkten „Umpflanzung“ von Konzilstexten in das Gesetzbuch, sozusagen wörtlich eins zu eins, waren damit auch Grenzen gesetzt, die sich nicht allein aus der prinzipiellen Unterschiedlichkeit der beiden Textgenera erklären.
III. Ekklesiologie des Konzils im kirchlichen Recht: Ausgewählte Beispiele Anhand ausgewählter Gegenstände soll beispielhaft aufgezeigt werden, dass sich ekklesiologische Vorgaben des Konzils im CIC/1983 niedergeschlagen haben, also gewissermaßen in kanonische Sprache gegossen worden sind.21 Es geht im Einzelnen um Fragen der Kirchengliedschaft, das Verhältnis von Papst und Bischöfen, die Bischofskonferenzen, die personale Bestimmung der Teilkirchen 18 Art. 22 § 1 SC = c. 838 § 1 CIC: „Sacrae liturgiae moderatio ab Ecclesiae auctoritate unice pendet: quae quidem est penes Apostolicam Sedem et, ad normam iuris, penes Episcopum dioecesanum.“ 19 Art. 22 § 2 SC: „Ex potestate a iure concessa, rei liturgicae moderatio inter limites statutos pertinet quoque ad competentes varii generis territoriales Episcoporum coetus legitime constitutos.“ – C. 838 § 3 CIC: „Ad Episcoporum conferentias spectat versiones librorum liturgicorum in linguas vernaculas, convenienter intra limites in ipsis libris liturgicis definitos aptatas, parare, easque edere, praevia recognitione Sanctae Sedis.“ 20 Vgl. Ludger Müller, Das Zweite Vatikanische Konzil und das Kirchenrecht, in: Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil. Hrsg. v. Jan-Heiner Tück, Freiburg/ Basel/Wien 2012, S. 317 – 332, hier S. 320 – 323. 21 Siehe dazu bereits auch Stephan Haering, Konzil und Kirchenrecht, in: KlBl. 93 (2013), S. 150 – 154, hier S. 151 f.
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und kirchlichen Gliedgemeinschaften, die allgemeine rechtliche Grundstellung der Gläubigen und die Mitverantwortung aller Gläubigen für die Sendung der Kirche. 1. Zugehörigkeit zur Kirche und ökumenischer Auftrag Ein wichtiges ekklesiologisches Thema, bei dem das Zweite Vatikanische Konzil einschneidend neue Akzente setzte, war die Frage der Kirchengliedschaft. Während bis dahin in der katholischen Ekklesiologie ein apologetisches Kirchenmodell dominierte, das eine exklusive Identifikation der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche vertrat, entwarf das Konzil eine neue Konzeption der gestuften Kirchengliedschaft und ging dabei von dem allen Christen gemeinsamen Sakrament der Taufe aus. Das Konzil erkannte an, dass es auch außerhalb der katholischen Kirche wahre Kirchen (in der Orthodoxie) und andere Gemeinschaften mit kirchlichem Charakter (aus der Reformation hervorgegangen) gebe, welche durch ihre Kirchlichkeit und die in ihnen gültig gespendete Taufe in einer gewissen, wenn auch nicht vollen, Communio mit der katholischen Kirche stehen; in Letzterer ist die Kirche Jesu Christi voll verwirklicht.22 Der Grad der Gemeinschaft miteinander richtet sich nach dem Maß der Gemeinsamkeit in der Lehre und der kirchlichen Struktur. Die größte Nähe besteht zu den Kirchen der Orthodoxie, die das apostolische Amt und die Sakramente unversehrt bewahrt haben. Zu den verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften und deren Mitgliedern ist hingegen eine insgesamt größere ekklesiale Distanz gegeben, allerdings abgestuft nach deren jeweiligem Bekenntnis. So besteht zweifellos zu den Lutheranern theologisch eine größere Nähe der katholischen Kirche als zu reformierten Christen, Baptisten oder anderen christlichen Gemeinschaften. Aufgrund der gemeinsamen Taufe und der mehr oder minder großen ekklesialen Nähe zueinander, kann es auch eine legitime Gemeinschaft im Handeln geben, bis hin zur Gemeinschaft des liturgischen Gebets und in besonderen individuellen Fällen sogar zur Sakramentengemeinschaft.23 Im CIC/1983 werden etwa in c. 844 konkret die Bedingungen festgelegt, unter denen katholische Spender auch nichtkatholischen Christen die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung spenden können, und die Voraussetzungen benannt, unter denen Katholiken bei nichtkatholischen Spendern diese Sakramente empfangen dürfen. Die außerkodikarische kirchliche Rechtssetzung hat darüber hinaus im Ökumenischen Direktorium (zuletzt 22
Vgl. Georg Gänswein, Kirchengliedschaft – Vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum Codex Iuris Canonici. Die Rezeption der konziliaren Aussagen über die Kirchenzugehörigkeit in das nachkonziliare Gesetzbuch der lateinischen Kirche (= MthStkan 47), St. Ottilien 1995; ders., Kirchengliedschaft gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Zur Vorgeschichte, Erarbeitung und Interpretation der konziliaren Lehraussagen über die Zugehörigkeit zur Kirche (= DiKa 13), St. Ottilien 1996; Peter Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR2, S. 200 – 209. 23 Vgl. Wilhelm Rees, Kirchenrechtliche Anmerkungen zur ökumenischen Gemeinschaft in der Feier der Sakramente und anderen liturgischen Formen, in: Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte. Hrsg. v. Wilhelm Rees (= Kirchenrechtliche Bibliothek 13), Wien/Berlin/Münster 2014, S. 161 – 174.
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1993) weitere Normen für das gemeinsame Beten, Handeln und Zeugnisgeben der Christen verschiedener Konfessionen vorgelegt.24 Das Bewusstsein für die ökumenische Verbundenheit und für den ökumenischen Auftrag, das mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, nicht zuletzt aufgrund des konziliaren Dekrets Unitatis redintegratio25, weiter gewachsen war, fand auch anderweitig Eingang in das Gesetzbuch. Den kirchlichen Amtsträgern, insbesondere den Bischöfen und Pfarrern, ist es zur Aufgabe gemacht worden, die Kontakte mit den Nichtkatholiken zu pflegen und die Zusammenarbeit mit ihnen zu suchen (cc. 383 § 3, 528 § 1 CIC). Die Zerrissenheit der Christenheit wird als ein großer Skandal erkannt, der durch anhaltende Bemühungen überwunden werden muss. Einen Ausgangspunkt dafür bildet vor allem die Bezugnahme auf das Taufsakrament als eine gemeinsame Basis der Zugehörigkeit zu Christus und zum gesamten Leib Christi. Nach dem II. Vatikanum muss die Ökumene also ein Anliegen aller katholischen Christen sein, geprägt von der Bitte des Herrn selbst, dass alle eins seien (vgl. Joh 17,11).26 2. Papst und Bischöfe Man hat das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) häufig als „Konzil des Papstes“ bezeichnet, weil dessen bedeutendste Beschlüsse das Petrusamt betroffen haben, nämlich die Dogmatisierungen der päpstlichen Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats.27 Das Konzil des 20. Jahrhunderts hingegen gilt als das „Konzil der Bischöfe“, weil es das Bischofsamt näher in den Blick nahm, die originäre Stellung der Bischöfe in der Kirche wiederherstellte und neue kollegiale Formen bischöflicher Amtstätigkeit schuf. Schon allein als aktuelles Ereignis machte das Konzil vor aller Welt sichtbar, dass die Kirche nicht vom Papst allein geleitet wird, sondern von diesem zusammen mit jenen Bischöfen, die mit ihm in kollegialer Gemeinschaft stehen. Die Leitung des Gottesvolkes durch das Kollegium der Bischöfe zusammen mit seinem Haupt, dem Nachfolger des Apostels Petrus, ist durch das Zweite Vatikanische Konzil, insbesondere in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium, dargelegt worden. Es wurde deutlich herausgestellt, dass das Bischofskollegium Träger 24 Pontificium Consilium ad Unitatem Christianorum fovendam, Directorium oecumenicum noviter compositum, in: AAS 85 (1993), S. 1039 – 1119; dt.: VApSt 110, Bonn 1993. Vgl. dazu auch Wolfgang Thönissen, Art. Direktorium, ökumenisches, in: Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde. Hrsg. v. dems. u. a., Freiburg im Breisgau 2007, Sp. 262 f. 25 AAS 57 (1965), S. 90 – 112; lat. und dt.: LThK2-Konzilskommentar II (1966), S. 40 – 123; Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (Anm. 3), S. 211 – 241. 26 Vgl. Thomas A. Amann, Der ökumenische Auftrag als Gemeinpflicht aller Gläubigen, in: Theologie der Gegenwart 46 (2003), S. 170 – 183; Heribert Hallermann, Rechtliche Grundlagen des ökumenischen Miteinanders. Ein Blick auf offizielle Texte und Verlautbarungen, in: Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (Anm. 23), S. 67 – 103. 27 Vgl. Klaus Schatz, Vaticanum I. 1869 – 1870, 3 Bde., Paderborn u. a. 1992 – 1994; José R. Villar, Art. Concilio Vaticano I, in: DGDC II, S. 395 – 400 (Lit.).
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der Höchstgewalt in der Kirche ist, wenngleich immer nur zusammen mit dem Inhaber des Petrusamtes. Papst Paul VI. (1963 – 1978)28 hat das Zueinander von Papst und Bischofskollegium in der „Nota explicativa praevia“ zu Lumen gentium, die als solche Bestandteil der Akten des Zweiten Vatikanischen Konzils ist, klar umschrieben.29 Die Betonung der Bedeutung des Bischofskollegiums führte dazu, dass diese Institution der Kirchenverfassung im revidierten CIC in einem Kapitel zusammen mit dem Papst behandelt und dabei auch das Ökumenische Konzil angesprochen wird (cc. 330 – 341). Das Ökumenische Konzil hat also im CIC/1983, im Unterschied zum Vorgängergesetzbuch, keinen eigenen Abschnitt erhalten.30 Durch diese Tatsache wurden einige Kritiker Papst Johannes Pauls II. dazu veranlasst, dem Papst selbst und der Römischen Kurie eine Geringschätzung des Konzils sowie zentralistisches Streben vorzuwerfen. Ihnen ist entgangen, dass das Konzil eben kein Kirchenparlament ist, das dem Papst als „Regierung“ gegenübersteht, ihn kontrolliert und die grundsätzlichen Entscheidungen trifft, die dann von der „Regierung“ als Exekutive umzusetzen seien. Die theologische Konzeption des Gedankens der bischöflichen Kollegialität, die im CIC/1983 weit besser zur Geltung kommt als im CIC/1917, wurde dabei völlig missverstanden.31 Die Erfahrung der Zusammenarbeit des Bischofskollegiums unter seinem Haupt, dem Papst, welche die Bischöfe auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil machten, regte dazu an, eine neue institutionelle Form für dieses Zusammenwirken zu schaffen. Solche, aus dem Konzil kommende Überlegungen griff Papst Paul VI. auf und richtete noch vor Konzilsabschluss 1965 die Bischofssynode als neues Beratungsor28
Vgl. Victor Conzemius, Art. Paul VI., in: Lexikon der Päpste und des Papsttums (Anm. 9), Sp. 283 – 288 (Lit.); Jörg Ernesti, Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg/Basel/ Wien 2012. 29 AAS 57 (1965), S. 72 – 75; lat. und dt.: LThK2-Konzilskommentar I (1966), S. 350 – 359; Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (Anm. 3), S. 188 – 192. 30 Vgl. Julio Manzanares, Concilio ecumenico. Poderes, funciones, relacion con el primado, in: La Synodalité. La participation au gouvernement dans l’Église. Actes du VIIe congrès international de Droit canonique. Paris, Unesco, 21 – 28 septembre 1990 (= AnnéeC. Hors série), Paris 1992, S. 143 – 165; Konrad Hartelt, Das Ökumenische Konzil, in: HdbKathKR2, S. 347 – 353; Gianfranco Ghirlanda, Art. Concilio ecuménico, in: DGDC II, S. 375 – 380. 31 Vgl. dagegen Ilona Riedel-Spangenberger, Papst und Bischofskollegium. Träger höchster kirchlicher Autorität und Verantwortung, in: Leitungsstrukturen der katholischen Kirche. Kirchenrechtliche Grundlagen und Reformbedarf. Hrsg. v. ders. (= QD 198), Freiburg/Basel/Wien 2002, S. 23 – 49; Thomas Stubenrauch, Der Papst als primus inter pares und höchste Autorität in der katholischen Kirche. Zur Rezeption eines zentralen Themas des II. Vatikanischen Konzils in den beiden kirchlichen Gesetzbüchern, in: Krönung oder Entwertung des Konzils? Das Verfassungsrecht der katholischen Kirche im Spiegel der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Hrsg. v. Sabine Demel/Ludger Müller, Trier 2007, S. 74 – 103; Sabrina Pfannkuche, Papst und Bischofskollegium als Träger höchster Leitungsvollmacht (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 12), Paderborn u. a. 2011; Philipp Reisinger, Jurisdiktionsprimat und bischöfliche Kollegialität in perichoretischer Zusammenschau. Ein spekulativer, theologischer Entwurf zum Subjekt der höchsten Autorität der Kirche unter besonderer Berücksichtigung der kanonischen Gesetzgebung im CIC/1983 und CCEO (= MthSt Syst. Abt. 72), St. Ottilien 2012.
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gan des Papstes ein.32 Diese kirchliche Institution ist, verglichen mit dem CIC/1917, eine Novität im nachkonziliaren kirchlichen Gesetzbuch (cc. 342 – 348 CIC/1983) und hat in den vergangenen Jahrzehnten bereits manches dazu beigetragen, den Kontakt sowie die Zusammenarbeit von Papst und Bischöfen zu fördern. Sie bildet – angesichts der rein zahlenmäßigen Größe des katholischen Episkopats mit knapp 5000 Bischöfen, die eine intensive kollegiale Zusammenarbeit in der Versammlung am Ort sehr schwierig, ja nahezu unmöglich macht – ein ständiges Instrument der Zusammenführung der verschiedenen kirchlichen Erfahrungen und der Beratung des Heiligen Vaters durch seine Mitbischöfe. Die Bischofssynode besitzt allerdings in der Regel keine beschließende Vollmacht. Die Ergebnisse der Synoden werden regelmäßig vom Papst in den nachsynodalen apostolischen Schreiben dargelegt, deren Autor jedoch formal der Papst allein ist. Papst Franziskus hat mit dem neuen Rat der Kardinäle, den er bald nach seinem Amtsantritt im Jahr 2013 berufen hat, ein weiteres, erheblich kleineres Organ der Beratung eingerichtet.33 Einen eigenen ekklesiologischen Rang wird man diesem Gremium gegenwärtig wohl (noch) nicht zusprechen können. Ob er zu einem Ausgangspunkt für eine künftige strukturelle Erneuerung der Bischofssynode und die Bildung eines – um mit den Worten des italienischen Kirchenhistorikers Alberto Melloni zu sprechen – Senats der Communio werden kann, bleibt vorerst abzuwarten.34 3. Bischofskonferenzen und bischöfliche Kompetenz Bereits das erste Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, sah vor, dass bestimmte Aufgaben von regionalen Autoritäten wahrgenommen werden sollten. Gemeint waren die faktisch in vielen Ländern bereits bestehenden Bischofskonferenzen, die aber bislang keine jurisdiktionelle Funktion innehatten. Durch das Dekret Christus Dominus wurde dann in genereller Weise die Einrichtung der Bischofskonferenzen verfügt. Der CIC/1983 hat diese Vorgaben aufgenommen und sie vor allem in cc. 447 – 459 umgesetzt.35 32 Papst Paul VI., MP „Apostolica sollicitudo“ vom 15. 09. 1965, in: AAS 57 (1965), S. 775 – 780; abgedr.: AfkKR 134 (1965), S. 473 – 477. – Zur Bischofssynode vgl. Gian Piero Milano, Il sinodo dei Vescovi: natura, funzioni, rappresentatività, in: La Synodalité (Anm. 30), S. 167 – 182; Aymans-Mörsdorf, KanR II (1997), S. 224 – 232, Carl Gerold Fürst, Die Bischofssynode, in: HdbKathKR2, S. 353 – 359; Markus Graulich, Bischofssynode. Kollegialität und Primat, in: Leitungsstrukturen der katholischen Kirche (Anm. 31), S. 50 – 75; Julius Folo Kafuti, Die Bischofssynode. Ein möglicher Ersatz für das ökumenische Konzil?, in: Krönung oder Entwertung des Konzils? (Anm. 31), S. 127 – 146; Antonio Viana, Art. Sínodo de obisbos, in: DGDC VII, S. 345 – 350 (Lit.). 33 Papst Franziskus, Chirographum vom 28. 09. 2013, in: AAS 105 (2013), S. 875 f.; dt.: OssRom (dt.) 43 (2013), Nr. 41, S. 2. 34 Vgl. Alberto Melloni, Senatus communionis, in: Concilium 49 (2013), S. 538 – 556, hier bes. S. 548 – 551. 35 Zur geltenden Ordnung der Bischofskonferenz vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II (1997), S. 276 – 298; Joseph Listl, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR2, S. 396 –
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Die Bischofskonferenzen sind nunmehr hierarchische Zwischeninstanzen zwischen der Ebene des einzelnen Bistums und der Gesamtkirche, die bestimmte Kompetenzen wahrnehmen und in besonderen Materien auch gesetzgeberisch handeln können. Sie sind aus der Struktur der Kirche längst nicht mehr wegzudenken und könnten künftig noch größere Bedeutung erlangen. Es ist allerdings die Gefahr nicht völlig von der Hand zu weisen, dass durch die Bischofskonferenz die persönliche Amtsverantwortung des einzelnen Diözesanbischofs überdeckt und in den Hintergrund gedrängt wird. Dies wäre gerade angesichts der Tatsache zu bedauern, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Bedeutung der Teilkirche und die eigene ekklesiale Würde und Vollständigkeit der Diözese hervorgehoben hat. Die Bischöfe sind in ihren Bistümern nun grundsätzlich für alles zuständig, was im kirchlichen Leben begegnet, soweit der Papst nicht, zugunsten seiner eigenen Kompetenz oder der Zuständigkeit eines anderen Organs, einen Vorbehalt gesetzt hat. Die Abkehr vom so genannten Konzessionssystem, wonach die Bischöfe nur für jene Dinge zuständig waren, die ihnen der Papst gewährt hat, und die Wendung hin zum Reservationssystem, das Vorbehalte nur ausnahmsweise setzt, ist kirchenrechtlich eine bedeutende Neuerung im CIC/1983, die auf das Zweite Vatikanische Konzil zurückgeht und in der konziliaren Ekklesiologie wurzelt.36 Diese bedeutende Neuorientierung oder, vielleicht treffender gesagt, Bekehrung, hängt wesentlich mit der im Konzil zur Geltung gekommenen Sicht der Kirche als Communio zusammen. In der Gemeinschaft der universalen Kirche kommen den einzelnen partikularen Kirchen ein eigener Rang und eine eigene Würde zu. Ganz prägnant ist diese Sicht in der bisweilen so genannten „ekklesiologischen Zauberformel“ zusammengefasst, die besagt, dass die eine und einzige katholische Kirche in und aus Teilkirchen bestehe. Diese Formulierung findet sich in Lumen gentium Artikel 23 und wird in c. 368 CIC aufgegriffen. Durch die Tatsache, dass die eine universale katholische Kirche eine Gemeinschaft von Teilkirchen bildet und ohne diese Struktur nicht denkbar ist, erklärt und rechtfertigt sich die unmittelbare und eigenberechtigte Vollmacht des Diözesanbischofs in seiner Teilkirche. Oder mit anderen Worten: In allen regelungsbedürftigen Fragen des kirchlichen Lebens kann man eine Zuständigkeit des Bischofs voraussetzen, es sei denn, die Kompetenz ist in einer be-
415; Heribert Hallermann, Art. Bischofskonferenz. II. Kath., in: LKStKR I, S. 277 – 279; ders., Bischofskonferenzen. Solidarität und Autonomie, in: Leitungsstrukturen der katholischen Kirche (Anm. 31), S. 209 – 228; Winfried Aymans, Art. Bischofskonferenz 1. Allgemein, in: Lexikon des Kirchenrechts (Anm. 4), Sp. 116 – 118; Antonio Viana, Art. Conferencia episcopal, in: DGDC II, S. 484 – 490 (Lit.). – Zum Beitrag Klaus Mörsdorfs zur Konzilsdiskussion über die Bischofskonferenz vgl. Stephan Haering, Ein Votum Klaus Mörsdorfs zur Frage der Bischofskonferenzen. Anmerkungen zu einem Gutachten für Julius Kardinal Döpfner aus dem Jahre 1962, in: Geist – Kirche – Recht. Festschrift für Libero Gerosa zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Hrsg. v. Ludger Müller/Wilhelm Rees (= KStuT 62), Berlin 2014, S. 167 – 205. 36 Vgl. Maximilian Hommens, Art. Konzessionssystem, in: LKStKR II, S. 641; Norbert Witsch, Art. Reservationssystem, in: LKStKR III, S. 440 f.
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stimmten Materie dem Apostolischen Stuhl oder einer anderen Autorität vorbehalten. 4. Personale Bestimmung der Teilkirchen und der kirchlichen Gliedgemeinschaften Die Beschreibung der Kirche als Volk Gottes, die das Zweite Vatikanische Konzil besonders in der Konstitution Lumen gentium zum Ausdruck brachte, hat auch im Gesetzbuch Folgen nach sich gezogen. Eine ganz bedeutsame Konsequenz ist die Tatsache, dass die Teilkirchen und kirchlichen Teilgemeinschaften, und zwar nicht nur jene, die sich von vornherein personal konstituiert haben, ihren wesentlichen Kern in den zugehörigen Gläubigen besitzen. Dies gilt vor allem für die Diözesen, die zwar territorial umschrieben sind, aber nicht aufgrund ihrer territorialen Fassung bestehen. Die Diözesen sind vielmehr, wie es c. 369 sagt, eine „portio populi Dei“, ein Teil des Gottesvolkes, bestehend aus den Gläubigen, die auf einem bestimmten Gebiet ihren Wohnsitz haben. Die Gläubigen also sind die Substanz eines Bistums und bilden damit eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Bistum überhaupt errichtet werden kann.37 Ähnlich verhält es sich mit der Pfarrei. Auch sie ist in ihrem Wesen nicht ein kirchlicher Verwaltungsbezirk, dessen Schaffung notwendig ist, um dem kirchlichen Wirken geordnete Strukturen zugrunde zu legen. Die Pfarrei ist zuerst, wie c. 515 § 1 CIC es ausdrückt, eine „certa communitas fidelium“, eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen. Es sind die getauften Menschen, die die Pfarrei ausmachen, und erst danach nehmen das Pfarrgebiet und das Pfarrvermögen jene Funktionen ein, die ihnen für das Leben und Wirken der Pfarrei zukommen.38 Der Volk-Gottes-Gedanke, den das Konzil so sehr betont hat, ist vom Gesetzgeber in die Sprache der kanonischen Normen gegossen worden und trägt damit auch zu dessen Konkretisierung bei. 5. Grundstatut der Gläubigen Auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils gewachsen ist auch eine weitere Neuerung im CIC/1983, nämlich eine Zusammenstellung der grundlegenden Rechte und Pflichten der Gläubigen in der Kirche (cc. 208 – 223).39 Den Hintergrund dieser gesetzlichen Novität bildet zum einen eine neue Wertschätzung der Laien in der Kirche, die aufgrund ihrer sakramentalen Initiation als vollwertige Mitträger der kirchlichen Sendung betrachtet werden. Sie sind nicht mehr die zu betreuenden Schützlinge der Hierarchie und des Klerus, sondern haben an allen Bereichen des 37 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II (1997), S. 320; Franz Kalde, Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen, in: HdbKathKR2, S. 420 – 425, hier S. 421. 38 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II (1997), S. 414 f.; Ludwig Schick, Die Pfarrei, in: HdbKathKR2, S. 484 – 496, hier S. 484 f. 39 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II (1997), S. 70 – 115; Reinhild Ahlers, Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: HdbKathKR2, S. 220 – 232.
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kirchlichen Wirkens und der kirchlichen Sendung aktiven Anteil. Vor aller Unterscheidung unter den Gliedern der Kirche in Kleriker und Laien oder nach anderen Ständen, ist eine grundlegende Gemeinsamkeit gegeben, die nicht zuletzt in den allen Gliedern der Kirche gemeinsamen Grundrechten und -pflichten ihren Ausdruck findet. Zum anderen wird in diesem „Grundstatut“ der Gläubigen die Achtung vor individuellen Rechten der Glieder der Kirche deutlich hervorgehoben. Diese Normen können in der Praxis des kirchlichen Lebens nicht selten einen willkommenen Ansatzpunkt und nützliche Hilfen bieten, um Ungerechtigkeiten zurückzudrängen oder willkürliche Akte abzuweisen. 6. Mitverantwortung und Mitwirkung aller Gläubigen Das Konzil hat die Mitverantwortung aller Gläubigen für das Wohl und die Sendung der Kirche in besonderer Weise hervorgehoben. Während man früher die Kirche – bis zu einem gewissen Grad zutreffend – als eine in zwei Klassen gegliederte Gesellschaft aus Klerikern und Laien bezeichnen konnte, deren einer das Lehren und Leiten aufgetragen war, während die andere geistlich versorgt wurde und dem Klerus folgte, ist das nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr möglich. Die Aussagen, die diesbezüglich eine Neuorientierung brachten, finden sich vor allem in der Kirchenkonstitution Lumen gentium und im Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem40, aber auch im Missionsdekret Ad gentes41. Die sakramentale Eingliederung in die Kirche durch Taufe, Firmung und Eucharistie bildet eine genügende Grundlage für verantwortliche Mitwirkung auch der Nichtkleriker an kirchlichen Aufgaben. Im CIC/1983 schlug sich diese neue Sicht in verschiedener Weise nieder. Die erneuerte gesetzliche Definition des Kirchenamtes (c. 145 § 1) ermöglicht es, die Trägerschaft kirchlicher Ämter nicht auf Kleriker zu beschränken.42 Auch wird in einer grundlegenden Norm festgestellt, dass Laien an der Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt nach Maßgabe des Rechts mitwirken können (c. 129 § 2).43 Nicht zuletzt erfolgt eine verantwortliche Mitwirkung der Gläubigen durch ihre Tätigkeit in jenen Organen, die der Beratung kirchlicher Amtsträger dienen. Im 40 AAS 58 (1966), S. 837 – 864; lat. und dt.: LThK2-Konzilskommentar II (1967), S. 602 – 701; Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (Anm. 3), S. 387 – 435. 41 AAS 58 (1966), S. 947 – 990; lat. und dt.: LThK2-Konzilskommentar III (1968), S. 22 – 125; Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (Anm. 3), S. 459 – 531. 42 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR I (1991), S. 445; Juan Ignacio Arrieta, Art. Oficio eclesiástico, in: DGDC V, S. 686 – 693, hier S. 689 f. 43 Vgl. dazu Thomas A. Amann, Laien als Träger von Leitungsgewalt? Eine Untersuchung aufgrund des Codex Iuris Canonici (= MthStkan 50), St. Ottilien 1996; Peter Platen, Die Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt durch Laien. Rechtssystematische Überlegungen aus der Perspektive des „Handelns durch andere“ (= MK CIC. Beihefte 47), Essen 2007.
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CIC/1983 werden verschiedene Gremien genannt, in denen auf diözesaner oder auf pfarrlicher Ebene überwiegend Laien mitarbeiten.44 Eine besondere Mitverantwortung der Priester für die Leitung des Bistums, die vor allem in der Beratung des Bischofs durch den Priesterrat ihren Ausdruck findet, wird damit nicht ausgeschlossen.45 Die Mitverantwortung der Laien findet vielleicht weniger in der Diözesansynode (cc. 460 – 468) ihren Ort, weil deren Konzeption im CIC von 1983 sehr derjenigen des Gesetzbuchs von 1917 verpflichtet ist.46 Doch im Vermögensverwaltungsrat47 (cc. 492, 493) und im Pastoralrat (cc. 511 – 514) des Bistums beziehungsweise –
44 Vgl. Norbert Witsch, Synodalität auf Ebene der Diözese. Die Bestimmungen des universalkirchlichen Rechts der Lateinischen Kirche (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 1), Paderborn u. a. 2004; ders., Gemeinsam auf dem Weg. Synodale Strukturen der Diözese, in: Rechtskultur in der Diözese. Grundlagen und Perspektiven. Hrsg. v. Ilona Riedel-Spangenberger (= QD 219), Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 406 – 435; Heribert Hallermann, Beratung und Beispruch. Formen der Mitverantwortung in der Diözese, ebd., S. 300 – 321; Peter Marx, Räte und Konvente in ihrem Dienst an der Teilkirche, in: Krönung oder Entwertung des Konzils? (Anm. 31), S. 190 – 216; exemplarisch im Hinblick auf ein Bistum: Richard Puza, Das Zweite Vatikanische Konzil und die Mitverantwortung aller Christgläubigen. Dargestellt am Rottenburger Modell, in: Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. Festschrift für Klaus Lüdicke zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Hrsg. v. Dominicus M. Meier/Peter Platen/Heinrich J. F. Reinhardt/Frank Sanders (= MK CIC. Beihefte 55), Essen 2008, S. 485 – 504. 45 Vgl. Georg Bier, Gleichsam Senat des Bischofs? Der Priesterrat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Kirchliches Recht als Freiheitsordnung. Gedenkschrift für Hubert Müller (= FzK 27), Würzburg 1997, S. 142 – 168; Heike Künzel, Der Priesterrat. Theologische Grundlegung und rechtliche Ausgestaltung (= MK CIC. Beihefte 27), Essen 2000; Konrad Hartelt, Verbunden in Weihe und Sendung. Diözesanbischof und Presbyterium, in: Rechtskultur in der Diözese (Anm. 44), S. 343 – 363, hier S. 347 – 349; Giacomo Incitti, Consejo presbiteral, in: DGDC II, S. 625 – 630. 46 Vgl. James H. Provost, The ecclesiological nature and function of the diocesan synod in the real life of the church, in: La Synodalité (Anm. 30), S. 537 – 558; Hans Paarhammer, Die Diözesansynoden in ihrer gegenwärtigen Rechtsgestalt, in: Neue Positionen des Kirchenrechts. Hrsg. v. Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder, Graz 1994, S. 81 – 117; Johann Hirnsperger, Die Diözesansynode. Bemerkungen zu den einschlägigen Normen des CIC unter besonderer Berücksichtigung der Instruktion vom 19. März 1997, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (= Staatskirchenrechtliche Abh. 33), Berlin 1999, S. 855 – 873; Friedolf Lappen, Vom Recht zu reden und vom Recht gehört zu werden. Synoden und Foren als Mittel der Teilhabe der Gläubigen an den Leitungsfunktionen der Kirche in Deutschland (= MK CIC. Beihefte 46), Essen 2007; Antonio Viana, Sínodo diocesano, in: DGDC VII, S. 350 – 354; Christoph Ohly, Diözesansynode. Kirchenrechtliche Streiflichter zu einer traditionsreichen Kirchenversammlung, in: TThZ 122 (2013), S. 239 – 257. 47 Vgl. Günter Etzel, Der Diözesanvermögensverwaltungsrat (= FzK 19), Würzburg 1994; José Luis Morrás-Etayo, Art. Consejo diocesano de asuntos económicos, in: DGDC II, S. 581 – 583.
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wohl noch mehr – im Katholikenrat (Apostolatsrat, Diözesankomitee)48, kommt die Mitverantwortung der Laien für ihre Teilkirche deutlich zur Geltung. Gleiches gilt im Hinblick auf die pfarrliche Ebene49 bezüglich der Ratsorgane für die Pastoral50 und die Vermögensverwaltung51 (cc. 536, 537). In Deutschland sind die Rechtsformen der Gremien, in denen Laien mitwirken, aufgrund besonderer Prägungen teils etwas anders akzentuiert, als es gemäß dem CIC vorgesehen ist. Gerade im Bereich der kirchlichen Vermögensverwaltung aber ist die Mitwirkung der Laien von sehr großer Bedeutung. 7. Ergebnis Zusammenfassend kann man, nach dieser Nennung der verschiedenen Beispiele einer erheblichen Prägung des geltenden kirchlichen Gesetzbuchs durch die Lehre des II. Vatikanums, feststellen, dass die erneuerte Ekklesiologie von der kanonischen Sprache aufgenommen und in die Rechtsordnung eingeführt worden ist. Gleichzeitig muss man aber auch davor warnen, in diesem Zusammenhang überhöhte Erwartungen an das Kirchenrecht zu richten. Gewiss, im geltenden Kirchenrecht wird die Ekklesiologie des Konzils konkret. Doch das Kirchenrecht hat eine spezifische Funktion, die auf die Wahrung der inneren Ordnung der Kirche, die Förderung der kirchlichen Sendung und auf den Schutz der Rechte der Einzelnen ausgerichtet ist. Mit dem Anspruch, die konziliare Ekklesiologie in all ihren Facetten vollständig wiederzugeben, würde man das Kirchenrecht überfordern. Es ist folglich ganz legitim, wenn die Ekklesiologie des Konzils sich reicher darstellt als ihre Abbildung im kirchlichen Recht. Wenn ein Autor als Titel eines Aufsatzes, der unsere Überlegungen berührt, die Worte Papst Johannes Pauls II. „Studium Codicis, Schola Concilii“ gewählt hat52, 48
Vgl. Salvatore Berlingó, I consigli pastorali, in: La Synodalité (Anm. 30), S. 717 – 744; Heike Künzel, Apostolatsrat und Diözesanpastoralrat. Geschichte, kodikarische Vorgaben und Ausgestaltung in Deutschland (= MK CIC. Beihefte 36), Essen 2002. 49 Vgl. Jean-Claude Périsset, La synodalité au niveau paroissial, in: La Synodalité (Anm. 30), S. 805 – 814; Franz Kalde, Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat, in: HdbKathKR2, S. 529 – 535. 50 Vgl. Helmuth Pree, Consilium pastorale paroeciale: Anmerkungen zur Struktur pfarrlicher Mitverantwortung, in: Iustitia et modestia. Festschrift für Hubert Socha zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Hrsg. v. Peter Boekholt/Ilona Riedel-Spangenberger, München 1998, S. 75 – 101; Hildegard Grünenthal, Der Pfarrgemeinderat in Deutschland – eine gelungene Verbindung von Pastoral- und Apostolatsrat? Rechtliche Überlegungen zum Miteinander und Füreinander im Pfarrgemeinderat, in: Krönung oder Entwertung des Konzils? (Anm. 31), S. 252 – 264; Stephan Haering, Kirchenrechtliche Grundlagen der Pfarrgemeinderatsarbeit, in: Handbuch Pfarrgemeinderat. Hrsg. vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern, Freiburg/Basel/Wien 2012, S. 59 – 66. 51 Vgl. Hans Heimerl/Helmuth Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, S. 401 f. 52 Markus Graulich, Studium Codicis, Schola Concilii. Zweites Vatikanisches Konzil und Codex Iuris Canonici bei Johannes Paul II., in: Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils
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dann steckt darin viel Wahrheit, weil man in der Auseinandersetzung mit dem Gesetzbuch ständig dem Konzil begegnet. Das Studium des CIC allein wird freilich nicht genügen, um sich die Fülle der konziliaren Lehre über die Kirche vollständig zu erschließen.
IV. Zur wechselseitigen hermeneutischen Zuordnung von Konzilsaussagen und Gesetzbuch Zum rechten Verständnis und zur rechten Interpretation der Konzilsdokumente und des CIC ist noch eine kurze Anmerkung erforderlich. Die verschiedenen Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils werden im CIC/1983, wie dargelegt, sehr häufig wörtlich zitiert, beispielsweise in grundlegenden Bestimmungen zur Kirchenverfassung oder zu den Sakramenten. Durch diese Praxis macht der Gesetzgeber von 1983 nicht zuletzt deutlich, dass der revidierte CIC seine innere Legitimität vor allem daraus bezieht, dass er auf dem Konzil aufbaut und aus den Beschlüssen des Konzils schöpft. Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass in der amtlichen, mit Quellenangaben versehenen Ausgabe des erneuerten CIC, die im Jahr 1989 publiziert wurde, die Konzilsdokumente einen wesentlichen Teil des angeführten Quellenmaterials bilden. So wird auch erkennbar, dass das II. Vatikanum einen wichtigen Verständnishorizont und bedeutsamen hermeneutischen Schlüssel für den CIC/1983 bildet und nicht etwa einseitig das Konzil durch den CIC interpretiert werden soll. Manche Vertreter des Faches Kirchenrecht haben diesbezüglich eine andere Perspektive entwickelt und entschieden darauf abgestellt, dass der CIC, als das jüngere gesamtkirchliche Dokument, den entscheidenden Maßstab für die Konzilshermeneutik bilden müsse.53 Diese Position ist aus der Sicht der meisten Fachkolleginnen und -kollegen, und auch nach dem bescheidenen Urteil des Verfassers, in ihrer Zuspitzung nicht tragfähig.54 Wiederholt hat sich besonders die Erfurter Kanonistin Myin Theologie und Kirchenrecht heute (Anm. 44), S. 163 – 182. Der Autor greift damit eine Formulierung Papst Johannes Pauls II. aus seiner Ansprache vom 21. 11. 1983 (Anm. 10) auf. 53 Vgl. Norbert Lüdecke, Der Codex Iuris Canonici von 1983: Krönung des II. Vatikanischen Konzils?, in: Die deutschsprachigen Länder und das II. Vatikanum. Hrsg. v. Hubert Wolf/Claus Arnold (= Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanums 4), Paderborn u. a. 2000, S. 209 – 237; ders., Il Codice e il Vaticano II. Studium Codicis, schola Concilii, in: Il Regno attualità 51 (2006), S. 336 – 356; ders., Der Codex Iuris Canonici als authentische Rezeption des Zweiten Vatikanums. Statement aus kanonistischer Sicht, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 26 (2007), S. 47 – 69; ders./Georg Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, S. 29 – 42. 54 Vgl. Klaus Lüdicke, Nicht das letzte Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Sie wandern von Kraft zu Kraft. Aufbrüche, Wege, Begegnungen. Festgabe für Bischof Reinhard Lettmann. Hrsg. v. Arnold Angenendt/Herbert Vorgrimler, Kevelaer 1993, S. 167 – 179; Ludger Müller, Codex und Konzil. Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils als Kontext zur Interpretation kirchenrechtlicher Normen, in: AfkKR 169 (2000), S. 469 – 491; Thomas A. Amann, Die konziliare Erneuerung im Spiegel des Kirchenrechts, in: Vierzig Jahre
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riam Wijlens in diesem Sinne geäußert und den organischen Zusammenhang von konzilarer Lehre und kirchlicher Rechtsordnung betont.55 C. 17 CIC, der die Grundsätze für die Interpretation kirchlicher Gesetze festlegt, sagt zwar, dass diese zuerst aus ihrer eigenen, in Text und Kontext zu erwägenden Wortbedeutung verstanden werden müssen und erst subsidiär weitere Hilfen, wie etwa die Absicht des Gesetzgebers, für das rechte Verständnis des Gesetzes heranzuziehen seien. Dies scheint eine Konzentration auf den Wortlaut des Gesetzbuchs allein zu rechtfertigen. Nun hat aber gerade der Gesetzgeber des CIC/1983 selbst, nämlich Papst Johannes Paul II., wiederholt den engen Zusammenhang zwischen Konzil und CIC unterstrichen und die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils als Horizont eines authentischen Verständnisses im Hinblick auf den CIC betont. Er hat damit noch deutlicher als bereits Johannes XXIII., welcher mit der gleichzeitigen Ankündigung von Konzil und CIC-Reform die Zusammengehörigkeit dieser beiden Vorhaben aufgezeigt hat, das Konzil und den CIC miteinander verknüpft. Man kann also den geltenden CIC in vieler Hinsicht nicht recht verstehen und anwenden, wenn man nicht auch die Doktrin des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rechnung stellt und sie zur rechten Durchdringung und zur Auslegung des kirchlichen II. Vatikanum. Zur Wirkungsgeschichte der Konzilstexte. Hrsg. v. Franz Xaver Bischof/Stefan Leimgruber, Würzburg 2004, S. 377 – 404; Helmut Krätzl, Das kirchliche Gesetzbuch von 1983 – eine Frucht des II. Vaticanums, in: C. R. Y. – Canonia Regularis Yppolitensis. Festschrift zum 75. Geburtstag von Heinrich Fasching. Hrsg. v. Thomas Aigner/Gottfried Auer/ Johann Kronbichler/Friedrich Schragl, St. Pölten 2004, S. 137 – 147; Graulich, Studium Codicis, Schola Concilii (Anm. 52); Heribert Hallermann, Das letzte Buch des Konzils. Oder: Wie das Kirchenrecht zur Verlebendigung des Konzils beitragen kann, in: Theologie, wohin? Blicke von außen und von innen. Hrsg. v. Erich Garhammer (= Würzburger Theologie 6), Würzburg 2011, S. 201 – 234; Sabine Demel, Wer interpretiert wen? Der Codex Iuris Canonici als „Krönung“ des Konzils, in: Konzil im Konflikt. 50 Jahre Zweites Vatikanum = Herder Korrespondenz Spezial vom Oktober 2012, S. 13 – 18; Müller, Das Zweite Vatikanische Konzil und das Kirchenrecht (Anm. 20), S. 329 – 332. 55 Vgl. Myriam Wijlens, Zur Verhältnisbestimmung von Konzil und nachkonziliarer Rechtsordnung. Eine theologisch-kanonistische Reflexion, in: Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute. Hrsg. v. Peter Hünermann i.V.m. Bernd Jochen Hilberath/Lieven Boeve, Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 331 – 339; dies., Das II. Vatikanum als Fundament für die Anwendung des Rechtes. Hermeneutische Reflexionen und praktische Konsequenzen, in: ThGgw 50 (2007), S. 2 – 14; dies., Die Konzilshermeneutik und das Kirchenrecht, in: Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute (Anm. 44), S. 711 – 729; dies., „The Newness of the Council constitutes the Newness of the Code“ (John Paul II): The Role of Vatican II in the Application of the Law, in: Proceedings of the Canon Law Society of America 70 (2008), S. 285 – 302; dies., Konzil und Rechtsstrukturen. Eine erforderliche gegenseitige Herausforderung, in: Ökumenische Rundschau 62 (2013), S. 537 – 545; dies., Die Verbindlichkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine kirchenrechtliche Betrachtung, in: Zweites Vatikanisches Konzil. Programmatik – Rezeption – Vision. Hrsg. v. Christoph Böttigheimer (= QD 261), Freiburg/Basel/Wien 2014, S. 37 – 62; dies., Die Interaktion von Lehre und kirchlichen Rechtsstrukturen in der katholischen Kirche, in: Religion und Recht. Hrsg. v. Benedikt Kranemann/Christof Mandry/Hans-Friedrich Müller (= Vorlesungen des Interdisziplinären Forums Religion der Universität Erfurt 10), Münster 2014, S. 13 – 34.
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Gesetzbuchs heranzieht. In übertragener Weise kann man die Konzilstexte, im Sinne des c. 17, dem Kontext der Normen des CIC zuordnen.56
V. Herausforderungen an die Ekklesiologie seitens der Gesetzgebung In den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, dass die Ekklesiologie des Konzils prägend auf das revidierte kirchliche Gesetzbuch eingewirkt hat und insoweit das kanonische Recht der kirchlichen Lehre folgt. In aller Knappheit soll aber auch noch der Hinweis darauf gegeben werden, dass ein neuer Impuls auch von der kirchlichen Gesetzgebung ausgehen und dann zur Anfrage an die Ekklesiologie werden kann. Papst Johannes Paul II. hat 2002 die neue Rechtsfigur einer Personaladministration geschaffen. Dies geschah im Interesse der Integration von Gläubigen aus der Diözese Campos (Brasilien), die dem Traditionalismus zuneigten und sich der Bewegung des schismatischen Erzbischofs Marcel Lefebvre verbunden fühlten, in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche; die Personaladministration wurde auf das Gebiet der genannten Diözese bezogen.57 Es handelt sich hierbei um eine teilkirchenähnliche, personal umschriebene Einrichtung auf dem Gebiet eines einzigen Bistums, an deren Spitze ein bischöflicher Ordinarius steht. Für die Personaladministration gilt insbesondere bezüglich Liturgie und Gottesdienst besonderes Recht.58 Durch Papst Benedikt XVI. (2005 – 2013)59 wurde 2009 gesetzlich eine weitere neue Rechtsfigur geschaffen, nämlich das Personalordinariat.60 Seine Funktion besteht darin, Gruppen von Anglikanern, die zur vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche streben, kollektiv in die communio plena aufzunehmen und ihnen dabei die Bewahrung eigener geistlicher Traditionen zu ermöglichen.61 56
Diese Position teilt auch Graulich, Studium Codicis, Schola Concilii (Anm. 52), S. 182. Congregatio pro Episcopis, Decretum: De Administratione Apostolica personali „Sancti Ioannis Mariae Vianney“ condenda, in: AAS 94 (2002), S. 305 – 308; abgedr.: AfkKR 171 (2002), S. 177 – 179. 58 Vgl. Peter Krämer, Die Personaladministration im Horizont des kirchlichen Verfassungsrechts, in: AfkKR 172 (2003), S. 97 – 108; auch in: Una-Voce-Korrespondenz 33 (2003), S. 367 – 380. 59 Vgl. Alexander Kissler, Gegen den Strom – Papst Benedikt XVI. und seine Kirche 2005 – 2013, München 2013; Christian Feldmann, Benedikt XVI., Freiburg/Basel/Wien 2013; Der Theologenpapst. Eine kritische Würdigung Benedikts XVI. Hrsg. von Jan-Heiner Tück, Freiburg/Basel/Wien 2013; Rudolf Voderholzer, Die bleibende Bedeutung des Pontifikats von Benedikt XVI. für die kommenden Jahre und Jahrzehnte, in: Mitteilungen. Institut Papst Benedikt XVI. 6 (2013), S. 29 – 39. 60 Papst Benedikt XVI., Const. Ap. „Anglicanorum coetibus“ vom 04. 11. 2009, in: AAS 101 (2009), S. 985 – 990; dt.: AfkKR 178 (2009), S. 550 – 555. 61 Vgl. dazu aus kirchenrechtlicher Sicht John M. Huels, Anglicanorum coetibus: Text and Commentary, in: Studia canonica 43 (2009), S. 389 – 430; ders., Canonical Comments on 57
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Einzelprobleme der rechtlichen Konzeption dieser neuen kirchlichen Institutionen oder gar die Frage der pastoralen Opportunität der Errichtung müssen hier nicht aufgegriffen und erörtert werden. Tatsache ist, dass diese Einrichtungen in der Kirche bestehen und daher auch ihren theologischen Platz brauchen. Bei der Darstellung seiner Ekklesiologie hatte das Zweite Vatikanische Konzil das Modell der einen katholischen Kirche vor Augen, die in und aus Partikularkirchen besteht und sich in diesen stets von neuem verwirklicht. Die Partikularkirchen (Teilkirchen) machen die eine katholische Kirche örtlich sichtbar und konkret. Sie sind daher regelmäßig örtlich umschrieben, auch wenn die zugehörigen Gläubigen, also natürliche Personen, ihre Substanz ausmachen. Daneben gibt es aber auch die Ausnahmen vom territorialen Regelfall der Ortskirchen.62 Ordinariate mit eigenen Oberhirten werden seit längerem für die Angehörigen des Militärs63 oder auch für
Anglicanorum coetibus, in: Worship 84 (2010), S. 237 – 253; Gianfranco Ghirlanda, La Costituzione Apostolica Anglicanorum coetibus, in: PerRCan 99 (2010), S. 373 – 430; Matthias Pulte, Von Summorum Pontificum bis Anglicanorum coetibus. Gesetzgebungstendenzen im Pontifikat Benedikts XVI., in: AfkKR 179 (2010), S. 3 – 19, hier S. 13 – 17; Georg Bier, Die Apostolische Konstitution Anglicanorum coetibus und die Ergänzenden Normen der Kongregation für die Glaubenslehre. Eine kanonistische Analyse, in: Cristianesimo nella storia 32 (2011), S. 443 – 478; Duane L.C.M. Galles, Anglicanorum coetibus. Some Canonical Investigations on the Recent Apostolic Constitution, in: Jurist 71 (2011), S. 201 – 233; Christoph Ohly, Communio-Struktur und Einheit der Kirche. Kanonistische Erwägungen im Lichte der Apostolischen Konstitution „Angelicanorum coetibus“ von Papst Benedikt XVI, in: TThZ 120 (2011), S. 317 – 337; Eduardo Baura, Las circunscripciones eclesiásticas personales. El caso de los ordinariatos personales para fieles provenientes del anglicanismo, in: IusCan 50 (2010), S. 165 – 200; Christian Wirz, Das eigene Erbe wahren. Anglicanorum coetibus als kirchenrechtliches Modell für Einheit in Vielfalt? (= MK CIC. Beihefte 63), Essen 2012; Christoph Ohly, Ritus est patrimonium. Anmerkungen zur Ritusfrage im Kontext der Apostolischen Konstitution Anglicanorum coetibus, in: Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst. Hrsg. v. Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (= AIC 50), Frankfurt am Main 2013, S. 407 – 419; Thomas Schüller, „Entörtlichung“ der Kirchenverfassung? Personalpfarreien und Personalordinariate als neue verfassungsrechtliche Figuren, ebd., S. 533 – 544; Juan Ignacio Arrieta, Art. Ordinariato personal para fieles anglicanos recibidos en la Iglesia católica, in: DGDC V, S. 814 – 819. 62 Vgl. Helmuth Pree, Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung, in: Folia Canonica 4 (2001), S. 21 – 44; auch in: Territorialità e personalità nel Diritto Canonico ed Ecclesiastico. Il Diritto Canonico di fronte al terzo millennio. Atti dell’ XI Congresso Internazionale di Diritto Canonico e del XV Congresso Internazionale della Società per il Diritto delle Chiese Orientali (Budapest, 2 – 7 Settembre 2001). Hrsg. v. Péter Erdö/Péter Szabó, Budapest 2002, S. 515 – 544; Sabrina Pfannkuche, Die ecclesia particularis, ihre Ausfaltung und Aufgliederung in personaler Hinsicht, in: Lebendige Kirche in neuen Strukturen. Herausforderungen und Chancen. Hrsg. v. Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (= Würzburger Theologie 11), Würzburg 2015, S. 387 – 428. 63 Vgl. Torbjørn Olsen, Die Natur des Militärordinariats. Eine geschichtlich-juridische Untersuchung mit Blick auf die Apostolische Konstitution „Spirituali Militum Curae“ (= KStuT 45), Berlin 1998; Antonia Viana, Art. Ordinariato militar, in: DGDC V, S. 808 – 812 (Lit.).
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rituelle Minderheiten eingerichtet.64 Die genannten neueren kirchlichen Einrichtungen bedeuten eine weitere Durchbrechung des dominierenden kirchlichen Ortsprinzips, die einer besonderen ekklesiologischen Reflexion und neuen theologischen Ortsbestimmung bedarf.65 Die Gesetzgebung fordert hier also die Lehre heraus.
VI. Schlussbemerkung Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils und das nachkonziliare kirchliche Gesetzbuch CIC haben viele Berührungspunkte und stehen miteinander in Beziehung. Im Medium der kanonischen Sprache findet auch die Ekklesiologie des Konzils ihren besonderen Ausdruck. Es gilt die generelle Feststellung, dass Recht und Lehre der Kirche nicht voneinander zu trennen sind. Denn beides gehört zu dem großen Überlieferungsstrom des Glaubens und des kirchlichen Bekenntnisses. Diese Überlieferung und damit auch die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils zu bewahren und fortzuführen ist der Kirche heute aufgetragen. Nicht zuletzt ist es die Aufgabe der Kirche, die authentische Tradition weiterzugeben und zugleich den je neuen Erfordernissen und fortschreitenden Entwicklungen der Zeit zu entsprechen. Dabei ist die Gefahr der Selbstbezogenheit zu vermeiden. Die gesamte Kirche wird ihrem pastoralen Auftrag nur gerecht, wenn sie die „Freude des Evangeliums“66 vermittelt und vor der Welt das Heil bezeugt, das in Jesus Christus liegt. Die kirchliche Autorität ist in dieser Aufgabe, unter Einbeziehung des Glaubenssinns der Gläubigen, sowohl als Trägerin des Lehramts als auch in ihrer gesetzgebenden Funktion gefordert.
64 Vgl. Peter Stockmann, Die Ordinariate für Gläubige eines orientalischen Ritus – ein Rechtsinstitut praeter legem, in: Salus animarum suprema lex. Festschrift für Offizial Max Hopfner zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Ulrich Kaiser/Ronny Raith/Peter Stockmann (= AIC 38), Frankfurt am Main u. a. 2006, S. 431 – 448; Astrid Kaptijn, Gli Ordinariati per i fedeli cattolici orientali privi di gerarchia propria, in: Cristiani orientali e pastori latini. Hrsg. v. Pablo Gefaell (= Monografie giuridiche 42), Milano 2012, S. 233 – 267; Federico Marti, Gli ordinariati per i fedeli di rito orientale: una ricostruzione storico-giuridica, in: Quaderni di diritto ecclesiale 28 (2015), S. 16 – 37; Alberto Perlasca, Gli ordinariati e gli esarcati per i fedeli orientali in relazione alle Chiese in territorio latino, ebd., S. 38 – 51. 65 Vgl. Christoph Ohly, Personaladministration und Personalordinariat. Neue verfassungsrechtliche Strukturen im Hinblick auf die Entwicklung eines ökumenischen Kirchenrechts, in: Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (Anm. 23), S. 105 – 120. 66 Papst Franziskus, Adh. Ap. „Evangelii gaudium“ vom 24. 11. 2013, in: AAS 105 (2013), S. 1019 – 1137; dt.: VApSt 194, Bonn 2013.
Zwischen Bewahrung und Erneuerung Zu Entdeckungen und (Weiter-)Entwicklungen im Recht der römisch-katholischen Kirche Wilhelm Rees Kirchenrecht steht bei vielen unserer Zeitgenossen nicht hoch im Kurs. Kirchenrechtliche Normen scheinen vielfach am Leben der einzelnen Christinnen und Christen vorbei zu gehen. Sie wirken „kleinlich, unverständlich und/oder hinderlich für das Leben aus dem Glauben“, wie z. B. „die Vorgaben für die Predigt von Laien, den Einsatz von Mädchen als Ministrantinnen, die Feier von ökumenischen Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen […]“1. Kirchenrecht wird als altmodisch und rückwärtsgewandt gesehen. Es ist etwas, was eher einschränkt und behindert als Fortschritt und Weiterentwicklung ermöglicht und fördert. Beklagt wird, dass im Bereich der hauptamtlichen Tätigkeit Laientheologinnen und -theologen, d. h. vor allem Pastoralreferentinnen und -referenten bzw. Pastoralassistentinnen und -assistenten, „nach kirchlichen Vorgaben ausgebildete Experten sind und dennoch vom Kirchenrecht in die Schranken gewiesen, mit Verboten belegt und an Tätigkeiten gehindert werden, die sie sehr wohl ausfüllen könnten“2. Katholikinnen und Katholiken kommen mit dem Kirchenrecht in Berührung, wenn eine Ehe zerbrochen ist und eine erneute Zivilehe geschlossen wird. In dieser Situation ignorieren „die traditionelle Doktrin und in ihrem Gefolge das Kirchenrecht […] das Scheitern und sind alles andere als eine pastorale Hilfe im konkreten Fall“3. Bestimmte Personengruppen, wie u. a. homosexuell veranlagte Menschen, werden weithin ausgegrenzt. Auch wird bemerkt, dass angesichts von Priestermangel „die Konzepte der pastoralen Räume oder der kooperativen Seelsorge […] im ersten Moment entlasten“ mögen; sie „können das Problem nicht aber echt lösen, weil die kirchenrechtlichen Grenzen nicht angetastet werden“4. Für manche Katholikinnen und Katholiken genügt ein kleiner Anlass oder eine Mei1 Sabine Demel, Schutzmantel der Freiheit oder Zwangsjacke der Mächtigen? Anspruch und Wirklichkeit, Chancen und Gefahren kirchlichen Rechts, in: ThPQ 149 (2001), S. 361 – 374, hier S. 361. 2 Eva Drechsler, Zwischen gesellschaftlichem Anspruch und privater Religiosität. Zur Wahrnehmung kirchlicher Ordnung in der Gegenwart, in: ThPQ 149 (2001), S. 350 – 360, hier S. 358, unter Hinweis auf Reinhold Sebott, Braucht die Kirche ein Recht?, Leutersdorf 2001, S. 37 f. 3 Leo Karrer, Ius sequitur vitam. Pastoral in der Spannung zwischen Realität und Kirchenrecht, in: ThPQ 149 (2001), S. 339 – 349, hier S. 343. 4 Karrer, Ius (Anm. 3), S. 343.
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nungsäußerung von Kirchenvertretern, um der Kirche in Form des Kirchenaustritts5 den Rücken zu kehren. Generell scheinen Kirchenrecht und pastorale Praxis konträr zu sein. „Dem Kirchenrecht wird die Funktion unterstellt, die kirchliche Pastoral durch Juridismus im Sinne einer von der Realität abgehobenen Zwangsordnung zu ersetzen.“6 Ja es wird vielfach „als Gegensatz zu einer weiteren menschen- und situationsgerechten Pastoral verstanden“7. Zunehmend „verstärkt sich der Eindruck, dass die kirchenrechtlichen Normierungen im pastoralen Alltag ausgeblendet und […] ignoriert werden […] Für die pfarrliche Praxis erscheint es [das Kirchenrecht] den meisten irrelevant“8. „Nicht selten“ werden daher Entscheidungen, wie Helmuth Pree bemerkt, „unter bewusster Missachtung des geltenden Kirchenrechts als ,pastorale Lösungen‘ bezeichnet“9. Zu Recht gibt Helmuth Pree jedoch zu bedenken, dass man von solchen „berechtigterweise nur dann sprechen [kann], wenn das Abweichen vom geltenden Recht auf Grund der besonderen Lagerung des Falles ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Andernfalls wurde einfach der bequemere Weg gewählt. Am Willkürcharakter einer solchen Vorgangsweise ändert sich auch dadurch nichts, dass man sich auf die salus animarum, auf allgemeine pastorale Erfordernisse, auf die communio der Kirche etc. beruft“10. Der Jubilar hat sich in seinem umfassenden wissenschaftlichen Werk neben vermögens- und ordensrechtlichen Fragen vorrangig mit der theologischen Grundlegung des Kirchenrechts, den Allgemeinen Normen und dem Verfassungsrecht
5 Vgl. Wilhelm Rees, Zur Aktualität des kirchlichen Strafrechts. Sexuelle Übergriffe durch Kleriker, Kirchenaustritt und Priesterbruderschaft St. Pius X. – mit einem Blick auf den actus formalis, in: öarr 58 (2011), S. 156 – 191, bes. S. 171 – 183; ders., Der Kirchenaustritt und seine kirchenrechtliche Problematik, in: Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz (Hrsg.), Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Kanonistische Klärungen zu den pastoralen Initiativen der Österreichischen Bischofskonferenz (= Die österreichischen Bischöfe 10), Wien 2010, S. 38 – 61; siehe auch Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (Hrsg.), Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht (= QD 243), Freiburg/Basel/ Wien 2011; darin Helmuth Pree, Einführung, ebd., S. 10 – 18. 6 Ilona Riedel-Spangenberger, Die Rechtsstellung der in kirchlich ungültiger Ehe lebenden Katholiken. Kirchenrechtliche Aspekte und Lösungsangebote zum Problem von Scheidung und Wiederheirat, in: Theodor Schneider (Hrsg.), Geschieden, wiederverheiratet, abgewiesen? Antworten der Theologie (= QD, 157), Freiburg/Basel/Wien 1995, S. 236 – 253, hier S. 236 f. 7 Ebd., S. 237. 8 Redaktion, Lieber Leser, liebe Leserin!, in: ThPQ 149 (2001), S. 337 f., hier S. 337. 9 Helmuth Pree, Der Rechtscharakter des kanonischen Rechts und seine Bedeutung für die Kirche, in: Folia canonica 7 (2004), S. 49 – 70, hier S. 66; siehe auch Walter Kasper, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Überlegungen zu einer Applikationstheorie kirchenrechtlicher Normen, in: Iustitia in caritate. Festgabe für Ernst Rößler zum 25jährigen Dienstjubiläum als Offizial der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Hrsg. von Richard Puza/Andreas Weiß (= AIC 3), Frankfurt am Main u. a. 1997, S. 59 – 66, hier S. 59. 10 Pree, Rechtscharakter (Anm. 9), S. 66.
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sowie dem orientalischen Kirchenrecht, aber auch mit dem Eherecht befasst11 und dabei immer wieder kritisch auf gewisse Unstimmigkeiten bzw. notwendige Veränderungen hingewiesen. Im Folgenden soll daher der Frage nach dem Sinn und Zweck kirchenrechtlicher Normen, aber auch nach aktuellen Entwicklungsmöglichkeiten und tatsächlichen Entwicklungen nachgegangen werden.12
I. Zum Sinn und Zweck kirchenrechtlicher Normen Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Begriff „Volk Gottes“ als Bezeichnung und Selbstverständnis der Kirche wieder entdeckt (vgl. Art. 9 Abs. 1 VatII LG; Art. 32 Abs. 1 VatII GS)13. Sie ist in Christus, dem Licht der Völker, „gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Art. 1 VatII LG). Auftrag und Sendung der Kirche ist es, eine heilbringende Botschaft zu verkündigen und eine heilvolle Begegnung zwischen Gott und den Menschen sowie den Menschen untereinander zu ermöglichen. Dabei ist die Kirche nicht nur als eine innerliche und geistliche Größe zu verstehen, die gleichsam irgendwo im Cyberspace existiert bzw. auf ein Jenseits hofft und vertröstet, sondern auch als „sichtbares Gefüge“, d. h. eine hier und heute existierende Gemeinschaft (vgl. Art. 8 Abs. 1 VatII LG). Dies bedeutet einerseits, dass die Kirche, wie jede Gemeinschaft, Normen braucht, die ihrem Auftrag, ihrem Aufbau und ihrer Organisation dienen sollen. Zugleich bringt diese Sicht der Kirche auch zum Ausdruck, dass das kirchliche Recht wesentlich im Dienst am Heilsauftrag der Kirche steht bzw. stehen muss. Kirche ist daher, wie das Zweite Vatikanische Konzil betont, Glaubens-, Heils- und Rechtsgemeinschaft in untrennbarer Einheit.14 11
Vgl. Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft), Wien/New York 1983; Helmuth Pree, Die Ehe als Bezugswirklichkeit. Bemerkungen zur Individual- und Sozialdimension des kanonischen Eherechts, in: ÖAKR 33 (1982), S. 339 – 396; ders., Le mariage en tant que réalité relationnelle. Remarques sur les dimensions individuelle et sociale du droit matrimonial canonique, in: RDC 35 (1985), S. 62 – 85. 12 Im Folgenden handelt es sich um die erweiterte Fassung eines Statements beim 4. Kongress Kommunikative Theologie vom 19.–21. Juni 2014 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck: „Anders gemeinsam – gemeinsam anders? Lebendig kommunizieren in den Ambivalenzen der Gegenwart: http://www.uibk.ac.at/rgkw/komtheo/4. kongress/ [Stand: 17. 01. 2015]; siehe auch Maria Juen/Johanna Rahner/Gunter Prüller-Jagenteufel/Zekirija Sejdini (Hrsg.), Anders gemeinsam – gemeinsam anders (im Erscheinen). 13 Vgl. Winfried Aymans, Die Kirche – Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbKathKR2, S. 3 – 12, bes. S. 4 – 6. 14 Vgl. Joseph Listl, Art. Kirche. II. Katholisch, in: EvStL3, Bd. 1 (1987), Sp. 1529 – 1539; abgedr. unter dem Titel „Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche“, in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Hrsg. von Josef Isensee/Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 25), Berlin 1996, S. 945 – 956; ferner auch Pree, Rechtscharakter (Anm. 9),
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So hat das Kirchenrecht, wie bereits in einem der fundamentalen Grundsätze für die Reform des kirchlichen Gesetzbuchs von 1917, die im Jahre 1983 abgeschlossen worden ist, gefordert, „in seiner diakonischen pastoralen Funktion […] es dem Gläubigen zu ermöglichen und ihm zu helfen, in der Gemeinschaft des Volkes Gottes seinen Weg zum Heil in eigener Verantwortung und in freier Entscheidung zu gehen“15. Zudem darf nicht übersehen werden, was Papst Johannes Paul II. in der Apostolischen Konstitution „Sacrae disciplinae leges“, mit der er am 25. Januar 1983 den Codex Iuris Canonici in Kraft gesetzt hat, gesagt hat: Danach ist es die erste und notwendige Aufgabe des Kirchenrechts, den Weg aufzuzeigen, der zum Heil führt, und einen Raum zu schaffen, der „der Liebe, der Gnade und dem Charisma Vorrang einräumt“ und gleichzeitig den „geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft wie auch der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert“16. So wundert auch die Aussage des letzten Kanons des kirchlichen Gesetzbuchs von 1983 in keiner Weise, wenn hierin zusammenfassend, interpretierend und wegweisend für die Anwendung des kirchlichen Rechts gesagt wird: Das „Heil der Seelen“ muss immer „das oberste Gesetz“ sein (vgl. c. 1752 CIC/1983: „salus animarum, quae in Ecclesia suprema semper lex esse debet“). Letztendlich ist „das Heil des Menschen“, wie Walter Kasper es zum Ausdruck bringt, „Sinnbestimmung des Kirchenrechts“17. Auch Helmuth Pree zielt in diese Richtung, wenn er betont, dass „nicht nur die kirchliche Rechtsnorm als solche, sondern kirchliche Jurisprudenz schlechthin […] unter dem pastoralen, d. h. auf das Seelenheil des einzelnen gerichteten Anspruch“ steht.18 Wie Sabine Demel mit Blick auf die Schriften des Neuen Testaments bemerkt, hat Jesus Christus selbst „den Grundstock des Rechts in der Kirche [ge]legt, indem er die Lehre und Leitung in menschliche Hände übergibt (Mt 16,18 f; 18,18)“19. Der Grund dafür, dass es Kirchenrecht gibt und geben muss, liegt letztlich im „Dienst an der
S. 51; ders., Bemerkungen zum Normenbegriff des CIC/1983, in: ÖAKR 35 (1985), S. 25 – 61 (= Zwischen Tradition und Erneuerung, Willibald M. Plöchl, dem Mitbegründer und langjährigen Herausgeber dieser Zeitschrift zum Gedenken), hier S. 29. 15 Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici Recognoscendo, Principia quae Codicis Iuris Canonici recognitionem dirigant, Nr. 3; abgedr. in: Communicationes 1 (1969), S. 77 – 85, hier S. 79 f.; zitiert nach: Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR2, S. 49 – 76, hier S. 59. 16 Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Sacrae disciplinae leges“ vom 25. Januar 1983, in: AAS 75 (1983), Pars II (Separatfaszikel), XXX und 317 S., S. VII–XIV, hier S. XI; lat./dt.: Codex Iuris Canonici – Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Hrsg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz, der Erzbischöfe von Luxemburg und von Straßburg sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von Lüttich und von Metz, Kevelaer 52001, S. XVI–XIX, hier S. XVI/XVII. 17 Kasper, Gerechtigkeit (Anm. 9), S. 61. 18 Pree, Normenbegriff (Anm. 14), S. 31 f. 19 Demel, Schutzmantel (Anm. 1), S. 364.
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kirchlichen Communio“20. In rechter Weise verstanden ist das Kirchenrecht, wie Papst Paul VI. es treffend in einer Ansprache zum Ausdruck gebracht hat, „nicht Hindernis, sondern pastorale Hilfe; es tötet nicht, sondern macht lebendig. Seine Hauptaufgabe ist nicht, zu unterdrücken, zu hemmen oder gar gegen etwas anzugehen, sondern es soll anregen, fördern, behüten und den echten Freiheitsraum schützen“21. Kirchenrecht steckt somit den Rahmen ab, innerhalb dessen sich jedes einzelne Glied der Gemeinschaft bewegen und verwirklichen kann, ohne den Anspruch der anderen Gläubigen oder der Gemeinschaft insgesamt zu verletzen (vgl. c. 223 § 1 CIC/1983). „Ohne Einbindung in die Gemeinschaft entartete“, wie Helmut Pree bemerkt, „die Selbstentfaltung der Person in Individualismus; ohne Anerkennung des Eigenwertes der Person aber ginge diese in der Gemeinschaft und ihren Zielen und Interessen auf (Kollektivismus). Beide Extreme gilt es in der Kirche zu vermeiden […]. Die rechte Gewichtung und Beziehung zwischen Einzelnem und Gemeinschaft herzustellen ist – auch in der communio der Kirche – eine Grundfunktion des Rechts“22. Aufgabe der Hierarchie und ihrer Gesetzgebung ist es somit, „der Ausübung der Grundpflichten und Grundrechte der Gläubigen“ und damit der „Verwirklichung des Christseins“ zu dienen.23
II. Strafen als Mittel zum Heil? Eine Rechtsordnung, die sich nur über Zwang ermöglicht, ist abzulehnen. Andererseits muss eine Gemeinschaft das, was für sie grundlegend, zentral und wesentlich ist, auch schützen können. Hier haben Strafbestimmungen ihre Bedeutung und Berechtigung. Zutreffend rechnet daher Helmuth Pree „zu den Minimalanforderungen 20 Antonio María Rouco Varela, Das kanonische Recht im Dienst der kirchlichen Communio, in: ders., Schriften zur Theologie des Kirchenrechts und zur Kirchenverfassung. Hrsg. von Winfried Aymans/Libero Gerosa/Ludger Müller, Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 291 – 309, hier S. 308; siehe bereits ders., El Derecho Canónico al servicio de la comunión eclesial, in: Pontificium Consilium de Legum Textibus Interpretandis (Hrsg.), Ius in Vita et in Missione Ecclesiae. Acta Symposii Internationalis Iuris Canonici occurrente X anniversario promulgationis Codicis Iuris Canonici diebus 19 – 24 aprilis 1993 in Civitate Vaticana celebrati, Città del Vaticano 1994, S. 133 – 153, hier S. 152 f.; ferner auch Wilhelm Rees, Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck. Kirchenrechtler und Selbstverständnis des Faches in Vergangenheit und Gegenwart, in: Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Konrad Breitsching/ Wilhelm Rees (= Kanonistische Studien und Texte 46), Berlin 2001, S. 317 – 341, bes. S. 331 – 333. 21 Paul VI., Ansprache vom 19. Februar 1977 ad eos, qui Conventui Internationali interfuerunt, in urbe Roma favente Pontificia Universitate Gregoriana habito, exeunte saeculo ex quo Facultas Iuris Canonici eodem in Athenaeo constituta est, in: AAS 69 (1977), S. 208 – 212; dt. in: OssRom (dt.), 18. März 1977, S. 4 f.; Paul VI., Wort und Weisung 1977, Città del Vaticano und Kevelaer 1978, S. 177 – 181; siehe auch Jörg Ernesti, Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg/Basel/Wien 2012; Christian Huber, Papst Paul VI. und das Kirchenrecht (= MK CIC, Beiheft 21), Essen 1999. 22 Pree, Rechtscharakter (Anm. 9), S. 67 f. 23 Ebd., S. 68.
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an den Begriff der Rechtsnorm […] die Ausstattung mit einer Sanktion, d. h. mit einer Rechtsfolge, die der Norm zur effektiven Geltung verhelfen soll und die in einem organisierten Verfahren der betreffenden Rechtsgemeinschaft zu verwirklichen ist“24. Die Kirche hat von ihren Anfängen an gegen schwerwiegendes Versagen, das ihre Ordnung störte oder die Gemeinde nach außen entehrte, mit der Verhängung von Strafen reagiert. Sie wollte damit nicht nur das Zusammenleben der kirchlichen Gemeinschaft sichern, sondern letztlich der Heiligkeit und Heilsfunktion der Kirche dienen. Der Ausschluss aus der Gemeinschaft und von der Eucharistie hatte die Wiedergewinnung des Bruders bzw. der Schwester zum Ziel.25 Heute werden Strafen in der Kirche – ungeachtet der nach wie vor geltenden Sorge der Kirche um die Wahrung ihrer Ordnung, das Gemeinschaftsleben und das Heil des Menschen – nicht mehr vorwiegend oder ausschließlich als Zwangsmaßnahmen in Richtung Wohlverhalten oder Rückkehr zur römisch-katholischen Kirche gesehen. Vielmehr will die Kirche durch deren Verhängung zum Ausdruck bringen, dass sich die betreffende Person „außerhalb der ,communio plena‘ befindet“26. Sie hat durch ihr Verhalten selbst die kirchliche Gemeinschaft verlassen bzw. aufgekündigt. Die Kirche verurteilt also nicht die (Gewissens-)Entscheidung der einzelnen Person, die sie bei aller Sorge um das Heil des einzelnen Menschen respektieren und achten muss, sondern die Auswirkung dieser Entscheidung auf die kirchliche Gemeinschaft als Communio. Sie bringt zum Ausdruck und stellt dies in manchen Fällen ausdrücklich fest (vgl. c. 1331 § 2 CIC/1983)27, dass eine Person nach kirchlichem Selbstverständnis nicht mehr vollwertiges Glied dieser Gemeinschaft sein und alle Rechte, die mit der vollen Gliedschaft gegeben sind, ausüben kann. Dadurch, dass es sich bei den Strafen der Exkommunikation und der Suspension im Fall eines Klerikers um Besserungs- bzw. Medizinalstrafen handelt (vgl. c. 1312 § 1, 18 CIC/1983), ist die Rückgabe der vollen Rechte und damit eine Rückkehr in die volle Rechtsstellung innerhalb der Glaubensgemeinschaft nicht ausgeschlossen. Vielmehr hat die betreffende Person im Fall der „Besserung“ hierauf sogar einen Rechtsanspruch (vgl. c. 1358 § 1 24
Ders., Normenbegriff (Anm. 14), S. 55. Vgl. Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (= Kanonistische Studien und Texte 41), Berlin 1993, S. 40 – 43. 26 Vgl. dazu Libero Gerosa, Communio – Excommunicatio. Zur theologischen und rechtlichen Natur der Exkommunikation, in: Reinhild Ahlers/Peter Krämer (Hrsg.), Das Bleibende im Wandel. Theologische Beiträge zum Schisma von Marcel Lefebvre. Prälat Prof. Dr. Heribert Schmitz zum 60. Geburtstag, Paderborn 1990, S. 105 – 119, hier S. 115; ders., „Communio“ und „Excommunicatio“. Ein Streitgespräch, in: Ludger Müller/Alfred E. Hierold/Sabine Demel/Libero Gerosa/Peter Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= Kirchenrechtliche Bibliothek 9), Berlin 2006, S. 97 – 110, hier S. 105. 27 Vgl. die Feststellung des Eintritts der Exkommunikation durch den Bischof von Innsbruck, in: Diözese Innsbruck, Diözesanblatt. Amtliche Mitteilungen der Diözese Innsbruck, 88. Jg., Nr. 4, Juli/August 2014, Nr. 40, S. 6 f. 25
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CIC/1983). Der medizinale Charakter einer kirchlichen Strafe zeigt sich besonders deutlich im Recht der katholischen Ostkirchen, d. h. dem Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium.28 So will die von Papst Benedikt XVI. in die Wege geleitete Reform des kirchlichen Strafrechts dieses wieder verstärkt als ein Mittel der Pastoral in der Heilssorge der Kirche um ihre Gläubigen sehen und angewendet wissen.29 Jedoch ist auch zu sehen, dass das kirchliche Recht im Unterschied zum weltlichen Recht, in dem ein kontinuierliches Ansteigen von Strafgesetzen feststellbar ist30, im CIC/1983 die Straftatbestände erheblich reduziert hat. Strafen sind nur als letzte Maßnahme vorgesehen (vgl. c. 1341 CIC/1983) oder, wie es einmal formuliert wurde, als „das letzte Mittel der Liebe“31.
III. Die Spannung zwischen Beständigkeit und Entwicklung Wie Ladislas Örsy herausstellt, hat es „die Spannung zwischen Beständigkeit und Entwicklung […] für Menschen immer gegeben“32. Von dieser Spannung sind auch die Kirche und ihr Recht nicht ausgenommen. Es ist nicht zu leugnen, dass es der Kirche und ihrem Recht auch um Kontinuität geht und das Kirchenrecht somit auch eine bewahrende Funktion und einen konservativen Charakter im Grundsinn 28 Vgl. Wilhelm Rees, Unterschiedliche Strafen in der einen katholischen Kirche? Ein Vergleich zwischen CCEO und CIC, in: Ius Canonicum in Oriente et Occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Hartmut Zapp/Andreas Weiß/Stefan Korta (= AIC 25), Frankfurt am Main u. a. 2003, S. 939 – 958, bes. S. 943 – 945. 29 Dass die Kirche ihr Strafrecht ernst nimmt, zeigt die Aufnahme verschiedener Straftaten in die Kategorie der delicta graviora (schwerwiegendere Straftaten) in den Jahren 2001 und 2010 und die Übertragung der Beurteilung und Ahndung dieser Straftaten an die Kongregation für die Glaubenslehre. Vgl. Wilhelm Rees, Delicta graviora im Recht der römisch-katholischen Kirche und der katholischen Ostkirchen, in: Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst. Hrsg. von Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (= AIC 50), Frankfurt am Main u. a. 2013, S. 467 – 506; zum neuen Strafrechtsentwurf siehe Elmar Güthoff, Ein Überblick über die im ersten Teil des Strafrechts des CIC (cc. 1311 – 1363) geplanten Änderungen, in: AfkKR 181 (2012), S. 75 – 89; ders., Ein Überblick über die im zweiten Teil des Strafrechts des CIC (cann. 1364 – 1399) geplanten Änderungen, in: ders./ Korta/Weiß, In memoriam Fürst (Anm. 29), S. 157 – 165. 30 Siehe für die Republik Österreich u. a. Bundesgesetz über den Schutz vor Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit Neuen Psychoaktiven Substanzen (Neue-PsychoaktiveSubstanzen-Gesetz, NPSG), in: BGBl. Nr. I, 2011/146: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFas sung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20007605&ShowPrintPreview=True [Stand: 29. 11. 2014]. 31 Konrad Hartelt, Liebe und Recht. Anmerkungen zur theologischen Grundlegung des Kirchenrechts, in: Recht im Dienste des Menschen. Eine Festgabe. Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder, Graz/ Wien/Köln 1986, S. 325 – 330, hier S. 328. 32 Ladislas Örsy, Das Spannungsverhältnis zwischen Beständigkeit und Entwicklung im Kanonischen Recht, in: DPM 8/1 (2001), S. 299 – 312, hier S. 299.
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des Wortes (conservare) hat.33 Andererseits hat die Kirche immer auch „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“ (Art. 4 Abs. 1 VatII GS)34. So ist sie, wie Konrad Breitsching betont, „neben der Treue zu ihren Anfängen in Jesus Christus auch zu einer zeitgerechten Form ihrer Sendung verpflichtet“35. Letztendlich geht es – modern gesprochen – um immer wieder neue Updates, um ein aggiornamento im Heute, wie es Papst Johannes XXIII. damals für das Zweite Vatikanische Konzil gefordert hat. Die Kirche muss sich immer fragen, ob das jeweils geltende Gesetz das beste und damit das heute geforderte Gesetz ist, dasjenige, das dem Heilsauftrag der Kirche im Heute gerecht wird und Menschen heute und in ihren konkreten Lebensumständen Hilfe auf ihrem Weg zum Heil sein kann. Wenn daher das Kirchenrecht, wie Helmuth Pree bemerkt, „nicht mehr dient, sondern […] bewirkt, dass die Institution aus theologisch nicht mehr zu rechtfertigenden Gründen über die Personen herrscht, ab diesem Punkt hat das Gut der Rechtssicherheit, ja hat die kirchliche Rechtsnorm selbst sicherlich ihre Grenze erreicht“.36 Dies bedeutet, dass die Kirche Gesetze, die reformbedürftig sind, ändern bzw. weiterentwickeln muss. Zu Recht versteht Örsy unter Entwicklung „eine Veränderung, die nicht die Identität des Subjekts zerstört. Daher gründet eine solche Veränderung auf Stabilität. Sie ist also die Entfaltung des inneren Reichtums eines Subjektes. Das Ziel einer solchen Veränderung ist immer etwas besseres zu erhalten“37. Nicht immer ist eine Gesetzesänderung gefordert. Vielmehr müssen kirchliche Amtsträger und Verantwortliche den Rahmen ausschöpfen, den der kirchliche Gesetzgeber im Interesse einer zeitgemäßen Verwirklichung der Heilssorge ihnen bereits zur Verfügung stellt.
IV. Was ist geschehen – Neuansätze im Kirchenrecht Papst Johannes Paul II. hat am 25. Januar 1983 mit der Apostolischen Konstitution „Sacrae disciplinae leges“38 den Codex Iuris Canonici (CIC/1983), d. h. das Ge33
92. 34
Vgl. Georg May, Die Kontinuität im kanonischen Recht, in: AfkKR 135 (1966), S. 52 –
D. h. nicht, dass sich die Kirche allen gesellschaftlichen Strömungen anpassen muss. Konrad Breitsching, Das Kirchenrecht in der Spannung von Bewahrung und Wandel, in: Anna Findl-Ludescher/Johannes Panhofer/Veronika Prüller-Jagenteufel (Hrsg.), Weil nichts so bleibt, wie es ist. Theologische Beiträge zum ambivalenten Phänomen Wandel (= Kommunikative Theologie 11), Ostfildern 2009, S. 248 – 264, hier S. 248. 36 Pree, Ehe (Anm. 11), S. 393. 37 Örsy, Beständigkeit (Anm. 32), S. 301. Örsy verweist ebd., S. 305 f., auf John Henry Newman, Aufsätze über die Entwicklung der christlichen Lehre (Essay on the Development of Christian Doctrine), 1878, der sieben Kriterien vorschlägt, um authentische Entwicklung von schädlichen Veränderungen unterscheiden zu können. 38 Vgl. Johannes Paul II., Sacrae disciplinae leges (Anm. 16); siehe auch Praefatio, in: AAS 75 (1983), Pars II (Separatfaszikel), S. XV–XXX = CIC5 (Anm. 16), S. XXV–LI; dazu Joseph Listl, Art. Codex Iuris Canonici, in: StL7, Bd. 1 (1985/1995), Sp. 1151 – 1156; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 14), S. 1061 – 1066. 35
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setzbuch für die römisch-katholische Kirche39, promulgiert. Näherhin betonte der Papst, dass dieses Gesetzbuch „deutlich dem Wesen der Kirche, wie es vor allem durch das Lehramt des II. Vatikanischen Konzils ganz allgemein und besonders in seiner ekklesiologischen Lehre dargestellt wird“, entspricht. „Ja, dieser neue Codex kann gewissermaßen als ein großes Bemühen aufgefasst werden, eben diese Lehre, nämlich die konziliare Ekklesiologie, in die kanonistische Sprache zu übersetzen.“40 So nennt Papst Johannes Paul II. unter den Elementen, „die das wahre und eigentliche Bild der Kirche ausmachen“, vor allem „die Lehre, nach der die Kirche als das Volk Gottes (vgl. Konst. Lumen Gentium, 2) und die hierarchische Autorität als Dienst dargestellt werden (ebd., 3); außerdem die Lehre, die die Kirche als Communio ausweist und daher die gegenseitigen Beziehungen bestimmt, die zwischen Teilkirche und Gesamtkirche sowie zwischen Kollegialität und Primat bestehen müssen; ebenso die Lehre, nach der alle Glieder des Volkes Gottes, jedes auf seine Weise, an dem dreifachen – dem priesterlichen, prophetischen und königlichen – Amt Christi teilhaben; mit dieser Lehre ist auch die Lehre verbunden, die die Pflichten und Rechte der Gläubigen und namentlich der Laien betrifft; und schließlich der Eifer, den die Kirche für den Ökumenismus aufbringen muß“41. Das Zweite Vatikanische Konzil hat somit ein tiefgreifend neues Verständnis von Kirche gebracht.42 Gleichwohl darf nicht verschwiegen werden, dass die Texte des Konzils nicht aus einem Guss sind, sondern sowohl die frühere als auch die neue Ekklesiologie, d. h. sowohl die Tradition der Kirche als auch Neues bzw. Wiederentdecktes in diesen Texten präsent ist. Spannungen, die sich in den Konzilstexten zeigen, finden sich daher in analoger Weise auch im kirchlichen Gesetzbuch von 1983.43 Bedeutsam ist, dass das kirchliche Gesetzbuch, das für die gesamte römisch-katholische Kirche Geltung beansprucht, als Rahmenrecht konzipiert ist. Es bietet daher den jeweiligen Bischofskonferenzen und ebenso den einzelnen Diözesanbischöfen die Möglichkeit, das universalkirchliche Recht an die örtlichen Gegebenhei39 Vgl. Johannes Paul II., Codex Iuris Canonici, in: AAS 75 (1983), Pars II (Separatfaszikel), S. 1 – 317; lat./dt.: CIC5 (Anm. 16), S. 1 – 769. 40 Johannes Paul II., Sacrae disciplinae leges (Anm. 16), S. XI = S. XVI–XIX. 41 Ebd., S. XII = S. XVIII/XIX. 42 Das Konzil beschreibt die Kirche als Volk Gottes (vgl. Art. 9 – 17 VatII LG), es betont die fundamentale Gleichheit unter allen Christ(inn)en (Art. 32 VatII LG) und die gemeinsame Sendung des ganzen Gottesvolkes, d. h. aller Getauften, die besondere Verantwortung der Laien (vgl. Art. 30 – 38 VatII LG) und jene des hierarchischen Priestertums (vgl. Art. 18 – 29 VatII LG). Es setzt den Primat des Papstes in Beziehung zur Lehre vom Bischofskollegium (vgl. Art. 22 Abs. 2 VatII LG) und vollzieht eine Aufwertung der Bischöfe (vgl. Art. 20 VatII) und der Teilkirchen/Diözesen. Es gibt wesentliche Impulse für eine Erneuerung der Pfarrei und deren Leitung (vgl. Art. 28 Abs. 2 und 4 VatII LG; Art. 6 Abs. 1 VatII PO; Art. 10 Abs. 2 VatII AA) und wendet sich auch dem ökumenischen und interreligiösen Dialog zu (vgl. Art. 1 VatII UR; VatII NA). 43 Vgl. Wilhelm Rees, Ganz und gar in die kanonistische Sprache übersetzt. Zur Umsetzung der Lehren und Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils im kirchlichen Gesetzbuch von 1983 und noch zu leistende Aufgaben, in: Roman Siebenrock, Zweites Vatikanisches Konzil (im Erscheinen).
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ten und Erfordernisse anzupassen. Grundlegend für diese Neukonzeption ist der Rückgriff auf die Communio-Ekklesiologie der frühen Kirche. In der Aussage, dass die Kirche in und aus Teilkirchen besteht (Art. 23 Abs. 1 VatII LG: „In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche.“), zeigt sich Einheit und Dezentralisierung, aber auch die Aufwertung der einzelnen Teilkirchen bzw. der Diözesanbischöfe. „Der universalkirchliche Ausbau nationaler Bischofskonferenzen zu kollegialen hierarchischen Mittelinstanzen mit selbständigen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen auf der Ebene zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Einzelbistum“ bedeutete für Joseph Listl eine der wesentlichsten Entwicklungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, durch die „die Verfassung und das Erscheinungsbild der katholischen Weltkirche“ in bedeutsamer Weise umgestaltet worden sind.44 „Diese Entwicklung entsprach der inneren Dynamik der Entfaltung der katholischen Weltkirche in der Gegenwart […], die den Erfordernissen des auch in der Kirche geltenden Subsidiaritätsprinzips Rechnung trägt und damit dem Eigenleben und den Erwartungen der unterschiedlichen Kulturkreise und ihrer jeweiligen Tradition gerecht wird.“45
So bestehen für Helmut Pree über die Notwendigkeit der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips heute zwar keine Zweifel, wenngleich „über die Einzelfragen der Anwendbarkeit dieses Prinzips auf die verschiedenen Rechtsebenen der Kirche noch nicht durchwegs Übereinstimmung erzielt“ worden ist.46 Näherhin bedarf ein kirchliches Gesetz zum Inkrafttreten keiner Gutheißung, Zustimmung oder Annahme (acceptatio) von Seiten der Normadressaten, wohl jedoch der Rezeption (receptio).47 Bereits Gratian48 stellte im 12. Jahrhundert fest, dass ein Gesetz durch die Promulgation rechtlich vollendet ist, es seine Bestätigung und Dau-
44 So Joseph Listl, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR2, S. 396 – 415, hier S. 400; siehe auch Wilhelm Rees, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR3 (im Erscheinen). 45 Listl, Plenarkonzil (Anm. 44), S. 400. 46 Helmuth Pree, Universales und partikulares Recht – die Mehrstufigkeit im kirchlichen Rechtssystem, in: Peter Krämer/Sabine Demel/Libero Gerosa/Ludger Müller (Hrsg.), Universales und partikulares Recht in der Kirche. Konkurrierende oder integrierende Faktoren?, Paderborn 1999, S. 71 – 89, hier S. 72 f. 47 Vgl. Johannes Mühlsteiger, Rezeption – Inkulturation – Selbstbestimmung, in: ZKTh 105 (1983), S. 261 – 289; abgedr. in: Breitsching/Rees, Festschrift Mühlsteiger (75) (Anm. 20), S. 987 – 1024; Remigiusz Sobanski, Die Rezeption der kanonischen Norm, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Louis C. Morsak/Markus Escher, Zürich 1989, S. 397 – 407; Winfried Schulz, Konsens und Widerspruch als rechtserhebliches Handeln in der Kirche? Kanonistische Erwägungen zur Rezeptionsproblematik, in: ThGl 81 (1991), S. 339 – 354. 48 Vgl. Ilona Riedel-Spangenberger, Art. Gratian, Johannes, in: LKStKR, Bd. 2 (2002), S. 175; Rudolf Weigand, Art. Gratian, in: Lexikon des Kirchenrechts. Hrsg. von Stephan Haering/Heribert Schmitz (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/ Wien 2004, Sp. 1083.
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erhaftigkeit jedoch erst durch die Einhaltung seitens der Normadressaten erlangt.49 Ein rein kirchliches Gesetz, das von Anfang an oder ab einem späteren Zeitpunkt allgemein nicht beobachtet wird, verliert seine Wirksamkeit und damit seine Verpflichtungskraft (desuetudo).50 Hans Heimerl und Helmuth Pree sehen darin „eine notwendige Konsequenz aus dem Dialog- bzw. Konsensprinzip des Kirchenrechts, demzufolge die normsetzende Autorität und der Konsens der Gemeinschaft aufeinander verwiesen sind“51. Zugleich wird deutlich, „daß der kirchlichen Gemeinschaft eine weitreichende Einwirkungsmöglichkeit auf die Geltung ihrer Gesetze zukommt“52. Seit dem 12. Jahrhundert kennt die Kirche ein Remonstrationsrecht (ius remonstrandi) der Bischöfe bzw. auch die Pflicht der Bischöfe, gegen päpstliche Gesetze unter gewissen Voraussetzungen Einspruch zu erheben. Zwar ist dieses Recht, „beim Apostolischen Stuhl vorstellig zu werden und gegen ein universalkirchliches Gesetz begründeten Einspruch zu erheben, der aufschiebende Wirkung hat, und so auf legitime Weise ein universalkirchliches Gesetz in der Ortskirche zumindest zunächst nicht zum Zuge kommen läßt“53, weder im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 noch in jenem von 1983 normiert; es ist jedoch gewohnheitsrechtlich anerkannt.54 Zudem gewährleistet Art. 158 PastBon einzelnen Gläubigen das Recht, gegen partikulare Gesetze und allgemeine Dekrete, die von Gesetzgebern unterhalb der höchsten Autorität erlassen worden sind, an den Päpstlichen Rat für die Interpretation von Gesetzestexten zu rekurrieren, der dann darüber zu entscheiden hat, ob diese „mit den gesamtkirchlichen Gesetzen übereinstimmen oder nicht“55. Hinzuweisen ist auch darauf, dass nur weniges Recht in der Kirche göttliches Recht und damit für den kirchlichen Gesetzgeber unabänderbar ist.56 Helmuth 49 Vgl. Dictum post c. 3 D. 4; dazu Richard Potz, Die Geltung kirchenrechtlicher Normen. Prolegomena zu einer kritisch-hermeneutischen Theorie des Kirchenrechts (= Kirche und Recht 15), Wien 1978, S. 85 – 89. 50 Vgl. Richard Puza, Katholisches Kirchenrecht (= Uni-Taschenbücher 1395), Heidelberg 2 1993, S. 11; Franz Kalde, Art. Desuetudo, in: LKStKR, Bd. 1 (2000), S. 407 f. 51 Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 11), S. 34; siehe auch Mühlsteiger, Rezeption (Anm. 47), S. 1000, S. 1009 f. und S. 1020 f. 52 Hubert Socha, Die Geltung kirchlicher Gesetze, in: TThZ 91 (1982), S. 34 – 51, hier S. 46; siehe auch Puza, Kirchenrecht (Anm. 50), S. 6. 53 Hubert Müller, Verwirklichung der Katholizität in der Ortskirche, in: Rudolf Weigand (Hrsg.), Kirchliches Recht als Freiheitsordnung. Gedenkschrift für Hubert Müller (= FzK 27), Würzburg 1997, S. 14 – 38, bes. S. 32 – 34, hier S. 32. 54 Vgl. Helmuth Pree, Art. Remonstration, in: RGG4, Bd. 7 (2004), Sp. 431; ferner auch Wilhelm Rees, Rechtsnormen, in: HdbKathKR3 (im Erscheinen). 55 Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Pastor bonus“ de Romana Curia vom 28. Juni 1988, Nr. 158, in: AAS 80 (1988), S. 841 – 934, und 87 (1995), S. 588, hier S. 902; abgedr. in: AfkKR 157 (1988), S. 129 – 186, und 164 (1995), S. 149 f., hier S. 166; lat./dt., in: CIC5 (Anm. 16), S. 771 – 833, hier S. 825. 56 Der CIC/1983 spricht an verschiedenen Stellen in unterschiedlichen Formulierungen vom göttlichen Recht: c. 113 § 1: Rechtspersönlichkeit der Kirche und des Apostolischen
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Pree verweist darauf, dass „auf der Ebene des positiven Rechts […] das materiale Substrat des ius divinum in Rechtsinstitute und Rechtssätze zu transformieren [ist]. Sätze des ius humanum sind deshalb niemals göttliches Recht, sondern enthalten dessen Grundgedanken stets nur mehr oder weniger in Anpassung an die geschichtlichen Umstände, in der Formulierung der Rechtssprache, also kontingent. Der einzelne auf ius divinum zurückgeführte Rechtssatz kann deshalb in größerer oder geringerer Nähe zum zugrundeliegenden Wert, Gut oder Prinzip stehen. Damit lassen sich Phänomene wie die einer Änderung des ius divinum oder auch die Frage seiner möglichen Dispensabilität widerspruchsfrei und theologisch legitim lösen“57. Ius divinum darf „weder durch mangelnde Anpassung an die Zeichen der Zeit erstarren noch durch Preisgabe an den Zeitgeist verfälscht werden“58. Insgesamt gesehen ist jedoch die Mehrheit der Gesetze in der Kirche kirchlichen Rechts und damit seitens der Kirche auch abänderbar. Wo dies die Kirche aus Treue gegenüber der Botschaft Jesu und auf Grund der Sorge um das Heil der Menschen und der kirchlichen Gemeinschaft nicht tun kann, kennt sie alte Rechtsprinzipien, wie die Epikie, die kanonische Billigkeit (aequitas canonica), die Oikonomia oder auch die Toleranz und Dispens, in unserer modernen Sprache gesagt, eine gewisse Elastizität oder, wie Richard Puza es im Anschluss an Papst Johannes Paul II. formuliert hat, eine „diakonische Funktion des Kirchenrechts“59. Die einzelne Person wird aufgefordert, „si-
Stuhls – aufgrund göttlicher Anordnung (ex ipsa ordinatione divina); c. 129 § 1: Bestand der Leitungsvollmacht in der Kirche – aufgrund göttlicher Einsetzung (ex divina institutione); c. 145: Existenz bestimmter Kirchenämter – aufgrund göttlicher Anordnung (ordinatio divina); c. 330: Petrus und die übrigen Apostel als Mitglieder des Apostelkollegiums; der Papst als Nachfolger Petri und die Bischöfe als Nachfolger der Apostel im Bischofskollegium ¢ aufgrund der Weisung des Herrn (statuente Domino); c. 375 § 1: die Bischöfe als Nachfolger der Apostel – kraft göttlicher Einsetzung (ex divina institutione); c. 747 § 1: das Glaubensgut von Christus dem Herrn der Kirche anvertraut (Christus Dominus Ecclesiae fidei depositum concredidit); c. 840: die Sakramente des Neuen Testaments von Christus dem Herrn eingesetzt und der Kirche anvertraut (sacramenta Novi Testamenti, a Christo Domino instituta et Ecclesia concredita); c. 1055 § 1: der Ehebund unter Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakraments erhoben (matrimoniale foedus, a Christo Domino ad sacramentum dignitatem inter baptizatos evectum). 57 Vgl. Pree, Rechtscharakter (Anm. 9), S. 62 f., hier S. 63, u. a. unter Hinweis auf Karl Rahner, Über den Begriff des „Jus divinum“ im katholischen Verständnis, in: Schriften zur Theologie, Bd. 5: Neuere Schriften, Zürich, Einsiedeln, Köln 31968, S. 249 – 277; siehe auch ders., Zur Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit des Ius Divinum, in: Theologia et Jus Canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres. Hrsg. von Heinrich J. F. Reinhardt, Essen 1985, S. 111 – 135; ders., The Divine and the Human of the Ius Divinum, in: Katholieke Universiteit Leuven, Faculteit Kerkelijk Recht (Hrsg.), In Diversitate Unitas. Monsignor W. Onclin Chair 1997, Leuven 1997, S. 23 – 41; ders., Ius Divinum between Normative Text, Normative Content and Material Value Structure, in: Jurist 56 (1996), S. 41 – 67; ders., Normenbegriff (Anm. 14), S. 48 – 50. 58 Dietmar Konrad, Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts im Verständnis der evangelischen und katholischen Kirche (= JusEccl 93), Tübingen 2010, S. 68. 59 Vgl. hierzu im Einzelnen Richard Puza, Die diakonische Funktion des Kirchenrechts in der Communio, in: Iustitia et Modestia. Festschrift für Hubert Socha. Hrsg. von Peter Boekolt/
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tuations- und sachgerecht zu urteilen, gegebenenfalls auch gegen das gesetzte Recht“60. Ihre Gewissensentscheidung steht somit über dem Gesetz. „Die Existenz der Epikie beweist“, wie bereits Georg May bemerkt hat, „das Vorhandensein eines dynamischen und freiheitlichen Elements neben dem institutionellen und autoritativen in der Kirche“61. Epikie setzt jedoch „einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Freiheit voraus; sonst wird sie zum Vorwand für geschickte Gesetzesumgehung“62. Dass „alle die zahlreichen Formen jener Flexibilität […] anzuwenden [sind], die gerade aus pastoralen Gründen das Kirchenrecht schon immer ausgezeichnet haben“, darauf hat Helmuth Pree eindringlich hingewiesen.63 Andererseits sieht Pree auch „die Aufarbeitung des Problems von Gebundenheit und Ermessen im Kirchenrecht dringend geboten“64. Neben dem Gesetz erkennt das kanonische Recht die Gewohnheit (consuetudo) als zweite Rechtsquelle an.65 Der Gewohnheit, die in der frühen Zeit der Kirche die Rechtsentwicklung maßgeblich bestimmt hat, kommt auch heute im kirchlichen Recht eine wesentlich größere Rolle und Bedeutung zu als im weltlichen Recht. Sie bildet „einen Ausgleich zwischen dem universal geltenden Recht (Rechtseinheit) und der örtlichen oder sachlichen Angemessenheit des Rechts (RechtsinkulturatiIlona Riedel-Spangenberger, München 1998, S. 13 – 24; ders., Kirchenrecht (Anm. 50), S. 76 – 84. 60 Peter Krämer, Kirchenrecht II. Ortskirche – Gesamtkirche (= Kohlhammer Studienbücher 24,2), Stuttgart/Berlin/Köln 1993, S. 70. 61 Georg May, Der Begriff der kanonischen Auctoritas im Hinblick auf Gesetz, Gewohnheit und Sitte, in: Hans Dölle (Hrsg.), Deutsche Landesreferate zum VI. Internationalen Kongress für Rechtsvergleichung in Hamburg 1962, Berlin/Tübingen 1962, S. 39 – 53; abgedr. in: ders., Schriften zum Kirchenrecht. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Anna Egler/Wilhelm Rees (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 47), Berlin 2003, S. 127 – 143, hier S. 135. 62 Krämer, Kirchenrecht II (Anm. 60), S. 70; vgl. auch Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 11), S. 11 – 13. 63 Vgl. Pree, Rechtscharakter (Anm. 9), S. 66; zur aequitas canonica siehe ders., Normenbegriff (Anm. 14), S. 50 f.; kritisch zur Dispens ebd., S. 54 f.; siehe auch ders., Le tecniche canoniche di flessibilizzazione del diritto: Possibilità e limiti ecclesiali di impiego, in: Ius ecclesiae 12 (2000), S. 375 – 418. 64 Pree, Normenbegriff (Anm. 14), S. 40. So bietet das derzeit geltende kirchliche Strafrecht dem kirchlichen Richter einen großen Ermessenspielraum, der in der Praxis nicht immer von Vorteil sein muss. Vgl. hierzu Wilhelm Rees, Straftat und Strafe, in: HdbKathKR3 (im Erscheinen). 65 Der CIC/1983 verweist u. a. auf Gewohnheitsrecht in c. 38 (Verwaltungsakt in Widerspruch zu Gewohnheitsrecht ist ungültig); c. 284 (Kleidung der Kleriker gemäß den örtlichen Gewohnheiten); c. 289 § 2 (Befreiung der Kleriker von Ämtern und öffentlichen Aufgaben gemäß Gewohnheitsrecht); c. 438 (besondere Befugnisse, die einem Patriarchen oder einem Primas gewohnheitsrechtlich zustehen); c. 527 § 2 (Form der Amtseinführung eines Pfarrers gemäß Gewohnheit); c. 1062 § 1 (Eheversprechen unter Berücksichtigung von Gewohnheiten); c. 1263 (gewohnheitsrechtlich entstandene Praxis der Erhebung von Kirchensteuern in einigen Teilkirchen); c. 1276 § 2 und c. 1279 § 1 (Vermögensverwaltung unter Berücksichtigung der rechtmäßigen Gewohnheiten). Zur Bedeutung des Gewohnheitsrechts im staatlichen Bereich siehe Peter Leisching, Art. Gewohnheitsrecht. 1. Staatlich, in: Haering/Schmitz, Lexikon (Anm. 48), Sp. 360 f.
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on)“66. Zudem kommt, wie Helmuth Pree bemerkt, „bei der Entstehung des Gewohnheitsrechts […] in formeller Hinsicht die betroffene Rechtsgemeinschaft zum Tragen“, wenngleich in eingeschränkter Weise.67 Jedes Recht bedarf der Auslegung, in der es um „die Erschließung des Inhaltes eines Gesetzes, die Ermittlung des Sinnes von Normen, vor allem die Erfassung der den Normen zugrunde liegenden Wertung“ geht.68 Auslegung ist besonders dann gefordert, wenn ein Gesetz unklar ist. Konkret unterscheidet der kirchliche Gesetzgeber zwischen amtlicher und nicht-amtlicher, d. h. privater Auslegung. Hinsichtlich der amtlichen Auslegung werden die authentische Auslegung, die vom Gesetzgeber selbst ausgeht (c. 16 § 1 CIC/1983)69, und die forensische Auslegung, d. h. die Auslegung in Form eines Gerichtsurteils oder eines Verwaltungsaktes (c. 16 § 3 CIC/1983), unterschieden. Die private Auslegung kann eine wissenschaftliche (doktrinelle) und eine gewohnheitsmäßige (usuelle) sein. Erstere geht von Fachgelehrten, d. h. den Kanonist(inn)en aus, letztere von der Rechtsgemeinschaft.70
V. Konkrete Bereiche Neben allgemeinen Kriterien und Ansätzen, die eine gewisse Flexibilität bei der Gesetzgebung bzw. Anwendung rechtlicher Normen ermöglichen, sollen einzelne praxisrelevante Bereiche genannt werden, in denen ein veränderter Umgang angebracht bzw. möglich und notwendig erscheint. 1. Scheidung und Wiederheirat Nach der Lehre der Kirche sind die Worte Jesu gegen die Ehescheidung (vgl. Mt 5,32; Lk 16,18; Mk 10,2 – 12; Mt 19,3 – 9; 1 Kor 7,10 – 16) im Sinn eines Scheidungsverbots (vgl. c. 1085 § 1 CIC/1983) dem göttlichen Recht zuzurechnen und damit der Verfügungsgewalt der Kirche zumindest im Wesenskern entzogen.71 66 Ilona Riedel-Spangenberger, Grundbegriffe des Kirchenrechts (= Uni-Taschenbücher 1618), Paderborn/München/Wien/Zürich 1992, S. 124. 67 Kritisch Pree, Normenbegriff (Anm. 14), bes. S. 45 f., hier S. 45. 68 Georg May/Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, bes. S. 183 – 190, hier S. 183. 69 Zum Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte siehe Johannes Paul II., Pastor bonus (Anm. 55), Art. 154 – 158, S. 901 f. = S. 166 = S. 824 f. 70 Vgl. Ludger Müller, Authentische Interpretation – Auslegung kirchlicher Gesetze oder Rechtsfortbildung?, in: AfkKR 164 (1995), S. 353 – 375, hier S. 353 f.; siehe auch May/Egler, Methode (Anm. 68), S. 192 – 194. 71 Vgl. jedoch Gerd Häfner, Ehescheidung und Wiederheirat – Neutestamentliche Aspekte, in: Erich Garhammer/Franz Weber (Hrsg.), Scheidung – Wiederheirat – von der Kirche verstoßen? Für eine Praxis der Versöhnung. Gewidmet Matthäus Kaiser (1924 – 2011). Professor für Kirchenrecht in Passau, Bochum und Regensburg, Würzburg 2012, S. 101 – 117, der ebd.,
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Daher heißt es bereits im Apostolischen Schreiben „Familiaris Consortio“ Papst Johannes Pauls II.: „Die Kirche bekräftigt […] ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht.“72
Unter diesem Ausschluss „leiden“ die Betroffenen; „viele Seelsorger halten diese Situation für untragbar und suchen Lösungen“73. So muss sich die Pastoral „um die eheliche Treue Sorgen machen – in der einzelnen Ehe wie in der Wertschätzung der ganzen Gemeinde. Sie muß aber auch in der Not der scheiternden und der gescheiterten Ehe Hilfe bieten“, wobei nach Heimerl und Pree „zu den hervorragendsten Hilfen, die die Kirche zu geben hat“, die Sakramente zählen. Bruno Primetshofer bemerkt, dass die Kirche in der Frage der geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen „mehr lehramtlichen Spielraum als sie selbst derzeit vorgibt“, hat.74 Anzumerken ist auch, dass das biblische Scheidungsverbot zu zwei unterschiedlichen Traditionen geführt hat, nämlich zur strengen Praxis der Unauflöslichkeit einer Ehe in der Westkirche und zu einer milderen Praxis im Sinn einer Wiederheirat in den Ostkirchen.75 Zu Recht merken Heimerl und Pree an, dass es sich bei den Fragen: „ob es nicht mehr S. 106, herausstellt, dass das „Wort Jesu zur Ehescheidung […] überfordert (ist), wenn man es im Sinne einer rechtlichen Regelung versteht, die unabdingbar und unter Absehung der näheren Umstände auf alle Ehen anzuwenden ist“. S. auch ebd., S. 114: Der „biblische Befund ist nicht so eindeutig wie häufig angenommen“ wird. 72 Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica „Familiaris Consortio“ ad Episcopos, Sacerdotes et Christifideles totius Ecclesiae Catholicae: de Familiae Christianae muneribus in mundo huius temporis vom 22. November 1981, Nr. 84, in: AAS 74 (1982), S. 81 – 191, hier S. 185; dt.: VApSt 33, Bonn 51994, S. 87 f. 73 Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 11), S. 266. 74 Vgl. Kirchenrechtler: Unauflöslichkeit der Ehe ist kein „Quasi-Dogma“. Primetshofer in Gastkommentar der „Wiener Zeitung“: Kirche hat in Frage der wiederverheirateten Geschiedenen mehr lehramtlichen Spielraum als sie selbst derzeit vorgibt, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 206, 30. August 2012, S. 4 f., hier S. 4; siehe auch Bruno Primetshofer, Gastkommentar: Quasi-Dogma im Bereich der katholischen Kirche? (28. 08. 2012): http://www.wiener zeitung.at/meinungen/gastkommentare/483238_Quasi-Dogma-im-Bereich-der-katholischenKirche.html [Stand: 17. 04. 2013]; andererseits Glaubenspräfekt Müller: Keine Änderungen bei Kommunion-Regeln. Präfekt der Glaubenskongregation erteilt in „Tagespost“-Interview auch Bestrebungen zur Zulassung von Frauen zur Diakonats- oder Priesterweihe Absage, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 243, 11. Oktober 2012, S. 11 f.; siehe in diesem Zusammenhang auch: Christoph Renzikowski, Benedikt XVI. korrigiert Prof. Ratzinger. Ob gewollt oder nicht: Durch die Überarbeitung eines alten Aufsatzes zur Unauflöslichkeit der Ehe steckt der emeritierte Papst wieder mittendrin in der Kirchenpolitik, aus der er sich eigentlich hatte zurückziehen wollen, in: KATHPRESS-Infodienst Nr. 645, 21. November 2014, S. 2 f. 75 Vgl. Olivier Rousseau, Scheidung und Wiederheirat im Osten und im Westen, in: Concilium 3 (1967), S. 322 – 334; ders., Ehe und Ehescheidung in den Ostkirchen, in: Norbert Wetzel (Hrsg.), Die öffentlichen Sünder oder soll die Kirche Ehen scheiden?, Mainz 1970, S. 94 – 104.
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möglich ist, die eheliche Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, ob deshalb eine Regelung der äußeren Verhältnisse durch staatliche Scheidung angestrebt werden darf und wie das Leben nach der Scheidung gestaltet werden soll“, um eine „Gewissensentscheidung“ handelt.76 Der kirchliche Gesetzgeber geht auf das Problem von Scheidung und Wiederheirat nicht explizit ein, tangiert jedoch dieses Thema. Näherhin sieht c. 213 CIC/1983 den Empfang der Eucharistie als ein Grundrecht eines und einer jeden Christgläubigen an.77 Somit ist eine Nichtzulassung zur Kommunion „nur dann zulässig, wenn der Gesetzestext dies unzweifelhaft verlangt“78. Ausdrücklich dürfen zur heiligen Kommunion nicht zugelassen werden, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“ (c. 915 CIC/1983).79 Diese Aussage ist „in sich konsequent“80. Es ist auch nicht in Frage zu stellen, dass das Leben in Scheidung und Wiederheirat der kirchlichen Lehre widerspricht. Was jedoch die Frage des Eucharistieempfangs von geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen betrifft, muss wohl auch c. 916 CIC/1983 hinzugelesen werden. Er besagt, dass eine christgläubige Person die Eucharistie ohne vorherige sakramentale Beichte nicht empfangen darf, wenn sie sich „einer schweren Sünde bewußt ist“. Wie Rüdiger Althaus betont, erfährt c. 915 CIC/ 1983 durch den in c. 916 CIC/1983 herausgestellten „Aufruf zur Selbstbeurteilung ein gewisses Korrektiv“81. In diesem Sinn hatte Helmuth Pree bereits rund zehn Jahre nach der Promulgation des CIC festgestellt, dass sich die Norm des c. 916 CIC/1983 im Unterschied zu c. 915 CIC/1983 „nicht an den Kommunionspender, sondern an den Empfänger (und Zelebranten)“ wendet und „nicht auf öffentlich feststellbare Fakten, sondern auf das Gewissensurteil des Einzelnen ab(stellt). C. 916 schärft eine moralische Pflicht ein und enthält keinen rechtlichen Ausschlußgrund, der vom Kommunionspender bzw. minister sacer wahrgenommen werden könnte. Wäre der Spender gleichzeitig Beichtvater des Empfängers, so dürfte er das im Zusammenhang mit der Beichte erworbene Wissen für die Zulassung zur Eucharistie im 76
Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 11), S. 267. Vgl. Helmuth Pree, Das Recht auf die Heilsgüter (c. 213 CIC), in: Heiliger Dienst 48 (1994), S. 273 – 291. 78 Rüdiger Althaus, c. 912, Rdnr. 2c, in: MK CIC (Stand November 2012). 79 Hierzu werden nach traditioneller Lehre geschiedene und wiederverheiratete Gläubige gerechnet. Vgl. Adalbert Mayer, Die Eucharistie, in: HdbKathKR2, S. 824 – 840, hier S. 832 mit Anm. 42; siehe in diese Richtung auch Päpstlicher Rat für die Interpretation von Gesetzestexten, Erklärung vom 24. Juni 2000: http://www.vatican.va/ro man_curia/pontifical_coun cils/intrptxt/documents/rc_pc_intrptxt_doc_20000706_declaration_ge.html [Stand: 17. 04. 2013]; abgedr. in: AfkKR 169 (2000), S. 135 – 138. 80 Klaus Lüdicke, Wieso eigentlich Barmherzigkeit? Die wiederverheirateten Geschiedenen und der Sakramentenempfang, in: HerKorr 66 (2012), S. 335 – 340, hier S. 337. 81 Althaus, c. 916, Rdnr. 2b, in: MK CIC (Stand Juli 2004); a. A. Georg May, Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen im kanonischen Recht, dargestellt an den cc. 915/916 CIC/ 1983, in: Forum Katholische Theologie 9 (1993), S. 117 – 130, hier S. 122; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 61), S. 171 – 186, hier S. 176, der festhält: „Das Gesetz befindet über die Zulassung, das Gewissen urteilt über das Hinzutreten zur Kommunion […] Im Konfliktsfall obsiegt die Autorität des Nichtzulassens über die Freiheit des Hinzutretens.“ 77
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forum externum nicht verwenden“82. Somit gilt: „Niemand außer dem ,Sünder‘ selbst kann hinreichend sicher wissen, daß er ein Sünder ist.“83 Wenn der kirchliche Gesetzgeber bezüglich Ehescheidung und Wiederheirat schweigt, mag dies, wie Heimerl und Pree bemerken, „aus der Unbeholfenheit, wenn nicht Aussichtslosigkeit herrühren, eine angemessene Lösung zu finden, es ist aber zugleich Ausdruck einer Zurückhaltung, die der moralischen Beurteilung und der pastoralen Aktion freien Raum lässt“84. Näherhin wurde, wie Helmuth Pree bemerkt, die Forderung der Unauflöslichkeit der Ehe „von Jesus Christus nicht als Gesetzgeber verkündet“, vielmehr ist „ihr ursprünglicher und deshalb auch heute noch gültiger Sinn […] der einer moralischen Pflicht zu lebenslanger Treue“85. Die „Differenz von Recht und Moral“ ist für Pree für die Auslegung der Rechtsnorm der Unauflöslichkeit „von ausschlaggebender Bedeutung, ermöglicht sie doch in sittlich einwandfreier und damit auch rechtlich zulässiger Weise, daß Geschiedene und Wiederverheiratete unter bestimmten Voraussetzungen zu den Sakramenten zugelassen werden können; bei den Sakramenten geht es um ein höchstes Gut im unmittelbaren Heilsinteresse der Person, welches niemals durch eine bloße [!] Rechtsnorm behindert werden kann“86. Pree sieht hierin ein Beispiel dafür, „daß die Güterabwägung es in optimaler Weise auch im Kirchenrecht ermöglicht, eine dem Einzelfall entsprechende Lösung zu finden, ohne den Absolutheitsanspruch in irgendeiner Weise zu gefährden oder, wie hier, die Unauflöslichkeit auszuhöhlen, denn nur wenn ein anerkanntermaßen höheres Gut als das Rechtsgut der Unauflöslichkeit der Ehe dafürspricht, wird im Interesse der Personen und damit auch des kirchlichen bonum commune davon abgegangen – im Prinzip genau das, was die Kirche seit Jahrhunderten im Falle der Ehelösung aus Gründen des Glaubens (eben ein Höchstwert) praktiziert“87.
82 Helmuth Pree, „Unio Irregularis“ – Der Sakramentenempfang von Geschiedenen, geschiedenen Wiederverheirateten, ehelos Zusammenlebenden und nur zivil verehelichten Katholiken nach kanonischem Recht, in: Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder (Hrsg.), Neue Positionen des Kirchenrechts, Graz 1994, S. 119 – 152, bes. S. 141 – 150, hier S. 145 f.; Erstveröffentlichung in: Anzeiger für die Seelsorge 103 (1994), S. 145 – 158; siehe auch Helmuth Pree, Forum externum und forum internum. Zur Relevanz des Gewissensurteils im kanonischen Recht, in: AfkKR 168 (1999), S. 25 – 50, bes. S. 46 – 49; ders., Forum externum und forum internum. Zu Sinn und Tragweite einer Unterscheidung, in: Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Hrsg. von Stephan Haering/Josef Kandler/Raimund Sagmeister, Frankfurt am Main u. a. 1999, S. 497 – 512. 83 Lüdicke, Barmherzigkeit (Anm. 80), S. 340; siehe auch Klaus Reinhardt, Kann die Kirche den Empfang der Eucharistie durch wiederverheiratete Geschiedene dulden? Ein Vorschlag zur Lösung des Problems, in: TThZ 91 (1982), S. 91 – 104. 84 Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 11), S. 268. 85 Pree, Ehe (Anm. 11), S. 395. 86 Ebd., S. 396. 87 Ebd.
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Auch bietet die römisch-katholische Kirche die Möglichkeit der Annullierung einer Ehe an, wenngleich unter genau festgelegten Kriterien. Zu bedenken gilt, dass bereits Papst Johannes Paul II. im Jahr 1981 mit Blick auf das Scheitern einer Ehe darauf verwiesen hat, „die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden. Es ist ein Unterschied, ob jemand trotz aufrichtigen Bemühens, die frühere Ehe zu retten, völlig zu Unrecht verlassen wurde oder ob jemand eine kirchlich gültige Ehe durch eigene schwere Schuld zerstört hat“88. Die Außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode vom 5. bis 19. Oktober 2014 hat sich mit der angesprochenen Thematik befasst, jedoch keinen Konsens gefunden.89 Dennoch hat die Auseinandersetzung in der deutschen Kirche bereits zu konkreten Ergebnissen geführt.90 2. Gemeindeleitung Es steht außer Zweifel, dass die Leitung einer Pfarrei durch einen Priester, wie sie über Jahrhunderte gegeben war, den Idealfall darstellt. Diese Form der Leitung einer Pfarrgemeinde sieht auch der kirchliche Gesetzgeber in c. 515 § 1 CIC/1983 vor. Daneben haben Personalpfarreien, wie u. a. die Hochschulgemeinde in Innsbruck oder Klinikpfarreien u. a., ihre Berechtigung und Bedeutung. Mit c. 517 § 2 CIC/1983 ermöglicht der kirchliche Gesetzgeber eine spezielle Form der Leitung einer Pfarrgemeinde, die die römisch-katholische Kirche bis zum Inkrafttreten des CIC/1983 nicht gekannt hat.91 Mit dieser Regelung nimmt die Kirche nicht nur neue Zeitumstände und Gegebenheiten in den Blick, sondern berücksichtigt auch Ansätze des Zweiten Vatikanischen Konzils, das die Verantwortung und den gemeinsamen Dienst aller Gläubigen im Sinn des allgemeinen Priestertums in besonderer Weise herausgestellt 88
Johannes Paul II., Familiaris Consortio (Anm. 72), S. 185 = S. 87. Insgesamt gesehen findet sich ebd. eine positive Sicht von geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen. 89 Vgl. Familiensynode im Vatikan: Doch keine Revolution: http://www.faz.net/aktuell/poli tik/ausland/familiensynode-im-vatikan-doch-keine-revolution-13217228.html [Stand: 29. 11. 2014]; siehe auch unter: http://www.dbk.de/themen/bischofssynode/ [Stand: 29. 11. 2014]; ferner Österreichische Bischofskonferenz, Presseerklärung zur Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz 3. bis 6 November 2014 in Wien, Nr. 1: http://www.bi schofskonferenz.at/content/site/home/article/653.html [Stand: 29. 11. 2014]; den Fragebogen siehe unter: http://www.bischofskonferenz.at/content/site/home/article/596.html [Stand: 29. 11. 2014]; ferner Relatio Synodi, Dritte Außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“. Arbeitsübersetzung des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz, Nr. 21 f. und Nr. 51 – 53: http://www.dbk.de/nc/presse/details/?presseid=2669 [Stand: 29. 11. 2014], S. 9 f. und S. 18. 90 Dazu unten VI. 91 C. 517 § 2 CIC/1983: „Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei (participationem in exercitio curae pastoralis paroeciae) beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Hirtensorge leitet (curam pastoralem moderetur).“
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hat. Hintergrund der Entstehung dieses Kanons war die konkrete Situation von christlichen Gemeinden vor allem in den Kirchen des Südens, die keinen Pfarrer am Ort hatten.92 Das Modell bietet, wie bereits Heribert Schmitz betont hat, „die Möglichkeit, die Mitwirkung von Nicht-Priestern an der Ausübung der Hirtensorge derart zu gestalten, daß die gemäß c. 519 CIC gebotenen Möglichkeiten zur Übertragung von Einzelbefugnissen an Laien überstiegen werden“93. Das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Christifideles laici“ Papst Johannes Pauls II. aus dem Jahr 1988 hat ermunternde Worte gefunden: So müssten vor allem bei Priestermangel die jeweils zuständigen örtlichen Autoritäten, d. h. die Diözesanbischöfe, dafür Sorge tragen, dass „die Pfarrstrukturen den Situationen mit der großen Flexibilität, die das Kirchenrecht vor allem durch die Förderung der Teilhabe der Laien an der pastoralen Verantwortung gewährt, angepaßt werden“94. Jedoch bringt „gerade diese Form der Gemeindeleitung […] die Spannung zwischen Bewahrung und notwendiger/nützlicher Veränderung im Recht der Kirche zum Ausdruck“95. Denn, „um Christus, das Haupt der Kirche, in der Gemeinde repräsentieren und vergegenwärtigen und so als Hirte vorstehen zu können, ist nach katholischem Verständnis die Priesterweihe Voraussetzung“96. Zahlreiche deutsche und österreichische Bischöfe sahen seit den 1990erJahren angesichts von Priestermangel die Notwendigkeit, Pfarreien nach dem aufge-
92 So übten in Lateinamerika Gemeinschaften von Ordensfrauen Hirtensorge in Pfarreien aus. Vgl. Coetus de sacra hierarchia, De paroeciis et de parochis, in: Communicationes 8 (1976), S. 23 – 31, bes. S. 24; siehe auch Wilhelm Rees, Die Sicherung der Hirtensorge. Can. 517 § 2 CIC und die österreichischen diözesanen Rahmenordnungen, in: Johannes Panhofer/Sebastian Schneider (Hrsg.), Spuren in die Kirche von morgen. Erfahrungen mit Gemeindeleitung ohne Pfarrer vor Ort – Impulse für eine menschennahe Seelsorge (= Kommunikative Theologie 12), Ostfildern 22010, S. 156 – 174; ders., Mitverantwortung von Laien und Leitung einer Pfarrgemeinde. Kirchenrechtliche Anmerkungen in Zeiten eines akuten Priestermangels, in: Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. Festschrift für Klaus Lüdicke zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Hrsg. von Dominicus M. Meier/Peter Platen/Heinrich J. F. Reinhardt/Frank Sanders (= MK CIC, Beiheft 55), Essen 2008, S. 505 – 537; ders., Können nur Priester leiten? Kirchenrechtliche Anmerkungen zum Leitungsverständnis der römisch-katholischen Kirche, in: Johannes Panhofer/ Matthias Scharer/Roman Siebenrock (Hrsg.), Erlöstes Leiten. Eine kommunikativ-theologische Intervention (= Kommunikative Theologie 8), Ostfildern 22008, S. 181 – 197. 93 Heribert Schmitz, „Gemeindeleitung“ durch „Nichtpfarrer-Priester“ oder „NichtpriesterPfarrer“. Kanonistische Skizze zu dem neuen Modell pfarrlicher Gemeindeleitung des c. 517 § 2 CIC, in: AfkKR 161 (1992), S. 329 – 361, hier S. 343. 94 Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica Post-Synodalis „Christifideles laici“ ad Episcopos, Sacerdotes et Diaconos atque Religiosos Viros ac Mulieres omnesque christifideles Laicos: de vocatione et missione Laicorum in Ecclesia et in mundo vom 30. Dezember 1988, Nr. 26 Abs. 4, in: AAS 81 (1989), S. 393 – 521, hier S. 440; dt.: VApSt 87, Bonn 41991, S. 41. 95 Breitsching, Kirchenrecht (Anm. 35), S. 256; ders., Chancen und Grenzen von Pfarrgemeinschaften und Pfarrfusionen. Kirchenrechtliche Anmerkungen, in: Anna Findl-Ludescher/ Sebastian Schneider (Hrsg.), Seelsorge(t)räume. Zwischen Notverwaltung und Zukunftsgestaltung (= Kommunikative Theologie 10), Ostfildern 2011, S. 215 – 227. 96 Breitsching, Kirchenrecht (Anm. 35), S. 257.
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zeigten Modell zu leiten.97 Allerdings wird die von c. 517 § 2 CIC/1983 den Diözesanbischöfen eröffnete Möglichkeit zunehmend kritisch beurteilt. So zeigt die Praxis, dass dieses Modell der Leitung einer Pfarrgemeinde ohne Pfarrer in den meisten Diözesen Österreichs als Auslaufmodell gilt und in den neu entstehenden Seelsorgeräumen die Position des Priesters gestärkt wird.98 Bei allen theologischen Fragen, die das Modell des c. 517 § 2 CIC/1983 aufwirft, muss bedacht werden, dass die konkrete Entwicklung nicht an der Situation der Menschen und ihren Bedürfnissen und am Auftrag der Kirche, Menschen nahe zu sein und sie auf ihrem Weg zum Heil zu begleiten, vorbeigehen darf. „Durch die flexible und gleichzeitig partikularrechtlich geordnete Anwendung des c. 517 § 2 wird eine Entwicklung hin zu einem neuen Gesicht der (Gemeinde-)Kirche möglich […] Der Kanon besitzt möglicherweise also jene ,Sprengkraft‘, die mithilft, kirchliche Strukturen auf das Morgen hin vorzubereiten und den seit Jahrzehnten geforderten ,Strukturwandel in der Kirche‘ einzuleiten.“99
Offen bleibt jedoch die Frage nach der Feier der Eucharistie, die „das erhabenste Sakrament“ und „für den gesamten Gottesdienst und das gesamte christliche Leben Gipfelpunkt und Quelle“ ist (c. 897 CIC/1983).100 3. Amt und Laien Im Unterschied zum CIC/1917 hat der kirchliche Gesetzgeber im CIC/1983 die Unterscheidung in Ämter im weiten und im engen Sinn aufgegeben und das Amtsverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. Art. 20 Abs. 2 VatII PO) übernommen. „Kirchenamt (officium ecclesiasticum) ist jedweder Dienst (munus), der 97
Zur Umsetzung in den einzelnen Diözesen vgl. statt aller: Diözese Innsbruck, Novellierung der Rahmenordnung für Pfarrmoderatoren und Pfarrkuratorinnen vom 2. Juli 2002, in: Diözesanblatt Innsbruck. Amtliche Mitteilungen der Diözese Innsbruck, 77. Jg., Nr. 4, Juli/ August 2002, Nr. 47, S. 1 – 5. 98 Dennoch gibt es in einzelnen Diözesen Überlegungen, Gemeinden am Ort zu erhalten und hier auch Laien als Verantwortliche einzusetzen. Vgl. u. a. die Überlegungen der Diözesansynode Bozen-Brixen: http://www.bz-bx.net/diozesansynode/00030028_DIOZESANSYN ODE.html [Stand: 29. 11. 2014]. Siehe auch unten VI. 99 Johannes Panhofer, Kanon 517 § 2 – der „Kirchenentwicklungsparagraph“. Das Kirchenrecht zwischen Beständigkeit und Weiterentwicklung, in: Recht – Bürge der Freiheit. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Konrad Breitsching/ Wilhelm Rees (= Kanonistische Studien und Texte 51), Berlin 2006, S. 113 – 147, hier S. 141, unter Hinweis auf Karl Rahner, Strukturwandel in der Kirche als Aufgabe und Chance, Freiburg 1972; zu durchaus positiven Erfahrungen in der Diözese Innsbruck siehe ders., Hören, was der Geist den Gemeinden sagt. Gemeindeleitung durch Nichtpriester als Anstoß zur Gemeindeentwicklung – Eine empirisch-theologische Studie zu can. 517 § 2 (= S.Th.P.S. 58), Würzburg 2003, bes. S. 131 – 265. 100 Vgl. Helmuth Pree, Pfarrei ohne Pfarrer – Leitung und Recht auf Eucharistie?, in: Anzeiger für die Seelsorge 105 (1996), S. 18 – 24; ders., Sonntagsgottesdienste ohne Priester. Was ist kirchenrechtlich möglich?, in: ThPQ 139 (1991), S. 30 – 37; ders., Priestermangel – Abhilfe durch das neue Kirchenrecht?, in: ThPQ 132 (1984), S. 107 – 112.
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durch göttliche oder kirchliche Anordnung auf Dauer eingerichtet ist und der Wahrnehmung eines geistlichen Zweckes dient“ (c. 145 § 1 CIC/1983). C. 145 § 1 CIC/ 1983 impliziert somit, dass auch Laien kirchliche Ämter innehaben können. Die neue Definition des Amtes durch den kirchlichen Gesetzgeber ist, wie Georg May betont hat, „unglücklich und praktisch unverwendbar. Denn sie ist inhaltsarm, läßt den wesentlichen Unterschied zwischen Ämtern, die eine Teilhabe an der Hirtenoder Weihegewalt vermitteln, und anderen, bei denen dies nicht der Fall ist, nicht erkennen und versagt vor der Aufgabe, zu bezeichnen, ob ein Amt mit einem Geweihten besetzt werden muß oder nicht“101. Die Kritik Georg Mays macht einerseits auf Schwierigkeiten aufmerksam, die mit dem Amtsbegriff des CIC/1983 verbunden sind, andererseits macht sie aber auch deutlich, dass ein Kirchenamt nicht an den Empfang des Weihesakraments gebunden ist. Näherhin unterfallen somit unter den Amtsbegriff des CIC/1983 „gleichermaßen das Amt des Papstes, des Diözesanbischofs, des Pfarrers, des Pfarrvikars (Kaplans), des Pastoral- und Gemeindereferenten, des Organisten, des Küsters, des Vermögensverwalters und des Ministranten (Meßdieners) u. a.“102. Laien sind somit auf Grund fehlender Weihe von der Teilhabe am Amt im dogmatischen Sinn ausgeschlossen. Sie haben jedoch Anteil am Amt im kirchenrechtlichen Sinn, da dieses nicht den Klerikern, d. h. Personen, die das Sakrament der Weihe empfangen haben, vorbehalten ist. Can. 228 § 1 CIC/1983 bestätigt diese Aussage, wenn er betont, dass „Laien, die als geeignet befunden werden, […] befähigt (sind), von den geistlichen Hirten für jene kirchlichen Ämter und Aufgaben herangezogen zu werden, die sie gemäß den Rechtsvorschriften wahrzunehmen vermögen“. Dies geht über das, wozu Laien aufgrund von Taufe und Firmung befähigt sind, hinaus. Der kirchliche Gesetzgeber lässt Raum für eine Weiterentwicklung von Ämtern, die Laien wahrnehmen können.103 4. Laien als Berater Nach c. 536 § 1 CIC/1983 ist, wenn es dem Diözesanbischof nach Anhörung des Priesterrats zweckmäßig erscheint, „in jeder Pfarrei ein Pastoralrat zu bilden, dem der Pfarrer vorsteht; in ihm sollen Gläubige zusammen mit denen, die kraft ihres 101 Georg May, Das Kirchenamt, in: HdbKathKR2, S. 175 – 187, hier S. 175 f., unter Hinweis auf Leo Scheffczyk, Die Christusrepräsentation als Wesensmoment des Priesteramtes, in: Schwerpunkte des Glaubens (= Gesammelte Schriften zur Theologie 1), Einsiedeln 1977, S. 367 – 386. Ebenso ist für Joseph Listl, Das Amt in der Kirche, in: ders., Schriften (Anm. 14), S. 593 – 599, hier S. 594, „auch wenn der CIC/1983 im Unterschied zum CIC/1917 nicht mehr zwischen Kirchenamt im weiteren und engeren Sinn unterscheidet, […] diese Differenzierung für das Verständnis des Kirchenamtes unverzichtbar“. 102 So ausdrücklich Listl, Amt (Anm. 101), S. 594. Hierunter fallen in Österreich auch die Pastoralassistent(inn)en. 103 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Helmuth Pree, Das Gewohnheitsrecht – ein Weg zur Etablierung von Laienämtern?, in: Benedikt Kranemann/Myriam Wijlens (Hrsg.), Gesendet in den Weinberg des Herrn. Laien in der Katholischen Kirche heute und morgen (= Erfurter Theologische Schriften 35), Würzburg 2010, S. 121 – 140.
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Amtes an der pfarrlichen Hirtensorge Anteil haben, zur Förderung der Seelsorgstätigkeit mithelfen“. Deutlich hat sich Papst Johannes Paul II. im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Christifideles laici“ vom 30. Dezember 1988 für eine Aufwertung der Pfarrpastoralräte ausgesprochen.104 In Deutschland gibt es den vom CIC/ 1983 vorgesehenen Pfarrpastoralrat nicht. Vielmehr haben die deutschen Pfarrgemeinderäte „einen Doppelcharakter als Beratungsorgan des Pfarrers und als Organ des Laienapostolats zur Anregung und Koordinierung verschiedener Initiativen in der Pfarrei“105. Ihnen kommt beratendes und beschließendes Stimmrecht zu. Hier war im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil und der damit verbundenen Aufwertung der Laien, die aufgrund von Taufe und Firmung Anteil an den drei Munera Jesu Christi haben, bereits vor Inkrafttreten des CIC/1983 etwas anderes entstanden, das heute noch in Kraft ist. Die Mitverantwortung von Laien unter dem Aspekt der Beratung zeigt sich auch in einer Diözesansynode, wie sie in neuerer Zeit vom Militärordinariat der Republik Österreich abgehalten wurde oder im Bistum Trier und der Diözese Bozen-Brixen derzeit abgehalten wird.
5. Ökumene Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßene Entwicklung des Rechts der konfessionsverschiedenen Ehe hat im kirchlichen Gesetzbuch von 1983 ihren Niederschlag gefunden, wenngleich diese Form der Ehe ohne Erlaubnis der zuständigen kirchlichen Autorität nach wie vor „verboten“ ist (vgl. c. 1124 CIC/1983). Bereits Papst Johannes Paul II. hatte im Apostolischen Schreiben „Familiaris Consortio“ vom 22. November 1981 eine positive Sicht der konfessionsverschiedenen Ehe vertreten106, die vom Ökumenischen Direktorium von 1993 (Nr. 143 – 160) fortgesetzt
104 Vgl. Johannes Paul II., Christifideles laici (Anm. 94), Nr. 27, S. 441 = S. 42; siehe andererseits Kongregation für den Klerus, Päpstlicher Rat für die Laien, Kongregation für die Glaubenslehre, Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Kongregation für die Bischöfe, Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und Rat für die Interpretation von Gesetzestexten, Instructio „Ecclesiae de mysterio“ de quibusdam quaestionibus circa fidelium laicorum cooperationem sacerdotum ministerium spectantem vom 15. August 1997, Art. 5 § 2, in: AAS 89 (1997), S. 852 – 877, hier S. 868; dt.: VApSt 129, Bonn 1997, S. 24. 105 Franz Kalde, Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat, in: HdbKathKR2, S. 529 – 535, hier S. 531; siehe auch Helmuth Pree, Art. Pfarrgemeinderat, in: RGG4, Bd. 6 (2003), Sp. 1227 f.; ders., Consilium pastorale paroeciale. Anmerkungen zur Struktur pfarrlicher Mitverantwortung, in: Boekolt/Riedel-Spangenberger, Festschrift Socha (Anm. 59), S. 75 – 101; siehe auch ders., Demokratie in der Kirche – Methodische Überlegungen, in: Die Kirche von Morgen. Kirchlicher Strukturwandel aus kanonistischer Perspektive. Festschrift für Klaus Lüdicke. Hrsg. von Reinhild Ahlers/Beatrix Laukemper-Isermann/Rosel OehmenVieregge, Essen 2003, S. 371 – 385. 106 Vgl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio (Anm. 72), Nr. 78, S. 178 – 180 = S. 82 f.
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wird.107 Klärungen haben sich vor allem in Bezug auf die Taufe und die Erziehung der Kinder, die aus einer solchen Ehe hervorgehen, ergeben (vgl. c. 1125, 18 – 38 CIC/ 1983), nicht zuletzt aufgrund der Anerkennung des Rechts auf Religionsfreiheit (vgl. VatII DH).108 Zwar sollen gemäß c. 1366 CIC/1983 Eltern, die „die nichtkatholische Taufe und Erziehung ihrer Kinder veranlassen“, mit einer gerechten Strafe belegt werden. Jedoch hat das Ökumenische Direktorium deutlich gemacht, dass diese Strafandrohung für konfessionsverschiedene Ehen keine Anwendung findet.109 Auch wurde das bisher bestehende Verbot der Sakramentengemeinschaft (communicatio in sacris) durch das Zweite Vatikanische Konzil (vgl. Art. 8 VatII UR) und verschiedene Verlautbarungen des Sekretariats für die Einheit der Christen erheblich modifiziert.110 Zwar hält der kirchliche Gesetzgeber von 1983 grundsätzlich an diesem Verbot fest (c. 844 § 1 CIC/1983), da die Gemeinschaft im Sakrament auch eine volle Kirchengemeinschaft voraussetzt.111 Er gestattet jedoch eine begrenzte Sakramentengemeinschaft hinsichtlich der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung (c. 844 §§ 2 – 5 CIC/1983)112, die vom Ökumenischen Direktorium von 1993 weiter ausgefaltet wird.113 So findet sich hierin u. a. der Hinweis, „daß unter gewissen Umständen, in Ausnahmefällen und unter gewissen Bedingungen der Zutritt zu diesen Sakramenten (Eucharistie, Buße, Krankensalbung) Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften gewährt oder sogar empfohlen werden
107 Vgl. Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Directoire pour l’application des principes et des normes sur l’oecuménisme vom 25. März 1993, Nr. 145, in: AAS 85 (1993), S. 1039 – 1119, hier S. 1092; dt.: VApSt 110, Bonn 1993, S. 74. 108 Vgl. Wilhelm Rees, Interview „Konfessionsverschiedene Ehen“. Radio Grüne Welle. Kirchensender der Diözese Bozen-Brixen, 2. August 2008: http://www.uibk.ac.at/theol/lese raum/texte/767.html [Stand: 12. 12. 2012]. 109 Vgl. Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Directoire (Anm. 107), Nr. 151, S. 1094 = S. 76; ferner auch Wilhelm Rees, Strafrecht in der Kirche. Kritische Anfragen und Sonderheiten gegenüber dem weltlichen Recht, in: Johann Hirnsperger/Herbert Kalb/Richard Potz (Hrsg.), Hugo Schwendenwein zum 70. Geburtstag = ÖAKR 44 (1995 – 97), S. 243 – 264, hier S. 259. 110 Vgl. im Einzelnen Wilhelm Rees, Communicatio in sacris und consortium totius vitae. Kirchenrechtliche Überlegungen im Blick auf die konfessionsverschiedene Ehe, in: DPM 7 (2000), S. 69 – 95, hier S. 71 – 73; ferner ders., Kirchenrechtliche Anmerkungen zur ökumenischen Gemeinschaft in der Feier der Sakramente und in anderen liturgischen Feiern, in: ders. (Hrsg.), Ökumene, Kirchenrechtliche Aspekte (= Kirchenrechtliche Bibliothek 13), Wien/ Berlin 2014, S. 161 – 174; Ilona Riedel-Spangenberger, Art. Communicatio in sacris, in: LKStKR, Bd. 1 (2000), S. 353 – 355. 111 Vgl. Art. 8 Abs. 4 VatII UR: „Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen.“ Eine volle Sakramentengemeinschaft ist nur mit den katholischen Ostkirchen gegeben. 112 Zu c. 844 siehe Rüdiger Althaus, c. 844, in: MK CIC (Stand April 2007); Rees, Strafgewalt (Anm. 25), S. 430 – 432. 113 Vgl. Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Directoire (Anm. 107), Nr. 122 – 136, S. 1086 – 1090 = S. 67 – 71.
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kann“114. Als „ein heikler Punkt“ erscheint jedoch die „nähere Umschreibung der Notlagensituation“, für die weder der CIC/1983 noch das Ökumenische Direktorium von 1993 Beispiele nennen.115 Um die Klärung der „Notsituation“ hat sich die ökumenische Forschungsgruppe an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, aus der der heutige Forschungsschwerpunkt „Synagoge und Kirchen“ hervorgegangen ist116, bemüht. Da der Begriff schwere Not nicht festgelegt ist, rechnete sie hierzu auch die „geistige Not spiritueller Art“ („necessitas spiritualis“), die u. a. durch das Leben in einer konfessionsverschiedenen Ehe gegeben sein kann.117 So spricht auch das Ökumenische Direktorium von 1993 davon, dass angesichts der Eheschließung mit Blick auf die Entscheidung über die Zulassung oder die Nichtzulassung des nichtkatholischen Teils zur eucharistischen Kommunion „der besonderen Situation Rechnung zu tragen ist, die dadurch gegeben ist, daß zwei getaufte Christen das christliche Ehesakrament empfangen“118. Zu Recht hat Helmuth Pree darauf aufmerksam gemacht, dass heute „zwischenkirchliche Abkommen […] eine neue Herausforderung für die Kanonistik“ darstellen, „zumal ökumenische Beziehungen, näher betrachtet, außer der spirituellen, der doktrinellen und der pastoralen Dimension wesentlich auch eine rechtliche Dimension enthalten“, der es „um den richtigen Umgang der Konfessionen miteinander“ geht.119
VI. Wie geht es weiter? Zunächst sind die derzeit geltenden kirchenrechtlichen Normen anzuwenden und gegebene Möglichkeiten auszunutzen. Sodann sind Änderungen notwendig. In Richtung Veränderungen zielte, wie bereits oben angesprochen120, die Außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zum Thema „Die pastoralen Herausforde114 Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Directoire (Anm. 107), Nr. 129, S. 1089 = S. 70. 115 Aymans/Mörsdorf, KanR II, S. 43 – 45, hier S. 44 f., verweisen darauf, dass die Deutsche Bischofskonferenz keine Veranlassung gesehen habe, eine neue Partikularnorm zu erlassen. Da die Unerreichbarkeit des Geistlichen der eigenen Konfession allgemeine Vorbedingung sei, könnten normativ zurzeit nur Verfolgung und Gefängnis als anerkannte Notlage gelten. 116 Siehe http://www.uibk.ac.at/bibhist/forschung/index.html.de [Stand: 12. 12. 2012]. 117 Vgl. Silvia Hell, Die Frage der Zulassung nichtkatholischer Christen zur Kommunion in der römisch-katholischen Kirche. Antrag an die Österreichische Bischofskonferenz, in: Ökumenische Rundschau 47 (1998), S. 534 – 542. 118 Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Directoire (Anm. 107), Nr. 159, S. 1095 f. = S. 78. 119 Helmuth Pree, Kirchenrecht in der Ökumene, in: Dienst an Glaube und Recht. Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Anna Egler/Wilhelm Rees (= Kanonistische Studien und Texte 52), Berlin 2006, S. 527 – 539, hier S. 539; siehe auch ders., Par cum pari. Rechtliche Implikationen des ökumenischen Dialogs, in: AfkKR 174 (2005), S. 353 – 379. 120 Siehe oben V. 1.
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rungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“, die in Rom vom 5. bis 19. Oktober 2014 stattgefunden hat.121 Der in Vorbereitung der Synode ausgesandte Fragebogen, mit dem weltweit Fakten und Einstellungen zum Thema Familie erhoben wurden, bietet ein gutes Beispiel für die Offenheit zur Weiterentwicklung.122 Ausdrücklich angesprochen wurden die Fragen von Scheidung und Wiederheirat sowie der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.123 Wenngleich Veränderungen, die von vielen erwartet worden sind, noch nicht zustande gekommen sind, lässt die für 2015 angekündigte Fortführung der Bischofssynode hoffen. Das Bistum Freiburg ist wohl einen entscheidenden Schritt mit Blick auf geschiedene und wiederverheiratete Gläubige gegangen, wenn ein Schreiben, das Anfang Oktober 2013 an die Seelsorger des Erzbistums weitergereicht wurde, Katholikinnen und Katholiken, die in einer zweiten standesamtlichen Ehe leben, erlaubt, an der Kommunion teilzunehmen, und auch die Mitgliedschaft im Pfarrgemeinderat ermöglicht. Zudem werden Gebets- bzw. Segnungsfeiern für eine zweite Ehe nicht ausgeschlossen.124 Die Hand121
Vgl. in diesem Zusammenhang auch Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Eine Orientierungshilfe, Gütersloh 2013. Diese Orientierungshilfe ist äußert umstritten, da sie „von der traditionellen Ehe als alleiniger Norm abrückt und ein Familienbild vertritt, das auch andere dauerhafte Lebensgemeinschaften, etwa gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Patchwork-Familien, einschließt“. Vgl. Evangelisches Ehepapier für EKD-Vorsitzenden kein Ökumene-Risiko. Schneider: Ökumene „stark genug, das Papier und manch andere Differenz in Fragen der Sozialethik auszuhalten“ – Im September erfolgt innerevangelische Manöverkritik, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 197, 23. August 2013, S. 12 f. 122 Vgl. Schönborn, Umgang mit Vatikan-Fragebogen „so offen wie möglich“. Vorsitzender der Bischofskonferenz bei Pressegespräch in Wien: „Nicht vorgefasste Lehrfragen, sondern offene Lebensfragen“ rund um das Thema Familie werden bis Ende des Jahres abgefragt – Antworten bei Adlimina-Besuch in Rom Ende Jänner 2014 an den Papst überreicht, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 262, 8. November 2013, S. 2 f., hier S. 2; vgl. auch Österreichische Bischofskonferenz, Presseerklärungen zur Herbstvollversammlung. Wortlaut der Presseerklärungen der Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz, 4. bis 7. November 2013 in Stift Michaelbeuern, Salzburg, Nr. 1: http://www.bischofskonferenz.at/ content/site/dokumente/presseerklaerungen/2013/article/597.html [Stand: 28. 12. 2013]; Fragenkatalog unter: http://www.bischofskonferenz.at/content/site/home/article/596.html [Stand: 28. 12. 2013]. 123 Vgl. Bischofssynode. III. Außerordentliche Versammlung, Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung. Vorbereitungsdokument, Vatikanstadt 2013: http://www.vatican.va/roman_curia/synod/documents/rc_synod_doc_20131105_iii-assembleasinodo-vescovi_ge.html [Stand: 28. 12. 2013]; siehe auch Familienreferat der Diözese Innsbruck, Beratung, Gespräch, Unterstützung für Menschen in Ehekrisen, nach einer Scheidung, in einer neuen Partnerschaft: http://dioezesefiles.x4content.com/page-downloads/folder_beratung_2.pdf [Stand: 28. 12. 2013]. Ein neuer Fragenkatalog, der auf Wunsch des Papstes bis an die Basis verbreitet werden soll, wurde für die Synode im Oktober 2015 bereits veröffentlicht. 124 Siehe unter: http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/geschieden-wiederverheiratet-kir che/-/id=1622/nid=1622/did=12181886/1qn7adq/ [Stand: 10. 10. 2013]; http://katholisches.in fo/2013/10/08/zollitschs-letzter-streich-kommunionempfang-fuer-wiederverheiratet-geschiede ne-freiburg-als-avantgarde-des-ungehorsams/ [Stand: 10. 10. 2013]; http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/freiburg-katholische-kirche-geht-auf-geschiedene-zu-12608180.html [Stand: 10. 10. 2013]; ferner auch Katholisch-Theologischer Fakultätentag, Hinweise zu Dankgebet und
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reichung hat Zustimmung und Widerspruch erfahren.125 Zudem hat die Auseinandersetzung mit dem Thema Scheidung und Wiederheirat dazu geführt, dass sich die Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz dafür ausgesprochen hat, „in begründeten Einzelfällen Katholiken, die in zweiter Ehe leben, wieder zu Eucharistie und Beichte zuzulassen“126. Die deutschen Bischöfe blickten auch auf das Arbeitsrecht. Sie sahen einen gewissen Handlungsspielraum dafür, dass nicht in jedem Fall von Scheidung und Wiederheirat, wie dies bisher überwiegend der Fall war, gekündigt werden muss.127 Dieser Neuansatz führt zur Änderung der Grundordnung für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse. So wollen die deutschen Bischöfe bei MitarbeiterInnen in der Seelsorge und in der GlaubensverkündiSegensfeier anläßlich einer erneuten Eheschließung. Sexualmoral und neue Beziehungsformen. Eine Stellungnahme: http://www.fakultaetentag.de/kthf/download/Voten/Stelllungnahme_Sexu almoral_Wiederverheiratung.pdf [Stand: 28. 12. 2013]; Seelsorgeamt der Diözese Innsbruck (Hrsg.), Wenn geschiedene Menschen anlässlich ihrer standesamtlichen Trauung um ein Gebet bitten, Innsbruck 2008. 125 Vgl. Wilhelm Rees, Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums deuten. Kritische Anfragen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: ZKTh 136 (2014), S. 135 – 145; ders., „Geh zu Jesus, er vergibt Dir.“ Zur Frage theologischer und kirchenrechtlicher Neuansätze im Fall von „Scheitern“ in der römisch-katholischen Kirche, in: Geist – Kirche – Recht. Festschrift für Libero Gerosa zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Hrsg. von Ludger Müller/Wilhelm Rees (= Kanonistische Studien und Texte 62), Berlin 2014, S. 295 – 326. 126 Bischöfe: „Unter Bedingungen“ Kommunion für Wiederverheiratete. Eine Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz hat sich dafür ausgesprochen, Gläubige, die nach einer Scheidung wieder heiraten, in „Einzelfällen“ im Gottesdienst wieder zu den Sakramenten zuzulassen (22. 12. 2014): http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/katholische-kirche-kommunionfuer-wiederverheiratete-13337135.html [Stand: 17. 01. 2015]; Deutsche Bischofskonferenz, Pressemeldung 22. 12. 2014 – Nr. 218: Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht Textsammlung zur Bischofssynode. Kardinal Marx: „Den drängenden Herausforderungen der Ehe- und Familienpastoral begegnen“: http://www.dbk.de/presse/details/?presseid=2705& cHash=2c91fd111e98b76c9a1316e369dbd3d2 [Stand: 17. 01. 2015]; siehe im Einzelnen: Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung. Texte zur Bischofssynode 2014 und Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. November 2014 (= Arbeitshilfen 273), Bonn 2014; Deutsche Bischofskonferenz, Theologisch verantwortbare und pastoral angemessene Wege zur Begleitung wiederverheirateter Geschiedener – Überlegungen der deutschen Bischofskonferenz zur Vorbereitung der Bischofssynode (24. Juni 2014), ebd., S. 42 – 76; siehe ferner auch unter: http://www.dbk.de/themen/bischofs synode/ [Stand: 17. 01. 2015]. 127 Vgl. Geschiedene Wiederverheiratete: Deutsche Bischöfe reden mit Rom. Bischofskonferenz setzt Arbeitsgruppe ein, fasst aber vorerst keine konkreten Beschlüsse – Magdeburger Diözesanbischof Feige neuer deutscher „Ökumene-Bischof“, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 232, 28. September 2012, S. 15 f.; Deutscher Bischof: Wiederverheiratete im Kirchendienst möglich. Münsteraner Bischof Genn: Aber nicht im Bereich der Verkündigung, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 260, 31. Oktober 2012, S. 8 f.; siehe auch unter http://www. dbk.de/themen/gespraechsprozess [Stand: 17. 04. 2013]; zum Kündigungsrecht siehe Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. November 2014; dazu unter: https://www.bundesverfas sungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg14 – 103.html [Stand: 06. 12. 2014]; ferner Deutsche Kirche darf wiederverheiratetem Mitarbeiter kündigen. Kardinal Marx zu Karlsruhe-Urteil: Bischofskonferenz „fühlt sich durch den Verweis auf Selbstbestimmungsrecht der Kirche bestärkt“, in: KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 278, 21. November 2014, S. 14 f.
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gung von einer Kündigung absehen, für den Fall, dass schwerwiegende Gründe des Einzelfalls diese als unangemessen erscheinen lassen, und bei allen anderen Dienstverhältnissen „ausdrücklich Raum lassen für die Weiterbeschäftigung von Personen, die eine zivile zweite Ehe geschlossen haben oder als Homosexuelle eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind“128. Papst Franziskus hat nicht nur mit der Einberufung der Römischen Bischofssynode zum Thema Familie, sondern bereits mit dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ vom 24. November 2013129 Hoffnungen geweckt, wenn er mit Blick auf die Neuausrichtung der Seelsorge betont: „Ich hoffe, dass alle Gemeinschaften dafür sorgen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen um auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind […] Das Zweite Vatikanische Konzil hat die kirchliche Neuausrichtung dargestellt als die Öffnung für eine ständige Reform ihrer selbst aus Treue zu Jesus Christus.“ (Nr. 25 und 26 EvG)
Zwar bezeichnet der Papst die Pfarrei als „keine hinfällige Struktur“. Sie kann jedoch, „weil sie eine große Formbarkeit besitzt, […] ganz verschiedene Formen annehmen“ (Nr. 28 EvG). Allerdings muss der Papst zugeben, „dass der Aufruf zur Überprüfung und zur Erneuerung der Pfarreien noch nicht genügend gefruchtet hat, damit sie noch näher bei den Menschen sind, Bereiche lebendiger Gemeinschaft und Teilnahme bilden und sich völlig auf die Mission ausrichten“ (Nr. 28 EvG). Auch hier zeichnen sich Entwicklungen ab. Derzeit geht die Erzdiözese Wien mit Blick auf ihre Pfarrorganisation ganz neue Wege, die bis zum Jahr 2022 abgeschlossen sein sollen, wie aus den Leitlinien für die Neugestaltung der Pfarrorganisation hervorgeht. Sie sprechen von einem echten Neubeginn, nicht nur einen Nachjustieren. So soll sich die „Pfarre Neu“ immer mehr zu einem Netzwerk von kleineren und größeren Gemeinden entwickeln. „Viele örtliche von Laien geleitete Filialgemeinden bilden gemeinsam eine neue Pfarre, die von Priestern und Laien gemeinschaftlich unter der Letztverantwortung eines Pfarrers geleitet wird.“130
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Daniel Deckers, Auf der Suche nach einer neuen Grundordnung. Die katholische Kirche in Deutschland steht vor einer entscheidenden Änderung ihrer Grundordnung. Sie will „Verfehlungen“ ihrer Mitarbeiter wie Wiederheirat nach Scheidung oder Homosexualität künftig mit mehr Augenmaß begegnen (23. 11.2014): http://www.faz.net/aktuell/politik/kommentar-auf-dersuche-nach-dem-weg-1157436.html [Stand: 17. 01. 2015]. 129 Vgl. Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“ an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen geweihten Lebens und an die christgläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute vom 24. November 2013; dt.: VApSt 194, Bonn 2013. 130 Vgl. Erzdiözese Wien, Leitlinien für den Diözesanen Entwicklungsprozess Apg 2.1, beschlossen von der Steuerungsgruppe am 5. September 2012: http://www.apg2010.at/down loads/Leitlinien%20 f%C3 %BCr%20den%20di%C3 %B6zesanen%20Entwicklungsprozess% 20Apg%202.1 %20der%20Erzdi%C3 %B6zese%20Wien.pdf [Stand: 17. 01. 2015]; siehe auch Erzdiözese Wien (Hrsg.), „… damit sie meine Freude in Fülle in sich haben.“ (Joh 17,13c). Hirtenbrief von Christoph Kardinal Schönborn vom 4. Sonntag der Osterzeit 2011: http://
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Mit Blick auf die Eucharistie stellt der Papst fest, dass sie, „obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“ ist (Nr. 46 EvG). Schließlich sieht der Papst die Gefahr, dass „das den Männern vorbehaltene Priestertum“, das er nicht in Abrede stellt, „Anlass zu besonderen Konflikten geben (kann), wenn die sakramentale Vollmacht zu sehr mit der Macht verwechselt wird“ (Nr. 104 EvG). Generell stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Universal- und Partikularkirche und damit jene von universalem und partikularem Recht. Wie Helmuth Pree bemerkt, werden „mit der Frage nach dem rechten Verhältnis von universalem und partikularem Recht […] neuralgische Punkte der kirchlichen Verfassungsstruktur berührt und eine Reihe ungelöster Fragen aufgeworfen“131. Näherhin geht es um die Überwindung des Gegensatzes zwischen Zentralismus und Partikularismus. Severin Lederhilger macht darauf aufmerksam, dass die Kirche, ähnlich wie der Staat, „mit wachsender Konfliktualität […] dem Normierungsdilemma einer immer diffizileren Regelungsflut zu erliegen [droht], indem sowohl Römische Dikasterien als auch teilkirchliche Gesetzgeber beständig neue Instruktionen, Erklärungen, Notifikationen, Richtlinien, Satzungen und Ordnungen erlassen“132. Dabei zeichne sich bei den für die Universalkirche veröffentlichten Dokumenten auch die Tendenz ab, „mit einheitlichen Vorschriften zugleich auf sehr unterschiedliche Problemstellungen oder gar nur einzelne partikularkirchliche Anfragen oder Missstände in einer universalkirchlichen Sammelbeantwortung zu reagieren“, was zu Missverständnissen oder zumindest Irritationen führt.133 Zwar muss universales Recht Einheit verbürgen. Der kirchliche Gesetzgeber baut in diese Richtung auch vor, wenn er festlegt, dass „von einem untergeordneten Gesetzgeber […] ein höherem Recht widersprechendes Gesetz nicht gültig erlassen werden“ kann (vgl. c. 135 § 2 CIC/1983). Dennoch gilt es, der Vielfalt in den Ortskirchen Rechnung zu tragen. Subsidiarität wurde bereits als Leitlinie zur Codex-Reform gesehen.134 Da „einseitige, bloß autoritative Festlegungen […] immer weniger im Gehorsam akzeptiert“ werden, bedarf es, wie Severin www.apg2010.at/downloads/APG%202010 %20Hirtenbrief%20Kardinal%20Sch%C3 % B6nborn%2015.%20Mai%202011.pdf [Stand: 17. 01. 2015]. 131 Pree, Universales und partikulares Recht (Anm. 46), S. 88; siehe auch Michael Wernecke, Ius universale – Ius particulare. Zum Verhältnis von Universal- und Partikularrecht in der Rechtsordnung der lateinischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung des Vermögensrechts, Paderborn 1998; Hubert Müller, Verwirklichung der Katholizität in der Ortskirche, in: Weigand, Freiheitsordnung (Anm. 53), S. 14 – 38. 132 Severin Lederhilger, Universale Einheit und partikulare Vielfalt. Zur Bedeutsamkeit eines kontextuellen Kirchenrechts, in: ThPQ 149 (2001), S. 375 – 387, hier S. 379. 133 Ebd. 134 Vgl. Pontificia Commissio Codici Iuri Canonici Recognoscendo, Principia (Anm. 15), Nr. 5, S. 80 f.; Paul-Stefan Freiling, Das Subsidiaritätsprinzip im kirchlichen Recht (= MK CIC, Beiheft 13), Essen 1995; Walter Kasper, Zum Subsidiaritätsprinzip in der Kirche, in: IKZ Communio 18 (1989), S. 155 – 162; Joseph A. Komonchak, Subsidiarity in the church. The state of the question, in: Jurist 48 (1988), S. 298 – 349.
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Lederhilger betont, „vermehrt eines partizipativen Rechtsbildungsvorgangs, der dem Volk Gottes in allen Gliedern Rechnung trägt“135. In diesem Sinn hatte bereits Helmuth Pree gefordert, dass die Rechtserzeugung „dem Wesen der communio entsprechend […] nicht ausschließlich vom hierarchischen Prinzip bzw. vom Schema Befehl-Gehorsam gekennzeichnet sein, sondern auch dialogischen Charakter aufweisen [soll]. […] In materialer Hinsicht folgt daraus, daß sich die Rationabilität kirchlicher Rechtsnormen nicht einzig und allein auf den Willen des Gesetzgebers, sondern auch auf die Einsichten aller Glieder der Kirche, die ja zur aktiven Teilhabe an ihrem Lebensvollzug berufen sind, stützen muß“136. Gewisse Anzeichen hierfür gibt es, wenn z. B. die Entwürfe des CIC vor Inkraftsetzung an Bischofskonferenzen, katholische Universitäten u. a. zur Stellungnahme und zur Einbringung von Veränderungswünschen ausgesandt worden sind und dies auch mit Blick auf den neuen Strafrechtsentwurf erfolgt ist, wenngleich einzelne Gläubige in diesen Prozess nicht integriert waren. Auch wird die Tätigkeit der Römischen Kurie vornehmlich als Dienst gesehen. Gemäß Art. 26 § 1 PastBon sollen die „häufigen Beziehungen zu den Teilkirchen und zu den verschiedenen Zusammenschlüssen der Bischöfe (d. h. Bischofskonferenzen und Bischofssynoden) […] gefördert werden, indem ihr Rat eingeholt wird, wenn es sich um die Vorbereitung von Dokumenten mit größerer Bedeutung handelt, die allgemeinen Charakter haben“. Ja es sollen „Dokumente mit allgemeinem Charakter oder solche, die in besonderer Weise die Teilkirchen betreffen, den betreffenden Diözesanbischöfen zur Kenntnis gebracht werden, bevor sie veröffentlicht werden“ (Art. 26 § 2 PastBon). Auch dürfen die römischen Dikasterien es „nicht versäumen, die päpstlichen Gesandten zu Rate zu ziehen in solchen Angelegenheiten, welche die Teilkirchen betreffen“ (Art. 27 PastBon). Insgesamt wird die Tätigkeit der Römischen Kurie und der übrigen Einrichtungen des Heiligen Stuhls als „ein wirklicher Dienst (gesehen), der mit pastoralem Charakter ausgezeichnet ist“ (Art. 33 PastBon).137 Allerdings gilt im Blick auf Kontextualität auch: „So wichtig […] der Bezug auf die Ortsgebundenheit gelebter Katholizität bei der Rechtsapplikation bleibt, so darf dies nicht zu einer lokalen Zersplitterung oder Vereinzelung der Gemeinden führen, denn eine örtlich divergierende Rechtsgestaltung führt bei den Gläubigen (in ihren flexiblen pluralen kirchlichen Anbindungen) zu Unverständnis, Irritierung und Verunsicherung bis hin zum Eindruck der Beliebigkeit und Willkür“138. Dennoch bedeutet Katholizität auch, mit Differenz und Dissens zu leben, oder, positiv gesagt, eine gewisse Pluralität und Vielfalt zuzulassen. Ein Beispiel hierfür sind die katholischen Ostkirchen, die mit der römisch-katholischen Kirche zusammen die katholische Kirche bilden, jedoch ihre Eigenheiten u. a. im Bereich 135
Lederhilger, Einheit (Anm. 132), S. 379. Pree, Normenbegriff (Anm. 14), S. 30. 137 Vgl. Johannes Paul II., Pastor Bonus (Anm. 55), S. 866 f. und S. 868 = S. 145 und S. 146 = S. 797 f. und S. 799. 138 Lederhilger, Einheit (Anm. 132), S. 385. Dies gilt auch, wie Lederhilger, ebd., bemerkt, „für den Fall, dass seelsorgliche Verantwortungsträger allzu eigenmächtig gegenüber der Rechtsordnung der Kirche auftreten zugunsten sogenannter ,pastoraler Wege‘“. 136
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der Liturgie, in Form des verheirateten Priesters, in der ökumenischen Ausrichtung, der Bischofsbestellung durch die jeweilige Synode sowie im Ehe- und Strafrecht bewahrt haben.139 Was Mitverantwortung, aber auch die Kollegialität der Bischöfe anbelangt, müssten synodale Prozesse, die Tätigkeit von Bischofssynoden, Diözesansynoden und Bischofskonferenzen aufgewertet und verstärkt werden. Zwar hat die Diözesansynode im CIC/1983 eine grundlegend neue Struktur und Funktion erhalten, nachdem sie im CIC/1917 eine reine Versammlung von Klerikern zur Beratung des Diözesanbischofs war (vgl. c. 356 § 1 CIC/1917).140 Wie der Bischofssynode als Beratungsorgan des Papstes141 kommt auch der Diözesansynode nur eine beratende Funktion zu (vgl. c. 466 CIC/1983). Wäre es nicht angemessen bzw. erforderlich, dass sowohl die Bischofs- als auch die Diözesansynode beschließende Gremien werden, wobei dem Papst bzw. dem Diözesanbischof sicher ein Vetorecht oder dergleichen zukommen müsste? Auch kann eine Bischofskonferenz „nur in den Angelegenheiten allgemeine Dekrete erlassen, in denen das allgemeine Recht es vorschreibt oder eine besondere Anordnung dies bestimmt, die der Apostolische Stuhl aus eigenem Antrieb oder auf Bitten der Konferenz selbst erlassen hat“ (c. 455 § 1 CIC/1983).142 So wird auch in neueren Dokumenten die Stellung der Bischofskonferenz gegenüber den einzelnen Diözesanbischöfen eher als „unterstützend“ gesehen.143 Papst Franziskus will hier in eine andere Richtung gehen, wenn er von Dezentralisierung und Aufwertung der synodalen Tätigkeit und jener der Bischofskonferenzen spricht.144 Auch wird es in Zu139
Siehe dazu Rees, Unterschiedliche Strafen (Anm. 28). Siehe Wilhelm Rees, Geistlicher Aufbruch – gestern und heute. Die Diözesansynode Innsbruck 1971/72 im Rahmen synodaler Prozesse. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: Diözese Innsbruck (Hrsg.), Notae. Historische Notizen zur Diözese Innsbruck, Innsbruck 2014, S. 112 – 146; ders., Synoden und Konzile. Geschichtliche Entwicklung und Rechtsbestimmungen in den kirchlichen Gesetzbüchern von 1917 und von 1983, in: ders./ Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg/Basel/Wien 2014, S. 10 – 67; ders., Die Statuten des Österreichischen Synodalen Vorgangs (1973/74), ebd., S. 144 – 189; ders., Der Österreichische Synodale Vorgang (1973/74). Vorgeschichte und kirchenrechtlicher Status, in: Joachim Schmiedel (Hrsg.), Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Rechtliche Grundlagen und öffentliche Meinung (= Theologische Berichte XXXV), Freiburg/Schweiz 2013, S. 116 – 198; siehe auch Helmuth Pree, Die Synoden im Recht der katholischen orientalischen Kirchen, in: Rees/Schmiedl, Beratung (Anm. 140), S. 246 – 263. 141 Vgl. Rees, Papst und Konzil, in: Philipp Thull, Papstamt (im Erscheinen); Pree, Universales und partikulares Recht (Anm. 46), S. 76 – 82. 142 Vgl. Rees, Plenarkonzil und Bischofskonferenz (Anm. 44); siehe auch Kongregation für die Bischöfe, Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe vom 22. Februar 2004, bes. Nr. 22 – 32; dt.: VApSt 173, Bonn 2004, S. 48 – 64. 143 Vgl. Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica Post-Synodalis „Pastores Gregis“ de Episcopo ministro Evangelii Iesu Christi pro mundi spe vom 16. Oktober 2003, Nr. 63, in: AAS 96 (2004), S. 825 – 924, hier S. 909 – 911; dt.: VApSt 163, Bonn 2003, S. 121 – 124. 144 Vgl. Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 129), Nr. 32, S. 30; siehe auch bes. Nr. 16; 31; 33; 51 und 246, ebd., S. 19, 29 – 31, 43 f. und 166 f. 140
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kunft um die Aufwertung der Laien und ihre Einbindung in Entscheidungsprozesse und in Leitungsaufgaben gehen müssen. So bleibt abzuwarten, ob bzw. welche Veränderungen eine Überarbeitung des kirchlichen Gesetzbuchs145, das nun seit über 30 Jahren in Kraft ist, oder auch die Neuansätze von Papst Franziskus bringen werden. Jedoch ist die Befolgung und Einhaltung des Rechts „nicht Legalismus, sondern ein Akt der Solidarität gegenüber der communio der Kirche; nicht Formalismus, sondern Respekt vor den Rechten der anderen, insgesamt: Ausdruck der Verantwortlichkeit vor der Gerechtigkeit“ und damit „Verantwortung für die Richtigkeit des Handelns“146. Kirchliches Recht „soll dem pastoralen Handeln Rahmen und Halt geben ohne es einzuengen“147. So haben Hans Heimerl und Helmuth Pree mit Blick auf das Verhältnis von Pastoraltheologie und Kirchenrecht betont: Die Pastoraltheologie „hat den Selbstvollzug der Kirche unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Situation bzw. der Zukunft zu planen. Dabei ist das Verhältnis zur Kanonistik von zwei gegenläufigen Tendenzen gekennzeichnet: Einerseits muß die Pastoraltheologie das Kirchenrecht voraussetzen – als Teil des verbindlichen Handelns der Kirche und ihrer geltenden Struktur; das geltende Recht bestimmt ja den gegenwärtigen Vollzug der Kirche. Andererseits muß das Kirchenrecht die Pastoraltheologie unter dem Aspekt der Kirchenrechtspolitik voraussetzen; die Pastoraltheologie stellt das wichtigste Sensorium für die Gestaltung des künftigen Kirchenrechts dar“148. Dieses muss „unter dem pastoralen, d. h. auf das Seelenheil des einzelnen gerichteten Anspruch“ stehen.149
145 Vgl. Vatikan will Kirchenrecht überarbeiten: Das Kirchengesetzbuch „Codex Iuris Canonici“ ist seit genau 30 Jahren in Kraft. Nun wird etwa bei den Themen Eherecht und Migration nachgebessert (22. 01. 2013): http://diepresse.com/home/panorama/religion/ 1335766/Vatikan-will-Kirchenrecht-ueberarbeiten [Stand: 06. 09. 2013]. 146 Pree, Rechtscharakter (Anm. 9), S. 66. 147 Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 11), S. 268. 148 Ebd., S. 21; siehe auch Rees, Kirchenrecht (Anm. 20), S. 337 – 339. 149 Pree, Normenbegriff (Anm. 14), S. 32.
Actitudes del intérprete de la ley canónica Javier Otaduy La apreciación que ocupa el centro de este trabajo podría parecer trivial. La interpretación no es labor exclusiva del entendimiento. O mejor dicho, es una labor prudencial, propia del entendimiento práctico, que está inserta por naturaleza en el organismo de las virtudes morales. Dicho de otra manera, para interpretar bien las leyes (las normas jurídicas) no basta con ser inteligente e ilustrado, hay que ser también bueno. La prudencia, a la que hay que atribuir en primer lugar la responsabilidad de la toma de decisiones del intérprete, es una virtud especialmente participativa. Sus apreciaciones necesitan de un buen caudal de conocimiento, pero esos conocimientos son siempre medios que están al servicio de la decisión prudente. Y para tomar bien esa decisión hay que ser justo, hay que ser virtuoso.
I. La interpretación como un acto de la razón práctica El estímulo para estudiar la prudencia en la interpretación se debe al importante discurso que hace ya más de dos años dirigió Benedicto XVI a la Rota romana.1 Uno de los puntos significativos del discurso pontificio de 2012, aunque desde luego no el más relevante, consiste en apreciar la interpretación de la ley como un ejercicio de inteligencia práctica, o dicho con palabras de Benedicto XVI, considerar «la interpretación de la ley canónica en orden a su aplicación»2. Mirado desde la perspectiva de la realidad jurídica, que es sin duda lo que importa, la interpretación se atiene a «la cuestión crucial sobre lo que es justo en cada caso»3. 1 Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana, 21. 01. 2012, en: AAS 104 (2012), pp. 103 – 107. Han aparecido diversos comentarios de la alocución pontificia; por ejemplo, Eduardo Baura, La realtà disciplinata quale criterio interpretativo giuridico della legge, en: Ius Ecclesiae 24 (2012), pp. 705 – 717; Myriam Cortés Diéguez, Benedicto XVI: Alocución a la Rota Romana, 21 de enero de 2012. Texto en español y comentario, en: REDC 69 (2012), pp. 419 – 424; Hugo von Ustinov, Hermenéutica jurídica y comunión en la fe católica. Comentario al discurso de Benedicto XVI a la Rota Romana, 21. 01. 2012, en: Anuario Argentino de Derecho Canónico 18 (2012), pp. 273 – 286; Miguel Falcâo, Bento XVI: A Interpretação da Lei Canónica, Discurso ao Tribunal da Rota Romana (21.01.12), en: Forum Canonicum 7/1 (2012), pp. 83 – 90. 2 Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana (nt 1), p. 106. 3 Ibid., p. 105.
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Este punto de vista pone de manifiesto que la ley no está concebida para interpelar a la realidad sino para ser interpelada por ella. Puesto esto en clave de interpretación se puede decir que la ambigüedad de un texto legal no se reconoce por un ejercicio de lectura del texto. Las palabras solo muestran sus zonas de penumbra, sus versiones analógicas, sus dificultades interpretativas cuando son interpeladas por los fenómenos de la vida jurídica. «La verdadera extensión de las palabras se reconoce en el constante retorno de la realidad al texto. Lo que no presenta ninguna duda cuando se lee, sugiere más de una cuando sucede […]. Es sumamente difícil que las leyes no susciten dudas cuando se enfrentan con la vida, regida por la libertad. Ningún legislador puede concebir una norma que abarque sin residuos toda un área de actividad humana. Simultáneamente, ninguna actividad humana puede resultar exhaustivamente contemplada en una previsión normativa.»4
La opinión que hemos presentado tiene interés porque, con origen en la perspectiva del racionalismo ilustrado, se ha seguido una triple tendencia con respecto a la interpretación de la ley: (1) la interpretación de la ley debe quedar incluida en el recinto especulativo, de modo que la lectura de su texto ofrece ya las nociones necesarias para ser correctamente entendida; (2) la ley es un universal en el que quedan incluidos los particulares de la experiencia jurídica, de modo que toda aplicación es inmediata; (3) la interpretación en clave prudencial es sospechosa porque la prudencia es incapaz de orientar las elecciones de forma verdaderamente racional. Esta última apreciación, dependiente de la doctrina empirista hobbesiana5 y de la ilustración escocesa, ha influenciado negativamente el conocimiento de la interpretación de la ley como tarea prudencial.6
4 Javier Otaduy, Positivismos ingenuos. A propósito del discurso de Benedicto XVI sobre interpretación de la ley canónica (21. 01. 2012), en: IusCan 107 (2014), pp. 34 – 35. 5 «The work of practical reason he argues […] achieves its most perfect human form in the power of the sovereign to make laws or general rules of conduct and to render predictable thereby the consequences of human actions. This “providential” interpretation of the rule of law, developed in connection with his new empiricist psychology, forces Hobbes to radically reassess the moral and political significance of the ancient concept of prudence or practical wisdom. Ultimately prudence is for Hobbes merely an unreliable form of associative knowledge. Because it fails to demonstrate the universal causes of things, it can make no real contribution to the science of ethics and politics» (Allen S. Hance, Prudence and providence: On Hobbes’s theory of practical reason, in: Man and World 24 [1991], pp. 155 – 156). Cfr. Peter J. Diamond, The «Enlightenment Project» Revisited: Common Sense as Prudence in the Philosophy of Thomas Reid, in: Robert Hariman (ed.), Prudence. Classical virtue, postmodern practice, Pennsylvania State University Press 2003, pp. 99 – 123. 6 El empirismo ha provocado, como es sabido, planteamientos jurídico-verificativos extremos en la segunda mitad del siglo XX, de los cuales un testimonio de los más conocidos es el del filósofo danés Alf Ross, On Law and Justice, Berkeley Los Angeles 1959; cfr. en el mismo sentido Carlos E. Alchourrón/Eugenio Bulygin, Introducción a la metodología de las ciencias jurídicas y sociales, Buenos Aires 1974. Para un buen resumen descriptivo, cfr. Carlos I. Massini, La prudencia jurídica. Introducción a la gnoseología del derecho, Buenos Aires 1983, pp. 91 – 119.
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Digamos también que el Código de derecho canónico, aunque no tenga conciencia refleja de ello, ha recibido un modo de contemplar la interpretación de la ley propia del racionalismo. Es lo mismo que había ocurrido en los Códigos civiles continentales en los que la codificación canónica se miró. El c. 17 CIC/1983 sobre los medios de interpretación de la ley «[n]o contempla la ley en clave de aplicación, sino tan sólo en clave de inteligencia (“las leyes eclesiásticas deben entenderse”). Mira a la ley como si fuese un texto cualquiera. Supone que las dudas surgen cuando se lee una ley, no cuando se aplica. Una ley de redacción inteligible no debería provocar dudas. Pero esto no es así, las dudas no surgen del texto. Interpretar no es saber lo que dice una ley, sino saberlo en orden a su aplicación»7. Lo cierto es que hoy día gran parte de estos problemas han sido conjurados por la visión hermenéutica (que ha creado otros problemas nuevos, tal vez más graves). «Comprender es siempre también aplicar»8, y precisamente por eso, Gadamer ha atribuido a la hermenéutica jurídica un «significado paradigmático»9 para la gran teoría de la interpretación. «La hermenéutica jurídica recuerda por sí misma el auténtico procedimiento de las ciencias del espíritu. En ella tenemos el modelo de relación entre pasado y presente que estábamos buscando. Cuando el juez intenta adecuar la ley trasmitida a las necesidades del presente tiene claramente la intención de resolver una tarea práctica. Lo que en modo alguno quiere decir que su interpretación de la ley sea una traducción arbitraria. También en su caso comprender e interpretar significa conocer y reconocer un sentido vigente. El juez intentará responder a la “idea jurídica” de la ley mediándola con el presente. Es evidente una mediación jurídica. Lo que intenta reconocer es el significado jurídico de la ley, no el significado histórico de su promulgación o unos cuantos casos cualesquiera de su aplicación.»10
La cultura jurídica contemporánea ha asumido en buena medida que la interpretación de la ley no es exclusivamente descubrir una mente teórica contenida en la ley (aunque la mente del legislador tiene sin duda su lugar en la labor hermenéutica), sino que viene requerida por la praxis jurídica.11 La interpretación jurídica no es sustancialmente una tarea académica, un esfuerzo por desentrañar el significado de un texto, desglosando comparativamente los supuestos jurídicos hipotéticos previamente contenidos en él. Esa labor de exégesis legal no se 7
Javier Otaduy, Art. Interpretación de la ley, en: Javier Otaduy/Antonio Viana/Joaquín Sedano (eds.), Diccionario General de Derecho Canónico, vol. IV, Pamplona 2012, p. 725. 8 Hans Georg Gadamer, Verdad y Método, Salamanca 1977, p. 380. 9 Ibid., p. 396. 10 Ibid., p. 400. 11 «[…] la interpretación jurídica es […] una interpretación práctica. Aquel que interpreta un texto legislativo (en sentido amplio), quiere llegar a saber en último término no solamente lo que el autor de ese texto ha dicho o querido decir (si es que esto puede llegar a saberse), sino cómo debe comportarse uno mismo o cómo debe comportarse aquél a quien enseña (en el caso del profesor de derecho) o aconseja (en el caso del abogado)» (Georg Kalinowski, Concepto, fundamento y concreción del derecho [trad. Carlos I. Massini Correas et alii], Buenos Aires 1982, p. 110).
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encuadra en el modelo interpretativo primario. Es verdad que hay muchos modelos jurídicos a los que puede llamarse interpretación.12 Pero el ambiente natural de la interpretación es la interpretación aplicativa, y todas las demás están inspiradas por ella y conspiran hacia ella. Si situamos estas ideas en la tradición aristotélico-tomasiana13, no cabe ninguna duda de que el intérprete debe ser un jurisprudente, no tan solo un teórico del derecho; es decir, alguien que hace uso de la prudencia, que es la virtud rectora del entendimiento práctico. Las herramientas con las que cuenta el entendimiento práctico son obviamente racionales, pero no pueden pretender la certeza lógica del razonamiento teórico. No son conclusiones categóricas sino argumentos de probabilidad, que habrán de buscar el mayor rigor posible.14 La prudencia versa sobre acciones contingentes. «Toda decisión prudencial, y en consecuencia las de la prudencia jurídica, entraña un elemento de cierta inseguridad y de riesgo. Las resoluciones, actos de imperio de la prudencia, versan sobre singularia vel contingentia futura; por ello no se encuentra en ellas la seguridad de un raciocinio lógico.»15
Así pues estamos en el ámbito del conocimiento de la praxis, donde se requieren indudablemente aptitudes de raciocinio adecuadas al mundo de la probabilidad.16 12 Hasta cinco distintos tipos han creído encontrar Moreso y Vilajosana (auténtica, oficial, doctrinal, estratégica y judicial), cfr. José Juan Moreso/Josep Maria Vilajosana, Introducción a la teoría del derecho, Madrid 2004, pp. 175 – 176. 13 Dicha tradición goza de buena salud, es más, está en ascenso como referente del juicio práctico. Pero no puede considerarse prevalente en el conjunto de la literatura contemporánea. Cfr. Robert Hariman, Prudence in the Twenty-First Century, in: Hariman (ed.), Prudence (nt 5), pp. 287 – 321. Se achaca a la visión aristotélico-tomasiana su dependencia de una visión moral objetiva que impediría la versatilidad del juicio prudente. Una magnífica exposición de la posición tomasiana sobre la prudencia, en: John Finnis, Aquinas. Moral, Political, and Legal Theory, Oxford 1998. Una explicación interesante de la modernidad de la perspectiva tomasiana con correcciones bien argumentadas a los críticos, en: Juha-Pekka Rentto, The Postmodern Aquinas: A Fresh Start, en: Deal W. Hudson/Dennis W. Moran (ed.), The Future of Thomism, Univ. of Notre Dame 1992, pp. 149 – 158. 14 Un resumen muy claro e inteligente de la posición de Aristóteles (y de la ciencia jurídica contemporánea) sobre esta materia, en: Juan Omar Cofré, Lógica, tópica y retórica al servicio del derecho, en Revista de Derecho (Valdivia) 13 (dic. 2002), pp. 27 – 40. Sobre el carácter aplicativo de la interpretación, cfr. Juha-Pekka Rentto, «Prudentia Iuris»: the art of the good and the just (= Annales Universitatis Turkuensis 183), Turku 1988, pp. 357 – 363. 15 Javier Hervada, Reflexiones acerca de la prudencia jurídica, en: REDC 16 (1961), p. 425. 16 «Rethoric is an art, phronesis an intellectual virtue; both are special ‹reasoned capacities› which properly function in the world of probability; both are normative processes in that they involve rational principles of choice-making, both have general applicability but always require careful analysis of particulars in determining the best response to each specific situation; both ideally take into account the wholeness of human nature (rethoric in its three appeals, phronesis in its ballance of desire and reason); and finally, both have social utility and responsability in that both treat matters of the public good» (Lois S. Self, Rethoric and «Phronesis»: The Aristotelian Ideal, in: Philosophy and Rethoric 12 [1979], p. 135).
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La prudencia como virtud de la razón práctica es una virtud compleja, porque conjuga el conocimiento de las verdades universales con el conocimiento de lo singular contingente, que no tiene ningún carácter absoluto; dice santo Tomás que «corresponde a la prudencia no solamente la consideración racional, sino también la aplicación a la obra, que es el fin principal de la razón práctica. Ahora bien, nadie puede aplicar de forma adecuada una cosa a otra sin conocer ambas, es decir, lo aplicado y el sujeto al que se aplica»17. Algunas de las actitudes en las que se despliega la prudencia (lo que Tomás de Aquino llamará partes quasi integrales) dan razón de esa contingencia y singularidad de los episodios de intervención prudencial y aportan ayuda para resolver bien. Son actitudes muy importantes para el intérprete. Citemos cuatro de ellas. La precaución (cautio) es una actitud imprescindible porque «la prudencia se ocupa de acciones contingentes en las cuales puede mezclarse lo verdadero con lo falso, el mal con el bien, por la variedad de situaciones en que se presentan esas acciones en las que el bien está impedido por el mal, y éste presenta apariencias de bien. Por eso la prudencia necesita de precaución para aceptar el bien y evitar el mal»18. Muy unida a la precaución se encuentra la circunspección (circumspectio, mirar en torno). Es la actitud del hombre prudente que pondera el fin del acto con las circunstancias que lo acompañan. «La función principal de la prudencia es la recta ordenación al fin. Esto, en realidad, no se logra si el fin no es bueno, y bueno también, y apropiado, lo que a él se ordena. Ahora bien, dado que la prudencia […] trata de las acciones particulares en que concurren muchas cosas, sucede que algo, en sí mismo bueno y conveniente al fin, se vuelve malo o inoportuno por algún elemento que concurra.»19
En tercer lugar, el raciocinio (ratio). No se refiere Santo Tomás a la potencia racional, sino al buen uso de ella, claro está.20 Es evidente que la inteligencia 17
«[…] ad prudentiam pertinet non solum consideratio rationis, sed etiam applicatio ad opus, quae est finis practicae rationis. Nullus autem potest convenienter aliquid alteri applicare nisi utrumque cognoscat, scilicet et id quod applicandum est et id cui applicandum est» (S. Th. II-II, q.74, a.3c). 18 «[…] ea circa quae est prudentia sunt contingentia operabilia, in quibus, sicut verum potest admisceri falso, ita et malum bono, propter multiformitatem huiusmodi operabilium, in quibus bona plerumque impediuntur a malis, et mala habent speciem boni. Et ideo necessaria est cautio ad prudentiam, ut sic accipiantur bona quod vitentur mala» (S. Th. II-II, q.49, a.8c). 19 «[…] ad prudentiam, sicut dictum est, praecipue pertinet recte ordinare aliquid in finem. Quod quidem recte non fit nisi et finis sit bonus, et id quod ordinatur in finem sit etiam bonum et conveniens fini. Sed quia prudentia, sicut dictum est, est circa singularia operabilia, in quibus multa concurrunt, contingit aliquid secundum se consideratum esse bonum et conveniens fini, quod tamen ex aliquibus concurrentibus redditur vel malum vel non opportunum ad finem […]. Et ideo necessaria est circumspectio ad prudentiam, ut scilicet homo id quod ordinatur in finem comparet etiam cum his quae circumstant» (S. Th. II-II, q.49, a.7c). 20 Cfr. S. Th. II-II, q. 49, a.5, ad 1.
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implicada en el acto prudencial por su propia naturaleza no puede ser la inteligencia intuitiva o contemplativa. Tampoco estamos hablando del raciocinio deductivo, que engendra verdadera certeza lógica. Ni siquiera, dirá Tomás, hablamos de otras virtudes intelectuales, como el arte, en donde los procesos de fabricación o producción pueden estar sometidos a reglas fijas y ciertas. «La certeza de la razón procede de la inteligencia; pero la necesidad de la razón tiene su base en la imperfección de la inteligencia. En efecto, no necesitan el ejercicio de la razón los seres cuya fuerza intelectual está en plena perfección, puesto que comprenden la verdad por simple intuición; esto sucede en Dios y en los ángeles. Ahora bien, las acciones particulares, cuya dirección compete a la prudencia, distan mucho de la condición de inteligibles, y distan tanto más cuanto más inciertas e indeterminadas son. […] De ahí que, aunque en algunas virtudes intelectuales sea más cierta la razón que la prudencia, en ésta, sin embargo, más que en ninguna necesita el hombre tener buen razonamiento para poder aplicar los principios universales a los casos particulares, variados e inciertos.»21
El raciocinio propio de la prudencia lleva consigo la necesidad de aconsejarse. Es decir, no sólo la exigencia de buscar argumentos que amparen una medida aplicativa, sino la exigencia de obtener el conocimiento correcto de las contingencias que concurren en el acto. Hagamos una referencia por último a la previsión (providentia), la parte integral más cercana por su étimo filológico con el nombre de la virtud integrada (prudentia). Es la planificación del futuro, que solo tiene sentido cuando la actividad humana ordena elementos que dependen de la libertad o de factores no controlables. «De ahí que los futuros contingentes pertenecen a la prudencia en cuanto ordenables por el hombre al fin último de la vida humana. Ambos elementos van implicados en la idea de previsión. En efecto, la previsión implica relación a algo distante hacia lo cual debe ordenarse cuanto suceda en el presente.»22
¿Hasta qué punto puede considerarse que la tradición canónica clásica ha hecho uso de la prudencia aplicativa en el ámbito de la interpretación de ley canónica? Debemos a Orazio Condorelli un reciente y cuidado estudio sobre la tradición de los
21 «[…] certitudo rationis est ex intellectu, sed necessitas rationis est ex defectu intellectus, illa enim in quibus vis intellectiva plenarie viget ratione non indigent, sed suo simplici intuitu veritatem comprehendunt, sicut Deus et Angeli. Particularia autem operabilia, in quibus prudentia dirigit, recedunt praecipue ab intelligibilium conditione, et tanto magis quanto minus sunt certa seu determinata. […] Et ideo quamvis in quibusdam aliis virtutibus intellectualibus sit certior ratio quam prudentia, tamen ad prudentiam maxime requiritur quod sit homo bene ratiocinativus, ut possit bene applicare universalia principia ad particularia, quae sunt varia et incerta» (S. Th. II-II, q.49, a.5, ad 2). 22 «Unde consequens est quod contingentia futura, secundum quod sunt per hominem in finem humanae vitae ordinabilia, pertineant ad prudentiam. Utrumque autem horum importatur in nomine providentiae, importat enim providentia respectum quendam alicuius distantis, ad quod ea quae in praesenti occurrunt ordinanda sunt» (S. Th. II-II q.49, a.6c).
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juristas medievales sobre la prudentia in iure23. Las conclusiones que se pueden extraer indudablemente no afectan al carácter aplicativo de la interpretación, un tema que ni de lejos entraba en el escenario intelectual de los canonistas clásicos. «Nosotros, lectores del siglo XXI, no podemos ponernos en el lugar de los canonistas medievales»24 Lo cual no quiere decir que los juristas medievales no hayan hablado abundantemente del carácter práctico de la prudencia y de las contingencias a las que debe hacer frente el juez, que con frecuencia ha de actuar con grados de certeza muy distintos a los de la certeza especulativa y que está constantemente invitado a un razonamiento de probabilidad.25
II. La dimensión moral de la prudencia Nunca hay buena interpretación sin una correcta metodología, que exige un amplio conocimiento de las fuentes y una experiencia jurídica. Pero en la búsqueda de la verdad jurídica, que eso es la labor del intérprete, no solo cuenta eso. Es, como hemos dicho, un ejercicio de prudencia. Y la labor prudencial es la labor de una virtud, en la que además concurren las demás virtudes morales. Es importante subrayar esto en el horizonte del mensaje de Benedicto XVI. El pontífice «ha situado la labor interpretativa no sólo en el nivel jurídico (conocer las leyes, conocer la Iglesia, conocer el caso) sino también en el nivel ético. La labor de interpretación es un acto humano, no solo un mecanismo técnico. Es un proceso de discernimiento en el que no sólo se pone en juego la ciencia (el conocimiento del derecho) sino el amor a la verdad y el espíritu de docilidad»26. Me parece muy importante subrayar la dimensión moral de la interpretación. En realidad, no solo de la interpretación, porque en nuestra cultura es extremadamente fácil considerar que las ciencias, o los métodos científicos o técnicos, son por completo neutrales con respecto a la moralidad, cuestión que sería muy discutible. 23
Orazio Condorelli, «Prudentia in iure». La tradizione dei giuristi medievali (prime ricerche), en: Alexander Fidora/Andreas Niederberger/Merio Scattola (eds.), Phronêsis-Prudentia-Klugheit. Das Wissen des Klugen in: Mittelalter, Renaissance und Neuzeit, Porto 2013, pp. 137 – 201. 24 Ibid., p. 184. 25 Véanse por ejemplo estos dos textos de Bartolo de Sassoferrato sobre los testimonios en el proceso: «[…] quoniam prudentia consistit circa particularia et ea, que contingenter eveniunt, ut intra se consiliari et disputare, et recta ratione universalia particularibus occurrentibus applicare» (Bartolo, Tractatus testimoniorum, c. 73, en: Susanne Lepsius, Der Richter und die Zeugen. Eine Untersuchung anhand des «Tractatus testimoniorum» des Bartolus von Sassoferrato mit Edition, Klostermann [= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 158], Frankfurt am Main 2003, p. 282); «Hoc autem probare per probationes necessario concludentes aut impossibile aut difficile est valde et constituitur enim perfectus actus talis virtutis ex multis, que sunt in anima et extra ipsam difficulter apparent» (Ibid., c. 74, p. 283). Todo el tratamiento del tema en Condorelli, «Prudentia in iure» (nt 22), pp. 155 – 160. 26 Otaduy, Positivismos ingenuos (nt 4), p. 40.
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Pero aunque cupiera una suerte de vacío ético en la metodología, nunca lo habría en el ejercicio de la ciencia, y mucho menos en la aplicación del derecho. Es el hombre en su globalidad el que interpreta, se sirva de un método u otro. Es una acción humana en la que la prudencia debe elegir e imperar medios adecuados para obtener fines justos. La tendencia de las versiones modernas de la interpretación de la ley, bien sean de carácter hermenéutico, bien sean de carácter retórico o tópico, han dejado al margen la decisión moral. Lo digo porque el origen del que parten unas y otras constituye una base muy adecuada para suscitar la cuestión ética. En el caso de la hermenéutica es de gran interés el modo de percibir el proceso de comprensión, pero todo el larguísimo viaje se hace exclusivamente en clave de significado. Dicho de otro modo, los prejuicios (porque todo el edificio de la hermenéutica se construye sobre los prejuicios) son todos prejuicios de significado, de establecer bien el horizonte de comprensión. Pero los juicios previos, siendo siempre juicios, no son siempre producto de la alteridad o de la distancia histórica, no son siempre causados por la dificultad natural para fundir dos horizontes de comprensión. Tienen también raíces morales. No se trata solo de entender o no entender, sino de querer o no querer entender. La tendencia de la tópica o de la retórica tiene el gran acierto de orientar el discurso de la realidad jurídica hacia la persuasión (que no significa desde luego engaño), y por lo tanto hace posible la acogida de soluciones jurídicas suficientes y probables, cuestión difícil de negar en la aplicación del derecho. La tópica permite desembarazarse del fardo que constituyen para las resoluciones prácticas las verdades absolutas de carácter teorético. Cualquier medio es bueno si tiene aptitud para persuadir. Pero en este entorno el protagonismo termina teniéndolo siempre un destinatario externo, un persuadendus. Y por eso la retórica difícilmente favorece el examen de conciencia del persuadens. Ahora bien, ¿es razonable pensar que en toda decisión prudencial se pone en juego la libertad moral, la conciencia del agente? Nadie duda de que una decisión práctica en la que el agente elige un bien que afecta directamente a su vida constituye una acción moral movida por la prudencia (o por la falta de prudencia). Pero la interpretación de ley no es de ordinario una acción cuyo resultado interese directamente la vida del agente. Aun así, se entiende fácilmente que toda aplicación del derecho tiene una dimensión de justicia, una consecuencia jurídica que afecta a terceros, con un retorno moral hacia quien la ha ejercido. Sin embargo, en el mundo de la interpretación es muy frecuente la comprensión meramente académica del problema interpretativo. Puesto en los parámetros que estamos empleando, vendría a decir: la decisión del agente de la interpretación no afecta a nadie, porque los intérpretes de las leyes son los doctores, los dogmáticos, los expertos en derecho, la doctrina. Se trata de una interpretación hipotética y meramente posibilista, nada que genere consecuencias valorables moralmente.
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Este es a mi juicio el principal peligro ante el que conviene precaverse. La interpretación doctrinal se orienta a la aplicación de la ley, inspira la aplicación de la ley, y muchas veces aspira a influir en ella. Por lo tanto no puede tomarse, al menos en general, como un coto cerrado a la intervención prudencial. No quiero decir que sea idéntico ejercitar una interpretación aplicativa de derecho que desempeñar una interpretación que no toque directamente las relaciones jurídicas. Lo que digo es que en el segundo caso interviene también la elección de medios que deben ser imperados por la prudencia jurídica, aunque el intérprete se mueva en este caso en el ámbito de una praxis de segundo grado. Como se sabe bien, Tomás de Aquino no separó nunca la prudencia, virtud del entendimiento práctico, de las virtudes morales. Es más, consideró que la prudencia era una virtud moral además de ser un hábito intelectual. «Según su esencia, es una virtud intelectual. Pero, en cuanto a su materia, conviene con las virtudes morales, ya que es la recta razón de lo agible […] y en este aspecto se enumera entre las virtudes morales»27. Una virtud intelectual como la ciencia o el hábito de los primeros principios, o bien la recta ratio factibilium (el arte, lo que hoy llamaríamos artesanía o fabricación), no precisan una conexión directa con la moralidad para ejercitarse rectamente. Pero cuando se realizan actos de la razón práctica en el orden del agere, en el orden prudencial, la inteligencia no ordena de modo despótico, sino con dominio político, como se gobierna a súbditos libres, «hasta tal punto, que a veces las pasiones o los hábitos de la parte apetitiva impiden el uso de la razón en particular»28. Por eso la virtud de la prudencia tiene una textura verdaderamente especial. Es muy apta para describir la estructura antropológica, porque conjuga la razón, la voluntad y los apetitos. Se ha llegado a hablar de un aparente círculo vicioso29, porque las virtudes morales no tienen carácter de virtud si no son prudentes, si no reciben el aporte racional de la prudencia; y la prudencia no es tampoco verdadera virtud si no se emplea inserta en el organismo de las virtudes morales.
27 «[…] prudentia, secundum essentiam suam, est intellectualis virtus. Sed secundum materiam, convenit cum virtutibus moralibus, est enim recta ratio agibilium, ut supra dictum est. Et secundum hoc, virtutibus moralibus connumeratur» (S. Th. I-II, q.58, a.3, ad 1). 28 «[…] intantum quod quandoque passionibus vel habitibus appetitivae partis hoc agitur, ut usus rationis in particulari impediatur» (S. Th. I-II, q.58, a.2c). 29 «La prudencia informa las virtudes morales, pero depende de ellas en el sentido de que se apoya en el apetito recto. Hay en esto un aparente círculo vicioso. No se tiene fortaleza, ni templanza ni justicia si no se posee la prudencia; y, al mismo tiempo, no se es prudente si no se tiene fortaleza, templanza o justicia. La ruptura de este círculo vicioso se realiza teniendo en cuenta que la prudencia es virtud del entendimiento y las demás virtudes morales lo son de la voluntad. El entendimiento práctico actúa en función de la voluntad. Esta apetece un fin; la razón muestra los medios y el orden necesario para conseguirlo» (Hervada, Reflexiones [nt 14], p. 420).
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Sobre este punto, la doctrina aristotélico-tomasiana es muy clara: «En cuanto a los principios universales de lo agible, el hombre está bien dispuesto por el entendimiento natural de los principios, mediante el cual conoce que nunca se ha de hacer el mal, o también por alguna ciencia práctica. Pero esto no basta para razonar correctamente sobre lo particular, pues ocurre a veces que este principio universal conocido por el entendimiento o por la ciencia, se corrompe en su aplicación al caso particular por influjo de la pasión, como sucede al concupiscente, a quien, al vencerle la concupiscencia, le parece bueno lo que desea, aunque sea contrario al juicio universal de la razón.»30
Dicho de otra forma, para preservar el juicio recto de la prudencia no basta la ciencia o el conocimiento suficiente sino que hace falta también que el juicio no se vea perturbado por la pasión o por la mala voluntad. Dice Tomás de Aquino que para ser prudente se precisa querer los fines de las virtudes morales, es decir, tener buena voluntad, querer verdaderamente ser bueno.31 Tal vez se podría ser un buen jurista académico sin necesidad de virtud moral, pero no se podría ser un buen jurisprudente. Es interesante hacer notar que la idea de la continuidad de las virtudes morales con la prudencia, y su inseparabilidad, está presente en la literatura canónica desde sus orígenes más tempranos.32
30 «Circa principia quidem universalia agibilium, homo recte se habet per naturalem intellectum principiorum, per quem homo cognoscit quod nullum malum est agendum; vel etiam per aliquam scientiam practicam. Sed hoc non sufficit ad recte ratiocinandum circa particularia. Contingit enim quandoque quod huiusmodi universale principium cognitum per intellectum vel scientiam, corrumpitur in particulari per aliquam passionem, sicut concupiscenti, quando concupiscentia vincit, videtur hoc esse bonum quod concupiscit, licet sit contra universale iudicium rationis» (S. Th., I-II, q.58, a.5c). 31 «Ésta [la razón práctica] puede ser solo recta ratio agibilium si parte y tiene en cuenta en su ejercicio los principios propios de su obrar. En cuanto se trata de recta ratio ‹agibilium› sus principios propios son los fines que juegan el mismo papel que los primeros principios en materias especulativas. De ahí que el hombre, para poseer una recta razón en el obrar, necesita una buena disposición acerca de los fines, es decir, necesita la virtud moral. De ahí que igual que una recta razón en el campo especulativo supone una buena disposición de ésta respecto a sus principios, así la recta razón práctica presupone la buena voluntad que es la buena disposición respecto a los principios propios del razonamiento práctico [cfr. S. Th. I-II, q. 57, a. 4c]» (Jesús Manuel Conderana Cerrill, Virtudes, prudencia y vida buena en la «Summa Theologiae» de Santo Tomás de Aquino, Salamanca 2012, pp. 103 – 104). 32 «Huius speciei virtus est genus, virtus enim quatuor principales habet species: iustitia, prudentia, fortitudo, temperantia. Que licet diverse sint, sunt eiusdem generis species. Tamen et ordinem habent certum et altera absque altera virtus non est, quod in aliis speciebus non reperies» (Exordium Institutionum secundum Irnerium, § 3, en: Heribert Kantorowicz/William Warwick Buckland, Studies in the glossators of the Roman law. Newly discovered writings of the 12th century, Aalen 1969 [Cambridge 1938], p. 240); «Iusticia enim species est virtutis. Virtus namque quatuor sub se habet species: fortitudinem, temperantiam, prudentiam, iusticiam. Aliqua tamen earum sine aliis species virtutis non est, ut accidit in aliis speciebus» (P. Legendre [ed.] La Summa Institutionum «Iustiniani est in hoc opere», Klostermann [= Ius Commune, Sonderhefte 2], Frankfurt am Main 1973, p. 26 ¢ cit. por Condorelli, «Prudentia in iure» [nt. 23], p. 150, nt 53).
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III. Episodios de la prudencia interpretativa Tal vez la parte más atractiva del estudio de la interpretación de la ley como acto prudencial sea considerar la relación que guarda la interpretación de la ley (según los matices del discurso de Benedicto XVI), con algunas de las partes integrales de la prudencia que presentan Aristóteles y Tomás de Aquino. Algunas de ellas, como la cautio, la circumspectio, la ratio y la providentia, ya han sido presentadas para ilustrar el carácter práctico y contingente del juicio prudencial interpretativo. Pero hay tres de ellas (el entendimiento, la memoria y la docilidad) que merecen un juicio más cuidadoso como episodios del acto de interpretación. 1. Intellectus Por lo que respecta a su conexión con la labor interpretativa, la parte integral más importante de la prudencia es, a mi juicio, lo que Tomás de Aquino llama intellectus. Sorprende que un hábito intelectivo constituya una dimensión característica para un hábito práctico como la prudencia.33 El mismo Santo Tomás opone punzantes dificultades a ello, e intenta resolverlas. No se debe confundir el intellectus con la facultad intelectiva34; ni tampoco con la virtud intelectual que lleva el mismo nombre y que conoce los primeros principios35 ; ni siquiera los primeros principios del orden práctico.36 Pero aun así, toda determinación racional, por muy práctica que sea, cuenta con esos primeros principios y se sirve a su vez de otros conocimientos, que serían como la premisa menor del silogismo. «Hay una segunda inteligencia [intellectus] que […] conoce el extremo, es decir, un primer singular contingente operable, la menor del silogismo de la prudencia, como hemos dicho. […] En conclusión, la inteligencia que ponemos como parte de la prudencia es cierta estimación recta de un fin particular.»37
El intellectus es la llamada a que la virtud de la prudencia opere siempre con la verdad de lo concreto operable, con el conocimiento real de la materia sobre la que juzga.38 La enseñanza de Benedicto XVI pone en guardia ante el evidente peligro de identificar el derecho canónico con los textos legales. 33 Sobre la ambigüedad del término, cfr. Juan Fernando Sellés, La virtud de la prudencia según Tomás de Aquino (Cuadernos del Anuario Filosófico. Serie Universitaria 90), Pamplona 1999, pp. 56 – 61. 34 Cfr. S. Th. II-II, q.49, a.2c. 35 Cfr. S. Th. II-II, q.49, ad1. 36 Cfr. Ibid. 37 «Alius autem intellectus est qui […] est cognoscitivus extremi, idest alicuius primi singularis et contingentis operabilis, propositionis scilicet minoris, quam oportet esse singularem in syllogismo prudentiae, ut dictum est. […] Unde intellectus qui ponitur pars prudentiae est quaedam recta aestimatio de aliquo particulari fine» (S. Th. II-II, q.49, a.2, ad1). 38 En este sentido tiene interés la consideración del Panormitano: «Non est enim prudentia, sed fatuitas, ubi deficit ratio» (Nicolò Tedeschi [Abbas Panormitanus], Commentaria in
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«A primera vista este enfoque parece valorar plenamente la ley humana. Pero es evidente el empobrecimiento que comportaría esta concepción: con el olvido práctico del derecho natural y del derecho divino positivo, así como de la relación vital de todo derecho con la comunión y la misión de la Iglesia, el trabajo del intérprete queda privado del contacto vital con la realidad eclesial.»39
Este contacto vital con la realidad de la Iglesia debe estar contenido en todo juicio prudencial, y constituye un asunto de primera necesidad para la rectitud práctica. En el seno del intellectus está también el texto de la ley, como es lógico, pero importa mucho atender a la misma realidad. «Se trata de una tarea que es vivificada por un auténtico contacto con la realidad global de la Iglesia, que permite penetrar en el verdadero sentido de la letra de la ley.»40 Me gustaría precisar que lo concreto operable no quiere decir el caso de la experiencia en lo que tiene de mera circunstancia o de mera factualidad. El caso que hay que ponderar prudencialmente no es solo circunstancia, sino que arrastra su verdad, su naturaleza, su identidad propia. El hábito del intellectus no está estimulando a tomar en consideración tan solo las incidencias variables, sino la verdad de las cosas. O mejor dicho, la verdad de esta cosa, de esta realidad concreta y operable. Ha observado Josef Pieper que «la primacía de la prudencia significa, ante todo, la necesidad de que el querer y el obrar sean conformes a la verdad; pero, en último término, no denota otra cosa que la conformidad del querer y del obrar a la realidad objetiva. Antes de ser lo que es, lo bueno ha tenido que ser prudente; pero prudente es lo que es conforme a la realidad.»41 Para la interpretación de la ley es inexcusable que el intérprete se haga cargo de la realidad que queda sometida a su juicio. Debe conocer no solo la individualidad del caso sino también la especie a la que pertenece el caso, y el género al que pertenece la especie. Los textos «deben interpretarse […] a la luz de la realidad regulada, la cual contiene siempre un núcleo de derecho natural y divino positivo, con el que debe estar en armonía cada norma a fin de que sea racional y
Decretales, X 1.2.5, Venetiis 1582, vol. I, f. 21). El modo de entender el intellectus como parte quasi integral de la prudencia está sin embargo lejos de ser unívoco. Hay autores que lo entienden de un modo mucho menos sustancializado (es decir, como un hábito adquirido de hacerse cargo con prontitud de la realidad presente): «We can sometimes have an immediate grasp of the moral value of a concrete situation (connaturality). This is often called intuition but more correctly, it is an affinity with the moral knowledge wich comes about by practice. All the virtuous habits which we have already acquired are a source of this knowledge for us in concrete situations» (Peter J. Riga, Prudence and jurisprudence: authority as the basis of law according to Thomas Aquinas, in: The Jurist 37 [1977], p. 302); «[…] la intuición penetrante y viva de lo que pasa en los casos concretos» (Hervada, Reflexiones [nt 14], p. 437); «juicio práctico que destaca el fin de la acción a realizar, o también la obra a elaborar, aunque todavía no se haya imperado su ejecución» (Sellés, La virtud de la prudencia [nt 33], p. 60). 39 Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana (nt 1), p. 104. 40 Ibid., p. 106. 41 Josef Pieper, Las virtudes fundamentales, 9a ed., Madrid 2007, p. 41.
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verdaderamente jurídica.»42 «El auténtico horizonte es el de la verdad jurídica que hay que amar, buscar y servir.»43 2. Memoria La memoria conecta de lleno con la condición práctica y contingente del juicio prudencial en el que no cabe la verdad absoluta sino el juicio de probabilidad. «Ahora bien, para conocer la verdad entre muchos factores es necesario recurrir a la experiencia, y por esa razón escribe el Filósofo en II Ethic. que la virtud intelectual nace y se desarrolla con la experiencia y el tiempo. La experiencia, a su vez, se forma de muchos recuerdos.»44
Así pues, la memoria sitúa a la interpretación en la historia, o si se prefiere en la vida de un determinado grupo social en el tiempo. En nuestro caso en la vida de la Iglesia. La memoria permite que la contingencia de las acciones no se convierta en absolutamente irrelevante sino que aspire a una continuidad. Si el intellectus confería a la prudencia una continuidad en el ser, la memoria prolonga esa continuidad en el tiempo. La primera apelación que hace la memoria a la interpretación de la ley es lógicamente la jurisprudencia, en el sentido de continuidad de decisiones análogas de los tribunales a lo largo del tiempo. La jurisprudencia (que es la memoria de los tribunales) tiene una indudable vocación interpretativa. Pero más que la jurisprudencia en cuanto tal habría que hablar de todos los medios en los que se hace presente la acción jurídica y doctrinal de la Iglesia. En este sentido la alocución de Benedicto XVI a la Rota Romana en el año 2012 fue paradigmática. No se debe separar el ser de la Iglesia de la vida de la Iglesia. No se debe interpretar la ley de la Iglesia sin memoria de su magisterio45, de su disciplina46, de su jurisprudencia47; de su tradición jurídica48 y de su potestad pastoral. 42
Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana (nt 1), pp. 105 – 106. Ibid., p. 105. 44 «Quid autem in pluribus sit verum oportet per experimentum considerare, unde et in II Ethic. philosophus dicit quod virtus intellectualis habet generationem et augmentum ex experimento et tempore. Experimentum autem est ex pluribus memoriis» (S. Th. II-II q.49, a.1, in c). 45 «[Para que los operadores jurídicos puedan identificarse especialmente con] las leyes pontificias y también con el magisterio en cuestiones canónicas, que es por sí mismo vinculante en lo que enseña sobre el derecho [cfr. Juan Pablo II, Alocución a la Rota Romana, 29.I.2005 (AAS 97 [2005], pp. 165 – 166)]» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], p. 106); «deben ser aplicados todos los medios jurídicamente vinculantes que tienden a asegurar aquella unidad en la interpretación y en la aplicación de la ley requerida por la justicia: el magisterio pontificio específicamente concerniente a este campo, contenido sobre todo en las Alocuciones a la Rota Romana […]» (Ibid., p. 107). 46 «Cada uno de ellos [tribunales] está obligado a proceder con un sentido de verdadera reverencia a la verdad sobre el derecho, tratando de practicar ejemplarmente, en la aplicación de las instituciones judiciales y administrativos, la comunión en la disciplina, como un aspecto 43
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La interpretación de la ley canónica no tiene como propósito el mero diseño del ser de la Iglesia. Es un ser con historia, no solo un ser con estructura. Y un ser que no simplemente se analiza, sino del que se debe participar. Sobre este punto el discurso de Benedicto XVI también es claro. Es preciso sentire cum Ecclesia si se quiere interpretar bien. Para conocer bien la Iglesia hay que sentir con ella.49 De modo que para interpretar bien el ser hay que tener memoria del presente y del pasado de la Iglesia. «No solo se interpreta la ley con el auxilio de las demás leyes, sino que ese sistema legal está vivo, respira y se alimenta de la doctrina del magisterio, de las decisiones pastorales, de la tradición canónica, de la jurisprudencia.»50
Cuando se tiene presente un caudal amplio de historia y de vida se entienden mejor algunas apreciaciones que se han hecho acerca de la memoria como el recuerdo fiel al ser. «El sentido de la virtud de la prudencia es que el conocimiento objetivo de la realidad se torne medida del obrar; que la verdad de las cosas reales se manifieste como regla de la acción. Pero esta verdad de las cosas reales se guarda en la memoria que es fiel a las exigencias del ser. La fidelidad de la memoria al ser quiere decir justamente que dicha facultad guarda en su interior las cosas y acontecimientos reales tal como son y sucedieron en realidad. El falseamiento del recuerdo, en oposición a lo real, mediante el sí o el no de la voluntad, constituye la más típica forma de perversión de la prudencia, contradice del más inmediato modo el sentido primordial de la misma: el de ser el recipiente donde se guarda la verdad de las cosas reales.»51
esencial de la unidad de la Iglesia» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], p. 107); «[Deben ser aplicadas] las normas y las declaraciones emanadas por otros Dicasterios de la Curia Romana» (Ibid.). 47 «[Debe ser aplicada] la jurisprudencia de la Rota Romana, de cuya importancia he tenido ya ocasión de hablaros [cfr. Alocución a la Rota Romana, 26. 01. 2008 (AAS 100 [2008], pp. 84 – 88)]» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], p. 107). 48 «Es necesario espíritu de docilidad para acoger las leyes, intentando estudiar con sinceridad y dedicación la tradición jurídica de la Iglesia para poder identificarse con ella» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], p. 106). 49 «El sentire cum Ecclesia tiene sentido también en la disciplina, por causa de los fundamentos doctrinales que están siempre presentes y operantes en las normas legales de la Iglesia. Por eso debe aplicarse también a la ley canónica la hermenéutica de la renovación en la continuidad, de la que he hablado refiriéndome al Concilio Vaticano II [cfr. Discurso a la Curia Romana, 22.XII.2005 (AAS 98 [2006], pp. 40 – 53)], renovación que está tan ligada a la actual legislación canónica. La madurez cristiana conduce a amar cada vez más la ley y a desear comprenderla y aplicarla con fidelidad» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], p. 106). 50 Otaduy, Positivismos ingenuos (nt 4), p. 38. 51 Pieper, Las virtudes (nt 40), pp. 47 – 48.
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3. Docilidad La condición de particularidad de la praxis abre siempre el campo de la elección hasta lo ilimitado, a una «diversidad casi infinita de modalidades»52 posibles. Por eso es necesario tener docilidad para aceptar la instrucción de los que han logrado un juicio equilibrado. Benedicto XVI ha indicado que, en el orden de la interpretación, «es necesario espíritu de docilidad para acoger las leyes, intentando estudiar con sinceridad y dedicación la tradición jurídica de la Iglesia para poder identificarse con ella»53. La docilidad de un intérprete esta movida por la autoridad de las fuentes. No tanto por la vis legis cuanto por la auctoritas legis. Dicho con otras palabras, la fuerza de la ley está diseñada para imponerse por encima de las condiciones receptivas del sujeto, para valorar o dirigir sus actos sea cual sea el estado de su espíritu. La docilidad es la actitud virtuosa que sabe encontrar en las leyes, y en el resto de las manifestaciones jurídicas de la tradición, una verdad digna de ser escuchada y obedecida. El discurso pontificio sitúa esta cuestión en el ámbito de la literatura canónica reciente. «En los últimos tiempos algunas corrientes de pensamiento han puesto en guardia contra el excesivo apego a las leyes de la Iglesia, empezando por los Códigos, juzgándolo, precisamente, como una manifestación de legalismo. En consecuencia, se han propuesto vías hermenéuticas que permiten una aproximación más acorde con las bases teológicas y las intenciones también pastorales de la norma canónica, llevando a una creatividad jurídica en la que cada situación se convertiría en factor decisivo para comprobar el auténtico significado del precepto legal en el caso concreto. La misericordia, la equidad, la oikonomia tan apreciada en la tradición oriental, son algunos de los conceptos a los que se recurre en esa operación interpretativa.»54
Observa el Papa que esta perspectiva, muy común en la canonística postconciliar, «no supera el positivismo que denuncia, limitándose a sustituirlo por otro en el que la obra interpretativa humana se alza como protagonista para establecer lo que es jurídico»55. La sustitución del texto de la ley por el texto de la propia voluntad es un positivismo de consecuencias aterradoras, porque «falta el sentido de un derecho objetivo que hay que buscar»56. 52
S. Th., II-II, q.49, a.3c. Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana (nt 1), p. 106. 54 Ibid., pp. 104 – 105. 55 Ibid., p. 105. Me ocupé en su día de estas corrientes interpretativas en Javier Otaduy, Los medios interpretativos de la ley canónica (y su relación con las distintas doctrinas de la interpretación), en: Id., Fuentes, Interpretación, Personas, Pamplona 2002, pp. 263 – 313. 56 El texto completo dice así: «Falta el sentido de un derecho objetivo que hay que buscar, pues este queda a merced de consideraciones que pretenden ser teológicas o pastorales, pero al final se exponen al riesgo de la arbitrariedad. De ese modo la hermenéutica legal se vacía: en el fondo no interesa comprender la disposición de la ley, pues esta puede adaptarse dinámicamente a cualquier solución, incluso opuesta a su letra» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], p. 105). 53
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En otro escenario de interpretación, en el ámbito de la interpretación de la Palabra de Dios, Benedicto XVI ha puesto de relieve que «el Espíritu liberador no es simplemente la propia idea, la visión personal de quien interpreta»57. Y algo semejante debe decirse en el ámbito de la interpretación del derecho.58 Por tanto, la virtud de la prudencia del intérprete le impide reconducir la verdad de la Iglesia y del caso a su modelo interpretativo, de modo que éste se convierta en el molde de la realidad y de la justicia. La prudencia le conduce por el contrario a que interprete el derecho movido por el deseo de verdad y de justicia. En el cuerpo del artículo donde estudia la docilidad como parte quasi integral de la prudencia (S. Th. II-II, q. 49, a.3), Tomás de Aquino cita un texto de la Sagrada Escritura que ha tenido una larga trayectoria en la época clásica del derecho canónico: «Ne innitaris prudentiae tuae» (Prov 3,5). En realidad es tan solo una parte del versículo de Proverbios, que en su totalidad dice así: «Habe fiduciam in Domino ex toto corde tuo et ne innitaris prudentiae tuae» [Confía en el Señor con todo tu corazón, y no te fíes de tu propio discernimiento]59. El brevísimo capítulo del Liber Extra (X 1.2.5) en que se contiene el texto dice lo siguiente: «‹Ne innitaris prudentiae tuae.› Prudentiae suae innititur, qui ea, quae sibi agenda vel dicenda videntur, Patrum decretis praeponit.»60 Es evidente que el término prudentia está tomado in malo. Pero es también claro que la intención es dar una indicación sobre la verdadera prudencia y sobre la verdadera docilidad. Por tanto, las palabras del capítulo de las Decretales se entienden como una llamada a no despreciar las leyes por una actitud soberbia o de falta de docilidad. Efectivamente, los decreta Patrum son principalmente las leyes, ya que el capítulo se encuentra incluido en el título De constitutionibus del primer libro de las Decretales.61
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Benedicto XVI, Ex. Ap. postsinodal Verbum Domini, p. 32. «Sólo de este modo se podrán discernir los casos en los que las circunstancias concretas exigen una solución equitativa para lograr la justicia que la norma general humana no ha podido prever, y se podrá manifestar en espíritu de comunión lo que puede servir para mejorar el ordenamiento legislativo» (Benedicto XVI, Alocución a la Rota Romana [nt 1], pp. 106 – 107). 59 La glosa ordinaria de la Biblia añadía al texto de Proverbios (Parabole Salomonis) una pequeña glosa interlineal al et ne innitaris prudentiae tuae: «preponendo te patribus»; y una glosa marginal más larga al Habe fiduciam in Domino: «Ne metuas ob imbecillitatem tuam divina non posse servare mandata, ne te rursum putes tuis implere viribus posse, vel tua naturali scientia nosse, si non per illius legis instruaris. Sed potius et in dicendo et in agendo eius quere auxilium, et quod iussit, ut implere valeas, donabit» Biblia latina cum glossa ordinaria, loc. cit., Facsimile Reprint of the Editio Princeps Adolph Rusch of Strassburg 1480/ 81, vol. II, Brepols/Turnhout 1992, p. 657. 60 Para la formación del texto, cfr. Condorelli, «Prudentia in iure» (nt 23), p. 187. 61 Como nota la glosa ordinaria de Bernardo de Parma, en Apparatus in X 1.2.5 (cit. por Condorelli, «Prudentia in iure» [nt 23], p. 187). 58
Actitudes del intérprete de la ley canónica
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Orazio Condorelli ha presentado la doctrina de los decretalistas más significados sobre el capítulo Ne innitaris62. Juan de Andrés añadirá, a la docilidad a las leyes, la docilidad a los consejos de los sabios.63 Antonio de Butrio entra de lleno en la interpretación de la ley en sede judicial presentando la figura del iudex capitosus (el juez obstinado, cabezón), que más que juzgar el caso real, juzga la ley: «El juez es obstinado y quiere imponer su decisión contra un decreto, diciendo que ese decreto no sabe lo que dice y que resuelve de modo injusto. Me pregunto si puede hacer esto lícitamente. El Papa dice que no, y lo prueba con el proverbio de Salomón, al que se añaden palabras de Jerónimo. […] En segundo lugar date cuenta de que es un texto alegable contra los obstinados y contra los que presumen ser más de lo que en realidad son.»64
El abad Panormitano va a censurar un comentario que Antonio de Butrio hizo obiter y sin caer en la cuenta con ocasión del capítulo Ne innitaris: «Piensa que el significado de las palabras ‹actúa según tu prudencia› se refieren a la prudencia no informada por el derecho [a iure non informata].»65 La intención de Antonio de Butrio era distinguir la prudencia que se ejercita en el caso en que no existe ley, de la prudencia que se ejercita cuando sí existe ley que prevé un caso (prudentia a iure informata). Igualmente quería también distinguir probablemente entre la prudentia scripta y la prudentia non scripta (tal como sucede en el caso de la aequitas). No es lo mismo la prudencia natural del juez, que una prudencia imperada o aconsejada: «haz según tu prudencia». Pero Niccolò Tedeschi va a la sustancia del asunto y corrige a dominus Antonius: «Con certeza y al pie de la letra, esto no es verdad, porque esas palabras se emplean aquí de modo impropio, o sea en mal sentido, como ya lo advierte la tercera glosa. En el otro sentido la palabra prudencia se entiende como la voluntad sometida a las riendas de la razón. Cuando falta la razón aquello no es prudencia sino estupidez.»66 62 Cfr. Condorelli, «Prudentia in iure» (nt 23), pp. 187 – 190. Pasa revista a las opiniones de Sinibaldo dei Fieschi, Enrique de Susa, Juan de Andrés, Antonio de Butrio y el Abad Panormitano. 63 Cfr. Ioannes Andreae, Commentaria in X 1.2.5, In Primum Decretalium librum Novella Commentaria, Venetiis 1581, vol. I, f. 13rb (cit. por Condorelli, «Prudentia in iure» [nt 23], p. 189, nt 154). 64 «Iudex est capitosus, sueque opinioni vult iudex ipse determinare contra decre(tum) dicendo quod decre(tum) nescit quid dicit et quod iniustum decernit. Quero an hoc licite faciat. Papa dicit quod non, et hoc probat ex dicto Salomonis in Parabolis, cum declarationibus Ieronimi. […] Nota secundo textum allegabilem contra capitosos et qui plus de se presumunt quam sit in rei veritate» (Antonio de Butrio, Commentaria in X 1.2.5, Super primo libro Decretalium, Mediolani 1488, hojas sin numerar [cit. por Condorelli, «Prudentia in iure» (nt 23), p. 190, nt 157]). 65 «Nota significatum horum verborum: ‹facias secundum prudentiam tuam›, quia intelligitur de prudentia a iure non informata» (Antonio de Butrio, Commentaria in X 1.2.5, Super primo libro Decretalium, Mediolani 1488, folios sin numerar [cit. por Condorelli, «Prudentia in iure» (nt 23), p. 190, nt 157]). 66 «Sed certe hoc non est verum, quoad corticem litterae, quia illa verba ponuntur hic improprie, id est malo sensu, ut etiam dicit glossa tertia hic. Alias verbum prudentiae intelli-
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IV. Conclusión Empleando como paradigma cercano el último discurso de Benedicto XVI a la Rota Romana, y como paradigma de fondo la doctrina aristotélico-tomasiana sobre la virtud de la prudencia, se puede decir que la interpretación de la ley es ordinariamente un acto de la razón práctica. El juicio de la prudencia versa sobre cuestiones contingentes en las que no es posible emplear argumentos absolutos sino argumentos de probabilidad. La elección prudencial, aun siendo un acto de razón, pone en juego las virtudes morales y exige al intérprete querer conocer la verdad, ser fiel a la realidad que se hace presente en el caso, y ser dócil a los requerimientos de las fuentes del derecho y de la historia. En el caso de la interpretación in Ecclesia, el intérprete habrá de atender a los estímulos que proceden también del magisterio y de la potestad pastoral. Interpretar la ley canónica no es simplemente un acto racional realizado con plena neutralidad ética, sino una actitud que arrastra responsabilidades morales.
gitur de voluntate submissa freno rationis. Non est enim prudentia, sed fatuitas, ubi deficit ratio» (Niccolò Tedeschi [Abbas Panormitanus], Commentaria in Decretales, Venetiis 1582, vol. I, f. 21rb [cit. por Condorelli, «Prudentia in iure» (nt 23), p. 190 – 191, nt 161]).
Optima regula interpretationis iuris?! C. 6 § 2 CIC1 und die Interpretation kirchlicher Rechtsnormen in der Spannung von geltendem Recht und traditio canonica Thomas Schüller
I. Einleitung Rechtstheoretische Beiträge, etwa zu Fragen der Rechtsapplikation, der Norminterpretation, oder der Geltung und Begründung von kirchlichen Rechtsnormen2, gehören zumindest in der deutschsprachigen Kanonistik zu den seltenen Ausnahmen. Daran können auch die zahlenmäßig etwas breiter aufgestellten Arbeiten zur rechtstheologischen Begründung des Kirchenrechts3 nichts ändern. Helmuth Pree ist einer der wenigen Kirchenrechtler, der sich von Anfang an und dann über die lange Zeit seines wissenschaftlichen Arbeitens für eine innovative Fortschreibung der kirchlichen Rechtstheorie4 eingesetzt hat. Ich bin ihm für diese Beiträge außerordentlich 1 C. 6 § 2 CIC: „Canones huius Codicis, quatenus ius vetus referunt, aestimandi sunt ratione etiam canonicae traditionis habita.“ 2 Vgl. z. B. Bernd Th. Drößler, Bemerkungen zur Interpretationstheorie des CIC/1983, in: AfkKR 153 (1984), S. 3 – 34; Richard Potz, Rechtsbegriff und Rechtsfortbildung nach dem CIC/1983, in: Concilium 22 (1986), S. 173 – 178; ders., Ökumenische Interpretation. Zur gegenwärtigen Situation der kanonistischen Auslegungslehre, in: ÖAKR 35 (1985), S. 62 – 83; Remigiusz Sobánski, Zu den Interpretationsregeln des kirchlichen Gesetzbuches, in: Iustus Iudex. FS für Paul Wesemann. Hrsg. v. Klaus Lüdicke/Heinrich Mussinghoff/Hugo Schwendenwein (= MK CIC. Beihefte 5), Essen 1990, S. 693 – 707; Péter Erdö, Das „Heil der Seelen“ im Codex Iuris Canonici. Ein öffentlich-rechtliches Prinzip der Interpretation und Rechtsanwendung, in: AfkKR 172 (2003), S. 84 – 96. 3 Vgl. beispielhaft Péter Erdö, Theologie des Kanonischen Rechts. Ein systematisch-historischer Versuch, Münster 1999; Markus Graulich, Unterwegs zu einer Theologie des Kirchenrechts (= KStKR 6), Paderborn 2005; Michael Böhnke, Kirche in der Glaubenskrise. Eine pneumatologische Skizze zur Ekklesiologie und zugleich eine theologische Grundlegung des Kirchenrechts, Freiburg/Basel/Wien 2013. 4 Beispielhaft seine Habilitationsschrift, vgl. Helmuth Pree, Die evolutive Interpretation der Rechtsnorm im Kanonischen Recht, Wien/New York 1980; ders./Hans Heimerl, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, Wien/New York 1983; ders., Bemerkungen zum Normenbegriff des CIC/1983, in: ÖAKR 35 (1985), S. 21 – 62; ders., Zum Stellenwert und zum Verbindlichkeitsanspruch des Rechts in Staat und Kirche, in: ÖAKR 39 (1990), S. 1 – 23; ders., Zur Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit des Ius Divinum, in: Theologia et Ius
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dankbar und erfahre aus ihnen stets wertvolle Impulse für die eigene Auseinandersetzung mit den komplexen Fragestellungen der Interpretation von kirchenrechtlichen Normen5. Wie wichtig es jedoch ist, sich mit den benannten Problemkomplexen zu beschäftigen, zeigt die seit einiger Zeit in der Kirchenrechtswissenschaft schwelende Debatte, ob – in einer prononcierten Formulierung von Norbert Lüdecke – der Codex das Konzil sticht6, oder umgekehrt, die Normen des kirchlichen Gesetzbuches von 1983 vom II. Vatikanum her zu interpretieren sind. Diese kontrovers diskutierte These wirft schlagschlichtartig die rechtstheoretische Grundsatzfrage auf, worin letztlich der Geltungsanspruch kirchenrechtlicher Normen begründet liegt, und nur von daher versteht man die leidenschaftliche Replik aus Dogmatik und Kirchenrechtswissenschaft7 auf diesen postulierten geltungstheoretischen Ansatz der „korrekten“ Canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres. Hrsg. v. Heinrich J. F. Reinhardt, Essen 1995, S. 111 – 135; ders., Forum externum und forum internum. Zur Relevanz des Gewissensurteils im kanonischen Recht, in: AfkKR 168 (1999), S. 25 – 50; ders., Le tecniche canoniche di flessibilizzazione del diritto: Possibilità e limiti ecclesiali di impiego, in: Ius Ecclesiae 12 (2000), S. 375 – 418; ders., Generalia iuris principia im CIC/1983 und ihre Bedeutung für das Kanonische Recht, in: AfkKR 172 (2003), S. 38 – 57; ders., Kirchenrechtstheorie als eigenständige kanonistische Grundlagendisziplin, in: AfkKR 178 (2009), S. 52 – 67. 5 Vgl. Thomas Schüller, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation in der Kirche im Dienste des salus animarum. Ein kanonistischer Beitrag zu Methodenproblemen der Kirchenrechtstheorie (= FzK 14), Würzburg 1992; ders., Über die Kunst der Interpretation kirchenrechtlicher Normen, in: DPM 2 (1995), S. 301 – 310; ders., Art. Barmherzigkeit IV. Kirchenrechtlich, in: LThK3 II, Sp. 16; ders., Art. Aequitas Canonica, in: LKStKR I, S. 35 – 36; ders., Art. Salus animarum, in: LKStKR III, S. 491 – 492; ders., Das Heil der Gläubigen im Blick. – Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsanwendung, in: Barmherzigkeit verändert. Facetten eines lebensbereichernden Weges. Hrsg. v. Norbert Göckener, Münster 2008, S. 181 – 196. 6 Vgl. erstmalig als These vorgetragen von Norbert Lüdecke, Der Codex Iuris Canonici als authentische Rezeption des Zweiten Vatikanums. Statement aus kanonistischer Sicht, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 26 (2007), S. 47 – 69, hier S. 65; dann vertieft zu finden in ders./Georg Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, S. 40. 7 Vgl. beispielhaft Markus Graulich, Studium Codicis, Schola Concilii. Zweites Vatikanisches Konzil und Codex Iuris Canonici bei Johannes Paul II., in: Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. FS für Klaus Lüdicke (= MK CIC. Beihefte 55). Hrsg. v. Dominicus Meier u. a., Essen 2008, S. 163 – 182; Ludger Müller, Codex und Konzil. Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils als Kontext zur Interpretation kirchenrechtlicher Normen, in: AfkKR 169 (2000), S. 469 – 491; Myriam Wijlens, Zur Verhältnisbestimmung von Konzil und nachkonziliarer Rechtsordnung. Eine theologisch-kanonistische Reflexion, in: Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute. Hrsg. von Peter Hünermann u. a., Freiburg i.Br. 2006, S. 331 – 339; dies., Das Zweite Vatikanum als Fundament für die Anwendung des Rechtes. Hermeneutische Reflexionen und praktische Konsequenzen, in: TGgW 50 (2007), S. 2 – 14; dies., Die Konzilshermeneutik und das Kirchenrecht, in: Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. FS für Klaus Lüdicke (= MK CIC. Beihefte 55). Hrsg. v. Dominicus Meier u. a., Essen 2008, S. 711 – 729; dies., Vatican II and the Interpretation of the Code, in: Proceedings
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Kanonistik, der sich jedoch letztlich im wenig haltbaren Versuch eines „newly designed, yet wanna-be“ kirchlichen Rechtspositivismus erschöpft. Schon deswegen liegt es nahe, die Norm des c. 6 § 2 CIC, die zugleich geltungstheoretisch das geltende Recht mit dem alten Recht in Verbindung setzt, näher auf ihre aktuelle Bedeutung für eine Interpretationstheorie des Kirchenrechts zu untersuchen. Ist sie als lex specialis zu den Interpretationsnormen cc. 17 – 19 CIC zu verstehen, als „U-Boot“, mit dem quasi unter der Hand im Sinne eines überkommenen Traditionsverständnisses immer wieder das alte Recht ein Comeback erfährt?8 Oder sorgt sie dafür, dass im Sinne von Papst Benedikt XVI. die Hermeneutik der Kontinuität9 die rechte Form der Traditionsbewahrung auch im Kirchenrecht darstellt? Um es konkret auf den Punkt zu bringen: wie ist es also um den Stellenwert des „alten Rechts“ in der praktischen Anwendung tatsächlich bestellt – sind die Norm des c. 6 § 2 CIC/1983 und seine direkte Vorgängernorm, der c. 6, 28 des CIC/1917 eklektisches Glasperlenspiel für den kanonistischen Schreibtisch, oder besaßen und besitzen diese Normen praktische Relevanz für das Agieren in Judikatur und Verwaltung? Ein Blick in die letzten 100 Jahre der konkreten Anwendung kirchlichen Rechts durch die römische Kurie tut an dieser Stelle sicherlich Not, um beispielhaft Weite und Komplexität des Problemhorizontes zu umreißen: Explizite Verweise auf c. 6 § 28 CIC/1983 und c. 6, 28 CIC/1917 sind in der Judikatur der RR eher selten zu finden, dennoch soll an zwei ausgewählten Beispielen materiellrechtlicher und prozeduraler Natur aufgezeigt werden, wie verschiedene Turni dieses päpstlichen Gerichts in Gegenwart und Vergangenheit bei der Rechtsanwendung eine konkrete Verhältnisbestimmung zum alten Recht vornehmen: Unter den Rota-Decisiones des Jahres 1950 findet sich u. a. ein Urteil in einer Ehenichtig-
Canon Law Society of Australia and New Zealand 45 (2011), S. 3 – 19; dies., Die Verbindlichkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine kirchenrechtliche Betrachtung, in: Zweites Vatikanisches Konzil. Programmatik – Rezeption – Vision. Hrsg. v. Christoph Böttigheimer (= QD 261), Freiburg i.Br. 2014, S. 37 – 62. 8 Eine solche Sichtweise ist durchaus auch in den weltlichen Rechtswissenschaften, zum Beispiel im angelsächsischen Recht mit der Theorie des sog. „Originalism“ verbreitet. Vgl. Grant Huscroft/Bradley W. Miller (Hrsg.), The Challenge of Originalism. Theories of Constitutional Interpretation, Cambridge 2011, hier vor allem der Beitrag von Lawrence B. Solum, What is Originalism? The Evolution of Contemporary Originalist Theory, in: ebd., S. 12 – 41. Solum bilanziert am Ende seiner Darstellung, dass trotz aller divergierender Positionen im Originalismus nahezu alle Vertreter in folgenden Punkten übereinstimmen: „Almost all originalists agree that the original meaning of the Constitution was fixed at the time each provision was framed and ratified. Most originalists agree that the original meaning of the Constitution should strongly constrain the content of constitutional doctrine.“ Es wäre eine lohnende Studie, den Originalismus mit dem Ansatz von Papst Benedikt XVI. einer Hermeneutik der Kontinuität zu vergleichen. Diese Darstellung kann aber an dieser Stelle nicht erfolgen. 9 Vgl. Thomas Schüller, Der CIC – die Krönung des II. Vatikanum? Zur Hermeneutik des Bruches vs. Hermeneutik der Kontinuität (Papst Benedikt XVI.) am Beispiel des kirchlichen Verfassungsrechtes, in: 50 Jahre danach… Das Zweite Vatikanische Konzil und seine Folgen. Hrsg. v. Dirk Ansorge (= Frankfurter Theologische Studien 70), Münster 2013, S. 411 – 433.
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keitssache coram Felici10 in zweiter Instanz: Die 17-jährige Rosa fiel im November 1941 einer Vergewaltigung durch Ioseph zum Opfer. Die erzürnten Eltern bestanden darauf, dass die zugefügte Schmach durch eine gerechte Heirat (iustas nuptias!) wiedergutzumachen sei – und so wurde am 20. 12. 1941 geheiratet. Es dürfte kaum überraschen, dass sich allerdings kein glückliches Eheleben einstellte; das Paar trennte sich schon um Ostern 1942. Schließlich klagte Rosa im Mai 1942 erstinstanzlich auf Feststellung der Nichtigkeit ihrer Ehe „ex capite vis et metus sibi a patre incussi“.11 Das erstinstanzliche Gericht gelangte zu einer negativen Entscheidung, auf dem Weg der Berufung gelangte der Fall also zweitinstanzlich an die RR. Im in iure Teil der (affirmativen) Entscheidung entfaltet Felici sorgfältig die Rechtslage und kommt schließlich zu der Feststellung, dass hinsichtlich des (Ehrfurcht-) Zwangs außer schwersten Drohungen ein solch starker Befehl (zu heiraten, TS) gegeben werden müsse, von dem der Untergebene sich, ohne schwere Verärgerung der Oberen oder der Eltern, nicht befreien könne. So weit so gut. Was freilich den Beweis der Schwere des Ehrfurchtszwangs angehe, so seien sich jedoch die sehr klugen Vorschriften der Instruktion des Hl. Offiziums vom 1883 vor Augen zu führen, welche, aus c. 6, 28 CIC/17, in ihrer Wirksamkeit gänzlich (fort-)bestünden.12 Die Instruktion, auf die sich Felici – quasi als praxisrelevante Ergänzung zu CIC und Eheprozessordnung – hier bezieht, enthält in den §§ 36 – 38 De impedimento vis ac metus ausführliche Anweisungen zur Beweisführung in Ehenichtigkeitsverfahren mit Klagegrund Furcht und Zwang, beispielsweise wird detailliert vorgeschrieben, wer in einer solchen causa vernommen werden soll: die Parteien, deren Eltern, jene, denen vorgeworfen wird, Zwang ausgeübt zu haben, Verwandte und Bekannte, schließlich auch der Traupriester. Dem Richter wird eingeschärft, Leumunds- und Glaubwürdigkeitszeugnisse über alle Beteiligten einzuholen, sowie überhaupt auf der Hut zu sein, „utrum aliqua collusionis suspicandae caussa subsit“.13 Auch hinsichtlich prozessrechtlicher Fragestellungen finden sich in der Judikatur der RR14 durchaus explizite Rekurse auf ius vetus, so beispielsweise in einer causa 10
RR coram Felici, sent. diei 19. 06. 1950, in: RRDec XLII, S. 489 – 496. Vgl. ebd., S. 489, Nr. 1. 12 „Ad coactionem vero attinet, praeter minas gravissimas […] demonstretur grave imperium, a quo subditus, sine gravi superiorum vel parentum indignatione, subtrahi nequeat. Ad ostendendam tamen metus huius reverentialis gravitatem, prae oculis habendae sunt sapientissimae normae Instr. S. Officii a. 1883, quae, ex can. 6, 2, sua virtute stant plenissima.“ Ebd., S. 490, Nr. 2. 13 SC SRUInq, Instructio ad Patriarchas, Archiepiscopos, Episcopos Rituum orientalium in causis Matrimonialibus adhibenda, probata in Congregatione generali Eminentissimorum ac Reverendissimorum PP. in rebus fidei Inquisiturum Generalium, Feria IV die 20 Iunii 1883, in: ASS 18 (1885), S. 344 – 386. 14 Interessanterweise sei in diesem Zusammenhang außerdem erwähnt, dass offenbar auch für die Interpretation der lex propria der RR ein hermeneutisches Verständnis zugrunde gelegt wird. So heißt es in Art. 120 der NRRT von 1994: „Si quaestio oriatur de interpretatione harum Normarum, recursus fiat ad Normas anno 1934 promulgatas, iis exceptis, quae vigenti Iuris Canonici Codici refragantur.“ Vgl. AAS 86 (1994), S. 508 – 540, hier S. 550 und Piero Bonnet/Carlo Gullo (Hrsg.), Le „Normae“ del Tribunale della Rota Romana (= Studi Giuri11
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praeiudicialis coram Pinto aus dem Jahr 1987,15 die sich ebenfalls etwas näher zu betrachten lohnt. Die hier behandelte Frage ist – obschon zumindest in der deutschsprachigen Judikatur sicherlich nicht von hoher Relevanz – gleichzeitig auch gute Illustration dafür, dass es „die“ Rechtsauffassung oder „die“ Judikatur der RR nicht gibt, und unterschiedliche Turni in identisch gelagerten Sachverhalten durchaus zu diametral gegensätzlichen Auffassungen gelangen können.16 Die Klägerin im konkreten Fall reichte im Jahr 1986 bei dem für sie zuständigen kirchlichen Gericht der Erzdiözese Caracas/Venezuela Ehenichtigkeitsklage ein, der Offizial lehnte die Klageschrift jedoch mit Verweis auf c. 1505 § 2, 48 ab: „la petición aparece desprovista de suficiente fundamento jurídico y non cabe esperar que del proceso aparezca
dici 42), Vatikanstadt 1997, hier S. 294. Beispielhaft für die (potenzielle) Anwendung des Art. 120 sei hier die Feststellung: „A proposito die decreti incidentali del Turno, le Norme precedenti del 1934 permettevano la loro revoca (come pure quella della sentenza interlocutoria „sive ex se, auditis partibus, sive ad instantiam unius partis, audita altera parte (Art. 114 § 2). Si può sostenere che tale facoltà del Turno, conforme al diritto comune (can. 1591), radicata anche nello ,stylus‘ della Rota, rimanga in vigore anche in virtù dell’art. 120 delle nuove Norme.“ Sebastiano Villeggiante, Le questioni incidentali presso il Tribunale della Rota Romana, in: ebd., S. 241 – 269, hier S. 267. 15 RR coram Pinto, decr. Diei 23. 03. 1987, in: RRDecr V, S. 50 – 51; vgl. auch Antonio Fanelli, Relatio super iurispridentia de ritu in Decisionibus Incidentibus et Praeliminaribus latis a Tribinali Apostolico Rotae Romanae, a nova Codificatione Juris Canonici usque ad praesentarium, Pars I (1984 – 1988), Vatikanstadt 2003, S. 120 – 121. 16 In einer ähnlich gelagerten Frage lehnte z. B. der Turnus coram Stankiewicz mit Dekret vom 10. 10. 1985 die restitutio in integrum nach doppelter Ablehnung der Klageschrift ab, Begründung: Ehesachen würden ohnehin niemals in Rechtskraft erwachsen, vgl. Fanelli (Anm. 15), S. 76. Der nachfolgende Turnus coram Bruno ließ die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Dekret vom 23. 05. 1986 jedoch zu. Obschon die zweifach abgelehnte Klageschrift keine Berufungsmöglichkeit mehr vorsehe, stehe die Möglichkeit der restitutio in integrum offen. Ein Dekret, was die Klageschrift ablehne sei nicht mit einem Dekret in anderen Zwischensachen vergleichbar, da es den Kläger der Möglichkeit beraube, überhaupt eine Entscheidung in der Sache zu bekommen. Daher schaffe die zweifache Ablehnung der Klageschrift sehr wohl res iudicata i. S. d. c. 1644. Ausführlich beschäftigt sich im Jahr 2012 auch der Turnus coram McKay mit der gleichen Fragestellung; nach eingehender Analyse der vorgetragenen Argumente, die für die Gewährung der restitutio in integrum sprechen, insbesondere auch die von Lega/Bartocetti, schließt sich das Kollegium letztlich jedoch der abweichenden Meinung Robertis an, die bislang in den erwähnten Dekreten keinerlei Eingang gefunden hatte: „Natura huius recursus est prorsus singularis. Analogiam praebet cum appellatione […], a qua tamen differt, sive quia nec sententia nec processus praecessit, sive quia a decreto non datur appellatio (c. 1880 n. 6) sive tandem quia quaestio non pertinet ad rem iudicatam. […] Unus tantum recursus admittitur. Admissio vel reiectio libelli facta a tribunali cui recursus factus est definitiva (c. 1709 § 3, 1800 n. 7)“, Franciscus Roberti, De processibus I, Rom 1926, S. 431. Schlagkräftig ist in der Sache weiterhin folgende Feststellung: Ein Prozess schaffe Recht zwischen den Parteien, die Ablehnung der Klageschrift sei allerdings keine Frage von Rechten zwischen Parteien, sondern vielmehr Sache zwischen dem Richter und dem Kläger, daher fehle in der richterlichen Entscheidung der Ablehnung einer Klageschrift ein wesentliches Element, das die Angelegenheit zur res iudicata machen könne. Daher sei restitutio in integrum in der Sache unzulässig, vgl. RR coram McKay, dec. diei 02. 06. 2012, Posnan., Prot. Nr. 21515, Nr. 10.
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alguno“17. Die Klägerin rekurrierte an das berufene Richterkollegium in Caracas, welches die Entscheidung jedoch bestätigte; darauf wandte sich die Klägerin mit weiterem Rekurs gegen eben dieses Dekret an die RR. Nach Anhören des Bandverteidigers und des Kirchenanwalts hatte nunmehr der zuständige Turnus der RR zwei Fragen zu entscheiden: erstens, ob die Berufung gegen das Dekret mit dem die Klageschrift zum zweiten Mal abgelehnt wurde überhaupt zulässig sei und zweitens – obschon von den Klägerin nicht explizit beantragt oder erbeten –, ob in einem solchen Fall der außerordentliche Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne, da im konkreten Fall die Ablehnung der Klageschrift möglicherweise nicht nur Prozessrecht verletze, sondern vielmehr eine offenkundige Ungerechtigkeit darstelle (c. 1645, 48). Hinsichtlich des ersten Punktes sind die Ausführungen kurz: die Frage der Klageschriftablehnung sei expeditissime zu entscheiden (c. 1505 § 4), gem. c. 1629, 58 gibt es gegen solche Entscheidungen keinerlei Berufung.18 Deutlich länger und ausführlicher fällt die Behandlung der zweiten Frage aus: Doktrin und Kommentarliteratur zum CIC/1917 kenne die restitutio in integrum gegen die Ablehnung der Klageschrift und daher sei in den Angelegenheit gemäß c. 6 § 2 CIC/83 sowie unter Berücksichtigung der probati auctores genau so zu verfahren.19 Gegen den möglichen Einwand, es handele sich bei einem Dekret um kein Endurteil, stellt der Turnus fest, dieser Umstand bereite keinerlei Schwierigkeiten, der Effekt sei schließlich exakt derselbe. Ebenfalls sei es unschädlich, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht modo expresso erbeten worden sei; es zeige sich implizit, dass in diesem Fall Berufung nicht gegeben sei, vielmehr aber die Bedingungen für die restitutio in integrum – „Iura novit curia“.20 Der Rekurs auf c. 6 § 2 CIC/1983 bzw. c. 6, 28 CIC/1917 ist allerdings keineswegs proprium der Gerichte, sondern auch in Verwaltungsentscheidungen spielt diese Norm offenbar eine Rolle:21 Im Jahr 1923 beschäftigte sich die Konzilskongregation mit einer Anfrage des Bischofs von Regensburg,22 der Entscheidung hinsichtlich der Fortgeltung einer Resolution ebendieser Kongregation an den Bischof von Breslau 17
RR coram Pinto, decr. diei 23. 03. 1987, in: RRDecr V, S. 50. Ebd., S. 51, 1). 19 Ebd., S. 51, 2) a): „iure Codixis 1917 doctrina praevalens admittebat restitutionem in integrum hoc in casu. Cf. T. Muniz, Procedimientos eclesiásticos, III, 126, n. 123; F. Della Rocca, Istituzioni di diritto processuale canonico, 1946, p. 185; M. Lega – V. Bartocetti, Commentarius in sudicia ecclesiastica, II, 1950, p. 520; M. Conte a Coronata, Institutiones iuris canonici, III, 1963, n. 1238; L. Miguélez, Código de derecho canonico de la BAC, 1969 (commentario al can. 1709).“ 20 Ebd., S. 52, 2) d). 21 Weitere mehr oder weniger kuriose Beispiele finden sich bei: Suso Mayer, Neueste Kirchenrechts-Sammlung, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1953, S. 23 f.; ders., Neueste KirchenrechtsSammlung, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1954, S. 57; ders., Neueste Kirchenrechts-Sammlung, Bd. 3, Freiburg i. Br. 1955, S. 9. 22 SC Conc, res. diei 10. 02. 1923, Ratisbonen., Duelli, in: AAS 15 (1923), S. 154 – 156. 18
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aus dem Jahr 1890 erbat.23 Gegenstand dieser Resolution: die Mensur, also der geordnete, traditionelle Fechtkampf mit scharfen Waffen, in schlagenden Studentenverbindungen. Mit Erschrecken hatte der Bischof von Breslau feststellen müssen, dass sich nunmehr in seinem Seminar Priesteramtskandidaten befanden, die während ihres Studiums an der Breslauer Universität in den Studentenverbindungen an Mensuren beteiligt gewesen waren. Da es nun an die Erteilung der Tonsur ging, sollte geklärt werden: „an et quanam irregularitate irriti essent, utrum videlicet ex defectu famae an ex defectu lenitatis, cum irregularitas ex homicidio, cessante periculo mortis vel mutilationis, manifesto a casu exularet.“24
Die Konzilskongregation hatte damals in ihrer Entscheidung aus dem Jahr 1890 die Duellanten wie auch deren Sekundanten bzw. „patrini“ für irregulär erklärt, „ex infamia iuris“25, und weiterhin befunden, auch Mensuren seien ob ihres großen Verletzungsrisikos als wirkliche Duelle zu betrachten.26 Die Konsequenz: Heilige Weihen konnten von den Beteiligten ohne päpstliche Dispens nicht empfangen werden.27 C. 2351 § 1 CIC/191728 bestimmte jedoch nunmehr weiterhin, dass diejenigen, die an einem Duell teilnahmen, sich die Tatstrafe der Exkommunikation „sedi Apostolicae simpliciter reservatae“ zuzögen. In Deutschland war es diesbezüglich indes zwischen Kanonisten und den bischöflichen Kurien nach Promulgation des CIC/ 1917 zu einem Dissens gekommen: die einen wollten das Wort duellum – und daher auch c. 2351 CIC/1917 – noch gemäß der genannten Resolution interpretiert wissen, die anderen beriefen sich jedoch, gemäß des Prinzips „odiosa sunt restringenda“ (bzw. auch c. 19 CIC/1917!) darauf, dass die Mensur kein Duell sei und daher c. 2351 CIC/1917 nicht greife, bzw. die Tatstrafe gem. c. 2245 § 4 CIC/191729 zumindest nicht päpstlicher Reservation unterliege. Eine Vielzahl von Priestern, so der besorgte Bischof, sei nunmehr der Auffassung, dass diese Situation nicht nur die Seelen der Jugendlichen verunsichere, sondern vielmehr auch die kirchliche Disziplin der Lächerlichkeit preisgebe:
23 SC Conc, res. diei 09. 08. 1890, Wratislavien., Irregulitatis, in: ASS 23 (1890/91), S. 234 – 243. 24 SC Conc, Ratisbonen (Anm. 22), S. 155. 25 Ebd. 26 SC Conc, Wratislavien (Anm. 23), S. 242 f. 27 Vgl. ebd., S. 242. 28 Can. 2351 § 1: „Servato praescripto can. 1240 § 1, n. 4, duellum perpetrantes aut simpliciter ad illud provocantes vel ipsum acceptantes vel quamlibet operam aut favorem praebentes, nec non de industria spectantes illudque permittentes vel quantum in ipsis est non prohibentes, cuiuscumque dignitatis sint, subsunt ipso facto excommunicationi Sedi Apostolicae simpliciter reservatae.“ 29 Can. 2245 § 4: „Censura latae sententiae non est reservata, nisi in lege vel praecepto id expresse dicatur; et in dubio sive iuris sive facti reservatio non urget.“
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„Quare humilissime petitur solutio questionis: An resolutio Sacra Congregationis Concilii data in Wratislavien., Irregularitatis, diei 9 augusti 1890, hodiedum vigeat, in casu.“30
Die Antwort der Kongregation, die von Papst Pius XI. bestätigt und approbiert wurde, ist kurz und eindeutig: der Codex enthalte nichts, was den Wert der Resolution von 1890 schmälern würde, noch viel weniger habe der Codex eine neue Definition von duellum geliefert, daher weiche die alte Anordnung in keiner Weise vom zitierten Canon (c. 2351 CIC/1917) ab.31 Es zeigt sich an diesem Beispiel also deutlich, dass die Kongregation eine rechtspositivistische bzw., eine sich auf den reinen strengen Wortlaut des Begriffs duellum beziehende Interpretation strikt ablehnt, und vielmehr dem c. 6, 28 CIC/1917 und der daraus zwangläufig resultierenden hermeneutischen Interpretationsmethode – selbst in Strafsachen – hohe Bedeutung zuspricht. Der durchaus berechtigte Einwand, gemäß c. 18 CIC/1917 bzw. nunmehr c. 17 CIC/1983 seien die Canones zu interpretieren secundum propriam verborum significationem in textu et contextu consideratam erhält hier also keinen Raum; damit dürfte weiterhin auch eine Verhältnisbestimmung zwischen c. 18 CIC/1917 und c. 6, 28 seitens der Konzilskongregation vorgenommen sein.
II. C. 6 § 2 CIC – die Norm und ihre Bedeutung32 Die drei Kodifikationen des kirchlichen Rechts im 20. Jahrhundert – CIC/1917, CIC 1983 und CCCEO 1990 – stehen im Kontext einer lang andauernden kirchlichen Rechtsgeschichte.33 „Zur Vielgestaltigkeit des Kirchenrechts gehört auch seine historische Dimension. Stärker als staatliches Recht ist es mit der Geschichte verwoben und in vielem nur von der Geschichte her zu verstehen.“34 30
S. Cong. Concilii, Ratisbonen (Anm. 22), S. 155. „Videtur, equidem, respondendum nihil per Codicem iuris canonici esse de valore resolutionis Sacrae Congregationis Concilii 9 augusti 1890 detractus. Et res indubia existit consideranti quod nihil hac in re Codex innovavit de vetere disciplina, multoque minus novam definitionem criminis duelli dedit… […] dispositio in nullo discrepat a canone citato.“ Ebd., S. 155 f. 32 Helmuth Pree hat sich mehrfach mit c. 6 § 2 CIC befasst; vgl. Helmut Pree, Traditio canonica. La norma de interpretacíon del c. 6 § 2 del CIC, in: Ius canonicum 35 (1995), S. 423 – 446; ders., Der Stellenwert der Tradition im kanonischen Recht. Die Auslegungsregel des c. 6 § 2 CIC/1983, in: Plenitudo legis dilectio. FS für B. W. Zubert. Hrsg. v. Antoniego Debin´skiego/Elzˇbiety Szczot, Lublin 2000, S. 543 – 571; ders., Art. Tradición canónica, in: Diccionario general de derecho canónico VII, S. 619 – 621. 33 Vgl. Pree, Kirchenrechtstheorie (Anm. 4), S. 53 f. 34 Ebd., S. 54. Vgl. auch ders., Stellenwert (Anm. 32), S. 547: „Aufgabe und Sinn von Tradition (einschließlich der Rechtstradition) der Kirche ist es daher, die einheitsstiftenden und identitätsverbürgenden Elemente zu verbinden mit der ort- und zeitgebundenen Vergegenwärtigung der Wahrheit, d. h. der Ermöglichung von Kontinuität (Weiterentwicklung nach identischen Prinzipien), damit gewährleistet wird, daß die Sendung der Kirche immer und überall als identisch erfahren werden kann.“ 31
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Pree bringt diesen engen Zusammenhang von geltendem Recht und seinen historischen Wurzeln mit der Formel „Kontinuität verstanden als Identität im Wandel“35 prägnant auf den Punkt. Es überrascht daher nicht, dass der universalkirchliche Gesetzgeber zu Beginn der drei genannten Codices Normen aufgreift, die das Verhältnis des neuen zum alten Recht zum Gegenstand haben. Für den Codex von 1983 sind neben c. 6 zum Beispiel die cc. 20, 21 und 28 CIC zu nennen. Dabei stehen diese Überleitungsnormen in unterschiedlichen rechtsgeschichtlichen Kontexten. Während es dem Gesetzgeber 1917 höchstens nachrangig darum ging, eine inhaltliche Neuordnung des Kirchenrechts vorzunehmen, sondern vielmehr den unübersichtlich gewordenen Rechtsstoff neu und systematisch zu ordnen, ging es 1983 um die rechtliche Umsetzung des II. Vatikanums und 1990 beim CCEO um die Rückbesinnung auf die eigenen Rechtstraditionen der unierten Ostkirchen, um einer lang andauernden Latinisierung entgegenzuwirken.36 Nur aus diesen unterschiedlichen Promulgationskontexten lassen sich daher diese Normen, die zugleich Überleitungs- wie Interpretationsnormen sind, in ihren divergierenden Rechtsgehalten und ihrer Bedeutung für den jeweiligen Rechtskreis verstehen. 1. Eine Vergewisserung im Rückblick: c. 6 CIC/191737 Leitend für die Arbeit am CIC von 1917 war die Absicht des Gesetzgebers, am bisherigen Rechtszustand festzuhalten38.39 Dabei bestand aber das Problem, angesichts der schier unüberschaubaren Fülle der Quellen allein zum Dekretalenrecht40, das überbordende Material nach formalen Kriterien zu ordnen und zu systematisieren und dort, wo notwendig und sinnvoll, Lücken zu schließen bzw. Normen an die gewandelten Verhältnisse anzupassen.41 Von daher waren die Auslegungsnormen in c. 6 CIC/1917 nur konsequent: 35
Ebd. Vgl. George Nedungatt, Ancient Law in CCEO. The Interpretation of Canon 2 CCEO, in: Ius commune in oriente et occidente. FS für Carl Gerold Fürst. Hrsg. v. Hartmut Zapp/ Andreas Weiß/Stefan Korta (= AIC 25), Frankfurt a.M. 2003, S. 87 – 115, hier S. 101: „In CCEO can. 2 there is question of ,ancient law‘ (,ius antiquum‘), not of ,old law‘ (,ius vetus‘). With reference to CCEO ,ius vetus‘ would be CICO, which was indeed much latinized and has been abolished by CCEO can. 6, 18 with the clause ,materia in Codice ex integro ordinate‘.“ Nedungatt verweist auf den Auftrag des II. Vatikanums in OE 6, dass die unierten Ostkirchen zu ihren eigenen Rechtstraditionen zurückkehren sollen. 37 Vgl. Nicolas J. Neuberger, Canon 6 or The Relation of the Codex Juris Canonici to Preceding Legislation (= Catholic University of America Canon Law Studies 44), Washington 1927, hier S. 70 – 78. 38 Vgl. Helmut Schnizer, Traditio canonica und vigens disciplina – die eine und die andere Kontinuität im kanonischen Recht, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Louis C. Morsak/Markus Escher, Zürich 1989, S. 353 – 378, hier S. 354. 39 Vgl. c. 6 CIC/1917: „Codex vigentem huc usque disciplinam plerumque retinet, licet opportunas immutationes afferat.” 40 Vgl. Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 365. 41 Vgl. Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 548. 36
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„Canones qui ius vetus ex integro referunt, ex veteris iuris auctoritate, atque ideo ex receptis apud probatos auctores interpretationibus, sunt aestimandi“ (c. 6, 28). „Canones qui ex parte tantum cum veteri iure congruent, qua congruent, ex iure antique aestimandi sunt; qua discrepant, sunt ex sua ipsorum sententia diiudicandi“ (c. 6, 38). „In dubio num aliquod canonum praescriptum cum veteri iure discrepet, a veteri iure non est recedendum“ (c. 6, 48).
Nimmt man noch c. 23 CIC/1917 hinzu, der in dem Fall des Zweifels, ob eine Norm mit dem alten Recht übereinstimmte, festschrieb, dass von alten Recht nicht abgewichen werden durfte42, dann wird das Beharrungsvermögen, am alten Recht trotz der Neukodifikation festzuzuhalten, mehr als deutlich. In der Parallelnorm des alten Codex zu c. 6 § 2 CIC/1983 wird darauf hingewiesen, die aus dem alten Recht übernommenen Normen nach der Autorität des alten Rechts („ex veteris iuris auctoritate“) zu bewerten. Dabei verweist der Gesetzgeber auf die „probati auctores“ – wer damit jedoch genau gemeint ist, wird vom Recht selbst nicht definiert. Sicherlich sind darunter jene Autoren zu zählen, deren Meinung in der Römischen Kurie Gehör fand, „qui in Curia Romana bene audiunt“43.44 Diese stellten mit ihren Lehrbüchern und Kommentaren die herrschende Meinung dar, galten aufgrund ihrer reichhaltigen Einbeziehung des umfänglichen Quellenma42 Vgl. ebd., S. 550 mit dem zutreffenden Hinweis, dass c. 23 CIC/1917 bzw. c. 21 CIC als generelle Normen zu c. 6 in der jeweiligen Fassung anzusehen seien, da sich diese nur auf den jeweiligen CIC bezögen. 43 Franz Xaver Wernz/Petrus Vidal, Ius Canonicum I: Normae Generales, Rom 1938, S. 137 – 138; vgl. auch Christoph H. Meyer, Probati auctores. Ursprünge und Funktionen einer wenig beachteten Quelle kanonistischer Tradition und Argumentation, in: Rechtsgeschichte 20 (2012), S. 138 – 154. 44 Vgl. Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 549 mit Verweis auf Gommarus Michiels, Normae Generales Iuris Canonici I, Paris/Tournai/Rom 21949, S. 143. Pree nennt Faganus († 1678); Reiffenstuel († 1703); Schmalzgrueber († 1735); Petra († 1747), Giraldi († 1775); Pirhing († 1679); Lambertini (der spätere Papst Benedikt XIV., [† 1758]); Barbosa († 1649); De Luca († 1683); Sanchez († 1619); Engel († 1674); Santi († 1885); Wernz († 1914); De Angelis († 1881); Gasparri († 1934) mit Verweis auf Heribert Jone, Commentarium in Codicem Iuris Canonici I, Paderborn 1959, S. 23; vgl. auch Wernz/Vidal (Anm. 43), S. 138, für prozessrechtliche Fragen sind sicherlich auch noch Lega († 1936) und Roberti († 1977) zu nennen. Eine noch ausführlichere Liste von auctores probati bietet außerdem Neuberger, Canon 6 (Anm. 37), S. 76 – 78; letztere Liste basiert auf der Analyse aller in den AAS zitierten Autoren im Zeitraum von 1918 bis 1924. Es muss allerdings kritisch die Frage gestellt werden, ob durch eine einmalige Zitation bereits der Status eines auctor probatus erreicht ist; insbesondere die in den Urteilen der RR zitierten Autoren wären hier sicherlich eine eigene Untersuchung wert. Beispielsweise zitierte der ohnehin nicht unkontrovers rezipierte Rota-Auditor Cormac Burke u. a. auch die berühmte englische Schriftstellerin aus der Zeit des Regency, Jane Austen (1775 – 1815), die vor allem durch den Entwicklungsroman Pride und prejudice zur beliebtesten englischsprachigen Schriftstellerin ihrer Zeit wurde: „Certe non omnes concordes erunt cum Jane Austen quia dissimilitudines inter coniuges tendunt ad felicitatem fovendam: it is rather a favourable circumstance. I am perfectly persuaded that the tempers had better be unlike… Some opposition here is friendly to matrimonial happiness (Mansfield Park, c. III, Ch. 4).“ Vgl. RR coram Burke sent. diei 27. 10. 1994, in: RRDec LXXXVI, S. 512 – 531, hier: S. 526 Nr. 32.
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terials bei der Erklärung der kirchenrechtlichen Normen als fachlich ausgewiesen; allgemeine und ständige Lehrmeinung dieser Autoren waren daher gemäß c. 20 CIC/1917 ein „fons suppletorius iuris“ und eine „optima regula interpretationis iuris praecedentis“45. So kann man mit Schnizer diese Form der Auslegung „als historische Interpretation aus der Sicht der herrschenden Lehre“ 46 verstehen. Eine von der Meinung der probati auctores abweichende Ansicht zu vertreten, war offenbar nicht gern gesehen: Ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigt z. B., dass eine – von den probati auctores offenbar deutlich abweichende – Argumentation in einer streitigen Frage um die Legitimität bzw. der Legitimierung von Kindern, dem Erzbischof von Santo Domingo, nachdem diese dem berühmten Kanonistenpapst, Benedikt XIV., zur Entscheidung vorgelegt wurde, eine scharfe Rüge einbrachte: „In der Tat, damit wir offen sprechen, ehrwürdiger Bruder, missfällt Uns deine scharfsinnige Schlussfolgerung, die von Uns als irgendwie anmaßender und kühner, als es angemessen ist, betrachtet wird. Wir bleiben nämlich der Überzeugung, dass von den allgemeinen Meinungen der Gelehrten nicht so leichtfertig abgewichen werden darf; daher sagen Wir, was der sehr berühmte Melchior Cano47, der in seinem Tractatus de Locis Theologicis im lib. VIII, Cap. 8 hinsichtlich dem, was die Lehre von den Kanones angeht, sagt: Die kirchlichen Richter und Verwaltungsbeamten schließen in einer solchartigen Interpretation der Kanones das übereinstimmende Urteil aller Rechtsgelehrten ein. Wer nämlich bei Klagen oder kirchlichen Urteilen von seiner Meinung und nicht von der allgemeinen Auffassung aller Rechtsgelehrter geleitet wird, den soll die Kirche zweifellos für sein Urteil strafen.“48
Die betont bewahrende Dimension, die hinter den gerade besprochenen altkodikarischen Normen und dem noch vorkodikarischen Beispiel aufscheint, ist jedoch zunächst aus dem Verständnis des Kirchenrechts selbst zu verstehen. In ihm werden bereits lange in der Geschichte der Kirche eingeführte konstitutive und instititutionelle Rechtsfiguren/Rechtselemente aufgrund ihrer unabdingbaren Bedeutung für das Weiterbestehen der Kirche tradiert und in die Gegenwart transferiert. Zu denken ist hierbei beispielsweise an die apostolische Sukzession (Ämterrecht) und die Sakramente.49 Sie sind Identitätsmarker und stehen für die Kontinuität des Rechts. Gleichwohl sind sie jeweils neu in den aktuellen kirchlichen Kontext einzubinden und neu ins Wort zu bringen. Andererseits besteht die Gefahr, den Neuwert einer Kodifikation und damit deren Bedeutung zu minimieren, wenn faktisch das alte Recht nahezu ungeschmälert fortgeschrieben wird.
45
Wernz/Vidal, Ius Canonicum (Anm. 43), S. 138. Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 354. 47 Melchior Cano (* 1509, † 1560); Dominikaner und Universitätslehrer in Valladolid, Alcala und Salamanca; bahnbrechende Bedeutung für die Theologie besitzt sein Werk De locis theologicis (nach 1546), das für Jahrhunderte den unübertroffenen Höhepunkt theol. Erkenntnislehre und Methodologie ausmachte, vgl. LThK2 II, Art. Cano, Melchior, Sp. 918. 48 Benedikt XIV., ep. Redditae Nobis v. 05. 12. 1744, in: Pietro Gasparri, Codicis Iuris Canonici Fontes I, Vatikanstadt 1923, S. 862 – 875, hier: S. 865, § 8. 49 Vgl. Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 364. 46
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2. Normanalyse c. 6 § 2 CIC Die Ausgangslage bei der Revision des alten Codex nach dem II. Vatikanum war deutlich anders akzentuiert. Es ging nicht um bloß um eine moderate Überarbeitung des alten Rechts, sondern basierend auf den Beschlüssen des II. Vatikanums um eine Neugestaltung. Das neue Gesetzbuch sollte nach dem Willen der Päpste ein „den Lehren des Vat. II entsprechendes Gesetzbuch sein“50. Dabei sollte die Form der Kodifikation beigehalten und die Kontinuität zur Rechtstradition der Kirche gewahrt bleiben.51 Ein Blick in die Arbeit an die Neuformulierung des c. 6 § 2 CIC während der Codexreform52 zeigt, dass durchaus unterschiedliche Meinungen zur Frage der Einbeziehung des alten Rechts bei der Interpretation der Normen des CIC von 1983 existierten. In der Sessio XIV des Coetus studii «De normis generalibus deque personis physicis et iuridicis» kam es zu einer engagierten Diskussion: der secretarius adiunctus (William Onclin) machte den Vorschlag, den alten c. 6 CIC/1917 durch einen gänzlich neuen Canon (c. 7) zu ersetzen, der die Vorschriften des c. 6, 28, 38, 48 enthalten sollte: „§ 1 Canones huius Codicis quatenus ius vetus referent, ex veteris iuris auctoritate, atque ideo ex receptis apud probatos auctores huius iuris veteris interpretation, sunt aestimandi. § 2 In dubio ut aliquod canonum huius Codicis praescriptum cum veteri iure discrepet, a veteri iure non est recedendum.“53
Unverkennbar orientiert sich dieser Textvorschlag an den Vorgaben des c. 6, 28 CIC/1917, von daher wird die Kritik verständlich, die an diesem Text geübt wurde. Es werde dem alten Recht eine zu starke Stellung eingeräumt, ja der Rückgriff auf die probati auctores würde eine gewisse spekulative Unfruchtbarkeit erzeugen, die die juridische Entwicklung behindere54 und die veränderte Situation nach dem Konzil nicht wahrnehme55. Man könne sich nicht an die Interpretation der alten Autoren binden, sondern gewiss müssten auch moderne Autoren berücksichtigt werden. 50
Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 551. Vgl. ebd. mit Verweis auf die Ansprache des Präsidenten der CIC-Reformkommission, in: Communicationes 9 (1977), S. 62 – 79, hier S. 63 f.: „Quodsi ergo Codex Iuris Canonici vigentem huc usque disciplinam plerumque retinet can. 6, nunc tamen quaedam renovanda esse videntur. Ex quo patefacit, quam grave sit munus et onus huius vestri Concilii. Brevi etiam tempore perficienda erunt, quae prius per hominem aetates patrari consueverant. Sed expetitior est via, siquidem et Codex Iuris Canonici veluti ducis munere fungitur et Concilium Vaticanum II quasi lineamenta praebet operis novi, ita ut multa tantummodo fusius et accuratius sint definienda ac statuenda.“ 52 Vgl. vor allem Communicationes 23 (1991), S. 121 – 123; Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: Februar 2012); Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 551 – 554, sowie Edward N. Peters, Incrementa in progressu 1983 Codicis Iuris Canonici, Montréal 2005, S. 5. 53 Communicationes 23 (1991), S. 121. 54 „Recursus ad probatos auctores potest quondam sterilitatem speculativam gignere et evolutionem iuridicam coercere …“, ebd., S. 122. 55 Vgl. ebd., S. 122. 51
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Demgegenüber argumentierten die Befürworter dieser Regelung mit dem Hinweis auf die Rechtstradition und Kontinuität der Rechtsentwicklung, so dass ohne Kenntnis des geschichtlichen Hintergrundes einer Norm eine sachgerechte Auslegung nicht möglich sei, im Übrigen liege beispielweise auch das Vaticanum II bereits in der Geschichte. Zudem müsse in den einleitenden Normen zum neuen Codex das Verhältnis zwischen neuem und altem Recht geklärt werden.56 Aufgrund dieser Diskussion einigte man sich darauf, die unverfälschte Rechtstradition und ihre Weiterentwicklung in einem eigenen c. 6 § 2 CIC zu behandeln, für den erneut der secretarius adiunctus einen Text vorschlug, der mit wenigen sprachlichen Veränderungen seine heutige Form fand und so in den Codex von 1983 einging.57 a) Ius vetus – traditio canonica58 Im c. 6 § 2 CIC wird zum einen auf Canones hingewiesen, die altes Recht beinhalten („ius vetus referunt“), die auch – d. h. eben nicht nur (!) – gemäß der kanonischen Tradition („traditio canonica“) zu würdigen sind. Während das Begriffspaar „ius vetus“ schon aus dem Vorgängercodex bekannt war, findet man die Bezugnahme auf die kanonische Tradition erstmalig und nur an dieser Stelle im kirchlichen Gesetzbuch von 1983.59 Dabei ist der Begriff traditio selbstverständlich nicht nur ein altehrwürdiger Begriff der theologischen Erkenntnislehre60, sondern ein Terminus, den bereits Gratian kirchenrechtlich als „unverzichtbarer Begriff der Quellenlehre“61 versteht.62 Mit Blick auf die weiteren Begriffsverwendungen im CIC von 198363 wird 56
Vgl. ebd., S. 122 f. Vgl. ebd., S. 123, S. 127, S. 146. Vgl. auch c. 6 § 2 SchNormGen; c. 6 § 2 SchCIC/1980. 58 Vgl. Giuseppe Comotti, La canonica traditio come criterio di interpretazione del C.I.C. (Note in margine al can. 6 § 2) in: Studi sul primo libro del Codex Iuris Canonici. Hrsg. v. Sandro Gherro (= Pubblicazioni della Facoltà di Giurisprudenza dell’Università di Padova 123), Padua 1993, S. 111 – 135; Sebastián Terráneo, Sentido y significado de la historia para el canonista, in: Anuario Argentino de Derecho Canónico 17 (2011), S. 179 – 200; Helmut Pree, Art. Tradition, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, Sp. 959 f. 59 Vgl. Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 355; Pree, Tradición (Anm. 32), S. 619. Vgl. auch Communicationes 9 (1977), S. 63 und weitere Stellungnahmen während der Codexreform zu diesem neuen Begriff vgl. Communicationes 14 (1982), S. 129 f. 60 Vgl. DV, Nr. 7 sowie die Kommentierung von Helmut Hoping, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil III. Hrsg. v. Peter Hünermann/BerndJochen Hilberath, Freiburg i. Br. 2005, S. 695 – 831, bzw. Josef Ratzinger/Aloys Grillmeier/ Beda Rigaux, in: LThK2-Konzilskommentar II, Freiburg i. Br. 1967, S. 497 – 583. 61 Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 356. Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 557 verweist bei Gratian auf „die Distinktionen 11 und 12, insbesondere D 11, 5 und D 12, 4“. 62 Zur Geschichte des Begriffs in der älteren Kanonistik vgl. Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 356 – 362. 63 Vgl. die Redeweise von der traditio apostolica in c. 1246 § 1, der sacra traditio in den cc. 252 § 3, 760, antiqua traditio in den cc. 926, 1237 § 2 und sanae traditiones im Ordensrecht (cc. 576, 578, 588 §§ 2 und 3, 619). 57
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man dem Wortsinn nach unter traditio canonica folgende Elemente64 subsumieren können: ¢ den Codex von 1917 inklusive der auf ihn aufbauenden und ergänzenden Rechtsnormen65; ¢ „kirchenrechtliche Inhalte, die sich in der kirchlichen Rechtsordnung nach langer Tradition in Lehre und Rechtswissenschaft herausgebildet und gefestigt haben, so daß sie gleichsam zum gesicherten Bestand des Rechtserbes der Kirche gehören“66 ¢ beispielhaft lassen sich hier alle Rechtsinstitute und Normen aufzählen, die zum unveräußerlichen Kern des ius divinum zählen;67 ¢ tragende Strukturelemente der Kirchenverfassung; ¢ die allgemeinen Rechtsprinzipien (c. 19 CIC) und ¢ die Rechtsapplikationsprinzipien aequitas canonica (c. 19 CIC) und salus animarum (c. 1752 CIC)68. Um diese Elemente der kanonischen Tradition zu erkennen und zu beurteilen, braucht es handhabbare Kriterien. Zu ihnen werden die Gesetzbücher und Sammlungen des ius vetus, lehramtliche Aussagen, die Rechtsprechung der Gerichte des Apostolischen Stuhls, der stylus curiae (c. 19 CIC), die gemeinsame und beständige Lehre der auctores probati und subsidiär auch die Rechtstradition(en) der unierten orientalischen Kirchen gezählt.69 In c. 6 § 2 CIC wird der Anwendungsbereich der Norm begrenzt auf Canones des CIC, die ius vetus enthalten. Es handelt sich also um eine Spezialnorm zu den Interpretationsnormen cc. 17 – 19 CIC, da sie nur für den Codex von 1983 gilt und auch
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Zum Folgenden vgl. Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 27, in: MK CIC (Stand: Februar 2012). Vgl. Communicationes 9 (1977), S. 63 f. 66 Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 561 mit Verweis auf eine Ansprache von Papst Johannes Paul II. an die Rota Romana vom 29. 01. 1993, in: OssRom (dt.) vom 02. 02. 1993, Nr. 6, S. 10. 67 Pree, Stellenwert (Anm. 14), S. 561 (Anm. 56) verweist in diesem Kontext auch auf ungeschriebene Rechtsinstitute, die nicht schriftlich in den Codex von 1983 aufgenommen wurden und müssen wie das Remonstrationsrecht. Bekanntlich hatte sich die Deutsche Bischofskonferenz bemüht, eine Norm zum Remonstrationsrecht während der Arbeit am CIC von 1983 in das kirchliche Gesetzbuch zu implementieren, was mit dem Hinweis abgewiesen wurde, ehrwürdige Rechtsinstitute bedürften keiner Kodifizierung, um rechtlich zu wirken. Vgl. Hans-Jürgen Guth, Ius remonstrandi. Das Remonstrationsrecht des Diözesanbischofs im kanonischen Recht, Freiburg i. Ü. 1999; Ursula Beykirch, Das Remonstrationsrecht der Diözesanbischöfe – Ein effizientes Rechtsmittel gegen unzulängliche universalkirchliche Gesetze?, in: Kirchliches Recht als Freiheitsordnung. Gedenkschrift für Hubert Müller. Hrsg. v. ders. u. a. (= FzK 27), Würzburg 1997, S. 91 – 116. Demgegenüber kritisch Georg Bier, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 (= Fzk 32), Würzburg 2002. 68 Vgl. Schüller (Anm. 5). 69 Vgl. Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 28, in: MK CIC (Stand: Februar 2012). 65
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nur dann, insoweit70 er in seinen Normen Bezug auf das ius vetus nimmt. Hierfür gebraucht der Gesetzgeber das Wort referre71, das u. a. mit wiedergeben, überliefern, vorlegen oder aufnehmen übersetzt werden kann. In einer engen Auslegung greift c. 6 § 2 CIC nur, wenn in einer Norm auf Rechtsinstitute, Teile von Canones oder einzelne Begriffe des alten Rechts wörtlich Bezug genommen wird. In einer weiten Auslegung kann man aber auch auf die inhaltliche Übereinstimmung mit dem ius vetus rekurrieren, so dass beide Möglichkeiten in Betracht zu ziehen sind. Liegt ein Sachverhalt in beiden Varianten nach c. 6 § 2 CIC vor, ist das alte Recht bei der Interpretation der entsprechenden Norm auch (etiam!) zu würdigen. Es geht also nicht um die Begrenzung auf Auslegungsprobleme, wenn etwa nach der Anwendung der einschlägigen Interpretationsnormen der Wortlaut weiter unklar bleibt und dann die Würdigung des ius vetus zu erfolgen hat, um zu einer gesicherten Auslegung der betreffenden kirchlichen Norm zu kommen. Vielmehr ist in jedem Fall, sobald ius vetus in einem Kanon des geltenden Gesetzbuches identifiziert wird, dieses alte Recht für die Auslegung zu würdigen.72 Da zu Beginn die Kontroverse um die postulierte Superiorität des CIC über die Beschlüsse des II. Vatikanums angesprochen wurde73, verdient eine eher versteckt von Pree angefügte Beobachtung zu c. 6 § 2 CIC uneingeschränkt befürwortend vorgestellt zu werden. Pree legt Wert auf die Feststellung, dass die Texte des II. Vatikanums und die Leitlinien zur Kodexreform aus dem Jahr 196774 nicht zur traditio canonica gehören, „sondern […] für die Interpretation des CIC/1983 als circumstantiae legis und als mens legislatoris (vgl. c. 17) zu beachten“ sind, „und nicht lediglich als auch mitzuberücksichtigende (,aestimandi sunt…etiam‘) Elemente im Sinne von c. 6 § 2“75. Damit entzieht er der korrekten Kanonistik mit ihrem die theologische Erkenntnislehre ignorierenden Ansatz den rechtlichen Boden, der ohnehin nur postuliert werden kann, weil die Väter auf dem II. Vatikanum darauf verzichtet haben, ihre lehramtlichen Beschlüsse in rechtlich verbindliche Normen zu gießen.76
70 Das hier verwandte lateinische Wort quatenus meint inwieweit, inwiefern, insoweit wie, in Betracht dessen, weil doch; vgl. s.v. quatenus: Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 2 Bd., Hannover 81913, Sp. 2144. 71 Vgl. s.v. refero, Georges, Wörterbuch (Anm. 73), Sp. 2261 – 2262: wiedergeben, der Beschaffenheit, dem Wesen nach zurückführen, abspiegeln. 72 Vgl. Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 567. Die dort an Socha geübte Kritik hat diesen in seiner Überarbeitung der Kommentierung des c. 6 § 2 CIC dazu gebracht, die Position von Pree zu übernehmen, vgl. Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 26, in: MK CIC (Stand: Februar 2012). 73 Vgl. Lüdecke/Bier, Kirchenrecht (Anm. 6), S. 39 f. mit der These: „Codex sehen, Konzil verstehen.“ 74 Vgl. Communicationes 1 (1969), S. 77 – 100. 75 Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 560 f. 76 Ich danke Kollegen Hermann Josef Pottmeyer (Bochum) für diesen sachkundigen Hinweis aus fundamentaltheologischer Perspektive.
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b) Aestimandi vs. interpretandi Obwohl es sich bei c. 6 § 2 CIC um eine interpretationsrechtliche Spezialnorm handelt, wird in ihr nicht von intelligere77/interpretari78 gesprochen, mit denen in den generellen Interpretationsnormen cc. 16 – 19 CIC der Vorgang der Auslegung kirchenrechtlicher Normen ausgedrückt wird, sondern es ist von „aestimandi sunt etiam“ die Rede, wie es schon im CIC/1917 der Fall war. Der Ausdruck aestimari wird häufig im Codex79 verwendet und meint „etwas wertend beurteilen“80. Während intellegere bzw. intelligere verstehen, begreifen ohne Stellungnahme des Verstehenden meint, setzt interpretari mehr als nur Verstehen voraus, sondern fordert daneben im Auslegungsvorgang eine Stellungnahme des Auslegers, der sich also eigenständig und auswählend zu den verschiedenen Bedeutungsinhalten eines Normtextes verhält.81 Bezogen auf c. 6 § 2 CIC wird der Interpret aufgefordert, ein wertendes Urteil hinsichtlich einer erkennbaren Bezugnahme auf altes Recht in einer der Canones des CIC von 1983 zu fällen. Fällt das Urteil positiv aus, so ist es auch zusammen mit den Ergebnissen der Interpretation nach c. 17 CIC, also der Feststellung der propria verborum significatio, zu berücksichtigen. Damit kommen die beiden Aspekte der wertenden Beurteilung in den Blick: die Feststellung, dass altes Recht im Sinne der traditio canonica vorliegt und dessen Einbeziehung in die auslegende Ermittlung der Wortbedeutung in Text und Kontext der Norm. Es wäre hermeneutisch naiv anzunehmen, die wertende Beurteilung enthalte keinen Spielraum für einen gewissen Beurteilungsspielraum des Interpreten.82 Dieser besteht schon darin, näher hin den Gehalt des ius vetus zu identifizieren und ihn in Beziehung zum Textkontext der Norm zu stellen. Dies gilt umso mehr, wie bei der zweiten Bedeutungsvariante von referre, d. h. der nicht nur wörtlichen, sondern eben auch inhaltlich-sinngemäßen Wiedergabe von altem Recht nachzuspüren ist. Dies setzt neben der entsprechenden Fachkenntnis eben auch ein kluges Judiz voraus, mit dem in einer scheinbaren neuen Norm doch Inhalte auftauchen, die nur aus der Perspektive der traditio canonica verstanden werden können. Eine weitere interpretationstheoretische Besonderheit ist zu beachten, wenn c. 6 § 2 CIC zur Anwendung kommt. Der identifizierte Normgehalt des alten Rechts muss harmonisch mit den anderen Interpretationsinstrumenten zusammengebracht 77 Vgl. s.v. intellego, Georges, Wörterbuch (Anm. 73), Sp. 345 – 347: die charakteristischen Merkmale unterscheidend innewerden, verstehen, zur Einsicht von etwas gelangen, mit bloßem Verstande merken, wahrnehmen, entnehmen, erkennen. 78 Vgl. s.v. interpretor, Georges, Wörterbuch (Anm. 73), Sp. 383: auslegen, erklären deuten, übersetzen (doch mehr nach dem Sinne als wörtlich), etwas im Urteile auslegen, schließen, folgern. 79 Vgl. cc. 6 § 2; 98 § 2; 127 § 2; 233 § 2; 241 § 1; 377 § 4; 494 § 2; 517 § 2; 524; 787 § 2; 1038; 1283, 28; 1293 § 1, 28, 1294 § 1; 1315 § 2; 1531 § 2; 1536 § 2; 1537; 1543; 1572; 1608 § 3; 1679 CIC. 80 Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 29, in: MK CIC (Stand: Februar 2012). 81 Vgl. Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 563. 82 Vgl. ebd. mit einer nachvollziehbaren, vorsichtigen Kritik an Schnizer.
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und zu einem abschließenden Urteil bei der Ermittlung des Sinns einer kirchenrechtlichen Norm zusammengefügt werden. Dabei kann es aber nicht um die einfache Rekonstruktion des ursprünglichen, „alten“ Sinns einer überkommenen Norm des ius vetus gehen, sondern das ius vetus steht im Kontext eines neuen Normgefüges. Damit bekommt das alte Recht in diesem neuen Kontext auch eine neue Bedeutung.83 „Ist eine alte Textstelle ursprünglich aus Erwägungen entstanden, die unserem heutigen Kirchenverständnis fernliegen, dann ist diese Textstelle aus ihren historischen Entstehungsrelationen zu lösen und in die Relationen einzufügen, die wir nach unserem heutigen Erkenntnisstand als Ergebnisse der traditio bezeichnen dürfen.“84
3. Interpretationsnorm und/oder Rechtsüberleitungsnorm? Von seinem gesetzessystematischen Ort steht c. 6 § 2 CIC unter den geltungstheoretischen Eingangsnormen des Codex. Dies hat bei einigen Autoren zu Kritik geführt, da diese Bestimmung eine interpretationsrechtliche Spezialnorm zu den cc. 16 – 18 CIC sei und von daher vor oder nach diesen Interpretationsnormen hätte stehen müssen.85 Die Mehrzahl der Autoren86 betrachtet den gesetzessystematischen Ort von c. 6 § 2 CIC inzwischen allerdings als angemessen. Begründet wird dies mit der rechtstheoretischen Funktion dieser Bestimmung, die einerseits als historische87 bzw. analoge88 Interpretationsmethode eine spezialrechtliche Interpretationsnorm darstellt, ausschließlich bezogen auf den Codex und dessen Normen, die ius vetus enthalten, andererseits aber auch die wichtige Aufgabe leistet, das Verhältnis zum CIC/1917 zu klären und dabei auf eine Ausgewogenheit zwischen altem und neuem Recht abzuzielen. Zwei Extreme werden nach Pree hierdurch vermieden: zum einen die Gefahr, im neuen Recht nur das alte Recht zu sehen und zum anderen, rechtsgeschichtlich unbedarft, die traditio canonica auszublenden, so als sei der Codex von 1983 im luftleeren Raum als creatio ex nihilo entstanden. Damit
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Vgl. ebd., S. 564 f. mit Verweis auf Francisco J. Urrutia, Les Normes Générales. Commentaire des canons 1 – 203, Paris 1994, S. 25: „Le principe d’adaptation peut imposer une interprétation différente de celle du passé.“ 84 Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 372. Vgl. mit zwei einleuchtenden Beispielen Rosalio Castillo Lara, Criteri di lettura e comprensione del nuovo Codice, in: Apollinaris 56 (1983), S. 345 – 369, hier S. 348 f., wo er auf die Begriffe des officium ecclesiasticum (c. 145 CIC) und consociatio (cc. 298 – 329 CIC) hinweist, die im Codex von 1983 eine veränderte Bedeutung erhalten haben. 85 Vgl. zum Beispiel Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR1, S. 33 – 57, hier S. 56 und Aymans-Mörsdorf, KanR I, 120 f. 86 Vgl. Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 33, in: MK CIC (Stand: Februar 2012); Drößler, Bemerkungen (Anm. 2), S. 12 f.; Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 361 und Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 565 f. 87 Vgl. Schnizer, Traditio (Anm. 38), S. 373. 88 Vgl. Anna Egler/Georg May, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, S. 213 – 215.
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würde man fundamentale Verständnisvoraussetzungen des kanonischen Rechts preisgeben.89 Es geht also um die eingangs kurz angerissene Thematik von Kontinuität und Wandel90, ein zentrales Thema der Weihnachtsansprache von Papst Benedikt XVI. im Jahr 200591. Nachdem Papst Benedikt XVI. die Gefahren einer Hermeneutik der Diskontinuität bei der Auslegung der Beschlüsse des II. Vatikanums von beiden Seiten der kirchlichen Lager – die Piusbrüder als Exponenten auf der einen, und die Reformer, die sich aus Sicht des Papstes auf den nicht näher spezifizierten Geist des Konzils berufen, auf der anderen Seite – skizziert hat, plädiert der deutsche Papst für eine Hermeneutik der Kontinuität. Seine zentrale These lautet: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie ihre wahre Natur und Identität bewahrt und vertieft.“92
Ganz im Sinn einer durch und durch platonisch geprägten Theologie bleibt die Kirche, was die dynamische Treue zu ihren Grundsätzen angeht, immer kontinuierlich in der Spur. Das, was als scheinbare Diskontinuität wahrgenommen wird, liegt auf einer ganz anderen Ebene, nämlich der sich ständig in historischen Prozessen verändernden Wirklichkeit. Noch einmal Papst Benedikt XVI.: „Die konkreten Umstände, die von der historischen Situation abhängen und daher Veränderungen unterworfen sein können, sind dagegen nicht ebenso beständig. So können die grundsätzlichen Entscheidungen ihre Gültigkeit behalten, während die Art ihrer Anwendung auf neue Zusammenhänge sich ändern kann.“93
Natürlich lassen sich zu dieser Konzeption auch kritische Rückfragen stellen94 etwa die, ob eine so ahistorische Sichtweise auf Kirche mit ihrer inkarnatorischen Gestalt nach LG 8 in Einklang zu bringen ist. Dennoch hilft sie in unserem Kontext weiter, verdeutlicht sie doch, dass ausgehend von den kirchenkonstitutiven Eckdaten der Kirche vor allem im Verfassungs- und Sakramentenrecht der Kirche, die Gegenstand der traditio canonica sind, gleichzeitig das kirchliche Recht stets in der Lage ist, sich wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen und durch Rechtsfortbildung 89
Vgl. Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 569. Vgl. Schüller, CIC (Anm. 9). 91 Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Römische Kurie vom 22. 12. 2005, in: AAS 98 (2006), S. 40 – 53; dt. Übersetzung in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Ansprache von Papst Benedikt XVI. an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang (= VAS 172), Bonn 2006. 92 Ebd., S. 18. 93 Ebd., S. 17. 94 Vgl. Magnus Striet, Streit um die Piusbruderschaft? Oder um das Zweite Vatikanische Konzil?, in: Vatikan und Piusbrüder. Anatomie einer Krise. Hrsg. v. Wolfgang Beinert, Freiburg i. Br. 2009, S. 129 – 144, hier S. 140. 90
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zu begegnen. Es geht im Grunde um eine Balance zwischen Identität und ständiger Inkarnation im missionarischen Fortschreiten der Kirche bei der Verkündigung des Evangeliums. Pree bringt diesen Zusammenhang wie folgt auf den Punkt: Der CIC nehme „das Merkmal der Treue in der Neuheit und der Neuheit in der Treue (notam fidelitatis in novitate et novitatis in fidelitate)“95 in sich auf. Damit werde c. 6 § 2 CIC zum Garanten für die Verknüpfung von neuem und altem Recht. „Er dient damit der Rechtskontinuität und der Ermöglichung einer harmonischen Rechtsfortentwicklung, dem Ausgleich zwischen Identitätswahrung mittels Sicherung der Rechtstradition einerseits und notwendiger aktualisierender Anpassung andererseits.“96
4. C. 2 CCEO97 – das ostkirchenrechtliche Pendant98 Die Unterschiede zwischen c. 6 § 2 CIC und c. 2 CCEO fallen direkt ins Auge. Während im lateinischen Codex von ius vetus die Rede ist, verwendet der Gesetzgeber für den CCEO die Wendung ius antiquum. Damit ist das Recht des ersten christlichen Jahrtausends gemeint99. Dabei geht es aber nicht nur um die sacri canones der großen Konzilien und Synoden, sondern dieser Begriff umfasst auch die Gewohnheiten, „norms of typika, prescriptions of euchologia, rules, statutes“100. Mit den „canones Codicis“ ist nicht der ganze CCEO gemeint, sondern nur jene Canones, „die größtenteils antikes Recht in seiner ursprünglichen oder einer modifizierten Form enthalten“101. Unterscheidet sich der Normenbestand, der in Frage kommt, deutlich, so ist 95
Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 570. Ebd. 97 Vgl. c. 2 CCEO: „Canones Codicis, in quibus plerumque ius antiquum Ecclesiarum orientalium recipitur vel accomodatur, praecipue ex illo iure aestimandi sunt.“ Deutsche Übersetzung nach Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 34, in: MK CIC (Stand: Februar 2012): „Die Canones des Codex, in denen meistens altes Recht der orientalischen Kirchen aufgenommen wird, sind vornehmlich aus diesem Recht zu würdigen.“ 98 Nedungatt, Ancient Law (Anm. 36); Dimitrios Salachas, Principi di interpretazione del „Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium“, in: Attuali problem di interpretazione del Codice di diritto canonico. Atti del Simposio Internazionale in occasione del I Centenario della Facoltà di Diritto Canonico (Roma 24 – 26 ottobre 1996). Hrsg. v. Bruno Esposito, Rom 1997, S. 245 – 268, hier bes. S. 261 – 266; Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 34, in: MK CIC (Stand: Februar 2012). 99 Vgl. Nedungatt, Ancient Law (Anm. 36), S. 94 – 96. 100 Ebd., S. 94. Zu den sacri canones zählt Nedungatt: „the canons of the apostolic tradition called Canons of the Apostles, the canons of the seven ecumenical councils, the canons of the local councils, and the canons of the Church Fathers (notably St Basil the Great), in all a total of 765 canons.“ Ebd. Vgl. auch den entsprechenden Passus in den Leitlinien zur Reform des Ostkirchenrechts mit Bezug auf OE 6, was das ius antiquum umfasst, in: Nuntia 3 (1975), S. 19: „express the common discipline contained a) in the apostolic tradition; b) in the canons of the oriental Councils and synods; c) in the oriental canonical collections and in the customary norms common to the oriental Churches and not fallen into desuetude.“ 101 Hubert Socha, c. 6, Rdnr. 34, in: MK CIC (Stand: Februar 2012) mit Verweis auf Nedungatt, Ancient Law (Anm. 36), S. 89 – 94, der überzeugend mit Verweis auf die Redak96
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rechtstheoretisch noch bedeutsamer, dass im Unterschied zum CIC von 1983 in c. 2 CCEO, wenn Canones auf das ius antiquum Bezug nehmen, vorzugsweise (praecipue102) vom alten Recht auszugehen ist. Das alte Recht wird so zur entscheidenden Größe für die Interpretation, während im lateinischen Rechtskreis das ius vetus auch (etiam) mitberücksichtigt wird. Damit wird zum einen der Respekt vor dem alten Recht zum Ausdruck gebracht, aber auch im Respekt vor den eigenen Rechtstraditionen der unierten Ostkirchen eine (gestrige) Rechtspolitik der Latinisierung erfolgreich rückgängig gemacht.
III. Ausblick Die Analyse des c. 6 § 2 CIC weist dessen multiple rechtstheoretische Funktion für den Codex auf. Einerseits ist dieser Kanon eine lex specialis zu den Interpretationsnormen, dient also dem besseren Verständnis derjenigen Normen, die ius vetus enthalten, andererseits weist er insofern Brückenkopffunktion auf, wie er das neue mit dem alten Recht verbindet. Damit erfüllt diese Norm auch geltungstheoretische Funktionen und sorgt dafür, dass Anwender der geltenden kirchenrechtlichen Normen nicht rechtsgeschichtlich vergessen das Recht der Kirche applizieren. Damit steht diese Norm für ein Rechtsverständnis, das in der Kontinuität der Konstanten der Kirche flexibel in der Lage ist, auf neue Rahmenbedingungen zu reagieren. Sie dient damit der Elastizität des Kirchenrechts und wird somit letztlich praxisrelevante Applikation der aequitas canonica, jenes häufig zitierten, aber dennoch oftmals bloße Worthülse bleibenden, obersten Prinzips kirchlichen Rechts (vgl. c. 1752 CIC). Allerdings gilt zu beachten, dass im Vergleich zum CIC von 1917 die Maßgeblichkeit des ius vetus dennoch abgeschwächt wurde. So kann man mit Verweis auf c. 6 § 2 CIC nicht unter der Hand dem alten Recht zum Comeback verhelfen, sondern die vorrangige „Maßgeblichkeit des geltenden Rechts als Bezugsystem der Auslegung“103 bleibt aus Gründen der Rechtssicherheit und dem logischen Aufbau der interpretationsrechtlichen Normen des Codex zwingend geboten.
tionsgeschichte dieses Kanons nachweisen konnte, dass nur diese Variante der Auslegung sachgerecht ist. 102 Vgl. s.v. praecipue, Georges, Wörterbuch (Anm. 73), Sp. 1830: vornehmlich, besonders, vor anderen, vorzugsweise. 103 Pree, Stellenwert (Anm. 32), S. 567.
Wahlen als Anforderung in Demokratie und Kirche Thomas Amann In der Frage von Mitbestimmung in der Kirche durch die Christgläubigen kommt die Kirche nicht zur Ruhe. Sie kann darin auch nicht zur Ruhe finden, denn die ihr wesentlich eignende Communio-Struktur besitzt Dialogcharakter. In der Kirche kann es nur ein Miteinander geben, niemals ein Neben- oder gar Gegeneinander. Dies widerspräche ihr zutiefst. Und insofern die Kirche aus Christgläubigen besteht, die zugleich der Kirche und einem staatlichen Gemeinwesen angehören, durchdringen sich die Grundlagen von Kirche und Staat auch im Denken, in der Erwartung und im Anspruch der Christgläubigen in eben der Frage der Mitbestimmung. Kirche und Demokratie erscheinen hierin als selbstverständlich kompatibel. Die theologische Diskussion darüber ist nicht neu. Sie wird aber in Krisen und Stagnation immer neu aufgegriffen und eingefordert. Der jüngst geführte Dialogprozess in der deutschen Kirche befasste sich mit den Anfragen aus dem Kirchenvolk und versprach, sich mit ihnen offen und kritisch auseinanderzusetzen. Die Einsetzung unbequemer Bischöfe etwa wird nicht mehr fraglos hingenommen, vielmehr die aktive Mitbestimmung der Christgläubigen bei den Bischofswahlen nach demokratischen Prinzipien proklamiert. Auch Papst Franziskus hat sich in dieser Frage geäußert, allerdings klargestellt, dass die Kirche keine Demokratie sei. Ein Bischof könne nicht wie der Leiter einer politischen Partei oder eines Unternehmens durch Mehrheitsentscheid gewählt werden. „Die Bischöfe werden nicht gewählt, um eine Organisation, die sich Ortskirche nennt, zu leiten, sondern werden geweiht und haben den Heiligen Geist mit sich“, so der Papst wörtlich. Der geweihte Bischof mache die Eigenheit und Einheit der katholischen Kirche aus. Er werde nicht von Menschen, sondern von Gott erwählt. Dies bedeute nicht, dass ein Bischof kein Sünder sei; durch die Weihe gebe ihm jedoch der Heilige Geist die Kraft, der Kirche zu dienen.1
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Die Tagespost 28. 01. 2014, Nr. 11, S. 4.
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I. Demokratie Die katholische Kirche als eine Gemeinschaft eigener Art muss sich ihrem eigenen Selbstverständnis stellen.2 Eine Übernahme von ihrem Wesen nach fremden Ideen und Strukturen ist ihr zwar verwehrt, eine Reflexion demokratischer Elemente jedoch aufgetragen. Fragt man deshalb nach dem Wesen von Demokratie, so findet man einen an sich mehrdeutigen Begriff vor. In wörtlicher Bedeutung nähert man sich zuerst dem Begriff der Volkssouveränität oder Selbstbestimmung eines Volkes.3 Demokratie bezieht sich zunächst auf die ideelle Legitimierung politischer Herrschaft. Die Regierung in einer Demokratie ruht prinzipiell auf der Zustimmung des Volkes, gestützt durch die Rechtsstaatlichkeit. Diese Volkssouveränität setzt ein Volk voraus, eine Gesamtheit von Menschen, die durch gemeinsame Geschichte, Siedlung, Kultur und Sprache geeint ist. Diese Einheit bewirkt eine Integrationskraft, eine Art Wir-Bewusstsein, das Minderheiten den mehrheitlichen Willen akzeptieren lässt und integriert. So dient der Demokratiebegriff zum einen zur Kennzeichnung politischer Ordnungsstrukturen, zum anderen für die symbolische Benennung von Werten (Freiheit, Gleichheit usw.) und Verhaltensweisen (Toleranz, Kompromissfähigkeit u. a.) und damit schließlich für ein Gestaltungsprinzip in allen Gesellschaftsbereichen.4 Die Demokratie kann aber nicht mit den Grundwerten selbst identifiziert werden, sondern steht zu ihnen als Ordnungsprinzip in einem instrumentellen Verhältnis. Solange sie der Verwirklichung der Werte einer freiheitlichen Gesellschaft dient, behält die Demokratie den ihr eigenen Wert. Die Lehre von der Volkssouveränität setzt für Demokratie den Besitz von gleichen staatsbürgerlichen Rechten und Freiheiten auf der Grundlage von Menschenrechten voraus. Diese sowie übergeordnete Zwecke der Menschheit sind der Volkssouveränität vorgegeben.5 Darauf aufbauend kann es zur Willensbildung zwischen konkurrierenden Subjekten und Meinungen kommen, wobei die politische und staatliche Integration die einzelnen Individuen nicht totaliter, sondern nur partiell erfasst.6 Die danach entsprechend eingesetzten pluralistischen Herrschaftsorgane werden 2
Kirche in der Demokratie – Demokratie in der Kirche. Hrsg. von Maximilian Liebmann (= Theologie im kulturellen Dialog 1), Graz/Wien/Köln 1997. 3 Vgl. Manfred Hättich, Art. Demokratie. Begriff, Formen, Probleme, in: Staatslexikon. Hrsg. v. d. Görres-Gesellschaft, Bd. 1, Freiburg/Basel/Wien 19857, Sp. 1182. 4 Vgl. Hättich, Demokratie (Anm. 3), Sp. 1183 f.; Demokratisierung der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Memorandum deutscher Katholiken, hrsg. v. Bensberger Kreis, Mainz 1970, S. 10; Alexander Dordett, Kirche zwischen Hierarchie und Demokratie, Wien 1974, S. 25 f. 5 Joseph Ratzinger/Hans Maier, Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten, Grenzen, Gefahren, Limburg 2000, S. 17. 6 Hättich, Demokratie (Anm. 3), Sp. 1185 f. Vgl. Demokratisierung der Kirche (Anm. 4), S. 27; Valentin Zsifkovits, Die Kirche, eine Demokratie eigener Art? (= Schriften d. Instituts für Christliche Sozialwissenschaften 37), Münster 1997, S. 65 f.; Dordett, Kirche (Anm. 4), S. 29, nennt hier: Volkssouveränität, Mehrheitsprinzip, Repräsentation, Machtkontrolle, politische Partei, schrankenlose Öffentlichkeit.
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in ihrer Entscheidung begrenzt und kontrolliert. Eine Transparenz der Vorgänge macht dies für und durch eine Öffentlichkeit nachvollziehbar. Die Demokratie als politische Ordnung erscheint als „maximale Streuung der Beratungs- und Entscheidungsbefugnisse“7.
II. Wahlen als Strukturelement der Demokratie Politische Wahlen gab es auch zu Zeiten von Kaisern und Königen. Aber auf der Basis von Gewaltenteilung und politischer Konkurrenz sind Wahlen und Abstimmungen unter Anerkennung des Mehrheitsprinzips maßgebliches Gestaltungsmedium für Demokratie. Durch demokratische Wahlen überträgt das Volk, also die Mehrheit der Stimmberechtigten, bestimmten Personen in begrenztem Umfang und für einen bestimmten Zeitraum die ihm selbst zukommende Gewalt über sich.8 Damit entwickelt sich ein politischer und gesellschaftlicher Sondierungs- und Integrationsprozess in gegenseitiger Bedingtheit von politischer Herrschaft und der Formung von politisch-gesellschaftlichen Werten. Ziel ist das bestmögliche Funktionieren von Staat und Gesellschaft und ein optimales Verhältnis von Bindung und Freiheit der Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwirklichung des Gemeinwohls. Wahlen als demokratisches Gestaltungs- und Wesenselement sind Ausdruck der freien Selbstbestimmung des Volkes, können aber auch ganz grundsätzlich Ausdruck einer Unabhängigkeit sein. Denn in ihnen fließt unter Anerkennung des Mehrheitsprinzips der Wille einer Personengesamtheit zusammen, der dann allen von außen kommenden Willensbezeugungen entgegensteht oder diese ausschließt. 1. Repräsentanz Vom demokratischen Prinzip gibt es zwei Ausformungen, die plebiszitäre oder unmittelbare und die repräsentative oder mittelbare Demokratie. Im ersten Fall entscheidet das Volk selbst in Abstimmungen aller zu behandelnden Fragen, was letztlich Fiktion bleiben muss. Im Fall der repräsentativen Demokratie wählt das Volk diejenigen, die die Regierungsverantwortung übernehmen sollen. Dieses repräsentative Element ist keine von außen aufgedrängte oder zeitbedingte Struktur, auch wenn es nicht notwendig mit der Lehre von der Volkssouveränität verknüpft ist.9 Es gehört 7
Ebd. Vgl. Richard Thoma, Das Reich als Demokratie, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, Tübingen 1930, S. 189; Eckard Jesse, Art. Wahlen, in: Staatslexikon. Hrsg. v. d. Görres-Gesellschaft, Bd. 1, Freiburg/Basel/Wien 19857, Sp. 830 f. 9 Vgl. Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems. Ein Beitrag zur allgemeinen Staats- und Verfassungslehre (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 13), Berlin/Leipzig 1929, S. 78 f. 8
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vielmehr als Wesenselement zur Demokratie selbst.10 Der Beziehung zwischen politischen Repräsentanten und Volk kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Sie manifestiert sich in einer Art Vertrauensrelation zwischen Wählern und Amtsträgern. Die Wahl gehört daher zu den der Demokratie wesentlichen Verfahrensweisen, um dieses Vertrauensverhältnis zu begründen und zu tragen. Durch Repräsentation wird die an sich immer nur ideelle Einheit des Staatsvolkes öffentlich gegenwärtig und sichtbar gemacht.11 In der Demokratie besagt Repräsentation die unmittelbare Vergegenwärtigung einer Vielheit von Personen oder einer Körperschaft durch eine Person oder durch eine Personenmehrheit mit verbindlicher Wirkung.12 Die Repräsentanten handeln daher in Stellvertretung, nicht aus eigenem Recht. Der Repräsentation im öffentlichen Recht entspricht die Vertretung im Privatrecht. Soweit ein Repräsentant über Entscheidungsgewalt verfügt, übernimmt er aber eine Führungsposition gegenüber den Repräsentierten. Insofern stiftet Repräsentation nicht nur Einheit, sondern begründet auch Herrschaft. Grundsätzlich kann die Repräsentation sich in bloßer Darstellung oder in Tätigkeiten beratender Funktion oder mit Entscheidungskompetenz Ausdruck verschaffen. Sie kann beschränkt oder unbeschränkt, widerruflich oder unwiderruflich, frei oder vorgeschrieben sein.13 2. Die Bestellung von Repräsentanten durch Wahlen Repräsentanten können auf verschiedene Art und Weise bestellt werden, etwa durch Erbfolge, Ernennung oder Losentscheid. Maßgebliches Kriterium für eine Auswahl können persönliche Eigenschaften, Leistungen oder die Zugehörigkeit sein. Wahlen sind zwar nur ein weiterer Modus zur Bestellung von Repräsentanten, doch derjenige, der dem Wesen der Demokratie eigen ist. Daher ist das allgemeine Wahlrecht ein Kind des 20. Jahrhunderts.14 „In der parlamentarischen Demokratie übt das Volk die Staatsgewalt aus (Art. 20 Abs. 2 GG) mittels Bestellung einer ablösbaren Herrschaft auf Zeit durch ein Repräsentativorgan: die Volksvertretung, das Parlament.“15 Über die Personenbestimmung und die Bekleidung mit Befugnissen hinaus sind daher Wahlen die Übertragung von Legitimation, von Wählervertrauen als realer Grundlage von Autorität. Daher soll das Wahlrecht (1) das politische 10
Vgl. Ratzinger, Demokratie in der Kirche (Anm. 5), S. 66. Vgl. Eberhard Elß, Der Gedanke der Repräsentation im evangelischen Kirchenrecht, Göttingen 1933, S. 9; Siegfried Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung. Hrsg. von H. Rausch, Darmstadt 1968, S. 492. 12 Vgl. Ulrich Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: ebd., S. 393. 13 Vgl. Georg May, Demokratisierung der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen, Wien/ München 1971, S. 84. 14 Vgl. Hans-Jürgen Becker, Art. Wahl, Wahlrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 37. Lfg., Berlin 1994, Sp. 1084 f. 15 Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von E. Benda/ W. Maihofer/H.-J. Vogel, Berlin/New York 1983, S. 295. 11
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Meinungsbild sichtbar machen; (2) den Mehrheitswillen zur Geltung bringen; (3) die Handlungsfähigkeit des Staates durch Bildung einer Regierung ermöglichen; (4) dem Volk die reale Chance offenhalten, Kontrolle und Korrektur der Staatswillensbildung durch Wahl einer politischen Alternative zu verwirklichen.16 Die Legitimierung der Regierenden durch das Volk aufgrund von Wahlen setzt formale Bedingungen voraus. Diese sind aufgrund ihrer Unverzichtbarkeit als Wesensmerkmale zu qualifizieren: (1) Wahlen müssen wiederholbar sein, um Regierungsverantwortung auch wieder entziehen zu können. (2) Sie müssen Auswahlmöglichkeit lassen. (3) Sie müssen durch die freie und öffentliche Konkurrenz politischer Meinungen und Interessen getragen sein. Eine freiheitliche Demokratie setzt folglich notwendig Meinungs- und Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit voraus. 3. Das Prinzip der Mehrheit Die Bestellung von Repräsentanten in einer Demokratie verlangt vorab die politische Willensbildung im Staat. In den demokratischen Wahlen wird der politische Gemeinschaftswille dann methodisch eruiert. Er zielt auf eine möglichst weitgehende Übereinstimmung der Wählenden in ihrem Wollen. Dennoch wird Einstimmigkeit nicht angestrebt und in keinem Fall auch erreicht. Die Konkurrenz von Interessen und die Pluralität der Meinungen als natürliche und legitime Grundlage eines demokratischen Staates lassen gerade auch die Divergenz der politischen Optionen als der Demokratie wesensgemäß erscheinen.17 Demokratische Wahlen suchen daher den mehrheitlichen Willen ausfindig zu machen. Nicht Stimmeneinheit, sondern Stimmenmehrheit ist das Ziel. Die Demokratie baut in Wahlen und Entscheidungen auf das Mehrheitsprinzip. Dadurch ergibt sich, wie bei allen Formen der Repräsentationsfindung, auch für die Wahl die Schwierigkeit, wie aus Mehrheit die Darstellung des ganzen Volkes wird. Die Beschränkung der Wahlberechtigten auch in der Demokratie auf einen bestimmten Wählerkreis und das notwendig anzuwendende Mehrheitsprinzip bringen nur einen größeren Teil des gemeinsamen Willens zum Ausdruck. Der Anerkennung des kollegialen Handelns kommt daher eine bedeutende Rolle zu. In der Demokratie muss prinzipiell von allen Gliedern anerkannt werden, dass bei Wahlen der Wille der einzelnen Stimmberechtigten zu einem Gemeinschaftswillen derart zusammengetragen wird, dass der mehrheitlich vorgebrachte Wille der Wahlberechtigten auch die nicht Wahlberechtigten, die Nichtwähler und die, die mit ihrer Stimme einen anderen Kandidaten bevorzugt haben, integriert und damit unter die gewählten Repräsentanten stellt. Die Mehrheit kann in ihrer Proportion unterschiedlich eingeräumt und gewertet werden, etwa durch Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht, durch einfache, relative oder Zweidrittel-Mehrheit. 16
Ebd. Vgl. Giuseppe Olivero, Lineamenti del Diritto elettorale nell’ordinamento canonico, in: Studi in onore di Vincenzo del Giudice, Milano 1953, S. 264 f. 17
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Entsprechend der Natur des demokratischen Mehrheitsprinzips werden die Stimmen der Wählenden gezählt, nicht nach ihrer jeweiligen Bedeutung gewogen. Dieses Mehrheitsprinzip erwächst notwendig aus dem Selbstverständnis demokratischer Volkssouveränität und Rechtsstaatlichkeit. Nur die zahlenmäßige Mehrheit der Stimmen entscheidet über die Vergabe von Ämtern. Alle anderen Stimmenanteile werden darin integriert. Insofern ist die Zahl der Maßstab der Demokratie. Die Zahlenmehrheit ist das demokratisch-theoretische Strukturprinzip eines komplexen Vorgangs, der sich aus Volkssouveränität, Gleichheit der Personen, Pluralität und kollegialem Handeln zusammensetzt.18 Ihre Schattenseite zeigt sich in den Gefahren allen menschlichen Zusammenlebens.19
III. Die Communio-Struktur der Kirche Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde eine Diskussion um demokratische Strukturen in der Kirche eröffnet und theologische Grundsatzfragen hinsichtlich der Verfassung der Kirche angesprochen. Positionen sind abgesteckt worden.20 Fünfzig Jahre danach sieht man deutlicher, wie bei aller Diskussion um Strukturen, um Grundrechte und Mitverantwortung immer auch eine Summe von konkret-geschichtlichen Erfahrungen mitschwang. Auch subjektiv empfundene Ideale menschlichkirchlichen Umgangs wurden damals und werden auch heute wieder theologisch mit eingeschmolzen. 1. Die Kirche als hierarchisch strukturiertes Volk Gottes Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von der Kirche als von einer „Communio“, spricht vom hierarchisch strukturierten Volk Gottes.21 Die Kirche ist 18 May, Demokratisierung der Kirche (Anm. 13), S. 66 – 70: „Die Demokratie ruht auf dem Glauben an die legitimierende Kraft der Zahl; darum ist der Relativismus die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt.“ 19 Ebd., S. 26 f.: der Widerspruch des Mehrheitsprinzips zur Gleichheit des Willens der in der Minderheit Stehenden, die Gleichsetzung von Mehrheit und Richtigkeit, von Quantität und Qualität, die Unverfügbarkeit bestimmter Werte als Widerspruch zum Mehrheitsprinzip, die Verführbarkeit der Masse durch Demagogen, die persönliche Unverantwortlichkeit hinter der Mehrheitsbildung, die Gewinnung von Mehrheiten anstelle von Argumenten. 20 Eine Auswahl: Karl Rahner, Demokratie in der Kirche?, in: Stimmen der Zeit 182 (1968), S. 1 – 15; Eugenio Corecco, Note sulla chiesa particolare e sulle strutture della dioecesi di Lugano (II), in: Civitas 24 (1969), S. 730 – 743; Hans Küng, Mitentscheidung der Laien in der Kirchenleitung und bei kirchlichen Wahlen, in: ThQ 149 (1969), S. 159; Raymund Kottje, Wahlrecht für das Gottesvolk? Erwägungen zur Bischofs- und Pfarrerwahl, Düsseldorf 1969; Ratzinger, Demokratie in der Kirche (Anm. 5); Demokratisierung der Kirche (Anm. 4); May, Demokratisierung der Kirche (Anm. 13); Dordett, Kirche (Anm. 4); Gerhard Hartmann, Wählt die Bischöfe. Ein Vorschlag zur Güte und zur rechten Zeit, Kevelaer 2010, S. 136 – 164. 21 Vgl. Oskar Saier, „Communio“ in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine rechtsbegriffliche Untersuchung (= MThSt, kan. Abt. 32), München 1973, S. 1 – 24; Winfried
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keine Demokratie im Sinne der Volkssouveränität staatlicher Gegebenheit, sondern Volk Gottes als eine geistliche Gemeinschaft. „Das Volk Gottes ist in seiner Verfassung als Gemeinschaft bewirktes und bewirkendes Zeichen der Verbundenheit der Gläubigen mit Gott und ihrer Gemeinschaft untereinander; es besitzt sakramentalen Charakter.“22 Als solches unterscheidet es sich von allen anderen sozialen Gebilden. Souverän ist Jesus Christus, der Herr und das Haupt seiner Kirche. Daher hat die Kirche keine Souveränität aus sich selber, sondern steht in der Sendung Christi. In dieser Sendung verkündet, spendet und verwaltet sie nicht eigene Güter im Sinne einer gerechten Verteilung der Ressourcen, sondern die Heilsgüter Gottes, das also, was sie nicht aus sich selbst weltimmanent haben kann. Daher kann es in der Kirche nicht um eine soziologisch begründete Herrschaftsform gehen, sondern nur um einen Dienst, den Christus seinen Gläubigen erweist. Die der Kirche eignende Sacra postestas ist geistliche Vollmacht, nicht aber Herrschaft oder säkular-zwingende Gewalt. Selbst im von der Kirche ausgebildeten Straf- oder Prozessrecht steht nicht die Gewalt über Menschen zur Disposition, sondern die Glaubwürdigkeit der Sendung Jesu Christi. Theologisch entscheidend ist allein, dass die Aufgabe der Kirche, nämlich ihre Sendung und Heiligung besser erreicht wird. Mittel und Inhalt sind daher zu unterscheiden.23 Von einer „Demokratisierung der Kirche“ zu sprechen, entlarvt eine Sichtweise, welche vornehmlich soziologische Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten zum Maßstab nimmt. Sie steht in dauernder Gefahr, sich in ihren eigenen Strukturen selbst zu genügen oder zu reduzieren.24 Kirchliche Sprache orientiert sich besser an der Kirche als Communio und den damit implizierten Inhalten.25 Da es in der Kirche nur einen Herrn gibt, kann es in ihr auch nur eine Vollmacht geben. Das sakramentale Wesen der Kirche fordert ihre Einheit. Die Kirche anerkennt für sich daher nur eine Unterscheidung der Gewaltfunktionen um der Klarheit der Ausübung ihrer Sendung Willen. Eine Gewaltenteilung wie im Staat kann es für sie nicht geben.26 Die Unterscheidung der Gewaltfunktionen bleibt immer iure divino Aymans, Die Kirche – Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbkKR2 1999, S. 4 – 12; Peter Erdö, Theologie des kanonischen Rechts. Ein systematisch-historischer Versuch (= Kirchenrechtliche Bibliothek 1), Münster 1999, S. 138 – 143; Ottmar Fuchs, Wegmarkierungen in die Zukunft – Demokratisierung als Identitätsvollzug der Kirche, in: Demokratische Prozesse in den Kirchen?, Graz 1998, S. 189 – 199. 22 Saier, „Communio“ (Anm. 21), S. 32. 23 Vgl. Demokratisierung der Kirche (Anm. 4), S. 20. 24 Vgl. Siegfried Wiedenhofer, Synodalität und Demokratisierung der Kirche aus dogmatischer Perspektive, in: Demokratische Prozesse in den Kirchen, Graz 1998, S. 73 – 97; Ralph Neuberth, Demokratie im Volk Gottes? Untersuchungen zur Apostelgeschichte (= Stuttgarter Biblische Beiträge 46), Stuttgart 2001, S. 364 – 379. 25 Vgl. Hubertus Brandenburg, Amtsführung in Dialog und Kollegialität, in: Kirche in der Demokratie – Demokratie in der Kirche (Anm. 2), S. 154 ff.; Zsifkovits, Die Kirche (Anm. 6), S. 71 f. 26 Daher missverständlich Neuberth, Demokratie im Volk Gottes? (Anm. 24), S. 388: „Anzustrebendes Ziel ist die Teilung von Macht in der Kirche und die gegenseitige Kontrolle ihrer Ausübung durch ein System von ,checks and ballances‘. Die Einführung parlamentarisch-synodaler Gremien würde die Macht neu aufteilen.“
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an die Einheit der Kirchengewalt im Papst- und Bischofsamt rückgebunden und stellt keine starre Größe dar; sie kennt um ihres Sendungs- und Heilsauftrages willen fließende Grenzen. 2. Teilhabe an der Sendung der Kirche Alle Glieder der Kirche sind durch Taufe und Firmung in die Sendung der Kirche berufen.27 Sie sollen immer mehr am Leben der Kirche teilhaben und sich so in den dreifachen Dienst Christi des Propheten, Königs und Priesters stellen lassen. In dieser gemeinsamen Sendung teilen alle Gläubigen ihre prinzipielle Gleichheit in Würde, Freiheit und Verantwortung. Diesem Dienst entspricht es, dass jeder Gläubige auf die ihm eigene Weise und entsprechend seiner Stellung in der Kirche in einem weiten Sinne auch die Kirche als Communio repräsentiert. Zugleich repräsentiert er Christus als den in seiner Kirche lebendig wirkenden Herrn. Grundsätzlich hat daher jeder Gläubige an dieser zweifachen Repräsentation Anteil. Er handelt als Glied der kirchlichen Gemeinschaft und in persona Christi. Zu dieser Teilhabe aller Gläubigen an der Sendung der Kirche kommt das aufgrund göttlicher Einsetzung mit apostolischer Vollmacht ausgestattete Hirtenamt. Die Hirten der Kirche nehmen nicht dem Grade nach, sondern dem Wesen nach in anderer Weise Anteil an der Sendung der Kirche.28 Damit ist die Trägerschaft geistlicher Vollmacht aufgrund von sakramentaler Weihe und Sendung ausgesprochen, keinesfalls eine moralische Wertung. Die mit apostolischer Vollmacht ausgestatteten Hirten haben an der Sendung der Kirche in persona Christi capitis teil. Sie repräsentieren also Christus als das Haupt der Kirche. Von ihm empfangen sie geistliche Vollmacht, von ihm leiten sich ihre Befähigungen und Vollmachten, aber auch ihre Pflichten und Aufgaben her. Die Ansicht, dass die Weihe- und Hirtengewalt ursprünglich bei der Gemeinschaft der Gläubigen liege und von dieser auf die Hirten der Kirche übertragen werde, hat bereits Papst Pius VI. in der Konstitution „Auctorem fidei“ vom 28. August 1794 als häretisch beurteilt.29 Auch die Meinung, der Papst empfange seine Gewalt nicht von Christus, sondern von der Kirche, wurde darin zurückgewiesen. Der Papst repräsentiert das unsichtbare Haupt der Kirche für die Gesamtkirche, der Bischof für die Teilkirche, der Pfarrer oder ein anderer Priester im Auftrag des Bischofs für die Pfarrei oder Gemeinde. Diese Repräsentation kann auch kollegial ausgeübt werden. Sie steht immer in der Einheit mit der einen „repraesentatio Christi“, die nur in der Einheit der hierarchisch strukturierten 27
Vgl. Vat. II, LG 10 ff.; 31,1. Vat. II, LG 10,2; Apostolicam actuositatem Art. 2: „Den Aposteln und ihren Nachfolgern wurde von Christus das Amt übertragen, in seinem Namen und in seiner Vollmacht zu lehren, zu heiligen und zu leiten. Die Laien hingegen, die des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden sind, verwirklichen ihre Teilhabe an der Sendung des ganzen Gottesvolkes in Kirche und Welt.“ 29 Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Entscheidungen, Freiburg i. Br. 371991, Nr. 2602 f., S. 713. 28
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Kirche voll ausgeübt werden kann, also in der Kirche mit dem Papst, im Bischofskollegium oder Presbyterium. Anders verhält es sich hingegen mit der amtlichen Repräsentation der Gläubigen. Diese wird von den Hirten ausgeübt, wenn sie durch Weihe und Sendung den ihnen zugeordneten Teil des Gottesvolkes einzeln oder kollegial repräsentieren. So integrieren sie die Gläubigen zur Einheit der Kirche und machen diese sichtbar.30
3. Die kollegiale Ausübung kirchlicher Sendung Wenn alle Gläubigen an der Sendung der Kirche teilhaben und die Ausübung des geistlichen Amtes im Bischofskollegium und Presbyterium kollegial strukturiert ist, müssen auch kollegiale Formen gemeinsamen Handelns in der Kirche zwingend vorgegeben sein. Dem entsprechen das konziliare oder synodale und das konsiliare Element der Kirche. Beide Elemente gehören zum Wesen der hierarchisch strukturierten Verfassung der Kirche. Sie entfalten sich in beratenden oder mit Entscheidungskompetenz ausgestatteten Kollegien und Gremien. Entscheidung und Beratung sind zwei Weisen des Zusammenwirkens, die ihrer rechtlichen Natur nach zwar von verschiedener Qualität sind, doch ihrem Handlungsziel nach darin übereinkommen, dass sie der Wirksamkeit der gemeinsamen Sendung dienen. Das konziliare oder synodale Element bringt zum Ausdruck, dass Beratung und Entscheidung aufeinander verwiesen sind. Bei jeglicher Beratung handelt es sich um ein prinzipiell offenes Geschehen, das die Meinungen zu gegenseitiger Information, zu gemeinsamer Tätigkeit und zur Vorbereitung von Entscheidungen in freier Weise zusammenträgt. Anders die Entscheidungsfindung, die nach Einmütigkeit entsprechend dem Mehrheitsprinzip verlangt. Während Lehrentscheidungen eine größtmögliche Einmütigkeit erfordern, werden disziplinarische Maßnahmen eher nach einfachen Mehrheiten beurteilt. Konziliarität beinhaltet Beratung oder Beratung mit Entscheidung in einem Kollegium mit geistlicher Vollmacht. Sie kann sich auch auf Personenentscheide und damit Wahlen beziehen. Wahlen können so durch die Erstellung von Kandidatenlisten kollegial vorbereitet oder vollzogen werden. Die Wahl von Patriarchen, Großerzbischöfen, Metropoliten und Bischöfen in den katholischen Ostkirchen wird von Bischofsgremien vorgenommen. Solche Synoden sind mit Vollmacht ausgestattete Versammlungen im Hinblick auf eine Mehrzahl von Teilkirchen.31 Es handelt sich bei diesen Wahlsynoden also um bischöfliche Kollegialorgane, die an die jeweilige Kirche eigenen Rechts gebunden sind und durch Beratung und Beschlussfassung kollegial handeln.32 Nur wo solche Organe vorhanden sind, ist ihnen auch die Wahl von 30
Vgl. Saier, „Communio“ (Anm. 21), S. 141 – 181; May, Demokratisierung (Anm. 13), S. 96. 31 Winfried Aymans, Synodale Strukturen im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: AfkKR 160 (1991), S. 367 – 369, hier S. 373. 32 Vgl. ebd., S. 374.
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Bischöfen zugeordnet. Fehlen solche Organe, ist auch keine solche Wahlkompetenz gegeben. Es scheint, dass der Gesetzgeber im Bereich der Wahlsynoden die Zuordnung von Wahl und Weihe, wie sie ursprünglich bei der realtiven Ordination zum Ausdruck kam, gewahrt wissen wollte.33 Ist Beratung eine kollegiale Handlungsweise des konziliaren Elementes, so auch eine grundsätzliche Funktion innerhalb der Communio auf allen Ebenen kirchlicher Verfassung. Beratung tritt dann komplementär zur Ausübung von Leitungsgewalt hinzu. Und auch wenn das konsiliare Element oftmals als von minderem Gewicht angesehen wird, so trägt es doch, seinem Wesen entsprechend, zur Information und Entscheidungsfindung bei.34 Es beinhaltet nicht selbst apostolische Vollmacht, doch wirkt es bei deren Ausübung mit. Konsiliarität ist zwar in der Regel kein zur Rechtsgültigkeit notwendiges Moment, so doch nicht rechtsunerheblich. Beratung und Beschlussfassung von ihrer Wirksamkeit her einzuebnen, wird der Communio-Struktur der Kirche nicht gerecht.35 Konsiliare Gremien werden vom kodikarischen Recht ausdrücklich vorgeschrieben und deren regelmäßige Einberufung vorgesehen. Dabei sind nicht nur geistliches Amt und Laienauftrag einander zugeordnet, sondern auch Gesamt- und Teilkirche, Ortskirche und Pfarrei. Dieses konsiliare Element ist aber auf den verschiedenen Ebenen seiner Organisation nicht mit gewählten Gremien oder Wahlen an sich gleichzusetzen. Das konsiliare Element ist mit der Teilhabe an der Sendung der Kirche aller Gläubigen derart wesenhaft verbunden, dass es auch als Gemeinrecht in c. 212 § 3 kodikarische Aufnahme gefunden hat. Die Mitteilung dessen, was der Sendung der Kirche dienlich ist, kann sich zu Recht und Pflicht kristallisieren. Der Beitrag konsiliarer Verantwortung in der Kirche beruht dann auf der inneren Autorität der Persönlichkeit, auf dem Gehalt der Argumente und auf der Anerkennung des jeweiligen Sendungsauftrags.36 Wahlen sind in aller Regel an das konsiliare Element rückgebunden, sei es in einer kollegialen Ausübungsweise, sei es in der Befragung und Beratung durch einzelne Christgläubige. Der Bestellung von Beratungsorganen können wiederum selbst Wahlen vorausgehen.
33 Ders., Das synodale Element in der Kirchenverfassung (= MThSt, kan. Abt. 30), München 1970, S. 179. 34 Demokratisierung der Kirche (Anm. 4), S. 93: „Geht man von der Tatsache aus, daß alle Glieder der Kirche für den Vollzug dieser Kirche verantwortlich sind, dann ergibt sich diese Forderung nach permanenten synodalen Strukturen als die unter den heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten notwendige Konsequenz. Ein nur teilweise aus Wahlen hervorgegangenes Gremium, dem lediglich ein Beratungsrecht zugesprochen wird, kann diesem Kirchenverständnis auf die Dauer nicht entsprechen und ist zudem zur Wirkungslosigkeit verurteilt.“ Diese Sichtweise wird der Tatsache nicht gerecht, dass die Teilhabe an der Sendung der Kirche jedem Gläubigen auf seine Weise zukommt. Die Forderung, dass alle Mitglieder eines Gremiums oder Amtsträger gewählt werden müssen, ist deshalb nur ein ungedecktes Postulat. 35 Vgl. May, Demokratisierung der Kirche (Anm. 13), S. 109. 36 Rahner, Demokratie in der Kirche? (Anm. 20), S. 11.
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4. Das Prinzip der Mitverantwortung Für die Kirche als Communio gilt unter dem Blickwinkel eines „demokratischen“ Verständnisses, dass in ihr ein theologisch recht verstandenes Zuordnungsverhältnis besteht. Die durch Weihe und Sendung übertragene Vollmacht findet sich im geistlichen Amt. Durch dieses wird Christus als das Haupt repräsentiert. An dieser Vollmacht können Laien entsprechend mitwirken durch ihr eigenständiges Charisma in persona Christi. Es ermöglicht ihnen durch eine eigene Freiheit auf Welt und Kirche hin die Teilhabe an der Sendung der Kirche durch Übernahme von kirchlichen Ämtern und Aufgaben, durch Mitwirkung im Räte- und Vereinigungswesen und durch vielfältige andere Weisen der Teilhabe. Dieses Zuordnungsverhältnis ist immer ein gegenseitiges, keinesfalls eine Über- oder Unterordnung.37 Die Ausübung von sacra potestas aber bleibt gebunden an den Empfang der Weihe als Grundbefähigung. Demokratie und Communio-Theologie treffen sich in den Begriffen von Mitverantwortung, Mitberatung, Mitentscheidung.38 Mitverantwortung aber lässt sich nicht allein durch Organisationsstrukturen erfassen, sondern vornehmlich durch die aller Organisation vorgelagerten Werte. Diese gründen für die Kirche in der Teilhabe aller an der Sendung der Kirche, im Besonderen in der Korrelation von apostolischem Amt und allgemeinem Priestertum. Für die Besetzung von Ämtern erhält die Teilhabe an der kirchlichen Sendung ihren vorgegebenen Rahmen durch die beiden Eckdaten von Leitungsgewalt und Rezeption. Wahl, Konsens und Rezeption sind dabei aber nicht einseitig dem besonderen oder dem allgemeinen Priestertum zugeordnet. Beide Ausübungsweisen nehmen in gegenseitiger Zuordnung jeweils daran teil.39 Obwohl die Rezeption kein Erfordernis der Rechtsgültigkeit darstellt, ist sie ein rechtstheologisches Moment der Anerkennung und Wirksamkeit eines Entscheides.40 Amtsbestellungen, wie auch immer sie vorgenommen werden, sind daher weder allein dem Prinzip von oben nach unten, noch dem von unten nach oben zuzuweisen.41 Sie bleiben theologisch gesehen selbst in ihren äußersten Formen von freier Ernennung „von oben“ oder Gemeindewahl „von unten“ stets ein gemeinsames Handeln der Communio.
37
Vgl. Demokratisierung der Kirche (Anm. 4), S. 69; Küng, Mitentscheidung (Anm. 20), S. 155 ff.; Neuberth, Demokratie im Volk Gottes? (Anm. 24), S. 380 f. 38 Vgl. Dordett, Kirche (Anm. 4), S. 29. 39 Vgl. Giuseppe Alberigo, Wahl – Konsens – Rezeption im christlichen Leben, in: Concilium 8 (1972), S. 477 – 483, hier S. 482; Yves Congar, Die Rezeption als ekklesiologische Realität, in: Concilium 8 (1972), S. 500 – 511, hier S. 508 ff. 40 Ebd., S. 510 f.; Hubert Müller, Der Anteil der Laien an der Bischofswahl. Ein Beitrag zur Geschichte der Kanonistik von Gratian bis Gregor IX. (= Kanonistische Studien und Texte 29), Amsterdam 1977, S. 214 – 218. 41 Vgl. Ratzinger, Demokratie in der Kirche (Anm. 5), S. 41; Hervé-Marie Legrand, Der theologische Sinn der Bischofswahl nach ihrem Verlauf in der alten Kirche, in: Concilium 8 (1972), S. 494 – 500, hier S. 499.
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IV. Kirchliche Wahlen als Strukturelement der Communio 1. Eigene Organisationsstrukturen der Kirche Geistliche Vollmacht gibt es in der Kirche durch Jesus Christus. Sie ist aber nicht anonym, sondern iure divino den Hirten der Kirche als den Nachfolgern der Apostel übertragen. Diese besitzen ihre Autorität nicht von Volkes, sondern von Gottes Gnaden.42 Die Übertragung geistlicher Vollmacht geschieht daher durch die Weitergabe oder Teilhabe durch die Hirten mittels Weihe und Sendung. Die Bezeichnung der Person aber, der ein geistliches Amt übertragen werden soll, ist dem hoheitlichen Akt der Amtsübertragung vorgelagert und nicht unmittelbar selbst ein Akt von geistlicher Vollmacht. Daher können an der Ermittlung des Kandidaten auch andere Personen mitbeteiligt werden. Da jedoch die Amtsübertragung immer in der Kompetenz und Letztverantwortung der Hirten liegt, kann diese Beteiligung jeweils nur relativ, also bezogen sein, nicht zwingend. Sie wird wie jedes aktive Wahlrecht als ein Recht zugestanden, um eine breite Akzeptanz und damit Wirksamkeit des Amtes zu gewährleisten. Je nach den gegebenen geschichtlichen Verhältnissen kann die Ermittlung des Kandidaten aber um der Freiheit der Kirche willen auch in anderer Weise erfolgen. Selbst wenn eine Mitbeteiligung an der Kandidatenfindung oder ein Wahlrecht zugestanden wird, bleibt den zuständigen Hirten der Kirche stets die Pflicht und das unübertragbare Recht, die Eignung der jeweiligen Kandidaten zu überprüfen. Ein nicht nur zugestandenes, sondern genuines Wahlrecht drängt sich freilich dort auf, wo keine übergeordnete Autorität vorhanden ist, wie dies etwa bei der Wahl des Papstes, eines Patriarchen oder eines Abtes der Fall ist. Der Kirche ist es damit verwehrt, Organisationsformen der politischen Demokratie eins zu eins zu übernehmen oder sich einfach an ihnen zu orientieren.43 Dies würde Kirche säkularisieren. Vielmehr muss die Kirche immer neu – in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen und Vorstellungen – zu den ihr aufgrund ihres Wesens eigenen Organisationsstrukturen finden. Schlagwörter wie „aggiornamento“ oder „Erneuerung“ können lediglich dieser kirchlichen Eigenfindung dienen. Gerade die Entwicklung des kirchlichen Wahlrechts zeigt deutlich, dass die Kirche die Reflexion und Kraft aufbringen muss und auch kann, die ihrem Sendungsauftrag angemessenen Strukturen zu finden und in rechtlicher Form auch eigenständig zu entfalten. Die Einbindung in politische Verhältnisse und säkulare Herrschaftsformen und ihrer zugrunde liegenden Ideen hat die Freiheit der Kirche oft in Gefahr gebracht und 42
Vgl. May, Demokratisierung der Kirche (Anm. 13), S. 28. Vgl. Ratzinger, Demokratie in der Kirche (Anm. 5), S. 35 – 45; Hättich, Demokratie (Anm. 3), Sp. 1190; Richard Puza, Démocratie et synode. Le principe synodal dans une perspective historique, théologique et canonique, in: RDC 49 (1999), S. 125 – 140, hier S. 134 – 139; Rik Torfs, Démocratie dans l’Église. Une approche pragmatique et descriptive, in: RDC 49 (1999), S. 226 ff.; Heinrich Schneider, Demokratie und Kirche – ein komplexes Gefüge komplexer Größen, in: Kirche in der Demokratie – Demokratie in der Kirche (Anm. 2), S. 74 – 91; Brandenburg, Amtsführung (Anm. 25), S. 152 ff. 43
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ihre Sendung verdunkelt.44 Und umgekehrt, wo die Kirche ihr theologisches Selbstverständnis klarer zum Ausdruck bringen konnte, konnte sie ihre Fruchtbarkeit erhöhen und auf weltliche Strukturen Einfluss nehmen. 2. Einmütigkeit als Formalkriterium für Auswahlverfahren Wahlen stellen eine ursprüngliche, traditionell geübte und nach wie vor zeitgemäße Form der Besetzung von kirchlichen Ämtern dar. Darin kommen die gemeinsame Verantwortung und die Einmütigkeit in der Entscheidung in besonderer Weise zum Ausdruck. Die kollegiale Wahlentscheidung richtet sich jedoch nicht nach dem subjektiven Wollen des einzelnen Wählers. Der theologische Gehalt liegt allein darin, in gemeinsamer Beratung und Entscheidung den Kandidaten für ein Amt zu bezeichnen, der als der dafür Würdigste oder dafür am besten Geeignetste zu gelten hat. Das gemeinsame Zeugnis und die gemeinsame Kompetenz dienen diesem geistlichen Zweck als Materialobjekt.45 Die Einmütigkeit der Entscheidung ist demgegenüber Formalobjekt, insofern die Einheit des gemeinsamen Willens zum Ausdruck eines geistlichen Vollzuges wird. Sie garantiert die Übereinkunft der kirchlichen Entscheidung mit der göttlichen Anordnung selbst. Material- wie Formalaspekt der Wahl können jedoch ebenso in anderer Weise gewährleistet werden. Denn gerade die Entwicklung des Wahlrechtes in der Geschichte der Kirche zeigt, dass die herzustellende Einmütigkeit zur Legitimität einer Amtsübertragung durch Wahlen nicht in jedem Fall garantiert ist. Die Begrenzung auf ein Wahlgremium, die Festlegung von technischen Wahlverfahren, die Entscheidung nach einer qualifizierten Mehrheit und die Unterscheidung von Auswahl und Bestätigung sind als Formaldifferenzierungen des Einmütigkeitskriteriums erst geschichtlich ausgebildet worden. Das der Kirche eigene Auswahlkriterium richtet sich allein nach der Eignung und Berufung des Amtsinhabers. Originäres Formalkriterium zur Feststellung, ob ein Kandidat die Eignungsvoraussetzungen erfüllt und welcher unter mehreren Kandidaten die größere Eignung für das konkret zu besetzende Amt besitzt, ist die Einmütigkeit. Sie trägt die besonderen Qualitätsmerkmale zusammen. Sie bezeugt die Freiheit von kanonischen Hindernissen, garantiert die Einheit im apostolischen Amt und damit die Einordnung der Teilkirche oder Gemeinschaft in die Communio und bürgt für die Rezeption als Voraussetzung einer fruchtbaren Amtsausübung. Eine so verstandene unanimitas muss man wohl als im ius divinum verankert ansehen wie auch die kanonische Amtsübertragung aufgrund von sacra potestas.
44 Vgl. Marcel Metzger, Les leçons de la tradition, in: RDC 49 (1999), S. 9 – 37, hier S. 36 f. 45 Vgl. Olivero, Lineamenti (Anm. 17), S. 245: „Elemento fondamentale della funzione elettorale risultava così essere la rivelazione della volontà divina che, ispirando gli elettori, li guidava a provvedere all’utilitas Ecclesiae.“
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V. Wesensmerkmale kirchlicher Wahlen 1. Auswahl nach Eignung Die Feststellung der Dignitas und die Auswahl nach Eignung sind ein vielschichtiger Prozess, der sich auf verschiedenen Ebenen vollzieht. Durch die rechtliche Festlegung von objektiven Eignungsvoraussetzungen werden Grunddaten verfügt, welche für die Ausübung des Amtes unabdingbar sind (Weihe, Ausbildung) oder für eine gewisse Befähigung sprechen (Alter, akademischer Titel). Die Grenzen können aber etwa durch Dispens oder Postulation fließend gehalten werden. Die Kandidatensuche oder Vorauswahl ist der Vorgang, der den weitesten Raum lässt für Mitwirkung auf allen Ebenen. Hier sind Beratung, Mitentscheidung, Eigeninitiative verortet. Gerade die Möglichkeit der Postulation zeigt deutlich, dass der Freiraum notwendig sein kann und die Kandidatensuche grundsätzlich nur als offener Prozess denkbar ist. Die Festlegung auf eine bestimmte Kandidatenliste dient demgegenüber einer ersten Wertung und zugleich je nach Verbindlichkeitsgrad dem Einigungsprozess. Bei der Auswahl der Amtsträger sind Person und Amt in Beziehung zueinander zu setzen. Die Kenntnis der Personen wie der Erfordernisse des Amtes in dessen theologischer, örtlicher wie überregionaler Bedeutung müssen für eine Beteiligung am Auswahlverfahren vorausgesetzt sein.46 Die dafür nötige Konsultation der Betroffenen wie derjenigen, die wirkliche Kenntnis besitzen, gehört zu den Grundvoraussetzungen. Ohne die Berücksichtigung dessen kann sich das reine Wahlprinzip ins Gegenteil verkehren. Gegebenenfalls kann die Einschränkung auf ein Wahlkollegium als ein Gremium von Experten sinnvoll sein. Dass viele oder mehrere Personen mehr wissen als wenige oder als die zuständige Autorität allein, ist eine Grundwahrheit, die für die Unbedingtheit eines umfänglichen Informativprozesses spricht, nicht aber für das Wahlprinzip an sich. Die Gewichtung innerhalb eines Ermessensspielraumes kann – muss aber nicht – durch ein Wahlkollegium vielleicht objektiver vorgenommen werden. 2. Öffentlichkeit Die Übertragung eines Kirchenamtes steht immer in Zusammenhang mit der Sendung der Kirche und damit in der Öffentlichkeit der Communio. Klandestine Ämter und Wahlen kann es daher nicht geben. Die Öffentlichkeit kann nur aufgrund der Schutzwürdigkeit der Ausübung des Amtes gegenüber weltlichen Einrichtungen eingeschränkt sein. Und insofern die Amtsausübung der Rezeption bedarf, gehört die kirchliche Öffentlichkeit zum Wesensmerkmal kirchlicher Amtsausübung. Was für das Amt gilt, hat auch für die Amtsbesetzung Geltung. Sie bedarf der Kenntnisnahme und Annahme. Auch die Auswahl des Amtsträgers ist niemals ein geheimer Prozess oder ein Vorgang des forum internum. Die Bezeugung der Eignung der Person für das Amt, das 46
Vgl. Rahner, Demokratie in der Kirche? (Anm. 20), S. 12.
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Vorbringen eventueller Hindernisse und die Offenlegung unüberwindbarer Abneigung sind Wesensmerkmale kirchlichen Auswahlverfahrens. Sie dürfen grundsätzlich nicht übergangen werden. Demgegenüber sind subjektive Interessen und persönliche Wünsche auszuschließen, es sei denn, dass sie sich auf die Ausübung kirchlicher Sendung in objektiver Weise auswirken.47 Entsprechend kann es bei der Mitwirkung von Wahlen oder bei der Besetzung eines Amtes niemals um widerstreitende Interessen gehen. Oberstes Leitprinzip muss die Sendung der Kirche sein. Der Grad der Öffentlichkeit der Wahl in den verschiedenen Stufen des Wahlverfahrens ist daher allein daran zu messen. Die Beurteilung und Zumessung der Öffentlichkeit bleibt nur soweit dienlich, als die Korrelation von Eignung und Amt durch sie auch ausgewiesen werden kann. Dazu ist eine öffentliche Meinungs- und Mehrheitsbildung in Bezug zu setzen. Eine allgemeine Kenntnisnahme der Kandidaten und eine entsprechende Information über sie sowie über die zu besetzenden Ämter wären dann verlangt. Eine Diskussion um die Voraussetzungen, die ein Amt verlangt, und um die Eignung der in Frage kommenden Personen wäre zu führen, um abwägen, vergleichen und richtig entscheiden zu können.48 Dies bedarf aber wiederum einer ausreichenden Diskretion, da Berufung und pastorales Wirken nicht allein an messbarer Leistung zu beurteilen sind. Deshalb steht ein den kanonischen Gemeinrechten entsprechender adäquater Schutz der Persönlichkeit der Kandidaten vor öffentlicher Disputation und eventueller Herabsetzung ebenso im Dienst der Sendung der Kirche wie die hinreichende und gerechte Verteilung der Charismen und Dienste im Gesamt der Gemeinschaft. In dieser Hinsicht sind die Gesetzmäßigkeiten von sozialen Kommunikationsmitteln und deren Wirkung um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen mit zu bedenken. 3. Mehrheitsprinzip Formalkriterium zur Findung der geeignetsten Person für ein zu besetzendes Amt ist die Einmütigkeit innerhalb der Communio.49 Die Einschränkung des aktiven Wahlrechtes auf ein Wahlkollegium kann die Einmütigkeit darstellen und verbürgen, nicht aber in einem vollen Sinne ersetzen. Wie die Geschichte kirchlicher Wahlen zeigt, dient sie der Freiheit der Amtsbesetzung vor illegitimem Fremdeinfluss sowie der Rechtssicherheit. Ebenso muss die Einhaltung eines geordneten Wahlverfahrens im Dienste der Rechtssicherheit und damit der Einmütigkeit des Kollegiums gesehen werden. Die kirchliche Sendung steht zur Zwietracht im Widerspruch. In der Zuteilung von aktivem Wahlrecht an bestimmte Personen für eine bestimmte Wahl und darin, was die verbindliche Einhaltung eines geregelten Wahlverfahrens zur 47 Zur Psychologie des Wahlprozesses vgl. Jean Remy, Beteiligung des Gottesvolkes an der Wahl und der Ernennung eines Bischofs, in: Concilium 16 (1980), S. 507 – 514. 48 Vgl. Rahner, Demokratie in der Kirche? (Anm. 20), S. 14 f.; Demokratisierung der Kirche (Anm. 4), S. 89; Heribert Schmitz, Plädoyer für Bischofs- und Pfarrerwahl, in: TThZ 79 (1970), S. 230 – 249, hier S. 241. 49 Vgl. Olivero, Lineamenti (Anm. 17), S. 246 f.
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Wahrung der Rechtssicherheit betrifft, kommen der staatliche und kirchliche Rechtskreis überein. Auch die Einhaltung von Mehrheitsverhältnissen zur Entscheidung der Personenauswahl ist nichts anderes, als die Übersetzung der Einmütigkeit in formale Kriterien bei gleichzeitiger Rechtsfiktion der Übereinstimmung von zahlenmäßiger und inhaltlicher Majorität. Das bei Wahlen und anderen Abstimmungen angewandte Mehrheitsprinzip stellt deshalb in sich keinen absoluten Wert dar. Die Quantität besitzt lediglich Dialogwert. Seine Rechtfertigung findet das Mehrheitsprinzip darin, dass seine Anwendung als Kompromiss anzusehen ist, der überhaupt erst Wahlen und Abstimmungen sinnvoll macht und eine Entscheidung durch einen größeren Kreis von Personen ermöglicht. „Das Vertrauen auf die gesunde Vernunft fällt dann zusammen mit dem, was eine Gemeinschaft mit zahlenmäßiger Stärke bekundet hat.“50 Bei kirchlichen Wahlen muss aber die Zahlenmehrheit mit der Einmütigkeit und der sanior et maior pars übereinstimmen. Dies wird dadurch gewährleistet, dass die Rechtsordnung die Integration der Stimmen der abwesenden Wahlberechtigten wie auch der ungültigen Stimmen und der Gegen- oder Neinstimmen hoheitlich verfügt. Es wird aber auch dadurch garantiert, dass die Wahl kein in sich geschlossener Vorgang ist, sondern einerseits und in der Regel der Bestätigung der kirchlichen Autorität bedarf, welcher die Prüfung des Kandidaten wie der Kanonizität der Wahl aufgetragen ist, und andererseits prinzipiell an die Rezeption durch die Gemeinschaft rückgebunden ist. Diese beiden Rechtselemente tragen die Saniorität entscheidend mit.51 Nur so kann auch die Mehrheit nach einer Anzahl von Stimmen beim Wahlvorgang als Zeugnis der Einmütigkeit dem theologischen Sinn kirchlicher Wahlen gerecht werden. Die Majorität spiegelt sodann die Korrelation von apostolischem Amt und Communio wider und wird darin ein möglicher Ausdruck geistgewirkten Handelns. 4. Amtsübertragung Die Übertragung eines Amtes bindet in die apostolische Sendung der Kirche ein und gibt entsprechend dem Auftrag und Umfang des Amtes Anteil an der amtlichen Sendung der Kirche. Die Repräsentanz der apostolischen Sendung im kirchlichen Amt kommt in qualifizierter Weise durch die Erteilung der missio canonica bzw. missio divina zum Ausdruck. Die Repräsentanz der Gemeinschaft ist ein Aspekt derselben Sendung und gestaltet sich nach der hoheitlichen Zuordnung zu einer Gemeinschaft oder einer portio populi Dei. Die Wahl in ein Hirtenamt durch ein Wahlkollegium bezeichnet deshalb in der Regel nur eine bestimmte Person, führt aber nicht dazu, dass das entsprechende Kollegium repräsentiert wird. Der Papst repräsentiert nicht das Kardinalskollegium und der Bischof nicht das Domkapitel. Amtsübertragung kann in der Kirche niemals ein Akt von Volkssouveränität sein, sie ist immer ein 50 51
Dordett, Kirche (Anm. 4), S. 45. Vgl. Olivero, Lineamenti (Anm. 17), S. 248 ff.
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Akt hoheitlicher Leitungsgewalt oder davon abgeleitet. Daher trägt die amtliche Verantwortung dafür auch die jeweils zuständige kirchliche Autorität. Sie verbindet den orts- wie gesamtkirchlichen Aspekt jeder Amtsübertragung. Sie umschreibt und bestimmt die Mitwirkungsweise, sorgt für die Rechtsgrundlage und ihr obliegt die Prüfung der Vorgänge und Personen wie dann auch die Amtseinsetzung selbst. Daher setzt eine ungebundene Amtsübertragung durch Wahlen auch die Trägerschaft von Jurisdiktionsgewalt voraus; andernfalls bedarf die Wahl einer hoheitlichen Bestätigung.52 Auch die Beurteilung, welches Mittel der Amtsbesetzung am ehesten dem Wesen der Kirche als Communio entspricht, steht in der Verantwortung apostolischer Sendung. Der Anteil der Gesamtkirche muss dabei proportional im Verhältnis dazu stehen, wie weit das betreffende Amt ins Ganze der Kirche hineinragt. Die Ablehnung jeglichen Wahlrechts oder eine uneingeschränkte Ausweitung des Wahlrechts wären bei einer Beurteilung die äußersten Standpunkte.53 Ernennung wie Wahl können gleichermaßen zu guten Ergebnissen wie Fehlentscheidungen führen. Die Vorgehensweise muss auf jeden Fall dem zu besetzenden Amt entsprechen. Bislang wurden hauptsächlich in hohe Ämter sowie in das Vorstandsamt von Kollegialorganen gewählt. Die Mitwirkungsmöglichkeiten, die am geeignetsten erscheinen, müssen realisiert werden. Dafür stehen jeweils Beratung, Konsens oder Wahl durch Kleriker und Laien als Meinungsbildung zur Verfügung.54 Vielfältige Modelle der Amtsbesetzung sind denkbar und vorgeschlagen worden.55 Das Missverständnis, dass nur Mitentscheidungskompetenz wirkliche Mitwirkung sei, zeichnet viele solcher alternativen Modelle aus. Eine hoheitliche Entscheidung ohne jede Form von Meinungsbildung ist undenkbar wie auch das Abtreten von jeglicher Verantwortung hierin. Die kirchliche Autorität steht in der unaufgebbaren Pflicht, allgemein und im konkreten Fall für die Auswahl des geeignetsten Kandidaten oder der geeignetsten Kandidatin und damit ebenso für die geeignetste Weise der 52
Vgl. May, Demokratisierung der Kirche (Anm. 13), S. 57. Vgl. Valentin Zsifkovits, Subsidiäre Amtsbestellung, in: Bischofsbestellung. Mitwirkung der Ortskirche? Hrsg. v. Bernhard Körner/M. Aigner/G. Eichberger (= Theologie im kulturellen Dialog 3), Graz/Wien/Köln 2000, S. 82 – 96, hier S. 92. 54 Vgl. Dordett, Kirche (Anm. 4), S. 41. 55 Zu möglichen Formen der Mitbeteiligung bei der Besetzung von Ämtern vgl. Franz Nikolasch, Bischofswahl durch alle. Konkrete Vorschläge, Graz/Wien/Köln 1973, S. 50 – 60; Johannes Neumann, Wahl und Amtszeitbegrenzung nach kanonischem Recht, in: ThQ 149 (1969), S. 117 – 132, hier S. 125 f.; Küng, Mitentscheidung (Anm. 20), S. 163 f.; Günther Biemer, Die Bischofswahl als neues Desiderat kirchlicher Praxis, in: ThQ 149 (1969), S. 171 – 184, hier S. 175 – 184; Schmitz, Plädoyer (Anm. 48), S. 244 – 249; Matthäus Kaiser, Besetzung der Bischofsstühle. Erfahrungen und Optionen, in: AfkKR 158 (1989), S. 69 – 90, hier S. 85 – 88; Walter Kasper, Zur Theologie und Praxis des bischöflichen Amtes, in: Bischofsbestellung. Mitwirkung in der Ortskirche? Hrsg. v. Bernhard Körner/M. Aigner/G. Eichberger, Graz/Wien/Köln 2000, S. 18 – 39, hier S. 37; Bruno Primetshofer, Bischofsernennungen, ebd. S. 61 – 81, hier S. 75 – 81; Zsifkovits, Subsidiäre Amtsbestellung (Anm. 53), S. 93 – 96; Neuberth, Demokratie im Volk Gottes? (Anm. 24), S. 389 f.; Hartmann, Wählt die Bischöfe (Anm. 20). 53
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Meinungsfindung und damit auch für die Verwirklichung von Einmütigkeit Sorge zu tragen. In Verbindung mit der Einmütigkeit ist die Freiheit der Kirche nach Innen und nach Außen für die Übertragung von Ämtern oberstes Gebot. Der libertas Evangelii als Freiheit des Evangeliums und der Sendung der Kirche von sowohl lokalen und partikulären Interessen als auch von nichtkirchlicher Bevormundung muss jede Regelung von Amtsbesetzung entsprechen.56 5. Rezeption Die Sendung der Kirche verwirklicht sich in der Korrelation von apostolischem Amt und kirchlicher Gemeinschaft. Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen und das besondere Priestertum des Amtes sind wesenhaft aufeinander bezogen. Und wie es deshalb keine Kirche geben kann ohne in ihr das apostolische Amt, so auch keine „Amtskirche“ getrennt vom Kirchenvolk. Die Trägerschaft von apostolischer Sendung in der Kirche ohne eine Mitwirkung der Sendung aller Gläubigen kann dem Wesen der Kirche nicht gerecht werden. Für die Amtsübertragung bedeutet dies ein Zusammenwirken von kirchlicher Autorität und Gemeinschaft. Ein Grundrecht auf Beteiligung an den innerkirchlichen Entscheidungsprozessen und an der Mitwirkung bei der Designation von Amtsträgern kann es jedoch nicht geben.57 Die kodikarisch definierten Gemeinrechte der Gläubigen (cc. 208 – 223 CIC/1983) umfassen den rechtlichen Grundbestand, der jeden Chistifidelis ins Recht setzt und in Pflicht nimmt. Die Mitwirkung an der Besetzung von Ämtern betrifft weder eine Allgemeinheit noch jeden als Einzelnen. Sie muss jeweils von der zuständigen Autorität umschrieben werden. Aus der Geschichte des kirchlichen Wahlrechtes sind jedoch Recht und Pflicht ableitbar, bei der konkreten Besetzung eines Amtes durch Zeugnisgabe und Rezeption je nach Kenntnis und Stellung innerhalb der Communio mitzuwirken. Recht und Pflicht der Zeugnisgabe entsprechen dabei der Pflicht und dem Recht der Anhörung, Recht und Pflicht der Amtsübertragung korrespondieren der Pflicht und dem Recht der Rezeption.
VI. Wahlen im kirchlichen Räte- und Vereinigungswesen Das konsiliare Element in der Kirche hat mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine entscheidende Stärkung erhalten.58 Durch kirchliche Einrichtung wirken konsiliare Gremien und Räte auf fast allen verfassungsrechtlichen Ebenen in der Koordi56
Vgl. Ratzinger, Demokratie in der Kirche (Anm. 5), S. 41 f. Vgl. Paul Hinder, Grundrechte in der Kirche. Eine Untersuchung zur Begründung der Grundrechte in der Kirche, Freiburg/Schweiz 1977, S. 262 f. 58 Vat. II, Dekret über das Apostolat der Laien Apostolicam actuositatem 26,1. Vgl. Heribert Hallermann, Ratlos – oder gut beraten? Die Beratung des Diözesanbischofs (= Kirchenund Staatskirchenrecht 11), Paderborn 2010. 57
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nation und Leitung mit.59 Sie sollen für das Apostolat aller Gläubigen ein Forum schaffen und die Zusammenarbeit von Laien untereinander und von Klerikern und Laien in der Sendung der Kirche gestalten. Es handelt sich dabei um Organe mit vornehmlich Beratungscharakter. Diese Beratungsfunktion ist mitunter rechtlich verbindlich in Beispruchsrechten geordnet, etwa in Anhörungs- oder Zustimmungsrechten. Die Mitglieder solcher Konsultativorgane müssen sich zuerst durch Kenntnis und Erfahrung auszeichnen, dann auch dadurch, dass sie bestimmte Personengruppen oder Teilbereiche kirchlicher Sendung repräsentieren. Die Räte repräsentieren die Gläubigen nicht in der vollen Weise, wie die Hirten aufgrund von Weihe und Sendung und können diesen deshalb auch nicht souverän gegenübertreten. Sie repräsentieren die Gläubigen in ihrer Teilhabe an der Sendung dadurch, dass sie von diesen dazu durch Wahl für eine bestimmte Zeit ausgewählt werden. Es bestünde aber durchaus die Möglichkeit, die Mitglieder eines solchen Rates auch auf andere Art und Weise oder nach bestimmten Auswahlkriterien zu bestimmen, etwa aufgrund von Verdienst, Eigenschaften, Zugehörigkeit zu Gruppierungen. Deshalb ist der Ruf in ein Konsultationsgremium grundsätzlich durch Ernennung oder durch Wahl möglich. Das Recht kennt sinnvoller Weise beide Formen der Bestellung, in manchen Fällen wird gewählt und ernannt. Die bevorzugte Weise der Auswahl stellt jedoch ein geregeltes Wahlverfahren dar. Es lässt die Repräsentanz des Gottesvolkes und die Mitverantwortung an der Sendung der Kirche deutlicher zum Ausdruck kommen. Die dazu nötigen Wahlordnungen müssen zumeist einen größeren Kreis von Wählern berücksichtigen, der sich zudem häufig nicht zu einer örtlichen Wahlversammlung einfinden kann. Die kodikarischen Normen für Wahlen sind darauf nicht in allem abgestimmt. Aber auch wenn Räte durch Wahl bestimmt werden und damit ihre Wähler vertreten, so bleiben sie immer Repräsentanten der ganzen Sendung der Kirche und können nicht zu Interessenvertretern werden.60 Dies steht im Gegensatz zu einem demokratischen Verständnis, nach dem die Gewählten Interessen innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft wahrnehmen. Kleriker und Laien, Amtsträger und „einfache Gläubige“, kirchliches Leitungsamt und Konsultativorgan sind immer nur aufeinander hingeordnet und als Repräsentanten der unteilbaren Communio denkbar.61 Den Gläubigen ist es unbenommen, Vereinigungen für Zwecke der Caritas oder der Frömmigkeit oder zur Förderung der christlichen Berufung in der Welt frei zu gründen und zu leiten und Versammlungen abzuhalten, um diese Zwecke gemeinsam zu verfolgen (c. 215 CIC/1983). Von diesem im CIC neu formulierten Recht haben 59 Vgl. Rahner, Demokratie in der Kirche? (Anm. 20), S. 10 f.; Walter Bayerlein, Räte in der Kirche seit dem Vaticanum II, in: IKZ Communio 25 (1996), S. 148 – 168, hier S. 151 – 162; Ratzinger, Demokratie in der Kirche (Anm. 5), S. 71 – 77; Zsifkovits, Die Kirche (Anm. 6), S. 81 f. 60 May, Demokratisierung der Kirche (Anm. 13), S. 100. 61 Vgl. Klaus Mörsdorf, Das eine Volk Gottes und die Teilhabe der Laien an der Sendung der Kirche, in: Ecclesia et Ius. Festgabe für Audomar Scheuermann zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. K. Siepen/J. Weitzel/P. Wirth, München/Paderborn/Wien 1968, S. 99 – 119, hier S. 116 f.
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die Christgläubigen von jeher Gebrauch gemacht und sich in Vereinigungen, Stiftungen und religiösen Lebensverbänden organisiert. Soweit die Sendung der Kirche betroffen ist, ist dieses konsoziative Element in das Recht der Kirche eingebunden worden. Davon unbenommen bleibt das Recht der weitestgehenden Selbstorganisation. Die Leitung der Vereinigungen und die in ihnen vorhandenen Dienste und Aufgaben können nach allgemeinem oder speziellem Recht übertragen werden. Der Stifterwille und die Eigenart sind dabei zu berücksichtigen. Wahlen sind hierin ein geeignetes Mittel der Selbstorganisation. Sie sind nach kirchlicher Tradition immer dort erforderlich, wo keine interne übergeordnete Leitungsinstanz Vorkehrungen treffen kann. So werden die obersten Leiter und Leiterinnen von Lebensverbänden und die Vorstände von Vereinigungen durch Wahl bestimmt. Andere Obere oder Dienste werden entsprechend den Statuten und Konstitutionen eingesetzt. Dies kann durch Ernennung oder Wahl geschehen, gegebenenfalls unter Beteiligung durch Beratung oder Konsens. Dabei wird Konsiliarität mit der Größe einer Vereinigung an Bedeutung zunehmen. Wahlen haben jedoch im kirchlichen Vereinigungswesen ein eigenes Gewicht, da sie das konsoziative Element hervorheben und stärken.
VII. Die Entwicklung des kanonischen Wahlrechts Wahlen zur Besetzung kirchlicher Ämter gibt es seit Anfang der Kirche. Die Einmütigkeit des Zusammenwirkens innerhalb der Communio wurde als geistliches Ereignis wahrgenommen, das die besondere Eignung einer Person zur Erfüllung eines Dienstes formal bezeugte und garantierte. Diese Einmütigkeit umfasste die zuständige kirchliche Autorität, die in Mitverantwortung stehenden Kleriker und Laien wie auch die betroffene kirchliche Gemeinschaft. Die geschichtliche Entwicklung des Wahlrechtes zeigt eine Differenzierung der unterschiedlichen Weisen der Beteiligung an der Amtsbesetzung. Während die Kandidatensuche vornehmlich den verantwortlichen Klerikern und Laien der Teilkirche oder Gemeinschaft zugewiesen wurde, war es Sache der kirchlichen Autorität zu prüfen, zu bestätigen und durch die Erteilung von Weihe und Sendung apostolische Vollmacht zu übertragen. Der kirchlichen Gemeinschaft als ganzer war die Rolle der Bezeugung und der Rezeption eigen und wurde als rechtserheblich angesehen. Zur Verteidigung der Freiheit der Kirche und zur Wahrung der Einmütigkeit war die Kirche gezwungen, Wahlen rechtlich abzusichern, fest umschriebene Wahlkollegien einzurichten und das Wahlverfahren genauer zu ordnen. Sie hat dies aus ihrem eigenen Selbstverständnis getan. Jeder Schritt der Entwicklung des Wahlrechtes entspricht der kirchlichen Bedürfnislage. Auseinandersetzungen mit weltlicher Autorität und innerhalb kirchlicher Zuständigkeiten brachte eine Klärung der Wesensmerkmale der einzelnen Vorgänge des Gesamtwahlverfahrens. Zugeständnisse der Mitbeteiligung an der Besetzung kirchlicher Ämter konnten nur dort und in dem Maße eingeräumt werden, als sie dem Wesen der Kirche nicht widersprachen und der aktuellen Sendung der Kirche dienten. Mit der geschichtlichen Änderung dieser Bedingungen musste die Kirche solche Formen der Mitbeteiligung einschränken oder ganz zurücknehmen.
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Das kirchliche Wahlverfahren war schon immer auf die Besetzung der unterschiedlichen Ämter bezogen und von daher in verschiedenen Formen organisch entwickelt worden. Geschichtlich zeigt sich aber die gegenseitige Beeinflussung und Anpassung der Wahlverfahren. Bischofswahl, Papstwahl und Wahlen innerhalb der Lebensverbände sind füreinander fruchtbar geworden. Dabei ist zu beobachten, dass kirchliche Gesetzgebung und kanonistische Durchdringung der Rechtsmaterie Hand in Hand gingen. Die Gesetzgebung folgt oftmals der tatsächlichen Entwicklung und theoretischen Erkenntnis nach und setzt eine bereits praktizierte Übung in Rechtsgeltung. Umgekehrt wirkte die Verbindlichkeit der Gesetzgebung herausfordernd auf Theorie und Praxis zurück. Die zentrale Gesetzgebung des Apostolischen Stuhles wie die Substantialisierung durch die Kanonistik erreichten schließlich einen geschichtlichen Punkt, an dem die geltenden und der Rechtssicherheit dienenden Wahlrechtsnormen in allgemeinen abstrakten Gesetzen formuliert und kodifiziert werden konnten. Die unaufgebbaren Wesensmerkmale kirchlichen Wahlverfahrens wurden für alle Wahlen zur Besetzung kirchlicher Ämter als verbindlich erklärt. Die konkrete Ausgestaltung innerhalb dieses Rahmens konnte der Spezial- und Partikulargesetzgebung wie auch sekundärer Rechtsgestaltung überlassen werden. Der geistliche Gesamtprozess „Wahl“ hatte damit einen Höhepunkt an Rechtssicherheit und Formalisierung erreicht. Gleichzeitig wurde damit ein Instrumentarium geschaffen, das neuen Formen von Mitbeteiligung an der amtlichen Sendung der Kirche durch Wahlen zur Verfügung stand. Der Anstoß durch das Zweite Vatikanische Konzil, die Kirche als Communio erneut in den Blick zu bekommen und die gegenseitige Bezogenheit von allgemeiner und besonderer Teilhabe an der Sendung der Kirche auch strukturell zu übersetzen, hat auch dem kirchlichen Wahlrecht zu neuer Bedeutung verholfen. Daraufhin konnte das kodifizierte Wahlrecht in der Reform des CIC bereinigt und durch die Parallelgesetzgebung im CCEO vervollständigt werden.
VIII. Ergebnis Das aktuell geltende allgemeine und partikulare Wahlrecht der Kirche steht im Dienst der Rechtssicherheit, die nach wie vor die Freiheit und Einmütigkeit in der kirchlichen Sendung zu schützen hat. Auf dieses Ziel hin sind die Normen zu verstehen und auch kritisch zu prüfen. Darüber hinaus muss mitbedacht werden, in welchen Bereichen kirchlicher Sendung Wahlen überhaupt Sinn geben. Jede Besetzung von kirchlichen Ämtern steht unter der theologischen Anforderung der Eignung des künftigen Amtsträgers. Wahlen sind geeignet, durch Kenntnis vieler und durch Majoritätsentscheid solche Eignung im Hinblick auf ein konkret zu besetzendes Amt inhaltlich wie formal zu bezeugen. Das muss aber nicht immer so sein. Beste Informationen und Einmütigkeit können auch auf anderem Wege erreicht werden. Die Einbeziehung der Verantwortlichen, Kenntnisreichen und Betroffenen kann zur Einengung auf einen nur bestimmten Wählerkreis durchaus in Widerspruch stehen. Welche Formen der Mitbeteiligung am dienlichsten sind, steht im Ermessen und in der Entschei-
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dung derer, die durch apostolische Sendung gesetzgebend wie verwaltend für die Übertragung des Amtes verantwortlich sind. Das Erfordernis von Mitverantwortung und Mitwirkung innerhalb der Communio steht grundsätzlich außer Frage und gründet wie die sacra potestas im ius divinum selbst. Davon kann in keinem Fall dispensiert werden und Machtansprüche haben darin keinen Platz. Eine Demokratie wird die Kirche aufgrund dieses Erfordernisses dennoch nicht. Wahlen als kirchliche Organisationsstruktur werden sich zunächst dort aufdrängen, wo es sich um das Amt des obersten Leiters einer Kirche, einer Teilkirche oder Gemeinschaft handelt. Dies ist auch der Fall, wo Kollegien sich ihren Leiter erwählen oder eine Repräsentanz von Diensten oder Personengruppen zur Ausübung konsiliarer Mitverantwortung dies angeraten sein lässt. Auch sind Wahlen dazu geeignet, das konsoziative Element in der Kirche zu stärken und zum Ausdruck zu bringen. Im Übrigen wird man darauf bedacht sein müssen, die rechtstheologische Bedeutung des apostolischen Amtes, des konsiliaren Elementes wie der Wirksamkeit durch die Gemeinschaft ins rechte Licht zu setzen und den je spezifischen Beitrag in der einen und immer nur gemeinsamen Sendung der Kirche anzuerkennen.
Ius semper evolutivum? Überlegungen zur Rechtsentwicklung am Beispiel der facultas Marcus Nelles In der Schrift, mit der sich der Jubilar im Jahr 1980 an der Johannes Kepler Universität Linz habilitierte und so den Grundstock für seine jahrzehntelange Lehrtätigkeit legte,1 beschäftigte sich Helmuth Pree mit der Frage einer adäquaten, der Eigenart des kirchlichen Rechts angemessenen Form der Rechtsauslegung und -anwendung, die er mit dem Ausdruck „evolutiv“ kennzeichnete. Nach bereits zwanzigjähriger Lehrtätigkeit in Linz und Passau konnte er sein Wirken in München aufgrund der luxuriösen Situation, dass man dort dank des Gründers und Namensgebers des Klaus-Mörsdorf-Studiums drei kirchenrechtliche Lehrstühle mit unterschiedlichen fachlichen Umschreibungen vorfindet, unter anderem auf die Rechtstheorie und -theologie und die Allgemeinen Normen des Kanonischen Rechts konzentrieren. Auch wenn man den Jubilar nicht als Vertreter der Münchner Schule und somit nicht als Kanonisten in der Tradition von Klaus Mörsdorf und Winfried Aymans ansehen kann, war er mit Blick auf seine Habilitationsschrift und seine profunden Kenntnisse auf dem Gebiet der Rechtstheorie und -theologie ohne Zweifel bestens als Lehrstuhlinhaber geeignet. Insofern eine Festschrift nach Ansicht des Verfassers nach Möglichkeit einen inhaltlichen Bezug zum Geehrten und seinen Forschungsgebieten aufweisen sollte, wendet sich auch der folgende Beitrag einer Frage aus dem Bereich der Gesetzesinterpretation zu, konkret der Auslegung des Rechtsbegriffs der facultas, der an mehreren Stellen des CIC von 1983 in unterschiedlicher Weise Verwendung findet und nicht zuletzt deshalb aktuell nähere Betrachtung verdient, als er durch die jüngsten Änderungen des CIC durch das Motu proprio Omnium in mentem aus dem Jahr 2009 auch in c. 1009 § 3 CIC/1983 Eingang gefunden hat, wenngleich an dieser Stelle ein anderer Ausdruck, nämlich der der potestas, womöglich rechtstheoretisch zutreffender hätte verwendet werden sollen. Als evolutiv im Sinne einer allmählichen Entwicklung kann man nämlich nicht nur eine angemessene Art der Rechtsauslegung und -anwendung, sondern auch schon den Prozess der Rechtsetzung ansehen, wobei in Bezug auf den Begriff der facultas allerdings zu hinterfragen ist, ob man hier eher von einer stufenweisen Auf-, Seit- oder auch Abwärtsentwicklung sprechen muss. Zweifellos jedenfalls ergeben sich im Recht immer wieder einmal terminolo1 Helmuth Pree, Die evolutive Interpretation der Rechtsnorm im kanonischen Recht, Wien 1980 (= Linzer Universitätsschriften. Monographien 6).
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gische Veränderungen in Folge gewandelter theologischer Einsichten oder auch die Notwendigkeit der Einführung neuer Begriffe in Reaktion auf kirchenrechtlich relevante Äußerungen des kirchlichen Lehramts. Im Folgenden sollen also die Fragen beantwortet werden, was im Laufe der Rechtsentwicklung über die facultas als Rechtsinstitut und über ihre im Wandel befindliche Bedeutung innerhalb der Rechtsordnung in Abgrenzung zu anderen Begriffen wie dem der potestas ausgesagt werden kann und wo der Ausdruck gegebenenfalls missverständlich oder sogar fälschlich verwendet wurde oder wird.
I. Der Begriff der facultas im kirchlichen Recht Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm aus dem Jahr 1854 wird das Wort „Befugnis“ unter Verweis auf den lateinischen Begriff potestas, das Verb „befugen“ mit der lateinischen Wendung potestatem alicujus rei dare erklärt.2 Schon in dem daran erkennbaren Umstand, dass sich bestimmte lateinische Begriffe im Deutschen identisch übersetzen lassen und somit schon rein sprachlich nicht klar voneinander unterschieden sind, deutet sich die Problematik einer gleichzeitigen Verwendung der beiden Begriff potestas und facultas und ihrer korrekten Abgrenzung innerhalb einer Rechtsordnung an. Weniger schwer, da leicht in der Wortbedeutung voneinander zu unterscheiden, wiegt die Tatsache, dass facultas im CIC von 1983 je nach Zusammenhang auch „Möglichkeit“ oder natürlich auch „Fakultät“ als Einrichtung einer Universität oder Hochschule bedeuten kann. Im Folgenden soll ein näherer Blick auf die Verwendung des Ausdrucks facultas in der kirchlichen Rechtsordnung geworfen werden, um die Grundlage dafür zu legen, Art und Umfang verschiedener Befugnisse nach dem Willen des Gesetzgebers bestimmen zu können. 1. Die facultas im CIC/1983 – ein Überblick Der Wortstamm faculta- tritt im CIC/1983 an insgesamt 90 Stellen auf. Im Wesentlichen wird der Begriff facultas im CIC von 1983 in sechs3 voneinander zu unterscheidenden Bedeutungszusammenhängen verwendet, nämlich als Verfügung/Er-
2
Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Erster Band. A – Biermolke, Leipzig 1854, Sp. 1274. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in der weiteren Worterklärung der Befugnis auch auf den von Immanuel Kant verwendeten Ausdruck „facultas moralis“ verwiesen wird. 3 Rik Torfs, Auctoritas – potestas – iurisdictio – facultas – officium – munus. Eine Begriffsanalyse, in: Concilium 24 (1988) S. 209 – 215, hier S. 211, wendet sich auch den verschiedenen Verwendungsweisen des Ausdrucks facultas zu, unterscheidet aber nur vier Bedeutungen, da er die schriftlichen Ermächtigungen und Verfügungen unter den Begriff der Befugnis, die Fähigkeit unter den Ausdruck der Möglichkeit/Gelegenheit subsumiert.
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mächtigung4, Möglichkeit/Gelegenheit5, Fähigkeit6, Geldmittel/Vermögen7, Fakultät an einer Hochschule oder Universität8 sowie als Befugnis zur Übernahme bestimmter Aufgaben bzw. Ausführung bestimmter Handlungen im Namen der Kirche.9 Nur auf die Erwähnung der facultas im letztgenannten Bedeutungszusammenhang soll im Folgenden näher eingegangen werden. An immerhin 64 Stellen des CIC umschreibt der Codex mit dem Begriff der facultas die Befugnis oder Ermächtigung zur Vornahme bestimmter Handlungen im Namen der Kirche. Erstmalig taucht der Begriff in den Allgemeinen Normen in c. 132 CIC/1983 auf, demzufolge facultates habituales, also ständige Befugnisse, den Vorschriften über die potestas delegata unterliegen und vorbehaltlich anderslautender Regelungen im Falle des Erlöschens des Rechtes des Ordinarius, dem sie gewährt wurden, auf dessen Nachfolger übergehen. Die Anwendbarkeit der Normen über die Delegation von potestas regiminis auf die ständigen Befugnisse begründet sich daraus, dass diese delegierte Leitungsvollmacht beinhalten.10 C. 144 § 2 CIC/1983 bestimmt, dass die Kirche im Falle eines tatsächlich vorliegenden oder rechtlich anzunehmenden Irrtums oder bei einem positiven, begründeten Rechts- oder Tatsachenzweifel gegebenenfalls fehlende Befugnisse zur Spendung des Buß- und Firmsakramentes sowie die Befugnis zur Eheassistenz ersetzt. Die Vorschrift hebt also die im Sakramentenrecht erwähnten Befugnisse, auf die 4
Siehe c. 1281 § 1 CIC/1983, der mit dem Ausdruck facultatem scripto datam eine schriftliche Ermächtigung durch den Ordinarius zur gültigen Setzung von Verwaltungsakten umschreibt. Von einer ausdrücklichen Ermächtigung (in diesem Fall eines Prozessbevollmächtigten, sich seinerseits durch eine andere Person vertreten zu lassen) ist auch in c. 1482 § 1 CIC/1983 die Rede. 5 Siehe c. 167 § 1 CIC/1983, wo von der Möglichkeit der Stimmabgabe durch Brief oder Stellvertreter die Rede ist, cc. 695 § 2 und 1720 Nr. 1 CIC/1983, die von der Gelegenheit zur Verteidigung in bestimmten Strafsachen sprechen, c. 1271 CIC/1983, dem zufolge die Bischöfe gemäß den Möglichkeiten ihrer Diözese zum Unterhalt des Apostolischen Stuhls beitragen sollen, c. 1569 CIC/1983, der vorschreibt, dass einem Zeugen nach seiner Aussage Gelegenheit zu geben ist, die Richtigkeit der Protokollierung zu überprüfen und ggf. Änderungen vorzunehmen. Unter die Wortbedeutung der „Möglichkeit/Gelegenheit“ kann man auch die in cc. 1315 § 3 und 1727 CIC/1983 verwendete Formulierung der poena facultativa im Sinne einer möglichen, also im Ermessen des Richters stehenden Strafe subsumieren. 6 Siehe c. 779 CIC/1983, wonach die katechetische Unterweisung stets den facultatibus, also den Fähigkeiten der Gläubigen Rechnung tragen soll. 7 Siehe c. 1300 CIC/1983, der von frommen Verfügungen der Gläubigen an die Kirche handelt. 8 Siehe cc. 229 § 2, 253 § 1, 443 § 3 Nr. 3, 809, 811 sowie 815 – 820 CIC/1983. 9 John M. Huels, Permissions, Authorizations and Faculties in Canon Law, in: StCan 36 (2002) S. 25 – 58, hier S. 29, definiert die facultas in diesem letztgenannten Sinne „as an ecclesiastical power or authorization necessary for performing lawfully an act of ministry or administration in the name of the church“. Näherhin unterscheidet er die faculties in iurisdictional („needed for placing administrative acts of executive power of governance“, s. ders., The Supply of the Faculty to Confirm in Common Error, in: StCan 40 (2006) S. 293 – 348, hier S. 298) und non-iurisdictional („aptly called authorizations“, s. ebd.) 10 Hubert Socha, c. 132 CIC/1983, RN. 3: MKCIC (Stand: Februar 2012).
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unter 2. noch ausführlicher einzugehen sein wird, von übrigen facultates jurisdiktioneller Art, die sich über den ganzen Codex verteilt finden, ab. Dabei kann die Art der Differenzierung zwischen den beiden Paragraphen des c. 144 CIC/1983 unterschiedlich verstanden werden. Man kann die Erwähnung der Befugnis in § 2 einerseits als Beleg dafür ansehen, dass sie gerade etwas genuin anderes beinhaltet und darstellt als die in § 1 genannten Vollmachten,11 oder in der durch diesen Canon verfügten Gleichbehandlung der facultates mit den potestates delegatae den Erweis dafür sehen, dass es sich bei der Befugnis faktisch gerade nicht um ein im Vergleich zu einer delegierten Vollmacht wesenhaft anderes, sondern inhaltlich gleiches und darum auch identisch zu behandelndes Rechtsinstitut handelt. Der CIC/1917 hat eine solche Unterscheidung in der Vorläufernorm c. 209 nicht vorgenommen und stattdessen nur davon gesprochen, dass iurisdictionem supplet Ecclesia pro foro tum externo tum interno.12 Die Gründe hierfür werden an späterer Stelle zu erörtern sein. Ebenfalls noch in den Allgemeinen Normen sieht c. 174 § 1 CIC/1983 die Möglichkeit vor, dass Wahlberechtigte einstimmig ihr Wahlrecht auf eine oder mehrere geeignete Personen übertragen, die dann aufgrund dieser facultas die Wahl vornehmen. Im Buch über das Volk Gottes wird der Begriff der facultas am häufigsten erwähnt. So spricht c. 265 CIC/1983 von der Befugnis einer Gesellschaft des apostolischen Lebens, einen Kleriker in ihre Gemeinschaft zu inkardinieren. Im Verfassungsrecht ist von Befugnissen unterschiedlichen Inhalts im Zusammenhang mit den Ämtern des päpstlichen Gesandten (c. 364 Nr. 8 CIC/1983), eines Auxiliarbischofs oder eines Bischofskoadjutors (cc. 403 §§ 2 und 3, 409 CIC/1983), des General- und des Bischofsvikars (c. 479 CIC/1983), des Bußkanonikers (c. 508 CIC/ 1983), des Pfarrers einer Kapitelkirche (c. 510 § 2 CIC/1983), eines Pfarrmoderators (c. 517 § 2 CIC/1983), eines Pfarrverwesers (c. 533 § 3 CIC/1983), einer Solidargemeinschaft von Priestern (c. 543 § 1 CIC/1983), des Dechants (c. 555 § 1 CIC/1983) und eines Kaplans (c. 566 CIC/1983) die Rede. Im Ordensrecht werden bestimmte Befugnisse des Diözesanbischofs (c. 667 § 4 CIC/1983) und des Oberen (c. 690 § 2 CIC/1983) erwähnt. Das Verkündigungsrecht weist Priestern und Diakonen eine Predigtbefugnis zu (c. 764 CIC/1983). Im Strafrecht wird von der Möglichkeit eines Entzugs von Befugnissen gehandelt (cc. 1336 § 1 Nr. 2, 1338 § 1 CIC/1983), und das Prozessrecht räumt eine Prozesspartei die Befugnis zur Erwiderung auf eine Klageschrift (c. 1659 § 1 CIC/1983) ein. Sieht man von den inhaltlich klar umgrenzten, nicht mit der Ausübung von Leitungsgewalt verbundenen Befugnissen im Zusammenhang mit dem Wahlrecht13 und 11 So vertritt etwa Hubert Müller, Zur Frage nach der kirchlichen Vollmacht im CIC/1983, in: ÖAKR 35 (1985) S. 83 – 106, hier S. 96, die Ansicht, dass die „facultates gerade durch c. 144 § 2 inhaltlich klar von der potestas regiminis abgesetzt sind“. 12 Laut Aymans-Mörsdorf KanR I, S. 443, hat die Ergänzungsnorm bereits im alten Recht „die größte Rolle im Bereich sakramentalen Handelns gespielt“. 13 Zum Schutz der Rechte von Kollegien, die ausschließlich aus Klerikern bestehen, konstatiert c. 174 § 2 CIC/1983 die Ungültigkeit der Wahl, falls die zur Vornahme der Wahl nach
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im Prozessrecht ab, kann konstatiert werden, dass offenbar nur Kleriker als Träger von facultates in Betracht kommen.14 Die Befugnisse können dabei augenscheinlich sowohl in foro externo wie auch in foro interno zur Vornahme bestimmter Handlungen berechtigen bzw. überhaupt erst die Gültigkeit dieser Akte begründen. 2. Die facultas im Sakramentenrecht Durch die bereits unter 1. zitierte Formulierung des c. 144 § 2 CIC/1983 werden die facultates im Bereich des Sakramentenrechts, genauer bei der Spendung des Bußund Firmsakramentes sowie im Rahmen der Eheassistenz, von anderen Befugnissen und Ermächtigungen im kirchlichen Recht abgehoben. Die dadurch getroffene Unterscheidung zwischen Befugnissen im jurisdiktionellen und im sakramentalen Bereich schließt an eine Differenzierung grundsätzlicher Art an, die der kirchliche Gesetzgeber bereits in der Apostolischen Konstitution Sacrae disciplinae leges zur Promulgation des neuen kirchlichen Gesetzbuches vornimmt, insofern er die Ausübung von sacra potestas ausdrücklich von der Verwaltung der Sakramente abgrenzt.15 In ähnlicher Weise unterscheidet der Codex in c. 1335 CIC/1983 zwischen celebrare sacramenta vel sacramentalia vel ponere actum regiminis. Dem Bekenntnis zum einen Ursprung aller kirchlichen Vollmacht im II. Vatikanischen Konzil steht somit die Trennung zwischen Akten der Leitungsgewalt und der Sakramentenspendung im CIC/1983 gegenüber. Es stellt sich die Frage, welche rechtliche Bedeutung dem vielseitig verwendeten Begriff der facultas im Zusammenhang mit der Feier der Sakramente und Sakramentalien zukommt und wie der Ausdruck in dieser Hinsicht inhaltlich gefüllt werden kann. Es ist mit anderen Worten zu erörtern, ob die facultas der zutreffende und vom Gesetzgeber einheitlich gewählte Begriff für die Ausübung einer kirchlichen Bevollmächtigung, für ein Handeln im Namen der Kirche im Bereich der Sakramentenverwaltung ist.
§ 1 befugte Person nicht das Weihesakrament empfangen hat. Damit ist sichergestellt, dass Laien keine rein klerikalen Befugnisse erhalten können. 14 Wo man in der deutschen Übersetzung in c. 1674 CIC/1983 die Befugnis (hier zur Klageerhebung im Eheprozess) im Zusammenhang mit Laien erwähnt findet, stellt man im Blick auf das lateinische Original fest, dass dort die Wendung Habiles sunt gewählt wurde. Dass die deutsche Übersetzung andererseits auch den Ausdruck potestas, der vorliegend oftmals als vermeintlicher Gegenbegriff zur facultas erwähnt wird, nicht einheitlich mit Gewalt oder Vollmacht wiedergibt, wird etwa aus c. 1727 § 1 CIC/1983 ersichtlich, der den Begriff mit „Möglichkeit“ übersetzt. 15 Siehe AAS 75/II (1983) S. VII-XIV, hier XII f.: „Cum ad modum etiam socialis visibilisque compaginis sit constituta, ipsa normis indiget, ut eius hierarchica et organica structura adspectabilis fiat, ut exercitium munerum ipsi divinitus creditorum, sacrae praesertim potestatis et administrationis sacramentorum rite ordinetur …“
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a) Die facultas bei der Spendung des Buß- und Firmsakramentes Zur gültigen Spendung des Bußsakramentes ist gemäß c. 966 § 1 CIC/1983 praeterquam potestate ordinis, also außer der Teilhabe an der Weihegewalt, auf Seiten des Spenders erforderlich, dass er eine facultas dafür besitzt, diese Vollmacht auch gegenüber den Gläubigen, die die Absolution von ihm erbitten, auszuüben. Gemäß § 2 der Vorschrift kann ihm diese Befugnis sive ipso iure sive concessione ab auctoritate competenti zukommen. Der zitierte Canon hat c. 872 CIC/1917 abgelöst, der neben der Weihegewalt auf Seiten des Spenders noch ordentliche oder delegierte Jurisdiktionsgewalt erforderte: „Praeter potestatem ordinis, ad validam peccatorum absolutionem requiritur in ministro potestas iurisdictionis, sive ordinaria sive delegata, in poenitentem.“ Bei den Beratungen zur Revision des CIC wurde argumentiert, dass der Jurisdiktionsbegriff dem Bereich der kirchlichen Leitungsvollmacht vorbehalten werden solle, zu dem die Spendung des Bußsakraments ausdrücklich nicht gezählt werden könne. Sie setze vielmehr eine Vollmacht voraus, die sich auf das Gewissen erstrecke.16 Analog zu den genannten Bestimmungen, die das Bußsakrament betreffen, sieht auch der c. 882 CIC/1983 im Hinblick auf das Sakrament der Firmung vor, dass ein Priester, der anstelle des Bischofs das Sakrament spendet, hac facultate vi iuris universalis aut peculiaris concessionis competentis auctoritatis instructus sein müsse. Der folgende c. 883 CIC/1983, auf den der oben zitierte c. 144 § 2 CIC/1983 ebenfalls verweist, zählt auf, welchem Personenkreis diese Befugnis ipso iure zukommt. Vereinzelt wurde im Hinblick auf die Frage, welcher konkrete inhaltliche Bedeutungswandel mit der Abkehr von dem Erfordernis der potestas iurisdictionis verbunden sei, argumentiert, die facultas müsse „rein formal verstanden [werden] als notwendige rechtliche Bestimmung der Vollmacht durch die hierarchische Autorität, ohne daß ihr ein materialer Inhalt eignet“17. Dass man die facultas gerade nicht als obrigkeitliche Einzelbefugnis im Sinne einer inhaltlich gefüllten potestas interpretieren könne, sei insbesondere auch daran ersichtlich, dass im Bereich des Sakramentenrechts der im Zusammenhang mit der potestas iurisdictionis üblicherweise verwendete Begriff der delegatio vermieden und stattdessen der Ausdruck concessio gebraucht werde.18 Vor dem Hintergrund dieser Argumentation erscheint es sinnvoll, einen Blick auf die Verwendung der Ausdrücke concessio bzw. concedere einerseits sowie delegatio und delegare andererseits zu werfen. Insgesamt ist der Begriff der concessio im Codex deutlich häufiger vertreten als der der delegatio, insbesondere im Sakramen16 Communicationes 10 (1978) S. 56: „Relator notat Codicem a. 1917 ut verbo iurisdictio quo nunc reservatur ad potestatem regiminis indicandam, ideoque melius hic loqui de facultate. Absolutio enim non est actus potestatis regiminis seu iurisdictionis, quae hodie bene distinguitur a potestate quae conscientiam respicit.“ 17 Müller, Zur Frage nach der kirchlichen Vollmacht (Anm. 11), S. 97. 18 Ebd., S. 95.
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tenrecht sowie bei der Gewährung von Dispensen im kirchlichen Eherecht. c. 131 § 1 CIC/1983 spricht davon, dass potestas delegata jene Gewalt bezeichnet, die einer Person nicht mittels eines Amtes conceditur. Nach c. 137 § 3 CIC/1983 kann delegierte Gewalt nicht subdelegiert werden, nisi de expressa delegantis concessione. Gemäß c. 142 § 2 CIC/1983 erlischt delegierte Gewalt elapso tempore vel exhausto numero casuum pro quibus concessa fuit. Gemäß c. 566 § 1 CIC/1983 besitzt ein Kaplan unter anderem auch jene Befugnisse, die speciali delegatione conceduntur. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es sich bei den Ausdrücken delegatio und concessio keineswegs um gegensätzliche Begriffe mit streng voneinander zu unterscheidender Bedeutung handelt, sondern dass diese Ausdrücke im CIC/1983 vermischt miteinander verwendet werden. Angesichts dessen erscheint es auch berechtigt, die concessio im Bereich des Sakramentenrechts als „eine besondere Form der Delegation“19 zu bezeichnen. Auch wenn sich der Sprachgebrauch des CIC/1983 im Zusammenhang mit der Spendung des Bußsakramentes gewandelt hat, handelt es sich bei der facultas letztlich doch um „dasselbe Element, das zur Gültigkeit der Absolution von Sünden im Sakrament der Buße zur potestas ordinis des Priesters hinzukommen“20 muss, da der Besitz der Befugnis „zur gültigen Absolution genauso notwendig [ist] wie nach dem CIC/1917 dazu Jurisdiktion erforderlich war“21. Diese Befugnis ist im Übrigen auch im Sakramentenrecht nicht nur rein formal, sondern auch in zweierlei Hinsicht stets inhaltlich bestimmt, insofern die facultas zum einen den gültigen Spender determiniert und andererseits jenen Personenkreis festlegt, dem das Sakrament durch diesen Amtsträger gültig gespendet werden kann. b) Die facultas bei der Eheassistenz und bei den Sakramentalien Die Eheschließungsassistenz unterscheidet sich insofern von der Spendung des Buß- und Firmsakramentes, als es sich bei der Mitwirkung des beteiligten Amtsträgers im Rahmen der Eheschließung nicht um einen hoheitlichen Akt,22 sondern nur um eine qualifizierte Zeugenschaft handelt.23 Dennoch erwähnen die cc. 543 § 1 und 19
Aymans-Mörsdorf KanR I, S. 426. Matthäus Kaiser, Befugnis zur Entgegennahme der Beichten, in: AfkKR 154 (1985) S. 164 – 182, hier S. 166. 21 Ebd., S. 175 f. 22 Zwar nicht bei der Eheschließung selbst, doch bei den diese vorbereitenden oder begleitenden Akten kann jedoch die Ausübung von Leitungsvollmacht erforderlich sein, so etwa in den cc. 1079 und 1080 CIC/1983. Hier wurde im Lauf der Beratungen zum CIC ein Begriffswechsel von einer facultas zu einer potestas dispensandi vorgenommen, um „die Verbindung mit der Leitungsgewalt hervorzuheben“, so Torfs, Begriffsanalyse (Anm. 3), S. 211. Da die in diesen Canones erwähnte Dispensvollmacht ohne Zweifel der potestas regiminis delegata zuzurechnen ist, besitzt konsequenterweise ein ggf. nach c. 1112 CIC/1983 mit der Eheschließungsassistenz beauftragter Laie gemäß c. 1079 § 2 CIC/1983 keine solche Vollmacht. 23 So auch Aymans-Mörsdorf KanR I, S. 443. 20
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1111 CIC/1983 das Erfordernis einer facultas assistendi matrimoniis,24 also eine zur gültigen Eheschließungsassistenz notwendige Befugnis des beteiligten Amtsträgers, die dieser (sofern es sich um den Ortsordinarius oder -pfarrer handelt) gemäß § 1 des letztgenannten Canons allgemein an Priester oder Diakone delegieren kann. Diese delegatio facultatis assistendi matrimoniis ist dabei gemäß § 2 schriftlich zu konzedieren. Dass der Canon nicht, wie bei der Spendung des Buß- und des Firmsakramentes geschehen, von einer concessio, sondern einer delegatio der facultas spricht, mag verwundern, ist aber nach dem Gesagten nur ein weiterer Beleg dafür, dass zwischen den beiden Begriffen zumindest in Bezug auf die Gewährung von Befugnissen kein wesentlicher Bedeutungsunterschied besteht.25 Eine zusätzliche Bestätigung erhält diese Sichtweise schließlich dadurch, dass der kirchliche Gesetzgeber auch im Bereich der Sakramentalien im Zusammenhang mit bestimmten Weihungen und Segnungen einmal den Ausdruck legitima concessio (c. 1169 § 1 CIC/1983)26 verwendet, ein anderes Mal die Möglichkeit alium sacerdotem ad hoc delegare (c. 1207 CIC/ 1983)27 eröffnet. c) Die facultas im Weiherecht des CIC/1983 Durch die durch das Motu proprio Omnium in mentem28 im Jahr 2009 eingetretene Gesetzesänderung des c. 1009 CIC/1983 hat der Begriff der facultas erstmalig auch Eingang in das Weiherecht gefunden. Die genannte Vorschrift leitet zusammen mit dem vorangehenden c. 1008 CIC/ 1983 den Abschnitt über das Weihesakrament im Titel VI des vierten Buches des CIC ein und hatte in der alten Fassung zwei Paragraphen, in denen die Weihestufen des Episkopats, Presbyterats und Diakonats genannt werden und festgestellt wird, dass die jeweiligen Weihen durch Handauflegung und Gebet erteilt werden. Durch das genannte Motu proprio wurde dem Canon ein dritter Paragraph folgenden Wortlauts hinzugefügt: „Qui constituti sunt in ordine episcopatus aut presbyteratus missionem et facultatem agendi in persona Christi Capitis accipiunt, diaconi vero vim populo Dei serviendi in diaconia liturgiae, verbi et caritatis.“ Aus nachvollziehbaren Gründen haben sich Dogmatik und Kirchenrechtswissenschaft, wenn überhaupt, eher mit der in dieser Formulierung zutage tretenden Ab24
In c. 1071 § 2 CIC/1983 ist stattdessen von einer licentia assistendi matrimonio die Rede, was auf die Verwendung dieses Ausdrucks in c. 1032 CIC/1917 zurückzuführen ist. 25 Müller, Zur Frage nach der kirchlichen Vollmacht (Anm. 11), S. 96, relativiert die Erwähnung der Delegation der facultas im Eherecht und meint lapidar, dass diese „wohl nicht überwertet werden“ dürfe. 26 Der Canon hat seinen Vorläufer in c. 1147 CIC/1917, in dem statt von „legitima concessione“ noch von „apostolico indulto“ die Rede war. 27 Die in diesem Canon gewählte Formulierung ist augenscheinlich auf die unveränderte Übernahme des letzten Halbsatzes aus c. 1156 CIC/1917 zurückzuführen. 28 AAS 102 (2010) S. 8 – 10.
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grenzung zwischen Episkopat und Presbyterat auf der einen, dem Diakonat auf der anderen Seite auseinandergesetzt und analysiert, ob mit der scheinbaren Trennung des Diakonats vom Handeln in persona Christi Capitis eine theologische Richtungsänderung eingeläutet worden und eine inhaltliche Neubestimmung der Weihestufe des Diakonats insgesamt erforderlich sei.29 Nicht thematisiert wurde dabei die Frage, warum im lateinischen Text der Begriff der facultas verwendet und dieser im Deutschen mit „Vollmacht“ übersetzt wird.30 Der Canon greift streckenweise wortgleich die Formulierung der Nr. 875 des Katechismus der Katholischen Kirche auf, der seinerseits lautet: „Ab Eo Episcopi et presbyteri missionem et facultatem (,sacram potestatem‘) agendi in persona Christi Capitis accipiunt, diaconi vero vim populo Dei serviendi in ,diaconia‘ liturgiae, verbi et caritatis, in communione cum Episcopo eiusque presbyterio.“ In der deutschen Neuübersetzung des Katechismus aufgrund der Editio typica Latina von 2003 lautet die besagte Textstelle wie folgt: „Von ihm empfangen die Bischöfe und Priester die Sendung und die Vollmacht [heilige Gewalt], ,in der Person Christi des Hauptes‘ [in persona Christi Capitis] zu handeln, die Diakone die Kraft…“31. Durch den erst in der Neufassung des Katechismus hinzugefügten Einschub „(,sacram potestatem‘)“ und die konsequente Übersetzung von facultatem mit „Vollmacht“ in der deutschen Version wurden eventuelle Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Verständnis der facultas beseitigt; es wäre begrüßenswert gewesen, wenn auch die Gesetzesänderung des CIC/1983 mehr als zehn Jahre nach Erscheinen des neuen Katechismus statt von facultatem von sacram potestatem agendi in persona Christi capitis gesprochen hätte. Inhaltlich ist jedenfalls nach dem aus dem Katechismus erkennbaren Willen des kirchlichen Lehramtes mit dem Ausdruck der facultas in c. 1009 § 3 CIC/ 1983 offenkundig tatsächlich der in der deutschen Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina gewählte Begriff „Vollmacht“ gemeint. 29 Ohne auf diese Frage vorliegend näher eingehen zu können, sei nur kurz erwähnt, dass die Kirchenrechtswissenschaft und auch die Dogmatik überwiegend von einem Handeln des Diakons in persona Christi servi ausgehen und sein geistliches Amt also durchaus im Handeln in der Person Christi begründet sehen. Manfred Hauke, Der Diakonat und das Handeln in persona Christi capitis. Randbemerkungen zum Motuproprio Omnium in mentem, in: Forum Katholische Theologie 26 (2010) S. 191 – 205, S. 203, hält es nach seiner kirchengeschichtlichen und systematisch-theologischen Untersuchung sogar für „nicht möglich, den Diakon aus dem Handeln ,in der Person Christi des Hauptes‘ auszuschließen“, da in allen Weihestufen „jegliches Handeln im Auftrag Christi ,des Hauptes‘ vom sakramentalen Prägemal getragen“ sei, s. ebd., S. 204. 30 Stephan Haering, Die Änderung der weiherechtlichen Grundnormen des Codex Iuris Conici durch das Motu Proprio Omnium in mentem, in: AfkKR 181 (2012) S. 6 – 24, hier S. 10, übersetzt facultatem mit „Befähigung“ und stellt dieser eine „Ermächtigung“ der Diakone gegenüber. Francesco Coccopalmerio, OR 149 (2009) Nr. 290,7 verwendet in seinem offiziellen Kommentar zum MP Omnium in mentem vom 16. Dezember 2009 für Bischöfe und Priester den Ausdruck „la facoltà“ und grenzt davon „l’abilitazione“ der Diakone ab; dt. Übersetzung in: AfkKR 178 (2009) S. 547 – 550. 31 Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina. München u. a. 2003, Nr. 875.
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Die missverständliche Verwendung des vielschichtigen Begriffes der facultas lädt bedauerlicherweise zu eigentlich vermeidbaren Spekulationen über den Willen des Gesetzgebers ein. Im rechtstechnischen Sinne könnte die Verwendung des Ausdrucks facultatem in der Neufassung des c. 1009 § 3 CIC/1983 nämlich zu der Annahme verleiten oder die Deutung erlauben, der Gesetzgeber habe durch die scheinbar bewusste Vermeidung des stärkeren Ausdrucks potestatem verdeutlichen wollen, dass es sich bei der in der Vorschrift beschriebenen Wahrnehmung des bischöflichen und priesterlichen Dienstes nicht um die einzigmögliche Ausübung von Vollmacht in der Kirche handle; oder noch eher, dass mit der Weihe nicht bereits potestas, sondern zunächst nur eine facultas im Sinne einer Befähigung verliehen werde, während die Vollmacht erst durch die konkretere Sendung übertragen würde; oder schließlich, dass sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen konnte, den bei der Promulgation des CIC/1983 noch bewusst vermiedenen Ausdruck sacra potestas nun doch noch in das Gesetzbuch Eingang finden zu lassen. Es werden somit Fragen zu dem Verhältnis zwischen facultas und potestas aufgeworfen, die im folgenden Abschnitt auf der Grundlage der bisher gewonnenen Erkenntnisse noch näher vertieft werden sollen.
II. Das Verhältnis von facultas und potestas Aufschlussreich für ein Verständnis des Verhältnisses von facultas und potestas kann zunächst ein Blick in den CIC/1917 sein. Verschiedentlich wurde in den Anmerkungen der vorangegangenen Abschnitte schon darauf hingewiesen, dass sich die Wortwahl des CIC/1983 in einigen Fällen auf eine (vermeintlich unbedachte) Übernahme der entsprechenden Formulierung aus dem alten Codex zurückführen lässt. Im CIC/1917 wird der Ausdruck facultas in seinen verschiedenen grammatikalischen Formen insgesamt 117mal erwähnt. An jenen Stellen, an denen der Begriff eine Berechtigung, Ermächtigung oder Befugnis bezeichnet, hat es teils den Anschein, als umfasse eine gewährte facultas eine Reihe von potestates und sei insofern eine Art Überbegriff,32 teils stehen facultates ergänzend als eine Reihe von Einzelvollmachten neben einer potestas ordinaria,33 und schließlich werden die Begriff der facultas und potestas – insbesondere im Bereich der Beichtvollmacht –34 völlig 32
Vgl. c. 66 § 3 CIC/1917: „Concessa facultas secumfert alias quoque potestates quae ad illius usum sunt necessariae; quare in facultate dispensandi includitur etiam potestas absolvendi a poenis ecclesiasticis, si quae forte obstent, sed ad effectum dumtaxat dispensationis consequendae.“ 33 Vgl. c. 267 § 2 CIC/1917: „Qui vero mittuntur cum titulo Delegati Apostolici unam habent ordinariam potestatem de qua in §1, n. 2, praeter alias facultates delegatas ipsis a Sancta Sede commissas.“ 34 Siehe zum Sprachgebrauch des CIC/1917 im Hinblick auf die Beichtbefugnis die ausführliche und aufschlussreiche Aufzählung bei Kaiser, Befugnis (Anm. 20), S. 165: „potestas iurisdictionis (ad validam peccatorum absolutionem) (c. 872); absolvendi potestas (cc. 881
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gleichbedeutend verwendet.35 Klaus Mörsdorf, der Vorvorgänger des Jubilars, kam in seinem Werk über die Rechtssprache des CIC/1917 ebenfalls zu der Erkenntnis, dass die facultas vom weiteren Begriff der potestas „nicht immer unterschieden“ werde, sondern mal „eine obrigkeitliche Einzelbefugnis“ im Unterschied zur potestas als einem „umfassenderen Machtkreis“ erscheine, mal „auch gleichbedeutend mit p. gebraucht“ werde.36 Man muss also konstatieren, dass schon die Ausgangslage, mit der sich der kirchliche Gesetzgeber bei seinen Beratungen für den CIC/1983 konfrontiert sah, im Hinblick auf die begriffliche Trennung von Vollmacht und Befugnis nicht allzu günstig war. Das neue Gesetzbuch hat bedauerlicherweise die Chance verpasst, mit Unklarheiten und bestenfalls missverständlichen, vereinzelt aber auch schlicht falschen Bezeichnungen im Zusammenhang mit der facultas aufzuräumen. Vielmehr hat er im Sakramentenrecht nach Ansicht des Verfassers noch weiter zur Verunklarung der rechtlichen Situation beigetragen. Angesichts der in c. 1009 § 3 CIC/1983 durch den Gesetzgeber in jüngster Zeit gewählten Formulierung läge zunächst die Deutung nahe, dass der CIC/1983 den Ausdruck facultas bedeutungsgleich mit jenem der potestas verwendet. Zudem ergibt sich ein innerer Zusammenhang zwischen potestas und facultas bereits aus der gesetzessystematischen Stellung der Vorschriften über die facultas (cc. 132, 144 CIC/1983) unter dem mit De potestate regiminis überschriebenen Titel VIII der Allgemeinen Normen. An verschiedenen Stellen im CIC wird allerdings ausdrücklich zwischen Vollmachten und Befugnissen und/oder auch weiteren Formen von Rechten oder Ermächtigungen unterschieden. So handelt c. 409 § 2 CIC/1983 von bestimmten potestates et facultates des Auxiliarbischofs während der Zeit der Sedisvakanz, nach c. 517 § 2 CIC/1983 ist ein Pfarrmoderator potestatibus et facultatibus parochi instructus, und im Strafrecht beschäftigen sich cc. 1336 § 1 Nr. 2 und 1338 § 1 CIC/ 1983 mit der Möglichkeit eines strafweisen Entzugs von potestates, officia, munera, iura, privilegia, facultates, gratias, titulos, insignia.
§ 2, 893 § 1); facultas absolvendi (cc. 899 §§ 1 und 2, 900 n. 2); facultas audiendi confessiones et absolvendi (a peccatis) (c. 239 § 1 n. 1); iurisdictio (c. 875 § 2); iurisdictio ad confessiones excipiendas (cc. 873, 874 § 1); iurisdictio ad audiendas confessiones (cc. 874 § 2, 879, 880, 881 § 1); iurisdictio audiendarum confessionum (cc. 877, 878); facultas confessiones audiendi (c. 883 § 1), sacerdos ad confessiones (non) approbatus (c. 882)“. 35 C. 80 CIC/1917 spricht von einer facultas dispensandi, c. 2289 CIC/1917 verwendet stattdessen den Ausdruck dispensandi potestas. 36 Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codes Iuris Canonici, Paderborn 1967 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1937), S. 99. Mörsdorf beruft sich dabei auf Rudolf Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici, München 1927, S. 158, der lapidar feststellt: „f. bedeutet bald einen Kreis von B. (potestates) …, bald umgekehrt eine B. gegenüber der einen Machtkreis darstellenden potestas …, bald wieder soviel wie potestas, d. h. B.“, wobei mit „B.“ Berechtigungen oder Befugnisse gemeint sind.
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So ist deutlich der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Wirkmacht von Befugnissen einerseits an die kirchliche Vollmacht zu binden, andererseits zwischen Vollmachten und Befugnissen im Einzelfall zu unterscheiden. Diese Unterscheidung könnte sich aus dem Sprachgebrauch, also der konsequenten Verwendung der verschiedenen Begriffe in unterschiedlichen sachlichen Zusammenhängen, oder aus einer unterschiedlichen Art und Weise der Übertragung von Vollmachten und Befugnissen ergeben. Aus Sprachgebrauch und Übertragungsweise auf eine Bedeutungsverschiedenheit von potestas und facultas schließen zu wollen, ist allerdings, wie unter 2. bereits dargestellt wurde, nicht möglich, da eine potestas nicht nur delegiert, sondern oft genug auch konzediert wird (cc. 76 § 1, 89, 92, 131 § 1, 142, 434, 455 § 4, 543 § 1, 995, 1310 § 1 CIC/1983), und die facultas umgekehrt nicht stets konzediert, sondern in mehreren Fällen auch delegiert wird (cc. 50837, 566, 1111, 1113 CIC/1983). In gleicher Weise, wie die Leitungsvollmacht in potestas ordinaria vel delegata unterschieden werden kann, kann es sich auch bei der Befugnis wahlweise um eine facultas delegata oder eine facultas ordinaria (ausdrücklich nur erwähnt in c. 508 § 1 CIC/1983)38 handeln, so dass auch die Art und Weise der Übertragung als Unterscheidungsmerkmal zwischen potestas und facultas ausscheidet.39 Es kann nicht geleugnet werden, dass angesichts des erhobenen Befundes der zu klärende Rechtsbegriff der facultas im kirchlichen Gesetzbuch scheinbar dennoch „in deutlicher Konkurrenz“40 zu dem Begriff der potestas steht. Dies gründet nicht zuletzt darin, dass der stufenweise, evolutive Prozess der Rechtsetzung im Zusammenhang mit dem Begriff der facultas dazu geführt hat, dass die vom Gesetzgeber selbst gewählten Umschreibungen „nicht durch das gesamte Gesetzbuch hindurch konsequent angewandt“41 wurden und werden. Vor dem Hintergrund der dargelegten Widersprüche und Unklarheiten wirkt die vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung zwischen potestas und facultas jedenfalls „etwas künstlich“42.
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Genaugenommen kann der Bußkanoniker seine Befugnis gemäß diesem Canon gerade nicht delegieren, aber der Gesetzgeber wählt auch hier die Verbindung von facultas und delegare. Die verwendete Formulierung delegare non potest wurde aus c. 401 § 1 CIC/1917 übernommen. 38 Aymans-Mörsdorf KanR I, S. 426, bezeichnet zutreffend jede Befugnis, die einem Priester kraft seines Amtes zukommt, als facultas ordinaria. 39 Insofern also auch die facultas an ein Amt gebunden sein oder delegiert werden kann, wird sie gerade nicht, wie Torfs, Begriffsanalyse (Anm. 3), S. 212, behauptet, „auf andere Weise erworben“. Vielmehr „erfolgt die Übertragung dieser Befugnis in gleicher Weise wie die Übertragung von Jurisdiktion“, wie Kaiser, Befugnis (Anm. 20), 176, zutreffend feststellt. 40 Torfs, Begriffsanalyse (Anm. 3), S. 211. 41 Ebd., S. 215. Scharf im Ton, aber inhaltlich zutreffend beklagt ders., ebd., S. 214, dass sich „Ungenauigkeiten … oder unklare Randgebiete, wie sie wieder zwischen facultas und potestas … bestehen, … nur ein Gesetzgeber straflos erlauben [kann], der nicht unter realer Infragestellung von außen gebückt geht“. 42 Ebd., S. 212.
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Zwei Wege schienen gangbar, die beschriebenen Widersprüchlichkeiten aufzulösen: zum einen könnte der Ausdruck facultas nur noch im sakramentenrechtlichen Zusammenhang verwendet und somit den Befugnissen in foro interno vorbehalten werden. Hier sollte dann um der größeren Klarheit willen auch einheitlich von einer concessio und nicht von einer delegatio der Befugnisse gesprochen werden. Alternativ erschiene es denkbar und auch rechtssystematisch sinnvoll, den Begriff der potestas nur als abstrakten Oberbegriff für die Leitungsgewalt im Ganzen zu verwenden, einzelne Vollmachten hingegen regelmäßig und konsequent als facultates zu benennen, wobei deutlich zwischen jurisdiktionellen und sakramentalen Befugnissen unterschieden werden müsste.
III. Schlussfolgerungen Die kurze Untersuchung des Begriffes der facultas hat Folgendes erwiesen: (1) Der Begriff der facultas wird im kirchlichen Gesetzbuch nicht nur in sehr verschiedenen Sinnzusammenhängen, sondern auch innerhalb seiner jeweiligen Wortbedeutungen im Einzelfall uneinheitlich oder sogar unzutreffend verwendet. Man findet im Zusammenhang mit diesem Rechtbegriff ein Konglomerat von aus alten Vorschriften unbedacht übernommenen oder aus theologischen Erwägungen und teils mithilfe rein theologischer Begrifflichkeiten veränderten Normen vor.43 Insbesondere die Übernahme des Ausdrucks aus dem Katholischen Katechismus in c. 1009 § 3 CIC/1983 erscheint unbedacht; die im Deutschen sowohl im Katechismus als auch im CIC/1983 verwendete Übersetzung mit „Vollmacht“ ist im Gegensatz dazu zutreffend und sinnvoll. (2) Die Einführung des Begriffes der facultas im Bereich des Sakramentenrechts hat nicht zu einer Klärung der Gewaltenlehre beigetragen, sondern im Bemühen, den im II. Vatikanischen Konzil entwickelten Gedanken der einen sacra potestas im Sakramentenrecht aufzugreifen, den Zusammenhang zwischen den im Codex ja ebenfalls noch verwendeten Begriffen der potestas ordinis und potestas regiminis weiter verunklart. (3) Die facultas stellt sich auch im Bereich des Sakramentenrechts als eine nicht nur formale, sondern inhaltlich gefüllte Spielart der potestas regiminis seu iurisdictionis dar. Dass der kirchliche Gesetzgeber den Begriff der facultas ausschließlich im Zusammenhang mit geistlichen Amtsträgern verwendet, also keine 43 C. 17 CIC/1983, dem zufolge Gesetze in erster Linie secundum propriam verborum significationem in textu in contextu consideratam sind, hilft bei der facultas also ganz und gar nicht weiter. Nach Richard Potz, Rechtsbegriff und Rechtsfortbildung nach dem CIC 1983: Concilium 22 (1986) S. 173 – 178, hier S. 176, kann die normative Bedeutung eines Gesetzestextes aber auch nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut als solchem abgelesen, sondern „muß erst argumentativ aus der Wechselbeziehung von Text und Lebenssachverhalt gewonnen werden“.
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Übertragung von Befugnissen an Laien vorsieht, kann als zusätzliches Indiz für den inhaltlichen Zusammenhang zwischen facultas und potestas regiminis angesehen werden. Die facultas ist kein Gegenbegriff zur potestas, sondern verhält sich zu dieser wie ein Einzel- zu einem Gattungsbegriff. Es käme darum auch nicht in Betracht, eine facultas im rechtlichen Sinne an eine Person zu verleihen oder zu übertragen, die nicht im Besitz von potestas ist. (4) Man kann durchaus Verständnis für die Auffassung haben, dass der Ausdruck „Gewalt“ oder „Vollmacht“ bei Gläubigen in der heutigen Zeit auf Unbehagen oder gar Widerstand stößt. Auch kann nicht geleugnet werden, dass die aus rechtssystematischen Gründen notwendige Unterscheidung zwischen Weiheund Leitungsvollmachten als vermeintliche Trennung der einen heiligen, von Christus an seine Jünger übertragenen Vollmacht missdeutet werden kann. Ganz sicher kann aber ausgesagt werden, dass man solchen Gefahren oder Schwierigkeiten nicht dadurch wirksam begegnet, dass man einen zusätzlichen, seinerseits wieder auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff in die Diskussion einführt bzw. einen bereits vorhandenen Begriff umdeutet oder ihm eine weitere Bedeutung unterlegt und diesen dann nicht einmal einheitlich verwendet.44 Auch in Bezug auf die facultas in ihrer Wortbedeutung als rechtliche Befugnis gilt somit das, was der Jubilar in seiner Habilitationsschrift feststellte, nämlich dass der Umgang mit dem Recht einer Offenheit bedürfe, die sich „von selbst aus der Anerkennung der Geschichtlichkeit allen menschlichen Erkennens, Deutens, Ordnens und Gestaltens und dem damit zusammenhängenden Bekenntnis zur hermeneutischen Rechtsbetrachtung“45 ergebe. Denn so bedauerlich man dies auch finden mag, kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass identische Begriffe in der theologischen Dogmatik und der Kanonistik im Einzelfall bedeutungsverschieden verwendet werden und dass theologische Überzeugungen und Einsichten nicht immer leicht in kirchliches Recht umzusetzen sind – dies nicht zuletzt deshalb, da das Recht nicht nur in seiner Anwendung und Auslegung, sondern eben bereits in seiner Setzung der Geschichtlichkeit menschlichen Erkennens unterliegt.46
44 Mit Huels, Permissions, Authorizations and Faculties in Canon Law (Anm. 9), S. 58, der sich in seiner Untersuchung ebenfalls mit verschiedenen Formen der Gewährung, Gestattung oder Erlaubnis von Rechtshandlungen durch facultates, licentiae und andere Arten der Bevollmächtigung beschäftigt, kann man feststellen: „clarity is lacking in many cases“. 45 Pree, Die evolutive Interpretation (Anm. 1), S. 240. 46 Sicherlich kann man die Ansicht vertreten, dass man versehentliche, im Blick auf die Textgeschichte aus womöglich nachvollziehbaren Gründen in den Rechtstext übernommene theologische Begriffe nicht gleich die ganze Rechtsordnung erschüttern und auch nicht in jedem Fall die Rechtsauslegung und -anwendung verunklaren. Und natürlich können Versehen oder Flüchtigkeitsfehler des Gesetzgebers sogar aufschlussreich dafür sein, wie er über bestimmte rechtliche Sachverhalte denkt, welche Schwerpunkte er setzt, wo ihm begriffliche Feinheiten nicht so wichtig sind. Fehler an der einen können somit durchaus hilfreich für die Interpretation an einer anderen Stelle des Gesetzes sein.
Ius semper evolutivum?
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Überträgt man jedoch einen in einem nicht-kanonistischen, aber offiziellen kirchlichen Dokument verwendeten Ausdruck unverändert in einen Rechtstext, können sich daraus möglicherweise Unsicherheit und Missverständnisse, im Laufe der Zeit (nicht zuletzt in dem Maße, in dem die Entstehungsgeschichte der Norm in Vergessenheit gerät oder schlicht unbeachtet bleibt) aber auch grobe Fehlinterpretationen ergeben. Eine Kritik an solch unbedachten Übertragungen steht dabei keineswegs im Widerspruch, sondern gerade im Einklang mit der vom Vorgänger des Jubilars vorgenommenen Charakterisierung der Kanonistik als „eine theologische Disziplin, die gemäß den Bedingungen ihrer theologischen Erkenntnisse mit juristischer Methode arbeitet“47, insofern eine wahrhaft juristische Methode auch den rechtssystematisch und -theoretisch korrekten Umgang mit rechtlichen Begrifflichkeiten verlangt. Die nach Ansicht des Verfassers zu beobachtende Entwicklung, vermehrt theologische Begriffe oder Formulierungen unreflektiert und ohne sorgfältige Prüfung der Vereinbarkeit mit bereits vorhandenen Rechtsinstituten bzw. dem diesbezüglichen Sprachgebrauch in die Rechtsordnung aufzunehmen oder zumindest aufnehmen zu wollen, ist mit Sorge zu betrachten, da stets die Möglichkeit besteht, dass ein fälschlich verwendeter Rechtsbegriff die Grundlage oder besser das Einfallstor für Gedankenspiele oder Theoriegebäude bildet, die unter Berufung auf eben diese Art der Verwendung sehr wohl eine der Rechtsordnung im Ganzen widersprechende Haltung konstituieren. Dieser Gefahr zu begegnen, sei ein letztes Mal der Jubilar zitiert: „Kirchenrechtliche Normanwendung hat der Einheit der ihr zugrundeliegenden Güter- und Werteordnung Rechnung zu tragen, welche ihrerseits in der Einheit der communio gründet. Diese Wertungs- und Sinneinheit ist keine abgeschlossene; sie ist auf die Zukunft, auf die jeweilige Realisierung in den konkreten Fällen hin offen; dabei sind Wertungswidersprüche, Zweckwidrigkeiten und Widersprüche in der Rechtsgüterordnung zu vermeiden. Die so verstandene Einheit der Rechtsordnung ist der Grund dafür, daß bei jeder Normanwendung die ganze Rechtsordnung angewandt und präsent wird.“48
47 48
Aymans-Mörsdorf KanR I, S. 71. Pree, Die evolutive Interpretation (Anm. 1), S. 249.
Klaus Mörsdorf als Bräutigam Der Umgang mit fehlerhaften Personennamen im Kirchenrecht Franz Kalde Eigennamen sind für den Sprachwissenschaftler ein interessantes Forschungsprojekt. Ihre Eigenart und ihre Tücken, vor allem bei fehlerhafter Verwendung, stellen auch für den Kanonisten eine Herausforderung dar.
I. Einführung Druckfehler sind fast jedem Verfasser schon unterlaufen. Sie können Anlass sein, sich zu ärgern oder zu schmunzeln, können aber in amtlichen Dokumenten von rechtlicher Relevanz sein. Der Vorvorgänger auf des Jubilars Lehrstuhl war Klaus Mörsdorf. Das Lehrbuch Eduard Eichmanns zum CIC/1917, das er fortführte, wurde im deutschsprachigen Raum zu einem Standardwerk, das nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Rechtspraxis gern verwendet wurde. Als im Jahre 1969 eine katholische Braut eine Mischehe mit einem evangelischen Partner eingehen wollte, beantragte sie die Dispens von den Kautelen (Versprechen bezüglich katholischer Taufe und Erziehung der Kinder); diese Dispens war vom Apostolischen Stuhl zu erteilen.1 Das zuständige Ordinariat lehnte das Gesuch ab und leitete den Antrag nicht nach Rom weiter. Die Braut wandte sich selbst an den Apostolischen Stuhl, der beim Ordinariat nachfragte, das seine ablehnende Entscheidung unter ausdrücklicher Zitation des Mörsdorfschen Lehrbuchs begründete. Drei Wochen später erteilte der Apostolische Stuhl der Braut Dispens von den Kautelen, und zwar zur Eheschließung mit dem nichtkatholischen Bräutigam Klaus Mörsdorf.2 1
Vgl. Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, Bd. 2. 12. verb. und verm. Aufl. München/Paderborn/Wien 1967, S. 178; Beatrix LaukemperIsermann, Die konfessionsverschiedene Ehe ¢ Gedankengänge und Praxisvorschläge der deutschen Verwaltungskanonisten seit 1967, in: Rüdiger Althaus/Rosel Oehmen-Vieregge (Hrsg.), Aktuelle Beiträge zum Kirchenrecht. Festgabe für Heinrich J. F. Reinhardt zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main u. a. 2002 (= Adnotationes in ius canonicum 24), S. 177 – 203, bes. S. 179 – 181. 2 Vgl. den Bericht über diesen Vorgang in der Süddeutschen Zeitung Nr. 280 vom 22. November 1969, S. 18.
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Franz Kalde
Zunächst sollen in einer kleinen Fehlerkunde verschiedene Fehlertypen, die in (staats-)kirchenrechtlichen Dokumenten oder wissenschaftlichen Texten begegnen können, aufgezeigt werden:
II. Arten und Ursachen fehlerhafter Schreibweisen Bezüglich der Fehler lassen sich verschiedene Typen unterscheiden3 : 1. Klassisch sind Schreibfehler wie „relligionem“ (statt religionem) oder „Mühlhein“ (statt Mühlheim) in der handgeschriebenen Errichtungsurkunde des Bistums Essen.4 Tipp-/Scann-Fehler sind Fehler bei der Dateneingabe (Tipp-Fehler) oder bei der elektronischen Datenerfassung (Scann-Fehler). Beispiele sind Buchstabendreher wie „Knaoistik“5 (statt Kanonistik), „Staatskrichenrecht“ (statt Staatskirchenrecht) oder die Vertauschung von Buchstaben, die auf der Tastatur benachbart sind, wie „Codes Iuris Canonici“ (statt Codex). Diktier- bzw. Hörfehler schleichen sich bei der Übertragung in Schriftform ein, beispielsweise wenn Satzzeichen oder andere Angaben mitdiktiert werden, wie „Lizentiat im großkanonistischen Recht“6 (statt im Kanonischen Recht). Durch die in Textverarbeitungsprogrammen mögliche Rechtschreibprüfung lassen sich viele Fehler erkennen und tilgen, aber nicht bei Personennamen, die im Rechtschreiblexikon nicht erfasst sind. Textverarbeitungsprogramme können zur Quelle neuer Fehler werden, wenn sie auf automatische Fehlerkorrektur eingestellt sind, z. B. „Agnus Die“ (statt Dei), da sie dann versuchen, Personennamen in (semantisch sinnvolle) Formen zu überführen. Dies könnte die Ursache für die wiederholte Verwendung von „Schwedenwein“ (statt Schwendenwein) in zwei Urteilen des Obersten Gerichtshofes der Republik Österreich (OGH) sein7; insbesondere die wiederholte falsche Wiedergabe des Namens spricht für eine automatische Korrektur, 3 Satzfehler (z. B. übergroßer Abstand zwischen Vorname und Nachname) und Formatierungsfehler (z. B. Vorname fett und Nachname kursiv) bleiben im Folgenden unberücksichtigt. 4 Vgl. Franz Kalde, Die päpstliche Bulle „Germanicae gentis“ vom 23. Februar 1957 zur Errichtung des Bistums Essen, in: Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke/Matthias Pulte (Hrsg.), Kirchenrecht und Theologie im Leben der Kirche. Festschrift für Heinrich J. F. Reinhardt zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, Essen 2007 (Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Beiheft 50), S. 231 – 252, hier S. 233. Die Fehler wurden im Druck übernommen (vgl. AAS 49 [1957] S. 993 – 995, hier S. 993 bzw. S. 994). 5 Libero Gerosa, Kirchenrecht, Paderborn 2001, S. 66. 6 Beispiel aus: Klaus Lüdicke, Menda typographica et problemata virtualia. Erheiterndes aus dem Alltag eines Kirchenrechtlers, in: Festschrift zum 65. Geburtstag und zur Emeritierung von Professor Dr. Hans Kiefner, Münster 1994, S. 231 – 241, hier S. 231. 7 Nachweise bei Franz Kalde/Johannes Martetschläger, (Staats-)Kirchenrechtler als Autoritäten in der österreichischen Rechtsprechung. Eine Rechtsdatenbank im Dienste der Wissenschaftsgeschichte. Hugo Schwendenwein zur Vollendung des 80. Lebensjahres, in: DPM 13 (2006), S. 119 – 138, hier S. 138.
Klaus Mörsdorf als Bräutigam
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die den dem Rechtschreibprogramm unbekannten Namen als skandinavisches Getränk deutet. Scanner-Fehler wie „Litnrgiam“8 (statt Liturgiam) weisen oft Ähnlichkeiten zum verwechselten Buchstaben auf. Trennfehler, z. B. Rüdiger „Al-thaus“9 (statt Althaus), beeinträchtigen die Identifikation der gemeinten Person nicht, während falsche oder fehlende Buchstaben Aufmerksamkeit erfordern, z. B. Hans Erich „Feiner“10 (statt Feine) oder Petrus „Gaspari“11 (statt Gasparri); das gilt insbesondere, wenn sie einen neuen Sinn ergeben, z. B. Audomar „Schauermann“12 (statt Scheuermann) oder Joseph „List“13 (statt Listl). 2. Irrtümliche Schreibweisen werden in der Regel bewusst gewählt. Während es sich beim erstgenannten Typus oft um Flüchtigkeitsfehler handelt, geht der Urheber dieser Fehler von der Richtigkeit seiner Schreibweise aus. In der Gerichtspraxis kommt es nicht selten vor, dass die von einer Partei angegebenen Namen von Zeugen falsch geschrieben sind (vgl. c. 1552 § 1 CIC/1983). Das Gericht wird häufig diese fehlerhaften Schreibweisen übernehmen, wenn es den Parteien die Namen der Zeugen nennt (vgl. c. 1554 CIC/1983); die richtige Schreibweise wird oft erst während der Vernehmung offenbar, wenn die Zeugen sich ausweisen. Unter diesen Typus fallen auch Fehler bei Vornamen oder Namenszusätzen (z. B. Titel oder Ordenskürzel). Der Vorname kann fehlerhaft, gekürzt oder bei mehreren auf einen reduziert sein.14 Ein falscher Titel kann u. a. akademische Grade, Amtsbezeichnungen oder Ehrentitel betreffen. In der Liste der Konsultoren der Päpstlichen Kommission für die authentische Interpretation des CIC wird Heribert Schmitz als 8
Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium. Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Paderborn 2000 (AMATECA, Repertoria 2), S. 386, c. 700 § 2. 9 Georg Fischer, Die Finanzierung der kirchlichen Sendung. Das kanonische Recht und die Kirchenfinanzierungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland und den USA, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2005 (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 5), S. 164 Anm. 83. 10 Albert Raffelt, Proseminar Theologie. Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten und in die theologische Bücherkunde. 5. wiederum völlig neubearb. Aufl. Freiburg/Basel/Wien 1992, S. 226. Nach der fünften Auflage wurde der Titel des Werkes geändert; der Name des Rechtshistorikers Feine wurde korrigiert (Albert Raffelt, Theologie studieren. Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten. 7. überarb. und erw. Aufl. Freiburg/Basel/Wien 2008, S. 320). 11 Matthias Pulte, Das Missionsrecht ein Vorreiter des universalen Kirchenrechts. Rechtliche Einflüsse aus den Missionen auf die konziliare und nachkonziliare Gesetzgebung der lateinischen Kirche, Nettetal 2006 (= Studia Instituti Missiologici Societatis Verbi Divini 87), S. 612 und 639. 12 Sabine Demel, Das Abseits. Wie Regeln für Spannung und Leben sorgen können, in: Andreas Merkt (Hrsg.), Fußballgott. Elf Einwürfe, Köln 2006, S. 145 – 159, hier S. 151. 13 José T. Martín de Agar, Raccolta di Concordati 1950 – 1999. Città del Vaticano 2000 (= Collectio Vaticana 3), S. 262 Anm. 12, S. 318 Anm. 32, S. 334 Anm. 37. 14 Gommarus Michiels, Normae generales juris canonici. Commentarius libri I Codicis Juris Canonici, Vol. 2, 2. Aufl. Paris/Tournai/Rom 1949, S. 400 nennt als Beispiele die Diminutivform „Annetta“ statt „Anna“ oder den einfachen Namen „Maria“ anstelle von „Maria-Anna“. Vgl. Hubert Socha, c. 66, Rdnr. 10, in: MK CIC (Stand: November 1992).
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Ordensfrau geführt: „Rev. Sr. Schmitz“15 (statt Rev. D.). Auch richtige Titel können kontextbedingt zu Fehlinterpretationen führen: Als Johannes Paul II. den Bischof von Salford, Patrick Kelly, am 21. Mai 1996 zum Erzbischof von Liverpool ernannte, befürchtete dieser angesichts der in England üblichen Anrede für katholische Erzbischöfe („His Grace“, „Your Grace“) mit der Schauspielerin Grace Kelly in Verbindung gebracht zu werden („His Grace Kelly“).16 Nicht selten werden Namen in einer fremden Sprache falsch wiedergegeben, z. B. Antonio María „Ruoco-Varela“17 (statt Rouco-Varela). Deutsche Umlaute werden in anderen Sprachen aufgelöst (z. B. „Moersdorf“) oder auf den ersten Buchstaben reduziert (z. B. „Morsdorf“18), weil sie im lateinischen Alphabet mit seinen 26 Buchstaben als solche nicht vorkommen. Ähnliches gilt für andere Sonderzeichen wie „ß“. Bei solchen Varianten erfordert die wissenschaftliche Analyse bei digitaler Volltextsuche mehrere Durchgänge, manche Abweichungen sind jedoch nur schwer oder gar nicht recherchierbar.19 3. Verwechslung und andere Missverständnisse liegen vor, wenn – wie im einführenden Beispiel – eine andere Person als die gemeinte genannt ist. Verwechselt werden die Namen, nicht die (Identität der) Personen. In einer polnischsprachigen Fachzeitschrift wurde statt des Kanonisten Heribert Heinemann der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann als Autor genannt.20 Missverständnisse können auch bei staatlichen Stellen vorkommen: Die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten fasste das „St.“ (Sankt) als Nachnamen auf, als sie von „Frau Walburga St.“, der Patronin der Pfarrei St. Walburga in Velen-Ramsdorf, die Anmeldung ihrer Rundfunk- und Fernsehgeräte forderte.21
15
Communicationes 18 (1986), S. 10. Vgl. KNA-Informationsdienst Nr. 21 vom 23. 05. 1996, S. 2. 17 Thomas Marschler, Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts. Hans Barion vor und nach 1945, Bonn 2004, S. 380 Anm. 3, S. 530, S. 542. 18 Winfried Aymans, Kalus Morsdorf in piam memoriam, in: REDC 46 (1989), S. 845 – 847. 19 Vgl. F. Kalde/J. Martetschläger, (Staats-)Kirchenrechtler (Anm. 7), S. 138. 20 Vgl. Heribert Heinemann, Die Bischofskonferenz. Fragen nach ihrer theologischen und rechtlichen Einordnung [in polnischer Sprache], in: Analecta Cracoviensia 23 (1991), S. 227 – 238, hier S. 227, außerdem in jeder Kopfzeile auf den geraden Seiten. 21 Vgl. Der Dom. Kirchenzeitung für das Erzbistum Paderborn Nr. 3 v. 19. 01. 2003, S. 30; Franz Kalde, Zur volksetymologischen Deutung kirchlicher Abkürzungen, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück 57 (2005), S. 59 – 61, hier S. 59. 16
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III. Die Behandlung fehlerhafter Eigennamen in der kirchlichen Rechtsordnung Der kirchliche Gesetzgeber rechnet mit der Fehlerhaftigkeit von Texten.22 Daher begrenzt er die Folgen unbeabsichtigter Schreibfehler, während er bewusste Falschangaben sanktioniert. Fehlerbehaftete Personennamen treten weniger in der Gesetzgebung, die sich nicht an einzeln benannte Personen, sondern an einen unbestimmten, größeren Adressatenkreis richtet, auf, als vielmehr in der staatlichen oder kirchlichen Gerichts- und Verwaltungspraxis. Das Prozessrecht sieht die Berichtigung von Vernehmungsprotokollen (vgl. c. 1569 § 1 CIC/1983), von Fehlern im Urteil23 (vgl. c. 1616 CIC/1983) oder von Urteilen selbst (vgl. c. 1626 § 2 CIC/1983) vor; dies schließt die Korrektur fehlerhafter Eigennamen von Personen oder Orten mit ein. Eine Korrektur ist auch bei Verwaltungsakten möglich.24 Im Verwaltungsrecht ist ferner ausdrücklich normiert, dass irrtümliche Personennamen („error in nomine personae“) ein Reskript nicht verungültigen, wenn nach dem Urteil des Ordinarius kein Zweifel bezüglich der Person besteht (vgl. c. 66 CIC/1983). Wesentlich und zur Nichtigkeit des Reskripts führend ist ein Namensirrtum nur, wenn die Identität der Person nicht eindeutig ist.25 Auch bei der Führung der Kirchenbücher wird auf korrekte Namensangaben großer Wert gelegt; ein Beispiel sind detaillierte Regelungen für den Taufbucheintrag nach durchgeführter Geschlechtsumwandlung.26 Bei offensichtlichen Schreib- oder Druckfehlern gilt das erkennbar Gewollte.27 Handelt es sich jedoch um vorsätzliche Fehler oder Falschangaben, hat dies rechtliche Konsequenzen, beispielsweise bei der Erschleichung von Reskripten (vgl. c. 63 CIC/1983), der Falschangabe in amtlichen Kirchendokumenten (vgl. c. 1391 n. 3 CIC/1983) oder der Vorlage geänderter Urkunden (vgl. c. 1543 CIC/1983). In c. 66 CIC/1983 geht es um die Person des Reskriptgebers oder -nehmers. Wenn in einem Verwaltungsdekret oder in einem Urteil Sekundärliteratur zitiert wird und der Name einer angeführten Autorität falsch geschrieben ist, wird das die Entschei22 U. a. gibt es zu den beiden großen Gesetzbüchern CIC/1983 und CCEO längere Corrigenda-Listen. 23 Klaus Lüdicke, c. 1616, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: April 1990) weist darauf hin, dass nicht das Urteil korrigiert wird, sondern dessen Niederschrift. 24 Vgl. Thomas A. Amann, Der Verwaltungsakt für Einzelfälle. Eine Untersuchung aufgrund des Codex Iuris Canonici. St. Ottilien 1997 (MThS.K 54), S. 117 – 119. 25 Vgl. Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, Wien/New York 1983, S. 65. „A rescript is granted not to the name, but to the person of the petitioner“ (Javier Canosa, Commentary [c. 66]. In: Ángel Marzoa/Jorge Miras/Rafael Rodríguez-Ocana [Hrsg.], Exegetical Commentary on the Code of Canon Law. Bd. I. Montreal/ Chicago 2004, S. 593 – 596, hier S. 593). 26 Vgl. Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 146 (2003), S. 80. 27 Vgl. Georg May/Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode. Regensburg 1986, S. 175; vgl. auch Hubert Socha, c. 66, Rdnr. 10, in: MK CIC (Stand: November 1992).
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dung nicht beeinträchtigen, da dieser Name nicht zum Wesenselement der Entscheidung gehört, aber gegebenenfalls Rückschlüsse auf die mangelnde Sorgfalt des Ausfertigenden (Aktuar, Notar) zulassen. Immerhin hat der eingangs geschilderte Fall dazu geführt, dass ein kirchlicher Verwaltungsakt in der überregionalen Presse Beachtung fand und so eine größere Öffentlichkeit auf die Dispensmöglichkeit aufmerksam gemacht wurde. Der Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Hannes Burger, kommentiert es so: „Nun hat es Rom so gut gemeint und wollte viel gnädiger sein als das Ordinariat […], doch zufrieden ist von den Beteiligten niemand: Das Ordinariat möchte gerne Recht behalten, Mörsdorf seine katholische Konfession und seinen Zölibat, das Mädchen aber vor allem seinen richtigen Bräutigam.“28
IV. Zusammenfassung Es lassen sich verschiedene Typen fehlerhafter Personennamen unterscheiden: Schreib-/Tipp-/Scann-/Diktier-Fehler, irrtümliche Schreibweisen oder Namensverwechslungen. Das kirchliche Verwaltungs- (vgl. z. B. c. 66 CIC/1983) und Prozessrecht (vgl. z. B. c. 1616 CIC/1983) rechnet mit solchen Fehlern und begrenzt mögliche Schäden aufgrund falscher Namen bei der Ausfertigung von Verwaltungsakten oder Urteilen. Für die wissenschaftliche Auswertung (beispielsweise bei der Volltextsuche) können Varianten nur schwer oder gar nicht erfasst werden.
28
Süddeutsche Zeitung Nr. 280 vom 22. 11. 1969, S. 18.
Leben und Recht der orientalischen Kirchen
The Christian Family in the Middle East: Value and Challenges Elie Raad “The family is a home church of divine and human design.”1
In the Middle East, the family is a testifying witness and defender of the church. It is rather the “first place for Christian and Apostolic testimony in words and deeds”, as the term was expressed by the Apostolic guidance “New Hope for Lebanon”2. It is true that the importance of the family originates from the sacrament of marriage, as the basis of human life, and that the couple’s home is the temple where life is generated and received as a gift from God3; it is also true that the family and society interact and complement each other. Because the well-being of society as that of the Church are deeply linked to the good of the family, the diverse communities’ adopted policies, legislations, social and ethical regulations aimed at supporting the family in its growth and maintaining its rights to ensure appropriate environment for its sublime acts of reproduction, education and testimony.4 If the family holds high priority in today’s international legislations, especially for the civil, economic, social and humanitarian rights, it also occupies the first position in the Church’s legislation because, as a human being and a cell, it is the focal point of the work and the mission of the Church, which confirms to the families what the Apostle Paul told the Corinthians: “Our mission is you.” In Lebanon, as in other Middle Eastern countries, since its formation, the family enjoys special laws governing its problems and members starting with its first inception in the sacrament of marriage. Religion and confession play a basic role in all the stages including inheritance rights after death. The Christian family in the Middle East is not only distinguished by “personal status laws”. Laws are based on facts, most importantly, the environment, the framework, advocacy and relationships which clearly highlight the facts and the properties.
1
John Paul II, The Family is a gift, commitment and hope to humanity, International meeting for families in Rio de Janeiro, 1997. 2 John Paul II, New hope for Lebanon, 1997, number 146. 3 John Paul II, Apostolic guidance to America’s Church, 1999, number 46. 4 Antoine Saad, The family is the path to the Church, which family for the third millennium, in: El Manara magazine, Lebanon (a special edition for the Jubilee 2000).
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In this intervention I will treat the subject from three dimensions: ¢ The importance of the family in Christianity, and particularly in the Middle East today. ¢ The challenges facing the Christian family in this East. ¢ The vision and the future role of the Middle Eastern Christian family.
I. The Christian Family in the Middle East The family is the mother, the family’s heart, and the educator, striving to make the spouse and children happy. She is the virtuous woman praised in the Bible […]. The family is also the father who sacrifices and struggles to secure the well-being of the family through love and care. The family is also the children who are God’s gifts, the fruit of love and the future of the Church. The Christian family interacts with the Church and its surroundings: it is the nucleus of the parish and rotates around its religious symbols: the priest, the church and the monastery. It firmly holds on to the Christian faith, as it offered martyrs for its faith. Moreover, it is committed to its ecclesiastical duties, whether in liturgical life, pastoral or social activities. The active apostolic movements in our parishes are a sign of life and wealth in the Church. The family possesses an apostolic spirit and Evangelical values: most important the openness toward its neighbor, dialogue, solidarity, and assistance of the needy […]. It transmits these values to its children from generation to generation. Perhaps the abundant calls for priesthood and monastery life in our families are the fruit of this deeply-established faith in religious education and Christian practices. The community, the families form and live in, has positive reflections on them such as synergy, unity, harmony, as well as knowing the other, helping him/her not to despair, respecting the prohibited matters, and staying away from doing wrong […]. Disloyalty in marriage, for example, is a plague that hits the family unit first then the whole society. Hence, the society ought to deter, in one form or another, the threats faced by the family to prevent, postpone or alleviate the negative repercussions. Our Christian families in the Middle East coexist with Muslim families, through giving and taking, while maintaining the fundamental difference in matrimonial concept, and the important place of Christ in the family. There is a common respect for the family, for its ethical values, parochial authority, and respect for women. There is no room for Western-style cohabitation, nor anomalies, if one excludes the polygamy practice and pleasure marriages in the Muslim community. These Muslim multiple marriages are in decline due to the influence of the Christian community. Furthermore “domestic violence”, rebellion, and “nonrespect for women” are decreasing due to the principles of freedom, human rights and
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dignity of women that are proclaimed in Christianity and applied in Eastern and Western societies. This is one of the aspects of Christian testimony Christian families live and practice. These aspects have produced useful consequences upon the Islamic families and community in general. We affirm – in the East as in the West – that marriage is a contract, a commitment and a Sacrament, consecrated by God who made it the foundation of the family. He takes care of it, redeems it and blesses it. He invites it to share in His divine life and His eternal sanctity. We also stress upon the importance of faithfulness in marriage. God is always loving and present when the spouses and children meet for they are members in the micro Church living with the love for God and the neighbor. Since the family is the basis for raising human beings, “when a family is lost, a painful feeling of deficiency takes control of the person coming to the world. It will accompany him throughout his whole life”5. As the family affects society, society in turn affects the family. This is not surprising because the family provides the state with its citizens and leaders, and the Church with its faithful apostles and saints […]. The family “embodies goodness to the whole nation”6, it is “the road to sanctity”7 and “serves life”8.
II. Challenges Facing the Family in the Middle East Because the family is the “salt of the Earth”, any corruption of this salt threatens both the family and the society thus leading to the total collapse of the latter. Unfortunately, the factors that destabilize the family are many. The factors could be caused by circumstances, the surrounding environment, parents, children or both together. Currently, our families are facing significant changes, leading as a result to decline in the family’s role socially, economically, religiously and nationally thus impacting its private life. […] These changes form a set of challenges that require a new reading of the family’s reality in the present and the future. The Maronite Patriarchal Synod, held in our church for a period of three years (between 2003 and 2006) devoted a full section to the family within the framework of “pastoral and spiritual renewal”. What was mentioned about the Maronite family applies to other Christian families in the Middle East. The challenges mentioned can be classified as follows: 5
John Paul II, “Letter to families”, 1994, number 2. John Paul II, European Conference of politicians and legislators, 1998, number 4. 7 Paul VI, “The populations’ light”, number 11. 8 Paul VI, “the Gospel of life”, number 93.
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1. Cultural and Social Challenges Moving from rural to urban areas and from motherland to other homelands affects the family life as it introduces new patterns, concepts and values. Confusion and ambiguity about the essence of faith are noted due to atheistic ties, trends and teaching and material conflicts generated by globalization in the contemporary world. The values that were known by our families and were the basis in their upbringing, are facing various threats because of consumption trends, the desire for quick profit, lax behavior and the absence of the proper human perception of sex and materialism. In the family community, the spirit of contentment is absent. Contentment used to be the most important characteristic of the family. Moreover, the meaning of happiness changed and the culture of death is being widely spread in many families: rejection of life and pregnancy, abortion, euthanasia, manipulation of genes, extramarital relations, and homosexual marriages. In addition, we can add the list of diseases that plague the consumer communities, public authorities along with modern negative technological influences. Special effects derive from the inability to live with the other partner, due to the depletion of love which eliminates differences, understands dissimilarities and leads the married couple to be faithful and self-sacrifice for the partner and the family. The new family perceptions caused by many factors, including the previously mentioned techniques, reshape the roles in the heart of the family. The question is: who teaches whom? Parental authority is questioned, either because of the children deluding view of freedom as “an independent force for assertiveness, which is most of the times directed against others”9. It could also be due to the children’s feeling of superiority towards their parents especially if the latters are less educated. In addition to these difficulties there are the ill-conceived social relationships that immerse the family sometimes, for being considered as alternatives to the family, leading to reduced family role and possible total abolition. What increases the risks is when these relationships are unhealthy as a result of poor choice of friends, or when the family is suffering from improper friendship due to unfaithfulness or other vices. One should not forget, in this context, the absence of the father or mother or both from the house because of work, sometimes abroad. This absence leads to a lack in educational responsibilities thus damaging all family members, particularly young men and women, who tend to follow undesirable paths.
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John Paul II, 1981, “The functions of the Christian family”, number 6.
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2. Religious Challenges The change affecting our families is not only limited to cultural and social areas but also to the spiritual one. The pastoral life is affected by the decrease in the number of worshippers and poor commitment despite the growing number of religious education centers for adults. Under this new socially challenging reality, the Church has to find innovative means to spread faith among its members. The challenge facing the Church is in its ability to live the evangelical values aimed at building a culture of love in all public and private sectors. There is ignorance or disregard for the Church’s teachings in reference to ethics, which in turn affects the dignity of human life, the concept of marital love and its relation to life. Therefore, our churches in the East as in the West have to follow and accompany all issues related to this topic, seek to disseminate their teachings and deliver them to the concerned priests and married couples. The family should return to the teachings of its Church and draw from its living heritage. It should seek to live a responsible parenthood and motherhood in all its dimensions starting from the new reality. 3. Political Challenges The Christian family in the Middle East is suffering because Christians form a minority. This fact is reflected in their political and administrative status in a number of countries, and is also reflected in employment opportunities. One must not ignore what Christian families are encountering in Iraq and in Egypt forcing them to emigrate. These fears were recently expressed by the Maronite Patriarch Mar Bishara Boutros El Rai. These fears are fueled by the intensity of fundamentalism and revolutions in neighboring countries and their impact on our families not only in their religious practices of faith, but also their presence and future in the region. The Christian family is subjected to difficulties affecting its identity, growth and specific behavior towards the increasing number of Muslim families, in volatile political and security situations and under the rule of totalitarian regimes. Political insecurity and instability as well as economic difficulties result in low birth rate and migration which renders the land of Christ empty of Christians. Amidst these challenges, our Christian families have a mission to live in their surroundings wherever they chose to settle. They obtain the family’s value and the importance of its mission that are derived from the fundamental concepts of marriage and from the teachings of the universal Church. They remember then that a successful marriage is a true, sincere, free and responsible commitment. Love constitutes the framework and engine that accompanies the couple and grows with the family; thus it forever promotes and consolidates the home’s warm ties of family relation-
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ships. Our families also remember that marriage goes beyond individual intimacy because it is a public commitment before God and the community. And because the couple is not alone nor isolated, their marriage belongs to the Church and is entrusted in its conscience. The couple’s love is as the “love of Christ for His Church” (Eph 5/25) and is a sacrament fixed in the heart of the Sacrament of Redemption. “It is the sacrament of Christ’s death and resurrection which is fulfilled in marriage” says Pope Paul VI.10
III. Role and Future 1. Values’ Transmittance More than 20 years ago, a research center in Lebanon published11 a study on religious values in Lebanon, in which the survey highlighted the predominant role of the family in the transfer of moral values to young people. The survey showed that those who considered that these values are acquired from home before the school exceed 95 % of the participants. In the forefront came the values of: honesty, generosity, loyalty, and good economic administration. These answers are still valid, despite the lapse of time of the survey, because they show the important standing of the family in the Lebanese society, especially in the minds of our children and young people, whose majority still feel that the home has the primary role in shaping their personality, even if there are differing views on the priorities and the values as fundamental elements in forming that personality. We reaffirm that the family is the promoter of values, the protector, and bearer. 2. Constancy “In the true family lies the future of the Church”12 and “the future of mankind in turn depends on it”13. The expressions of family, life and the future converge and interact harmoniously and productively in the teachings of the Christian Church. History recognizes the family survival of being the only unit that was not affected by the shape of society, whether totalitarian or democratic. The family was neither affected by ideology, religious nor political doctrines. It remained the heart and goalkeeper that softens societal severe fanaticism and even family clans problems. The family also reduces the intensity toward groups’ anonymity, thus creating the spirit and values that no one can live without. 10
Paul VI, A sermon to the Notre Dame teams, 4 May 1970, number 16. Bodjikanian, Kai and Khoury, Lebanon’s Religious Values, CEROC publications 1989 (Centre d’études et de recherches pour l’Orient chrétien). 12 Cardinal Alfonso Trujillo, President of the Pontifical Council for the Family, intervention in the convention of Catholic Patriarchs in the Middle East, May 1999. 13 John Paul II, The functions of the Christian family, 1981, number 86. 11
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This “constancy” which characterized our families – particularly in the Middle East – was enhanced by faith, values and knowledge. This steadfastness is of prime importance for today’s family in the era of globalization, which dropped the notion of borders, reduced distances, invaded our homes and our personalities therefore threatening tranquility and intimacy by exposing our societies to uncertainties. 3. The Social Role The family is the “first life cell in society”. It cannot survive locked in itself without caring about what happens around it. The family education is invited to open up to the larger society transferring to it the principles of its smaller community. For this reason, the family defends these principles, fights violence, moral degradation and corruption. The work of the family integrates with and complements the work of relevant other sectors such as education, politics, media and social institutions. The contribution of the Christian family in the process of social development14 is launched from private initiatives towards general obligations through social and church organizations, national and international governmental and non-governmental organizations working to defend public freedoms, the preservation of human dignity and human rights, as well as family rights. It seeks the abolition of torture and violence, protection of the weak, the struggle against wars and work on improving the quality of life of needy families. 4. The Church Role Our family is invited to attest to its faith and live its Gospel. It is the yeast of the Orient and the beacon of a shining light. Its heavy and inviting Christian responsibility is in a porcelain pot. Through its life Christian love contributes to spreading the virtues of faith, hope and love in a world highly in need of those virtues. The basic duties of parents toward their children are to transmit the real faith, declare the word of God at home and in society, nurture it with prayer, Bible reading and meditation […]. Many of our families continue to fast and pray. They still honor the Saints and the Virgin Mary throughout the month of May which is dedicated to her […].The children take these habits from their parents and pass them along to new generations, as a connecting sign and partnership desire to build the heavenly kingdom. In the family, there is special space to practice Christian hope at home and in the environment. The text of the Maronite Synod15 declares: 14 About this topic you can review “The work of the Maronite Patriarchal Synod”, texts and recommendations, 10th text, numbers 59 and beyond. 15 Mentioned earlier (number 65).
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“Every family member is the hope for the other: between couples and children, and among the children and their parents […]. The happiness of the Christian family is in heaven, and gets attached to this hope while confronting the difficulties of daily life, because it knows that it’s in the hands of God the Father, who is always present in times of distress. ”
The natural framework for love is the family so that man may live the virtues of life and “most importantly the virtue of love”, says St. Paul […]. The family’s life of love is a reflection of the unity of the Trinity and of God’s love for His Church. It also reflects the theological meaning of the Sacrament of Marriage, upon which the family is founded. The love, the family members share with one another, is the starting point for their love of others and a translation of the Apostolic family […]. How else would it be when the community includes mixed cultures, religions and ideological trends? It remains to point out that in the religious domain the attention given by our Church to the family is practically translated through a number of initiatives in compliance with the recommendations of the Synods, including: ¢ Establish a committee for family and life matters in every diocese and parishes. ¢ Create a “listening center” in each diocese to coach families. ¢ Set up a center in the Middle East in collaboration with the “Institute of John Paul II for Marriage and Family”. This was done at Sagesse University and with the direct support of the Maronite Archdiocese of Beirut. ¢ Include bioethics courses in Christian education. ¢ Re-examine the organizational chart of religious courts and the ways they perform their duties in order to speed up courts’ rulings. ¢ Draw a Socio-economic plan to support the large number of needy Maronite families. ¢ Encourage the Rosary prayer, reading texts from the Bible or other written sources. ¢ Coordinate between the media and family commissions to develop and execute educational and family plans. ¢ Create a lobby “Groupe de Pression” made up of experts to follow up announcements and media programs, and provide feedback to influence the media in order to respect and safeguard the basic values.
5. Conclusion The family was the focal point of the “Synod for Lebanon”, and of the Maronite Patriarchal Synod, and of the “Synod for the Middle East” called for by Pope Benedict XVI last October. The recommendations emanated from this last Synod stressed
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how much the Church pays attention to the Christian family in the Orient and the family’s role in the Church, the communities and nations. Our families have been disrupted by successive wars that took and are taking place in the Middle Eastern countries. The families face various difficulties, directly and indirectly, often amounting to the martyrdom of their sons because of their beliefs. Despite all of this, faith remains firm, and the family considers that its presence in the Middle East is not a geographical nor historical coincidence but the work of God who wanted these families to give special testimony in these blessed eastern countries and more specifically in Lebanon which Pope John Paul II described “It is more than a country, it is a mission”. This “mission” is born first by our families which we consider, by virtue of history and geography, a continuation of the family of Nazareth, the Holy Family, which embraced the child, the Savior and was the first Christian house that changed the face of history of mankind and guided the world to the path of God and the heavenly kingdom.
Die Orthodoxen in der Steiermark und ihre Versuche einer Gemeindegründung im ausgehenden 19. Jahrhundert Thomas Mark Németh
I. Zur Orthodoxie in der Habsburgermonarchie Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Bemühungen um die Errichtung einer orthodoxen Kirchengemeinde in Graz, der Landeshauptstadt der Steiermark. Diese quellenmäßig gut dokumentierten, in der Literatur bislang aber nicht dargestellten Vorgänge erlauben interessante Einblicke in den orthodoxen Mikrokosmos Österreichs des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Insbesondere machen sie Verhältnis und Zusammenwirken kirchlicher und staatlicher Institutionen und privater Akteure sichtbar. Ausgangspunkt für meine Recherche waren Materialien im Nachlass1 des Wiener Ostkirchenrechtlers Josef von Zhishman.2 Einschlägige Akten des Ministeriums für Kultus und Unterricht in Wien (= MKU) befinden sich heute im Österreichischen Staatsarchiv.3 Ergänzend konnten Statthaltereiakten aus dem Steiermärkischen Landesarchiv4 berücksichtigt werden. Die orthodoxe Kirche in Österreich-Ungarn umfasste mehrere Kirchenorganisationen. In der ungarischen Reichshälfte bestanden seit 1713 die serbische Metropolie von Karlowitz (Sremski Karlovci) und seit 1864 die rumänische Metropolie von Hermannstadt (Sibiu). In der österreichischen Reichshälfte wurde erst 1873 die Metro-
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Universitätsbibliothek (= UB) Wien, Ms. III 878 germ. (III 408.335), Mappe 1, Bl. 497 –
2 Vgl. Thomas Mark Németh, Josef von Zhishman (1820 – 1894) und die Orthodoxie in der Donaumonarchie (= Kirche und Recht 27), Freistadt 2012 (Aufnahme des Nachlasses im Anhang, vgl. hier S. 342). 3 ÖStA, Allgemeines Verwaltungsarchiv (= AVA), Unterricht und Kultus (= UK), Neuer Kultus (= NK), Akatholisch (= Akath.), Griechisch-Orientalisch (= Gr.-Or.), Signatur (= Sign.) A3-Generalien (= Gen.), Karton (= K.) 2; Sign. A 14–Steiermark (= Stmk.)–Graz, K. 17; Sign. A35–Stmk., K. 31. Ich danke Frau Dr. Susanne Kühberger und Frau Johanna Bohrn für freundliche Hilfestellung. 4 StLA, Statthalterei (= Statth.) 35 – 716/1883, 53 – 9680/1885. Ich danke Frau Dr. Elisabeth Schöggl-Ernst, Herrn Dr. Gernot Obersteiner und Herrn Mag. Franz Jäger für freundliche Auskunft und Hilfestellung.
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polie der Bukowina und von Dalmatien errichtet, die neben dem Czernowitzer Erzbistum die Eparchien von Zara (Zadar) und Cattaro (Kotor) umfasste.5 Außerhalb dieser Bistümer bestanden um 1890 bis 1900 orthodoxe Kirchengemeinden in Wien6, Triest7, Lemberg8 und Peroj9. Die in der Krain gelegene Ortschaft Bojance (Bojanci) wurde von der in der ungarischen Reichshälfte liegenden Pfarre Marienthal (Marindol) mitbetreut. Im Unterschied zu diesen staatlich anerkannten Kultusgemeinden wurde der von der Regierung in Wien bloß tolerierten russischen Gemeinde in Prag ein Pfarrstatus versagt. Russische Kleriker versahen auch den Gottesdienst in der Wiener Botschaftskirche sowie in Kirchen in den Kurorten Karlsbad (Karlovy Vary), Marienbad (Mariánské Lázneˇ), Franzensbad (Frantisˇkovy Lázneˇ) und Meran. 1906 wurde in Wien auch eine rumänische Kapelle eingerichtet.10 In den Herrschaftsbereich der Habsburger fallen schließlich nach der Okkupation von Bosnien-Herzegowina im Jahre 1878 (die Annexion erfolgte 1908) die dortigen, dem ökumenischen Patriarchat unterstehenden Bistümer. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 bemühte sich die Regierung in Wien um die Zuordnung cisleithanischer Kirchengemeinden zu inländischen Bischöfen und um eine monarchieweite Ordnung der orthodoxen Kirchenorganisation, allerdings mit wenig Erfolg. Der Plan beinhaltete auch die Einrichtung einer Generalsynode für die drei Metropolien von Karlowitz, Hermannstadt und 5
Vgl. zum Überblick: Thomas Mark Németh, Die orthodoxe Kirche in der Habsburgermonarchie. Geschichte und Strukturen, in: Ostkirchliche Studien 63 (2014), S. 5 – 19. 6 Der griechischen Gemeinde zum hl. Georg waren die osmanischen Staatsangehörigen zugeordnet, der serbischen Gemeinde zum Hl. Sava nach 1893 alle Slaven, der griechischen Dreifaltigkeitsgemeinde alle übrigen Orthodoxen. Die beiden griechischen Gemeinden sind bereits 1883 unter Wahrung ihrer besonderen Autonomiestellung dem Erzbischof von Czernowitz zugeordnet worden. Die serbische Gemeinde wurde erst 1897 dem Bistum von Zara unterstellt. 7 Die griechische Gemeinde blieb bis zum Ende der Monarchie von jeder bischöflicher Jurisdiktion autonom, die illyrische (später serbische) Gemeinde war in spiritualibus dem Bischof von Karlstadt (Karlovac) in Ungarn zugeordnet. 8 Die Lemberger Seelsorgestelle bzw. Kuratie war ebenso dem Erzbischof von Czernowitz zugeordnet wie der orthodoxe Seelsorger der Strafanstalt Stanislau (Ivano-Frankivs’k). 9 Der Gemeindeseelsorger, der – wie auch der Gefangenenseelsorger in Capo d’Istria (Koper) – dem Bischof von Zara unterstand, betreute auch die Gläubigen in Pola (Pula). 10 Vgl. Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), S. 185 – 205; Zoja S. Nenasˇeva, Die russisch-orthodoxe Kirche in Prag im Lichte des österreichischen Rechts und der tschechischen , , Gesellschaft (in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts), in: Peter Sˇvorc/ Lubica Harbulová/ Karl W. Schwarz (Hrsg.), Cirkvi a národy strednej Európy/Die Kirchen und Völker Mitteleuropas (1800 – 1950), Presˇov/Wien 2008, S. 213 – 228; Nikolaj Dorner, „Wo bitte geht’s denn hier nach Zarenbrunn?“ 110-jähriges Kirchweihjubiläum von St. Nikolaj zu Meran/Südtirol, in: Der christliche Osten 62 (2007), S. 375 – 383; @_US_amV Adbb[_Z @aQS_b\QS^_Z GVa[SY S ;Qa\_Slf 3QaQf: http://www.podvorie.cz/xram.phtml?id=1; Pravoslavny´ chra´m svate´ho Vladimı´ra: http://kostelml.cz/clanky/popis-chramu.html; Pravoslavna´ cı´rkevnı´ obec Frantisˇkovy La´zneˇ : http://pravoslavi-frlazne.cz/de/informationen-ber-die-kirche-und-die-kirchenge meinde [Stand: 27. 04. 2015].
Gemeindegründungsversuche der Orthodoxen in der Steiermark
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Czernowitz, scheiterte aber vor allem an der ablehnenden Haltung der ungarischen Regierung. Unterschiedliche Einschätzungen existierten in der Frage, ob diese Metropoliten zusammen eine autokephale Kirche bildeten oder als eigene Kirchen zu betrachten seien. Letztere Auffassung hat sich de facto durchgesetzt.11
II. Orthodoxe in der Steiermark Die Orthodoxie war in der traditionell katholisch geprägten Steiermark ein absolutes Randphänomen. Laut der Volkszählung von 1880 waren von den 1,213.597 Einwohnern des Landes nur 204 (in Graz 137) orthodox, ein Jahrzehnt später waren es bloß 184 (141 Männer und 43 Frauen) von 1,269.688 (in Graz 153).12 Die Orthodoxen waren größtenteils Südslaven (Serben); über ihr kirchliches Leben ist nur wenig bekannt. Die Tatsache, dass sie Anfang der 1880er Jahre den „zufällig“13 in Graz weilenden pensionierten Militärkaplan, Konsistorialrat Georg v. Bojtor aus der in Ungarn gelegenen rumänischen Diözese Arad für Gottesdienste herangezogen hatten, rief die staatlichen Verwaltungsbehörden 1883 auf den Plan. Seit 1887 hielt der Administrator der orthodoxen Pfarre in Agram (Zagreb), Ambros Pavlovic´, mit Genehmigung des Czernowitzer Metropoliten dreimal jährlich Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Dies geschah jeweils am zweiten Tag des Weihnachts-, Oster- und Pfingstfestes. Mit Ausnahme zweier Taufen hatte er jedoch keine weiteren pfarrlichen Akte vorgenommen.14 Bei den Ende des Jahres 188215 einsetzenden Bemühungen des Kultusministeriums um die Erfassung der orthodoxen „Kultusverhältnisse“ in der Steiermark, aber auch in der übrigen cisleithanischen „Diaspora“ stand die Einrichtung eines Matrik11
Vgl. Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), S. 226 f. Vgl. Die Ergebnisse der Volkszählung und der mit derselben verbundenen Zählung der häuslichen Nutzthiere vom 31. December 1880 in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, Heft 1: Die Bevölkerung der in Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder nach Religion, Bildungsgrad, Umgangssprache und nach ihren Gebrechen (= Oesterreichische Statistik 1/2), Wien 1882, S. 18, 20; Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. December 1890 in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, Heft 1: Die summarischen Ergebnisse der Volkszählung (= Oesterreichische Statistik 32/1), Wien 1892, S. 56, 58, 60; Heft 3: Die Bevölkerung nach Grössenkategorien der Ortschaften, Stellung zum Wohnungsinhaber, Geschlecht, Alter und Familienstand, Confession, Umgangssprache, Bildungsgrad, Gebrechen (= Oesterreichische Statistik 32/3), Wien 1893, S. 128. 13 Schreiben des MKU an das Innenministerium vom 08. 06. 1884 (Konzept), in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A3–Gen., K. 2, Zl. 8734/1884, vgl. auch Zl. 21127/ 1883, Zl. 22046/1885; ebd., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 3670/1889; StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 11099/1883, 18925/1883, 6138/1884, 8034/1884, 14411/1884. 14 Vgl. den Bericht des Statthalters vom 18. 04. 1891 (Zl. 6928), in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 7965/1891. 15 Vgl. den KUM-Erlass vom 31. 12. 1882 (Zl. 6729/1880[!]) in: StLA, Statth. 35 – 716/ 1883 (Stammzahl); weitere Länderberichte in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A3–Gen., K. 2, Zl. 2965/1883, 8 weitere Zahlen miterledigt. 12
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enwesens für Geburten, Eheschließungen und Todesfälle im Vordergrund. Die Ermöglichung der Religionsausübung nach eigener kirchlicher Tradition spielte hingegen eine vergleichsweise geringe Rolle.16 1885 wurde in Graz ein Verein zur Gründung einer griechisch-orientalischen Kirchengemeinde ins Leben gerufen. Am 22. Juli erhielt er nach geringfügigen Anpassungen des Statuts die behördliche Genehmigung.17 Angesichts der staatlichen Anerkennung der orthodoxen (damals als „griechisch-orientalisch“ bezeichneten) Kirche waren die Bildung von Kultusgemeinden und die Errichtung eines entsprechenden Gründungsvereins rechtlich unproblematisch. Nach § 2 des Statuts war Vereinszweck die „Gründung einer griechisch orientalischen Kirchengemeinde in Graz, die Abhaltung des Gottesdienstes nach griechisch orientalischem Ritus, eventuell die Errichtung einer griechisch orientalischen Kirche oder Kapelle mit der Katheder der serbischen Sprache und griechisch orientalischer Religionslehre“. Dieser Zweck sollte nach § 3 durch Sammlung von Geld und anderen Gaben erreicht werden. Nach § 4 konnten „jeder Glaubensgenosse sowie auch jeder Freund der griechisch orientalischen Religion“ dem Verein beitreten, der bereit war, mindestens 2 Gulden jährlich zu entrichten (§ 5). Den Vereinsvorsitz hatte zunächst der Grazer Schlossermeister Lazar Joannowics inne, der später vom katholischen pensionierten Hauptmann Ernest v. Zaicz abgelöst wurde.18 Im Nachlass von Zhishman finden sich zwei Briefe aus Graz, die mit höchster Wahrscheinlichkeit vom dortigen Polizeidirektor Valentin Jenko stammen und in denen ersterer als „alter“ bzw. „lieber Freund“ bezeichnet wird. Laut dem Brief vom 4. Februar 1889 habe Zaicz den Verein „auf Andrängen seiner Frau“ gegründet.19 1886 wandte sich der Verein mit einem Gesuch um zeitweilige Unterstützung an den Kaiser. Der Verein besitze die notwendigen gottesdienstlichen Geräte, bemühe sich um die Anmietung eines Lokals, sei aber noch nicht in der Lage, einen Geistlichen zu erhalten. Laut Eigendarstellung lebten in der Steiermark etwa 40 orthodoxe Fami16
Zur Erhebung der Kultusverhältnissen vgl. den Bericht des Statthalters vom 20. 04. 1883 (Zl. 5611) in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 13692/1889, sowie die lokalen Berichte in: StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 2580/ 1883, 3 weitere Zahlen miterledigt; Zl. 5611/1883, miterledigt Zl. 5277/1883. 17 Gedruckte Fassung der Statuten (@aQSY\Q XQUadTV XQ _b^YSQ{V Tah[_-Ybc_h^V `aQS_b\QS^V ga[SV^V _`icY^V d 4aQgd/Statuten des Vereines zur Gru¨ndung einer Griech. Orient. ¨ StA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. Kirchengemeinde in Graz, Neusatz 1885) in: O A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 20464/1888, miterledigt Zl. 22720/1888. Statut (mit Entwurf) und Na¨heres zur Vereinsgru¨ndung auch in: StLA, Statth. 53 – 9680/1885: diese Stammzahl und Zl. 31625/1885. 18 Auch die Namen der übrigen drei Ausschussmitglieder (mit Ausnahme von Zaicz) deuten auf südslavische Herkunft hin: Pesˇic´, Const. Spaits, Franz Oresˇkovic´. 19 UB Wien, Ms. III 878 germ. (III 408.335), Mappe 1, Bl. 499v (die beiden Briefe vom 04. und 21. 02. 1889: Bl. 499 – 501, dazu Zeitungsnotiz Bl. 498a). Bei der Grazer Polizei arbeitete auch ein Verwandter des Wiener Gelehrten, der im Brief vom 21.02. „Groga“ genannte Gregor Zhishman (Bl. 501r). Vgl. zu ihm Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), S. 15.
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lien, darunter größtenteils Militärpersonen und Zivil-Staats-Pensionisten, ihre Anzahl sei aber steigend. Hinzu kämen 80 bis 100 orthodoxe Studenten. Diese Zusammensetzung erklärt den erwähnten hohen Männeranteil. Aus Sicht des Vereins bestünde ein Bedürfnis nach regelmäßigen Gottesdiensten und kirchlichen Handlungen. Die Bemühungen um Anwerbung neuer Mitglieder waren jedoch von begrenztem Erfolg. Dem zuvor genannten Brief zufolge umfasste der Verein im Jahre 1889 nur 64 Mitglieder, von denen 23 Beiträge zahlten, die übrigen aber Studenten waren.20
III. Unterschiedliche Optionen für Zuordnung und Erhalt der Gemeinde Das Ministerium für Kultus und Unterricht befürwortete bis zuletzt die Gemeindeerrichtung. Im August 1886 schrieb Ministerialrat Hermenegild Jirecˇek noch optimistisch, dass eine orthodoxe Seelsorgestation in Graz „nicht unwichtig“21 sei, und empfahl das Gesuch des Vereins zur weiteren Berichterstattung seitens der steiermärkischen Statthalterei. Würde die zukünftige Gemeinde zum Bistum von Zara gehören, könnte ihr Seelsorger zeitweilig aus Staatsbeiträgen für orthodoxe Kultuszwecke unterstützt werden. Bezüglich der Entsendung eines Priesters kamen als nächstliegende Gemeinden diejenigen von Wien und Triest in Betracht. Für das Kultusministerium schien die illyrische (serbische) Gemeinde in Triest zunächst besser geeignet.22 Der Plan musste aber 1887 aufgegeben werden, da die dortigen Priester für einen solchen auswärtigen Dienst nicht in der Lage waren.23 Das Ministerium sprach sich daraufhin pro futuro für die Zuordnung zur – erst 1893 definitiv konstituierten24 – illyrischen Gemeinde in Wien aus.25 Auch das Innenministerium erklärte sich mit der Zuweisung der Orthodoxen in Graz zur illyrischen Gemeinde in Wien als der nächstgelegenen Gemeinde einverstanden. Für die Zeit bis zur Gemeindegründung schärfte es den Grundsatz ein, 20 Majestätsgesuch vom 05. 09. 1886 in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Graz, K. 17, Zl. 13696/1889, sowie in: ebd., Sign. A35–Stmk., K. 31, Zl. 13831/ 1887; vgl. auch UB Wien, Ms. III 878 germ. (III 408.335), Mappe 1, Bl. 499r. 21 ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A35–Stmk., K. 31, Zl. 16533/1886. Zu Jirecˇek und weiteren in diesem Beitrag genannten Personen vgl. Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), passim. 22 So MKU-Erlass vom 20. 10. 1886 (Zl. 22046/1885[!]) in: StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 22227/1886. 23 Vgl. den Bericht der Stmk. Statthalterei vom 19. 09. 1887 in: StLA, Statth. 35 – 716/ 1883, hier Zl. 17171/1887. 24 Vgl. Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), S. 190 – 192. 25 Vgl. das Schreiben an das Innenministerium vom 30. 09. 1887 (Konzept), in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk. –Graz, K. 17, Zl. 17307/1887, miterledigt Zl. 17395/1887, 18121/1887.
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dass sich Gläubige mit Wohnsitz außerhalb einer anerkannten Gemeinde in pfarrlichen Angelegenheiten an die nächstgelegene Gemeinde zu wenden haben.26 Der Vorstand der griechischen Dreifaltigkeitsgemeinde sprach sich im Frühling 1888 allerdings einstimmig und vehement gegen eine Zuweisung der steirischen Orthodoxen zu ihr aus. Sie berief sich primär auf ihren national-griechischen Charakter. Auch sei ihr Seelsorger der slavischen Sprache nicht mächtig und käme in Konflikt mit seinen pastoralen Verpflichtungen in Wien, weshalb eine Anbindung an die illyrische Gemeinde in Triest sinnvoller sei.27 Die Angelegenheit wurde vom Kultusministerium auch an den Czernowitzer Metropoliten, Silvester Morariu-Andriewicz, herangetragen. Dieser reagierte grundsätzlich wohlwollend und schlug in einem Schreiben vom März desselben Jahres die Entsendung eines sprachkundigen exponierten Hilfspriesters der Czernowitzer Diözese vor. Aus dem Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfonds könnte eine Dotierung für drei Jahre auf Basis der entsprechenden Bezüge (500 Gulden Kongrua plus 200 bis 300 Gulden Wohnungsentschädigung) in Aussicht gestellt werden. Zugleich betonte der Metropolit jedoch, dass aus einer solchen zeitweiligen Leistung keine weiterreichende Verpflichtung des Fonds abgeleitet werden sollte.28 Das Kultusministerium informierte im Juni 1888 die Grazer Statthalterei, dass es im Einvernehmen mit dem Innenministerium „nicht abgeneigt“29 sei, die Gemeindegründung auf Basis der vom Czernowitzer Metropoliten vorgeschlagenen Unterstützung provisorisch und unter Einbeziehung der Gemeinde in das Czernowitzer Erzbistum zu gewähren. Die Jurisdiktion des Seelsorgers sollte sich auf die Steiermark erstrecken. Bedingung für die Zustimmung sei aber, dass alle übrigen Bedürfnisse, wie Gottesdienst, Matrikenbücher und eventuell erforderliche weitere Personalkosten, vom Verein aufgebracht werden könnten. Im September 1888 verlangte das Czernowitzer erzbischöfliche Konsistorium die Klärung der jurisdiktionellen Zuordnung der Grazer Orthodoxen. Von verschiedenen Möglichkeiten begrüßte man in Czernowitz eine unmittelbare Unterstellung unter die Metropolie bzw. die Jurisdiktion des Metropoliten analog zu einem Stauropegion, also einem dem Ersthierarchen direkt untergeordneten Kloster. Eine Eingliederung in 26 Das Schreiben des Innenministeriums vom 09. 01. 1888 (Zl. 21566, in: ebd., K. 17, Zl. 612/1888) verweist bezüglich dieses Grundsatzes auch auf das Hofkanzleidekret vom 10. 04. 1811 (Sr. k. k. Majestät Franz des Ersten politische Gesetze und Verordnungen für die Oesterreichischen, Böhmischen und Galizischen Erbländer, Bd. 36, Wien 1812, S. 94 f.) und auf § 8 des Gesetzes vom 20. 05. 1874 (RGBl. 68/1874, siehe dazu unten Abschnitt V.). 27 Vgl. die Äußerung vom 01. 05. 1888 in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 20464/1888, mit erledigt Zl. 22720/1888. 28 Vgl. ebd. die Schreiben des Metropoliten vom 19./31.03. [Datierung julianisch/gregorianisch] (Zl. 2) und 25.04./07. 05. 1888 (Zl. 5); ebd. Zl. 612/1888 die Anfrage (Konzept) des MKU vom 24. 01. 1888, ebd. Zl. 10293/1888 das Schreiben des Landespräsidenten vom 20. 05. 1888 (Zl. 6694). 29 MKU-Erlass vom 04. 06. 1888 (Zl. 10293) in: StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 12990/1888.
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das Erzbistum erschien dagegen weniger wünschenswert. Auch in dieser Stellungnahme wurde betont, dass der Gemeinde jedenfalls keine Mittel des Religionsfondes zustehen würden. Möglich seien nur eine einmalige Unterstützung in der Höhe von 2000 Gulden, eine Spendensammlung und die Entsendung eines Priesters für maximal drei Jahre, wobei sich das Konsistorium allerdings an dem im Statut des Proponentenvereins genannten Katheder für serbische Sprache stieß. Mit der Begründung, dass in der Steiermark wohl auch einige Rumänen lebten, machte es die Entsendung und Dotation des Priesters von der gleichberechtigten Berücksichtigung der rumänischen Sprache im Gottesdienst, auf der Kanzel, im Religionsunterricht und eventuell auch im Schulunterricht abhängig.30 Dagegen stellte der Bukowiner Landespräsident Felix Pino v. Friedenthal die Forderung nach einer Gleichstellung der Sprachen in Frage, da es im Grazer Raum keine klaren Hinweise auf Rumänen gäbe. Auch zweifelte er daran, ob in der Bukowina überhaupt ein der serbischen Sprache mächtiger Priester zu finden sei.31 Laut einem im September 1888 erstatteten Bericht des Proponentenvereins umfasste dessen Vermögen neben serbischen Kirchenbüchern und -geräten 2000 Gulden. Der Verein wollte einen geeigneten Raum anmieten, bezweifelte aber, ob die vom Czernowitzer Konsistorium in Aussicht gestellte Kongrua für die Grazer Verhältnisse ausreichen würde. Es sei auch unklar, ob der Verein die finanziellen Lücken schließen könnte. Jurisdiktionell favorisierte man in Graz in Hinblick darauf, dass die meisten orthodoxen Gläubigen Serben waren, die Zuweisung zum Bistum von Zara. Der Verein behauptete auch, dass in diesem Bistum Kleriker vorhanden sein dürften, die Rumänisch verstehen würden. 32 Ende 1888 informierte das Kultusministerium den dalmatinischen Statthalter in Zara von der Absicht des Vereins, sich dem dortigen Bistum anzuschließen. Bischof Stefan Knezˇevic´ wurde gefragt, ob er einen Priester für Graz entsenden könnte. Der Statthalter sollte klären, ob der Unterhaltsbetrag von 800 bis 1000 Gulden in einem ordentlichen Kredit für orthodoxe Kultuszwecke in Dalmatien „im Compensationswege bedeckt werden“ könnte.33 Der Bischof erklärte sich im Jänner 188934 zwar dazu bereit, die Gemeinde unter seine Obhut zu nehmen, verlangte aber die staatliche 30 Vgl. das Schreiben vom 27.08./08. 09. 1888 (Zl. 2870) in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 20464/1888, miterledigt Zl. 22720/1888. Zum Konsistorium vgl. dessen Geschäftsordnung von 1869, zuletzt abgedruckt bei: Paul Brusanowski, Rumänisch-orthodoxe Kirchenordnungen (1786 – 2008). Siebenbürgen – Bukowina – Rumänien (= Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 33), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 260 – 277, hier insbes. §§ 23, 45; Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), S. 89 – 90. Zum Religionsfonds vgl. das FWF-Projekt von Kurt Scharr (Innsbruck): http://pf.fwf.ac.at/de/wis senschaft-konkret/project-finder/27364 [Stand: 07. 05. 2015]. 31 Vgl. das Schreiben vom 04. 10. 1888 (Zl. 12243) in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 20464/1888, miterledigt Zl. 22720/1888. 32 Vgl. den Bericht vom 30. 09. 1888 in: ebd. 33 Konzept vom 12. 11. 1888 in: ebd. 34 Vgl. das Schreiben vom 10. 01. 1889 (Zl. 205) in: ebd., K. 17, Zl. 13692/1889.
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Finanzierung des Seelsorgers. Bezüglich des Kredits teilte die Statthalterei mit, dass eine wesentliche Überschreitung zu erwarten sei, die das Ministerium bewilligen müsste.35
IV. Die Stellungnahme Zhishmans Ende 1888 teilte der Czernowitzer Metropolit der dortigen Landesregierung auf Anfrage des Kultusministeriums mit, dass sein Konsistorium bei Zuordnung der Grazer Gemeinde zum Bistum von Zara zwar an der einmaligen Subvention in der Höhe von 2000 Gulden festhalten wolle, nicht aber an einer zeitweiligen – und sei es auch nur zweijährigen – Unterstützung eines von dort entsandten Klerikers. Der vom Ministerium mit der Klärung der Jurisdiktionsfrage beauftragte Wiener Ostkirchenrechtler Josef Zhishman zerpflückte in seinem Gutachten vom 23. Februar 1889 Äußerungen des von ihm gar nicht geschätzten Metropoliten. Jener widersprach der Behauptung von Morariu-Andriewicz, dass es dem Kirchenrecht und der Tradition eher entspräche, Kirchengemeinden in den Provinzen unmittelbar dem Metropoliten zu unterstellen. Seines Erachtens würde dies nur zur „Desorganisation der Episkopalverfassung“36 führen. Ein Stauropegion sei zwar theoretisch vorstellbar, diese Institution wäre jedoch angesichts zahlreicher Missstände in der Praxis aus der Übung gekommen. Jedenfalls müsste der Metropolit im Falle der Errichtung eines Stauropegions für Bau und Erhalt der Grazer Kirche aus privaten Mitteln aufkommen. Bei einer Eingliederung der Grazer Gemeinde ins Czernowitzer Bistum würde dessen Bischof für diese sowohl Eparchialbischof als auch Metropolit. Eine solche, auch in Wien und Lemberg bestehende Zuordnung müsste der Metropolit nach Zhishmans Expertise aber besser begründen als durch den Hinweis auf die der in Graz studierenden Bukowiner, unter denen sich – so ausdrücklich der Wiener Kanonist – nur ein einziger befände, von dem nicht einmal klar sei, ob er Ruthene oder Rumäne sei. Zhishman selbst befürwortete die auch in Graz selbst präferierte Zuweisung zum Bistum von Zara. Er kritisierte aber die seitens des Czernowitzer Metropoliten für diese Lösung vorgeschlagene breite Autonomie der neuen Gemeinde hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Behörden, wie auch in der Vermögensverwaltung.
35
Vgl. das Schreiben vom 12. 02. 1889 (Zl. 722/III) in: ebd. Gutachten über die Eingabe des Metropoliten Andriewicz von Czernowitz rücksichtlich der Zuweisung der Grazer gr. or. Kirchengemeinde unter die direkte Jurisdiktion des Metropoliten in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Küstenland–Triest, K. 16, Zl. 13892/1893. Hier auch das Schreiben des Konsistoriums vom 12./24. 12. 1888 (Zl. 4772) und des Metropoliten vom 19./31.12. (Zl. 14), die Anfrage des Ministeriums vom 12. 11. (Konzept), ebd., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 20464/1888, miterledigt Zl. 22720/1888. Aufforderungen an Zhishman vom 22. 01. und 21. 01. 1889, ebd., Zl. 694/1889, 3219/1889, Entwurf seines Gutachtens: UB Wien, Ms. III 878 germ. (III 408.335), Mappe 1, Bl. 502 – 503; dazu Notiz Bl. 498. Vgl. Németh, Josef von Zhishman (Anm. 2), S. 361 (OKR1889b). 36
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Auch stehe eine Einschränkung des Aufsichtsrechtes des Ortsbischofs auf wesentliche und wichtige Angelegenheiten nicht im Einklang mit der Rechtsordnung.
V. Ablehnung der staatlichen Finanzierung 1889 wandte sich das Kultusministerium schließlich mit dem Vorschlag an das Finanzministerium, den Grazer Seelsorger, der dem Bistum Zava zugewiesen werden sollte, aus Staatsmitteln mit 1000 Gulden jährlich zu finanzieren.37 Finanzminister Julian von Dunajewski lehnte dies jedoch mit Verweis auf das Nichtbestehen einer Verpflichtung und auf § 5 des Gesetzes vom 20. Mai 1874 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften Reichsgesetzblatt No 68/187438, dezidiert ab: Für die Genehmigung einer Kultusgemeinde müsse diese hinreichende Mittel nachweisen, was in Graz aber schon für den Anfang nicht gegeben sei. Daran würden auch die im Antrag vorhandenen Hinweise auf Beiträge für orthodoxe Kultuszwecke im Staatsvoranschlag für Dalmatien nichts ändern. Weiters sei der personelle Bestand nicht gesichert. Der Finanzminister begründete seine ablehnende Haltung nicht zuletzt damit, dass die Zurücknahme eines Seelsorgers schwierig sei.39 Im Kultusministerium reagierte Ministerialrat Johann Spaun sehr verärgert: „Von den Ausführungen der vorliegenden Note ist diejenige, welche aus dem Gesetz vom 20/5 1874 […] argumentirt, ganz verfehlt, da die griechisch orientalische Kirche nicht unter dieses Gesetz fällt und dasselbe selbstverständlich nicht einmal per analogiam angewendet werden kann. Auch die weiteren Einwendungen des Finanzministers sind vielfach sehr anfechtbar, doch wäre es fruchtlos [sich] diesbezüglich in eine weitere offenbar nur akademische Polemik einzulassen.“40
Der Plan einer staatlichen Finanzierung musste damit aufgegeben werden.
37 Konzept vom 08. 03. 1888 in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 3670/1889, dessen Vorfassung in: Zl. 20464/1888, miterledigt Zl. 22720/1888. Die Summe umfasste 800 Gulden Dotation sowie ein Quartieräquivalent. 38 „Die staatliche Genehmigung zur Errichtung einer Cultusgemeinde (§ 4) ist durch den Nachweis bedingt, dass dieselbe hinreichende Mittel besitzt, oder auf gesetzlich gestattete Weise aufzubringen vermag, um die nöthigen gottesdienstlichen Anstalten, die Erhaltung des ordentlichen Seelsorgers und die Ertheilung eines geregelten Religionsunterrichtes zu sichern. Vor ertheilter Genehmigung darf die Constituirung der Cultusgemeinde nicht stattfinden.“ 39 Vgl. das Schreiben vom 29. 06. 1889 (Zl. 9343) in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.Or., Sign. A14–Graz, K. 17, Zl. 13692/1889. 40 Die behördliche Stellungnahme Spauns vom Juli 1889 ebd. Zur zeitgenössischen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, nach der dieses Gesetz auf bereits anerkannte Religionsgesellschaften nicht anzuwenden sei, sowie der sinngemäßen Anwendung nach heutiger Judikatur vgl. Inge Gampl/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht. Gesetze, Materialien, Rechtsprechung, Bd. 1, Wien 1990, S. 145 f.
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VI. Weitere Bemühungen des Kultusministeriums trotz politischer Bedenken der steiermärkischen Statthalterei Einem Bericht der Grazer Polizeidirektion vom Oktober 1890 zufolge wurden neben den als vertrauenswürdig angesehenen Vorstandsmitgliedern des Vereins die der serbischen Studentenschaft angehörenden Ausschussmitglieder panslavistischer Agitationen verdächtigt. Sie würden versuchen, den bisherigen Vorsitzenden Zaicz zu stürzen, da er Katholik sei, immer deutsch schreibe und politische Tendenzen ablehne. Schließlich würden die Studenten versuchen, den Verein in einen zur Gründung einer serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde abzuändern. Der Statthalterei, die politische Bedenken vorbrachte, war zwar offenbar an der Matrikenführung, nicht aber an der Gemeindeerrichtung besonders gelegen, da ihrer Ansicht nach dem „Kultusbedürfnis“ durch die gelegentlichen Gottesdienste begegnet werde.41 Johann Spaun blieb den Grazer Orthodoxen dennoch wohl gesonnen. In seiner behördeninternen Stellungnahme vom Oktober oder November 1890 wird seine Enttäuschung über die Ablehnung finanzieller Unterstützung seitens des Finanzministeriums deutlich. Zugleich vertrat er die Ansicht, dass die Regierung selbst dann zur Ordnung der kirchlichen Verhältnisse verpflichtet sei, wenn der Gründungsverein politisch fragwürdig sei. Immerhin ging es nicht zuletzt darum, durch die Bekanntgabe des zuständigen Pfarrers gültige Eheschließungen sicherzustellen.42 Kurz zuvor, im August 1890, hatte das Kultusministerium einen neuerlichen Anlauf unternommen, die Grazer Frage zu lösen: Nachdem die Idee der Bestellung eines Priesters des Bistums Zava verworfen wurde, fragte man, ob ein pensionierter Militärseelsorger vorhanden sei, der mit einer entsprechenden Remuneration bestellt werden könnte. Andernfalls wurden von Spaun Verhandlungen mit der illyrischen Gemeinde in Triest oder mit der (in Entstehung begriffenen) serbischen Gemeinde in Wien in Erwägung gezogen: Er hegte gewisse Hoffnungen, diese würden bei Gewährung einer finanziellen Unterstützung dazu zu bringen sein, den Grazer Orthodoxen ihre Kleriker zur Verfügung zu stellen. Im Dezember wiederholte das Ministerium die Anfrage nach einem Militärgeistlichen.43 Es stellte sich aber bald heraus, dass ein solcher jedenfalls nicht zur Verfügung stand.44 Aber auch in Graz selbst häuften sich, wie gleich näher zu erläutern sein wird, die Probleme. Am 25. November 1891 sah sich das Kultusministerium ge41
Vgl. den Polizeibericht vom 04. 10. 1890 (Zl. 1764präs) sowie den Statthalterbericht vom 18. 10. 1890 (Zl. 22496) in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 21423/1890; StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 22496/1890, 6353/1891. 42 Vgl. Spauns Stellungnahme in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 21423/1890. 43 Vgl. ebd., auch Zl. 13692/1899, sowie die MKU-Erlässe vom 23. 08. 1890 (Zl. 13692/ 1889[!]) und vom 10. 12. 1890 (Zl. 21423) in: StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 20041/ 1890 bzw. Zl. 28078/1890. 44 Vgl. ebd., hier Zl. 1694/1891, miterledigt Zl. 288/1891.
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zwungen, die Frage der Gemeindegründung „einstweilen ad acta“45 zu legen, da immer noch wesentliche Fragen ungeklärt waren.
VII. Krise und Vereinsauflösung Bereits Anfang 1891 schien die geplante Gemeindegründung nach einem Bericht des Polizeidirektors aus finanziellen Gründen fraglicher denn je, gab es doch Anträge, der Agramer Gemeinde das Vermögen des 59 Mitglieder umfassenden Proponentenvereins gegen die dreimal jährliche unentgeltliche Entsendung des Priesters zu überlassen.46 Im März nahm der Verein einige Statutenänderungen vor.47 Dabei wurde unter anderem der Mitgliedsbeitrag auf einen Gulden reduziert und – möglicherweise bedingt durch die Einwände des Czernowitzer Konsistoriums – in der Formulierung des Vereinszwecks in § 2 der Katheder für serbische Sprache und die Religionslehre fallen gelassen. Über den weiteren Gang der Ereignisse informieren Akten der Grazer Statthalterei. 1896 nahm der Verein einstimmig maßgebliche Statutenänderungen vor. Insbesondere wurde der Vereinszweck in die Gründung einer explizit serbischen orthodoxen Kirchengemeinde abgeändert. Ordentliches Mitglied konnte nach § 3 nunmehr nur ein beitragsleistender orthodoxer Serbe oder eine Serbin sein. Orthodoxe anderer Nationalität und Freunde der Orthodoxie kamen nur als unterstützende Mitglieder in Frage. Den Vorsitz übernahm wieder Lazar Joannowicz.48 Selbst der Anstieg der Gläubigen um 1900 (850 in der Steiermark, davon 678 in Graz), konnte die prekäre Situation nicht mehr wenden.49 Am 25. April 1899 löste sich der nur mehr 45-köpfige Verein schließlich durch einstimmigen Beschluss der 30 anwesenden Mitglieder freiwillig auf. Das verbleibende Vermögen von 3000 Gulden fiel als unantastbares Kapital gemäß § 20 des Statuts von 1896 an die serbische Kirchengemeinde in Agram. Als Bedingung wurde die zweimal jährliche Abhaltung von Gottesdiensten genannt, während das Statut selbst immerhin noch drei Gottesdienste vorgesehen hatte. Falls in Graz wieder ein serbischer orthodoxer Kirchenverein gegründet werden sollte, müsste die Agramer Gemeinde das Vermögen allerdings wieder herausgeben.50 Von einer solchen neuen Vereinsgründung ist jedoch nichts bekannt.51 45
ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 7965/1891. Vgl. den Bericht vom 07. 01. 1891 (Zl. 2395präs) in: ebd.; StLA, Statth. 35 – 716/1883, hier Zl. 6928/1891, miterledigt Zl. 6632/1891. 47 Vgl. StLA, Statth. 53 – 9680/1885, hier Zl. 7209/1891. 48 Vgl. ebd., hier Zl. 37042/1896 (mit dem Vereinsstatut). 49 Vgl. Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. December 1900 in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern I/1: Die summarischen Ergebnisse der Volkszählung (= Oesterreichische Statistik 63/1), Wien 1902, S. 58, 60, 62. Vgl. zusammenfassend auch Spauns Darlegungen zu Graz in: ÖStA, AVA, UK, Präsidium Kultus, Zl. 2156/1894, Bog. 3 (vgl. hierzu Németh, Josef von Zhishman [Anm. 2], S. 185, 197 f.). 50 Vgl. StLA, Statth. 53 – 9680/1885, hier Zl. 14306/1899, 18482/1899. 46
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VIII. Zusammenfassung und Blick in die Gegenwart Die Gründe, weshalb die Initiative zur Gründung der Grazer Kirchengemeinde ihr Ziel nicht erreichen konnte, sind vielfältig. Am wenigsten sind die Ursachen beim Ministerium für Kultus und Unterricht zu suchen, das sich redlich um eine tragfähige Lösung bemüht hat. Zwar war dieser Behörde primär an der Regelung der Rechtsverhältnisse gelegen, doch zeigt sich wohl auch ein gewisses persönliches Engagement der beiden erwähnten Ministerialbeamten für die Anliegen der Orthodoxen in der Steiermark. Dem steht der schroffe, unfreundliche Tonfall des ablehnenden Schreibens des Finanzministers gegenüber. Ob sein Ministerium mit der erbetenen jährlichen Subvention tatsächlich eine hinreichende Starthilfe hätte leisten können, bleibt angesichts der schwachen Strukturen in Graz freilich fraglich. Die Bistümer von Czernowitz und Zara waren zwar geneigt, einen Priester zu entsenden, nicht aber die Gemeinde dauerhaft zu finanzieren. Für den begüterten Bukowiner Religionsfonds wäre die geforderte Summe zwar gewiss vertretbar gewesen, doch hätte man den (im Falle Galiziens allerdings bereits aufgegebenen) Grundsatz verlassen, ausschließlich in der Bukowina gelegene Gemeinden zu finanzieren.52 Damit wären aber gewiss Begehrlichkeiten auch von anderer Seite geweckt worden. Im Verhältnis zwischen Czernowitz und Graz tritt weiters die für das ausgehende 19. Jahrhundert typische nationale Polarisierung der orthodoxen Bevölkerung zu Tage. Während das Czernowitzer Konsistorium die rumänische Sprache in einer Gemeinde durchsetzen wollte, in der diese bestenfalls eine marginale Rolle spielte, übernahmen im Grazer Verein um 1890 serbisch-national orientierte Studenten das Kommando. Hinter dem offenkundigen Desinteresse der orthodoxen Dreifaltigkeitsgemeinde in Wien stand wohl die Bestrebung ihrer Leitung, den national-griechischen Charakter zu wahren. Mit der Problematik des Zusammenlebens von Orthodoxen mit unterschiedlicher Sprache und Nationalität hatte die Gemeinde genügend Erfahrung. Ein wichtiger Grund für das Scheitern der Gemeindegründung lag aber auch in lokalen Faktoren: in der Schwäche der Vereinsleitung, in der beschränkten Unterstützung durch die wenigen orthodoxen Gläubigen vor Ort und im Fehlen von Mäzenen und Protagonisten. Im Unterschied zur Graz gelang in Wien (nach einer längeren Konstituierungsphase seit 1860) im Jahre 1893 die Errichtung der serbischen orthodoxen Gemeinde St. Sava sehr wohl. Bei den Wiener Serben bestand jedoch ein ungleich größeres Potential an Mitgliedern, Akteuren und Unterstützern.53 51
Dies gilt jedenfalls bis 1905. Auch im Ministerialakt ÖStA, AVA, UK, Präsidium Kultus, Zl. 1120/1916, ist von einer orthodoxen Gemeinde in Graz keine Rede. 52 Vgl. das (verworfene) Konzept des Schreibens an den Finanzminister in: ÖStA, AVA, UK, NK, Akath., Gr.-Or., Sign. A14–Stmk.–Graz, K. 17, Zl. 20464/1888, miterledigt Zl. 22720/1888. 53 Vgl. Milosˇ Stankovic´, 9bc_aYjQ Ba`b[V `aQS_b\QS^V ga[SV^V _`icY^V Y ga[SV bSVc_T BQSV d 2Vhd 1860 – 940, in: ders./Mihailo St. Popovic´/Nenad Makuljevic´/Krstan Knezˇevic´, Ga[SV^Q _`icY^Q bSVc_T BQSV d 2Vhd 1860 – 2010, Belgrad 2010, S. 8 – 83; Mihailo St. Popovic´, ?U^_b 1dbcaYjb[_T gQaQ EaQ{V J_bYeQ `aV]Q Ba`b[_-`aQS_b\QS^_j _`icY^Y bSVc_TQ BQSV d 2Vhd (1860 – 1916), in: ebd., S. 86 – 101.
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Auch die mangelnde Vernetzung der Orthodoxen Gemeinden in der Diaspora und das Fehlen guter Verbindungen zwischen Kirchenzentren und kirchlicher Peripherie wirkten sich in Graz erschwerend aus. Das Verhalten der orthodoxen Handlungsträger zeigt, dass ein übernationales und übergemeindliches Bewusstsein einer „österreichischen Orthodoxie“ innerhalb der Metropolie der Bukowina und von Dalmatien nur schwach ausgeprägt war. Heute, 125 Jahre nach den geschilderten Ereignissen, liegen die Dinge in der Steiermark wesentlich anders. Laut der Volkszählung von 2001 leben in diesem Bundesland 8.328 Orthodoxe (0,7 % der Bevölkerung), allein in Graz sind es 3.737.54 Auf Grundlage des Orthodoxengesetzes55 wurde die russische orthodoxe Kirchengemeinde zu Mariae Schutz in Graz am 27. Oktober 2010 rückwirkend ab dem 18. November 2009 staatlich anerkannt.56 Weitere, nach innerorthodoxem Recht konstituierte Gemeinden bzw. Pfarren stehen unter der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats (Hll. Kosmas und Damian), der serbischen orthodoxen Kirche (Hll. Kyrill und Method) und der rumänischen orthodoxen Kirche (Hl. Nikolaus). Letzterer gehört auch die Pfarre in Knittelfeld (Hl. Erzengel Michael und Gabriel) an.57 Zuletzt wurde im November 2014 die Klosterkirche der Redemptoristen in Leoben, wo sich eine mehrsprachige orthodoxe Gemeinde (Maria, Mutter von der immerwährenden Hilfe) gebildet hat, dem Ökumenischen Patriarchat übergeben.58
54 Vgl. Statistik Austria (Hrsg.), Volkszählung 2001, Hauptergebnisse I – Steiermark, Wien 2003, S. 20 u. S. 136 – 144. 55 Bundesgesetz vom 23. Juli 1867 über die äußeren Rechtsverhältnisse der griechischorientalischen Kirche in Österreich, Bundesgesetzblatt 229/1867, inzwischen i. d. F. BGBl. I Nr. 68/2011. 56 Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Geschäftszahl: BMUKK–10.605/ 0002–KA/a/2010. Vgl. Russisch-orthodoxe Kirchengemeinde zu Mariae Schutz in Graz: http://pfarre.rugraz.net/index.php?option=com_content&view=article&id=96 [Stand: 11. 11. 2014]. Zum heutigen Rechtsstatus der Orthodoxen in Österreich vgl. Richard Potz/Eva Synek, Orthodoxes Kirchenrecht. Eine Einführung. Aktualisierte und erweiterte zweite Auflage, Freistadt 2014, S. 238 – 242. 57 Vgl. Metropolis von Austria: http://www.metropolisaustria.at/de/pfarrgemeinden/; Ba`b[Q @aQS_b\QS^Q Ga[SQ, 6`QafYjQ 1dbcaYb[_-ISQjgQa[Q / Serbische Orthodoxe Kirche, ¨ sterreich und der Schweiz, Ga[SV^Y [Q\V^UQa XQ `a_bcd T_UY^d 2014/OrDio¨zese von O thodoxer Kalender 2014; Ruma¨nisch-Orthodoxe Kirchengemeinde „Hl. Nikolaus“: http:// www.parohia-ortodoxa-graz.at/; Ruma¨nisch-orthodoxe Kirche in Wien: http://www.rumkirche. at/j/de/pfarre/orthpfarren-in-oe [Stand: 13. 11. 2014]. 58 Vgl. Leobener Klosterkirche an Orthodoxe übergeben: http://kathpress.at/site/nachrich ten/database/65942.html [Stand: 14. 11. 2014]. Gottesdienstsprachen sind Griechisch, Deutsch, Serbische und Rumänisch. Ich danke Herrn Kustos Karl Mlinar (Leoben) für freundliche Auskunft.
Zum ostkirchlichen Charakter der Rechtssprache des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) Hubert Kaufhold Nach den 1974 approbierten Richtlinien für die Revision des Kodex des Ostkirchenrechts1 sollte das neue Gesetzbuch „orientalischen Charakter“ haben. Es sollte die gemeinsame östliche Disziplin zum Ausdruck bringen, die enthalten ist a) in der apostolischen Überlieferung, b) in den Kanones der orientalischen Konzilien und Synoden, c) in den Kirchenrechtssammlungen2 und den allen orientalischen Kirchen gemeinsamen Gewohnheiten, sofern sie nicht außer Gebrauch gekommen sind. Aber was für eine orientalische Tradition sollte berücksichtigt werden? Im Orient gibt es eine Reihe unierter und nichtunierter Kirchen unterschiedlicher Herkunft. In c. 28 § 2 CCEO sind die fünf orientalischen Riten aufgezählt: der alexandrinische (Kopten und Äthiopier), der antiochenische (westsyrische Kirchen einschließlich der Maroniten), der armenische (Armenier), der chaldäische (Ostsyrer [„Nestorianer“], Chaldäer, Malabaren) und der konstantinopolitanische (im Orient: Melkiten und Georgier). In c. 28 § 1 CCEO heißt es zu Recht, daß sich deren Liturgie, Theologie sowie ihr geistliches und disziplinäres Erbe „durch die Kultur und die geschichtlichen Ereignisse der Völker“ unterschieden.3 Gibt es wirklich genug Gemeinsamkeiten, die als Grundlage für eine einheitliche Kodifikation herangezogen werden konnten?
1 Abgedruckt in italienischer, französischer und englischer Sprache in Nuntia 3 (1976), S. 3 – 24; zum orientalischen Charakter siehe S. 3 f. Der englische Text ist auch abgedruckt bei Nedungatt, A Guide, S. 57 – 65. – Ausführlich zur Entstehung und zum Inhalt der Richtlinien: Kokkaravalayil, The Guidelines; den orientalischen Charakter behandelt er ausführlich auf den S. 139 – 178. 2 In den Vorschlägen der kirchenrechtlichen Fakultät des Päpstlichen Orientalischen Instituts von 1973 wird hinzugefügt: „(diverse collezioni orientali,) cattoliche e non-cattoliche“ (Nuntia 26 [1988] S. 105). Kurz darauf findet sich die zutreffende, aber im CCEO gewiß nicht hinreichend beherzigte Feststellung, daß lateinische Gesetze nicht unbesehen übernommen werden dürften, denn die Orientalen „hanno un altro modo di pensare e di agire, diverso da quello proprio dei latini“. 3 Das steht deutlich auch in den Richtlinien für die Revision des Ostkirchenrechts (unter der Überschrift: Codice unico per le chiese orientali cattoliche). Daß aber das „patrimonio eclesiastico di ciascuna di queste Chiese“ in einem einheitlichen Kodex für alle geradezu eine „più chiara expressione e una maggiore salvaguardia“ finden soll, ist mir nicht nachvollziehbar.
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Die orientalischen Kirchen unterscheiden sich in ihrer Größe erheblich. Dessen ungeachtet führt das Zweite Vatikanische Konzil in Kap. 3 des Dekrets über die katholischen Ostkirchen aus, daß sie alle die gleiche Würde besäßen: Eadem proinde pari pollent dignitate, ita ut nulla earum ceteris praestet ratione ritus, atque iisdem fruuntur iuribus et tenentur obligationibus.4
Auch wenn sich diese konziliare Feststellung weder im CIC noch im CCEO wiederfindet,5 dürfte das Ostkirchenrecht wegen der gleichen Würde aller Kirchen der Tradition einer einzelnen Ostkirche oder einer Gruppe von ihnen keinen Vorzug vor anderen geben. Jedoch ist gerade das geschehen, indem man bei der Kodifikation auf die sog. „sacri canones“ abstellte. Von ihnen würden, wie es in der Apostolischen Konstitution Johannes Pauls II. „Sacri canones“ von 1990 heißt, auch die „orientalischen Kirchen, die noch nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen“ geleitet.6 Es handele sich dabei – unter Berufung auf die trullanische Synode von 691 („Quinisextum“) und das siebte Ökumenische Konzil vom Jahr 787 (Nikaia II) – um die Apostolischen Kanones und die Kanones, die von den „sechs heiligen und allgemeinen Synoden und jenen Konzilien, die sich örtlich versammelt haben“ und „von unseren heiligen Vätern“ vorgelegt worden seien.7 Hiermit werden zutreffend die Rechtsquellen der Kirchen byzantinischer Tradition beschrieben. Sie wurden von den sog. altorientalischen Kirchen nur zum Teil übernommen.8 Diese Kirchen werden deshalb auch als „Kirchen der ersten drei Konzilien“ (Nikaia, Konstantinopel und Ephesos9) bezeichnet, und sie haben eine eigene Rechtsentwicklung genommen.10 Es trifft deshalb nicht zu, wenn in der Promulgationskonstitution „Sacri canones“ weiter behauptet wird: 4
Hier und im folgenden werden Text und Übersetzung zitiert nach: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil, Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen, Teil I, Freiburg u. a. 1966, S. 365 – 391. 5 Nach Nedungatt, A Guide, S. 109 f., handelt sich um „a real lacuna, which points to the underdevelopment of the concepts of ecclesial rights and the rights of minority Churches in the Catholic communion“. 6 Übersetzung nach: Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, S. 33. 7 Ebd., S. 31. 8 Einen Überblick über die Kirchenrechtsquellen der orientalischen Kirchen hat der Verfasser in seinem Artikel „Kirchenrecht, orientalisches (Quellen)“ in: H. Kaufhold (Hrsg.), Kleines Lexikon des Christlichen Orients, Wiesbaden 2007, S. 238 – 252, gegeben, ausführlicher in seinem Beitrag „Sources of Canon Law in the Eastern Churches“, in: The History of Byzantine and Eastern Canon Law to 1500. Edited by Wilfried Hartmann and Kenneth Pennington, Washinton, D. C. 2012 (= History of Medieval Canon Law, [Bd. 5]), S. 215 – 342. Die Rechtsquellen der Melkiten, Maroniten, West- und Ostsyrer, Armenier sowie Kopten stellt auch bereits Schon, Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium und das authentische Recht im christlichen Orient, vor. 9 Die ostsyrische Kirche muß sogar als Kirche der zwei Konzilien bezeichnet werden, weil sie das Konzil von Ephesos nicht anerkennt. 10 Richtig ist allerdings, daß sich die Kanones der Konzilien von Ephesos und Chalkedon trotzdem zum Teil in den Kirchenrechtssammlungen dieser Kirchen finden, nicht aber die der späteren Konzilien. Von den griechischen Kirchenvätern ist Timotheos bekannt. Die kopti-
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In einer so wunderbaren Verschiedenheit der Riten oder des liturgischen und theologischen, geistlichen und disziplinären Erbes der einzelnen Kirchen, die in den ehrwürdigen Überlieferungen, der Alexandrinischen, Antiochenischen, Armenischen, Chaldäischen und Konstantinopolitanischen Tradition, ihren Ursprung haben, werden die heiligen Canones nicht zu Unrecht für den durchaus hervorragenden Teil desselben Erbes gehalten, der die eine und gemeinsame Grundlage der Canones der Ordnung aller dieser Kirchen bildet.11
Man darf außerdem nicht vergessen, daß die orientalischen Kirchen eine fast zweitausendjährige Geschichte haben und ihr Recht in dieser Zeit zum Teil erheblichen Veränderungen unterworfen war. Insoweit führt das Ostkirchendekret des Zweiten Vatikanischen Konzils in Kap. 6 aus, daß die (katholischen) Ostchristen ihre rechtmäßigen liturgischen Bräuche und die ihnen eigene Ordnung immer bewahren können und müssen (semper servare posse et debere).Weiter heißt es: Wenn sie aber wegen besonderer Zeitumstände oder persönlicher Verhältnisse ungebührlich von ihren östlichen Gebräuchen abgekommen sind, sollen sie sich befleißigen, zu den Überlieferungen ihrer Väter zurückzukehren.
Diese Entscheidung des Zweiten Vatikanischen Konzils erscheint in den Richtlinien für die Revision des Ostkirchenrechts nicht. Vielleicht sah man das nicht als nötig an, weil man sich ohnehin an die alten Quellen halten sollte. Im Zusammenhang mit dem „orientalischen Charakter“ wird nur gesagt, daß zur Vervollständigung der alten Rechtsquellen auf andere zurückgegriffen werden könne, um den heutigen Erfordernissen zu genügen. Immerhin zitiert aber die Apostolische Konstitution „Sacri Canones“ die Forderung des Konzils, zu den Überlieferungen der Väter zurückzukehren.12 ˘
schen Sammler Makarios und Ibn al- Assa¯l haben in ihren Werken auch eine große Zahl von Quellen anderer Kirchen berücksichtigt (vgl. die Angaben bei Wilhelm Riedel, Die Kirchenrechtsquellen des Patriarchats Alexandrien, Leipzig 1900, S. 65 f., 121 – 129), aber längst nicht alle „sacri canones“. Im übrigen handelt es sich hierbei um Privatarbeiten und nicht um offizielle Rechtssammlungen ihrer Kirche. Außerdem ist fraglich, daß alle diese Quellen in der kirchlichen Praxis gebraucht wurden. 11 Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, S. 31. – Dietmar Schon hat m. E. Recht, wenn er in seiner lesenswerten und wahrscheinlich von zu wenigen gelesenen Dissertation „Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium und das authentische Recht“, nach einer eingehenden Untersuchung der Quellen feststellt, daß es eine Rechtsgemeinschaft aller orientalischen Kirchen, wie sie behauptet wird, nicht gegeben habe (S. 381 ff.). Nedungatt schreibt in seiner Rezension des Buches von Schon (Orientalia Christiana Periodica 68 [2002], S. 491 – 496): „He names the various canonical collections and indicates the number of canons they contain, but does not indicate their contents. Evidently, this would require an enormous amount of work; but without examining the contents how is one to conclude that there is no such thing as a common ancient heritage?“ Das ist wohl richtig, aber wie kann man dann ohne Vergleich des Inhalts der sehr unterschiedlichen Quellen andererseits behaupten – und das geschieht ja –, es gebe ein gemeinsames Erbe? Auch hier gilt der Grundsatz: Probatio incumbit asserenti. In der Tat ist bisher kein umfassender Vergleich unternommen worden, aber wenn man sich länger mit den orientalischen Quellen beschäftigt hat, hat man durchaus den Eindruck, daß sich das gemeinsame Erbe in Grenzen hält. 12 Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, S. 33.
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Daß gegenüber den Latinisierungen aus der Zeit nach der Union und in den vier als ungenügend empfundenen Teilen des Ostkirchenrechts, die von 1949 bis 1957 promulgiert wurden,13 ein Rückgriff auf die alten Traditionen angebracht war, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß das neue Ostkirchenrecht ökumenischen Charakter haben sollte (so die Richtlinien für die Revision des Ostkirchenrechts14). Denn ohne Rückkehr zu den Traditionen der jeweiligen Mutterkirche vor der Trennung durch die Union kann eine Regelung kaum ökumenisch sein, sondern sie wird eher zur Verfestigung der Spaltung beitragen. Die mehr oder weniger starke Latinisierung seit der Vereinigung mit Rom hätte bei der Kodifikation deshalb eigentlich beseitigt werden müssen, auch wenn sie für die betreffenden unierten Kirchen inzwischen gewiß mit zu ihrer Tradition gehört. Das Gegenteil ist aber der Fall. Schon wenn man die in der erweiterten Ausgabe des CCEO15 annotierten Fontes durchsieht, stellt man fest, daß die Synoden der unierten Kirchen des Orients, die nach der Union abgehalten wurden, reichlich auftauchen, auch wenn sie inhaltlich nicht immer in die neue Kodifikation übernommen wurden. Das Erfordernis, bei der Formulierung des CCEO nicht eine bestimmte kirchliche Tradition zu bevorzugen, wird in der insoweit grundlegenden Vorrede zum „Schema Canonum de Cultu Divino et praesertim de Sacramentis“ bejaht, wonach zwar die üblichen (lateinischen) Ausdrücke benutzt werden sollen, mit Ausnahme derjenigen, die im Orient überall anders ausgedrückt werden, nicht aber diejenigen, die nur in einer der Traditionen bekannt sind und von den anderen nicht verstanden werden, es sei denn, sie seien zum richtigen Verständnis notwendig: Ad technica vocabula quod attinet, plerumque voces iam in usu retentae sunt illis exceptis quae in oriente communiter alio modo exprimuntur, ut sunt plura vocabula „byzantina“ in thesaurum verborum aliarum linguarum, ut syriaci sermonis, recepta (v. gr. Myron) – necnon illis quae unam tantummodo scholam sapiunt et ab orientalibus vix intelliguntur, nisi ad rectam de sacramentis fidem exprimendam necessaria omnino videbantur.16
Daß die Ansichten über den Sprachgebrauch des zu schaffenden Gesetzes auseinandergingen, zeigen z. B. unterschiedliche Meinungen von Konsultoren über das „Schema canonum de Monachis“. Zur Terminologie im allgemeinen wurde von einem von ihnen ausgeführt, daß soweit wie möglich die orientalische Terminologie verwendet werden solle, von einem anderen dagegen darauf hingewiesen, daß das Gesetz in lateinischer und nicht in „byzantinischer“ Sprache verfaßt werden müsse. Die Verfasser des Entwurfs antworten darauf, daß sie sich weiterhin an die im Motu proprio „Postquam Apostolicis Litteris“ verwendete Terminologie halten wollten: 13 Crebrae allatae sunt (Eherecht, 1949), Sollicitudidem Nostram (Gerichtswesen, 1950), Postquam apostolicis litteris (Religiosen, zeitliche Güter, 1952) und Cleri sanctitati (Personenrecht, 1957). 14 Nuntia 3 (1975), S. 5; Kokkaravalayil, The Guidelines, S. 179 – 216. 15 Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatus fontium annotatione auctus, Vatikanstadt 1995. 16 Nuntia 10 (1980), S. 4.
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Le osservazioni di tale tipo, in questo schema, erano due, formulate nel modo seguente: a) „si usi per quanto possibile la terminologia orientale, p. e. typicum, synaxis, archimandrita, higumenus“ (1 Organo); b) „Commissio Pontificia obliviscitur se teneri ClCO in lingua latina exarare et non in lingua bizantina“. L’Organo che fa questa osservazione propone, per esempio, di sostituire la parola „typicon“ con la parola „statuta“, „synaxis“ con „consilium“, ecc. Il Gruppo di studio, invece, è rimasto dell’avviso, per quanto riguarda questo schema, di ritenere in linea di massima la terminologia in uso nel Motu proprio „Postquam Apostolicis Litteris“, come è stato spiegato nei Praenotanda, pag. 4.17 Si nota qui che questa terminologia è facilmente comprensibile non solo alle Chiese orientali di origine bizantina, ma anche a quelle siriache, perchè le voci „synaxis“, „typicum“, „archimandrita“, „higumenus“, sono diventate tanto di uso corrente nella letteratura siriaca, che spesso non vi sono sinonimi siriaci per esse, e d’altra parte molti termini greci, come p. e. „baptismus“, „eucharestia“, „liturgia“, „episcopus“, „dioecesis“, „patriarcha“, sono diventati allo stesso modo termini latini, al punto che e difficile determinare – quali di essi siano „bizantini“ e quali „latini“.18
Die Aufforderung, man solle die „byzantinischen“ Begriffe beseitigen, tauchte später bei den Stellungnahmen zum „Schema Codicis Iuris Canonici Orientalis“ von 1986 wieder auf. In ihrer Antwort blieb die Kommission jedoch bei ihrer Meinung, u. a. mit der Begründung, die griechische Sprache sei in den ersten Jahrhunderten der Kirche die Lingua franca gewesen – ein Argument, das sich nicht auf die Richtlinien für die Revision des Kodex des Ostkirchenrechts berufen kann: I termini bizantini come „Syncellus, Protosyncellus, Typicum“ etc. vengano eliminati e al loro posto si usino quelli corrispondenti latini (1 Membro), anche perché i „termini greci“ sono più estranei ad alcune Chiese orientali che non quelli latini, con la differenza che quelli latini sono ad esse già più familiari (1 Membro). … R. Questi termini fanno parte del patrimonio giuridico di tutta la Chiesa, a pari di altri come „Patriarcha, Episcopus, Liturgia, baptismus, Eucharistia“ e perfino „Evangelium“ (si veda Nuntia 16, p. 7), termini che appartenevano alla lingua greca, che era la lingua franca dei primi secoli della Chiesa, e che pertanto non vanno tacciati di „bizantini“, come qualche volta avviene.19
Zu berücksichtigen ist selbstverständlich immer, daß der CCEO in lateinischer Sprache verfaßt ist und unspezifische Ausdrücke natürlich lateinisch sein dürfen und müssen. Die östliche Tradition und der östliche Sprachgebrauch können deshalb nur insoweit in Betracht kommen, als es sich um Institutionen und Begriffe handelt, die (auch) besonderen ostkirchlichen Charakter haben. Im vorliegenden Beitrag soll die Rechtssprache des CCEO anhand einiger Beispiele daraufhin untersucht werden, wieweit sie dem Sprachgebrauch der ver17
Abgedruckt in Nuntia 11 (1980), S. 4: „Verborum significatio in genere ea est quae in canonibus Motu proprio ,Postquam Apostolicis Litteris‘ invenitur quaeque cum Orientalium traditione, paucis exceptis, sat bene concordat. … “ 18 Nuntia 16 (1983), S. 7. 19 Nuntia 28 (1989), S. 8.
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schiedenen orientalischen Kirchen entspricht. Dabei beschränke ich mich auf die Kirchen des Vorderen Orients und berücksichtige in erster Linie deren kirchenrechtliche und liturgische Quellen. Allgemein ist vorab zu bemerken, daß der Sprachgebrauch der Übersetzungen der alten Kanones aus dem Griechischen und der Sprachgebrauch der einheimischen Quellen gesondert betrachtet werden müßten, weil nicht alles, was in den übersetzten griechischen Quellen steht, auch in die kirchenrechtliche Praxis der verschiedenen orientalischen Kirchen eingeflossen ist. Das konnte in diesem Rahmen nicht ausreichend geschehen. Festzustellen ist, daß die griechische Rechtssprache bei den orientalischen Kirchen byzantinischer Tradition (Melkiten und Georgier) wesentlich stärker durchschlägt. Das gilt für die Kopten ebenfalls, die sich in den ersten Jahrhunderten auch des Griechischen bedienten und deren mit griechischen Majuskeln geschriebene20 koptische Sprache im Wortschatz stark vom Griechischen beeinflußt ist. Da die Melkiten früher neben dem Christlich-Palästinensischen auch das Syrische gebrauchten (beide Sprachen gehören zum Aramäischen), müßte genauer untersucht werden, ob griechische Fremdwörter im Syrischen nur bei ihnen benutzt wurden oder auch in den anderen syrischen Kirchen. Entsprechendes gilt für griechische Fremdwörter in den arabischen Quellen verschiedener Kirchen. Solche Untersuchungen fehlen noch.21 Die Aufzählung der in den Kirchen verwendeten Begriffe ist im folgenden nicht erschöpfend. Der Sprachgebrauch der einzelnen Kirchen müßte erst noch gründlicher erforscht werden, auch dessen historische Entwicklung. Hier kann nur ein Anfang gemacht werden. Die kirchenrechtlichen Begriffe des CCEO lassen sich in mehrere Kategorien einteilen, wobei die Abgrenzungen wegen des unterschiedlichen Sprachgebrauchs der orientalischen Kirchen zum Teil fließend sind:
I. Lateinische Fremdwörter aus dem Griechischen im CCEO Bei der sprachlichen Übernahme griechischer Wörter im Orient wirkt sich die zeitgenössische griechische Aussprache aus, außerdem die Notwendigkeit einer lautlichen Anpassung an das betreffende orientalische Idiom. Die Aussprache ist im übrigen nicht immer einheitlich.22
20 Die koptischen Begriffe können deshalb im folgenden in koptischer Schrift angegeben werden; soweit einer der wenigen ägyptischen Zusatzbuchstaben darin vorkommt, wird eine Umschrift beigegeben. 21 Georg Graf gibt in seinem Verzeichnis arabischer kirchlicher Termini manchmal die Kirche an, in der ein Ausdruck verwendet wird. 22 Die Umschrift entspricht den gängigen Regeln in der Orientalistik.
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1. Begriffe, die auch im Orient allgemein bekannt sind a) Episcopus (Bischof; c. 177 ff. CCEO u. ö.) Das Amt des Bischofs (griech. 1p¸sjopor) kommt schon im Neuen Testament vor. Der Begriff ist in allen Kirchen verbreitet. Die Bezeichnung lautet syr. episqopos oder häufiger (mit syrischer Endung) episqopa¯ und kopt. r¬|°~ª¬ª°. Die in mehreren Kirchen gebrauchte arab. Form ist usquf.23 Das ist verkürzt aus iskop. Äthiop.: ep. isqop. os oder p. ap. as , armen.: episkopos und georg.: episkoposi oder ebiskoposi .
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b) Clericus (Kleriker; c. 323 CCEO). Das griech. jkgqijºr ist ebenfalls in das Lateinische und einige orientalische Sprachen eingegangen. Syr. finden wir qlı¯riqa¯ , kopt. ~¢x®|~ª°, arab. iklı¯rikı¯ (das Arabische vermeidet möglichst Doppelkonsonanz am Wortanfang, es kommt aber auch die Form qlı¯riqı¯ vor). Äthiopisch finden wir u. a. aklı¯ros „Klerus, Kleriker“. Im Armenischen lautet die Form kłerk , es wird aber auch eine Ableitung von dem Wort für „Kirche“ (ekeg˙ec‘i) verwendet, nämlich: ekeg˙ec‘akan . Georg.: samg˙(v)deli 24. c) Canon (Kanon; CCEO: passim). Dieser Ausdruck für eine kirchliche Vorschrift gibt es überall: griech. jam¾m, syr. qa¯no¯na¯ , arab. qa¯nu¯n , kopt. ~j¦¼¦, äthiop. qänona , armen. kanon und georg. kanoni . Es werden aber auch andere Ausdrücke verwendet, etwa bei den Kopten das griechische Fremdwort ºª®ª° (= horos). d) Myron (Salböl, Chrisma; c. 692 CCEO). Das griech. lOqom25 ist zu den orientalischen Kirchen weitergewandert: syr. mu¯ron oder mı¯ron , arab. mu¯ru¯n oder . . . mı¯ru¯n , äthiop. meron, armen. mivron, miron oder meron (aber auch: surb ivł „heiliges Öl), georg. mi(h)roni .
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Der Ausdruck „Myron“ wird in den griechischen Quellen aber nicht ausschließlich verwendet. Es kommt auch wq?sla „Chrisam“ vor,26 z. B. in den Kanones 7 und 48 der Synode von Laodikeia. In K. 7 wurde ûciom wq?sla „heiliges Öl“ wörtlich übersetzt mit: syr. mesˇha¯ qaddı¯sˇa¯, kopt. ¦rº r²ª´jjl, georg. cmidai ˘ awcumn srbut ean „Salbung der Heiligkeit“ sac hebeli . Etwas freier ist armen. ˘ (= „heilige Salbung“). In K. 48 ist wq?sla 1pouq²miom syrisch wörtlich übersetzt mit mesˇha¯ sˇmaiya¯na¯ „himmlisches Öl“. Im Koptischen wird die Stelle mit ²¼º° ˘ ¯ hs ntpe) „Salbung des Himmels“ wiedergegeben, arab. dahn sama ı ¦²¬r (to ¯¯ ˙ „himmlische Salbung“, armen.: awcumn erknavor „himmlische Salbung“, georg.: sac hebeli zec isai „Öl des Himmels“. ˘ Das allgemeine Wort für Öl (z. B. für die Lampen in der Kirche) ist griech. 5kaiom, syr. mesˇha¯, kopt. ¦rº (neh), arab. zait, äthiop. zäyt, armen. dze¯t, georg. zet i. ˙ ˘ ˘
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Nach Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 275, sei usquf durch Vermittlung des Koptischen entstanden. Da die griechische Form im Koptischen ebenso lautet, spielt das keine große Rolle. 24 Auch speziell „Priester“, siehe oben bei „presbyterus“. 25 Milasch, Kirchenrecht, S. 241, 374, 558 (Chrisam) 26 So heißt es auch noch im Motu Proprio „Cleri Sanctitati“ (c. 285 § 2).
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2. Begriffe, die nur mit Einschränkungen im Orient üblich sind a) Patriarcha (Patriarch; c. 55 ff. CCEO) geht auf das griech. patqi²qwgr zurück und kommt bereits in den altkirchlichen Synodalkanones vor, die aus dem Griechischen ins Lateinische und in alle christlich-orientalischen Sprachen übersetzt wurden. Das Wort ist überall bekannt. Es ist bei den altorientalischen Kirchen als Bezeichnung für das Oberhaupt einer Kirche aber nur zum Teil üblich. Bei den Syrern erscheint der Begriff als Fremdwort patriyark-¯ıs oder – mit syri˙ scher Endung – patriyark-a¯ 27. ˙ In den griechischen Papyri Ägyptens wird das Oberhaupt der ägyptischen Kirche regelmäßig Erzbischof (j®¸|r¬|°~ª¬ª°) genannt.28 In den liturgischen Quellen kommt beides vor,29 also auch ¬j²®|j®¸x°, manchmal heißt es „Patriarch und Erzbischof“. Daneben, und besonders heute, wird der alexandrinische Patriarch von den Kopten als „Papst“ (kopt. ¬j¬j° oder ¬j¬j, arab. ba¯ba¯ ) bezeichnet.30 Das Syrische und Koptische wurden später mehr oder weniger vom Arabischen abgelöst. Die arabische Form lautet: batrak , batrı¯k31 oder batrı¯yark , auch fatrak , ˙ ˙ ˙ ˙ fatriyark und ähnlich; das Arabische kennt den Laut p nicht und muß ihn in der ˙ Schrift durch b oder durch f ausdrücken. Bei den Äthiopiern gibt es erst seit 1959 einen eigenen Patriarchen. Bis 1951 wurde die äthiopische Kirche von einem koptischen Metropoliten („Abuna“) geleitet, den der koptische Patriarch entsandte, dann bis 1959 von einem äthiopischen Metropoliten. Nach der Trennung der eriträischen Kirche von der äthiopischen gibt es dort seit 1998 einen eigenen Patriarchen. Die übliche äthiopische Bezeichnung für den Patriarchen ist liqä p. ap. p. as „ältester Pappas“ (von griech. pap(p)÷r „Vater“). ˘
In armenischen Quellen begegnet uns patriark ebenfalls. Viel häufiger ist jedoch die Lehnübersetzung hairape¯t (zusammengesetzt aus hair „Vater“ und pet „Haupt“). Hier ist noch zu berücksichtigen, daß der eigentliche Titel für das armenische Kirchenoberhaupt ebenso wie bei den Ostsyrern nicht „Patriarch“ lautet, sondern „Katholikos“ (katołikos). Die armenischen „Patriarchen“ von Konstantinopel und Jerusalem sind dem Katholikos untergeordnet. Das Oberhaupt der unierten armenischen Kirche bezeichnete sich als „Katholikos-Patriarch“.
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Ich gebe die syrischen Wörter nur in der (älteren) ostsyrischen Aussprache an. Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S. 33. 29 Vgl. etwa O. H. E. Khs-Burmester, The Rite of Consecration of the Patriarch of Alexandria, Kairo 1960, S. 92 – 97 (Verzeichnis der griechischen Wörter). 30 Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S. 33. Vgl. etwa auch O. H. E. Khs-Burmester, The Rite of the Consecration of the Patriarch of Alexandria, Kairo 1960, passim. 31 Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 276. 28
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Sein georgischer Amtsbruder trug ursprünglich ebenfalls den Titel „Katholikos“ (kat alikozi, kat olikozi), heute führt er den Titel „Katholikos-Patriarch“ (kat olikospatriarki).32 b) Metropolita (Metropolit; c. 133 ff. CCEO u. ö.). Auch diese Amtsbezeichnung, griech. lgtqopok¸tgr, erscheint bereits in den frühchristlichen Konzilstexten (z. B. Nikaia, K. 4; Chalkedon, K. 28). Die syrische Form lautet metropolita¯ . In der koptischen Kirche gab und gibt es ˙ ˙ keine Metropolitanverfassung,33 so daß der Patriarch auch die Funktion eines Metropoliten ausübte. Die Bezeichnung „Metropolit“ war nur eine Ehrenstellung, aber offenbar eine Weihestufe, denn unter den koptischen Ordinationsformularen kommt auch eines für den Metropoliten (¤x²®ª¬ª¢|²x°) vor. Bei den Syrern und Kopten lautet die leicht verfremdete arabische Form: mutra¯n, matra¯n ,34 es kommt aber ˙ ˙ auch mitrubulı¯t vor. Das äthiopische Wort für Metropolit ist p. ap. p. as (s. oben bei ˙ ˙ Patriarch).
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Die armenische und die georgische Kirche kennen ebenfalls keine Metropolitanverfassung.35 Als Ehrentitel gibt es bei den Armeniern den „Erzbischof“ (ark episkopos). In der georgischen Kirche ist mt avar-episkoposi „Hauptbischof, Erzbischof“ und mitropoliti ebenfalls nur eine Ehrenbezeichnung. Im Orient gibt es heute kaum Metropoliten im kirchenrechtlichen Sinn. Das liegt hauptsächlich daran, daß die Zahl der Christen und Diözesen stark geschrumpft ist. Die heute noch vorhandenen Bischofssitze sind meist mit den alten Metropolitansitzen identisch. Das hat dazu geführt, daß in einigen Kirchen praktisch jeder Bischof den Titel „Metropolit“ trägt. c) Synodus (Synode; c. 102 ff. CCEO u. ö.). Der Ausdruck wird im CCEO für die Bischofssynode gemäß c. 46, die Bischofssynode der patriarchalen und der großerzbischöflichen Kirche (cc. 102 ff., 153), die Metropolitansynode (c. 133 § 1 Nr. 2) und für die „Ständige Synode“ (cc. 115 ff.) verwandt. Der eigentlich gleichbedeutende Begriff concilium ist dem Ökumenischen Konzil (Concilium Oecumenicum, c. 50 ff.), dem Partikularkonzil (Concilium particulare, c. 600) und dem Priesterrat (concilium presbyterale, c. 264) vorbehalten.
32 Die Titulaturen der nichtunierten orientalischen Kirchenoberhäupter findet man bequem in den regelmäßig erscheinenden Bänden „Orthodoxia“ des Ostkirchlichen Instituts Regensburg, herausgegeben von Nikolaus Wyrwoll. Letzte Ausgabe: 2014 – 2015, Regensburg 2014. Die Titel der unierten Kirchenoberhäupter lassen sich dem „Annuario Pontificio“ entnehmen. 33 Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S. 34. 34 Nach Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 276, soll dem ein syrisches mitro¯n ˙ zugrundeliegen. 35 Nur im armenischen Kilikien, das unter lateinischem Einfluß stand, scheint es sie gegeben zu haben, siehe Joseph Karst, Sempadscher Codex aus dem 13. Jahrhundert oder mittelarmenisches Rechtsbuch, Straßburg 1905, S. 39 (§ 21).
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Im CIC ist „concilium“ der normale Ausdruck, „Synode“ erscheint nur bei der Bischofssynode (Synodus Episcoporum, c. 342 ff.) und der Diözesansynode (Synodus dioecesana, cc. 460 ff.).
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Diese eher willkürliche Unterscheidung ist den orientalischen Kirchen fremd. Das griechische Wort „Synode“ (B s¼modor) ist meist bekannt: syr. sunodos, sunhados, sunandos, kopt. °´¦ºªpª° (= synhodos). Im Arabischen kommt sunu¯dus u. ä. vor, weitaus üblicher ist aber magˇma „Versammlung“ vom Verbum gˇama „(ver)sammeln“. Im Äthiopischen wird sinodos oder senodos gebraucht, es gibt daneben aber auch den Ausdruck guba e „Versammlung“.
Im Armenischen ist der gängige Ausdruck für Synode zˇog˙ov oder zˇog˙ovurd „Versammlung“. Das Fremdwort sivnhod(os)36 kommt in den Rechtsquellen kaum vor.37 Auch im Georgischen wird der allgemeine Ausdruck für „Versammlung verwendet: sˇekrebai. Das Fremdwort „Synode“ habe ich bei den Georgiern in den alten Quellen nicht gefunden.
3. Begriffe, für die es im Orient Lehnübersetzungen gibt
˘
a) Ecclesia (Kirche; CCEO: passim). Das schon neutestamentliche griech. 1jjkgs¸a kommt von 1jjak´y „herausrufen“. Es bezeichnet ursprünglich die Versammlung der heraus- oder zusammengerufenen Bürger38. Die gängigen orientalischen Entsprechungen meinen ebenfalls „Versammlung“. Das syr. etta¯ „Kirche“ ist eine Entlehnung aus dem Hebräischen e¯da¯.39 Arab. kanı¯sah kommt vom jüdisch¯ aramäischen bzw. christlich-palästinensischen knı¯sˇta¯ „Versammlung“, auch „Syn40 agoge“. Verbreitet ist im Arabischen ferner bi ah , das von aramäisch bi‘eta¯ „Ei“, ¯ dann „Kuppel“ kommen soll, also ursprünglich wohl nur das Kirchengebäude 41 meinte. Im Äthiopischen findet sich eine ganz andere Bezeichnung für das Kirchengebäude und die Gemeinschaft der Gläubigen: betä kr stiyan , wörtlich: „Haus der Christen“. ˘
˘
e
Das Griechische hat sich im kopt. r~~¢x°|j und georg. eklesia erhalten, und auch das armen. ekeg˙eci entspricht dem griechischen Wort42. Griech. 1jjkgs¸a wird in georgischen Übersetzungen aber auch vielfach anders ausgedrückt.43 36
iv gibt im Armenischen das griech. Ypsilon wieder. Ich kann darin nur eine Stelle belegen: = Hemaiagh Ghedigian, Canones Apostolici, . Venedig 1941 (= Fonti, Serie II, fasc. XXI), S. 77, Zeile 4. Sonstige literarische Belege: Nor . Bargirk haykasean lezoui, Bd. 2, Venedig 1837, S. 717a. 38 Pape, Griechisch-deutsches Handwörterbuch, 3. Aufl., 1. Bd., Nachdruck Graz 1954, S. 763. 39 Theodor Nöldeke, Kurzgefasste syrische Grammatik, 2. Aufl., Leipzig 1898, § 105, Anm. 2. 40 Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 275. 41 Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 274. . . 42 H. Acˇaryan, Armatakan bararan II 12. 37
˘
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231
b) Presbyterus (Priester; CCEO passim). Das lateinische „presbyterus“, das der CCEO neben „sacerdos“ verwendet, hat seine Grundlage im griech. pqesb¼teqor, eigentlich „der Ältere“, das bereits im Neuen Testament und in den frühen griechischen Kanones verbreitet ist. In den liturgischen Quellen der griechischen Kirche wird oft auch der schon in vorchristlicher Zeit für den Opferpriester verwendete Ausdruck Reqe¼r gebraucht. Im Syrischen und Christlich-palästinensischen ist das gängige Wort für Priester qasˇsˇ¯ısˇa¯ , wörtlich „der Alte“ oder „der Ältere“, also eine Übersetzung von pqesb¼teqor. Wie in vielen Fällen ist der arabische Begriff davon abgeleitet: qassı¯s oder qass.44 Gelegentlich wird im Syrischen auch kahna¯ gebraucht, das dem hebräischen kohe¯n „Priester“ entspricht; es erscheint gelegentlich auch im Arabischen als ka¯hin . Das Koptische kennt sowohl ¬®r°l´²r®ª° als auch |r®r´°. Als einheimisches Wort wird ª´xxl (für heidnische oder christliche Priester) verwendet; dem Ausdruck liegt eine ägyptische Wurzel zugrunde, die „rein“ bedeutet. Das äthiop. qäsis leitet sich wohl vom Arabischen her. Im Armenischen treffen wir ebenfalls auf eine Lehnübersetzung aus dem Griechischen, nämlich ere¯c , das zunächst „der ältere“ oder „Ältester“ bedeutet.45 Außerdem wird für Priester in den Kirchenrechtsquellen und liturgischen Büchern das aus dem Syrischen (s. oben kahna¯ ) stammende kahanay gebraucht.46 Das georg. hucesi bedeutet ursprünglich gleichfalls „der Älteste“;47 daneben wird mg˙(v)deli 48 ˘verwendet. c) Diaconus (Diakon; c. 325 CCEO). Ähnlich verhält es sich mit dem griech. di²jomor (später auch: di²jym), das auch schon neutestamentlich bezeugt ist. Das Wort meint ursprünglich einen „Diener“. Das syrische Äquivalent msˇammsˇa¯na¯ oder kürzer sˇamma¯sˇa¯ ist eine genaue Übersetzung und kommt von dem Verbum sˇammesˇ „dienen“. Von sˇamma¯sˇa¯ leitet sich das arab. sˇamma¯s ab.49 Auch die Armenier haben eine Lehnübersetzung gebildet: sarkawag „Diakon“ kommt vom Verbum sarkem „dienen“.
43
Vgl. Qauhcˇisˇvili, Leksikoni II, S. 524 f. ˘ Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 267 f., meint, daß umgekehrt pqesb¼teqor eine Übersetzung von qasˇsˇ¯ısˇa¯ sei; letzteres sei wohl nach dem Vorbild des hebr. za¯ken „alt“ gebildet worden. 45 Heinrich Hübschmann, Armenische Grammatik. Erster Teil: Armenische Etymologie, Leipzig 1897, S. 444 (136). 46 Hübschmann, ebd., S. 318 (120). 47 Heinz Fähnrich – Surab Sardshweladse, Etymologisches Wörterbuch der KartwelSprachen, Leiden u. a., 1995 (= Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, 24. Bd.), S. 455 f. 48 Nach Fähnrich – Sardshweladse, ebd., S. 383, bedeutet die darin steckende Wurzel „rufen, verkünden“. 49 Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 276. 44
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Sonst ist die griechische Form verbreitet: kopt. p|j~¼¦ und p|j~ª¦ª°. Die Georgier kennen sowohl diakoni als auch das einheimische msahuri „Diener“. Bei ˘ als Fremdwort den vom Griechischen stärker beeinflußten Melkiten finden wir diya¯kun. Die äthiopische Form lautet diyaqon. d) Syncellus (c. 246 CCEO u. ö.) ist vom griech. s¼cjekkor50 abgeleitet, gebildet aus griech. s¼m „mit“ und j´kka „Zelle“ (aus latein. cella ). Ursprünglich im buchstäblichen Sinn „Zellengenosse“ eines Abtes oder Bischofs, später eine Art Sekretär. Die syrische Lehnübersetzung lautet bar qellaita¯ „Sohn der Zelle“, also Zellengenosse, es gibt aber auch vereinzelt die syrischen Formen sunqellos oder sunqella¯ , denen arab. sungˇelus u. ä. entspricht. Mit dem syr. „Sohn der Zelle“ berührt sich im Arabischen der usquf al-qilla¯ya¯ , „Bischof der Zelle“, womit ein Hilfsbischof gemeint ist. Im Koptischen, Äthiopischen, Armenischen und Georgischen kann ich den Begriff nicht nachweisen. Auf Einwände der Konsultoren antwortete die „gruppo di studio“ des CCEO, „che i termini Protosyncellus o Syncellus sona assai comuni anche nell’Oriente non bizantino“.51 Oder: „Si mantiene la parola Syncellus perché è entrata nell’uso comune“.52 Das kann man allenfalls für die Unierten behaupten, weil der „syncellus“ im Motuproprio „Cleri Sanctitati“ vorkommt (cc. 432 – 437). Die Bedeutung des Begriffs Syncellus hat bei der Entstehung des CCEO geschwankt. Dem braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden. Daß die Verwendung im CCEO für einen Bischofsvikar eine Neuerung ist, zeigt sich schon daran, daß in „Cleri Sanctitati“ damit noch der Generalvikar gemeint war (vgl. c. 432 § 1). Dieser ist nach dem CCEO jetzt der „Protosyncellus“53, den es in Byzanz und bei den Melkiten (arabischer Plural bru¯tu¯sı¯ngˇilı¯ya ) gegeben hat, kaum ˙ aber bei den sonstigen orientalischen Kirchen und auch noch nicht im Motu proprio 54 „Cleri Sanctitati“. e) Protopresbyter (c. 276 ff. CCEO u. ö.), griech: pqytopqesb¼teqor55 (auch pqytoieqe¼r oder !qwipqesb¼teqor56). Nach Kanon 276 CCEO ist der Protopresbyter ein Priester, der einem aus mehreren Pfarreien bestehenden Gebiet vorsteht. Er entspricht damit dem Dechanten (c. 553 § 1 CIC).
50
Milasch, Kirchenrecht, S. 246 Nuntia 23 (1986), S. 56. 52 Nuntia 28 (1989), S. 47 (zu c. 189 § 2). 53 Milasch, Kirchenrecht, S. 246, 337, 380 54 Coussa, Epitome praelectionum I, S. 321, Fußnote 530, kennt den „protosyncellus“ nur von der melkitischen Synode von Ain Traz (1909) als „Vicarius Episcopi“. 55 Milasch, Kirchenrecht, S. 245, 391, 400 ff. 56 Milasch, Kirchenrecht, S. 244. 51
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Die Wortwahl der Quellen, auch derjenigen der Unierten,57 ist hier sehr unterschiedlich, soweit es das Amt überhaupt gibt. Dem syrischen Kirchenrecht ist es fremd. Das arab. bru¯tu¯brazbı¯taru¯s oder bru¯tu¯ba¯ba¯s (= pqytopap²r) ist wohl nur den ˙ ˙ Melkiten bekannt. Häufiger, auch bei den Kopten, scheint !qwipqesb¼teqor zu sein.58 Aus den koptischen Papyri ist ¬¦ª¾ ¤¬®r°l´²r®ª° (pnog m-presbyteros), wörtlich „der große Priester“, bekannt.59 Armenisch kommt awag ere¯c oder awag kahanai vor. awag bedeutet „größer, älter, oberer“. Im Georgischen ist protopresviteri , protopopi oder protoieri vermutlich erst unter russischem Einfluß Ende des 18. Jh. heimisch geworden.60 f) Oeconomus (Ökonom; c. 122 CCEO u. ö.), griech. oQjomºlor61 kommt schon mehrfach im Neuen Testament vor (Lk. 12, 42; 16, 1.8; Röm. 16, 23; u. ö.). Die Übersetzungen der Bibelstellen in orientalische Sprachen sind unterschiedlich. Hier soll nur der Ökonom im kirchenrechtlichen Sinn betrachtet werden. Die übliche syrische Bezeichnung ist rabb baita¯ oder rabbaita¯ „Vorsteher des Hauses“, plur. rabbai ba¯te¯. Das finden wir auch im Arabischen als rabbaitoa¯ bzw. rabbai ba¯ta¯. Verwendet wird noch arab. ha¯zin „Schatzmeister“, womit aber auch ˘ ein „Sakristan“ gemeint sein kann. Weit weniger gebräuchlich in beiden Sprachen ist das Fremdwort ¯ıqo¯no¯ma¯, uqo¯no¯ma¯ u . ä. (syr.) und aqnu¯m, uqnu¯m oder ¯ıku¯nu¯mus (arab.). In der koptischen Kirche ist ª|~ª¦ª¤ª° oder r~¼¦ª¤ª° bezeugt.62. Im Äthiopischen wird mäggabi „Verwalter“ verwendet. Im armen. tntes steckt tun „Haus“ und tesanem „sehen, sich kümmern um“. Im den alten georgischen Quellen findet sich ezois-modzg˙uari „Hausverwalter“, daneben ist ikonomosi bekannt.63 g) Monachus (Mönch; c. 494 § 1 CCEO). Die griechische Form lomawºr erscheint auch teilweise im Orient, so bei den Kopten: ¤ª¦j¸ª°. Äthiopisch heißt es mänäkos . Als Lehnübersetzung kann man syr. ¯ıh¯ıda¯ya¯ ansehen, ein Wort das eher einen ˙ ¯ „Einsiedler“ meint; es ist abgeleitet von ¯ıh¯ıda¯ „allein“, das dem griech. lºmor ent˙ ¯ spricht. Das übliche Wort für Mönch ist daira¯ya¯ , das von daira¯ „Kloster“ (eigentlich: „Wohnort“) abgeleitet ist. Nicht auf lºmawor geht auch das arab. ra¯hib 57
Vgl. Coussa, Epitome praelectionum I, S. 339. Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S. 37. Eine eigene Weihe dafür gab es nicht, siehe Schmelz, ebd., S. 65. 59 Schmelz, ebd., S. 37. 60 Der erste mir bekannte Beleg für protopopi stammt von 1789, siehe Dolidze, Kart uli samart lis dzeglebi III, S. 982. 61 Milasch, Kirchenrecht, S. 226, 245, 391, 531 62 Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S. 38, 163 ff. 63 Weitere Bezeichnungen bei Joseph Karst, Recherches sur l’Histoire du Droit ecclésiatique carthvélien, in: Archives d’histoire du droit oriental 1 (1937), S. 321 – 391; hier: S. 368 f. 58
˘
˘
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„Mönch“ zurück. Es kommt vielmehr von dem arab. Verb rahiba „fürchten“, meint also den „(Gottes) Fürchtigen“ schlechthin.64 ˘
Armen.65 : kro¯navor „Mönch“ ist von kro¯n „Religion“ abgeleitet66, das gleichbedeutende miaynakeac bedeutet wörtlich „allein lebend“, gängig ist auch abeg˙a von syrisch ab-¯ıla¯, wörtlich „der Trauernde“. Das Georgische kennt für Mönch monazoni von griech. lom²fym, es gibt daneben noch beri „ Greis, Mönch“. ˘
˘
h) Baptismus (Taufe; c. 675 ff. CCEO) ist griech. baptislºr (oder b²ptisla), von b²pteim „eintauchen“. Dem entsprechen syr. ma¯da¯ oder ma mu¯d¯ıta¯, beides vom ¯ ¯¯ Verb mad „untergehen, untertauchen“. Diese Bildungen wurden ins Arabische ¯ übernommen als ima¯d und ma mudı¯ya , daneben gibt es von derselben Wurzel für „Taufe“ noch ta mı¯d . Ähnlich christlich-palästinensisch masbu¯ a¯ oder masbo¯ ¯ıta¯ ˙ ˙ ¯ von der Wurzel sb „eintauchen“67, dem entspricht das arab. masbu¯g˙¯ıya oder sabg˙a ˙ ˙ ˙ „Taufe“. ˘
˘
˘
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˘ ˘ ˘
Entsprechendes gilt im Äthiopischen, wo tamqät von tämäqä „eintauchen“ ab˙ ˙ geleitet ist. Die Kopten kennen das griechische Wort als lj¬²|°¤j, haben aber auch ein koptisches Substantiv, nämlich ¼¤° zum gleichlautenden Verb mit der Bedeutung „tauchen, sinken, versenken“. ˘
˘
Das armen. mkrt utiwn ist vom Verb mkrt el „besprengen, abwaschen“ abgeleitet. Eine andere Vorstellung liegt georg. natlis-c emai „Taufe“ zugrunde, zusammengesetzt aus nateli „Licht“ und c emai „geben“. Hierzu kann man auf griech. vyt¸feim „erleuchten“ verweisen, das auch „taufen“ bedeuten kann (Laodikeia, K. 48). Vom Täufling aus gesehen: natlis-g˙ebai „getauft werden“ (g˙ebai „nehmen”), als Substantiv „Taufe“.68 ˘
˘
4. Begriffe, die im Orient weitgehend unbekannt sind Man wird in der Regel davon ausgehen können, daß nicht nur der Begriff, sondern auch die Sache den Orientalen fremd ist.
64
Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter, S. 267 f. Vgl. Amaduni, Monachismo, S. 1. 66 Die Endung -avor bezeichnet „eine Person, die sich mit der im Grundwort genannten Sache beschäftigt“, siehe Hans Jensen, Altarmenische Grammatik, Heidelberg 1959, S. 39 (§ 85). 67 Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dr. Manfred Kropp, Mainz. 68 Die Begriffe Apostata (Apostat, c. 1436 § 1), Haereticus (Häretiker, c. 1436 § 1) und Schismaticus (Schismatiker, c. 1437) habe ich an anderer Stelle bereits behandelt: Häresie, Schisma und Apostasie in den Kirchenrechtsquellen der orientalischen Kirchen, in: The Journal of Eastern Christian Studies 60 (2008) (= Studies in Honour of Adelbert Davids), S. 313 – 332. 65
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a) Hierarcha (Ordinarius; c. 984). Die Unterscheidung zwischen Weihe- und Jurisdiktionsgewalt ist eine lateinische Vorstellung, die auch bei den Unierten eingeführt wurde, aber dem ursprünglichen orientalischen Kirchenrecht fremd ist.69 Man kann deshalb von vornherein dafür keinen entsprechenden Begriff erwarten. b) Eparchia (Bistum; c. 177 CCEO u. ö.). Während der CIC von der „dioecesis“ spricht, verwendet der CCEO dafür den Ausdruck „eparchia“, griech. 1paqw¸a. In der Apostelgeschichte (23,34; 25,1) wird damit eine (staatliche) Provinz bezeichnet. Im kirchlichen Sinn bezeichnete „Eparchie“ ursprünglich nicht ein Bistum, sondern eine Kirchenprovinz (s. Nikaia, K. 4 – 6; Chalkedon K. 9, 17, Antiocheia K. 9, 11, 13, u. ö., Karthago, Vorrede und K. 17).70 ˘
Die Stellen aus den alten Quellen werden syrisch mit hupark-¯ıya rpaqw¸a übersetzt. Der übliche Ausdruck für „Bistum“ ist aber mar ¯ıta¯ „Herde“. In der kopti¯ schen Übersetzung ist r¬j®¸|j beibehalten. Ein koptischer Ausdruck für „Bistum“ ist ²¼´ (to¯sˇ) „Grenze, Bezirk“. 1paqw¸a ist arab. zu abrasˇ¯ıya oder abrusˇ¯ıya geworden. Verwendet wird im Arabischen auch kursı¯ , eigentlich „Sitz, Thron“. Im Äthiopischen werden bei der Übersetzung der alten Quellen unspezifische Wörter wie „Land, Region, Regierungsgebiet“ verwendet; seltener ist episqopos nna, was „Bischofswürde“ aber auch „Bistum“ heißen kann. e
˘
Im Armenischen steht in den alten Texten für 1paqw¸a: asˇharh „Land, Gebiet“, isˇhanut iwn „Herrschaft“ oder gawar „Provinz“. Später ist der ˘übliche Ausdruck für ˘ Bistum tem = h´la „Provinz“, auch vicˇak „Los“. ˘
In der georgischen Übersetzung der alten Synodalkanones steht samt avroi „Herrschaft“. In anderen Werken wird 5paqwor mit mtavari „Oberhaupt“ oder einfach episkopozi „Bischof“ übersetzt.71 Der heute übliche Ausdruck für Bistum ist epark ia , vermutlich unter russischem Einfluß; der erste mir bekannte Beleg stammt aus dem Jahr 180072. ˘
c) Exarchus (Exarch), griech: 5naqwor. Ein Exarchat ist nach c. 311 § 1 CCEO „ein Teil des Gottesvolkes, der wegen besonderer Umstände nicht als Eparchie errichtet ist“. Ursprünglich war mit Exarch ein Metropolit gemeint.73 In der Orthodoxie wird unter Exarchat heute vor allem das mit besonderen Autonomierechten verbundene Jurisdiktionsgebiet eines Bischofs in der Diaspora verstanden.74 Der syrische Ausdruck eksark-is , eksark-a¯ kommt, soweit ich sehe, in juristischen Quellen nicht vor. Arab. aksa¯rhu¯s dürfte auf die melkitische Kirche beschränkt sein. ˘ 69
Milasch, Kirchenrecht, S. 236 ff. Milasch, Kirchenrecht, S. 298. 71 Qauhcˇisˇvili, Leksikoni II, S. 757 f. ˘ 72 Dolidze, Kart uli samart lis dzeglebi III, S. 1057. 73 Milasch, Kirchenrecht, S. 243, 299, 400; Coussa, Epitome I, S. 207 f. 74 Richard Potz/Eva Synek, unter Mitarbeit von Spiros Troianos, Orthodoxes Kirchenrecht. Eine Einführung, Freistadt 2007, S. 330. 70
˘
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Armenisch kann ich das Wort nicht nachweisen. Das georg. eksarhosi wird neueren Datums sein und auf russisch-orthodoxen Einfluß zurückgehen.75˘ d) Parochus (Pfarrer; cc. 279, 281)76 entspricht am ehesten dem pqytoieqe¼r der griechischen Kirche. Bei den orientalischen Kirchen ist der für den Gottesdienst, die Spendung der Sakramente und die Seelsorge Zuständige schlicht und einfach der Priester, der ausdrücklich für die betreffende Kirche geweiht wurde, oder mehrere solche Priester.77 Die bei der Vorbereitung des betreffenden Schemas des CCEO vom Relator zunächst vorgeschlagene Formulierung hätte dem orientalischen Verständnis eher entsprochen: Secundum uniuscuiusque Ecclesiae traditionem paroeciae cura committi potest in solidum omnibus presbyteris in paroeciae territorio degentibus e quibus unus sit praeses.
Die Studiengruppe hatte aber u. a. deshalb Bedenken, weil die Rechte und Pflichten des praeses und der anderen Priester klar bestimmt sein müßten und man entschied sich letztlich für folgende Formulierung: § 3. Si paroecia pluribus presbyteris committitur ius particulare accurate determinet quaenam sint iura et obligationes moderatoris qui actionem communem dirigat atque de eadem Episcopo respondeat et quaenam ceterorum presbyterorum.78
Dieser dritte Paragraph fehlt in der endgültigen Fassung des CCEO (c. 281). Übriggeblieben ist praktisch die lateinische Regelung der cc. 519, 520 § 1 CIC.
˘
e) Typica (Klosterregel; c. 414 ff. CCEO u. ö.), griech. tupijºm. Orientalische Entsprechungen zu finden, ist nicht einfach, weil meist allgemeinere Ausdrücke gebraucht werden („Ermahnungen“, „Anordnungen“, „Kanones“ u. ä.). Für das Syrische könnte man tak-sa¯ „Ordnung“ nennen (von griech. t²nir), arab. niza¯m.79 ˙ ˙ Bei den Melkiten gibt es arab. tı¯bı¯ku¯n als Bezeichnung für die Gottesdienstord80 nung. Die äthiopische Bezeichnung für Mönchsregel ist s´ r at „Ordnung“81. Armen. sahman „Regel“. Georgisch kommt tipikoni und tibikoni vor. e
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75 Im griech.-georg. Lexikon der byzantinischen Zeit von Qauhcˇisˇvili (vgl. S. 698) und im ˘ altgeorgischen Lexikon von Ilia Abuladze, Dzveli kart uli enis leksik oni (masalebi), Tbilisi 1973, kommt 5naqwor nicht vor, aber bei Surab Sardshweladze – Heinz Fähnrich, Altgeorgisch-deutsches Wörterbuch, Hamburg 1999, S. 89, mit der Bedeutung „Exarch, Führer, Leiter“). 76 Milasch, Kirchenrecht, S. 298, 407 ff.; Hilfspriester 425. 77 Eine absolute Ordination, wie sie in der katholischen Kirche üblich ist, kennt die ostkirchliche Tradition nicht. Der CCEO geht jedoch davon aus. Das zeigt c. 284 § 1 CCEO, der die (spätere) „freie Ernennung“ eines Pfarrers durch den Bischof statuiert. 78 Nuntia 9 (1979), S. 63 – 65. 79 Statut der Syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien [von 1991], hrsg. von Emanuel Aydin, Wien 1993 (deutsch, syrisch, arabisch). 80 Graf, Verzeichnis arabischer kirchlicher Termini, S. 31. 81 August Dillmann, Lexicon linguae aethiopicae, Leipzig 1865, Sp. 244.
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II. Lateinische Begriffe im CCEO, die aus dem Griechischen übersetzt sind 1. Divina liturgia (Göttliche Liturgie; c. 698 ff. CCEO). Dieser Begriff, griech. he¸a keitouqc¸a, „stands for the sacramental celebration of the eucharist (sacrifice of the Mass, or holy Qurbana)“82. Dagegen ist die Divina eucharistia (Eucharistie; c. 698 ff. CCEO) die „sacramental celebration (Mass) and/or as Holy Communion and/or the Sacred Species“83. Wie schon in der zitierten Stelle erwähnt, ist qurba¯na¯ der übliche westsyrische Ausdruck für die Messe. Dieses Substantiv gehört zum Verbum qarreb- „darbringen, opfern“. Griechisch entspricht dem pqosvoq² „das Darbringen“, „Gabe“ (s. z. B. Laodikeia K. 58). Die Anaphora, also der Teil, welcher dem lateinischen Canon missae entspricht, heißt qudda¯sˇa¯ „Heiligung“ von der Wurzel qdsˇ „heilig“. Bei den Ostsyrern wird die Messe als ra¯ze¯ „Geheimnisse“ bezeichnet. Die arabische Bezeichnung ist al-qudda¯s (al-alla¯hı¯) „die (göttliche) Heiligung“. Das arab. qurba¯n (vom syr. qurba¯na¯) ist die Opfergabe, die zur Messe verwendeten Opferelemente, auch die konsekrierten, die Eucharistie.84 Nur vereinzelt und wohl nur bei den Melkiten begegnet uns die griechische Formulierung: al-liturgˇ¯ıya alillahı¯ya „die göttliche Liturgie“.85 Koptisch finden wir ¬®ª°¶ª®j oder r´¸j®|°²|j, äthiop. q ddase „Heiligung“; qurban ist die „Kommunion“. e
Die armenische Bezeichnung für „Messe“ ist surb patarag „heiliges Opfer“, pataragamatoic „Darbringung des Opfers“, die georg. cirvai „Opfer“, ciarebai ist „Teilnahme, Kommunion“. Bei der Revision des betreffenden Schemas wurde vorgeschlagen, den Ausdruck „Divina liturgia“ durch „Eucharistica liturgia“ zu ersetzen, weil er „meno gradita ai non-bizantini“ sei. Das wurde mit der seltsamen Bemerkung abgelehnt: „si nota che nella espressione usata nel canone una sola parola è di origine greca, mentre nella proposta avanzata tutte le due le parole lo sono.“86 Der gleiche Vorschlag wurde später nochmals gemacht und wieder abgelehnt. Diesmal war die Begründung ausführlicher: „si nota che: 1) in questo contesto entrambe le espressioni soni di origine greca (…); 2) il Decreto Conciliare ,Orientalium Ecclesiarum‘ n. 15 si serve
82 Nedungatt, A Glossary of the Main Terms Used in CCEO, in: The Eastern Code. Text and Resources. Edited by Yoannis Lahzi Gaid, Rom 2007 (= Kanonika 13), S. 147 – 160, hier: S. 153. 83 Nedungatt, ebd. 84 Graf, Verzeichnis arabischer kirchlicher Termini, S. 89 f. 85 Vgl. Georg Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Bd. 1, Vatikanstadt 1944 (= Studi e testi 118), S. 634. 86 Nuntia 18 (1984), S. 50.
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di termini ,Divina Liturgia‘ e 3) P. Hindo nel vol. 3 della Serie II delle Fontes ,87 traducendo dal siriaco, non ha difficoltà ad usare la stessa espressione.“88 Überprüft man das dritte Argument, wundert man sich. Die Messe behandelt Paul Hindo, der der syrisch-katholischen Kirche angehörte,89 auf S. 160 – 205. Der Abschnitt ist überschrieben: „De sanctissima Eucharistia“! Er verwendet „divina Liturgia“ nur bei einigen Zwischenüberschriften und im Register. Die Zitate aus der syrischen Literatur übersetzt er korrekt, und da kommt – wenn ich recht sehe – „la divine liturgie“ nur ein einziges Mal vor, und zwar bei einem Zusatz Hindos (Nr. 110). Seine Zusammenstellung zeigt deutlich, daß der Begriff „göttliche Liturgie“ der westsyrischen Tradition unbekannt ist. 2. Laudes divinae (Stundengebet, c. 199 § 2 u. ö. CCEO). Das Ostkirchendekret verwendet den Begriff in Kap. 15 und 22. Griechischen Ursprungs ist er nicht. Dort spricht man von den „Stunden“ (aR ¨qai).90 ˘
˘
Syrisch wird sˇa ta¯ „Stunde“ oder edda¯na¯ da-slo¯ta¯ „ Gebetszeit“ verwendet. Das ¯ ˙ ¯ Stundengebet heißt auch slo¯ta¯ qa¯no¯naita¯ (plur. slawa¯ta¯ qa¯no¯na¯ya¯ta¯) „kanonisches ¯ ¯ ˙ ¯ ˙ Gebet“, arab. auqa¯t as-salawa¯t „Gebetszeiten“, auch as-salawa¯t al-qa¯nu¯nı¯ya, „ka˙˙ ˙˙ nonische Gebete“. Im Koptischen wird dafür (und für das liturgische Buch, griech. „Horologion“) der Begriff acˇpech (acˇpia , arab. agˇbı¯ya) gebraucht. Darin steckt kopt. cˇp oder acˇp „Stunde“.91 ˘
Äthiop. wird gebraucht sä atat „Stunden“, armen. zˇam, georg. zˇami, beides „Stunde, Zeit“. Die entsprechenden liturgischen Bücher heißen dementsprechend: Mäshafä sä atat (äthiop.), Zˇamagirk (armen.) und Zˇamni (georg.). ˙˙ Auch der Begriff „Laus divina“ war im Gesetzgebungsverfahren nicht unangefochten. Vorgeschlagen wurde statt dessen der hergebrachte Terminus „Officium“, mit der Begründung: „pourquoi chercher toujours des expressions nouvelles“. Die Studiengruppe lehnte das ab und verwies auf das Ostkirchendekret und darauf, daß der Begriff „officium“ im Schema unterschiedliche Verwendung finde.92 ˘
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3. Chrismatio sancti myri (Firmung; c. 692 ff. CCEO), lateinisch: confirmatio (c. 879 ff. CIC). Griechisch heißt das Sakrament und die Handlung wq?sla oder 87
˘
Disciplina Antiochena Antica. Siri. III Textes concernant les sacrements avec introduction par Paul Hindo, Vatikanstadt 1941 (= Codificazione Canonica Orientale. Fonti, serie II, fasc. XXVII). 88 Nuntia 20 (1985), S. 110. 89 1900 – 1953. Er war von 1949 bis zu seinem Tod syrisch-katholischer Erzbischof von ˇ amı¯l, al-Sala¯sil at-ta¯rı¯h¯ıya fı¯ asa¯qifat al-abrasˇiya¯t as-surya¯nı¯ya, Bagdad, vgl. Mı¯ha¯ ¯ıl al-G ˘ Beirut 2003, S. 63˙ – 67. 90 Milasch, Kirchenrecht, S. 573. 91 Vgl. W. E. Crum, A Coptic Dictionary, Oxford 1939, S. 777 f.; Wolfhart Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Aufl., Heidelberg 1977, S. 428. 92 Nuntia 20 (1985), S. 110.
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l¼qyla „Salbung“. Wie die Endung zeigt, handelt es sich bei „chrismatio“ um eine lateinische Ableitung von dem erstgenannten griechischen Begriff. Das Ostkirchendekret spricht in Kap. 13 von „ministrum S. Chrismatis“. In einem früheren Schema hieß es noch „sacramentum chrismatis“.93 Warum „chrismatio“ besser sein soll als „unctio“ erschließt sich mir nicht. 94 „Unctio Sancti chrismatis“ wurde im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen, aber abgelehnt.95 Das Sakrament heißt syr. mu¯ron „Myron“ oder sˇurra¯ya¯ „Festigung“, arab. u. a. tatbı¯t („Festigung“) oder sirr al-masha „Geheimnis der Salbung“. Die Kopten ¯ ¯ ˙ - ¬|jn|ª¦ ¤ - ¤´®ª¦ „Besiegelung mit kennen den Ausdruck ¬r°¶®jn|°¤ª° ¤ dem heiligen Myron“ und arab. al-rasˇm bi-l-mı¯ron al-muqaddas „Salbung mit dem heiligen Myron“. Die armenische Bezeichnung lautet avcumn surb „heilige Salbung“ oder drosˇm „Eindruck, Siegel”, die georg. mironchebai „Myronsalbung“. ˘ 4. Synodus permanens (Ständige Synode, c. 114 § 1 CCEO), griech: s¼modor 1mdgloOsa96, ist eine Institution der Kirche von Konstantinopel97 und so, wie sie im CCEO geregelt ist, den orientalischen Kirchen unbekannt.
III. Rein lateinische Begriffe im CCEO 1. Sacramentum (Sakrament; c. 667 ff. u. ö. CCEO). Der griechische Ausdruck dafür ist lust¶qiom98 „Geheimnis“. Auch in mehreren orientalischen Kirchen wird „Sakrament“ als „Geheimnis“ bezeichnet, aber mit eigenen Ausdrücken: syr. ra¯za¯ , arab. sirr, georg. saidumlo . Das kopt. °¤ª´ „Sakrament“ kommt vom entsprechenden Verb, das „segnen, preisen, danken“ bedeutet. Das armen. horhurd hat die allgemeine Bedeutung „Gedanke, Absicht, Rat“, wird speziell aber˘ auch für „Sakrament“ bzw. „Geheimnis“ verwandt. 2. Ordinatio (Weihe, c. 743 ff. CCEO). Der griechische Ausdruck dafür ist weiqotom¸a „Handauflegung“. Er erscheint im Orient als Fremdwort oder als Lehnübersetzung. Im Syrischen gibt es das Fremdwort k-¯ıro¯to¯nı¯ya o. ä. Üblicher ist aber ˙ die Lehnübersetzung sya¯m ¯ıda¯ „ Handauflegung“. Beides finden wir auch im Arab.: ¯ h¯ıru¯tu¯nı¯ya oder sˇartu¯nı¯ya u. ä. und siya¯mı¯d u. ä. oder abgekürzt siya¯ma oder isya¯m. ¯ ˘Im ˙Koptischen ist˙ das Verbum weiqotome?m gebräuchlich (koptisch-saidisch 93
Nuntia 4 (1977), S. 44, 52. So auch c. 284 Nr. 1 des Motu Proprio „Cleri sanctitati“. Nach Salachas, in: Nedungatt, A Guide, S. 507 soll „chrismation with holy myron“„traditional (liturgical and canonical)“ in „the Byzantine East“ sein. Das russische miropomazanie heißt einfach „Salbung mit Myron, Myronsalbung“. 95 Nuntia 15 (1982), S. 21. 96 Milasch, Kirchenrecht, S. 338 ff. 97 Joseph Hajjar, Le synode permanent, Rom 1962 (= Orientalia Christiana Analecta 164). 98 Milasch, Kirchenrecht, S. 447. 94
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¸|®ªpª¦r|), das Substantiv lautet koptisch-bohairisch99 ¸|®ªp¼¦|j o. ä. Verwendet für „Weihe“ wird koptisch-boharisch u. a. cˇinpho¯sˇ „Absonderung“, woraus das gleichbedeutende arab. qisma entstanden ist. Daneben gibt es im KoptischArabischen noch takrı¯z „Weihe“ von der Wurzel krz „verkünden, predigen“. ˘
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Äthiopisch: simät ed „Handauflegung“. Ebenso gebildet ist armen. dzernadrut iun und georg. helt dashmai oder helt debai, alles bedeutet „Handauflegung“. ˘ ˘ ˘ 3. Celebratio matrimonii (kirchliche Eheschließung; Überschrift vor c. 828 CCEO). Die Eheschließung im Orient besteht aus zwei Teilen, nämlich der „Verlobung“ und der „Trauung“. Der CCEO geht auf diese Gegebenheiten nicht ein und verwendet auch nicht die ostkirchlichen Begriffe. Aus der „Canonessynopse“ von Fürst ist auf den ersten Blick ersichtlich, daß die Vorschriften des CIC weitestgehend in den CCEO übernommen wurden.100 Auf die östlichen Traditionen wird kaum eingegangen.101 Der erste Akt der Eheschließung hat nichts mit der „Verlobung“ des c. 1062 CIC und des c. 782 CCEO zu tun und war ursprünglich kein bloßes Eheversprechen, aus dem nicht auf Abschluß der Ehe geklagt werden konnte, sondern bereits der Abschluß der Ehe und die Willenseinigung, während die „Trauung“ am Beginn des gemeinsamen Lebens stand, das erst später begann. Beides fand und findet unter kirchlicher Mitwirkung statt. Bei der „Verlobung“ werden die Ringe gesegnet102, bei der Trauung legt der Priester jedem der Eheleute eine Krone auf103. Die Praxis und die Rechtslage ist allerdings bei den orientalischen Kirchen sehr unterschiedlich,104 so daß es schwerfällt, eine für alle geltende Regelung zu treffen.105 Besonders hier zeigt sich die Problematik eines einheitlichen Gesetzbuches für alle Ostkirchen. Natürlich kann manches dem Partikularrecht überlassen bleiben, aber eigentlich sollte im CCEO doch die orientalische Tradition auch im Eherecht sichtbar werden und nicht hauptsächlich das lateinische Kirchenrecht wiederholt werden.
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Saidisch und Bohairisch sind koptischen Dialekte. Carl Gerold Fürst, Canonessynopse zum Codex Iuris Canonici und Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, Freiburg u. a. 1992, S. 67 – 73 bzw. S. 164 – 169. 101 Berücksichtigt wird zutreffend vor allem der „ordo sacer“, wonach ein Priester mitwirken und den Segen spenden muß (c. 828 § 2). 102 Westsyr. burra¯k- ezqa¯ta¯, ostsyr.: t ¯ınu¯t zaqta¯ „Segung der Ringe“; arab. aqd al-hutba ¯ ¯ ˙ ˘ ˙ „Abschluß der Verlobung“. ¯ 103 Griech. stev²myla „Krönung“, syr. burra¯k- klı¯le¯ (burra¯k-a¯ da-klı¯le¯) „Segnung der Kronen“; arab. iklı¯l „Krönung“; armen. psak „Krone“ (vom Priester aus: harsaneac psak dnel „die Krone der Ehe auflegen“). 104 Vgl. etwa die detaillierte Darstellung bei Acacius Coussa, Epitome praelectionum de iure ecclesiastico orientali, vol. III: De matriomonio, Rom 1950, S. 170 – 240, oder aus liturgiewissenschaftlicher Sicht: Alphonse Raes, Le mariage – sa célébration et sa spiritualité dans les Églises d’Orient, Chevetogne 1958. 105 Vgl. Jean Dauvillier/Carlo de Clercq, Le Mariage an droit canonique oriental, Paris 1936, S. 32 – 83. 100
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IV. Orientalische Begriffe, die im CCEO nicht vorkommen Einige typische orientalische Begriffe vermißt man im CCEO. 1. Catholicus (Katholikos). In verschiedenen östlichen Kirchen (Ostsyrer, Armenier, Georgier) ist der traditionelle Ausdruck für das kirchliche Oberhaupt „Katholikos“ (griech. jahokijºr, syr. qato¯liqa¯ , armen. katog˙ikosi, georg. katalikozi ). ˙ Er fehlt im CCEO, während er in „Cleri sanctitati“ noch vorkam.106 Da die obersten Hierarchen dieser Kirchen aber fast alle den Doppeltitel „Katholikos-Patriarch“ angenommen haben, wäre der „Katholikos“ im CCEO nur schwer unterzubringen.
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2. Chorepiscopus (Chorbischof). Dieser Klerikerstufe ist im Orient durchaus verbreitet: syr. ko¯repisqo¯pa¯ o. ä., arab. hu¯rufisqufus o. ä. (abgekürzt hu¯rı¯107), armen. ˘ ˘ k orepiskopos ; georg. horep(b)iskoposi oder k orebiskoposi . Bei den Kopten108 und ˘ Äthiopiern gab es das Amt wohl nicht. Armen.: k orepiskopos; georg.: hore˘ piskopozi oder k orepiskopozi . ˘
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Der Chorbischof erscheint im CCEO ebenfalls nicht. Angesichts seines sehr unterschiedlichen Inhalts in Vergangenheit und Gegenwart der betreffenden Kirchen wäre die Einbeziehung in das Gesetz wohl auch schwierig gewesen. 3. Der CCEO bezeichnet den Klostervorsteher als superior „Oberer“ (c, 441 – 447 u. ö.). Im Orient gibt es dafür aber andere Bezeichnungen. Eine der griechischen Bezeichnungen ist Hegumenus (Bco¼lemor), ein anderer Archimandrit (!qwilamdq¸tgr). Die Syrer bezeichnen den Abt als re¯sˇ daira¯ „Haupt des Klosters“. Die Kopten verwenden º´nª´¤r¦ª° (hygoumenos) für den Abt, der Ausdruck kann aber auch einen höheren Weltgeistlichen unterhalb des Bischofs meinen. In der arabischen Sprache der Kopten und Melkiten finden wir ig˙u¯manus u. ä. oder bei den Kopten – verkürzt – qummus . Archimandrit ist bei den Kopten in der ˙ griechischen Form belegt, außerdem arab. als arsˇ¯ımatrı¯t u . ä. , georg. als arkimandriti . Bei den Äthiopiern heißt der Klostervorsteher aläqa (Bedeutung ?) oder mämher „Lehrer“ u. a. Das Armenische verwendet eine Reihe von Ausdrücken, die hier nicht alle aufgeführt werden können.109 Ein georgischer Begriff für den Abt ist cinamdzvari, eigentlich „Anführer“, ein anderer mama-sahlisa „Hausvater“. ˘ 4. Archidiaconus (Archidiakon), griech. !qwidi²jym110, ursprünglich der Vorsteher der Diakone an einer Kirche. Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein verbreitetes Amt, das es in der lateinischen Kirche früher auch gab und dort zeitweise 106
In c. 335 § 1 wurde der Katholikos aber wenig sachgerecht dem Erzbischof gleichgestellt. In § 2 wurde sogar noch eine Regelung für den „Maphrian“ getroffen, den es nur in der westsyrischen Kirche gibt. 107 Was bei den Maroniten und Melkiten auch „Pfarrer“ meinen kann. 108 Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S.34. 109 Siehe Amaduni, Monachismo, S. 188 – 191. 110 Milasch, Kirchenrecht, S. 244, 338.
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große Bedeutung hatte. Bei den Kopten kommt es in der griechischen Form vor, daraus ist arab. arsˇ¯ıdiya¯kon geworden oder – in einer Kurzform – sˇidya¯q . Äthiop.: liqädiyakon „ältester Diakon“. Armen.: awag sarkavag „größerer, ältester Diakon“ oder nachasarkavag „erster Diakon“. Georg. arkediakoni oder mt avar-diakoni „Hauptdiakon“. 5. Hypodiaconus (Subdiakon), griech. rpodi²jomor111, ein Amt, das schon in der frühen Kirche bekannt war. Die orientalischen Formen lauten: syr. hupodiya¯qna¯ oder apo¯diya¯qo¯n, arab. abu¯diya¯qun u. ä. oder hufu¯diya¯qun u. ä.; kopt. º´¬ªp|j~¼¦ ¯ (hypodiako¯n); äthiop. n fkä diyaqon „halber Diakon“; armen. ke¯s sarkavag „halber Diakon”, georg. kerdzo-diakoni „Teildiakon“. e
6. Lector (im CIC gibt es ihn – neben dem Akolythen – noch als dauerndes Amt, aber nicht als niedere Weihestufe: c. 230, 1035), griech. !macm¾stgr. Auch der „Leser“ kommt schon in den alten kirchenrechtlichen Quellen vor. ˘
Syr. qa¯ro¯ya¯ von qra¯ „rufen, lesen“; kopt. j¦jn¦¼°²x°, arab. qa¯rı¯ , auch ana¯g˙nustus u. ä.; äthiop. anagn stis , armen. grakardac „Leser“; georg. cignis-mkit h˙ ˙ ˘ veli „Buchleser“. ˘
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V. Ergebnis Das Bild der orientalischen Rechtssprache ist sehr viel bunter, als es nach den Äußerungen über die angeblich einheitliche ostkirchliche Tradition den Anschein haben könnte. Den ostkirchlichen Traditionen entsprechen natürlich solche griechischen Begriffe im CCEO, die sich in allen Kirchen, also sowohl der lateinischen wie der griechischen und den orientalischen finden. Aber auch bei den Begriffen, die man an sich überall kennt, gibt es einzelne Kirchen, in denen eigene Ausdrücke gebräuchlicher sind. Selbst der Ausdruck „Patriarch“ wird nicht überall verwendet. Im übrigen ist auch dann, wenn die Begriffe in Quellen vorkommen, damit nicht schon gesagt, daß es das Amt oder die Institution in der betreffenden Kirche gibt (vgl. oben „Metropolit“). Die im CCEO verwendeten Ausdrücke geben also auch insoweit nicht unbedingt den Sprachgebrauch aller orientalischen Kirchen wieder, ganz abgesehen von der Frage, ob die rechtlichen Regelungen des CCEO mit denen der jeweiligen Kirchen inhaltlich übereinstimmen. Die Traditionen der Ostkirchen erscheinen auch dann noch gewahrt, wenn der CCEO bekannte griechische Ausdrücke enthält, die als Lehnübersetzungen in die Sprachen der orientalischen Kirchen übernommen wurden, jedenfalls dann, wenn die griechischen Wörter auch in lateinischer Form gebraucht werden (z. B. presbyter). Soweit letzteres nicht der Fall ist (z. B. protopresbyter), kann man sich aber schon fragen, ob hier nicht der byzantinischen Tradition ein Übergewicht zugemessen wird, das es wegen der gleichen Würde aller Kirchen nicht geben dürfte. 111
Milasch, Kirchenrecht, S. 242, 572.
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Die Auswahl der verwendeten Termini – seien es griechische oder lateinische – läßt kein klares Prinzip erkennen. Nach der Vorrede zum „Schema Canonum de Cultu Divino et praesertim de Sacramentis“ sollen die üblichen (lateinischen) Ausdrücke benutzt werden, mit Ausnahme derjenigen, die im Orient überall anders ausgedrückt werden, nicht aber diejenigen, welche nicht von allen orientalischen Christen verstanden werden. Dieses Prinzip ist aber nicht durchgehalten worden. Man hätte hierfür mit den Bänden der „Fonti“ der „Codificazione Canonica Orientale“, Serie I und II, reiches Material gehabt.112 Die Mühe, dem näher nachzugehen, hat man sich aber offenbar nicht gemacht, sondern sich an den Sprachgebrauch der überholten orientalischen Teilkodifikationen, also „Cleri sanctitati“ usw., gehalten. Einwände im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens wurden kurzerhand und mit teilweise fragwürdigen Begründungen abgetan. Ob z. B. die Wahl des Begriffs „Eparchie“ sehr glücklich ist, kann man bezweifeln. In den alten Quellen meint er nicht ein Bistum, sondern eine Kirchenprovinz. Bei den orientalischen Kirchen ist er nur zum Teil bekannt. Auch der griechische Begriff „syncellus“ wird nicht überall verstanden, die rechtliche Ausfüllung als „Bischofsvikar“ (c. 246 CCEO) ist ohnehin eine Neuerung, die mit der ursprünglichen Bedeutung nichts mehr zu tun hat. Gleiches gilt für den „protosyncellus“ (Generalvikar, c. 245 CCEO). Auf der anderen Seite wählte man lateinische Ausdrücke im CCEO, für die im Orient andere üblich sind. So wäre man mit „mysterium“ (statt „sacramentum“) und „impositio manuum“ (statt „ordinatio“) näher an der orientalischen Tradition. Man kann hier auch auf russisch tainstvo „Geheimnis, Sakrament“ und rukopolozˇenie „Handauflegung“ verweisen. Für Stundengebet wäre „Liturgia/officium horarum“ im Hinblick auf die orientalische Terminologie passender gewesen als „Laudes divinae“; auch das Russische hat cˇas „Stunde“. Angesichts des unterschiedlichen Sprachgebrauchs erscheint die Wahl des Ausdrucks „superior“ für den Klostervorsteher im CCEO dagegen vertretbar. Die niederen Kleriker (vor allem Subdiakon Lektor und Sänger) sind bei den Orientalen stark verbreitet.113 Im CCEO kommen sie nicht vor, sind aber auch nicht ausgeschlossen (vgl. c. 327 CCEO). Hier konnte man sich auf Kap. 17 des Ostkirchendekrets berufen: Quoad subdiaconatum vero et Ordines inferiores eorumque iura et obligationes, provideat Auctoritas legislativa uniuscuiusque Ecclesiae particularis.
Einige im christlichen Orient lebendige weitere Ämter tauchen im CCEO ebenfalls nicht auf (z. B. Chorbischof, Archidiakon). Man könnte hier den Eindruck haben, daß sie deshalb fehlen, weil der CIC sie nicht kennt. Natürlich können sie in 112 Die Erarbeitung dieser Bände in den 20er und 30er Jahren des 20. Jh. war trotzdem von Bedeutung. Ihr Wert besteht aber in erster Linie für die Kirchenrechtsgeschichte. 113 Schmelz, Kirchliche Amtsträger, S. 38 f.
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den orientalischen Partikularrechten verankert werden. Aber der CCEO sollte doch eigentlich ein Spiegel des ostkirchlichen Lebens sein. Insgesamt konnten die Verfasser des CCEO vielfach nicht über ihren lateinischen Schatten springen. Das gilt auch für die beteiligten Orientalen, die in aller Regel in ihrem Studium und in der Praxis lateinisches oder latinisiertes orientalisches Kirchenrecht verinnerlicht hatten. Bis zu den ostkirchenfreundlichen Enzykliken Papst Leos XIII. (1878 – 1903)114 ging man im Westen von einer „praestantia“, einer Vorzüglichkeit des römischen Ritus gegenüber den Riten der Ostkirchen aus.115 Dieses Überlegenheitsgefühl hat auf kirchenrechtlichem Gebiet offenbar fortbestanden. Die starken Anleihen beim CIC deuten darauf hin, daß die Verfasser des CCEO von einer „praestantia“ des lateinischen Kirchenrechts überzeugt waren.116 Das ist vielleicht nicht ganz unbegründet. Die Frage ist nur, ob diese Haltung den Vorstellungen der Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils117 und den Richtlinien für die Revision des Ostkirchenrechts entsprach. Allerdings hatte die Gesetzgebungskommission auch einen schweren Stand. Denn die Schaffung eines einheitlichen Gesetzbuches, das die Traditionen der Ostkirchen berücksichtigen, ja sogar zu den Überlieferungen der Väter zurückkehren sollte, außerdem ökumenischen Charakter haben, weiterhin pastoralen Bedürfnissen entsprechen und auch noch ein „aggiornamento“ bringen sollte, glich von vornherein der Quadratur des Kreises.
Literatur Amaduni, Garabed: Monachismo, Venedig 1940 (= Codificazione Canonica Orientale. Fonti, Serie II, fasc. XII). Burmester, O. H. E. Khs-: The Egyptian or Coptic Church, Kairo 1967. Clugnet, Léon: Dictionnaire grec-français des noms liturgiques en usage dans l’église grecque, Paris 1895. 114
Besonders „Orientalium dignitas“ (1894). Vgl. etwa Wilhelm de Vries, Rom und die Patriarchate des Ostens, Freiburg/München 1963, S. 211 – 222. 116 Bemerkenswert ist die zusammenfassende Beurteilung des CCEO von Schon, Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium und das authentische Recht im christlichen Orient, S. 432: „– Das authentische Recht der orientalischen Kirchen wurde übergangen; – Ausgangspunkt war auch nicht das in can 1 Nizäa umschriebene Recht; – die Kommission arbeitete statt dessen an einer Überarbeitung der vier Motu Proprio und der unveröffentlichten Teile des ,Codex Juris Canonici Orientalis‘.“ 117 Zitiert sei hier noch einmal das Ostkirchendekret des Zweiten Vatikanischen Konzils (Kap. 5): „Daher erklärt es [das Konzil) feierlich: Die Kirchen des Ostens wie auch des Westens haben das volle Recht und die Pflicht, sich jeweils nach ihren eigenen Grundsätzen zu richten, die sich durch ihr ehrwürdiges Alter empfehlen, den Gewohnheiten ihrer Gläubigen besser entsprechen und der Sorge um das Seelenheil angemessener sind.“ 115
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Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium – Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen. Lateinisch-deutsche Ausgabe, hrsg. von Libero Gerosa und Peter Krämer, Paderborn 2000. Coussa, Acacius: Epitome praelectionum de iure ecclesiastico orientali, vol. I, Grottaferrata 1948. ˘
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Dolidze, Isidore: Kart uli samart lis dzeglebi, tomi III: Saeklesio sak anonmdeblo dzeglebi (XI-XIX ss.), Tbilisi 1970. Fraenkel, Siegmund: Die aramäischen Fremdwörter im Arabischen, Leiden 1886. Graf, Georg: Verzeichnis arabischer kirchlicher Termini, 2. vermehrte Auflage, Louvain 1954 (= Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium, Subsidia 8). Jensen, Hans: Altarmenische Grammatik, Heidelberg 1959. Kokkaravalayil, Sunny: The Guidelines for the Revision of the Eastern Code: Their Impact on CCEO, Rom 2009 (= Kanonika 15). Milasch, Nikodemus: Das Kirchenrecht der morgenländischen Kirche, 2. Aufl., Mostar 1905. Nedungatt, George: A Guide to the Eastern Code. A Commentary on the Code of Canons of the Eastern Churches, Rom 2002 (= Kanonika 10). Nuntia, hrsg. von der Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici Orientalis Recognoscendo, 31 Nummern, Rom 1975 – 1990. ˘
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Qauhcˇisˇvili, Simon: Berdznul-kart uli dokumentirebuli leksik oni – Ekkgmº-ceoqciamº kenijº ˘ tgr Bufamtim¶r Peqiºdo, Band 2, Tbilisi 2003. Schmelz, Georg: Kirchliche Amtsträger im spätantiken Ägypten nach den Aussagen der griechischen und koptischen Papyri und Ostraka, München-Leipzig 2002 (= Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 13). Schon, Dietmar: Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium und das authentische Recht im christlichen Orient, Würzburg 1999 (= Das östliche Christentum, Neue Folge, Band 47). Statat der Syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien, hrsg. von Emanuel Aydin, Wien 1993 (deutsch, syrisch, arabisch). Zˇuzˇek, Ivan: Index analyticus Codicis Canonum Ecclesiarum Orientalium, Rom 1992 (= Kanonika 2). *** Daneben wurden die gängigen Lexika für die betreffenden christlich-orientalischen Sprachen sowie Textausgaben des orientalischen Kirchenrechts und orientalischer Liturgien benutzt.
Grundlegendes über die Rolle des Patriarchen im Orthodoxen Kirchenrecht,1 unter besonderer Berücksichtigung des Ökumenischen Patriarchen und des „Patriarchen des Westens“2 Anargyros Anapliotis
I. Einleitung Die Orthodoxe Kirche ist eine Gemeinschaft von vierzehn selbstständigen autokephalen Kirchen, welche durch den gemeinsamen Glauben, die gemeinsame Liturgie und das gemeinsame Kanonische Recht verbunden sind. Hauptcharakteristikum des Autokephaliesystems ist eine Bindung „nach außen“, d. h. eine Bindung mit der Gesamtorthodoxie, bei gleichzeitiger Selbstständigkeit „nach innen“. Jede dieser vierzehn Kirchen hat eine eigene Gesetzgebung (im Rahmen der Kanones), eine eigene Verwaltung und eine eigene Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit. Jede dieser Kirche besitzt ein eigenes Statut, welches die Angelegenheiten der inneren Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit regelt. An der Spitze jeder Kirche steht ein Synodalorgan, meistens eine Bischofssynode mit einem Vorsteher. Neun der vier-
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Dieser Aufsatz beinhaltet Forschungsergebnisse, die in einem gemeinsamen ökumenischen Hauptseminar mit dem Titel „Patriarch und Synode im katholischen und orthodoxen Kirchenrecht“ erarbeitet wurden. Das Seminar habe ich zusammen mit Prof. Pree im Sommersemester 2014 gehalten. 2 Jede autokephale orthodoxe Kirche besitzt zur Interpretation der Kanones eigene Editionen bzw. Übersetzungen sowie Kommentare in der jeweiligen Landessprache. Die klassische kommentierte Sammlung in griechischer Originalsprache ist: Nikodimos Hagiorites/ Agapios der Priestermönch, Pgd\kiom t/r mogt/r mg¹r t/r l_ar "c_ar jahokij/r ja· !postokij/r t_m aqhod|nym 9jjkgs_ar Etoi ûpamter oR Reqo· ja· he?oi Jam|mer t_m "c_ym ja· pameuv^lym )post|kym, t_m "c_ym oQjoulemij_m te ja· topij_m sum|dym ja· t_m jat± l]qor he_ym Pat]qym, Athen 91982 (1. Auflage Leipzig 1800). Englische Übersetzung dieser Sammlung: John Nikolaides, The Rudder (Pedalion) of the Metamorphical Ship of the one Holy Catholic and Apostolic Church of the Orthodox Christians or all the Sacred and Divine Canons, Chicago 1957.
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zehn Kirchen sind als Patriarchate organisiert und ihr Vorsteher trägt den Titel eines Patriarchen.3 Den anderen fünf Kirchen steht ein Erzbischof vor. Schon im Jahr 1868 schrieb der bekannte rumänische Kanonist Andrei Saguna in seinem Compendium: „Die Patriarchate sind, gleich den anderen sozialen Theilen der Kirche, voneinander unabhängig, somit koordiniert und gleichberechtigt. Der Unterschied, welcher zwischen ihnen besteht, ist die Reihenfolge der Stühle, das heißt, ihrer Ehrensitze auf der Synode; den kirchlichen Satzungen nach gebührt der erste Sitz dem Patriarchen von Konstantinopel, der zweite jenem von Alexandrien, der dritte dem von Antiochien, der vierte endlich dem von Jerusalem. So lange der römische Patriarchat mit den anderen eins war, gebührte der erste Platz dem Patriarchen von Rom, und dann folgten die anderen in der obigen Reihenfolge.“4
Die kanonische Basis für die Beziehungen zwischen dem Patriarchen und der Synode bilden die Kanones 34 der Apostel und 9 von Antiochien. Nach dem Wortlaut des Kanons 34 der Apostel sollen „die Bischöfe eines jeden Volkes (5hmor) den Ersten unter sich anerkennen und ihn als Haupt (jevak^m) ansehen; sie sollen ohne seine Meinung nichts Außergewöhnliches tun; ein jeder aber soll nur das tun, was sich auf sein Bistum (paqoij¸a) und die Gemeinden dort bezieht. Aber auch jener (der Erste) soll nicht ohne die Meinung aller etwas tun. Denn nur so wird Eintracht herrschen und Gott durch den Herrn im Heiligen Geiste verherrlicht.“ Parallele Vorschrift mit fast gleichem Wortlaut ist die Regelung des Kanons 9 von Antiochien: „Die Bischöfe einer jeden Eparchie sollen den in der Metropolie vorstehenden Bischof anerkennen […]. Deshalb scheint uns, dass er in der Ehre einen Vorrang hat und die anderen Bischöfe nichts mehr ohne ihn tun, entsprechend dem alten Kanon, der in der Zeit unserer Väter galt, außer nur solche Dinge, die ausschließlich ihre eigenen Diözesen und Bezirken betreffen. Jeder Bischof hat Autorität über seine eigene Diözese und verwaltet sie mit der notwendigen Frömmigkeit. Ihm obliegt die Vorsorge für den ganzen Bezirk, der von seiner Stadt abhängig ist. Er kann Presbyter und Diakone ordinieren; und soll alles mit gerechtem Urteil erledigen. Aber lassen Sie ihn nichts weiter ohne den Bischof von der Metropole unternehmen; und der Metropolit darf nichts ohne die Zustimmung der anderen unternehmen.“
Diesen Kanones zu Folge kommen dem Patriarchen in seinem Amt als Vorsitzender einer autokephalen Kirche besondere Rechte zu. Er ist der Vorsteher der Patriarchatssynode, wobei er sein Amt als ein primus inter pares ausübt, d. h. er ist nicht mit dem Papst in seiner Stellung als Oberhaupt der Katholischen Kirche vergleichbar. 3 Zur Frage der spezifischen Stellung der Patriarchate unter den Autokephalen Kirchen vgl. hierzu R. Potz/E. Synek, Orthodoxes Kirchenrecht. Eine Einführung, Freistadt 2014. Dort sind weitere Literaturhinweise angegeben: S. 443 – 445. 4 A. Schaguna, Compendium des kanonischen Rechtes der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche, aus dem Rumänischen übersetzt von Dr. Alois Senk, Hermannstadt 1868, S. 224. Zur Kollegialität und zum Gleichheitsprinzip der orthodoxen autokephalen Kirchen vgl. u. a. Th. Nikolaou, Die Orthodoxe Kirche im Spannungsfeld von Kultur, Nation und Religion (= VIOTh 8), St. Ottilien 2005, S. 70 f.
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II. Die Aufgaben eines Patriarchen innerhalb des Autokephaliesystems Jede autokephale Kirche wird synodal verwaltet; alle Angelegenheiten obliegen dem obersten synodalen Leitungsorgan. Nach dem Text von Ravenna5, der den Kanon 34 der Apostel zitiert, beinhaltet auf regionaler Ebene „eine Synode (oder ein Konzil) als solche(s) die Teilnahme aller Bischöfe einer Region. Sie wird geleitet vom Prinzip des Konsenses und der Eintracht (homonoia), was durch die eucharistische Konzelebration angedeutet wird, wie in der Schlussdoxologie des oben erwähnten Apostolischen Canon 34 mit einbegriffen ist. Es bleibt jedoch die Tatsache, dass jeder Bischof in seiner pastoralen Sorge Richter ist und vor Gott für die Angelegenheiten seiner eigenen Diözese verantwortlich ist (vgl. Cyprian, Ep. 55, 21); so ist er Hüter der Katholizität seiner Ortskirche und muss immer besorgt sein, die katholische Communio mit anderen Kirchen zu fördern. Daraus folgt, dass eine Regionalsynode oder ein Konzil keine Autorität über andere kirchliche Regionen hat. Nichtsdestoweniger sind der Informationsaustausch und Beratungen zwischen den Vertretern mehrerer Synoden eine Manifestation sowohl der Katholizität wie auch jenes gegenseitigen brüderlichen Beistands und jener Liebe, die die Regel zwischen allen Ortskirchen zum größeren gemeinsamen Nutzen sein sollte. Jeder Bischof ist verantwortlich für die ganze Kirche zusammen mit all seinen Kollegen in ein und derselben apostolischen Sendung“. Im Rahmen dieses Synodalsystems ist ein Patriarch ein Vorsteher einer orthodoxen autokephalen Lokalkirche. Im Patriarchat, das ein durch die gesamte Kirche bestimmtes Territorium bezeichnet, genießt der Patriarch einen Ehrenvorrang unter den Metropoliten, Erzbischöfen und Bischöfen sowie einen Vorrang in der Jurisdiktion im Gebiet dieses Territoriums. Innerhalb der Synode hat der Patriarch die gleichen Rechte wie die anderen Bischöfe6. Dem Patriarchen als Vorsteher einer lokalen autokephalen Kirche kommen jedoch zusätzlich folgende Ehrenrechte zu: Die Patriarchen genießen ein Visitationsrecht, das ihnen ermöglicht, jederzeit Eparchien und Metropolien ihres Patriarchates zu besuchen. Der Patriarch hat eine Re5 Dieses Dokument mit dem Thema „Die ekklesiologischen und kanonischen Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche. Kirchliche Communio, Synodalität und Autorität“ wurde im September 2006 während der 10. Generalversammlung der gemischten theologischen Dialogskommission der Orthodoxen und der Römisch-katholischen Kirche, die sich zwischen dem 8. und 14. Oktober 2007 in Ravenna Italien zusammengefunden hat, bestätigt. Vgl. G. Martzelos, Einheit und Katholizität der Kirche im theologischen Dialog zwischen der Orthodoxen und der Römisch-katholischen Kirche auf der Basis der Dokumente von München (1980), Bari (1987), Neu Valamo (1988) und Ravenna (2007), in: Orthodoxes Forum 23 (2009), S. 48 – 51. Die russische Kirche war nicht anwesend und hat ihre Unterschrift wegen Bedenken bezüglich der Frage der Autorität auf universeller Ebene nachträglich offiziell verweigert. 6 Vgl. auch Nikolaou, Die Orthodoxe Kirche im Spannungsfeld (Anm. 4), S. 70: Das Verhältnis eines Patriarchen zu den anderen Bischöfen, Erzbischöfen und Metropoliten „ist horizontal und nicht vertikal. Sein Primat kann darum nur ein Primat der Ehre unter den Bischöfen dieser Region sein“.
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präsentationsfunktion sowohl nach innen als auch nach außen, was sich zum einen in der Verleihung gesamtkirchlicher Auszeichnungen für Kleriker und Laien, zum anderen in den Beziehungen zu den orthodoxen Schwesterkirchen widerspiegelt. Darüber hinaus ist der Patriarch der Vertreter seiner Kirche gegenüber dem Staat und allen öffentlichen und internationalen Körperschaften und Institutionen sowie gegenüber lokalen Autoritäten und lokalen Gerichten. Auch im Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen ist der Patriarch ex officio Repräsentant seines Patriarchates. Im Rahmen seiner pastoralen Verantwortung für alle Kleriker und Laien innerhalb der eigenen autokephalen Kirche richtet er, im Einvernehmen mit der jeweiligen Bischofsynode, Pastoralschreiben an die ganze lokale Kirche. Entsprechend den Kanones 9 und 17 des IV. Ökumenischen Konzils ist der Patriarch nicht nur Mitglied, sondern als primus inter pares auch Vorsteher der Synode, dem gewisse Befugnisse zukommen. In dieser Funktion beruft der Patriarch die kirchlichen Entscheidungsgremien in ordentlichen Sitzungen ein und überwacht die Ausführung derer Beschlüsse. Es obliegt ihm, in Fällen besonderer Dringlichkeit die Bischofssynode des Patriarchates und andere Synodalorgane des Patriarchates in außerordentliche Sitzungen einzuberufen.7 Der Patriarch bestimmt in den Synoden das Strafmaß für Bischöfe, die sich eines Deliktes schuldig gemacht haben8 und bestätigt die Oberhäupter der Autonomen Kirchen (sofern dieses Recht nicht nur dem Ökumenischen Patriarchen zufällt). Überdies hat der Patriarch im liturgischen Bereich ein Recht auf die Kommemoration seines Namens von den untergeordneten Metropoliten, Bischöfen und Erzbischöfen. Darüber hinaus steht ihm das Recht auf die Gründung von stavropegialen Klöstern zu, wodurch ein Kloster auch in einer anderen Eparchie dem Patriarchen direkt untergeordnet wird.9 Der Patriarch ist verantwortlich für die Organisation der Wahl, der Weihe und der Inthronisation neuer Diözesanbischöfe10, für das Erlassen der Patriarchalurkunden sowohl zur Amtseinführung von Metropoliten und Bischöfen als auch zur Proklamation der Gründungen von Eparchien auf Grundlage der Entscheidungen der Patriarchalsynode. Im Falle der Vakanz einzelner Bischofsstühle obliegt es ihm, Vakanzvertreter zu bestimmen. Einzelne Patriarchate, mehrheitlich die erst im 2. Jahrtausend 7 Z. B. für die Wahl eines neuen Bischofs (Kanones I. Ökum. 4, Antioch 19, Karth 13). Vgl. A. Anapliotis, Primus und Synode in den Statuten der Orthodoxen Kirche am Beispiel des Ökumenischen und des Moskauer Patriarchats, in: C. Böttigheimer/J. Hofmann (Hrsg.), Autorität und Synodalität. Eine interdisziplinäre und interkonfessionelle Umschau nach ökumenischen Chancen und ekklesiologischen Desideraten, Frankfurt a. M. 2008, S. 275 – 296, hier S. 280. 8 N. Milasch, Das Kirchenrecht der morgenländischen Kirche, 2. u. verbesserte Aufl., übers. v. A. Pessiæ, Mostar 1905, S. 327. 9 A. Anapliotis, Patriarch, in: A. F. v. Campenhausen u. a. (Hrsg.), Lexikon für Staatskirchenrecht, Bd. 3, Paderborn u. a. 2004, S. 172 – 174. Zu stavropegialen Klöster vgl. N. Milasch, Das Kirchenrecht (Anm. 8), S. 672 f. 10 Vgl. I. Ökum. 4, Antioch 19, Karth 13, S. 49.
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konstituierten, proklamieren für sich das Recht der Vorbereitung und Weihe des Heiligen Salböls (Myron), was bis heute strittig ist. In der Gerichtsbarkeit stellt der Patriarch eine Appellationsinstanz dar und besitzt ein Recht auf Intervention in anderen Eparchien oder Metropolien mit dem Zwecke der Wiederherstellung der kanonischen und administrativen Ordnung. Der Patriarch schlägt der Patriarchalsynode Kandidaten für die Patriarchats-Vikarbischöfe vor und steht der Wahl vor.
III. Die Wahl der Patriarchen nach den Statuten der jeweiligen autokephalen Kirchen In die Befugnis der Patriarchalsynoden, die in den einzelnen orthodoxen Kirchen verschieden zusammengesetzt sind, fallen alle zur Verwaltung eines Patriarchates notwendigen Angelegenheiten. Das betrifft vorrangig die Wahl des Patriarchen, die ordnungsgemäße Besetzung der Bischofssitze,11 die Gründung neuer Bistümer, die Ausübung der Gerichtsbarkeit und das Korrektivverfahren. Zwischen den verschiedenen Patriarchaten besteht der Grundsatz der Nichteinmischung.12 In den verschiedenen orthodoxen autokephalen Kirchen wird die Wahl des Patriarchen unterschiedlich in dem jeweiligen Statut geregelt. Die Statutsregelungen entsprechen den historischen Entwicklungen in der jeweiligen Region und weichen deutlich voneinander ab. Im Folgenden wird die Wahl des Patriarchen exemplarisch im Ökumenischen Patriarchat, in der russischen, der rumänischen und der serbischen Kirche dargestellt. Es soll klargestellt werden, dass sowohl die Teilnahme von Nichtbischöfen und in manchen Fällen von Laien13 als auch die „Breite“ der bischöflichen Teilnahme in den Wahlorganen recht unterschiedlich ist und sich das Prinzip der Pluralität, welches im orthodoxen Kirchenrecht herrscht, widerspiegelt.
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Vgl. I. Ökum. 4. (Anm. 10). Vgl. Anapliotis, Patriarch (Anm. 9), S. 172 f. Vgl. H. M. Biedermann, Die Modernen Autokephalien, in: Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen (Hrsg.), Die Kirche und die Kirchen. Autonomie und Autokephalie. 1. Teil (Kanon 4), Wien 1980, S. 72 f.: „Zum Wesen der autokephalen Kirche [gehört] die selbständige und unabhängige Leitung in geistlichen und jurisdiktioneller Hinsicht gegenüber jener anderen Kirche.“ 13 Zur Teilnahme der Laien an der Wahl der Hierarchen in den einzelnen orthodoxen Kirchen vgl. ausführlich A. Anapliotis, Die Teilnahme der Laien an der Kirchenverwaltung der Orthodoxen Kirche am Beispiel des russischen, rumänischen und serbischen Patriarchates, in: W. Rees/J. Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen, Freiburg im Breisgau 2014, S. 230 – 245. Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. L. Stan, Die Laien in der Kirche. Eine historisch-kirchenrechtliche Studie zur Beteiligung der Laien an der Ausübung der Kirchengewalt. Aus dem Rumänischen übersetzt von Hermann Pitters. Herausgegeben von Stefan Tobler, Würzburg 2011. 12
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1. Die Wahl des Patriarchen im Ökumenischen Patriarchat Die „Heilige Synode des Ökumenischen Patriarchats“ ist das Oberste Verwaltungsorgan des Ökumenischen Patriarchats. Sie wird unter dem Vorsitz des Patriarchen aus zwölf Mitgliedern gebildet – aus sechs Bischöfen mit Sitz in der türkischen Republik und aus sechs Bischöfen mit Sitz im Ausland. Stellvertreter des Patriarchen und damit Vorsitzender der Synode als Wahlorgan ist der dienstälteste Bischof. Die Amtszeit der Mitglieder beträgt ein Jahr und wird dann jedes Jahr wechselnd neu besetzt. In der Regel treten im Oktober eines jeden Jahres die Bischöfe mit Sitz in der türkischen Republik und im März die Bischöfe mit Sitz im Ausland ihr Amt an. Im Fall der Wahl des Patriarchen tritt die Heilige Synode als „Endemische Synode des Ökumenischen Patriarchates“ zusammen, d. h. alle amtierenden, sich in Konstantinopel befindenden Metropoliten nehmen, zusätzlich zu den sich in der Heiligen Synode befindlichen Metropoliten, an dieser sog. „Endemischen Synode“ teil. Wählbar sind nur die Metropoliten des Patriarchates mit türkischer Staatsbürgerschaft.14 2. Die Wahl des Patriarchen in der Russisch Orthodoxen Kirche Der Patriarch wird auf Grundlage des Statuts der ROK aus dem Jahre 2000 gewählt, das unter anderem 2008 und 2011 ergänzt und 2013 als eine berichtigte Fassung durch das Bischofskonzil verabschiedet wurde.15 Gewählt wird der Patriarch von Russland und ganz Moskau durch das Landeskonzil, das als höchstes Wahlorgan der ROK für das Amt des Patriarchen in Erscheinung tritt.16 Beim Ableben oder Rücktritt des Patriarchen wird das Landeskonzil vom Bischofskonzil einberufen.17 Der Vorsitzende des Landeskonzils ist in diesem Fall der Stellvertreter des Patriar-
14 Vgl. Anapliotis, Primus und Synode (Anm. 7), S. 277, und Spyros Troianos/Vassiliki Leontaritou, Oqc\mysg tym Ejjkgsi~m jai diehme_r sw]seir, Athen-Komotini 1997, S. 50. Auf diese Weise wurde im Oktober 1991 der Metropolit von Chalkedon, Bartholomaios, zum Erzbischof von Konstantinopel, Neu-Rom und Ökumenischen Patriarchen gewählt. 15 Als Quelle dient der russische Originaltext des Statuts in der Fassung vom 5. Februar 2013: http://www.patriarchia.ru/db/document/133114/ [Stand: 01. 06. 2014]. 16 Vgl. Kapitel II. § 1 Statut der ROK. Vgl. hierzu T. Bremer, Kreuz und Kreml, Freiburg/ Basel/Wien 2007, S. 108. Patriarch Tichon war der erste, der auf diese Weise von einem Landeskonzil 1917 gewählt wurde. Nach der Wende und dem Fall der Sowjetunion 1990 wurde 1990 Metropolit Aleksij von Leningrad und Novgorod zum neuen Patriarchen gewählt (vgl. K. Behrens, Die Russische Orthodoxe Kirche: Segen für die „Neuen Zaren“?; Religion und Politik im postsowjetischen Russland [1991 – 2000], Paderborn u. a. 2002, S. 48 f. und S. 101). Im Januar 2009 wurde der amtierende Patriarch Kyrill von Moskau und ganz Russland auf diese Weise in das Amt gewählt. 17 Vgl. Kapitel II. § 2 Statut ROK. Das Bischofskonzil besteht aus allen Diözesan- und Vikarbischöfen. Zur Geschichte der Diözesanstruktur vgl. Coelestin Patock, Die Eparchien der Russischen Orthodoxen Kirche und die Reihenfolge ihrer Hierarchen in der Zeit von 1885 – 2000 (= Beiheft zur Reihe Das Östliche Christentum 1), Würzburg 2000.
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chen, der Locum tenens.18 Die Konzilssitzungen leitet das Präsidium, das aus dem Vorsitzenden (dem Patriarchen von Moskau und ganz Russland oder dem Locum tenens) und zwölf Mitgliedern im Rang von Bischöfen besteht.19 Das Landeskonzil als Höchstorgan der Kirche setzt sich aus Laien und Klerikern zusammen. Konkret ist die Zusammensetzung nach Maßgabe der Satzung über die Zusammensetzung des Landeskonzils organisiert, die vom Bischofskonzil zu bestätigen ist. Ordentliche Teilnehmer sind ex officio alle Bischöfe der ROK. Auf Ebene der Diözesanversammlung werden Vertreter des Klerus, Vertreter des Mönchtums und der Nonnen sowie Laien gewählt, die dann als ordentliche Teilnehmer auf das Landeskonzil gesandt werden.20 Die Wahl des Patriarchen erfolgt auf dem Landeskonzil gemäß der „Satzung über die Wahl des Patriarchen von Moskau und ganz Russland“. Das Bischofskonzil bestätigt die Satzung ebenso wie Änderungen und Ergänzungen an dieser.21 Beschlussfähig ist das Landeskonzil, wenn 2/3 der gesamten Konzilsmitglieder anwesend sind und gleichzeitig 2/3 der Bischöfe aus der gesamten Zahl der Hierarchen.22 Konzilsbeschlüsse werden durch Stimmenmehrheit beschlossen. Ausgenommen sind jene Fälle, die in der Geschäftsordnung des Konzils genannt sind. Bei Stimmengleichheit in einer offenen Abstimmung gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Bei Stimmengleichheit in einer geheimen Abstimmung wird die Abstimmung wiederholt.23 Wenn irgendein Beschluss des Landeskonzils oder ein Teil eines Beschlusses von der Mehrheit der anwesenden Bischöfe abgelehnt wird, wird er wiederholt vom Konzil geprüft. Wenn er auch danach von der Mehrheit der auf dem Landeskonzil anwesenden Bischöfe abgelehnt wird, verliert er seine Geltung als Konzilsbeschluss.24 18
Vgl. Kapitel II. § 6 Statut ROK. Vgl. Kapitel II. § 9 Statut ROK. 20 Vgl. Kapitel II. § 3 und Kapitel XV. § 38 a Statut der ROK. Vgl. Anapliotis, Teilnahme der Laien (Anm. 13), S. 236 ff. 21 Vgl. Kapitel II. § 5. c) Statut der ROK. Vgl. auch die Gliederung des Statuts in: Potz/ Synek, Orthodoxes Kirchenrecht (Anm. 3), S. 136 ff. 22 Vgl. Kapitel II. § 7 Statut der ROK. Im letzten Landeskonzil zur Patriarchenwahl nahmen drei Delegierte aus jeder Diözese, davon ein Kleriker, einer aus dem Mönchsstand und ein Laie teil. Mitglieder des Landeskonzils waren außerdem die Leiter der wichtigsten Kommissionen und Abteilungen des Patriarchates (wie z. B. Missionsabteilung, Abteilung für die Zusammenarbeit mit den Streitkräften, Jugendabteilung usw.), die Rektoren der Geistlichen Akademien und der Orthodoxen Geisteswissenschaftlichen Sankt-Tichon Universität, 5 Delegierte aus den Seminaren, die von der Rektorenkonferenz gewählt wurden, die Äbte der direkt dem Patriarchen unterstehenden Männerklöster und jeweils vier Delegierte aus den Frauenklöstern, die dem Patriarchen unterstellt sind und die von der Versammlung der Vorsteherinnen dieser Klöster gewählt wurden und die Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung des Landeskonzils der Russischen Orthodoxen Kirche. 23 Vgl. Kapitel II § 17 Statut der ROK. 24 Vgl. Kapitel II. § 13 Statut der ROK. Diese Vorschrift entspricht der Ordnung des Landeskonzils, das nach der Wiederherstellung des Patriarchates im Jahre 1917/18 getagt hat. Vgl. 19
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3. Wahl des Patriarchen in der Serbischen Orthodoxen Kirche Grundlage für die Wahl des Patriarchen bildet die Verfassung der Serbisch Orthodoxen Kirche aus dem Jahre 1957, die in den Jahren zwischen 1957 bis 1970 und des Weiteren 1985 durch das Hl. Bischofskonzil ergänzt und erweitert wurde. Das Hl. Bischofskonzil in der SOK wird aus allen Diözesanbischöfen unter dem Vorsitz des Patriarchen gebildet.25 Das Hl. Bischofskonzil ist in der SOK das rechtmäßige Wahlorgan für das Amt des Patriarchen. Bei der Wahl des Patriarchen wird das Konzil durch alle aktiven Vikarbischöfe der SOK als ordentliche Teilnehmer ergänzt.26 Die Wahl des Patriarchen erfolgt spätestens drei Monate nach Vakanz des Patriarchenthrones.27 Gewählt werden können nur jene Bischöfe der SOK, die seit mindestens fünf Jahren eine Diözese verwalten.28 An der Sitzung des Hl. Bischofskonzils, in der der Patriarch gewählt wird, haben mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Bischofskonzils anwesend zu sein.29 Den Vorsitz führt der der Weihe nach älteste Bischof.30 Bischöfe, die abwesend sind, können andere Diözesanbischöfe bevollmächtigen, stellvertretend für sie die Stimme abzugeben. Ein Bischof darf bei der Wahl insgesamt nur zwei Stimmen abgeben; das heißt, dass er lediglich als Stellvertreter für einen anderen Bischof agieren kann. Die Abstimmung zur Wahl des Patriarchen erfolgt geheim. Aus der Zahl aller Kandidaten werden mit absoluter Mehrheit drei hierzu die Ordnung des Landeskonzils von 1917/18, Allgemeine Grundsätze, Art. 10. Abgedruckt in: G. Schulz, Das Landeskonzil der Orthodoxen Kirche in Russland 1917/18 – ein unbekanntes Reformpotential, Göttingen 1995, hier S. 48. Allgemein zu den Beschlüssen des Konzil von 1917/18, was die Einführung des Landeskonzils als Leitungsorgan der ROK betrifft vgl. hierzu P. Hauptmann/G. Stricker (Hrsg.), Die Orthodoxe Kirche in Russland. Dokumente ihrer Geschichte (860 – 1980), Göttingen 1988, hier S. 213. 25 Vgl. Art. 56 Statut der SOK. Zur Rolle des Patriarchen in der Serbisch Orthodoxen Kirche vgl. V. Pospishil, Der Patriarch in der Serbisch-Orthodoxen Kirche, Wien 1966. Im Unterschied zur russischen Kirche nehmen kaum Laien an der Zentralorganisation der SOK und an der Wahl der Patriarchen teil. Zur geschichtliche Entwicklung der Rolle der Laien in Serbien s. u. a. T. Bremer, Ekklesiale Struktur und Ekklesiologie in der Serbischen Orthodoxen Kirche im 19. und im 20. Jahrhundert, Würzburg 1982, S. 27, S. 48 ff. und S. 91 ff. 26 Vgl. Art. 42 Statut der SOK in der ergänzten Fassung vom 26. November 1985. 27 Vgl. Art. 45 Statut der SOK. Troianos/Leontaritou, Oqc\mysg tym Ejjkgsi~m (Anm. 14), S. 79. 28 Vgl. Art. 42 Statut der SOK in der ergänzten Fassung vom 26. November 1985. 29 Vgl. Art. 47 Statut der SOK. An der Wahl des Patriarchen nehmen alle kanonischen Bischöfe aus dem Patriarchat des ehemaligen Jugoslawien teil (das schließt auch die Bischöfe aus den Ländern wie Montenegro, FYROM etc. und generell alle auch außerhalb Serbiens residierenden Bischöfe ein). Kanonisch gesehen gehören alle diese Gebiete immer noch in die Jurisdiktion des Patriarchates von Serbien. Vgl. A. Anapliotis, Jurisdiktion und Gerichtsbarkeit des Patriarchates von Serbien nach dem Zerfall Jugoslawiens, in: Orthodoxes Forum 25 (2011), S. 17. 30 Vgl. Art. 46 Statut der SOK.
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Kandidaten ausgewählt. Der Patriarch wird dann per Losverfahren aus den drei zuvor gewählten Kandidaten bestimmt.31 4. Die Wahl des Patriarchen in der Rumänischen Orthodoxen Kirche Das „Organisations- und Funktionsstatut der Rumänisch Orthodoxen Kirche“ wurde am 28. November 2007 durch den Heiligen Synod beschlossen und in Kraft gesetzt.32 Das Statut gilt seitdem unter Berücksichtigung aller seit 2007 beschlossenen Änderungen und Ergänzungen.33 Der Heilige Synod der Rumänischen Orthodoxen Kirche bildet das rechtmäßige Wahlorgan für das Amt des Patriarchen34 und setzt sich aus dem Patriarchen und allen amtierenden Metropoliten, Diözesanerzbischöfen, Diözesanbischöfen, Vikarbischöfen des Patriarchats und Vikarbischöfen der Eparchien im Inland und im Ausland zusammen. Die Leitung der Heiligen Synode bei der Wahl des Patriarchen ist dem Metropoliten der Moldau und Bukowina, dem Metropoliten von Siebenbürgen, dem Metropoliten von Klausenburg, Alba, dem Kreisgebiet und der Marmarosch, dem Metropoliten von Oltenien, dem Metropoliten des Banats sowie den anderen Metropoliten, Erzbischöfen oder Bischöfen anvertraut gemäß der kanonischen Ordnung der Bistümer des Rumänischen Patriarchats nach den Diptychen.35 Beschlussfähig ist die Synode, wenn fünfzig Prozent plus Eins der stimmberechtigten Mitglieder anwesend sind. Gewählt wird der Patriarch auf dem Heiligen Synod mit Zweidrittelmehrheit aller gültigen Stimmen.36
31 Vgl. Art. 43 Statut der SOK in der ergänzten Fassung vom 26. November 1985. Im Januar 2010 wurde entsprechend dem Statut Bischof Irinej von Nis zum Metropoliten von Belgrad und Karlovci, Erzbischof von Pec und Patriarch von Serbien gewählt. 32 Statut für die Organisation und für die Tätigkeit der Rumänischen Orthodoxen Kirche, genehmigt von der Hl. Synode durch die Entscheidung 476828, November 2007, bestätigt durch die Regierung Rumäniens durch HG 53/16, Januar 2008. Veröffentlicht in: „Monitorul Oficial“ (Amtliches Blatt) Nr. 50/22. Januar 2008, Art. 5. 33 Vgl. ausführlicher J. Henckel/A. Anapliotis (Hrsg.), Kirchenstatut der Rumänischen Orthodoxen Kirche (2011), Hermannstadt 2012, S. 43 und Paul Brusanowski, Rumänischorthodoxe Kirchenordnungen (1786 – 2008). Siebenbürgen – Bukovina – Rumänien, Wien 2011, S. 481 ff. 34 Vgl. Kapitel I, Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 Ziff. m Statut der RumOK. Zur Geschichte vgl. hierzu M. Tritos, Oi patqi\qwer t/r iqhod|nou 9jjkgs_ar t/r Qoulam_ar, Athen 2004; Brusanowski, Rumänisch-orthodoxe Kirchenordnungen (Anm. 33). Am 12. September 2007 wurde der Erzbischof Daniel von Ias¸i und Metropolit von Moldau und Bukowina zum Erzbischof von Bukarest, Metropolit der Ungaro-Walachei und Patriarch von ganz Rumänien gewählt und am 30. September inthronisiert. 35 Vgl. Kapitel I, Art. 12 Abs. 2 Statut RumOK. 36 Vgl. Kapitel I, Art. 14 Abs. 1 Ziff. m Statut der RumOK.
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IV. Die besondere Rolle und Funktion des Ökumenischen Patriarchen als primus inter pares Einem jeden protos oder kephale wurden auf den entsprechenden kirchlichen Ebenen bestimmte Vorrechte zuerkannt. Dies geschah im Osten wie im Wesen bis zum 9. Jh. jedoch immer auch im Kontext der Konziliarität und entsprechend den Bedingungen der Zeit. Auf regionaler Ebene besaß der protos einer jeden Metropolie Vorrechte in Bezug auf die Bischöfe seiner Provinz, und selbiges galt für die fünf Patriarchate im Hinblick auf die Metropoliten innerhalb der betreffenden Gebiete. Auf Ebene der universalen Kirche wurde der Bischof von Rom als protos unter den Patriarchen anerkannt. Die sakramentale Gleichheit aller Bischöfe sowie die Katholizität einer jeden Ortskirche ist dabei jedoch nie in Frage gestellt worden.37 Die Gemeinschaft der Kirchen kann man damit als polyzentrisch bezeichnen, d. h. es handelt sich hier um eine Gemeinschaft mit vielen gleichwertigen Zentren, die eine zentralistische Verwaltung ausschließen.38 Die selbstständigen Kirchen haben innerhalb dieser Gemeinschaft eine Rangordnung, welche die Gleichwertigkeit nicht beeinträchtigt und in den Diptychen festgehalten ist.39 Diese kanonische taxis fand in der ungeteilten Kirche allgemeine Anerkennung. Übereinstimmung herrschte auch in jenem Punkt, dass die Kirche von Rom, die nach den Worten des hl. Ignatius von Antiochien (An die Römer, Prolog) „in Liebe vorsteht“, die erste Stelle in der taxis einnahm und somit der Bischof von Rom als protos unter den Patriarchen gegolten hat.40 Seit dem großen Schisma von 1054, aber insbesondere durch die Entfremdung zwischen Ost und West41 durch die Kreuzzüge, übernimmt die Rolle des Ersten der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel als „pq_tor t0 t\nei“ Bischof und Patriarch der Orthodoxie. Der Patriarch von Konstantinopel ist der Erste unter Gleichen (primus inter pares) und nimmt als Koordinationsorgan der Gesamtorthodoxie bestimmte panorthodoxe Dienstaufgaben und Rechte wahr.42 Ich beschränke mich hier auf seine wichtigsten panorthodoxen Aufgaben: 37 Vgl. http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/ch_orthodox_docs/ rc _pc_chrstuni_doc_20071013_documento-ravenna_ge.html [Stand: 07. 05. 2015]. 38 Vgl. G. Larentzakis, Die Strukturen der orthodoxen Kirche und das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel. Seine gesamtorthodoxen Aufgaben, in: Una Sancta 63 (3/2008), S. 207 – 224, hier S. 207 f. 39 „Das Diptychon ist ein Verzeichnis derer, die im Großen Fürbittgebet während der Liturgie erwähnt werden, was als Ausdruck der bestehenden Kirchengemeinschaft gilt.“ J. Oeldemann, Die Kirchen des christlichen Ostens. Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Ostkirchen, Kevelaer 2006, S. 76. 40 Siehe Anm. 37. 41 Vgl. unter anderem T. Nikolaou (Hrsg.), Das Schisma zwischen Ost- und Westkirche. 950 bzw. 800 Jahre danach (= Beiträge aus dem Zentrum für Ökumenische Forschung München 2), Münster 2004. 42 Speziell zur Rolle und Funktion des Ökumenischen Patriarchen in der Diaspora vgl. hierzu A. Anapliotis, Der Kanon 28 von Chalcedon. Ein kirchenrechtlicher Zankapfel der
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1. Die Einberufung der Erweiterten Panorthodoxen Synode als Gerichtsorgan und zur Beseitigung wichtiger Spannungen innerhalb der autokephalen Kirchen Der Ökumenische Patriarch besitzt das von den Vorstehern aller orthodoxen Kirchen anerkannte alleinige Recht, im Zuge seiner gesamtorthodoxen Verantwortung eine Erweiterte Panorthodoxe Synode (Le_fym ja· zpeqtek^r Zeq± Pamoqh|donor S}modor) einzuberufen. Dieses Recht wird von den Vorstehern aller Orthodoxen Kirchen gleichermaßen anerkannt, ohne dass es dem Ökumenischen Patriarchen als Ehrenprimas der Orthodoxen Kirche damit gestattet wäre, sich in die inneren Angelegenheiten der anderen autokephalen Kirchen einzumischen. Einberufen wird die auf der Ebene der Gesamtorthodoxie angesiedelte Synode dann, wenn eine Synode einer autokephalen Kirche sich bei innerkirchlichen Konflikten an den Ökumenischen Patriarchen wendet und um panorthodoxe Unterstützung bei der Lösung interner Konflikte bittet. Die Erweiterte Panorthodoxe Synode stellt folglich kein ständig tagendes Organ dar, sondern eines, dessen zeitlicher Charakter begrenzt ist. Der Ökumenische Patriarch bestimmt Zeitpunkt und Ort der Versammlung und führt den Vorsitz auf der Synode. Ordentliche Teilnehmer sind die Oberhäupter der Patriarchate von Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, Russland, Serbien, Bulgarien und Georgien sowie die Oberhäupter der Kirchen von Zypern, Griechenland, Albanien, Polen und Tschechien und Slowakei oder deren rechtmäßige Vertreter.43 Im Folgenden werde ich zwei wichtige Beispiele der neuen Kirchengeschichte, bei denen die Panorthodoxe Synode die Einheit der Orthodoxie zum Ausdruck gebracht und gefährliche Schismata abgewendet hat, vorstellen: a) Die Erweiterte Panorthodoxe Synode vom 30. September bis 2. Oktober 1998, einberufen vom Ökumenischen Patriarchen in Sofia, und das Schisma in der bulgarischen Kirche In der Bulgarisch-orthodoxen Kirche bedrohte 1998 ein innerkirchliches Schisma die Einheit der Kirche. Manche der Metropoliten, unterstützt von Teilen des Klerus und des Volkes, hatten sich dort gegen den Patriarchen und gegen die Mehrheit der Synode des Patriarchats gestellt. Die Synode der Kirche mit dem Patriarchen Maximos an der Spitze wandte sich in einem synodalen Schreiben an den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., mit der Bitte, eine Erweiterte Panorthodoxe Synode einzuberufen, um das drohende Schisma zu überwinden. Diese tagte vom 30. September bis zum 2. Oktober 1998 in Sofia, der Hauptstadt Bulgariinterorthodoxen und ökumenischen Beziehungen (auch in Westeuropa), in: Una Sancta 63 (3/ 2008), S. 194 – 206, hier S. 204 f. 43 Vgl. Anapliotis, Primus und Synode (Anm. 7), S. 275 – 296; Larentzakis, Die Strukturen der orthodoxen Kirche (Anm. 38), S. 210.
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ens und gleichzeitig Sitz des Bulgarischen Patriarchats, unter Vorsitz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel.44 Der Einladung waren alle Orthodoxen Kirchen gefolgt. Die Synode hat die rechtmäßige Hierarchie unter den damaligen Patriarchen Maximos rehabilitiert und kanonisch das Schisma in Bulgarien beseitigt.45 b) Panorthodoxe Sondersynode in Konstantinopel (24. Mai 2005) Das Patriarchat von Jerusalem wurde 2005 von einer schweren Krise erschüttert. Der Patriarch von Jerusalem, Irinäos I., wurde dubioser Machenschaften angeklagt. Nachdem er sich nicht bereit erklärt hatte, freiwillig von seinem Amt zurückzutreten, erklärte die Synode des Patriarchats von Jerusalem am 6. Mai 2005 den Patriarchen für abgesetzt. Nachdem in der Folgezeit die innerkirchlichen Spannungen massiv an Schärfe zunahmen, berief der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel auf Bitten der Mehrheit der Synodalen des Patriarchats von Jerusalem für den 24. Mai 2005 eine Panorthodoxe Synode ein. Teilnehmer waren die Oberhäupter, Patriarchen und Erzbischöfe der Autokephalen Kirchen von Konstantinopel, Alexandrien, Jerusalem, Griechenland, Polen und Albanien und offizielle Delegierte der Autokephalen Kirchen von Antiochien, Russland, Rumänien, Georgien und Zypern. Der Patriarch von Jerusalem, Irinäos, wurde für abgesetzt erklärt, die Entscheidung in einem Brief vom 14. Juni 2005 allen Oberhäuptern der Orthodoxen Kirchen mitgeteilt und der Patriarchensitz für vakant erklärt. Am 22. August 2005 wählte die Synode des Patriarchats von Jerusalem einstimmig den Erzbischof von Thabor Theophilos zum neuen Patriarchen von Jerusalem. Die Wahl wurde von allen Orthodoxen Autokephalen Kirchen als rechtmäßig anerkannt.46 2. Appellationsrecht Dem Patriarch von Konstantinopel als Person kommt im Zuge seiner panorthodoxen Verantwortung als Primas der Gesamtorthodoxie ein Appellationsrecht in strafrechtlichen Angelegenheiten zu. Grundlage dieses Rechtes bilden die Kanones 9 und 17 Chalkedon. Nach dem Kanon 9 des IV. Ökumenischen Konzils von Chalcedon: „… Streitet ein Bischof oder Kleriker gegen den Metropoliten derselben Provinz, dann soll er den Exarchen des Verwaltungsgebietes oder den Stuhl der Kaiserstadt Konstantinopel anrufen und dort sein Recht suchen.“ Nach dem Kanon 17 desselben 44
Orthodoxes Forum 20 (2006), S. 120 – 121; Anaplasis 419 (2005), S. 136. Vgl. Anapliotis, Primus und Synode (Anm. 7), S. 221; Chrysostomos, Metropolit von Ephesos (Vorsitzender der Synodalen Kommission für innerorthodoxe Angelegenheiten), K|cor eQsacycij¹r eQr 1mtquv^somtar, Pepqacl]ma t/r 1m S|viô sucjkghe_sgr Le_fomor ja· zpeqtekoOr Zeq÷r ja· Pamoqhod|nou Sum|dou, 30. Septelbq_ou-2. Ojtybq_ou 1998, Dokumentation bearbeitet und ediert v. Lampryniadis, Elpidoforos, Metropolit von Proussa, in: Orthodoxia, Sonderheft, Oktober-Dezember 1998, S. 7 – 8. 46 Vgl. Anapliotis, Primus und Synode (Anm. 7), S. 222. 45
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Konzils „[…] Sollte jemand vom eigenen Metropoliten Unrecht erleiden, sucht er – wie gesagt (Kanon 9) – beim Exarchen des Verwaltungsgebiets oder beim Heiligen Stuhl von Konstantinopel sein Recht […]“ Das heißt, dass alle Bischöfe das Recht besitzen, sich an das Gericht des Bischofs von Konstantinopel als Letztinstanz (Appellations- bzw. Begnadigungsinstanz) zu wenden, wenn sie mit den gerichtlichen Entscheidungen des eigenen Metropoliten nicht einverstanden sind bzw. wenn sie um Begnadigung bitten.47 In Bezug auf die Interpretation dieser Kanones schreibt der bekannte Kirchenhistoriker und Metropolit Maximos von Sardes: „Das heilige Konzil von Chalkedon zwingt nicht mit seinem 9. und 17. Kanon die Bischöfe und Geistlichen, die mit den rechtlichen Entscheidungen ihrer eigenen Metropoliten nicht einverstanden sind, daß sie sich unbedingt an das Gericht des Bischofsthrons von Konstantinopel wenden. Es verweist sie an das Gericht des jeweiligen Diözesanexarchen. Doch läßt es ihnen freie Wahl, je nach Meinung und Interessenlage.“48
Gleichzeitig wird dem Patriarchen von Konstantinopel nach der Grundlage der Kanones nicht gestattet, sich nach eigenem Ermessen und nach eigener Initiative in die Rechtsangelegenheiten von Geistlichen, Bischöfen und Metropoliten einzumischen, die anderen kirchlichen „Hoheitsgebieten“ angehören.49 Im Unterschied zum römischen Appellationsverständnis, schreibt Maximos weiter, tat „das Konzil [von Chalcedon] dies gerade aus Achtung vor dem gesamten Verwaltungsgefüge der Kirche, und besonders, weil es dem Bischof von Konstantinopel nicht die Möglichkeit schaffen wollte, sich gewaltsam in die kanonischen Jurisdiktionsbefugnisse anderer Bischöfe einzumischen.“50 Wie Zonaras in seinem Kommentar nachdrücklich betont, kann der Patriarch von Konstantinopel nicht Richter über Geistliche, Bischöfe und Metropoliten sein, die anderen Patriarchatsgebieten angehören, wenn diese sich nicht an den Patriarchen wenden. Er kann nur ihr Richter sein, wenn diese es ausdrücklich und von sich aus wünschen, dass in diesem Fall der Patriarch von Konstantinopel ihr Richter sei.51 Alexios Aristenos schreibt dazu in seinem Kommentar zu Kanon 9: „Doch wenn nun aber ein Geistlicher mit seinem Metropoliten einen Rechtsstreit hat, dann wird er entweder vom Diözesanexarchen gerichtet, das heißt von dem Patriarchen, dem die jeweiligen Provinzialmetropoliten unterstehen, oder aber vom Patriarchen von Konstantinopel; dies ist ein Vorrecht, das sonst keinem Patriarchen weder vom kanonischen noch vom bürgerlichen Recht verliehen worden ist. Das Recht, daß ein Patriarch einen Metropoliten,
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Vgl. Anapliotis, Primus und Synode (Anm. 7), S. 280. Maximos von Sardes, Das ökumenische Patriarchat und die orthodoxe Kirche, Freiburg im Breisgau u. a. 1980, S. 178. 49 Vgl. ebd., S. 178. 50 Ebd., S. 178 f. 51 Vgl. ebd., S. 178 f. 48
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der einem anderen Patriarchen untersteht, richten darf, ist nur dem Bischof von Konstantinopel verliehen worden.“52
3. Die Rolle des Ökumenischen Patriarchen bei der Einberufung des Panorthodoxen Konzils Auch bei der Einberufung von panorthodoxen Konferenzen und Konzilien kommen dem Ökumenischen Patriarchen als primus inter pares der Gesamtorthodoxie besondere Rechte und Pflichten zu. Im Zuge der Vorbereitung auf das Panorthodoxe Konzil tagten vier Panorthodoxe Vorkonziliare Konferenzen in Chambésy/Genf. Die erste Konferenz vom 21.-28. 11. 1976, die zweite vom 3.-13. 9. 1982, die dritte vom 28.10.-6. 11. 198653 und die vierte vom 6.–13.06. 2009. Der Ökumenische Patriarch hatte das Recht zur Vorbereitung und zur Einberufung der Konferenzen inne, er führte den Vorsitz auf der Konferenz, oder delegierte sein Vorsitzrecht an einen Stellvertreter. Gleichzeitig übernahm er eine koordinierende Rolle auf der Konferenz. Am 10.–17. November 1990 tagte dann die „Interorthodoxe Kommission zur Vorbereitung des Heiligen und Großen Konzils“ in Chambésy/Genf unter dem damaligen Metropoliten von Chalkedon und jetzigen Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios. Die Verfahrensordnung war auf der dritten Panorthodoxen Vorkonziliaren Konferenz ausgearbeitet worden. Sie sah vor, dass die Kommission zur Vorbereitung des Heiligen und Großen Konzils vom Ökumenischen Patriarchen nach einmütiger Zustimmung der Oberhäupter der Orthodoxen Lokalkirchen durch Patriarchalbriefe, die an alle autokephalen und autonomen Lokalkirchen gerichtet sind, einberufen wird und dass den Vorsitz der Vertreter des Ökumenischen Patriarchates führt. Vom 6.–9. März 2014 versammelten sich die Vorsteher der orthodoxen Kirchen auf einer gemeinsamen Versammlung (Synaxis) anlässlich des Sonntags der Orthodoxie in der Residenz des Patriarchen von Konstantinopel in Istanbul/Türkei. Dort wurden u. a. die Vorbereitung und die Abhaltung des Panorthodoxen Konzils der 14 orthodoxen Lokalkirchen erörtert, das für 2016 geplant ist.54 Eine historische Entscheidung im Hinblick auf die Gesamtorthodoxie und auf die Rolle des Ökumenischen Patriarchen auf dem Panorthodoxen Konzil wurde getroffen. Nach der Botschaft der Synaxis wird während der ersten Hälfte des Jahres 2015 eine vorkonziliare panorthodoxe Konferenz stattfinden, und dann wird „die Heilige und Große Synode der Orthodoxen Kirche in Konstantinopel im Jahre 2016 vom Ökumenischen Patriarchen einberufen werden, sofern nichts Unvorhergesehenes eintreten sollte. Der 52 K. Rhalles/M. Potles, S}vtacla t_v he_ym ja· Req_v jav|vyv, Bd. 2, Athen 1852 [Nachdruck 1966], S. 240, zitiert nach Maximos von Sardes, Das ökumenische Patriarchat, S. 182. 53 Vgl. Athanasios Basdekis, Die Orthodoxe Kirche. Eine Handreichung für nicht-orthodoxe und orthodoxe Christen und Kirchen, Frankfurt am Main, 2001, S. 34 – 36. Zur vierten Konferenz s. Anm. 54. 54 Vgl. NÖK 9 (Sonderausgabe) [13. 3. 2014]; www.mospat.ru; www.spc.rs; www.basilica. ro/en; www.interfax-religion.com [Stand: 9. 3. 2014].
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Synode wird der Ökumenische Patriarch vorstehen. Seine Brüder, die Ersthierarchen der anderen orthodoxen Kirchen, werden zu seiner Rechten und Linken sitzen“55. Diese Synode wird sicherlich ein großer Schritt für die Einheit der Weltorthodoxie und für die Lösung vieler offener Fragen der Gesamtorthodoxie sein. 4. Die Zuständigkeit des Ökumenischen Patriarchen bei der Proklamation der Autokephalie Auch im Zuge der Proklamation der Autokephalie kommen dem Ökumenischen Patriarchen besondere Rechte zu. Nach dem Beschluss der IV. Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenz, die vom 6.–13. Juni 2009 in Chambesy tagte56 und einen Beschluss der Interorthodoxen Vorbereitungskommission aus dem Jahre 1993 modifizierte, beginnt das Verfahren damit, dass die Mutterkirche den Antrag einer ihr unterstellten Kirchenregion entgegennimmt, diese zu einer autokephalen Kirche zu erheben. Die zuständige Synode als das höchste kirchliche Organ dieser Mutterkirche prüft die ekklesiologischen, kanonischen und pastoralen Voraussetzungen der ihr unterstellten Kirche. Im Anschluss daran übersendet sie dem Ökumenischen Patriarchen den Vorschlag, die antragstellende Kirche zu einer autokephalen Kirche zu erheben. Der Ökumenische Patriarch bemüht sich im Anschluss um panorthodoxe Zustimmung. Dazu übersendet er gemäß den panorthodoxen Gepflogenheiten in einem Patriarchalschreiben alle hierzu relevanten Angaben an die anderen autokephalen Kirchen. Wenn der Ökumenische Patriarch die Zustimmung aller autokephalen Kirchen in dieser Angelegenheit erlangt, proklamiert er im Anschluss mit der Herausgabe eines „Synodal-Tomos“ die Autokephalie der antragstellenden Kirche. Unterschrieben wird der Synodal-Tomos vom Ökumenischen Patriarchen selbst. Es ist erwünscht, dass auch alle Vorsteher der autokephalen Kirchen, auf jeden Fall der Vorsteher der betreffenden Mutterkirche, den Tomos unterzeichnen.57
V. Exkurs: Der Papst als „Patriarch des Westens“ im Rahmen des orthodoxen Kirchenrechts Gemäß des Kanons 3 des II. Ökumenischen Konzils und des Kanons 36 des Quinisextums ist der Papst als Bischof von Rom ein Teil der Pentarchie. Der Bischof von 55 Der Arbeit liegt die Übersetzung des offiziellen, am 9. März veröffentlichten, Communiqués zugrunde: Botschaft der Versammlung der Ersthierarchen der orthodoxen autokephalen Kirchen in Konstantinopel, abgedruckt in: Orthodoxie Aktuell 3 – 4 (2014), S. 24 – 27. 56 Abgedruckt in: Orthodoxes Forum 23 (2009), S. 209 – 211. 57 Vgl. Interorthodoxe Vorbereitungskommission für die Heilige und Große Synode (Chambésy/Schweiz, 1993), Die Autokephalie und die Weise ihrer Proklamation, in: Orthodoxes Forum 8 (1993), S. 117 f., Nr. 3.
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Rom ist der Erste in der Reihenfolge der Kirchen, und der Bischof von Konstantinopel hat nach dem Wortlaut des Kanons 3 des II. Ökumenischen Konzils „den Vorrang der Ehre nach dem Bischof von Rom, denn Konstantinopel ist das Neue Rom“. Das Quinisextum regelt in seinem Kanon nicht nur die Patriarchatssitze der Pentarchie, sondern stellt mit der Abfolge der Kirchen bis heute eine Grundlage der orthodoxen Ekklesiologie dar. Diese Kanones und damit diese Abfolge bleiben bis heute geltendes Recht der Orthodoxen Kirche: „,Wir [die Väter des Konzils] […] bestimmten, daß der Bischofssitz von Konstantinopel dieselben Privilegien genießt wie der Bischofssitz von Alt-Rom und in kirchlichen Angelegenheiten wie jener erhoben wird und dabei an zweiter Stelle nach jenem steht‘58. Danach soll der Bischofssitz der Großstadt Alexandrien gezählt werden, dann der der Großstadt Antiochien und nach diesem der der Stadt Jerusalem.“
Im Fall einer Kircheneinheit zwischen Orthodoxie und Katholizismus würde der Bischof von Rom wie in der Alten Kirche und im Rahmen der Kanones der Ökumenischen Konzilien über die Privilegien eines „primus inter pares“ verfügen und möglicherweise auch über gewisse Koordinationsfunktionen im Rahmen der Universalkirche ausüben. Es handelt sich folglich um einen „Ehrenvorrang“ des Bischofs von Rom und nicht um einen kirchlichen Jurisdiktionsprimat oder um die Anerkennung des Papstes als einziges Oberhaupt der universalen Christenheit.59 Ohne die ostkirchliche „Pentarchie“ formell abzuschaffen, setzten das 4. Konzil von Konstantinopel (869 – 70), das 4. Laterankonzil (1215) und das Konzil von Florenz (1439) den Papst über die anderen vier „alten“ Patriarchen. Das Annuario Pontificio der Neuzeit nennt fünf verschiedene kirchliche Ämter des Papstes: Bischof der Diözese Rom, Erzbischof und Metropolit der Provinz Rom, Primas von Italien, Patriarch des Abendlandes und Pontifex Maximus der Universalkirche. Dass der Bischof von Rom „Patriarch des Westens“ ist, schien bis zu diesem Zeitpunkt für den Osten und den Westen eine feststehende Tatsache zu sein. Im Jahr 2006 erschien jedoch der Titel „Patriarch des Abendlandes“ nicht mehr im Annuario Pontificio ohne weiteren Kommentar seitens des Heiligen Stuhls; ein Akt welcher orthodoxerseits als ein Verzicht des damaligen Papstes Benedikt XVI. auf den Titel „Patriarch des Abendlandes“ interpretiert wurde. In der Erklärung des Päpstlichen Rates zur Einheit der Christen unter dem damaligen Vorsitz des Kardinals Walter Kasper, 58
Vgl. Kanon 28 Chalcedon. Siehe ausführlich Anapliotis, Kanon 28 von Chalcedon (Anm. 42). Zur Pentarchie – Prinzip nach Chalcedon s. u. a. F. Gahbauer, Die Pentarchietheorie – Ein Modell der Kirchenleitung von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Frankfurter Theologische Studien 42), Ettal 1993. 59 Vgl. Metropolit Hilarion (Alfejev), Primat und Katholizität in der orthodoxen Tradition, in: Una Sancta 63 (3/2008), S. 225 – 233, hier S. 231. Trotz der Unstimmigkeiten zwischen dem Patriarchat von Moskau und den anderen orthodoxen Kirchen bezüglich des RavennaDokumentes (siehe Anm. 5) stellt die Kirche Russlands in ihrem Dokument vom 25./26. Dezember 2013 fest, dass „die Bischöfe von Rom, die den Ehrenprimat in der Universalkirche innehaben, […] vom Standpunkt der Ostkirchen aus betrachtet immer Patriarchen des Westens [waren], d. h. Vorsteher der Lokalkirche des Westens“.
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der zu diesem Ereignis am 22. 03. 2006 Stellung nahm, wurde der „wenig eindeutige Titel“ als „obsolet und praktisch nicht mehr anwendbar“ bezeichnet.60 Folgende Argumente wurden im Dokument für den Verzicht maßgebend: a) Die alten Patriarchate des Orients bezogen sich jeweils auf ein ausreichend klar umschriebenes Territorium, allein das Territorium des römischen Bischofsstuhls sei vage geblieben. b) Heute beschreibe der Begriff „Abendland“ einen kulturellen Zusammenhang und beziehe sich nicht nur auf Westeuropa, sondern erstrecke sich auch von den Vereinigten Staaten von Amerika über Australien bis nach Neuseeland. Offensichtlich beabsichtige der Begriff „Abendland“ heute nicht mehr ein bestimmtes kirchliches Gebiet zu umschreiben und könne auch nicht dazu benutzt werden, das Territorium eines Patriarchats zu definieren. Der Begriff „Abendland“ könne möglicherweise heute nur noch in Bezug auf die Lateinische Kirche gebraucht werden. Damit könne der Titel „Patriarch des Abendlandes“ nur die partikulare Jurisdiktionsgewalt des Bischofs von Rom über die Lateinische Kirche beschreiben. c) Seit dem Vat II wurden die Bischofskonferenzen sowie auf internationaler Ebene die Vereinigung der Bischofskonferenzen in die lateinische Kirche eingeführt. Sie entsprechen kanonisch den Erfordernissen der heutigen Zeit besser als die Patriarchatsstrukturen. d) Das Ablegung des Titels ändere nichts an der Anerkennung der alten Patriarchalkirchen, so wie sie feierlich von Vat II erklärt wurde. Auch könne diese Streichung nicht bedeuten, dass damit neue Ansprüche verbunden seien. Der Verzicht auf den Titel solle „einen historischen und theologischen Realismus zum Ausdruck bringen und zugleich der Verzicht auf einen Anspruch sein, der dem ökumenischen Dialog von Nutzen sein könnte“.61 Die Diskussion über den Verzicht des Titels geht schon bis in die Zeit des 1. Vatikanischen Konzils zurück, und Theologen wie Adriano Garuti begrüßten dies schon kurz vor der Aufhebung des Titels, den sie als östlich, veraltet, sinnlos oder als in die Fülle des Papstamtes absorbiert betrachteten.62 Die Reaktion seitens der Orthodoxen Kirchen war eindeutig. Die Orthodoxie hält an ihrem Recht, den Kanones, fest sowie an der dort beschriebenen Funktion des Papstes als Patriarch des Westens. Das Communiqué des Ökumenischen Patriarchates widerlegt die Meinung des Päpstlichen Rates zur Einheit der Christen, dass das 60 Pontificium Consilium ad Unitatem Christianorum fovendam, Communicatio quoad supprimendum titulum „Patriarca d’Occidente“ in Annuario Pontificio, in: Communicationes 39 (2007), S. 68 f. Nicht-amtliche Übersetzung: http://www.zenit.org/de/articles/erklarungdes-papstlichen-rates-fur-die-einheit-der-christen-zur-aufhebung-des-papsttitels-patriarch [Stand: 24. 07. 2014]. 61 Pontificium Consilium ad Unitatem Christianorum fovendam, Communicatio quoad supprimendum titulum „Patriarca d’Occidente“, S. 68 f. 62 C. Böttigheimer, Titulatur des Papsttums, in: Catholica 61 (2007), S. 42 – 55, hier S. 51. Vgl. A. Garuti, Patriarca d’Occidente. Storia e attualità, Bologna 2007.
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„Abendland“ nur ein „kulturelles Territorium“ sei, und bringt dort auch die geographische Bedeutung des Begriffes zum Ausdruck, nämlich dass „das Bewusstsein der geographischen Grenze jeder kirchlichen Jurisdiktion nie aufgehört [hat], ein grundlegender Bestandteil der orthodoxen Ekklesiologie zu sein“.63 Für die Ekklesiologie der Orthodoxen Kirche ist die geographische Bedeutung so grundlegend, dass für die Orthodoxie die „Einheit der Kirchen nicht als Summe von Kirchen, die kulturell unterschiedlich sind, verstanden werden kann, sondern als Einheit von lokalen, nämlich geographisch definierten Kirchen“.64 Wird aber heute der Titel des Patriarchen verworfen, der als einziger Titel auf die Periode der ungeteilten Kirche zurückgeht, so bleibt nur der Primatialanspruch auf die Jurisdiktion der Gesamtkirche übrig. Die Tragweite der Folgen des Verzichtes für den Dialog mit der Orthodoxen Kirche lassen sich unter anderem daran erkennen, dass „von allen Titeln, die vom Papst verwendet werden, […] der Titel des ,Patriarch des Westens‘ der einzige Titel [ist], der auf die Periode der ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends zurückgeht, und der im Gewissen der Orthodoxen Kirche angenommen wurde“. Darüber hinaus ist „für die Orthodoxe Kirche von größter Bedeutung die Tatsache, dass Papst Benedikt die Titel ,Vicar Christi‘ und ,Oberster Pontifex der Universalkirche‘ beibehält, während er den Titel des ,Patriarch des Westens‘ ablegt“, so das Communiqué des Ökumenischen Patriarchates. Professor Anastasios Kallis formuliert dahingehend, dass Papst Benedikt XVI. als Professor und Kardinal mehrmals auf das Modell der Einheit der Kirche im ersten Jahrtausend hinwies. In Anbetracht des Schadens, den der Ökumenische Dialog davon trug, fährt Professor Kallis fort: „Doch das zugrunde liegende Prinzip jener Gemeinschaft war das System der Pentarchie, das den Eckpfeiler des orthodoxen Hauses als Gemeinschaft von Schwesterkirchen darstellt. Insofern wage ich nicht zu vermuten, dass der Verzicht des Papstes auf den Titel ,Patriarch des Abendlandes‘ die Ankündigung einer pyramidalen Kommunio-Theologie bedeutet, denn in diesem Fall wäre es vergebliche Mühe, den Dialog mit der orthodoxen Kirche aufzunehmen.“65
63 Bekanntmachung des Sekretariats der Heiligen und Ständigen Synode des Ökumenischen Patriarchats über den Verzicht des Papstes Benedikt XVI. auf den Titel „Patriarch des Westens“ vom 8. Juni 2006, abgedruckt in: Orthodoxes Forum 20 (2006), S. 241 – 243, hier S. 241. 64 Ebd. 65 A. Kallis, Abschied von der Pentarchie? Ein orthodoxer Zwischenruf zur Abschaffung des abendländischen Patriarchats, in: Der christliche Osten 61 (3 – 4/2006), S. 191.
Gli ordinariati per i fedeli orientali Profili istituzionali di una struttura inter-rituale personale Juan Ignacio Arrieta L’attenzione pastorale dei fedeli di rito orientale fuori dei territori “in quibus ritus orientales ab antiqua aetate praeponderant”1 ha seguito modalità differenti d’accordo con le possibilità pastorali e il diverso contesto giuridico. Tra le opzioni utilizzate c’è stato l’uso di una struttura “ibrida”, costituita da elementi di diritto latino e di diritto orientale: l’Ordinariato per i fedeli orientali. La figura è sorta dalla “prassi” di governo dell’attuale Congregazione per le Chiese orientali2, senza uno specifico quadro normativo e, di conseguenza, con la virtualità di impiegarsi in riferimento a esperienze pastorali dissimili in sostanza. Altrove ho tracciato il processo evolutivo della figura lungo il XX secolo.3 Adesso vorrei soffermarmi sulle caratteristiche principali della struttura “tipo” risultante alla fine di tale processo, molto simile alle altre circoscrizioni personali presenti oggi nel diritto latino.4
1
Art. 60 cost. ap. Pastor Bonus, 28 giugno 1988, AAS 80 (1988), pp. 841 – 930. Brogi osserva giustamente che si tratta di un istituto “praeter ius”, il che vale sia per l’ordinamento latino che per quello orientale (cfr. M. Brogi, Cura pastorale di fedeli di altra Chiesa “sui iuris”, in: Revista Española de Derecho Canónico 53, 1996, p. 130); come si cercherà di mostrare in queste pagine, tuttavia, gli elementi strutturali e la logica della figura appaiono corrispondere all’ordinamento canonico latino. 3 Cfr. J.I. Arrieta, La costituzione di Ordinariati nella prassi pastorale dell’attenzione dei fedeli orientali, in: Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst, Adnotatationes in Ius Canonicum 50, Frankfurt am Main 2013, pp. 55 – 69. 4 Sull’argomento, vedi di recente il puntuale studio di A. Kaptijn, Gli ordinariati per i fedeli cattolici orientali privi di gerarchia propria, in: Cristiani orientali e Pastori latini, Atti del XIV Convegno internazionale di Diritto Canonico, Pontificia Università della Santa Croce, Roma 15 – 16 aprile 2010, a cura di P. Gefaell (in stampa: sarà citato senza indicazione delle pagine). 2
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I. Tipologie di Ordinariati orientali: le ultime due esperienze Sotto il comune titolo di “Esarcati apostolici e Ordinariati per fedeli di rito orientale”5, l’Annuario Pontificio dell’anno 2013 riporta un totale di 23 circoscrizioni, delle quali 15 in qualità di Esarcati apostolici e 8 come Ordinariati per fedeli di rito orientale: Argentina6, Austria, Brasile7, Europa Orientale, Francia8, Grecia, Polonia e Romania. Mentre la figura dell’Esarcato apostolico è ormai definita e ben inquadrata nei cc. 311 e 314 § 2 del Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, gli Ordinariati per i fedeli orientali oggi esistenti informano, come si è detto, realtà pastorali non sempre uguali. Quattro di loro sono strutture inter-rituali per l’attenzione pastorale, sotto giurisdizione latina, di “tutti” i fedeli orientali presenti in uno stesso Paese9; due si dedicano all’attenzione esclusiva di fedeli di “un solo rito”, anche se posti sotto la guida di un Vescovo latino del Paese10; infine, altri due Ordinariati sono formati da comunità di rito armeno e hanno un Pastore del loro stesso rito.11 Alla luce di questi dati, c’è da domandarsi cosa abbia impedito, nel caso delle ultime due categorie, il loro passaggio ad Esarcati apostolici, com’è capitato lungo la seconda metà del secolo scorso con le altre strutture originariamente configurate come Ordinariati. Ciò è particolarmente sorprendente nel caso delle menzionate comunità armene con Pastore del proprio rito.12 La comunità armena della Grecia è, infatti, tra le più antiche configurate come Ordinariato nel lontano 1923; si tratta di una comunità in progressivo assottigliamento numerico, nel cuore d’una comunità cattolica bizantina numericamente superiore. L’Ordinariato della Romania corrisponde anche a una piccola comunità armena insediata in un Paese dove prevalgono le strutture latine e quelle di rito bizantino. È, perciò, rivelatore il fatto che l’attenzione pastorale di questo gruppo sia assegnata a 5 La denominazione appare per la prima volta nell’edizione dell’Annuario Pontificio 1964, pp. 735 – 738. Dall’Annuario Pontificio del 1926 compariva, invece, una sezione intitolata “Prelati di rito orientale aventi giurisdizione ordinaria personale e territoriale” (Annuario Pontificio 1926, p. 362). 6 Cfr. S. Congr. pro Ecclesia Orientali, decr. 19 febbraio 1959, AAS 54 (1962), pp. 49 – 50. 7 Cfr. S. Congr. pro Ecclesia Orientali, decr. 14 novembre 1951, AAS 44 (1952), pp. 382 – 383. 8 Cfr. S. Congr. pro Ecclesia Orientali, decr. 27 luglio 1954, AAS 47 (1955), pp. 612 – 613. 9 Argentina, Brasile, Francia, Polonia. 10 Fedeli di rito bizantino in Austria e di rito armeno in Romania. 11 Europa Orientale e Grecia. 12 Che la situazione sia in evoluzione lo prova il fatto che alcune di queste circoscrizioni sono attualmente guidate da Amministratori apostolici: cfr. Annuario Pontificio 2013, pp. 1030, 1032.
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un Vescovo latino, anziché ad uno orientale, pur in condizione di Amministratore apostolico: questo mostra l’incompiutezza di tale figura. Queste due esperienze, greca e romena, appartenenti entrambe a momenti storici molto embrionali della figura, rilevano tuttavia la virtualità dell’Ordinariato che stiamo considerando, la cui configurazione “tipo” si andava nel frattempo evolvendo nel modo che rivelano le restanti esperienze attuali. La sola eccezione, come si vedrà, è rappresentata da un’altra comunità armena configurata di recente come Ordinariato. Nell’Annuario Pontificio del 1991, infatti, comparivano per la prima volta due nuovi Ordinariati: l’Ordinariato per gli armeni dell’Europa Orientale, e l’Ordinariato della Polonia. Un riferimento a ciascuna di queste due strutture è utile a far vedere la funzionalità della figura e il peso delle circostanze pastorali, poiché entrambe strutture rispondono a esigenze contingenti derivate dall’ultimo conflitto bellico mondiale. 1. Elementi ricostruttivi dell’Ordinariato della Polonia per i fedeli Orientali Sin dal 1991, l’Annuario Pontificio annota la presenza in Polonia di un Ordinariato per i fedeli di rito orientale sprovvisti d’Ordinario di proprio rito. Sin dalla sua creazione, nel 1981, quest’Ordinariato si occupava unicamente dei fedeli di rito greco-cattolico e di rito armeno in Polonia, e dall’Annuario Pontificio non è dato ottenere informazioni del cambiamento. L’origine e l’evoluzione della figura è possibile ricostruirla, almeno in parte, attraverso gli archivi dell’attuale Sezione Seconda della Segreteria di Stato, che con la cost. ap. Pastor Bonus ha ereditato le funzioni del Consiglio per gli Affari Pubblici della Chiesa, menzionato anche nel c. 361 CIC. Nell’ambito di suddetto Consiglio agiva, sin dal 1930, la Commissione per la Russia con giurisdizione canonica sui territori sottoposti al dominio comunista13, la quale doveva agire in queste materie colatis consiliis con la Congregazione per le Chiese orientali. La Commissione per la Russia è stata sostituita nel 1993 da una Commissione interdicasteriale permanente per l’Europa orientale, ma la competenza della Segreteria di Stato in materia rimane per ora sostanzialmente invariata.14 Sono le loro fonti che consentono di poter ricostruire lo sviluppo istituzionale di questo “Ordinariato” polacco. Alla fine della Seconda Guerra Mondiale, l’episcopato cattolico della Polonia e, più concretamente, il suo Primate dovettero occuparsi dell’attenzione pastorale dei 13
Cfr. Pio XI, motu proprio Inde ab initio Pontificatu, del 6 aprile 1930, AAS 22 (1930), pp. 153 – 154. 14 Detta Commissione è stata modificata da Giovanni Paolo II col motu proprio Europa orientalis del 15 gennaio 1993, AAS 85 (1993), pp. 309 – 310. Le competenze dei vari Dicasteri in materia sono state ulteriormente precisate da Benedetto XVI mediante un Rescritto ex audientia al Segretario di Stato del 4 gennaio 2006, AAS 98 (2006), pp. 65 – 66.
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fedeli cattolici orientali, principalmente armeni greco-cattolici, cercando di preservare la loro identità ecclesiale. Era necessario, però, l’adeguato titolo ecclesiastico di potestà; perciò, l’allora Card. Wyszynnski, in Udienza del 12 febbraio 1948, ottenne da Pio XII la facoltà di esercitare nei confronti dei suddetti fedeli tutti i poteri ordinari di cui godeva la S. Congregazione per le Chiese Orientali, venendo perciò nominato “Delegato speciale della Santa Sede per gli orientali in Polonia”15. Questo titolo consentì, inizialmente, una regolare attenzione pastorale dei fedeli fino a quando non emersero nuovi problemi. Tra questi, in particolare, quello di proteggere il patrimonio di dette comunità orientali che, non essendo riconosciute come tali dal governo polacco, rischiava di essere trasferito dalle autorità alla gerarchia ortodossa. Perciò, nel 1957, il Primate della Polonia chiese alla Congregazione per le Chiese Orientali una Dichiarazione formale manifestando chiaramente la sua condizione di Ordinario delle suddette comunità e, quindi, di rappresentante canonico di tutti i loro interessi. La Dichiarazione della Congregazione, approvata allora dal Santo Padre, arrivò solo nel 196416, e in essa si denominava il Primate di Polonia come Ordinario dei fedeli di rito greco-rutheno. Molti anni dopo, alla morte del Card. Wyszynski, emerse la necessità di nominare il successore nell’incarico. Le circostanze storico-civili di allora facevano poco realistica l’istaurazione della gerarchia armena in territorio polacco, la Congregazione per le Chiese orientali sollecitò, quindi, nel luglio del 1981 la nomina del nuovo Primate di Polonia come Ordinario per i fedeli di rito grecocattolico e armeno in Polonia.17 La risposta dell’allora Consiglio per gli Affari Pubblici della Chiesa18 modificò l’impostazione della Congregazione designando il Primate come “Delegato speciale per gli orientali in Polonia” e accordandogli uguali facoltà di cui godeva il suo predecessore.19
15 Cfr. Cons. per gli Affari Pubblici della Chiesa, Lettera del 26 settembre 1981, Prot. N. 5201/81 indirizzata al Prefetto della Congr. per le Chiese Orientali. 16 “Haec Sacra Congregatio pro Ecclesia Orientali, praesentibus litteris, testatur Eminentissimum Dominum Stefhanum S.R.E. Crdinalem Wyszynski, Archiepiscopum Guesneusem et Varsaviensem, Primatem Poloniae, Ordinarium esse profidelibs ritus graeci-rutheni in Polonia. Quapropter, eiusdem Em. D.ni Crdinalem Wyszynski ius est et officium canonicae causam tueri et administrationi providere omnium ecclesiarum, oratorium, coementeriorum, fundorum, aedium omniumque aliorum bonorum temporalium sive mobilium sive immobilium ad praedictos ritum graeco-ruthenum quoquo modo pertinentium. Datum Romae ex aedibus Sacrae Congregationes pro Ecclesia Orientali die 23 mensis Novembris anno 1964. 17 Cfr. Congr. per le Chiese Orientali, Lettera al Segretario di Stato del 10 luglio 1981, Prot. N. 81/81. 18 Pare che la proposta della Congregazione venne accolta con favore, ma si decise di approfondire la questione nei mesi successivi con i diretti interessati e, in particolare, col nuovo arcivescovo di Varsavia. 19 Cfr. Cons. per gli Affari Pubblici della Chiesa, Lettera del 26 settembre 1981, Prot. N. 5201/81 al Prefetto della S. Congregazione per le Chiese orientali.
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Anche se la Congregazione reiterò la richiesta di conferire al nuovo Primate il titolo di Ordinario per i fedeli di rito bizantino, in conformità con la Dichiarazione fatta dalla Congregazione nel 196420, il Consiglio per gli Affari Pubblici chiarì che il cambiamento rispondeva alla precisa volontà del Santo Padre di ripristinare l’incarico di “Delegato speciale della Santa Sede per gli orientali in Polonia” dato al Primate di Polonia nel lontano 1949, che la Dichiarazione della Congregazione del 1964 non aveva modificato. Il Primate ricevette così, nel 1981, la nomina di Delegato per tutti gli orientali, avente quindi facoltà di Ordinario. Questo giustifica, almeno in parte, perché il suddetto ufficio-delegato è inizialmente denominato nell’Annuario Pontificio come “Ordinariato per i fedeli di rito greco-cattolico e di rito armeno in Polonia” e, a partire del 1991, come “Ordinariato per i fedeli di rito orientale sprovvisti di Ordinario di proprio rito”. Dalla documentazione consultata non risulta l’erezione di una vera e propria struttura personale, ma unicamente la nomina di un ufficio-delegato ad personam. È probabile che siano stati motivi pratici e di omogeneità a riportare, poi, nell’Annuario tale figura di “delegato” nel contesto “comunitario” di Ordinariato. Anche se con una storia ben diversa21, l’attuale Ordinariato per i fedeli di rito bizantino dell’Austria, affidato adesso alla cura pastorale dell’Arcivescovo di Vienna, potrebbe in avvenire evolvere come quello della Polonia, facendosi carico in modo indifferenziato di tutti i fedeli orientali residenti nel Paese. 2. Elementi ricostruttivi dell’Ordinariato per l’Europa Orientale L’altro recente Ordinariato per gli Armeni cattolici dell’Europa Orientale è stato creato dopo la promulgazione della cost. ap. Pastor Bonus, nel 1988, quando la Seconda Sezione della Segreteria di Stato era ormai subentrata nei compiti del soppresso Consiglio per gli Affari Pubblici della Chiesa e si occupava anche delle questioni concernenti i Paesi che cominciavano a uscire dal dominio comunista. Nel gennaio del 1991, in vista delle aperture di ordine politico, la Congregazione per le Chiese orientali propose alla Segreteria di Stato la nomina di un Gerarca, avente condizione episcopale, per incaricarsi delle comunità armene cattoliche sparse in Europa Orientale. Si cercava in questo modo di coordinare meglio i Pastori presenti nei diversi luoghi affidando tale ruolo – era questa una prima ipotesi – ad un Eparca residente in Grecia.22 In merito venne consultato il Patriarca armeno e si valutarono altre possibili soluzioni alternative, come la nomina di un Visitatore 20
Cfr. S. Congr. per le Chiese Orientali, Lettera del 29 settembre 1981. Per l’evoluzione storica, sin dal XVIII secolo, della pastorale per i fedeli ruteni in territorio austriaco, vedi A. Kaptijn, Gli ordinariati per i fedeli cattolici orientali privi di gerarchia propria (nota 4). 22 Cfr. Congr. per le Chiese Orientali, Lettera del 15 gennaio 1991, Prot. N. 228/90 al Segretario di Stato. 21
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apostolico o di un Amministratore apostolico, non necessariamente con la condizione episcopale.23 Finalmente, la Congregazione per le Chiese orientali scelse di creare una “missione sui iuris” per questi fedeli ma, quasi contemporaneamente, la Segreteria di Stato informò il Dicastero che il Santo Padre aveva deciso l’erezione d’un “Ordinariato per i fedeli armeni nell’Unione Sovietica”, analogo a quello esistente per gli stessi fedeli in Grecia e in Romania, incaricando la Congregazione di provvedere al documento di erezione e alla nomina dell’Ordinario.24 La soluzione, diversa dalla proposta della Congregazione, rispondeva, a quanto pare, al suggerimento del Rappresentante pontificio.25 Dell’inadeguatezza della denominazione ci si accorse subito, in quanto le circostanze politiche della regione erano ormai mutate, e il decreto di nomina del primo Ordinario, emanato dalla Congregazione il 2 ottobre 1991, ne utilizzò una differente.26 “Ordinariato per gli armeni cattolici dimoranti nelle regioni dell’Europa orientale”. Anche se la genericità del termine motivò una successiva determinazione dell’ambito territoriale della giurisdizione27, la denominazione è rimasta fino ad oggi. Tuttavia, come nel caso dell’Ordinariato della Polonia, tra la documentazione consultata non c’è traccia di alcun istrumento formale di erezione di questo Ordinariato, in quanto circoscrizione ecclesiastica, ma solo della designazione del primo Ordinario a seguito appunto dell’avvenuta creazione della circoscrizione.
II. Gli Ordinariati inter-rituali per i fedeli orientali Lasciando da parte le tre strutture incaricate specificamente dei fedeli di rito armeno, gli altri Ordinariati – Argentina, Brasile, Francia, Polonia e, in futuro, forse anche quello dell’Austria – sembrano rispondere ad una logica dell’inter-ritualità nell’attenzione pastorale. Tali “Ordinariati inter-rituali per fedeli orientali sprovvisti di propria gerarchia”, in quanto circoscrizioni ecclesiastiche personali, manifestano anche elementi comuni all’interno dell’ordinamento canonico, risultato di un processo evolutivo suscettibile di essere importato in altri Paesi. Cerchiamo brevemente di individuare alcuni di questi elementi caratteristici. 23 Cfr. Segreteria di Stato, Sezione Rapporti con gli Stati, Lettera del 21 febbraio 1991, Prot. N. 1348/91/RS. 24 Cfr. Segreteria di Stato, Lettera del 13 luglio 1991, Prot. N. 5260/91/RS. 25 Cfr. Segreteria di Stato, Lettera del 24 agosto 1991, Prot. N. 6250/91/RS. 26 Cfr. Congr. per le Chiese Orientali, Decreto Prot. N. 149/91, del 2 ottobre 1991. Vedi su L’Osservatore Romano del 18 novembre 1992 notizia dell’ordinazione episcopale successiva dell’Ordinario. 27 Cfr. Segreteria di Stato, Seconda Sezione, Lettera del 2 gennaio 1992, Prot. N. 611/92/ RS.
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1. Natura giuridica e inquadramento istituzionale In occasioni precedenti avevo denominato questa figura come “Ordinariato latino per i fedeli orientali”28 ritenendo, anzitutto, che il suo carattere inter-rituale non consentiva di collocarla all’interno delle strutture orientali codificate, tutte di un unico rito. Inoltre, appariva evidente che, nel delinearne la figura, la prassi avesse utilizzato elementi caratteristici del diritto latino (a cominciare dal concetto di “Ordinariato”) e, infine, che si trattava di strutture pastorali che in certo modo si accostavano a strutture diocesane latine già consolidate nel territorio. Tuttavia, anche se difficilmente può negarsi la natura ibrida della figura, più che la sua “latinità”, ciò che emerge principalmente in essa è la sua condizione “extracodiciale” così come il suo diretto collegamento con funzioni pastorali che il Successore di Pietro rivendica come proprie e, quindi, appartenente ad un diritto universale, extra-codiciale, comune a tutte le Chiese orientali. Durante la preparazione del Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium il problema dell’attenzione pastorale dei fedeli orientali emigrati in occidente è stata posta in diverse occasioni e anche in rapporto alla definizione della potestà extra territorium dei Patriarchi. In occasione della Plenaria della Commissione del novembre 1988, che approvò la bozza del Codice, il Santo Padre autorizzò l’Assemblea a discutere sulla problematica tenendo però conto del dovere di accogliere quanto indicato in proposito dal Concilio Vaticano II, che non volle accogliere la richiesta di estendere la giurisdizione dei suddetti Patriarchi al di fuori dei propri confini territoriali.29 Il Santo Padre manifestò invece la disponibilità a considerare, a Codice promulgato, per le Chiese che si trovassero in situazioni speciali, proposte alternative in vista di poter provvedere mediante uno “ius speciale”30. L’inquadramento teologico e l’adeguato trattamento giuridico della questione venne tracciato dal Santo Padre nell’allocuzione di presentazione del Codice orientale. Manifestò allora che non intendeva rinunciare alla sollecita cura dei fedeli orientali in diaspora che spetta al Romano Pontefice31, ribadendo la disponibilità a sviluppare detta sollecitudine attraverso uno “ius a Romano Pontifice approbatum”. 28 Vedi in dottrina J.I. Arrieta, Chiesa particolare e circoscrizioni ecclesiastiche, in: Ius Ecclesiae 6, 1994, pp. 31 – 33; Idem, Diritto dell’Organizzazione ecclesiastica, cit., pp. 365 – 366; D. Le Tourneau, Le soin pastoral des catholiques orientaux en dehors de leur Eglise de rite propre. Le cas de l’Ordinariat français, in: Ius Ecclesiae 13, 2001, pp. 391 – 419; L. Lorusso, Gli orientali cattolici e i Pastori latini, Roma 2003, pp. 82 – 86. 29 Cfr. Segreteria di Stato, Lettera al Vice-Presidente della PCRCDCO del 10 novembre 1988, Prot. N. 230.016; cfr. anche Lettera del Vice-Presidente della PCRCDCO al Segretario di Stato del 15 luglio 1987, Prot. N. 2/87/3. 30 Cfr. Segreteria di Stato, Lettera al Vice-Presidente della PCRCDCO del 10 novembre 1988, Prot. N. 230.016. 31 Cfr. Giovanni Paolo II, Discorso di presentazione del CCEO, 25 ottobre 1990, in: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, XIII-2, 1988, p. 939.
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In questo modo, il Papa apriva esplicitamente la possibilità di un diritto comune alle Chiese sui iuris orientali extracodiciale, man mano che venissero trovate soluzioni accettabili ai problemi che non erano stati sufficientemente risolti dal Codice. Questo, mi pare, sia l’adeguato contesto dove collocare le strutture inter-rituali che stiamo considerando, pur essendo estranee alla disciplina del Codice orientale e poste sotto la cura pastorale del Vescovo di una diocesi latina. Gli Ordinariati che consideriamo sono, infatti, manifestazione di un diritto pontificio, extracodiciale, comune a tutte le Chiese orientali sui iuris che, come le altre circoscrizioni di tipo personale, trova il suo luogo teologico nel n. 16 di Communionis Notio, tra le istituzioni “stabilite dall’Autorità Apostolica per peculiari compiti pastorali”32. Perciò, i due modelli di “Ordinariato” che presenta adesso la corrispondente sezione dell’Annuario Pontificio non hanno avuto uguale origine. Anche se, detto in generale, la categoria degli Ordinariati per l’attenzione dei fedeli orientali nacque con la lettera Officium supremi Apostolatus del 191233, come indicano le “Note storiche” dell’Annuario Pontificio, gli Ordinariati inter-rituali per i fedeli orientali rispondono ad una esperienza “nuova”, iniziata nel 1952 con l’istituzione dell’Ordinariato per il Brasile34 e seguita poi con la creazione dell’Ordinariato per la Francia 195435 e poi con quello per l’Argentina.36 2. Caratteristiche generali proprie Gli elementi caratterizzanti di questi specifici Ordinariati sorti a partire da quello del Brasile sarebbero principalmente due. In primo luogo, il fatto che non abbiano nessuna Chiesa sui iuris di riferimento, essendo rivolti a qualunque cattolico orientale sprovvisto di gerarchia propria nel Paese. L’erezione di una struttura del genere consente, però, di infondere forma istituzionale ad una comunità eterogenea che non trova posto tra gli istituti della disciplina del CCEO. Altra specificità di questi Ordinariati, conseguenza naturale della precedente, sta nell’affidamento della comunità ad un Vescovo latino del luogo. Non essendo unico 32
Non possiamo adesso sviluppare questo argomento, del quale mi sono occupato in varie occasioni: vedi per es. Gli ordinariati personali, in: Ius Ecclesiae 22, 2010, pp. 151 – 172. 33 Cfr. S. Pio X, lett. ap. Officium supremi Apostolatus, del 15 luglio 1912, AAS 4 (1912), pp. 555 – 556. 34 Cfr. S. Congr. pro Ecclesia orientali, decreto del 14 novembre 1951, AAS 44 (1952), pp. 382 – 383. 35 Cfr. S. Congr. pro Ecclesia orientali, decreto del 27 luglio 1954, AAS 47 (1955), pp. 612 – 613. Vedi E. Herman, Adnotationes, in: Monitor Ecclesiasticus 81, 1956, pp. 27 – 30; D. Le Tourneau, Le soin pastoral des catholiques orientaux en dehors de leur Eglise de rite propre. Le cas de l’Ordinariat français (nota 28), pp. 391 – 419. 36 Cfr. S. Congr. pro Ecclesia orientali, decreto del 19 febbraio 1959, AAS 54 (1962), pp. 49 – 50. Vedi C. de Clercq, Annotationes, in: Apollinaris 35, 1962, pp. 23 – 24.
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il rito dei fedeli, la scelta del Pastore ricade sulla Gerarchia del luogo, sul titolare di una sede preminente, che possa facilitare il coordinamento col resto dell’episcopato. Tranne che per il caso del Brasile, che ha per Ordinario l’Arcivescovo di Rio de Janeiro, nei restanti casi si è conferito l’incarico al Vescovo latino della Capitale del Paese. L’istituzione dell’Ordinariato e la designazione di Ordinario è fatta al margine della gerarchia orientale, senza stabilire dipendenze gerarchiche rispetto alle diverse Chiese sui iuris. Sussiste unicamente la dipendenza alla Congregazione per le Chiese Orientali37, che è il Dicastero che segue “le materie concernenti le Chiese orientali” e dirige anche le giurisdizioni latine dei territori dove da antica tradizione sono presenti i riti orientali.38 Dal punto di vista procedurale, infine, salvo nel caso già considerato della Polonia, l’istituzione di questi Ordinariati è avvenuta per decreto della Congregazione per le Chiese orientali, dietro decisione pontificia di erigere l’Ordinariato; non per costituzione apostolica o altro atto pontificio. Il suddetto decreto nominava solitamente il primo Ordinario precisando anche i limiti della sua giurisdizione e i restanti elementi organizzativi servendosi, quasi sempre, di categorie della disciplina latina. Questi decreti sono stati poi pubblicati sugli Acta Apostolicae Sedis. 3. L’appartenenza dei fedeli all’Ordinariato I decreti di erezione di questi Ordinariati ponevano sotto un unico Ordinario tutti i fedeli orientali del Paese senza gerarchia propria, volendo però salvaguardare le loro peculiarità rituali ed il loro diritto-dovere di seguire il rito proprio.39 Perciò si mantiene l’appartenenza dei fedeli alla loro rispettiva Chiesa sui iuris, come indica il c. 38 CCEO, compatibile col fatto che il loro “Gerarca proprio” – come si dice in questi documenti – è chi regge l’Ordinariato. Di conseguenza, detti fedeli sottostanno anche alla specifica giurisdizione che si riconosce al Patriarca o al 37
Alla Congregazione corrisponde seguire “le comunità di fedeli orientali che si trovano nelle circoscrizioni territoriali della Chiesa latina, e provvedere alle loro necessità spirituali per mezzo di Visitatori, anzi, laddove il numero dei fedeli e le circostanze lo richiedano, possibilmente anche mediante una propria Gerarchia, dopo aver consultato la Congregazione competente per la costituzione di Chiese particolari nel medesimo territorio” (art. 59 cost. ap. Pastor Bonus, del 28 giugno 1988, AAS 80 [1988], pp. 841 – 930). 38 Cfr. art. 60 cost. ap. Pastor Bonus, cit. Inoltre, un Rescritto ex audientia del Segretario di Stato del 4 gennaio 2006, AAS 98 (2006), pp. 65 – 66, ha stabilito che, donec aliter provideatur, la giurisdizione sulle circoscrizioni latine di Bulgaria, Grecia e Turchia Europea continui ad essere esercitata dalla Congr. per le Chiese orientali. 39 Cfr. cc. 214 CIC e 17 CCEO. I cc. 39 – 40 CCEO stabiliscono addirittura il dovere di custodire ed osservare il rito proprio del fedele orientale. Cfr. D. Le Tourneau, Le soin pastoral des catholiques orientaux en dehors de leur Eglise de rite propre. Le cas de l’Ordinariat français (nota 28), pp. 391 ss.; M. Brogli, Il diritto all’osservanza del proprio rito (CIC c. 214), in: Antonianum 68, 1993, pp. 108 – 119.
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Capo della rispettiva Chiesa sui iuris su quanti ad essa appartengono, come esige un’adeguata interpretazione del c. 916 § 5 CCEO. Dal punto di vista sostanziale, il tipo d’appartenenza di questi fedeli all’Ordinariato dovrà essere compatibile con i due dati appena indicati. Mentre l’appartenenza al rito è il presupposto dell’ascrizione, la giurisdizione conferita all’Ordinario dev’essere compatibile con la simultanea appartenenza di questi fedeli alla Chiesa locale del luogo dove dimorano e con la giurisdizione che il c. 915 § 5 CCEO riconosce al Capo della rispettiva Chiesa sui iuris. Non c’è, infatti, nei documenti promulgati alcun indizio che consenta affermare, nella prospettiva indicata da Communionis Notio n. 1040, che l’Ordinariato sia la Chiesa locale di appartenenza di questi fedeli orientali. Tali decreti, infatti, non creano una nuova Chiesa particolare; si limitano a dare unità a elementi disaggregati stabilendo una struttura pastorale personale che provveda alla specificità di tali fedeli. I documenti istitutivi di questi Ordinariati sono stati emanati in tempi diversi e non usano lo stesso linguaggio per parlare della giurisdizione dell’Ordinario sui fedeli. La descrizione del contenuto e la natura di questo rapporto giurisdizionale ha seguito anche il processo di maturazione della figura stessa. Il decreto del Brasile (1952) non diceva nulla sulla “natura” della giurisdizione dell’Ordinario, solo indicava che era lui “l’unico Ordinario” di tutti i fedeli orientali sprovvisti di propria gerarchia. Nell’adoperare, però, l’espressione di “Ordinario” il decreto si richiamava allora al c. 198 del Codex 1917 – sostanzialmente analogo al vigente c. 134 CIC –, conferendo al Pastore la potestà che il diritto canonico riconosce a chi tecnicamente ha la condizione di Ordinario. Tre anni più tardi, il decreto dell’Ordinariato francese compie un nuovo passaggio e qualifica la giurisdizione dell’Ordinario orientale come “cumulativa” con quella dell’Ordinario del luogo, ossia, il Vescovo diocesano del luogo dove i fedeli risiedono.41 Infine, nel decreto di erezione dell’Ordinariato argentino del 1959 si legge: “potestas iurisdictionis Ordinarii in praedictos fideles ritus orientalis erit exclusiva”.42 Cosa intendere in questo contesto per “potestas exclusiva”? Si tratta di un radicale ripensamento della condizione di “potestà cumulativa” manifestata alcuni anni prima? L’insieme di tutti gli elementi a disposizione attesta, come si è detto, un processo evolutivo sostanzialmente coerente. L’“esclusività” attribuita alla giurisdizione 40
“Ogni fedele, mediante la fede e il Battesimo, è inserito nella Chiesa una, santa, cattolica ed apostolica. Non si appartiene alla Chiesa universale in modo mediato, attraverso l’appartenenza ad una Chiesa particolare, ma in modo immediato, anche se l’ingresso e la vita nella Chiesa universale si realizzano necessariamente in una Chiesa particolare” (Congr. per la Dottrina della Fede, lett. Communionis Notio, del 28 maggio 1992, AAS 86 [1993], pp. 838 – 850). 41 “[…] potestas iurisdictionis Ordinarii in predictos fideles ritus orientalis exercenda erit cumulativa cum protestate Ordinariorum locorum” (S. Congr. pro Ecclesia orientali, decreto del 14 novembre 1951, AAS 47 [1955], p. 612). 42 S. Congr. pro Ecclesia orientali, decreto del 19 febbraio 1959, AAS 54 (1962), p. 49.
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dell’Ordinario argentino non riguarda, in realtà, le prerogative dei Vescovo locale (latino) delle diocesi argentine dove gli orientali dimorano; si riferisce piuttosto all’Autorità della rispettiva Chiesa sui iuris nel senso che, dopo la promulgazione del CCEO, ha chiarito il c. 916 § 5 CCEO.43 Non c’è intenzione di sottrarre i fedeli dalla giurisdizione (latina) del luogo, né la volontà di creare una sorta di giurisdizione “esclusiva”. Se tale fosse stata l’intenzione non sarebbe bastato un semplice decreto della Congregazione per derogare all’esplicita giurisdizione attribuita ai Vescovi sui fedeli dimoranti nelle rispettive diocesi del Paese: di fatto, secondo la vigente disciplina latina, costui è tenuto ad assumere i propri doveri pastorali nei confronti dei fedeli d’altro rito (c. 383 §§ 1 – 2 CIC). La suddetta esclusività non significa, però, inesistenza di rapporti con le Chiese sui iuris di appartenenza dei fedeli orientali, né impedisce forme varie di cooperazione pastorale nel governo tra i Pastori interessati, come il consiglio, la richiesta di pareri o le proposte di vario ordine. In talune occasioni sarà, addirittura, necessario il consenso dell’Autorità della corrispondente Chiesa sui iuris qualora, per esempio, il provvedimento dell’Ordinario comportasse l’assunzione d’impegni o intaccasse interessi la cui tutela corrispondesse all’autorità della rispettiva Chiesa sui iuris.44 I fedeli orientali che compongono gli Ordinariati latini fanno parte della Chiesa particolare del rispettivo domicilio, seguono la regola generale del c. 107 § 1 CIC e, nel contempo, appartengono ipso iure alla comunità dell’Ordinariato, nel quale ricevono, nei limiti del possibile, la specifica attenzione pastorale che tiene conto della loro identità rituale. In queste circostanze, la loro ascrizione all’Ordinariato non avviene per atto della loro individuale volontà, ma ex auctoritate, per volontà della Santa Sede manifestata nel decreto istitutivo della Congregazione, come accade negli Ordinariati militari e nelle Prelature personali create per l’attenzione di “categorie sociali” pre-determinate dalla Santa Sede.45
43 Questione diversa è la vigenza del c. 101 CCEO nei luoghi dove, pur non essendovi un’Eparchia o un Esarcato, c’è però un Ordinariato regolarmente stabilito come giurisdizione propria per l’attenzione pastorale dei fedeli. Infatti, in questo caso, pare che l’Ordinariato dovrebbe seguire uguale condizione che l’Eparchia e l’Esarcato menzionati nel c. 101 CCEO, trattandosi di una struttura specificamente delineata per questi fedeli. 44 Alcuni esempi concreti possono vedersi nella, Declaration interpretative du decrèt du 27 juillet 1954, della Congregazione per le Chiese Orientali, che esamineremo successivamente. 45 Per quanto riguarda l’appartenenza all’Ordinariato militare, vedi art. X cost. ap. Spirituali militum curae, del 21 aprile 1985, AAS 78 (1986), pp. 481 – 486, e per quanto riguarda questo possibile tipo di Prelature personali, vedi c. 294 CIC: infatti, dal c. 296 CIC si evince che l’ascrizione volontaria di laici corrisponde ad una opzione che non necessariamente dev’essere presente in tutte le Prelature personali.
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4. L’Ordinario e l’organizzazione pastorale I decreti di erezione presi in considerazione non legano esplicitamente il titolo di Ordinario con una specifica sede diocesana. Con la già segnalata eccezione della Polonia, i decreti erigevano la struttura e, simultaneamente, designavano l’Ordinario, senza formalizzare però il suo legame con una determinata sede. In tutti questi anni, tuttavia, sempre che ci sia stato un avvicendamento nella sede diocesana, esso ha comportato la successione del nuovo Vescovo nella titolarità dell’Ordinariato. Di fatto, dunque, la condizione di Ordinario pare in ogni Paese legata ad una determinata sede. L’ufficio d’Ordinario richiede il conferimento di facoltà e competenze che sconfinano l’ambito della propria diocesi e si sovrappongono con la giurisdizione di altri Vescovi. E’ un tipo di giurisdizione che solo può provenire da chi – come segnala il n. 23 del decr. Christus Dominus – ha la capacità di delimitare la potestà dei singoli Vescovi diocesani, il Sommo Pontefice. All’Ordinario è anche conferita la necessaria “potestà organizzativa” per strutturare l’Ordinariato nel modo adeguato alle circostanze. Anche qui i vari decreti evidenziano la diversità di esigenze nonché la successione dei tempi. Il decreto del Brasile dà all’Ordinario facoltà d’istituire “unum vel plures Vicarios Generales” e lo stesso dice il decreto dell’Ordinariato francese. Quello dell’Argentina attribuisce all’Ordinario la facoltà d’avere, addirittura, un Vescovo ausiliare per l’Ordinariato, oltre a poter stabilire Delegati o Segretari per i singoli riti dei fedeli.46 I decreti prevedono altri simili particolari. Il decreto erettivo dell’Ordinariato del Brasile dice che l’Ordinario dovrà incaricarsi d’istituire parrocchie, edificare chiese, formare clero in Seminari, preservare l’integrità dei riti e delle loro discipline, procurarsi sacerdoti indigeni o aggregati, promuovere le opere ecclesiastiche, educative e sociali che ritenesse opportune, ecc. I successivi decreti per la Francia e per l’Argentina sono, in questo, sostanzialmente uguali, ma quello francese introduce un’esplicita condizione per l’operatività di alcune decisioni: che l’Ordinario per gli orientali proceda “audito Ordinario loci”. Nei tre decreti si ricorda, comunque, il dovere dei parroci latini di provvedere all’attenzione pastorale dei fedeli orientali del luogo, laddove non vi sia una parrocchia incaricata della loro assistenza. In tali casi, si dice, le necessarie facoltà verranno date al parroco latino dall’Ordinario per gli orientali, ma già nel decreto
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Previsione che de Clerq ritiene particolarmente prudente “ut aemulationes inter varios ritus orientales viterentur” (C. de Clercq, Annotationes [nota 36], p. 23). Di fatto, almeno in qualche periodo, c’è stato un Vescovo ausiliare per l’Ordinariato (Cfr. Annuario Pontificio 1987, p. 920. L’Annuario Pontificio 2010, invece, non segnala la presenza di alcun ausiliare nella struttura: cfr. loc. cit. p. 1036).
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francese si dichiara che esse si otterranno sia dall’Ordinario orientale sia da quello del luogo.47 Se consideriamo il problema nel contesto della disciplina vigente, dopo la promulgazione del CIC e del CCEO, non pare che si possa parlare con proprietà di “supplenza” di giurisdizione nei casi in cui agisce il parroco latino, poiché non manca di propri titoli di legittimità per esercitare il suo ministero nei confronti di questo tipo di fedeli. Nelle situazioni “ordinarie”, dunque, il parroco non ha bisogno di ricevere speciali facoltà per agire lecitamente poiché le possiede ex officio e può esercitarle ogniqualvolta venga legittimamente sollecitato. Solo in casi “specifici”, quando la disciplina orientale esige l’intervento del Gerarca, sarà necessario interpellare l’Ordinario orientale. 5. Prospettive d’inserimento e coordinazione con la gerarchia locale I documenti che delineano il profilo giuridico degli Ordinariati per i fedeli orientali, sono stati emanati tutti durante la vigenza del Codex Iuris Canonici del 1917, nel decennio precedente alla celebrazione del Concilio Vaticano II. In seguito, il contesto dottrinale e normativo è stato significativamente modificato, e in queste pagine ci siamo sforzati per interpretare i documenti istitutivi nel contesto della legislazione vigente. C’è soltanto un unico documento di rilievo, successivo alla promulgazione del Codice latino del 1983, che può darci un qualche segnale sull’attuale vigenza e comprensione dell’Istituto. Anche se concerne direttamente l’Ordinariato della Francia48, esso serve per un confronto più generale dell’istituto e del suo rapporto con le giurisdizioni territoriali, diocesane. Si tratta di una “Declaration interpretative” fatta dalla Congregazione per le Chiese orientali sul decreto d’erezione dell’Ordinariato francese del 1954. Il documento è del 30 aprile 198649, tre anni dopo la promulgazione del CIC e quando l’attuale CCEO era ormai in stato di avanzata redazione. Detta “Declaration” rispecchia un ulteriore livello di maturazione istituzionale che dovrebbe considerarsi di valore direttivo rispetto delle strutture analoghe poiché esprime criteri che, nel contesto ecclesiologico e disciplinare presente, sono di
47 All’epoca dell’erezione di questi Ordinariati mancava una teologia sull’appartenenza alla Chiesa particolare, ed era ancora vigente il Codex Iuris Canonici del 1917 nel quale si configurava una “giurisdizione parrocchiale” che adesso diventa più problematica. 48 Vedi A. Kaptijn, Gli ordinariati per i fedeli cattolici orientali privi di gerarchia propria (nota 4), per quanto riguarda l’evoluzione storica l’organizzazione della pastorale per i fedeli orientali in Francia. 49 Cfr. Congregazione per le Chiese Orientali, Declaration interpretative du decrèt du 27 juillet 1954, del 30 aprile 1986, AAS 78 (1986), pp. 784 – 786.
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validità generale. Non va dimenticato che l’Ordinariato francese è attualmente quello di maggiore entità.50 La “Declaration interpretative” di cui parliamo è contemporanea alla cost. ap. Spirituali militum curae ed era frutto di una consultazione con l’episcopato interessato.51 Difatti, il documento esordisce con una comparazione dei due istituti: “Motivi di ordine pastorale, ancora validi oggigiorno, indussero tuttavia la Santa Sede [in occasione dell’erezione dell’Ordinariato francese nel 1954] a non sottrarre completamente i fedeli di rito orientale alla giurisdizione individuale degli Ordinari di Francia. Per questa ragione, a somiglianza della giurisdizione esercitata dal Vicariato militare, venne stabilita una doppia giurisdizione cioè, da una parte, quella dell’Ordinario per gli orientali concepita come principale, e, d’altra parte, quella degli Ordinari di luogo, di carattere piuttosto sussidiaria.”52
Il testo prende poi atto del mutamento delle circostanze53 e della necessità di meglio chiarire i rapporti dell’Ordinariato con le giurisdizioni territoriali. Il passaggio centrale della “Declaration” riguarda il modo concreto di esercitare la “potestà cumulativa” dell’Ordinario per rapporto ai Vescovi diocesani. Il decreto del 1954 si limitava semplicemente a indicare che l’Ordinario orientale doveva agire “audito Ordinario loci”. Invece, la “Declaration” del 1986 – forte di una rinnovata ecclesiologia e di un nuovo contesto disciplinare – precisa che “l’Ordinario degli orientali non prenda nessun provvedimento senza aver preventivamente ottenuto l’accordo degli Ordinari di luogo interessati”, per poi concludere con maggiore incisività indicando che “questo accordo è richiesto “ad validitatem”54. In particolare, secondo il testo occorre il consenso dell’Ordinario del luogo per: (1) costituire nuove comunità legate alle Chiese orientali, secondo il consiglio dell’autorità superiore della relativa Chiesa rituale;
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Infatti, secondo l’Annuario Pontificio 2010, l’Ordinariato di Francia è composto da 125.000 battezzati e conta 14 parrocchie (cfr. loc. cit. p. 1037). Vedi in argomento J. Passicos, L’Ordinariat des catholiques de rite oriental en France, in: L’Année canonique 40, 1998, pp. 151 – 163; D. Le Tourneau, Le soin pastoral (nota 28), pp. 410 – 419. 51 Nell’ordinamento attuale questo genere di consultazioni è obbligatorio per le iniziative della Santa Sede riguardanti l’erezione di circoscrizioni personali (cfr. c. 294 CIC, per le Prelature personali; cost. ap. Spirituali militum curae, n. I § 2, del 21 aprile 1986, AAS 78 [1986], pp. 481 – 486; cost. ap. Anglicanorum coetibus, n. I, del 4 novembre 2009, AAS 101 [2009] subst. 985 – 990). 52 Congregazione per le Chiese Orientali, Declaration (nota 49), proemio. 53 Tra le altre cose, poi, c’è stato un evidente sviluppo numerico dell’Ordinariato che, secondo i dati delle rispettive annate dell’Annuario Pontificio, passa da 6.009 fedeli nel 1964 (loc. cit. p. 736) e nel 1970 (loc. cit. p. 787), a 16.000 fedeli nel 1987 (loc. cit. 921) e a 125.000 nel 2010 (loc. cit. p. 1037). 54 Congregazione per le Chiese Orientali, Declaration (nota 49), n. II.
Gli ordinariati per i fedeli orientali
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(2) riconoscere, su consiglio dell’autorità superiore delle Chiese rituali, i gruppi e le associazioni di fedeli latini che intendano vivere secondo le tradizioni di una Chiesa orientale, celebrando la loro liturgia e vivendo la loro spiritualità; (3) edificare chiese e luoghi di culto, autorizzarne la costruzione o, secondo le circostanze, il suo adattamento a favore dei fedeli orientali; (4) erigere parrocchie orientali, designare i loro parroci e i preti incaricati d’un ministero davanti ai fedeli o a comunità legate ad una Chiesa orientale, previa consultazione o proposta dell’autorità superiore di questa Chiesa; (5) approvare, “ad normam iuris”, gli statuti dei monasteri e degli istituti di vita consacrata e di qualunque altra associazione o gruppo collegato ad una Chiesa orientale.55 In questi punti la “Declaration” innova certamente il decreto del 1954 affermando la piena giurisdizione dell’Ordinario locale nel proprio territorio (c. 134 CIC), benché, dal punto di vista dell’attenzione pastorale, il ruolo di costui risulti “sussidiario” laddove vi siano parrocchie personali dipendenti dell’Ordinariato. Sulla falsariga di queste indicazioni della Santa Sede pare possibile prospettare l’immediato futuro di questi istituti attraverso uno stretto rapporto di collaborazione e di comunione tra strutture territoriali e personali. La doppia appartenenza dei fedeli orientali all’una ed all’altra, benché di densità teologica differente, richiede anche un rapporto di vera comunione tra i Pastori a capo delle rispettive strutture e tra i ministri legati a ciascuno di loro, in particolare tra i parroci. Mentre per esigenze di realismo sarà difficile non affidare alle diocesi del loro rispettivo domicilio la pastorale ordinaria di questi fedeli orientali (salvo nelle zone a maggiore densità di fedeli orientali in cui sia possibile stabilire parrocchie personali o centri pastorali), l’Ordinariato per gli orientali dovrà sviluppare una cura pastorale “specializzata”, anche se non quotidiana, volta a preservare le tradizioni cultuali che rendono concretamente vitale l’appartenenza al rispettivo rito orientale. Questo modello di struttura pastorale sviluppato dalla prassi nei Paesi indicati, con tutte le variazioni che siano in ogni caso necessarie, pare ottimale per essere riproposto in altri luoghi – principalmente nei Paesi dell’Europa occidentale – dove storicamente è stata sempre presente solo la Chiesa latina e che si trovano adesso nel bisogno di accogliere forte immigrazioni di fedeli orientali appartenenti alle distinte Chiese sui iuris orientali.
55 Congregazione per le Chiese Orientali, Declaration (nota 49), n. III.; cfr. D. Le Tourneau, Le soin pastoral (nota 28), pp. 416 – 419.
Leggi, decisioni e atti amministrativi del sinodo dei vescovi delle Chiese patriarcali Andriy Tanasiychuk
I. Introduzione Lo studio del diritto canonico, qui si ritiene dover sottolineare, è un processo continuo nel quale spesso la terminologia giuridica, nell’uso pratico, assume sfumature che influiscono sul significato originario dei termini. In seguito a ciò i termini, oggetto del presente studio, possono creare una certa difficoltà quando si cerca di dare loro una ampia spiegazione. A tale proposito un esempio concreto può essere il concetto che è strettamente legato all’organizzazione della vita ecclesiastica nelle Chiese Orientali Cattoliche e che riguarda gli atti legislativi del Sinodo dei Vescovi di una Chiesa sui iuris. Occorre ricordare che il Sinodo dei Vescovi di una Chiesa orientale è un organo che esercita la suprema potestà legislativa e giudiziaria nella propria Chiesa. Non tutte le Chiese Orientali Cattoliche hanno un proprio Sinodo dei Vescovi, ma solo quelle che secondo il Codice orientale si chiamano Chiese patriarcali o arcivescovili maggiori. Nella Chiesa cattolica esistono sei Chiese patriarcali. Questi sono: il patriarcato dei maroniti, il patriarcato dei copti, il patriarcato dei caldei, il patriarcato degli armeni, il patriarcato dei siri, il patriarcato dei melchiti.1 Invece le Chiese arcivescovili maggiori sono: la Chiesa Greco-Cattolica Ucraina, la Chiesa Romena, la Chiesa Siro-Malabarese e la Chiesa Siro-Malancarese.2 Oltre queste Chiese sui iuris esistono anche altre Chiese sui iuris che si chiamano, nella legislazione canonica orientale, Chiese Metropolitane sui iuris. Per governo interno esse si servono di un organo chiamato Consiglio dei Gerarchi, che da una parte assomiglia un po’ al Sinodo dei Vescovi perché include alcuni elementi di sinodalità, ma, ontologicamente, si distingue molto da esso. Il tema del Sinodo dei Vescovi, con il quale si inizia il presente studio, è molto ampio e può riguardare vari settori. Per esempio le questioni che possano diventare oggetto di studio potrebbero essere: la partecipazione dei membri al Sinodo, il modo di votare (pubblico o segreto), l’emanazione delle leggi e delle varie decisioni, gli atti amministrativi del Sinodo, le competenze giudiziarie del Sinodo, la presenza nel Sinodo dei Gerarchi delle altre Chiese sui iuris come anche degli 1 2
Cfr. Annuario Pontificio 2013, Città del Vaticano 2013, pp. 3 – 7. Ibid., pp. 8 – 9.
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esperti e dei relatori, il concetto e i compiti del Sinodo Permanente. Come si può notare, i temi che riguardano il Sinodo dei Vescovi sono numerosi per cui in uno studio così breve sarebbe impossibile trattarli tutti; inoltre sarebbe poco scientifico trattare questi argomenti tutti insieme. Per tale motivo in questa ricerca si è scelto di approfondire esclusivamente le questioni legate alle competenze del Sinodo dei Vescovi utili alla redazione della base legislativa riguardante la propria Chiesa sui iuris. Oltre alle leggi, al Sinodo dei Vescovi di una Chiesa patriarcale e arcivescovile maggiore spettano le varie decisioni legate alla vita pastorale della propria Chiesa. E’ attraverso di esse che si realizza la missione principale della Chiesa, cioè la salvezza delle anime. Per tale motivo questi due termini, cioè le leggi e le decisioni sinodali, sono stati scelti come oggetto di studio nella presente ricerca nella quale si cercherà di approfondirne il significato giuridico oltre che indicarne gli elementi principali che aiutino a fare una distinzione tra di esse.
II. Leggi Le leggi ecclesiastiche vengono elaborate in un modo simile a quelle di uno Stato. Si può notare infatti che la Chiesa, nella storia, per poter organizzare meglio il proprio governo interno, spesso ha utilizzato la terminologia laica, per esempio ha attribuito termini civili alle proprie circoscrizioni ecclesiastiche (metropoli, diocesi). La legislazione della Chiesa per poter essere considerata come una vera legge deve avere le caratteristiche proprie di una legge. Tale caratteristiche sono: la stabilità delle legge, ciò significa che la sua esistenza non è legata ad un periodo di tempo determinato, ma non esclude che una norma legislativa non possa essere emanata per un periodo di prova (ad experimentum). Il concetto della stabilità della legge prevede anche la possibilità del proprio cambiamento, aggiornamento o cessazione da parte del legislatore. L’universalità della legge è un ulteriore elemento che specifica che la legge è indirizzata non solo ad una persona o ad un gruppo, ma ad una comunità intera nella quale le singole persone o i vari gruppi, possano agire e svilupparsi. Il terzo elemento, senza quale non si può considerare una norma come legge, è l’imperatività, cioè il suo carattere di obbligatorietà; in questo modo essa si distingue dalla raccomandazione, dal suggerimento e dall’invito.3 Dopo aver indicato le caratteristiche generali che costituiscono l’identità della legge, come primo passo della creazione di una legge in generale, occorre ora proseguire nel vedere quale è l’elemento successivo che ne caratterizza la 3 Cfr. S. Mudryj, Breve commento al Codice dei Canoni delle Chiese Orientali, IvanoFrankivs’k 1995, p. 55 [Titolo originale: S. =udryj, Korotkyj komentar Kodeksu Kanoniv Skhidnykh Tserkov, Ivano-Frankivs’k 1995, p. 55].
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formazione. La giurisprudenza sottolinea che il processo di costituzione della formulazione della legge incide sulla sua futura esistenza. Nella fase preparatoria devono essere indicati gli elementi di base che aiuteranno a distinguere una legge da una decisione. Questi elementi sono per esempio la preparazione della bozza del testo che può essere affidata dal Patriarca o dall’Arcivescovo Maggiore ad una commissione di esperti o ad una commissione sinodale composta solo dai Vescovi, ad una facoltà di diritto canonico, ad un istituto di vita consacrata o anche ad una singola persona. Dopo la redazione del testo vi è il passo seguente e cioè la discussione e la votazione da parte dell’organo competente che, presso le Chiese Orientali Cattoliche, spetta proprio al Sinodo dei Vescovi della Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore. Sarebbe inopportuno ora descrivere chi fa parte del Sinodo dei Vescovi, però si ritiene necessario sottolineare che per la valida votazione occorre che i Vescovi siano consacrati, quindi non è sufficiente essere solo eletti o nominati, appartenenti alla stessa Chiesa sui iuris ed inoltre è necessaria la quantità di voti favorevoli richiesti del diritto (c. 107 CCEO). Inoltre il Sinodo dei Vescovi, essendo un organo legislativo, può approvare totalmente la bozza del testo, approvarla parzialmente o non approvarla, rimandando, negli ultimi due casi, ad una ulteriore fase di lavoro per una nuova formulazione del testo della legge. Il processo della formulazione della nuova legge in uno Stato o in Chiesa, oltre alla preparazione del testo e la votazione per l’approvazione, richiede anche un altro elemento senza il quale non si può constatare l’esistenza di una legge e la sua applicazione. Si tratta della promulgazione del testo approvato.4 Il diritto canonico della Chiesa cattolica5 presenta e distingue due modi di promulgazione della legge e sottolinea che questa diversità dipende da chi è il legislatore. Possono promulgare le leggi innanzitutto il Romano Pontefice (c. 43 CCEO), che nella Chiesa viene chiamato il Supremo Legislatore, il Patriarca o l’Arcivescovo Maggiore (c. 112 § 1 CCEO), il Metropolita che presiede una Chiesa Metropolitana sui iuris (c. 167 § 3 CCEO) e il Vescovo eparchiale (c. 191 § 2 CCEO).6 I documenti emanati dalla Sede Apostolica vengono promulgati attraverso la pubblicazione in Acta Apostolicae Sedis o in un modo diverso indicato dallo stesso Legislatore (c. 1489 § 1 CCEO); invece per le leggi emanate dagli altri legislatori (inferiori), la promulgazione avviene tramite la pubblicazione di un decreto. Anche il decreto, come atto amministrativo, per poter essere considerato valido ed efficace nella propria applicazione, deve essere redatto secondo le prescrizioni 4 Cfr. D. M. Prümmer, Manuale Iuris Canonici, Friburgi 1922, p. 20; I. Creusen, Epitome Iuris Canonici cum commentariis, vol. I, Parisiis 1949, pp. 87 – 88. 5 Cfr. Ioannis Pauli II, Codex Iuris Canonici, 1983 in: AAS 75 II (1983), pp. 1 – 317; Ioannis Pauli II, Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, 1990 in AAS 82 (1990). 6 Sotto la definizione del Vescovo eparchiale si intendono coloro che esercitano l’ufficio del Vescovo eparchiale. All’ufficio del Vescovo eparchiale sono equiparati: l’Amministratore eparchiale – c. 229 CCEO, l’Amministratore Apostolico – c. 234 CCEO, l’Esarca – c. 313 CCEO. Inoltre l’esercizio di questi uffici non richiede la consacrazione episcopale.
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delle norme canoniche e notificato all’interessato (c. 1511 CCEO). Il contenuto di tale decreto deve includere l’informazione circa la persona e in base a quale norma canonica compie questo atto giuridico nella Chiesa. Inoltre il soggetto che promulga la legge deve indicare il luogo della pubblicazione delle nuova legge, la data dalla quale essa entra in vigore e ha forza obbligante. Il compito e il diritto di promulgare le leggi appartengono a coloro che nella Chiesa esercitano la potestà esecutiva di governo. Oltre al Romano Pontefice qui vengono considerati anche coloro che presiedono una Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore, Chiesa Metropolitana sui iuris e Vescovo eparchiale (c. 1510 § 1 CCEO). Inoltre occorre sottolineare che il Protosincello e il Sincello, nonostante esercitino la potestà esecutiva nella Chiesa, non godono del diritto di promulgare le leggi ecclesiastiche per la propria eparchia o il proprio esarcato (c. 987 CCEO). Per poter applicare una legge nella vita quotidiana non si richiede la pubblicazione del testo della norma, ma la sua promulgazione tramite decreto (c. 1488 CCEO). Il modo e luogo della pubblicazione, anche se vengono considerati come secondari nella vita di una legge perché non influiscano sulla esistenza, devono essere indicati dal Sinodo dei Vescovi della Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore. Il testo della legge può essere pubblicato, ma se non è stato emanato il decreto della sua promulgazione, non ha forza obbligante e non può essere applicato nella Chiesa. Quando si parla dell’obbligatorietà della promulgazione di una legge è necessario tenere presente che la promulgazione non è da confondere con la divulgazione della legge. La divulgazione di una legge già promulgata può avvenire per esempio tramite il servizio pastorale o via mass media. La notifica trasmessa ai fedeli circa l’esistenza della nuova legge permette loro di adattare la propria vita religiosa ed attività ecclesiastica alle normative vigenti della Chiesa. I modi migliori per divulgare una legge possono essere le catechesi, i seminari o le giornate di studio, ma con un requisito molto importante cioè con l’uso di un linguaggio semplice evitando i termini tecnici del diritto. Infine, si sostiene che una vera e giusta divulgazione della legge avviene sempre tramite la sua promulgazione.7 Ora si pone la domanda: il Patriarca può decidere di non pubblicare il decreto di promulgazione delle nuova legge che è stata approvata dal proprio Sinodo dei Vescovi? In questo caso si sostiene che, nonostante la nuova legge abbia seguito il proprio percorso partendo dalla redazione, a cui è seguita la discussione durante la sessione, fino alla votazione e all’approvazione da parte dei membri sinodali (c. 108
7 Cfr. Codice di Diritto Canonico e leggi complementari commentato, a cura di J. I. Arrieta, Roma 2007, p. 79; Codex Iuris Canonici, Powszechne i partykularne ustawodawstwo Kos´cioła katolickiego. Komentarz, Kraków 2011, p. 72.
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§ 2 CCEO), il Patriarca alla fine possa decidere di mettere il veto sulla legge e rimandarla ad una seconda elaborazione.8 La questione della promulgazione della legge include anche un’altra questione, cioè che le leggi approvate dal Sinodo dei Vescovi e promulgate dal Patriarca o Arcivescovo Maggiore, hanno nella propria applicazione un limite territoriale. Questo fatto è previsto dal diritto comune, ossia nel CCEO (c. 1493 § 1 CCEO), che prescrive che le leggi possano essere di due tipi: leggi liturgiche e leggi disciplinari. Quando esse vengono promulgate dal Gerarca che presiede una Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore le leggi disciplinari avranno la loro forza obbligante esclusivamente entro il territorio canonico di queste Chiese; invece le leggi liturgiche riguardando l’intera Chiesa, devono essere osservate da tutti i fedeli cristiani appartenenti a questa Chiesa sui iuris, se anche risiedono fuori del territorio canonico. La diversità della materia trattata, disciplinare o liturgica, emanata dal Sinodo dei Vescovi, può creare alcuni problemi nella sua applicazione. Il caso riguarda la formazione di una legge emanata da tutti i membri sinodali, cioè i Vescovi eparchiali o titolari costituiti dentro o fuori il territorio della Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore, che differisce nella sua applicazione da una legge disciplinare, promulgata soltanto dal Patriarca o Arcivescovo Maggiore. Quest’ultima non avrà forza obbligante per le circoscrizioni ecclesiastiche di questa Chiesa sui iuris costituite fuori del territorio canonico. Un esempio di ciò potrebbe essere la decisione con la quale il Sinodo aumenta il tributo alle eparchie e agli esarcati di una Chiesa sui iuris, nel caso in cui questa decisione diventerà una legge disciplinare avrà forza obbligante solo presso le circoscrizioni ecclesiastiche che si trovano entro il territorio canonico, invece quelle costituite extra territorio saranno dispensate dalla sua applicazione. Un altro esempio che presenta una simile situazione è quando durante i lavori del Sinodo dei Vescovi viene trattata una questione che fa riferimento alla vita spirituale dei propri fedeli. Dopo l’approvazione da parte dei padri sinodali, non ottiene la forza di una legge (con la promulgazione), ma rimarrà solo semplice decisione (con la pubblicazione). Nel 2012 il Sinodo dei Vescovi della Chiesa Greco-Cattolica Ucraina con propria decisione ha proclamato beato martire Volodymyr Pryyma, il patrono dei laici di questa Chiesa.9 Questa decisione, insieme con altre, è stata pubblicata e divulgata con decreto di Sviatoslav Shevchuk, Arcivescovo Maggiore, il 18 settembre 2012. Perché tale decisione sinodale avesse una più estesa applicabilità, quindi al di fuori del territorio canonico dell’Arcivescovo Maggiore, è stato emanato un altro decreto dal Gerarca di questa Chiesa sui iuris, nel quale si fa riferimento al c. 82 § 1, n. 1 CCEO. La citazione in 8
Cfr. G. Nedungatt, A Guide to the Eastern Code. A commentary on the Code of Canons of Eastern Churches, Kanonika 10, Roma 2002, pp. 175 – 176. 9 Cfr. Decisione 7, A del Sinodo dei Vescovi 2012 in Archivio della Curia patriarcale della Chiesa Greco-Cattolica Ucraina.
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questo decreto del numero 1 del § 1 del canone citato, a nostro avviso, mostra un esempio del così detto ”conflitto giuridico”. Se con l’emanazione di questo decreto si cercava di determinare una maggiore estensione dell’applicabilità della legge, questa decisione doveva essere classificata, sin dall’inizio, non più come una semplice decisione sinodale, ma come una legge disciplinare; pertanto la sua applicabilità non sarà limitata solo al territorio canonico dell’Arcivescovo Maggiore degli ucraini e dovrà essere pubblicata come decisione semplice dal Gerarca tra le altre decisioni sinodali. Dando una interpretazione al decreto si può constatare innanzitutto che (a) il canone citato considera questa decisione sinodale come una legge perciò (b) la forza giuridica di questa decisione sinodale (che in realtà è una legge), insieme con il successivo decreto, avrà forza esclusivamente nel territorio ucraino e (c) quindi non deve essere presente tra le decisioni sinodali, (d) ma tra le altre norme legislative che (e) devono essere promulgate. Poiché questa decisione si trova tra le altre decisioni sinodali, non deve essere classificata come una legge, ma come una semplice decisione sinodale. Essendo quindi una decisione sinodale, nel decreto successivo dell’Arcivescovo Maggiore del 18 settembre 2012, riguardante la proclamazione del beato martire Volodymyr Pryyma, patrono dei laici, sosteniamo che dovesse essere citato non il n. 1 ma il n. 2 del § 1 c. 82 CCEO. Esso infatti prescrive che il Patriarca ha il diritto di ”[…] indirizzare istruzioni ai fedeli cristiani di tutta la Chiesa a cui presiede per esporre la sana dottrina, per favorire la pietà, […] e per approvare e incoraggiare gli esercizi che favoriscono il bene spirituale dei fedeli cristiani”. Tale riferimento nel decreto avrebbe maggiormente sottolineato il ruolo del Patriarca come pastore, diretto al bene spirituale dei fedeli, rispetto al ruolo di legislatore.10 Per evitare il cosiddetto ”conflitto giuridico” tra votazione ed osservanza della legge si propone di osservare le seguenti possibilità indicate nel diritto comune: la prima raccomanda ai Vescovi eparchiali, costituiti fuori del territorio canonico del patriarcato, che con un proprio decreto promulghino le leggi disciplinari, come ad esempio la decisione del Sinodo diretta ad aumentare il tributo alle eparchie e agli esarcati (c. 150 § 3 CCEO); la seconda prevede che la Sede Apostolica, che nel nostro caso sarebbe la Congregazione per le Chiese Orientali, con un proprio decreto promulghi le leggi disciplinari emanate dal Sinodo dei Vescovi della Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore. In questo caso le norme appena entrate in vigore obbligano le circoscrizioni ecclesiastiche di questa Chiesa sui iuris sia dentro che fuori dal territorio canonico (c. 150 § 3 CCEO).11 10
Cfr. A. Tanasiychuk, “L’esercitazione della potestà esecutiva nella Chiesa Patriarcale. Caso concreto: c. 82 § 1, 1 CCEO” in J. Wrocen´ski/M. Stokłosa ed., La funzione amministrativa nell’ordinamento canonico. Atti del XIV Congresso Internazionale di Diritto Canonico (Varsavia 14 – 18 settembre 2011), Varsavia 2012, pp. 123 – 130. 11 Cfr. Giovanni Paolo II. Cost. Ap. Pastor Bonus in Commento alla Pastor Bonus e alle Norme sussidiarie della Curia Romana, a cura di P. Pinto, Città del Vaticano 2003, 83 – 83.
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Quindi, così come è stato detto prima, le leggi emanate dal Sinodo dei Vescovi sia a motivo del loro carattere (a contenuto liturgico o disciplinare), sia in relazione al soggetto che le promulga, non sempre possono avere una forza obbligante in una Chiesa sui iuris. Per questi motivi e per evitare difficoltà in futuro su quale materia deve diventare legge o rimanere soltanto decisione sinodale e sulla questione riguardante la promulgazione di una legge, si propongono le seguenti soluzioni essendo necessario risolvere tali questioni in relazione alla vita e allo sviluppo di una Chiesa sui iuris. Per poter organizzare meglio la vita ecclesiastica della propria Chiesa sui iuris tramite la formazione di un proprio diritto particolare (almeno come primo passo), sarebbe bene che l’autorità legislativa di queste Chiese sui iuris, facesse riferimento ai canoni del codice orientale che comprendono le espressioni diritto particolare, diritto particolare della Chiesa patriarcale, diritto patriarcale di una Chiesa sui iuris 12, invece che ad altre manifestazioni della volontà dei Vescovi che si riferiscono esclusivamente alle decisioni.
III. Decisioni sinodali Così come è stato detto in precedenza, al Sinodo dei Vescovi di una Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore, come organo legislatore della propria Chiesa sui iuris, oltre alle leggi, spetta anche approvare alcune decisioni sinodali. Esse, secondo il diritto canonico orientale, non richiedono una promulgazione, ma la pubblicazione da parte del Patriarca o Arcivescovo Maggiore che svolge la potestà esecutiva (c. 112 § 1 CCEO). Poiché il Sinodo, avendo una duplice possibilità nell’esprimere la propria volontà sinodale, cioè sotto forma di legge o decisione, deve decidere se questa sua manifestazione di volontà sarà una legge o una decisione. Per poter correntemente fare tale scelte è necessario che i padri sinodali, con la massima attenzione, tengano presente gli elementi che caratterizzano l’una o l’altra forma. E’ propria della legge la stabilità, l’universalità, l’obbligatorietà, la promulgazione; mentre la decisione è caratterizzata dal quorum necessario per la votazione, dal dover ottenere il consenso o il parere del consiglio del Sinodo, dal corretto modo dello svolgimento delle votazioni (segreto o pubblico), dall’accettazione della decisione da parte del neoeletto nel caso si tratti di elezione, dalla pubblicazione secondo le prescrizioni sinodali e dall’emanazione del decreto per la pubblicazione della decisione (se occorre). Per non soffermarsi sul procedimento tecnico, cioè sulla classificazione dell’attività del Sinodo dei Vescovi, sarebbe utile che presso la Segreteria Generale del 12 Cfr. I. Zˇuzˇek, Un Codice per una “varietas Ecclesiarum” in Understanding the Eastern Code, Kanonika 8, Roma 1997, p. 251; I. Zˇuzˇek, Index Analyticus Codicis Canonum Ecclesiarum Orientalium, Kanonica 2, Roma 1992. pp. 170 – 174, 330 – 331.
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Sinodo sia creato un gruppo di esperti in diritto canonico il cui compito sia esprimere correttamente la volontà normativa dei Vescovi nel Sinodo. Le decisioni sinodali delle quali si parla ora, secondo il diritto precedente ed attuale, possono essere divise in due gruppi: decisioni semplici col carattere disciplinare, pastorale, liturgico, sociale, e decisioni che vengono classificate come atti amministrativi del Sinodo. Quando si parla delle decisioni semplici, cioè di quelle che non fanno parte degli atti amministrativi del Sinodo dei Vescovi, occorre sottolineare che esse possono essere il risultato della collaborazione ecclesiale tra il Patriarca e il Sinodo dei Vescovi. Si tratta di questioni per le quali spetta al Patriarca, in prima persona, dare delle risposte. Nonostante abbia tale diritto, egli può decidere liberamente, se lo ritiene più conveniente, che esse vengano trattate da tutti i Vescovi riuniti nel Sinodo. Si tratta di questioni che possono riguardare ad esempio la creazione di una commissione, di un comitato sinodale, della nomina degli ufficiali per le commissioni o per trattare questioni finanziarie (c. 110 § 4 CCEO). Oltre al Patriarca, anche un singolo Vescovo, può chiedere durante le riunioni sinodali che siano trattate alcune questioni da lui proposte, però ciò necessita della approvazione favorevole della terza parte del Sinodo (c. 108 § 3 CCEO).
IV. Atti amministrativi Per comprendere meglio il significato degli atti amministrativi compiuti da parte del Sinodo dei Vescovi, come seconda tipologia delle decisioni sinodali dei quali si parla nel c. 110 § 4 CCEO, è necessario soffermarsi sulla redazione di questo canone.13 La Commissione per la redazione del CCEO volendo sottolineare il ruolo del Sinodo dei Vescovi di una Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore, come organo al quale spetta emanare le leggi14, ha voluto mostrare, che esso ha anche competenza nell’esprimersi sugli atti amministrativi che si riferiscono alla vita interna della loro Chiesa sui iuris. In questo modo si è voluto sottolineare che queste decisioni diventano atti del Sinodo, invece che del Patriarca.15 Questo fatto non è in contrasto con le norme canoniche del Codice orientale che in modo esplicito indicano che gli atti amministrativi non appartengono alle competenze del Sinodo dei Vescovi. Nonostante ciò, lo stesso Codice prevede tre possibilità nelle quali il Sinodo dei Vescovi deve pronunciarsi anche in questioni 13
Cfr. Nuntia 22 (1986), pp. 81 – 84. Il primo passo è quando il Sinodo dei Vescovi studia le questioni inserite nel CCEO, invece il secondo è quando queste decisioni sinodali ottengono forza di legge e cominciano ad obbligare dopo la promulgazione da parte Patriarca. Queste leggi successivamente diventano una fonte per la redazione degli statuti delle persone giuridiche nella Chiesa, ma anche per la redazione dei tipicon, statuti e costituzioni degli istituiti di vita consacrata. 15 Cfr. Nuntia 7 (1978), pp. 37. 14
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amministrative.16 Per esempio (a) nelle decisioni per le quali il Patriarca, se anche può agire da solo, coinvolge per esse anche il proprio Sinodo17, o (b) nelle decisioni per le quali il Codice stesso prescrive che in certi casi che riguardano la vita della Chiesa patriarcale, il Patriarca prima di poter proseguire, deve ottenere il consenso dal proprio Sinodo18 e (c) nelle decisioni che trattano le questioni che appartengono esclusivamente alla competenza del Sinodo dei Vescovi.19 Oltre alle questioni sopra elencate, non è raro nei documenti ecclesiastici, per esempio nella Chiesa ucraina20, incontrare interventi che il Sinodo dei Vescovi esprime in certe questioni denominandole a volte decisioni, altre volte – cambiando terminologia – risoluzioni. È vero che l’introduzione della nuova terminologia 16 Cfr. C. Vasil’, Patriarchálne cirkvi v Kódexe kánonov vy´chodny´ch cirkví, Trnava 1999, pp. 81 – 84, 89 – 91. 17 Per esempio: erezione e successive modifiche legate con gli esarcati arcivescovili maggiori – c. 85 § 3; le questioni che appartengono alle competenze del Patriarca o Arcivescovo Maggiore, come per es. creazione delle varie commissioni, le nomine dei responsabili di queste commissioni o degli altri uffici o dipartimenti sinodali per le quali egli ha il diritto coinvolgere i sacerdoti – c. 89 § 2; il conferimento di qualche ufficio nella Curia Patriarcale – c. 114 § 2; le questioni che secondo il diritto spettano al Sinodo Permanente, però con il comune accordo tra il Patriarca e suoi membri, le questioni vengono trasmesse al Sinodo dei Vescovi di questa Chiesa sui iuris – c. 119; il consenso per la nomina di un monaco come parroco – c. 480 o la nomina di un sacerdote secolare o religioso appartenente all’Ordine o alla Congregazione il parroco della cattedrale patriarcale. 18 Il Patriarca deve ottenere il consenso dal proprio Sinodo per: il trasferimento della propria sede – c. 57 § 3; erigere, circoscrivere diversamente, unire, dividere, sopprimere province ed eparchie, mutarne il grado gerarchico e trasferire la sede eparchiale – c. 85 § 1; trasferire il Vescovo o Metropolita – c. 85 § 2, 2; stipulare delle convenzioni con l’autorità civile – c. 98; trasferire, prorogare, sospendere o sciogliere il Sinodo dei Vescovi – c. 108 § 1; rimozione dell’economo patriarcale – c. 122 § 2; convocare l’assemblee patriarcale fuori dei tempi prescritti – c. 141; trasferimento del Vescovo emerito in un altra sede fuori dell’eparchia dove ha prestato il servizio – c. 211 § 1; la concessione a un Vescovo coadiutore tutti i diritti e i doveri del Vescovo eparchiale – c. 213 § 2; questione della rimozione dall’ufficio dell’Esarca – c. 314 § 2; erigere il seminario comune a diverse eparchie – c. 334 § 1; per concedere la perdita dello stato clericale ai chierici che hanno domicilio o quasi-domicilio entro i confini del territorio della propria Chiesa patriarcale – c. 397; per sopprimere una confederazione dei monasteri sui iuris – c. 440 § 2; per erezione delle università cattoliche ed ecclesiastiche – c. 642 § 2; c. 649; per approvare i testi liturgici e loro traduzione – c. 657 §§ 1 – 2; per limitare la facoltà di assolvere dai peccati – c. 727; per accogliere un Vescovo di qualche Chiesa orientale acattolica – c. 898 § 1; per sopprimere qualsiasi persona giuridica, a eccezione di quelle che sono state erette o approvate dalla Sede Apostolica – c. 928, 1; per alienare i beni ecclesiastici il valore dei quali eccede del doppio la somma massima stabilita dal Sinodo dei Vescovi della Chiesa patriarcale e se si tratta di cose preziose o di ex-voto donati alla Chiesa – c. 1036 § 3; c. 1037, 3. 19 Per esempio: il rendiconto dell’amministrazione dell’economo patriarcale – c. 122 § 4; le questioni legate con la remissione degli addetti del tribunale ordinario della Chiesa patriarcale – c. 1063 § 2. 20 Cfr. Decisioni e risoluzioni del Sinodo dei Vescovi della Chiesa Greco-Cattolica Ucraina 1989 – 1999, Lviv 1998; inoltre si può vedere anche nel Bollettino dell’Arcivescovo Maggiore della Chiesa ucraina che nei decreti della nomina episcopale questa è una decisione sinodale, invece per le altre questioni si usa il termine risoluzione.
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giuridica nella vita ecclesiastica non va in contrasto con le norme canoniche, però a nostro avviso questa situazione può solo creare una certa confusione, su cosa deve essere chiamato decisione e cosa risoluzione. In qualsiasi caso la varietà nella terminologia (decisioni o risoluzioni) con la quale si cerca di esprime la volontà dei Vescovi riuniti nel proprio Sinodo, tranne nelle questioni che si riferiscono alla legge, non influisce sul fatto che esse prima di poter essere applicate nella vita della propria Chiesa richiedono la pubblicazione o la notificazione ai destinatari (c. 112 § 1 CCEO). Cosa comporta la pubblicazione o la notificazione delle decisioni sinodali? Tali atti portano a conoscenza dei fedeli interessati o di singoli fedeli la dichiarazione di volontà dei Vescovi riuniti in Sinodo. In particolare la notificazione trasmette all’interessato una certa decisione presa nei suoi confronti o riguardante le questioni legate con la sua vita ed attività. Inoltre la pubblicazione delle decisioni, come si nota dalla lettura del Codice orientale, è un atto obbligatorio e non facoltativo. Tali procedimenti possono avvenire sia per iscritto sia oralmente ma devono tener conto, in qualche modo, delle modalità di divulgazione della legge alle quali si è fatto riferimento precedentemente.21 Le decisioni, per poter avere efficacia giuridica, possono, ma non sempre devono, avere un decreto attuativo (atto amministrativo). Inoltre esiste anche una categoria di decisioni che produce effetti giuridici subito dopo la votazione positiva da parte del Sinodo dei Vescovi22, altri invece richiedono che sia un decreto singolare ad indicarne la data a partire dalla quale la decisione comincia ad avere forza obbligante.23
V. Conclusione Il canone 110 CCEO, in questa sede, può essere quindi considerato come valido riferimento rispetto a quali siano i compiti principali del Sinodo dei Vescovi di una Chiesa patriarcale o arcivescovile maggiore la cui attività si concentra in tre settori (emanazione delle leggi, prendere decisioni e partecipazione agli atti amministrativi). Il riferimento a tale canone fa sì che si possano realizzare in modo certo le trattazioni e le decisioni riguardanti le varie questioni legate alla vita della singola Chiesa. 21 Cfr. Dizionario russo-italiano, italiano-russo, a cura di V. Kovalev, Bologna 2007, p. 2068. 22 Per esempio: trasferimento della sede del Patriarca – c. 57 § 3; stipulare delle convenzioni con l’autorità civile – c. 98; trasferire, prorogare, sospendere o sciogliere Sinodo dei Vescovi – c. 108 § 1; eleggere tre Vescovi come membri del Sinodo permanente – c. 115 § 2; remissione degli addetti del tribunale ordinario della Chiesa patriarcale – c. 1063 § 2. 23 Per esempio: istituzione delle circoscrizioni ecclesiastiche e trasferimento dei Vescovi – c. 85; remissione dell’economo patriarcale – c. 122 § 2; erezione del seminario comune per diverse eparchie – c. 334 § 1; concessione della perdita dello stato clericale – c. 397.
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Il Sinodo dei Vescovi, tramite l’esercizio della potestà legislativa, dà inoltre un contributo allo sviluppo del diritto particolare della singola Chiesa sui iuris (c. 1493 § 2 CCEO). Le leggi e le decisioni sinodali, tramite le quali si possono dare risposte alle varie questioni pastorali che non trovano regolamentazione nel diritto comune delle Chiese Orientali Cattoliche, possono essere una spinta verso la redazione dello ius speciale delle singole Chiese sui iuris.
Die Behinderung des Eparchialsitzes nach dem CCEO Markus Müller
I. Vorbemerkung Am 29. Februar 2008 wurde Paulos Faraj Rahho, Erzbischof der Erzeparchie Mossul der chaldäischen griechisch-katholischen Kirche im Irak, auf dem Rückweg von einem Kreuzweggottesdienst entführt. Sein Fahrer und seine beiden Begleiter wurden gleichzeitig erschossen. Am 13. März 2008 wurde Erzbischof Rahho auf einer Müllkippe in der Nähe von Mossul tot aufgefunden. Es stellt sich die Frage, wer in einem derartigen Fall in der Zwischenzeit zur Leitung der Eparchie berechtigt und verpflichtet ist.
II. Die Behinderung des bischöflichen Stuhls nach dem CIC Es gibt gravierende Unterschiede im Vergleich zum lateinischen Recht. In diesem ist nämlich außer der Behinderung des römischen Bischofsstuhls (vgl. c. 335 CIC/ 1983; s. u.) nur allgemein der Fall der Behinderung des bischöflichen Stuhls normiert. Von der Terminologie her ist insbesondere in Deutschland zu beachten, dass es sich hier um den rein kanonistischen Begriff und nicht um den staatskirchenrechtlichen Begriff des (Erz-)Bischöflichen Stuhls als Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt. Gemäß c. 412 CIC/1983 gilt der bischöfliche Stuhl als behindert, wenn der Diözesanbischof wegen Gefangenschaft, Ausweisung, Exil oder Unfähigkeit vollständig an der Wahrnehmung seines Hirtendienstes gehindert wird, so dass er nicht einmal in der Lage ist, schriftlich mit den Diözesanen in Verbindung zu treten. Bei Behinderung des bischöflichen Stuhls steht die Leitung der Diözese, wenn der Heilige Stuhl nichts anderes vorgesehen hat, dem etwa vorhandenen Bischofskoadjutor zu; gibt es keinen oder ist auch er behindert, so übernimmt die Leitung ein Auxiliarbischof, Generalvikar oder Bischofsvikar oder ein anderer Priester, wobei die Reihenfolge der Personen einzuhalten ist, die der Diözesanbischof in einem Verzeichnis festgelegt hat, das er möglichst bald nach der Besitzergreifung von der Diözese zusammenstellen muss; dieses Verzeichnis, das dem Metropoliten mitzuteilen ist, ist wenigstens alle drei Jahre zu erneuern und vom Kanzler der Kurie geheim auf-
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zubewahren (vgl. c. 413 § 1 CIC/1983). Wenn es einen Bischofskoadjutor nicht gibt oder dieser behindert ist und das in § 1 genannte Verzeichnis nicht vorhanden ist, ist es Sache des Konsultorenkollegiums, einen Priester zu wählen, der die Diözese zu leiten hat (vgl. c. 413 § 2 CIC/1983). Wer nach den Normen der §§ 1 oder 2 die Leitung der Diözese übernommen hat, hat so bald wie möglich den Heiligen Stuhl über die Behinderung des bischöflichen Stuhls und die Übernahme des Amtes in Kenntnis zu setzen (vgl. c. 413 § 3 CIC/1983). Im lateinischen Recht finden sich im Anschluss die cc. 414 und 415 CIC/1983, welche im CCEO keine Entsprechung haben: Sollte der Diözesanbischof durch eine Kirchenstrafe an der Ausübung seines Amtes gehindert sein, hat sich gemäß c. 415 CIC/1983 der Metropolit oder, falls es ihn nicht gibt oder es ihn selbst betrifft, der dienstälteste Suffraganbischof sofort an den Heiligen Stuhl zu wenden, damit dieser selbst Vorkehrungen trifft. Eine derartige rechtliche Behinderung1 ist im CCEO nicht normiert, sondern nur die Fälle tatsächlicher Behinderung. Gemäß c. 978 CCEO kann die Absetzung („privatio“) von einem Kirchenamt nur als Strafe für eine Straftat verhängt werden. Der Fall, dass ein Eparch an der Ausübung seines Amtes durch eine Kirchenstrafe, die nicht verhängt worden ist, gehindert ist, ist gemäß CCEO nicht möglich, da es im CCEO keine Tatstrafen gibt.2 Nach Maßgabe von c. 414 CIC/1983 hat, wer auch immer gemäß c. 413 CIC/1983 berufen wurde, einstweilen die Hirtensorge für die Diözese auszuüben, bei der Ausübung der Hirtensorge für die Diözese die Pflichten und die Gewalt, die von Rechts wegen dem Diözesanadministrator zukommen, und zwar nur für die Zeit der Behinderung des bischöflichen Stuhls. Gemäß c. 427 § 1 CIC/1983 ist der Diözesanadministrator an die Pflichten eines Diözesanbischofs gebunden und besitzt dessen Gewalt, außer in den Dingen, die aus der Natur der Sache oder vom Recht selbst ausgenommen sind. Neben der Generalklausel des c. 428 CIC/1983 wird die Vollmacht des Diözesanadministrators durch mehrere Einzelbestimmungen eingeschränkt.3 In Bezug auf c. 414 i. V. m. c. 427 § 1 CIC/1983 schreiben Winfried Aymans und Klaus Mörsdorf: „Die Amtsgewalt des interimistischen Leiters der lateinischen Diözese entspricht derjenigen des Diözesanadministrators. Diese gesetzliche Aussage kann sich nur auf die Reichweite, nicht jedoch auf den Charakter der Gewalt beziehen. Da nämlich in diesem Falle das Amt des Diözesanbischofs nicht erledigt, sondern der Diözesanbischof nur an der Ausübung seines Amtes gehindert ist, wird dieser nicht zeitweise ersetzt, sondern vertreten. Deshalb muss im Falle der Amtsbehinderung des Diözesanbischofs die Gewalt des interimisti1
Vgl. Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR2, S. 425 – 442, hier S. 441. Vgl. cc. 1314 CIC/1983; 1408 CCEO. 3 Vgl. cc. 272; 312 § 1; 462 § 1; 485; 490 § 2; 509 § 1; 520 § 1; 525; 1018 § 1, 28; 1018 § 2; 1420 § 5; 1422 CIC/1983. 2
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schen Leiters der Diözese ihrem Charakter nach als ordentliche stellvertretende Gewalt verstanden werden. Deshalb ist einer eventuell zwischenzeitlich möglichen Willensbekundung des Diözesanbischofs Folge zu leisten, weil er nach wie vor im Amt ist und deshalb auch alle damit verbundenen Rechte hat.“4
Bier verdeutlicht: „Der interimistische Leiter hat zwar dieselben Kompetenzen und Pflichten wie ein Diözesanadministrator, jedoch besitzt er seine Vollmacht nicht aufgrund des Amtes als potestas ordinaria (denn er ist selbst nicht Diözesanadministrator), sondern kraft gesetzlicher Delegation.“5
Hans Heimerl und Helmuth Pree führen weiter aus: „Das Wesen der Stellvertretung besteht darin, dass jemand im Namen eines anderen, d. h. mit Rechtswirkung für und gegen den Vertretenen handelt. Voraussetzungen sind eigenverantwortliches Handeln in fremdem Namen und eine entsprechende Vertretungsmacht. Die Stellvertretung ist grundsätzlich bei allen Rechtsgeschäften, auch bei privaten, selbst bei rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen, nicht allerdings bei Realakten, möglich. Die stellvertretende Jurisdiktionsgewalt ist immer eine ordentliche Gewalt, weil sie nur im Rahmen eines Vertreteramtes übertragen wird.“6
Der interimistische Leiter handelt also kraft gesetzlicher Delegation mit ordentlicher stellvertretender Gewalt („potestas ordinaria vicaria“).
III. Spezialnormen des CCEO 1. Die völlige Behinderung des Römischen Bischofsstuhls Bei völliger Behinderung des römischen Bischofsstuhls darf gemäß c. 47 CCEO in der Leitung der Gesamtkirche nichts geändert werden; es sind aber die besonderen Gesetze zu beachten, die für diese Fälle erlassen sind (vgl. wortgleich: c. 335 CIC/ 1983). Derartige Gesetze sind bisher nicht erlassen worden.7 Eine völlige Behinderung kann aus gesundheitlichen Gründen entstehen, wenn der Papst nicht mehr fähig ist, gültig Rechtsakte zu setzen (vgl. cc. 124 § 1 CIC/1983; 931 § 1 CCEO).
4
Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Begründet von Eduard Eichmann, fortgeführt von Klaus Mörsdorf, neu bearbeitet von Winfried Aymans, 2. Bd., Paderborn/München/Wien/Zürich 131997, S. 358. 5 Georg Bier, c. 414, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: Januar 2015). 6 Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, Wien/ New York 1983, S. 118. 7 Vgl. aber zur Behinderung des römischen Bischofsstuhls: Georg Müller, Sedes Romana impedita. Kanonistische Annäherungen zu einem nicht ausgeführten päpstlichen Spezialgesetz (= DiKa 23), St. Ottilien 2012.
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2. Die Behinderung des patriarchalen Stuhls Gemäß c. 132 § 1 CCEO liegt die Leitung der Patriarchatskirche, wenn der patriarchale Stuhl, aus welchem Grund auch immer, so behindert ist, dass der Patriarch nicht einmal schriftlich mit den Eparchialbischöfen der Kirche, der er vorsteht, in Verbindung treten kann, nach Maßgabe des c. 130 CCEO bei dem der Bischofsweihe nach ältesten Eparchialbischof innerhalb des Gebietes dieser Kirche, der selbst nicht behindert ist, außer der Patriarch hat einen anderen Bischof oder im Fall äußerster Notwendigkeit auch einen Priester bestimmt. Dieser Priester muss nicht zölibatär sein. C. 130 § 1 CCEO regelt, dass auf den Administrator der Patriarchatskirche die ordentliche Vollmacht des Patriarchen übergeht, alles das ausgenommen, was nur mit Zustimmung der Synode der Bischöfe der Patriarchatskirche getan werden kann. Diese Synode darf nicht mit der Ständigen Synode gemäß cc. 115 – 118 CCEO verwechselt werden. Alle Rechtsakte, die nur mit Zustimmung der Synode der Bischöfe der Patriarchatskirche gesetzt werden können8, kann der Administrator der Patriarchatskirche also nicht gültig setzen. Der Administrator der Patriarchatskirche kann gemäß c. 130 § 2 CCEO weder den Protosynkellos oder die Synkelloi der Eparchie des Patriarchen des Amtes entheben noch während der Vakanz des patriarchalen Stuhls irgendetwas verändern. Der Administrator der Patriarchatskirche hat, auch wenn er die Vorrechte des Patriarchen nicht hat, gemäß c. 130 § 3 CCEO Vorrang vor allen Bischöfen dieser Kirche, nicht aber auf der Synode der Bischöfe der Patriarchatskirche bei der Wahl des Patriarchen. Zu dieser Wahl kommt es aber nur, wenn auf die Behinderung eine Vakanz folgt. Während der Vakanz des patriarchalen Stuhles wird, wenn das Partikularrecht nichts anderes bestimmt, der Bischof der Administrator der Patriarchatskirche, welcher unter den Bischöfen der patriarchalen Kurie oder, wenn es diese nicht gibt, unter den Bischöfen, die Mitglieder der Ständigen Synode sind, der Bischofsweihe nach der älteste ist. Der Administrator der Patriarchatskirche bleibt nach dem Übergang von der Behinderung zur Vakanz des Patriachalsitzes nur dann derselbe, wenn der der Bischofsweihe nach älteste Eparchialbischof innerhalb des Gebietes der Patriarchatskirche, der selbst nicht behindert ist, bzw. der vom Patriarchen bestimmte andere Bischof mit dem Bischof, welcher unter den Bischöfen der patriarchalen Kurie oder, wenn es diese nicht gibt, unter den Bischöfen, die Mitglieder der Ständigen Synode sind, der Bischofsweihe nach der älteste ist, bzw. dem vom Partikularrecht bestimmten Bischof übereinstimmt. Anders sieht es in Bezug auf die Eparchie des Patriarchen aus. Wenn der Patriarch so behindert ist, dass er mit den Christgläubigen der eigenen Eparchie nicht einmal schriftlich in Verbindung treten kann, liegt die Leitung dieser Eparchie gemäß c. 132 § 2 CCEO beim Protosynkellos, wenn aber dieser selbst behindert ist, bei dem, den der Patriarch bestimmt hat, oder bei dem, der zwischenzeitlich die Patriarchatskirche leitet. Wer die Leitung zwischenzeitlich übernommen hat, muss gemäß c. 132 § 3
8 Vgl. im Einzelnen: cc. 57 § 3; 85 §§ 1, 2; 98; 122 § 2; 211 § 1; 213 § 2; 314 § 2; 334 § 1; 397; 440 § 2; 642 § 2; 657 § 1; 727; 898 § 1; 928, 18 CCEO.
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CCEO möglichst bald den Papst über die Behinderung des patriarchalen Stuhls und die Übernahme der Leitung benachrichtigen. 3. Die Behinderung des großerzbischöflichen Stuhls Was im gemeinsamen Recht über die Patriarchatskirche und die Patriarchen gesagt wird, ist gemäß c. 152 CCEO so zu verstehen, dass es auch für die Großerzbischöflichen Kirchen und für die Großerzbischöfe gilt, außer es wird anders im gemeinsamen Recht ausdrücklich vorgesehen oder steht aus der Natur der Sache fest. Alles, was oben in Bezug auf die Behinderung des patriarchalen Stuhls und der Eparchie des Patriarchen festgestellt wurde, gilt somit in analoger Weise für die Behinderung des großerzbischöflichen Stuhls und der Eparchie des Großerzbischofs. Die oben genannten Rechtsakte, die nur mit Zustimmung der Synode der Bischöfe der großerzbischöflichen Kirche gesetzt werden können, kann der Administrator der großerzbischöflichen Kirche nicht gültig setzen. 4. Die Behinderung des Metropolitanstuhls einer eigenberechtigten Metropolitankirche Gemäß c. 173 § 3 CCEO sind hinsichtlich der Vakanz oder Behinderung des Sitzes der Eparchie des Metropoliten einer eigenberechtigten Metropolitankirche die cc. 221 – 233 CCEO zu beachten, im Falle der Behinderung also c. 233 CCEO. Im Hinblick auf die Behinderung des Metropolitanstuhls ist in diesem Fall aber gemäß c. 173 § 2 CCEO zu beachten, was über die Behinderung des patriarchalen Stuhls in c. 132 § 1 CCEO bestimmt ist; was dort über den Patriarchen gesagt wird, kommt dem Metropoliten zu. Alles, was oben in Bezug auf die Behinderung des patriarchalen Stuhls festgestellt wurde, gilt somit in analoger Weise für die Behinderung des Metropolitanstuhls. Die oben genannten Rechtsakte, die nur mit Zustimmung des Hierarchenrats gesetzt werden können, kann der Administrator der Metropolitankirche nicht gültig setzen. Auf c. 132 § 3 CCEO wird in c. 172 § 2 CCEO nicht verwiesen. Wer zwischenzeitlich die Leitung des Metropolitansitzes übernommen hat, ist also nicht verpflichtet, möglichst bald den Papst über die Behinderung des Metropolitansitzes und die Übernahme der Leitung zu benachrichtigen. Allerdings ist die Vornahme einer solchen Benachrichtigung dringend anzuraten. 5. Die Behinderung einer Exarchie Anders verhält es sich mit der Leitung im Falle der Behinderung bei einer Exarchie. Die Leitung einer behinderten Exarchie geht gemäß c. 320 § 1 CCEO analog zum Falle der Vakanz auf den Protosynkellos über oder, wenn es keinen gibt, auf den Pfarrer, der der Priesterweihe nach der älteste ist. Dieser Priester muss nicht zölibatär sein. Nach Maßgabe von c. 320 § 2 CCEO hat derjenige, auf den zwischen-
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zeitlich die Leitung der Exarchie übergegangen ist, möglichst bald jene Autorität zu benachrichtigen, der es zukommt, den Exarchen zu ernennen, damit sie Vorsorge trifft; zwischenzeitlich aber kann er von allen ordentlichen und delegierten Vollmachten und Befugnissen Gebrauch machen, die der Exarch innehatte, wenn sie diesem nicht aufgrund der persönlichen Eignung des Exarchen anvertraut worden waren. Hier lohnt sich ein Blick in die Ernennungsurkunde des Exarchen.
IV. Die Behinderung des Eparchialsitzes 1. Überblick über die grundlegenden Normen Gemäß c. 233 CCEO liegt die Leitung der Eparchie beim Bischofskoadjutor, außer der Patriarch mit Zustimmung der Ständigen Synode für die Eparchie innerhalb des Gebietes der Kirche, der dieser vorsteht, oder der Apostolische Stuhl sieht etwas anderes vor; wenn es aber keinen Bischofskoadjutor gibt oder er behindert ist, liegt sie beim Protosynkellos, Synkellos oder einem anderen geeigneten vom Eparchialbischof bestimmten Priester, dem von Rechts wegen die Rechte und Pflichten des Protosynkellos zukommen; der Eparchialbischof kann aber zu geeigneter Zeit mehrere bestimmen, die einander im Amt nachfolgen. Dies gilt für den Fall, dass der Eparchialsitz durch Gefangenschaft, Ausweisung, Exil oder Unfähigkeit des Eparchialbischofs so behindert ist, dass dieser nicht einmal schriftlich mit den ihm anvertrauten Christgläubigen in Verbindung treten kann. Die Gewohnheit, dass ein Eparchialbischof entgegen der Vorschrift des c. 245 CCEO keinen Protosynkellos, sondern einen Priester ernennt, dem von Rechts wegen die Rechte und Pflichten des Protosynkellos zukommen, ist in den katholischen Ostkirchen weit verbreitet, da der Protosynkellos gemäß c. 247 § 2 CCEO ein zölibatärer Priester sein muss, wenn nicht das Partikularrecht der eigenberechtigten Kirche anderes festgesetzt hat. Außer den Bischöfen und Mönchen gibt es aber in etlichen Eparchien nur äußerst wenige zölibatäre Priester. Die Amtsgewalt des Protosynkellos entspricht der Amtsgewalt des Generalvikars im lateinischen Recht.9 Nach Maßgabe von c. 233 § 2 CCEO muss das eparchiale Konsultorenkollegium, wenn es die in c. 233 § 1 CCEO Genannten nicht gibt oder diese behindert sind, die Leitung der Eparchie zu übernehmen, einen Priester auswählen, der die Eparchie zu leiten hat. Dieser Priester muss nicht zölibatär sein. Wer die Leitung einer Eparchie innerhalb des Gebietes einer Patriarchatskirche vorgenommen hat, muss gemäß c. 233 § 3 CCEO möglichst bald den Patriarchen über die Behinderung des Eparchialsitzes und die Übernahme des Amtes benachrichtigen; in den übrigen Fällen muss er den Apostolischen Stuhl benachrichtigen und, wenn es eine Patriarchatskirche betrifft, auch den Patriarchen. Das Gebiet der Patriarchatskirche erstreckt sich gemäß c. 146 § 1 CCEO auf die Gegenden, in denen der 9
Vgl. cc. 248; 249; 987 CCEO; 134 § 3; 479; 480 CIC/1983.
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dieser Kirche eigene Ritus bewahrt ist und der Patriarch das rechtmäßig erworbene Recht hat, Provinzen, Eparchien und Exarchate zu errichten (vgl. c. 85 CCEO). Nach Maßgabe von c. 271 § 5 CCEO steht dem eparchialen Konsultorenkollegium bei Behinderung des Eparchialsitzes derjenige vor, der zwischenzeitlich die Stelle des Eparchialbischofs einnimmt, oder falls noch niemand ernannt ist, der der Weihe nach älteste Priester dieses Kollegiums. Diese Vorschrift ist insbesondere bei einer Wahl gemäß c. 233 § 2 CCEO relevant. Die Eparchie ist behindert vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme über die Amtsbehinderung bis zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme über das Ende der Amtsbehinderung durch Wegfall des Grundes der Behinderung (Gefangenschaft, Ausweisung, Exil oder Unfähigkeit des Eparchialbischofs). Das Ende der Amtsbehinderung kann auch resultieren aus dem Tod, dem Amtsverzicht, der Versetzung oder der Absetzung des Eparchen und somit die Vakanz gemäß c. 219 CCEO zur Folge haben. Bei Behinderung des Eparchialsitzes obliegt es gemäß c. 286 CCEO demjenigen, der die Eparchie zwischenzeitlich leitet, den Priester, der vom höheren Oberen nach Maßgabe des c. 284 § 2 CCEO vorgeschlagen wurde, zum Pfarrer zu ernennen (18), sowie den Pfarrer aus dem Kreis der anderen Priester zu ernennen, wenn der Eparchialsitz mindestens ein Jahr behindert ist (28). 2. Die Ausübung der Leitungsgewalt im Falle der Behinderung Gemäß c. 984 § 1 CCEO sind Hierarchen außer dem Papst insbesondere der Patriarch, der Großerzbischof, der Metropolit, der einer eigenberechtigten Metropolitankirche vorsteht, und der Eparchialbischof sowie jene, die ihnen für eine Übergangszeit in der Leitung nach Maßgabe des Rechts nachfolgen. Hierzu zählen ausdrücklich nicht der Protosynkellos und etwaige Synkelloi. Es handelt sich somit um einen gravierenden Unterschied zum Rechtsinstitut des Ordinarius gemäß c. 134 § 1 CIC/1983. Alle Vollmachten, welche dem Hierarchen oder dem Eparchialbischof zukommen, kommen dem Protosynkellos nur dann zu, wenn sie ihm vom Eparchialbischof per Spezialmandat übertragen wurden.10 Nicht wenige Rechtsakte, welche dem Eparchialbischof11 bzw. dem Hierarchen12 vorbehalten sind, kommen im lateinischen Recht dem Ortsordinarius zu. 10
Vgl. cc. 248 § 1; 987 CCEO. Vgl. cc. 190 – 211; 237 § 1; 238 § 1, 108; 238 § 2; 240; 242 – 244; 247; 251 § 1; 257 § 1; 258; 260 § 1; 261 § 1; 262 § 1; 263 §§ 1, 4; 265; 266, 38; 269; 270 § 3; 271, § 1, §§ 3 – 5; 272; 273 §§ 1, 3; 275; 276 § 1; 277 §§ 1, 3; 278 § 4; 280 §§ 1, 2; 282; 283; 284 §§ 1, 2; 285 § 3; 296 § 4; 297 – 299 § 1; 300 § 1; 301 § 3; 302 §§ 1, 4; 303; 305; 310; 334 § 1; 337 § 3; 341 § 1; 356 § 2; 359; 360; 362 § 1; 385 § 3; 386 § 2; 414 §§ 1, 3; 415 § 2; 435 § 1; 436 § 2; 438 §§ 1, 3; 443 § 1; 452 § 1; 489 § 2; 491; 496 § 2; 499; 506 § 1; 509 § 1; 510; 517 § 1 i. V. m. 452 § 1; 543; 546 § 2; 548 § 2 i. V. m. 489 § 2; 549 § 2, 28; 552 § 1; 566 i. V. m. 506 § 1; 568 § 2; 575; 576 § 2; 577; 582; 583 § 2, 28; 609; 610 §§ 1, 4; 615; 623 § 1; 636; 638; 652; 671 § 4; 703 § 2; 720 § 3; 722 § 2; 747 – 750 § 1, 18; 752; 755; 775; 852; 868; 870; 871 § 2; 873; 910 § 2; 11
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Da es sich beim interimistischen Leiter um ein Stellvertretungsamt handelt und keine Präjudizien für die Ausübung der Jurisdiktionsgewalt seitens des vertretenen Amtes geschaffen werden sollten, sollte der interimistische Leiter versuchen, sich in der Zeit der Amtsbehinderung vor allem auf dem Protosynkellos von Rechts wegen zukommende Verwaltungsakte zu beschränken. Das dem Rechtsinstitut des Ortsordinarius (vgl. c. 134 § 2 CIC/1983) entsprechende Rechtsinstitut ist das des Ortshierarchen: Gemäß c. 984 § 2 CCEO sind Ortshierarchen außer dem Papst der Eparchialbischof, der Exarch, der Apostolische Administrator, diejenigen, die ihnen für eine Übergangszeit rechtmäßig in der Leitung nachfolgen, wenn die Vorgenannten fehlen, und ebenso der Protosynkellos und der Synkellos; der Patriarch aber, der Großerzbischof, der Metropolit, der einer eigenberechtigten Metropolitankirche vorsteht, und diejenigen, die ihnen für eine Übergangszeit in der Leitung nach Maßgabe des Rechts nachfolgen, sind Ortshierarchen nur hinsichtlich der Eparchie, die sie leiten, unbeschadet des c. 101 CCEO, welcher sich unter anderem auf Orte bezieht, an denen weder eine Eparchie noch eine Exarchie errichtet ist. Die Verwaltungsakte des Ortshierarchen13 werden mit ausführender Gewalt14 gesetzt. Einige Normen verweisen allgemein auf die kirchliche Autorität.15 Vermieden werden sollten so weit wie möglich Verwaltungsakte, die für den Protosynkellos ein Spezialmandat voraussetzen, und Gesetzgebungsakte.16 Nicht wenige Normen verweisen auf das Partikularrecht der jeweiligen eigenberechtigten Kirche.17 Im Falle der Behinderung des Amtes des Vorstehers einer eigenberechtigten Kirche sollte durch den interimistischen Leiter nur im Falle äußerster Notwendigkeit die Initiative ergriffen werden, Änderungen an diesem Partikularrecht vorzunehmen. 1012 § 1; 1014; 1022 § 1; 1036 § 1, 28; 1036 § 2, 28; 1052 §§ 3, 4; 1053; 1084 § 2; 1086 § 1; 1087 § 1; 1093 §§ 1, 2; 1095 § 1; 1099 § 1; 1100 § 2; 1107 § 2; 1128; 1340 § 1; 1378; 1383 §§ 1 – 3; 1389; 1397; 1538 § 1 CCEO. 12 Vgl. cc. 296 § 4; 336 § 1; 383, 28; 662 § 1; 703 § 1; 763, 38; 887; 893 § 1, 18; 1016 § 3; 1025; 1032; 1045; 1046 §§ 1, 2; 1048 § 2; 1049; 1052 § 2; 1138 § 3; 1371; 1385; 1410; 1420 § 1, 18; 1420 § 2; 1468 § 1; 1469; 1472 § 1; 1473; 1475 § 1; 1486 § 1, 28; 1535; 1538 § 2 CCEO. 13 Vgl. cc. 147; 287 § 2, 18; 292 § 1; 302 § 2; 306 § 2; 307; 309; 386; 475 § 1; 539 § 2; 657 § 3; 662 § 1; 677 § 1; 687 § 2; 705 § 2; 722 § 4; 723 § 1; 724 § 1; 726 § 2 i. V. m. 722 § 4; 789; 794; 795 § 1; 796 § 1; 797 § 1; 798; 799; 814; 816; 828 § 1; 829 § 1; 830 §§ 1, 2; 831 § 1; 833 § 1; 838 § 1; 840 §§ 1, 2; 855 § 2; 856 § 1; 858; 859 § 3; 864 § 1; 876 §§ 1, 2; 893 § 1, 28; 1015; 1370 § 1; 1420 § 1, 28; 1420 § 2; 1429 § 2 CCEO. 14 Vgl. cc. 191 § 2; 248 § 1; 986; 1510 § 1 CCEO. 15 Vgl. cc. 500 § 4; 573 § 2; 767 § 3; 797 § 1; 1015; 1024 §§ 1, 2; 1141; 1146 § 1; 1487 §§ 1, 3; 1530 CCEO. 16 Vgl. cc. 241; 274 § 1; 292 § 3; 296 § 1; 722 § 4; 1531 § 1; 1538 § 1 CCEO. 17 Vgl. cc. 17; 194; 198; 242; 247 § 2; 263 § 1; 265; 266, 18; 277 § 1; 284 § 2; 284 § 3, 48; 287 § 2; 294; 295; 296 § 1; 297 § 2; 327; 358; 365 § 2; 377; 385 § 2; 408 § 2; 572; 666 § 3; 670 § 2; 697; 708; 709 § 1; 713 § 2; 741; 758 § 1, 58-68; 758 § 3; 759 § 1; 782 § 1; 784; 792; 800 § 2; 815; 837 § 2; 838 § 2; 864 § 2; 867 § 2; 880 § 3; 882; 886; 910 § 2; 987; 1002; 1004; 1012 § 2; 1013; 1021; 1022 § 2; 1084 § 1, 48; 1129 § 1; 1340 § 1; 1420 § 2; 1518 CCEO.
Die Behinderung des Eparchialsitzes nach dem CCEO
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Der interimistische Leiter sollte sich zunächst auf die dem Protosynkellos von Rechts wegen zukommenden Verwaltungsakte konzentrieren, dann im Falle der Notwendigkeit auf die Verwaltungsakte, die für den Protosynkellos ein Spezialmandat voraussetzen, und nur im Falle äußerster Notwendigkeit auf Gesetzgebungsakte. Der interimistische Leiter handelt wie im lateinischen Recht kraft gesetzlicher Delegation mit ordentlicher stellvertretender Gewalt („potestas ordinaria vicaria“). Im Falle der Behinderung des Eparchialsitzes ist ausdrücklich keine Ernennung eines Administrators der Eparchie vorgesehen. Allerdings hat der vorübergehende Leiter faktisch dieselben Vollmachten inne18, wenn er die Eparchie auch mit stellvertretender und nicht mit eigenberechtigter Gewalt leitet. Wie die Vollmacht des Administrators ist auch seine Vollmacht durch die Generalklausel des c. 228 § 2 CCEO eingeschränkt sowie durch Einzelbestimmungen, welche die Vollmacht des Administrators einschränken.19
18
Vgl. Luigi Sabbarese CS, c. 233 CCEO, in: Commento al Codice dei Canoni delle Chiese Orientali, hrsg. von Pio Vito Pinto unter Mitwirkung von Dimitrios Salachas, mit einem Vorwort von Patriarch Ignace Moussa I Card. Daoud (= Studium Romanae Rotae. Corpus Iuris Canonici II), Rom 2001, S. 210. 19 Vgl. cc. 255; 260 § 2; 282 § 1; 286; 363; 575 § 1, 18; 750 § 1, 28; 750 § 2; 1088 § 2 CCEO.
Die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren – eine einzigartige personale Teilkirche? Peter Stockmann Auf den ersten Blick scheint die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren eine gewöhnliche Teilkirche zu sein. Das Päpstliche Jahrbuch 2013 informiert unter anderem darüber,1 dass sie von der Kongregation für die Orientalischen Kirchen abhängt, die amtlichen Namen Kottayam dei Siro-Malabaresi bzw. Kottayamen(sis) trägt sowie am 29. August 1911 Apostolisches Vikariat, am 21. Dezember 1923 Eparchie und am 9. Mai 2005 Metropolitansitz wurde; außerdem, dass als Gericht erster Instanz das Metropolitangericht Kottayam und als Berufungsgericht das Metropolitangericht Changanacherry (Changanassery) fungieren. Der Erzbischof bzw. Metropolit2 residiert in der Stadt Kottayam im indischen Bundesstaat Kerala. Die Erzeparchie umfasst eine Fläche von 560.665 km2 und zählt 3.843.000 Einwohner, von denen 176.429 Syro-Malabaren sind; sie hat 149 Pfarreien und Quasi-Pfarreien sowie 149 Weltpriester und 91 Ordenspriester, überdies 121 Mitglieder männlicher Religioseninstitute und 1.182 Mitglieder weiblicher Religioseninstitute. Ungewöhnlich wirkt nur, dass Kottayam der Syro-Malabaren ein Metropolitansitz ohne Suffraganeparchie(n)3 und die Fläche – welche ungefähr der des metropolitanen Frankreichs entspricht – verhältnismäßig groß ist. Bei der Suche nach Erklärungen hierfür finden sich so überraschende Auskünfte wie: „L’eparchia di Kottayam è personale per i malabaresi sudisti sull’intero territorio delle altre eparchie malabaresi; comprende pure i Malankaresi sudisti.“4 Diese Informationen werfen eine Reihe von Fragen auf: Wer sind die malabarischen und malankarischen Südisten? Handelt es sich bei der Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren also gar nicht um eine territoriale Zirkumskription, wie die Flächenangabe im Annuario Pontificio zunächst vermuten lässt? Ist sie vielleicht eine einzigartige personale Teilkirche?
1
Vgl. AnPont 2013, S. 375 f. Die offizielle Selbstbezeichnung lautet: Metropolitan Archbishop of Kottayam (vgl. http://kottayamad.org/arch-bishop-of-kottayam/ [Stand: 31. 07. 2014]). 3 Vgl. AnPont 2013, S. 1119. 4 Sacra Congregazione per le Chiese Orientali (Hrsg.), Oriente Cattolico. Cenni storici e statistiche, Città del Vaticano 41974, S. 404. 2
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Peter Stockmann
I. Die Südisten bzw. Knananiten im Kontext der Kirchengeschichte Indiens Um die verfassungsrechtliche Genese der heutigen Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren besser verstehen zu können, ist es hilfreich, die Kirchengeschichte Indiens im Allgemeinen und die Geschichte der indischen Thomas-Christen im Besonderen wenigstens den Grundzügen nach zu kennen.5 Die Thomas-Christen sind eine ethnisch und konfessionell heterogene Gemeinschaft. Ethnisch werden zwei Gruppen von Thomas-Christen unterschieden, die sog. Nordisten (Englisch: Northists, Nordists; Malayalam: Vadakkumbhagar) und die sog. Südisten6 (Englisch: Southists, Suddists; Malayalam: Thekkumbhagar) bzw. Knananiten (auch Knanaya oder Kinaniten genannt; Englisch: Knanites, Knanaya, Kinanites). Einer weit verbreiteten Überlieferung zufolge stammen die Nordisten von den Mitgliedern der sieben Gemeinden ab, die der Apostel Thomas nach sei5
Vgl. Heinzgerd Brakmann, Art. Thomaschristen, in: LThK3 X, Sp. 1 – 5; Leslie Wilfrid Brown, The Indian Christians of St Thomas. An Account of the Ancient Syrian Church of Malabar, Cambridge 1956; George Menachery (Hrsg.), The St. Thomas Christian Encyclopaedia of India, 1. Bd. Indian Christianity by Chronological, Denominational, Geographical, and Ecclesiastical Divisions, Trichur 1982; George Menachery (Hrsg.), The St. Thomas Christian Encyclopaedia of India, 2. Bd. Apostle Thomas – Kerala – Malabar Christianity, Trichur 1973; Stephen Neill, A History of Christianity in India. The Beginnings to AD 1707, Cambridge/London/New York/New Rochelle/Melbourne/Sydney 1984; Placidus a S. Joseph, Art. Thomaschristen, in: LThK2 X, Sp. 152 – 154; Placid J. Podipara, Die Thomas-Christen (= Das östliche Christentum. Neue Folge 18), Würzburg 1966; ders., The Rise and Decline of the Indian Church of the Thomas Christians (= Oriental Institute for Religious Studies, India 31), Kottayam 1979; ders., The Latin Rite Christians of Malabar (= Denha Services 9), Kottayam 1986; Giuseppe Sorge, L’India di S. Tommaso. Ricerche storiche sulla Chiesa malabarica, Bologna 1983; Bertold Spuler, Die Thomas-Christen in Süd-Indien, in: Bertold Spuler (Hrsg.), Handbuch der Orientalistik, 1. Abt. Der Nahe und der Mittlere Osten, 8. Bd. Religion, 2. Abschn. Religionsgeschichte des Orients in der Zeit der Weltreligionen, Leiden/ Köln 1961, S. 226 – 239; Jacob Thekeparampil, Lebendiges Syrisches Erbe in Indien, in: Jürgen Tubach/G. Sophia Vashalomidze (Hrsg.), Studien zu den Thomas-Christen in Indien (= Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 33), Halle 2006, S. 7 – 47; Eugene Tisserant, Eastern Christianity in India. A History of the Syro-Malabar Church from the earliest time to the present day, London/New York/Toronto 1957; Benedict Vadakkekara, Origin of India’s St Thomas Christians. A Historiographical Critique, Delhi 1995. 6 Vgl. Jacob Kollaparambil, The Babylonian Origin of the Southists Among the St Thomas Christians (= Orientalia Christiana Analecta 241), Roma 1992; Alexander J. Mapleton (Hrsg.), Knanaya Catholics. History, Heritage & Heroes, Las Vegas 2010; E. P. Mathew, The Knanaya Community of Kerala, in: Menachery, Encyclopaedia, 2. Bd. (Anm. 5), S. 74 f.; Kerstin Neumann, Mond, Gott Siva und heiliger Thomas. Die religiöse Gemeinschaft der Knanaya in Kerala, Diss. Marburg 1998; Jacob Stephen, Malankara Syrian Knanaya Christian Community, in: Menachery, Encyclopaedia, 2. Bd. (Anm. 5), S. 87 – 89; Richard Michael Swiderski, Blood Weddings: The Knanaya Christians of Kerala, Madras 1988; Jacob Vellian, A „Jewish-Christian“ Community, in: Menachery, Encyclopaedia, 2. Bd. (Anm. 5), S. 73 f.; Jacob Vellian (Hrsg.), Symposium on Knanites. Conducted in Connection With the Platinum Jubilee Celebrations of the Diocese of Kottayam on 29th August 1986 (= The Syrian Churches Series 12), Kottayam 1986.
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ner Ankunft in Indien im Jahre 52 an der Malabarküste gegründet hatte, die Südisten dagegen von den 72 judenchristlichen Familien, welche unter der Führung des Kaufmanns Thomas von Kinayi (auch Thomas von Kynai, Thomas Knayil oder Thomas von Cana genannt) im Jahre 345 aus Mesopotamien in die malabarische Küstenstadt Cranganore (Kodungallur) gezogen waren.7 Zahlenmäßig ist die Gruppe der Nordisten weitaus größer als die Gruppe der Südisten. Ein besonderes Kennzeichen der Südisten ist deren strikte Endogamie.8 Das Hauptsiedlungsgebiet der Südisten ist nach wie vor der indische Bundesstaat Kerala, eine größere Anzahl von ihnen ist mittlerweile auch in anderen Bundesstaaten Indiens sowie in Australien, in Kanada, in den USA, im Vereinigten Königreich usw. ansässig. Konfessionell sind die Thomas-Christen gespalten, hauptsächlich in einen unierten und in einen altorientalischen Zweig, wobei dieser konfessionelle Riss durch beide ethnische Gruppen hindurchgeht. Zu den unierten Kirchen in Indien zählen die zur chaldäischen bzw. ostsyrischen Ritustradition gehörende syro-malabarische Kirche und – seit der Konversion von zwei altorientalischen Bischöfen im Jahre 1930 – die der antiochenischen bzw. westsyrischen Ritustradition verbunden gebliebene syro-malankarische Kirche. Es gibt also neben altorientalischen Nordisten und Südisten sowohl unierte syro-malabarische Nordisten und Südisten als auch unierte syro-malankarische Nordisten und Südisten.9 Nach Jahrhunderten der lateinischen Vorherrschaft über die katholischen Thomas-Christen – ausgeübt zuerst durch den portugiesischen Padroado, dann auch durch die Propaganda-Kongregation, zuletzt durch die Kongregation für die Orientalische Kirche – wurden 1923 die syro-malabarische Hierarchie und 1932 die syromalankarische Hierarchie errichtet, so dass zusammen mit der seit 1886 bestehenden lateinischen Hierarchie heute in Indien drei sich territorial teilweise überschneidende katholische Hierarchien existieren.
II. Verfassungsrechtliche Genese der Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren Der Werdegang der jetzigen Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren beginnt im Jahre 1887.10 Nachdem Papst Leo XIII. (1810 – 1903) 1886 in Indien die lateini7
Zu dieser und anderen Ätiologien vgl. Brown, Christians (Anm. 5), S. 175 f.; Tisserant, Christianity (Anm. 5), S. 8 f.; Vadakkekara, Origin (Anm. 5), S. 194. 8 Vgl. Kuriakose Kunnacherry, The Knanaya Endogamy, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 99 – 102. 9 Vgl. Podipara, Christians (Anm. 5), S. 3 Anm. 2: „It is interesting to note that among some Latin rite Christians near Quilon and among certain Tamil Brahmins also there exists the distinction between Southists and Northists.“ 10 Vgl. Jacob Kalapurayil, History of the Diocese of Kottayam, in: Menachery, Encyclopaedia, 1. Bd. (Anm. 5), S. 237 f.; Placid J. Podipara, The Canonical Sources of the SyroMalabar Church. Hrsg. v. Xavier Koodapuzha (= Oriental Institute of Religious Studies, India 104), Kottayam 1986; Jose Tharayil, The Origin and Development of the Knanaya Arch-
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sche Hierarchie errichtet hatte, nahm er mit dem Apostolischen Schreiben „Quod iampridem“ vom 20. Mai 188711 die Trennung der Katholiken des syro-malabaridiocese of Kottayam, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 40 – 49; Andrews Thazhath, The Juridical Sources of the Syro-Malabar Church (A Historico-Juridical Study) (= Oriental Institute of Religious Studies, India 106), Kottayam 1987; Varkey J. Vithayathil, The Origin and Progress of the Syro-Malabar Hierarchy (= Oriental Institute of Religious Studies, India 36), Kottayam 1980. 11 Text: ASS 19 (1886 – 1887), S. 513 f.: „Leo PP. XIII. Ad futuram rei memoriam. Quod iampridem Praedecessoribus Nostris in votis fuit, ut Ecclesiastica Hierarchia in Indiis Orientalibus constitueretur, id ex Apostolico munere, quo licet immeriti fungimur, efficere aggressi sumus. Quod cum praestiterimus Apostolicis Litteris, quarum initium Humanae Salutis Auctor kalendis Septembribus anno superiore datis, pro sollicitudine Ecclesiarum omnium Nobis divinitus commissarum, peculiarem curam Catholicorum ritus Syro-Malabarici habere voluimus, eaque in re eorumdem Praedecessorum Nostrorum vestigiis inhaesimus, qui nihil intentatum reliquerunt, ut praedicti ritus fideles in iisdem regionibus commorantes ad Catholicam veritatem et unitatem reducerentur, neque ullis postea conatibus haereticae vel schismaticae pravitatis ab ea se paterentur avelli. Quocirca ad eorumdem fidem, obedientiam et devotionem erga Apostolicam Sedem eo potiori modo remunerandam, quo in praesens rerum circumstantiae fieri posse suadebant, atque ut penes ipsos vera Christi Ecclesia maiora in dies incrementa suscipiat, auditis et assentientibus Archiepiscopis et Episcopis Indiae Centralis et Meridionalis in Civitatem Bangalorensem synodaliter convenientibus, praeside Ven. Fratre Apostolico Indiarum Orientalium Delegato, deque consilio Venerabilium Fratrum Nostrorum S. R. E. Cardinalium Congregationi Fidei Propagandae pro ritus Orientalis negotiis praepositorum, haec quae infrascripta sunt, constituenda censuimus. Itaque motu proprio, atque ex certa scientia ac matura deliberatione Nostris, praesentium vi mandamus, ut peracta rituali separatione Catholicorum Syro-Malabarentium a Latinis, duo pro illis constituantur Vicariatus Apostolici committendi Episcopis Latinis, qui sibi assumant Vicarium Generalem Syro-Malabarensem privilegio condecorandum exercendi proprio ritu Pontificalia, et Confirmationis Sacramentum, Chrismate tamen ab Episcopo consecrato, conferendi: nec non alios quatuor viros ecclesiasticos eiusdem gentis et ritus eligant, quorum consilio in omnibus ecclesiasticis negotiis utantur. Insuper praecipimus ut praedictorum Vicariatuum Apostolicorum territorialis divisio fiat per naturales limites fluminis Aluvay, quod ab urbe Maleatur Malabaricam regionem intersecat usque ad mare prope urbem Cochin, ita ut primus vicariatus sit septentrionalis cum ordinaria residentia Apostolici Vicarii in urbe Trichoor, unde appellationem sumet, alter sit meridionalis cum ordinaria residentia prope Vicarii Apostolici in urbe Cottayam, a qua nomen accipiet. Decernentes praesentes Litteras firmas, validas et efficaces existere ac fore, suosque plenarios et integros effectus sortiri atque obtinere, illisque ad quos spectat et in futurum spectabit in omnibus et per omnia plenissime suffragari; sicque in praemissis per quoscumque Iudices ordinarios et delegatos, etiam causarum Palatii Apostolici Auditores, Sedis Apostolicae Nuncios, S. R. E. Cardinales etiam de latere Legatos, et alios quoslibet quacumque praeeminentia et potestate fungentes et functuros, sublata eis et eorum cuilibet quavis aliter iudicandi et interpretandi facultate et auctoritate, iudicari ac definiri debere, atque irritum et inane, si secus super his a quoquam quavis auctoritate scienter vel ignoranter contigerit attentari. Non obstantibus Constitutionibus et Ordinationibus Apostolicis, nec non Benedicti XIV Praedecessoris Nostri recol. mem. super divisione materiarum, aliisque speciali licet atque individua mentione ac derogatione dignis in contrarium facientibus quibuscumque. Porro praecipimus ut praesentium Litterarum transumptis seu exemplis, etiam impressis, manu alicuius Notarii publici subscriptis, et sigillo personae in Ecclesiastica dignitate constitutae munitis, eadem prorsus fides adhibeatur quae adhiberetur ipsis praesentibus si forent exhibitae vel ostensae. Datum Romae apud S. Petrum sub Annulo Piscatoris, die XX Maii MDCCCLXXXVII, Pontificatus Nostri Anno Decimo. M. Card. Ledochowski.“ Vgl. Jacob
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schen Ritus von den Katholiken des lateinischen Ritus und die Gründung der zwei Apostolischen Vikariate Trichur (Thrissur) und Kottayam für die syro-malabarischen Katholiken vor.12 Die Leitung der territorial durch den Fluss Aluvay (Periyar) voneinander abgegrenzten und nach der Residenzstadt des Vorstehers benannten Apostolischen Vikariate wurde jeweils einem lateinischen Bischof übertragen, der als Apostolischer Vikar einen mit besonderen Privilegien ausgestatteten syro-malabarischen Generalvikar und vier syro-malabarische Konsultoren ernennen sollte. Das Apostolische Vikariat Kottayam hatte anfangs rund 120.000 syro-malabarische Einwohner (100.000 Nordisten und 20.000 Südisten), 277 Priester sowie 152 Kirchen und Kapellen; Apostolischer Vikar war Bischof Charles Lavigne SJ (1840 – 1913), als Generalvikar amtierte Emmanuel Nidiri, ein Nordist.13 Da die Südisten nicht einem Nordisten unterstellt sein wollten, wurden 1889 aus ihrer Mitte ein separater Generalvikar – in Person von Mathew Makil14 (1851 – 1914) – und zwei Konsultoren ernannt. 1890 erfolgte die Verlegung der Residenz des Apostolischen Vikars von Kottayam nach Changanacherry, weil in der Stadt Kottayam nur wenige Katholiken lebten und eine geeignete Kirche fehlte.15 Zu einer Neuordnung kam es, als Papst Leo XIII. aufgrund vor allem der großen Zahl von Gläubigen sowie außerordentlicher örtlicher und personeller Umstände16 mittels des Apostolischen Schreibens „Quae rei sacrae“ vom 28. Juli 189617 drei Kollaparambil, Is the Knanaya Community a Caste?, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 525 – 530, hier S. 527 f.; Thazhath, Sources (Anm. 10), S. 240; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 56 – 63. 12 Vgl. Sorge, India (Anm. 5), S. 121: „In tal modo venne a cadere la nona norma del Concilio Laterano IV, secondo la quale due capi indipendenti non potevano essere in un dato territorio anche se i fedeli che vi vivevano erano di riti diversi.“ Vgl. auch Podipara, ThomasChristen (Anm. 5), S. 163; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 48 – 55 und S. 60. 13 Vgl. Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 63. Vgl. auch Tisserant, Christianity (Anm. 5), S. 127 f. 14 Vgl. Alex Mapleton, Servant of God, Mar Mathew Makil, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 161 – 168. 15 Vgl. Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 63 Anm. 42. 16 Vgl. ebd., S. 64 f. 17 Text: Leonis XIII Pontificis Maximi Acta, 16. Bd., Romae 1897, S. 229 – 232: „Leo PP. XIII. Ad perpetuam rei memoriam. Quae rei sacrae procurationi melius gerendae facere possint, et quae catholico nomini aeternaeque fidelium saluti bene, prospere ac feliciter eveniant, ea Nos pro supremi Apostolatus officio Nobis commisso libenter exequimur, atque in id potissimum curas omnes Nostras cogitationesque intendimus, nimirum ut in regionibus longo terrarum marisque tractu disiunctis, aucto Pastorum numero, satius christiani gregis incolumitati ac bono consultum sit. Et sane hoc consilio adducti ut spirituali fidelium Syro-Malabarensium regimini prospiceremus, Apostolicis litteris die XX Maii mensis anno MDCCCLXXXVII datis mandavimus, ut, peracta rituali separatione eorumdem Malabarensium a Latinis, duo pro illis constituerentur Vicariatus Apostolici, Episcopis latinis committendi, simulque praecipimus, ut horum Vicariatuum territorialis divisio fieret per naturales limites fluminis Alway, quod ab urbe Maleatur Malabaricam regionem intersecat usque ad mare prope urbem Cochin, ita ut primus Vicariatus esset septentrionalis cum ordinaria residentia Apostolici Vicarii in urbe Trichur, alter vero meridionalis cum ordinaria residentia
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Apostolische Vikariate für die Syro-Malabaren an Stelle der bisherigen zwei errichtete, nämlich Trichur, Ernakulam und Changanacherry, und diese Vikariate syro-malabarischen Bischöfen anvertraute. „Thus the centuries-old desire of the Syrians to see Bishops of their own rite and nation was fulfilled in the end.“18 Die genannten drei Apostolischen Vikariate unterstanden unmittelbar dem Heiligen Stuhl; Ernakulam und Changanacherry19 umfassten – wie im Apostolischen Schreiben eigens erwähnt wurde – auch Kirchen der Südisten. Auf entsprechende Bitten20 hin verfügte Papst Pius X. (1835 – 1914) im Apostolischen Schreiben „In Universi“ vom 29. August 191121, dass alle Pfarreien und Kirproprii Vicarii Apostolici in urbe Kottayam. Nunc vero quum, attento praesertim fidelium numero, atque inspectis peculiaribus locorum ac personarum adiunctis, peropportunum Nobis visum sit, ut tres pro Syro-Malabarensibus Vicariatus Apostolici constituantur, quo satius spirituali emolumento fidelium regionum illarum consulamus, omnibus rei momentis attento ac sedulo studio perpensis cum VV. FF. NN. S. R. E. Cardinalibus Congregationi Fidei propagandae pro negotiis Ritus Orientalis praepositis, haec quae infra scripta sunt, de consilio eorumdem Fratrum Nostrorum decernentes, novum benevolentiae Nostrae argumentum erga Syro-Malabarensem Ecclesiam exhibendum existimavimus. Quae quum ita sint, motu proprio atque ex certa scientia et matura deliberatione Nostris, deque Apostolicae potestatis plenitudine, praesentium vi, nova inita totius regionis circumscriptione, tres pro Syro-Malabarensibus constituimus Vicariatus Apostolicos a Sancta Sede immediate dependentes, videlicet Vicariatum Trichurensem, Ernaculamensem et Changanacherensem, quorum tamen territorium eatenus patere volumus, quatenus patebat duplex prior Vicariatus, Trichurensis nempe et Kottayamensis. Singulorum autem Vicariatuum limites hoc modo definiendos praecipimus. Primo, Vicariatus Apostolicus Trichurensis cum ordinaria Vicarii residentia in urbe vulgo Trichur nuncupata, a finibus dioecesis Mangalorensis et Coimbaturensis porrigatur usque ad flumen Shalacoodee, quod prope Cranganore in Oceanum influit. Secundo, Vicariatus Apostolicus Ernaculamensis cum ordinaria Vicarii residentia in urbe Ernaculam, reliquas ecclesias complectatur veteris Vicariatus Trichurensis ad sinistram fluminis Shalacoodee oram, nec non triplicem Decanatum Edapally, Arakuye, et Pallipuram una cum tribus ecclesiis Suddistarum Chumkam, Caringott, et Bramangalam. Tertio, Vicariatus Apostolicus Changanacherensis cum ordinaria Vicarii residentia in urbe Changanachery, complectatur quinque Decanatus, Anakalumkel, Palah, Muttichira vel Coravalangat, Changanachery, et Callurkatt cum omnibus ecclesiis et sacellis Suddistarum intra ambitum huius territorii collocatis. Decernentes has Nostras litteras firmas, validas et efficaces existere et fore, suosque plenarios et integros effectus sortiri et obtinere, illisque ad quos spectat et spectare poterit in omnibus et per omnia plenissime suffragari, sicque in praemissis per quoscumque iudices ordinarios et delegatos iudicari et definiri debere, atque irritum et inane si secus super his a quoquam quavis auctoritate, scienter vel ignoranter, contigerit attentari. Non obstantibus Nostra et Cancellariae Apostolicae regula de iure quaesito non tollendo, aliisque Constitutionibus et Ordinationibus Apostolicis, ceterisque contrariis quibuscumque. Datum Romae apud S. Petrum sub anulo Piscatoris die XXVIII Iulii MDCCCXCVI, Pontificatus Nostri anno decimo nono. C. Card. de Ruggiero.“ Vgl. Thazhath, Sources (Anm. 10), S. 241; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 64 – 68. 18 Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 68. 19 Apostolischer Vikar von Changanacherry war Bischof Mathew Makil, vormals den Südisten zugestandener Generalvikar des Apostolischen Vikariats Kottayam. 20 Vgl. z. B. Kollaparambil, Community (Anm. 11), S. 528; Mathew Vattakalam, Fr. Mathew Vattakalam, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 200 f., hier S. 201. Für die altorienta-
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chen der Südisten aus den Apostolischen Vikariaten Ernakulam und Changanacherry ausgegliedert und in dem für die Volksgruppe der Südisten (pro gente Suddistica) errichteten neuen Apostolischen Vikariat Kottayam zusammengefasst werden. Mit diesem Schritt wurde kirchenrechtliches Neuland betreten: „different Vicars Apostolic of the same rite exercise jurisdiction within the same territory. This seems to be the first instance of such a set-up. A similar case was to arise in 1924 A. D. when the Holy See appointed two titular Bishops as ordinaries for the Ruthenians in the U. S. A., one for the group originating from the ecclesiastical Province of Galicia and the other for those whose origin was in some part of Hungary. But we must note that in the case of the Syro-Malabarians, the Suddist Vicar Apostolic was given for the race (gens) while the other Vicars Apostolic were given for the rite. Hence the Suddist Vicar Apostolic was given only strictly personal jurisdiction over the Suddists.“22
lischen Südisten war schon im Jahre 1910 eine eigene Diözese geschaffen worden; „Rome had to follow suit“ (Brown, Christians [Anm. 5], S. 175). 21 Text: http://kottayamad.org/the-papal-bull-by-st-pius-x-instituting-the-vicariate-apostolic-of-kottayam-for-the-knanaya-community/ [Stand: 31. 07. 2014]: „Pius PP. X. Ad futuram rei memoriam. In Universi Christiani gregis regendi munere Nobis divinitus commisso Nostrum praesertim esse ducimus eos Ecclesiis fines terminare qui cum praesidum optatis, tum fidelium bono apprime respondeant. Hac mente adducti quo gentis Syro-Malabaricae fidei ac pietati melius consultum sit novum Vicariatum Apostolicum in illorum regione constituere decrevimus. In hac enim natione rec. me. Leo PP. XIII Dec. Noster suis hisce similibus litteris die duodetricesimo Julii anno MDCCCXCVI datis, tres Apostolicos Vicariatus id est Trichurensem, Ernakulamensem et Changanacherensem condidit, eisque tres antistites ex ipso Syro-Malabarico populo delectos praeficiendos censuit et curavit. Nunc vero cum tres Vicarii Apostolici eorumdem, quos supra memoravimus, Vicariatuum, initis inter se consiliis per epistolam diei primi Martii huius vertentis anni a Nobis enixe petierint, ut ad spirituali illarum regionum commoditati satius prospiciendum et ad dissidentium animos conciliandos novus Apostolicus Vicariatus in urbe vulgo ,Kottayam‘ nuncupata erigeretur. Nos omnibus rei momentis cum VV. FFr. NN. S.R.E. Cardinalibus S. Congregationis Christiano nomini propagando pro negotiis ritus orientalis mature ac sedulo perspectis, huiusmodi preces benigne excipere, atque illi praefatae nationi benevolentiae Nostrae pignus exhibere statuimus. Quare motu proprio, ex certa scientia ac de potestatis Nostrae plenitudine a duplici Vicariatu Apostolico Ernakulamensi et Changanacherensi omnes paroecias et Ecclesias Suddisticas dismembramus easque in novum Vicariatum Apostolicum in urbe vulgo ,Kottayam‘ pro gente Suddistica constituimus. Quis idcirco complectatur omnes Ecclesias et Sacella pertinentia ad Decanatum Kottayamensem et Kaduthuruthensem in Vicariatu Apostolico Changanacherensi una cum Ecclesiis Suddisticis Apostolici Vicariatus Ernakulamensis. Haec volumus ac praecipimus, decernentes praesentes litteras firmas, validas, efficaces semper existere et fore suosque plenarios et integros effectus sortiri et obtinere, illisque ad quos spectat et in posterum spectabit in omnibus et per omnia plenissime suffragari, sicque in praemissis esse iudicandum, atque irritum esse et inane si secus super his a quoquam quavis auctoritate scienter vel ignoranter contigerit attentari. Non obstantibus Nostrae Cancellariae Apostolicae regula de iure quaesito non tolenda aliisque Constitutionibus Apostolicis in contrarium facientibus quibuscumque. Datum Romae apud S. Petrum sub anulo Piscatoris die XXIX Augusti MCMXI Pontificatus Nostri Anno Nono. Raffaele Card. Merry del Val a Secretis Status.“ Vgl. Thazhath, Sources (Anm. 10), S. 254; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 68 f. 22 Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 69. Vgl. Podipara, Thomas-Christen (Anm. 5), S. 167 Anm. 1.
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Bischof Mathew Makil, der bisherige Apostolische Vikar von Changanacherry, wurde zum Apostolischen Vikar von Kottayam ernannt und damit verantwortlich für ungefähr 29.000 Gläubige, 30 Priester, 12 Seminaristen, 19 Schwestern, 35 Schulen und ein Waisenhaus.23 Seine Nachfolge trat 1914 Bischof Alexander Chulaparambil24 (1877 – 1951) an. Das Amt des Generalvikars hatte zuerst Mathew Kooplikat25 (1859 – 1945) inne. Mit der Apostolischen Konstitution „Romani Pontifices“ vom 21. Dezember 192326 erfolgte die Errichtung der syro-malabarischen Hierarchie. Unter Beibehaltung der Residenzsitze und Grenzen erhob Papst Pius XI. (1857 – 1939) das Apostolische Vikariat Ernakulam in den Rang einer Erzdiözese bzw. eines Metropolitansitzes und die Apostolischen Vikariate Changanacherry, Trichur sowie Kottayam in den Rang von Suffragandiözesen mit Ernakulam als Metropolitansitz. Der Apostolische Vikar von Kottayam, Bischof Alexander Chulaparambil, wurde Diözesanbischof von Kottayam; er erhielt 1945 in Thomas Tharayil27 (1899 – 1975) einen Bischofskoadjutor mit dem Recht der Nachfolge, der die Diözese von 1951 an (bis 1974) leitete. Als Reaktion auf Binnenmigrationsprozesse28 der Südisten erweiterte die Kongregation für die Orientalische Kirche die Jurisdiktion des Bischofs der Diözese Kottayam per Dekret vom 29. April 195529. Die personale Jurisdiktion (personalis iuris23
Vgl. Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 69. Vgl. Alex Mapleton, Mar Alexander Chulaparambil, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 172 – 175. 25 Vgl. Alex Mapleton, Msgr. Mathew Kooplikat, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 182 – 185. 26 Vgl. Text: AAS 16 (1924), S. 257 – 262. Vgl. auch Thazhath, Sources (Anm. 10), S. 256 – 258; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 71 – 85. 27 Vgl. Alex Mapleton, Mar Thomas Tharayil, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 176 – 178. 28 Vgl. z. B. Alex Mapleton, Knanaya Migration to North Malabar, Kerala, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 50 – 52; Joseph Pathyil/Alex Mapleton, Chevalier (Prof.) VJ Joseph, Kandoth, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 210 – 213; Tharayil, Origin (Anm. 10), S. 46 f. 29 Text: AAS 47 (1955), S. 785 f.: „Kottayamensis. Decretum. Iurisdictio Episcopi Kottayamensis extenditur. ,Suddistica Gens‘ quam vocant, cuius gratia a. 1911 Apostolica Sedes erexit Vicariatum Apostolicum Kottayamensem, anno deinde 1923 ad gradum dioeceseos evectum, partim magisque in annos extra fines provinciae ecclesiasticae ritus chaldaici Malabarensium transmigravit. Novissime autem Ssmus Dominus Noster Pius Divina Providentia Pp. XII, habito voto Excmi Internuntii Apostolici in India, audita relatione ab infrascripto Cardinali a secretis Sacrae Congregationis pro Ecclesia Orientali in Audientia diei 28 mensis Aprilis h. a. peracta, fines provinciae ecclesiasticae ritus chaldaici Malabarensium in commodum huius ritus fidelium benigne indulsit immutare. Agendum porro supererat negotium iurisdictionis extendendae Episcopi Kottayamensis, cuius curae ,Suddistica Gens‘ commissa est. Cui quidem negotio ut apte consuleretur, Idem Summus Pontifex in Audientia ipsa, de qua supra mentio facta est, dignatus est Kottayamensis Episcopi – cuius residentiae sedes est in urbe Kottayam – iurisdictionem ad novos fines universae provinciae ecclesiasticae chaldaici Malabarensium ritus extendere, edito de re speciali decreto. Quapropter, vi praesentis decreti, iussu Ssmi dato, personalis iurisdictio Episcopi Kottayamensis pro ,Suddistica Gente‘ extenditur ad totam provinciam ecclesiasticam ritus chaldaici Malabarensium, auctam videlicet 24
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dictio) dieses Bischofs über die seiner Sorge anvertraute Volksgruppe der Südisten wurde nun auf das neu umschriebene Gebiet der gesamten syro-malabarischen Kirchenprovinz – d. h. zu diesem Zeitpunkt das Territorium der Erzdiözese Ernakulam und der Diözesen Changanacherry, Trichur, Palai (Pala) sowie Tellicherry (Thalassery) – ausgedehnt. Infolge der von Papst Pius XII. (1876 – 1958) in der Audienz vom 29. Juli 195630 beschlossenen Erhebung der Diözese Changanacherry in den Rang einer Erzdiözese und Errichtung einer zweiten syro-malabarischen Kirchenprovinz mit dem Metropolitansitz Changanacherry wechselte Kottayam als Suffragandiözese von der Kirchenprovinz Ernakulam zur Kirchenprovinz Changanacherry über. Zwischen 1974 und 2006 stand Bischof Kuriakose Kunnacherry (*1928), seit 1967 Bischofskoadjutor mit dem Recht der Nachfolge, der Kirche von Kottayam vor. In jenem Zeitraum fanden mehrere für diese Teilkirche wichtige Ereignisse statt: Papst Johannes Paul II. (1920 – 2005) konstituierte am 16. Dezember 199231 durch die Apostolische Konstitution „Quae maiori“ die syro-malabarische Kirche als Großerzbischöfliche Kirche von Ernakulam-Angamaly (vgl. cc. 151 – 154 CCEO). „On December 23, 2003, His Holiness Pope John Paul II made a sovereign decision that the status of the Eparchy of Kottayam must be maintained (pro gente suddistica) and left it to the Bishops’ Synod of the Syro-Malabar church to decide on the desired enhancement of the juridical status of the Eparchy of Kottayam. In November 2004 the synod gave its consent to elevate the Eparchy of Kottayam to the rank of a metropolitan see without a suffragan eparchy. On March 21, 2005, the Congregation for the Oriental Churches issued a letter of no-objection to the decision of the Bishops’ Synod.“32
Sodann erhob der Großerzbischof der syro-malabarischen Kirche, Varkey Kardinal Vithayathil CSsR (1927 – 2011), die Eparchie Kottayam mit Dekret Prot. Nr. 264/ novis limitibus descriptis in decretis nuper editis pro dioecesibus Tellicherriensi, Trichuriensi, Changanacherensi. Ad haec autem exsecutioni mandanda Sanctitas Sua deputare dignata est Excmum P. D. Augustinum Kandathil, Archiepiscopum Ernakulamensem et Metropolitam, eidem tribuens facultates necessarias, haud excepta facultate subdelegandi, ad effectum de quo agitur, quemlibet virum in dignitate ecclesiastica constitutum, facto eidem Metropolitae onere remittendi ad hanc Sacram Congregationem authenticum exemplar actorum peractae exsecutionis. Contrariis quibuscumque minime obstantibus. Datum Romae, ex Aedibus Sacrae Congregationis pro Ecclesia Orientali, die 29 mensis Aprilis a. 1955. E. Card. Tisserant, Ep. Ostien., Portuen. et S. Rufinae, a Secretis. A. Coussa, Adsessor.“ Vgl. Thazhath, Sources (Anm. 10), S. 258; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 90. 30 Vgl. Texte: Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 131 f. (Kongregation für die Orientalische Kirche, Schreiben Prot. Nr. 424/56 vom 22. August 1956 an Mathew Kavukatt, Erzbischof von Changanacherry), und AAS 51 (1959), S. 580 f. (Papst Johannes XXIII., Apostolische Konstitution „Regnum caelorum“ vom 10. Januar 1959). Vgl. auch Thazhath, Sources (Anm. 10), S. 259; Vithayathil, Origin (Anm. 10), S. 91. 31 Vgl. Text: AAS 85 (1993), S. 398 f. 32 Tharayil, Origin (Anm. 10), S. 43. Vgl. Thomas M. Kottoor, Can the Archeparchy of Kottayam Become a Church Sui Juris?, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 531 – 538, hier S. 531.
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2005 vom 9. Mai 200533 in den Rang eines Metropolitansitzes, jedoch ausdrücklich ohne Unterstellung einer Suffraganeparchie. Unter demselben Datum wurde Bischof Kuriakose Kunnacherry zum Erzbischof und Metropoliten von Kottayam ernannt. Seit dem 14. Januar 2006 leitet Erzbischof bzw. Metropolit Mathew Moolakkatt OSB (*1953), der zunächst ab 1998 Auxiliarbischof und anschließend ab 2003 Bischofskoadjutor war, die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren, dabei von 2006 an unterstützt von Auxiliarbischof Joseph Pandarasseril (*1961). Der Erzbischof der Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren ist Mitglied der Synod of Bishops of the Syro-Malabar Church (vgl. cc. 152 f. CCEO i. V. m. cc. 102 – 113 CCEO), des Kerala Catholic Bishops’ Council (KCBC) und der Catholic Bishops’ Conference of India (CBCI; vgl. cc. 447 – 459 CIC/1983). Er hat exklusive personale Jurisdiktion über alle katholischen Südisten des syro-malabarischen Ritus und auch des syro-malankarischen Ritus34, die Glieder der Erzeparchie Kotta33 Text: http://kottayamad.org/decree-of-elevating-the-eparchy-of-kottayam-to-the-metropolitan-see/ [Stand: 31. 07. 2014]: „Prot. No. 264 / 2005. Varkey Cardinal Vithayathil, Major Archbishop of the Syro-Malabar Church, sends his fraternal greetings to Mar Kuriakose Kunnacherry and Mar Mathew Moolakatt, brother bishops in the episcopate and to the people of God of the Eparchy of Kottayam. The Eparchy of Kottayam, having been erected by H.H. Pope St.Pius X, of holy memory through the Papal Bull In Universi Christiani, on 29 August 1911, for the Knanaya community, has achieved commendable growth under the leadership of its Vicars Apostolic and Eparchial Bishops Mar Mathew Makil, Mar Alexander Choolaparambil, Mar Thomas Tharayil and the present Eparchial Bishop Mar Kuriakose Kunnacherry which was strengthened also by the appointment of an Auxiliary and later Co-adjutor Bishop Mar Mathew Moolakatt. The request for raising the See of Kottayam to the Metropolitan status was made by the present Eparchial Bishop of Kottayam to the Apostolic See through the erstwhile Syro-Malabar Bishop’s Conference and later through the Syro-Malabar Bishop’s Synod. After the Synod of Bishops of the Syro-Malabar Church was granted the exercise of all its faculties, the request was renewed and the Synod of Bishops of the Syro-Malabar Church in its session held from 1 to 13 November 2004 gave its consent and the Holy See gave its noobjection with the explicit understanding that the Metropolitan See of Kottayam is to remain without a suffragan eparchy. Therefore, in virtue of CCEO c. 85 and by the authority vested in him as the Major Archbishop of the Syro-Malabar Major Archiepiscopal Church to provide the people of God entrusted to his care with pastors and efficient systems of governance, and guided by the consideration of the good of the faithful of the Eparchy of Kottayam and of the entire Syro-Malabar Church, the undersigned Varkey Cardinal Vithayathil, hereby elevates the Eparchy of Kottayam to the rank of a Metropolitan See without a suffragan eparchy. By a separate decree, Mar Kuriakose Kunnacherry, the present Eparchial Bishop of Kottayam has been appointed as the first Metropolitan of the newly erected Metropolitan See of Kottayam. All contrary dispositions notwithstanding. Given at Kakkanad, from the Major Archiepiscopal Curia at Mount St. Thomas, on the 9th day of the month of May of the year 2005.“ 34 Vgl. Mapleton, Chulaparambil (Anm. 24), S. 173 f.: „Almost single handedly, he [Bishop Alexander Chulaparambil] brought about the reunification of a section of the Knanaya Jacobites in 1921. He deserves great praise for getting approbation the same year from the Holy See for the use of Antiochian (presently Syro-Malankara) Liturgy that facilitated reunion. Remember, his continual prodding and perseverance paved the way for the larger reunion movement nine years later (1930) under Mar Ivanios (Thiruvanathapuram) and Mar Savarios (Thiruvalla) and the erection of the Syro-Malankara hierarchy in 1932“; Tharayil, Origin (Anm. 10), S. 45 f.; Tisserant, Christianity (Anm. 5), S. 161 f. Anm. 1, hier S. 162
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yam der Syro-Malabaren sind und innerhalb des eigenen Gebiets (territorium proprium) der syro-malabarischen Kirche wohnen. Dieses territorium proprium besteht zur Zeit aus der Kirchenprovinz Ernakulam-Angamaly (Erzeparchie ErnakulamAngamaly, Eparchie Idukki, Eparchie Kothamangalam), aus der Kirchenprovinz Changanacherry (Erzeparchie Changanacherry, Eparchie Kanjirapally [Kanjirappally], Eparchie Palai, Eparchie Thuckalay), aus der Kirchenprovinz Tellicherry (Erzeparchie Tellicherry, Eparchie Belthangady, Eparchie Bhadravathi [Bhadravati], Eparchie Mananthavady, Eparchie Mandya, Eparchie Thamarasserry [Thamarassery]) und aus der Kirchenprovinz Trichur (Erzeparchie Trichur, Eparchie Irinjalakuda, Eparchie Palghat [Palakkad], Eparchie Ramanathapuram).35 Die außerhalb dieses territorium proprium wohnenden Südisten unterstehen der Jurisdiktion des jeweils zuständigen Ortshierarchen bzw. Ortsordinarius. In den USA hat der Eparchialbischof der syro-malabarischen Eparchie Saint Thomas the Apostle of Chicago Jurisdiktion über sämtliche dort wohnenden katholischen Südisten,36 denen von der Anm. 1: „To meet the wishes of such as belong to this category (Suddists), the S. Oriental Congregation has granted to that prelate the privilege of using the Antiochian rite, when needed“; Matthew Vattakuzhy, The Three Rites in Malabar, in: Menachery, Encyclopaedia, 2. Bd. (Anm. 5), S. 52 – 58, hier S. 56 und S. 58 Anm. 59. Vgl. auch http://www.ukkca.com/ about-us [Stand: 31. 07. 2014]: „From 1921 onwards a few priests of the Southist Jacobites joined the Southist Catholic Eparchy of Kottayam. By a decree of the Congregation for the Oriental Churches on July 5, 1921, these reunited priests were allowed to officiate in their own West-Syrian (now Syro-Malankara) Rite. After the reunion of Mar Ivanios and Mar Theophilos in 1930 and the institution of the Syro-Malankara hierarchy on May 18, 1932, the Congregation for the Oriental Churches approved an agreement made between the then Bishop of Kottayam Mar Alexander Chulaparambil and Mar Ivanios agreeing to that those who had already reunited and would reunite later from the Southist Jacobites could continue as part of the Southists’ Eparchy of Kottayam, keeping of course, their own Malankara Rite (cf. Letter to the Delegate Apostolic on May 20, 1932, port.76 l/31). This agreement has worked well until now with slight modification – in effect granting to the Southists at the time of reunion an option to join the eparchy of Kottayam or an eparchy under the Syro-Malankara hierarchy. Most of the reunited Southists now belong to the Eparchy of Kottayam, only a few having opted for membership in a parish belonging to the Eparchy of Tiruvalla or the Archeparchy of Trivandrum. According to the statistics gathered in 2000, the fifteen Syro-Malankara Rite parishes of the Eparchy of Kottayam have three thousand and three hundred members. Ministry for them is now coordinated under an Episcopal Vicar of the Malankara rite.“ Vgl. ferner Kottoor, Archeparchy (Anm. 32), S. 537: „The perceived problem of biritual existence in our archdiocese has been solved. In his letter of May 26, 2010, Leonardo Card. Sandri, the Prefect of the Congregation of Oriental Churches, he writes: ,[…] This Dicastery has carefully examined their (Malankara Knanaya) liturgical heritage, historical shaping, statistical data and related aspects. The decision of this Congregation is that the existing status will continue to prevail. The present pastoral care under your able leadership, with the assistance of a Vicar General is adequate for their growth […].‘“ 35 Nicht zum territorium proprium der syro-malabarischen Kirche gehören in Indien die Eparchien Adilabad, Bijnor, Chanda, Faridabad, Gorakhpur, Jagdalpur, Kalyan, Rajkot, Sagar, Satna sowie Ujjain, in den USA die Eparchie Saint Thomas the Apostle of Chicago und in Australien die Eparchie Saint Thomas the Apostle of Melbourne. 36 Vgl. Thomas Mulackal/Jose Kottoor/N. P. John Chethalil/Abraham Mutholath/Alex Mapleton, Our Growth and Development, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 471 – 485, hier S. 481 – 484.
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Kongregation für die Orientalischen Kirchen das Recht gewährt wurde, eigene Missionen und Pfarreien – „served by Knanaya priests“37 – zu errichten.38 Diese Südisten, ihre Missionen und ihre Pfarreien sind organisatorisch in einer Knanaya Catholic Region unter der Leitung eines Direktors zusammengefasst, der zugleich Syncellus (vgl. c. 246 CCEO) der Eparchie Saint Thomas the Apostle of Chicago ist.
III. Die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren als einzigartige personale Teilkirche Die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren weist einige verfassungsrechtliche Besonderheiten auf: a) Sie ist weltweit eine von wenigen personalen Teilkirchen: In der Regel sind Teilkirchen jeweils durch ein bestimmtes Territorium umschrieben. Ausnahmsweise können Teilkirchen als personal determinierte Zirkumskriptionen errichtet werden (vgl. c. 372 CIC/1983). Zu den – verglichen mit den rund 3.000 territorialen Teilkirchen – seltenen personalen Teilkirchen zählen die Apostolischen Exarchate für Gläubige eines orientalischen Ritus (2013: 15), die Ordinariate für Gläubige eines orientalischen Ritus (2013: 8), die Personalordinariate (2013: 3), die Militärordinariate (2013: 36), die Apostolische Personaladministration (2013: 1) und eben die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren.39 b) Sie ist weltweit die einzige personal determinierte Erzeparchie: Das geltende Recht der lateinischen Kirche sieht unter den verschiedenen Arten von personalen Teilkirchen auch die Personaldiözese vor. „Bislang ist es noch nicht zur Errichtung einer eigenen Personaldiözese gekommen.“40 Das Militärordinariat Spanien wird lediglich „explizit als Personaldiözese anerkannt und bezeichnet“41. Das geltende Recht der katholischen Ostkirchen kennt offensichtlich nur die territorial umschriebene Eparchie, nicht die Personaleparchie (vgl. c. 177 § 1 CCEO)42 und auch nicht die personal determinierte Erzeparchie. In Anbetracht der genannten rechtlichen und faktischen Gegebenheiten ist die personal bestimmte Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren als solche ein absolutes Unikum.
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Ebd., S. 484. Vgl. ebd., S. 484: „No other diocese of the Syro-Malabar hierarchy in Kerala enjoys this privilege.“ 39 Vgl. AnPont 2013, S. 1140 f. 40 Helmuth Pree, Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung, in: Folia Canonica 4 (2001), S. 21 – 44, hier S. 36 Anm. 64. 41 Ebd., S. 36 Anm. 63. 42 Vgl. ebd., S. 29. Vgl. aber auch c. 311 § 1 CCEO: „Die Exarchie ist ein Teil des Gottesvolkes, der wegen besonderer Umstände nicht als Eparchie errichtet ist und der, territorial oder auf andere Weise umschrieben, dem Exarchen zu weiden anvertraut ist.“ 38
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c) Sie ist weltweit einer von wenigen Metropolitansitzen ohne suffragane Teilkirche(n): Üblicherweise werden in der katholischen Kirche benachbarte Teilkirchen zu einer territorial umschriebenen Kirchenprovinz – bestehend aus einem Metropolitansitz und einer oder mehreren suffraganen Teilkirche(n) – zusammengefasst, auch wenn rechtlich dies nur c. 431 §§ 1 und 2 CIC/1983 zur Regel machen, während c. 85 § 1 CCEO darin eine Ausnahme sieht.43 Tatsächlich gibt es in der katholischen Kirche lediglich ein paar Metropolitansitze, denen keine suffragane Teilkirche zugeordnet ist. Dies sind gegenwärtig in der lateinischen Kirche Izmir (Türkei), Korfu, Zakynthos und Kefalonia (Griechenland), Saint-Boniface (Kanada) und Udine (Italien), in den katholischen Ostkirchen Aleppo der griechischen Melkiten (Syrien), Beirut der Armenier (Libanon), Beirut und Jbeil der griechischen Melkiten (Libanon), Bosra und Hauran der griechischen Melkiten (Syrien), Damaskus der griechischen Melkiten (Syrien), Damaskus der Syrer (Syrien), Homs der griechischen Melkiten (Syrien), Homs der Syrer (Syrien), Kiew der Ukrainer (Ukraine), Kirkuk der Chaldäer (Irak), Kottayam der Syro-Malabaren (Indien) und Teheran der Chaldäer (Iran).44 Obwohl anscheinend zeitweilig geplant,45 ist bisher keine Errichtung einer weiteren Teilkirche für die Südisten bzw. Zuschreibung einer solchen (oder anderen) Teilkirche zum Metropolitansitz Kottayam der Syro-Malabaren erfolgt. Somit bleibt Letztere als Metropolitansitz ohne suffragane Teilkirche(n) ein rares, wenngleich nicht einmaliges Phänomen. d) Sie ist weltweit der einzige personal bestimmte Metropolitansitz: Im Regelfall steht ein Metropolit einer Kirchenprovinz vor (vgl. c. 435 CIC/1983); diese wird durch ein abgegrenztes Gebiet umschrieben (vgl. c. 431 § 1 CIC/1983). Da der Metropolitansitz Kottayam der Syro-Malabaren keine suffragane(n) Teilkirche(n) hat und die einzige personal determinierte Erzeparchie der Welt darstellt, muss sie als personal bestimmter Metropolitansitz qualifiziert werden, der – global gesehen – seinesgleichen sucht. e) Sie ist weltweit die einzige ethnisch umschriebene personale Teilkirche: Als 1911 das Apostolische Vikariat Kottayam für die Volksgruppe der Südisten (pro gente Suddistica) errichtet wurde, gab es in der katholischen Kirche noch keine gesetzliche Grundlage für die Schaffung von personalen Teilkirchen; aus heutiger Sicht war diese Errichtung nicht nur praeter legem, sondern auch ihrer Zeit weit voraus. Für eine entsprechende Basis ist erst mit c. 372 § 2 CIC/1983 gesorgt worden, der im CCEO keine Parallele hat: „Dennoch können da, wo es gemäß dem Urteil der höchsten kirchlichen Autorität, nach Anhörung der betroffenen Bischofskonferenzen, zweckmäßig scheint, in demselben Gebiet Teilkirchen errichtet werden, die nach dem Ritus der Gläubigen oder nach einem anderen vergleichbaren Gesichtspunkt unterschieden sind.“
43
Vgl. Pree, Strukturen (Anm. 40), S. 29. Vgl. AnPont 2013, S. 1099 – 1135. 45 Vgl. Mapleton, Chulaparambil (Anm. 24), S. 174. 44
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Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass der Ritus (vgl. c. 28 § 1 CCEO) oder ein anderes gleichartiges Unterscheidungsmerkmal (alia similis ratio) die Errichtung einer personalen Teilkirche rechtfertigt. „Es kommen mithin als Determinanten für personale Teilkirchen grundsätzlich alle Aspekte in Betracht, die eine sinnvolle Zusammenfassung von bestimmten Personengruppen erlauben.“46 De facto ist es bislang zur Errichtung von personalen Teilkirchen aufgrund der rationes Ritus (Apostolische Exarchate bzw. Ordinariate für Gläubige eines orientalischen Ritus), Konversion (Personalordinariate), Beruf (Militärordinariate) oder Reversion (Apostolische Personaladministration) gekommen.47 Als absolut einzigartig hat daher die personale Umschreibung der Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren auf Grundlage des Kriteriums „ethnische Zugehörigkeit“ – hier: zur Volksgruppe der Südisten – zu gelten.
IV. Ecclesia sui iuris? Aus der Mitte der Gemeinschaft der katholischen Südisten heraus wird immer wieder die Forderung erhoben, ihr den Status einer Ecclesia sui iuris zu gewähren.48 Der CCEO definiert die Ecclesia sui iuris als eine „Gemeinschaft von Christgläubigen, die mit der Hierarchie nach Maßgabe des Rechts verbunden ist und die von der höchsten Autorität der Kirche ausdrücklich oder stillschweigend als eigenen Rechts anerkannt wird“ (c. 27 CCEO). Neben den patriarchalen49, den großerzbischöflichen50 und den metropolitanen51 Ecclesiae sui iuris (vgl. cc. 55 – 173 CCEO) gibt es noch die übrigen52 Ecclesiae sui iuris (vgl. cc. 174 – 176 CCEO). Ob der Heilige 46
Georg Bier, c. 372, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: April 1996). Vgl. Christian Wirz, Das eigene Erbe wahren. Anglicanorum cœtibus als kirchenrechtliches Modell für Einheit in Vielfalt? (= MK CIC. Beihefte 63), Essen 2012, der darauf hinweist, dass die ratio für die Errichtung von Militärordinariaten „nicht der Soldatenberuf als solcher [ist], […] sondern allein der Aspekt örtlicher Ungebundenheit, die der territorialen Seelsorge buchstäblich entflieht“ (S. 215), und dass sowohl die Personalordinariate als auch die Apostolische Personaladministration „als Instrumente zur Herstellung der Einheit betrachtet werden [können] oder als Weise, eine Tradition zu hüten“ (S. 174). 48 Vgl. Kottoor, Archeparchy (Anm. 32); Jose Tharayil, The Archdiocese of Kottayam & the Universal (Catholic) Church, in: Mapleton, Catholics (Anm. 6), S. 539 – 554; Sebastian Thomas Vaniyapurackal, The Ecclesiological and Canonical Concepts of Church Sui Juris and Rite: Implications on „Gens Suddistica“, Rome 2005. 49 Die patriarchalen Ecclesiae sui iuris sind die koptische Kirche, die maronitische Kirche, die syrische Kirche, die armenische Kirche, die chaldäische Kirche und die griechischmelkitische Kirche. 50 Die großerzbischöflichen Ecclesiae sui iuris sind die syro-malankarische Kirche, die syro-malabarische Kirche, die rumänische Kirche und die ukrainische Kirche. 51 Die metropolitanen Ecclesiae sui iuris sind die eritreische Kirche, die äthiopische Kirche, die ruthenische Kirche, die slowakische Kirche und die ungarische Kirche. 52 Die übrigen Ecclesiae sui iuris sind die albanische Kirche, die weißrussische Kirche, die byzantinische Kirche von Kroatien, Serbien und Montenegro, die bulgarische Kirche, die griechische Kirche, die katholische byzantinische Kirche in Italien, die mazedonische Kirche und die russische Kirche. 47
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Stuhl sich zu einem solchen Schritt entschließen, d. h. die Erzeparchie Kottayam aus der syro-malabarischen Kirche ausgliedern und mit ihr eine Ecclesia Suddistica als eine neue Ecclesia sui iuris gründen wird, muss die Zukunft weisen. Theoretisch wäre dies durchaus möglich, denn eine Ecclesia sui iuris „kann auch aus nur einer Diözese (Eparchie) bestehen“53.
V. Fazit Die Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren ist eine der ungewöhnlichsten personalen Teilkirchen der katholischen Kirche. Das Vorhaben, im Jahre 1911 das Apostolische Vikariat Kottayam pro gente Suddistica zu errichten, war ebenso sachlich geboten wie kirchenrechtlich innovativ. Die positive Entwicklung, die diese personale Teilkirche seither genommen hat, bestätigt die Richtigkeit der damaligen Entscheidung. Kritisch zu betrachten ist hingegen das Prinzip der strikten Endogamie, dem sich die Gemeinschaft der Südisten traditionell verpflichtet fühlt. Im vorliegenden Zusammenhang sind weniger die spezifischen Probleme endogamer Bevölkerungsgruppen von Bedeutung, als vielmehr die Junktimierung von Endogamie und Zugehörigkeit zur Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren: Ein/e Südist/in aus der Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren, welche/r eine Person heiratet, die selbst nicht der Gemeinschaft der Südisten angehört, wird aus der Erzeparchie Kottayam der Syro-Malabaren entlassen.54 Eine derartige Praxis widerspricht allerdings dem Grundsatz der Katholizität der Kirche:
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Hugo Schwendenwein, Die Katholische Kirche. Aufbau und rechtliche Organisation (= MK CIC. Beihefte 37), Essen 2003, S. 275 Anm. 21. 54 Vgl. Kottoor, Archeparchy (Anm. 32), S. 532 f.; Kunnacherry, Endogamy (Anm. 8), S. 101 f.: „Membership in the Knanaya Community is only by birth, i. e., by being born of Knanaya parents (both father and mother). Everyone so born of Knanaya parents is ipso facto a member of the Community. No one else can be given membership in the Community. By observing the tradition of endogamy, the Knanaya Community does not break any law of the Catholic Church. We do observe the Canon Laws regarding the matrimonial impediments of consanguinity and affinity. […] A Knanaya person who freely and willingly decides to marry a nonKnanaya spouse understands that the nonKnanaya spouse and children cannot be members of the Knanaya Community or in the eparchy instituted exclusively for the Knanaya people. However, there is an acknowledged family unit born of such a marriage. That family unit has a need to belong socially to a community and ecclesiastically to a parish and eparchy. To meet that need, through centuries-long interactions of the Knanaya and nonKnanaya communities, a system of bilateral understandings, realistic accommodations and working arrangements has been developed and is in practice. The Knanaya partner of such a marriage requests and obtains from the eparchial curia permission to leave the Knanaya Eparchy of Kottayam and to join a parish of the nonKnanaya eparchy of his/her domicile. This way, the unity of the family is safeguarded. The members of that family now belong to the nonKnanaya parish, and thus meet all of their spiritual needs together and celebrate their family unit sacramentally at the Table of the Lord“; Tharayil, Archdiocese (Anm. 48), S. 547 – 549.
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„Die Kirche soll um ihres umfassenden Versöhnungsauftrages willen Grenzen sprengen, Spaltungen, Klassen und Schichten wie Mauern zwischen den Menschen überwinden.“55
Diesen Widerspruch aufzulösen dürfte jedoch nur im einfühlsamen und geduldigen Dialog mit den katholischen Südisten selbst gelingen.
55
Pree, Strukturen (Anm. 40), S. 43. Vgl. Kottoor, Archeparchy (Anm. 32), S. 533: „There are two documents from Rome which do not favor the principle of Endogamy. One was sent to the Archdiocese of Chicago in 1986. The other was issued to the St. Thomas Syro Malabar Diocese, Chicago in 2001. […] The majority of Knanites are unwilling to accept these Orders from Roman Dicasteries.“
The Greek Catholic Eparchy of Hajdúdorog Hundred Years after Statistics, Legal Status, Questions1 Péter Szabó “¢r !cmoo¼lemoi ja· 1picimysjºlemoi, ¢r !pohm-sjomter ja· Qdo» f_lem.” (2 Corinthians 6,9)
I. Introduction A centenary is a milestone in the life of a community, an event that requires both retrospection and the exploration of future perspectives. Examining this latter aspect is particularly justified in the case of the Eparchy of Hajdúdorog. This is because this particular Church has been the home of the majority of Hungarian Greek Catholic faithful, consequently its position and hoped development is going to be decisive on the fate of the entire community mentioned.2 The topic referred to in the title is going to be elaborated in three parts: (1) Summary of the contemporary hierarchical development of Greek Catholic communities in the countries surrounding Hungary. (2) Description of the statistical and canonical position of the Eparchy of Hajdúdorog. (3) Future perspective in the light of the Apostolic See’s current practice regarding our region.
1 The interest in the discipline of Eastern Churches has traditionally been typical of a number of famous Austrian canonists. One of them in our days is Helmuth Pree, whose academic achievements I wish to pay tribute to with the present study. 2 This analysis originally was elaborated two years ago in occasion of the centenary of the Hajdúdorog Eparchy, but has never been published. Encouraging new indications for the elevation of the Hungarian Greek Catholic Church to the rank of a Metropolitan Church sui iuris give grounds for a thorough description and analysis of the juridical situation of this Church.
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II. Recent Development of the Greek Catholic Hierarchies in East-Central Europe In the Eastern Catholic Churches of here mentioned broader region the structure of church government has seen a spectacular development in the past quarter of a century. (1) In Poland the jurisdiction of the Ukrainian Catholic hierarchy was expanded to cover the entire country. In the western areas the Eparchy of Wrocław-Gdan´sk was erected and included in the new Ecclesiastical Province of the Ukrainian Archeparchy of Przemys´l-[Warsawa] (1996), while this last episcopal see was raised to the Metropolitan rank in the same time.3 (2) In Slovakia a new Metropolitan Church sui iuris was born through the creation of the Greek Catholic Eparchies of Kosˇice and Bratislava and the elevation of the see of Presˇov to the rank of archiepiscopal-metropolitan.4 (3) New Greek Catholic particular Churches were created in two successor States of former Yugoslavia: the Exarchate of Serbia-Montenegro with its see in Vojvodina, and the Exarchate of Macedonia, this last community considered as a new Church sui iuris as well.5
3 Ioannes Paulus II, const. ap. Ad aptius providendum [in Polonia Eparchia Premisliensis ritus Byzantini Ucrainorum ad gradum et dignitatem Archieparchiae Metropolitanae Premisliensis-Varsaviensis ritus Byzantini Ucrainorum evehitur itemque Provincia ecclesiastica conditur eiusdem nominis ac ritus quibus memorata nova, 1. VI. 1996, in AAS 88 (1996) 793 – 794; cf. Annuario Pontificio 2012 (hereinafter AP. 2012), 586, 800. This Metropolitan area has the unusual feature that its Ecclesiastical Province consists only of two particular Churches, that is, in addition to the Archeparchy only a single sufragan Eparchy can be found in it. To learn more about the recent history of the Greek Catholics of Poland, see: Leszek Adamowicz, Profilo giuridico della Chiesa greco-cattolica ucraina in Polonia, in: ‘Nuove terre e nuove Chiese’. Le comunità di fedeli orientali in diaspora. Atti del Convegno di Studio svolto all’Istituto Pio X (Venezia), pp. 23 – 25. IV. 2005, Venezia [2008], pp. 161 – 175. (If someone wants to have an overview of the global sizes of hierarchical restructuring since Vatican II, and its specific results regarding the areas discussed in this paper, he/she will find excellent maps on the starting points and a global view supported with figures for instance here: Heinrich Emmerich, Atlas hierarchicus. Descriptio geographica et statistica Ecclesiae Catholicae tum Occidentis tum Orientis, Mödling 1968.) 4 Benedictus XVI, const. ap. Spirituali emolumento [in Slovachia Ecclesia Metropolitana Presˇoviensis ritus Byzantini erigitur], 8. I. 2008, in: AAS 100 (2008), pp. 58 – 59; cf. AP. 2012, pp. 583, 372 – 373, 116; cf. Miroslav Adam, Il lungo iter storico verso la Chiesa greco-cattolica slovacca metropolitana «sui iuris», in: Servizio Informazioni Chiese Orientali 63 (2008), pp. 374 – 404. 5 See: AP. 2012, pp. 1031 – 1032. (To know more about the far from simple issue of the “Ecclesia sui iuris” ranking of the Byzantine Rite particular Churches of Krizˇevci, Serbia and not less importantly Prague, see: Péter Szabó, Altre Chiese di tradizione bizantina: L’attività legislativa sui iuris delle Chiese «minori» di tradizione bizantina, in: Pontificio Consiglio per i Testi legislativi [a cura di], Il Codice delle Chiese Orientali, la storia, le legislazioni particolari, le prospettive ecumeniche, Città del Vaticano 2011, p. 309.)
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(4) The Romanian Greek Catholic Metropolitan Church was raised by Benedict XVI to the rank of Major Archiepiscopal Church with almost full Catholic governmental autonomy in 2005.6 (5) In the Ukrainian Major Archiepiscopacy 10 new particular Churches were erected in several steps,7 then they were re-organised into 4 Ecclesiastical Provinces at the end of 2011.8 (6) As a tiny item in this imposing process, we find the first step in the direction of restructuring the Hungarian Greek Catholic Church, whereby Pope Benedict XVI extended the Apostolic Exarchate of Miskolc into a viable particular Church,9 and also gave it its own bishops. 6 Benedictus XVI, const. ap. Ad totius Dominici gregis [Archiepiscopatus Maior Fagarasiensis et Albae Iuliensis Romenorum constituitur], 14. XII. 2005, in: AAS 98 (2006) 2, p. 107; AP. 2012, pp. 10, 241, 182, 421, 445, 526. (Although based on the above-quoted data of the Annuario the Romanian Greek Catholic Church would have a total headcount of 657.000 faithful, a much lower count is likely from the baptism data published in the same edition (altogether 1.467 persons in 2011). From a comparison of the data of the four Latin dioceses on the same geographical area and same size (a total of 753.500 faithful/6.482 baptisms, cf. AP. 2012, pp. 29, 525, 679, 736) we can calculate that the real headcount of the Romanian Major Archiepiscopacy could be approximately 170.000 persons today. Essentially, the census statistics also confirmed this data. At this Church, a large distance can be seen between the actual governmental capacity originating from today’s small number of its episcopate and their governmental duties arising from the wide-scale autonomy of the major archiepiscopal status; cf. Péter Szabó, A nagyérseki egyház. A jogintézmény arculata a legújabb szentszéki gyakorlat tükrében, in: Athanasiana 23 (2006), pp. 145 – 161, 166 – 171. (After the conclusion of this study a new Eparchy has been erected at Bucharest, important step in the hierarchical development of this Church both from the growing number of her episcopate and the possibility of her future reorganization into two Ecclesiastical Provinces, creating in this way also this Major Archbishop into a real supra-metropolitan authority.) 7 Ten new Eparchies were created next to the two old ones (Lviv, Ivano-Frankivsk): Kyiv, Ternopil, Buchach, Kolomyia, Sambir, Sokal, Stryi, furthermore: Luck, Odessa, Kharkiv (these latter three are Exarchates); see: AP. 2012, pp. 9, 121, 323, 370 – 371, 380 – 381, 424, 636, 698, 708, 731. (Pope John Paul II – in rescript no. 249/1995 of the Congregation of the Oriental Churches dated 30th December 1995 – extended the jurisdiction of this Church from the territory of former “Galicia” almoust to the entire country; cf. Ivan Dacko, Die ukrainische griechisch-katholische Kirche, in: ContaCOr 2 (2002), 2, 11; and furthermore: Study Paper: The Territory of the Ukrainian Greek-Catholic Church, in: Logos 35 [1994], 1 – 4, pp. 313 – 385.) 8 Ecclesiastical Province of Kyiv (Luck, Odessa, Kharkiv), that of Lviv (Sambir, Sokal, Stryi), that of Ivano-Frankivsk (Kolomyia), and that of Ternopil (Buchach), see: AP. 2012 (as in the previous note), furthermore: http://en.wikipedia.org/wiki/Ukrainian_Greek_Ca tholic _Church. 9 Congregatio pro Ecclesiis orientalibus, decr. Ut aptius spirituali, 5. III. 2011, in: AAS (2011), p. 306. For information on the earlier history of this particular Church, see: István Szántay-Szémán, A Miskolci Gör. Szert. Kath. Apostoli Kormányzóság története, területe és személyi adatai fennállásának 15. évfordulóján, Miskolc 1940; Tamás Véghseo˝ , A Miskolci Apostoli Kormányzóság létrejötte és fejlo˝ dése, see: http://byzantino hungarica.hu/node/ 590; Péter Szabó, 75 éves a Miskolci Apostoli Exarchátus, in: Athanasiana 10 (2000), pp. 152 – 157. (On the re-definition of oriental “Apostolic Administration” as “Apostolic
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This short panoramic overview speaks for itself. Not counting the data of the Romanian Church, a community that finds its legs slowly and with difficulty, the number of Greek Catholic particular Churches and the Metropolies uniting them altogether almost tripled in the past good two decades in Central and Eastern Europe.10 Thanks to this development, the governmental system of the listed Churches now almost everywhere corresponds to the real local needs in terms of the pastoral care of the faithful. This process is clear evidence that the Apostolic See is seeking to promote the revival of the Eastern Catholic Churches also through specific government-related measures that serve hierarchical development.11
Exarchates”, see: Federico Marti, Gli ordinariati per i fedeli cattolici di rito orientale, una ricostruzione storico-giuridica, in Quaderni di diritto ecclesiale 28 (2015) [in the process of publishing]. 10 Greek Catholic particular Churches of the region in 1989: Lviv (Metropolitan see), Ivano-Frankivsk, Przemys´l, Presˇov, Hajdúdorog, Miskolc, Krizˇevci (1 + 6 = 7), furthermore: Blaj (metropolitan), Oradea, Cluj, Lugoj and Baiea Mare. At the end of 2011 the following particular Churches existed in the same area: Kyiv, Lviv, Ivano-Frankivsk, Ternopil, Przemys´l-Warszawa, Presˇov (Metropolitan sees), Wrocław-Gdan´sk, Kosˇice, Bratislava, Skopje, Ruski Krstur, Luck, Odessa, Kharkiv, Buchach, Kolomyia, Stryi, Sambir, Sokal (today altogether: 6 + 13 = 19), in addition to the Romanian Eparchies mentioned above. 11 Regarding the confirmation of the firm intention of the Apostolic See to revive the oriental Catholic communities see for instance Benedetto XVI ai partecipanti al convegno di studio promosso dal Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi [«Fioriscano le Chiese orientali cattoliche»], in: L’Osservatore Romano, 10 ottobre 2010, p. 8 (cf. OE 1). In the diaspora territories the development of oriental hierarchy gained speed in the tail of Vatican II. Cf. for instance Péter Szabó, Stato attuale e prospettive della convivenza delle Chiese cattoliche sui iuris, in: Consociatio Internationalis Studio Iuris Canonici Promovendo – Società per il Diritto delle Chiese Orientali, Territorialità e personalità nel diritto canonico e ecclesiastico – Il diritto canonico di fronte al Terzo Millenio. Atti del Congresso Internazionale, Università Cattolica Pázmány Péter, Budapest 2 – 7 settembre 2001, Péter Erdo˝ / Péter Szabó (a cura di), Budapest 2002, pp. 242 – 247. (In theory, the establishment of the Ukrainian particular Churches – since it is a Major Archiepiscopal Church – belongs to the internal competence of the community concerned; cf. CCEO cc. 85 and 152 and thereafter. This country however – due to its uncertain political conditions – has remained under the control of the Secretariat of State to this day, and so there the agreement of this dicastery is required for the establishment of new particular Churches; cf. Lorenzo Lorusso, Costituzione e provvisione delle circoscrizioni ecclesiastiche in Europa: riordino delle competenze della Congregazione per le Chiese Orientali. Il «Rescriptum ex Audientia», in: Ius missionale 2 [2008], pp. 229 – 266. In this sense, one can also discover even in the spectacular hierarchical development of the Ukrainian Metropolies the Apostolic See’s firm solicitude toward the orientals.)
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III. Statistics and Legal Status of the Eparchy of Hajdúdorog Today 1. The Geographical Extension and Population of the Eparchy The Eparchy of Hajdúdorog was erected in 1912.12 During the hundred years of its history, it was subjected to significant territorial changes three times, and gained its present form in 2011.13 Its current territorial size is: 84.000 km2, with about 212.000 faithful.14 These two figures themselves indicate that this Eparchy – unlike almost all above-mentioned particular Churches of the Central and Eastern European region – has not been subjected to the territorial reorganisation prescribed in CD 22 – 23 by Council Vatican II.15 This fact cannot be denied if we consider that for instance the distance between the two most remote parishes of the Eparchy (Rozsály-Pécs) is 562 km. All parishes of the “internal diaspora” are situated at a distance greater than 200 km from Nyíregyháza – located in eastern Hungary – which is the actual see of the Bishop of Hajdúdorog, moreover four of them are further than 350 km. These distances – 12
Pius X, litt. ap. Christifideles graeci [Erectio dioecesis Hajdu-doroghensis ritus graeci catholici in Hungaria], 8. VI. 1912, in: AAS 4 (1912), pp. 429 – 435. For the more recent history of the Eparchy, see: Tamás Véghseo˝ , Our Paths – A Historical Retrospection, in “… you have foreseen all of my paths…” Byzantine Rite Catholics in Hungary, Strasbourg 2012, pp. 6 – 112; Id., A Hajdúdorogi Egyházmegye megalapításának közvetlen elo˝ zményei, in: Athanasiana 35 (2013), pp. 109 – 121; Id., Katholiken des byzantinischen Ritus in Ungarn. I. Teil: Von den Anfängen bis 1920, in: Ostkirchliche Studien 62 (2013), pp. 281 – 309. 13 See: Pius XI, const. ap. Solemni conventione [de nova circumscriptione et ordinatione hierarchica dioecesium ritus tam latini tam graeci-rumeni in Romaniae regno], 5. VI. 1930, in: AAS 22 (1930), pp. 381 – 386; Ioannes Paulus II, const. ap. Summis Pontificibus [in iurisdictionem Eparchiae Haidudoroghensis omnes perpetuo atque stabiliter rediguntur Christifideles ritus Byzantini in universa Hungaria commorantes], 17. VII. 1980, in: AAS 72 (1980), pp. 985 – 986; and: Ut aptius spirituali (footnote 9); furthermore: Véghseo˝ , Our Paths (footnote 12), pp. 88, 110. 14 Regarding accurate data of the Hungarian Greek Catholic Church in territorial breakdown, see: Központi Statisztikai Hivatal, 2001. évi népszámlálás, 5. Vallás, felekezet, (Central Statistical Bureau, Census of 2001, 5. Religion, Denomination) Budapest 2002, pp. 24, 14, 19; see: http://www.nepszamlalas2001.hu/hun/kotetek/05/terkep.html. (According to the recent census of 2011 this Church has only 179.000 faithful, and 143.000 of them member of the Eparchy of Hajdúdorog; cf. http://www.ksh.hu/nepszamlalas/reszletes_ta blak. It is to remember however that the data of this census on the catholic faithful (30 % reduced in number also in the Latin rite from 5.29 Million to 3.69) is not considered exact by Hungarian Bishop’s Conference by reason of the new method applied by CSB. Anyway, even if we calculate with only 143.000 faithful, the Eparchy of Hajdúdorog is still much greater in number of its members like many new Eparchies of the region [cf. footnote 48]). 15 For an explanation of the Council’s referenced text see for instance Martin Grichting, Die Umschreibung der Diözesen Die Kriterien des II. Vatikanischen Konzils für die kirchliche Zirkumskriptionspraxis (= Adnotationes in ius canonicum 7), Freiburg/Br. 1998; Aa. Vv., La charge pastorale des évêques: décret „Christus dominus”: texte latin et traduction française (= Unam sanctam 71), Paris 1979, pp. 177 – 219, 214 – 217 [Hervé Legrand].
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deemed very large in Hungary – give rise not only to pastoral disadvantages (that is the Bishop is able to reach nearly a third of his faithful rarely and at the cost of travelling great distances), but also to practical ones. Thus, for instance, it is not possible to convene the college of consultors quickly, as currently 3 of its members – one third of this corporate body – are required to travel 600 kilometres. Considering the administrative and social-cultural structuring of Hungary, the Eparchy of Hajdúdorog is dividable into three distinct units: (1) Szabolcs-Szatmár-Bereg county, where according to the census of 2001 there were 102.000 Greek Catholics, (2) Hajdú-Bihar county (47.000 Greek Catholics) and (3) the other “diaspora” territories of the Eparchy, where the remaining 65.000 Greek Catholics lived. This latter region deserves our special attention from several aspects. On the one hand, more than half of this diaspora’s faithful live in a relatively concentrated area, notably at Budapest, or its direct vicinity. Moreover, North-East Hungary, the traditional Greek Catholic area, is the most underdeveloped region of the country, and as a result there is a powerful internal migration, of which the main and primary target is the most advanced region (the country Capital).16 These facts also indicate that the foundation of a Greek Catholic Eparchy centred around the Capital seems reasonable17 and even urgent from the perspective of the fate of the Hungarian Greek Catholic Church, in the light of the above mentioned geographical, demographical and internal migration-related data. 2. The Hierarchical Situation of the Eparchy of Hajdúdorog When founded, the Eparchy was made a suffragan unit inside the Latin Rite Ecclesiastical Province of Esztergom, and so the Primate-Archbishop of Esztergom
16 Data from the past indicate the rate of growth in the number of faithful in Budapest. According to the Schematism of 1918 the Capital had only 9.426 Greek Catholic inhabitants, whereas it had 15.744 in 1948, see: Schematismus venerabilis cleri dioecesis graeci rit. cath. Hajdudorogensis ad annum domini 1918, p. 67; Schematismus venerabilis cleri dioecesis graeci rit. cath. Hajdudorogensis pro anno 1948, pp. 25 – 26. According to the statistics of 2001, 28.901 persons professed to be Greek Catholic in the Capital, and in the agglomeration area an additional 10.000 persons were Greek Catholics; see: KSH [Central Statistical Bureau], 2001. évi népszámlálás [Census of 2001; footnote 14], pp. 30 – 31, 40, and see further: http://www.nepszamlalas2001.hu/hun/kotetek /05/terkep.html (2012. status as at 30th January). 17 The said “diaspora” region, with an area of over 70.000 km2, comprises 21 parishes today.
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was made its Metropolitan.18 This status was confirmed by the Apostolic Letter of 1993 on the reorganisation of the Latin dioceses in Hungary.19 Surprisingly, contradictory views can be found in the canonical literature on the issue of whether the suffragan subordination of an Eastern Bishop (who is head of a Ritual Church) vis-à-vis a different Rite Metropolitan can be considered as compatible with the “Ecclesia sui iuris” status of the same Eastern Church.20 The text of the Code, the doctrine and in particular an authoritative opinion in this issue altogether demonstrate that the two legal situation are irreconcilable in principle, and mutually exclusive.
18 See: litt. ap. Christifideles graeci (footnote 12), p. 433. If it is true – as we are going to see soon – that the sui iuris status and the suffragan status are difficult to reconcile with each other, in the light of the powerful abrogative clause of the ap. const. Sacri canones it may have seemed that by the entering into force of CCEO actually terminated the suffragan subordination of the Eparchy to Esztergom as this last represents part of another Church sui iuris, different from that of the Hungarian Greek Catholic Church; cf. Péter Szabó, Osservazioni intorno allo stato giuridico della Chiesa Greco-cattolica d’Ungheria. Figura codiciale e particolarità locali, in: Folia Canonica 4 (2001) pp. 93 – 116; 109. 19 “Latini ritus Hierarchia in Hungaria in posterum quattuor provinciis ecclesiasticis constabit […] I. Provincia Strigoniensis-Budapestinensis (vetere nomine Strigoniensis appellata) constituetur sede metropolitana Strigoniensi-Budapestinensi, necnon suffraganeis dioecesibus Iaurinensi, Albae Regalensis, Haidudoroghensi”, Ioannes Paulus II, litt. ap. Hungarorum gens [Nova hungaricarum circumscriptionum ecclesiasticarum compositio], 9. X. 1993, in: AAS 85 (1993), p. 871; cf. AP. 2012, p. 288. (Nevertheless, this reference – in the light of the other data listed – does not substantiate the compatibility of the sui iuris state and the of suffragan one, but rather it indicates that the needs of the former were not taken into account during the reorganisation in 1993, or at least they could not be asserted in an effective way.) 20 Regarding the contradicting authors’ opinions, see: in favor of the actual “Ecclesia sui iuris” state of all the Eastern Catholic Churches: Marco Brogi, “Prospettive pratiche nell’applicare alle singole Chiese «sui iuris» il CCEO”, in Ius in vita et in missione Ecclesiae. Acta Simposii Internationalis Iuris Canonici occurente X anniversario promulgationis Codex Iuris Canonici, diebus 19 – 24 Aprilis 1993 in Civitate Vaticana celebrati, Città del Vaticano 1994, 745 – 747; Ivan Zˇuzˇek, “Incidenza del Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium nella storia moderna della Chiesa universale”, in: Ius in vita, op. ult. cit., pp. 731 – 734; Code of Canon Law Annotated, Ernest Caparros/Michel Thériault/Jean Thorn (eds.), Montréal 1993, p. 131; Péter Erdo˝ , Egyházjog, Budapest [1992], p. 105. In contrast doubts were expressed on the actual “Ecclesia sui iuris” state of some Eastern Catholic Rite Churches by the following experts: Ivan Zˇuzˇek, “Presentazione del «Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium»”, in: Monitor Ecclesiaticus 115 (1990), pp. 600, ss.; Dimitri Salachas, “Diritto orientale”, in: Nuovo dizionario di diritto canonico, Carlos Salvador/Velasio de Paolis/Gianfranco Ghirlanda (a cura di), Cinisello Balsamo [Mi] 1993, p. 409; George Nedungatt, “A New Code for the Oriental Churches”, in: Vidyajyoti Journal of Theological Reflection 55 (1991); p. 339; Eleutero Fortino, “Aspetti ecclesiologici della Chiesa italo-albanese – Tensioni e comunione”, in: Oriente Cristiano 34 (1994); p. 18; Pablo Gefaell, Determinazione dello stato di Ecclesia sui iuris, in: Iura orientalia VI (2010), pp. 109 – 122, 111; Szabó, Altre Chiese (footnote 5), pp. 307 – 311; see also Id., Osservazioni (footnote 18), p. 101; Helmuth Pree, “Eine Kirche in vielen Völkern, Sprachen und Riten”, in: Archiv für katholisches Kirchentrecht 178 (2009) 2, pp. 396 – 426.
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The Eastern Code stipulates even for the communities ranked in the category of “other Churches sui iuris” (and thus requires) that it should be presided over by a single Hierarch,21 and furthermore that the given Church sui iuris “immediately depend on the Apostolic See”.22 And this latter (directly subordinated) status obviously excludes suffragan subordination, in both the word’s common and specialised meaning. This is because the main point of the suffragan subordination is that an intermediary authority is inserted between the Apostolic See and the head of the Local Church. (In fact, the Eparchy of Hajdúdorog almost completely covers an entire Eastern Catholic Church!) Such an interpositioned foreign authority makes the irreconcilability of the two statuses obvious.23 But special terminology also confirms the same, because as doctrine clearly and unanimously teaches, the possibilities of suffragan and “sui iuris” statuses [of an Eparchy] are mutually exclusive, in other words, this is a pair of notions of diametrically opposite meanings.24 Last but not least the same is not less clearly reflected in the following sentence of Ivan Zˇuzˇek, the one-time secretary of the PCCICOR: “Secondary rites in the canonical sense mean these same ecclesiastical communities (the Eastern Catholic Churches) as ‘sui iuris’, ie. hierarchically independent from each other, although all subordinated to the Supreme Pontiff.”25 21 Ecclesia sui iuris, quae neque est patriarchalis nec archiepiscopalis maior nec metropolitana, concreditur Hierarchae, qui ei praeest ad normam iuris communis et iuris particularis a Romano Pontifice statuti (CCEO c. 174). This wording obviously requires that even in this fourth category of Churches sui iuris there should be a clear hierarchical subordination among the Eparchies (or Exarchates), if there are more particular Churches in the given community. 22 Hae Ecclesiae immediate a Sede Apostolica dependent; iura et obligationes vero, de quibus in can. 159, nn. 3 – 8, Hierarcha a Sede Apostolica delegatus exercet (CCEO c. 175). 23 This is so even though today the authority of Latin metropolitans in practice hardly exceeds the level of purely symbolic competences; cf. Paolo Moneta, La sede episcopale metropolitana nel diritto canonico, in: Il diritto ecclesiastico 104 (1993), p. 94. (For an analysis of the rather wide scale competences of the Eastern Metropolitan sui iuris office – at least in comparison with the parallel Latin figure – see: Péter Szabó, Analisi della competenza giuridica del Metropolita «sui iuris», in Parare viam Domino. Commemorative Studies on the Occasion of Rt. Rev. Polikárp F. Zakar OCist 75th Birthday, Budapest 2005, pp. 151 – 177.) 24 “Dioeceses variae sunt … suffraganeae vel sui iuris, prout pertinent ad aliquam provinciam ecclesiasticam, vel directe dependent a Sede Apostolica”; Petrus Tocanel, Dioecesis, in: Dictionarium morale et canonicum, II, Petrus Palazzini (ed.), Roma 1965, p. 97. Regarding absolute and exclusive opposition of the “sui iuris” and the suffragan state, see further: Pio Ciprotti, Lezioni di diritto canonico. Parte generale, Padova 1943, p. 283; Luigi Chiappetta, Prontuario di diritto canonico e concordatario, Roma 1994, p. 1011. 25 “Per riti secondari si intendono in senso canonico queste stesse comunità ecclesiastiche (le Chiese orientali cattoliche) come sui iuris, cioè gerarchicamente indipendenti le une dalle altre, benché tutte soggette al Sommo Pontefice”: Ivan Zˇuzˇek, Che cosa è una Chiesa, un Rito orientale, in Seminarium, n.s., anno XV/2, apriun. 1975, pp. 264 – 265. The pope is a person “above Rites” who has the same relationship with all the heads of the Eastern Catholic Churches. From canonical point of view, this could be realised in particular (and only) in the direct subordination to the Apostolic See of all heads of Churches sui
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(Although the rights of the Metropolitan under c. 175 of the CCEO could also be exercised by a Hierarch of a different Church sui iuris, in this case the status of the subordinated Bishop is never a suffragan status in the strict technical sense of the word.26) As we have seen, some authors consider that very minimal conditions are enough to recognise the “Ecclesia sui iuris” status of an Eastern Church. This permissive endeavour is perhaps understandable in the case of communities where, due to very low number of faithful or other severe – political, and ecumenical – obstacles, there is not even hope to achieve supraepiscopal organization (cf. episcopal synodality) which is the normal and only authentic juridical configuration and functional structure for the Eastern Churches. Although there is no difference among the various degrees of the “Ecclesia sui iuris” status in terms of dignity,27 from the aspect of an Eastern Church’s autonomy, self-esteem, operational perspective and thus the more efficient realisation of its mission, the actual level of iuris. In this light, it is not surprising that the commentator of Council considered the Eastern Catholic (“sui iuris”) Churches’ hierarchical independence from the other similar Churches as their distinctive feature; Clemens Pujol, Decretum concilii Vaticani II “Orientalium Ecclesiarium”. Textus et Commentarium, Romae 1970, pp. 29 – 30; cf. Szabó, Osservazioni (footnote 18), pp.107 – 108. 26 At this point an important distinction must be made. According to CCEO c. 175 the Hierarch indicated there (and usually of a different Rite) exercises Metropolitan competences not based on his office, but rather by the power of papal delegation! It’s exactly (and only) this delegated character that makes these competences reconcilable with the “Ecclesia sui iuris” status of the subordinated Church. Thus this Metropolitan function is clearly distinct from the ordinary Metropolitan competences, which are vested in the Metropolitan by his office. True, unlike the Eastern Code – that classifies the power of the Metropolitan sui iuris as proper (“potestas ordinaria propria”, CCEO c. 157, § 1) – the traditional Latin doctrine considers the Metropolitan power only as vicarial (“potestas ordinaria vicaria”); cf. Comentario exegético al Código de derecho canónico, Ángel Marzoa/Javier Otaduy/ Jorge Miras [eds.], Pamplona 1996, vol. II, p. 906 [Péter Erdo˝ ]. This latter qualification, however, will not weaken, but rather strengthen our above thesis regarding the incompatibility of the suffragan and sui iuris statuses. This is because “vicarial” power is ordinary, that is ex officio power, and as such, it is the conceptual opposite of the “delegated” power under canon 175 of CCEO; cf. Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Joseph Listl/Heribert Schmitz (Hrsg. von), Regensburg 21999, pp. 160 – 162 [Helmuth Pree]. (It is true that there are some situations when a different rite Bishop has jurisdiction in his own name over a portion of an Eastern Church, and this fact is does not exclude the “Ecclesia sui iuris” state of the Church in question as a whole. For example the Ukrainian Greek Catholic faithful of Austria are subordinated to the Archbishop of Viena whose power on them today is qualified as “iurisdictio ordinaria et exclusiva”; see: Helmut Pree, Zur Rechtsstellung der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche in Österreich, in: Recht Religion Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Hrsg. von Brigitte Schinkele/René Kuppe, Wien 2014, p. 666. What is really incompatible with this state is the situation when almost the whole Eastern Catholic Church in question, included its head himself, is subordinated to a higher authority of another Church sui iuris.) 27 Péter Erdo˝ , La coesistenza delle diverse Chiese particolari e „sui iuris” nello stesso territorio nel quadro della piena comunione. Realtà e prospettive, in: Territorialità (footnote 11), p. 922.
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the “Ecclesia sui iuris” status, that it has, obviously does matter! Therefore, sometimes the intention to delay the acquiring of a higher form of governmental autonomy (that offers better possibilities) could also be detected behind the assertion of the above minimalist approach: that is the urgent and repeated emphasizing that a given Eastern Church has no reason to strive for a more advanced hierarchical level, because it is “perfectly sui iuris” even in its present form. In case of Churches that possess all the (minimal) conditions necessary for hierarchical development this reasoning seems to be quite problematic. What is more, the Eastern Churches that consist of more than one Eparchies or Exarchates, have in fact just surpassed the legal construction as per CCEO cc. 174 – 176, since these provisions normally assume a single particular Church, with a single Hierarch as its only head.28 Not less importantly, the hierarchical unity of the whole Hungarian Greek Catholic Church as an official ecclesiastical juridical person29 also requires that it should be represented in its entirety and governed “ad normam iuris” by a single (logically supra-episcopal) authority. Thus, the obvious solution for such a representation of a Church sui iuris (consisting of more than one hierarchical unity), as compact juridical reality (cf. “persona iuridica”), would be the Metropolitan Church sui iuris status, where the given Church is represented by his head: the Metropolitan sui iuris (c. 133 § 2 CCEO). A further quite important question is that of the institutional forum for coordinating the activity of the Hungarian Greek Catholic Church with that of the local Latin Dioceses. While in the Eastern Code we can find an Inter-ecclesial Assembly for this function,30 in countries where the number of Eastern Bishops is reduced 28 See: footnote 21. A clear sign of this approach is that Ivan Zˇuzˇek in one of his papers listed the Italo-Albanian Church among the Metropolitan Churches (and not among the “other” Church sui iuris described by cc. 174 – 176), despite the fact that it actually has not yet acquired that status; cf. “I canoni 155 – 173 del CCEO che costituiscono il primo capitolo del Titolo VI, si applicano alle seguenti quattro Chiese orientali cattoliche: Chiesa Etiope […], Chiesa Malankarese […], Chiesa Romena […], Chiesa Rutena degli USA […]. Come quinta Chiesa orientale cattolica qualcuno potrebbe indicare la Chiesa Italo-Albanese, di tradizione Costantinopolitana (Rito Italo-Albanese), che però non è ancora tale, dato che non ha un metropolita”, Ivan Zˇuzˇek, “Un Codice per una «varietas Eclesiatrum»”, in: Studi sul Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, Sandro Gherro (a cura di), Padova 1994, pp. 27 – 28. 29 See: CCEO c. 921, § 2. 30 CCEO c. 322. For an excellent analysis of this synodal institution see: Helmuth Pree, “Le assemblee dei Gerarchi delle diverse Chiese sui iuris in riferimento al can. 322 del CCEO”, in: Ephemerides iuris canonici 51 (2011), pp. 303 – 320; for other studies on the same topic: Péter Szabó, Convento dei Gerarchi ‘plurium Ecclesiarum sui iuris’ (CCEO can. 322). Figura canonica dello ‘ius commune’ e la sua adattabilità alla situazione dell’Europa Centro-orientale, in: Ius canonicum in Oriente et in Occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag (= Adnotationes in ius canonicum 25), Stefan Korta/ Andreas Weiss/Hartmut Zapp (Hrsg.), Frankfurt/M. 2003, pp. 587 – 612; Luigi Sabbarese, Le Assemblee per la coordinazione ecclesiale (CCEO, can. 322): ragioni e questioni, in
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they normally are integrated into the national Bishop’s Conference.31 We can find this solution in all our neighbouring countries as well. In Hungary the situation is however much more complicated, as the Eparchy Hajdúdorog is not simply suffragan of the Metropolitan of Esztergom but is subordinated to the same Hierarch in his quality of “Primate of Hungary” as well (third grade ordinary power “ad instar propriae”32), and finally is also incorporated into the “Magyar Katolikus Egyház” (“Hungarian Catholic Church”), a unique juridical construction which exists only in the Hungarian public law, while completely unknown in the system of codified canon law. But, as we have seen, it is the very essence of the “Ecclesia sui iuris”, which clearly and absolutely requires that she does not be subordinated to any superior instance but the Supreme Authority of the Church. For this reason – until the time of a future erection in this region of an adapted figure of the above mentioned Assembly (see: c. 322) –, it seems that even in Hungary, similarly to the neighbouring countries, the local Conference of Catholic Bishops could be the appropriate forum for the inter-ecclesial coordination in question.33 As we have seen, a Church sui iuris has (to have) a direct relationship with the Apostolic See by its nature. That is why all the rights and authorisations from the past – may it stemming from previous ecclesiological visions, from medieval customs or privileges, and non the less from the one-time functions defined by Hungarian constitutional law – that run contrary to Vatican Council II and furthermore are in tension with the essential requirements of the new ecclesiological model and discipline established by Pope John Paul II in the Eastern Code, should be regarded as outdated and is to be harmonized with the above described essential requireStrutture sovraepiscopali nelle Chiese orientali, Luigi Sabbarese (a cura di), Città del Vaticano 2011, pp. 187 – 202; Michael Kuchera, CCEO can. 322: Assemblies of Hierarchs of Several Churches sui iuris, the “Eastern Catholic Associates” in the U.S.A., in Pontificio Istituto Orientale – Pontificia Università S. Tommaso d’Aquino “Angelicum”, Atti del convegno «Il diritto canonico orientale a cinquant’anni dal Concilio Vaticano II», Roma, 23 – 25 aprile 2014, [in the process of publishing].) 31 Cf. Romeo Astorri, Gli statuti delle Conferenze Episcopali Europee e la loro evoluzione più recente. Spunti per una prima analisi, in: Giorgio Feliciani/Carl G. Fürst/Cesare Mirabelli/Helmuth Pree (Hrsg.), Winfried Schulz in memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskrichenrecht (= Adnotationes in ius canonicum 8), I, Frankfurt am Main/Berlin 1999, p. 69 – 74. 32 Péter Erdo˝ , Il potere giudiziario del primate d’Ungheria, II. Osservazioni canonistiche, in: Apollinaris 54 (1981), p. 214; cf. Szabó, Osservazioni (footnote 18), p. 113. 33 Cf. Ad Episcoporum conferentiam ipso iure pertinent omnes in Sterritorio Episcopi dioecesani eisque iure aequiparati, itemque Episcopi coadiutores, Episcopi auxiliares atque ceteri Episcopi titulares peculiari munere, sibi ab Apostolica Sede vel ab Episcoporum conferentia demandato, in eodem territorio fungentes; invitari quoque possunt Ordinarii alterius ritus, ita tamen ut votum tantum consultivum habeant, nisi Episcoporum conferentiae statuta aliud decernant; CIC’83, c. 450, § 1. (About some practical problems arising from this configuration see for example: Péter Erdo˝ , La participation des évêques orientaux à la conference episcopal. Observations au 1er § du can. 450, in: Apollinaris 64 [1991], pp. 295 – 308.)
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ments of the “Ecclesia sui iuris” introduced “non obstantibus quibuslibet rebus contrariis etiam peculiarissima mentione dignis”.34 Based on the considerations listed in this chapter we can be confident that, in some way following the recent example of the Slovakian Greek Catholics – or perhaps that of the incomplete Province of Przemys´l, as a first, but evidently provisional step –, the Hungarian Byzantine Catholic Church currently consisting of one Eparchy and one Exarchate not coordinated hierarchically among them, may – at a time suitable to the Apostolic See (and soon according to the hopes of the interested Greek Catholic faithful) –, finally acquire the Metropolitan Church sui iuris status.
IV. The Perspectives of Structural-Hierarchical Development in the Light of the Apostolic See’s Current Practice In our opinion the current statistics of the Eparchy of Hajdúdorog obviously do not meet the requirements set forth by CD 22 – 23. Consequently, the division of the Eparchy – to quote the words of this conciliar decree – should be performed “as soon as possible” for the salvation of souls.35 To support this – in other words to identify accurately and indisputably what is meant by the “ideal size” of an Eparchy according to the teaching of the Council – we should best refer to the current practice of the Apostolic See, looking at our immediate region. From the aspect of the Eparchy of Hajdúdorog, among others the following interesting data can be found in this topic. (1) By the division of the Ukrainian Eparchy in Poland with a low population, two Eparchies were created each with very low headcounts: so even the population of the new Przemys´l [Warsawa] Archeparchy hardly exceeds 30.000 heads.36 As we can see, this Ecclesiastical Province – by reason of the reduced number of his members – has only one suffragan Eparchy.37 (2) Although the previous Eparchy of Presˇov was only half in geographical size of that of Hajdúdorog, it was divided twice. The Bishopric of Kosˇice created first is situated only 36 km from Presˇov. Creating the third Greek Eparchy, Bratislava, was reasonable from a geographical point of view, since the town is situated at the opposite end of the country. But the number of faithful is here very
34 Cf. Ioannes Paulus II, const. ap. Sacri canones, 18. X. 1990, in: Enchiridion Vaticanum 12, p. 424. 35 Cf. Itaque, ad dioecesium circumscriptiones quod attinet, decernit Sacrosancta Synodus ut, quatenus animarum bonum id exigat, quamprimum ad congruam recognitionem prudenter deveniatur (CD 23d). 36 AP. 2012, p. 586; see further: footnote 3. 37 The new Wrocław-Gdan´sk Eparchy has 25.000 faithful with 30 priests; AP. 2012, p. 800.
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low, at barely 15.000, despite the large territory.38 These facts constitute an interesting contribution to the extraordinary flexibility that might be detected in the practice of the Apostolic See in the interpretation of the conciliar guidelines regarding the ideal sizes of Dioceses and Eparchies (CD 22 – 23).39 (3) Data and developments from Serbia are no less noteworthy, all the more, because here the ratio of the local Latin Church correspond to those of the Hungarian Greek Catholic Church in terms of size. The nearly 400.000 strong Serbian Latin Rite community is divided into four Dioceses today. Of these, the Archdiocese of Belgrade seems to have hardly more than 20 – 30.000 faithful. Similarly, the recently restored Sremska Mitrovica Diocese may also have similarly low number of faithful.40 (4) The new Croatian Dioceses also include several small sees. Thus the Diocese called Gospic´-Senj today has a count of faithful amounting to 69.000 persons – thanks to the last restructuring in 2000 – with a territory of 8.200 km2 only, 83 parishes and 34 diocesan + 8 religious priests. The Bjelovar-Krizˇevci Diocese split off the Archdiocese of Zagreb in December 2009 has 185.000 faithful, over a territory of 3.741 km2, with 52 (+4) priests and 57 parishes, while the Diocese of Sisak split off from Zagreb diocese at the same time has a territory of 5.508 km2, 174.000 faithful, 80 parishes and 51 38 AP. 2012, p. 116. (Statistics of the other two Eparchies: Presˇov: over 8.975 km 2 123.300 faithful, 163 parishes, Kosˇice: over 6.752 km2, nearly 88.000 faithful, 92 parishes; see: idem, 583, 373.) 39 In the new Eparchy of Bratislava (in total number 15.000 faithful over 33.308 km2), as for the see of the Eparchy only 0.7 % of the population of the city, that is only 3.000 persons, professed to be Greek Catholics according to the census of 2001. (Still, placing an Eastern Bishop here is a sign of foresight, since internal migration in the direction from East to West is very powerful even in this country, due to significant differences in the level of economic development. Finally, it is a noteworthy additional fact that this new see of an Eastern Eparch was placed in the Slovakian capital despite the fact that a Latin archiepiscopal see had been erected there a few years earlier. This is a clear sign of surpassing the Quoniam resolution of Lateran Council IV [1215], which fact as we know, cannot be considered any more as a new or unusual phenomenon in the practice of the Apostolic See; cf. Szabó, Stato [footnote 11], pp. 229, ss.) 40 The statistics of the two Dioceses are contradictory. AP. 2012 (pp. 97 – 98) indicates that in the Belgrade Archdiocese, covering a territory of 50.000 km2, there are 28.050 faithful, with 16 parishes and only 9 priests. Nevertheless, statistics from previous years always indicated persistently a headcount of only around 9 – 12.000 persons; cf. for instance: 12.500, in AP. 1990, pp. 88 – 89; 8.300, in AP. 2001, p. 84. The territory of the Syrmia Region (BaV]b[Y _[adT) that matches the renewed Diocese of Mitrovica is 3.486 km 2 today, with a total population of 311.000 inhabitants, with only a fraction of them Catholic. (84.5 % of the inhabitants of the territory are Serbian, while the ratio of all Croats, Slovaks and Hungarians altogether hardly exceeds 7 %, and not all of these are Catholic, either.) In the new Episcopal see, Sremska Mitrovica, only 2.130 Croats live representing 5.45 % of the total population of the city. On the other hand, according to AP. 2012 (pp. 705 – 706) the total headcount of the Diocese, established in 2008 due to changes of the country borders, would amount to 50.700 faithful today.
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(+11) priests.41 Interestingly, the centres of these latter Dioceses are situated only 85 and 58 kilometres from the previous see (Zagreb), respectively. (5) Data concerning the new Slovenian church organisation are not less interesting and illuminating, either. Up to the most recent times, the country consisted of a single Ecclesiastical Province, which was divided into two in 2006. From among the new Dioceses the data of the following ones are interesting for our study. The Diocese of Murska Sobota was formed with a territory of only over 1.102 km2 (!), having currently 95.300 faithful with 36 parishes and 48 diocesan priests. The Diocese of Novo-Mesto founded also in 2006, has a territorial area of 1.159 km2, with currently 140.400 faithful, 71 parishes and 81 diocesan priests.42 These data – the creation of a Diocese with a territory of only 33x34 km and another of only 34x34 km (!) – suggest that the Slovenian restructuring was not really motivated by pastoral considerations, but rather by the aim to create a second Ecclesiastical Province.43 Although such “miniature” dimensions, given the large counts of the Latin Church, are infrequent – at least for the new Dioceses established nowadays44 – similar examples can still be mentioned from other regions as well.45 41 AP. 2012, pp. 271, 104 – 105, 695, 488. (Regarding the previous dimensions of the Croatian Dioceses see: Emmerich, Atlas hierarchicus [footnote 3], p. 21.) 42 AP. 2012, pp. 488, 515. This way in two Ecclesiastical Provinces, there are altogether six dioceses in this country with a total territory of only 20.273 km2. (Importantly, these new dioceses are very close to the see of the Metropolitans: Murska Sobota and Celje are only 50 – 55 km from Maribor, while Novo-Mesto is 71 km from Ljubjana.) 43 A similar motivation can be assumed for the renewed creation of the above mentioned Diocese of Gospic´-Senj, since the Rijeka Diocese that was split was hardly bigger than 10.000 km 2, and the total count of the faithful before the split was less than 300.000 persons (cf. AP. 1999, p. 587: Rijeka: 10.975 km2, 290.000 faithful, 66 diocesan priest, 3.660 baptism; and Gospic´-Senj, in AP. 2001, p. 225: 8.200 km2, 69.000 faithful, 34 diocesan priest.) 44 It is common knowledge, however, that Dioceses with ancient roots are mostly very small in size. Thus for instance in the territory of Italy (even after the integrations) there are more than 220 Dioceses over an area of 301.336 km2. Something similar can be seen in Ireland, too: 26 Dioceses over 70.273 km 2, and almost half of them (12) smaller in headcount than 100.000 faithful. In Dalmatia five Latin Dioceses can be found over only 11.960 km 2, two of which are Archiepiscopal in rank. The same way, the Latin Dioceses in Greece also had a very low count of faithful. 45 The Diocese of Görlitz established in 1990 has only 28.702 faithful with 57 priests today (AP. 2012, p. 270); the Diocese of Zrenjanin (Serbia) has a headcount of 62.500 with 20 priests (AP. 2012, p. 818). The establishment of small Dioceses is not without example even in highly populated countries, such as Poland or Spain. The Diocese of Drohiczyn established in 1991 has 210.200 members (AP. 2012, p. 222), while for instance the Diocese of Barbastro-Monzón in Spain, founded in 1995, has 96.300 faithful with 75 priests (AP. 2012, p. 82). Founded in 2002, the Latin Diocese of Saratov covers an area of 1.4 million km2 (!), yet the number of faithful is only 20.000 with 17 diocesan priests; see: AP. 2012, pp. 640 – 641. And if one studies the development of Latin hierarchy for instance in Canada and Australia in the 20th century, one may observe that in these areas Dioceses of some tens of thousands faithful have – not infrequently – been erected. Moreover, some of
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V. Conclusions In recent decades the eparchial and diocesan boundaries have undergone a revision in almost all the countries of the former Soviet bloc, as well as in some Western countries.46 Following the guidelines of the Council (CD 22 – 23) this led usually to the size-reduction of many of the former Eparchies and Dioceses.47 A restructuring like that occurred in Hungary, too, in 1993, but unfortunately that did not affect the local Greek Catholic hierarchy at the time. In the neighbouring countries there has been a spectacular hierarchical development both in the Greek Catholic and the local Latin Churches (as for these last first of all in former Yugoslavia). It is to recall that has often been erected Eparchies and Dioceses much smaller than the Eparchy of Hajdúdorog (212.000 faithful) could be after her eventual division.48
them are even smaller, for instance: the Diocese of Churchill-Baie D’Hudson has 9.500 faithful with 3 priests; Moosonee has 7.000 faithful with 4 priests; Broom 13.920 faithful with 10 priests; while the Archdiocese of Wellington elevated to the Metropolitan rank in 1980 has only 86.838 faithful with 60 priests; see: AP. 2012, pp. 173, 480, 120, 749; cf. Emmerich, Atlas hierarchicus (footnote 3), p. 38. Because of their similarity in sizes, the recent reorganisation of the Catholic hierarchy in Latvia also deserves special attention. In this country with a territory of 64.589 km2 some 440.000 Latin faithful live in four Latin Dioceses set up in 1995. The Diocese of Jelgava (13.620 km 2) has 80.520 faithful with 23 priests today. More interestingly, however, the new Diocese of Liepa¯ja (13.210 km2) – from which the former had been split off – has now only 28.000 remaining faithful with 9 diocesan priests (AP. 2012, pp. 332, 401). As a result of another split-off, the Archdiocese of Riga (23.587 km2) has got only 219.000 remaining faithful today with 32 diocesan priests, while the statistics of the split-off Diocese of Re¯zekne-Aglona are rather modest: 15.679 km2, 102.800 persons, 57 diocesan priests (AP. 2012, pp. 605, 604). 46 Cf. for instance Péter Erdo˝ , A magyar és európai egyházmegyék alakulása az utóbbi tíz évben, [= Development of Hungarian an European Dioceses in the Last Ten Years], in: Magyar Egyháztörténeti Vázlatok, 10 (1998) pp. 3 – 4, 269 – 277; furthermore: Patrick Valdrini, La réforme des province ecclesiastiques en France metropolitaine. Le décret du 8 décembre 2002, in: Iustitia in caritate. Miscellanea di studi in onore di Velasio de Paolis, J. Conn/L. Sabbarese (a cura di), Roma 2005, pp. 265 – 276; D. Le Tourneau, Note [Congregazione per i Vescovi, Décret portant sur la nouvelle organisation des provinces ecclésiastiques en France, 8 dicembre 2002], in: Ius ecclesiae 15 (2003), 3, pp. 865 – 869. 47 The author’s view, notably that Dioceses should be small sized organisational units focused on pastoral care, while most of the Church administrations and the institutions should be moved to the Metropolitan level, is also worth of our attention; in this sense see for example: Severino Dianich, Per una collegialità episcopale nelle chiese locali. Il modello delle metropolie e dei patriarcati, in: Vivens Homo 11 (2000), pp. 91 – 118, 114. (A tendency in this direction can be clearly observed today in the form of the establishment of regional seminaries and ecclesiastical tribunals.) 48 Cf. for example: Archeparchy Przemys´l-[Warsawa], Metropolitan-Archdiocese of Beograd, Eparchy of Wrocław-Gdan´sk, Eparchy of Bratislava, Exarchate of Skopje, Exarchate of Ruski Krstur, Diocese of Liepa¯ja, all of them consisting of less then 30.000 faithful, while the Diocese of Murska Sobota 95.000 faithful, Eparchy of Kosˇice 88.000; Diocese of
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Péter Szabó
As seen, the large geographical extension of the Eparchy of Hajdúdorog now celebrating its jubilee (84.000 km2) simply does not make it possible for its Bishop to maintain relations with the faithful entrusted to him, in accordance with the requirements and the spirit of Vatican II (cf. CD 22 – 23). This fact calls for the urgent division of this Eparchy. In the light of the above described practice of the Apostolic See for the erection of new Eparchies in Central Europe, it is clear that the population of this Eparchy (212.000 persons) and the elevated number of its clerics (160 priests and 60 seminarians) is sufficient for such a reorganisation.49 Beyond the pastoral reasons, there are further important arguments in favour of this hierarchical development. The establishment of a third Eparchy would make it possible to elevate the Hungarian Greek Catholic community to the level of a Metropolitan Church sui iuris.50 This would result in not only the expanded manoeuvring room of the Church in question in terms of government,51 but would bring about a qualitative change in its oriental image as well. In fact (only) in this way could even this Church gain a structural-configuration embodied in episcopal-synodal government that is an indispensable, identity-rendering element of the disciplinary order of the Eastern Churches.52 [Having concluded this study, Jelgava 80.000, Diocese of Gospic´ 69.000; Diocese of Zrenjanin 62.000; and finaly the Diocese of Mitrovica actually consisting of 50.000 faithful. 49 The idea that the pastoral problem arising from the too large geographical size of the Eparchy of Hajdúdorog can be resolved by the appointment of more auxiliary bishops, is a suggestion that could offer maximum a temporary solution. This is because the figure of the auxiliary bishop as like is difficult to reconcile with the authentic Eastern ecclesiology and canonical tradition; cf. Péter Szabó, Il dilemma circa la figura del Vescovo ausiliare alla luce della tradizione orientale, in: «L’ordinazione sacra nella disciplina delle Chiese orientali», Convegno di Studio, Cluj 11 – 14 aprile, 2012 (in the process of publishing). 50 This, as we have seen, would fully fit in with the hierarchical restructuring processes conducted (or supported) by the Apostolic See in Central Europe; see: footnote 4, furthermore: footnote 3 and 8. (It is worth to call to mind again: as mentioned, Greek Catholic Ecclesiastical Provinces and Metropolitan sees have been erected recently not only in traditionally Eastern countries, but also in Poland and Slovakia.) 51 Regarding the measure of governmental autonomy of the Metropolitan Church sui iuris, see the following studies: Péter Szabó, La questione della competenza legislativa del Consiglio dei gerarchi (Consilium Hierarcharum). Annotazioni all’interpretazione dei cc. CCEO 167 § 1, 169 e 157 § 1, in: Apollinaris 69 (1996), pp. 485 – 515; Id., Consejo de Jerarcas, in Diccionario General de Derecho Canónico, Javier Otaduy/Antonio Viana/Joaquín Sedano (dir.), Pamplona 2012, II, pp. 577 – 579; Id., Analisi (footnote 23), pp. 151 – 177; Id., Ancora sulla sfera dell’autonomia disciplinare dell’Ecclesia sui iuris, in: Folia Canonica 6 (2003), pp. 157 – 213; Id., Il Conventus patriarchalis (CCEO cann. 140 – 145), in: Strutture sovraepiscopali (footnote 30), pp. 203 – 222; and, for example, also Federico Marti, The Legislative Power of the Council of Hierarchs in the Metropolitan Church sui iuris, in: Folia canonica 13 – 14 (2010 – 2011), pp. 71 – 84. 52 For a recent authoritative re-affirmation of the crucial importance of “the way Synodality” lived in dynamic manner, a method of government proper and typical of the Eastern Churches, see: Intervista a papa Francesco [Antonio Spadaro s.j.], in: La civiltà cattolica, n. 3918, Anno 164, 19 settembre 2013, pp. 449 – 477, 465 – 466: “[Spadaro:] Ricordo al Papa che il 29 giugno scorso, durante la cerimonia della benedizione e dell’imposizione del
The Greek Catholic Eparchy of Hajdúdorog
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Pope Francis on 20 March 2015 established the new “Metropolitan sui iuris Church of Hungary”.53]
pallio a 34 arcivescovi metropoliti, aveva affermato «la strada della sinodalità» come la strada che porta la Chiesa unita a «crescere in armonia con il servizio del primato». Ecco la mia domanda, dunque: «Come conciliare in armonia primato petrino e sinodalità? Quali strade sono praticabili, anche in prospettiva ecumenica?» – [papa Francesco:] «Si deve camminare insieme: la gente, i Vescovi e il Papa. La sinodalità va vissuta a vari livelli. Forse è il tempo di mutare la metodologia del Sinodo, perché quella attuale mi sembra statica. Questo potrà anche avere valore ecumenico, specialmente con i nostri fratelli Ortodossi. Da loro si può imparare di più sul senso della collegialità episcopale e sulla tradizione della sinodalità…” [the emphasis is added]. As the Eastern Catholic Churches follow the same ecclesio-juridical tradition it is obvious that “to be authentically oriental” and to be able to live and give testimony on the above referred precious governmental mentality and praxis (cf. “dynamic local synodality”) they should have their own local synods adapted to their real possibilities. (For the description of the different types of synodal institutions see: Winfried Aymans, Synodale Strukturen im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 160 [1991], pp. 367 – 389; Carl G. Fürst, Die Synoden im neuen orientalischen Kirchenrecht, in: Richard Puza/Abraham P. Kustermann (Hrsg.), Synodalrecht und Synodalstrukturen. Konkretionen und Entwicklungen der «Synodalität» in der katholischen Kirche [= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Band 44], Fribourg 1996, pp. 67 – 85; Helmuth Pree, Die Synoden im Recht der katholischen orientalischen Kirchen, in Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen, Hrsg. von Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl [= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2], Freiburg/Br. 2014, pp. 246 – 263; and the studies referred in the previous footnote.) 53 See: L’Osservatore romano, anno CLV, n. 65 (46.903), venerdì-sabato, 20 – 21 marzo 2015, p. 1.
Verfassung und Recht des Volkes Gottes
I diritti dei fedeli: una novità del Codex iuris canonici del 1983? Carlo Fantappiè
I. Premessa In un importante convegno internazionale, celebrato a ridosso della promulgazione del nuovo codice canonico latino, è stato affermato che la dottrina canonica dei secoli XVIII e XIX si è mostrata a tal punto indifferente e piena di riserve nei confronti dei diritti e doveri dei laici e del loro status giuridico nella Chiesa da concepire per loro solamente il “dovere dell’obbedienza”1. Dei diritti sarebbero stati riconosciuti loro soltanto dopo il 1860 limitatamente alla partecipazione alla liturgia. In questo senso il Codice del 1917 rifletterebbe le posizioni maggioritarie dei canonisti romani.2 Una simile ricostruzione storico-giuridica, con i connessi giudizi di valore, non è rimasta isolata ma si è molto diffusa presso teologi, canonisti e storici.3 Nei loro scritti queste lacune dottrinali del passato sono richiamate per affermare la tesi secondo cui sarebbe stato il concilio Vaticano II a opporsi alla “ecclesiologia gerarchica” precedente e a introdurre per la prima volta, dopo il fallimento del progetto di Lex Ecclesiae Fundamentalis, una sezione sui diritti e doveri dei fedeli nel Codice latino del 1983 e nel Codice delle Chiese orientali del 1990 (rispettivamente ai cc. 208 – 223 e 11 – 26).4 1
In effetti, alla fine del XIX secolo, l’autorevolissimo Wernz scriveva dei laici: “[…] cum laici sensu strictu etiam extra hierarchiam iurisdictionis sint constituti, nulla ipsis competit de rebus ecclesiasticis disponendo facultas, sed tantum necessitas incumbit oboediendi, nisi speciali iure aliud cautum sit” (F.X. Wernz, Ius decretalium, II, Romae 1899, p. 17). 2 J. Gaudemet, La condition des chrétiens dans la doctrine canonique des XVIIIe et XIXe siècles, in Les droits fondamentaux du chrétien dans l’Église et dans la société. Actes du IVe Congrès International de Droit Canonique, publié par E. Corecco/N. Herzog/A. Scola, Fribourg Suisse/Fribourg i.Br./Milano 1981, p. 665. 3 La bibliografia in materia si è accresciuta notevolmente. Per un quadro sintetico si veda la “voce” di E. Molano, Derechos y obligaciones de los fieles, in Diccionario general de derecho canónico, obra dirigida y coordinada por J. Otaduy/A. Viana/J. Sedano, Navarra 2012, III, pp. 230 – 235. 4 Cfr. D. Cenalmor, La Ley fundamental de la Iglesia. Historia y análisis de un proyecto legislativo, Pamplona 1991, pp. 274 – 275; Id., “Iter” esquemático y fuentes de las obligaciones y derechos de todos los fieles en el CIC 83 y en el CCEO, in: Fidelium iura V, 1995, pp. 51 – 84. Com’è noto, alla base di questo complesso iter è il VI principio per la revisione del
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Carlo Fantappiè
D’altra parte anche sul piano dogmatico, nel ventennio precedente il Vaticano II, l’opinione secondo cui l’ordinamento della Chiesa era interamente dominato dalla dimensione pubblicistica e non poteva lasciare spazio ai “diritti soggettivi” collegati agli interessi dei singoli era stata tenacemente difesa da Pio Fedele. Per questo canonista l’unico diritto spettante al fedele nei riguardi della gerarchia era l’amministrazione dei mezzi necessari per la salvezza eterna.5 Analisi storiche, premesse teologiche e giuridiche, dunque, spingevano gli studiosi a ritenere che le disposizioni contenute nei codici latino e orientale risultavano estranee alla tradizione canonica; erano state introdotte solamente dal Vaticano II che aveva ratificato i “diritti dell’uomo”; rappresentavano un esempio paradigmatico dell’imitazione degli ordinamenti costituzionali laici da parte della Chiesa. Si comprende che un riesame di queste posizioni – fondato sull’apporto di testi finora trascurati o ignorati – non ha soltanto un interesse di tipo storico bensì acquista un rilievo dottrinale. Se si provasse che i diritti dei fedeli laici erano già enunciati, nei loro contenuti essenziali, molto tempo prima del codice canonico del 1983 – seppure in un contesto ecclesiologico diverso da quello del Vaticano II –, da un lato verrebbe a cadere molta enfasi su questa “novità” conciliare, dall’altro dovremmo ripensare non solo la genesi ma forse anche il significato e la portata effettiva di tali diritti nella vita della Chiesa. Intanto non si tratterebbe più di un imprestito giuridico dalla società secolare, inquadrabile nel movimento di affermazione dei “diritti dell’uomo” caratteristico delle costituzioni degli Stati democratici e delle recenti dichiarazioni di diritto internazionale. Inoltre le radici di tali diritti non andrebbero ricercate all’esterno della Chiesa bensì all’interno dell’evoluzione della teologia e del diritto canonico, tenendo particolarmente presenti le relazioni che queste discipline sacre hanno avuto con l’evoluzione del diritto e della cultura secolare in epoca moderna. Infine, la mancanza di soluzione radicale tra la dottrina canonistica precedente e quella posteriore al Vaticano II renderebbe più pacata e meno ideologicamente sovradeterminata la riflessione sulla natura, funzione e contenuto di tali diritti. Quest’indagine è il risultato di una prima ricognizione attorno a un tema che richiederebbe sondaggi su un arco cronologico assai più ampio, perlomeno dal Cinquecento alla seconda metà del Novecento.6 Anche limitando l’esame agli
codice canonico De tutela iurium personarum, approvato dall’Assemblea del Sinodo dei vescovi il 7 ottobre 1967 (Communicationes 1, 1969, pp. 82 – 83). 5 Cfr. P. Fedele, Lo spirito del diritto canonico, Padova 1962, cap. X, in part. pp. 862 ss. Contro questa posizione si schierarono sia canonisti laici come G. Olivero e L. De Luca che canonisti ecclesiastici come W. Onclin. 6 Una tale indagine servirebbe, tra l’altro, a mettere in luce anche nel passato un dato che è riemerso con evidenza solo dopo il Vaticano II: le influenze reciproche della teologia e del diritto canonico.
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ultimi due secoli, bisogna però subito avvertire che questa tematica presenta notevoli difficoltà metodologiche. Mi limito ad accennare alle variazioni semantiche e concettuali che hanno subìto le nozioni di ‘fedele’ e di ‘laico’; al mutamento di significato che l’espressione ‘diritto’ o ‘diritti’ dei fedeli ha ricevuto in contesti storici, giuridici ed ecclesiologici tra loro differenti; alle discussioni intervenute tra gli studiosi circa l’impiego di categorie giuridiche come ‘diritti soggettivi’.7 In particolare, appare problematica la nozione di diritti del soggetto nell’ordinamento canonico, in quanto non omologabile alla concezione positiva e individualistica che è maturata negli ordinamenti post-rivoluzionari e nella dottrina costituzionalistica dalla fine dell’Ottocento ad oggi.8 Tenendo conto di questi interrogativi, mi limiterò a indicare alcune piste di ricerca, selezionando autori che rappresentano differenti orientamenti in materia e soffermandomi specialmente sulla dottrina ignorata di Emmanuele de Sarzana.
II. Antoine Arnauld: Un precursore dei diritti dei fedeli? Le basi generali dell’affermazione moderna dei diritti dei fedeli si potrebbero rintracciare in Antoine Arnauld. Nelle sue opere controversistiche, scritte per difendere dal punto di vista teologico-giuridico le idee e la condotta dei giansenisti nei confronti dell’autorità ecclesiastica9, è sviluppata una teoria dei diritti che spettano alle varie classi di fedeli in stretta dipendenza con la concezione gallicana della Chiesa.10 Ponendosi in contrasto sia con la visione protestante che con quella ultramontana che, seppure da punti opposti, convergono nel ridurre la Chiesa a un’assemblea, a un corpo, a un tutto oppure a una sola persona che decide e giudica da sola senza conoscere l’opinione degli altri membri della Chiesa, Arnauld pensa la Chiesa come 7
In merito rinvio ai paragrafi finali per qualche precisazione metodologica. Si vedano i rilievi di P. Bellini, Diritti fondamentali dell’uomo. Diritti fondamentali del cristiano, ora in Id., Libertà e dogma. Autonomia della personà e verità di fede, Bologna 1991, pp. 142 – 148, e di H. Pree, Esercizio della potesta e diritti dei fedeli, in I princìpi di revisione del Codice di diritto canonico […], a cura di J. Canosa, Milano 2000, pp. 337 – 341. 9 V’è chi ha parlato di “venti anni di resistenza all’autorità ecclesiastica” in difesa del rationabile obsequium alla fede (J. Orcibal, L’idée d’Église chez les catholiques du XVIIe siècle, in Relazioni del X Congresso internazionale di scienze storiche, IV, Firenze 1955, pp. 122 – 123). 10 È sempre difficile stabilire a quale idea di Chiesa un autore si rifaccia. Nel caso di Arnauld è stato notato che la sua ecclesiologia gallicana non si riduce alla critica del modello tridentino, essendo fondata sulla patristica e influenzata dal conciliarismo (J. Gres-Gayer, Le gallicanisme d’Antoine Arnauld: éléments d’une enquête, in Antoine Arnauld [1612 – 1694] philosophe, écrivain, théologien, Paris 1995, pp. 31 – 51, in part. p. 41). 8
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Carlo Fantappiè
una relazione organica e reciproca tra ogni parte e il tutto: un tutto nel quale ciascun membro è quel che è solamente grazie alla sua unione con l’insieme. Dunque nella Chiesa non v’è altra autorità che quella della Chiesa considerata nel suo insieme e intesa quale relazione di ciascuno col tutto e viceversa.11 Se l’autorità appartiene alla Chiesa universale, appare evidente che essa debba essere distribuita tra i diversi membri: la gerarchia, i sacerdoti e, sebbene in grado minore, lo stesso popolo che è parte costitutiva dell’assemblea dei fedeli. Anche il legame del papa con l’episcopato è determinato dal rapporto che la “testa” intrattiene con le “membra” del “corpo” della Chiesa. Questa relazione si dissolverebbe nel caso in cui il potere attribuito ai diversi membri fosse concepito come una semplice derivazione di quello del papa. Questi non è posto né al di fuori né al di sopra dell’episcopato, benché sia il primo vescovo a cui tutti gli altri sono ordinati.12 Oltre che dai canoni e dai concili, l’autorità del papa è limitata dalle prerogative inviolabili connesse alle funzioni episcopali (provinciali e metropolitani).13 Su questi fondamenti nascono le “libertà” della chiesa gallicana. L’idea dei limiti dell’autorità non è tuttavia una conseguenza della divisione dei poteri; ha il suo fondamento nei due caratteri distintivi della vera Chiesa, che sono quelli di essere una società esteriore o visibile mediante la sua organizzazione, gerarchia e amministrazione dei sacramenti, e una società spirituale retta dal principio mistico che ne anima la vita e ne produce l’unità: Gesù Cristo e il suo Spirito. Principio interno e principio esterno si fondano l’uno sull’altro e formano una unità attorno al principio della carità, che deve animare l’intera vita della Chiesa e gli atti di governo della gerarchia.14 Ne segue che i rapporti tra i membri della Chiesa non possono essere ispirati dal principio del comando o dell’obbedienza cieca e servile. Gesù Cristo ha voluto che le forme del governo ecclesiastico fossero differenti dalle forme del governo politico. Lo spirito di dominio (la domination) consiste non solo negli eccessi di 11
Per una trattazione organica della visione ecclesiologica di Arnauld si deve rinviare ancora a J. Laporte, La doctrine de Port-Royal. La morale (d’après Arnauld), II, Paris 1952; per il punto indicato nel testo, pp. 280 – 281. 12 Seguendo i Padri della Chiesa, Arnauld considera vicari di Gesù Cristo non solo il papa ma anche i vescovi; nondimeno assegna al papa tale titolo per diritto divino e in modo superiore agli altri (perfetto, superiore e universale). È evidente il suo tentativo di trovare una soluzione al difficile problema della derivazione della giurisdizione episcopale. Cfr. GresGayer, Le gallicanisme d’Antoine Arnauld (nota 10), pp. 32 – 33. 13 La funzione dei vescovi non può certo ridursi a quella di “simples exécuteurs de ce qu’il plaît au Pape d’ordonner” (A. Arnauld, Premier mémoire pour la cause des quatres évêques, in Œuvres, Paris 1775 – 1783, XXIV, p. 193). Ne seguono due effetti: i vescovi godono della facoltà di formulare un primo giudizio sulle dottrine relative alla fede, per poi inviarlo alla Santa Sede; i decreti papali devono essere vagliati dai vescovi allo scopo di essere giudicati idonei per il bene spirituale del proprio popolo di fedeli (cfr. Laporte, La doctrine de PortRoyal [nota 11], II, pp. 319 – 323). 14 Ivi, pp. 283 – 285. Per alcuni confronti: Orcibal, L’idée d’Église (nota 9), pp. 122 – 123.
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autorità ma anche nel modo scorretto di esercitarla nella Chiesa.15 E questo non riguarda solo il modo di agire della Santa Sede ma anche dei vescovi verso i sacerdoti e dei sacerdoti verso i fedeli laici. Se non si distinguono in modo chiaro diritti e doveri, nella Chiesa è facile cadere in abusi di potere tanto nell’esercizio del magistero quanto nella funzione legislativa e esecutiva. Per Arnauld, il maggiore arbitrio nasce dalla mancata distinzione tra l’obbedienza dovuta nelle materie della disciplina, cui è obbligatorio sottostare a meno che la disposizione non contrasti con la legge divina o ecclesiastica, e quella nelle materie di dottrina, dove non necessariamente viene sempre proposta dall’autorità ecclesiastica una verità infallibile. Imporre ai fedeli un’opinione su un punto di dottrina non ancora deciso in modo definitivo o infallibile, equivale a esercitare l’autorità in modo tirannico.16 Diverso il campo dell’attività legislativa e nella prassi esecutiva, dove vale il principio generale che l’autorità ecclesiastica non solo non può essere concentrata nella persona del papa ma neppure può essere concepita come assoluta. Essa è infatti limitata dai diversi gradi della gerarchia e dai diritti dei fedeli in funzione del concetto di Chiesa e di bene spirituale dei fedeli.17 L’esercizio dell’autorità ecclesiastica è legittimo a condizione di seguire le regole fissate dai canoni e di non considerare i fedeli come un gregge senza autorità che deve solamente obbedire.18 Ciò mi sembra sufficiente per affermare il riconoscimento di quello che oggi è definito il principio di “legalità” nella Chiesa.19 Seguendo l’adagio di San Giovanni Crisostomo, per il quale i cristiani devono essere “pecore ragionevoli”, Arnauld pone al primo posto tra i diritti dei fedeli quello di essere istruiti nella propria religione mediante la lettura della Sacra Scrittura. Benché i cattolici abbiano nell’insegnamento della Chiesa la luce indispensabile su ciò che devono credere e fare, tuttavia la lettura della Scrittura è 15 Arnaul indica tre forme in cui consiste il dominio nella Chiesa: 1) “à commander pour commander, et à se faire obéir sans autre raison que de se faire obéir”; 2) far prevalere le necessità pubbliche o l’interesse generale invece di vegliare sul bene spirituale di ciascun fedele, la salvezza delle anime; 3) usare modi imperiosi e assoluti di comando invece della dolcezza e della persuasione (i fedeli hanno diritto di conoscere lo scopo delle disposizioni ricevute dall’autorità) (A. Arnauld, Apologie pour les religieuses de Port-Royal, in Œuvres [nota 13], XXIII, pp. 402 – 408). 16 “[…] je puis bien observer une chose que je crois mal ordonnée, pourvu qu’en l’observant je ne fasse rien contre Dieu […]. Mais en matière de doctrine, je ne puis croire ce qui ne me parait pas vrai, et la seule autorité ne peut pas me le faire paraître vrai, contre ma propre lumière, quand cette autorité n’est pas infaillible, mais sujette à erreur” (A. Arnauld, Difficultés sur les Eclaircissements de M. de Choiseul, in Œuvres [nota 13], XXVI, p. 170). V’è chi ha parlato di “logica della libertà” (T.M. Lennon, La logique janséniste de la Liberté, in Revue d’histoire et de philosophie religieuse 59, 1979, pp. 37 – 44). 17 Su questa materia si sviluppa il cap. V del volume di Laporte, La doctrine de Port-Royal (nota 11). 18 Ivi, pp. 362 – 364. 19 Pree, Esercizio della potestà e diritti dei fedeli (nota 8), pp. 315 – 324.
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necessaria per rendere la loro fede più viva e per dirigere la loro vita spirituale.20 Ciascuno ha il diritto di accedere, al massimo delle sue capacità, all’intelligenza della fede attraverso la Scrittura e le spiegazioni dei Santi Padri.21 Un altro diritto essenziale dei fedeli è quello di ricevere i sacramenti della Chiesa fintanto che essi restano figli di Dio. A loro non può essere rifiutata l’eucaristia a meno che non siano in stato di peccato. Ma il riconoscimento di questo stato di peccato – aggiunge Arnauld sulle orme di Agostino –, deve essere confessato volontariamente o essere riconosciuto pubblicamente mediante un giudizio secolare o ecclesiastico.22 Tuttavia i sacramenti non producono solamente i loro frutti ex opere operato, ma anche e congiuntamente ex opere operantis. Da qui un forte senso di responsabilità personale del modo di vivere la fede. Nel caso del sacramento della penitenza, strettamente legato a quello dell’eucaristia, presuppongono la buona volontà di convertirsi da parte del fedele ed esigono una penitenza seria, lunga e laboriosa.23 Il principio della ragionevolezza della fede personale impone ai fedeli che, pur accettando i dogmi insegnati dai loro pastori, si sforzino di conoscerne ed approfondirne il significato. La credenza di ogni fedele deve essere infatti personale, anche se soggetta al controllo dell’autorità ecclesiastica. Il pericolo di cadere in opinioni particolari deve essere sempre evitato, perché nella Chiesa la credenza personale è regolata dalla credenza comune che è la verità cattolica. L’una e l’altra non si possono opporre per l’azione dello Spirito Santo che muove l’intera Chiesa.24 Da questo punto di vista l’autorità della Chiesa non aggiunge nulla alla fede comune che è espressa dalle credenze individuali. Proprio per questo motivo i singoli fedeli contribuiscono col loro consenso, congiuntamente con i sacerdoti e vescovi, a confermare le decisioni dei concili e dei papi e a dare loro un carattere 20 “[…] les Livres Saints ont été dictés pour être lus non seulement par les prêtres et les docteurs, mais par tous les fidèles” (A. Arnauld, Difficultés proposées à M. Steyaert, in Œuvres [nota 13], VIII, p. 603). Molte pagine dei tomi VI-IX delle opere di Arnauld sono dirette a confutare le obiezioni contro l’interdizione della Bibbia da parte dell’autorità ecclesiastica e ad affermare l’utilità delle versioni in lingua volgare. 21 In merito si veda: D. Leduc-Fayette, Lire l’Écriture Sainte: un “droit”?, in Antoine Arnauld (1612 – 1694) philosophe, écrivain, théologien (nota 10), pp. 97 – 112. 22 “Tous les catholiques ont droit aux sacrements de l’Eglise, et tant qu’ils demeurent enfants de Dieu, on ne peut leur refuser le pain des enfants, qui est le Corps de Jésus-Christ. Il n’y a que le peché qui puisse leur faire perdre ce droit. Et encore faut-il ou qu’ils le reconnaissent eux-mêmes ou qu’ils soient légitimement convaincus, pour pouvoir être séparés par la discipline extérieure de l’Eglise de la partecipation des sacrés mystères” (A. Arnauld, Lettre à un Duc et Pair, in Œuvres [nota 13], XIX, pp. 312 – 313). Arnauld richiama la frase con cui San Leone Magno ammoniva i vescovi di non rifiutare con leggerezza la comunione ad alcun cristiano. 23 Laporte, La doctrine de Port-Royal (nota 11), II, pp. 257 – 261. 24 Fermo restando il diritto all’opinione teologica nelle cose non definite dal dogma, come indicato più sopra.
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ecumenico. Secondo Arnauld, anzi, la Chiesa non introduce mai nuove verità ma si limita a precisare o a rendere esplicite le verità contenute nella fede della Chiesa, ossia nel complesso delle verità possedute dall’universalità dei cristiani e trasmesse mediante la Tradizione.25 I fedeli laici hanno spesso contribuito non meno dei vescovi alla difesa e alla edificazione della Chiesa. Arnauld richiama il loro antico diritto di eleggere, insieme con i chierici, vescovi e parroci mediante le elezioni canoniche, nonché quello di confermare, con la loro adesione, le decisioni prese dall’autorità ecclesiastica.26 Inoltre i laici possono intervenire negli affari della Chiesa, manifestare la loro opinione, argomentare i loro pareri, proporre riforme e, se necessario, inviare ai vescovi e al papa relazioni su ciò che sembra loro opportuno.27
III. La costruzione di Antonio Rosmini La prima costruzione originale dei diritti dei fedeli, che è dato riscontrare dopo la dottrina giansenista, è nella Filosofia del diritto (1841 – 1843) di Antonio Rosmini. I suoi interessi non sono propriamente ecclesiologici bensì filosofici e politici: si tratta di comparare presupposti e relazioni dei “diritti sociali” nelle tre società necessarie (domestica, civile e teocratica).28 I diritti dei fedeli sono trattati sul duplice piano dei “diritti naturali” e dei “diritti nuovi”, di derivazione soprannaturale, e sono distinti per la loro origine divina o ecclesiastica a seconda che si riferiscano all’aggregazione alla Chiesa e alla condizione comune dei membri oppure siano diritti accessori attribuiti per giusto titolo dall’autorità. Rosmini qualifica per la prima volta i diritti dei fedeli di origine divina come personali, inalienabili, non negoziabili e non modificabili. In Rosmini i diritti dei fedeli sorgono in stretta connessione con l’idea di Chiesa come “corporazione” e non semplicemente come “corpo”. Tutti i soggetti di diritti “sono inseriti e incorporati l’uno nell’altro come membra d’un solo corpo”.29 Nella Chiesa si instaura una relazione non soltanto tra ciascuno e il tutto, tra i singoli e il 25
Laporte, La doctrine de Port-Royal (nota 11), pp. 364 – 366. Ivi, pp. 325 e 365. Secondo Arnauld sarebbe possibile e auspicabile il ristabilimento delle elezioni canoniche. 27 Arnauld cita il caso del laico San Prospero che interviene nelle questioni religiose senza essere invitato dall’autorità ecclesiastica (cfr. ivi, p. 325). Sul diritto alla partecipazione alle controversie teologiche e ad esprimere la propria opione sui problemi di interpretazione linguistica, storica, teologica, si veda il magnifico studio di B. Neveu, L’erreur et son juge. Remarques sur les censures doctrinales à l’époque moderne, Napoli 1993, passim. 28 Per un esame organico della tematica dei diritti rinvio a C. Fantappiè, Lo statuto giuridico dei fedeli nella società teocratica, in M. Dossi/F. Ghia (eds.), Diritto e diritti nelle “tre società” di Rosmini, Brescia 2014, pp. 177 – 200. 29 A. Rosmini, Filosofia del diritto (a cura di R. Orecchia, Padova 1967), IV, nn. 958, p. 983. 26
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corpo, ma anche tra i suoi organi e il corpo e tra membri, organi e corpo. Su questi tre piani i diritti non sono concepiti all’interno di un rapporto bilaterale ma di una relazione multipla. I diritti dei membri si ordinano e si subordinano tra loro al pari dei diritti dei vari organi tra loro e dei diritti dei membri e degli organi con quelli del suo capo visibile.30 Rispetto alla concezione di Arnauld, in Rosmini agisce uno schema organico chiaramente più evoluto. I poteri/diritti nella Chiesa sono fondati sul sacramento del battesimo, che attribuisce un carattere sacerdotale a ogni fedele e gli concede la “facoltà di eseguire certi atti di culto soprannaturale, e di ricevere ed esercitare certi uffici nella Chiesa”. Per primo Rosmini concepisce uno status communis di fedele e articola i poteri/diritti in sette tipi che hanno la loro radice nei sette sacramenti e nella parola di Dio: costitutivo, liturgico, eucaristico, di sciogliere e di legare, medicinale, ierogenetico, didattico e ordinativo. Ciò permette di concepire i diritti/poteri nella Chiesa al di fuori della schematica separazione o articolazione della potestà d’ordine e della potestà di giurisdizione. Rispetto al potere ordinativo o giurisdizionale, Rosmini ammette che i “semplici fedeli” abbiano “una qualche porzione”. Essi interagiscono con la gerarchia nei tre ambiti del processo di elezione o nomina delle persone agli uffici, nella formazione, promulgazione e accettazione delle leggi canoniche, nell’amministrazione e tutela delle cose o beni temporali della Chiesa. Un altro aspetto richiamato da Rosmini è la tutela dei fedeli contro danni derivanti dall’abuso della legislazione e amministrazione ecclesiastica.
IV. I canonisti di lingua tedesca: Walter, Phillips e Aichner L’idea di Chiesa quale corpo organico e quella della dignità sacerdotale dei fedeli vengono riprese, nel contesto della filosofia e della teologia romantica, da alcuni canonisti austriaci e tedeschi. Ferdinand Walter vede nel clero le “membra principali” della Chiesa ma riserva ai fedeli laici uno statuto teologico-canonistico loro proprio, in virtù del sacerdozio comune (status ecclesiasticus communis), e una funzione attiva. Tutti i fedeli influiscono nell’amministrazione ecclesiastica sul duplice piano della “vita mistica” e della “disciplina esteriore”.31 Più o meno negli stessi anni Phillips fonda il principio di uguaglianza dei fedeli sulla concezione ierocratica della Chiesa come Regno di Dio in terra. La costituzione della Chiesa è “essenzialmente monarchica”, perché c’è un solo re invisibile, Gesù Cristo, che è rappresentato da un solo capo visibile, suo vicario, in cui risiede l’unità dei tre poteri o funzioni della Chiesa: il sacerdozio, l’insegnamento e la regalità. Da qui la divisione tra Chiesa docente, santificante, governante 30 31
Ibd. F. Walter, Manuale di diritto ecclesiastico, trad. it. dell’VIII ed. Pisa 1839, pp. 41 – 42.
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e Chiesa discente, santificata, governata. Nell’atto di conferire a Pietro il supremo pastorato, Cristo ha subordinato a lui tutto il genere umano. Proprio a causa di questa comune subordinazione, tutti godono del medesimo stato di fedeli. L’uguaglianza che regna tra tutti i membri della Chiesa si fonda sull’adesione alla medesima fede, speranza e carità e sulla ricezione del medesimo battesimo, che dà a tutti gli stessi diritti a regnare un giorno con Gesù Cristo nel suo regno celeste.32 Sulla base di questo principio teologico della partecipazione alla regalità di Cristo, “tutti possono pervenire al fasto delle dignità ecclesiastiche, non v’è nella Chiesa né distinzione di caste, né privilegi di sangue: essa non ammette che la generazione spirituale che procede dal battesimo e dall’ordine”.33 Le prerogative e i diritti dei laici si fondano sul battesimo e sull’intima congiunzione che essi hanno con Cristo insieme alla Chiesa e mediante la Chiesa.34 Ampliando alcuni spunti di Walter, Phillips elabora la dottrina della “partecipazione” dei fedeli laici alla potestà ecclesiastica. I contenuti concreti di questi diritti saranno riproposti nel 1895 dal canonista Aichner, che li inquadra in una concezione per status della costituzione ecclesiastica: stato comune laicale, stato clericale, stato religioso.35 Riguardo alla partecipazione passiva, i laici hanno diritto a ricevere dalla gerarchia copiosi beni spirituali derivanti dalla triplice potestà della Chiesa. Vi rientrano l’essere educati rettamente nella fede cristiana e lo stare lontani, per quanto possibile, dai pericoli della fede; il ricevere fedelmente i sacramenti e i sacramentali; il poter adire lo stato clericale o religioso; il richiedere liberamente l’autorità dei giudici ecclesiastici nelle cause contenziose; l’essere resi partecipi di tutti quei diritti che provengono dallo stato di comunione con la Chiesa (ad es. la sepoltura ecclesiastica). Tuttavia i laici non possono né predicare né disputare sui misteri della fede con gli eretici, anche se è ammesso che i dótti intervengano in caso di necessità o di evidente utilità. In virtù del “sacerdozio interno” i fedeli laici godono anche di una partecipazione attiva, che permette loro di “influire nell’esercizio della potestà ecclesiastica e indirettamente avere su di essa almeno una qualche parte”. Nell’ambito del magistero della Chiesa, i maestri e letterati laici possono studiare le scienze teologiche, persuadere con propri scritti infedeli e eretici, 32 G. Phillips, Kirchenrecht, I, Regensburg 1855, pp. 245 – 250. Il riferimento diretto è al “sacerdozio interno e invisibile” della I Petr. II, 9: “Vos autem genus electum, regale sacerdotium, gens sancta, populus acquisitionis”, che secondo la spiegazione dei commentatori antichi (Eusebio e S. Girolamo) annoverava anche i laici nei gradi gerarchici. 33 Ivi, pp. 249 – 250. 34 “Hinc laicis quoque propter signaculum fidei et intimam cum ecclesia, et mediante ecclesia, cum Christo connexionem eximiae praerogative et iura quaedam singularia competunt” (S. Aichner, Compendium iuris ecclesiastici ad usum cleri …, Brixinae 101905, § 60, p. 189). 35 Ivi, § 60. De juribus laicorum, pp. 189 – 192.
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difendere le verità della fede cattolica; i padri esercitare quasi l’ufficio episcopale nell’educazione dei figli; le madri imprimere la fede nell’animo dei figli in analogia a quanto facevano nella Chiesa antica alcune donne con le catecumene. Nell’ambito del ministero sacro, i laici collaborano con le loro opere non solo perché elevano preghiere per la salute della Chiesa, per gli ordinandi, per la conversione dei peccatori ma anche perché si consacrano a Dio mediante sacrifici di buone opere e per tale motivo in certo senso imitano nell’animo loro la liturgia pubblica.36 Nel sacrificio della Messa, nonostante l’azione esterna e la consacrazione sia fatta solamente dal sacerdote, di fatto i laici offrono e cooperano con esso nell’offerta del sacrificio incruento. Tuttavia essi non possono esercitare il ministero sacro: sono ammessi agli ordini minori e al servizio dell’altare dietro concessione e secondo le limitazioni della Chiesa; non possono comunicarsi col pane e col vino; non possono assolvere.37 Infine, nell’ambito della disciplina ecclesiastica i laici cooperano in varie forme. Sono ammessi nei concili, tra i testi sinodali, nell’amministrazione della proprietà ecclesiastica e nella provvista dei benefici. Talora vengono concessi ai prìncipi cattolici favori più ampi che al clero. Inoltre i laici promuovono l’azione cattolica, difendono nei convegni cattolici la libertà e i diritti della Chiesa e con l’adesione alle associazioni si dedicano alla cura dei poveri e degli indigenti. È però proibito ai laici eleggere ed essere eletti alle dignità e alle prelature ecclesiastiche, nonché esercitare i benefici o qualunque spirituale diritto senza la giurisdizione delegata per speciale commissione papale.38
V. La dottrina di Anselme Tilloy In ambito francese, il Traité théorique et pratique de droit canonique (1895) di Anselme Tilloy39 ripropone la dottrina tipica del ius publicum ecclesiasticum contro le idee democratiche della rivoluzione francese, ma si segnala per lo sforzo di aggiornare il tema della cooperazione dei laici alla prassi del suo tempo. La costituzione sociale della Chiesa è formata da superiori e inferiori (un gruppo di pastori, l’assemblea dei fedeli, il pastore supremo) e da differenti classi di persone e relativi status (chierici, laici e regolari). Nonostante la disuguaglianza esistente, il 36
Ci si richiama alla dottrina del concilio di Trento (sess. XXII de sacrificio Missae, c. 1). Sostanzialmente le interdizioni dei laici in questa materia erano già formulate da Ferraris con l’espressione “laici non possunt sacrificare nec absolvere et ligare” (L. Ferraris, Prompta bibliotheca canonica …, IV, Lutetiae Parisiorum 1861, sub voce Laicus, coll. 1317 – 1326). 38 Aichner, Compendium iuris ecclesiastici (nota 34), pp. 191 – 192. 39 Tilloy si era formato agli studi teologici e canonistici nel Collegio Romano, restando in contatto con i maggiori esponenti della ripresa canonistica francese e italiana (Gousset, Bouix, De Angelis). Il suo trattato ebbe molte recensioni favorevoli, ma fu anche criticato dall’Ami du clergé per alcune minuzie. 37
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popolo cristiano occupa “la partie principale, car la hiérarchie des pouvoirs n’existe que pour le gouvernement du peuple chrétien”.40 La gerarchia ha ricevuto per missione principale e scopo immediato di comunicare i tesori della redenzione a tutti gli uomini. Da qui nascono i diritti e doveri tra governanti e governati (oggetto del diritto pubblico) e tra governati e governanti (oggetto del diritto privato o sociale). Il “diritto sociale” si riferisce al popolo cristiano o ai laici41 ed è fondato sui princìpi dell’unità di origine di tutti gli uomini da Dio e della partecipazione di tutti i fedeli ai tesori della rivelazione che rendono tutti i laici uguali davanti a Dio e alla Chiesa. Nella Chiesa non esiste il governo del popolo da parte del popolo, ma l’uguaglianza dei diritti dei laici perché è soppressa ogni divisione di casta e di ranghi nell’ordine spirituale. Questa è, secondo Tilloy, la “vrai démocratie chrétienne”. Per effetto del battesimo tutti i fedeli partecipano del medesimo corpo ed ereditano i medesimi beni spirituali. Hanno diritto a ricevere i soccorsi spirituali che sono loro necessari per la santificazione, ad essere perfettamente istruiti nella dottrina cristiana, a partecipare, secondo i meriti di ciascuno, ai sacramenti e a tutti i beni spirituali della Chiesa, di cui i pastori non sono che gli economi e i dispensatori.42 I laici “participent en quelque chose, indirectement du moins” al potere spirituale della Chiesa, cooperano efficacemente al magistero ecclesiastico e godono di alcune libertà dirette a tutelarli nei confronti della gerarchia.43 Il loro compito si rivolge tuttavia sempre più verso la società civile. È sintomatico del clima culturale in cui opera che Tilloy insista sui doveri e diritti dell’apostolato dei pubblicisti o scrittori cattolici.44 Affermato il principio che nella Chiesa l’aristocrazia della scienza sacra non assegna nessuna giurisdizione o potere giuridico, egli raccomanda di non sminuire l’efficacia dell’apostolato dei laici nella cultura. In questo campo vige 1) la libertà di opinione al di fuori dai dogmi e delle prescrizioni del magistero infallibile; 2) il diritto di rimostranza filiale alla gerarchia in certe circostanze eccezionali; 3) il diritto di professare la propria fede e di difenderla anche contro il potere stesso della gerarchia che l’attacca; 4) il diritto privato di esporre e difendere le loro opinioni particolari nonché di protestare contro ogni dottrina contraria al dogma e all’insegnamento comune della Chiesa.45 40
A. Tilloy, Traité théorique et pratique de droit canonique, I, Paris 1895, p. 479. Si noti la non corretta identificazione giuridica dei “governati” nella Chiesa con i “laici”. 42 Ivi, I, p. 488. 43 Ivi, I, pp. 486 – 488. 44 È da supporre un’eco dell’attività pubblicistica svolta in Francia da intellettuali come Montalembert e Veuillot. 45 Ivi, I, p. 493. Tredici anni dopo, Adolphe Paquet allarga il punto della “coopération des laïques à l’œuvre de l’Eglise” prevedendo le tre forme di apostolato della scienza e delle lettere, della carità e della virtù, della parola e dell’azione pubblica (Droit public de l’Eglise. Principes généraux, Québec 1908, pp. 98 – 104). 41
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VI. La “teoria generale” di Emmanuele de Sarzana Tra i canonisti che prima del Codex hanno scritto sui diritti dei fedeli, la trattazione più organica e più avanzata è quella elaborata da una figura quasi ignota nel campo canonistico: il siciliano Emmanuele de Sarzana.46 Costui disegna nel 1914 una vera e propria “teoria generale”, adottando il metodo del diritto costituzionale e comparato. La sua prospettiva è di confrontare i princìpi del diritto costituzionale della Chiesa con quelli dello Stato47 e di mostrare, in chiave apologetica, che i fedeli “non sono uno strumento di dispotismo per le autorità, bensì formano la parte governata, che nella Chiesa gode di poteri come persone con realtà sociale”48. A differenza di Walter, Phillips e Tilloy, Emmanuele de Sarzana non intende determinare in quali modi i laici partecipano alla potestà ecclesiastica bensì stabilire “l’estensione dei poteri della Chiesa verso i suoi sudditi”49, prendendo a modello di riferimento la forma dello Stato liberale piuttosto che quella dello Stato assoluto.50 Egli abbandona la distinzione tra diritto pubblico e diritto privato per abbracciare quella tra diritto costituzionale e diritto amministrativo51 e si premura di precisare che la forma di governo della Chiesa “partecipa di quella dello Stato semplice e dello Stato federale”52. L’impianto formale dell’opera ha, per la prima volta, un carattere sistematico: alla parte sostanziale, contenente la “teoria dei diritti” e la loro “classificazione”, segue la parte processuale relativa alla “preservazione” e quella penale sulla “privazione dei diritti”.
46 Di famiglia siciliana (era nato a Trapani nel 1876), formatosi nell’Accademia dei nobili ecclesiastici di Roma dopo aver conseguito il titolo di dottore in diritto canonico, Emmanuele de Sarzana fu segretario e uditore in diverse nunziature: segretario della delegazione di Cuba nell’ottobre 1906, della nunziatura di Madrid nel marzo 1908, uditore di II classe nella nunziatura del Belgio nel novembre 1912. Canonico di San Pietro nel 1924, restò a lungo a Roma prima di ritornare in Sicilia (morirà a Gela nel 1935). Cfr. A. Battandier, Annuaire pontifical catholique, Paris 1936, p. 941. 47 Emmanuele de Sarzana, Manuale di diritto costituzionale della Chiesa cattolica apostolica romana, Bruxelles 1914, pp. 7 – 8. La limitata eco di quest’opera si desume dalle poche recensioni che ricevette (vedi per es. “La Ciudad de Dios”, XXXIV, 1914, pp. 222 – 223). 48 Ivi, p. 8. Scopo dell’autore è difendere la Chiesa dalle critiche di essere un’istituzione decadente e superata. 49 Ivi, p. 12. 50 “La Chiesa Cattolica Apostolica Romana nella sua qualità di società perfetta ed a somiglianza di ogni Stato civile nel mondo riconosce nella sua legislazione i diritti dei fedeli, li garantisce ed all’occasione li sospende” (ivi, n. 206, p. 213). 51 Lo schema del Manuale riflette questa divisione. Dopo aver trattato nelle prime due parti la natura e i princìpi dello Stato e della Chiesa “nella sua qualità di Stato religioso nel mondo”, passa a analizzare nella terza e quarta parte gli organi superiori e inferiori della Chiesa. 52 Ciò anche se accoglie la concezione della Chiesa-societas perfecta sul modello della monarchia assoluta elettiva (ivi, p. 31 n. 35).
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Emmanuele de Sarzana distingue tre tipi di “diritti dei fedeli”: quelli naturali che “sgorgano dalla stessa natura dell’uomo”, riguardano la vita sociale e sono comuni all’umanità; quelli ecclesiastici che si identificano con “l’insieme delle facoltà, di cui gode il fedele nella Chiesa Cattolica” e hanno carattere individuale; quelli politici sono posseduti dal “fedele come cittadino” e comuni ai cattolici. La Chiesa si limita a riconoscere e interpretare i primi53, costituisce su quella base i secondi e difende i terzi là dove sono violati.54 Indicazioni originali sono offerte intorno alle riflessioni sull’origine, riconoscimento e fondamento dei diritti ecclesiastici. La loro teoria non è derivata dallo Stato ma “è sempre esistita nella Chiesa Cattolica”, perché “la santificazione delle anime […] ha ispirato fin dai primordi del Cristianesimo ogni procedimento giuridico per garantire l’esercizio delle facoltà individuali”55. Quindi la mancanza di trattati appositi sui “diritti ecclesiastici” non prova la loro inesistenza, essendo stati trasfusi nelle varie epoche “nei metodi di governo della Chiesa”. Il loro contenuto è possibile desumerlo “dagli scritti di eminenti dottori della Chiesa, che ne hanno fissato i principi” cui si sono ispirati i papi nella loro azione e prassi di governo.56 Essendo da sempre parte integrante del patrimonio disciplinare della Chiesa, i diritti dei fedeli devono solamente venire esplicitati e presentati in modo coordinato. Il loro primo riconoscimento giuridico risale al concilio di Gerusalemme, che nel prescrivere ai fedeli “quanto è indispensabile per la loro salvezza, dichiara implicitamente stabiliti i loro diritti nella Chiesa”57. In seguito sono venute le statuizioni di molti altri concili, specialmente quelle dei Lateranensi fino al Tridentino.58 I diritti dei fedeli hanno un duplice fondamento ontologico: la natura dell’uomo e la sua aggregazione alla Chiesa Cattolica, che si acquista col battesimo. “Quest’ammissione determina diritti soggettivi ed oggettivi. Decide in corrispondenza anche dei doveri. Il cattolico pertanto gode di facoltà, come essere reale, responsabile e libero”.
53 “La Chiesa Cattolica, benché in potenza estenda la sua sovranità sull’intero genere umano, non ha poteri assoluti su tutti gl’individui. Vi sono certi principi così naturali alla condizione dell’uomo vivente in società che la Chiesa non li può sconoscere né ai fedeli, né agli acattolici, né agl’infedeli” (ivi, n. 208, p. 214). 54 Ivi, n. 207, pp. 213 – 214. 55 Sia gli Atti degli apostoli che i decreti dei concili mostrano che “ogni uomo ha il diritto di entrare nella Chiesa Cattolica e dopo che vi fa parte, ha il diritto ed il dovere di santificarvisi per la gloria di Dio” (ivi, n. 209, p. 215). 56 “Sant’Agostino, Sant’Ambrogio, San Gregorio Magno, San Tommaso d’Aquino, il Suárez, ecc. ne parlano mirabilmente” (ibd.). 57 Cfr. Atti degli apostoli, XV, vv. 10 e 28. 58 Emmanuele de Sarzana, Manuale (nota 47), n. 211, p. 216.
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Queste specifiche qualità dei diritti dei fedeli dipendono sia dalla costituzione della Chiesa – che “non è un’astrazione giuridica, ma forma una società visibile ed effettiva” –, sia dalla sua finalità “di assicurare il bene comune dei fedeli”. “Se non rispettasse il libero sviluppo delle facoltà proprie ad ogni suo membro”, la Chiesa mancherebbe al suo scopo.59 Per questo, nel determinare l’esercizio dei diritti, la Chiesa si è limitata a “fissare le attribuzioni”, “mettere le condizioni necessarie” ed “ordinarne gli effetti giuridici”60. I diversi diritti dei fedeli sono ricondotti ai due princìpi generali dell’“uguaglianza giuridica” e della “libertà ecclesiastica”. Entrambi sono trattati da Emmanuele de Sarzana in rapporto al loro fondamento e ai diversi ambiti di applicazione. L’uguaglianza ecclesiastica, essendo fondata sull’origine comune di ogni uomo da Dio e sulla comune redenzione di Cristo, implica che ogni fedele “ha diritto di avere nella Chiesa ogni vantaggio spirituale per la sua salvezza eterna e di esservi protetto circa alla manifestazione dei suoi sentimenti religiosi”61. Si potrebbe vedere in quest’affermazione un’anticipazione delle disposizioni del Codex del 1917 che delimitavano il diritto dei laici a ricevere dal clero i beni e gli aiuti spirituali “necessari per la salvezza”62. Il principio di uguaglianza nella Chiesa è considerato da Emmanuele de Sarzana in relazione ai mezzi di salvezza, alla legge canonica, alla giustizia, agli oneri pubblici, alla dignità e agli impieghi. Rispetto ai mezzi di salvezza, le distinzioni sociali esistenti nella Chiesa “non intaccano il principio dell’uguaglianza, bensì ne sono la salvaguardia”. Papa, cardinali e vescovi godono delle stesse facoltà dei laici, ma in più hanno il dovere di esserne “i custodi della distribuzione pubblica, ciascuno nei limiti dei propri poteri”. La ragione è che, nella Chiesa, tutto deve convergere “sull’utilità comune della massa dei fedeli”. Si adombra il principio che la gerarchia non debba esercitare un dominio ma una funzione al servizio dei fedeli, a garanzia dell’amministrazione dei mezzi di salvezza e nel rispetto di determinati limiti di potere.63 I fedeli hanno diritto non solo “all’amministrazione ed alla suscezione dei Sacramenti in conformità di quanto ha stabilito Gesù Cristo e la sua Chiesa” ma anche, e “senza alcuna distinzione”, “ai favori spirituali”64.
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Ivi, n. 210, p. 216. Ivi, n. 211, pp. 216 – 217. 61 Ivi, n. 213, p. 217. 62 CIC 1917, c. 682. 63 Cfr. Pree, Esercizio della potestà e diritti dei fedeli (nota 8), p. 312. 64 Emmanuele de Sarzana, Manuale (nota 47), n. 214, pp. 218 – 219. L’autore indica i vari casi in cui i laici possono essere ministri dei sacramenti e ricorda anche che in estrema necessità, “conforme al giudizio del Vescovo possono comunicare loro stessi e gli altri”. 60
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Il principio sostanziale di uguaglianza ecclesiastica, se da un lato comporta che tutti i fedeli siano soggetti alle medesime leggi canoniche, dall’altra implica anche che le norme, la giurisdizione, le regole giudiziali e le sanzioni siano adattate ai diversi gradi della gerarchia e ai differenti stati di vita.65 Tutti i fedeli hanno la facoltà di godere del patronato nella Chiesa, di rivolgersi alla Santa Sede per chiedere grazie e dispense, di essere giudicati in modo uguale, poiché nessuna esclusione può essere basata su motivi di persona.66 Il principio d’uguaglianza si applica anche al dovere dei fedeli di contribuire agli oneri pubblici della Chiesa: mantenimento del culto, opere di beneficenza “che adesso abbracciano anche quelle sociali”, pagamento delle tasse di cancelleria per i documenti emanati dalle curie.67 Ogni fedele gode del diritto di essere ammesso alle cariche e impieghi pubblici alle condizioni prescritte dalla legge divina od ecclesiastica. Mentre le dignità comprese nella gerarchia e gli uffici di carattere ecclesiastico o misto sono riservati al clero, le dignità semplici, gli impieghi delle curie e le professioni libere nei tribunali ecclesiastici come nelle Università e scuole cattoliche possono essere esercitate anche da laici.68 La libertà giuridica nella Chiesa “consiste nel potere riconosciuto ad ogni fedele di fare tutto ciò che non nuoccia agli altri ed all’istituzione della Chiesa”. L’esercizio dei diritti individuali è infatti limitato dal principio di “assicurare nella convivenza un eguale esercizio di diritti al simile ed alla società”69. Le libertà ecclesiastiche sono distinte in libertà individuale (movimento, abolizione della schiavitù e del servaggio, inviolabilità del domicilio), le quali possono subire restrizioni solo per ragioni di ordine e di sicurezza pubblica70, e in “libertà ecclesiastiche di ordine pubblico”. Tra queste ultime sono comprese la libertà di pensiero, di stampa, di riunione e di associazione, di libertà religiosa. Il fondamento della libertà di pensiero e di stampa per la Chiesa è rappresentato, in positivo, dal diritto di “acconsentire alle verità della propria religione e di ogni scienza” e, in negativo, dalla negazione del “diritto al falso”. Sulla base di tale criterio, che è parte integrante della tradizione cattolica, viene moderata sia la 65 “L’oggetto della legge si adatta ai differenti gradi della gerarchia per determinarne le attribuzioni ed i diritti” (ivi, n. 215, pp. 219 – 220). Ciò vale anche per le leggi penali (ivi, n. 216, p. 221). 66 Ivi, pp. 220 – 221. L’autore si rifà alla Reg. XII del Liber Sextus. 67 Sono esclusi dagli oneri pubblici i poveri, cui resta solo l’obbligo della beneficenza (ivi, n. 217, p. 222). 68 Ivi, n. 218, pp. 222 – 224. Al papato e al cardinalato possono essere eletti, a certe condizioni, anche laici. Lo stesso valeva per gli uffici di legato e di nunzio, anche se è invalso l’uso di riservarli al clero per onore e consuetudine. Tra le dignità semplici adempiute da laici sono ricordate il Maresciallo di Santa Romana Chiesa e il Custode del Conclave. 69 Qualcosa di analogo sembra sancito nel c. 223 § 1 del CIC 1983 e c. 26 § 1 del CCEO. 70 Emmanuele de Sarzana, Manuale (nota 47), nn. 222 – 223, pp. 227 – 228.
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libertà di parola che di propagazione di idee. Non possono essere né insegnate né diffuse idee e opinioni che “vadano contro la fede, i costumi e la disciplina ecclesiastica”71. Particolare attenzione è dedicata alla “potenza diffusiva” della stampa come mezzo di comunicazione sociale di grande utilità per la Chiesa.72 Il diritto di sorveglianza sulla stampa è esercitato nel mondo cattolico dalla Congregazione dell’Indice e in ogni diocesi dai censori. L’approvazione dei libri, la cui censura non è riservata alla Santa Sede, appartiene all’ordinario del luogo dove se ne fa la pubblicazione. Ma ogni cattolico ha il dovere di denunciare ai vescovi e alla Santa Sede qualunque scritto dannoso per i fedeli e per la Chiesa.73 Largo spazio è dedicato da Emmanuele de Sarzana anche alla libertà di riunione, “diritto pubblico riconosciuto ai fedeli di assembrarsi per uno scopo”, diversamente determinata dalle classi di fedeli e dalla qualificazione giuridica (obbligatorie o libere). Le riunioni delle autorità ecclesiastiche secolari e regolari sono “assemblee legali” chiamate concili ecumenici, nazionali, provinciali, sinodi diocesani, capitoli. Le conferenze episcopali non sono obbligatorie.74 I “congressi dei sacerdoti non sono permessi, che in casi rarissimi”, dietro singola autorizzazione scritta ed in tempo opportuno; non possono trattare oggetti di competenza dei vescovi o della sede apostolica, né proporre o chiedere cose che “implicano usurpazione della sacra potestà”75. Le riunioni laicali possono essere obbligatorie o libere. Nel primo caso hanno annesso l’adempimento di doveri religiosi (ricevere i sacramenti, compiere gli esercizi spirituali del clero, ecc.), negli altri devono avere uno scopo retto e necessitano di una comunicazione all’autorità ecclesiastica locale (dimostrazione cattolica per difendere i diritti della Chiesa contro lo Stato, voti di solidarietà per l’autorità ecclesiastica, feste di santi e celebrazione di annivertsari storici, ecc.).
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Ivi, nn. 224 – 225, pp. 228 – 232. “Difende gl’interessi religiosi, morali e materiali della società moderna. È un mezzo d’unione ecclesiastica per l’amministrazione della Chiesa. Associa i sentimenti delle popolazioni cattoliche. Collega al Sommo Pontefice la massa dei fedeli esistente nel mondo” (ivi, n. 225, p. 230). 73 Ivi, n. 225, pp. 230 – 231. L’autore ricorda che le disposizioni di Leone XIII del 25 gennaio 1897 (cost. ap. Officiorum ac munerum) e quelle di Pio X dell’8 settembre 1907 (enciclica Pascendi) formano il “codice d’istruzione criminale della stampa” per prevenire che venga insidiata “la libertà della fede cattolica” e distrutto “il suo patrimonio costituzionale nell’ordine pubblico e privato”. 74 Diversamente dalla legislazione vigente (cfr. CIC 1983, cc. 447 e 453). 75 Emmanuele de Sarzana, Manuale (nota 47), n. 226, p. 233. 72
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Per le riunioni miste, cui partecipano clero e laici, occorre invece il permesso dell’autorità ecclesiastica (processioni, riunioni di congressi cattolici ed eucaristici di carattere internazionale).76 Al pari della libertà di pensiero e di stampa, la libertà di associazione subisce varie restrizioni. Sono proibite le riunioni aventi uno scopo sovversivo, di ostilità verso l’autorità ecclesiastica, di irriverenza al culto, nonché quelle che contrastano con “la fede, i costumi, la tradizione, la disciplina e gl’interessi della Chiesa”77. Il diritto di associazione nella Chiesa consiste per i fedeli nel “mettere in comune consigli e forze pel conseguimento del loro fine soprannaturale”. Proprio perché il suo fondamento risiede nella natura sociale dell’uomo, “ogni associazione può formarsi liberamente senza autorizzazione, né dichiarazione, purché non abbia uno scopo illecito contrario alle leggi, ai costumi, all’integrità della fede, alla forma costituzionale della Chiesa”.78 Mentre le associazioni private sono costituite senza intervento alcuno dell’autorità ecclesiastica, quelle pubbliche ricevono da quest’ultima il permesso e il riconoscimento. Tuttavia l’autorità ecclesiastica esercita piena giurisdizione su entrambe, potendo intervenire anche su quelle private qualora abbiano fini illeciti.79 Nel diritto pubblico di associazione rientrano le forme create dai fedeli per costituire lo stato religioso (ordini, congregazioni, istituti religiosi) oppure per formare ceti o associazioni secolari (terzi ordini, confraternite, fabbricerie, pie unioni, associazioni di beneficenza, associazioni politico-religiose).80 La libertà di associazione può estinguersi nelle espressioni storico-concrete ma non nel principio, essendo una facoltà dei fedeli. Mentre gli istituti regolari possono venire a mancare nella Chiesa, lo stato religioso, benché non appartenga alla gerarchia, è indefettibile essendo stato predicato e raccomandato da Gesù Cristo.81 A differenza del Codice del 1917 che è assai stringato in materia, Emmanuele de Sarzana delinea la varietà delle associazioni laicali e indica le differenze specifiche che intercorrono tra terzi ordini82, confraternite83, pie unioni e leghe84 e fabbricerie85. 76 Ivi, n. 228, pp. 232 – 234. Anche le assemblee elettorali hanno il carattere di riunioni miste. 77 Ivi, n. 229, pp. 235 – 236. 78 Ivi, n. 230, p. 236. 79 Ibidem, pp. 236 – 237. Cfr. l’analogia di queste disposizioni col CIC 1983 cc. 305 e 323. 80 Ne viene che gli ordini religiosi sono inquadrati sistematicamente nella libertà di associazione e non nella costituzione della Chiesa. 81 Ivi, n. 238, p. 242. 82 Gli ascritti ai terzi ordini non seguono i consigli evangelici ma, dopo il noviziato, professano la regola che implica obbligazioni speciali, oltre a quelle comuni della vita cristiana. 83 I membri delle confraternite si dedicano specialmente a migliorare la celebrazione del culto e l’assistenza agli indigenti nelle parrocchie e diocesi. Mentre le confraternite hanno la
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Vi possono essere associazioni private o pubbliche di beneficenza con scopi assistenziali, promozionali, educativi e economici. La direzione delle associazioni educative è in genere assegnata all’episcopato della regione o dello Stato. Quelle economiche chiedono il riconoscimento anche dello Stato in vista di una maggiore protezione.86 Una novità registrata da Emmanuele de Sarzana è costituita dalle associazioni politico-religiose, sorte in alcune diocesi per difendere la religione cattolica dalle intromissioni degli Stati e ora divenute parte integrante del “patrimonio giuridico della cattolicità”. In esse il diritto dei fedeli “di salvaguardare la fede di Cristo nella loro persona e di perpetuarla nella propria famiglia”, si trasforma nel dovere “di prendere i provvedimenti necessari per proteggerla anche nella società”. Poiché la Chiesa ha “il diritto di sapere in qual modo sia difesa”, queste associazioni cadono sotto la giurisdizione dei vescovi e della Santa Sede.87 Nonostante le tante analogie che sono state messe in evidenza, il contrasto della Chiesa con gli Stati liberali diventa netto nel modo di intendere la libertà religiosa. Negli Stati civili la libertà di coscienza è il diritto “di credere, o di non credere ai dommi di una religione”, nella Chiesa, invece, è il diritto del fedele “di professare la religione in cui è nato e di perseverarvi”. “La professione di una falsa religione – scrive il nostro autore – non crea diritti sociali nella Chiesa e tampoco la propaganda”. Negli Stati civili la libertà di coscienza ha per conseguenza la libertà di culto, nella Chiesa la libertà di coscienza determina la libertà di professare e manifestare la religione. La libertà di culto nella Chiesa ha per limite l’ordine pubblico e implica il diritto di interdire, d’intesa con le autorità civili, dimostrazioni religiose anticattoliche.88 Come ho detto all’inizio di questo paragrafo, la teoria generale dei diritti dei fedeli di Emmanuele de Sarzana contempla anche un titolo relativo alla loro tutela giuridica. Tra i vari istituti di “preservazione dei diritti individuali”, egli indica il diritto di ricorso giudiziale per prevenire danni possibili o a tutela dell’ordine natura di corporazione e i loro membri svolgono attività collegiale coordinata dai rettori, che esercitano su di loro un’autorità domestica, i terzi ordini, le pie unioni, leghe, ecc. non hanno alcuna struttura gerarchica e la loro attività si svolge mediante atti personali degli individui che le compongono (ivi, nn. 240 – 242, pp. 22 – 246). 84 Le pie unioni e le pie leghe spesso si costituiscono su base professionale, di ceto o di sesso. Anche se possono venire moderate da un ordine religioso, esse restano sotto la sorveglianza dell’ordinario. 85 Le fabbriche delle Chiese sono pie associazioni di fedeli istituite “allo scopo di raccogliere elemosine, oblazioni in favore della Chiesa cattedrale o parrocchiale e di amministrarne i beni”. Riconosciute dal concilio di Trento, hanno subìto trasformazioni a causa dell’ingerenza dell’autorità civile. Sono rette dal diritto dello Stato che ne determina la loro composizione. 86 Ivi, n. 244, pp. 247 – 248. 87 Ivi, n. 245, pp. 248 – 249. 88 Ivi, n. 249, p. 254.
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pubblico ogni volta che il fedele “si sente gravato da una disposizione dell’autorità ecclesiastica, o vuole comunicare al superiore degl’inconvenienti”. Il ricorso estragiudiziale può avere oggetto e forma differenti: (1) l’opposizione, facoltà del fedele di intervenire in una causa a lui estranea per impedire che siano violati i suoi diritti durante la discussione e dopo la pronuncia della sentenza tramite ricorso; (2) la provocazione di causa, diritto di accedere alla Santa Sede per determinate questioni anche amministrative che non ammettono un rimedio giudiziale89; (3) la restituzione in integro come rimedio straordinario con cui il fedele chiede che sia reintegrato nei diritti che possedeva prima di esserne leso; (4) il beneficio di nuova causa, diritto di chiedere alle congregazioni romane che rivedano una decisione presa; (5) diritto di petizione con cui il fedele fa ricorso al governo centrale della Chiesa per denunciare un abuso dell’autorità ecclesiastica, per comunicare inconvenienti d’ordine pubblico, per la concessione di qualche grazia, per esprimere un voto collettivo dei fedeli su un problema della vita cattolica, per esprimere il desiderio che sia beatificato o canonizzato un santo, proclamato un dogma, migliorata la legislazione, ecc.90 Emmanuele de Sarzana sottolinea che il diritto di petizione è “una garanzia delle facoltà individuali” che, ponendo il fedele sotto la diretta protezione della Santa Sede, “permette ai fedeli di prendere delle iniziative e di concorrere al buon governo della Chiesa. Stimola l’attività cattolica ed esercita un controllo morale sull’opera pubblica”91.
VII. Ipotesi sulle teorie dei diritti dei fedeli L’esistenza di precedenti dottrinali ottocenteschi in materia di diritti e doveri dei fedeli laici era emersa nel 1972 in un lavoro di Bahima Simo.92 In questo saggio ho cercato di ampliare e approfondire questa tematica dal XVII agli inizi del XX secolo. Il quadro complessivo che emerge dalla presente indagine pone diversi interrogativi di metodo che, come anticipato all’inizio, non sono di facile soluzione Mi limito a presentare sinteticamente quelli più rilevanti. A differenza di quanto si legge spesso nelle pagine dedicate a questo argomento, la dottrina dei diritti dei fedeli nella Chiesa cattolica non sembra avere radici nel
89 L’autore precisa: “Ciò accade nelle sentenze ex informata conscientia, nelle cause che per disposizione pontificia mancano del diritto di appello” (p. 256). 90 Ivi, nn. 250 – 255, pp. 255 – 259. 91 Ivi, n. 255, p. 258. 92 Per il loro tenore e formulazione, le affermazioni contenute in alcune opere canonistiche “pueden considerarse come reales precedentes de la doctrina moderna sobre el laicado” (M. Bahima Simo, La condición jurídica del laico en la doctrina canónica del siglo XIX, Pamplona 1972, p. 8).
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pensiero protestante93 o nel pensiero costituzionale laico94, anche se potrebbe essere stata influenzata dal contatto indiretto con tali correnti. Nelle opere esaminate non emergono, infatti, presupposti teorici e riferimenti concettuali o testuali che avvalorino la tesi di una recezione diretta del pensiero della Riforma, per il quale la dottrina del sacerdozio dei fedeli era centrale in polemica con la visione gerarchica e clericale della Chiesa romana, oppure la tesi di una progressiva recezione nell’ordinamento canonico delle idee tipiche del pensiero moderno sull’individualità e sul soggetto quale centro d’imputazione dei diritti. Allo stadio attuale delle indagini, invece, la dottrina dei diritti dei fedeli sembra trovare alcune fondamentali anticipazioni durante la seconda metà del XVII secolo negli scritti controversistici di Antoine Arnauld. Tracce significative e persistenti sono poi rintracciabili, anche per quanto concerne la definizione dei singoli diritti, nelle opere ottocentesche di Rosmini, Walter, Phillips, Aichner, Tilloy. Tuttavia, per trovare una formulazione organica bisogna attendere il Manuale di diritto costituzionale della Chiesa cattolica… redatto da Emmanuele de Sarzana alla vigilia della promulgazione del primo Codex iuris canonici. L’impostazione che questi autori offrono del fondamento dei diritti dei fedeli non si presenta coerente e unitaria. Andando più a fondo, si potrebbero tracciare tre linee di sviluppo. La prima ne identifica la base ontologica nel sacerdozio comune (Arnauld, Rosmini, Walter, Phillips, Aichner). La seconda desume i diritti e le obbligazioni dalla relazione di dipendenza reciproca della gerarchia e del laicato secondo le teorie del ius publicum ecclesiasticum (Tilloy e molti altri).95 Una terza linea tende a inserire il principio correttivo della funzione dispensatrice e ministeriale dei pastori nei riguardi del popolo dei fedeli nel sistema della Chiesasocietas inaequalis (Emmanuele de Sarzana e, in parte, Tilloy). Differenze significative si riscontrano anche nella capacità di enucleare, in modo più o meno ampio, il catalogo dei diritti dei fedeli; di classificarli in relazione agli ambiti; di produrne le fonti e di inquadrarli in uno schema giuridico unitario. La dottrina di Emmanuele de Sarzana presenta la prima teoria organica e, al tempo stesso, la sintesi più evoluta nell’ambito della ecclesiologia allora dominante.
93 I diritti dei fedeli in ambito protestante sembrano limitati sostanzialmente al diritto alla lettura e interpretazione della Scrittura. Su un altro piano si pone la partecipazione dei battezzati nella struttura sinodale delle singole Chiese. Cfr. M. Carrez, Le droit des fidèles, approche dans les Églises de la Réforme, in : L’année canonique XXV, 1981, pp. 335 – 344. Sulla dottrina di Jellinek circa l’origine riformata dei diritti dell’uomo, si veda J. Luther, L’idea dei diritti fondamentali nel protestantesimo, in: Materiali per una storia della cultura giuridica, XXI, 1991, pp. 329 – 351. 94 Sulla reinterpretazione dei diritti fondamentali dell’uomo come diritti naturali nel Vaticano II e nelle fasi della nuova codificazione si veda Bellini, Diritti fondamentali dell’uomo (nota 8), pp. 117 – 129. 95 La dottrina di altri autori che condividono questa concezione è presentata da Bahima Simo, La condición jurídica del laico (nota 92), passim.
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Alla luce di questi risultati, pare opportuno cominciare a riflettere su quattro ordini di problemi: (1) la determinazione delle analogie e delle differenze di impostazione e di contenuto tra la dottrina precedente e quella del Vaticano II; (2) l’individuazione di eventuali rapporti tra la dottrina dei diritti dei fedeli e i modelli costituzionali di Chiesa e di Stato; (3) la formulazione di ipotesi sulle radici lontane dei diritti dei fedeli nella tradizione canonica e teologica della chiesa cattolica. 1. La determinazione delle analogie e delle differenze di impostazione e di contenuto tra la dottrina precedente e quella del Vaticano II Analogie e differenze vanno indicate in rapporto alle nozioni canoniche e alla loro trasformazione. Innanzi tutto va osservato, contro l’opinione diffusa tra i canonisti e teologi, che alcuni autori qui esaminati hanno anticipato la dottrina odierna dello status communis dei fedeli: fra questi porrei certamente Rosmini, ma forse anche Walter e Phillips che parlano di uno status ecclesiasticus communis. Tuttavia, quando tratta dei “diritti dei fedeli”, la maggior parte dei canonisti dell’Ottocento intende riferirsi, più o meno implicitamente, alla classe di battezzati subordinata alla gerarchia ecclesiastica, secondo il modello della Chiesa-societas inaequalis. Concepisce lo status communis non tanto come proprio di tutti i fedeli quanto dei fedeli laici assimilati ai soggetti all’autorità ecclesiastica. Ne viene che quest’ultima classe di persone non corrisponde alla nozione attuale. Essa registra variazioni sostanziali nella dottrina e nella legislazione canonica dall’Ottocento al Vaticano II. Ovviamente gli autori qualificano il “laico” in rapporto alla legislazione allora vigente, che annoverava tutti i fedeli che non ricoprivano un ufficio o incarico pubblico nella Chiesa, mentre oggi la distinzione è fatta non solo in alternativa allo stato clericale ma anche in riferimento alla loro missione specifica.96 Quindi l’elemento essenziale, per comprendere l’impostazione dei diritti dei fedeli fino al Vaticano II, sembra essere la qualificazione delle persone per status ontologicamente differenziati: chierici, laici e regolari. Su queste premesse, nell’ordinamento della Chiesa, erano censite distinte classi di persone con differente qualificazione giuridica. Ora, la connessione tra il concetto di status e i diritti/doveri della classe di persone corrispondenti, affonda le sue radici nel diritto romano ed è il risultato di una lenta evoluzione avvenuta nel diritto canonico e secolare durante l’età medievale e moderna. 96 Cfr. ad esempio T.M. Salzano, Lezioni di Diritto canonico pubblico e privato, II, Napoli 1856, p. 5.
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Il concetto romanistico di status ha giocato un ruolo basilare. Concepito come il complesso dei connotati fondamentali necessari per identificare e differenziare una persona dalle altre in modo oggettivo e immodificabile – ossia per rappresentare “la posizione di una persona rispetto a un dato ordine giuridico”97 –, questo concetto è servito alla Chiesa per strutturare la divisione e l’inquadramento dei fedeli. Dalla nozione medievale di ordine oggettivo, dove ciascun fedele era collocato nella sua propria posizione all’interno della costituzione sociale della Chiesa, si è lentamente passati all’idea moderna di stato in senso soggettivo. In questa nuova fase si è stabilito un intreccio progressivo tra la nozione di status e l’idea dei diritti dei soggetti che vi appartengono. Mediante una complessa evoluzione concettuale, che si distende dal XVI al XIX secolo, si è pervenuti all’identificazione del termine status con i concetti attuali di “capacità giuridica” e di “capacità di agire”. Questo processo trova il suo inizio nelle correnti dottrinali dell’usus modernus pandectarum, il punto di svolta nella concezione volontaristica del giansenista Domat e la sua conclusione nella Pandettistica.98 Lungo questa traiettoria, il concetto di status è stato il “mediatore necessario per la trasformazione in effettività di diritti della personalità che tendono così ad essere ridotti a presupposti naturali della soggettività”99. Questi stringati riferimenti alla storia del diritto sono sufficienti per capire due aspetti essenziali sul problema che stiamo trattando. Innanzi tutto, l’impossibilità di lavorare nel diritto canonico con una concezione uniforme e astratta di “diritti” dei fedeli. Essa si è venuta esplicitando e definendo in rapporto ai cambiamenti dei modelli di società e di Chiesa. Occorre dunque distinguere vari ‘stadi’ e ‘soglie’ storiche nell’elaborazione, formulazione e concettualizzazione dei diritti delle persone nella Chiesa. A seconda delle varie epoche e contesti storici, giuridici e costituzionali abbiamo determinati stadi dei diritti dei fedeli e una differente configurazione delle loro posizioni giuridiche intese come facoltà, poteri, capacità cui corrispondono doveri, obbligazioni, responsabilità. Ma è nella antropologia moderna che emerge il nodo dei “diritti soggettivi”100. 97
E. Betti, Diritto romano, I, Parte generale, Padova 1935, p. 79. Sui passaggi di questa evoluzione giuridica si veda: H. Coing, Europäisches Privatrecht, I, München 1985, pp. 167 – 178; P. Cappellini, “Status” accipitur tripliciter. Postilla breve per un’anamnesi di ‘capacità giuridica’ e ‘sistema del diritto romano attuale’, ora in Id., Storie di concetti giuridici, Torino 2010, pp. 49 – 109. 99 Cappellini, “Status” accipitur tripliciter (nota 98), pp. 63 – 64, cui si rinvia per la rettificazione storico-ideologica del percorso che ha condotto al concetto generale di “capacità”. Cfr. anche P. Zatti, Persona giuridica e soggettività. Per una definizione del concetto di “persona” nel rapporto con la titolarità delle situazioni soggettive, Padova 1975, pp. 68 – 83. 100 Si veda la panoramica recente in E. Stolfi, Riflessioni attorno al problema dei “diritti soggettivi” fra esperienza antica ed elaborazione moderna, in: Studi senesi, CXVIII, 2006, pp. 120 – 170. 98
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In secondo luogo, non bisogna fraintendere la natura dei diritti soggettivi separandoli dall’alveo del diritto della costituzione della Chiesa. Il fatto che le proposizioni giuridiche siano state proposte concettualmente nella veste di diritti individuali di singoli o che tali diritti siano inquadrati entro le categorie di ‘soggetti di diritto’ e ‘oggetto dei diritti’, non implica che esse non siano da qualificare in termini eminentemente oggettivi e non siano, nei fatti, regole strumentali dirette al funzionamento e all’incremento delle relazioni sociali interne alla Chiesa.101 2. L’individuazione di eventuali rapporti tra la dottrina dei diritti dei fedeli e i modelli costituzionali di Chiesa e di Stato Contrariamente all’opinione preconcetta di molti studiosi riferita all’inizio del presente saggio, l’affermazione dei diritti dei fedeli, nel suo nucleo forte, si mostra storicamente indipendente dall’impianto ecclesiologico del Vaticano II. Di fatto, la teoria dei diritti dei fedeli è cresciuta ed è compresente con le diverse visioni della Chiesa. Ognuna di esse ha elaborato una propria concettualizzazione dei diritti/doveri: da quella medievale corporativa a quella giansenista di corpo organico, da quella tridentina a quella del diritto pubblico ecclesiastico di società giuridica perfetta, da quella giuridico-sacramentale a quella del popolo di Dio. Dunque la dottrina dei fedeli ha radici, significati e portata differenti che vanno individuati, specificati e distinti a seconda delle diverse fasi e modelli.102 I canonisti medievali hanno interpretato la nozione di “corpo” o di “organismo” per valorizzare l’autonomia dei singoli enti collegiali e la varietà pluriforme degli stati di vita103 ; i canonisti tardo-tridentini hanno legittimato il processo di centralizzazione romana e di dipendenza dei laici dalla gerarchia; i canonisti romantici hanno sostituito i rapporti funzionali con la relazione tra le “parti” e il 101 Come ha messo in luce Riccardo Orestano l’origine ideologica del sistema dei diritti soggettivi come potere della volontà del soggetto è il frutto della combinazione del mito individualistico dell’illuminismo e della “grande illusione” della Pandettistica di costruire un sistema “al di fuori e al di sopra del diritto positivo e storico” (R. Orestano, Diritti soggettivi e diritti senza soggetto, ora in Id., Azione diritti soggettivi persone giuridiche, Bologna 1978, pp. 115 – 189, in part. p. 132, ma restano fondamentali anche le altre pagine su “Persona” e “persone giuridiche” nell’età moderna, ivi, pp. 193 – 272). 102 Metodologicamente si può instaurare un parallelo con la ricostruzione delle tappe dei diritti dell’uomo. La storiografia socio-costituzionale ha messo in evidenza che la loro vicenda e interpretazione sono da comprendere in rapporto alle differenti fasi della costituzione dello Stato (dallo Stato territoriale per ceti allo Stato democratico passando per lo Stato assolutistico e di diritto). Si veda, per analogia, l’impostazione di G. Oestreich, Storia dei diritti umani e delle libertà fondamentali, trad. it. Roma/Bari 2001. 103 Sulla concezione organologica nel medioevo, si veda almeno P. Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le Moyen Age latin, Paris 1970; E. Kantorowicz, I due corpi del re. L’idea di regalità nella teologia politica medievale, trad. it. Torino 1989; G. Briguglia, Il corpo vivente dello Stato. Una metafora politica, Milano 2006.
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“tutto” della Chiesa104 ; infine si è giunti alla riscoperta dell’ecclesiologia di comunione. In ognuna di queste “soglie”, le trasformazioni del modello teologico, sociale e politico hanno indotto una rielaborazione delle formulazioni e dei contenuti in cui si concretano i diritti dei fedeli. 3. La formulazione di ipotesi sulle radici lontane dei diritti dei fedeli nella tradizione canonica e teologica della chiesa cattolica Sarebbe di sicuro interesse una ricerca rivolta ad identificare i fattori culturali e giuridici che hanno condotto all’enucleazione della dottrina dei diritti-doveri dei fedeli nei secoli XVII-XIX. Sulla base delle risultanze dell’indagine compiuta nelle pagine precedenti, il fenomeno della lenta emersione della dottrina dei diritti-doveri sembra da porre in rapporto ad almeno tre fattori costitutivi: a) Una premessa filosofico-giuridica Perché potesse svilupparsi questa dottrina, occorreva prima di tutto uno spostamento dell’interesse del diritto dall’oggetto al soggetto. Questo mutamento non si può comprendere senza l’influsso della filosofia del diritto elaborata dalla Seconda Scolastica105 e dell’affermazione del diritto soggettivo come facoltà/ dominio in autori come Vitoria, Suárez, De Lugo106. In particolare in Suárez la nozione di diritto soggettivo presuppone la persona centro d’imputazione delle azioni, essendo definito come “facultas moralis inviolabilis ordinandi quaedam ad proprium finem, seu quaedam habendi, facendi vel exigendi” oppure come “facultas moralis praescripta iuris obiectivi in sui favorem invocandi”107. 104 Opera emblematica è L’unità della Chiesa (1825) di Johann Adam Möhler. Questi associa l’idea romantica dello “spirito del popolo” alla nuova rappresentazione della “Chiesacomunità”. Sottolineando ciò che è “comune” intende affermare anche la “partecipazione” del clero e dei laici alla Chiesa nella stessa misura. Inoltre sembra rifarsi alle idee gianseniste (Arnauld?) della centralità dello Spirito Santo nella Chiesa (J.R. Geiselmann, La définition de l’Église chez J.A. Möhler, in L’ecclésiologie au XIXe siècle, Paris 1960, pp. 146 – 147). 105 Evito di entrare nel dibattito sulle tesi sulle radici ockhamiste del soggettivismo moderno (Villey), sulle fonti ockhamiste di Vitoria e sul volume di Thierney sui diritti soggettivi. Mi limito a rinviare alla ricerca di A. Guzmán Brito, El derecho como facultad en la neoescolástica española del siglo XVI, Madrid 2009. 106 Si possono leggere in questa chiave alcuni brani esemplificativi del maturare nel ’500 e ’600 di una sensibilità giuridica incentrata sul concetto di bene della persona e sulle relazioni preminenti della persona con gli altri e le cose (cfr. ad es. Vitoria, De potestate Ecclesiae, 5, 365). 107 F. Suárez, Tractatus de legibus, Antverpiae 1631, l. I, c. 2, n. 4. Cfr. anche I. De Lugo, De iustitia et iure, Lugduni 1652, disp. I, sect. 1. Sulle diverse definizioni di diritto soggettivo nella Seconda Scolastica v. M. Führlich, Rechtssubjekt und Kirchenrecht, I, Leipzig 1908,
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Certamente il riferimento alla fondazione di diritto divino naturale e positivo induce a pensare che il concetto di facultas in senso soggettivo e il correlativo concetto di obligum o di obligatio108 abbiano giocato un ruolo determinante per fare emergere e veicolare la tematica dei diritti-doveri, che è tipicamente moderna ma non necessariamente laica e rivoluzionaria. Su questa strada andrebbe anche approfondito l’intreccio tra diritto canonico e teologia morale d’origine medievale, divenuto strutturale nell’epoca moderna.109 Certamente questo connubio ha favorito la maturazione della tutela dei diritti della persona fuori e dentro la Chiesa.110 b) Un elemento logico-sistematico Come in ogni teoria giuridica, anche nella costruzione dei diritti-doveri dei fedeli da parte della manualistica a cavallo tra ’800-’900, va considerato il fattore logico-sistematico. La divisione della Chiesa-societas nella gerarchia e nel laicato, con funzioni e classi di persone diversificate per status, ha costretto a definire, sul modello e per analogia con quanto avveniva nella teoria dello Stato, le relazioni reciproche tra governanti e governati e a concepire la distinzione tra “diritto pubblico” e “diritto privato” della Chiesa.111 Gli schemi del ius publicum ecclesiasticum hanno dunque giocato un ruolo determinante nel favorirne l’elaborazione e la fissazione nell’ordinamento canonico dei doveri e diritti. D’altra parte questa strutturazione delle persone nella Chiesa costituisce un caso specifico della più generale tendenza a inquadrare giuridicamente i ceti sociali nelle società pre-rivoluzionarie.112 Non sussiste un parallelo sostanziale tra i due tipi di ceti bensì un parallelo formale nel modo di concepire i rapporti interni tra i diversi ceti, secolari ed ecclesiastici. Tanto per fare un esempio, il passaggio dal modello assolutista di Stato al modello liberale e costituzionale ha inciso sensibilmente nella concezione e progettazione del “corpo” o “organismo” sociale e religioso. Uno dei presupposti analogici della costituzione materiale della Chiesa e dello Stato – quello della disparità sociale dei membri – ha implicato sia la determinapp. 48 – 72. Un’importanza fondamentale viene attribuita alla definizione di Molina ius = facultas v. Coing, Europäisches Privatrecht (nota 98), I, pp. 172 – 178. 108 Sarebbe da vedere la trasformazione del concetto di obligatio dal diritto romano a Tommaso (aspetto soggettivo e oggettivo) e da Tommaso ai teologi-giuristi del Cinquecento. 109 Cfr. P. Grossi, Scritti canonistici, a cura di C. Fantappiè, Milano 2013, pp. 115 – 153. 110 Non è indifferente notare che uno dei diritti dei fedeli codificato nel 1983 – quello della buona fama (c. 220) – trovi la propria radice esplicita nella manualistica della teologia morale che gli riservava una sezione specifica (v. i trattati ottocenteschi di D’Annibale, Lehmkhul e Noldin). 111 È vero che la Chiesa si presenta come una società speciale con una struttura non assimilabile a nessuna costituzione politica. Ma non è meno vero che nell’evoluzione della sua forma di governo vi sia una certa corrispondenza con le forme politiche prevalenti. 112 Cfr. gli importanti saggi storico-giuridici contenuti nel volume Società e corpi, a cura di P. Schiera, Napoli 1986, nonché O. Brunner, Per una nuova storia costituzionale e sociale, a cura di P. Schiera, trad. it. Milano 2000, pp. 201 – 216.
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zione dei rispettivi doveri e diritti, sia l’affermazione del carattere ideale del modello della Chiesa.113 Il quid pluris è stato identificato nell’autonomia della regolamentazione e nella perfectio della costituzione materiale della società ecclesiale.114 Il fatto che il Codex iuris canonici del 1917 si sia limitato ad affermare la capacità giuridica generale del fedele (c. 87) e ad enucleare alcuni diritti senza sviluppare una teoria organica115, non può essere addebitato, alla luce di quanto mostrato in precedenza, all’assenza di contenuti nella dottrina anteriore, bensì a problemi di impostazione formale e sostanziale. Da un lato, il fatto che nell’architettura del Codice sia stato scelto il modello giuridico del diritto civile invece di quello del diritto costituzionale116; dall’altro il fatto che nella strutturazione delle materie sia stata scelta una visione piramidale e clericale della Chiesa117. A riguardo di quest’ultima, non va necessariamente invocato in blocco, come avviene per il solito, il cosiddetto paradigma tridentino, sia perché l’ecclesiologia dell’età moderna presenta varianti significative118, sia perché la riduzione della costituzione sociale della Chiesa al ceto clericale è piuttosto l’effetto della frattura postrivoluzionaria e centralizzatrice dell’Ottocento romano.119 c) La dimensione ecclesiologica Da ultimo, ma certo non come ultimo fattore, occorre riferirsi agli impulsi venuti alla teologia e alla canonistica dalle ri-letture o rimodulazioni della concezione della Chiesa. Accanto alla teologia scolastica moderna (uso questa terminologia in senso unitario e quindi generico), si sono sviluppate, nell’epoca post-tridentina fino
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In questa prospettiva (che a noi può apparire inusuale ma che ha avuto un influsso effettivo), i diritti e i doveri dei fedeli sono “dovuti” dalla gerarchia proprio per la posizione di “superiorità” che essa mantiene verso i propri “sudditi”. 114 “Société divinement instituée et d’autant plus parfaite par soi-même, L’Eglise doit être, au point de vue de cette réciprocité de droits et de devoirs, la mieux réglée de toutes” (Tilloy, Traité theorique et pratique [nota 40], I, p. 479). 115 Cfr. CIC 1917 cc. 214 § 1, 572 § 1 n. 4, 682, 1035, 1667, 2195 § 1. 116 Notazione di E. Corecco, Il catalogo dei doveri-diritti del fedele nel CIC, in Id., “Ius et communio”. Scritti di diritto canonico, a cura di G. Borgonovo e A. Cattaneo, Casale Monferrato/Lugano 1997, I, pp. 486 – 492. 117 Si ricorda la qualifica di “diritto clericale” data da U. Stutz al CIC 1917: “Die katholische Kirche ist die Kirche des Klerus” (U. Stutz, Der Geist des Codex iuris canonici, Stuttgart 1918, pp. 84 ss.). 118 Cfr. Ch. Munier, Église et droit canonique du XVIe siècle à Vatican I, in Iglesia y Derecho. Trabajos de la X Semana de Derecho Canónico, Salamanca, 1965, pp. 44 ss. 119 Rinvio a C. Fantappiè, Chiesa romana e modernità giuridica, Milano 2008, I, pp. 97 – 261.
I diritti dei fedeli: una novità del Codex iuris canonici del 1983?
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al Vaticano I, ecclesiologie integrative o in parte alternative di differente ispirazione (conciliarista, gallicana, giansenista, febroniana, mistica, ecc.).120 Certamente la rinascita di interesse verso i Padri tra il Seicento e l’Ottocento è stata non solo lo strumento per una reviviscenza delle antiche dottrine sull’idea della Chiesa come corpo mistico121, sulla funzione della gerarchia, sul sacerdozio dei fedeli, ecc., ma anche l’occasione per una loro reinterpretazione in senso attuale.122 Questo processo circolare ermeneutico non si è limitato a riproporre contenuti lontani e desueti; il pungolo del mutato contesto culturale e ecclesiale ha implicato la rielaborazione e la riformulazione delle dottrine. È quanto ci è dato osservare, nel campo specifico dei diritti dei fedeli, presso un Arnauld, un Rosmini, un Möhler, tanto per ricordare alcuni esempi.
VIII. Conclusione Questa indagine retrospettiva ha mostrato che varie dottrine canonistiche sui diritti dei fedeli esistevano nelle epoche precedenti alla nostra e che i loro contenuti sostanziali e processuali erano in parte simili a quelli proposti nell’ordinamento vigente. Le “novità” del Vaticano II e del Codice del 1983 non consistono né nell’identificazione del fondamento sacramentale né nella enumerazione o classificazione dei diritti dei fedeli. Si può anche affermare che, rispetto alla elencazione che era stata fatta dalla dottrina un secolo fa, l’ultimo concilio ecumenico si è limitato ad aggiungere alcuni contenuti, e tuttavia anch’essi non rappresentano una novità assoluta, perché maturati nella coscienza della Chiesa sotto il magistero di Pio XII.123 120 Oltre che agli studi risalenti di Orcibal e di Laporte, si può rinviare a Y. Congar, L’Église de saint Augustine à l’époque moderne, Paris 1970, pp. 391 – 406; R. Duchon, De Bossuet à Febronius, in: Revue d’histoire ecclésiastique, LXV, 1970, pp. 375 – 422; B. Chédozeau, Port Royal et le jansénisme. La revendication d’un autre forme du tridentinisme, in XVIIe siècle, 171, 1991, pp. 119 – 125; A. Tallon, Conscience nationale e sentiment religieux en France au XVIe siècle. Essai sur la vision gallicane du monde, Paris 2002. 121 Cfr. É. Mersch, Le Corps mystique du Christ. Études de théologie historique, I-II, Paris 1936. 122 Sul grande interesse dei porto-realisti verso gli studi patristici, si veda: H. Savon, Le figurisme et la tradition des Pères, in Le Gran Siècle et la Bible, Paris 1989, p. 763; i saggi contenuti in Les Pères de l’Église au XVIIe siècle, Paris 1993; B. Neveu, Érudition et religion aux XVIIe et XVIIIe siècles, Paris 1994; P. Stella, Editoria e lettura dei padri dalla cultura umanistica al modernismo, in Complementi interdisciplinari di patrologia, a cura di A. Quacquarelli, Roma 1989, pp. 799 – 837. 123 Cfr. A. Ledesma, La condición jurídica del laico. Del C.j.c. al Vaticano II, Pamplona 1972; M. Gomez Carrasco, La condición jurídica del laico en el Concilio Vaticano II, Pamplona 1972. Da ricordare, per il rilievo importante che ha avuto, il volume di A. Del Portillo, Fieles y laicos en la Iglesia, Navarra 1969 (trad. it. Milano 1969).
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Dunque: l’originalità del Codice del 1983 in materia di diritti e doveri dei fedeli non risiede nella precedenza della formulazione bensì nella sistemazione normativa della materia e nel differente inquadramento teologico e giuridico. I diritti del fedele erano parte integrante dell’ordinamento canonico: nondimeno essi hanno ricevuto una chiarificazione e un ampliamento della loro base ontologica molto lentamente, passando attraverso fasi, stadi e formulazioni dipendenti dai mutamenti della dottrina della Chiesa e dell’assetto costituzionale sociale e politico. Parimente le forme e i gradi di tutela si sono diversificati nelle varie epoche. Le variazioni di significato attribuite nell’ordinamento canonico alla nozione di status durante l’età moderna e contemporanea sono una spia importante della corrispondente elaborazione dei diritti-doveri nella Chiesa. Sotto questo profilo, il passaggio dalla visione gerarchica alla visione della Chiesa-popolo di Dio operato dal concilio Vaticano II ha introdotto un’ulteriore accezione del termine status. Nel Codice del 1983 esso non sta solamente ad indicare la posizione giuridica di un determinato fedele o quella di una determinata classe di fedeli, ma anche la condizione originaria, universale e permanente di tutti loro ossia lo statuto giuridico comune anteriore a qualsiasi successiva e necessaria distinzione.124 È stata operata una complessiva ristrutturazione del campo dei dirittidoveri allo scopo di mettere d’accordo i mutamenti ecclesiologici con i princìpi costituzionali moderni. All’erosione dell’operatività degli status negli ordinamenti laici, la Chiesa ha risposto con l’eliminazione delle differenze ontologiche ma lasciando integre le distinzioni per differenza.125
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Cfr. G. Ghirlanda, Diritti fondamentali e carismi nella Chiesa, in I diritti fondamentali del fedele. A venti anni dalla promulgazione del Codice, Città del Vaticano 2004, pp. 19 – 21. Ma si veda la discussione su questa problematica in G. Lo Castro, Il soggetto e i suoi diritti nell’ordinamento canonico, Milano 1985, pp. 35 – 49. 125 Mentre nel diritto secolare contemporaneo il concetto di status è ormai visto in opposizione alla tendenza a configurare l’individuo fisico come punto di collegamento globale del sistema giuridico fino ad essere quasi del tutto esautorato (cfr. L. Lenti, Status, in Digesto delle discipline privatiste. Sez. Civile, XIX, Torino 1999, pp. 29 – 36), nella concezione canonica esso continua a rivestire una funzione essenziale nel quadro della nuova ecclesiologia.
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I. La rinuncia di Benedetto XVI al ministero primaziale Il Papa Benedetto XVI annunciò formalmente, in presenza del Collegio dei Cardinali riuniti in concistoro ordinario, il giorno 11 di febbraio 2013, la sua rinuncia all’ufficio di Pontefice Romano. Questa rinuncia ebbe effetto completo solo a partire dal 28 febbraio dello stesso anno. Il Papa manifestò questa decisione dopo averla meditata a lungo in presenza di Dio, considerando che il suo stato di salute non gli permetteva più di svolgere il ministero petrino in modo adeguato.1 Oltre la causa di morte, la rinuncia del Papa è prevista dal diritto canonico come una causa legale che produce la vacanza della sede romana. Il c. 332 § 2 esige per la
1 Ecco il testo completo letto da Benedetto XVI in latino (AAS 105 [2013], pp. 239 – 240): “Fratres carissimi: Non solum propter tres canonizationes ad hoc Consistorium vos convocavi, sed etiam ut vobis decisionem magni momenti pro Ecclesiae vita communicem. Conscientia mea iterum atque iterum coram Deo explorata ad cognitionem certam perveni vires meas ingravescente aetate non iam aptas esse ad munus Petrinum aeque administrandum. Bene conscius sum hoc munus secundum suam essentiam spiritualem non solum agendo et loquendo exsequi debere, sed non minus patiendo et orando. Attamen in mundo nostri temporis rapidis mutationibus subiecto et quaestionibus magni ponderis pro vita fidei perturbato ad navem Sancti Petri gubernandam et ad annuntiandum Evangelium etiam vigor quidam corporis et animae necessarius est, qui ultimis mensibus in me modo tali minuitur, ut incapacitatem meam ad ministerium mihi commissum bene administrandum agnoscere debeam. Quapropter bene conscius ponderis huius actus plena libertate declaro me ministerio Episcopi Romae, Successoris Sancti Petri, mihi per manus Cardinalium die 19 aprilis MMV commisso renuntiare ita ut a die 28 februarii MMXIII, hora 20, sedes Romae, sedes Sancti Petri vacet et Conclave ad eligendum novum Summum Pontificem ab his quibus competit convocandum esse. Fratres carissimi, ex toto corde gratias ago vobis pro omni amore et labore, quo mecum pondus ministerii mei portastis et veniam peto pro omnibus defectibus meis. Nunc autem Sanctam Dei Ecclesiam curae Summi eius Pastoris, Domini nostri Iesu Christi confidimus sanctamque eius Matrem Mariam imploramus, ut patribus Cardinalibus in eligendo novo Summo Pontifice materna sua bonitate assistat. Quod ad me attinet etiam in futuro vita orationi dedicata Sanctae Ecclesiae Dei toto ex corde servire velim.”
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validità della rinuncia che essa sia libera e sia manifestata formalmente, ma non stabilisce il modo come neppure richiede che sia accettata da qualche persona.2 Il precedente, praticamente l’unico nella storia, della rinuncia di Benedetto XVI è il caso del Papa Celestino V nel 1294, che si verificò in un contesto e con circostanze completamente differenti da quelle attuali.3 Perciò la decisione di Joseph Ratzinger ha impressionato fortemente i fedeli cristiani, tanto più in quanto il suo predecessore Giovanni Paolo II continuò a esercitare il suo ministero, nonostante le cattive condizioni di salute, senza ricorrere alla possibilità di rinunciare. L’atto di Benedetto XVI che commentiamo ha suscitato diverse questioni, tra le quali quella di stabilire quale sia la condizione del Papa emerito quando è stato eletto il suo successore. Le domande circa il modo di vita del Papa emerito, il titolo che gli corrisponde, le questioni di protocollo e, soprattutto, il debito rapporto con il suo successore nel pontificato romano, occuparono i mezzi di comunicazione durante molti giorni. La rinuncia di Benedetto XVI ha prodotto anche conseguenze di tipo giuridico. Una di esse è consistita nella riforma della legislazione vigente sull’elezione del Vescovo di Roma, con il proposito iniziale di far si che non fosse necessario attendere tutto il tempo previsto per l’inizio dell’elezione. Infatti la Cost. Ap. Universi Dominici Gregis, promulgata da Giovanni Paolo II il 22.II.19964, prevede nel n. 37 che il processo elettorale del Papa inizi non oltre i venti giorni successivi alla situazione di inizio della sede vacante. Dato che questo intervallo era stato fissato non solo per permettere con facilità le riunioni dei cardinali, ma anche per la preparazione e celebrazione delle esequie del Pontefice defunto, è stato considerato che, trattandosi non della morte del Papa ma della sua rinuncia, era conveniente anticipare il processo dell’elezione del successore. In questo modo, mediante il m.p. Normas nonnullas, del 22.II.2013, Benedetto XVI, ancora in carica, modificò diversi aspetti della legislazione del 1996; non solo il n. 37 già menzionato (permettendo attualmente al Collegio cardinalizio di accelerare l’inizio del conclave), ma anche altri numeri della legislazione fino ad allora vigente.5 La rinuncia di Benedetto XVI inoltre, liberamente stabilita e meditata a lungo, dovuta a ragioni di salute ed all’età, ha reso attuale la domanda circa gli aspetti previsti dal diritto canonico nel caso che per ragioni di salute il Papa non possa espletare il suo compito: quali soluzioni e procedimenti ha previsto la Chiesa nel caso che, per una malattia accertata ed incurabile, il Papa non possa esprimere la 2 “Nel caso che il Romano Pontefice rinunci al suo ufficio, si richiede per la validità che la rinuncia sia fatta liberamente e che venga debitamente manifestata, non si richiede invece che qualcuno la accetti”. Cfr. anche c. 44 § 2 del CCEO. 3 Cfr. F. Labarga, La renuncia de Benedicto XVI a la luz de la historia, in: Scripta theologica 45 (2013), pp. 477 – 488. 4 In: AAS 88 (1996), pp. 305 – 343. 5 Il testo del m.p. Normas nonnullas in: AAS 105 (2013), pp. 253 – 257.
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sua volontà, neppure la volontà di dimettersi. Nella società attuale è aumentata la speranza di vita e, a causa dei progressi delle scienze mediche, è oggi più frequente rispetto ad altre epoche la possibilità che una persona possa vivere molti anni in condizioni abbastanza precarie di salute psichica e fisica, per non parlare degli stati di coma a causa di incidenti che possono prolungarsi anche per vari anni. È caratteristico della situazione attuale non tanto la possibilità di queste situazioni di impedimento fisico o psichico, ma piuttosto il fatto che oggi più che mai possano prolungarsi per lungo tempo. Naturalmente, il cristianesimo proclama il valore e la dignità dei figli di Dio e di qualsiasi persona, indipendentemente dalla sua condizione sociale, di età o salute; anzi, gli ammalati occupano un luogo di preferenza nell’attività apostolica della Chiesa e dei suoi membri, ad imitazione di Gesù Cristo. Ciò nonostante, la celebrazione della liturgia e l’esercizio del magistero e delle funzioni di governo richiedono che il titolare dell’ufficio ecclesiastico goda di sufficienti condizioni di salute, specialmente quando si tratta delle forti esigenze del ministero petrino. Perciò la possibilità che il Papa diventi un incapace a causa di una malattia certa ed incurabile esige dalla Chiesa e dai canonisti una risposta. Orbene la risposta alla domanda su quali sono i procedimenti giuridici previsti nel caso in questione, ossia quello della sede romana impedita, risulta molto semplice, dato che basta ricordare che questi procedimenti non sono ancora regolati. Anzi, non sono mancati autori che ritengono che questo problema, in se stesso ragionevole, non avrebbe fondamento, perché affermano che la Provvidenza divina non permetterà mai che la persona del Santo Padre possa soffrire un’incapacità che lo separi permanentemente dal governo della Chiesa.6 Questa opinione ha a suo favore il fatto che nella storia non si sono mai prodotti casi di incapacità permanente del Romano Pontefice per malattia psichica o fisica (anche se si sono dati casi di Pontefici con malattie gravi). Eppure, nonostante la pietà personale e l’amore al Papa, segni caratteristici di un buon cattolico, inducano a pensare così, queste opinioni non trovano fondamento nella Rivelazione cristiana, di modo che ipotizzare la possibilità contraria non rivela mancanza di fiducia in Dio.7 Non solo, ma anzi, nonostante non ci siano regole circa i procedimenti nel caso della sede romana impedita, il CIC del 1983, da una parte, rinvia nel c. 335 ad una legislazione speciale che regoli questa situazione (ciò che dimostra la preoccupazione positiva
6 Così, F.M. Cappello, Summa iuris canonici, I, Romae 1961, p. 297. Altri autori sono citati da J.H. Provost, “De sede apostolica impedita” due to incapacity, in: A. Melloni et al., Cristianesimo nella storia. Saggi in onore di Giuseppe Alberigo, Bologna 1996, p. 122 ed anche, a proposito dei commentatori del CIC del 1917, da B. Ries, Amt und Vollmacht des Papstes. Eine theologisch-rechtliche Untersuchung zur Gestalt des Petrusamtes in der Kanonistik des 19. und 20. Jahrhunderts, Münster 2003, pp. 220 e 221. In realtà solo un gruppo ridotto di autori difendevano questa imposibilità. 7 Cfr. J.H. Provost, “De sede apostolica impedita”, (nota 6), p. 122.
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della Chiesa in questa materia) e, d’altra parte, contiene alcuni canoni che regolano la situazione della diocesi quando il vescovo si trova impedito per governarla.8 Cercherò a partire da adesso di approfondire sulla situazione della sede romana impedita. In primo luogo esaminerò se ciò che stablisce il CIC rispetto alla sede diocesana impedita risulta sufficiente nel caso della sede romana. Dopo questa analisi, sarà opportuno valutare alcune soluzioni ed offrire infine qualche suggerimento procedimentale. La letteratura canonica monografica su questo tema non è abbondante, nonostante sia stata arricchita di recente da qualche contributo del settore tedesco.9
II. La lacuna legale sull’impedimento della sede romana Dato che il CIC del 1983 rinvia nel c. 335 ad una legislazione speciale sulla sede romana impedita e che detta legislazione non è stata promulgata sino ad ora, esiste nel diritto della Chiesa una lacuna legale o piuttosto, più precisamente, una “lacuna normativa formale”10. La sede impedita non si deve confondere con la sede vacante, perchè, mentre in quest’ultimo caso non c’è più il titolare dell’officio, nella sede impedita, invece, il titolare esiste, ma non può esercitare la carica. Di fatto ci furono e ci sono norme particolareggiate sulla sede romana vacante, ma non ve ne sono sulla sede romana impedita. Una questione distinta, come vedremo infra, è che in certi casi si può dare un’equivalenza rispetto agli effetti giuridici tra le due situazioni del titolare dell’ufficio. Rispetto alla questione di una lacuna legale il c. 19 del CIC del 1983 (cfr. c. 1501 del CCEO) dà un criterio chiaro: “Se su una determinata materia manca una espressa disposizione di legge sia universale sia particolare o una consuetudine, la causa, se non è penale, è da dirimersi tenute presenti le leggi date per casi simili, i principi generali del diritto applicati con equità canonica, la 8 Il c. 335 del CIC del 1983 dispone: “Mentre la sede romana è vacante o totalmente impedita, non si modifichi nulla nel governo della Chiesa universale; si osservino invece le leggi speciali emanate per tali circostanze” Lo stesso dispone il c. 47 del CCEO. Il testo del c. 335 si trovava già nel progetto della Lex Ecclesiae Fundamentalis del 1976, con alcune varianti rispetto al testo definitivo del CIC: cfr. O.G.M. Boelens, Synopsis “Lex Ecclesiae Fundamentalis”, Leuven 2001, p. 55. Nonostante il riferimento alla sede romana impedita non si trovasse nel CIC 1917, non consta che fosse specialmente discusso nei lavori preparatori del CIC del 1983. In quanto alla sede diocesana impedita, cfr. cc. 412 – 415 del CIC del 1983 e 132 (sede patriarcale) e 233 del CCEO. 9 Oltre agli studi di Provost e di Ries, citati supra, nota 6, cfr. specialmente G. Müller, “Sede romana impedita”. Kanonistische Annäherungen zu einem nicht ausgeführten päpstlichen Spezialgesetz, Sankt Ottilien 2013. 10 S. Berlingò, Laguna de ley, in: J. Otaduy/A. Viana/J. Sedano (eds.), Diccionario general de derecho canónico, IV, Pamplona 2012, p. 945 (DGDC).
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giurisprudenza e la prassi della Curia Romana, il modo di sentire comune e costante dei giuristi.”
Questi criteri di diritto suppletorio non si limitano alle cause concrete che si devono decidere per via giudiziale o amministrativa, ma servono anche per l’interpretazione sistematica delle leggi. Li avrò presenti, in un modo o un altro, in questo studio, soprattutto per quanto riguarda l’applicazione dell’analogia legale. È chiara l’opportunità di tener presenti i cc. 412 – 415 del CIC del 1983, che regolano la situazione della diocesi quando il vescovo risulta impedito. Il concetto di sede impedita rinvia a una situazione nella quale il vescovo diocesano non può esercitare la sua funzione pastorale per diverse cause: prigionia, confino, esilio o inabilità; l’effetto fondamentale che il diritto contempla è che il vescovo non possa comunicare neppure per lettera con i fedeli della sua diocesi.11 Prescindendo dalle esperienze storiche dei confinamenti che alcuni Papi poterono subire, interessa soprattutto la causa dell’incapacità, perchè in questo caso la situazione d’impedimento può diventare definitiva e non puramente transitoria. Una malattia fisica o mentale molto grave può provocare che la persona non sia capace di esprimere la sua volontà. Questa incapacità di comunicazione può essere assoluta o relativa. Per esempio, in uno stato comatoso come conseguenza di un incidente, il malato non può comunicare, mentre altre malattie possono ledere parzialmente o totalmente la parola, ma non altre possibilità di comunicazione. In questo modo, a un vescovo malato e con problemi di comunicazione può risultare difficile svolgere le sue funzioni liturgiche, di magistero e di governo; infatti, il c. 401 § 2 chiede al vescovo diocesano che presenti la rinuncia al suo ufficio: “Il Vescovo diocesano che per infermità o altra grave causa risultasse meno idoneo all’adempimento del suo ufficio, è vivamente invitato a presentare la rinuncia all’ufficio”. Ma, fin quando non si verifica la impossibilità di comunicazione che prevede il c. 412, non si produce neanche la situazione canonica di sede diocesana impedita. Questa precisazione rispetto all’impossibile comunicazione del vescovo può risultare utile per definire il concetto di sede romana impedita. Il c. 335 del CIC non contempla qualsiasi situazione di impedimento, ma quella nella quale la sede apostolica rimane completamente impedita (prorsus impedita), di forma che non basta qualsiasi malattia, compresa una molto grave, per dichiararla, a meno che si dia questa situazione di incapacità totale. Oltre a queste precisazioni circa il significato e la dichiarazione di sede impedita, il c. 415 del CIC prevede la possibilità che il vescovo diocesano diventi impedito 11 Questo è il testo del c. 412: “La sede episcopale si intende impedita se il Vescovo diocesano è totalmente impedito di esercitare l’ufficio pastorale nella diocesi a motivo di prigionia, confino, esilio o inabilità, non essendo in grado di comunicare nemmeno per lettera con i suoi diocesani”. Cfr. anche il c. 233 del CCEO. Sull’applicazione analogica dei cc. 412 – 415 del CIC al caso della sede apostolica impedita ed i problemi che si pongono, cfr. J. Miñambres, “Sede apostólica vacante e impedida”, in: DGDC, VII, pp. 212 – 216.
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per il suo ufficio come conseguenza della pena annessa a un delitto che ha commesso. Ciò nonostante, ciò che più interessa in questo momento sono i canoni che regolano il procedimento che si deve seguire nelle diocesi nelle situazioni ipotizzate: prima di tutto bisognerà attenersi a ciò che dispone la Santa Sede; ma, se non si è stabilito niente, il governo della diocesi passerà successivamente, secondo le circostanze locali, al vescovo coadiutore, a un vescovo ausiliare, vicario generale, vicario episcopale o ad un altro sacerdote, secondo l’ordine stabilito in una lista che il vescovo deve redigere al prendere possesso della diocesi; qualora mancassero queste previsioni o mancasse persino la lista, corrisponde al collegio dei consultori eleggere un sacerdote che reggerà la diocesi.12 L’esercizio del governo diocesano in tali casi è limitato, dato che in sede impedita la persona che sta alla guida della diocesi fruisce delle funzioni giuridiche che corrispondono all’amministratore diocesano, che, a sua volta, ha la potestà che corrisponde al vescovo diocesano; ma senza poter adottare decisioni innovatrici o che vadano al di là dell’amministrazione in una situazione provvisoria: nihil innovetur13. Il problema è che queste previsioni normative per le sedi diocesane comuni non sono sempre applicabili in modo chiaro nel caso della sede apostolica. La ragione consiste nel fatto che la sede romana non è una sede diocesana qualsiasi, ma l’uomo che la presiede, il Romano Pontefice, è allo stesso tempo e inseparabilmente Pastore della Chiesa universale. Per questo motivo, ciò che può risultare sufficiente per una sede diocesana comune, non lo è sempre quando si tratta della sede apostolica romana.14 Le figure del vescovo coadiutore e del vescovo ausiliare si potrebbero applicare teoricamente anche alla diocesi di Roma, nonostante questa segua un suo proprio regime di organizzazione, nel quale si regolano gli aspetti che si riferiscono tanto alla situazione di sede apostolica vacante, quanto anche al caso che il vicario del Papa per la diocesi di Roma sia assente o impedito o il suo ufficio rimanga vacante.15 In qualsiasi caso, non sarebbe possibile che un vescovo coadiutore o ausiliare assumesse il governo della Chiesa universale nel caso che la sede romana fosse completamente impedita. La struttura, infatti, dell’uficio primaziale com12
Cfr. cc. 413 §§ 1 e 2 del CIC; 233 § 1 del CCEO. Cfr. c. 414 in rapporto ai cc. 427 § 1 e 428 § 1 del CIC; cfr. anche cc. 228 e 229 del CCEO. 14 Sul concetto di sede apostolica, rimando alla voce che con questo titolo ho scritto nel DGDC, VII, pp. 209 – 212. 15 Secondo la Cost. Ap. di Giovanni Paolo II Ecclesia in Urbe, promulgata il 1.I.1998 (AAS 90 [1998], pp. 177 – 193), il Cardinale Vicario della diocesi di Roma non cessa quando resta vacante la sede apostolica (art. 13) e così neppure il Vicegerente (art. 16). Anzi, proprio il Vicegerente, che aiuta il Cardinale Vicario nei suoi compiti, è chi svolge le sue funzioni quando questo secondo è assente o impedito, ed anche quando l’ufficio di Cardinale Vicario rimane vacante (artt. 15 § 2 e 32 § 2). 13
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prende una serie di funzioni che, dato che sono proprie della carica e, perciò, istituzionali, rivestono un carattere assolutamente personale, in modo che possono esser svolte solo da chi è il successore di san Pietro. Alcune di queste funzioni sono chiaramente carismatiche, come l’esercizio del dono dell’infallibilità, così che non possono essere adempiute da un vicario e non possono neppure essere delegate; mentre altre, secondo la teologia dogmatica, sono così vicine al carisma dell’infallibilità che neppure possono essere adempiute da altra persona che non sia il Pontefice Romano: è il caso della dichiarazione formale di canonizzazione di un fedele, che, come fatto dogmatico, richiede un procedimento previo che prepara la dicisione finale che può corrispondere solo al Papa. Lo stesso si può dire rispetto a non pochi aspetti del governo universale nei quali si rechiede un’intervento personale del Pontefice. In questo modo, un vescovo coadiutore o ausiliare alla guida della Chiesa universale, con o senza la dignità cardinalizia, non sarebbe altro che una soluzione provvisoria, che risolverebbe pochi problemi e ne porrebbe, invece, diversi altri.16 Rispetto alla lista indicata dal c. 413 § 1 per la sede diocesana impedita, può darsi che il Papa sia consapevole della possibilità di un suo impedimento per malattia e decida in anticipo come deve procedere la Chiesa universale in tal caso. In questo senso, egli stesso potrebbe redigere una lista di persone idonee che possano assumere l’ufficio di dirigere la vita della Chiesa in situazione di sede impedita, sempre rispettando il principio nihil innovetur. In ogni caso, ciò che nella fattispecie della sede diocesana risulta essere un procedimento per organizzare provvisoriamente il governo della diocesi fin quando la Santa Sede non risolva la questione in modo definitivo, nel caso della sede romana impedita non c’è una istanza superiore alla quale rivolgersi, né si sa quale procedura può essere applicata. Apparentemente, la risorsa ultima che si può seguire è la nomina di una persona che assuma provvisoriamente la direzione della Chiesa universale, ma senza la capacità di adottare decisioni di governo che riguardino ciò che solo il Papa può decidere, e perciò, con l’unica possibilità di un governo strettamente conservatore rispetto allo stato delle cose. Il problema è che questa situazione non si potrebbe prolungare indefinitamente, a causa dei danni che implicherebbe per la Chiesa universale la mancanza del Papa, forse durante anni. Pensare, d’altra parte, ad una direzione collegiale della Chiesa, affidata al Collegio episcopale o al Collegio cardinalizio, non risolverebbe neanche il problema della mancanza indefinita di chi si occupi del governo della Chiesa universale in materie che solo il Papa può risolvere, e potrebbe, inoltre, far sorgere problemi di legittimità. 16
Le peculiarità dell’ufficio primaziale permettono di apprezzare le differenze fondamentali rispetto alle soluzioni degli ordinamenti giuridici civili per le situazioni di reggenza del capo di Stato per impedimento, dato che praticamente tutte le funzioni di quest’ultimo possono essere svolte dal reggente: cfr. per esempio, l’art. 59 della Costituzione spagnola del 1978.
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Come si può dedurre, l’applicazione suppletoria delle norme del CIC e del CCEO riguardanti la sede diocesana (eparchiale) impedita sarebbe posssibile solo in alcuni aspetti, e non risolve, inoltre, il futuro della Chiesa universale al di là della semplice applicazione del principio nihil innovetur. Per questo motivo, è necessario approfondire la nostra indagine mediante la considerazione dei precedenti dottrinali che si possono trovare nella storia. Esistono in concreto due ipotesi dottrinali che conviene considerare: contemplano la possibilità che un Papa risulti impedito, o per essere caduto in una eresia (Papa haereticus), oppure per aver perso l’uso di ragione (Papa idioticus). In ambedue i casi, la sede romana non è vacante, esiste un titolare dell’ufficio primaziale, ma si pone il problema della sua continuità nel governo della Chiesa universale. La questione del Papa eretico è stata molto dibattuta lungo la storia e ha formato parte delle polemiche conciliariste fino al secolo XIV, ma attualmente è sparita dalla dottrina giuridica della Chiesa. Non è possibile trattare adesso la questione con minuziosità17, ma vale la pena ricordare che l’ipotesi di un’eresia è stata considerata nel corso della storia come causa legittima di cessazione nella sede romana. Attualmente le uniche cause legali per la sede romana vacante sono la morte del Papa o la sua rinuncia legittima (cc. 332 § 2 del CIC e 44 § 2 del CCEO), non la sentenza condannatoria né la rimozione da parte dell’autorità ecclesiastica quale che sia.
III. Il caso del Papa impedito per malattia Dobbiamo considerare adesso l’eventualità che una malattia impedisca l’esercizio della potestà pontificia. Riguardo alla situazione della scienza medica, questa ipotesi è stata studiata ma in circostanze molto differenti da quelle attuali, specialmente rispetto alle capacità odierne di formulare la diagnosi delle malattie psichiche e di diverse forme di incapacità.18 Naturalmente, la malattia può avere diversi gradi ed avere vari effetti in base alla sua indole, alla gravità, ai dolori che comporta e alla sua diagnosi definitiva. Non è lo stesso una malattia psichica che una invalidità fisica che diminuisce la capacità di comunicare con gli altri, né hanno le stesse conseguenze il restare impedito parzialmente o totalmente a causa di una malattia (ricordiamo che il c. 335 del CIC contempla solamente il problema della sede romana totalmente impedita). In realtà 17 Rimando per questa questione al mio articolo intitolato “Posible regulación de la sede apostólica impedida”, in: Ius Canonicum 53 (2013), pp. 547 – 572, nel quale tratto in modo dettagliato la questione storica del Papa eretico. 18 Cfr. J.H. Provost, “De sede apostolica impedita” (nota 6), pp. 104 – 110 e i suoi riferimenti nelle pp. 112 e 116 – 118 ai principi generali del diritto classico in questa materia, specialmente in rapporto a C.7 q.1 cc.1 – 4 e VI.3.5: “De clerico aegrotante vel debilitato”. Questi passi si riferivano ai vescovi diocesani in generale, ma non al vescovo di Roma.
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non sono mancati i casi nella storia nei quali si sono date serie malattie psichiche di alcuni papi, mentre la Chiesa contemporanea non dimentica (né potrebbe farlo) la testimonianza delle sofferenze fisiche di san Giovanni Paolo II durante buona parte del suo pontificato.19 Per essere esatti, ciò che il diritto canonico considera per il caso di una sede impedita non è semplicemente una malattia che renda difficile l’esercizio del ministero petrino, ma il caso di una malattia fisica o psichica che lo rende impossibile. Perciò detta malattia deve essere certa, permanente ed incurabile, fino al punto di rendere il Papa completamente incapace. Ciò richiede evidentemente una certificazione da parte di medici competenti. Si pensa concretamente alla possibilità di una grave demenza oppure a una malattia che impedisce completamente la manifestazione della propria volontà. Gli intervalli di lucidità in una grave malattia psichica possono far sorgere dei dubbi circa l’incapacità totale del malato, ma sono, in qualsiasi caso, un problema che non si può risolvere senza la dichiarazione medica corrispondente. Secondo il diritto canonico, si pongono qui due problemi: il primo è di tipo dichiarativo ed il secondo di ordine procedimentale dopo la dichiarazione. In primo luogo, dopo la dichiarazione medica che conferma l’impedimento totale del Papa, deve esserci una seconda dichiarazione ufficiale della situazione di sede impedita. Il diritto non indica quale sia la autorità che dovrebbe emetterla. In analogia con le norme sulla sede vacante, la cosa più adeguata sarebbe che il Decano del Collegio dei cardinali assumesse questa funzione, dopo essere stato informato dal Cardinale Camerlengo circa il risultato dell’esame medico. Tratteremo questa questione tra poco. In secondo luogo, si presenta il problema del procedimento che si deve seguire dopo la dichiarazione ufficiale della sede apostolica impedita. La risposta a questo quesito è abbastanza semplice: perchè, dato che mancano norme regolatrici, l’unica conclusione che si può formulare è che niente si deve cambiare nel governo della Chiesa universale, in modo che solo si potrebbero risolvere i temi di ordinaria amministrazione dei dicasteri della Curia Romana. Ricordiamo che, secondo le norme vigenti, in sede vacante cessano i capi ed i membri dei dicasteri della Curia Romana; ma non esiste una norma equivalente nel caso della sede impedita, di modo che in principio tutte le persone continuano nelle loro cariche.20 19
Oltre al Papa Bonifacio VIII, caso che non sembra molto chiaro, Aimone cita i casi di Urbano VI e di Paolo IV: P.V. Aimone, Prima sedes a nemine iudicatur: si Papa a fide devius, in: M.J. Peláez (ed.), Historia de la Iglesia y de las instituciones eclesiásticas. Trabajos en homenaje a Ferran Valls i Taberner, XIV, Barcelona 1989, p. 4159. Su questi ultimi papi, cfr. anche L. Suárez, Los Papas de la edad antigua y medieval, in: J. Paredes et al. (dir.), Diccionario de los papas y concilios, Barcelona 19992, p. 269 (“puede considerarse como un dato seguro la inestabilidad patológica de Urbano VI”) e pp. 325 – 327. 20 Cfr. Giovanni Paolo II, Cost. Ap. Pastor Bonus, 28.VI.1998, in: AAS 80 (1998), art. 6 e Cost. Ap. Universi Dominici Gregis, n. 14.
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Il problema, come già abbiamo accennato all’inizio di questo studio, è che la situazione di sede totalmente impedita per malattia del Papa potrebbe prolungarsi durante molto tempo. Nonostante questa possibilità, si deve limitare per tempo indefinito il governo della Chiesa universale ai temi ordinari ed irrimandabili? Si deve forse aspettare, magari per non pochi anni, che il Papa ammalato muoia e venga eletto il suo successore?
IV. Il principio “amentia aequivalet morti” Secondo la mia opinione, la pura dichiarazione della sede romana impedita e la sola applicazione del principio nihil innovetur non risolverebbero i problemi che la Chiesa dovrebbe affrontare nel caso di impedimento totale del Papa per malattia. Da una parte, il principio nihil innovetur permette solo un esercizio molto limitato del governo della Chiesa e della funzione docente in nome del Papa; d’altra parte, l’applicazione di altre misure di sostituzione o collaborazione non sono adeguate per l’ufficio petrino, perchè esistono responsabilità di magistero e di governo che solo possono essere esercitate dal Papa personalmente.21 Che soluzione si può adottare, dunque, quando si dichiara la situazione di sede romana impedita? Non sembra che ci sia miglior risposta che l’applicazione del principio amentia aequivalet morti, o in altri termini, riconoscere che una malattia che rende incapace il Papa in modo definitivo rispetto al suo ministero, quando è stata legittimamente dichiarata, avrebbe le stesse conseguenze che la morte, in modo che si produrrebbe canonicamente la situazione di sede vacante e si dovrebbe eleggere un nuovo Papa.22 Il fondamento per l’applicazione di questo principio consiste, secondo Wernz, nel fatto che l’esercizio della giurisdizione papale è a sua volta basato sull’uso abituale della ragione, che è ciò che si perde completamente nel caso di una demenza certa e perpetua; è questo il motivo per il quale risulta nulla ipso iure 21 Pensiamo, per esempio, ad una soluzione dello stile di quella prevista dagli Statuti della Prelatura dell’Opus Dei nel caso di impedimento del Prelato. In essi si prevede che, dato che il Prelato è designato “ad vitam” (nn. 127, 130 § 1), nel caso che questi risulti incapace un congresso generale straordinario può eleggere un Vicario ausiliare al quale si riconoscono tutti i diritti e doveri del Prelato, salvo il titolo (cfr. nn. 134 § 2 e 136). In questo modo tutta la potestà del Prelato sarebbe esercitata dal Vicario ausiliare. Questa soluzione non si può applicare alla Chiesa universale, dato che, come già abbiamo ricordato all’inizio di questo studio, ci sono funzioni pontificie così personali che non è possibile una partecipazione vicaria in esse. Il testo degli Statuti dell’Opus Dei in A. de Fuenmayor/V. Gómez Iglesias/J.L. Illanes, El itinerario jurídico del Opus Dei. Historia y defensa de un carisma, Pamplona 19904, pp. 628 – 657. 22 Il principio di equivalencia è stato difeso da non pochi commentatori del CIC del 1917. Vid. i riferimenti in J.H. Provost, “De sede apostolica impedita” (nota 6), p. 121. Inoltre, nella dottrina più recente, cfr. B. Ries, Amt und Vollmacht des Papstes (nota 6), pp. 355 – 358 e G. Müller, “Sedes romana impedita” (nota 9), 81 ss.
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l’elezione di un infante alla dignità pontificia. Perciò, nel caso che il Papa fosse ridotto per malattia alla condizione di un infante, perderebbe la sua giurisdizione.23 In questo caso il concetto di demenza non si dovrebbe limitare a una malattia mentale in senso stretto, ma si può attribuire a qualsiasi malattia che impedisca completamente al Papa l’esercizio delle funzioni di insegnare, santificare e governare, d’accordo con l’imprescindibile sentenza dei medici. Contro l’equivalenza tra la sede vacante per morte del Papa e la sede impedita per malattia, si presentano due argomenti.24 Il primo di essi è chiaro e semplice: sono due situazioni diverse che non si possono identificare. Ma, in realtà, non si tratterebbe qui di identificare due situazioni diverse, ma piuttosto di applicare gli effetti giurídici di una all’altra. Le conseguenze negative che comporterebbe la situazione di sede papale completamente impedita durante molto tempo e i danni che produrrebbe alla Chiesa, potrebbero giustificare una equiparazione canonica tra gli effetti della sede vacante per morte del Papa e gli effetti della sede impedita. Il secondo argomento merita anch’esso attenzione. La Chiesa ha difeso, con accenti particolarmente energici nei tempi recenti, a causa della lamentevole evoluzione di molte legislazioni nazionali ed internazionali, il valore sacro della vita umana, sia a partire della concezione, come anche durante lo sviluppo e fino all’estinguersi naturale. Per questo motivo antropologico e dottrinale, l’equivalenza alla quale abbiamo accennato si potrebbe intendere come un disprezzo verso la vita inferma. Questo argomento, più che una vera obiezione consiste in realtà in un avviso, affinché la domanda su quale sia la migliore soluzione per il caso della sede impedita non nasconda una certa diffidenza verso il valore spirituale della sofferenza, o esprima piuttosto un eccesso di apprezzamento dell’elemento umano nel ministero petrino. Già di per sé, la responsabilità del successore di san Pietro va molto al di là delle capacità umane, perché è un compito religioso che viene eseguito con la forza di Dio: non in sapientia hominum sed in virtute Dei (1 Cor. 2, 5).25 Per tutti questi motivi si deve chiarire che l’equivalenza, rispetto agli effetti giuridici, tra la morte del Papa e il suo totale impedimento, non significa in assoluto una contraddizione verso il significato cristiano del dolore e della malattia, ma un 23
Cfr. F.X. Wernz/P. Vidal, Ius canonicum, II, De personis, Roma 19433, p. 516. Cfr. J.H. Provost, “De sede apostolica impedita” (nota 6), pp. 122 – 124, che si mostra contrario all’equivalenza, ma non offre soluzioni per superare i limiti del “nihil innovetur” indefinitamente applicato alla situazione di sede impedita. 25 Spiegava questo in modo commuovente Benedetto XVI quando presentò formalmente la sua dimissione in presenza del Collegio dei cardinali: “Bene conscius sum hoc munus secundum suam essentiam spiritualem non solum agendo et loquendo exsequi debere, sed non minus patiendo et orando”: vid. supra, nota 1. Si può ricordare in questo momento non solo l’esempio personale delle malattie di Giovanni Paolo II, ma il suo ampio magistero, nel quale sottolinerei, data la sua relazione con le questioni che qui trattiamo, la Lettera Ap. Salvifici doloris, 11.II.1984. 24
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mezzo concreto affinchè la Chiesa universale non rimanga senza governo indefinitamente per la mancanza di un Pastore. In definitiva, il principio dell’equivalenza che adesso consideriamo non presuppone, in assoluto, che il Papa venga rimosso dalla sua carica. Dichiarare formalmente la sede impedita ed attribuirle la efficacia di una sede vacante è un procedimento completamente diverso da una rimozione giudiziaria o amministrativa. D’altronde la situazione giuridica non si dovrebbe neppure interpretare come una rinuncia, perchè molto probabilmente mancano le condizioni di piena coscienza e libertà che sono proprie della situazione giuridica della rinuncia all’ufficio, dato che il Papa gravemente ammalato difficilmente potrebbe a stento presentarla.26 Del resto, l’inevitabile convivenza del Papa impedito con il suo successore, come conseguenza della soluzione che qui si propone, è pur sempre meno problematica che la situazione derivata da una rinuncia papale all’ufficio.
V. Suggerimenti finali Come conclusione di questo lavoro si possono valutare alcune proposte per descrivere il procedimento da seguire nel caso che la sede romana risulti impedita. Dato che si tratta di una questione molto delicata, nella quale si potrebbero produrre tensioni che potrebbero nuocere seriamente all’unità della Chiesa, il procedimento si dovrebbe regolare, eventualmente, per mezzo della promulgazione di una legge pontificia, senza escludere che colui che detiene in ogni momento il pontificato romano possa disporre in modo diverso, mediante una nuova regolazione o la dispensa di alcune norme.27 Abbiamo già commentato alcuni aspetti procedurali, che adesso possiamo riassumere. Il primo elemento necessario è una dichiarazione medica che confermi la situazione di un completo impedimento della persona del Papa. Data la grande importanza della questione, il referto medico dovrà essere preciso e indubbio. Ciò consiglia la designazione di un gruppo di specialisti, preferibilmente di diversi paesi e di riconosciuta competenza professionale, che si facciano responsabili di determinare se la malattia papale è certa ed incurabile e se impedisca al Papa in modo completo l’esercizio del suo ufficio. Nel caso di un dubbio positivo non si potrebbe dichiarare la sede impedita. Il risultato del referto medico dovrebbe essere comunicato in primo luogo al Collegio dei cardinali, rappresentato dalla persona del suo Decano. Penso che il Collegio dei cardinali dovrebbe avere un ruolo di primo piano nello svolgimento del procedimento, almeno per tre ragioni: prima di tutto, perchè è l’unico collegio di ambito universale che può agire in sede pontificia vacante, mentre nessun’altra corporazione ecclesiastica può farlo, neppure il Concilio Ecumenico o il Sinodo dei 26 27
Cfr. cc. 332 § 2 del CIC e 44 § 2 del CCEO. Cfr. B. Ries, Amt und Vollmacht des Papstes (nota 6), p. 353.
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Vescovi.28 In secondo luogo, perché il cambio contemporaneo della composizione del Collegio dei cardinali garantisce non solo la sua tradizionale funzione di rappresentare la Chiesa di Roma, ma anche del Collegio episcopale, specialmente grazie alla nomina come cardinali di non pochi vescovi diocesani. In terzo luogo, perché il Collegio dei cardinali puó essere convocato e riunirsi con più facilità che altri organismi, come possono essere non solo un Concilio generale ma persino lo stesso Sinodo dei vescovi. Queste ragioni non impediscono, peraltro, che si possa stabilire una rappresentanza dei vescovi diversa nel procedimento della dichiarazione di sede impedita; per esempio, mediante la trasmissione del referto medico e la consulta a alcuni rappresentanti delle Conferenze episcopali. La dichiarazione ufficiale della sede impedita, in modo analogo a ciò che si prevede per la sede vacante, dovrebbe essere competenza, come abbiamo detto, del Decano del Collegio dei cardinali e non invece e strettamente del Cardinale Camerlengo. Secondo le norme della Cost. Ap. Universi Dominici Gregis, già citata, il Cardinale Camerlengo ha importanti funzioni nella fase iniziale di una situazione di sede vacante, in particolare per ciò che si riferisce alla verifica ufficiale della morte del Papa29, ma lo stesso n. 19 della Universi Dominici Gregis stabilisce che il Decano del Collegio dei cardinali deve essere informato dal Camerlengo ed è questo secondo, il Decano, chi convoca il Collegio per dare inizio alle congregazioni necesarie.30 Dopo la dichiarazione ufficiale della sede romana totalmente impedita, e d’accordo con il principio amentia aequivalet morti, si dovranno applicare le norme stabilite per l’elezione di un nuovo Papa, norme che sono attualmente previste nella Cost. Ap. Universi Dominici Gregis di Giovanni Paolo II, con le modifiche fissate da Benedetto XVI, già menzionate al principio di questo studio. In sintesi, la mia opinione è che una normativa speciale relativa alla situazione di sede apostolica impedita, prevista dall’ordinamento canonico, risulta non solo possibile ma anche conveniente nelle circostanze attuali; con maggior ragione a partire dalla presentazione della rinuncia al pontificato supremo da parte del Papa Benedetto XVI.
28 Cfr. cc. 340 e 347 § 2 del CIC e 53 del CCEO. Ricordiamo, in senso favorevole all’intervento del Collegio dei cardinali, che la sede impedita si potrebbe paragonare canonicamente alla situazione di sede vacante per la morte del Papa. 29 Cfr. Universi Dominici Gregis, nn. 7 ss., 14, 43 ss. e specialmente il n. 17. 30 “Il Decano del Collegio dei cardinali, invece, appena il Cardinale Camerlengo o il Prefetto della Casa Pontificia lo avrà informato della morte del Pontefice, ha il compito di darne notizia a tutti i cardinali, convocando costoro per le congregazioni del Collegio. Parimenti, egli comunicherà la morte del Pontefice al corpo diplomatico accreditato presso la Santa Sede ed ai capi supremi delle rispettive nazioni.”
Die Papstwahl Etappen der kirchlichen Gesetzgebung Konrad Breitsching Die Wahl eines neuen Papstes zählt wohl zu den bedeutendsten Ereignissen im Leben der Kirche. Darum verwundert es auch nicht, dass die Papstwahl immer wieder einer neuen bzw. ergänzenden rechtlichen Regelung unterzogen wurde. Ausschlaggebend dafür waren zumeist konkrete Erfahrungen bei und im Umfeld der Wahl sowie Veränderungen in den historischen Umständen, auf die es zu reagieren galt.1 Ziel dabei war immer, eine klare, möglichst von persönlichen und Gruppeninteressen der Wähler freie sowie von außen unbeeinflusste Wahlentscheidung zum Wohle der Kirche zu garantieren.
I. Die Wahl in den ersten Jahrhunderten Nach frühkirchlicher Tradition wurde der Bischof von Rom, der erst ab der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts auch als Papst bezeichnet wurde,2 gewohnheitsrechtlich durch Klerus und Volk3 der Stadt Rom, das später durch den Stadtadel, den Senat und die Spitzen der Behörden verdrängt wurde,4 unter Zustimmung der anwesenden 1
„Die heutige Papstwahl wird nach Regeln vollzogen, die im Laufe von beinahe einem Jahrtausend zu einer Ordnung zusammengewachsen sind. Nahezu jede Vorschrift ist einmal eine Antwort auf eine gefährliche Situation gewesen. Jahrhundertelange Erfahrung ließ eine Wahlordnung von unvergleichlicher Ausgewogenheit entstehen.“ Horst Fuhrmann, Einladung ins Mittelalter (= beck’sche reihe), München 42009, S. 135. 2 Vgl. Hanns Christof Brennecke, Art. Papst, in: RGG4 VI, Sp. 863. In der Ostkirche war der Titel (Pappas) für alle Kirchenoberen üblich, insbesondere für Metropoliten und Äbte. Ab dem 5. Jahrhundert wurde der Titel in der Westkirche immer mehr für die Bezeichnung des Bischofs von Rom in Anspruch genommen, bis ihn Gregor VII. (1073 – 1085) ganz dem Bischof von Rom vorbehielt. Vgl. Horst Fuhrmann, Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II., München 1998, S. 9; Klaus Schatz, Art. Papst, Papsttum. 1. Begriff und Ursprung, in: Bruno Steimer (Red.), Lexikon der Päpste und des Papsttums (= LThK kompakt), Freiburg 2001, Sp. 519 – 521, hier 519 f. 3 Am Anfang dürfte es sich um ein echtes Stimmrecht gehandelt haben, das aber später zur Akklamation abgeschwächt wurde. Vgl. Georg Schwaiger, Art. Papstwahl, in: LMA VI, Sp. 1691 – 1693, hier Sp. 1691. 4 Vgl. Hermann J. Wurm, Die Papstwahl. Ihre Geschichte und Gebräuche, Köln 1902, S. 21; Stefan Schima, Papsttum und Nachfolgebeeinflussung. Von den Anfängen der Papstwahl bis zur Papstwahlordnung von 1179 (= Kirche und Recht 26), Freistadt 2011, S. 53.
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Nachbarbischöfe (vgl. Cyprian, Epistula 55,8 u. 67,4) in der Regel aus den römischen Diakonen gewählt.5 Die anwesenden Nachbarbischöfe, unter denen der Bischof von Ostia bald als Hauptkonsekrator auftrat, vollzogen anschließend die Bischofsweihe des Gewählten. Die Vorgangsweise der Wahl entsprach demnach der damals allgemein üblichen Form der Bischofsbestellung.6
II. Anfänge gesetzlicher Regelungen Die Kirche versuchte durch den Erlass von Gesetzen, eine geordnete Wahl zu gewährleisten. So bewog Papst Bonifaz I. (418 – 422) Kaiser Honorius (393 – 423) ein Gesetz zu erlassen, gemäß welchem bei strittigen Wahlen, wenn keine Einigung erzielt werden konnte, keiner der Kandidaten anerkannt werden durfte, sondern nur jener, der aus den Klerikern (ex nunmero clericorum) in einer neuen Wahl durch den Konsens der gesamten Wählerschaft (universitatis consensus) bestimmt wird.7 Ziel ist also eine möglichst umfassende Einmütigkeit der Wahl. Darüber hinaus erfolgt hier zum ersten Mal in der Geschichte der Papstwahl in einem Gesetz eine Aussage zum passiven Wahlrecht.8 „Dieser erste Versuch einer Regelung der Papstwahl blieb jedoch ohne Wirkung.“9 Das erste kirchliche Dekret zur Papstwahl stammt von Papst Symachus (498 – 514).10 Dieser legte 499 auf einer Synode fest, dass, wenn das Ideal der einmütigen Wahl nicht zu erreichen war, die Stimmenmehrheit entscheiden sollte, wobei nur der
5 Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 14. Dies lag vor allem in der besonderen Machtstellung der Diakone zur damaligen Zeit begründet. Vgl. Schima, Papsttum (Anm. 4), S. 67. Allgemein ist zu sagen, dass wegen der bis Ende des 9. Jahrhunderts geltenden relativen Ordination – ein Bischof wurde nur auf einen vakanten Bischofsstuhl geweiht und niemals unabhängig davon – der Gewählte zunächst kein Bischof sein konnte, da im System der relativen Ordination die Bindung eines Bischofs an seinen Bischofsstuhl – ähnlich dem Eheband – als unlösbar galt. 6 Vgl. Markus Graulich, Die Vakanz des Apostolischen Stuhls und die Wahl des Bischofs von Rom – Zwei Rechtsinstitute in der Entwicklung, in: AfkKR 174 (2005), S. 75 – 95, hier S. 85; Carl Gerold Fürst, Art. Papstwahl, in: HRG III (1984), Sp. 1400 – 1494, hier Sp. 1488 f.; Werner Goez, Art. Papstwahl. 1. Geschichtlich, in: Steimer, Lexikon (Anm. 2), Sp. 600 – 604, hier Sp. 600 f.; Rudolf Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste, Regensburg 1985, S. 270. 7 Vgl. D. 79 c. 8. Es handelt sich hier zwar nicht um eine kirchliche Gesetzgebung, aber sie wurde von Bonifaz I. veranlasst. Den Hintergrund zu dieser Initiative bildete wohl die Sorge, dass es nach seinem Tod zu ähnlichen Parteiungen wie bei seiner Wahl kommen könnte, die in einer Doppelwahl (Eulalius) endete. Vgl. John N. D. Kelly, Reclams Lexikon der Päpste, Stuttgart 1986, S. 53; Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 23 f.; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 10. 8 Vgl. Schima, Papsttum (Anm. 4), S. 53. 9 Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 53. Vgl. Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 24 u. 270 f. 10 Vgl. Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 28.
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Klerus als Wählerschaft angesprochen ist (totius … ecclesiastici ordinis electio).11 „Die Mitwirkung des Laienstandes war hingegen ausgeschlossen.“12 Diese Regelung sollte allerdings nur subsidiär gelten, falls der Papst aufgrund eines unvorhergesehenen Todes nicht mehr in der Lage war, hinsichtlich seines Nachfolgers Vorkehrungen zu treffen.13 Darüber hinaus drohte Symachus Klerikern, die zu Lebzeiten und ohne Wissen des Papstes Wahlabsprachen trafen, Amtsverlust und Exkommunikation an.14 Die beiden Wahlordnungen sprechen bereits zwei Problemkreise an, auf die in den späteren Wahlbestimmungen immer wieder in irgendeiner Art Bezug genommen wird, zum einen die notwendige bzw. hinreichende Stimmenzahl für eine gültige Wahl, zum anderen die Ermöglichung einer manipulationsfreien Wahl. Unter Papst Bonifaz III. (607) bestimmte eine Synode unter Androhung der Exkommunikation einerseits, dass zu Lebezeiten des Papstes dessen Nachfolge nicht erörtert, andererseits, dass zur Wahl des neuen Papstes erst drei Tage nach dem Tod des Papstes geschritten werden dürfe.15 Um den störenden Einfluss des Stadtadels zurückzudrängen, wurde unter Papst Stephan III. (768 – 772) auf der Lateransynode von 769 – allerdings erfolglos16 – beschlossen, das passive Wahlrecht auf die Kardinalpriester und Kardinaldiakone einzugrenzen.17 Laien wurden vom passiven Wahlrecht ausdrücklich ausgeschlossen.18
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Vgl. D. 79 c. 10; MGH.AA 12, S. 404. Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 64. Vgl. auch Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 12. 13 Worin die Vorkehrungen des Papstes hätten bestehen können, geht aus dem Text nicht hervor. Manche Autoren interpretieren sie im Sinne eines Designationsrechts bzw. als einen Versuch in diese Richtung. Vgl. Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 64; Paul Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland. Bd. 1. System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, Graz 21959, S. 227. Jedenfalls war die Synode diesbezüglich weder traditionsbestätigend noch traditionsbildend. Vielmehr wurde im vierten und fünften Jahrhundert eine derartige Praxis bei Bischofsbestellungen auf mehreren Synoden, auch auf römischen, als unkanonisch gerügt. Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 11. Siehe dazu auch Fuhrmann, Einladung (Anm. 1), S. 137. Das Vorhaben Papst Felix’ III. (526 – 530), aus Sorge um eine geordnete Nachfolge auf die Wahl seines Nachfolgers Einfluss zu nehmen, wird man eher im Sinne einer dringenden Wahlempfehlung verstehen müssen. Schließlich scheiterte auch der Versuch Bonifatius’ II. (530 – 532), sich für seinen Nachfolger ein derartiges Recht auszubedingen. Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 12 f. 14 Vgl. D. 79 c. 2; MGH. AA 12, S. 403 f. 15 Vgl. Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 34; Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 83; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 15. 16 Vgl. Schwaiger, Papstwahl (Anm. 3), Sp. 1692. 17 Vgl. D. 79, c. 3 u. 4; Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 271; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 17. 18 Vgl. D. 79 c. 4; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 18; Willibald M. Plöchl, Art. Papstwahl, in: LThK2 VIII, Sp. 60 – 63, hier Sp. 60. 12
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Wer gegen diese Bestimmungen versuchte, das Papstamt an sich zu reißen, sollte selbst zusammen mit seinen Helfern der ewigen Exkommunikation verfallen.19
III. Das Papstwahldekret von 1059 Die erste bedeutendere Wahlordnung stellt das Papstwahldekret von Papst Nikolaus II. (1059 – 1061) auf der Aprilsynode im Lateran 1059 dar. Von der immer stärker werdenden Kirchenreformbewegung (Gregorianische Reform) wurde die Beeinflussung der Papstwahl durch Laien in Gestalt des deutschen Königs bzw. Kaisers, aber auch des römischen Stadtadels20, immer mehr als unangemessen empfunden.21 So regelte Papst Nikolaus II. mit der Dekretale In nomine Domini22 die Papstwahl neu. Die Kardinalbischöfe treten dabei als Hauptakteure auf. Es sollen nämlich beim Tod des Papstes vor allem (imprimis) die Kardinalbischöfe (cardinales episcopi) in überaus sorgfältiger Überlegung (diligentissima consideratione) über den Nachfolger verhandeln und bald die Kardinalkleriker (clericos cardinales) hinzuziehen. Der übrige Klerus und das Volk sollen im Anschluss daran dem erreichten Konsens beitreten (accedant).23 Die religiosi viri24 werden hinsichtlich der Papstwahl als praeduces benannt die übrigen Beteiligen als sequaces.25 Das ist wohl so zu verstehen, dass die Bezeichnung der Person, also die eigentliche Wahl, in erster Linie bei den Kardinälen und hier insbesondere bei den Kardinalbischöfen liegt.26 Somit setzt 19
Vgl. D. 79 c. 5. Es sei hier nur an die Geschlechter der Crescentier und Tusculaner erinnert, die zuvor jeweils über mehrere Jahrzehnte den Papststuhl besetzten. Vgl. Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 177 f. u. 315; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 22 – 24. 21 Vgl. Fuhrmann, Päpste (Anm. 2), S. 62; Furhmann, Einladung (Anm. 1), S. 140; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 24. 22 Das Dekret inklusive seiner Fälschung ist abgedruckt bei Detlev Jasper, Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 12), Sigmaringen 1986, S. 98 – 119; ebenso bei Godehard Josef Ebers, Der Papst und die Römische Kurie. I. Wahl, Ordination und Krönung des Papstes (= Quellensammlung zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 3), Paderborn 1916, S. 43 – 46. Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Heiko A. Obermann/Adolf Martin Ritter/Hans-Walter Krumwiede (Hrsg.), Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Bd. 2. Mittelalter. Ausgewählt und kommentiert von Reinhold Mokrosch und Herbert Walz, Neukirchen-Vluyn 31989, S. 59 f.; Alfred Läpple, Kirchengeschichte in Dokumenten. Sammlung kirchengeschichtlicher Quellen für Schule und Studium, Düsseldorf 1958, S. 107 f. 23 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 101 f. 24 Unter „religiosi viri“ werden zuweilen in der Literatur die Kardinalbischöfe verstanden. Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 71; Wurm Papstwahl (Anm. 4), S. 25. 25 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 103. 26 „Die Kardinalbischöfe erhielten mit diesen Bestimmungen eine beherrschende Stellung im Wahlverfahren: Ihnen oblag es, die Initiative zur einer Neuwahl zu ergreifen; an ihnen war es, den Kardinalklerus hinzuzuziehen und mit ihm über die Wahl zu beraten; doch zunächst führten sie die Wahlverhandlungen allein unter sich. Die Kardinalbischöfe hatten von daher nicht nur ein »Vorwahlrecht«, sondern kontrollierten zugleich den ganzen Wahlvorgang. Dem 20
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mit dem Papstwahldekret von 1059 rechtlich die Exklusivität des Kardinalskollegiums als Wahlgremium ein.27 Die Beteiligungsrechte des übrigen Klerus wurden den der Laien angeglichen und auf ein Akklamationsrecht beschränkt.28 Hermann J. Wurm verleiht dem Hinzutreten des übrigen Klerus und des Volkes mehr Gewicht, indem er von einem nachträglichen Solennitätskonsens spricht.29 Schließlich wird das Procedere der Wahl ja als in der kanonischen Tradition stehend angesehen und direkt auf Papst Leo I. (440 – 461) als Gewährsmann verwiesen, der klar herausstreicht, dass unter den Bischöfen keiner sein darf, der nicht auch vom Volk erwünscht ist.30 Da Rom keinen Metropolitansitz über sich hat, übernehmen die Kardinalbischöfe auch die Aufgaben, die ansonsten bei einer Bischofsbestellung dem Metropoliten zukommen.31 Der Gewählte muss nicht notwendigerweise der römischen Kirche entstammen, sondern kann auch, falls dort kein geeigneter Kandidat gefunden wird, von auswärts kommen.32 Sollte eine Wahl in Rom wegen Unruhen in der Stadt nicht möglich sein, steht es den Kardinalbischöfen zu, einen anderen Ort zu bestimmen, an dem sie zusammen mit Klerikern und Laien zur Wahl schreiten können, selbst wenn sie nur wenige sein sollten.33 Sollte im Anschluss daran auch die Inthronisation in Rom nicht möglich sein, so verfügt der Neugewählte dennoch über die päpstliche Regierungsgewalt.34 Auf die Rechte des deutschen Königs bzw. Kaisers an der Wahl wurde in einer unklaren Formulierung, dem sogenannten „Königsparagraphen“, Bezug genommen, die wohl nur als eine Abschwächung der Mitwirkungsrechte des Königs bzw. Kaisers zu verstehen ist.35 Kardinalklerus stand dagegen genauso wie Klerus und Volk von Rom nur die Rolle eines Mitwählers zu.“ Ulrich Schludi, Die Entstehung des Kardinalkollegiums. Funktionen, Selbstverständnis, Entwicklungsstufen (= Mittelalter-Forschungen 45), Ostfildern 2014, S. 142. Vgl. auch Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 86. 27 Vgl. Hellmut Zschoch, Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter (= UTB 2520), Göttingen 2004, S. 22; Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 64; Fuhrmann, Einladung (Anm. 1), S. 140. 28 Vgl. Harald Zimmermann, Das Mittelalter. I. Teil. Von den Anfängen bis zum Ende des Investiturstreits, Braunschweig 1975, S. 208. 29 Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 27. Schima, Papsttum (Anm. 4), S. 260, sieht damit auch das Recht auf Ablehnung verbunden. 30 „Nulla, inquit [Leo I.], ratio sinit, ut inter epsicopos habeantur, qui nec a clericis sint electi, ne a plebibus expetiti, nec a conprovincialibus epsicopis cum metropolitani iudicio consecrati.“ Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 103 – 104. 31 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 103 f. 32 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 104. 33 Vgl. Japser, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 105. 34 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 106. 35 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 104 f. „Die Rechte des deutschen Königs und zukünftigen Kaisers wurden ohne Erwähnung seines Amtes als römischer Patricius und Vogt der römischen Kirche in einer recht unbestimmt formulierten Salvaklausel festgehalten,
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Ein Kandidat, der im Widerspruch zu den Bestimmungen des Dekrets in das Papstamt gelangt, wird zusammen mit seiner Wählerschaft und seinen Parteigängern die ewige Exkommunikation angedroht. Darüber hinaus verliert er alle zuvor erhaltenen Weihegrade.36 Schließlich droht eine Fluchformel denen, die die Wahlordnung missachten, alles nur erdenkliche Unheil an.37 Dem Dekret, „das zwar niemals im vollen Umfang praktiziert wurde, aber der Zukunft die Richtung wies“,38 wird ferner ein apologetisches Interesse nachgesagt, da es auch darum gegangen sein dürfte, die Wahl Nikolaus’ II. außerhalb von Rom im Nachhinein zu rechtfertigen.39 Insbesondere konnte das Vorwahlrecht der Kardinalbischöfe nicht beibehalten werden.40
IV. Die Papstwahlordnung von 1179 Ein weiterer Meilenstein in der Gesetzgebung zur Papstwahl stellt die Wahlordnung Alexanders III. (1159 – 1181) dar.41 Auch hier spielten unmittelbare Erfahrungen des Papstes bei der eigenen Wahl eine entscheidende Rolle.42 Zunächst hatten sich die Kardinäle darauf geeinigt, nur eine einhellige Wahl gelten zu lassen. Doch es bewarben sich drei Kandidaten, von denen einer seine Bewerbung zurückzog. Es verblieben Orlando Bandinelli – so der bürgerliche Name Alexanders III. –, Kardinalpriester und Kanzler der römischen Kirche, und Octavian, ebenfalls Kardinalpriester, aber auch Kandidat der kaiserlichen Partei. Bandinelli erhielt die Mehrheit der Stimmen und betrachtete sich als rechtmäßig gewählten Papst. Ebenso hielt sich aber auch Octavian für rechtmäßig gewählt. Da er sich nicht auf die zahlenmäßige Mehrheit berufen konnte, behauptete er, er sei von der melior et sanior pars, dem
die bloß von der durch die neue Papstwahlordnung nicht tangierten schuldigen Ehre, honor et reverentia gegenüber König Heinrich IV. sprach, diese Rechte aber als Konzession des Papstes hinstellte und ihren Übergang auf Heinrichs Nachfolger von einer persönlichen Verleihung durch den Papst aufgrund entsprechender Bitten abhängig machte.“ Zimmermann, Mittelalter (Anm. 28), S. 208; Vgl. auch Zschosch, Christenheit (Anm. 27), S. 22. 36 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 107. 37 Vgl. Jasper, Papstwahldekret (Anm. 22), S. 108 f. 38 Goez, Papstwahl (Anm. 6), Sp. 601. Vgl. auch Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 86. 39 Vgl. Kelly, Lexikon (Anm. 7); Goez, Papstwahl (Anm. 6), Sp. 601; Zschoch, Christenheit (Anm. 27), S. 21. „Diese ungewöhnliche, außerhalb Roms vollzogene Papsterhebung nachträglich zu legalisieren und dem römischen Adel endgültig jede rechtliche Einflußnahme auf die Papstwahl zu rauben, war der Zweck des vermutlich unter maßgeblicher Anteilnahme Humberts von Silva Candida redigierten Papstwahldekrets von 1059.“ Zimmermann, Mittelalter (Anm. 28), S. 209. 40 Vgl. Zimmermann, Mittelalter (Anm. 28), S. 208 f. 41 Vgl. Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 193. 42 Vgl. Schwaiger, Papstwahl (Anm. 3), Sp. 1692.
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besseren und gesünderen, gewichtigeren Teil des Wahlgremiums gewählt worden.43 Er nannte sich Victor IV. (1159 – 1164). Gerade die traditionelle Wahlordnung, bei der die Stimmen nicht nur gezählt, sondern auch gewogen wurden, stellte sich bei Papstwahlen als besonderes Problem heraus. Sie bot einerseits dem unterlegenen Kandidaten immer die Gelegenheit, sich auf die entscheidende sanior pars zu berufen, und bedurfte andererseits immer einer Autorität außerhalb der Wählerschaft, die letztlich über die maior et sanior pars bei Uneinigkeit des Wahlgremiums zu entscheiden hatte.44 Es galt also, die Gefahr von Doppelwahlen möglichst auszuschalten. Dies geschah schließlich auf dem 3. Laterankonzil 1179, auf dem die Papstwahl durch Alexander III. in der Dekretale Licet de vitanda45 eine grundlegende Regelung erfuhr. Das aktive Wahlrecht wird darin allgemein den Kardinälen (cardinales) zugesprochen und zugleich exklusiv auf diese beschränkt.46 Auf den übrigen Klerus und das Volk wird kein Bezug mehr genommen. Der Kandidat muss mit einer Zweidrittelmehrheit47 – bei gleicher Gewichtung aller Stimmen – gewählt werden.48 Für die anderen Wahlen in der Kirche wird das Prinzip der maior et sanior pars jedoch ausdrücklich als verpflichtend beibehalten. Die Sonderbestimmung der Papstwahl wird damit begründet, dass es bei diesem Amt keine höhere Entscheidungsinstanz gibt.49 43 Vgl. im Einzelnen Fuhrmann, Einladung (Anm. 1), S. 142; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), 35; Goez, Papstwahl (Anm. 6), Sp. 602; Werner Maleczek, Die Kardinäle von 1143 bis 1216. Exklusive Papstwähler und erste Agenten der päpstlichen plenitudo potestatis, in: Jürgen Dendorfer/Ralf Lützelschwab (Hrsg.), Geschichte des Kardinalats im Mittelalter (= Päpste und Papsttum 39), Stuttgart 2011, S. 95 – 154, hier S. 115 f. 44 Siehe dazu Hans-Jürgen Becker, Art. Mehrheitsprinzip, in: HRG III, Sp. 431 – 438, hier Sp. 432 f. 45 Abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 66 f., mit deutscher Übersetzung bei Josef Wohlmuth (Hrsg.), Dekrete der ökumenischen Konzilien. Bd. 2. Konzilien des Mittelalters, Paderborn u. a. 2000, S. 211. 46 Vgl. Bernhard Schimmelpfennig, Papst- und Bischofswahlen seit dem 12. Jahrhundert, in: Reinhard Schneider/Harald Zimmermann (Hrsg.), Wahlen und Wählen im Mittelalter (= Vorträge und Forschungen 37), Sigmaringen 1990, S. 173 – 195, hier S. 179. Außer bei der Wahl von Martin V. 1417, bei der auch Vertreter der am Konzil von Konstanz teilnehmenden Konzilsnationen mitwirkten, wurde diese Exklusivität des Kardinalskollegiums bis heute durchgehalten. Vgl. ebd. Siehe auch Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 86. 47 „… die weitere Herkunft dieses Prinzips ist noch ungeklärt; mehr als Vermutungen lassen sich … nicht anstellen.“ Harry Dondrop, Die Zweidrittelmehrheit als Konstitutivum der Papstwahl in der Lehre der Kanonisten des dreizehnten Jahrhunderts, in: AfkKR 101 (1992), S. 396 – 425, hier S. 397. 48 „Das Gebot der Zweidrittelmehrheit bewährte sich. Während die nächsten 120 Jahre vom Papstwahlgesetz von 1059 bis zum Konzil von 1179 ein rundes Dutzend Gegenpäpste sahen, kamen Doppelwahlen in den nächsten zwei Jahrhunderten kaum vor. Erst bei der großen abendländischen Kirchenspaltung nach 1378 traten wieder – aus mancherlei Gründen – mehrere Päpste gegeneinander auf.“ Fuhrmann, Päpste (Anm. 2), S. 64. Siehe dazu auch Maleczek, Kardinäle (Anm. 43), S. 111. 49 „Die sanior pars, oft auch mit den Worten maior et sanior pars wiedergegeben, verschloss sich einer zweifelsfreien Interpretation und war bei kirchlichen Wahlen nur deshalb
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Sollte der Unterlegene sich dennoch die Papstwürde anmaßen, so verfällt er mit seinen Parteigängern der Exkommunikation und geht aller Weihegrade verlustig. Die gleiche Strafe trifft den, der zwar die Mehrheit, aber nicht die Zweidrittelmehrheit erhalten hat, und nicht demütig zurücktreten will. Irgendwelche Mitwirkungsrechte des Königs werden nicht mehr erwähnt. Noch offen gelassen wurde die Art der Abstimmung, geheim oder offen etc. (siehe dazu unten). Ebenso war auch die Größe des Wahlgremiums noch nicht geregelt. Eine verbindliche Regelung derselben findet sich später bei Sixtus V. (1585 – 1590) in seiner Konstitution Postquam verus vom 3. 12. 1586, in der er die Zahl der Kardinäle auf 70 beschränkte: 6 Bischöfe, 50 Priester und 14 Diakone.50 Jede Ernennung über die Zahl 70 hinaus sollte nichtig sein.51 Die Beschränkung auf die Zahl 70 fand sich auch noch in c. 231 § 1 CIC/1917.
V. Die Einführung der Konklaveordnung Ein weiteres Problem stellten die langen Vakanzen dar, die oft durch die Uneinigkeit der Wählerschaft verursacht waren, da diese zu langen Entscheidungsphasen führte. Die Sedisvakanz nach dem Tode Papst Clemens’ IV. (1265 – 1268), die mit der Wahl Gregors X. (1271 – 1276) endete, dauerte von 29.11. 1268 bis 1. 9. 1271, also 2 Jahre und neun Monate. Die Kardinäle trafen sich in Viterbo. Nach einem Jahr ohne Entscheidung beschlossen der Rat und die Bürgerschaft, den Wahlort abzuschließen und die Türen zu vermauern. Schließlich wurde das Dach abgedeckt und die Kardinäle auf Wasser und Brot gesetzt. Doch die Kardinäle erzwangen die Aufhebung der Maßnahmen. Die Kardinäle benötigten danach noch über ein Jahr, bis sie sich auf einen Kompromisskandidaten, Teobaldo Visconti, Archidiakon von Lüttich, der sich zur Zeit seiner Wahl im Heiligen Land befand, einigen konnten.52 Gregor X. ließ daher auf dem 2. Konzil von Lyon 1274 das Konklave mit Ubi periculum53 gegen den Widerstand vieler Kardinäle verbindlich regeln,54 wohl auch um die Unberepraktikabel, weil es bei Streitigkeiten immer einen hierarchischen Höheren gab, der eine Entscheidung fällen konnte, außer eben bei einer Papstwahl.“ Maleczek, Kardinäle (Anm. 43), S. 116. Vgl. auch Dondorp, Zweidrittelmehrheit (Anm. 47), S. 398 u. 405. 50 Vgl. Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 289; Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 115. 51 Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 61. 52 Vgl. Fuhrmann, Päpste (Anm. 2), S. 68; Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 85; Ludwig Vones, Art. Gregor X., in: Steimer, Lexikon (Anm. 2), Sp. 121 – 123, hier Sp. 121. 53 Die Konklaveordnung wurde von Papst Bonifaz VIII. bestätigt und in seine Dekretalensammlung aufgenommen: VI. 1, 6, 3. Die Dekretale findet sich weiters bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 67 – 70, mit deutscher Übersetzung bei Wohlmuth, Dekrete (Anm. 22), S. 314 – 318. 54 Vgl. Schimmelpfennig, Papstwahlen (Anm. 46), S. 179; Andreas Fischer, Die Kardinäle von 1216 bis 1304: zwischen eigenständigem Handeln und päpstlicher Autorität, in: Dendorfer/Lützelschwab, Geschichte (Anm. 43), S. 155 – 224, hier S. 176 f.
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chenbarkeit der bisherigen ad hoc angeordneten Konklaven zu vermeiden.55 Die Erlasse der Vorgänger, insbesondere die Bestimmungen Alexanders III., sollen ausdrücklich in Kraft bleiben. Ubi periculum versteht sich also primär als erforderliche Ergänzung zum bisherigen Recht. Um die Wahl nicht allzu sehr hinauszuzögern, sollen die beim Tode des Papstes anwesenden Kardinäle nur (tantummodo) 10 Tage auf ihre abwesenden Kollegen warten. Das sollte einerseits den abwesenden Kardinälen die Möglichkeit geben, rechtzeitig zu Wahlbeginn einzutreffen, andererseits aber ein allzu langes Hinauszögern aus taktischen Gründen verhindern.56 Nach Ablauf der Frist sollen sich die anwesenden Kardinäle in einen Raum des Papstpalastes zurückziehen, wobei ihnen in der Regel nur die Begleitung eines Dieners erlaubt ist. Der Raum darf keine Unterteilungen aufweisen und ist so zu verschließen, dass niemand zu den Kardinälen Zugang hat, aber auch die Kardinäle den Raum nicht verlassen können. Desgleichen darf sonst niemand einen Zugang zu den Kardinälen haben oder sich mit ihnen heimlich unterhalten. Den Kardinälen selbst wird verboten, jemanden zu sich kommen zu lassen, außer jenen, die ausschließlich aus Gründen der Wahl mit Zustimmung aller Kardinäle herbeigerufen werden sollen. Ebenso wird jeder Kontakt per Boten oder Brief untersagt. Wer gegen diese Vorschriften verstößt, verfällt der Tatstrafe der Exkommunikation. Nach außen hin darf es nur ein Fenster geben, durch das die Kardinäle mit dem Lebensnotwendigen versorgt werden können, das aber keinen Zugang zum Konklave gewährt. Verstreichen die drei ersten Wahltage erfolglos, wird die Nahrung auf einen Gang pro Mahlzeit reduziert. Wenn nach weiteren fünf Tagen noch immer kein Ergebnis vorliegt, bekommen die Kardinäle nur mehr Wein, Wasser und Brot, und zwar solange, bis sie sich auf einen Kandidaten geeinigt haben. Weiters erhalten die Kardinäle während der Zeit des Konklaves keine kirchlichen Einkünfte. Die Kardinäle werden eindringlich ermahnt, sich voll auf die Wahl zu konzentrieren. Alle eventuellen Wahlabsprachen und eingegangenen Verpflichtungen hinsichtlich der Wahl werden im Voraus für nichtig erklärt. Wer nicht gemäß den Bestimmungen das Konklave betritt oder ohne triftigen Grund verlässt, darf nicht mehr zugelassen und die Wahl kann ohne ihn fortgesetzt werden. Desgleichen kann mit der Wahl fortgesetzt werden, wenn ein Kardinal aus Krankheitsgründen das Konklave verlässt. Der Genesene ist aber wieder zur Wahl zuzulassen, ebenso Kardinäle, die erst nach der 10-Tagesfrist eintreffen.
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Die Form der damaligen italienischen Kommunalwahlen dürfte für die Konklaveordnung Vorbild gewesen sein. Vgl. Plöchl, Papstwahl (Anm. 18), Sp. 61. 56 Vgl. Alberto Melloni, Das Konklave. Die Papstwahl in Geschichte und Gegenwart, Freiburg 2002, S. 44 f.
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Die Obrigkeit der Stadt, in der die Wahl stattfindet, wird unter einem öffentlich abzulegenden Eid mit der Überwachung der Einhaltung des Konklaves beauftragt.57 Wird dieser Aufgabe nicht mit Sorgfalt nachgekommen oder sollte dabei Betrug im Spiele sein, hat dies den Verlust eines jeglichen Privilegs, die von selbst eintretende Exkommunikation und den dauerhaften Ehrverlust zur Folge. Der Zugang zu Würden und öffentlichen Ämtern ist für immer versperrt. Kirchliche Lehen oder Güter gehen verloren. Die Stadt selbst wird mit dem Interdikt belegt und geht der bischöflichen Würde verlustig. Das Schwergewicht der Normen geht deutlich in die Richtung, das Verhalten der Kardinäle zu Gunsten einer raschen und möglichst unbeeinflussten Wahlentscheidung zu disziplinieren.58 Die Wahl des unmittelbaren Nachfolgers Gregors X., Innozenz’ V. (1276), erfolgte bereits am ersten Tag. Innozenz’ V. Nachfolger, Hadrian V. (1276), wurde am siebten Tag des Konklaves gewählt, wobei Karl von Anjou rigoros auf die Einhaltung der Konklaveordnung achtete.59 So erhielten die Kardinäle eine erste Kostprobe derselben. Offensichtlich empfanden die Kardinäle die Ordnung für zu hart. Sie erreichten zunächst von Papst Hadrian V. mündlich die Aufhebung der Konklaveordnung, von dessen Nachfolger, Papst Johannes XXI. (1276 – 1277), dann die schriftliche Bestätigung der Aufhebung.60 1294 wurde die Konklaveordnung von Papst Cölestin V. (1294), der selber erst nach zweijähriger Vakanz gewählt wurde, jedoch wieder eingeführt, allerdings weniger aus eigenem Antrieb, sondern auf Anraten König Karls II. von Anjou.61 Mit In nomine domini (1059), Licet de vitanda (1179) und Ubi periculum (1274) stand das Grundgerüst der Papstwahl fest.62 Spätere Bestimmungen bedeuteten in der Regel nur mehr Modifikationen, Anpassungen und Ergänzungen, wie auch an den weiteren Bestimmungen zum Konklave zu erkennen ist. Papst Clemens V. (1305 – 1314), dessen Konklave 11 Monate dauerte und der der erste Papst in Avignon war,63 hielt in der Dekretale Ne Romani64 fest, dass die Kardinäle während der Sedisvakanz des päpstlichen Stuhls die Konstitution Gregors X. weder ändern noch aufheben noch sich davon dispensieren dürfen. Als Wahlort soll entweder der Todesort des Papstes gelten, falls er jedoch nicht am Ort der residierenden Kurie stirbt, dann der Ort der residierenden Kurie. Wird das Konklave von den 57
„Das Mitwirken der staatlichen Behörden besteht nur darin, den von den Konstitutionen vorgesehenen Druck auf die Kardinäle zu verstärken.“ Melloni, Konklave (Anm. 56), S. 45. 58 Vgl. Melloni, Konklave (Anm. 56), S. 45. 59 Vgl. Peter Herde, Die Entwicklung der Papstwahl im dreizehnten Jahrhundert. Praxis und kanonistische Grundlagen, in: ÖAKR 32 (1981), S. 11 – 41, hier S. 23. 60 Vgl. Peter Herde, Art. Hadrian V., in: Steimer, Lexikon (Anm. 2), Sp. 139 f., hier Sp. 139; Schimmelpfennig, Papstwahlen (Anm. 46), S. 179. 61 Vgl. Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 89. 62 Vgl. Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 87. 63 Vgl. Fischer-Wollpert, Lexikon (Anm. 6), S. 91. 64 Siehe Clem. 1, 3, 2; Ebers, Papst (Anm. 22), S. 70 f.
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Kardinälen unrechtmäßig aufgelöst, soll die mit der Aufsicht beauftragte Autorität für die Wiederaufnahme sorgen. Ne Romani bestimmt darüber hinaus, dass mit einer Kirchenstrafe belegte Kardinäle am Konklave teilnehmen dürfen. Eine kleine Abmilderung erfuhr das Konklave durch Clemens VI. (1342 – 1352), der mit Licet in constitutione65 (1351) den Kardinälen zwei Diener zugestand (§ 2), eine Parzellierung des Konklaveraums mittels Vorhängen in Einzelzellen zuließ (§ 4) und reichlichere Speisen genehmigte (§ 3).66 Pius IV. (1559 – 1565) ordnete durch In eligendis67 vom 9. 10. 1562 an, dass die Zellen durch Los zugeteilt werden sollen (§ 13). Drüber hinaus erlaubte er kranken Kardinälen einen dritten Diener, allerdings unter der Voraussetzung, dass der größere Teil des Kollegiums zustimmt (§ 16). Diese Bestimmung findet sich auch noch in der Papstwahlordnung Pius’ XII. (1939 – 1958) Vacantis Apostolicae Sedis vom 8. 12. 1945 (Nr. 43).68
VI. Nichtigkeit simonistischer Wahlen Papst Julius II. (1503 – 1513) verurteilte mit Cum tam divino69 simonistisch zu Stande gekommene Wahlen. Sie gelten als nichtig und durch keinen weiteren Akt sanierbar. Ein so gewählter oder angenommener Papst erhält keine Vollmacht, selbst wenn er mit Zweidrittelmehrheit oder gar einstimmig gewählt werden sollte. Er verliert eo ipso seine Kardinalswürde und jede andere Ehrenstelle, desgleichen seine Kirchen, Benefizien und Kirchenrenten. Jeder Kardinal, selbst die simonistischen Wähler, können einem solchen Papst jederzeit ungestraft den Gehorsam aufkündigen. Auch alle anderen Untergebenen sind von jeder Verpflichtung ihm gegenüber entbunden. Gleiches widerfährt den simonistischen Wählern, es sei denn, sie trennen sich völlig und rechtskräftig von dem Gewählten.
VII. Die Festlegung der Wahlmodi Aufgrund der immer wieder vorkommenden starken Parteiungen im Wahlkollegium entwickelte sich neben dem Skrutinium die Wahl per compromissum, also mittels Wahlmänner.70 Als eine weitere Möglichkeit, die in Licet de vitanda geforderte 65
Text abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 71 – 73. Vgl. auch Schimmelpfennig, Papstwahlen (Anm. 46), S. 179; Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 43. 67 Die Konstitution findet sich abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 87 – 95. 68 Vgl. AAS 38 (1946), S. 65 – 99, hier S. 78. 69 Text abgedruckt bei Wohlmuth, Dekrete (Anm. 22), S. 600 – 602; Ebers, Papst (Anm. 22), S. 82 – 85. 70 „Auffällig oft fanden die Kardinäle erst im Rahmen einer sogenannten Kompromisswahl, bei der ein Gremium von kardinalizischen Wahlmännern stellvertretend für die übrigen Mitglieder des Kollegiums den neuen Papst bestimmte, zu einem gemeinsamen Votum. Das 66
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Zweidrittelmehrheit leichter zu erreichen, bildete sich der Akzess heraus. Bei dieser Wahlform war es möglich, nach Auszählung der Stimmen dem Mehrheitskandidaten in einem zweiten Schritt die vorher einem anderen Kandidaten gegebene Stimme zu übertragen, damit jener die nötige Zweidrittelmehrheit erreichen konnte.71 Auf diese Weise wurden z. B. im 15. Jahrhundert vier Päpste hintereinander gewählt: Calixtus III. (1455 – 1458), Pius II. (1458 – 1464), Paul II. (1464 – 1471) und Sixtus IV. (1471 – 1484).72 Gemäß In eligendis durfte der Akzess bereits beim ersten Wahlgang angewandt werden (§ 3).73 Gregor XV. (1621 – 1623) legte 1621 in seinem Schreiben Aeterni Patris74 abschließend die Wahlmodi zur Erreichung der Zweidrittelmehrheit der im Konklave anwesenden Kardinäle fest, wobei Selbstwahl untersagt wird: a) die geheime Wahl durch Skrutinium mittels Stimmzettel (schedulae) inklusive der Möglichkeit des Akzesses, ebenfalls per Stimmzettel, b) die Kompromisswahl, rückgebunden allerdings an die Zustimmung aller im Konklave anwesenden Kardinäle, und c) durch spontane, ohne vorausgehende Diskussion erfolgende geschlossene Zustimmung aller Kardinäle zu einem Kandidaten (quasi per inspirationem) (§§ 2 u. 19). Sollte der Gewählte genau die Zweidrittelmehrheit erreichen, so waren die Stimmen zu überprüfen, um eine Selbstwahl auszuschließen (§ 3). Der Akzess wurde schließlich von Papst Pius X. (1903 – 1914) mit der Konstitution Vacante Sede Apostolica75 (= VSA) vom 25. 12. 1904 wegen der bei der Überprüfung, Öffnung und Einsammlung der Stimmzettel verbundenen Schwierigkeiten abgeschafft (VSA, Nr. 76). Bezüglich der Wahl quasi per inspirationem wird ausdrücklich betont, dass diese nur im Konklave stattfinden kann (VSA, Nr. 55). Hinsichtlich der Kompromisswahl wird festgehalten, dass die Kompromissare drei, fünf oder sieben sein müssen, nicht mehr und nicht weniger, sowie dass die Kompromisswahl nach der von den Kardinälen festgelegten Weise zu geschehen habe (VSA, Nr. 56). Die Wahl per scrutinium wird gegenüber den anderen beiden Formen als die ordentliche bezeichnet (VSA, Nr. 57).
Procedere schloss rivalisierende Kardinäle von der eigentlichen Entscheidung zugunsten eines Kandidaten aus und ermöglichte so eine schnellere Einigung. Wo dies nicht gelang, waren lange Vakanzen die Folge.“ Fischer, Kardinäle (Anm. 54), S. 176. 71 Vgl. Dondorp, Zweidrittelmehrheit (Anm. 47), S. 414; Plöchl, Papstwahl (Anm. 18), Sp. 61; Fürst, Papstwahl (Anm. 6), Sp. 1491; Melloni, Konklave (Anm. 56), S. 55. 72 Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 49 f. 73 Bei Ebers, Papst (Anm. 22), 88. Vgl. auch Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 58. 74 Abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 95 – 104. 75 Abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 117 – 151.
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VIII. Die Wahlkapitulationen Beim Konklave von Innozenz VI. (1352 – 1362) lässt sich erstmals eine Wahlkapitulation nachweisen,76 mit der sich die Kardinäle vom zukünftigen Papst bestimmte Rechte und ihr Einkommen sichern wollten.77 Doch Innozenz VI. sah sich mit Berufung auf die Konstitutionen Gregors X. und Clemens’ V. nach seiner Wahl nicht an sie gebunden,78 ein Schicksal, das noch vielen Wahlkapitulationen widerfuhr. „Bis ins 18. Jahrhundert sind etwa 30 solcher Vereinbarungen nachweisbar …“79 Sie wurden schließlich von Papst Innozenz XII. (1691 – 1700) mit Romanum decet Pontificem (22. 6. 1692) untersagt.80
IX. Exkurs: Das ius exclusivae Das von katholischen Herrschern, insbesondere der von Spanien, Frankreich und dem Wiener Hof,81 beanspruchte Ausschließungsrecht (ius exclusivae) missliebiger Kandidaten wurde von Seiten der Kirche nie rechtlich anerkannt, allerdings bei diversen Wahlen faktisch praktiziert, zuletzt im Konklave von 1903 (von Kardinal Jan Puzyna de Kosielsko im Auftrag von Kaiser Franz Joseph I. gegen Kardinal Rampolla),82 obwohl die Kardinäle beinahe in allen Wahlordnungen der Papstwahlgeschichte angehalten werden, sich bei der Wahl von derartigen Begehren nicht beeinflussen zu lassen. Bei diesem Ausschließungsrecht erfolgte durch staatlicherseits beauftragte Kardinäle (Kronkardinäle) im Konklave ein Veto gegenüber einem dem Herrscher nicht genehmen Kandidaten. Die Einflussnahme über das vermeintliche ius exclusivae wurde schließlich von Papst Pius X. (1903 – 1914) durch die Ap. Konst. Commissum Nobis83 vom 20. 1. 1904 ganz und gar verworfen und den Kardi76
Vgl. Plöchl, Papstwahl (Anm. 18), Sp. 61. „Die Kardinäle gelobten gegenseitig u. a. der künftige Papst darf nicht mehr Kardinäle ernennen als daß es zwanzig sind, und zwar nur mit Zustimmung des Kollegiums; er darf Bestrafungen der Kardinäle nur vornehmen mit Zustimmung der übrigen, die mit Einstimmigkeit oder wenigstens Zweidrittelmehrheit erfolgen muß; er darf ohne gleiche Zustimmung Güter der römischen Kirche nicht verpfänden, veräußern oder belasten, keinen Beamten in Rom und dem Kirchenstaate anstellen, den Fürsten keine Zehnten oder andere Unterstützungen bewilligen; von allen Einkünften der römischen Kirche erhalten die Kardinäle die Hälfte.“ Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 44. Siehe dazu auch Étienne Anheim/Blake Beattie/Ralf Lützelschwab, Die Kardinäle des avignonesischen Papsttums (1305 – 1378). Kreaturen des Papstes, Sachwalter partikularer Interessen und Mäzene, in: Dendorfer/Lützelschwab, Geschichte (Anm. 43), S. 225 – 301, hier S. 279 – 281. 78 Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 44; Kelly, Lexikon (Anm. 7), S. 239. 79 Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 87. 80 Vgl. Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 72. 81 Siehe entsprechende Belege bei Wurm, Papstwahl (Anm. 4), S. 67 – 74. 82 Vgl. Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 87. 83 Abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 151 – 153. 77
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nälen und Konklavisten unter Androhung der dem zukünftigen Papst speciali modo84 vorbehaltenen Tatstrafe der Exkommunikation untersagt, ein entsprechendes Veto einer zivilen Macht im Konklave zu äußern.85 Damit wurde das ius exclusivae endgültig abgeschafft.
X. Bestimmungen der Papstwahl in der jüngeren Vergangenheit Im 20. Jahrhundert erließen gleich vier Päpste umfassende Regelungen zur Papstwahl: Pius X. (1903 – 1914) die Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica86 vom 25. 12. 1904, Pius XII. die Ap. Konst. Vacantis Apostolicae Sedis87 (= VAS) vom 8. 12. 1945, Paul VI. (1963 – 1978) das MP Romano Pontifici eligendo88 (= RPE) vom 1. 10. 1975 und schließlich Johannes Paul II. (1978 – 2005) die Ap. Konst. Universi Dominci gregis89 (= UDG) vom 22. 2. 1996. Es ist jedoch anzumerken, dass stets vieles von den Vorgängerordnungen bis in den Wortlaut hinein übernommen worden ist, was ein synoptischer Vergleich sofort erkennen lässt. Der Sinn der umfassenden Ordnungen, die ihre Vorgängerordnungen außer Kraft setzten, liegt in erster Linie in der Rechtssicherheit, die dadurch geschaffen wird. Daneben gab es noch kleinere Änderung: das MP Cum proxime90 (= CP) vom 1. 3. 1922 von Pius X., das MP Summi Pontificis electio91 (= SPE) von Johannes XXIII. (1958 – 1963), das MP Ingravescentem aetatem92 (= IA) vom 25. 11. 1970 von Paul VI. und schließlich das MP De aliquibus mutationibus in normis de electione Romani Pontificis93 vom 11. 6. 2007 von Benedikt XVI. (2005 – 2013), das allerdings durch das MP Normas nonnullas vom 22. 2. 201394 desselben Papstes ersetzt wurde. Diese Häufung von Gesetzgebungsakten hinsichtlich der Papstwahl lässt klar erkennen, dass die Wahl des Nachfolgers auf den Stuhl Petri den Päpsten nicht nur ein großes Anliegen war, sondern immer noch ist.
84 Ein Vorbehalt speciali modo bedeutete, dass für die Lossprechung eine allgemeine Vollmacht nicht genügte, sondern eben eine speciali modo verliehene Vollmacht erforderlich war. 85 Vgl. Ebers, Papst (Anm. 22), S. 152 f. 86 Abgedruckt bei Ebers, Papst (Anm. 22), S. 117 – 151. 87 AAS 38 (1946), S. 65 – 99. 88 AAS 67 (1975), S. 609 – 645. 89 AAS 88 (1996), S. 305 – 343. 90 AAS 14 (1922), S. 145 f. 91 AAS 54 (1962), S. 632 – 640. 92 AAS 62 (1970), S. 810 – 813. 93 L’Osservatore Romano, Jg. 147, Nr. 144 vom 27. 6. 2007, S. 1. 94 L’Osservatore Romano, Jg. 153, Nr. 47 vom 25. – 26. 6. 2013, S. 7.
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1. Das Konklave betreffende Bestimmungen Papst Pius X. verlängerte mit Cum proxime die Frist von 10 Tagen ab dem Tod des Papstes bis zum Beginn des Konklaves auf 15 und räumte den Kardinälen die Kompetenz ein, diese Frist um weitere zwei bis drei Tage zu verlängern (CP, Nr. I). Papst Paul VI. übernahm die Frist von 15 Tagen in sein MP Romano Pontifici eligendo und überließ es darüber hinaus dem Ermessen der Kardinäle, diese Frist bis auf 20 Tage zu erweitern (RPE, Nr. 37), was wiederum von Johannes Paul II. bestätigt wurde (UDG, Nr. 37 u. 49). Benedikt XVI. eröffnete mit Normas nonnullas die Möglichkeit, die Zeit von 15 Tagen zu verkürzen, für den Fall, dass bereits alle wahlberechtigten Kardinäle eingetroffen sind – eine bei den heutigen Verkehrsmöglichkeiten durchaus angebrachte Modifikation, um die Zeit der Sedisvakanz verkürzen zu können. Bezüglich der zwei erlaubten Diener im Konklave nahm Pius X. eine Einschränkung vor, insofern unter diesen nur mehr ein Laie sein durfte (CP, Nr. II). Johannes XXIII. erlaubte grundsätzlich nur mehr einen Diener. Die Zulassung eines zweiten war vom Camerlengo zu erbitten (SPE, Nr. VIII). Die Einschränkung bezüglich der Laien war wieder weggefallen. Die Erlaubnis der Zulassung eines dritten Dieners für kranke oder schwer angegriffene Kardinäle wurde dem Camerlengo zusammen mit den Häuptern der drei Kardinalklassen übertragen. Mit der Papstwahlordnung Pauls VI. wurde die Mitnahme von Dienern prinzipiell verboten und nur mehr ausnahmsweise aus schwerwiegendem Grund zu gestatten erlaubt (RPE, Nr. 45). Ein entsprechendes Ansuchen, in dem die Gründe für das Begehren darzulegen waren, war an den Camerlengo zu richten, der das Gesuch an eine ad hoc eingerichtete Kardinalskommission zur Entscheidung übertrug. Gemäß Universi Dominci gregis entscheidet derzeit darüber die Kardinalskongregation (UDG, Nr. 42). Die Unterbringung der Kardinäle erfolgt nicht mehr in abgetrennten Zellen, sondern in der Domus Sanctae Marthae (UDG, Nr. 42). Eine einschneidende Bestimmung erfolgte unter Paul VI. durch das MP Ingravescentem aetatem, gemäß welchem all jene Kardinäle, die vor Beginn des Konklaves das 80. Lebensjahr vollendet haben, das Recht der Papstwahl und der Teilnahme am Konklave verloren (IA, Nr. II 2).95 Diese Bestimmung wurde in Romano Pontifici eligendo bestätigt (RPE, Nr. 33).96 Johannes Paul II. präzisierte diese Regelung dahingehend, dass er den Zeitpunkt zur Festlegung der Altersgrenze auf ein fixes Datum legte, nämlich den Tag vor dem Todestag des Papstes (UDG 7). Das erzeugte gegenüber dem variablen Beginn des Konklaves innerhalb der maximalen 20-Tage95 „Damit griff er [Paul VI.] in einer Weise in das Wahlrecht der Kardinäle ein, die einen Bruch mit der Vergangenheit darstellte.“ Georg May, Mehrheitsverhältnisse bei Papstwahlen, in: Winfried Aymans/Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Iudicare inter fideles. Festschrift für Karl-Theodor Geringer zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 2002, S. 273 – 285, hier S. 278. 96 Den 80-jährigen Kardinälen wurde es jedoch frei gestellt, an den Generalkongregationen vor dem Konklave teilzunehmen (RPE, Nr. 7).
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frist mehr Rechtssicherheit.97 Die Zahl der teilnahmeberechtigten Kardinäle erhöhte Paul VI. von den traditionellen 70 auf 120 (RPE, Nr. 33); dies fand von Johannes Paul II. eine Bestätigung (UDG, Nr. 33).98 2. Das Quorum und die Wahlmodi betreffende Bestimmungen Papst Pius XII. behielt in Vacantis Apostolicae Sedis die drei genannten Wahlmodi bei (VAS, Nr. 66, 67 u. 68). Er nahm allerdings hinsichtlich der Zweidrittelmehrheit eine kleine, aber nicht unbedeutende Änderung vor, indem er nun von vornherein eine zusätzliche Stimme forderte, also Zweidrittel plus eins, um das Problem der Selbstwahl zu umgehen und so ipso iure eine gültige Wahl zu gewährleisten, weil auf diese Weise die von der Tradition geforderten zwei Drittel der Stimmen zur Gültigkeit unter Ausschluss der Selbstwahl auf jeden Fall gegeben sind (VAS, Nr. 68).99 Diese Änderung wurde jedoch von Johannes XXIII. wieder zurückgenommen bzw. nicht unbedeutend modifiziert. Eine zusätzliche Stimme war jetzt nur mehr dann erforderlich, falls die Zahl der im Konklave anwesenden Kardinäle nicht durch drei teilbar war (SPE, Nr. XV). Damit wurde das Problem der Selbstwahl wieder virulent, die gemäß c. 170 CIC/1917 ungültig war.100 Auch Paul VI. behielt die drei traditionellen Wahlmodi bei, allerdings legte er hinsichtlich der Zahl der Kompromissare wenigstens 9 oder 15 fest (RPE, Nr. 64). Bezüglich des Quorums kehrte Paul VI. wieder zur Zweidrittelmehrheit plus einer Stimme zurück (RPE, Nr. 65). Nach 26 erfolglosen Wahlgängen wurde allerdings die Möglichkeit eröffnet, von diesem Quorum abzuweichen und den neuen Papst
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Vgl. Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 90. Darüber hinaus hätte die Regelung Pauls VI. die Möglichkeit geboten, durch Zuwarten bestimmte Kardinäle auszuschließen. Zumindest hätte diesbezüglich der Vorwurf der Wahlmanipulation entstehen können. Vgl. Josef Ammer, Neues im neuen Papstwahlgesetz „Universi Dominci Gregis“ – Ein Kurzkommentar, in: Folia Theologica 7 (1996), S. 219 – 233, hier S. 228. 98 „Diese Bestimmung der Papstwahlordnung wurde allerdings nach den Konsistorien von 1998, 2001 und 2003 jeweils derogiert, d. h. zeitweilig außer Kraft gesetzt, bis die Zahl von 120 wieder erreicht wurde.“ Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 91. 99 „Wenn ein Papst mit Zweidrittelmehrheit plus einer Stimme gewählt wird, hat er auch in dem Falle die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht, wenn er sich selbst die Stimme gegeben hat. Die Nachprüfung der Stimmzettel erübrigt sich. Dadurch wird die Selbstwahl nicht als zulässig, wohl aber als unschädlich angesichts der erreichten Zweidrittelmehrheit erklärt.“ May, Mehrheitsverhältnisse (Anm. 95), S. 276. 100 „Der Grund für diese Änderung der Papstwahlordnung Pius’ XII. lag im Dunkeln. Die Frage der Selbstwahl blieb ungeklärt; vielleicht sah man sie als durch c. 170 CIC/1917 entschieden an. Aber da dort die Stimme des Selbstwählers als ungültig bezeichnet wurde, erhob sich die Frage, was zu geschehen hatte, wenn die geringstmögliche Mehrheit vorlag. Welches Verfahren zur Ausschließung der Selbstwahl Anwendung finden sollte, wurde nicht gesagt.“ May, Mehrheitsverhältnisse (Anm. 95), S. 277.
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mit absoluter Mehrheit plus einer Zusatzstimme101 zu wählen (RPE, Nr. 76). Diese Vorgangsweise bedurfte allerdings der Zustimmung aller Kardinäle. Dies galt ebenso für die beiden anderen Alternativen, nämlich die Kompromisswahl und die Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die im letzten Wahlgang die meisten Stimmen erhielten. Johannes Paul II. schaffte schließlich mit Universi Dominci gregis sowohl die Wahlform per quasi inspirationem als auch die per compromissum ab (UDG, Nr. 62), was von Benedikt XVI. erneut in Normas nonnullas bestätigt wird. Hinsichtlich des Quorums kehrte Johannes Paul II. zur Regelung von Johannes XXIII. zurück, also mindestens Zweidrittelmehrheit, und wenn die Zahl der anwesenden Kardinäle nicht durch drei teilbar ist, eine zusätzliche Stimme (UDG, Nr. 62). Ähnlich wie Paul VI. sah auch Johannes Paul II. die Möglichkeit vor, bei wiederholtem Scheitern der Zweidrittelmehrheit – die zu absolvierenden Wahlgänge wurden um weitere sieben erhöht (UDG, Nr. 74) –102 den Papst mit absoluter Mehrheit oder durch Stichwahl, ebenfalls mit absoluter Mehrheit, zu wählen. Die Zusatzstimme von Paul VI. wird nicht mehr erwähnt (UDG, Nr. 75). Benedikt XVI. bestimmte in seinem MP De aliquibus mutationibus in normis de electione Romani Pontificis allerdings, dass nach den erfolglosen Versuchen, für einen Kandidaten die Zweidrittelmehrheit zu erreichen, nur mehr die zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen aus dem letzten Wahlgang passives Wahlrecht haben, zugleich verlieren diese aber das aktive Wahlrecht. Darüber hinaus gilt für die Stichwahl nun ebenfalls die Zweidrittelmehrheit. Damit hob Benedikt XVI. die viel kritisierte Möglichkeit, einen Papst mit einfacher Mehrheit zu wählen, auf.103 Die Nr. 75 lautet nun in der geltenden Fassung von Normas nonnullas: Si scrutinia de quibus in numeris septuagesimo secundo, tertio et quarto memoratae Constitutionis incassum reciderint, habeatur unus dies orationi, reflexioni et dialogo dicatus; in subsequentibus vero suffragationibus, servato ordine in numero septuagesimo quarto eiusdem Constitutionis statuto, vocem passivam habebunt tantummodo duo nomina104 quae in 101 „Die Zusatzstimme ist eine Sicherheitsstimme; sie soll verhüten, daß die absolute Mehrheit durch Selbstwahl zustande kommt.“ May, Mehrheitsverhältnisse (Anm. 95), S. 279 – 280. 102 Je nachdem, ob bereits am ersten Tag nach dem Einzug ins Konklave ein Wahlgang durchgeführt wird (UDG, Nr. 63), sind somit zunächst 33 bzw. 34 Wahlgänge zu absolvieren. Vgl. Graulich, Vakanz (Anm. 6), S. 93. 103 Benedikt XVI. selbst weist zu Beginn des Motu Proprios auf entsprechende Änderungsbitten an Papst Johannes Paul II. hin. Vgl. auch Stefan Schima, „De aliquibus mutationibus …“ Eine gravierende Änderung des Papstwahlrechts aus dem Jahre 2007, in: ÖARR 54 (2007), S. 291 – 205, hier S. 291. Es wurde insbesondere befürchtet, dass diese Möglichkeit im Zusammenhang mit der Stichwahl zu taktischen Manövern verleiten könnte, aber auch, dass der Papst durch gezielte Kardinalserhebungen seine Nachfolge steuern könnte. Vgl. May, Zweidrittelmehrheit (Anm. 95), S. 284 – 285; Schima, Mutationibus (Anm. 103), S. 291 – 194. 104 Es wird hier bewusst der Ausdruck nomina und nicht cardinales verwendet. Denn prinzipiell kann jeder getaufte katholische Mann zum Papst gewählt werden. Das passive Wahlrecht ist nicht auf die im Konklave versammelten Kardinäle beschränkt. Auch ist anzumerken, dass diejenigen Kardinäle, die wegen der Altersgrenze das aktive Wahlrecht verloren
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superiore scrutinio maiorem numerum suffragiorum obtinuerunt, nec recedatur a ratione ut etiam in his suffragationibus mimimum maioritas qualificata duarum ex tribus partium suffragiorum Cardinalium praesentium ad validitatem electionis requiratur. In his autem suffragationibus, duo nomina quae vocem passivam habent, voce activa carent.
Der Verlust des aktiven Wahlrechts der Stichwahlkandidaten schließt die in der kirchlichen Tradition als odios betrachtete Selbstwahl aus.
XI. Zusammenfassung Der Lauf durch die kirchliche Gesetzgebungsgeschichte zur Papstwahl, der hier natürlich nur kursorisch sein konnte, zeigt, dass den Päpsten eine geordnete Nachfolge auf den Stuhl Petri ein besonderes Anliegen war und bis heute ist. Unterschiedliche Erfahrungen – sehr oft im Zusammenhang mit der eigenen Wahl – gaben dazu den Anstoß. Die tragenden Säulen, Kardinalskollegium als exklusive Wählerschaft, Zweidrittelmehrheit des Quorums sowie die Wahl im Konklave, wurden bereits im Mittelalter grundgelegt. Die nachfolgende Gesetzgebung stellte in der Regel Verbesserungen und Nachschärfungen dar, um nachteilige Einflüsse und Gefährdungen von innen sowie von außen auf das Wahlgeschehen möglichst hintan zu halten. Selbst eine noch so gut durchdachte Wahlordnung kann ihr Ziel, der Kirche ein geeignetes Oberhaupt zu geben, jedoch nur dann wirklich erreichen, wenn sie von den wählenden Kardinälen auch in aller Ernsthaftigkeit befolgt wird.
haben, dennoch über das passive verfügen. Vgl. Bruno Primetshofer, Überlegungen zu Fragen des Papstwahlrechts, in: ThpQ 161 (2013), S. 297 – 302, hier S. 297.
Eligo in Summum Pontificem – Kontinuität im Wandel: Das Recht der Papstwahl speziell im 20. und 21. Jahrhundert Stefan Mückl Rechtshistorisch wie rechtssystematisch ist es ein erstaunlicher Befund, dass sich eine Verfassungsordnung erst zögernd, und dann in langsam tastenden Schritten der Regelungen annimmt, welche die Modalitäten der Berufung in ihr bedeutendstes Amt sein sollen. Eben dies ist die Situation im Recht der Papstwahl: Es dauert bis zum Beginn des zweiten Millenniums, ehe überhaupt eine allgemeine Ordnung der Papstwahl in Geltung gelangt. Das Papstwahldekret von Nikolaus II.1 beinhaltete indes keine umfassende Normierung der Materie, wie auch in den nachfolgenden Jahrhunderten nur jeweils einzelne, als – vielfach aufgrund konkreter Erfahrungen – regelungsbedürftig angesehene Aspekte rechtlich fixiert wurden. Aus dem dergestalt in nahezu einem Jahrtausend angesammelten Rechtsstoff formte dann Pius X. zu Beginn des 20. Jahrhunderts die erste kodifikatorische Papstwahlordnung der Geschichte.2 Auch wenn sie mittlerweile durch drei weitere Kodifikationen3 abgelöst worden ist, hat sie doch bleibende und nachwirkende Maßstäbe gesetzt – mit Recht ist ihr höchstes Lob zuteil geworden: „eines der schönsten Beispiele legislatorischer Meisterschaft, die die bleibenden, wertvollen Grundsätze des alten Rechts von veralteten, überlebten Elementen zu befreien vermochte, aus der Erfahrung Neues vorsichtig, aber klar einordnete und so die Normen lebendig erhielt.“4 Die großen Linien des geltenden Papstwahlrechts in ihren Zielsetzungen wie in ihrer Verankerung in der kanonistischen Tradition zu skizzieren, mag ein bescheide1 Abdruck bei Carl Mirbt/Kurt Aland, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, Band I, Tübingen 61967, Nr. 540, sowie in deutscher Übersetzung bei Alfred Läpple, Kirchengeschichte in Dokumenten, Düsseldorf 31969, S. 107 – 108. 2 Pius X., Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica vom 25. Dezember 1904, in: Pii X Pontificis Maximi Acta III (1908), S. 239 – 288. 3 Pius XII., Ap. Konst. Vacantis Apostolicae Sedis über die Vakanz des Apostolischen Stuhls und die Wahl des Papstes vom 8. Dezember 1945, in: AAS 38 (1946), S. 65 – 99; Paul VI., Ap. Konst. Romano Pontifici eligendo vom 1. Oktober 1975, in: AAS 67 (1975), S. 609 – 645; Johannes Paul II., Ap. Konst. Universi Dominici gregis über die Vakanz des Apostolischen Stuhls und die Wahl des Papstes vom 22. Februar 1996, in: AAS 88 (1996), S. 305 – 343. 4 Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 3, Wien/München 1959, S. 117.
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ner Beitrag zur Ehrung eines Gelehrten sein, dessen weitgespanntes Œeuvre sich auch Facetten zugewandt hat, die mit dem Recht der Papstwahl in unmittelbarem Zusammenhang stehen: Der Sedisvakanz als ihrer tatsächlichen Voraussetzung5 sowie dem Wahlmodus der Akklamation.6 In einem ersten Schritt sind dabei die Grundlegungen des Papstwahlrechts7 im 11.–13. Jahrhundert darzustellen (I.), welche dann in den nachfolgenden Jahrhunderten durch weitere Regelungen angereichert und verfeinert wurden (II.). Sodann kann der Blick auf die Kodifikationen des 20. Jahrhunderts gerichtet werden (III.). Endlich ist das gegenwärtig geltende Recht der Papstwahl zu betrachten, speziell unter dem Blickwinkel der mit der Regelung verbundenen Zielsetzungen (IV.).
I. Grundlegungen des Papstwahlrechts (11.–13. Jahrhundert) Hintergrund für den Erlass eines besonderen Papstwahlrechts ab Mitte des 11. Jahrhunderts bildete das Erstarken der innerkirchlichen Reformbewegung. Ausgehend von dem mit dem Namen Cluny verbundenen monastischen Erneuerungsmodell und theoretisch vorbereitet durch Streitschriften wie diejenigen des Petrus Daminanus verlangte der Ruf nach der libertas Ecclesiae8 erst die Minimierung, dann den gänzlichen Ausschluss weltlicher Einflussnahmen auf die Kirche im Allgemeinen und auf die Modalitäten ihrer Ämterbesetzung im Besonderen. Speziell die prima sedes, der römische Stuhl, sollte entgegen jahrhundertelanger Praxis nicht mehr länger Spielball der stadtrömischen Adelsfamilien oder Objekt imperialer Installation sein. Das von Papst Nikolaus II. auf der Ostersynode 1059 im Lateran erlassene Dekret In nomine Domini9 legte die Papstwahl – in deutlicher Antithese sowohl zu den zeit5
Helmuth Pree, Art. Sedisvakanz, in: RGG4, 2004, Sp. 1088. Helmuth Pree, Art. Akklamation, in: LKStKR I, 2000, S. 47. 7 Das Schrifttum zur Geschichte des Papstwahlrechts ist uferlos. Eine konzise Synthese von den Anfängen bis zur Kodifikation unter Pius X. liefert Johann Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, Freiburg 41925, S. 483 – 503; ferner hilfreich aus der älteren Literatur Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 2. Bd., Wien/München 21962, S. 87 – 93, sowie Bd. 3 (Anm. 4), S. 113 – 125, außerdem Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die Katholische Kirche, Köln/Graz 41964, S. 317 – 321, hier S. 575 – 576. – Aus neuerer Zeit Ambrogio Piazzoni, Storia delle elezioni pontificie, Bologna 2003; siehe ferner Alberto Melloni, Das Konklave. Die Papstwahl in Geschichte und Gegenwart, Freiburg 2002 (Original: Il conclave. Storia di una istituzione, Bologna 2001). 8 Klassische Darstellung: Gerd Tellenbach, Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreits, Stuttgart 1936 (Nachdruck Stuttgart 1996). 9 Nachw. siehe Anm. 1. Aus der umfangreichen Literatur monographisch Hans-Georg Krause, Das Papstwahldekret von 1059 und seine Rolle im Investiturstreit, Rom 1960; Detlev Jasper, Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt, Sigmaringen 1986; ferner Hans Erich Feine, Zum Papstwahldekret Nikolaus II., in: Études d’histoire du droit 6
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genössischen außerkirchlichen Einflussnahmen wie auch zum altkirchlichen Bestellungsmodus der Wahl durch Klerus und Volk – in die Hände eines Kollegiums, das bis dato primär liturgische Funktionen wahrgenommen hatte: in das der Kardinäle.10 Präziser formuliert, sah das Dekret (das sowohl die im Januar 1059 in Siena erfolgte Wahl des Papstes pro hac vice legalisierte wie es das dort praktizierte Verfahren pro futuro vorschrieb) die Wahl im eigentlichen Sinne durch die Kardinalbischöfe11 vor: sie sollten „in sorgfältigster Beratung miteinander verhandeln“ und erst „dann“ die Kardinalkleriker „hinzuziehen“. Klerus und Volk verblieb nur mehr, der „neuen Wahl bei(zu)treten“, letztlich: ihr zu akklamieren. Schon im nächsten zentralen Dokument war von derartigen – wenngleich in der Sache marginalen – Mitwirkungsakten keine Rede mehr: Das 1179 auf dem Dritten Laterankonzil von Papst Alexander III. erlassene Dekret Licet de vitanda12 handelte ausschließlich von der Wahl des Papstes durch die Kardinäle und verlangte dafür eine Mehrheit von (wenigstens) zwei Dritteln. Dieses Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit, bekräftigt durch das Dekret Quia frequenter von Papst Innozenz IV. (1245), galt den Kanonisten des Hochmittelalters als Konstitutivum schlechthin für die legitime Papstwahl.13 Hatte bereits Quia frequenter den „am Orte anwesenden Kardinälen“14 abverlangt, „die vom Recht festgesetzte Zeit“ auf die abwesenden zu warten (was sich nicht allein auf temporäre Abwesenheiten bezieht, sondern bereits die Existenz canonique dédiées à Gabriel Le Bras, t. 1, Paris 1965, S. 541 – 551. – Zur Rolle von Petrus Daminanus Friedrich Kempf, Pier Damiani und das Papstwahldekret von 1059, in: AHP 2 (1964), S. 73 – 89; zur Bedeutung des Vorbehalts zugunsten der säkularen Gewalt Wolfgang Stürner, „Salvo debito honori et reverentia“. Der Königsparagraph im Papstwahldekret von 1059, in: ZRG Kan. Abt. 54 (1968), S. 1 – 56. 10 Grundlegend Carl Gerold Fürst, Cardinalis. Prolegomena zu einer Rechtsgeschichte des römischen Kardinalskollegiums, München 1967; gute erste Orientierung bei Erwin Gatz, Art. Kardinal/Kardinalskollegium, in: TRE, Bd. 17, S. 628 – 635. 11 Die Gleichstellung der Kardinalpriester mit den Kardinalbischöfen erfolgte erst später im Kontext des durch Kaiser Heinrich IV. provozierten Schismas gegen Papst Gregor VII. Im Kreis der schismatischen Kardinäle entstand eine gefälschte Version des Dekrets von 1059, in der die Hervorhebung der Kardinalbischöfe beseitigt worden war (allein die ursprüngliche Fassung des Dekrets fand freilich Aufnahme in das Decretum Gratiani). Als dritter ordo der Kardinäle entstand schließlich ab 1100 derjenige der Kardinaldiakone. – Zu alledem Gatz, Art. Kardinal/Kardinalskollegium (Anm. 10), S. 629 – 630, sowie Sägmüller (Anm. 7), S. 488. 12 Abdruck bei Josef Wohlmuth (Hrsg.), Dekrete der Ökumenischen Konzilien, Bd. 2, Paderborn 2000, S. 211. 13 Harry Dondorp, Die Zweidrittelmehrheit als Konstitutivum der Papstwahl in der Lehre der Kanonisten des 13. Jahrhunderts, in: AfkKR 161 (1992), S. 396 – 425. 14 Bezugspunkt war derjenige Ort, in dem der Papst mit seiner Kurie residierte („ubi est Papa, ibi est Roma“ – zu diesem Axiom Michele Maccarone, Ubi est papa, ibi est Roma, in: Hubert Mordek [Hrsg.], Aus Kirche und Reich. FS für Friedrich Kempf, Sigmaringen 1983, S. 371 – 382). So fanden im 13. Jahrhundert nicht nur in Rom die Konklaven statt, sondern auch in Perugia (1216, 1264/65, 1276/I, 1285), Anagni (1243), Neapel (1254) und Viterbo (1261, 1268 – 71, 1276/II, 1277, 1281).
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eines auswärtigen Kardinalats voraussetzt)15, fixierte das 1274 auf dem II. Konzil von Lyon durch Papst Gregor X. erlassene Dekret Ubi periculum16 die Wartefrist auf zehn Tage. Bedeutung kommt diesem Dekret aber insbesondere dadurch zu, dass es erstmals verbindlich die Institution des „Konklave“ regelte: Die Einschließung der Wähler, die sich allein von einem Diener begleiten lassen können, verfolgte dabei den doppelten Zweck, einen von externen Faktoren unbeeinflussten Wahlvorgang zu gewährleisten sowie – nach den Erfahrungen der fast dreijährigen Sedisvakanz in Viterbo 1268 – 7117 – den Wahlvorgang zu beschleunigen.18 Damit steht Ende des 13. Jahrhunderts bereits die grundlegende Struktur des heute noch geltenden Papstwahlrechts fest: Das ausschließliche Recht, den Papst zu wählen, steht den Kardinälen zu. Auf die auswärtigen Kardinäle ist eine bestimmte Zeit zu warten, ehe in das Wahlgeschäft eingetreten wird. Das Wahlgeschäft selbst vollzieht sich hinter verschlossenen Türen ohne Kontakt zur Außenwelt. Die Wahl eines Papstes bedarf einer Mehrheit von wenigstens zwei Dritteln der Stimmen der anwesenden Wahlberechtigten.
II. Entwicklungen des 14.–19. Jahrhunderts Unter den grundlegenden Elementen des Papstwahlrechts benötigte in der Folgezeit allein die Institution des Konklaves ihre Zeit, um sich rechtlich wie tatsächlich durchzusetzen. Schon nach der ersten Papstwahl unter dem Regime des Dekrets Ubi periculum wurde dieses – wohl primär wegen dessen rigider Umsetzung – vom neuen Papst Hadrian V. zurückgenommen (1276), eine Maßnahme, die nach dessen raschem Tod vom Nachfolger Johannes XXI. bestätigt wurde.19 Als eine seiner wenigen Amtshandlungen setzte Papst Cölestin V. das Dekret Ubi periculum wieder in Kraft20, und dessen Nachfolger Bonifaz VIII. inkorporierte es schließlich 1298 in den Liber sextus. Auch in der Zeit des Avignonesischen Exils wurde die Institution als solche nicht mehr in Frage gestellt. Clemens V. bekräftigte die Wahlordnung von 15 Dazu grundlegend Klaus Ganzer, Die Entwicklung des auswärtigen Kardinalats im hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Kardinalskollegiums vom 11. bis 13. Jahrhundert, Tübingen 1963. 16 Abdruck bei Wohlmuth (Hrsg.), Dekrete der Ökumenischen Konzilien (Anm. 12), S. 314 – 318. 17 Dazu Andreas Fischer, Kardinäle im Konklave. Die lange Sedisvakanz der Jahre 1268 bis 1271, Tübingen 2008. 18 Als flankierende Maßnahmen für diese Zielsetzung sah das Dekret die Sperrung sämtlicher Einkünfte der Wähler für die Dauer des Wahlgeschäfts vor, außerdem ab dem dritten Tag eine Beschränkung der Speisen. 19 Bulle Licet felicis recordationis vom 30. September 1276; Abdruck in: Bullarium diplomatum et privilegiorum Sanctorum Romanorum Pontificum Taurinensis editio (Bullarium Romanum), Bd. 4, Augustae Taurinorum 1859, S. 37 – 38. 20 Bulle Quia in futurum vom 28. September 1294.
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1274 ausdrücklich21, und Clemens VI. implizit, indem er einige ihrer als zu hart empfundenen Regelungen abmilderte.22 Längerfristige Nachwirkungen haben vor allem die Bestimmungen entfaltet, denen zufolge die Kardinäle im Zeitraum der Sedisvakanz keinerlei dem Papst zustehende Jurisdiktion ausüben dürfen (allein die Ämter des Kämmerers – camerarius, camerlengo – und des Pönitentiars erlöschen nicht), auch mit Kirchenstrafen belegte Kardinäle das Wahlrecht besitzen und jeder Kardinal nunmehr zwei Begleitpersonen (sog. Konklavisten) in das Konklave mitzunehmen berechtigt ist. In der Folgezeit galt es, vor dem Hintergrund wechselnder tatsächlicher Herausforderungen die Freiheit und Lauterkeit der Wahlhandlung abzusichern. Die maßgeblichen Bedrohungen lagen dabei in den Phänomenen der Wahlkapitulationen, der Vorabsprachen noch zu Lebzeiten des Papstes, der Simonie sowie der Intervention weltlicher Mächte. 1. Wahlkapitulationen Unter Wahlkapitulationen versteht man die Verständigung der wahlberechtigten Kardinäle, unmittelbar vor oder zu Beginn der Wahlhandlungen, auf gemeinsame programmatische Zielsetzungen, welche eidlich bekräftigt werden und somit auch den künftigen Papst binden sollen.23 Erstmals praktiziert im Konklave nach dem Tod von Clemens VI. im Dezember 1352, erklärte indes der neugewählte Papst Innozenz VI. die (auch von ihm, gleichwohl mit salvatorischer Klausel, beschworene) Kapitulation schon kurz darauf für nichtig.24 Die weitere Praxis war freilich uneinheitlich: Manche Päpste (etwa Paul II., Leo X., Paul IV.) folgten dem Beispiel Innozenz’ und verwarfen die Kapitulationen (jedenfalls einzelne Kapitel von ihnen) nachträglich25, andere (so Eugen IV.) publizierten zwar die Kapitulationen in offizieller Form26, ignorierten sie aber in ihrer Amtsführung27, ein Papst (Innozenz XI. 1676) nahm sie gar so ernst, dass er nach seiner Wahl den beiden die Unterzeichnung ver21
Bulle Ne Romani vom 6. Dezember 1311. Bulle Licet in constitutione vom 6. Dezember 1351; Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), S. 501. – So wurde gestattet, den – bis dato von allen anwesenden Kardinälen gemeinsam genutzten – Konklaveraum durch Vorhänge oder Wände in einzelne Zellen abzutrennen (§ 4), ebenso mussten die Kardinäle ab dem achten Konklavetag nicht mehr mit Brot, Wein und Wasser vorlieb nehmen, sondern durften sich mit Fleisch (wahlweise Fischoder Eigerichten), Suppe, Salat, Obst und Käse stärken (§ 3). 23 Näher Hans-Jürgen Becker, Primat und Kardinalat. Die Einbindung der plenitudo potestatis in den päpstlichen Wahlkapitulationen, in: Dieter Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages. Frankfurt am Main, 22. bis 26. September 1986, Frankfurt 1987, S. 109 – 127. 24 Bulle Sollicitudo pastoralis vom 6. Juli 1353; Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), S. 506 – 508. 25 Becker, Primat und Kardinalat (Anm. 23), S. 122. 26 Bulle In qualibet monarchia vom 12. März 1431. 27 Milder Becker, Primat und Kardinalat (Anm. 23), S. 114: sie übten keinen „nachhaltigen Einfluß auf die Politik“ aus. 22
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weigernden Kardinälen die nachträgliche Unterschrift befahl.28 Jedenfalls bildeten derartige Wahlkapitulationen ab dem Konklave von 1458 für gut ein Jahrhundert einen „ganz selbstverständliche(n) Teil des Zeremoniells einer jeden Papstwahl“29. Erst ab Ende des 17. Jahrhunderts begann eine gegenläufige Gesetzgebung im Grundsätzlichen: In der Konstitution Ecclesiae catholicae vom 22. September 1695 verbot Papst Innozenz XII. Wahlkapitulationen bei den Wahlen in den Domkapiteln30 und Klöstern. Ob dies auch auf die Papstwahl faktische Auswirkungen entfaltete, lässt sich nach gegenwärtigem Wissensstand schwer feststellen – manchen Quellen zufolge soll das letzte Konklave mit Wahlkapitulationen dasjenige von 1730 gewesen sein.31 Ein explizites Verbot bleibt den Kodifikationen des 20. Jahrhunderts vorbehalten. 2. Vorabsprachen zu Lebzeiten des Papstes Angesichts der ungewissen Erfolgsaussichten von Vereinbarungen auf dem Konklave selbst konnte sich als alternative Strategie anbieten, bereits beizeiten – also ohne Bezug zur konkreten Papstwahl – Absprachen im Hinblick auf die Person des zu Wählenden und sein Programm zu treffen. Wie sehr derartige Vorabsprachen praktische Relevanz erlangt haben müssen, lässt die Heftigkeit erahnen, mit der Papst Paul IV. sie 1558 verbot.32 Sämtliche Verhandlungen über den künftigen Papst zu Lebzeiten und ohne Wissen des regierenden Papstes – gleichgültig ob seitens kirchlicher Würdenträger oder weltlicher Autoritäten – sollten zudem als Sanktionen die Tatstrafe der Exkommunikation auslösen sowie den Verlust der (kirchlichen oder weltlichen) Stellung nach sich ziehen.33 3. Simonie Bereits ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Papst Julius II. energische Maßnahmen gegen simonistische Praktiken bei der Besetzung des römischen Stuhls ergriffen. Die Problematik war weder neu (bereits das Papstwahldekret von Nikolaus II. hatte die Gefahr der „Käuflichkeit“ gesehen und dagegen zwei Maßnahmen in Stellung gebracht: die führende Stellung von viri religiosi – nämlich der Kardinäle – sowie not28
Becker, ebd., S. 116, 119 – 120. Becker, ebd., S. 115. 30 Hintergründe und Praxis bei Konstantin Maier, Bischof und Domkapitel im Lichte der Wahlkapitulationen in der Neuzeit, in: Römische Quartalschrift 83 (1988), S. 236 – 251. 31 Becker, Primat und Kardinalat (Anm. 23), S. 116. 32 Bulle Cum, secundum Apostolum vom 16. Dezember 1558, § 2; Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), Bd. 6, 1860, S. 545 – 548. 33 Knappe Würdigung bei Johann Baptist Sägmüller, Die Papstwahlen und die Staaten von 1447 bis 1555 (Nikolaus V. bis Paul IV.). Eine kirchenrechtlich-historische Untersuchung über den Anfang des staatlichen Rechts der Exklusive in der Papstwahl, Tübingen 1890 (Neudruck Aalen 1967), S. 14 – 16. 29
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falls die Verlegung des Wahlorts an einen anderen Ort als Rom) noch gar auf Rom beschränkt.34 Nachdem indes die prima sedes tatsächlich in den Ruch der Käuflichkeit geraten war – die Wahl von Alexander VI. (1492) galt den Zeitgenossen als simonistisch –, beschränkte sich Julius II. nicht allein auf die herkömmliche, doch offensichtlich nur begrenzt wirksame Reaktion der Androhung „schwerster kirchlicher Strafen“, sondern griff zum schärfsten zu Gebote stehenden Schwert: Eine durch Simonie erfolgte Papstwahl solle unheilbar nichtig sein, der so Gewählte sämtliche seiner Würden verlieren, die nichtsimonistischen Kardinäle unverzüglich zur Neuwahl schreiten.35 4. Intervention weltlicher Mächte Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts bedrohten für mehr als drei Jahrhunderte Ingerenzen weltlicher Mächte die Freiheit des Wahlvorgangs: Kaiser Karl V. leitete aus seiner Stellung als „advocatus Ecclesiae“ das Recht ab, das im Konklave versammelte Kardinalskollegium wissen zu lassen, dass er die Wahl eines bestimmten Kardinals zum Papst nicht wünsche.36 Nach seinem Tod berühmten sich dann die Nachfolgemächte seines Reiches – Österreich für das Heilige Römische Reich sowie Spanien –, später dann auch Frankreich, des Rechts, einen nicht genehmen Kardinal von der Papstwahl „auszuschließen“37. Jenes berüchtigte ius exclusionis38 wurde in aller Regelmäßigkeit – auf manchen Konklaven gar seitens mehrerer Mächte – praktiziert und traf auch so herausragende Kardinäle wie etwa 1605 Cesare Baronio.39 Noch Mitte des 19. Jahrhunderts konnte Kardinal Nicholas Wiseman von einem „Vorrecht“ schreiben, „welches wenigstens drei große katholische Mächte mehr durch Übung als infolge eines förmlichen Aktes der Anerkennung besitzen“40. In der Tat hatte die Kirche zu keinem Zeitpunkt ein derartiges „Recht“ verliehen oder auch nur gebilligt, freilich hatte ein von den genannten Mächten ausgesprochenes 34 Für den deutschen Bereich Hubert Wolf, Simonie und Akklamation. Zur Rolle der Domkapitel und der Laien bei Bischofswahlen in der Germania Sacra (1648 – 1803), in: Römische Quartalschrift 87 (1992), S. 99 – 120. 35 Bulle Cum, tam divino vom 14. Januar 1506; Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), Bd. 5, 1860, S. 405 – 408. 36 Sägmüller, Die Papstwahlen und die Staaten (Anm. 33), S. 17. 37 Sägmüller, ebd., S. 231 – 232. 38 Aus der reichhaltigen Literatur Ludwig Wahrmund, Das Ausschliessungs-Recht (jus exclusivae) der katholischen Staaten Oesterreich, Frankreich und Spanien bei den Papstwahlen, Wien 1888; ders., Beiträge zur Geschichte des Exclusionsrechts bei den Papstwahlen aus römischen Archiven, Wien 1890; Johann Baptist Sägmüller, Die Papstwahlbullen und das staatliche Recht der Exclusive in der Papstwahl, Tübingen 1892; ders., Das Recht der Exclusive in der Papstwahl, in: AfkKR 73 (1895), S. 193 – 256; Alexander Eisler, Das Veto der katholischen Staaten bei der Papstwahl seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, Wien 1907. 39 Francesco Ruffini, Perchè Cesare Baronio non fu Papa. Contributo alla storia della Monarchia Sicula e del „Jus Exclusivae“, Perugia 1910. 40 Nicholas Wiseman, Recollections of the Last Four Popes and of Rome in their Times, London 1858, S. 416: „privilege, vested more by usage than by any formal act of recognition, at least in three great Catholic Powers“.
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„Veto“ zu oft in der Praxis Beachtung gefunden, als dass die impliziten41 oder – späten – expliziten Verwahrungen42 der päpstlichen Gesetzgebung hätten wirksam werden können. Einen endgültigen Schlussstrich ziehen auch hier erst die Kodifikationen des 20. Jahrhunderts. Anlässlich konkreter historischer Bedrohungslagen hatten schließlich zwei Päpste spezifische Normen erlassen, um die (äußere) Freiheit der Papstwahl zu gewährleisten: Die Bestimmungen von Pius VI. in Anbetracht der Besetzung Roms durch französische Revolutionstruppen43 sowie diejenigen von Pius IX. vor dem Hintergrund des Verlusts der weltlichen Herrschaft des Papstes über Rom nach Einnahme der Stadt durch italienische Truppen 1870.44 Jenseits all dieser – regelmäßig anlassbezogen – Regelungen zur Sicherung eines von unlauteren Machenschaften und Einflussnahmen Unbefugter freien Konklaveverlaufs hatten namentlich zwei Päpste die überlieferten Bestimmungen bekräftigend zusammengefasst, nicht ohne dabei auch neue Elemente hinzuzufügen: Pius IV. bekräftigte 156245 das Grundgefüge von Ubi periculum, wonach das Konklave am zehnten Tag nach dem Tod des Papstes zu beginnen hat und jedweder Kontakt mit der Außenwelt strikt untersagt ist. Hinsichtlich der Zahl der zugelassenen Konklavisten blieb es bei der milderen Regelung Clemens VI. (also: zwei). Jeden Tag hatte ein Wahlgang stattzufinden, wobei auch die nachträgliche Stimmänderung zugunsten eines anderen Kandidaten (sog. Akzeß) zugelassen war. Von den Wählern, die nunmehr wenigstens Diakone sein müssen46, wurde gefordert, dass sie ihre Stimme frei von jeder Parteilichkeit und Leidenschaft abgeben, ihr Stimmverhalten den anderen Kardinälen nicht offenbaren, versuchte Einflussnahmen von weltlichen Autoritäten nicht beachten und sich jedweder Verabredungen untereinander enthalten. Bedeutende Neuregelungen brachte sodann die Bulle Aeterni patris filius47 von Papst Gregor XV. (1621), dem letzten per acclamationem gewählten Papst der Kir41
Sägmüller, Die Papstwahlen und die Staaten (Anm. 33), S. 9 sowie S. 22 – 27, interpretiert die Bullen Cum, tam divino (Anm. 35) sowie Aeterni patris filius (Anm. 47) als grundsätzliche Verwerfung des ius exclusionis. 42 Clemens XII., Konst. Apostolatus officium vom 4. Oktober 1732; Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), Bd. 23, 1872, S. 443 – 455. 43 Konst. Christi Ecclesiae regendae munus vom 3. Januar 1797 und Ap. Schreiben Cum Nos superiori anno vom 13. November 1798, Abdruck in: Bullarii Romani continuatio Summorum Pontificum Benedicti XIV, Clementis XIII, Clementis XIV, Pii VI, Pii VII, Leonis XII, Pii VIII, Bd. 3, 1849, S. 2976 – 2978 sowie S. 3097 – 3101. 44 Konst. In hac sublimi vom 23. August 1871, Licet per apostolicas vom 8. September 1874 und Consulturi ne post obitum nostrum vom 10. Oktober 1877; siehe dazu Giacomo Martina, Pio IX (1867 – 1878), Roma 1990, S. 504 – 511. 45 Bulle In eligendis ecclesiarum praelatis vom 9. Oktober 1562, Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), Bd. 7, 1862, S. 230 – 236. 46 Ebd., § 25. 47 Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), Bd. 12, 1867, S. 619 – 627. Ergänzend dazu die Bulle Decet Romanum pontificem vom 12. März 1622; Abdruck ebd., S. 662 – 673. –
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chengeschichte. Entsprechend der seit langem geübten Praxis wurden als Wahlformen diejenigen durch Akklamation (oder Quasi-Inspiration), durch Kompromiss und durch Abstimmung erneut fixiert. Die Abstimmung (scrutinium) hatte nunmehr zwingend geheim zu erfolgen, was bis dahin zwar auch praktiziert wurde48, aber nicht verpflichtend gewesen war. Kein Kardinal durfte sich selbst die Stimme geben (was einen komplizierten Mechanismus der Überprüfung der Stimmzettel zur Konsequenz hatte). Zur Beschleunigung des Wahlvorgangs sollten täglich zwei Wahlgänge stattfinden, jede andere Wahlform als die der Abstimmung erforderte den einstimmigen Konsens der Wähler. Mit dieser deutlich gemachten Präferenz für die Wahl per scrutinium wurden die anderen Wahlformen für die Zukunft praktisch funktionslos (diejenige per compromissum war ohnedies letztmalig 1271 zur Anwendung gelangt). Daraus auch die normativen Folgen zu ziehen, blieb wiederum dem 20. Jahrhundert überlassen.
III. Die Kodifikationen des Papstwahlrechts im 20. Jahrhundert Das in nahezu einem Jahrtausend organisch gewachsene und gereifte Recht der Papstwahl hat im 20. (ebenso wie im noch jungen 21.) Jahrhundert eine bemerkenswerte Anzahl an Konsolidierungen, Modifikationen und Änderungen erfahren. Neben den vier umfassenden Kodifikationen durch die Päpste Pius X., Pius XII., Paul VI. und Johannes Paul II.49 stehen weitere Änderungen in Detailfragen, meist durch konkrete Erfahrungen in einem der vorausgegangenen Konklave motiviert, durch weitere Päpste – allein Benedikt XV. und Johannes Paul I. haben in dieser Materie nicht legisferiert. Als Leitidee klingt in den Regelungen das Bestreben an, die Substanz des Überlieferten zu wahren, diese zugleich von durch die Zeitläufte gegenstandslos Gewordenem zu reinigen sowie an die aktuellen Erfordernisse anzupassen. Manche der neueren Bestimmungen – zumal ab dem Pontifikat Johannes’ XXIII. – setzten deutlich andere Akzente, freilich nicht durchweg mit dauerhafter Rechtsgeltung. Den äußeren Anstoß für die erste große Kodifikation des Papstwahlrechts zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete die historisch letzte Intervention einer weltlichen Macht in die Verhandlungen auf einem Konklave: Gegen den nach dem Tod von Papst Leo XIII. als aussichtsreich gehandelten Kandidaten Mariano Kardinal Rampolla del Tindaro, des mächtigen Staatssekretärs des verstorbenen Pontifex, machte Monographisch dazu Günther Wassilowsky, Die Konklavereform Gregors XV. (1621/22). Wertekonflikte, symbolische Inszenierung und Verfahrenswandel im posttridentinischen Papsttum, Stuttgart 2010. 48 So werden aus dem Konklave von 1198 der Gebrauch von Stimmzetteln und die Funktion von Stimmauszählern berichtet, siehe die Gesta Innocentii papae, in: PL 214, col. 19: examinatores fuerunt – secundum morem – electi: qui singillatim votis omnium perscrutatis, et in scriptis redactis, examinationem factam retulerunt ad fratres. 49 Siehe oben Anm. 2 und 3.
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Kaiser Franz Josef von Österreich mit Erfolg das ius exclusionis geltend.50 Kein halbes Jahr später ist das Institut, nach dem Untergang des Kirchenstaates ohnedies vollends zum Anachronismus geworden, endgültig Geschichte: Der neugewählte Papst Pius X. verwarf in eindeutiger Form jedwede Einmischung einer weltlichen Macht in die Wahlhandlungen des Konklaves, sei es in Form jenes „Veto“, eines bloßen „Wunsches“ oder sonstiger Art, und bedrohte sämtliche Beteiligten, namentlich den überbringenden Kardinal, mit der Tatstrafe der Exkommunikation.51 Diese, von Pietro Gasparri unter Mitarbeit des jungen Minutanten Eugenio Pacelli vorbereitete52, punktuelle Maßnahme bildete den ersten Schritt für die umfassende Neuregelung der gesamten Materie. Die ein knappes Jahr später promulgierte Konstitution Vacante Sede Apostolica53 regelte erstmals in systematischem Zugriff die miteinander verwobenen Komplexe Sedisvakanz und Konklave. Die Abschaffung des ius exclusionis wird darin abermals bekräftigt54, zudem wird die Möglichkeit des Stimmbeitritts (sog. Akzeß55) abgeschafft56. Stattdessen wird die Zahl der täglich abzuhaltenden Wahlgänge von zwei auf vier verdoppelt.57 Bekräftigt wird das Verbot von Wahlkapitulationen und die Anordnung ihrer Nichtigkeit58, modifiziert werden hingegen die Folgen einer simonistischen Wahl: während es bei der Strafandrohung der ipso iure eintretenden Exkommunikation verbleibt, entfällt die Nichtigkeitsfolge der Wahl selbst.59 Sämtliche dieser Regelungen gelten bis heute unverändert. Den tradierten Normen, 50 Detailliert zu Abläufen und Hintergründen Luciano Trincia, Conclave e potere politico. Il veto a Rampolla nel sistema delle potenze europee (1887 – 1904), Roma 2004; siehe ferner Peter Frei, Die Papstwahl des Jahres 1903. Unter besonderer Berücksichtigung des österreichisch-ungarischen Vetos, Bern u. a. 1977, sowie Pierre Blet, La diplomatie française et l’élection de Pie X, in: Herbert Schambeck (Hrsg.), Pro Fide et Iustitia. FS für Agostino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag, Berlin 1984, S. 549 – 562. 51 Pius X., Ap. Konst. Commissum Nobis vom 20. Januar 1904, in: Pii X Pontificis Maximi Acta III (1908), S. 289 – 292. – Aus der reichhaltigen (zumeist: Dissertations-)Literatur der nachfolgenden Jahre Herbert Plock, Das ius exclusivae der Staaten bei der Papstwahl und sein Verbot durch die päpstliche Bulle „Commissum nobis“, Diss. Göttingen 1910. 52 Trincia, Conclave e potere politico (Anm. 50), S. 239 ss. 53 Nachw. siehe Anm. 2. 54 Ebd., Nr. 81; ebenso die nachfolgenden Konstitutionen Vacantis Apostolicae Sedis (Anm. 3), Nr. 94; Romano Pontifici eligendo (Anm. 3), Nr. 81; Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 80. 55 Zum Institut Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 2 (Anm. 7), S. 93. 56 Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica (Anm. 2), Nr. 76. – Im Konklave von 1903 war das Ansinnen einiger Kardinäle, diese Abstimmungsmodalität – wie noch beim vorhergehenden von 1878 geschehen – anzuwenden, am Widerstand des Dekans des Kollegiums sowie anderer Kardinäle gescheitert, dazu Trincia, Conclave e potere politico (Anm. 50), S. 192 – 194, 273. 57 Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica (Anm. 2), ebd. 58 Ebd., Nr. 83. 59 Ebd., Nr. 79. – Diese Regelung ist eine Ausnahme vom (zeitlich nachfolgenden) allgemeinen kanonischen Recht: Sowohl c. 729 CIC/1917 wie auch c. 149 § 3 CIC/1983 erklären die durch Simonie erlangte Amtsübertragung für nichtig.
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denen zufolge Camerlengo und Großpönitentiar auch in der Sedisvakanz im Amt verbleiben, wird die gleiche Bestimmung im Hinblick auf den Kardinalvikar von Rom sowie die Gesandten, Nuntien und Apostolischen Delegaten hinzugefügt.60 Demgegenüber verliert der Kardinalstaatssekretär seine Stellung, ebenso wenig dürfen die Kongregationen während der Sedisvakanz ihre Vollmachten ausüben.61 Neu ist, dass dem Kardinalskollegium ausdrücklich eine Interpretationskompetenz über die Konstitution – somit über das Papstwahlrecht – zuerkannt wird.62 In diesem Punkt konnte sich Pius X. auf eine bereits unter Leo XIII. ausgearbeitete, aber nicht publizierte Konstitution zur Modifizierung der Konklavenormen stützen63; aus dieser stammt auch der seitdem in den Kodifikationen enthaltende Appell an den Gewählten, die auf ihn gefallene Wahl nicht auszuschlagen, sondern darauf zu vertrauen, dass Gott, der die Bürde des Amtes auferlegt, zugleich auch die Kraft verleiht, diese zu tragen.64 Auch als 1917 der gesamte kirchenrechtliche Rechtsstoff in Gestalt des Codex Iuris Canonici kodifiziert wurde, blieb das Papstwahlrecht weiter als eigenständiges Regelwerk in Geltung (c. 160 CIC/1917). Lediglich in zwei Detailpunkten wurde er von Pius XI. modifiziert65 und dann durch eine neue Kodifikation durch Pius XII. zur Gänze ersetzt. Dessen im Titel nahezu gleichlautende Apostolische Konstitution Vacantis Apostolicae Sedis66 bewahrte in der Substanz die Konklaveordnung von Pius X. Neben allfälligen redaktionellen Glättungen sowie zeremoniellen und notariellen Ergän-
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Ebd., Nr. 19 und 20. Ebd., Nr. 18 und 23. 62 Ebd., Nr. 4. 63 Leo XIII. Ap. Konst. Praedecessores Nostri, erstmals veröffentlicht in: Pii X Pontificis Maximi Acta III (1908), S. 293 – 306, hier S. 296. – Dem folgend Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica (Anm. 2), Nr. 4. 64 Ap. Konst. Praedecessores Nostri (Anm. 63), S. 304. Ebenso die nachfolgenden Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica (Anm. 2), Nr. 86; Vacantis Apostolicae Sedis (Anm. 3), Nr. 99; Romano Pontifici eligendo (Anm. 3), Nr. 86; Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 86. 65 Mit Motu proprio Cum proxime vom 1. März 1922, in: AAS 14 (1922), S. 146 – 147, wurde die seit dem Dekret Ubi periculum von Gregor X. auf zehn Tage festgesetzte Wartefrist auf die auswärtigen Kardinäle auf 15 Tage verlängert (verbunden mit der Befugnis, dann noch weitere zwei oder drei Tage mit dem Eintritt in das Konklave zuzuwarten). Hintergrund war das verspätete Eintreffen von drei Kardinälen aus Übersee zum Konklave vom Februar 1922. – Später wurde dem Großpönitentiar explizit erlaubt, auch während des Konklaves mit der Außenwelt offizielle Kontakte zu unterhalten, siehe Ap. Konst. Quae divinitus vom 25. März 1935, in: AAS 27 (1935), S. 97 – 113. 66 Nachw. siehe Anm. 3. – Zeitgenössisch dazu P. C. Berutti, De canonica Romani Pontificis electione, in: Ephemerides Iuris Canonici 1947, S. 627 – 641; sowie Lothar Kissel, Die Papstwahl nach der Konstitution Pius’ XII.: „Vacantis Apostolicae Sedis“ vom 8. Dezember 1945, Diss iur. Heidelberg 1950. 61
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zungen67 waren infolge der von Pius X. verfügten Kurienreform68 sowie der Lateranverträge69 neue Bestimmungen für die Zeit der Sedisvakanz notwendig geworden.70 Deutlicher als bisher wird indes herausgestellt, dass das alleinige Wahlrecht auch dann dem Kardinalskollegium zusteht, wenn die Sedisvakanz während eines Konzils eintreten sollte.71 Letztlich auch nur eine – zumal im Hinblick auf c. 217 CIC/1917 wiederholende – Klarstellung liegt in der Bestimmung, dass die Sedisvakanz auch durch den Amtsverzicht des Papstes eintreten kann.72 Die drei herkömmlichen Wahlformen – per acclamationem, per compromissum, per scrutinium – bleiben bestehen, wenngleich bei den beiden erstgenannten zusätzliche Bedingungen aufgestellt werden73, die eine gesetzgeberische Präferenz für die Wahl per scrutinium erkennen lassen. Und exakt hier findet sich die einzige tatsächliche Neuerung der Konstitution: Für die gültige Wahl zum Papst bedarf es nunmehr einer Mehrheit von zwei Dritteln zusätzlich einer Stimme.74 Hintergrund für diese Zusatzstimme ist eine pragmatische Überlegung: Wird der Papst exakt mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt – so geschehen im Konklave 1914, aus dem Papst Benedikt XV. hervorging –75, bedarf es zur Gewährleistung der Legitimität des Gewählten in besonderer Weise der komplizierten Überprüfungsmechanismen Gregors XV., um sicherzustellen, dass der Betreffende sich nicht etwa selbst gewählt hat.76 Dank der Zusatzstimme können diese Überprüfungen entfallen, der Wahlvorgang wird so erheblich vereinfacht.77 Die Selbstwahl
67 Etwa: Übertragung des Leichnams des verstorbenen Papstes in die Petersbasilika (Nr. 12), Gebot des Verbrennens von etwaigen Notizen der einzelnen Kardinäle über den Konklaveverlauf (Nr. 78), Ritus der Befragung des Erwählten über die Annahme der Wahl (Nr. 100). 68 Ap. Konst. Sapienti consilio vom 29. Juni 1908, in: AAS 1 (1909), S. 7 – 19. 69 Abdruck in: AAS 21 (1929), S. 209 – 295. 70 Näher Philipp Hofmeister, Die Papstwahlbulle Pius’ XII. in: TThZ 63 (1954), S. 289 – 297, hier S. 290 – 291. 71 Ap. Konst. Vacantis Apostolicae Sedis (Anm. 3), Nr. 33; zuvor bereits Julius II., Bulle Si Summus vom 16. Februar 1513, Abdruck in: Bullarium Romanum (Anm. 19), Bd. 5, 1860, S. 536 – 537; sowie Pius IX., Ap. Konst. Cum Romanis Pontificibus vom 4. Dezember 1869, in: Pii IX Pontificis Maximi Acta, Bd. V/1, Graz 1971, S. 102 – 108; Pius X., Ap. Konst. Vacante Sede Apostolica (Anm. 2), Nr. 28. – Die Bestimmung ist angesichts c. 229 CIC/1917 (ein Konzil ist mit dem Tod des Papstes ipso iure aufgelöst) nur konsequent. 72 Ebd., Nr. 36, 91. – Hofmeister, Papstwahlbulle Pius’ XII. (Anm. 70), S. 297, sieht darin zu Recht eine „an sich selbstverständliche Sache“. 73 Ebd., Nr. 66 (Akklamation nicht allein unanimiter et viva voce, sondern auch libere ac sponte) und Nr. 67 (Wahl per compromissum nur in quibusdam peculiaribus rerum adiunctis zulässig; diese Regelung dürfte durch c. 507 § 3 CIC/1917 inspiriert sein). 74 Ebd., Nr. 68. 75 Piazzoni, Storia delle elezioni pontificie (Anm. 7), S. 261, 284 – 285. 76 Diese Motivation wird in der Ap. Konst. Vacantis Apostolicae Sedis (Anm. 3), Nr. 68, explizit offengelegt. 77 Ebd., Nr. 70, 76, 78, 86.
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wird dadurch zwar nicht zulässig, ist aber für die konkrete Wahl – da nicht kausal – unschädlich.78 Schon der nachfolgende Papst Johannes XXIII. hob diese neue Bestimmung wieder auf.79 Indirekt, doch nachhaltig, wirkten auf das Papstwahlrecht Änderungen im Hinblick auf den Wählerkreis: Seit dem späten 16. Jahrhundert bestand das Kardinalskollegium unter Berufung auf die Moses begleitenden siebzig Ältesten Israels80 aus siebzig Mitgliedern, näherhin sechs Kardinalbischöfen, 50 Kardinalpriestern und 14 Kardinaldiakonen.81 Diese Regelung, in c. 231 CIC/1917 dann kodifiziert, derogierte Johannes XXIII. bereits im ersten Konsistorium zur Kreierung neuer Kardinäle wenige Wochen nach seiner Wahl.82 In Verbindung mit der späteren Vorgabe, dass die Kardinäle grundsätzlich die Bischofsweihe empfangen müssen83, erhielt das Kardinalskollegium so – zusammenwirkend mit dem tatsächlichen Phänomen seiner Universalisierung seit dem Pontifikat Pius’ XII. – eine neue Ausrichtung. In Fortsetzung dieser Linie wirkte Papst Paul VI. zunächst über die Bestimmungen hinsichtlich des Kardinalskollegiums auf das Papstwahlrecht ein: Die Aufnahme von orientalischen Patriarchen in das sacrum collegium im Range von Kardinalbischöfen84 setzte das Bestreben nach dessen Universalisierung fort. Die Festsetzung einer neuen Höchstzahl85 füllt jene Lücke auf, die Johannes XXIII. noch gelassen hatte. Freilich: Der Bezugspunkt ist nun ein anderer – sie gilt nicht mehr für das Kollegium als Ganzes, sondern allein für dessen wahlberechtigte Mitglieder, welche die Anzahl von 120 nicht überschreiten sollen.86 Bereits 1970 hatte Paul VI. – erstmals in 78 Mit Recht Georg May, Mehrheitsverhältnisse bei Papstwahlen, in: FS Geringer, S. 273 – 285, hier S. 276. 79 Motu proprio Summi Pontificis electio vom 5. September 1962, in: AAS 54 (1962), S. 632 – 640, hier S. 638 – 639 (Nr. 15); kommentierend Urbano Navarrete, In praecepta Vacante Sed. Ap. Valitura annotationes, in: PerRMCL 52 (1963), S. 221 – 234. – Das in Nr. 1 statuierte Verbot, vom sterbenden oder verstorbenen Papst Tonbandaufnahmen oder Fotografien anzufertigen, reagiert auf das Verhalten des Leibarztes von Pius XII. in dessen letzten Lebenstagen. 80 Ex 24,1; Nm 11,16.24 – 25. 81 Sixtus X., Konstitution Postquam verus vom 3. Dezember 1586, in: CIC-Fontes I, S. 286 – 293 (insbes. §§ 4 und 5). 82 Johannes XXIII., Ansprache vom 15. Dezember 1958, in: AAS 50 (1958), S. 981 – 989, hier S. 987. 83 Johannes XXIII., Motu proprio Cum gravissima, 15. April 1962, in: AAS 54 (1962), S. 256 – 258. – C. 232 § 1 CIC/1917 verlangte bereits, abweichend von der Bestimmung Pius’ IV. (s. Anm. 46), für sämtliche Kardinäle (also nicht nur die Wähler) die Priesterweihe. 84 Paul VI., Motu proprio Ad purpuratorum Patrum Collegium vom 11. Februar 1965, in: AAS 57 (1965), S. 295 – 296. – Entgegen der Annahme von Klaus Schlaich, Einige Beobachtungen zum Recht der Papstwahl, in: FS für Martin Heckel zum 70. Geburtstag, Tübingen 1999, S. 237 – 250, hier S. 241, sind auch diese Kardinäle wahlberechtigt. 85 Paul VI., Geheimes Konsistorium vom 5. November 1973, in: AAS 65 (1973), S. 163. 86 Für das Kardinalskollegium als solches gibt es überhaupt keine Höchstzahl mehr; auch die Höchstzahl der wahlberechtigten Kandidaten wird bisweilen in der Praxis – mitunter deutlich – überschritten (2001: 135; 2015: 125).
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der Geschichte – eine Altersgrenze für das Recht der Konklaveteilnahme und der Papstwahl eingeführt und diese auf die Vollendung des 80. Lebensjahres festgelegt, mit der ein Kardinal das aktive Wahlrecht verliert.87 All diese Bestimmungen bildeten indes nur den Auftakt für eine umfassende Neukodifikation des Papstwahlrechts durch die Apostolische Konstitution Romano Pontifici eligendo vom 1. Oktober 1975.88 Die Beschränkung des aktiven Wahlrechts auf die unter 80jährigen Kardinäle wird bekräftigt und zugleich präzisiert.89 Abermals wird die maximale Wartefrist auf die auswärtigen Kardinäle verlängert, dieses Mal auf 20 Tage.90 Das Institut der (individuellen) Konklavisten wird abgeschafft, nunmehr steht sämtlichen Kardinälen eine näher beschriebene Anzahl von Konklavehelfern zur Verfügung.91 Hinsichtlich der Wahlmodalitäten werden für die Wahl per scrutinium zwei Änderungen vorgenommen: Einmal wird die von Pius XII. eingeführte und von Johannes XXIII. abgeschaffte Zusatzstimme zur Zwei-DrittelMehrheit wiederhergestellt.92 Zum anderen enthält die Konstitution – erstmals in dieser generalisierten Form – Vorkehrungen, um einen „toten Punkt“ des Konklaveverlaufs zu überwinden: Nach insgesamt 26 ergebnislosen Wahlgängen kann, wenn über diesen Punkt Einstimmigkeit unter den Wählern besteht, vom Erfordernis der ZweiDrittel-Mehrheit abgegangen und der Papst mit absoluter Mehrheit gewählt werden.93 Gleichermaßen neu ist die (von c. 219 CIC/1917 abweichende) Bestimmung, welche dem Gewählten nur dann die volle päpstliche Jurisdiktion zuerkennt, wenn er bereits die Bischofsweihe empfangen hat.94
87 Paul VI., Motu proprio Ingravescentem aetatem vom 21. November 1970, in: AAS 62 (1970), S. 810 – 813; deutliche Kritik an dieser Gesetzgebung bei Willibald Plöchl, Der alte Kardinal und das Recht, in: FS Panzram, Freiburg 1972, S. 159 – 170; sowie Georg May, Das Papstwahlrecht in seiner jüngsten Entwicklung. Bemerkungen zu der Apostolischen Konstitution „Romano Pontifici eligendo“ (1977), in: ders., Schriften zum Kirchenrecht, Berlin 2003, S. 203 – 236, hier S. 217. 88 Nachw. siehe Anm. 3. 89 Ebd., Nr. 33; entscheidender Zeitpunkt ist nunmehr der Eintritt in das Konklave, nicht hingegen der Eintritt der Sedisvakanz (so wohl noch das Motu proprio Ingravescentem aetatem [Anm. 87], Nr. II.2.). 90 Ebd., Nr. 37. 91 Ebd., Nr. 45 – 47. 92 Ebd., Nr. 65. 93 Ebd., Nr. 76; alternativ wird auf die Möglichkeit der Wahl per compromissum oder einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit der höchsten Stimmzahl im unmittelbar vorangegangenen Wahlgang verwiesen. – Nicht zu Unrecht hält May, Mehrheitsverhältnisse bei Papstwahlen (Anm. 78), S. 280, diese Bestimmung für nicht recht konsistent: „Denn wenn die Kardinäle derart uneins sind, daß sie außerstande sind, eine Zweidrittelmehrheit für einen Kandidaten zusammenzubringen, dann ist es höchst unwahrscheinlich, daß sie einstimmig (nullo excepto) den Weg freigeben für einen Kandidaten, dessen Wahl sie bisher blockiert haben.“ 94 Ebd., Nr. 88.
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IV. Das geltende Papstwahlrecht Wie bereits die Konstitution Pius’ XII. galt auch diejenige Pauls VI. für lediglich zwei Konklaven und wurde 1996 durch das seitdem geltende Papstwahlrecht Papst Johannes Pauls II. abgelöst. Dessen Konstitution Universi Dominici gregis vom 22. Februar 199695 gilt heute unverändert, freilich in der Fassung durch zwei Modifizierungen durch Papst Benedikt XVI. in den Jahren 2007 und 2013.96 Auch von ihr lässt sich sagen, dass sie die grundlegenden Bestandteile des überkommenen Rechts der Papstwahl bewahrt, sie zugleich den gegenwärtigen Erfordernissen anpasst, in Einzelpunkten verbessert und insgesamt ein Höchstmaß an Genauigkeit und Klarheit der Normen erstrebt.97 Primäre Zielsetzung des Papstwahlrechts ist es, zum einen die Legitimität der Wahl, zum anderen die Freiheit der Wähler sicherzustellen.98 Hinsichtlich des Regelungszwecks „Freiheit der Wahl“ finden sich unverändert die überlieferten Sicherungsmechanismen wie das Verbot der Ingerenz weltlicher Mächte (ius exclusionis) und der Wahlkapitulationen. Die zugrundeliegenden Bedrohungslagen haben unter den gegebenen Verhältnissen wohl an Brisanz eingebüßt, ganz anders als denkbare Beeinflussungen der Wähler durch die öffentliche Meinung. Vor diesem Hintergrund erklären sich die verschärften Geheimhaltungsvorschriften auch für das Konklavepersonal, deren Übertretung nunmehr mit der Exkommunikation als Tatstrafe sanktioniert wird.99 Deutlich größeres Gewicht wird den Bestimmungen über die Legitimität der Wahl eingeräumt. Bereits die Vorrede von Universi Dominici gregis benennt insoweit drei Aspekte: Die ausschließliche Kompetenz des Kardinalskollegiums, die Bestätigung der von Paul VI. eingeführten Altersgrenze für das aktive Wahlrecht sowie deutliche Verschiebungen beim Wahlmodus. 95
Nachw. siehe Anm. 3. – Eine nützliche Zusammenfassung bietet der vom Büro für die Liturgischen Feiern des Heiligen Vaters herausgegebene Band: Sede Apostolica Vacante. Storia – legislazione – riti – luoghi e cose, Città del Vaticano 2005. Ferner aus dem deutschsprachigen Schrifttum Markus Graulich, Die Vakanz des Apostolischen Stuhls und die Wahl des Bischofs von Rom – zwei Rechtsinstitute in der Entwicklung, in: AfkKR 174 (2005), S. 75 – 95; sowie Josef Ammer, Neues im Papstwahlgesetz „Universi Dominici gregis“ – Ein Kurzkommentar, in: Folia Theologica 7 (1996), S. 219 – 233. 96 Benedikt XVI., Motu proprio De aliquibus mutationisbus in normis de electione Romani Pontificis vom 11. Juni 2007, veröffentlicht im Osservatore Romano; sowie Motu proprio Normas nonnullas über einige Änderungen der Normen bezüglich der Wahl des Römischen Papstes vom 22. Februar 2013, in: AAS 105 (2013), S. 253 – 257. Dazu Josef Ammer, Das Motu Proprio Papst Benedikts XVI. zur Änderung des Papstwahlgesetzes „Universi Dominici Gregis“, in: Folia Theologica 18 (2007), S. 5 – 16; vgl. auch Stefan Schima, „De aliquibus mutationibus …“ Eine gravierende Änderung des Papstwahlrechts aus dem Jahr 2007, in: ÖARR 2007, S. 291 – 305. 97 So die Charakterisierungen in den Vorreden zu den Ap. Konst. Romano Pontifici eligendo und Universi Dominici gregis (Anm. 3). 98 Explizit Ap. Konst. Romano Pontifici eligendo (Anm. 3), Vorrede. 99 Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 46, 48 und 55, in der Fassung des Motu proprio De aliquibus mutationisbus (Anm. 96).
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Der erstgenannte Aspekt – Kompetenz des Kardinalskollegiums – zieht normativ den Schlussstrich unter diverse Überlegungen aus den späten 1960er und 1970er Jahren, den Wählerkreis über die Kardinäle hinaus auszuweiten.100 Derartige Vorschläge waren schon zuvor in der Kirchengeschichte erwogen und verworfen worden – so gab es während des Pontifikats Clemens’ VII. Gedankenspiele, die Papstwahl an einen Ausschuss von Bischöfen zu übertragen, die durch das Los zu bestimmen seien.101 Auch der umgekehrte Weg, dem Vernehmen nach gleichfalls erwogen, Laien (beiderlei Geschlechts) zu Kardinälen zu ernennen, hätte angesichts der erst wenige Jahre zuvor von Johannes XXIII. statuierten Pflicht der Bischofsweihe102 gesteigerter Begründung bedurft. Es bleibt also auch im geltenden Recht dabei, dass „einzig und allein“ den Kardinälen das Recht der Papstwahl zukommt, das aktive Wahlrecht eines „anderen kirchlichen Würdenträgers“ wird „unbedingt ausgeschlossen“103. Das gilt insbesondere auch für den Fall, dass im Verlauf der Feier eines Ökumenischen Konzils oder einer Bischofssynode der Apostolische Stuhl vakant wird, in diesem Fall sind die betreffenden Versammlungen ipso iure aufgelöst.104 Die ausdrückliche Bekräftigung der Altersgrenze für die Ausübung des aktiven Wahlrechts mit Vollendung des 80. Lebensjahrs, allerdings modifiziert hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes105, wird von Johannes Paul II. in der Vorrede näher begründet: Darin liege „keineswegs ein Zeichen von Geringschätzung“, vielmehr solle „solch einem verehrungswürdigen Alter nicht noch die zusätzliche Last (aufgebürdet)“ werden, „jemanden zu wählen, der die Herde Christi in einer den Erfordernissen der Zeit gemäßen Weise führen muß“. Rechtspolitisch wie auch rechtspraktisch ist diese Erwägung freilich nicht zwingend. Kardinäle, welche die zusätzliche Last nicht zu tragen vermögen, können sich (wie auch durch Krankheit oder anderen schwerwiegenden Grund verhinderte Kardinäle unter 80 Jahren) vom Kol100 Zusammenfassung der Diskussionen jener Jahre bei May, Papstwahlrecht in seiner jüngsten Entwicklung (Anm. 87), S. 210 – 212. 101 Näher Hubert Jedin, Vorschläge und Entwürfe zur Kardinalsreform (1935), in: ders., Kirche des Glaubens. Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge. Band II: Konzil und Kirchenreform, Freiburg 1966, S. 118 – 147, hier S. 137. 102 Siehe oben Text zu Anm. 83. – Bekanntlich gab es noch im 19. Jahrhundert Laien im Kardinalsrang. 103 Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 33. 104 Ebd., Nr. 34, unter Verweis auf cc. 340, 347 § 2 CIC/1983. Dass der Bischofssynode kein Wahlrecht zustehen kann, versteht sich schon aus ihrer grundsätzlichen Struktur und Funktion; sie verfügt über Beratungs- aber nicht über Entscheidungskompetenz (c. 343 CIC/ 1983). 105 Ebd., Nr. 33; nunmehr ist der „Stichtag“ nicht mehr der Beginn des Konklaves, sondern der Tag vor dem Eintritt der Sedisvakanz. Heftige Kritik daran bei May, Mehrheitsverhältnisse bei Papstwahlen (Anm. 78), S. 282: es werde eine „ohnehin odiöse Bestimmung verschärft“; dagegen Graulich, Die Vakanz des Apostolischen Stuhls (Anm. 96), S. 90, mit dem zutreffenden Hinweis auf die gesetzgeberische Absicht der Rechtsklarheit (die aktuelle Regelung sichert einen unzweifelhaft definierten Zeitpunkt, während der Stichtag „Konklavebeginn“ wegen der fortbestehenden Bestimmung der Nr. 37 – 15 bis 20 Tage nach Eintritt der Vakanz – flexibel ist).
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legium von der Teilnahmepflicht befreien lassen.106 Rechtshistorisch wie rechtspraktisch ist bedenklich, dass – gewiss zusammentreffend mit der deutlich gestiegenen Lebenserwartung – jener engere Kreis der Kardinäle zunehmend vom Recht der Papstwahl ausgeschlossen wird, dem es ursprünglich allein zustand: die Kardinalbischöfe. Seit Einführung der Altersgrenze haben bei keinem Konklave alle Kardinalbischöfe mitwählen können107, aktuell könnte es kein einziger. Gleichermaßen trat nur in eines der seither vier Konklaven der (mit der Wahlleitung betraute) Dekan des Kardinalkollegiums in das Konklave ein108 – um es als Papst zu verlassen. In die Kirchenrechtsgeschichte wird die Konstitution von Johannes Paul II. vor allem wegen ihrer Neujustierung des Wahlmodus eingehen: Die tradierten, doch seit Jahrhunderten außer Übung gekommenen Wahlformen per acclamationem und per compromissum fallen fort.109 Nunmehr gilt: „Nach Abschaffung der sogenannten Wahlverfahren per acclamationem seu inspirationem und per compromissum, wird der Papst von nun an einzig und allein per scrutinium gewählt.“110 Im Grundsatz verbleibt es für die gültige Wahl des Papstes bei dem Erfordernis der Zwei-Drittel-Mehrheit111, allerdings weitete Johannes Paul II. die von Paul VI. eröffneten Modalitäten zur Überwindung eines „toten Punktes“112 aus: Nach insgesamt 34 erfolglosen Wahlgängen (bzw. nach dem elften Konklavetag) obliegt es den Kardinälen, mit absoluter Mehrheit über das weitere Verfahren zu beschließen.113 In jedem Falle bedarf die gültige Wahl – sei es unter mehreren Kandidaten, sei es im Falle einer Stichwahl unter den beiden Kandidaten mit der höchsten Stimmzahl im unmittelbar vorangegangenen Wahlgang – der absoluten Mehrheit. Kurz gefasst, nach der von Johannes Paul II. erlassenen Konstitution konnte (nicht: musste!) der Wählerkreis ab einem bestimmten Zeitpunkt mit absoluter Mehrheit (und nicht mehr – darin liegt der entscheidende Unterschied zur Konstitution Pauls VI. – mit Einstimmigkeit) beschließen, dass für die konkrete Papstwahl die absolute Mehrheit hinreicht.
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Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 37. Bei den beiden Konklaven 1978 sowie beim Konklave 2005 nahmen jeweils vier Kardinalbischöfe (und ein orientalischer Patriarch) teil, beim Konklave 2013 nur mehr zwei Kardinalbischöfe (sowie zwei Patriarchen). 108 Die Wahlleitung fällt im Fall der Verhinderung von Dekan und Subdekan dem ranghöchsten Kardinal der nachfolgende Klasse zu (aktuell: der derzeit einzige wahlberechtigte orientalische Patriarch des Kollegiums). 109 Nähere Begründung in der Vorrede zur Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3). 110 Ebd., Nr. 62. 111 Ebd., die von Paul VI. wieder eingeführte Zusatzstimme fällt (nunmehr endgültig?) fort. 112 Siehe Anm. 93. 113 Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 74 – 75. Hilfreiche schematische Übersicht in: Sede Apostolica Vacante (Anm. 95), S. 137 – 138. 107
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Diese für außergewöhnliche – bei Licht besehen, rebus sic stantibus wenig wahrscheinliche –114 Konstellationen konzipierte Norm hat in der Kanonistik115 sowie in kirchlichen Kreisen116 in so hohem Ausmaß Vorbehalte und Kritik ausgelöst117, dass sich Papst Benedikt XVI. alsbald nach seiner Wahl zu ihrer Revidierung veranlasst gesehen hat.118 Diese besteht freilich nicht einfachhin in der Rückkehr zum Reglement Pauls VI. Vielmehr sollen ab dem 34. Wahlgang nur mehr die beiden Namen das passive (nicht aber – sollte sich bei ihnen um Kardinäle handeln – das aktive) Wahlrecht besitzen, welche beim vorherigen Wahlgang die höchste Wahl der Stimmen erhalten haben. Zur Wahl bedarf es in jedem Fall der Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der anwesenden und abstimmenden Kardinäle.119 Ob allerdings diese Lösung tatsächlich einen „toten Punkt“ eines „festgefahrenen“ Konklaves zu überwinden vermag, wird man zurückhaltend beurteilen können: Wie einer von zwei (zumal über den von der Konstitution näher umschriebenen längeren Zeitraum hindurch) annähernd gleich stark Zuspruch findenden Kandidaten bei unverändertem Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit nun plötzlich in einer Stichwahl obsiegen könnte, erscheint nicht recht vorstellbar. Nach dem jetzt maßgeblichen Wortlaut von Nr. 75 der Konstitution Universi Dominici gregis hat es den Anschein, als ob ab dem 34. Wahlgang nur die beiden zuvor meistvotierten Kandidaten gewählt werden könnten – ohne Möglichkeit, den „gordischen Knoten“ durch einen dritten (Kompromiss-)Kandidaten aufzulösen. Vorzugswürdig erscheint, in einer derartigen Situation (sei es im Wege der Klarstellung des Gesetzgebers, sei es im Wege der er-
114 Richtig Piazzoni, Storia delle elezioni pontificie (Anm. 7), S. 301: „un’ipotesi relativamente remota“. 115 In diesem Punkt übereinstimmend im Übrigen so gegensätzliche Autoren wie May, Mehrheitsverhältnisse bei Papstwahlen (Anm. 78), S. 284 – 285, einerseits und Stefan Schima, „Favoriten haben noch größere Chancen …“. Beobachtungen zur Entwicklung des Papstwahlrechts des 20. Jh. unter dem Blickwinkel der „Nachfolgesouveränität“, in: ÖARR 2005, S. 424 – 492, andererseits. 116 Siehe den Erwägungsgrund im Motu proprio De aliquibus mutationisbus (Anm. 96): „Nach der Promulgation der genannten Konstitution erreichten Johannes Paul II. nicht wenige ernst zu nehmende Bitten. Darin wurde nachdrücklich dazu aufgerufen, den bisher geltenden Normen wieder Rechtskraft zu verschaffen, nach denen der Papst nur dann als gültig gewählt gilt, wenn er zwei Drittel der Stimmen der anwesenden Kardinäle auf sich vereint.“ 117 Manchen alarmistischen Stimmen wird man entgegen halten können, dass die Absenkung des erforderlichen Quorums von einer Zwei-Drittel- auf eine absolute Mehrheit in außergewöhnlichen Fällen im geltenden Kirchenrecht der orientalischen Kirchen, soweit ersichtlich: ohne große Kontroversen, vorgesehen ist (s. c. 72 § 1 CCEO). Für das Papstwahlrecht kann auf das historische Beispiel der Bulle Periculis et detrimentis von Gregor XI. am Ende des Avignonesischen Exils (März 1378) verwiesen werden, welche sogar die einfache Mehrheit ausreichen ließ (nähere Einzelheiten sind freilich unverändert streitig, siehe die Hinweise bei Piazzoni, Storia delle elezioni pontificie [Anm. 7], S. 167 – 168). 118 Motu proprio De aliquibus mutationisbus, bestätigend Motu proprio Normas nonnullas (Anm. 96). 119 Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 75 in der Fassung des Motu proprio De aliquibus mutationisbus sowie des Motu proprio Normas nonnullas (Anm. 96).
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gänzenden Interpretation)120 den Kardinälen die volle Wahlfreiheit zuzubilligen, ohne darauf vertrauen zu müssen, dass einer der beiden Kardinäle (oder beide) einer (gar mehrfach erfolglosen) Stichwahl durch Verzicht den Weg dafür wieder frei macht. Schließlich ein letzter Punkt: In Anbetracht der atypischen Konstellation des Eintritts der Sedisvakanz durch Amtsverzicht des Papstes mit entsprechender Vorlaufzeit121 hätte die ohnedies reichlich bemessene Wartefrist von maximal 20 Tagen zu einer erheblichen Verzögerung des Konklaveeintritts geführt. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber dem Kardinalskollegium nunmehr die – freilich allgemein anwendbare – Befugnis übertragen, die grundsätzlich 15 tägige Wartefrist abzukürzen und den Wahlbeginn vorzuverlegen, sofern die Anwesenheit aller wahlberechtigten Kardinäle feststeht.122 Diese in ihrem Ansatz sinnvolle Modifizierung birgt freilich noch manches Optimierungspotential: Gerade wenn das Papstwahlrecht den Gegebenheiten der heutigen Zeit Rechnung tragen möchte, wären dabei auch die modernen Reise- und Transportmodalitäten einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund wirkt eine Wartefrist, die in extremis doppelt so lange ist wie zu Zeiten Gregors X., eher antiquiert. In einer Welt, die in einem Ausmaß vernetzt und verbunden ist, dass praktisch ein jeder Ort von einem anderen in 24 Stunden erreichbar ist, rechtfertigt – anders als noch zu Zeiten Pius’ XI. –123 die Besorgnis, ein Kardinal könnte nicht rechtzeitig am Wahlort eintreffen, keine derart lange Wartezeit. Eine ebenso sinnvolle wie historisch fundierte Lösung könnte darin bestehen, zu der ZehnTages-Frist von Gregor X. zurückzukehren; in diesem Zeitraum können auch die vorgesehenen neuntägigen Trauerfeierlichkeiten für die Seelenruhe des verstorbenen Papstes abgehalten werden.124 Dieser letzte Aspekt mag zeigen: Mitunter besteht eine zeitgemäße Regelung – ein aggiornamento125 – darin, aus in der Geschichte begründeten und bewährten Vorschriften Nutzen und Frucht zu ziehen.
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Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 5. Papst Benedikt XVI. erklärte seinen Amtsverzicht am 11. Februar 2013, der zum 28. Februar 2013 um 20 Uhr – also nach 17 Tagen – wirksam werden sollte. 122 Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 37, in der Fassung des Motu proprio Normas nonnullas (Anm. 96). 123 Siehe Motu proprio Cum proxime (Anm. 65). 124 Ap. Konst. Universi Dominici gregis (Anm. 3), Nr. 27. 125 Bekanntlich hatte Papst Johannes XXIII. diesen Schlüsselbegriff im Hinblick auf das kanonische Recht geprägt, als er in seiner Ansprache an die in St. Paul vor den Mauern versammelten Kardinäle vom 25. Januar 1959 neben der Einberufung einer Diözesansynode der Stadt Rom und eines Ökumenischen Konzils für die Gesamtkirche auch eine „Anpassung (aggiornamento) des Codex Iuris Canonici“ angekündigte; Abdruck der Ansprache in: AAS 51 (1959), S. 65 – 69, hier S. 68. 121
Las circunscripciones personales en la organización de la Iglesia* Juan Fornés
I. La estructura de la Iglesia El Concilio Vaticano II, singularmente en su Constitución Lumen gentium, aparte de referirse a la Iglesia con la imagen paulina del Corpus mysticum1, ha utilizado otras expresiones que ponen de relieve distintos aspectos o perspectivas de la una y única realidad que es la Iglesia. Estas expresiones son las de pueblo, comunidad y sociedad. Cuando se habla de la Iglesia como pueblo, aunque este término tenga distintos significados en el lenguaje corriente, se ponen de relieve dos importantes aspectos: de una parte, el origen común que hace a todos los cristianos miembros de una misma familia; y de otra, la igualdad fundamental o radical de todos los fieles, en cuya virtud gozan de la misma dignidad, de los mismos medios, de la misma fe y son responsables del fin común – de orden sobrenatural – de toda la Iglesia. Es éste el verdadero sentido en el que la palabra pueblo se aplica a la Iglesia, porque, como es bien sabido, hace referencia a su significado bíblico: el Pueblo de Israel. «Es, en efecto, en su propio pueblo – ha dejado escrito con gráficas palabras Felici2 –, concretado en primer lugar en la estirpe israelita, descendiente del semen Abrahae, y después realizado plenamente en el nuevo pueblo redimido por Cristo, en el que Dios actualiza el misterio de la salvación. Tal salvación es, por tanto, el fin común de la singular y misteriosa pluralidad, que encuentra también unidad en los medios comunes de santificación, en la única fe, en la única Cabeza: Unus Dominus, una fides, unum baptisma.» Y es que, en efecto, como señala la Constitución Lumen gentium, «el Pueblo de Dios, por Él elegido, es uno: un Señor, una fe, un bautismo (Eph. 4,5). Es común la dignidad de los miembros, que deriva de su regeneración en Cristo; común la gracia de la filiación; común la llamada a la perfección: una sola salvación, única la * Estudio realizado en el marco del Proyecto DER2012 – 31062 Gestión de la diversidad religiosa y organización territorial, Ministerio de Economía y Competitividad. Y destinado a los Escritos en Honor del Prof. Helmuth Pree. 1 Vid. Lumen gentium, n. 7 2 Cfr. P. Felici, Il Concilio Vaticano II e la nuova codificazione canonica, Roma 1967, p. 12.
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esperanza e indivisa la caridad. No hay, por consiguiente, en Cristo y en la Iglesia ninguna desigualdad por razón de la raza o de la nacionalidad, de la condición social o del sexo, porque no hay judío ni griego; no hay siervo o libre; no hay varón ni mujer. Pues todos vosotros sois ”uno” en Cristo Jesús (Gal. 3,28 gr.; cf. Col. 3,11)»3. La consideración de la Iglesia como pueblo lleva consigo un claro y singular relieve de la igualdad fundamental de todos los fieles, con importantes consecuencias jurídicas desde la perspectiva del enfoque de la estructura constitucional de la comunidad eclesial. «Utilizando un lenguaje técnico-jurídico – ha dejado escrito Del Portillo a este respecto –, podríamos decir que ya no es suficiente afirmar que los vínculos jurídicos en la Iglesia consisten en la relación jerárquica, sino que es preciso sostener que la estructura constitucional de la Iglesia comprende por Derecho divino: a) una relación primaria, en cuya virtud todos los cristianos forman una comunidad, una sociedad, cuyo fin común es la instauración del Reino de Cristo; por este vínculo todos deben tender activamente a este fin y se encuentran en la situación de fiel, son christifideles, cives Ecclesiae, cuya condición es la de igualdad en dignidad y libertad de hijos de Dios; b) una relación jerárquica, por la cual el Pueblo de Dios se organiza funcionalmente, con una Cabeza visible de toda la Iglesia universal y con unos Pastores que presiden las Iglesias particulares. La Iglesia es, pues, el nuevo Pueblo de Dios que vive en un orden jerárquico, para realizar el Reino de Dios»4. Y el mismo autor ha puesto gráficamente de relieve en otro lugar que «en el plano fundamental de miembros del Pueblo de Dios no hay desigualdades en cuanto a ser más o menos hijos de Dios, o más o menos christifideles», de modo que «en el orden de la personalidad no hay diferencias, y por tanto […] todos los fieles tienen la misma personalidad radical ante el Derecho»5. Puede subrayarse, en fin, que esta igualdad es la que posibilita la existencia del Derecho en la Iglesia, ya que, cuando no la hay – como ya subrayó vigorosamente Tomás de Aquino al señalar que el derecho comporta una cierta aequalitas entre los sujetos relacionados –, se da la «piedad» o la «caridad», por ejemplo; pero no la
3 Const. Lumen gentium, n. 32 (para el texto castellano del Concilio Vaticano II se ha utilizado a lo largo de todo este trabajo la traducción preparada por la B. A. C. en el volumen Concilio Vaticano II. Constituciones. Decretos. Declaraciones, 7a ed., Madrid 1970). 4 A. del Portillo, Dinamicidad y funcionalidad de las estructuras pastorales, en: Ius Canonicum IX (1969), pp. 323 s. 5 Id., Fieles y laicos en la Iglesia. Bases de sus respectivos estatutos jurídicos, Pamplona 1969, p. 69. Sobre este punto, que incide plenamente en una errada concepción estamental de la Iglesia, me permito remitir a la monografía de J. Fornés, La noción de «status» en Derecho canónico, Pamplona 1975.
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«justicia». Por la «igualdad» hay justicia en la Iglesia; y por esto, hay derecho: la justicia – como, con lapidaria fórmula, ha subrayado Hervada – sigue al derecho.6 Cuando se aplica la noción de comunidad a la Iglesia se pone de relieve, cabalmente, que es una communio fidelium en la que hay, de una parte, cohesión, solidaridad entre los cristianos, por virtud de los vínculos ontológicos que los unen y los bienes comunes que poseen; y de otra, una corresponsabilidad de todos ellos en la misión de la Iglesia.7 Communio que, como precisa la nota explicativa previa del cap. III de la Lumen gentium, «no es un vago afecto, sino una realidad orgánica que exige forma jurídica»8. Y que, como con gráficas palabras indicaba Pablo VI, «está ordenada a la edificación del Cuerpo de Cristo. Por tanto la misión confiada a la Iglesia de Cristo requiere también la cooperación de todos los fieles para llevarla a cabo»9. En consecuencia, la Iglesia considerada como comunidad nos muestra con singular énfasis la perspectiva fundamental de participación activa y responsable de todos los fieles – no sólo de los integrantes de la jerarquía – en la misión del Pueblo de Dios. Teniendo en cuenta, en efecto, la vocación común a la santidad y al apostolado contenida en el bautismo, la participación en la misión de la Iglesia abarca solidariamente a todos y cada uno de los fieles sin distinción. De este modo, ninguno puede considerarse como un simple elemento pasivo, sino que es, con todos los demás, una persona que tiene – de acuerdo con los dones y carismas peculiares recibidos – una positiva y personal responsabilidad en la misión de la Iglesia. Ciertamente el Concilio Vaticano II ha aplicado también la noción de sociedad a la Iglesia, y de modo particular, cuando hace referencia a su condición jerárquica, que lleva consigo una distinción funcional entre los miembros del Pueblo de Dios. «Pero la sociedad dotada de órganos jerárquicos y el Cuerpo místico de Cristo – dice la Constitución Lumen gentium –, la sociedad visible y la comunidad espiritual, 6 «Para entender bien la justicia hay que tener presente el siguiente principio fundamental: la justicia sigue al derecho. No puede haber un acto de justicia allí donde no haya un título sobre una cosa, allí donde la cosa no sea – en virtud de un título – algo debido, un derecho. La justicia es la virtud de cumplir y respetar el derecho, no la virtud de crearlo» (J. Hervada, Introducción crítica al Derecho natural, Pamplona 1981, p. 25). En general, vid. ibid., pp. 23 ss.; también E. Baura, Parte generale del diritto canonico. Diritto e sistema normativo, Roma 2013, pp. 29 ss. 7 Cfr. J. Hervada-P. Lombardía, El Derecho del Pueblo de Dios I, Pamplona 1970, p. 251. 8 En efecto, en relación con el cap. III de la Const. Lumen gentium, el n. 2 de la «Nota explicativa previa» precisa con claridad que «communio est notio quae in antiqua Ecclesia (sicut etiam hodie praesertim in Oriente) in magno honore habetur. Non intelligitur autem de vago quodam affectu, sed de realitate organica, quae iuridicam formam exigit et simul caritate animatur. Unde Commisio, fere unanimi consenso, scribendum esse statuit: in hierarchica communione». 9 Cfr. Pablo VI, Discorso ai partecipanti, en: Persona e ordinamento nella Chiesa. Atti del II Congresso internazionale di diritto canonico. Milano 10 – 16 settembre 1973, p. 584. Vid. L’Osservatore Romano, 17 – 18 septiembre 1973.
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la Iglesia terrestre y la Iglesia dotada de bienes celestiales, no han de considerarse como dos cosas distintas, porque forman una realidad compleja, constituida por un elemento humano y otro divino»10. Y también con referencia a la constitución jerárquica de la Iglesia y, particularmente, al episcopado, señala la citada Constitución que los Apóstoles cuidaron de establecer sucesores «en esta sociedad jerárquicamente organizada»11. Con esto se pone de relieve que la aplicación del término sociedad a la Iglesia implica poner el acento principalmente en dos aspectos fundamentales: a) su carácter de institución, es decir, de realidad que debe su origen a la voluntad del divino Fundador y que tiene unos rasgos de permanencia, trascendencia e independencia de las personas que la forman; b) su estructura como un cuerpo social orgánico y unitario, que no es la simple suma de sus componentes, sino una entidad propia e independiente de sus miembros.12 El enfoque de la Iglesia como sociedad no significa, sin embargo, el establecimiento de un parangón, sic et simpliciter, con aquella otra sociedad que es la comunidad política o el Estado. Comparto en este sentido las agudas matizaciones que, con su acostumbrada claridad, hizo en su momento Orio Giacchi cuando escribía que la fundamental aportación del Concilio Vaticano II sobre este tema había sido «la identificación del carácter propio de la comunidad eclesial y su diferenciación de las comunidades políticas, no sólo por el distinto campo al que una y otras se refieren, sino también, y sobre todo, por la esencialísima diferencia en la constitución misma de los dos tipos de entes»13. En efecto, como el citado autor señala, a partir de los primeros años del s. XIV y, sobre todo, en el período del Absolutismo, la Iglesia se había ido configurando a los ojos de sus hijos más fieles e incluso de aquellos que se ocupaban de explicar sus estructuras jurídicas como una especie de sociedad política, semejante en sus formas institucionales y en muchas de sus actividades a los Estados, si bien con una competencia distinta y un objeto diverso. Este absolutismo, tomado en préstamo de los esquemas temporales, había llegado a ser considerado como parte de la tradición eclesiástica, como una de aquellas tradiciones confundidas con frecuencia con la Tradición. El Concilio Vaticano II, por contraste – si bien no se ha enfrentado directamente con este problema –, lo ha resuelto con sus solemnes afirmaciones, singularmente en la Lumen gentium, al proponer la verdadera imagen de la Iglesia
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Const. Lumen gentium, n. 8. Ibid., n. 20. 12 Cfr. J. Hervada-P. Lombardía, El Derecho del Pueblo de Dios (nota 7), pp. 35 ss.; pp. 253 s.; pp. 313 ss. 13 O. Giacchi, Tradizione ed innovazione nella Chiesa dopo il Concilio, en: Atti del Congresso Internazionale di Diritto canonico. La Chiesa dopo il Concilio, Milano 1972, p. 44. 11
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con sus inmensas y sustanciales diferencias respecto de la comunidad política de cualquier tipo o tiempo.14 Todo esto significa, a mi juicio, que las formas jurídicas que el organismo social de la Iglesia asume están influidas, de algún modo y en la medida de lo posible – es decir, dentro de los límites del derecho divino –, por las leyes de la historicidad. De ahí que parezcan oportunas algunas referencias históricas que pueden ilustrar adecuadamente sobre esta cuestión.15
II. Algunos apuntes históricos sobre la territorialidad y la personalidad en la organización eclesiástica Por de pronto, se puede recordar cómo el principio de la personalidad del derecho predomina sobre el de territorialidad en la alta edad media.16 Una carta del obispo de Lyon, Agobardo, dirigida al emperador Ludovico Pío, pone de relieve, cabalmente, las dificultades que llevaba consigo la aplicación del principio personal en lugar del territorial en el siglo IX. «Con todo respeto – escribe Agobardo – desearía que me dijeras si no es un obstáculo para la unidad […] tanta diversidad de leyes como hay, no sólo en cada región o en cada ciudad, sino incluso en muchas casas particulares. Porque muchas veces sucede que cinco personas pasean juntas o se sientan a charlar y resulta que ninguna de ellas tiene la misma ley que la otra en el fuero externo para las cosas temporales, cuando en el fuero interno y para las cosas eternas están obligadas todas por la única ley de Cristo.»17
Por esta razón Agobardo rechazaba esta fragmentación del derecho y solicitaba al emperador que «los burgundios quedasen sometidos a la ley de los francos en el espíritu de la doctrina de las epístolas de san Pablo (cfr. Gal 3,28; Rom 10,12), de tal manera que ”no haya gentil y judío, circuncisión e incircuncisión, bárbaro y griego, aquitano y longobardo, burgundio y alemán, siervo y libre; sino que Cristo sea todo en todos”»18. En esta línea, por lo demás, debe tenerse en cuenta que el establecimiento de las normas y los estatutos territoriales en las ciudades italianas del siglo XIII, que eran obligatorios para todos los residentes, constituyó un paso 14
Cfr. ibid., p. 45. Cfr. en este sentido G. Dalla Torre, Le strutture personali e le finalità pastorali, en: AA.VV., I principi per la revisione del Codice di diritto canonico. La ricezione giuridica del Concilio Vaticano II (a cura di J. Canosa), Milano 2000, pp. 562 ss. 16 Cfr. ibid., pp. 563 ss.; F. Calasso, Medio evo del diritto, I, Le fonti, Milano 1954; A. Viana, Personalidad [principio de], en: Diccionario General de Derecho canónico VI, Pamplona 2012, pp. 198 ss.; J. Otaduy, Territorialidad y personalidad son categorías jurídicas abiertas, en: Ius Canonicum 42 (2002), pp. 13 – 39. 17 Agobardus, Adversus legem Gundobaldi, PL 104, pp. 115 – 116 (cfr. en: J. Otaduy, Territorialidad [nota 16], p. 20; y A. Viana, Personalidad [nota 16], p. 199). 18 A. Viana, Personalidad (nota 16), p. 199. 15
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adelante en la afirmación de la territorialidad, como lo constituyó también el propio feudalismo. Esta estructura, social y económica, se extendió por Europa hasta el siglo XV y se caracterizaba, entre otras cosas, por la fragmentación territorial y la vinculación del derecho al dominio sobre los feudos, de tal manera que quedaba excluida la posibilidad de distintas leyes en cada señorío territorial.19 En todo caso, el principio de la territorialidad se consolida decididamente en el Estado moderno, que se considera ordenamiento soberano y autosuficiente y en el que el territorio constituye elemento básico y fundamental. Y este proceso de territorialización del derecho, como ya se apuntó más arriba, tuvo una notable influencia en la Iglesia, de modo que en ella se produjo también una sobrevaloración del elemento territorial en su propia organización. Y esto, a pesar de que el principio de la personalidad del derecho y, por consiguiente, el singular relieve del elemento personal en la determinación de las circunscripciones eclesiásticas, es estructural y funcionalmente adecuado a la Iglesia, que, como es bien sabido, da origen a un ordenamiento jurídico abierto y no cerrado, se autocalifica como comunidad, es decir, como el conjunto de los fieles «incorporados a Cristo por el bautismo» (c. 204 § 1) y «que se unen a Cristo dentro de la estructura visible […] por los vínculos de la profesión de fe, de los sacramentos y del régimen eclesiástico» (c. 205). Aspectos que, como se ha recordado al comienzo de este estudio, han sido particularmente puestos de relieve por la eclesiología del Concilio Vaticano II, pero que no eran desconocidos20, aunque hubiesen quedado en un segundo plano, en épocas anteriores.21
III. Indicaciones específicas del Concilio Vaticano II para una revisión de la organización eclesiástica De ahí que la cuestión de una revisión de la organización eclesiástica, más adaptada a las exigencias pastorales actuales, estuviera bien presente en los trabajos del Concilio Vaticano II. Fruto de los cuales han sido una serie de indicaciones, que aquí se resumen en tres puntos22: a) en primer lugar, la necesidad de la revisión de las circunscripciones eclesiásticas señalada por el Decreto Christus Dominus, sobre el oficio pastoral de los obispos en la Iglesia23, por razones tales como la posibilidad de que estén en 19
Cfr. ibid., pp. 199 s. Piénsese en la conocida definición de la Iglesia ofrecida por V. Del Giudice (Nozioni di diritto canonico, 12a ed. en colaboración con G. Catalano, Milano 1970, p. 90) como «corporación institucional no territorial» (cfr. G. Dalla Torre, Le strutture personali [nota 15], p. 564, donde se recoge explícitamente esta referencia). 21 Cfr. G. Dalla Torre, Le strutture personali (nota 15), pp. 563 s., cuya síntesis expositiva se ha seguido en esta cuestión. 22 Se recoge resumidamente lo expuesto por el autor citado en la nota anterior, Le strutture pastorali (nota 15), pp. 567 ss. 23 Cfr. Decr. Christus Dominus, n. 22. 20
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condiciones de cumplir eficazmente sus deberes pastorales, o bien, que se pueda proveer lo más perfectamente posible a la asistencia espiritual del pueblo de Dios. En este sentido, también se trataba de resolver adecuadamente la asistencia espiritual a los fieles de distinto rito, disponiendo que, a juicio de la Sede Apostólica, se podía proceder a la constitución de una jerarquía propia según la diversidad de Ritos24, de acuerdo, en este caso, con una precisa indicación ya contenida en el n. 4 del Decreto Orientalium Ecclesiarum, sobre las Iglesias Orientales Católicas. b) En segundo término, también en el decreto Christus Dominus se planteaba la exigencia de una adecuada asistencia espiritual a los militares, invitando a la autoridad competente a la erección de un Vicariato Castrense.25 c) Por último, en el decreto Presbyterorum Ordinis sobre el ministerio y la vida sacerdotal, con referencia a la adecuada distribución del clero, se preveía la realización de particulares iniciativas pastorales a favor de distintos grupos sociales en determinadas regiones o naciones, o incluso en todo el mundo, en el contexto de una reorganización de la figura de la incardinación más adecuada a las necesidades pastorales actuales, con referencia también a nuevas modalidades de la organización eclesiástica; en concreto, a las diócesis y prelaturas personales.26 Estas indicaciones específicas han encontrado una más precisa y orgánica formulación en los Principios directivos para la reforma del Código de Derecho Canónico, cuyo texto fue preparado por una Comisión central de los consultores de la competente Comisión pontificia y, sometido al estudio de la Asamblea General del Sínodo de Obispos, fue aprobado el 7 de octubre de 1967.27
IV. El octavo principio directivo para la reforma del Código y las circunscripciones personales en la organización eclesiástica De entre estos principios directivos, el octavo hace referencia al adecuado entronque entre la territorialidad y la personalidad en el ejercicio del gobierno eclesiástico, ya que hay razones en las actuales necesidades apostólicas que favorecen la existencia de unidades jurisdiccionales personales.
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Cfr. ibid., n. 23. Cfr. ibid., n. 43. 26 Cfr. Decr. Presbyterorum Ordinis, n. 10. 27 Vid. los Principia quae Codicis Iuris Canonici recognitionem proponuntur, Communicationes 1, 1969, pp. 77 – 85. Una versión resumida se recoge en el Prefacio del Código de Derecho Canónico de 1983. Cfr. G. Dalla Torre, Le strutture personali (nota 15), p. 568. 25
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Me permito recoger completo el texto del octavo principio, porque me parece singularmente expresivo para la cuestión que nos ocupa: la adecuada configuración y la mejor comprensión de las circunscripciones personales de la organización de la Iglesia. Dice así: «Se plantea la cuestión de la mayor o menor oportunidad de conservar el ejercicio de la jurisdicción eclesiástica con estricto predominio de la territorialidad en la organización de la Iglesia.» «Parece que, a partir de los documentos conciliares, ha de deducirse un principio: el fin pastoral de la diócesis y el bien de toda la Iglesia católica exigen una clara y congruente circunscripción territorial, de tal modo que, por derecho ordinario, quede asegurada la unidad orgánica de cada diócesis en cuanto a personas, oficios e instituciones, a la manera de un cuerpo vivo.» «Por otra parte, teniendo en cuenta las exigencias del apostolado moderno, tanto en el ámbito de alguna nación o región como dentro del mismo territorio diocesano, parece que se pueden, e incluso se deben, regular con un criterio más amplio, al menos por derecho extraordinario incorporado en el propio Código, las unidades jurisdiccionales destinadas a una peculiar cura pastoral, de las cuales hay varios ejemplos en la disciplina actual. Así pues, se desea que el futuro Código pueda permitir unidades jurisdiccionales como las descritas, que pudieran ser constituidas no sólo por especial indulto apostólico, sino también por la competente autoridad del territorio o de la región, según las exigencias o necesidades de la cura pastoral del Pueblo de Dios.» «Puesto que la cuestión presenta diversos aspectos, parece que, según la doctrina del Concilio Vaticano II, pueden proponerse los siguientes principios:» «Con toda certeza, hoy no pueden definirse las Iglesias particulares como partes territoriales constituidas en la Iglesia, sino que, según dice el Decr. Christus Dominus, n. 11, cada una de ellas es: ‹porción del Pueblo de Dios que se confía al Obispo para que la apaciente con la cooperación del presbiterio …›. No obstante, puesto que la mayor parte de las veces el territorio que habitan los fieles puede considerarse el mejor criterio para determinar la porción del Pueblo de Dios que constituye la Iglesia particular, el territorio conserva su importancia; no, ciertamente, como elemento constitutivo de la Iglesia particular, sino como elemento determinativo de la porción del Pueblo de Dios por la que esta Iglesia se define. Por esa razón, puede tenerse como regla general que esa porción del Pueblo de Dios se determina por el territorio, pero nada impide que, donde la utilidad lo aconseje, puedan admitirse otras consideraciones, como el rito, la nacionalidad, etc., como criterios para determinar una comunidad de fieles.»28
De acuerdo con estos criterios del principio octavo, que, como acertadamente ha subrayado Miras, se mueven en un ámbito de oportunidad, de adecuada elección prudencial entre varias posibilidades legislativas para el mejor gobierno pastoral29,
28 Cfr. Communicationes 1 (1969), p. 84. Sobre el octavo principio, vid. V. Gómez-Iglesias, El octavo principio directivo para la reforma del «Codex Iuris Canonici»: El iter de su fomulación, en: Fidelium Jura 11 (2001), pp. 13 – 39. 29 Cfr. J. Miras, Organización territorial y personal: fundamentos de la coordinación de los pastores, en: AA.VV., I principi per la revisione (nota 15), pp. 628 ss.
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la autoridad suprema ha instituido y regulado distintas circunscripciones eclesiásticas sin delimitación territorial: las circunscripciones personales.
V. La tipología actual de las circunscripciones personales En efecto, en la regulación canónica actual existen distintos tipos de circunscripciones personales, que se describen a continuación30, no sin antes subrayar – como lo hace la Carta Communionis notio31 – que «para una visión más completa de este aspecto de la comunidad eclesial – unidad en la diversidad –, es necesario considerar que existen instituciones y comunidades establecidas por la Autoridad Apostólica para peculiares tareas pastorales. Estas, en cuanto tales, pertenecen a la Iglesia universal, aunque sus miembros son también miembros de las Iglesias particulares donde viven y trabajan. Tal pertenencia a las Iglesias particulares, con la flexibilidad que les es propia, tiene diversas expresiones jurídicas». Los tipos de circunscripciones sin delimitación territorial son: (1) los ordinariatos personales, con sus tres especies: (a) los ordinariatos militares, regulados por la Const. ap. Spiritualium militum curae32 ; (b) los ordinariatos para miembros de la comunión anglicana recibidos en la Iglesia católica, regulados en la Const. ap. Anglicanorum coetibus33 ; (c) los ordinariatos para católicos orientales en territorios de rito latino, con normas sancionadas para cada supuesto34; 30 Cfr. A. Viana, Personalidad (nota 16), pp. 202 s.; L. Navarro, Principio territorial y principio personal: el modelo del derecho canónico, en: F. Pérez-Madrid/M. Gas (dirs.), La gobernanza de la diversidad religiosa, Pamplona 2013, pp. 407 ss.; J. Fornés, Derecho territorial y derecho personal en la gestión de la diversidad religiosa, ibid., pp. 423 ss. 31 Vid. CDF, Carta Communionis notio, n. 16. 32 Vid. Const. ap. Spiritualium militum curae del 21 de abril de 1986 (AAS 78 [1986], pp. 481 – 486). Obviamente cada Ordinariato tiene sus propios Estatutos. Cfr. E. Baura, Legislazione sugli ordinariati castrensi, Milano, 1992. 33 Const. ap. Anglicanorum coetibus, 4 de noviembre de 2009 (AAS 101 [2010], pp. 985 – 990 y las normas complementarias dadas por la C. para la doctrina de la Fe. Vid. J. I. Arrieta, Gli ordinariati personali, en: Ius Ecclesiae 22 [2010], pp. 151 – 172; J. I. Rubio López, Tradición anglicana en la Iglesia de Roma. Ordinariatos personales para antiguos fieles anglicanos, en: Revista General de Derecho Canónico y Derecho Eclesiástico del Estado 26 (2011), pp. 1 – 28; A. Viana, Ordinariatos y prelaturas personales. Aspectos de un diálogo doctrinal, en: Ius Canonicum 52 [2012], pp. 481 – 520). 34 Puede verse Annuario Pontificio 2013, pp. 1029 – 1033 y p. 1804. «Tales circunscripciones no están reguladas ni en el CIC ni en el CCEO. Su normativa especial se encuentra en los decretos de erección de cada ordinariato. Son entes creados por la Congregación para las Iglesias Orientales y dependen de ella. En la doctrina se discute si se trata de estructuras
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(2) las prelaturas personales, cuya regulación general se encuentra en los cc. 294 – 297 del Código de 198335 ; (3) las administraciones apostólicas personales36 (como la constituida, en el año 2002, en Brasil). Las características comunes de estas circunscripciones jurisdiccionales personales, como ha sintetizado la doctrina canónica37, son las siguientes: a) Por de pronto – y aunque no en todos estos supuestos mencionados –, han de ser consideradas como estructuras complementarias, que, por tanto, no son Iglesias particulares.38 Son circunscripciones jurisdiccionales personales, compuestas pertenecientes a la Iglesia latina o a las Iglesias Orientales. Un análisis atento ha llevado a afirmar que se trata de entes transrituales, estructuras jerárquicas de nivel constitucional distinto del de las Iglesias sui iuris» (L. Navarro, Principio territorial [nota 30], p. 417). Cfr. J. I. Arrieta, Diritto dell’organizzazione ecclesiastica, Milano 1997, p. 365; A. Viana, Personalidad (nota 16), p. 203; G. Gefaell, Enti e Circoscrizioni meta-rituali nell’organizzazione ecclesiastica, en: VV.AA., Ius Canonicum in Oriente et Occidente. Festschrift für Carl Gerald Fürst zum 70. Geburtstag, Franfurkt am Main, 2003, p. 507. 35 Vid. J. I. Arrieta, Le prelature personali e le loro relazioni con le strutture teritoriali, en: Il diritto ecclesiastico 112 (2001), pp. 22 – 49; E. Baura (ed.), Studi sulla prelatura dell’Opus Dei. A venticinque anni della cost. ap. Ut sit, Roma 2008; A. Viana, Pasado y futuro de las prelaturas personales, en Ius Canonicum 48 (2008), pp. 141 – 182; Id., Ordinariatos y prelaturas personales (nota 33), pp. 481 ss.; J. Martinez-Torrón, La configuración juridica de las prelaturas personales en el Concilio Vaticano II, Pamplona 1986; A. de Fuenmayor/V. GómezIglesias/J. L. Illanes, El itinerario jurídico del Opus Dei: historia y defensa de un carisma, Pamplona 1989. 36 Vid. Congregación para los obispos, Decreto de erección de la Administración apostólica personal «San Juan María Vianney», de 18 de enero de 2002 (AAS 94 [2002], pp. 305 – 308). Puede verse sobre la materia G. Incitti, Note sul decreto di erezione dell’Amministrazione apostolica personale S. Giovanni Maria Vianney, en: Ius Ecclesiae 14 (2002), pp. 849 – 860. 37 Cfr. L. Navarro, Principio territorial (nota 30), pp. 417 – 420, cuya síntesis se sigue aquí en buena medida. Vid. también, entre otros, J. I. Arrieta, Le circoscrizioni personali, en: Fidelium Iura 4 (1994), pp. 212 – 221; Id., Fattori territoriali e personali di aggregazione ecclesiale, en: P. Erdö/P. Szabo (eds.), Territorialità e personalità nel diritto canonico ed ecclesiastico, Budapest 2002, pp. 422 ss.; E. Baura, Las circunscripciones eclesiásticas personales. El caso de los ordinariatos personales para fieles provenientes del anglicanismo, en: Ius canonicum 50 (2010), pp. 165 ss.; A. Viana, Ordinariatos y prelaturas personales (nota 33), pp. 481 ss. 38 Cfr. en este sentido J. Hervada, Elementos de Derecho constitucional canónico, Pamplona 1987, pp. 308 – 313. Se precisa arriba en el texto: «aunque no en todos estos supuestos mencionados», porque en el caso de los ordinariatos para fieles provenientes de la comunión anglicana no parece que puedan considerarse circunscripciones complementarias, pues, en los Decretos de erección de esos ordinariatos personales parece que los fieles no pertenecen a la diócesis en la que tienen el domicilio. Por lo demás, debe tenerse en cuenta que puede haber también estructuras personales mayores no complementarias sino necesarias. Estas últimas «coinciden con la noción teológica de Iglesia particular, y significan la presencia de la Iglesia en un determinado lugar […], mientras que las estructuras complementarias pueden existir o no en un lugar o ámbito determinados, coexistiendo en cualquier caso con las circunscripciones necesarias, mas nunca
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por un obispo o un presbítero con poderes de naturaleza episcopal, un presbiterio y el pueblo constituido por fieles. b) La pertenencia de los fieles a estas circunscripciones personales se lleva a cabo a través de un propio acto voluntario junto a la presencia de determinadas condiciones objetivas.39 c) «Habitualmente son erigidas por la autoridad suprema de la Iglesia después de haber oído el parecer de las Conferencias episcopales interesadas, pues su acción pastoral se dirige a fieles que, en principio, son a la vez miembros de las Iglesias particulares de una nación. Se rigen por normas estatutarias o por un derecho especial, pues las necesidades a las que responden son variadas y deben precisarse. De lo anterior se deduce que la presencia de estas jurisdicciones requiere una coordinación con la jerarquía territorial local (de hecho, quienes son cabeza de estas circunscripciones normalmente participan en las reuniones de la Conferencia Episcopal aunque no sean obispos) y están sometidas a los controles jerárquicos típicos de las circunscripciones (visita ad limina para informar a la Santa Sede sobre la situación, por ejemplo). La existencia de estos entes ha provocado la necesidad de encontrar modos de coordinación de la acción pastoral y también ha producido la concurrencia de jurisdicciones. Es aplicable a estas jurisdicciones personales cuanto se dice respecto a algunos jerarcas orientales: ”Los Obispos eparquiales de varias Iglesias sui iuris, que ejercen su potestad en el mismo territorio, cuiden de fomentar la unidad de acción, mediante el intercambio de pareceres en reuniones periódicas y uniendo sus fuerzas favorezcan las obras comunes para promover más expeditamente el bien de la religión y tutelar más eficazmente la disciplina eclesiástica (can. 202 CCEO).»40 En suma, puede concluirse41 que estas circunscripciones personales existen para atender más adecuadamente – «personalizadamente», valga la redundancia – las exigencias espirituales de los fieles y para satisfacer de un modo cabal y apropiado su derecho a recibir la ayuda abundante de los bienes espirituales de la Iglesia.
sustituyéndolas» (J. I. Arrieta, Circunscripción eclesiástica, en: Diccionario General de Derecho canónico II, Pamplona 2012, p. 98). 39 Cfr. L. Navarro, Principio territorial (nota 30), p. 418. En el caso de los ordinariatos militares, los fieles son generalmente determinados a iure. 40 Ibid., pp. 418 – 419, con referencia expresa a los datos normativos que apoyan estas afirmaciones: c. 294 CIC/1983; Const. ap. Spiritualium militum curae, I,1 y I,2; Const. Ap. Anglicanorum coetibus, arts. I, II, V, XI, entre otros. 41 Cfr. ibid., pp. 420 – 421.
Missione e funzioni della Conferenza Episcopale Italiana secondo Papa Francesco Profili istituzionali Giorgio Feliciani
I. Le indicazioni di Papa Francesco Il 23 maggio 2013 Papa Francesco, incontrando per la prima volta l’episcopato italiano, ha così risposto all’indirizzo di saluto del cardinal Bagnasco, presidente della Conferenza Episcopale Italiana (CEI): “Ringrazio Vostra Eminenza per questo saluto e complimenti anche per il lavoro di questa Assemblea. Grazie tante a tutti voi. Io sono sicuro che il lavoro è stato forte perché voi avete tanti compiti. Primo: la Chiesa in Italia – tutti – il dialogo con le istituzioni culturali, sociali, politiche, che è un compito vostro e non è facile. Anche il lavoro di fare forte le Conferenze regionali, perché siano la voce di tutte le regioni, tanto diverse; e questo è bello. Anche il lavoro, io so che c’è una Commissione per ridurre un po’ il numero delle diocesi tanto pesanti. Non è facile, ma c’è una Commissione per questo. Andate avanti con fratellanza, la Conferenza episcopale vada avanti con questo dialogo, come ho detto, con le istituzioni culturali, sociali, politiche. E’ cosa vostra. Avanti!”1
Con queste poche, essenziali battute – che per la loro importanza è parso opportuno riportare testualmente – il pontefice ha ricordato alla CEI il dovere di far fronte a tre imprescindibili esigenze di carattere istituzionale: il dialogo con le realtà civili, la valorizzazione delle conferenze episcopali regionali, il riordinamento delle diocesi, che pure, come meglio si mostrerà in seguito, avevano già subito meno di trent’anni prima una drastica riduzione di numero. Il presente studio si propone di mettere in luce quale sia lo stato dell’arte di ciascuna di esse.
1 23 maggio, Professione di fede con i vescovi della Conferenza Episcopale Italiana, in www.vatican.va. Salvo diversa indicazione i documenti riguardanti la CEI menzionati nel presente studio sono consultabili sul sito della stessa www.chiesacattolica.it.
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II. Il dialogo con le istituzioni culturali, sociali e politiche Il richiamo di Papa Francesco al compito della CEI di promuovere il dialogo con le istituzioni culturali, sociali e politiche del Paese si colloca nel contesto di un processo di valorizzazione di questo istituto da parte della Santa Sede iniziato più di trent’anni prima. Infatti nel 1980 suscitò qualche sorpresa e non poco interesse il deciso invito di Giovanni Paolo II alla CEI ad assumere “in modo sempre più organico e sicuro” proprie e autonome responsabilità “per la valorizzazione di tutte le forze presenti nella comunità ecclesiale in Italia, per tutta la Nazione, nella quale la Conferenza stessa deve esistere e lavorare, essere ed agire”2. Una prospettiva di impegno alla cui realizzazione, pochi anni dopo, contribuiva egli stesso con gli accordi concordatari del 1984, attribuendo alla CEI il ruolo di nuovo protagonista delle relazioni della Chiesa Cattolica presente in Italia con lo Stato. Una innovazione tanto più significativa se si considera che la CEI era talmente ignorata dalle istituzioni italiane definite dai Patti del 1929 da risultare non solo priva di personalità giuridica agli effetti civili, ma anche del tutto assente nelle bozze di revisione del Concordato che si erano via via succedute.3 Omissione che non deve sorprendere dal momento che in quegli anni la prassi concordataria, quando non ignorava del tutto gli episcopati locali, non lasciava loro ampi spazi d’azione nei rapporti con i pubblici poteri. Ora già l’art. 2, n. 2 dell’Accordo che apporta modificazioni al Concordato Lateranense prende atto della esistenza della CEI menzionandola, immediatamente dopo la Santa Sede, tra i soggetti ecclesiali cui viene assicurata “la reciproca libertà di comunicazione e di corrispondenza”. E il punto 5 del Protocollo addizionale all’Accordo stesso le attribuisce senz’altro il compito di pervenire a una intesa con le competenti autorità scolastiche per determinare importanti profili dell’insegnamento della religione cattolica nelle scuole pubbliche. Un ancor più esplicito riconoscimento della CEI come interlocutore legittimo e accreditato dei pubblici poteri è offerto dalla disposizione di carattere generale del penultimo articolo dell’Accordo, dove si prevede che “ulteriori materie per le quali si manifesti l’esigenza di collaborazione tra la Chiesa cattolica e lo Stato potranno essere regolate” anche “con intese tra le competenti autorità dello Stato e la C.E.I.”. Peraltro, ai fini di una esauriente definizione del ruolo che la CEI è chiamata a svolgere nel vigente contesto concordatario, non è sufficiente limitarsi a ricordare le norme che la menzionano espressamente. Occorre anche prendere in considerazione quelle disposizioni che, al fine di lasciare maggior spazio all’autonomia istituzionale della Chiesa, prevedono intese dei poteri dello Stato con una non meglio identificata autorità ecclesiastica competente, dal momento che, in non 2
Discorso del 29 maggio 1980, in: AAS 72 (1980), p. 413. Vedi le Tavole comparative pubblicate in Presidenza del Consiglio dei Ministri, La revisione del Concordato. Un accordo di libertà, Roma 1986, pp. 421 – 477. 3
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pochi casi, quest’ultima è da individuarsi nella stessa CEI. Si vedano, in particolare, l’art. 11, n. 2 e l’art. 12, n. 1 dell’Accordo, riguardanti, rispettivamente, l’assistenza spirituale e i beni culturali. Nelle intese già sottoscritte il ruolo della CEI non riguarda solo la fase della stipulazione ma può comportare anche funzioni di natura permanente nella attuazione. Così, ad esempio, l’intesa “relativa ai beni culturali di interesse religioso appartenenti a enti ed istituzioni ecclesiastiche” (DPR 4 febbraio 2005, n. 78), mentre riconosce nel presidente della CEI l’autorità ecclesiastica competente a dare attuazione a livello centrale alle forme di collaborazione previste (art. 1, n. 2, lett. a), istituisce un Osservatorio centrale per i beni culturali di interesse religioso di proprietà ecclesiastica “composto in modo paritetico da rappresentanti del Ministero […] e della CEI” (art. 7). L’importanza della funzione che la CEI è chiamata a svolgere nel dare concreta attuazione ai patti stipulati nel 1984 emerge con evidenza ancora maggiore da un accordo che non è stato sottoscritto da lei stessa, ma dalla Santa Sede. Ci si intende riferire alle “norme per la disciplina della materia degli enti e beni ecclesiastici formulate dalla commissione paritetica istituita dall’art. 7, n. 6 dell’Accordo”, approvate dalle Parti ed emanate nei rispettivi ordinamenti con legge 20 maggio 1985, n. 222 e con decreto del cardinal Segretario di Stato del 3 giugno successivo.4 Tali Norme, mentre nel primo titolo attribuiscono senz’altro alla CEI la personalità giuridica agli effetti civili (art. 13, unico caso di ente ecclesiastico riconosciuto per legge), nel secondo titolo le riconoscono un ruolo assolutamente essenziale e determinante nella attuazione del nuovo sistema di sostentamento del clero.5 Basti ricordare che spetta alla CEI erigere l’Istituto Centrale (art. 21, terzo comma), determinare lo statuto tipo degli Istituti diocesani (art. 23, primo comma), definire la misura della remunerazione spettante ai singoli sacerdoti (art. 24, primo comma), stabilire procedure accelerate di composizione o di ricorso contro i provvedimenti dell’Istituto Diocesano (art. 34, secondo comma), determinare annualmente le destinazioni della parte dell’otto per mille dell’imposta sul reddito delle persone fisiche assegnata alla Chiesa Cattolica dalle scelte dei contribuenti (art. 41), trasmettere annualmente all’autorità statale un rendiconto sulla utilizzazione delle somme ricevute a tale titolo nonché delle offerte in favore dell’Istituto Centrale deducibili dal reddito imponibile (art. 44), nominare la componente ecclesiastica della commissione paritetica che ogni triennio è chiamata a valutare il funzionamento del nuovo sistema di finanziamento della Chiesa (art. 49). Un complesso di funzioni talmente vasto e articolato che le Parti, nella disposizione finale delle Norme, hanno ritenuto necessario attribuire alla CEI, al di là di tutti i compiti specificamente menzionati, una responsabilità di carattere 4
In: AAS 77 (1985), pp. 547 – 578. La CEI è menzionata anche nel terzo titolo dove le si attribuisce il compito di designare tre componenti il consiglio di amministrazione del Fondo edifici di culto (art. 57). 5
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generale, riconoscendola come l’autorità competente a emanare disposizioni per l’attuazione nell’ordinamento canonico delle previsioni relative a tutta questa materia. Per fare fronte a tutte queste incombenze la CEI ha dovuto provvedere a formulare una normativa quanto mai articolata e complessa, costantemente aggiornata e integrata con tutte quelle delibere che, alla luce dell’esperienza, si rivelino opportune o necessarie. E non ha potuto evitare di dotarsi di una organizzazione per quanto possibile adeguata alle nuove responsabilità, mentre un apposito “osservatorio” segue con costante attenzione l’attività governativa e i lavori parlamentari, pubblicando anche un notiziario periodico a diffusione interna. Le nuove prospettive aperte alla CEI dagli accordi del 1984 hanno però richiesto una profonda revisione dei suoi statuti, giunta a compimento nell’imminenza dell’entrata in vigore degli accordi stessi.6 Particolarmente significative risultano le disposizioni dell’art. 5, tuttora vigenti in quanto testualmente recepite dal nuovo statuto approvato nel 2000.7 Vi si prospetta, innanzitutto, in termini quanto mai ampi, una responsabilità dell’episcopato nei confronti dell’intera società civile, prevedendo che la CEI sviluppi “gli opportuni rapporti con le realtà culturali, sociali e politiche presenti in Italia, ricercando una costruttiva collaborazione con esse per la promozione dell’uomo e il bene del Paese” (§ 1). Si riconosce poi alla CEI una competenza di carattere generale – propria e distinta da quella della Santa Sede – a trattare con le autorità civili, “nel rispetto delle debite competenze e per il tramite della presidenza”, “le questioni di carattere nazionale che interessano le relazioni della Chiesa e lo Stato in Italia, anche in vista della stipulazione di intese che si rendessero opportune su determinate materie” (§ 3). E, per quanto specificamente concerne l’attuazione degli accordi concordatari, si avverte che nelle “materie ad essa eventualmente demandate” la CEI agirà “entro gli ambiti e secondo le procedure previsti dagli specifici mandati ricevuti” dalla Santa Sede (§ 4). A tale riguardo occorre immediatamente precisare – e si tratta di un aspetto fondamentale – che il termine “mandato”, ripreso dal c. 455 § 1 del Codice, non deve essere interpretato nel senso che nel suo adempimento la CEI agisca in nome e per conto della Santa Sede, che di conseguenza resterebbe l’unico effettivo interlocutore dei pubblici poteri. Non si tratta, infatti, dell’attribuzione di una funzione di rappresentanza, ma del conferimento di uno specifico potere che la conferenza può e deve esercitare sotto propria e piena responsabilità. Un giurista anglosassone potrebbe parlare di devolution. In contrario si potrebbe osservare che le decisioni delle conferenze giuridicamente vincolanti restano pur sempre soggette, ai sensi del c. 455 § 2 del Codice, alla 6 Vedi Statuto della CEI, 18 aprile 1985, in: Enchiridion della Conferenza Episcopale Italiana, vol. 3, Bologna 1985 ss, vol. 3, pp. 1328 – 1349. 7 Vedi ivi, vol. 6, pp. 1618 – 1643.
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recognitio della Santa Sede. Ma, come noto, tale provvedimento non trasforma in atti pontifici le deliberazioni della conferenza, ma è solo un presupposto per la liceità e la validità della loro entrata in vigore. Si tratta, in pratica, della concessione di un nullaosta, che consente alla Santa Sede di verificare previamente che esse non contengano nulla di contrario o di poco consono al bene della Chiesa e, in particolare, all’unità della fede e della comunione.8 Alla luce di quanto fin qui esposto si può senz’altro affermare che lo Stato italiano si trova ormai ad avere due distinti interlocutori, la Santa Sede e la CEI, ambedue legittimati, sia pure a diverso titolo, a rappresentare gli interessi della comunità cristiana. Una “dualità” che, anche in linea di principio, può presentare qualche problema circa l’articolazione e il coordinamento delle rispettive competenze. Occorre peraltro riconoscere che nella concretezza della prassi pattizia la Santa Sede e la CEI si sono mosse in un rapporto di costante e feconda collaborazione, che, almeno per quanto è dato sapere, non ha presentato particolari problemi. Volendo tracciare un sintetico bilancio delle convenzioni a cui è finora pervenuta la CEI nelle relazioni con i pubblici poteri si può ricordare che sono attualmente vigenti – oltre alla ricordata, copiosa normativa relativa al sostentamento del clero – un’intesa sulla assistenza spirituale alla polizia di Stato, due intese e una convenzione in materia di beni culturali, tre intese circa l’insegnamento della religione cattolica nelle scuole pubbliche. Vi sono poi quattro accordi di rango inferiore stipulati tra l’Ufficio nazionale per i beni culturali ecclesiastici della CEI e specifiche Direzioni o Dipartimenti del Ministero competente in materia.9 Si ha inoltre notizia che sono state istituite commissioni paritetiche per la regolamentazione pattizia di altre materie come l’assistenza spirituale negli ospedali e nelle carceri. Non è possibile offrire un analogo quadro delle relazioni della CEI con le realtà culturali e sociali a causa della varietà e molteplicità dei possibili interlocutori e della diversa natura delle iniziative che ne possono derivare e che non necessariamente assumono forme istituzionali precisamente definite. Si può peraltro rilevare che l’attenzione della CEI per tali realtà risulta evidente già dalle denominazioni di non pochi degli organismi in cui si articola la sua stessa struttura. Si vedano, in particolare le commissioni episcopali per il servizio della carità e la salute; per la famiglia e la vita; per l’educazione cattolica, la scuola e l’università; per i problemi sociali e il lavoro, la giustizia e la pace; per la cultura e le comunicazioni sociali; per le migrazioni. 8 Per questo istituto vedi Pontificio consiglio per i testi legislativi, X. Nota explicativa, La natura giuridica e l’estensione della “recognitio” della Santa Sede, in: Communicationes 38 (2006), pp. 10 – 17. 9 Si veda il testo di tutte queste fonti in CESEN. Centro studi sugli enti ecclesiastici, La Chiesa Cattolica in Italia. Normativa pattizia, a cura di Isabella Bolgiani, Milano 2009, pp. 159 – 256 e relativi aggiornamenti on line all’indirizzo http://www.olir.it/areet ematiche/ 226/index.php.
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Un importante strumento di dialogo con le realtà culturali e sociali è poi da identificarsi nel Progetto culturale varato dalla Presidenza della CEI nel 1997. L’iniziativa vuole costituire “una dinamica di ricerca, di risposta, di proposta e di comunicazione” tendente “a far emergere il contenuto culturale della evangelizzazione, anche quale apporto qualificato dei cattolici alla vita del Paese”. In concreto si propone di valorizzare e collegare quanto già esistente con “nuove proposte”, creando luoghi di confronto e di approfondimento.10 Quanto fin qui esposto potrebbe indurre a ritenere che in realtà, almeno sotto il profilo qui esaminato, le ricordate parole di Papa Francesco non costituiscano alcuna novità. Già da tempo la CEI è impegnata a livello sia statutario sia operativo nel dialogo con le istituzioni civili. Tuttavia non può non sorprendere il rilievo dato dal pontefice alla questione. Non solo la colloca al primo posto tra i compiti della CEI che intende sottolineare, ma la richiama in conclusione del breve intervento con questa significativa avvertenza: “È cosa vostra. Avanti!”. Se ne può forse dedurre che Papa Francesco consideri l’attenzione dedicata dalla CEI a questo suo compito senz’altro apprezzabile, ma non ancora adeguata e ne chieda quindi un deciso incremento, accentuando così le funzioni della stessa rispetto a quelle della Segreteria di Stato.11
III. Le conferenze episcopali regionali La legislazione universale della Chiesa non riconosce particolare rilevanza alle assemblee episcopali a livello regionale. Infatti, da un lato considera le stesse regioni ecclesiastiche come realtà meramente eventuali, limitandosi a disporre che, laddove appaia utile e opportuno e soprattutto nelle nazioni con un elevato numero di diocesi, le provincie ecclesiastiche tra loro vicine possono essere raggruppate in regioni ecclesiastiche dalla Santa Sede, su proposta delle rispettive conferenze episcopali “nazionali” (c. 433 CIC).12 E, dall’altro, ha cura di precisare che alle rispettive assemblee episcopali non competono i poteri propri della conferenza episcopale, a meno che le siano stati specificamente concessi dalla Santa Sede (c. 434).13 10 Vedi il documento della Presidenza della CEI Progetto culturale orientato in senso cristiano, 28 gennaio 1997, sul sito www.progettoculturale.it che offre anche notizie circa le attività promosse da questa iniziativa. 11 Definite dalla costituzione apostolica “Pastor bonus”, 28 giugno 1988, art. 45. 12 Nel presente studio le conferenze episcopali disciplinate dai c. 447 – 459 del Codice di diritto canonico – quale è la CEI – vengono qualificate come “nazionali”. L’aggettivo è posto tra virgolette in quanto non è del tutto appropriato dal momento che esse come “regola generale” comprendono “i presuli di tutte le Chiese particolari della medesima nazione”, ma possono in casi eccezionali avere una estensione maggiore o anche minore della stessa (vedi c. 448 CIC). 13 Circa l’istituto delle conferenze regionali vedi, da ultimo, Giorgio Feliciani, Conferentiae episcopales regionales, in Instituto Martín de Azpilcueta, Facultad de Derecho Canónico,
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Ebbene le prime, e, a quanto sembra ed è dato sapere, tuttora le uniche, regioni istituite in conformità a queste disposizioni, sono quelle italiane. Questo primato non deve sorprendere dal momento che esse possono vantare una tradizione più che secolare. Infatti la loro origine risale a Leone XIII che nel 1889, con la istruzione “Alcuni Arcivescovi” della Congregazione dei vescovi e regolari, ripartiva la penisola in regioni, prescrivendo agli ordinari di ciascuna di esse di riunirsi almeno una volta all’anno per discutere i problemi di interesse comune secondo una procedura opportunamente specificata.14 Le norme sancite da papa Pecci vengono richiamate e confermate, con qualche modifica, dai suoi successori, fino a che, nel 1932, la Congregazione del Concilio le ribadisce, sottolineando la necessità che le conferenze “si convochino regolarmente, ogni anno, nelle singole regioni ecclesiastiche” ed esigendo che le deliberazioni siano sottoposte “in tempo opportuno” all’esame della Santa Sede.15 L’istituzione della CEI, avvenuta nel 195416, non solo non svuota di significato l’istituto, ma ne accresce l’importanza, inquadrandolo in un più ampio contesto di collaborazione e attribuendogli rilevanti funzioni nella stessa CEI. Infatti questa fino al Vaticano II non riunisce tutti i vescovi italiani, ma, oltre ai cardinali componenti il comitato direttivo e all’ordinario militare, solo i “presidenti delle conferenze regionali, in rappresentanza degli ordinari delle rispettive regioni”, con l’obbligo di “inviare tempestivamente al comitato direttivo le proposte delle rispettive conferenze regionali” per la formulazione dell’ordine del giorno delle assemblee della stessa CEI.17 Quando, poi, in conformità alle disposizioni del decreto conciliare “Christus Dominus”, la composizione della CEI viene allargata fino a comprendere l’intero Universidad de Navarra, Diccionario General de Derecho Canónico, a cura di Javier Otaduy/ Antonio Viana/Joaquín Sedano, Pamplona 2012, vol. II, pp. 490 – 493 con indicazioni bibliografiche. 14 Vedi Leonis XIII Pontificis Maximi Acta, vol. IX, Romae 1890, pp. 184 – 190. Per l’azione collettiva dei vescovi italiani nei decenni immediatamente precedenti vedi Giorgio Feliciani, Legislazione ecclesiastica ed azione collettiva dell’episcopato italiano (1861 – 1878), in: AA.VV., Studi in onore di Pietro Agostino d’Avack, vol. 2, Milano 1976, pp. 225 – 275 e Id., Azione collettiva e organizzazioni nazionali dell’episcopato cattolico, in: Storia contemporanea 3 (1972), pp. 336 – 342. 15 Disposizioni circa le conferenze episcopali in Italia, 21 giugno 1932, in: AAS 24 (1932), pp. 242 – 243. Per completezza va ricordato che in Italia la dimensione regionale è valorizzata dalla Santa Sede anche a fini specifici quali l’organizzazione dei tribunali competenti a trattare e giudicare le cause di nullità matrimoniale (motu proprio “Qua cura”, 8 dicembre 1938, in: AAS 30 [1938], pp. 410 – 413), la programmazione delle visite ad limina e l’istituzione di alcuni seminari. 16 Per tale istituzione vedi Francesco Sportelli, La Conferenza Episcopale Italiana (1952 – 1972), Galatina (Le) 1994, pp. 9 – 61, e, più recentemente, Laura De Gregorio, Conferenza episcopale italiana. Potere normativo e ruolo pastorale, (e-Reprint Nuovi Studi di Diritto Ecclesiastico e Canonico 3), Roma 2012, pp. 7 – 24. 17 Vedi S. Congregazione Concistoriale, Statuto della Conferenza episcopale italiana, 18 agosto 1954, art. I.1, V.1, VII.1, in Enchiridion della CEI, cit., vol. 1, pp. 56, 58 – 59.
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episcopato, le conferenze regionali continuano a svolgere funzioni quanto mai rilevanti che, per di più, si rivelano in costante aumento a causa della presenza di diversi fattori. Tra questi va, in particolare, segnalato come il trasferimento dallo Stato alle Regioni civili di non poche competenze in materie a cui l’autorità ecclesiastica ha sempre guardato con particolare attenzione, quali l’istruzione e l’assistenza, abbia posto l’esigenza di assicurare una adeguata “rappresentanza” della Chiesa anche a livello regionale. Un problema di non facile soluzione dal momento che i territori delle regioni ecclesiastiche spesso non coincidevano con quelli delle regioni civili. Un inconveniente che, nonostante i diversi interventi della Santa Sede diretti al suo superamento, sussiste ancora, sia pure in misura decisamente inferiore a quanto avveniva in passato. In particolare, attualmente, in alcune regioni civili il numero delle diocesi è troppo ridotto per consentire l’istituzione della relativa conferenza, come avviene in Abruzzo e in Molise che sono state riunite nella regione ecclesiastica Abruzzi-Molise, nonché in TrentinoAlto Adige, Friuli-Venezia Giulia che sono state raggruppate nella regione ecclesiastica Triveneto. Quanto alla Valle d’Aosta, dove vi è un solo vescovo, essa è stata incorporata nella regione ecclesiastica Piemonte. La crescente importanza che le conferenze regionali assumono nella vita della Chiesa italiana dopo il Concilio è chiaramente documentata dalla sempre maggiore attenzione ad esse dedicata dalla CEI, che nel 1967 ne approva ad experimentum un regolamento, “messo a punto” l’anno successivo.18 Nel 1974, poi, la loro disciplina è inserita nel regolamento della CEI19 e a partire dal 1977 anche nello stesso statuto.20 Non è certo il caso di ripercorrere in questa sede la positiva evoluzione di queste normative negli statuti della CEI che vengono via via succedendosi, nel 198521, nel 199822, ma è opportuno concentrare l’attenzione su quello vigente, approvato nel 2000. Ma prima di trattarne specificamente è necessario ricordare che la disciplina delle conferenze regionali prospettata dai primi statuti della CEI era stata significativamente integrata e parzialmente modificata dalla serie di decreti con cui, il 4 novembre 1994, la Congregazione per i vescovi attribuiva alle regioni ecclesiastiche italiane la personalità giuridica canonica pubblica e approvava lo statuto di ognuna di esse attenendosi a un unico schema.23 A questi provvedimenti 18
Vedi ivi, vol. 1, pp. 328 – 329 e 494. Vedi ivi, vol. 2, pp. 605 – 606. 20 Vedi lo statuto del 1977 e il relativo regolamento in ivi, vol. 2, pp. 1067 – 1068 e 1148 – 1149. 21 Per il testo di questo statuto e del relativo regolamento vedi ivi, vol. 3, rispettivamente pp. 1328 – 1349 e 1450 – 1480. 22 Per il testo di questo statuto vedi “Notiziario della Conferenza Episcopale Italiana”, 20 ottobre 1998, pp. 277 – 301. 23 Archivio della Congregazione dei vescovi, prot. 1030/92 – 1037/92 e 25/93 – 32/93. 19
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faceva poi seguito da parte delle competenti autorità dello Stato il riconoscimento di tali regioni come persone giuridiche agli effetti civili. Tutti gli statuti in questione affidano il governo collegiale della regione alla conferenza episcopale regionale “costituita dai Vescovi diocesani delle Chiese particolari della stessa Regione, da coloro che per diritto sono ad essi equiparati, dai Vescovi loro Coadiutori ed Ausiliari” (art. 3). La norma, così come suona, sembra riconoscere alla conferenza regionale veri e propri poteri di governo senza peraltro definirne precisamente contenuto e portata. Si può peraltro ritenere, in linea di principio, che la sua competenza si estenda su tutte le materie che possono risultare rilevanti ai fini del perseguimento degli scopi che l’art. 2 degli statuti in esame, assegna alla regione ecclesiastica stessa. Vale a dire: la promozione di “una azione pastorale comune tra le diocesi che la compongono” nonché un incremento dei “mutui rapporti tra i Vescovi diocesani nella prospettiva di una più ampia convergenza di comunione in seno alla Chiesa che è in Italia”, in conformità a quanto previsto dal già menzionato c. 434 CIC. In questo contesto va sottolineato l’esplicito riferimento alla Chiesa in Italia che mira chiaramente ad escludere qualunque forma di regionalismo ecclesiastico che possa porre in crisi l’unità della comunità ecclesiale del Paese. Del resto, quando si tratterà delle conferenze regionali nel vigente statuto della CEI, si vedrà chiaramente come esse, lungi dal contrapporsi alla conferenza nazionale, si rivelano preziosi strumenti per il buon funzionamento della stessa. Per quanto poi concerne gli organi statutari delle conferenze regionali, si precisa che la carica di presidente, come pure quella di vicepresidente, ha natura elettiva e durata quinquennale (art. 6) e comporta la rappresentanza legale della regione, la convocazione e la presidenza della conferenza stessa, nonché l’adempimento degli atti di ordinaria amministrazione (art. 7). Circa le deliberazioni assembleari è sufficiente ricordare che esse “sono adottate con il consenso dei due terzi dei membri della Conferenza” e, qualora presentino “carattere pastorale”, “hanno efficacia nelle singole diocesi se promulgate dal rispettivo Vescovo” (art. 5). Se ne deduce che, di norma, le conferenze regionali non godono di poteri normativi in grado di condizionare la vita delle singole diocesi. L’efficacia delle loro deliberazioni è ultimamente affidata alla discrezionalità dei singoli vescovi diocesani, salvo che in alcuni casi sui quali ci si soffermerà in seguito. Una limitazione evidentemente dettata da quella esigenza di rispettare il più possibile le legittime autonomie delle singole chiese particolari che aveva già indotto il legislatore universale a restringere i poteri delle conferenze “nazionali” alle specifiche materie stabilite dalla legge o da un mandato speciale della Sede Apostolica (c. 455 CIC). Gli statuti non si curano di definire o almeno indicare le attività che le conferenze regionali possono o debbono intraprendere per conseguire i fini statutari loro assegnati dal già ricordato articolo 2. Ma con una quanto mai significativa eccezione che mostra chiaramente come la decisione della Santa Sede di dotare di
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maggior dignità istituzionale queste assemblee sia stata dettata dalla esigenza di adeguare le strutture della Chiesa italiana alla crescente rilevanza della dimensione regionale nella vita del Paese. Infatti gli statuti, con una norma del tutto specifica, impegnano la conferenza regionale a mantenere “rapporti con le autorità civili e con le realtà sociali, culturali e politiche, al fine di contribuire, in spirito di sincera collaborazione, alla promozione dell’uomo e al bene della popolazione della Regione” (art. 4). Peraltro, là dove alla regione ecclesiastica corrisponde una sola regione civile, tale disposizione risulta integrata da una norma che attribuisce alle “deliberazioni che approvano eventuali accordi o intese con la Regione civile […] o con i suoi organi […] efficacia vincolante per tutte le diocesi, a condizione che abbiano ottenuto la recognitio della Santa Sede”24. Si avverta che, in precedenza, questi accordi – al pari delle altre deliberazioni della conferenza regionale – entravano in vigore nelle singole diocesi solo “se promulgate dal rispettivo Vescovo”. Di conseguenza l’opposizione anche di un solo vescovo diocesano era sufficiente a impedire qualunque accordo con le autorità civili. Tutto questo non aveva impedito la sottoscrizione in varie regioni di diverse intese, ma proprio l’evidente utilità e importanza delle esperienze fino allora compiute in tal senso deve aver convinto le autorità ecclesiastiche della opportunità di agevolarle, rinunciando ad esigere il consenso unanime dei vescovi diocesani interessati. E si è quindi attribuito alle conferenze regionali, limitatamente a questo campo d’azione, un vero e proprio potere legislativo del tutto simile a quello di cui godono, in ambiti ben più vasti, le conferenze “nazionali” e i concili particolari. Una innovazione quanto mai rilevante sotto il profilo canonistico in quanto comporta una ulteriore limitazione dell’autonomia diocesana. In ogni caso va rilevato che, in seguito ai decreti della Congregazione per i vescovi, le intese delle conferenze regionali con le rispettive autorità civili sono venute moltiplicandosi riguardando soprattutto l’assistenza spirituale nelle strutture socio-sanitarie e i beni culturali di interesse religioso, meno frequentemente la funzione sociale e educativa svolta dagli oratori e in modo occasionale anche altre svariate materie.25 Tutto questo non poteva restare senza ricadute sullo statuto della CEI. E, infatti, come rilevava il presidente della CEI, promulgandone un nuovo statuto nel 1998, “l’erezione canonica e il riconoscimento agli effetti civili delle Regioni ecclesia24 Vedi l’art. 5, ultimo comma degli statuti delle regioni Basilicata, Calabria, Campania, Emilia-Romagna, Lazio, Liguria, Lombardia, Marche, Puglia, Sardegna, Sicilia, Toscana, Umbria. 25 Per i testi di tutti questi accordi vedi CESEN, La Chiesa Cattolica in Italia (nota 9), pp. 259 – 518 e successivi aggiornamenti. Per quanto concerne specificamente gli accordi in tema di beni culturali vedi Giorgio Feliciani, Le intese regionali. b) profili canonistici, in Patrimonio culturale di interesse religioso in Italia. La tutela dopo l’Intesa del 26 maggio 2005, a cura di Michele Madonna, Venezia 2007, pp. 137 – 149.
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stiche hanno comportato una riconsiderazione anche delle Conferenze Episcopali Regionali”26, che è stata poi puntualmente recepita nello statuto vigente. Le disposizioni di questa fonte e del relativo regolamento27 che riguardano la materia sono quanto mai numerose ed è quindi necessario, in questa sede, limitarsi a richiamare solo quelle norme dello statuto che appaiono più significative al fine del riconoscimento delle conferenze regionali come veri e propri soggetti ecclesiali. In tal senso si pronuncia espressamente l’articolo dedicato ai rapporti ecclesiali che impegna la CEI a rispettare e valorizzare “la presenza e le attività delle Conferenze Episcopali Regionali esistenti in Italia, espressione istituzionale della ricchezza di storia e di impegno cristiano delle diverse Regioni Ecclesiastiche” (art. 4 § 4). Rispetto e valorizzazione che si realizzano, come si ha cura di precisare, sotto il duplice profilo dell’autonomia e del collegamento. Infatti le conferenze regionali sono definite come organismi stabilmente collegati con la CEI (art. 8 § 3 e art. 43 § 1), con la quale coordinano le attività pastorali (art. 43 § 2) e, all’occorrenza, i rapporti con le realtà culturali, sociali e politiche (art. 5 § 2). Ma, al contempo, si riconosce espressamente la loro autonomia e la loro capacità di offrire alla CEI “suggerimenti e proposte utili alla vita delle Chiese che sono in Italia” e “apporti dottrinali e pratici” (art. 43 §§ 2 e 4). Si aggiunga che le conferenze regionali sono presupposto indispensabile alla struttura della CEI dal momento che, conformemente alla tradizione, i loro presidenti sono membri di diritto del consiglio permanente (art. 21). Inoltre esse favoriscono in diversi modi l’effettiva pratica della collegialità che in un episcopato composto da più di duecento presuli può presentare qualche difficoltà di concreta realizzazione. In particolare possono proporre argomenti da trattare in assemblea (art. 12), valutano preventivamente i documenti preparatori delle sessioni dell’assemblea generale (art. 43 § 4), indicano nomi per l’elezione dei presidenti delle commissioni episcopali (art. 40 § 1), designano per i diversi settori dell’attività pastorale vescovi delegati e incaricati regionali che collaborano con le strutture e le iniziative della CEI (art. 44). Inoltre, in caso di particolare urgenza, la CEI “può esercitare la propria attività collegiale a mezzo di consultazione delle Conferenze Episcopali Regionali” (art. 9 § 2). E il presidente, da parte sua, può sempre “convocare in apposita riunione i Presidenti delle Conferenze Episcopali Regionali allo scopo di favorire il coordinamento delle attività delle Conferenze stesse e di consultarli su problemi pastorali di comune interesse, specialmente su quelli connessi con il territorio e gli indirizzi delle Regioni Civili” (art. 43 § 3). Nel loro complesso queste norme meritano apprezzamento, ma non possono più considerarsi sufficienti e adeguate. Infatti dal comunicato finale della riunione del consiglio permanente della CEI del 24 – 26 marzo 2014 risulta che nel corso dei 26
Vedi “Notiziario della Conferenza Episcopale Italiana”, 20 ottobre 1998, p. 277. Se ne vedano i testi in CESEN, Delibere e Decreti della Conferenza Episcopale Italiana, a cura dell’Ufficio Nazionale per i problemi giuridici della Conferenza Episcopale Italiana, Milano 2006, rispettivamente pp. 3 – 27 e 28 – 65. 27
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lavori sono state esaminate “le proposte di emendamento dello Statuto e del Regolamento della CEI, formulate sulla base del confronto maturato nelle Conferenze episcopali regionali in seguito alle indicazioni del Papa”. E tra i diversi scopi di questa revisione figura “la valorizzazione delle Conferenze episcopali regionali”. Di conseguenza, nell’assemblea generale del 19 – 22 maggio 2014, sono stati approvati diversi emendamenti al regolamento.28
IV. La riduzione del numero delle diocesi La questione del riordinamento delle diocesi italiane è tanto complessa quanto annosa dal momento che si trascina da più di un secolo senza essere ancora giunta a una soluzione definitiva. Fin dai primi anni del Regno d’Italia governo e parlamento si rivelano talmente sensibili all’esigenza di giungere a una notevole riduzione del numero delle diocesi, giudicato decisamente eccessivo, da promuovere studi ed elaborare progetti in tal senso, senza peraltro riuscire a pervenire ad alcun risultato concreto a causa, soprattutto, della indisponibilità della Santa Sede.29 La questione viene riproposta durante le trattative per il Concordato Lateranense del 192930 che non manca di dedicarvi ampia e specifica attenzione, prevedendo “una revisione della circoscrizione delle diocesi, allo scopo di renderla possibilmente rispondente a quella delle province dello Stato” da attuarsi d’accordo tra le “Alte Parti contraenti […] a mezzo di commissioni miste” (art. 16). Una disposizione rimasta priva di attuazione. La questione assume nuova e singolare attualità a causa delle disposizioni del Vaticano II circa la revisione delle circoscrizioni diocesane.31 Paolo VI la ritiene tanto urgente da disporre, fin dall’inizio del pontificato, un serio e maturo esame della questione32, affidandolo alla Congregazione Concistoriale. I risultati di questo studio vengono successivamente rimessi a un’apposita commissione della CEI, la quale procede, in opportuno collegamento con gli uffici della Santa Sede, a un riesame del problema. 28
Si veda il comunicato finale. Per indicazioni bibliografiche e più ampie notizie in merito vedi Domenico Barillaro, In tema di revisione delle circoscrizioni diocesane, in: Il diritto ecclesiastico 42 (1949), parte II, pp. 120 – 123. 30 Se ne veda il testo in: AAS 21 (1929), pp. 275 – 294. 31 Vedi decreto “Christus Dominus”, nn. 22 – 24 e le relative norme di attuazione del motu proprio “Ecclesiae Sanctae”, 6 agosto 1966, I, n. 12, § 1. Cfr., per un commento, Hervé Legrand, La délimitation des diocèses, in: AA. VV., La charge pastorale des Évêques, Paris 1969, pp. 177 ss. 32 Per le iniziative assunte vedi l’allocuzione del 23 giugno 1966 all’assemblea generale della CEI da cui qui sono tratte le citazioni immediatamente successive. 29
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I criteri indicati sono di due tipi. Da un lato occorre “dare alla Diocesi una dimensione demografica ed ecclesiastica sufficiente per adempiere pienamente le funzioni, che le sono affidate dal Diritto Canonico e che sono richieste dai bisogni pastorali moderni”. Dall’altro è necessario “tener conto delle circoscrizioni civili, facendo coincidere, ove possibile, i confini diocesani con quelli delle Province dello Stato italiano”. In concreto si tratta non solo di “ritoccare i confini di alcune Diocesi”, ma anche e soprattutto di “procedere alla fusione di non poche Diocesi, in modo che la circoscrizione risultante abbia una estensione territoriale, una consistenza demografica, una dotazione di Clero e di opere, idonee a sostenere una organizzazione diocesana veramente funzionale, e a sviluppare una attività pastorale efficace ed unitaria”. Il pontefice non si nasconde le difficoltà della operazione, ma confida che “il panico e l’opposizione delle piccole diocesi” potranno essere evitate sia dall’attenzione posta a salvaguardare “per quanto sarà logico e possibile le prerogative onorifiche locali” sia dal riconoscimento da parte degli interessati delle esigenze dei tempi. In ossequio a queste direttive, il consiglio di presidenza della CEI nella riunione del 25 – 27 ottobre 1966 definisce i “criteri generali” da seguire33 per porre ogni diocesi in “condizioni di efficiente funzionalità sia per estensione di territorio che per numero di abitanti, con autosufficienza per il seminario, per il clero in cura delle anime e nelle attività diocesane […] e per mezzi necessari sia di strutture che economici”. In tale prospettiva si prevede, innanzitutto, che le diocesi “autosufficienti” con più di duecentomila abitanti “rimangono nella loro autonomia”. Quanto, poi, a quelle con popolazione più ridotta, se hanno meno di cinquantamila abitanti verranno “aggregate alle diocesi vicine”, se superano tale consistenza demografica saranno “unite ad una diocesi principale”. In ogni caso si porrà specifica attenzione all’esigenza di adeguare le circoscrizioni diocesane a quelle civili: i confini saranno “possibilmente entro la provincia e – per quanto non richieda diversamente il bene delle anime – uguali alla provincia”. Ci si propone, dunque, un riordinamento che “riguarda tutte le Diocesi” e di carattere talmente “generale” che, a giudizio del presidente della CEI, “è opportuno parlare più che di Diocesi che restano o di altre che vengono unite, delle nuove Diocesi italiane che deriveranno da questa grande, storica impresa”34.
33 Se ne veda il testo in Enchiridion della CEI, cit., vol. I, pp. 258 – 259, dove si avverte anche che tali “criteri” ottennero la “superiore approvazione” il 16 novembre successivo, e il “documento illustrativo”, in: ivi, pp. 278 – 281. 34 Così la lettera del card. Giovanni Urbani ai membri della CEI del 26 gennaio 1967, Archivio della CEI, Prot. N. 244/67, al n. 5.
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Per l’attuazione dell’impegnativa riforma viene insediata una “commissione speciale”35 che già nel novembre 1967 è in grado di sottoporre le sue conclusioni al consiglio di presidenza della CEI, che ne prende atto e stabilisce “quanto occorre per gli ulteriori adempimenti previsti” prima di presentare alla Santa Sede “consilia et vota”36. Ma le speranze di una rapida e positiva conclusione della vicenda vanno ben presto deluse, come risulta evidente a tutti quando, cinque anni dopo, il pontefice nell’allocuzione del 17 giugno 1972 all’episcopato italiano si limita a ricordare le “circoscrizioni diocesane” come una delle “grandi questioni” che “restano aperte, e chiedono a […] tutti vigilanza continua e concorde unità di azione”37. L’insabbiamento del progetto non era certamente dovuto a limiti e carenze intrinseche, poiché, vent’anni dopo, fu autorevolmente riconosciuto trattarsi di un piano “ben motivato, preciso, concreto” che prevedeva “la fusione di un notevole numero di Diocesi, tale da ridurre le circoscrizioni ecclesiastiche a sole 119 circa, numero ritenuto molto vicino all’ideale, tenuto conto di criteri quanto mai seri e convincenti”38. La sua mancata realizzazione è, dunque, imputabile all’intervento di fattori esterni che si è ritenuto di identificare, più che nella comprensibile opposizione dei vescovi preposti alle diocesi da estinguere o da ridimensionare, nelle “preoccupazioni, esposte in forma riservata dal governo italiano alla Santa Sede, circa le perturbazioni che il drastico riordino poteva ingenerare nella comunità nazionale e circa i riflessi politici negativi che esso poteva avere sull’orientamento unitario del voto dei cattolici verso la Democrazia cristiana”39. La questione torna di attualità con il processo di revisione del Concordato Lateranense. Già all’inizio dei lavori la commissione ministeriale incaricata di studiare il problema, pur rilevando “il notevole squilibrio di territorio e popolazione tra le diocesi italiane e quelle di Oltralpe”, e sottolineando l’opportunità di una riduzione del loro numero, da un lato pone in luce le tuttora esistenti “difficoltà di ordine storico e ambientale” che si erano opposte all’attuazione della disposizione
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Per più ampie notizie circa questa procedura, stabilita del consiglio di presidenza della CEI nella stessa riunione in cui furono definiti i “criteri generali”, vedi Enchiridion della CEI, cit., vol. I, pp. 259 – 260. 36 Vedi Enchiridion della CEI, cit., vol. I, p. 453. 37 In: AAS 64 (1972), p. 495. 38 Così il segretario della Congregazione per i vescovi, Lucas Moreira Neves, Un fatto storico: la nuova geografia delle diocesi in Italia, in documento Denominazione e sede delle diocesi in Italia, allegato a “L’Osservatore romano”, 9 ottobre 1986, p. II. 39 Alberto Bobbio, E la politica bloccò la vera riforma delle diocesi italiane, in: Jesus 8 (1986), n. 11, p. 87.
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concordataria, e, dall’altro, riconosce che il problema non riguarda lo Stato italiano.40 Un orientamento che Governo e Parlamento fanno senz’altro proprio sì che l’art. 3 dell’Accordo che apporta modificazioni al Concordato Lateranense, firmato il 18 febbraio 1984 e ratificato il 3 giugno dell’anno successivo41, riconosce espressamente che “la circoscrizione delle diocesi e delle parrocchie è liberamente determinata dall’autorità ecclesiastica”42. Questa rinuncia ad ogni ingerenza dei poteri pubblici nella determinazione delle circoscrizioni diocesane non è stata certamente determinata da una intransigente opposizione della Santa Sede che, anche dopo il Concilio, ha accettato in questa materia limitazioni di natura concordataria e si dimostra sempre più sensibile all’esigenza di tener conto delle circoscrizioni civili. L’innovazione è invece dovuta al venir meno di ogni interesse per la questione da parte dello Stato italiano, che ha riconosciuto di non avere “alcuna competenza in proposito”, “trattandosi di problemi che concernono la Chiesa”43. Una posizione in piena armonia con l’art. 7 della Costituzione della Repubblica italiana: poiché non è dubbio che l’assetto territoriale della organizzazione ecclesiastica rientri nell “ordine proprio” della Chiesa, le relative decisioni devono essere totalmente lasciate alla sua sovranità e indipendenza. Ma significativamente l’Accordo che apporta modificazioni al Concordato Lateranense, mentre liberava la Chiesa da ogni impegno in questa materia, poneva anche le premesse per il più imponente riordinamento delle diocesi che la Chiesa in Italia abbia mai conosciuto. Infatti le già ricordate norme pattizie “per la disciplina della materia degli enti e beni ecclesiastici”44 hanno radicalmente innovato la condizione giuridica civile delle diocesi. Queste ultime erano espressamente annoverate dall’art. 29 del Concordato lateranense tra “gli enti ecclesiastici finora riconosciuti dalle leggi italiane” di cui restava ferma la personalità giuridica, ma la disposizione aveva dato luogo a interpretazioni nettamente divergenti.45 Da parte sua il Ministero dell’interno ammetteva per la diocesi “un solo ente dotato di personalità giuridica: la mensa 40 Vedi Giovanni Spadolini, La questione del Concordato con i documenti inediti della Commissione Gonella, Firenze 1976, pp. 273 – 277. 41 In: AAS 77 (1985), pp. 521 – 535. 42 L’unica limitazione prevista è costituita dall’impegno della Santa Sede “a non includere alcuna parte del territorio italiano in una diocesi la cui sede vescovile si trovi nel territorio di altro Stato”, art. 3, n. 1 dell’Accordo. 43 Vedi a questo proposito le osservazioni formulate in seno alla commissione ministeriale di studio in Spadolini, La questione del Concordato (nota 49), pp. 273 – 276. 44 Vedi supra, n. 1. 45 Vedi Mario Petroncelli, Manuale di diritto ecclesiastico, Napoli 19652, pp. 326 – 327.
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vescovile”46 e di conseguenza le diocesi non erano riconosciute in quanto tali come persone giuridiche agli effetti civili. Le norme del 1985 hanno letteralmente capovolto i termini della questione. Da un lato hanno disposto l’estinzione di tutti i benefici ecclesiastici, mense vescovili comprese (art. 28). Dall’altro hanno affermato, in linea generale, la riconoscibilità degli “enti che fanno parte della costituzione gerarchica della Chiesa” (art. 2), quali sono indubbiamente le diocesi. E per queste ultime hanno specificamente previsto, in fase di prima applicazione, una procedura di riconoscimento notevolmente accelerata rispetto a quella ordinaria che richiedeva un decreto del presidente della Repubblica, su proposta del ministro dell’interno, udito il Consiglio di Stato (art. 1). L’art. 29 delle norme, infatti, dispone che le diocesi acquistino la personalità giuridica civile dalla data di pubblicazione nella Gazzetta ufficiale del relativo decreto del ministro dell’interno, da emanarsi entro sessanta giorni dalla ricezione dei provvedimenti dell’autorità ecclesiastica che, entro il 30 settembre 1986, abbiano determinato “la sede e la denominazione delle diocesi […] costituite nell’ordinamento canonico”. E sono pure stabilite notevoli agevolazioni di carattere fiscale in quanto i trasferimenti alle diocesi dei beni con destinazione pastorale già appartenenti alle mense vescovili vengono esentati fino al 31 dicembre 1989 “da ogni tributo e onere” (art. 31). Queste disposizioni offrivano alla Santa Sede l’occasione per procedere, in condizioni particolarmente favorevoli, all’“ormai indilazionabile riordinamento”. Dopo ampie consultazioni e attento studio dei diversi aspetti della questione, emergeva nelle competenti sedi ecclesiastiche “la comune (benché non unanime) convinzione che la soluzione possibile e più opportuna hic et nunc”47 fosse quella di unificare le diocesi che risultassero affidate, a qualunque titolo, allo stesso vescovo.48 Un criterio che presentava diversi vantaggi poiché, mentre assicurava la continuità della guida pastorale delle singole diocesi, dispensava da un lungo e defatigante esame delle loro specifiche esigenze e, al contempo, riduceva notevolmente la possibilità di contestazioni, presentandosi come una regola generale che non consentiva eccezioni.49 Di conseguenza esso veniva senz’altro adottato dalla Congregazione per i vescovi nel decreto del 30 settembre 198650 che riduceva le 46
Vedi circolare 11 settembre 1954, n. 118, in Vicenzo Del Giudice, Codice delle leggi ecclesiastiche. Appendice, I, Milano 1956, p. 269. 47 Moreira Neves, Un fatto storico (nota 38), p. II. 48 Si avverta che molte delle 325 circoscrizioni di carattere diocesano esistenti in Italia nel 1986 non erano rette dal vescovo proprio, ma risultavano unite aeque principaliter o in persona episcopi a un’altra diocesi oppure affidate in amministrazione perpetua o ad nutum Sanctae Sedis al vescovo di altra diocesi, vedi Denominazione e sede delle diocesi in Italia (nota 38), p. VIII. 49 La regola, ovviamente, non poteva riguardare la diocesi di San Marino-Montefeltro, che era retta dal vescovo di Rimini, in quanto situata nel territorio di altro Stato. 50 Se ne veda il testo completo in Denominazione e sede delle diocesi in Italia (nota 38), pp. IV – V.
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diocesi, e le comunità ecclesiali assimilate, italiane da 325 a 228 di cui 39 sedi metropolitane, 21 arcivescovili, 156 vescovili, 2 prelature territoriali, 6 abbazie territoriali, 3 circoscrizioni di rito orientale, 1 ordinariato militare.51 A giudizio della Congregazione, che ha voluto “associare, nella denominazione dell’unica diocesi, i nomi delle diocesi fuse”, nessuna diocesi veniva “abolita” o “assorbita”, ma tutte “amalgamate” in “nuove entità” nelle quali conservavano “il proprio nome, la propria storia, le proprie tradizioni, la propria Cattedrale o Concattedrale ecc.”. Peraltro lo stesso segretario della Congregazione non poteva evitare di riconoscere che le diocesi in tal modo “fuse” perdevano la loro precedente identità, poiché “là dove erano più diocesi”, veniva istituita “una sola e unica diocesi con unico Seminario, unico Tribunale, unico Consiglio Presbiterale e Pastorale, unico Coetus Consultorum, anche se con la possibilità di decentramento di alcuni servizi amministrativi”52. È quindi comprensibile che non siano mancati episodi, anche vivaci, di contestazione53 che peraltro sono da valutarsi come del tutto marginali rispetto a quanto sarebbe stato lecito attendersi in considerazione delle reazioni suscitate in passato da analoghi provvedimenti.54 Questa minor “sensibilità” delle popolazioni può essere spiegata sia con la progressiva laicizzazione delle mentalità collettive, sia con le stesse riforme operate dal Vaticano II, che hanno abituato i fedeli a veder mutare aspetti anche rilevanti della vita della Chiesa. La riforma operata dal decreto del 1986 è indubbiamente profonda ma la sua importanza non deve essere sopravalutata. E, in ogni caso, non può assolutamente considerarsi come la soluzione esauriente e definitiva del complesso problema del riordinamento delle diocesi italiane. A ben guardare la Congregazione per i vescovi, riunendo in una sola diocesi le diverse circoscrizioni affidate alla guida pastorale dello stesso vescovo, si è limitata a “codificare” la situazione esistente e a semplificarne l’organizzazione e il governo, consentendo “un risparmio di personale ecclesiastico, un suo migliore impiego, la diminuzione del tasso di burocratizzazione, almeno per le diocesi interessate, ma anche, indirettamente, per la Chiesa italiana nel suo complesso”55. Questa scelta della Santa Sede è comprensibile poiché nel breve termine previsto dalle norme pattizie sarebbe stato molto difficile, per non dire impossibile, superare tutte quelle resistenze e difficoltà che nei decenni precedenti avevano impedito la 51
Per più dettagliate notizie vedi ivi, p. VIII. Moreira Neves, Un fatto storico (nota 38), p. III. 53 Per notizie in merito vedi Gualberto Giachi, Riordinamento delle diocesi in Italia, in: La Civiltà Cattolica, 15 novembre 1986, p. 377: cfr. Bobbio, E la politica bloccò la vera riforma (nota 39), p. 87. 54 Per notizie in merito vedi Mario Petroncelli, Diocesi. Diritto canonico, in Novissimo Digesto Italiano, vol. V, Torino 1960, p. 646. 55 Giuseppe Brunetta, Riordinamento delle diocesi italiane, in: Aggiornamenti sociali 38 (1987), p. 239. 52
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realizzazione di progetti attentamente studiati e che si collocavano sotto i più autorevoli auspici. Ma ciò non toglie che l’organizzazione territoriale della Chiesa in Italia sia ancora ben lontana dall’avere raggiunto un assetto soddisfacente: mentre il numero delle diocesi continua a risultare decisamente eccessivo in rapporto sia al numero dei fedeli sia a quanto avviene in altri Paesi, accanto a circoscrizioni di grandi dimensioni ne sussistono ancora alcune del tutto minuscole e non sempre vengono rispettati i confini delle province e delle regioni civili.56 Non sorprende, quindi, che, in tempi recenti, la CEI abbia promosso un nuovo, approfondito esame della questione. Peraltro i lavori della commissione appositamente costituita sono circondati dal massimo riserbo. È dato peraltro sapere che nel corso della riunione del consiglio permanente della CEI del 26 – 29 settembre 2011 “è stata presentata la relazione finale dell’attività della commissione di studio sulle piccole diocesi”57. Al riguardo, nella relativa conferenza stampa, il segretario della CEI ha ricordato che tale commissione era stata istituita in adesione alla richiesta della Congregazione per i vescovi “di promuovere una riflessione e un’analisi sulle modalità di funzionamento delle diocesi che contano da 90mila abitanti in giù”. Ha, poi, precisato: “[…] la commissione ha svolto il suo lavoro pacatamente e non ha proposto nessuna risistemazione, ma semplicemente ha offerto la sua valutazione sulla funzionalità dell’esistente. Ha indicato poi dei criteri di base per valutare possibili scelte di accorpamenti ma anche forme di collaborazione tra le piccole diocesi per unire i loro sforzi. Sarà poi la Congregazione per i vescovi che deciderà in merito.”58
Ora, dalle parole di Papa Francesco, risulta evidente che a distanza di due anni i lavori della commissione sono tutt’altro che conclusi, e sembra anche che siano stati in certa misura decentrati dal momento che, da fonte non ufficiale ma nel caso attendibile, risulta che la conferenza episcopale campana “ha già messo al lavoro una commissione proposta da tre vescovi per una proposta di revisione della mappa”59.
56 Per una analitica comparazione dei confini civili (nazionali, regionali e provinciali) con quelli ecclesiastici vedi Conferenza Episcopale Italiana, Atlante delle diocesi d’Italia, Novara 2000. 57 Così il comunicato finale dell’incontro. 58 Vedi, ad esempio, il sito del settimanale regionale di informazione on line Toscana oggi. www.toscanaoggi.it/Vita-Chiesa/CEI-NON-SONO-ALLO-STUDIO-ACCORPAMENTI-E-FU SIONI-TRA-DIOCESI. 59 La notizia compare in data 7 aprile 2014 sul sito del Weblog TV dell’alto casertano Caiazzo Rinasce, www.caiazzorinasce.net/2014/04/piedimonte-matese-il-vescovo-della. html.
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V. Per una nuova immagine della CEI Le raccomandazioni di Papa Francesco all’episcopato italiano, richiamate in apertura del presente studio, vanno lette alla luce del suo richiamo a una rinnovata immagine di conferenza episcopale. Una immagine così sintetizzata dal comunicato finale del consiglio permanente della CEI del 27 – 29 gennaio 2014: “Promuovere una sempre maggior partecipazione alla vita della Conferenza, stimolare la collegialità e favorire la comunione”, questo “il percorso indicato ai Vescovi da Papa Francesco nel contesto dell’Assemblea Generale dello scorso maggio e riaffermato nei colloqui con il Cardinale Presidente”. A giudizio del presidente della CEI i vescovi hanno “abbracciato con piena disponibilità e pronto impegno” tale “percorso di discernimento” e, a tal fine, nell’ambito delle conferenze regionali, si sono “interrogati per individuare le forme più efficaci per favorire collegialità e maggior partecipazione”60. Resta da vedere se tutto questo avrà significative ricadute a livello statutario. Per ora è da segnalare una importante novità che però riguarda il rapporto tra l’episcopato italiano e il vescovo di Roma. Come noto, la CEI è l’unica conferenza episcopale in cui il presidente è nominato dal pontefice. Ora l’assemblea dell’episcopato italiano del 19 – 22 maggio di 2014 ha stabilito che la nomina del presidente della conferenza continui a essere riservata al papa, ma prevedendo che la scelta avvenga “da una terna di Vescovi diocesani votati a maggioranza assoluta dalla Assemblea Generale”61. E, da parte sua, Papa Francesco in tale assemblea ha ribadito e precisato il suo pensiero auspicando una conferenza, che, avendo come “nota dominante” la “libera e ampia possibilità d’indagine, di discussione e di espressione”, costituisca “uno spazio vitale di comunione a servizio dell’unità”, capace di promuovere tra i suoi membri “relazioni di qualità, che abbattono le distanze e avvicinano i territori con il confronto, lo scambio di esperienze, la tensione alla collaborazione”62.
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668 Assemblea Generale della CEI. Saluto del Cardinale Presidente al Santo Padre, 19 maggio 2014. 61 Così il comunicato finale dell’assemblea stessa. 62 Discorso del Santo Padre Francesco alla 66a Assemblea Generale della CEI, lunedì 19 maggio 2014.
Entfernung von Diözesanbischöfen Kanonistische Erinnerung an den exemplarischen Fall „Bischof Gaillot“ Norbert Lüdecke Zu dem von Helmuth Pree behandelten breiten kanonistischen Themenspektrum gehören auch die rechte Ausübung der Leitungsgewalt1 und der Zusammenhang von Recht und Gewissen2 in der römisch-katholischen Kirche. Beide können sich in einer für das kirchliche Selbstverständnis, insbesondere auch für das Verhältnis von Primat und Episkopat, erhellenden Weise überschneiden und durchdringen, wenn ein Diözesanbischof gegen seinen Willen aus dem Amt scheidet. Mit vorübergehendem internationalen Aufsehen3 geschah dies vor genau zwanzig Jahren, als Jacques Gaillot auf bis heute nicht gänzlich geklärte Weise am 13. Januar 1995 um 13 Uhr aufhörte, Diözesanbischof von Evreux zu sein. Nicht nur zeitgeschichtliches, sondern vor allem ekklesiologisches Interesse empfiehlt, den Vorgang kanonistisch zu rekonstruieren und so im scheinbar Besonderen das Typische zu erweisen. Exemplarität und Aktualität können noch deutlicher werden, wenn ein ähnlicher Fall parallel eingeblendet wird, der zwar weniger bekannt, dafür aber sorgfältig dokumentiert ist, nämlich die Entfernung William Morris’ aus seinem Amt als Diözesanbischof von Toowoomba im Südosten Australiens am 2. Mai 2011.4 1
Vgl. Helmuth Pree, Esercizio della potestà e diritti dei fedeli, in: Ius Ecclesiae 11 (1999), S. 7 – 39; ders., Kirchliche Leitungsgewalt. Aspekte ihrer Reichweite und Anwendung, in: AfkKR 181 (2012), S. 39 – 56; ders., Imputabilitas – Erwägungen zum Schuldbegriff des kanonischen Strafrechts, in: ÖAKR 38 (1989), S. 226 – 243, hier S. 226 Anm. 2. 2 Vgl. ders., Forum externum und forum internum. Zur Relevanz des Gewissensurteils im kanonischen Recht, in: AfkKR 169 (1999), S. 25 – 50; ders., Das Gewissen vor dem Forum des Kirchenrechts, in: Folia Theologica 15 (2004), S. 95 – 107; ders., Die Meinungsäußerungsfreiheit als Grundrecht des Christen, in: Winfried Schulz (Hrsg.), Recht als Heilsdienst. FS Matthäus Kaiser, Paderborn 1989, S. 42 – 85. 3 10 Jahre später bedauerte Christian Terras, „L’histoire Gaillot“, ou „de l’art des profits et pertes dans l’Eglise“, in: ders. (Hrsg.), L’affaire GAILLOT. Dix ans après!, Vielleurbanne 2005, S. 3 – 7, hier S. 7: Man könne den Eindruck haben, Rom habe gewonnen, Gaillot sei marginalisiert. Die Kirche der Mächtigen funktioniere weiter und triumphiere nach der traditionellen Methode: nicht lange bei einer Krise aufhalten, Institution und Zeit walzten alle Abweichungen und Krisen nieder und der Schleier des Schweigens falle über alles. Die Menschen gingen, die Institution bleibe. 4 Das geschieht in der Regel in den Fußnoten. Grundlegend ist dafür die detaillierte Darstellung und ausführliche Dokumentation durch Bischof William Martin Morris, Benedict, Me and the Cardinals Three. The Story of the Dismissal of Bishop Bill Morris by Pope Bene-
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I. Cours loyal Als Jacques Gaillot (*1935) im Frühjahr 1982 von einer Rom-Assisi-Reise mit einem Fortbildungskurs zurückkehrte, fand er in der Post einen Brief des Apostolischen Nuntius in Frankreich, Angelo Felici. Darin stand, der Papst habe ihn, Gaillot, am 5. Mai 1982 zum Bischof von Evreux im nordfranzösischen Département ernannt.5 Am 20. Juni empfing er dort die Bischofsweihe.6 Offenbar hatte Gaillot sich in seiner bisherigen Biografie und Laufbahn in einer Weise bewährt, die ihn dem Papst als für den Bischofsstand und das zentrale Amt des Diözesanbischofs7 geeignet erschienen ließ. 1. Fügsamer Seminarist Als 19-Jähriger war Gaillot 1954 aus der familiären Wohlbehütung in die kirchliche des Priesterseminars gewechselt, um die streng reglementierte tridentinische Seminarausbildung8 zu absolvieren: „Wir waren ohne jegliche Information – Radiohören war verboten – und lebten vollkommen isoliert vom Rest der Welt. In der Tat wurden wir durch diese Lebensweise ,abgesondert‘ und darauf vorbereitet, daß Priester keine Menschen wie alle anderen sein sollten, sondern sich durch besondere Geisteskultur, eigene Kleidung und einen besonderen Verhaltenskodex auszeichnen. Für uns war das ganz natürlich. Auch für mich.“9 Ein „spiritueller Schritt mit einer beträchtlichen psychischen Wirkung“ waren „Tonsur und Einkleidung mit der Soutane. […] Denn dieser Ritus markierte unsere Aufnahme in den Klerikerstand. Dieses
dict XVI, Hindmarsh 2014. Kurz nach Erscheinen des Buchs im Juni hat der neue Bischof von Toowoomba, Robert McGuckin, der katholischen Diözesanbuchhandlung den Verkauf untersagt. In anderen Diözesen darf es bestellt, aber nicht durch Auslagen beworben werden oder im Verkaufsregal stehen (http://medianet.com.au/releases/ release-details?id=804476 sowie http://cathnews.co.nz/2014/06/20/bishop-morris-tell-book-blocked-four-aussie-bishops/ [Stand: 27. 03. 2015]). 5 Vgl. Jacques Gaillot, Sonnenaufgang in der Wüste. Ich wähle die Freiheit, Küsnacht 1997 (französisches Original: „Je prends la liberté…“ Entretiens avec Jean-Claude Raspiengeas, Paris 1995), S. 87 f. sowie ders., „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“. Erfahrungen eines Bischofs, Freiburg i. Br./Basel/Wien 21991, S. 46. Zur Kindheit vgl. ebd., S. 13 – 18. 6 Vgl. ebd., S. 90 sowie AnPont 2014, S. 950. 7 Zur ekklesio-hermeneutischen Unterscheidung zwischen Bischofsstand und -amt vgl. grundlegend Georg Bier, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 (= FzK 32), Würzburg 2001, S. 23 – 85. 8 Vgl. Leo Waltermann, Die Wirklichkeit der Priesterausbildung. Fakten und Fragen zur bisherigen Praxis und zu ihrer nachkonziliaren Erneuerung, in: Johann Christoph Hampe (Hrsg.), Die Autorität der Freiheit. Gegenwart und Zukunft der Kirche im ökumenischen Disput, 2. Bd., München 1967, S. 193 – 202. 9 Jacques Gaillot, Meine Freiheit in der Kirche. Weg und Vision eines unkonventionellen Bischofs. Im Gespäch mit Elisabeth Coquart-Huet und Philippe Huet, Freiburg i. Br./Basel/ Wien 21995, S. 16; vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 59 f.
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Kleid unterschied uns vom Rest der Gesellschaft, trennte uns von den Leuten und isolierte uns. Auf der Straße waren wir schnell ausgemacht.“10
Nach einer Unterbrechung durch den Militärdienst (Mai 1957 bis September 1959) im Algerienkrieg11 hatte er das theologische Lizentiat in Rom zu erwerben (1960 – 1962), wohnte im dortigen sog. „Gallicum“, dem Päpstlichen Französischen Priesterseminar, und studierte an der Päpstlichen Gregoriana-Universität. Obwohl er lieber in die Mission gegangen wäre, fügte er sich dem Wort seines Bischofs: „Ich fordere Sie bei Ihrem Gewissen auf, in der Diözese zu bleiben. Man wird Sie brauchen“, ließ sich am 18. März 1961 zum Diözesanpriester in Langres weihen12 und entsprach so den empfundenen Erwartungen an einen Kandidaten für den Klerikerstand: „Ein guter Seminarist hatte sich der Ordnung zu fügen und sich anzupassen“13. 2. Gehorsamer Priester Wie jeder Neugeweihte war Jacques Gaillot am Ende der Messe, in der er zum Priester geweiht wurde, noch einmal vor den Bischof getreten und hatte, während seine Hände nach altem lehnsrechtlichem Brauch in denen des Bischofs lagen14, auf die Frage „Versprichst Du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam?“ geantwortet: „Ich verspreche.“15 In moralischer Selbstverpflichtung hatte er so bekräftigt, wozu vor allem Priester dem Bischof gegenüber kirchenrechtlich verpflichtet waren16, eine Rechtspflicht, die Johannes Paul II. kurz darauf mit dem Codex von 1983 zum Gehorsam auch und zunächst gegenüber dem Papst erweitert und zur ersten Klerikerpflicht erhoben hat.17 10 Ebd., S. 60. Bei der Tonsur wird ein kreisrundes Haupthaarstück geschoren als Zeichen der Übereignung an den Dienst Gottes, vgl. Rupert Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg i. Br./Basel/Wien 52013, S. 420. Als Ritus zur Aufnahme in den Klerikerstand wurde sie durch Paul VI., MP Ministeria quaedam vom 15. August 1972, in: AAS 64 (1972), S. 529 – 534 abgeschafft. Seit Johannes Paul II. wird sie aufgrund päpstlichen Sonderrechts in Einzelgemeinschaften weiter praktiziert, vgl. Roland Scheulen, Die Rechtsstellung der Priesterbruderschaft „St. Petrus“. Eine kritische Untersuchung auf dem Hintergrund der geltenden Struktur und Disziplin der Lateinischen Kirche, Essen 2001 (= BzMK 30), S. 78 – 80 sowie Norbert Lüdecke, Kanonstische Anmerkungen zum Motu Proprio Summorum Pontificum, in: Liturgisches Jahrbuch 58 (2008), S. 3 – 34, hier S. 25. 29. 11 Zu den dortigen Erfahrungen vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 61 – 67; ders., Kirche (Anm. 5), S. 22 – 28. 12 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 68 – 70. 13 Ebd., S. 68. 14 Vgl. Joseph A. Jungmann, Das Gehorsamsversprechen nach der Priesterweihe und der althochdeutsche Priestereid, in: Ludwig Lenhart (Hrsg.), Universitas. Dienst an Wahrheit und Leben. FS Albert Stohr, 1. Bd., Mainz 1960, S. 430 – 435. 15 Vgl. De Ordinatione Diaconi, Presbyteri et Episcopi, Editio typica, Vatikanstadt 1968, S. 34, Nr. 16. 16 Vgl. c. 127 CIC/1917. 17 Vgl. c. 273. Johannes Paul II. hat bei seiner persönlichen Überprüfung des Codexentwurfs 1982 in Castel Gandolfo den Klerikergehorsam an die Spitze der Klerikerpflichten
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1962 bis 1964 wurde Gaillot zu weiteren Studien an das „Institut Supérieur de Liturgie (ISL)“ in Paris geschickt und gleichzeitig mit der geistlichen Begleitung und Unterrichtung der Seminaristen als Professor am Priesterseminar von Chalons-surMarne und als Priester in der Pfarrei Saint-Dizier u. a. mit Religionsunterricht und Katechese betraut.18 Von 1965 bis 1972 lehrte er am Regionalseminar von Reims mit besonderem Akzent auf der Umsetzung der Orientierungen des II. Vatikanischen Konzils19, war anschließend Seelsorger in der Priester-Equipe der Pfarrei Saint-Dizier, Co-Leiter des Instituts für die Ausbildung der Seminarlehrer (Institut de Formation pour les Éducateurs du Clergé, IFEC)20 und einer der Sekretäre der Bischöflichen Kommission für Priester und Priesterausbildung der Französischen Bischofskonferenz.21 1977 rief ihn der neue Bischof von Langres, Lucien Daloz, in seine Diözese zurück und ernannte Gaillot zum Generalvikar.22 Als der Bischof auf das Erzbistum Besancon versetzt wurde, wählte das Domkapitel Gaillot 1981 zum Kapitularvikar, dem nach altem Recht vorübergehenden Leiter der Diözese.23 Aus dem fügsamen Seminaristen war so der gehorsame Priester Gaillot geworden, der 20 Jahre lang auch jener rechtlichen Klerikerpflicht entsprochen hatte, alle ihm vom Bischof übertragenen Aufgaben getreu zu erfüllen24, alles in allem also ein Priester ohne besondere Vorgeschichte, „der keine Probleme macht“25 – „ein Mann des Apparats“26.
gerückt, vgl. Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici Recognoscendi, Codex Iuris Canonici. Schema Novissimum. Vatikanstadt 1982, c. 276. 18 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 70 f.; ders., Kirche (Anm. 5), S. 34. 19 Vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 71 – 84. 20 Das Institut wurde immer von einem Mitglied der Weltpriesterkongregation der Sulpizianer, die sich der Bildung von Geistlichen an Seminaren widmeten, zusammen mit einem Diözesanpriester geleitet. Zusammen mit Gaillot war das Raymond Deville, vgl. Raymond Deville, L’année de formation de l’IFEC, in: Bulletin de Saint Sulpice 11 (1985), S. 142 – 153 sowie den kurzen Rückblick von Jacques Gaillot, Impressions de cinq années d’IFEC, in: ebd., S. 157 f. Das Institut bot auch Fortbildungen für General- und Bischofsvikare, vgl. Raymond Deville, Autre réalisations de l’IFEC, in: ebd., S. 154 – 157, hier S. 155 f. 21 Vgl. Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 44; ders., Freiheit (Anm. 9), S. 22. 22 Vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 85 – 88; ders., Kirche (Anm. 5), S. 44 – 46. 23 Vgl. c. 432 § 1 CIC/1917. Nach c. 1406 § 1 n. 4 CIC/1917 hatte er vor dem Domkapitel die Professio fidei in der vom Apostolischen Stuhl 1967 approbierten Fassung abgeleistet und so pflichtgemäß seine vollständige Übereinstimmung mit dem Glauben der Kirche öffentlich bezeugt. 24 Vgl. c. 128 CIC/1917. 25 So die Überschrift des 5. Kapitels von Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 68 (im französischen Original lautet sie: „Un prêtre sans histoire“, S. 63). 26 Christophe Wargny, Die Welt schreit auf, die Kirche flüstert. Jacques Gaillot, ein Bischof fordert heraus, Freiburg i. Br. 1993, S. 36.
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3. Geeignet und gesichert Diesen Eindruck musste auch der vom Nuntius bestimmte Informativprozess27 bestätigt haben, in dem die Eignung eines Kandidaten für den Bischofsstand wie für das Diözesanbischofsamt insbesondere in puncto Lehr- und Leitungsgehorsam28 sorgfältig überprüft wird. Und so konnte Johannes Paul II. mit dem Auftrag zur Bischofsweihe Gaillot die communio hierarchica gewähren, jenen Zustand der unterordnenden Übereinstimmung mit ihm, in der allein ein Bischof Mitglied des Bischofskollegiums sein kann (cc. 1013, 1382).29 Der Auftrag muss zweifelsfrei sicher sein, weshalb zu Beginn der Feier der Bischofsweihe das entsprechende Dokument, in der Regel ein Dekret, verlesen wird oder der anwesende Apostolische Nuntius den Auftrag bestätigt, falls das Dekret, wie im Falle Gaillots, nicht rechtzeitig eingetroffen sein sollte.30 Zur Versinnbildlichung der gewährten communio hierarchica wird die Konsekration regelmäßig von mindestens drei Bischöfen vorgenommen.31 Gaillot hat diesen Zustand seiner primatialen Einbindung als Bischof mehrfach bekräftigt:32 Zum einen versprach er bei seiner Bischofsweihe u. a. nicht nur, das
27 Vgl. Wolfgang Rüfner, Art. Informativprozess, in: LKStKR II, S. 283 f. Wargny, Welt (Anm. 26), S. 36 gibt an, Nuntius Felici habe noch kurz vor der Ernennung Gaillots in kleinem Kreis gesagt: „Bisher kam es schon mal vor, daß wir so einen Luftikus ernannt haben. Aber jetzt ist es aus mit den Luftikussen.“ 28 Der in den 1990er Jahren in der Schweiz verwendete Fragebogen, den der Nuntius an ausgewählte Persönlichkeiten zur geheimen Beantwortung verschickte, in der Sache aber wahrscheinlich ähnlich auch andernorts üblich, erfragte unter Nr. 6: „Rechtgläubigkeit – Überzeugte und treue Anhänglichkeit an die Lehre und das Lehramt der Kirche. Insbesondere Einstellung des Kandidaten zu den Dokumenten des Heiligen Stuhles über das Priesteramt, die Priesterweihe für Frauen, die Ehe und Familie, die Sexualethik (insbesondere die Weitergabe des Lebens gemäss der Lehre der Enzyklika ,Humanae Vitae‘ und des Apostolischen Schreibens ,Familiaris Consortio‘) und die soziale Gerechtigkeit. Treue zur wahren kirchlichen Überlieferung und Engagement für die vom II. Vatikanischen Konzil und von den darauffolgenden päpstlichen Unterweisungen eingeleitete echte Erneuerung“ und unter Nr. 7: „Disziplin – Treue und Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater, dem Apostolischen Stuhl, der Hierarchie, Achtung und Annahme des priesterlichen Zölibats, wie er vom kirchlichen Lehramt vorgestellt wird; Beachtung und Befolgung der allgemeinen und besonderen Normen betreffend den Vollzug des Gottesdienstes sowie hinsichtlich der geistlichen Kleidung“ (Hervorheb. im Original), Urs Jecker, Risse im Altar. Der Fall Haas oder Woran die katholische Kirche krankt, Zürich 1993, S. 269 – 271. Der Fragebogen stimmt mit dem überein, der 2001 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 53 (2001) Nr. 56 v. 07. 03. 2001, S. 13 veröffentlicht wurde. 29 Vgl. Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 42. 30 Vgl. Rüdiger Althaus, c. 1013, Rdnr. 3, in: MKCIC (Stand Februar 2006) sowie Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 27 f. 31 Vgl. Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 39. 32 Als Bischof Gaillot dem Nuntius gegenüber zweifelte, ob er das Amt annehmen sollte, ob er wirklich geeignet sei für das Diözesanbischofsamt, habe dieser erklärt: „Es ist der Heilige Vater, der Sie ernennt. Es gibt nichts zu zögern. Man wartet auf Sie. […] Sie sind durch den Papst ernannt worden. Sie müssen dorthin gehen.“ (Gaillot, Sonnenaufgang
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Glaubensgut der Kirche immer und überall getreu, rein und integer zu bewahren, sondern auch in der Einheit des Bischofsstandes unter der Autorität des Nachfolgers des seligen Apostels Petri zu bleiben und diesem treuen Gehorsam zu leisten.33 Zum anderen legte er vor Antritt seines Diözesanbischofsamtes nicht nur erneut die Professio fidei ab, sondern versprach auch im bischöflichen Obödienzeid34 unter Anrufung Gottes: „Ich [Jacques Gaillot], ernannt zum Bischof von [Evreux], werde der heiligen apostolischen römischen Kirche und dem Papst, dem Nachfolger des seligen Apostels Petrus im Primat und Stellvertreter Christi, und seinen rechtmäßigen Nachfolgern stets treu und gehorsam sein. […] Die Rechte und die Autorität der Päpste zu fördern und zu verteidigen, werde ich mich bemühen, ebenso die Vorrechte ihrer Gesandten und Vertreter. Jeden Anschlag, der etwa gegen diese Rechte von irgendjemandem geplant wird, werde ich dem Papst persönlich rückhaltlos aufdecken. Die mir anvertrauten Dienste werde ich in hierarchischer Gemeinschaft mit dem Stellvertreter Christi und den Gliedern des Bischofskollegiums mit aller Gewissenhaftigkeit nach Geist und Buchstaben der heiligen Canones zu erfüllen eifrigst bemüht sein.“
Ebenso schwor er, „Aufträge“ anlässlich eines Ad-limina-Besuchs „gehorsam entgegen[zu]nehmen und mit größtem Eifer durch[zu]führen“35. Johannes Paul II. erwartete dies als Herzensgehorsam gegenüber der mütterlichen Zuneigung der Kirche.36 Diözesanbischöfe sind Männer, die diesen „cours loyal“ klerikaler Sozialisation und präventiver Sicherheitsleistungen in Gestalt von Bekenntnis und sakraler Selbstverpflichtung erfolgreich durchlaufen und sich als zur kirchlichen Loyalitäts- und Konformitätselite gehörig erwiesen haben, dem Papst also die hohe Gewähr bieten, dass sie ihr Amt ordnungs- und weisungsgemäß ausüben.37 Und doch kam diesmal alles anders. [Anm. 5], S. 90) bzw. ähnlich nach Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 48: „Der Heilige Vater selbst ernennt Sie. Sie müssen gehorsam sein.“ 33 Vgl. De Ordinatione (Anm. 15), S. 65 f., Nr. 19. 34 Vgl. c. 332 § 2 CIC/1917. 35 Vgl. den lateinischen Text bei Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae, 5. Bd.: Leges anni 1973 – 1978 editae, Rom 1980, Sp. 6440, Nr. 4161 sowie die deutsche Übersetzung: Der Treueid der Bischöfe. Dokumentation, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 40 (1989), S. 27. 36 Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Bischöfe der DBK (III. Gruppe) anlässlich ihres Ad-limina-Besuchs vom 20. November 1999, in: AAS 92 (2000), S. 249 – 257, hier S. 253 (n. 6): „Der mütterlichen Zuneigung der Kirche muß ein Gehorsam entsprechen, der ihren Söhnen und Töchtern aus dem Herzen kommt“ sowie ebd., S. 253 f. (n. 7): „Denn man kann nicht vorgeben, auf der Seite des Papstes zu sein, ohne auch zu den mit ihm verbundenen Bischöfen zu stehen. Ebenso wenig kann man behaupten, mit den Bischöfen zu sein, ohne zum Haupt des Kollegiums zu stehen.“ 37 Das gilt auch für den zehn Jahre jüngeren William Morris (*1943). Während des II. Weltkrieges in Brisbane, der Hauptstadt von Queensland, in einer katholischen Familie geboren, von Franziskanerinnen und Christian Brothers beschult, trat er 1963 in das Priesterseminar ein. Nach seiner Priesterweihe am 28. Juni 1969 in Brisbane war er als Seelsorger in mehreren Pfarreien tätig, bevor er 1979 von Erzbischof Francis Rush zum Erzbischöflichen
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II. Coup final Es war vor 20 Jahren, am Freitag, den 13. Januar 1995 um 11:47 Uhr: Über den Ticker der Französischen Nachrichten-Agentur (AFP) lief eine Pressemitteilung des Diözesanbischofs von Evreux: „Ich wurde für den 12. Januar um 9:30 Uhr von Kardinal Gantin, dem Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, nach Rom vorgeladen. Die Drohungen, die seit diesem Moment auf mir lasteten, wurden wahr gemacht. Das Fallbeil fiel: man bedeutete mir, daß mir mein Amt als Bischof entzogen und der Bischofsstuhl von Évreux am Freitag Mittag um 13:00 Uhr für vakant erklärt würde. Ich war aufgefordert worden, mein Entlassungsgesuch einzureichen. Ich glaubte nicht, das tun zu müssen.“38
Eine Stunde und 13 Minuten später, um 13:06, folgte die Meldung des Vatikanischen Pressedienstes: „Der Heilige Vater hat seine Exzellenz, Monsignore Jacques Gaillot, von der pastoralen Leitung der Diözese Evreux suspendiert (suspendu), indem er ihn auf den Bischofssitz von Parthenay versetzt hat.“39 Parthenay ist eine kleine Stadt südlich von Evreux und kein Bistum. Um 16:04 Uhr wurde korrigiert: Gaillot sei auf den Titularsitz Partenia40 im heutigen AlSekretär und Verantwortlichen für die Geistlichen Berufungen (Archdiocesan Vocation Director) ernannt wurde. Von 1985 bis 1993 Pfarrer, wurde er im November 1992 zum Bischof von Toowoomba ernannt und am 10. Februar 1993 zum Bischof geweiht. Er hatte die Professio fidei und den Treueid in jeweils neuer Fassung abzulegen. Die Professio fidei bestand nun aus dem Symbolum und drei Zusätzen, in denen nicht nur die unwiderrufliche Übereinstimmmung mit allen unfehlbaren Offenbarungs- und offenbarungsnahen Lehren, sondern der religiöse Verstandes- und Willensgehorsam gegenüber allen nicht-unfehlbaren Lehren bekannt wurde, war also präsentisch zu bekennende doktrinelle Totalidentifikation, vgl. Norbert Lüdecke, Die Grundnormen des katholischen Lehrrechts in den päpstlichen Gesetzbüchern und neueren Äußerungen in päpstlicher Autorität (= FzK 28), S. 416 – 452. Die Formula iurisiurandi fidelitatis ab Episcopis praestandi war 1987 geändert worden. Sie ist nicht amtlich publiziert, aber bei Heribert Schmitz, „Professio fidei“ und „iusiurandum fidelitatis“. Glaubensbekenntnis und Treueid. Wiederbelebung des Antimodernisteneides?, in: AfkKR 157 (1988), S. 353 – 429, hier S. 378 f., A. 93 unter Kennzeichnung der Unterschiede zur vorhergehenden Formel von 1972 abgedruckt. 38 „J’ai été convoqué à Rome par le Cardinal Gantin, préfet de la Congrégation des évèques, le 12 janvier à 9:30. Les ménaces qui pesaient sur moi dépuis un moment ont été à exécution. Le couperet est tombé: il m’a été signifié que ma charge d’évêques m’était retirée et que le siège d’Evreux (Eure) serait déclaré vacant à partir du vendredi 13 à midi. J’ai été appelé à remettre ma demission, ce que je n’ai pas cru devoir faire“, zitiert nach: Jean-Luc Hiebel, L’affaire Gaillot, les médias et le droit de l’Eglise, in: RDC 45 (1995), S. 101 – 118, hier S. 107. Im Abdruck der Pressemitteilung bei Jacques Gaillot, Parole d’un homme de l’Eglise, Paris 1995, S. 240 ist der Nebensatz am Ende als eigener Hauptsatz vom Vorsatz mit Punkt getrennt. 39 „Le Saint Père a suspendu du gouvernement pastoral du diocèse d’Évreux, son excellence Mgr Jacques Gaillot, en le transférant au siège épiscopal de Parthenay“, zitiert nach: Hiebel, Affaire (Anm. 38), S. 107. 40 Dieser Bischofssitz war unlängst frei geworden, weil dessen bisheriger Titularbischof, José Luis Lacunza Maestrojuán, Diözesanbischof von Chitré geworden war, vgl. AnPont 1995, S. 159.
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gerien versetzt worden.41 Einen Hinweis, nach welchen Canones des Kirchenrechts diese Maßnahme ergriffen wurde, gab es weder hier noch in einer weiteren Pressemitteilung des Heiligen Stuhls, die über den Generalsekretär der Französischen Bischofskonferenz verbreitet wurde und in die Feststellung mündete, Gaillot habe sich als nicht geeignet erwiesen, den Dienst der Einheit, der ersten Pflicht eines Bischofs, zu leisten.42 Nachdem die Meldungen wie eine Bombe43 eingeschlagen waren44, gab die Kongregation für die Bischöfe auf die vielen Anfragen von Gläubigen an den Papst und mehrere kuriale Organe „einige Elemente einer Antwort“45, darunter den Hinweis, die Maßnahme sei im Auftrag des Papstes ergriffen worden. Es ging also nicht um einen höchstpersönlichen Akt des Papstes, sondern um einen der Kongregation selbst?46 Wie konnte es zu diesem Schlussakt in der Affaire Gaillot kommen und wie ist er kirchenrechtlich einzuordnen?
III. Gewissen trifft Amt 1. Individuelle Amtsführung Auch ein für die Indienstnahme in einem kirchlichen Grundamt47 formatierter Mann bringt seine eigenen Erfahrungen mit und macht im Amt neue. Dazu können 41 Vgl. Gaillot, Parole (Anm. 38), S. 108. Der OssRom 135 (1995) Nr. 11 v. 14. 01. 1995, S. 1 meldete unter der für Personalmaßnahmen des Heiligen Stuhls üblichen Rubrik „Nostre informazione“: „Il Santo Padre ha sollevato dal governo pastorale della diocesi di Evreux (Francia), Sua Excellenza Reverendissima Monsignor Jacques Gaillot, trasferendolo alla sede titolare vescovile di Partenia.“ Die Documentation catholique 92 (1995) Nr. 2110 v. 19. 02. 1995, S. 199 überschrieb die Meldung mit: „Transfert“. 42 Communiqué du Saint-Siège à propos de S. Exc. Mgr. Jacques Gaillot vom 13. Januar 1995, in: Élie Maréchal (Hrsg.), L’«Affaire Gaillot». Documents 1983 – 1995, Paris 1995, S. 99. Der OssRom 151 (2011) Nr. 101 v. 12./13. 05. 2011, S. 1 meldete: „Il Santo Padre ha sollevato dalla cura pastorale della Diocesi di Toowoomba (Australia) Sua Eccellenza Reverendissima Monsignor William Martin Morris.“ und der OssRom (dt.) 41 (2011) Nr. 18 v. 06. 05. 2011, S. 8: „2. Mai: der Papst hat Bischof William Martin Morris von seinem Seelsorgeamt in der Diözese Toowoomba (Australien) enthoben.“ 43 Vgl. Terras, Histoire (Anm. 3), S. 3. 44 Berichtet wurde von 5000 Demonstranten für Gaillot in Evreux, 2000 in Nantes und etwa 1000 in Paris, Rennes, Lyon und Lille, so Rudolph Chimelli, Jacques Gaillot. Amtsenthobener Bischof, in: Süddeutsche Zeitung 51 (1995) Nr. 13 v. 17. 01. 1995, S. 4. 45 Congr. Ep, Note „À propos du transfert de Mgr Jacques Gaillot“ vom 14. Februar 1995, in: La Documentation catholique 92 (1995) Nr. 2111 v. 05. 03. 1995, S. 217. 46 Vgl. ebd.: „Le Saint Père et plusieurs organisme du Saint-Siège ont recu de nombreuse lettres à propos de la mésure qui été prise, par mandat du Pape, à l’égard de Monseigneur Jacques Gaillot, alors évêque d’Évreux“ (Hervorhebung N. L.). 47 Grund- oder Vorsteherämter sind solche, die für die verfassungsrechtliche Gliederung der Kirche konstitutiv sind und mit deren Errichtung eine kirchliche Teilgemeinschaft entsteht. Das des Diözesanbischofs gilt als von Gott angeordnet, vgl. Hubert Socha, c. 145, Rdnrn. 3. 5, in: MKCIC (Stand August 1988).
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auch solche gehören, die sich nicht einfach in die eigene Kirchlichkeit einfügen lassen. So bildeten für Bischof Gaillot die frühen Erfahrungen des von ihm als Idiotie erlebten Gleichschritts, der harten Disziplin, der Auslieferung an Willkür und der Sinnlosigkeit von Gewalt im Algerienkrieg den Boden für seinen Sinn für Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Frieden48 und ließen ihn bei seiner Rückkehr in das Seminarleben verwundert registrieren: „Auch wenn der Algerienkrieg viel durcheinandergebracht hatte: Im Seminar ging es weiter, als ob nichts geschehen wäre.“49 In seiner priesterlichen Existenz sah Gaillot sich auf neue Weise motiviert und getragen durch das II. Vatikanische Konzil, wie er es zeitgenössisch mit vielen anderen verstanden hat und wie er es in seinen Priesterbildungsaufgaben über Jahre selbst weiter vermittelt hat: „Von einer Kirche, die sich ganz massiv auf die Priester abstützte, geht man nun über zu einer Kirche, die mit der Gesamtheit der Getauften rechnet. Die Kirche steht im Dienst der Menschen. Das Leben der Leute muß uns wichtiger sein als das Überleben der Institution. […] Die Verantwortung aller Getauften anzuerkennen und zu respektieren, ihnen nicht ständig vorzusagen, was sie zu tun oder zu wiederholen haben, sie zu sich selber und zu ihrer Verantwortung zu führen […]. Das Zweite Vatikanische Konzil ermöglicht befreiende Perspektiven. Es schreibt niemandem mehr den Glauben vor. Endlich wird nun anerkannt: ,Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist.‘“50
Seine Gregoriana-Ausbildung hatte er als weltfremd erlebt und als „Abschluß einer Geschichte“, die mit dem Konzil vollendet wurde.51 „Die Formen des Aggiornamento der Kirche“ habe er in seiner persönlichen Entwicklung übernommen, und „der neue Wind, der die alten Segel der Kirche wieder aufblähte“, weckten in ihm missionarischen Eifer.52 Für ihn sah das Konzil den Priester nicht mehr als einen der Honoratioren, „weithin sichtbar vom Leben der Leute getrennt“53. Entsprechend verzichtete Gaillot seither auf die Soutane.54 Der „Pariser Mai“ (1968)55, den er nicht nur als Dozent im Regionalseminar in Reims erlebte, ließ ihm die enorme Realdistanz der Kirche zur Welt bewusst werden und damit die „Set-apart“-Konzeption der Seminarausbildung defizitär erscheinen. 48 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 66 f.; ders., Kirche (Anm. 5), S. 22 – 28; ders., Freiheit (Anm. 9), S. 37 – 40. 49 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 68. 50 Ebd., S. 72. 51 Ebd., S. 69. In einem symbolischen Akt habe er nach dem Konzil alle seine Vorlesungsskripten verbrannt, vgl. ebd. sowie ders., Kirche (Anm. 5), S. 38. 52 Vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 73 f. sowie ders., Kirche (Anm. 5), S. 35 – 38. 53 Ebd., S. 37. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. Lothar Baier, Der französische Mai ’68, in: Ingo Kolboom/Thomas Kotschi/Edward Reichel (Hrsg.), Handbuch Französisch. Sprache – Literatur – Kultur – Gesellschaft. Für Studium, Lehre, Praxis, Berlin 2002, S. 511 – 515.
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Autoritäten wurden in Frage gestellt. „Das Wort befreite sich“56. Gaillot selbst habe zunächst passiv „gelernt, daß man nur jemand Eigenständiger wird, wenn man mit anderen spricht. Leben heißt: Kommunikation, Befreiung des Wortes.“57 Dass dies in der Kirche durchaus auch schwierig sein könnte, wurde ihm bewusst, als der Konzilstheologe und Prior des kleinen Zisterzienser-Klosters Boquen (im Bistum SaintBrieuc, Bretagne), Bernard Besret, mit Vorschlägen, wie die Verpflichtung auf die evangelischen Räte zu lockern und einen einjährigen Probe-Zölibat für Priester zuzulassen58, scheiterte, von seinem Generaloberen abgesetzt und mit einem Aufenthaltsverbot in Frankreich versehen wurde59: „Damals habe ich begriffen: Sobald jemand in der Kirche Freiräume zu schaffen versucht, gilt er als Außenseiter und als gefährlich. Die Institution pfeift die Menschen, die in der Kirche einen neuen Wind aufkommen lassen, zurück und erledigt sie […].“60
Hinzu kam die Erfahrung, dass viele Priester ihren Dienst aufgaben und manche Diözese so einen regelrechten „Aderlass“ erfuhr. Er selbst habe sich dadurch aber in seiner kirchlichen und priesterlichen Existenz, die er in geschütztem und immer gemeinschaftlich abgestütztem Rahmen leben konnte, nie angefochten gefühlt.61 In dieser persönlichen Disposition begann für Gaillot 1982 ein „ausgesetztes Leben“62. Diözesanbischof ist kein Ausbildungsberuf. Erst seit Ende der 1990er Jahre lädt der Apostolische Stuhl neugeweihte Bischöfe zu einer Studientagung, um sie in theologischer, pastoraler, kanonistischer, geistlicher und verwaltungstechnischer Hinsicht für die Anforderungen ihres Dienstes nachzuqualifizieren.63 Für Gaillot hatte Nuntius Felici nur einen Ratschlag: „Monsignore, tragen Sie die Priesterkleidung samt dem römischen Kragen, und vergessen Sie das Brustkreuz nicht […] Sie sind von nun an Bischof“64. 56
Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 77 sowie ders., Kirche (Anm. 5), S. 42 f. Ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 76. 58 Vgl. exemplarisch Bernard Besret, Liberation de l’Homme. Essai sur le renouveau des valeurs monastiques, Paris 1969 sowie zur zeitgenössischen Reformdiskussion zum Ordensleben Friedrich Wulf, Die Zukunft des Ordenlebens. Ein Bericht, in: Geist und Leben 43 (1970), S. 226 – 230 sowie ausführlicher und kritisch Marcel Smits van Waesberghe, Überlegungen zur Neugewinnung der monastischen Lebensform. Boquen und sein Führer Bernard Besret, in: Zeitschrift für katholische Theologie 93 (1971), S. 74 – 90. 59 Vgl. Yvon Le Vaillant, Un mauvais moine. Il y a toujours quelqu’un pour transmettre au Vatican les dossiers compromettants. Et le Vatican réagit vite, in: Le Nouvel Observateur 6 (1969) Nr. 259 v. 27. 10. 1969, S. 35 f., hier S. 35 sowie André Legrand, Les Chemins de l’autonome, Saint-Brieuc 1976, S. 9 – 58, bes. S. 45 – 53 sowie Yvon Tranvouez, BoquenClairvaux et retour: un projet avorté de refondation monastique (1959 – 1962), in: Revue d’histoire de l’Église de France 92 (2006), S. 193 – 220. 60 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 79. 61 Vgl. ebd., S. 80 f. 62 Ebd., S. 89. 63 Vgl. Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 387. 64 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 90. Vgl. auch Karl Lehmann, „Ich kam mir oft wie ein Grenzgänger vor“. Ein Gespräch mit Bischof Karl Lehmann, in: Bischöfliches Ordinariat 57
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Dem eingespielten Bischofsbild wollte Gaillot gleichwohl nicht entsprechen: Für viele stelle „der Bischof das Oberhaupt der Kirche in seiner Diözese dar, und zwar ein unbestrittenes Oberhaupt. Er ist der Führer, der alles weiß und die Entscheidungen trifft. Man folgt ihm nach, ohne nach Mitbestimmung, geschweige denn nach Auseinandersetzungen zu suchen; außer wenn er sich über gewisse Tabus hinwegsetzt“65. Er bleibe „eine ferne, geheimnisvolle Gestalt. Ein Überrest aus der Vergangenheit. Man stellt sich darunter den Hüter von Religion und Moral vor.“66 Vor sich die vielen Dossiers, die nach der Vakanz auf Erledigung warteten67, und im Bewusstsein, trotz aller Beratung letztlich der allein verantwortliche Entscheidungsträger zu sein68, nahm der neue Bischof sich eine einjährige Lehrzeit, um auf einer Pastoralreise durch das Bistum die Probleme und Erwartungen vor Ort kennenzulernen.69 Danach legte er los. Von Anfang an durchbrach er die Distanz zwischen Kirche und Gesellschaft, indem er die Enthobenheitsposition eines Bischofs aufgab und sich ohne stilistische und politische Berührungsängste gegen Gewalt und Ungerechtigkeit einsetzte. Später, besonders seit Ende der 1980er Jahre, sah er sich durch seine Amtserfahrungen veranlasst, innerkirchliche Probleme nicht nur zu erkennen, sondern sie offen anzusprechen. Beide Öffnungen erhielten eine besondere Qualität dadurch, dass Gaillot keine Scheu zeigte, sie medial begleiten zu lassen.70 a) Ad extra: Der „rote Bischof“ 1983 setzte er einen ersten Akzent, als er nach vergeblichen Versuchen, einen Priester für die Gefängnisseelsorge zu finden, für ein halbes Jahr selbst dieses Amt übernahm, bis er seinen aufgrund einer Umfrage unter den Priestern bestellten Generalvikar mit dieser Aufgabe betraute.71 Schlüsselerlebnis für seine Auffassung, Bischof für alle zu sein, auch und gerade für Arme, Unterdrückte, Randständige und Ausgeschlossene, den Armen an Freiheit Mainz (Hrsg.), Mit Nüchternheit und Zuversicht. Karl Lehmann 10 Jahre Bischof von Mainz. Kleine Bistumschronik 1983 – 1993, Mainz 1993, S. 60 – 67, hier S. 60: „Da ich schon früher relativ viel mit Bischöfen zu tun hatte […] meinte ich die Aufgaben eines Bischofsamtes zu kennen. In Wirklichkeit sind jedoch Umfang und Gewicht viel größer. […] Das alles habe ich so nicht gewußt.“ 65 Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 96. 66 Ders., Kirche (Anm. 5), S. 58. 67 Vgl. ders., Freiheit (Anm. 9), S. 28. 68 Vgl. ders., Kirche (Anm. 5), S. 52 f. 69 Vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 92; ders., Freiheit (Anm. 9), S. 30. 70 Vgl. als Überblick Walter Lesch, Bischof Gaillot – Kirche ohne Tabus, in: Orientierung 54 (1990), S. 85 – 89. Für Zeittafeln vgl. Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 7 – 20 und Roland Breitenbach (Hrsg.), Jacques Gaillot. Die Freiheit wird euch wahr machen, Schweinfurt 2010, S. 199 – 207. Für den Fall Morris, vgl. Morris, Benedict (Anm. 4), S. XV-XXVI. 71 Vgl. Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 29 u. S. 83. Auch später suchte er regelmäßig die Gefängnisse auf, vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 126 – 131.
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und Rechten auch jenseits der eigenen Grenzen der Kirche72, wurde für ihn der Fall des Michel Fache, der sowohl den Militärdienst als auch den noch längeren Zivildienst verweigerte und deshalb zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Gaillot solidarisierte sich mit ihm, indem er, von den Medien unvermeidbar bemerkt, zur Gerichtsverhandlung in Evreux ging.73 Hatte die Bischofssynode 1971 erklärt: „Konflikte zwischen Völkern dürfen niemals durch Krieg gelöst werden. Statt dessen muß man Wege finden, sie auf eine Weise, die dem Menschen angemessen ist, zu lösen. Auch die Strategie der Gewaltlosigkeit soll gefördert werden, und alle Staaten sollen die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkennen und regeln“74, wurde Gaillot von Seiten des Erzbistums Rouen signalisiert, die Verteidigung eines Befehlsverweigerers und insoweit Gesetzlosen sei fragwürdig.75 Nach seiner eigenen Linie hatte Bischof Gaillot am 12. November öffentlich gemacht, dass und warum er auf der Vollversammmlung der Französischen Bischofskonferenz in Lourdes deren Befürwortung der atomaren Abschreckung nicht hatte zustimmen können.76 1984 beteiligte er sich nicht an der katholischen Mobilisierung gegen die Pläne der Linksregierung zur Neuordnung des Schulwesens zu Lasten der zu 90 % in katholischer Trägerschaft befindlichen Privatschulen. Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte er zu erkennen gegeben, Privatschulen gehörten anders als bei seinem Vorgänger nicht zu seinen Hauptanliegen. Dort tätige Priester hatte er in die Pfarrseelsorge abberufen. Nicht nur nach dem Eindruck des Bischofs betrieben diese durch das hohe Schulgeld vor allem eine soziale Auslese und sorgten dafür, „daß die Kinder des Bürgertums und des Großbürgertums an den ,cathos‘ unter sich“77 blieben. Gaillot war der Auffassung, die Jugendlichen müssten dort angesprochen werden, wo sie fast alle sind, nämlich in den öffentlichen Schulen.78 Er kündigte an, auch nicht an der Massendemonstration zur „Verteidigung der freien Schulen“ am 24. Juni 1984 in Paris teilzunehmen, und unterzeichnete im Januar 1985 zudem noch einen gewerkschaftlich initiierten und von linken Parteien unterstützten „Appell für Freiheitsrechte“ („Appell aux libertés“)79, der, wie es hieß, „die dunklen Seiten des katholischen Schulwesens […]: unklare Anstellungsverhältnisse, Verbot gewerkschaftlicher Arbeit, Sanktionen bei unbequemen Meinungsäußerungen, Gesinnungsschnüffelei 72 Vgl. ders., Freiheit (Anm. 9), S. 37 sowie ausführlicher ders., Die Option für die Armen, in: Concilium 22 (1986), S. 491 – 494. 73 Vgl. ders., Freiheit (Anm. 9), S. 33 – 37 und seine Osterbotschaft 1983, in: ebd., S. 167. 74 Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode in Rom (30. September6. November 1971), De iustitia in mundo, in: AAS 63 (1971), S. 923 – 942, hier S. 939. 75 Vgl. Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 35. 76 Vgl. den Text der Erklärung bei dems., Kirche (Anm. 5), S. 168. 77 Lesch, Bischof Gaillot (Anm. 70), S. 87, vgl. auch Raimund Ritter, Die Privatschulen in Frankreich: Im Zeichen eines neuen Kulturkampfes, in: Christ und Bildung 30 (1984), S. 4 u. S. 6 f., hier S. 6. 78 Vgl. Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 123. 79 Vgl. ders., Freiheit (Anm. 9), S. 43 – 48.
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usw.“ offengelegt habe.80 In der Presse wurde daraufhin das Etikett vom „roten Bischof“81 geprägt. Nachdem er bereits 1983 mit einer eigenen Weihnachtsbotschaft an die Ausländer im Départment Eure, zu dem Evreux gehört, ein Signal gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus gerichtet hatte82, engagierte er sich 1987 in der „Affäre Pierre-Albert Albertini“: Der junge Entwicklungshelfer aus Evreux wurde 1985 in Südafrika inhaftiert, weil man ihm Kontakte zur Anti-Apartheidsbewegung „African National Congress“ (ANC) nachsagte und zu einer Zeugenaussage gegen diese bewegen wollte, die er jedoch verweigerte.83 Es kam zu internationalen Vermittlungsversuchen. Gaillot wurde Ehrenmitglied eines 1986 gegründeten und auch von Kommunisten getragenen Unterstützungskomitees und erhielt am 13. Juli 1987 zusammen mit der Schwester des Inhaftierten ein Visum, um ihn im Gefängnis in Ciskei (in Bantustans, einer autonomen Region für ausschließlich schwarze Bevölkerung) zu besuchen. Der Flugtermin am 16. Juli kollidierte mit der traditionellen jährlichen Bistums-Pilgerfahrt nach Lourdes, die er absagte, nicht ohne die Pilger selbst abends am Bahnhof noch zu verabschieden.84 Nach Gaillots Rückkehr kam Albertini am 5. September im Rahmen eines Gefangenenaustauschs mit Angola frei.85 Ende des Jahres äußerte Bischof Gaillot sich gegen die israelische Reaktion auf die erste Intifada 1987 („Krieg der Steine“), traf sich 1988 mit dem Vertreter der PLO in Frankreich und mit Yassir Arafat in Tunis und nahm auf Einladung der UNO an der Dritten UN-Abrüstungskonferenz in Genf teil.86 80 Lesch, Bischof Gaillot (Anm. 70), S. 87 sowie Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 123 f. und ders., Freiheit (Anm. 9), S. 43 – 48. Bereits im März 1984 hatten rund 800.000 Menschen gegen die Pläne demonstriert, und die staatlichen Vorhaben mussten schließlich weithin zurückgenommen werden, vgl. Jean-Paul Picaper, Der Schulkampf in Frankreich, in: Politische Studien 35 (1984), S. 404 – 406 und Gustave Stern, Frankreich: Der Kampf um die Schule, in: Die Neue Gesellschaft 31 (1984), S. 572 – 574. 81 Vgl. Alain Woodrow, Ein Bischof auf dem Index?, in: Le Monde 42 (1985) Nr. 12448 v. 06. 02. 1985, hier nach der deutschen Fassung, in: Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 170 – 173, hier S. 170. Gaillot erzählt, er habe bei einer nicht datierten Begegnung mit Johannes Paul II. diesem selbst von diesem Namen erzählt. Er schien darüber amüsiert zu sein, und als man Gaillot bei einem anschließenden Gemeinschaftsessen ein Gericht anbot, habe er zu seiner und der übrigen Bischöfe Überraschung auf Gaillot gezeigt und gemeint: „Aber bedienen Sie doch zuerst den roten Bischof.“ (Gaillot, Freiheit [Anm. 9], S. 69 sowie ders., Sonnenaufgang [Anm. 5], S. 44). 82 Vgl. den Text in: Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 169 f.; ders., Option (Anm. 72), S. 492, sah in der damaligen Ablehnung der französischen Einwanderer einen alltäglichen Rassismus am Werk. 83 Vgl. Pierre-André Albertini, Un français en apartheid. (Au Vif du Sujet), Paris 1988. 84 Vgl. Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 49 – 57 u. S. 87 f. sowie ders., Kirche (Anm. 5), S. 91 – 98. 85 Vgl. so der an der Vermittlung beteiligte französische Geschäftsmann und Diplomat Jean-Yves Ollivier, The Hidden Side of the Albertini-Affair (http://www.jeanyvesollivier.com/ eng/2012/11/16/the-hidden-side-of-the-albertini-affair/ [Stand: 27. 03. 2015]). 86 Vgl. Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 98 – 105.
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Im gleichen Jahr berührte Gaillot die Schnittstelle zu innerkirchlichen Reizthemen, als er den Film „Die letzte Versuchung Christi“ von Martin Scorsese besuchte und nicht verurteilte. Der Film basiert auf der Romanvorlage des griechischen Autors Nikos Kazantsakis, die nach ihrer Übersetzung in andere Sprachen von 1954 von Pius XII. auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt worden war.87 Dieser war zwar seit 1966 rechtlich aufgehoben, die Verurteilungen galten und gelten aber moralisch weiter.88 Der Film hatte auch in Frankreich zu wütenden Protesten und sogar zu einem Brandanschlag auf ein Kino geführt.89 Gegen diese christliche Intoleranz schrieb Gaillot zunächst in der Bistumszeitung von Evreux: „Skandalös für mich ist nicht der Film, den ich nicht gesehen habe. Skandalös ist für mich, wenn ich sehe, wie Christen eine Intoleranz und Gewalttätigkeit an den Tag legen, die nichts mit dem Evangelium gemein haben.“90 Nachdem er den Film gesehen hatte, befand er, Christus werde darin keineswegs diffamiert.91 87
Vgl. Suprema Sacra Congregatio S. Officii, Decretum proscriptio libri vom 12. Januar 1954, in: AAS 46 (1954), S. 223: „Feria IV, die 16 Decembris 1953. In generali consessu Supremae Sacrae Congregationis Sancti Officii, Emi ac Revmi Domini Cardinales rebus fidei et morum tutandis praepositi, praehabito RR. DD. Consultorum voto, damnarunt atque in Indicem librorum prohibitorum inserendum mandarunt librum qui inscribitur: Nikos Kazantzakis – O tekeuta_or peiqasl|r – Die Letzte Versuchung, Roman, Berlin-Grunewald, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung (Walter Kahnert). Et feria VI, die 1 Ianuarii 1954, Ssmus D. N. D. Pius Divina Providentia Pp. XII, in audientia Emo Card. Pro-Secretario Sancti Officii concessa, relatam Sibi Emorum Patrum resolutionem adprobavit et publicari iussit. Datum Romae, ex Aedibus Sancti Officii, die 12 Ianuarii 1954. Marius Crovini, Supremae S. Congr. 8. Officii Notarius“. Der Roman hatte Proteste von Gläubigen hervorgerufen, amerikanische protestantische Fundamentalisten wollten ihn aus öffentlichen Bibliotheken verbannen, vgl. Graham Holderness, „Half God, half man“: Kazantzakis, Scorsese and The Last Temptation, in: Harvard Theological Review 100 (2007), S. 65 – 96, hier S. 73. Der Autor wurde von der griechisch-orthodoxen Kirche zunächst exkommuniziert, später jedoch rehabilitiert, vgl. Ferdinando Castelli, Il Christo di Nikos Kazantzakis, in: La Civiltà Cattolica 139 (1988), S. 323 – 335, hier S. 335 Anm. 6. 88 Von der naturrechtlichen Pflicht, die einmal erkannte Wahrheit zu bewahren und folglich alles zu meiden, was den eigenen Glauben oder den anderer gefährden könnte, kann nicht dispensiert werden (c. 748 § 1). Zur Abschaffung des Index vgl. Georg May, Die Aufhebung der kirchlichen Bücherverbote, in: Karl Siepen / Joseph Weitzel / Paul Wirth (Hrsg.), Ecclesia et Ius. FS Audomar Scheuermann, München / Paderborn / Wien 1968, S. 547 – 571 sowie zur Zensur in der Kirche insgesamt Norbert Lüdecke, Kommunikationskontrolle als Heilsdienst. Sinn, Nutzen und Ausübung der Zensur nach römisch-katholischem Selbstverständnis, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 28 (2009), S. 67 – 98. 89 Berichtet wurde von wochenlangen Anti-Scorsese-Kampagnen in den USA, von Verwüstungen in Griechenland, von Brandstiftung und Schlägereien in Frankreich, vgl. AA.VV., Sturm im Weihwasserglas. Christen-Proteste gegen Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“, in: Der Spiegel 42 (1988) Nr. 46 v. 14. 11. 1988, S. 267 sowie Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 146. Zu den USA vgl. Robin Riley, Film, Faith, and Cultural Conflict. The Case of Martin Scorsese’s The Last Temptation of Christ, Westport / London 2003. 90 Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 180. 91 Vgl. ebd., S. 181. Gaillot zeigte zudem sein Unverständnis gegenüber der Erklärung des Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, Kardinal Decourtray, der zwar fanatische Reaktionen als Sünde bezeichnete, aber gleichwohl Solidarität geäußert hatte mit der Verlet-
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1994 schließlich hatte Bischof Gaillot sich in seinem Buch „Coup de gueule contre l’exclusion“ (Protest gegen die Ausgrenzung)92 in scharfer Form gegen die durch den damaligen Innenminister Charles Pasqua verfochtene rigide Einwanderungsgesetzgebung („loi Pasqua“) gewandt und das Schweigen der Kirche dazu kritisiert.93 b) Ad intra: Das freie Wort Auch innerkirchlich führten Bischof Gaillot neue Erfahrungen in seinem Amt zu Fragen, die ihm „früher […] nie in den Sinn gekommen“ wären und gegen die, von anderen vorgetragen, er sich „innerlich […] gesträubt“94 hätte. Er hatte mit Evreux ein Bistum mit rund 500.000 Einwohnern, darunter 400.000 Katholiken, zu leiten und das mit einer Personaldecke von 100 aktiven Priestern, die im Durchschnitt 65 Jahre alt waren und deren Zahl durch Ruhestand und Begräbnisse zudem rapide abnahm.95 Er lernte die Probleme des verbliebenen Klerus nicht nur kennen, sondern zung der religiösen Gefühle von Muslimen durch den Roman „Die Satanischen Verse“ von Salman Rushdie, die zu Morddrohungen gegen diesen geführt hatten. „Wiederum werden Anhänger einer Religion in ihrem Glauben verletzt. Gestern betraf es die Christen in einem Film, der das Antlitz Christi entstellte, heute trifft es die Mohammedaner in einem Buch über den Propheten“ (ebd., S. 147). Vgl. ähnlich wie Kardinal Decourtray auch Kardinal Meisner: „Nur ein persönliches Beispiel: Als ich 1980 erstmals in West-Berlin war, wollte ich mir Kreuzberg anschauen. Ich kam an einem Zeitungskiosk vorbei und war entsetzt über die dort ausgehängten Zeitschriften mit pornographischem Inhalt. Da kam eine Muslimin vorbei und riß das herunter. Ich habe mich geschämt und gedacht: Warum habe ich das nicht gemacht?“, in: Heino Schwilk, Der Hunger nach Gott. Joachim Kardinal Meisner über Ehe, Moslems, christliche Politiker und den Sinn der Weihnachtsbotschaft, in: Welt am Sonntag 57 (2004) Nr. 51 v. 19. 12. 2004, S. 9. Im in den bayerischen Diözesen verbreiteten Organ des Klerikerverbandes e. V. schrieb Prälat Andreas Gruber, „Die letzte Versuchung Christi“, in: Klerusblatt 69 (1989), S. 44: „Ein Laie sagte mir: ,Es wird endlich Zeit, daß ihr auf der Kanzel wieder einmal die Axt schwingt und zum Kampf aufruft.‘ Sicher gut gemeint, aber […] wir Christen verehren einen Jesus, der sich verhöhnen und kreuzigen ließ. Müssen wir also wirklich so reagieren wie verständlicher Weise die Moslems, die bei einer ähnlichen Verhöhnung ihres Propheten zum Heiligen Krieg rufen würden? Sie kennen weder die Bergpredigt noch einen Gott, der aus Liebe stirbt“ (Hervorhebung N. L.). 92 Vgl. Jacques Gaillot, Coup de gueule contre l’exclusion. L’année de tous les dangers, Etranger et droit d’asile, Paris 1994. 93 Vgl. Walter Lesch, Fall Gaillot – Logik der Exklusion, in: Orientierung 59 (1995), S. 37 – 40, hier S. 39. 94 Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 71. 95 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 96. Bischof Morris warb auf der Bischofssynode für Ozeanien 1998 in einer Stellungnahme um das kollegiale Vertrauen in die pastoralen Lösungsversuche vor Ort. Er habe ein Bistum von der zweieinhalbfachen Größe Italiens zu leiten mit sehr unterschiedlichen Teilen – reich und kultiviert im Osten, Wüstengebiete im Westen, mit unterschiedlichen Ausdruckformen des Glaubens, z. B. der Aborigines. Es sei die Freiheit und das Vertrauen nötig, offen über Probleme sprechen zu können, über Scheidung, Zölibat, verheirateten Klerus, das unausgesprochene Frauenthema, über die Bestellung der Bischöfe, die Probleme um die Generalabsolution, die Anpassung und Übersetzung liturgischer Texte, die Inkulturation der Liturgie und anderes mehr, vgl. Morris, Benedict (Anm. 4), S. 14 – 18. Priester müssten bisweilen an die 500 Kilometer zurücklegen, um die Sonntags-
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auch ernstzunehmen: Statusängste angesichts verstärkten Laieneinsatzes in der Pastoral96, Einsamkeit im Alter, Schwierigkeiten mit dem Zölibat, Alkohol, Homosexualität.97 Den Trend, Priester aus dem Ausland oder aus als konservativ geltenden Gruppierungen in der Kirche einzusetzen, hielt er nicht für zielführend.98 Auch in der zur Vorbereitung der Diözesansynode (26. November 1988 bis 20. Mai 1991) durchgeführten Diözesanumfrage, waren diese (und andere99) Probleme angesprochen worden.100 Auf der Herbstvollversammlung der Französischen Bischofskonferenz im Oktober 1988 in Lourdes nannte er sie beim Namen und schlug – im Wissen um die eindeutige universalkirchliche Haltung – vor, „die Frage der Weihe verheirateter Männer und die eventuelle Wiedereingliederung der verheirateten Priester messe in den verschiedenen Gemeinden zu halten, vgl. ebd., S. 10. Zur Pastoralplanung im Bistum Toowoomba, u. a. zur empfundenen Notwendigkeit, die Generalabsolution zu erlauben, und dem Problem des Priestermangels, vgl. ebd., S. 7 – 11, S. 23 u. S. 43 – 47. 96 Vgl. zur Problematik exemplarisch Rainer Bucher/Georg Plank, Ungeliebte Kinder, überlastete Lieblingssöhne und weit entfernte Verwandte. Warum hat die Kirche Probleme mit ihrer professionellen Struktur?, in: Rainer Bucher (Hrsg.), Die Provokation der Krise. Zwölf Fragen und Antworten zur Lage der Kirche, Würzburg 2004, S. 45 – 62, hier S. 45 – 54. 97 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 96 – 105; ders., Freiheit (Anm. 9), S. 136 f.; Wargny, Welt (Anm. 26), S. 131 – 143. 98 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 101. Vor allem wegen der hohen Zahl an Priesterberufungen wird in weiten Teilen der Weltkirche die von dem Laien Kiko Argüello geführte Gruppierung „Neokatechumenaler Weg“ geschätzt, vgl. hierzu Bernhard Sven Anuth, Der Neokatechumenale Weg: erfolgreich, innovativ, umstritten. Zur Institutionalisierung einer „Bewegung“ in der römisch-katholischen Kirche, in: AfkKR 182 (2013), S. 103 – 160 sowie aktuell auch Raoul Löbbert, Kikos Weg, in: Christ & Welt 67 (2014) Nr. 19 v. 30. 04. 2014, S. 3 f. und ders., Beste Freunde, in: Christ & Welt 67 (2014) Nr. 30 v. 17. 07. 2014, S. 2. 99 So hatte sich die Diözesansynode auch mehrheitlich für die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten ausgesprochen, vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 103. Abhaltung wie Themen der Diözesansynode lagen zeitgenössisch „im Trend“. Zwischen 1988 und 1994 fanden allein in Frankreich 30 Diözesansynoden statt, vgl. JeanPaul Durand, Un regain d’intérêt en France pour les synodes diocésaines. Expériences et perspectives, in: La Synodalité. La participation au gouvernement dans l’Église. Actes du VIIe congrès international de Droit canonique Paris, Unesco, 21 – 28 septembre 1990, 2. Bd., Paris 1992, S. 575 – 597, hier S. 586 – 590. Ähnliche Anregungen auf der Diözesansynode Rottenburg-Stuttgart (1985 – 1986) und dem Freiburger Diözesanforum (1990 – 1991) hatten die Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz (Karl Lehmann, Walter Kasper, Oskar Saier) 1993 zu dem – wie sie es nannten – „Vorstoß“ veranlasst, wiederverheirateten Geschiedenen den Zutritt zur Kommunion auch ohne Enthaltsamkeitsversprechen zu ermöglichen. Ein Vorstoß, der von der Kongregation für die Glaubenslehre 1994 als unzulässig zurückgewiesen und daraufhin von den Bischöfen zurückgenommen wurde, vgl. die Dokumentation in: Theodor Schneider (Hrsg.), Geschieden, wiederverheiratet, abgewiesen? Antworten aus der Theologie (= QD 157), Freiburg i. Br./Basel/Wien 1995, S. 376 – 410. 100 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 102 f.; ders., Freiheit (Anm. 9), S. 149 f.; Wargny, Welt (Anm. 26), S. 147 – 149. Für einen Einblick in die Arbeit der Synode vgl. Luc Cauchois, Le partenariat. Choix majeur pour le synode d’Evreux: Mirage éphémère ou courant durable?, in: Hommes et femmes dans l’Eglise 13 (1992) Nr. 51 v. Okt. 1992, S. 4 – 13 sowie Philippe Cottereau, Die Synode von Evreux und das Streben nach Demokratie in der Kirche, in: Christenrechte in der Kirche e. V. (Hrsg.), Europäische Konferenz für Menschenrechte in der Kirche, Frankfurt a.M. 1992, S. 21 – 24.
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zu prüfen“101. Sein Beitrag wurde kurz darauf in der Zeitschrift „La Croix“ veröffentlicht.102 Erzbischof Duval, Bischof Gaillots Metropolit und damals Stellvertretender Vorsitzender der Bischofskonferenz, stellte in derselben Zeitschrift klar, über diese Anfragen und Thesen sei nicht diskutiert worden. Vielmehr hätten die Bischöfe die lange Tradition der lateinischen Kirche als „österlichen Weg“103 bestätigt. In einer Presseerklärung bekräftigte auch der Ständige Rat die Zölibatstradition und unterstrich, die Kirche habe eine Weihe Verheirateter niemals akzeptiert.104 Gleichwohl wiederholte Gaillot seine Anfragen öffentlich.105 Als in einem Interview mit dem Männermagazin „Lui“ im Januar 1989 auch das ausnahmslose Verhütungsverbot der katholischen Kirche106 vor dem Hintergrund der damals innerkirchlich noch neuen Debatte um die Immunkrankheit AIDS107 zur 101
Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 95; vgl. auch ebd., S. 97. Zur Rechtslage vgl. Helmuth Pree, Priester ohne Amt. Probleme um die amissio status clericalis und ihre kirchenrechtlichen Rechtsfolgen, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia canonum. FS Franz Pototschnig, München 1991, S. 233 – 273 sowie ders., „Rent a priest“ – eine kirchenrechtliche Möglichkeit?, in: Anzeiger für die Seelsorge 101 (1994), S. 320 f. Bischof Morris von Toowoomba hatte am 17. November 2006 zur weiteren Motivation in der Seelsorge angesichts zunehmenden Priestermangels ein Advents-Pastoralschreiben an die Gläubigen gerichtet. Darin formulierte er, nicht als Handlungsoption, sondern als Beleg, dass man nicht alleine sei mit diesem Problem: „Given your deeply held belief in the primacy of Eucharist for the identity, continuity and life of each community, we may well need to be much more open towards other options for ensuring that Eucharist may be celebrated. As has been discussed internationally, nationally and locally the ideas of: ordaining married, single or widowed men who are chosen and endorsed by their local parish community; welcoming former priests, married or single, back to active ministry; ordaining women, married or single; recognising Anglican, Lutheran and Uniting Church Orders. While we continue to reflect carefully on these options, we remain committed to actively promoting vocations to the current celibate male priesthood and open to inviting priests from overseas.“ (vgl. Morris, Benedict [Anm. 4], S. 322 – 325, hier S. 324). 102 Vgl. Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 17. Für den deutschen Text der Erklärung vgl. Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 177 – 179, bes. S. 178 f. 103 Vgl. Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 37 f. 104 Vgl. ebd., S. 38. 105 Vgl. ebd., S. 7 den Abdruck des Artikels im „Figaro“ vom 28. Dezember 1988: „L’inquiétude d’un pasteur pour le peuple de Dieu“. Am 6. November 1993 erinnerte er in einem der Redaktion bereits im September eingereichten Artikel (vgl. den Abdruck des Artikels „Des communautés chrétiennes meurent“ ebd., S. 59) an den grassierenden Priestermangel just an dem Tag, an dem die Vollversammlung der Bischofskonferenz unter Ausschluss der Öffentlichkeit auch Fragen der Priesterbildung auf der Tagesordnung hatte, vgl. zum Vorgang Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 176 – 178. 106 Vgl. dazu Norbert Lüdecke, Einmal Königstein und zurück? Die Enzyklika Humanae Vitae als ekklesiologisches Lehrstück, in: Dominicus M. Meier/Peter Platen/Heinrich J. F. Reinhardt/Frank Sanders (Hrsg.), Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirche heute. FS Klaus Lüdicke (= BzMK 55), Essen 2008, S. 357 – 412 sowie ders., Humanae Vitae, in: Christoph Markschies, Hubert Wolf (Hrsg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, S. 534 – 546. 107 Die Kirche sah zunächst vor allem ein sexualethisches Problem und reagierte erst, als staatliche Präventionsprogramme auch Kondome empfohlen, vgl. Frank Sanders, AIDS als
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Sprache kam, antwortete Bischof Gaillot auf die Frage, ob die physische Rettung der moralischen vorgehe: „Ja, denn das menschliche Leben hat keinen Preis. Wenn man um eines Prinzips willen den Gebrauch von Präservativen ablehnt, kommt dies in der Tat einer verweigerten Hilfeleistung in Notsituationen gleich. Die praktizierenden Katholiken müssen begreifen, daß sie hier nicht angesprochen sind. Sie wissen, daß ich für die Treue in der Liebe bin. Wenn aber Präservative Leben retten können, sollten wir sie eben nützen.“108
Im Februar appellierte er in einem Beitrag für das Homosexuellen-Journal „Gay Pied Hebdo“ für die Anerkennung von Homosexuellen in der Kirche, so dass sie „voll und ganz in den Gemeinden katholisch sein können, und zwar um der Dynamik der Gemeinden selbst willen“109. 1992 befürwortete er in derselben Zeitschrift die Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften.110 Auch für die Priesterweihe von Frauen sprach er sich aus.111 Am 12. April 1994 brachte der TV-Sender Arte in seinem Magazin „Transit“ nach Beiträgen über verheiratete und homosexuelle Priester ein Gespräch zwischen Bischof Gaillot und dem Theologen Eugen Drewermann112, dem der Erzbischof von Paderborn die Lehr- und Predigtbefugnis entzogen hatte.113 Bischof Gaillot stieß mit seinen politischen und innerkirchlichen Positionierungen auf Zustimmung wie Kritik. Was die einen als das lange vermisste soziale Engagement der Kirche und als doktrinelle Öffnung begrüßten, galt anderen als Verletzung der Rolle eines Bischofs, der ein Mann der Ordnung und der Sakristei zu sein habe, der Meinungsverschiedenheiten unter Bischöfen nicht öffentlich mache, der
Herausforderung für die Theologie. Eine Problematik zwischen Medizin, Moral und Recht, Essen 2005 (= BzMK 43), S. 84 – 165. 108 Auszugsweiser Abdruck in: Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 187. Vgl. auch Wargny, Welt (Anm. 26), S. 75. 109 Deutsche Übersetzung „Homosexuell und katholisch?“, in: Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 190 f., hier S. 191. 110 Vgl. den Hinweis bei Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 19. Vgl. auch Wargny, Welt (Anm. 26), S. 77. 111 Vgl. sein Interview „Femmes prêtres: Débat dans le clergé catholique […] Monseigneur Jacques Gaillot, évêque d’Évreux“, in: L’Impartial 112 (1992) Nr. 35227 v. 10. 12. 1992, S. 56: Die Ankündigung der Anglikaner, Frauen zu Priesterinnen zu weihen, sei historisch und mutig und sollte die katholische Kirche einladen, darüber in Toleranz und Freiheit zu sprechen. Die Synodalen der Diözesansynode in Evreux seien ebenfalls dafür. Frauen nicht zu weihen, sei ein Mangel für die Kirche und eine Diskriminierung. 112 Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=7ZCpFQAJV0c [Stand: 27. 03. 2015]. Der Sender platzierte die Aufzeichnung just während der Vollversammlung der französischen Bischofskonferenz, vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 192 f. 113 Vgl. die Dekrete von 1991 und 1992 in: Eugen Drewermann, Worum es eigentlich geht. Protokoll einer Verurteilung, München 1992, S. 404 f. u. S. 454 f.
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die kirchlichen Lehren und Gebote anmahne, statt sie in Frage zu stellen.114 Bischof Gaillot erlebte unmittelbare persönliche Anfeindungen: „Manchmal begegnen mir auf der Straße Leute, die mir verächtliche und haßerfüllte Blicke zuwerfen. Man spürt, wie sie sich kaum beherrschen können. Eines Tages ruft mir z. B. in Évreux jemand im Vorbeigehen zu: ,Es lebe Msgr. Lefebvre!‘ Manchmal sind die Mauern des Bischofssitzes oder der Kathedrale mit beleidigenden Sprüchen beschmiert, was vor allem nach den Artikeln in ,Gay Pied‘ bzw. ,Lui‘ der Fall war: ,Pornographiebischof‘, ,Ayatollah Gaillot‘ konnte man da lesen. Manchmal sind meine ,Auftritte‘, meine Vorträge Anlaß zu organisierten Szenarios: vom Flugblattregen in einem Saal in Pontoise bis zum Bombenalarm in Carcassonne.“115
Bischof Gaillot galt als Kristallisationsfigur der auch unabhängig von ihm bestehenden Polarisierung zwischen reformorientierten und konservativen Katholiken mit je verschiedenen Auffassungen über Inhalt und Bedeutung des II. Vatikanischen Konzils.116 Legitimiert sah Bischof Gaillot sich zu seiner besonderen Amtsführung gleichwohl durch ein bestimmtes Verständnis seines Bischofsamtes und durch die Berufung auf sein Gewissen. Ein Diözesanbischof sei kein Präfekt. Dieser setze „den Kurs der Regierung durch. Ein Bischof hingegen ist – in seinem Gewissen, vor Gott – selbst für seine Kirche verantwortlich. Er ist Bischof, um das Evangelium zu verkünden, und nicht, um den römischen Transmissionsriemen zu spielen. Zugleich gilt aber: Er handelt nicht auf eigene Rechnung; er steht in Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen und mit dem Bischof von Rom.“117 Gleichwohl sei eine Ortskirche „frei und autonom. Wir haben alles, was wesentlich ist. Wir müssen 114 Vgl. die Auswertung von über 2000 Zuschriften durch Michel Pinchon, in: Jésus: Les cahiers du libre avenir, März 1989 sowie Wargny, Welt (Anm. 26), S. 124 – 137; Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 72 u. S. 112 – 114. 115 Ebd., S. 114. Vgl. als literarische Belege zum einen den 78-seitigen broschierten offenen Brief von Pierre Debray, Etes-vous encore catholique, Monseigneur? Lettre ouverte à Monseigneur GAILLOT, Paris 1990, den vor allem die Interviews in „Lui“ und „Gay Pied“ aufgebracht haben. Für ihn ist Bischof Gaillot ein Meuchelmörder des Glaubens und Produkt der seit den 1940er Jahren eingetretenen intellektuellen und spirituellen Dekadenz des französischen Katholizismus (vgl. S. 5), ein Bischof, der seine Mission verraten hat (vgl. S. 11), indem er sich für Pazifismus und Akzeptanz von Homosexuellen und Kondomen einsetzt. Später polemisierte zum anderen der Journalist und Literat Stéphane Hoffmann, Gaillot – L’Imposteur, Monaco 1995 gegen Gaillot. Schon im Titel bezeichnet er ihn als „Betrüger“ und wirft ihm vor allem seine Entwicklung vom angepassten Priester zum abweichenden Bischof vor, der mehrfach gegen seinen Eid verstößt und sein Gehorsamsversprechen bricht (vgl. S. 28 – 30 u. S. 35), auf jeden fahrenden Zug aufspringt (vgl. S. 54) und den Menschen nach dem Mund redet (vgl. S. 65 u. S. 72). Im Grunde sei er ein Schmeichler, Lügner und Betrüger, ein „schlechter Straßenhändler des Evangeliums“ (S. 73). 116 Vgl. etwa Lesch, Bischof Gaillot (Anm. 70), S. 89; Christian Modehn, Nicht im Gleichschritt mit Rom. Konflikt um Bischof Jacques Gaillot, in: Publik-Forum 23 (1994) Nr. 16 v. 26. 08. 1994, S. 33 f. sowie ausführlicher Alexia Bélestin, „L’affaire Gaillot“ et la réactivation des clivages anciens de l’Église, in: Cahier d’histoire immediate 7 (1997), S. 131 – 152. 117 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 94.
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nicht andauernd fragen: ,Was befiehlt man uns dort oben?‘ Schließlich verfügen wir über die gesamte notwendige ,Ausstattung‘. Der Papst selbst ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Partikularkirchen. Es steht ihm nicht zu, sie zu beherrschen.“118 Ein Bischof brauche Freiheit, um die Wahrheit aussprechen zu können.119 Meinungsvielfalt sei auch unter Bischöfen wünschenswert, er nehme „das Recht auf Verschiedenheit in Anspruch“120. Entscheidend sei das Gewissen. Er selbst habe sich immer kritisch gefragt: „Wie weit darf man gehen, wann geht man zu weit? […] Andererseits kann der unmöglich stumm bleiben, der mit Christus auf dem Weg ist, oder darf man Unrecht stillschweigend mit ansehen? Darf man sich so ein gutes Gewissen verschaffen und dabei hoffen, man könne mit Vorsicht Ärger vermeiden? Auch Schweigen ist eine Art, Stellung zu beziehen. Es erspart einem, das zu tun, was zu tun ist. Es ist die Sünde des Unterlassens.“121
Auch falls die Kirche eine andere Position vertreten sollte, gelte: „Man muß unbedingt mit seinem Gewissen in Einklang sein.“122 Bischöfe hätten anzuregen und vorzuschlagen, seien aber „nicht die Herren über das christliche Denken. In letzter Instanz entscheidet das Gewissen der Leute. Man kann nicht über das Gewissen hinweggehen.“123 „Ich bin nicht, wie man es oft geschrieben hat, für die ,Pille danach‘, und ich betrachte die Abtreibung als ein Versagen. Aber bin ich verpflichtet, mich über die Ratlosigkeit, in der sich manche Frauen befinden, hinwegzusetzen? Bin ich verpflichtet, zu richten, zu verletzen und mit Strafe zu drohen?“124
2. Objektives Amtsprofil Wozu war Bischof Gaillot verpflichtet? Blieb er mit dem, was er tat, nicht im Rahmen seiner Amtsverantwortung? Schließlich hatte er bei seiner Bischofsweihe, wie schon bei der Diakonen- und Priesterweihe, auch versprochen, den „Armen und Kranken, den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen“125. Ist es nicht Aufgabe des Diözesanbischofs, das Evangelium zu verkünden (c. 756 § 2) und den „apostolischen Geist auch denen zuzuwenden, die wegen ihrer Lebensumstände aus der ordentlichen Seelsorge nicht hinreichend Nutzen ziehen können, wie auch jenen, die von der religiösen Praxis abständig geworden sind“ (c. 383 § 1)? Und wird der Di118
Ders., Freiheit (Anm. 9), S. 128. Vgl. ebd., S. 92. 120 Vgl. ders., Kirche (Anm. 5), S. 147. 121 Vgl. ebd., S. 105. 122 Ders., Freiheit (Anm. 9), S. 165. 123 Ebd., S. 97. 124 Ders., Ihr seid das Volk. Briefe an meine Freunde in der Wüste, Freiburg i. Br. 1995, S. 73; vgl. auch ders., Freiheit (Anm. 9), S. 98 f. 125 De Ordinatione (Anm. 15), S. 65, Nr. 19. 119
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özesanbischof nicht sogar aufgefordert, für seine Aufgaben auch die sozialen Kommunikationsmittel zu nutzen (cc. 761, 822 § 1)?126 Im Amt des Diözesanbischofs ist ein ganzes Set aus Rechten und Pflichten institutionell gebündelt. Mit der Übertragung dieses Amtes hat der Papst die in der Bischofsweihe spezifisch grundgelegte Befähigung, durch die Erfüllung der munera docendi, sanctificandi und regendi in der Person Christi des Hauptes dem Volk Gottes zu dienen (cc. 1008 f.), rechtlich determiniert und ausübbar gemacht (missio canonica)127. Anders als früher konzediert der Papst dabei nicht mehr ein Paket mit Leitungskompetenzen.128 Vielmehr besitzt der Diözesanbischof kraft Amtes alle Vollmacht, die zur Ausübung seines Hirtendienstes nötig ist (c. 381 § 1), genauer: die der Papst für nötig hält. Dieser reserviert entsprechend von vornherein eine Reihe von Kompetenzen sich oder seiner Kurie.129 Die detaillierte Durchnormierung des Diözesanbischofsamtes im Codex mit ca. 600 Einzelpflichten und -rechten von Amts wegen zeigt: Richter ist ein Diözesanbischof faktisch nur in Ehesachen. Als Gesetzgeber ist er beschränkt auf die teilkirchliche Auffüllung z. T. enger universalkirchlicher Rahmenvorgaben und so ohne nennenswerte Eigenständigkeit. Seine Kernkompetenz ist die Verwaltung, jener Bereich, der auch von einem Generalvikar betreut werden kann.130 Die Bezeichnung des Diözesanbischofs als pastor proprius ist daher vor allem formaler Natur. Seine eigenständige Gewalt betätigt sich primär auf einem Feld, das auch mit potestas vicaria zu bestellen wäre. Das bedeutet: Der Diözesanbischof ist alles andere als autonom. Vielmehr zeichnen „die allgemeinen kodikarischen Bestimmungen zum Episkopat und zum Diözesanbischofsamt sowie die normative Ausgestaltung dieses Amtes in den kodikarischen Bestimmungen […] den Diözesanbischof rechtlich als päpstlichen Beamten“131.
126 Vgl. so auch Alphonse Borras, Tout cela est-il bien canonique?, in: Bénédicte Meiers/ Marie-Denise Zachary (Hrsg.), Les Affaires de l’Eglise. De Léonard à Gaillot, quand l’Eglise pose question(s), Brüssel 1995, S. 57 – 60, hier S. 57 f. 127 Vgl. Norbert Lüdecke, Art. Missio canonica, in: Jorge de Otaduy/Antonio Viana/Joaquín Sedano (Hrsg.), Diccionario general de derecho Canónico, 5. Bd., Navarra 2012, S. 437 – 441. 128 Vgl. Nikolaus Hilling, Art. Fakultäten, in: LThK2 IV (1960), Sp. 2 f. 129 Vgl. als Übersicht Monica Herghelegiu, Reservatio papalis. A Study on the Application of a Legal Prescription According to the 1983 Code of Canon Law (= Tübinger Kirchenrechtliche Studien 8), Münster 2008. 130 Vgl. ausführlich Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 138 – 260. 131 Ebd., S. 376. Zur Zusammenfassung seiner detaillierten Untersuchung vgl. ebd., S. 370 – 376 sowie ders., Das Diözesanbischofsamt in Orts- und Weltkirche, in: Jürgen Werbick/Ferdinand Schumacher (Hrsg.), Weltkirche – Ortskirche. Fruchtbare Spannung oder belastender Konflikt?, Münster 2006, S. 77 – 108 und ders., Aufwertung der Bischöfe nach dem II. Vatikanischen Konzil?, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 26 (2007), S. 71 – 79.
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Dem entspricht, dass er seine Amtsbefugnisse ad normam iuris (c. 391 § 1) auszuüben hat, in Befolgung höherrangigen Rechts.132 Zudem steht er in besonderer Weise unter der Leitpflicht des Lehr- und Leitungsgehorsams (cc. 212 § 1, 750 – 754). Denn er hat in der Professio fidei seine Identifikation mit allen kirchlichen Lehren bekannt und im Treueid dem Papst die „Haltung einer anhänglichen und beständigen Zuverlässigkeit“ versprochen, d. h. nicht nur die sorgfältige Amtsausübung, sondern auch „persönliche Verbundenheit und Gefolgschaft“ (fidelitas)133, mithin eine Haltung, in der sich der Diözesanbischof „als verlässlicher und loyaler Untergebener erweisen [wird]; er wird sich an das halten, was der Papst als seinen Willen zu erkennen gibt. Die Pflicht zur Gefolgschaft gilt unabhängig von der formalen Beschaffenheit der päpstlichen Weisung.“134 Wie schon für jeden Gläubigen hat auch und besonders für einen Diözesanbischof der Wunsch des Papstes Befehl zu sein. Eine öffentliche Meinungsäußerung ist nur dann legal, wenn sie im Urteil der kirchlichen Autorität, beim Diözesanbischof also des Papstes, gemeinwohlrelevant, lehr- und autoritätsverträglich, nützlich und die Würde der Person wahrend ist (c. 212 § 3). Dabei wird der Gehorsam (c. 212 § 1) gegenüber einem Lehr- oder Leitungsbefehl des Papstes vorausgesetzt. Alle lehramtlichen Äußerungen sind mindestens mit religiösem Verstandes- und Willensgehorsam zu beantworten, d. h. wenigstens unter Verzicht auf öffentlichen Widerspruch, bis das Lehramt sich selbst ggf. korrigiert135, und schon Nicht-Entsprechendes ist sorgfältig zu meiden (cc. 750 – 754)136. Wie jeder Gläubige muss auch der Diözesanbischof bei Verletzung dieser Rechtspflichten mit Sanktionen rechnen. Wer eine vom Lehramt definitiv vorgelegte Offenbarungswahrheit (z. B. die Primatsdogmen) hartnäckig leugnet (Häresie, Apostasie), den trifft die Höchststrafe der fast völligen Entrechtung (Exkommunikation mit der Tat) (c. 1364). Bei hartnäckiger und auch nach Verwarnung nicht widerrufener Ablehnung einer vom Lehramt definitiv vorgelegten offenbarungsnahen Lehre, wie der über die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen137, und jeder anderen authentischen Lehre hat die zuständige Autorität eine gerechte Strafe zu verhängen (c. 1371 132
Vgl. dazu ders., Rechtsstellung (Anm. 7), S. 260 – 273. Vgl. Norbert Lüdecke, Ein konsequenter Schritt. Kirchenrechtliche Überlegungen zu „Professio fidei“ und Treueid, in: HerKorr 54 (2000), S. 339 – 344, hier S. 342. 134 Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 267. 135 Als Paul VI. den Bischöfen die bis dahin geheim gehaltene Beratung in Sachen Empfängnisverhütung offenlegte, erklärte er zu den diesbezüglichen Lehren Pius’ XII.: „Sie bleiben gültig bis Wir uns in unserem Gewissen verpflichtet fühlen, sie zu ändern“, vgl. Ansprache L’intenzione vom 23. Juni 1964, in: AAS 56 (1964), S. 581 – 589, hier S. 588. 136 Zum allenfalls zulässigen schweigenden Gehorsam vgl. Lüdecke, Grundnormen (Anm. 37), S. 320 – 332 u. S. 486 – 490. 137 Vgl. zum Verbindlichkeitsgrad der Lehre ders., Also doch ein Dogma? Fragen zum Verbindlichkeitsanspruch der Lehre über die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen aus kanonistischer Perspektive. Eine Nachlese, in: Wolfgang Bock/Wolfgang Lienemann (Hrsg.), Frauenordination. Studien zu Kirchenrecht und Theologie III, Heidelberg 2000 (= Texte und Materialien Reihe A Nr. 47), S. 41 – 119. 133
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n. 1). Das gleiche gilt für einen Diözesanbischof, der außerhalb des Bereichs der Lehre dem Apostolischen Stuhl nicht gehorcht, wenn dieser rechtmäßig etwas geoder verbietet, und jener Bischof nach Verwarnung im Ungehorsam verharrt (n. 2). Dem rangniederen authentischen Lehramt des Diözesanbischofs sind die Gläubigen nur insoweit gehorsamspflichtig, als er selbst dem universalkirchlichen gehorcht (c. 753)138. Zudem wird der Diözesanbischof als amtlicher Verkündiger sensibel darauf achten, dass seine Adressaten deutlich erkennen können, wenn er nur eine persönliche Meinung äußert, ohne dafür seine amtliche Zeugnisautorität in Anspruch zu nehmen.139 Der Diözesanbischof hat die Einheit der Gesamtkirche zu wahren140 und muss deshalb „auf die Befolgung aller kirchlichen Gesetze drängen“ (c. 392 § 1) und jeden Missbrauch verhindern (c. 392 § 2)141. Einen Gewissensvorbehalt für die Geltung von Lehre oder Recht kennt das Kirchenrecht nicht.142 „Aus dem Rechtscharakter der [hoheitlichen] Gewalt ergibt sich, dass die Nichtbefolgung rechtmäßiger Anordnungen auf der Ebene der Gemeinschaft der Kirche grundsätzlich nicht sanktionslos bleiben darf.“143 Dabei bleibt es bei der klassischen Lehre, nach der niemand gegen sein Gewissen handeln oder etwas kundtun darf, was er für falsch hält. Gleichwohl gilt: „[D]ie Befolgung des Rechts ist aufgrund der Tugend der Gerechtigkeit grundsätzlich Gewissenspflicht. Daher endet der Anspruch der potestas regiminis nicht schlechthin vor dem Gewissen des Betroffenen, so dass dieser sich je nach Gutdünken und subjektiv abweichender Meinung, moralisch gerechtfertigt, über die rechtlichen Anordnungen hinwegsetzen 138
Vgl. ders., Grundnormen (Anm. 37), S. 366 – 368. Vgl. Helmuth Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit als Grundrecht des Christen, in: Winfried Schulz (Hrsg.), Recht als Heilsdienst. FS Matthäus Kaiser, Paderborn 1989, S. 42 – 85, hier S. 73. 140 Congr. DocFid, Schreiben an die Bischöfe in der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio vom 28. Mai 1992, in: AAS 85 (1993), S. 838 – 850, Nr. 15 (dt.: VApS 107) spricht von der vorrangigen (praecipuum) Aufgabe. 141 Vgl. für die Medien auch c. 823. Die Congr. DocFid, Instruktion über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel vom 30. März 1992, in: Communicationes 24 (1992), S. 18 – 27, Nr. 1 (dt.: VApS 106) hat die Bischöfe gemahnt, die Gläubigen an ihre Gehorsamspflichten zu erinnern. 142 Vgl. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Sacrae disciplinae leges“ vom 25. Januar 1983, in: AAS 75 (1983), Pars I, S. VII-XIV, hier S. VIII: „[C]anonicae leges suapte natura observantiam exigunt“ sowie c. 7, wonach ein objektiv verbindliches Gesetz mit seiner amtlichen Veröffentlichung existiert – unabhängig von der Zustimmung und Befolgung durch seine Adressaten. Theorien, die den Adressaten eine konstitutive Rolle für die Begründung der Geltung von Gesetzen beimessen, sind kirchenamtlich nicht anerkannt, vgl. dazu grundlegend Richard Potz, Die Geltung kirchenrechtlicher Normen. Prolegomena zu einer kritisch-hermeneutischen Theorie des Kirchenrechts (KuR [Wien] 15), Wien 1978. 143 Helmuth Pree, Kirchliche Leitungsgewalt. Aspekte ihrer Reichweite und Anwendung, in: AfkKR 181 (2012), S. 39 – 56, hier S. 42. Ders., Forum externum und forum internum. Zur Relevanz des Gewissensurteils im kanonischen Recht, in: AfkKR 168 (1999), S. 25 – 50 hat auch Vorschläge unterbreitet, wie durch eine deutlichere Unterscheidung von Recht und Moral auch im kanonischen Recht dem Gewissensurteil der Gläubigen stärkere Geltung verschafft werden könnte. 139
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könnte. Einem rechtmäßig ergangenen rechtlichen Gebot oder Verbot darf moralisch legitim nur dann zuwider gehandelt werden, wenn entweder die Befolgung gegen das Gewissen verstoßen würde, also für den Handelnden Sünde wäre (und nicht schon dann, wenn der von der Anordnung Betroffene anderer Meinung ist), oder wenn in einer dringenden Entscheidungssituation das sittliche Handlungsurteil zu dem Ergebnis führt, die rechtliche Anordnung verpflichte in diesem konkreten Fall auf Grund der besonderen Umstände nicht (Epikie).“144
Aber auch wer sich darauf beruft, muss die rechtlich vorgesehenen Folgen, etwaige Maßnahmen und eintretende Rechtsminderungen hinnehmen.145 Ihm bleibt ggf. nur die Hoffnung, dass sich, wenn es wirklich um die Wahrheit geht, diese notwendig am Ende durchsetzt.146 Der Diözesanbischof soll Prinzip und Fundament der Einheit seiner Teilkirche sein, so wie der Papst Prinzip und Fundament der Universalkirche ist.147
IV. Korrekturversuche 1. Sorgfältige Beobachtung Dass die Amtsführung eines Diözesanbischofs vom vorgegebenen Amtsprofil abweicht, ist aufgrund der sorgfältigen Selektion und Prävention in Bezug auf den Amtsträger unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Und weil die Einheit im Glauben und in der Disziplin am besten durch die Einheit der Diözesanbischöfe mit dem Papst gewährleistet wird148, ja, die Teilkirche nur dann voll Kirche ist, wenn „,in ihr als ihr ureigenes Element die höchste Autorität der Kirche gegenwärtig‘“149 ist, und „,das Amt des Petrusnachfolgers innerlich zum eigentlichen Kirche-Sein jeder Teilkirche gehört‘“150, begleitet der Papst deren Vorsteher mit seiner gewissenhaften Sorge und kümmert sich um die Angelegenheiten, die sie ihm unterbreiten „oder deren Kenntnis er auf andere Weise erlangt, damit er, nachdem er eine vollere Erkenntnis bezüglich dieser Dinge erlangt hat, kraft seines Amtes, d. h. als Stellvertreter Christi und als Hirte der Gesamtkirche, seine Brüder im Glauben stärken kann (vgl. Lk 22,34).“151 Dabei ist „offenkundig, daß der Papst jedesmal dann eingreifen
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Ders., Leitungsgewalt (Anm. 143), S. 46. Vgl. Georg May, Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen angesichts der kanonischen Rechtsordnung, in: Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder (Hrsg.), Neue Positionen des Kirchenrechts, Graz 1994, S. 49 u. S. 76 – 78 sowie John M. Huels, The correction and punishment of a diocesan bishop, in: The Jurist 49 (1989), S. 507 – 542, hier S. 516. 146 Vgl. Congr. DocFid, Instruktion Donum Veritatis vom 24. Mai 1990, in: AAS 82 (1990), S. 1550 – 1570, hier S. 1562, n. 31. 147 Vgl. VatII LG 23. 148 Vgl. Nr. 11 PastBon. 149 Vgl. Congr. DocFid, Schreiben (Anm. 140), Nr. 13. 150 Ebd. Beides übernommen durch Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores Gregis vom 16. Oktober 2003, in: AAS 96 (2004), S. 825 – 924, Nr. 56 f. 151 Nr. 2 PastBon. 145
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muß, wenn schwerwiegende Gründe das fordern, um die Einheit im Glauben, in der Liebe und der Ordnung zu schützen.“152 Dabei helfen ihm vor allem die Behörden der Römischen Kurie (c. 360)153 und die Päpstlichen Gesandten (c. 364). Die Kurie vertritt den Papst mit allem, was er ihr aus der Fülle seiner Amtsvollmacht zuteilt, zum Nutzen der Bischöfe und in einer Weise154, die es „undenkbar“ sein lässt, dass sie „die persönlichen Beziehungen und Kontakte zwischen den Bischöfen und dem Papst in gewisser Weise wie eine Trennwand (diaphragma) behindere oder beeinflusse.“155 Für alles, was die rechte Amtsführung eines Diözesanbischofs angeht, ist die Kongregation für die Bischöfe zuständig.156 Um angemessen, ggf. auch durch Korrekturen, helfen zu können, muss das universalkirchliche „Zentrum“ über die teilkirchliche „Peripherie“157 informiert sein. Als Überwachungs- und Kontrollinstanz ohne Eingriffsbefugnis ist der Metropolit verpflichtet, dem Apostolischen Stuhl Meldung zu machen, wenn in seiner Kirchenprovinz Glaube oder Disziplin Schaden nehmen oder Missbräuche auftreten (c. 436 § 1 n. 1)158. Der periodischen Information dient die Rechenschaftslegung des Diözesanbischofs („Quinquennalbericht“), zu der er sich alle fünf Jahre dem Papst zu stellen hat und die von der Kongregation vor- und nachbereitet wird.159 Für die ständige Aufmerksamkeit des Apostolischen Stuhls und den kontinuierlichen Informationsfluss ist über zwei Kanäle gesorgt. Der erste Kanal ist das Amt des Päpstlichen Gesandten. „Äußerst vornehm“160 ist seine Überwachungsfunktion im Gesetz umschrieben:
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Ebd. Vgl. ebd., Nr. 3. 154 Vgl. ebd., Nr. 8 f. 155 Ebd., Nr. 8 (Hervorhebung im Original). 156 Vgl. ebd., Art. 75 u. Art. 79 sowie Art. 107 RegGenCR/1992. 157 Vgl. so die Begrifflichkeit in Nr. 12 PastBon. 158 Die Congr. Ep fordert den Metropoliten zur Meldung an den Gesandten des Papstes auf und lenkt seinen Aufsichtssinn auf die Einhaltung des Kirchenrechts und auf „Zeiten besonderer Schwierigkeiten des Bischofs“. Der betroffene Diözesanbischof kann, muss aber nicht, vorher angesprochen werden, Sekretariat der DBK (Hrsg.), Kongregation für die Bischöfe: Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe vom 22. Februar 2004, Bonn 2004 (VApSt 173), Nr. 23 b. Das ist nicht eine Erweiterung der kodikarisch aufgetragenen Aufsicht, wie Heinrich Hohl, Das Amt des Metropoliten und die Metropolitanverfassung in der Lateinischen Kirche. Geschichte, Theologie und Recht, Essen 2010 (= BzMK 59), S. 510 m. Anm. 83 meint, sondern eine sensibilisierende Erinnerung. Die Funktion konnte konkret auch vorher so ausgeübt werden. 159 Vgl. c. 400 §§ 1 und 2 und Art. 28 – 32 u. 81 PastBon; Congr. Ep, Direttorio per la visita „ad limina“, in: Communicationes 20 (1988), S. 156 – 165 sowie Udo Breitbach, Art. Adlimina-Besuch, in: LKStKR I, S. 31 f. 160 Vgl. so Heribert Schmitz, Kommentar zu dem Motuproprio über die Päpstlichen Gesandten, in: NKD 21, S. 17 – 38, hier S. 29. 153
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„Durch Unsere Legaten, die bei den verschiedenen Nationen weilen, nehmen Wir selbst teil am Leben Unserer Kinder, gliedern Uns gleichsam in ihre Gemeinschaft ein und werden leichter und sicherer mit ihren Anliegen und tiefsten Wünschen bekannt.“161
Vorrangige Aufgabe des Gesandten ist es daher, mit ihm geeignet erscheinenden Mitteln den Apostolischen Stuhl umfassend über das kirchliche Leben, einschließlich der Ansichten der Bischöfe, zu informieren und ihnen den Sinn der Erlasse und Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls auszulegen. Deshalb steht er in engem Kontakt mit den Kurialbehörden, um sie mit Blick auf etwa notwendige Vorkehrungen zu beraten, diese ggf. zu übermitteln und für ihre Umsetzung zu sorgen.162 Er ist über die Tagesordnung der Vollversammlung der Bischofskonferenz im Vorhinein zu informieren, nimmt an ihrer Eröffnungssitzung teil und auf Einladung der Bischöfe oder Anordnung des Apostolischen Stuhls auch an weiteren Sitzungen und erhält die Akten der Sitzung, um sie diesem zu übermitteln. Ohne eine konkurrierende Jurisdiktion mit dem Diözesanbischof zu haben, steht der Gesandte ihm bereitwillig mit Rat und Tat zur Seite.163 Der zweite Kanal zur relativ permanenten Information über die Amtsführung von Diözesanbischöfen ist die gezielte Denunziation durch andere Gläubige beim Gesandten oder direkt bei der Römischen Kurie. Alle Katholiken, einschließlich der Mitbrüder im Bischofsamt, sind berechtigt und bisweilen verpflichtet, der kirchlichen Autorität über Gemeinwohlrelevantes Mitteilung zu machen (c. 212 § 3)164. Solche Anzeigen sind kirchenrechtlich nichts Ehrenrühriges165, sondern eine katho-
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Vgl. Einleitung (Abs. 9) MP SolOmnEccl. Vgl. ebd., Nr. V. 163 Vgl. ebd., Nr. VIII. 164 So betont, z. B. die interdikasterielle Instruktion Redemptionis Sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind vom 25. März 2004, in: AAS 96 (2004), S. 549 – 601, Nr. 183 (dt.: VApS 169), jeder Gläubige habe das Recht, Beschwerden oder Klagen (hier bezogen auf liturgische Missbräuche) auch direkt beim Apostolischen Stuhl vorzubringen (c. 1417 § 1). Außerdem haben Gläubige dem Pfarrer Mitteilung zu machen, wenn sie von Weihe- oder Ehehindernissen wissen (cc. 1043, 1069). Darüber hinaus können Missbräuche in kirchlichen Vereinen (c. 305 § 1), in der Diözese (c. 392 § 1), in der Pfarrei (c. 528 § 2) oder beim Ordensapostolat (c. 683 § 2) angezeigt werden, denn es ist die Pflicht der zuständigen kirchlichen Autorität, das Einschleichen von Missbräuchen in die kirchliche Ordnung zu vermeiden (c. 392 § 2), vgl. Paul Wirth, Art. Anzeige, in: LKStKR I, S. 125 f., hier S. 126. 165 Im deutschen Sprachgebrauch ist der Ausdruck „Denunziation“ seit dem 19. Jahrhundert negativ-pejorativ besetzt. Kontext ist zum einen der Kampf gegen die Karlsbader Beschlüsse im deutschen Vormärz, vgl. Bodo Plachta, Zensur, Stuttgart 2006, S. 100 – 120. Zum geflügelten Wort wurde hier: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“ (1843) von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874). Zum anderen und weit mehr wurde der Begriff desavouiert durch den Missbrauch als politisch motivierte Falschanzeige im Dritten Reich, vgl. Arnd Koch, Art. Denunziation, in: HRG2 I, Sp. 951 – 953. 162
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lische Normalität.166 Wie jedes Dikasterium hat auch die Kongregation für die Bischöfe zu prüfen und zu beurteilen, „was die Gläubigen, indem sie von dem ihnen eigenen Recht Gebrauch machen, […] vortragen“167. Dazu soll die Kongregation „in der Regel“ den betroffenen Diözesanbischof und den Gesandten hören.168 Ob sie es tut und in welcher Form und in welchem Umfang, beurteilt sie selbst.169 Dabei verbleiben die Denunzianten systemgewollt im Schutz der Anonymität.170 In amtlicher Sicht wäre ansonsten das „Vertrauen vieler einfacher Menschen […], die zunächst einmal nur einfach ihre Sorge ausdrücken wollten“171, 166
Abgelehnt und sanktioniert wird – wie im Staat (vgl. ebd., Sp. 951) – die „falsa“ denuntiatio (Falschanzeige, c. 1390 § 1) oder „calumniosa“ denuntiatio (verleumderische Anzeige, c. 1390 § 2), vgl. Paul Wirth, Art. Falschanzeige, in: LKStKR I, S. 679 f. 167 Art. 13 PastBon. 168 Vgl. Art. 107 a) RegGenCR/1992. 169 Im Fall von Bischof Morris seien die australischen Bischöfe bei ihren Kuriengesprächen im Rahmen des Ad-limina-Besuchs 1998 in einen „Hinterhalt“ gelockt worden, weil sich herausstellte, dass verschiedene Dikasterien bereits zuvor unzufriedenen Gläubigen Termine gewährt hatten, um deren Darstellungen und Anzeigen entgegenzunehmen, so vgl. Morris, Benedict (Anm. 4), S. 18 – 21. Die Begegnung mit den Bischöfen sei daher nicht dialogisch, sondern belehrend und nach Art einer „Hexenjagd“ verlaufen. Zur in Australien seit den 70er Jahren aus Sicht der Bischöfe bewährten Praxis der Generalabsolution habe Kardinal Ratzinger nach einer theologischen und pastoralen Diskussion abschließend erklärt: Was in den Niederlanden nicht funktioniert habe, funktioniere auch in Australien nicht (vgl. ebd., S. 3 f. u. S. 24). Entsprechend wurde als Ergebnis festgehalten, diesen wie andere Missbräuche bezüglich des Beichtsakramentes abzustellen, vgl. Interdicasterial Meeting with a Representation of the Australian Bishops. Statement of Conclusions, in: ebd., S. 256 – 286, hier S. 276. Darin wurde das Treffen gleichwohl als ein großer „Moment“ des authentischen affectus collegialis zwischen der Kirche in Australien und den vorrangigen Mitarbeitern des Römischen Pontifex bezeichnet (vgl. ebd., S. 284). 170 Als Bischof Morris 2004 die Kongregation für den Klerus bat, ihm zur persönlichen Klärung von Missverständnissen die Namen derjenigen mitzuteilen, die den nun beanstandeten Entwurf eines Pastoralplans an die Kongregation gesandt hatten, erklärte diese, es sei das Recht jedes Gläubigen, mit dem Heiligen Stuhl in vertraulicher Form zu kommunizieren, vgl. ebd., S. 44. 171 So für Anzeigen bei der Kongregation für die Glaubenslehre David Seeber, Gesicht und Aufgabe einer Glaubensbehörde. Ein Gespräch mit Joseph Kardinal Ratzinger über die römische Glaubenskongregation, in: HerKorr 38 (1984), S. 360 – 368, hier S. 361. Das ist die klassische Begründung für die schon von Benedikt XIV. 1743 und in c. 1397 § 3 CIC/1917 statuierte Pflicht, die Namen der Denunzianten nicht preiszugeben. Die Denunzianten sollen vor Unannehmlichkeiten geschützt und in ihrer Anzeigebereitschaft nicht gehemmt werden, vgl. Hans Paarhammer, „Sollicita ac provida“. Neuordnung von Lehrbeanstandung und Bücherzensur in der katholischen Kirche im 18. Jahrhundert, in: Heinrich J. F. Reinhardt (Hrsg.), Ministerium Iustitiae. FS Heribert Heinemann, Essen 1985, S. 343 – 361, hier S. 357. Am 1. November 2009 sendete der Westdeutsche Rundfunk in seinem 3. Programm in der Reihe „Lebenszeichen“ (8:30 – 9:00) einen Beitrag von Christian Modehn mit dem Titel „Pyramide des lieben Gottes. Über Macht und das System der römischen Kirche“. Darin hieß es, Joseph Ratzinger habe bereits als Kardinal in einem Vortrag im Jahr 1990 besonders „rom-treue“ Theologiestudenten ermuntert, „ihre möglicherweise häresieverdächtigen Theologieprofessoren aufzuspüren und zu benennen. Von ,Spitzeln‘ wollte er bei einem Vortrag 1990 doch lieber nicht sprechen“. Original-Ton Kardinal Ratzinger: „Mir scheint, dass also ein erster
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gestört. Dies und die institutionalisierte Hellhörigkeit der Behörde fördern eine entsprechende Kultur der Achtsamkeit und ein anzeigefreundliches Milieu.172 Eine Pflicht zur Intervention ergibt sich daraus für die Kongregation selbstverständlich nicht. In souveräner Abwägung, was ihr der Kirchenräson in concreto am ehesten dienlich erscheint, entscheidet sie über das angemessene Vorgehen. Zur Vervollständigung ihres Bildes kann die Kongregation auch eine Apostolische Visitation ansetzen, um nach ihrer Auswertung dem Papst geeignete Maßnahmen vorzuschlagen.173 Punkt der ist, dass solche Theologiestudenten in aller Offenheit dies dem Bischof offenbaren in einer Weise, die ihm auch verständlich macht, dass es hier nicht um Denunziation oder irgendetwas geht, sondern wirklich um die Not des Gewissens und um die Verpflichtung des Glaubens, den Dienst der Kirche und die Verkündigung ihres Glaubens rein zu halten.“ Sendung und Manuskript sind nach dem 27. September 2010 aus der WDR-Mediathek entfernt worden, liegen Verf. aber vor. 172 Angehende Kleriker werden passiv wie aktiv früh an diese Art der Sozialkontrolle gewöhnt: So gehört zu den obligatorischen Unterlagen, für die nach cc. 1051 f. nur vor den Weihen vorgeschriebene, von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung aber vor jedem Abschnitt der Klerikerausbildung (amtliche Zulassung als Kandidat, Lektorat, Akolythat, Diakonat, Presbyterat) empfohlene Eignungsprüfung („Skrutinium“) auch „[t]he opinion of the candidate’s class companions, given in an absolutely secret and personal form, in which a positive or negative opinion concerning the suitability of the candidate is expressed clearly, together with reasons for that opinion“ (Congr. Cult, Rundbrief vom 10. November 1997 [Prot. n. 589/97], in: Notitiae 33 [1997], S. 507 – 518, hier S. 513). 173 Vgl. Art. 79 PastBon. So erhielt Bischof Morris am 21. Dezember 2006 ein Fax von Kardinal Arinze. Der Papst habe die Präfekten der Glaubens-, der Bischofs- und der Gottesdienstkongregation, die Kardinäle Levada, Arinze und Re angewiesen, mit ihm im Februar 2007 ein Gespräch über die Praxis der Generalabsolution zu führen. Der Bischof antwortete, aufgrund pastoraler Dringlichkeiten in der Diözese sei er einige Wochen unabkömmlich, sei aber im Mai 2007 ohnehin in Rom und könnte dann zur Verfügung stehen. Dabei blieb er auch, als Kardinal Arinze Anfang Januar 2007 auf dem Februartermin beharrte. Der sei sicherlich wichtiger als die von Morris vorgebrachten Angelegenheiten. Die Begleitung eines Kanonisten sei nicht notwendig, würde aber ggf. toleriert. Einen Bischof könne er mitbringen. Bischof Morris blieb bei seinem Vorschlag. Einige Zeilen in seiner Antwort hätten aber – wie ihm der spätere Visitator seiner Diözese erklärt hat – in der Kurie Reaktionen ausgelöst, gegen die man alle anderen Beschwerden über ihn vernachlässigen könne (vgl. Morris, Benedict [Anm. 4], S. 64). Die Zeilen lauteten: „In 2004 when I had a meeting with yourself, Cardinal Arinze, I was foolish enough to think that the meeting was between brothers searching for the truth and reflecting together on the pastoral needs of the people of God. I will never place myself in that situation again and it is only in the company of a brother bishop and possibly a canon lawyer would I attend another meeting. So that I can prepare myself, I would like to receive an agenda for the meeting with the questions that are going to be addressed“ (ebd., S. 65 sowie vgl. den ganzen Brief S. 335). Im März 2007 wurde ihm mitgeteilt, der Papst habe eine Apostolische Visitation seiner Diözese angeordnet (vgl. ebd., S. 65 f. sowie zur Durchführung insgesamt S. 67 – 95). Beauftragt wurde der Erzbischof von Denver, Charles J. Chaput. Er teilte mit, der Vatikan sei zutiefst besorgt über die verbreitete Praxis der Generalabsolution, das Pastoralschreiben von 2006 und Morris’ Stil der Seelsorge sowie den Priestermangel (vgl. ebd., S. 67 f.). Die Visitation fand vom 24.–29. April 2007 statt. Dazu führte der Visitator eine Reihe von Gesprächen mit verschiedenen Personen und Organen über verschiedenste seelsorgliche Belange bzw. Missbräuche bis hin zur Klerikerkleidung. Das Aktenkonvolut, das die Kongregation ihm zusammengestellt hatte, enthielt die Korrespondenz mit Bischof Morris sowie Beschwerdebriefe und „Beweismaterial“, das Gläubige eingesandt hatten. Dazu ge-
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2. Persönliche Einwirkungsversuche Entsprechend einheitsbesorgt wurde auch die Amtsführung des Bischofs von Evreux pastoral beschattet. Die Kurie wurde informiert und bisweilen auch offen von „Eingaben in Rom“ und „Anträgen beim Nuntius“174 gesprochen. Von diesem, seit 1988 Lorenzo Antonetti, kamen auch erste Signale an Bischof Gaillot. Mehrmals hatte er den Bischof beiseite genommen und gewarnt: „Sie wissen, mit welchen Worten wir am Morgen das Gebet beginnen: ,Domine, labia mea aperies‘, ,Herr öffne meine Lippen‘. Halten Sie es umgekehrt: Schließen Sie Ihre Lippen.“ Auf den Einwand, ein Bischof sei doch gerade zum Sprechen da, meinte er: „Ja, sicher. Aber seien Sie vorsichtig.“ Und ein anderes Mal: „Es gibt Bischöfe, die mit Ihnen nicht zufrieden sind. Ich bekomme entsprechende Briefe, und man erzählt mir viel über Sie. Sie werden beobachtet in allem, was Sie sagen, und in allem, was Sie tun. Passen Sie auf, ich habe Angst um Sie.“175 Während des Ad-limina-Besuchs der französischen Bischöfe 1987 habe der Präfekt der Kongregation für die Bischöfe, Kardinal Gantin, ihm lange zugeredet, um dann plötzlich irritiert zu erklären: „Wenn ich alle gegen Sie gerichteten Klagebriefe sehe und höre, was über Sie gesagt wird, frage ich mich, wie es Ihnen gelingt, als Bischof zu leben. Seien Sie klug, seien Sie vorsichtig. Bewahren Sie die Verbindung zu den Bischöfen. Viele von ihnen haben kein Verständnis für Sie […].“176
Im folgenden Jahr wünschte der Kardinal anlässlich des Papstbesuchs in Nancy am 10. Oktober Bischof Gaillot erneut zu sprechen: hörten auch Fotos von liturgischen Handlungen des Bischofs. In der Diözese war bekannt, dass eine kleine Gruppe – auch als „Tempel-Polizei“ bezeichnet – mit dem Notepad durch das Bistum reiste, um solches Material zu sammeln (vgl. ebd., S. 75 f.). Am 4. Mai 2007 teilte Chaput mit, er habe seinen Abschlussbericht an die Bischofskongregation übermittelt, und sei angewiesen, seine eigene Kopie und alle Dokumentationen zu vernichten (vgl. ebd., S. 95). Im September 2007 hatte der Nuntius in Australien, Erzbischof Ambrose de Paoli, ihm ein vom 28. Juni datierendes ungezeichnetes Memorandum der Kongregation für die Bischöfe auszuhändigen, das mit der Feststellung endete, Bischof Morris’ theologische Qualifikation und sein pastoraler Stil seien unbeschadet seiner guten Absichten ungeeignet, der Krise seiner Diözese zu begegnen (vgl. ebd., S. 103 – 105). Es handelte sich um ein üblich erscheinendes kuriales Handlungsmuster. Auch Kardinal Höffner soll 1984 als Apostolischer Visitator der Erzdiözese São Paolo angewiesen gewesen sein, eine Liste mit Geheimbefragungen abzuarbeiten. Vgl. Ludwig Kaufmann, „Wie ein unaufhaltsam Strom …“ Brasiliens Kirche lässt sich nicht entmündigen, in: Orientierung 48 (1984), S. 199 – 203, hier S. 202. Auch die Geheimhaltung wahrte er strikt. Sein Abschlussbericht an den Apostolischen Stuhl hat weder in den Bistumsakten noch in seinem persönlichen Nachlass irgendwelche Spuren hinterlassen, vgl. Norbert Trippen, Joseph Kardinal Höffner (1906 – 1987), Bd. 2: Seine bischöflichen Jahre 1962 – 1987, Paderborn/München/Wien/Zürich 2012 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B: 122), S. 389. 174 Vgl. Wargny, Welt (Anm. 26), S. 126 f. 175 So wiedergegeben bei Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 170 f. 176 Ebd., S. 44.
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„Er gab sich hartnäckiger und eindringlicher als beim vorangegangenen Gespräch. Er erinnerte mich an meine Verpflichtung zur Einheit gegenüber den anderen Bischöfen und warf mir vor, ich würde sie bei meinen häufigen Stellungnahmen in den Medien übergehen. Er sprach wiederum von den Klagen, die er immer noch erhalten würde.“177
In einem Gespräch am 19. September 1988 hatte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Decourtray, Bischof Gaillot mitgeteilt, wie besorgt der Apostolische Stuhl und zahlreiche Bischöfe seien angesichts diverser seiner Äußerungen, insbesondere über die Weihe von Verheirateten und den pastoralen Wiedereinsatz verheirateter Priester. Der Kardinal hatte das als Appell verstanden wissen wollen, solche Äußerungen künftig wenigstens zu unterlassen. Zudem habe er den Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, Kardinal Gantin, ermuntert, Bischof Gaillot während des Pastoralbesuchs des Papstes in Straßburg anzusprechen, um sich selbst von der Ernsthaftigkeit und der exzellenten Haltung Gaillots angesichts dieser Warnungen zu überzeugen.178 Seinen Neujahrsgruß 1989 nahm Decourtray zum Anlass, daran zu erinnern und zugleich seine Irritation darüber zum Ausdruck zu bringen, dass Bischof Gaillot die angemahnten Äußerungen nicht nur wiederholt, sondern ihnen weitere zur „Pille danach“, zu Präservativen, zum Scorsese-Film und schließlich zu Homosexuellen hinzugefügt habe. Sie fügten nach Auffassung des Ständigen Rates und sehr vieler Bischöfe der Kirche Schaden zu, und er, Gaillot, könne doch nicht verkennen, dass sie im vollständigen Widerspruch zur Disziplin der Kirche stehen, an die der Apostolische Stuhl und die Bischofskonferenz erinnert hätten. Sie trügen den Vorhaltungen, die ihm gemacht wurden, keinerlei Rechnung. Deshalb schloss der Vorsitzende seinen Neujahrsbrief in aller Deutlichkeit: „Lieber Jacques, Deine Lage ist ernst. Dein Verhalten ist bedauerlich. Deine Stellungnahmen widersprechen öffentlich der Disziplin der Kirche, deren Bischof Du bist. Sie verletzen die kirchliche Gemeinschaft und das Vertrauen der Gläubigen in ihre Hirten. In aller Freundschaft, wie Du weißt, ersuche ich Dich, Deine den Lehren und der Doktrin der katholischen Kirche formell entgegenstehenden Stellungnahmen, wenn nicht zu widerrufen, so doch zumindest in Zukunft darauf zu verzichten. Verstehe diesen meinen Appell als den der französischen Bischofskonferenz. In treuer Freundschaft, Albert Cardinal Decourtray.“179
Das war der klare und mit Signalen kurialen Einverständnisses versehene Aufruf, zum Lehrgehorsam zurückzukehren.
177
Ebd., S. 44 f. Albert Kardinal Decourtray, (Vertraulicher) Brief an Bischof Gaillot vom 9. Januar 1989, in: Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 36 – 39, hier S. 36 f. 179 Ebd., S. 39: „Cher Jacques, ta situation est sérieuse. Ton comportement est regrettable. Tes déclarations contredisent publiquement la discipline de l’Eglise dont tu es 1’évêque. Elles blessent la communion ecclésiale et la confiance des fidèles en leurs pasteurs. Avec toute l’amitié que tu sais, je te demande, sinon de rétracter, au moins de renoncer à tes déclarations formellement opposées aux enseignements et à la doctrine de l’Eglise catholique. Reçois mon appel comme celui de la Conférence des évêques de France. Avec ma fidèle amitié.“ (dt. Übersetzung N. L.) 178
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3. Öffentliche Signale Diese persönlichen informellen Einwirkungsversuche wurden kurz darauf durch eine öffentliche Maßnahme unterstrichen. Die kirchliche Medien-Einrichtung „Chrétiens médias“ nutzte das damals in Frankreich verbreitete Bildschirmtextsystem „Minitel“ für ein eigenes Informationsangebot „Gabriel“ und regte nach den vielen Reaktionen auf Gaillots Äußerungen über den Priestermangel und den ScorseseFilm an, für ihn einen eigenen Terminal (Bildschirm, Tastatur, Telefon) einzurichten, über den er zwei Wochen lang Anfragen hätte selbst beantworten können. Kurz vor der Freischaltung wurde „Chrétiens médias“ am 15. Januar 1989 gebeten, von der öffentlich beworbenen Aktion Abstand zu nehmen. Alles wurde wieder abgebaut. Vorher vertrat Bischof Gaillot eine andere Meinung als seine Mitbrüder, jetzt wurde er von ihnen öffentlich zensiert. Da weder der Vorsitzende der Bischofskonferenz noch der Metropolit das Recht haben, einen Diözesanbischof zu maßregeln, war die kuriale Rückendeckung für alle erkennbar.180 Möglicherweise war es beim Apostolischen Stuhl und den französischen Bischöfen zu einem „Déjà-vu“ gekommen. Gerade ein Jahrzehnt war es her, dass die Leiche des ungeklärt umgekommenen Bischofs von Orléans, Guy-Marie Joseph Riobé, am Strand von Le Grau-du-Roi (Languedoc-Roussillon), gefunden wurde. Seine Amtsführung wies frappierende Parallelen zu der des Bischofs von Evreux181 auf: Einsatz für Gewaltlosigkeit (1968), gerichtlicher Zeuge zugunsten von angeklagten Reserveoffizieren, die ihren Wehrpass zurückgegeben hatten, und Kritik an Waffengeschäften (1969), Ablehnung der französischen Atomtests (1973), Stellungnahme zugunsten der Weihe von verheirateten Männern auf der Vollversammlung der Bischofskonferenz mit anschließender Publikation in „Le Monde“, nachdem die Bischöfe jede Diskussion konsterniert verweigert hatten, öffentliche Wiederholung seiner Position (Februar 1977), die Papst Paul VI. in seiner Ansprache beim Ad-limina-Besuch ohne Namensnennung, aber für jeden eindeutig zuzuordnen, zurückwies und in der persönlichen Audienz unterstrich, ohne eine Erklärung des Bischofs zuzulassen182 – 180 Vgl. Gaillot, Kirche (Anm. 5), S. 78 – 81; ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 158 f.; ders., Freiheit (Anm. 9), S. 157 f.; Wargny, Welt (Anm. 26), S. 167 f. 181 Bischof Gaillot ist seinem Kollegen mehrfach auch auf den Vollversammlungen in Lourdes begegnet, an denen dieser, wegen ihrer Ineffektivität resignierend, schließlich einfach nicht mehr teilnahm. Riobés Art, Bischof zu sein und die richtigen Fragen zu stellen, habe ihn, Gaillot, durchaus inspiriert. Er habe die Parallelen aber aus Respekt vor Riobé nicht betont, vgl. Jean-Marie Muller, Guy Riobé, Jacques Gaillot. Portraits croisés, Paris 2005, S. 10 sowie Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 37 – 39. 182 Vgl. Paul VI., Ansprache vom 26. März 1977, in: AAS 69 (1977), S. 462 – 467, hier S. 464: „1. Nous comprenons que la relève sacerdotale vous préoccupe de plus en plus. Le problème doit vous préoccuper sérieusement, mais non au point de vous amener à concentrer vos regards et vos espoirs sur des solutions impossibles ou illusoires. Dieu merci, cette difficulté n’est pas universelle dans l’Eglise, et il convient plutôt de la considérer comme temporaire et surmontable. Il faut donc chercher tout ce qui peut être fait pour débloquer la situation, selon les voies qui ont été établies ou confirmées pour l’ensemble de l’Eglise. L’hypothèse de recourir à l’ordination d’hommes mariés dans l’Eglise latine n’a pas été jugée opportune,
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eine Desavouierung, von der Bischof Riobé sich nie erholt haben soll. Sein spontanes Rücktrittsgesuch hat der Papst abgelehnt.183 Bischof Gaillot jedenfalls hatte verstanden. Er erkannte „die Gefahr der Marginalisierung“184 und sah: „Die Bischöfe und Rom wollten eine Geste“185. Um nicht in die „Rebellion-Falle“186 zu tappen, lehnte er Ersatzangebote anderer Medien ab. Noch im Januar hatte der Nuntius ihn bestärkt, dem Rat zu folgen, dem Papst in einer Audienz seine Amtsführung zu erläutern, und ein entsprechendes Gesuch nach Rom weitergeleitet.187 In einem erneuten Interview in „Lui“ hatte Bischof Gaillot dies erwähnt und hinzugefügt: „Ich habe meinen Auftrag vom Papst erhalten, und wenn er mich zum Wohl der Kirche bittet zu gehen, werde ich ohne Zögern und Vorbehalte gehorchen“188. Auf Verlangen des Ständigen Rates der Bischofskonferenz189 arbeitete er mit dem Vorsitzenden, Kardinal Decourtray, eine Acht-Punkte-Erklärung aus, die, vom Ständigen Rat gebilligt und von beiden unterzeichnet, am 15. Februar 1989 veröffentlicht wurde.190 Der Text konstatierte die gemeinsame Treue gegenüber der Sendung der Kirche und schnitt sie in acht Punkten auf die Themen Gaillots zu, ohne sie beim Namen zu nennen:
comme vous le savez tous, par les plus hautes instances de l’Eglise, et avec notre approbation, voilà à peine six ans. L’Eglise a pensé qu’elle pouvait miser sur la grâce de l’Esprit Saint et sur la préparation des âmes, pour susciter des hommes totalement consacrés au Royaume de Dieu. C’est dans ce sens qu’il nous faut tous travailler. Mesurez-vous les risques de doutes, d’hésitations paralysantes, de désengagements, que peut procurer ou renforcer la remise en cause publique du célibat sacerdotal, même à l’état de souhait? Pensez-vous vraiment que ce serait la solution?“ 183 Vgl. zum Vorgang Jean-François Six, Guy-Marie Riobé. Évêque et prophète, Paris 1982, S. 491 – 498 sowie Jean-Marie Muller, Fidélités et ruptures chez Guy Riobé, in: Francois Lefeuvre (Hrsg.), Guy-Marie Riobé-Helder Camara. Ruptures et fidélité d’hier et d’aujourd’hui, Paris 2011, S. 15 – 43 sowie ders., Riobé (Anm. 182), S. 266 f. Die Intervention des Bischofs in Lourdes und ihre leicht veränderte Fassung in „Le Monde“ ist in Übersetzung zusammen mit einer Fülle von Zuschriften dokumentiert in dem Band: Gérard Bessiere u. a. (Hrsg.), Diskussion um den Priester. Briefe an Bischof Riobé, Salzburg 1974 (frz. Original: Lettres au Père Riobé, Paris 1973). Vgl. auch Michael Quisinsky, Riobé, in: ders./Peter Walter (Hrsg.), Personenlexikon zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg i. Br. 2012, S. 229 – 230. 184 Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 157 f. Vgl. Hans Küng, Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen, München 2007, S. 344: „Das ist es, wovor in diesem autoritären römischen System jeder Bischof Angst hat: mit Reformforderungen isoliert dazustehen.“ 185 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 159. 186 Vgl. ders., Freiheit (Anm. 9), S. 158. 187 Vgl. ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 171. 188 Vgl. ders., Kirche (Anm. 5), S. 188. 189 Nach Wargny, Welt (Anm. 26), S. 165 f. hatte der Vorsitzende veranlasst, den Fall Gaillot zu verhandeln. 190 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 158 f.
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(1) Bekenntnis des Glaubens, wie Paul VI. ihn 1968 in 30 Punkten zu einem feierlichen Glaubensbekenntnis förmlich zusammengefasst hatte191, (2) Zustimmung und Anhänglichkeit gegenüber dem Lehramt des Papstes, besonders bezüglich Gerechtigkeit und Frieden, Familienleben und Sexualmoral, (3) Einhaltung der Kirchendisziplin, deren Garant ein Bischof sei, insbesondere Anerkennung des wohlbegründeten Zölibatsgesetzes vor allem, wenn es diskutiert werden sollte, (4) pastorale Sorge um randständige und ausgeschlossene Menschen im Sinne der Zuwendung zu den Armen, (5) Anerkennung der verschiedenen Geistesgaben und der verschiedenen gesellschaftlich notwendigen Verkündigungsweisen bei liebendem Ausgleich scheinbar unterschiedlicher Forderungen von Wahrheit und Freiheit, (6) kritische Aufmerksamkeit dafür, dass gewisse Erklärungen mehrdeutig, unpassend, schroff und vielleicht sogar irrig sein können, (7) Konzertierung und Abstimmung von Äußerungen, damit der Eindruck unterschiedlicher oder gegensätzlicher pastoraler Optionen und vor allem die Mobilisierung von Konflikten vermieden werden, (8) Anerkennung der Eigenverantwortung jedes Bischofs und der Solidarität mit dem Bischofskollegium und die Achtung der spezifischen Verantwortlichkeiten der Bischofskonferenz und ihrer Instanzen.192 Was Bischof Gaillot als Kompromisstext aufgefasst hat, wurde in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt von den Synodalen seiner laufenden Diözesansynode als „Kniefall“193 und „Gang nach Canossa“194 aufgenommen. Daher interpretierte er sie am Tag nach der Erklärung vor katholischen Journalisten, indem er jene Punkte betonte, die seine Anliegen spiegelten, nämlich Gemeinschaft im Glauben, keine Ausgrenzung durch das Evangelium, legitime Verschiedenheit im Episkopat, bessere Absprache und wenn möglich, offene Diskussion unter Bischöfen, die unvertretbare Verantwortung des Diözesanbischofs.195 Zwei Wochen später erläuterte und rechtfertigte er die Erklärung in seiner Kirchenzeitung erneut als einen notwendigen Gang des Glaubens, um die Divergenzen und Missverständnisse unter den Bischöfen, die 191 Paul VI. hatte es zum Abschluss des Heiligen Jahres 1967/68 am 30. Juni 1968 verkündet, vgl. Solemnis Professio Fidei, in: AAS 60 (1968), S. 433 – 446, hier S. 436 – 443. Zur Entstehung nach Anregung und Ausarbeitung von Jacques Maritain und Kardinal Journet vgl. Michel Cagin, Un acte important du magistère de Paul VI. Le Credo du Peuple de Dieu (30 juin 1968), in: Istituto Paolo VI. notiziario Nr. 56, 2008, S. 103 – 112. 192 Déclaration commune du cardinal Decourtray, président de la Conférence de l’Evêque de France, et de Mgr. Gaillot, Evêque d’Evreux, in: Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 46 f. (auch: La Documentation catholique 71 [1989] Nr. 86, S. 260). 193 Vgl. Gaillot, Freiheit (Anm. 9), S. 155 u. S. 160 – 162. 194 Vgl. Wargny, Welt (Anm. 26), S. 172 – 179. 195 Vgl. ebd., S. 178.
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der „Minitel-Vorgang“ habe öffentlich sichtbar werden lassen, zu überwinden. Die Verkündigung des Evangeliums brauche die Solidarität der Bischöfe, es gebe keine Sendung ohne Communio.196 4. Der Papst ist nicht zu sprechen Möglicherweise hoffte Bischof Gaillot, die Angelegenheit in der erbetenen Papstaudienz erklären und beilegen zu können. Diese Hoffnung erfüllte sich gleichwohl nicht. Fast drei Monate nach seinem Audienzgesuch bestellte der Nuntius Bischof Gaillot zu sich, um ihm ohne eine Begründung mitzuteilen, der Papst könne ihn nicht empfangen. Da er dem Rat des Nuntius nicht folgen wollte, der ebenfalls wartenden Öffentlichkeit einfach zu erklären, er wolle nicht mehr nach Rom gehen, gab Bischof Gaillot am 23. März in einer Presse-Erklärung die Ablehnung seiner Bitte bekannt und fügte hinzu: „Ich bedaure, daß das von mir gewünschte Treffen nicht ermöglicht wird und daß ein Bischof vom Papst nicht empfangen werden kann, auch wenn er darum bittet. Trotz dieser Verweigerung möchte ich meine Verbindung betonen zur Kirche und zum Nachfolger Petri.“197
5. Ad-Limina Nichts war damit beigelegt, und der Bischof von Evreux wusste und bekannte offen, er stehe weiterhin „unter strenger Aufsicht“198. Was er nicht wusste, sondern erst im Nachhinein durch eine Indiskretion erfuhr, war, dass der Nuntius im Auftrag der Kurie den Generalvikar von Evreux, Jean Francois Berjonneau, zu einem geheimen Bericht über die Diözese und ihren Bischof aufgefordert hatte, der nach Rom
196 Vgl. Jacques Gaillot, Une démarche de foi, in: Église d’Évreux vom 3. März 1989 (Abdruck bei Maréchal [Hrsg.], Affaire [Anm. 42], S. 49). 197 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 172 sowie das Original bei Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 50. Obwohl auch Bischof Morris eine Audienz vor dem Amtsverzicht verweigert worden war, bat er den Papst in einem persönlichen Brief vom 24. Dezember 2008 erneut darum (vgl. Morris, Benedict [Anm. 4], S. 152 f.). Der Vorsitzende der Australischen Bischofskonferenz hatte in einer Audienz Mitte Januar 2009 dem Papst vorgetragen, Kardinal Re hätte den Amtsverzicht zur Vorbedingung einer Papstaudienz gemacht. Der Papst habe sich kritisch dazu gezeigt und erklärt, jeder Bischof auf der ganzen Welt sei frei, ihn um eine Audienz zu bitten (vgl. ebd., S. 154 f. sowie o. Anm. 155). Sie fand am 4. Juni 2009 für 15 Minuten statt. Dabei habe der Papst gleichwohl die kurialen Vorwürfe wiederholt, wobei die Frage der Frauenordination in den Vordergrund getreten sei. Bischof Morris berichtet, er habe versucht, sie zu widerlegen, der Papst habe dann aber sein vorheriges Statement fast wörtlich wiederholt, um es mit den Worten zu beschließen, es sei „Gottes Wille“, dass Bischof Morris auf sein Amt verzichte (ebd., S. 159 f.). 198 So seine Äußerung im Fernsehsender „France Inter“ im August 1989, vgl. Wargny, Welt (Anm. 26), S. 179.
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weitergeleitet wurde.199 Bischof Gaillot war darüber erbost und machte daraus bei seinem Ad-limina-Besuch im Januar 1992 keinen Hehl.200 Als Kardinal Gantin ihn zu einem Einzelgespräch bat, beschwerte Bischof Gaillot sich sofort: „Ich habe mitbekommen, daß Rom von meinem engsten Mitarbeiter einen Bericht über mich verlangt hat, und zwar unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Ich kann das nicht verstehen. Erlauben Sie mir zu sagen, daß solche Methoden der Kirche schaden.“ Sichtlich überrascht habe der Kardinal protestiert: „,Aber wir müssen doch wissen, was Sie tun, wer Sie sind. Wir brauchen wirklich Informationen über Sie.‘ – ,Dann möchte ich Ihnen aber auch sagen, daß dies Stasi-Methoden sind.‘ – ,Herr Bischof, sind Sie sich bewußt, was Sie sagen?‘ – ,Wie soll ich Ihnen noch vertrauen können, wenn Sie mit solchen Methoden arbeiten?‘“201 199 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 167. Bei seiner Apostolischen Visitation in Toowoomba hatte der Visitator das Gespräch mit dem Generalvikar mit Erklärungen zu den Aufgaben dieses Amtes eingeleitet. Ein Generalvikar habe auf den Bischof zu achten („look after“) und ihn, wo nötig, auf Linie zu bringen („pull him into line“) (Morris, Benedict [Anm. 4], S. 90) und ihn ggf. vor sich selbst zu schützen. Der Visitator habe den Generalvikar schließlich angewiesen, auf Bischof Morris dahingehend einzuwirken, dass er sich beim nächsten Termin in Rom unterwürfig und entschuldigend zeige (vgl. ebd.). 200 Im Fall von Bischof Morris kam es am 20. März 2004 zur ersten Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Kardinal Arinze. Seit 1999 war nach mehrfachen gezielten Denunziationen (vgl. ebd., S. 33 – 35) die diözesane Ordnung für die ausnahmsweise Anwendung der Generalabsolution von Seiten des Nuntius der Gottesdienstkongregation und der Bischofskongregation beanstandet und ihre Unterbindung angeordnet worden. U. a. ließ man als „schwere Notwendigkeit“ (gravis necessitas) im Sinne von c. 961 § 1 n. 2 nicht gelten, dass Gläubige aufgrund von Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern sich moralisch nicht mehr zur Einzelbeichte in der Lage sahen (vgl. ebd., S. 32 u. S. 34). Daran hielt Kardinal Arinze auch bei dem Termin in der Kongregation fest. Bischof Morris hat sofort danach ein Gedächtnisprotokoll erstellt: Der Kardinal habe vor ihm, drei Mitarbeiter hätten links und leicht hinter ihm gesessen. Der Kardinal erklärte, die Menschen hätten zu begreifen, dass nicht jeder Priester ein Missbrauchstäter sei. Wo die Generalabsolution inzwischen kulturell eingespielt sei, müssten die Gläubigen umerzogen werden. Wenn man den Gläubigen die Wahl lasse, wählten sie immer den einfacheren Weg. Wenn man in seiner (afrikanischen) Kultur jemandem eine Wahl gebe z. B. wenn ein Mann Söhne will, die Frau aber nur Töchter „produziere“, dann würde der Mann sicher eine andere Frau wählen. Entsprechend sei doch klar, dass die Priester und Gläubigen in Toowoomba sich für die Generalabsolution entschieden. Als Bischof Morris entgegnete, er kenne die afrikanische Kultur ebenso wenig wie der Kardinal die australische und beide sollten die jeweils andere Kultur nicht kritisieren, seien die drei Mitarbeiter aufgesprungen und hätten gemeint, der Kardinal habe gar nichts kritisieren wollen. Dieser drohte, falls Bischof Morris nicht genau tue, was man ihm sage, werde er ihn der Kongregation für die Glaubenslehre übergeben („Das würden Sie doch nicht wollen, oder?“, ebd., S. 39 – 41). Bis 2007 sei die Praxis der Generalabsolution schrittweise zurückgefahren worden (vgl. ebd., S. 42 u. S. 59 – 62). 201 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 167 f. Der Kardinal empörte sich über den StasiVorwurf. Gleichwohl kann in diesem Punkt amtskirchliche Selbstkritik angebracht sein. Zu erinnern ist an das Phänomen des vom Heiligen Pius X. unterstützten innerkirchlichen Geheimdienstes des „Sodalitium Pianum“ unter seinem Generaldirektor Umberto Benigni. Er wurde unter Benedikt XV. aufgelöst, als er sich zu einem Spionageverein „neben und über der Hierarchie“ entwickelte und selbst Hierarchen ins Visier genommen hatte, so Roland Götz,
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Jedem Bischof wird während des Ad-limina-Besuchs eine 15-minütige Papstaudienz gewährt. Dieses Treffen mit dem Heiligen Vater ist in der Sicht Kardinal Gantins „ein besonders feierlicher Augenblick: jeder Bischof wird in einem persönlichen Gespräch mit dem Nachfolger Petri, ,dem Stellvertreter Christi und sichtbaren Haupt der ganzen Kirche‘ (Lumen gentium, 18) zusammentreffen, der durch göttliche Sendung die einzigartige Aufgabe hat, ,seine Brüder zu stärken‘ (Lk 22,32)“202. Unter Johannes Paul II. hatte es sich als eine Art Ritual entwickelt, dass er sich zunächst auf einer Landkarte die geographische Lage einer Diözese zeigen ließ, um dann Fragen zur pastoralen Lage zu stellen, die allerdings alle schon im jeweiligen Bericht beantwortet waren. Bischöfe, die diese Förmlichkeit als wenig befriedigend empfanden, ergriffen selbst die Initiative, um ihnen wichtige Punkte anzusprechen.203 So war auch Bischof Gaillot bemüht, die kostbare Zeit der Audienz zu nutzen und sprach den Papst direkt an: „,Sie sind sicher auf dem laufenden, daß ich mit Rom Ärger habe. Sie werden wissen, daß man über mich einen Bericht verlangt hat […].‘ […] ,Ja. Aber Sie müssen wissen, es gibt nicht nur Rom, es gibt auch Frankreich, die Bischöfe von Frankreich. […] Sogar der Präsident der Bischofskonferenz hat Ihnen gegenüber Schritte unternommen. […] Ich gebe Ihnen den Rat, nicht nur cantare extra chorum, sondern auch cantare in choro. Vergessen Sie nie, auch gemeinsam mit Ihren Brüdern, den Bischöfen, zu singen.‘ […] ,Die Freiheit
„Charlotte im Tannenwald“. Monsignore Umberto Benigni (1862 – 1934) und das antimodernistische „Sodalitium Pianum“, in: Manfred Weitlauff/Peter Neuner (Hrsg.), Für euch Bischof – mit euch Christ. FS Friedrich Kardinal Wetter, St. Ottilien 1998, S. 389 – 438. Zum anderen kann es mindestens nachdenklich machen, wenn zu den Ergebnissen einer aktuellen historischen Untersuchung auch gehört, dass katholische Bischöfe in der DDR dann weniger Berührungsängste zur Stasi zeigten, wenn diese gegen auch kirchlich missliebige innerkirchliche Reformgruppen vorging, wie im Falle des 1969 gegründeten „Aktionskreis Halle“, der sich für innerkirchliche Mitbestimmung und für Gerechtigkeit und Frieden einsetzte, vgl. Sebastian Holzbrecher, Der Aktionskreis Halle. Postkonziliare Konflikte im Katholizismus der DDR, Würzburg 2014, S. 412: „Gestützt auf umfangreiche Quellenrecherchen in staatlichen, geheimpolizeilichen, kirchlichen und privaten Archiven sowie deren kritischer Analyse und Reflexion, erscheint es historisch begründet und notwendig, von einem kooperativen Antagonismus kirchlicher und staatlicher Stellen gegen den Aktionskreis Halle zu sprechen, der geheimdienstliche und staatliche Zersetzungsmaßnahmen in ihrem menschenverachtenden Ausmaß erst ermöglicht hat. Aufgrund gezielt verweigerter Schutzzusagen für den AKH haben Bischof Braun und Kardinal Meisner den staatlichen Terror nicht nur nicht verhindert, sie haben ihn mit ihren offiziellen Aussagen erst ermöglicht und tragen insofern eine Mitverantwortung am staatlichen Terror gegen den Aktionskreis Halle und seine Mitglieder.“ Vgl. ders., Der Aktionskreis Halle. Eine katholische Reformbewegung in der DDR zwischen Staat und Kirche, in: Andreas Merkt/Günther Wassilowsky/Gregor Wurst (Hrsg.), Reformen in der Kirche. Historische Perspektiven (= QD 260), Freiburg i. Br./Basel/Wien 2014, S. 292 – 311, hier S. 307. 202 Bernardin Kardinal Gantin, Die Bedeutung des Ad-limina-Besuches, in: OssRom (dt.) 18 (1988), Nr. 40 v. 30. 09. 1988, S. 6. 203 Vgl. Thomas J. Reese, Im Innern des Vatikan. Politik und Organisation der katholischen Kirche, Frankfurt a. M. 1998, S. 335 f.
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des Wortes, die ich mir herausnehme, ist kein Hindernis für die Einheit mit der Kirche.‘ […], Ich weiß.‘“204
Mit diesen Worten war die Audienz beendet, denn der Papst drückte auf einen Knopf, woraufhin der Sekretär das Kästchen mit den Rosenkränzen reichte, dessen Übergabe an Bischof Gaillot der herbeigeeilte Fotograf festhielt.205 6. Zuspitzung und Countdown Zwei Jahre später, nach dem Fernsehauftritt mit Drewermann, spitzte sich die Lage zu. Der Erzbischof von Rouen, Joseph Duval, seit 1990 Vorsitzender der Bischofskonferenz, habe seinem Mitbruder in Evreux telefonisch eine „Warnung (avertissement)“ angekündigt, die er, um ihr einen offiziellen Charakter zu verleihen, in Kopie an alle Bischöfe sandte.206 Duval schrieb mit Datum vom 14. April 1994, er sei verpflichtet zu sagen, Gaillots Haltung in den Medien werde immer intolerabler, sein Auftritt mit Drewermann habe erneut die ganze Distanz gezeigt, die er zwischen sich, dem Papst und den Bischöfen aufbaue. Mit seinem Brief wolle er Bischof Gaillot helfen, „sich einige Fragen zu stellen“207. Kein einziges Mal habe er in der Sendung auf die Forderungen des Evangeliums hingewiesen noch an die Solidarität mit der Kirche erinnert. Er habe nicht versucht, auch Drewermann zur Selbstkritik bezüglich seiner Auffassungen zur Kirche und zu den Sakramenten anzuregen. Seine Solidarität mit diesem habe er demonstriert, wo aber die mit den bischöflichen Mitbrüdern und dem Papst? Ob er nicht bemerke, dass seine Position nicht mehr haltbar sei, dass viele Gläubige Anstoß nehmen? Worum es ihm gehe, um den persönlichen Erfolg oder um die Einheit der Kirche?208 „Du hörst auf die anderen, das ist wahr. Aber Bischof zu sein, bedeutet auch, Zeuge für Christus zu sein, der zur Umkehr ruft und die Mittel schenkt, sie zu vollziehen. Wenn ich Dir schreibe, so um meinen Appell förmlicher zu machen. Ich sage es Dir noch einmal: Jacques, Du kannst nicht mehr weitergehen auf dem Weg, den Du gewählt hast. Höre auf, diese Distanz zwischen Dir und den anderen Bischöfen zur Schau zu stellen. Du hast einen anderen Dienst zu leisten, uns zu leisten.“209
Die Pflicht, so an Bischof Gaillot zu schreiben, war keine gesetzliche, sondern musste anderweitig auferlegt worden sein. Später von Gaillot auf den Brief angesprochen, habe Erzbischof Duval dann auch erklärt: „Du kannst dir die Drohungen nicht vorstellen, die in Rom gegen Dich vorliegen. Ich habe den Brief geschrieben, um dich 204
Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 169. Vgl. ebd., S. 169 f. Für ähnliche Erfahrungen vgl. bereits Bischof Dom Pedro Casaldáliga, „Evangelischer Aufstand im Vatikan. Aus meinem römischen Tagebuch, in: PublikForum 17 (1988), Nr. 21 v. 04. 11. 1988, S. 29. 206 Vgl. ebd., S. 196. 207 Vgl. den Abdruck bei Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 62. 208 Vgl. ebd. 209 Ebd. 205
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zu schützen.“210 Bei anderer Gelegenheit sei er konkreter geworden: „Es ist möglich, daß Rom dich auffordert zu demissionieren oder dir einen apostolischen Administrator mit allen Vollmachten schickt.“211 Ob gutgläubig oder nicht: Mit diesem Brief des Vorsitzenden der Bischofskonferenz war die Handhabe geboten, ihn später materiell als Vorwarnung zu werten, auch wenn das Schreiben selbst einen solchen Ausdruck vermied. Bischof Gaillot hat die Bedeutung des Vorgangs zunächst unterschätzt und den Bischöfen seinerseits brieflich seine Medienpräsenz erläutert.212 Als ihm aufging, dass die Arte-Sendung nur der gewählte Anlass für eine grundsätzlichere Vorhaltung war, suchte er am 21. Mai 1994 den Nuntius in Paris auf. Eine Romreise hielt dieser nicht für erforderlich, empfahl sie ihm aber als möglicherweise vorteilhaft: „Reden Sie in den Medien nicht mehr. Sie versprechen mir das in einem Brief, und ich lasse es Rom wissen.“213 Bischof Gaillot hat diese Zusage nicht gegeben. Nachdem der Brief von Erzbischof Duval an die Öffentlichkeit geraten war, kam es zu organisierten öffentlichen Solidaritätsbekundungen mit zigtausenden Teilnehmern.214 Zudem war seit Februar Gaillots Buch gegen die „loi Pasqua“ erschienen. Der Generalsekretär der Bischofskonferenz habe ihn damals gewarnt, der Minister sei nicht zufrieden mit ihm. Er habe bei der Bischofskonferenz anrufen lassen, um deren Ansicht zu Gaillots Buch zu erfahren. Einige Tage später habe sich der Ständige Rat der Bischofskonferenz von dem Buch distanziert.215 Ende Dezember 1994 wurde der Schlussakt im Fall Gaillot eingeleitet. Der Nuntius schrieb: „Wie Sie es am 21. Mai gewünscht haben, können Sie Kardinal Gantin treffen. Er empfängt Sie am Montag, den 9. Januar um 9 Uhr.“ Eine Begründung, einen Hinweis auf Gesprächsthemen oder auf Dringlichkeit gab es nicht. Gaillot
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Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 200. Ebd., S. 201. 212 Vgl. ders., Brief an die Bischöfe vom 26. April 1994, in: Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 63. 213 Ders., Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 202. 214 So hatten die Zeitschriften „Témoignage chrétien“ und „Golias“ eine Postkartenaktion gestartet – „Témoignage chrétien“ (vgl. den Abdruck der Unterstützungs-Karte der ersteren bei Maréchal (Hrsg.), Affaire [Anm. 42], S. 75) verzeichnete nach kürzester Zeit 30.000 Rückläufe, für beide Zeitschriften zusammen werden zwischen 30- und 40tausend angegeben, vgl. Bélestin, Affaire (Anm. 116), S. 139 f. Allerdings behaupteten auch Gegner von Bischof Gaillot an die 30.000 Unterschriften unter eine „Bittschrift an den Papst“ (Supplique au Pape) zusammengebracht zu haben, in der u. a. die Absetzung des Bischofs verlangt wurde, vgl. ebd., S. 135. Der Einfluss solcher Aktionen lässt sich nicht zuletzt aufgrund des konsequenten Schweigens der Römischen Kurie und der französischen Bischöfe nicht abschließend klären, vgl. ebd., S. 135 – 140. 215 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 208. Muller, Riobé (Anm. 181), S. 252 zitiert die Bischöfe ohne Quellenangabe mit den Worten, das Buch sei unter dem Deckmantel eines Appells an die Brüderlichkeit polemisch und pamphletartig, was man bei einem Bischof nur schwer für richtig befinden könne. 211
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rief ihn an und zeigte sich überrascht, weil er nicht um einen Termin bei der Kongregation für die Bischöfe gebeten hatte. Antwort: „,Sie wollten nach Rom … Nun ist es soweit.‘ […] ,Am 9. Januar ist es mir nicht möglich.‘ […] ,Aber, Herr Bischof, wirklich! Der Kardinal verlangt nach Ihnen, es ist wichtig. Wissen Sie: Wenn ich nach Rom vorgeladen werden, gehe ich und lasse alles liegen.‘ – ,Wenn Sie es dem Kardinal nicht sagen können, werde ich selber ihn benachrichtigen.‘ – ,Wann können Sie denn nach Rom fahren?‘ – ,Februar oder März.‘ – ,Monsignore, das geht nicht. Nein! Sie können das Treffen allenfalls um ein paar Tage hinausschieben, aber nicht mehr.‘ – ,Gut. Mittwoch oder Donnerstag derselben Woche.‘ Ein paar Tage später rief er mich wieder an: ,Kadinal Gantin wird Sie am Donnerstag, den 12. Januar, um 9 Uhr 30 empfangen.‘“216
Bischof Gaillot ging allein und nicht vorschriftsmäßig gekleidet217 zu diesem Termin. Nicht allein jedoch war Kardinal Gantin. Neben ihm saßen auch der gerade erst ernannte Sekretär der Kongregation, Titualerzbischof Jorge Maria Mejia, und Titularerzbischof Jean-Louis Tauran, seit 1990 Sekretär der Sektion für auswärtige Angelegenheiten des Päpstlichen Staatssekretariats, das für die vatikanische Diplomatie und die Päpstlichen Gesandten zuständig ist.218 Die numerische Überlegenheit unterstrich den hierarchischen Abstand, konnte einschüchtern und ließ die Bezeugungsmehrheit über das Gespräch im Bedarfsfall bei der Kongregation.219 Die exemplarische asymmetrische communicatio hierarchica spiegelt die gottgewollte commmunio hierarchica. Kardinal Gantin rollte aus dem Gedächtnis den Fall Gaillot seit ihrer ersten Begegnung 1987 in Rom auf. Dann betonten der Sekretär und Tauran, wie sehr sich das Verhältnis Bischof Gaillots zu seinen Mitbischöfen, besonders in den letzten beiden Jahren verschlechtert habe und dass viele Christen Anstoß an seinem Medienauftritt nähmen. „Wir haben zahlreiche Klagen gegen Sie erhalten.“220 Gaillot sah den „Turm von Dossiers“ vor Tauran, einsehen durfte er sie nie.221 Schließlich habe Kardinal Gantin erklärt: 216 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 211. Der Apostolische Visitator der Diözese Toowoomba hatte Bischof Morris erklärt, er hätte sich nie getraut, einer Kurienvorladung nicht zu folgen und einen solchen Brief (vgl. o. Anm. 174) zu schreiben. Wenn er nach Rom gebeten worden wäre, hätte er versucht, gestern dort zu sein (vgl. Morris, Benedict [Anm. 4], S. 75). 217 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 13: „[K]ein Käppchen, kein römischer Kragen, keine Soutane, kein Brustkreuz, kein Zingulum“, stattdessen Polo-Jacke und MephistoSchuhe. 218 Vgl. Art. 45 f. PastBon. 219 Tauran erklärte in einem Interview am Montag danach, er sei als „Zeuge“ dabei gewesen. Früher sei das Staatssekretariat auch für Bischofsernennungen in Frankreich zuständig gewesen, weshalb man auch weiterhin gut mit der Kongregation für die Bischöfe kooperiere. Seit 10 Jahren habe man Kopien des dortigen Dossiers über ihn erhalten, ohne direkt zu intervenieren. Man habe nur beraten. Es habe sich bei dem Termin um ein sehr brüderliches Gespräch gehandelt, überhaupt nicht um ein Tribunal (vgl. Michel Kubler, Interview mit Msgr. J.-L. Tauran, in: La Croix-L’Événement 116 [1995] Nr. 34010 v. 17. Jan. 1995, in: Maréchal [Hrsg.], Affaire [Anm. 42], S. 100 f.). 220 Ganze Kisten von Zuschriften von Gläubigen pro und contra Gaillot habe es gegeben. Das sei nicht so gravierend, lasse aber doch ein Klima entstehen, in dem vieles bestätigt
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„,Zuviel, es ist zuviel! Und als Konsequenz ist beschlossen worden: Morgen wird Ihnen Ihr Auftrag als Bischof von Evreux entzogen. Am Mittag. Und die Diözese von Evreux wird als vakant erklärt.‘“222 Ohne Anlass habe Tauran hastig hinzugefügt: „,Diese Entscheidung hat keinerlei politischen Charakter. Ich möchte Ihnen gegenüber betonen, daß ich – im Gegensatz zu dem, was die Zeitschrift Golias geschrieben hat – mich noch nie mit Charles Pasqua getroffen habe!‘“ Der Kardinal bot an: „,Wenn Sie Ihren Rücktritt unterschreiben, werden Sie den Titel führen: emeritierter Bischof von Evreux.‘ – ,Und wenn ich nicht unterschreibe?‘ – ,Dann werden Sie als Bischof versetzt. Sie haben bis heute abend Zeit zu überlegen.‘ – ,Ich denke, wir haben einander nichts mehr zu sagen.‘ – ,Nehmen Sie das alles in Ihr Gebet.‘“223 Im Französischen Seminar hatte der Kardinal seine persönliche Telefonnummer mit den Worten hinterlassen: „,Sagen Sie Bischof Gaillot, daß er mich bis heute abend erreichen kann.‘“224
Dabei blieb es.
V. Entfernung aus dem Amt Seit der Pressemeldung am 13. Januar 1995 war klar, dass Evreux keinen Diözesanbischof mehr hat. Keineswegs klar war und ist, wie, durch wen und aus welchen Gründen genau diese Vakanz rechtlich herbeigeführt wurde. 1. Vorgang und Akteur a) Kodikarische Möglichkeiten Nach c. 416 wird ein Bischofsstuhl vakant, wenn der Diözesanbischof stirbt oder auf eine von drei weiteren Arten sein Amt verliert. Zuständig ist immer allein der Papst, da er das Amt verliehen hat (cc. 189 f. und 1405 § 1 n. 3). Die ordentliche Zuständigkeit der Kongregation für die Bischöfe erstreckt sich nur auf die Ausübung des Diözesanbischofsamtes, nicht auf die Beschränkung oder Beendigung des Dienstes.225 aa) Die erste und häufigste Art des Amtsverlusts ist der vom Papst angenommene Verzicht (renuntiatio). Diesen soll ein Diözesanbischof von Rechts wegen anbieten, wenn er das 75. Lebensjahr vollendet hat (c. 401 § 1), und erst recht, wenn er aus werde, was die anderen Bischöfe, der Nuntius und andere vorgetragen hätten, vgl. ebd., S. 101. 221 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 14. Auch Bischof Morris hat immer wieder betont, dass er den für seine Entfernung entscheidenden Bericht des Apostolischen Visitators niemals zu Gesicht bekommen hat, vgl. Morris, Benedict (Anm. 4), S. 93 u. S. 116 u. S. 123 u. S. 135 u. S. 136 u. S. 146 u. S. 170 u. S. 176 u. S. 194 u. S. 200 u. S. 220 u. S. 223 u. S. 229 u. S. 233 u. S. 238 – 242. 222 Ebd., S. 17. 223 Ebd., S. 18. 224 Ebd., S. 19. 225 Vgl. Huels, Correction (Anm. 145), S. 511 – 514.
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gesundheitlichen oder einem anderen schwerwiegendem Grund (gravis causa) seine Amtsgeschäfte nicht mehr wahrnehmen kann (c. 401 § 2)226. Ob und aus welchem schwerwiegenden Grund letzteres der Fall ist, entscheidet allein der Papst.227 Einen uneinsichtigen oder widerspenstigen Diözesanbischof kann er auch unter Androhung weiterer, ggf. strafrechtlicher Maßnahmen zum Verzicht auffordern. Die zur Gültigkeit erforderliche Freiwilligkeit des Verzichts wäre nicht tangiert, weil es sich um eine möglicherweise schwere, aber nicht um eine widerrechtlich eingeflößte Furcht handelt (c. 188)228. Die Obrigkeit vermeidet auf diese Weise den Aufwand eines förmlichen Verfahrens und etwaiger Rekurse sowie unnötiges Aufsehen in der Öffentlichkeit. Der Betroffene kann dies als den für ihn weniger belastenden Weg und als Gesichtswahrung hinnehmen wollen.229 Auch Bischof Gaillot wurde angedroht, er verliere sein Amt auf andere Weise, falls er nicht von sich aus verzichte. Er ist dem nicht gefolgt.230 Die Vakanz ist nicht durch Amtsverzichtsannahme ein-
226 Der Canon formuliert, der Bischof sei zum Amtsverzicht „gebeten“ (rogare) bzw. „nachdrücklich gebeten“, den Amtsverzicht zu erklären. Dazu meint Georg May, Die Amtsenthebung (amotio) von Bischöfen, in: Forum Katholische Theologie 21 (2005), S. 199 – 212, hier S. 201: „Die gewählte Ausdrucksweise hat allein den Zweck, die Empfindlichkeit dieser Herren zu schonen. Wenn der Papst einen Bischof durch Gesetz einlädt, den Verzicht auf sein Amt anzubieten, dann ist dies eine Aufforderung, ja ein Befehl, der lediglich in der Form einer Einladung gekleidet ist. Das Wort rogare begründet daher nicht lediglich eine moralische, sondern eine rechtliche Verpflichtung. Es geht nicht nur um eine moralische, sondern um eine Rechtspflicht.“ Auch unabhängig von der Frage der Rechtsqualität garantieren die primatialen Möglichkeiten, einer Bitte derart Nachdruck zu verleihen, dass sie jeweils erfüllt wird. 227 Vgl. ebd., S. 202. Am 13. September 2008 beantwortete der Sekretär des PCLT, Juan Ignacio Arrieta, Bischof Morris’ Anfrage nach der genauen Bedeutung des Ausdrucks „causa gravis“ in Bezug auf den von ihm inzwischen geforderten Amtsverzicht mit dem Hinweis, es gehe nicht um eine Frage der Auslegung, sondern der konkreten Anwendung. Dafür sei nicht der Rat zuständig, sondern die Kongregation für die Bischöfe (vgl. Morris, Benedict [Anm. 4], S. XII u. S. 143 f.). 228 C. 1742 § 1 verpflichtet den Diözesanbischof, der die Voraussetzungen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Pfarrer geprüft hat, diesen mit der Aussicht auf die Amtsenthebung noch „väterlich“ aufzufordern, von sich aus auf das Amt zu verzichten. In Australien wurde Bischof Morris am 3. Oktober 2007 zunächst aufgefordert, seinen Verzicht anzubieten, weil er außerhalb der communio mit der Kirche und dem Papst sei (Morris, Benedict [Anm. 4], S. XX u. S 107). Als er mehrfach unter Berufung auf sein Gewissen mitteilte, dies nicht tun zu können, stellte ihm Kardinal Re am 23. Oktober 2008 das Ultimatum, entweder bis Ende November zu verzichten, damit dies Anfang November 2009 bekannt gegeben werden könne, oder er werde seines Amtes enthoben und erhalte einen Titularbischofssitz. Der Heilige Vater bestehe darauf, und ein solcher Akt des kindlichen Gehorsams ihm gegenüber vermiede Verlegenheiten für alle Beteiligten (vgl. Morris, Benedict [Anm. 4], S. XXXXII. 107 – 149, bes. S. 146 f.). 229 Vgl. Huels, Correction (Anm. 145), S. 520 f. 230 1973 hat sich der Bischof von Limburg, Wilhelm Kempf, der Bitte, vorzeitig auf sein Amt zu verzichten, widersetzt und konnte am Ende im Amt bleiben, vgl. Martin Rehak, Jurisdiktionsprimat und Absetzung von Bischöfen. Historische Nachbetrachtungen, in: AfkKR 180 (2011), S. 389 – 445, hier S. 435 f.
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getreten.231 Bischof Gaillot erhielt deshalb auch nicht den Titel „Emeritus von Evreux“ und hatte entsprechend seinen Wohnsitz außerhalb der Diözese zu wählen (c. 402 § 1). bb) Die Vakanz ist auch nicht durch die Strafe der Absetzung vom Amt (privatio) eingetreten, wobei es sich um eine Sühnestrafe gehandelt hätte (cc. 196, 1336 § 1 n. 2 u. § 2), die nicht von selbst eintritt, sondern in der Regel in einem Gerichtsverfahren verhängt werden muss (c. 1342 § 2) und gravierende Straftaten voraussetzt.232 Zudem darf eine solche Strafe niemals die erste Maßnahme sein (c. 1341). Bereits im Vorfeld eines Strafverfahrens sind verschiedene Fragen zu klären: Besteht der Verdacht einer Straftat zu Recht? Kann die Situation ohne strafrechtliche Maßnahmen bereinigt werden (cc. 1717 – 1719)? Erst wenn eine solche Voruntersuchung ergibt, dass eine Absetzung erforderlich ist, darf der Obere ein Strafverfahren in Gang setzen. Im Verwaltungsverfahren muss der Beschuldigte Anklage und Beweise kennen (c. 1720 n. 1), im Strafprozess überdies einen Anwalt haben (c. 1723). Im Fall Gaillot ist nichts dergleichen bekannt. Es gibt lediglich einen sprachlichen Anklang an eine Strafmaßnahme. Die erste französische Pressemitteilung des Vatikans verwendete den Ausdruck „suspendu“233. Das konnte an die Kirchenstrafe der Suspension denken lassen (c. 1333). Zu ihren Wirkungen gehört das Verbot, mit dem Amt verbundene Rechte auszuüben. Sie nimmt aber nicht das Amt, ist also keine Absetzung. cc) Die dritte, gleichfalls übliche Art, das Amt des Diözesanbischofs zu verlieren, ist die Versetzung (translatio): „Der Heilige Stuhl bedient sich häufig der Versetzung, um einen Bischof, der sich an seiner bisherigen Wirkungsstätte bewährt hat, in eine noch verantwortungsvollere Position einrücken zu lassen. Die Versetzung ist aber auch ein Mittel, um Bischöfe von einer Diözese, in der nach dem Urteil des Heiligen Stuhles ihre Stellung unhaltbar geworden ist, auf eine andere Diözese zu verbringen.“234
Bei der Versetzung steht die Amtstauglichkeit des Betroffenen nicht grundsätzlich in Frage. Es erscheint lediglich zweckmäßiger, ihn in einem anderen Amt zu verwenden. Die Versetzung ist ein komplexer Vorgang – jemand verliert ein Amt, indem er ein anderes bekommt. Das frühere Amt wird erst mit der Besitzergreifung vom neuen vakant (c. 191). Bischof Gaillot wurde Titularbischof. Der CIC kennt nur zwei Arten von Bischöfen: solche, denen eine Diözese anvertraut ist, und solche, die keine Diözese leiten, nämlich Titularbischöfe. Sie sind Mitglieder des Bischofskollegiums und 231 Vgl. auch Francis Messner/Jean Werckmeister, Les aspects canoniques de l’affaire Gaillot, in: RDC 45 (1995), S. 75 – 82, hier S. 78. 232 Dies können etwa Amtsmissbrauch (c. 1389 § 1) oder eine schwere und anhaltende Verletzung der Residenzpflicht (c. 1396) sein. Vgl. auch May, Amtsenthebung (Anm. 226), S. 200. 233 Siehe oben Anm. 39. 234 May, Amtsenthebung (Anm. 226), S. 201 mit Verweis auf den Fall Wolfgang Haas (ebd., Anm. 3).
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als solche berechtigt und verpflichtet, an einem etwaigen ökumenischen Konzil beschließend teilzunehmen (c. 339 § 1). Sie gehören nicht von Rechts wegen zur Bischofskonferenz (c. 450 § 2). Die praktische Bedeutung der Titularbischöfe, denen symbolisch ein untergegangenes Bistum zugewiesen wird235, ist gleichwohl groß. Sie bilden ein ansehnliches Reservoir von „Bischöfen zur besonderen Verwendung“. Diese Verwendung kann in der Übertragung verschiedenster Ämter bestehen – z. B. Sekretär einer römischen Kongregation oder Hilfsbischof in einer Diözese.236 Die Zuweisung eines Titularbistums ist keine Amtsverleihung. Ein Titularbischof gehört als solcher zum Bischofsstand, hat aber kein Bischofsamt. Daher ist das Bistum Evreux entgegen der amtlichen Anzeige237 nicht durch Versetzung vakant geworden.238 b) Der Papst gibt, der Papst nimmt Bischof Gaillot wurde sein Amt genommen, aber kein neues übertragen. Das entspricht dem Kern einer weiteren Form des Amtsverlusts, die das allgemeine kodikarische Ämterrecht kennt, nämlich der Amtsenthebung durch ein Dekret aus schwerwiegendem Grund im rechtlich vorgeschriebenen Verfahren (amotio) (cc. 1740 – 1747) und mit Vorkehrungen für den anschließenden Unterhalt des Betroffenen (cc. 192 f. und 195 f.). Diese Amtsenthebung ist ein Verwaltungsakt, der in einem sog. Einzelfalldekret (decretum singulare) von der zuständigen Autorität vorgenommen wird (c. 48). Es ist zur Gültigkeit schriftlich auszufertigen und mitzuteilen (cc. 51, 193 § 4), regelmäßig unter Angabe der erlassenden Autorität, des Adressaten, des Inhalts der Verfügung (c. 37)239 sowie einer wenigstens summarischen sachlichen und rechtlichen Begründung und einer Rechtsbehelfsbelehrung (c. 51). Das Dekret ist dem Adressaten auszuhändigen. Nur aus einem sehr schwerwiegenden Grund darf es vor zwei Zeugen verlesen werden (cc. 54 f.). Diese Formalerfordernisse dienen dem Nachweis, dass die Verwaltung die Gesetze einhält, und sollen die Einlegung von Rechtsmitteln gegen den Entscheid erleichtern. Fehlt eine Begründung, kann gegen das Dekret Verwaltungsbeschwerde erhoben und falls es etwa von einer Kongregation erlassen wurde, kann es auch vor der 2. Sektion des obersten kirchlichen Gerichts der Apostolischen Signatur als gesetzwidrig beklagt werden.240 Die Verfahrensbindung will das Recht auf Gehör, den Vortrag der Verteidigungsargu235
Vgl. Heribert Schmitz, Art. Titularbischof, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= LThK kompakt), Freiburg i. Br./Basel/Wien 2004, Sp. 950 – 952. 236 Vgl. Reinhild Ahlers, Art. Auxiliarbischof, in: ebd., Sp. 82. 237 Vgl. oben II. Coup final. 238 Vgl. so auch May, Amtsenthebung (Anm. 226), S. 208 und Messner/Werckmeister, Aspects (Anm. 231), S. 79 f. 239 Vgl. Hubert Socha, c. 37, in: MKCIC (Stand Dezember 2013). 240 Vgl. ders., c. 37, Rdnrn. 4 f. u. 8, in: ebd. (Stand April 1992); ders., c. 51, in: ebd. (Stand Juli 1992); ders., cc. 54 f., in: ebd. (Stand Juli 1992); ders., c. 193, Rdnrn. 3 u. 7, in: ebd. (Stand August 1988).
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mente, die Akteneinsicht sowie die Überlegtheit der Entscheidung durch Beratung sicherstellen und belässt dem Betroffenen durch das schrittweise Vorgehen Zeit, doch noch einen Amtsverzicht zu erwägen.241 Es gibt zwar einen Hinweis auf diese Art des Amtsverlusts. Er findet sich in einem an Bischof Gaillot adressierten Schreiben von Kardinal Gantin mit dem Datum vom 14. Januar 1995, d. h. dem Tag nach Gaillots Rom-Termin, das allerdings erst im März vom Sekretariat der Bischofskonferenz veröffentlicht wurde. Darin hieß es, der Apostolische Nuntius in Paris habe Instruktionen erhalten, für eine angemessene Unterbringung und finanzielle Unterstützung von Bischof Gaillot zu sorgen.242 C. 195 verpflichtet die Autorität, die eine Amtsenthebung per Dekret vornimmt, zu genau solchen Vorkehrungen. Allerdings: Diese Form ist in c. 416 für das Diözesanbischofsamt nicht erwähnt. Und ein nach c. 192 einzuhaltendes Verfahren kennt der CIC nur für das Amt des Pfarrers (cc. 1740 – 1747). Hinzu kommt: Ein Dekret und damit das zentrale rechtliche Dokument ist nicht bekannt. Bereits 1995 wurden die Kanonisten des Kanonistischen Instituts in Straßburg, Francis Messner und Jean Werckmeister, auf ihre Anfrage nach einer Kopie von Gaillots Sekretariat an die Nuntiatur oder das Sekretariat der Bischofskonferenz verwiesen, konnten jedoch keine erlangen.243 Auf meine eigene schriftliche Frage nach dem Dekret und der Bitte um eine Kopie schrieb Bischof Gaillot mir am 28. März 1996: „Was Ihre Fragen angeht, teile ich Ihnen mit, dass ich nie ein Dekret erhalten habe, das den Verlust meines Amtes betrifft. Also, ich habe keinerlei mich betreffendes Dokument.“244 Auf meine erneute Nachfrage (30. Juli 2014), ob sich daran in all den Jahren etwas geändert habe, und meinen Hinweis auf das Schreiben Gantins antwortete Bischof Gaillot am Tag darauf: „Ich habe niemals ein Dekret oder ein offizielles Dokument von Rom besessen. Das Schreiben von Kardinal Gantin habe ich aus der Zeitschrift ,La Croix‘ zur Kenntnis genommen. Der Brief erweckt den Eindruck, die Dinge hätten noch anders laufen können, wenn ich ihn kontaktiert hätte. Das ist nicht wahr.“245
Je nachdem, ob die Amtsenthebung aufgrund ihrer Auslassung in der rechtsbeschränkenden und daher eng auszulegenden (c. 18) Spezialnorm des c. 416 auf das Diözesanbischofsamt nicht anwendbar ist246 oder doch247, ergeben sich für den 241
Vgl. Huels, Correction (Anm. 145), S. 526. Vgl. Lettre du Cardinal Gantin à Msgr. Gaillot (14 janvier), in: La Documentation catholique 92 (1995) Nr. 2113 v. 02. 04. 1995, S. 317. 243 Vgl. Messner/Werckmeister, Aspects (Anm. 231), S. 77. 244 „Quant à vos questions, je vous redis que je n’ai toujours pas reçu de décret concernant la perte de mon office. Donc, je n’ai aucun document officiel me concernant“ (dt. Übersetzung N. L.). 245 „Je n’ai jamais eu un décret ou un document officiel de Rome en ma possession. J’ai pris connaissance de la lettre du cardinal Gantin en 1995 dans le journal La Croix. Lettre qui insinue que les choses auraient pu tourner autrement si j’avais repris contact avec lui. Ce qui n’est pas vrai“ (dt. Übersetzung N. L.). 246 Vgl. so Georg Bier, c. 401, in: MKCIC (Stand Dezember 1998). 242
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Vorgang der Entfernung des Bischofs aus seinem Amt verschiedene rechtliche Szenarien: aa) In beiden Fällen gilt: Dem Papst kommt kraft seines Amtes die höchste, volle, unmittelbare, universale und ordentliche Gewalt in der Kirche zu, die er immer frei ausüben kann (c. 331). Die rechtliche Unbeschränktheit der päpstlichen Vollmacht schließt die Kompetenz ein, die Leitungsbefugnisse eines Diözesanbischofs nicht nur durch die Ernennung eines Auxiliarbischofs oder eines Bischofskoadjutors mit besonderen Befugnissen (c. 403 §§ 2 und 3) oder eines Apostolischen Administrators sede plena248 zu beschneiden oder durch spezielle Vorbehalte einzuschränken249, sondern auch, ihm alle Leitungsbefugnisse zu entziehen und dies auch auf dem Wege der amotio, ob rechtlich vorgesehen oder nicht. Das Fehlen einer eigenen Verfahrensordnung kann er durch analoges Vorgehen ausgleichen, als „Herr der Gesetze“ (dominus canonum) muss er dies jedoch keineswegs.250 Dabei kann der Papst höchstpersönlich vorgehen und seine Entscheidung auf ihm gut dünkende unmissverständliche Weise mitteilen lassen.251 Und seinem allein vor Gott zu verantwortenden (c. 1405) Gutdünken252 unterliegt auch die Einschätzung, ob sein Vorgehen fair und gerecht ist. Als sich der australische Bischof Morris von Toowoomba bei Bene247 May, Amtsenthebung (Anm. 226), S. 204 f. und S. 210 f. wendet einige Mühe zugunsten einer Anwendbarkeit der amotio auf. Zwar ist richtig, dass im alten CIC wie in der Kanonistik privatio als Oberbegriff für die strafrechtliche Amtsentsetzung wie für die verwaltungsrechtliche Amtsenthebung verwendet werden konnte und der geltende CIC diesen Sprachgebrauch übernommen haben könnte. Diese Möglichkeit allerdings in den klaren Wortlaut einzutragen, erscheint nicht angebracht. Darüber hinaus macht er geltend: C. 416 sei wie c. 538 § 1, wo ebenfalls die privatio als Verlustweise des Pfarreramtes fehle, eine im Vergleich zu c. 184 § 1 unvollständige, nicht erschöpfende Spezialnorm, so dass die allgemeine Norm weiter gelte. Zudem normiere sie nicht eine Rechtsbeschränkung, sondern einen Rechtsentzug, so dass c. 18 gar nicht einschlägig sei. Und schließlich sei eine amotio für den Betroffenen schonender als die privatio. Letzteres mag hinsichtlich des Rufs des Betroffenen zutreffen, nicht aber für seinen Rechtsschutz. So bedenkenswert die Argumente erscheinen, so wenig notwendig sind sie, um die von May gewünschte unbeschränkte Handlungsfähigkeit des Heiligen Stuhls zu erhalten, da auch für ihn die Anwendung der amotio kraft primatialer Gewalt unbestreitbar möglich ist und beim Diözesanbischof die zuständige Autorität der Papst als dominus canonum ist. 248 Vgl. Congr. Ep, Direktorium (Anm. 158), Nr. 73 sowie Georg Bier, Art. Apostolischer Administrator, in: LKStKR I, S. 138 – 139. 249 Vgl. so als der Bischof von Limburg 2002 sich weiterhin weigerte, den von Johannes Paul II. angeordneten Ausstieg kirchlicher Schwangerenkonfliktberatungsstellen aus dem staatlichen Beratungssystem in seinem Bistum zu vollziehen. Der Papst entzog dem Diözesanbischof die Zuständigkeit für das entsprechende Sachgebiet und beauftragte den dortigen Auxiliarbischof mit der gehorsamen Ersatzvornahme, vgl. Johannes Paul II., Schreiben an Bischof Franz Kamphaus vom 7. März 2002, in: Abl. Limburg 144 (2002), S. 23 – 24 sowie zu Vorgang und Vorgeschichte Ulrich Ruh, Limburg: Ausstiegsverfügung für Bischof Kamphaus, in: HerKorr 56 (2002), S. 169 – 171. 250 Vgl. May, Amtsenthebung (Anm. 226), S. 210. 251 Zur Amtsenthebung von Josef Kardinal Mindszenty (1892 – 1975) durch Paul VI. vgl. ebd., S. 208. 252 Vgl. Nr 4 NE.
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dikt XVI. eben darüber beschwerte, dass er sich gegen ihn erhobene Beschuldigungen nicht angemessen und in einem fairen Verfahren habe verteidigen können253, antwortete ihm der Papst: „In your letter you refer to ,defects in process.‘ We have been engaged instead in a fraternal dialogue, in which we appeal to your conscience […]. Canon law does not make provision for a process regarding bishops, whom the Successor of Peter nominates and may remove from office.“254
bb) Im Fall Gaillot gab es außer der kurzen Routine-Audienz während des Ad-limina-Besuchs keinen Kontakt zwischen dem Papst und dem beanstandeten Diözesanbischof.255 Als handelnde Autorität trat durchgehend die Kongregation für die Bischöfe auf, und zwar, wie es auch hieß, aufgrund eines „Mandats“ des Papstes. Zu den ordentlichen Befugnissen der Kongregation gehört die Entfernung eines Diözesanbischofs aus seinem Amt nicht. Allerdings konnte der Papst ihre Zuständigkeit erweitert haben, ihr etwa die allgemeine Befugnis erteilt haben, Bischof Gaillot zum Rücktritt zu bewegen und ggf. seines Amtes zu entheben. Folgt man der Auffassung, die 253 Vgl. Bischof Morris, Schreiben vom 12. November 2009 an Benedikt XVI., in: ders., Benedict (Anm. 4), S. 375 – 377, hier S. 376. 254 Benedikt XVI., Schreiben an Bischof Morris vom 22. Dezember 2009, in: ebd., S. 378 – 380, hier S. 378. Schon zuvor hatte ihm am 10. April 2008 auf Anfrage der Sekretär der Apostolischen Signatur, Velasio de Paolis, geantwortet, das Recht auf Verteidigung nach cc. 221 und 1620 n. 7 beziehe sich nur auf einen gerichtlichen Kontext (vgl. ebd., S. 139 f.). Bischof Morris bot am 25. Januar 2010 als Kompromiss an, um seinen vorzeitigen Ruhestand (retirement) statt Amtsverzicht (resignation) zu bitten, und zwar entweder im Oktober anlässlich seines 70. Geburtstages oder aber bis Mitte Mai 2011, sofern bis dahin der Missbrauchsfall abgeschlossen sei, den er gerne persönlich zu Ende begleiten wollte. Im Juni bat er deshalb nochmals und am 8. Dezember 2010 auch direkt den Papst, länger als Mai 2011 im Amt bleiben zu können. Am 21. Februar 2011 forderte der Nuntius, nun Erzbischof Lazzarotto, ihn auf, seinen Amtsverzicht mit sofortiger Wirkung anzubieten, sein Eintritt werde am 2. Mai bekannt gegeben und zugleich ein Apostolischer Administrator ernannt werden. Bischof Morris erklärte sich zu einem Amtsverzicht außer Stande, sei aber bereit, seinen vorzeitigen Ruhestand für diesen Zeitpunkt zu erklären, wenn dieser als solcher bekannt gemacht würde. Der Nuntius sagte zu, dass die Presseerklärung nicht von Resignation, sondern von Ruhestand sprechen werde, was auch geschah (vgl. ebd., S. 191 – 205 u. S. 391 – 393). Die amtliche Bekanntgabe (Anm. 42) vermerkt nur den Vorgang, der einer Amtsenthebung entspricht. 255 Dagegen waren im Anschluss an seine Entfernung aus dem Amt, der Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz sowie deren Sekretär und Pressesprecher vom 02. – 04. 03. 1995 zu Gesprächen mit Kardinal Gantin sowie Mejia und Tauran in Rom und erhielten eine dreiviertelstündige Audienz bei Johannes Paul II., vgl. Erzbischof Duval, Schreiben aus Rom an die französischen Bischöfe vom 4. März 1995, in: La Documentation catholique 92 (1995) Nr. 2113 v. 02. 04. 1995, S. 316 f., hier S. 316. Bischof Gaillot selbst wurde vom Papst erst am 20. Dezember 1996 empfangen und – wie es hieß – unter der Bedingung, von anschließenden Erklärungen abzusehen, vgl. Hans-Hagen Bremer, Papst empfängt gemaßregelten Bischof, in: Frankfurter Rundschau 52 (1996) Nr. 297 v. 20. 12. 1996, S. 19 sowie AA.VV., Wird der Fall Gaillot gelöst? Nach dem Gespräch mit dem Papst, in: Christ in der Gegenwart 48 (1996), S. 10 sowie Klaus Nientiedt, In der Schwebe, in: HerKorr 50 (1996), S. 60.
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amotio gelte doch auch für das Diözesanbischofsamt, hätte die Kongregation zwar mit besonderen Befugnissen gehandelt, wäre aber an das allgemeine Recht gebunden geblieben und hätte die Rechtmäßigkeit ihres Handelns selbst zu verantworten. Die Amtsenthebung wäre ein Verwaltungsakt nicht des Papstes, sondern der Kongregation, gegen den Rekurs an die 2. Sektion der Apostolischen Signatur möglich gewesen wäre, weil etwa die allgemeinen Formalerfordernisse an Verwaltungsakte und speziell an ein Enthebungsdekret nicht erfüllt waren und die Aufforderung zum Amtsverzicht nicht mit einer ausreichenden Bedenkzeit verbunden war.256 cc) Die Kongregation hätte vom Papst, der zum Zeitpunkt der Vorladung Gaillots beim Weltjugendtag in Manila weilte, auch das Spezialmandat erbeten haben können, vom geltenden Recht abweichend vorzugehen und ihm die Entscheidungen anschließend zur approbatio in forma specifica vorzulegen. Der Papst nähme damit die getroffenen Maßnahmen in seine primatiale Verantwortung, gegen die ein Rekurs unmöglich ist. Soweit die amotio durch c. 416 ausgeschlossen gilt, hätte die Kongregation nur mit dieser Billigungsform handeln können. Wäre die amotio in c. 416 doch einschlägig, hätte sie ihr Handeln gegen die cc. 192 – 195 dem Papst zur speziellen Billigung zu unterbreiten gehabt. Dazu hätte die Kongregation dem Papst vorher ihr beabsichtigtes Vorgehen schriftlich, begründet und unter Angabe der Rechtsabweichungen anzeigen und ihm nachher die gesamte Akte zur persönlichen Prüfung überlassen müssen.257 Damit ein Akt als vom Papst in dieser besonderen Form gebilligt gelten kann, muss er ausdrücklich gekennzeichnet sein mit: „Summus Pontifex in forma specifica approbavit“258. Wo dies nicht geschieht, gilt die Präsumtion einer bloß allgemeinen Approbation durch den Papst.259 Der Akt bleibt dann einer der Kongregation und ist rekursfähig. In welcher Form der Papst das Vorgehen der Kongregation im Fall Gaillot gebilligt hat, bleibt unbekannt. Für Bischof Gaillot war der Eindruck einer päpstlichen Entscheidung erweckt worden, so dass er einen Rekurs für nicht möglich hielt.260 2. Die Gründe Für eine Amtsenthebung per Dekret ist ein schwerwiegender Grund erforderlich (c. 193 § 1). Für die Enthebung eines Pfarrers von seinem Amt gilt als schwerwie256
Vgl. Art. 107 a) und 108 RegGenCR/1992 und cc. 1732 – 1739. Vgl. Art. 110 §§ 1 – 3 und Art. 118 § 4 RegGenCR/1992. 258 Vgl. ebd., Art. 110 § 4. Die einschlägigen Bestimmungen wurden in die überarbeitete und heute geltende Geschäftsordnung der Kurie als Art. 126 und 134 Regolamento 1999 übernommen. 259 Vgl. Antonio Viana, El Reglamento General de la Curia Romana (04. 11. 1992). Aspectos generales y regulación de las aprobaciones pontificias en forma específica, in: IusCan 32 (1992), S. 501 – 529, hier S. 529 sowie Messner/Werckmeister, Aspects (Anm. 231), S. 81. 260 Vgl. Jacques Gaillot, Schreiben an Verf. vom 28. März 1996: „Je n’ai fait aucune démarche juridique, étant donné que la procédure est sans appel puisque le Pape est le juge suprême.“ 257
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gend jeder Grund, der dessen Dienst schädlich oder wenigstens unwirksam werden lässt (c. 1740). Ob und wann dies der Fall ist, beurteilt die zuständige Autorität. Als Beispiele, die analog auch gegen einen Diözesanbischof geltend gemacht werden können, werden u. a. genannt: grobe Vernachlässigung oder trotz Verwarnung andauernde Verletzung der Amtspflichten, Verhaltensweisen, die für die kirchliche Gemeinschaft schweren Schaden oder Verwirrung verursachen oder der Verlust des guten Rufes bei rechtschaffenen und angesehenen Pfarrangehörigen oder Abneigung gegen den Pfarrer (c. 1741 nn. 1 – 3), das sog. odium plebis, und zwar „selbst, wenn es nicht gerechtfertigt ist“261. Bischof Gaillot war nicht zuletzt aufgrund einer Information eines Mitarbeiters im vatikanischen Staatssekretariat überzeugt, dass zumindest der entscheidende Anstoß für die Maßnahme gegen ihn auf die Intervention des damaligen französischen Innenministers Pasqua zurückzuführen ist.262 In diese Richtung weist auch, dass der Kanonist Jean-Paul Durand auf die Frage nach Präzedenzfällen für eine solche Disziplinierung ausgerechnet an jene Bischöfe erinnerte, die zur Zeit Angelo Roncallis als Nuntius in Paris auf politischen Druck wegen der kirchlichen Kollaboration mit dem Vichy-Regime263 ihr Amt verloren.264 Die ersten amtlichen Mitteilungen im Frühjahr 1995 enthielten keine Gründe.265 Das Communiqué der Kongregation sprach dann von den vergeblichen Versuchen, Gaillot zu einer Ausübung seines Dienstes im Einklang mit Lehre und Pastoral der Kirche zu bewegen, und seiner Unfähigkeit, die Primärpflicht des Bischofs aus261
Klaus Mörsdorf, Die Stellung der Laien, in: RDC 61 (1960), S. 214 – 234, hier S. 231 f. Vgl. Gaillot, Schreiben an Verf. vom 28. März 1996: „Dans les différents communiqués du Vatican, les motifs sont variés et ils ont changé. J’ai appris par la suite par une personne travaillant à la secrétairie d’état que l’élément décisif est venu d’une Intervention du ministère de l’intérieur auprès dela secrétaire à l’occasion da mon livre sur les lois Pasqua.“ 263 Vgl. Jürg Altwegg, Vergangenheitsbewältigung: Vichy, Résistance, Kollaboration, in: Kolboom/Kotschi/Reichel (Hrsg.), Handbuch (Anm. 55), S. 488 – 491. 264 Vgl. Bruno Frappat, Interview mit Jean-Paul Durand, La „Correction fraternelle“, in: La Croix-L’Événement 116 (1995) Nr. 34010 v. 17. Jan. 1995, S. 7. Im Zuge der Säuberungsaktionen gegen französische Kollaborateure sollten 25 Bischöfe abgesetzt werden. Die Liste wurde durch Vermittlung des französischen Botschafters beim Heiligen Stuhl, Jacques Maritain, und Nuntius Roncalli auf drei reduziert: Erzbischof du Bois de la Villerabel (Aix-enProvence), Bischof Henri Dutoit (Arras) und Bischof Auvity (Mende). Der zunächst vehement sich weigernde Pius XII. stimmte unter der Bedingung zu, dass als einziger Grund der „odium plebis“ genannt werde, vgl. Michèle Cointet, L’Église sous Vichy. 1940 – 1945, Paris 1999, S. 11 – 35 u. S. 341 – 358 sowie Peter Hebblethwaite, Johannes XXIII. Das Leben des Angelo Roncalli, Zürich/Einsiedeln/Köln 1986, S. 262 – 271. Der Papst enthob sie ohne Aufsehen ihres Diözesanbischofsamtes und wies ihnen jeweils ein Titularbistum bzw. -erzbistum zu. Im päpstlichen Amtsblatt wird jeweils nur der Vorgang angegeben: „Titulari archiepiscopali Ecclesiae Aeniensi praefecit Exc. P. D. Florentiium du Bois de la Villerabel, hactenus archiepiscopum Aquensem“, in: AAS 37 (1945), S. 116. Vgl. für die beiden anderen ebenso ebd., S. 296. Im AnPont 1946, S. 406, S. 413 u. S. 441 wird mit dem Kürzel „tr.“ (= trasferito) eine Versetzung angezeigt. 265 Siehe oben Anm. 39 u. 42. 262
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zuüben, das Amt der Einheit.266 Vier Wochen später konkretisierte die Kongregation267: Die Maßnahme habe nichts zu tun mit dem Engagement Bischof Gaillots für Arme und Ausgeschlossene, sondern sei gänzlich anders motiviert. Es gehe um einen konstitutiven Aspekt der Sendung eines Bischofs, nämlich um die Communio im Glauben der Kirche mit den Bischöfen und in ganz erster Linie mit dem Papst. Bischof Gaillot habe häufig Distanz zu authentischen Lehren der Kirche gezeigt und besonders in Sachen der Moral sogar offen entgegengesetzte Meinungen vertreten. In diesen Fragen könne ein Bischöf nicht seine Meinung über die des Bischofskollegiums stellen, dessen Haupt der Papst sei. Verwiesen wird dazu auf das 3. Kapitel von Lumen gentium. Auch ohne Diözese bleibe Gaillot Bischof mit allen Rechten, aber auch den Pflichten eines Apostelnachfolgers, deren erste der Dienst der Communio in der Einheit des Glaubens sei.268 Der Pressesprecher des Vatikans, Navarro-Valls, erklärte, ein Bischof habe eine große Freiheit des Wortes, dürfe aber nicht gegen die Lehre der Kirche verstoßen. Die Freiheit des Wortes sei vielmehr untrennbar mit der Wahrheit verbunden, also – so der Sprecher – mit der kirchlichen Lehre.269 Die französischen Bischöfe stützten diese Begründungen und fügten hinzu, Bischof Gaillot habe sich in mehreren Punkten von der Disziplin und Moral der Kirche entfernt, die nicht ohne theologische Implikationen seien. Ohne Zweifel stimme die Maßnahme mit der Lehre des Konzils und dem Kirchenrecht überein. Konkret verwiesen sie auf die in LG 25a geforderte ehrfürchtige Anerkennung des päpstlichen Lehramtes und die aufrichtige Anhänglichkeit gegenüber seinen Lehren.270 Dies ist jener Satz, mit dem der religiöse Gehorsam des Willens und des Verstandes gegenüber nicht-definitiven Lehren des Papstes erläutert wird und den Johannes Paul II. zur strafbewehrten Rechtspflicht erhoben hat.271 Der Bischof von Le Mans, George Gilson, ein – nach eigenen Worten – Freund Gaillots, formulierte: „Schließlich gibt es nur eine einzige Haltung für einen christlichen Gläubigen, der die Last des Bischofsamtes angenommen hat. Das ist […] die der Treue zu den gegebenen Versprechen. Jeder Bischof verpflichtet sich zu Beginn der Feier, die ihn zum Bischof macht, auf besondere Weise. […] Gehorchen ist nicht einfach. Das wird nicht immer verstanden. Aber 266 Vgl. Congr. Ep, Communiqué vom 13. Januar 1995, in: Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 99 sowie Kardinal Gantin, Lettre (Anm. 242), S. 317. 267 Vgl. Congr. Ep, Note de la Congrégation pour les Evêques vom 14. Februar 1995, in: La Documentation catholique 92 (1995) Nr. 2111 v. 05. 03. 1995, S. 217 (dt.: Deutsche Tagespost 48 [1995] Nr. 23 v. 23. 02. 1995, S. 19). 268 Vgl. ebd. 269 Vgl. KNA-M9500919 v. 17. 01. 1995. 270 Vgl. Der Ständige Rat der Französischen Bischofskonferenz, Erklärung vom 16. Februar 1995, in: Maréchal (Hrsg.), Affaire (Anm. 42), S. 216 – 218 (auch: La Documentation catholique 92 [1995] Nr. 2111 v. 05. 03. 1995, S. 226) sowie in Übernahme der kurialen Begründung auch den Brief des Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Joseph Duval, Brief vom 4. März 1995, in: La Documentation catholique 92 (1995) Nr. 2113 v. 02. 04. 1995, S. 316 f. 271 Vgl. dazu Lüdecke, Grundnormen (Anm. 37), S. 324 – 327.
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es ist für uns der einzige Weg, jener, der die Einheit bewahrt und die Zukunft baut. Ein Kreuzweg, in der Tat.“272
Auch Mitglieder des Bischofskollegiums außerhalb Frankreichs sekundierten. So erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann: „Ich habe gewiß Verständnis für mutige, freilich kluge ,Vorstöße‘ und für eine ehrliche Diskussion der ,heißen Eisen‘, aber Bischof Gaillot ist zum Beispiel in seinen Äußerungen zur Abtreibungspille RU 486 und zum kirchlichen Segen für homosexuelle Paare weit über den Rahmen der katholischen Lehre hinausgeschossen und hat sich im Grunde selbst außerhalb der Kollegialität der Bischöfe gestellt. Die französischen Bischöfe sind lange sehr brüderlich und kollegial, schließlich auch bei allem Ernst bittend und mahnend mit ihm umgegangen. Ich hätte mir die Lösung der Sache auch anders gewünscht, aber es gibt nun einmal Konflikte, die trotz mancher Versuche in der Sackgasse enden.“273
Und der damalige Apostolische Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Karl-Josef Rauber, führte die Maßnahme auf den entscheidenden Punkt zurück: auf „eine Amtsführung, die dem, dem Papst bei Amtsantritt freiwillig gegebenen Treueversprechen nicht mehr entspricht“274. Keine einzige Stellungnahme bemühte einen Canon des Kirchenrechts. Gleichwohl kann klar werden, worum es bei dem Hauptvorwurf des Verstoßes gegen die Communio ging und worum nicht. Es ging nicht um die Verletzung der grundlegenden communio fidelium mit der Kirche in einem der drei Bande der Kirchengliedschaft Glaube, Sakramente, Leitung (vor allem durch den Papst), die mit der Exkommunikation bestraft würde (cc. 204 f., 209, 751, 1364). Es ging auch nicht um den Entzug der communio hierarchica mit dem Papst, denn Gaillot blieb Mitglied des Bischofskollegiums.275 Stattdessen diente communio hier als Chiffre276 für jenen Ge272 Rundfunkerklärung vom 14. Januar 1995, in: KNA-Dokumentation 2 v. 20. 01. 1995, S. 3 f., hier S. 3. 273 Alexandra Föderl-Schmid, Interview mit Bischof Karl Lehmann. Kein „Los von Rom“, in: Die neue Furche 51 (1995) Nr. 4 v. 26. 01. 1995, S. 14 sowie oben Anm. 99. Nur in der Diktion unterschieden äußerte Erzbischof Dyba: „Wenn man einen Geisterfahrer aus der Autobahn herausholt, dann ist das für die übrigen Verkehrsteilnehmer natürlich eine Wohltat“. Es gebe aber „Grenzen der Narrenfreiheit innerhalb der Kirche“, vgl. KNA – Landesdienst Hessen Nr. 8 v. 28. 01. 1995, S. 2. 274 Karl-Josef Rauber, „Keine Menschenrechtsverletzung im Fall Gaillot“, in: Schweizerisches Katholisches Sonntagsblatt 111 (1995) Nr. 4 v. 19. 02. 1995, S. 9. 275 Vgl. Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 366: „Abgesehen von solchen Fällen, in denen ein Bischof vorsätzlich den Bruch mit der hierarchischen Gemeinschaft von Haupt und Gliedern des Bischofskollegiums herbeiführt, zum Beispiel durch einen schismatischen Akt, ist die Entscheidung darüber, ob ein Bischof noch innerhalb oder schon außerhalb der hierarchischen Gemeinschaft steht, eine Ermessenssache. Es existiert kein Automatismus, der es erlauben würde, die Zugehörigkeit eines Bischofs zur communio hierarchica anhand äußerer Umstände festzustellen. Selbst die Tatstrafe der Exkommunikation müsste zur Vermeidung von Rechtsund Tatsachenzweifeln durch ein Urteil oder ein Strafdekret festgestellt sein, bevor daraus möglicherweise Konsequenzen für die communio hierarchica gezogen werden könnten.“ 276 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs und der Möglichkeit, ständig zwischen seinen verschiedenen Bedeutungsebenen zu wechseln, letztlich aber einen Ordnungsruf zu meinen, vgl.
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horsam und jene Gefolgschaftstreue, die ein Diözesanbischof zugesagt und zu leisten hat und die jederzeit aus Gründen der Kirchenräson eingefordert werden können. Communio wurde verwendet als Inbegriff einer Uniformität in der Lehre und Konformität im Verhalten und als Passepartout, um Missliebige in spiritualisierender Sprache kaltzustellen.277 Die communio ist verletzt, wo der von der päpstlichen Autorität jeweils gezeichnete Rahmen nicht eingehalten wird.278
VI. Ausblick Die Bedeutung des Falls Gaillot geht über die als Versetzung „kaschierte“279 Entfernung eines Diözesanbischofs aus seinem Amt in einem rechtlich nicht transparenten Vorgang280 hinaus. 1. Beamte des Papstes Zum einen erweist sich die immer noch hartnäckig beschworene konziliare Aufwertung der Position eines Diözesanbischofs281 auf’s Neue als vielleicht favorabler, strukturell aber nicht abgesicherter theologischer Wunsch. Bischof Gaillots Eindruck war zutreffend: „Rom betrachtet die Bischöfe als Bevollmächtigte einer Regierung, die die Direktiven des Papstes umsetzen.“282 Die so beschriebene Haltung ist allerdings nicht vorwerfbar, sondern systemstimmig. Nach Lehre und Recht der katholischen Kirche stehen nicht nur der Zuschnitt der Gewalt des Diözesanbischofsamtes, die Auswahl der Amtsträger und die Amtsführung, sondern auch der Verbleib im Amt zur primatialen Disposition. Gerade in der jederzeitigen Absetzbarkeit zeigt sich die Parallele mit dem Beamten: „Die Massnahme der Amtsentpflichtung entspricht […] dem allgemeinen menschlichen René Heyer, Le motif de la communion, in: RDC 45 (1995), S. 129 – 132. Für Borras, Tout cela (Anm. 126), S. 59 wirkt sich der Rekurs auf den ambivalenten Begriff ideologisch und verschleiernd aus. 277 Vgl. Messner/Werckmeister, Aspects (Anm. 231), S. 82. 278 Vgl. Jacques Joubert, Communion et primauté, in: RDC 45 (1995), S. 133 – 140, hier S. 140; Lesch, Fall (Anm. 93), S. 40; Rik Torfs, L’affaire Gaillot et la liberté d’expression, in: RDC 45 (1995), S. 93 – 94, hier S. 93. Vgl. für die öffentliche Wahrnehmung auch Peter Schilder, Die Versetzung des Bischofs Gaillot macht niemanden glücklich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 47 (1995) Nr. 14 v. 17. 01. 1995, S. 5: „Offensichtlich wird ihm also ein Verstoß gegen die kirchliche Gemeinschaft vorgeworfen und daraus mangelnde Eignung abgeleitet. Man könnte auch von mangelndem Korpsgeist oder mangelnder Arkandisziplin sprechen. Intern darf zwar auch unter Bischöfen heftig gestritten werden, aber nach außen muß das Bild der Einheit bewahrt werden.“ 279 Klaus Nientiedt, Vatikan: Bischof Gaillot seines Amtes enthoben, in: HerKorr 49 (1995), S. 62 – 64, hier S. 62 und genauso May, Amtsenthebung (Anm. 226), S. 208. 280 Vgl. Messner/Werckmeister, Aspects (Anm. 231), S. 82. 281 Vgl. beispielhafte Belege bei Bier, Rechtsstellung (Anm. 7), S. 13 – 17. 282 Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 32.
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Verhalten. […] Politiker werden abgewählt, Beamte ihres Amtes entbunden, Diplomaten zurückgerufen und Direktoren entlassen.“283 Dass ein Diözesanbischof nach unten wie eine Art Diözesanpapst agieren kann, bleibt eine fragile Kompensation. Sie kann über seine Positionsunsicherheit nicht hinwegtäuschen. Der Diözesanbischof steht nicht nur unter ständiger primatialer und kurialer Kontrolle von oben, sondern auch unter mitbrüderlicher von der Seite und durch Gläubige mit sensiblem Kirchensinn und einem sie zur Mitteilung anhaltenden Gewissen von unten. Dies und die mangelnde Berechenbarkeit primatialen und kurialen Handelns halten die Sanktionsgefahr, die nichtkonformes Verhalten zeitigen kann, im Bewusstsein eines Diözesanbischofs fortwährend wach und hilft zu der in der communio hierarchica gebotenen Zurückhaltung. Wer wie der Diözesanbischof den rechtlich nicht gebundenen dominus canonum zum direkten Oberen hat, dessen Rechtsstellung ist prekär. Die Entfernung des Diözesanbischofs von Evreux rief dies Anfang 1995 für alle Bischöfe in Erinnerung und kann so bewirken, was ein unter Klerikern verbreitetes Bonmot auf den Punkt bringt: Der aufgeregten Forderung des Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, der Papst müsse die aufmüpfigen Bischöfe eines ganzen Landes absetzen, habe der Heilige Vater seelenruhig geantwortet: „Nicht alle, einen.“ 2. Kirchliche Rechtskultur Zum zweiten mahnt der Fall Gaillot, die göttlich verfügte Rechtlichkeit der Kirche, ihren Charakter als Rechtskirche284, nicht als Rechtsstaat misszuverstehen, zu dem „wesentlich“ gehört, „daß das Oberhaupt unter Gesetzen stehe“285, und der so aufhört „Gewalts-Staat“286 zu sein. Nach kirchlicher Glaubensüberzeugung wollte Gott die katholische Kirche in der Rechtsform einer klerikalen Wahlmonarchie. In ihr wird die „Höchstgewalt des Papstes […] auch durch seine eigene Gesetzgebung nicht eingeschränkt.“ Vielmehr ist er „den kodikarischen Auslegungsregeln gegenüber souverän. Er kann kirchliches Recht jederzeit ändern, außer Kraft setzen, neu deuten oder fallweise unbeachtet lassen“287 oder seinen Verwaltungsorganen erlauben, vom Gesetz abzuweichen.288 Er kann sich an das Kirchenrecht halten, muss es 283
Rauber, Menschenrechtsverletzung (Anm. 274), S. 9. Vgl. VatII LG 8. 285 Johann Philipp Achilles Leisler, Natürliches Staatsrecht, Frankfurt a. M. 1806, S. 44. 286 Vgl. Carl v. Rotteck/Carl Welcker (Hrsg.), Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, 3. Bd., Altona 21846, S. 527. 287 Georg Bier, Kirchliche Rechtskultur. Vom Umgang mit dem Recht in der Kirche, in: Thomas Böhm (Hrsg.), Glaube und Kultur. Begegnung zweier Welten?, Freiburg i. Br./Basel/ Wien 2009, S. 203 – 228, hier S. 208. 288 Einen spezifischen Ausdruck findet dies auch in der Grundordnung für die Kurie: Sie hat „auf der Grundlage des Rechts“ zu arbeiten, „jedoch stets in pastoraler Form und nach pastoralen Gesichtspunkten und bedacht sowohl auf die Gerechtigkeit als auch auf das Wohl der Kirche wie auch besonders auf das Heil der Menschen“ (Art. 15 PastBon). Dabei kenn284
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aber nicht. „Für den Papst ist das kirchliche Recht nur gestaltendes Werkzeug, nicht übergeordnete Autorität“289. Er könnte die Kirche und insbesondere den Klerus statt durch abstrakte Normen auch durch konkreten und persönlichen Zuruf leiten290, eben wie die Nota explicativa praevia der Kirchenkonstitution lehrt: nach Gutdünken.291 Primatiales Handeln ist auch gegen den Codex legal. Der Papst ist „Herr des Gesetzes“. Recht und gerecht ist, was in seiner nur Gott verantwortlichen Einschätzung jeweils dem Seelenheil, das vom Wohl der Kirche nicht zu trennen ist292, dient. Dem entspricht, dass in der gesamten amtlichen Behandlung des Falles Gaillot, soweit sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, an keiner Stelle ein Canon des geltenden Kirchenrechts eine Rolle spielt. In Umkehrung eines berühmten Satzes gilt für die Kirche: „A government of men, not of laws.“293 Das haben Katholiken nicht zu kritisieren, sie sollten es aber im Sinne eines rational verantworteten Glaubens nicht ausblenden, sondern realisieren, um so zu jener Haltung zu finden, die auch angesichts der Maßregelung Gaillots empfohlen wurde: „Es wird in der Kirche immer Entscheidungen geben, deren Gründe vielleicht nicht genügend einsichtig sind oder die anzunehmen schwer fällt. Unser Glaube an die Führung des zeichnet „pastoral“ nichts anderes als die „Teilhabe an der universalen Sendung des Papstes“ (ebd., Art. 33); vgl. so bereits Rosalio Castillo Lara, Reforma de la Curia Romana y pastoralidad, in: Herbert Schambeck (Hrsg.) Pro Fide et Iustitia. FS Agustino Casaroli, Berlin 1984, S. 229 – 242, hier S. 238. 289 Hans Barion, Sacra Hierarchia. Die Führungsordnung der katholischen Kirche, in: Werner Böckenförde (Hrsg.), Hans Barion. Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, Paderborn 1984, S. 153 – 180, hier S. 163. 290 Vgl. ebd. 291 Vgl. Nr. 4 NE. 292 Vgl. Peter Erdö, Die Funktion der Verweise auf das „Heil der Seelen“ in den zwei Gesetzbüchern der katholischen Kirche, in: öarr 49 (2002), S. 279 – 292. 293 Der Satz „A government of laws, not of men“ wurde zum geflügelten Wort durch John Adams (1735 – 1826). Im siebten seiner „Letters of Novanglus“ (Briefe eines Neu-Engländers) (1775), einer Serie von Zeitungsaufsätzen, monierte er mit der Formulierung: „[T]he British constitution is much more like a republic than an empire. […] [A] government of laws, and not of men“ die Behandlung der amerikanischen Kolonisten durch England als Verstoß gegen britisches Recht, vgl. John Adams, Novanglus: or: a History of the Dispute with America, from its origin, in 1754, to the present time, in: Charles Francis Adams (Hrsg.), The works of John Adams, second president of the United States: with a life of the author, notes and illustrations, 4. Bd., Boston 1850 – 1856, S. 106. Die Wendung machte erneut Furore als wegen des Watergate-Skandals mit Richard Nixon am 9. August 1974 erstmals ein amerikanischer Präsident zurücktrat und sein am selben Tag vereidigter Nachfolger Gerald R. Ford in einer kurzen Antrittsrede erklärte: „My fellow Americans, our long national nightmare is over. Our Constitution works. Our great Republic is a government of laws and not of men. Here the people rule.” (Gerald R. Ford, Remarks on Taking the Oath of Office. August 9, 1974, in: Office of the Federal Register, National Archives and Records Administration [Hrsg.], Gerald R. Ford. 1974: containing the public messages, speeches, and statements of the president, August 9 to December 31, 1974 [= The Public Papers of the Presidents of the United States], Washington, D.C., 1975, S. 1 – 3, hier S. 2). Gemeint war, dass Nixon sich als Präsident zu illegalem Verhalten berechtigt, also über dem Gesetz stehend, sah. Eine preisgekrönte dramaturgische Aufarbeitung bietet der Film: „Frost/Nixon“ von Ron Howard (2008).
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Heiligen Geistes muß uns da mit Hoffnung erfüllen und unsere Liebe zur Kirche mit Geduld.“294
Da die Kirche zwar nach ihrem Selbstverständnis nicht rechtlich295, wegen des geistlichen Charakters ihrer Sanktionen aber faktisch eine „Kirche der freien Gefolgschaft“ ist, muss sie ein Interesse an der freien und einsichtigen Annahme ihrer Entscheidungen haben und den behaupteten Dienstcharakter kirchlicher Autorität erkennbar halten. Deshalb bleiben die von Helmuth Pree behutsam formulierten Desiderate an kirchliches Leitungshandeln aktuell: „In objektiver Hinsicht verlangt der Dienstcharakter der hierarchischen Autorität jedenfalls einen dialogisch-kommunikativen Führungsstil, der die vom Leitungsamt Betroffenen nach dem Maß des Möglichen miteinbezieht, und darauf angelegt ist, die freie Annahme der Entscheidungen und Verfügungen zu erreichen; die subjektiven Rechte effektiv schützt; Transparenz walten lässt, soweit nicht berechtigte Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen; sich selbst an Recht und Gesetz bindet (Legalität), um auch nur jeden Anschein von Willkür zu vermeiden und die Ausübung der Leitungsgewalt als objektiv und sachlich auszuweisen.“296
Die Forderung nach Rechenschaft über die rechtlichen Grundlagen ihres Vorgehens und die Gewährleistung rechtlicher Überprüfung scheint die Bischofskongregation als Beeinträchtigung von Autorität zu verstehen. Dabei wird übersehen, dass die rechtliche Überprüfbarkeit von Verwaltungshandeln gerade autoritätsstärkend wirkt. Sie stellt nämlich die Legitimation und Rechtmäßigkeitsvermutung zugunsten von Behörden sicher. In einer Rechtskultur, in der nicht nur deklariert, sondern begründet wird, stabilisieren sich die Autoritätsansprüche der Amtsinhaber.297 Und für Kanonisten verringerte sich die Herausforderung, die rechtliche Verfasstheit einer communio zu vermitteln, in der, was nach Willkür aussieht, rechtlich gedeckt ist. Ein Signal für die Ausübung des Petrusdienstes könnte es auch heute noch sein, wenn der Papst motu proprio, die damaligen Vorgänge rechtlich überprüfen ließe, wenigstens klarstellte, dass es eine approbatio in forma specifica gab oder nicht und die Vorwürfe zwar vielleicht materiell berechtigt waren, es aber formelle Fehler gab. Vielleicht erschiene aber auch manches heute in einem anderen Licht, so dass 294
Rauber, Menschenrechtsverletzung (Anm. 274), S. 9. Vgl. Communicationes 14 (1982), S. 132. 296 Pree, Leitungsgewalt (Anm. 143), S. 50. Vgl. auch Rehak, Jurisdiktionsprimat (Anm. 230), S. 445, der die Mahnung Benedikts XVI. in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag, sich auch bei Erfolg nicht zur Trennung von Macht und Recht verleiten zu lassen, „mutatis mutandis“ auch für die kirchliche Autorität gelten sieht. Bischof Morris sieht nach wie vor seine Rechte missachtet: „I was deprived of natural justice as I was in no way able to appeal the judgements or decisions that were made“ (Morris, Benedict [Anm. 4], S. XIII) und „I was denied natural justice and my reputation as a bishop […] was called into question and yet I could do nothing“ (ebd., S. XIV). 297 Vgl. Andreas Habisch, Kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit? Sozialphilosophische Überlegungen zu einem bleibenden Desiderat, in: AfkKR 162 (1993), S. 427 – 450, hier S. 442 – 450. 295
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die Bitte erfüllt werden könnte, die am 6. Januar 2014 brieflich an Franziskus gerichtet wurde: „In Ihren Anregungen, Folgerungen und Forderungen folgen Sie in Wort und Tat, mit Verlaub gesagt dem, was Bischof Jacques Gaillot vor über 30 Jahren mit großem Freimut verkündet und von seiner Kirche erwartet hat. Deswegen wurde er 1995 von Johannes Paul II., den Sie in diesem Jahr heilig sprechen werden, aus dem Amt gedrängt. Doch zuvor gilt es nach dem Rechtsbewusstsein des gläubigen Volkes, das Unrecht gegen diesen ehemaligen Bischof von Evreux, das sich am 13. Januar jährt, gut zu machen. Aus ganzem Herzen, um der Glaubwürdigkeit unserer Kirche willen, und weil ich mit dem Bischof in Freundschaft verbunden bin, bitte ich Sie, Jacques Gaillot voll und ganz zu rehabilitieren. Das wäre ein erster, wichtiger Schritt, denn die Liste der Frauen und Männer, die seit dem Ende des 2. Vatikanischen Konzils, solches Unrecht angetan wurde, ist lang.“298
Dem müsste nicht entgegenstehen, dass der verantwortliche Papst Johannes Paul II. bereits als heilig zu verehren ist.299 Denn wie dieser selbst bei der viel kritisierten Seligsprechung Pius IX.300 erklärt hatte, feiert die Kirche bei Selig- und Heiligsprechungen nicht bestimmte historische Entscheidungen des Kandidaten, sondern seine vorbildhaften Tugenden.301 298 Vgl. Pfarrer i. R. Roland Breitenbach (Schweinfurt), Anschreiben an Franziskus vom 6. Januar 2014. Es wurde dem Verf. freundlicherweise vom Absender zur Verfügung gestellt (Abdruck in: Ja. Die neue Kirchenzeitung 19 [2014], Nr. 4 v. 26. 01. 2014, S. 3). Hans Küng, Foreword, in: Morris, Benedict (Anm. 4), S. XI f., hier S. XII meint: „If Pope Francis wants to help the poor, he should also show mercy and justice to those that have suffered under the constraints of the Roman system.“ 299 Vgl. AAS 106 (2014), S. 359 – 361. 300 Vgl. Norbert Lüdecke, Kidnapping aus Heilssorge? Der lange Schatten des Edgardo Mortara, in: Reinhold Boschki, Albert Gerhards (Hrsg.), Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft. Neue Perspektiven für den jüdisch-christlichen Dialog (= Studien zum Judentum und Christentum), Paderborn u. a. 2010, S. 303 – 320, hier S. 317 – 320. 301 Vgl. Johannes Paul II., Homilie vom 3. September 2000, in: AAS 92 (2000), S. 779 – 782, hier S. 779 f. Die bisherige Amtsführung Franziskus’ lässt ein mangelndes Bewusstsein für seine Primatialgewalt nicht erkennen. So hat er am 26. März 2014 den am 20. Oktober 2013 angebotenen Amtsverzicht des Bischofs von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, angenommen, obwohl dieser nach c. 189 § 3 bereits jede Rechtskraft verloren hatte. Zuvor hatte Franziskus nach Annahme des Rücktritts des Erzbischofs von Freiburg, Robert Zollitsch, diesen gemäß c. 419 zum Apostolischen Administrator des Erzbistums ernannt und ihn zugleich gegen Art. 29 Abs. 3 des Statuts der Deutschen Bischofskonferenz im Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz bis zum Ende seiner Amtsperiode im März 2014 belassen, vgl. Abl. Freiburg 81 (2013), S. 171. Am 25. September 2014 teilte der Vatikanische Pressesaal die Ablösung des Bischofs vom Ciudad del Este (Paraguay), Rogelio Ricardo Livieres Plano, mit. Nach einer Apostolischen Visitation seitens der Kongregationen für die Bischöfe und den Klerus habe der Papst die Diözese zum Wohl der größeren Einheit der Kirche für vakant erklärt und einen Apostolischen Administrator ernannt (http://press.vatican. va/content/salastampa/de/bollettino/pubblico/2014/09/25/0673/01500.html [Stand: 27. 03. 2015]). Der aus seinem Amt entfernte Bischof hat sich am selben Tag in einem Schreiben an den Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, Marc Kardinal Ouellet, über das Vorgehen beschwert: Seine Ablösung habe der Präfekt ihm telefonisch mitgeteilt, während zeitgleich der Apostolische Nuntius in Paraguay sie öffentlich gemacht habe. Dies vor der Übermittlung
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3. Gewissen vor Amt Bischof Gaillot ist eines nicht, ein Beispiel für jene „Tragödien des schwachen Gewissens“, die sich dort abspielen, wo die Lehre der Kirche oder die Härte ihres Rechts „mit seinen Strafen auf einen Verstand und einen Willen treffen, die weder die Kraft haben, das eigene Ich mit seinen subjektiven Meinungen und Strebungen in die objektive Gemeinschaft der katholischen Kirche einzufügen, noch die entgegengesetzte Kraft, das eigene Gewissen über die Lehre der Kirche zu stellen, wenn es von ihr abweicht.“302 Bischof Gaillot ist konsequent seinem – in amtlicher Sicht als irrend geltenden – Gewissen gefolgt.303 Er widersetzt sich bis heute der Ekklesionomie des katholischen Gewissens und setzt für sich persönlich auf die für Katholiken amtskirchlich nicht legitime Gottunmittelbarkeit. Möglicherweise ist dies der Grund, warum Bitten um seine Rehabilitierung bisher keinen Erfolg hatten304 und seine eigene Antwort auf die Frage, ob er dies für möglich halte, realistisch ist: „Vielleicht. Nach meinem Tod […].“305 eines Dekrets an den Betroffenen zu tun, sei nicht in Ordnung. Schon über die Apostolische Visitation sei er nie schriftlich informiert worden. Zwar gebe es viele Ansprachen über Dialog, Barmherzigkeit, Öffnung und Dezentralisierung, eine Gelegenheit mit Papst Franziskus zu sprechen und seine brüderliche Ermahnung entgegenzunehmen, habe er gleichwohl nicht erhalten. Er sei lediglich mündlich unter Druck gesetzt worden, seinen Rücktritt anzubieten; ein solches informelles, unbestimmtes und überraschendes Vorgehen ohne Verteidigungsmöglichkeit erscheine ihm nicht gerecht (http://diocesiscde.info/index.php?option=com_content& view=article&id=4080:carta-de-mons-rogelio-al-prefecto-de-la-congregacion-para-los-obis pos&catid=220:comunicados&Itemid=799 [Stand: 27. 03. 2015]). Möglicherweise auch vor dem Hintergrund solcher Kritik hat Franziskus mit Rechtskraft vom 5. November 2014 schließlich auch positiv-rechtlich bekräftigt, die zuständige Autorität könne einen Bischof unter Angabe der Motive und nach seiner Anhörung in einem brüderlichen Dialog auch zum Verzicht auf sein Amt auffordern, vgl. Franziskus, Rescriptum ex audientia Sanctissimi sulla rinuncia dei vescovi diocesani e dei titolari di uffici di nomina pontificia vom 3. November 2014, in: OssRom 154 (2014) Nr. 253 v. 06. 11. 2014, S. 6 Art. 5. Zu dem eher ungewöhnlichen Normtyp vgl. Heribert Schmitz, Rescriptum ex Audientia SS.mi. Ein Beitrag zur Formtypik kichlicher Erlasse, in: MThZ 42 (1991), S. 371 – 394, hier S. 386: „Das ,Rescriptum ex Audientia SS.mi‘ ist also die Aufzeichnung einer gegenüber einem Amtsträger der Römischen Kurie getroffenen mündlichen Entscheidung des Papstes, durch welche die Entscheidung von dem betreffenden Amtsträger nicht nur schriftlich festgehalten, sondern kraft seines Amtes authentisch bezeugt wird.“ 302 Hans Barion, Von der Tragweite des geltenden kanonischen Rechts, in: Böckenförde (Hrsg.), Hans Barion (Anm. 289), S. 285 – 322, hier S. 310. 303 Auf seine Bitte an Johannes Paul II. im März 1995 um eine andere Aufgabe hin, habe ihn am 27. Mai der Apostolische Nuntius in Paris empfangen und ihm mitgeteilt, der Papst sei unter zwei Bedingungen bereit, ihn zu empfangen: Er müsse allein und ohne vorherige Information der Medien kommen und anerkennen, Fehler in der Seelsorge gemacht zu haben. Bischof Gaillot gestand dies nicht, vgl. KNA-M9516140 v. 22. 09. 1995. 304 Auf den Bittbrief an Franziskus erhielt Roland Breitenbach nur eine Eingangsbestätigung (Mitteilung an Verf. vom 17. 07. 2014). 305 Vgl. Gaillot, Sonnenaufgang (Anm. 5), S. 229.
Die pfarrliche Residenz- und Präsenzpflicht angesichts der Neugestaltung der Territorialseelsorge Severin J. Lederhilger „Im Pfarrhof brennt noch Licht“ – diese Schlagzeile drückt die Sorgen und Hoffnungen von Gläubigen aus, die angesichts des zunehmenden Priester- und Pfarrermangels1 in westlichen Ländern befürchten, dass mit den derzeitigen strukturellen Veränderungen der Territorialseelsorge in der katholischen Kirche nicht nur die traditionellen Wohnräume der zuständigen Pfarrseelsorger leer stehen oder anderweitig genutzt werden, sondern dass damit verbunden vor allem die spürbare Nähe der Seelsorgeverantwortlichen zu den Menschen merklich beeinträchtigt wird oder gar verloren geht; ein Problem, das sich übrigens in ähnlicher Weise ebenso für die evangelischen Kirchen stellt2. Durch die Verunsicherung oder den Unmut von Menschen über manche pastorale Gegebenheiten wird damit neuerlich die „Residenz“ als Pflicht des Pfarrers zu einem Prüfstein für kirchliche Reformen und eine gesicherte Qualität der Seelsorge. Dies erscheint zunächst nicht weiter verwunderlich, zählt doch der Beruf des „Pfarrers“ zu jenen Ämtern, die Priestern zur Wahrnehmung der plena cura animarum (c. 150) übertragen werden, um für einen bestimmten Personenkreis die mit der konkreten Hirtensorge (cura pastoralis; c. 519)3 verbundenen Dimensionen des Lehrens, Heiligens und Leitens möglichst umfassend und einheitlich – wenngleich in differenzierter Zusammenarbeit mit anderen – wahrzunehmen.
1 Ulrich Rausch, Kreative Gemeinde: Der Pfarrermangel – und das Ende? Analysen – Modelle – Visionen, Frankfurt 1994: Während es beim Priestermangel um die fehlende Bereitschaft geht, den Priesterberuf anzustreben, wobei dann vor allem Fragen nach den Zulassungsbedingungen thematisiert werden, spricht der Pfarrermangel das für Personalabteilungen besonders relevante Fehlen von Priestern an, die zur Leitung von Gemeinden (und größeren Gemeindeverbänden) befähigt sind, weshalb hier Strukturfragen und Formen kooperativer Zusammenarbeit im Vordergrund stehen. 2 Vgl. die Tagung: „Im Pfarrhaus brennt kein Licht. Die gesellschaftliche Bedeutung des Pfarramtes in der Region“ vom 8. – 10. 11. 2013 in der Evangelischen Akademie zu Berlin. 3 Zur begrifflichen Unterscheidung von „cura animarum“ im Allgemeinen und spezieller „cura pastoralis“ vgl. Ilona Riedel-Spangenberger, Pastoral und Kirchenrecht. Ein ungeklärtes Verhältnis in Wissenschaft und Praxis?, in: Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz (Hrsg.), Communio in Ecclesiae Mysterio (FS W. Aymans, St. Ottilien 2001, S. 503 – 520, 512 – 519; dies., Seelsorger und Sendung in der kirchlichen Rechtsordnung, in: dies./Peter Boekholt (Hrsg.), Iustitia et modestia (FS H. Socha), München 1998, S. 54 – 74, bes. 57 – 67. – Thierry Blot, Le curé, pasteur. Des origines à la fin du XXe siècle. Étude historique et juridique, Paris 2000, hier: S. 402 – 404.
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I. Die bleibende Bedeutung des Konzils von Trient In der historischen Entwicklung mittelalterlicher Pfarreien trug das Benefizialsystem gemeinsam mit dem Inkorporationsrecht (besonderes von Klöstern, Kollegiatstiften und Kapiteln) sowie dem Patronatsrecht wesentlich zur flächendeckenden kirchlichen Durchstrukturierung der Diözesen bei. Doch während das mit dem Amt verbundene Benefizium ursprünglich als materielle Absicherung für die seelsorglich zuständigen Amtsinhaber gedacht war, ergab sich zunehmend eine Verzerrung und Verkehrung der Intention insofern die feudalen Benefizial-Einkünfte selbst zum eigentlichen Ziel der Amtsübernahme wurden, ohne dass man gewillt oder auch nur in der Lage war, die damit verbundenen pastoralen Verpflichtungen persönlich wahrzunehmen.4 In der Kirche des späten Mittelalters hatte man sich dann „daran gewöhnt, die für den Lebensunterhalt des kirchlichen Amtsträgers gegründete Pfründe als Vermögensobjekt und nutzbares Recht, die mit ihr verbundene Amtspflicht [aber] als ablösbar von der Person zu betrachten und durch einen Stellvertreter wahrnehmen zu lassen“, wobei dies sowohl für Bischöfe im Hinblick auf ihre Diözesen als auch für Pfarrer auf der Ebene von Pfarreien zutraf, da diese wegen anderer kirchlicher oder höfischer Dienste Abwesenden regelmäßig um Dispens von der Residenzpflicht ersuchten und diese auch erhielten.5 Der „Pfarrer“ übertrug die konkrete Seelsorge vielfach einem unzureichend besoldeten, jederzeit abberufbaren und damit auch nur mäßig motivierten „Mietpriester“6 als Vikar (Kurat, Leutpriester7), der in
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Vgl. Adolfo Longhitano, La parrocchia fra storia, teologia e diritto, in: A. Longhitano et al. (Hrsg.), La parrocchia e le sue strutture, Bologna 1987, S. 5 – 27, hier: 12 – 17; ders., L’Obbligo della residenza del parroco e la reggenza della parrocchia durante la sua assenza, in: La Parrocchia (Studi giuridici 43), Vatikan 1997, S. 155 – 174; Peter Krämer/Hans Paarhammer, Art. Pfarrei, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= LThK kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, S. 743 – 749; Hans Paarhammer, Art. Pfarrei, in: TRE 26, S. 337 – 347; Rudolf Zinnhobler, Von der Eigenkirche zur Pfarre. Zentrale und dezentrale Tendenzen beim Auf- und Ausbau der Pfarrorganisation, in: ThPQ 141 (1993), S. 167 – 172 mit Verweis auf die grundlegenden Arbeiten von Ulrich Stutz, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens I, Stuttgart 1895, und ders., Ausgewählte Kapitel aus der Geschichte der Eigenkirche und ihres Rechts, in: ZRG KA 57 (1937), S. 1 – 85; Erwin Gatz, Entwicklung und Bedeutung der Pfarrei bis zur Reformation, in: E. Gatz (Hrsg.), Die Bistümer und ihre Pfarreien (Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jh., Bd. 1), Freiburg 1991, S. 29 – 40; Severin J. Lederhilger, Der Pfarrer in der Spannung von normativem Ideal und pastoraler Wirklichkeit. Historisch-kanonistische Bemerkungen, in: Peter Hofer (Hrsg.), Aufmerksame Solidarität (FS Maximilian Aichern), Regensburg 2002, S. 143 – 175, hier: 153 – 156; Heribert Hallermann, Pfarrei und pfarrliche Seelsorge. Ein kirchenrechtliches Handbuch für Studium und Praxis (KStKR 4), Paderborn u. a. 2004, S. 23 – 65. 5 Vgl. Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 2, Freiburg 1957, S. 269 – 300, hier: 269. 6 Vgl. Willibald M. Plöchl, Inkorporation, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann, Bd. 2, Berlin 1978, S. 366 – 368, 366; ders., Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 2, Wien/München 21962, S. 420 – 421. – Die ausbeutende Praxis gerade bei Inkorporationen zählten die deutschen Reichsstände 1522/23 dann
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seinem Auftrag alle pastoralen Aufgaben zu erfüllen hatte. Der Missstand der (bereits vorhersehbaren) Vernachlässigung der Residenzpflicht durch den Amtsinhaber wurde noch gesteigert durch die (eigentlich ebenfalls unzulässige) Praxis der Pfründenanhäufung, also der Vereinigung mehrerer Benefizien in einer Hand, wobei man das kanonische Kumulationsverbot8 umging durch eine stark interessen- und gebührengeleitete Ausweitung kurialer Dispensmöglichkeiten, durch die formale Union von (unvereinbaren) Pfründen oder durch die Inkorporation in bzw. Übertragung des Amtes an juristische Personen (Propsteien, Abteien9, Kapitel, Universitäten etc.).10 Dieser „Fiskalismus“ verdrängte den für die Kirche vitalen Gesichtspunkt der Seelsorge, dass das Kirchenamt doch wesentlich ein Hirtenamt ist, weshalb das kirchliche Leben gerade durch „die Vernachlässigung der Residenzpflicht durch Bischöfe und Pfarrer, die als Beamte an der Kurie, im Hofstaat eines Kardinals oder eines Fürsten lebten und zwar die Einkünfte ihrer Benefizien genossen, an Ort und Stelle aber sich […] vertreten ließen“11, eine religiöse12 – und mitunter auch materielle – Verarmung erfuhr. Für den Pfarrerberuf zählen die Wortverkündigung und die Spendung der Sakramente zu den grundlegenden Aufgaben und seelsorgerlichen Verpflichtungen, die aus gutem Grund mit einer gewissen Einschränkung in der Lebensführung insofern verbunden sind, dass eine angemessene stabilitas loci die möglichst jederzeitige Erreichbarkeit gewährleisten soll, wobei die daraus resultierende Residenzverpflichtung über eine rein physische Anwesenheit hinaus zugleich die aktive Dimension zu den 100 „Gravamina nationis germanicae“ (c. 86); vgl. Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 5, Wien/München 1969, S. 159 – 160. 7 Mitte des 12. Jh. taucht für den die Seelsorge verwaltenden Kleriker an Kollegiatsstiften der Titel „plebanus“ (in Österreich „Leutpriester“ genannt) auf, der sich in allen deutschsprachigen Diözesen bis ins 16. Jh. verbreitete und noch im 19. Jh. nachweisen lässt. Vom 13.–15. Jh. findet sich in den Urkunden fast gleichbedeutend der Ausdruck „rector ecclesiae“. 8 Vgl. Jürgen Cleve, Inkompatibilität und Kumulationsverbot (AIC 11), Frankfurt u. a. 1999, S. 15 – 26. 9 Vgl. Severin J. Lederhilger, Die inkorporierten Pfarren der Klöster. Nostalgische Besitzstandswahrung im Kontext aktueller Seelsorgestrukturen?, in: Brigitte Schinkele et al. (Hrsg.), Recht-Religion-Kultur (FS R. Potz), Wien 2014, S. 369 – 400, hier: 370 – 379. 10 Vgl. Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 1, Freiburg 21951, S. 332 – 334. 11 Ebd., 333. – Als Ursache der Vernachlässigung der Residenzpflicht ortet Jedin damals ein kirchenrechtliches Strukturproblem (Privilegien, Dispenspraxis, Exemtionen als Hinderungsgründe) und ein moralisches Problem (unentschuldigte Verletzung der „iure divino“ [?] im Gewissen verpflichtenden Weisung): Hubert Jedin, Der Kampf um die bischöfliche Residenzpflicht 1562/63, in: ders., Kirche des Glaubens. Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, Freiburg/Basel /Wien 1966, S. 398 – 413, hier: 401 – 404 (= Remigius Bäumer [Hrsg.], Concilium Tridentinum, Darmstadt 1979, S. 408 – 431). 12 Nicht von ungefähr beginnt die Diskussion am Konzil von Trient im März 1546 mit der Forderung, dass die Predigt wieder Sache der Bischöfe und Pfarrer werden müsse, die dafür eingesetzt sind, was aber ohne Residenz nicht möglich sei. Tatsächlich lag die Predigt (nicht nur in den romanischen Ländern) in den Händen der Mönche, vor allem der Bettelorden. – Vgl. H. Jedin, Der Kampf (Anm. 11), S. 399 – 400.
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des Hirten- und Vorsteherdienstes stets mit umfasst.13 Schon die ersten ökumenischen und partikularen Konzilien der Kirche fordern, dass die geweihten Amtsträger eine bleibende Gemeinschaft mit ihren lokalen Gemeinden wahren müssen, wie dies etwa im vierten Jahrhundert am Nicaenum I (cc. 15 – 16) zum Ausdruck kommt14. Angesichts der vorhin aufgezeigten Entwicklungen wird klar, dass die Frage der Neuordnung und konsequenten Handhabung der Residenzpflicht über den unmittelbaren Kontext der Krise der Reformation hinaus dann zum echten „Angelpunkt der Kirchenreform“15 wurde, an deren Umsetzung das Tridentinum beinahe gescheitert wäre16. Der Streit um die Residenzpflicht am Konzil von Trient führte nämlich zugleich zu weiterreichenden Reformforderungen und zu einer Neuausrichtung des Pfarreiwesens sowie des Pfarrer-Amtes selbst, insofern die Pfarrkirche bzw. die örtliche Gemeinde nun (wieder) als maßgebliches Zentrum der Seelsorge definiert wurde. Darauf bezogen beschrieb man die Rechte und pastoralen Verpflichtungen der dafür bestellten Pfarrseelsorger, insofern der rector ecclesiae paroecialis im umfassenden Sinn persönlich zuständig und verantwortlich erklärt wurde.17 Eine genaue Beschreibung der Pfarreigrenzen, die finanzielle Absicherung sowie die Definition der Zuständigkeitsbereiche von Verantwortungsträgern mit gegebenenfalls nötiger Zuweisung eines präsenten eigenen Pfarrers [suum perpetuum peculiarumque parochum] vermochte auch eine erste Klärung im Konflikt zwischen Welt- und Ordenspriestern
13
Vgl. Peter von Tiling/Isolde Karle, Art. Residenzpflicht, in: RGG4 7 (2004), 457 – 458; Adolfo Longhitano, Art. Residencia [obligación de], in: Javier Otaduy et al. (Hrsg.), Diccionario General de Derecho Canonico, Bd. 6, Navarra 2012, S. 975 – 979, hier: 975, 978. 14 Vgl. Josef Wohlmuth (Hrsg.), Conciliorum Oecumenicorum Decreta. Dekrete der Ökumenischen Konzilien, Bde. 1 – 3, Paderborn u. a. 32002 [COD], hier: Bd. 1, S. 13 – 14 (Kleriker, die von einer Stadt in eine andere wechseln; Solche, die nicht in den Kirchen verbleiben, für die sie bestellt worden sind). 15 H. Jedin, Geschichte, Bd. 2 (Anm. 5), 267, vgl. S. 267 – 315. Zunächst ist dabei die „bischöfliche“ Residenzpflicht angesprochen, doch ist diese (vermögensrechtlich und kirchenpolitisch) aufs engste auch mit der Einforderung der „pfarrlichen“ verbunden. H. Jedin, Der Kampf (Anm. 11), S. 399: „Bischöfe und Pfarrer sind die Träger der ordentlichen Seelsorge, der Einsatz des Pfarrers ist nicht weniger wichtig als der des Bischofs. Aber es liegt auf der Hand, dass eine geordnete und wirksame Pfarrseelsorge die Leitung und Aufsicht des Bischofs voraussetzt, dessen Gehilfe der Pfarrer ist. Die Residenzpflicht der Bischöfe war also das Zentralproblem, aber niemals hätte es das Konzil so erregen können, wenn es nicht zugleich ein ekklesiologisches Problem gewesen wäre“. 16 Vgl. Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 4/1, Freiburg 1975, S. 116 – 138 (Die Residenzkrise), S. 237 – 263 (Die große Krise). 17 Vgl. René Metz, Le cadre territorial ou personnel de la paroisse d’apres les schémas du concile de Trente, in: Jan Lindemans/Hubert Demeester (Hrsg.), Liber Amicorum Monseigneur Onclin, Gembloux 1976, S. 1 – 12; Heribert Schmitz, Pfarrei und ordentliche Seelsorge in der tridentinischen und nachtridentinischen Gesetzgebung, in: E. Gatz (Hrsg.), Die Bistümer (Anm. 4), S. 41 – 50; Thomas Kellner, Kommunikative Gemeindeleitung, Theologie und Praxis, Mainz 22000, S. 31 – 39, 38 f.; Pier Virginio Aimone, La parrocchia nel secondo millenio, in: La parrocchia (Quaderni della MENDOLA 13), Mailand 2005, S. 35 – 86.
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hinsichtlich der Zuständigkeit in der Pfarrseelsorge herbeizuführen.18 Die Ausbildung der Priester, die bislang oft nur in der Hausgemeinschaft eines erfahrenen Pfarrers passierte, musste nun verpflichtend im Priesterseminar19 erfolgen und zur Eignungsfeststellung für die (konkrete) Pfarrleitung wurden Examina eingeführt.20 Einer geordneten pfarrlichen Seelsorge diente zudem der vermehrte Einsatz von weiteren Priestern, vor allem dort, wo der Pfarrer selbst seinen Aufgaben nicht (mehr) angemessen nachzukommen vermochte. Und vor eben diesem pastoralen Hintergrund wurde vom Trienter Konzil die Residenzpflicht (erneut) eingemahnt, denn es sollte nicht länger eine bloß rechtliche Zuständigkeit einer physischen oder juristischen Person geduldet werden, vielmehr wollte man die aktuelle Präsenz21 eines verantwortlichen Priesters als „Pfarrer“, dem die unmittelbare Seelsorge für die Gläubigen anvertraut wird, die er daher auch kennen und denen er „mit väterlicher Sorge“ (curam paternam gerere) begegnen soll.22 Die Pflicht zur Messapplikation pro populo sollte das feste Band zwischen dem Pfarrvolk und seinem Hirten noch betonen. Für die Pfarrpastoral und die diesbezügliche Gesetzgebung ist das Konzil von Trient letztlich von maßgeblicher und bleibender Bedeutung geworden, denn es „leitete durch die Bestimmungen über die pfarrlichen Seelsorgestrukturen wie durch die Stärkung der Stellung der Pfarrer eine neue Phase der Geschichte der Pfarrseelsorge 18 Vgl. Sess. XXIV, c. 13 de reformatione (COD 3 [Anm. 14], S. 767 – 768); Heribert Schmitz, Pfarrei und Gemeinde, in: AfkKR 148 (1979), S. 48 – 71, 48 f.; Wolfgang Beck, Die unerkannte Avantgarde im Pfarrhaus, Berlin 2008, S. 22 – 27: „So brachte das Nebeneinander von Pfarrseelsorge und Klöstern in den Städten des ausgehenden Mittelalters das Problem einer starken Konkurrenzsituation mit sich, die für die Pfarrer eine Gefährdung ihrer materiellen Existenz bedeutete. Neben der Dispenspraxis bezüglich der Residenzpflicht war eine inhaltlich wie auch territorial nicht genau bestimmte Pfarreistruktur die Ursache für zunehmende Probleme in der Pfarrseelsorge, denen das Konzil von Trient mit einer Neubestimmung der Pfarrei begegnete“ (S. 24). 19 Vgl. Sess. XXIII, c. 18 de reformatione (COD 3 [Anm. 14], S. 750 – 753). 20 Vgl. Sess. VII, c. 13 de reformatione (COD 3 [Anm. 14], S. 689: Kandidatenprüfung); Sess. 24, c. 18 de reformatione (COD 3 [Anm. 14], S. 770 – 772: Kandidatenbestellung für vakante Pfarreien) – Mit Einführung des Pfarrkonkurses erhielt der Bischof eine wesentliche Einflussmöglichkeit auf die Besetzung jener Pfarren mit gebundener Verleihung. Zudem ermöglichten die jetzt vorgeschriebenen Pfarrvisitationen rechtzeitig notwendige Veränderungen. 21 Bei voll inkorporierten Pfarren sprach man vom parochus actualis, der als „Pfarrvikar“ zwar vom Inkorporationsträger bestellt, dessen pastorale Eignungsprüfung aber vom Ordinarius vorgenommen wurde, im Gegensatz zur juristischen Person, die das bepfründete PfarrerAmt (vertreten durch den jeweiligen Oberen) innehatte und die man parochus habitualis nannte. 22 Vgl. Sess. XXIII, c. 1 de reformatione (COD 3 [Anm. 14], S. 744 – 746). – In diesem Kontext ist das traditionelle Verbot einer Mehrzahl von Priestern als Haupt derselben Pfarrgemeinde zu sehen, was ekklesiologisch durch das Bild einer „monogamen“ Beziehung unterstrichen wurde. So hieß es auf dem Konzil von Trient: „Parochorum pluritas a iure prohibita est, ob inconveniens, ne una mulier duos vel plures habeat viros“; zit. nach T. Blot, Le curé (Anm. 3), S. 91 – 92; Peter Schappert, Solidarische Pfarrseelsorge. Möglichkeiten und Bewertung in der neuklassischen Kanonistik, St. Ottilien 1990.
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ein“23. Konstitutiv für die folgende Praxis wurde jene im letzten Moment in einer Kompromissformel – vor allem bezüglich der göttlich-rechtlichen Verankerung – verabschiedete „Einschärfung der Residenzpflicht“ für Bischöfe und Pfarrer. Da der diesbezügliche Abschnitt sowohl die Probleme aufzeigt als auch den Lösungsansatz begründet, soll er hier ausführlich wiedergegeben werden: „Da durch göttliche Weisung [praecepto divino] allen, denen die Seelsorge anvertraut ist, geboten ist, ihre Schafe zu kennen, für sie das Opfer darzubringen, sie durch die Verkündigung des Wortes Gottes, durch die Verwaltung der Sakramente und durch das Beispiel aller guten Werke zu weiden, wie ein Vater für die Armen und die anderen Elenden Sorge zu tragen und sich den übrigen pastoralen Aufgaben zu widmen – dies alles kann keineswegs von denen erfüllt werden, die über ihre Herde nicht wachen und nicht bei ihr sind, sondern sie nach Art der Taglöhner verlassen –, ermahnt sie die hochheilige Synode eindringlich, der göttlichen Gebote eingedenk zu sein und die Herde als ihr Vorbild in Gerechtigkeit und Wahrheit zu weiden und zu führen. Damit aber das, was bereits früher […] über die Residenz festgelegt wurde, nicht in einen Sinn verdreht wird, der dem Geist der hochheiligen Synode zuwiderläuft, […] erklärt [diese …], dass alle, die irgendwelchen Patriarchats-, Primats-, Metropolitan- und Kathedralkirchen unter welchem Namen oder Titel auch immer vorstehen, seien sie auch Kardinäle der hl. Römischen Kirche, in ihrer Kirche oder Diözese zur persönlichen Residenz verpflichtet sind, wo sie die ihnen auferlegte Aufgabe zu erfüllen haben und nicht abwesend sein dürfen außer aus Gründen und mit den Modalitäten wie unten beschrieben. Nun können freilich die christliche Nächstenliebe, eine dringende Angelegenheit, eine Gehorsamsverpflichtung und ein offensichtlicher Vorteil für die Kirche oder das Gemeinwesen die Abwesenheit bisweilen erfordern und verlangen. [… Genehmigung, Dauer …] Sie nehmen darauf Rücksicht, dass [die Abwesenheit] aus gerechtem Grund geschieht und ohne jeden Schaden für die Herde. Ob dies tatsächlich so ist, überlässt die Synode dem Gewissen der Abwesenden, von dem sie hofft, dass es gläubig und ehrfürchtig ist, da die Herzen offen vor Gott liegen, dessen Werk nicht betrügerisch zu verrichten sie auf eigene Gefahr gehalten sind. [… Ausnahmezeiten, Strafen …] Genau dasselbe erklärt und beschließt die hochheilige Synode – auch hinsichtlich der Schuld, des Ertragsverlustes und der Strafen – für Seelsorger niederen Ranges und alle anderen, die ein kirchliches Seelsorgebenefizium innehaben. Dies gilt jedoch in der Weise, dass sie im Falle ihrer Abwesenheit zuvor den Bischof vom Grund in Kenntnis setzen und dessen Billigung einholen sowie einen geeigneten Vertreter, der vom Bischof anerkannt wird, mit entsprechender Lohnzuweisung zurücklassen. Die Abwesenheitserlaubnis, die schriftlich und unentgeltlich zu gewähren ist, erhalten sie nicht über einen Zeitraum von zwei Monaten hinaus, außer ein schwerwiegender Grund liegt vor. [Strafen …] Die Vollstreckung kann durch nichts verhindert werden, weder durch ein Privileg, eine Erlaubnis, durch Familiarität oder Exemtion, noch kraft irgendeiner Wohltat, noch durch einen Vertrag, ein Statut […], noch durch eine Gewohnheit, auch eine unvordenkliche, die eher als Verderbnis zu betrachten ist, noch durch eine Appellation oder Inhibition, auch an der römischen Kurie [… Veröffentlichung …].“24 23
H. Schmitz, Pfarrei und ordentliche Seelsorge (Anm. 17), S. 47. Sess. XXIII, de reformatione, c. 1 (COD 3 [Anm. 14], S. 744 – 746); vgl. Sess. VI, cap. 1 – 2 (COD 3 [Anm. 14], S. 681 – 683: Residenzpflicht der Bischöfe bzw. des niederen 24
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Trotz der klaren Worte des tridentinischen Konzilsdekretes gestaltete sich die administrative Anwendung sehr zögerlich, da die Kurie sich auf eine formale Interpretation der Bestimmungen verlegte, um die bestehende Situation nicht verändern zu müssen, wobei man sich auf fortgeltende Strukturen (etwa bei Inkorporations-Pfarreien) berufen konnte.25 Dennoch wurde mit der detaillierten Beschreibung der Amts-Rechte und -Pflichten, einer sorgfältigeren Auswahl und Bestellung von geeigneten Priestern sowie durch die explizite Verwiesenheit der Bevölkerung auf ihren eigenen Pfarrer, der umgekehrt das biblische Vor-Bild des „guten Hirten“ (Joh 10, 12 – 13) anzustreben hatte, jenes Modell eines pfarrlichen Seelsorgers entworfen und gefördert, der alle pastoralen Aufgaben in umfassender Weise für die ihm anvertrauten Gläubigen wahrnimmt. „Die Kenntnis der Gläubigen, das heißt die Vertrautheit mit ihren Lebensbedingungen und den daraus abgeleiteten seelsorglichen Erfordernissen, die Spendung der Sakramente, die Verkündigung des Wortes Gottes sowie die caritative Sorge beschreiben [dabei] den umfassenden Bereich der pfarrlichen Seelsorge, der durch weitere Vorschriften des Konzils ergänzt wurde“, worunter man besonders „die unbedingte Residenzpflicht eingeschärft“ hat, was man eben gut mit den höchstpersönlich auszuübenden Seelsorgepflichten begründen konnte.26
II. Die Gesetzgebung des CIC/1917 und die Reform des II. Vatikanischen Konzils Als ersten Abschluss der Entwicklung (zur Beseitigung mancher Missstände) von Pfarrei und Pfarramt übernahm die kirchliche Rechtsordnung trotz oder gerade wegen der gesellschaftlichen Veränderungen im CIC/1917 im Wesentlichen die Vorgaben aus dem Trienter Konzil. Die Pfarrei wurde definiert als ein bestimmter Gebietsteil der Diözese27, dem die Gläubigen aufgrund ihres Wohnsitzes zugeordnet und einem (einzigen) eigenen Pfarrer als Hirten und Seelsorger anvertraut werden (vgl. cc. 216 §1; 460 §2 CIC/1917). In der Tradition des (meist) territorialen Pfarrzwanges wurden die (reservierten) Rechte und Pflichten des Pfarrers genau beschrieben sowie vermögensrechtlich abgesichert durch die Vermögensmassen von Pfarrpfründe und Pfarrkirchenstiftung (vgl. cc. 451 – 470 CIC/1917). Klerus). – Für die Anwendung der Regelungen wurde eine eigene „Kongregation für die Residenz der Bischöfe“ errichtet. 25 Vgl. A. Longhitano, L’Obbligo (Anm. 4), S. 158 – 161. 26 H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 56 – 59, hier: 57. 27 Francesco Coccopalmerio, Il concetto di parrocchia, in: A. Longhitano et al. (Hrsg.), La Parrocchia e le sue strutture (Anm. 4), S. 29 – 82, warnt allerdings vor allzu schematischen Vereinfachungen, denn auch zur Zeit des CIC/1917 wurde die Pfarre nicht allein auf einen Verwaltungsbezirk begrenzt. Zum einen sei die Bezogenheit zur Teilkirche herauszustellen und zum anderen auf das komplexe Konzept einer „organizzazione pastorale della Chiesa“ zu verweisen, bei dem die Gläubigen allerdings meist passiv blieben. Gelegentlich wurde die Pfarre über eine positivistische Codex-Interpretation hinaus aber auch schon als „insieme di fedeli“ im Blick auf die Seelsorge verstanden (S. 32; vgl. 32 – 57).
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Das Pfarramt zählte demnach zu den „Residentialbenefizien“ (c. 1411 n.3 CIC/ 1917), weil die mit dem Amt verbundene Seelsorge gemäß c. 465 §§1 – 6 CIC/ 1917 notwendiger Weise die Residenz des Pfarrers (c. 451 CIC/1917)28 erforderte, die nicht durch einen Stellvertreter, sondern persönlich wahrzunehmen war.29 Detailliert wurde ausgeführt, dass das Pfarrhaus als Amtssitz nahe der Kirche gelegen sein sollte, wobei der Ordinarius erlauben konnte, dass der Pfarrer in begründeten Fällen (iusta de causa) auch anderswo wohnt, allerdings nicht allzu weit entfernt von der Pfarrkirche, damit die Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht darunter leidet (c. 465 §1 CIC/1917). Es stand dem Pfarrer ein Urlaub von höchstens zwei Monaten zu, der zusammenhängend oder mit Unterbrechungen angetreten werden konnte, sofern nicht aufgrund besonderer Umstände vom Ortsoberhirten eine Verlängerung (z. B. zur Ausheilung einer Krankheit) zugestanden oder eine Verkürzung (z. B. wegen einer pastoralen Notsituation) angeordnet wurde (§2). Dabei rechnete man die jährlichen Exerzitientage nicht in die Ferienzeit ein (§3). Vor jedem Urlaubsantritt und jeglicher Abwesenheit über eine Woche hinaus musste die schriftliche Erlaubnis des Ortsordinarius (bei Ordensgeistlichen zusätzlich vom Superior) eingeholt und zugleich ein vicarius substitutus als Stellvertreter bestellt werden, der vom Ordinarius – und sofern der Pfarrer ein Religiose war, überdies vom Ordensoberen – zu bestätigen war, womit dieser dann die nötigen Vollmachten erhielt30 (§4). Ergab sich die plötzliche und dringliche Veranlassung, die Pfarrei über eine Woche zu verlassen, musste der Pfarrer den Ortsordinarius umgehend schriftlich davon in Kenntnis setzen unter Angabe der Gründe und des Namens des vorläufigen Vertreters; über die Rechtmäßigkeit der Abreise hatte der Ortsoberhirt zu befinden und konnte gegebenenfalls weitere Weisungen erteilen (§5). Auch bei kürzen Abwesenheitszeiten musste für die Gläubigen in angemessener Weise vorgesorgt sein, insbesondere wenn spezielle Umstände (etwa schwerkranke Personen in der Pfarrei) dies erforderten (§6). Bei schuldhafter Verletzung der Residenzpflicht war der bepfründete Pfarrer gemäß c. 2381 CIC/1917 ipso facto zur Herausgabe der Benefizialfrüchte (an den
28 Auch im CIC/1917 konnte eine juristische Person (Kloster, Kapitel etc.) „Pfarrer“ sein (c. 451 §1), wobei die Residenzpflicht dann aber die einem Pfarrer gleichgestellten Amtsträger betraf, wie Vicarii paroeciales und Quasi-Pfarrer (c. 451 §2), hier also jenen „Pfarrvikar“, der als parochus actualis die Seelsorge für die moralische Person in der Pfarrei wahrnahm. 29 Vgl. Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1, München/Paderborn/Wien 11 1964, S. 474 – 475; Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche, Bd. 1, Paderborn 2 1950, S. 403 – 406; A. Longhitano, L’Obbligo (Anm. 4), S. 161 – 164; T. Blot, Le curé (Anm. 3), S. 490 – 492; . 30 In der Klarstellung der Interpretationskommission vom 14. 7. 1922 heißt es, dass dem „Vicarius substitutus“ (abgesehen von eventueller Delegation) die Vollmacht zur Eheassistenz erst mit der Approbation des Ordinarius zukam, während die Genehmigung des Ordensoberen nicht zur Gültigkeit nötig war; ähnlich im Responsum vom 20. 5. 1923: vgl. AAS 14 (1922), S. 526 – 530, 527 (Ochoa, Leges I, Nr. 439, hier: Sp. 485) und AAS 16 (1924), S. 113 – 116, 114 (Ochoa, Leges I, Nr. 517, hier: Sp. 584).
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Ortsordinarius31) entsprechend der Zeit seiner unrechtmäßigen Abwesenheit verpflichtet und er machte sich überdies strafbar, wofür sowohl das generelle Verfahren wegen Vernachlässigung seiner Amtsplichten (cc. 2182 – 2185 CIC/1917) als auch ein spezielles Verfahren wegen Verletzung der (materiellen) Residenz- bzw. Anwesenheitspflicht in Frage kamen (cc. 2168 – 2175 CIC/1917).32 Obwohl das Zweite Vatikanische Konzil selbst keine umfassende Darlegung der Pfarrei bietet33, bildete sich doch mit der ekklesialen Neubestimmung des PfarrerAmtes innerhalb seiner Gemeinde der wesentlich personale Charakter dieses Seelsorgeamtes als „Grundelement der Pfarrreform“34 heraus. So bestimmt etwa das Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche: „In hervorragender Weise aber sind Mitarbeiter des Bischofs die Pfarrer, denen als eigentlichen Hirten die Seelsorge in einem bestimmten Teil der Diözese unter der Autorität von jenem anvertraut wird. […] Bei der Ausführung dieser Sorge aber sollen die Pfarrer mit ihren Helfern so das Amt des Lehrens, Heiligens und Leitens erfüllen, dass die Gläubigen und die Pfarrgemeinden sich wirklich als Glieder sowohl der Diözese als auch der ganzen Gesamtkirche fühlen. […] Außerdem soll die Seelsorge immer von missionarischem Geist geprägt werden, so dass sie sich in gebührender Weise auf alle in der Pfarrei Lebenden erstreckt. Wenn aber die Pfarrer bestimmte Personenkreise nicht erreichen können, sollen sie andere – auch Laien – zu persönlicher Hilfe rufen, die ihnen in dem, was sich auf das Apostolat bezieht, Hilfe leisten sollen. Um aber ebendiese Seelsorge wirksamer zu machen, wird das gemeinsame Leben der Priester, insbesondere derer, die derselben Pfarrei zugewiesen sind, nachdrücklich empfohlen, das, 31
Dieser sollte den Betrag gem. c. 2381 CIC/1917 der Kirche, einer frommen Anstalt oder den Armen zukommen lassen. 32 Vgl. Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche, Bd. 3, Paderborn 21953, S. 427 – 431 bzw. 434 – 437; Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 3, Paderborn 10 1959, S. 281 – 284 bzw. 286 – 288; Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (KStuT 41), Berlin 1993, S. 277 – 278. 33 Vgl. Paolo Gherri, Art. Párroco, in: Javier Otaduy et al. (Hrsg.), Diccionario General de Derecho Canonico, Bd. 5, Navarra 2012, S. 901 – 907, 902 f., der fünf radikale Veränderungen gegenüber dem tridentinischen Bild des Pfarrers im CIC/1917 benennt: die Abschaffung des Benefizialsystems (PO 20); die Rechtspersönlichkeit der Pfarrei (c. 515 §3); die Einführung des auf den Dienst der Diözese ausgerichteten Institutes der Inkardination (und Sustentation) anstelle des amtsbezogenen Weihe-Titels (PO 10); die Neukonzeption der Hirtensorge innerhalb der Teilkirche im Zusammenwirken von Bischof und Pfarrern (LG 21 f, 30, CD 11, c. 520 §1); die institutionelle Teilnahme der Gläubigen am Pfarrleben (cc. 536 – 537). – Dazu: Ludwig Schick, Die Pfarrei. Beitrag zu einer theologisch-kanonistischen Ortsbestimmung, St. Ottilien 1988; Konrad Baumgartner, Die Neubesinnung auf die Pfarrei als Gemeinde nach dem Ersten Weltkrieg, in: E. Gatz (Hrsg.), Die Bistümer (Anm. 4), S. 115 – 122; Konrad Baumgartner/Erwin Gatz, Entwicklungstendenzen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: ebd., S. 139 – 154; Erwin Gatz, Entwicklungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: ders. (Hrsg.), Der Diözesanklerus (Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 4), Freiburg 1995, S. 218 – 249. 34 Jean-Claude Périsset, Curé et presbyterium paroissial, Rom 1982, S. 289; vgl. A. Longhitano, L’Obbligo (Anm. 4), S. 164 – 167.
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indem es die apostolische Tätigkeit fördert, den Gläubigen ein Beispiel der Liebe und Einheit bietet“35 (CD 30; vgl. PO 8). Diese ganzheitliche Sicht der Pfarrpastoral und das communio-Verständnis der Pfarrei als Ort der gemeinsamen Sendung von Priestern und Laien sind somit „tragende Pfeiler der konziliaren Bestimmungen über die Pfarre“36 geworden. Der Hinweis auf die vita communis bezieht sich hier zwar noch vor allem (praesertim) auf jene Priester, die in einer einzigen Pfarrei zusammenarbeiten, allerdings deuten sich damit schon jene Chancen an, die sich in Folge der Rechtsreform und durch die damit ermöglichten kooperativen Pfarrleitungsmodelle im Zusammenwirken mehrerer Pfarrverantwortlicher und Pfarreien ergeben können. Die historisch bedingte Vervielfachung und Kleinräumigkeit bisheriger pfarrlicher Strukturen in unseren Breiten wurde nämlich angesichts des Priestermangels zunehmend zu einem Problem der für die Pfarrbesetzung zuständigen Personalverantwortlichen, nicht zuletzt im Blick auf die konkreten Erwartungen der Gläubigen hinsichtlich eines eigenen Pfarrers vor Ort. Dies führte in manchen Diözesen zu massiven Pfarrzusammenlegungen und zur Bildung von Pfarreien-Gemeinschaften, welche das traditionelle Gefüge zuweilen gravierend veränderten und für die Gläubigen (noch immer) eine ziemliche Herausforderung darstellen. Diese Entwicklung betrifft aber auch die Priester selbst, die als Pfarrer nicht bloß Funktionäre und Manager beliebig erweiterbarer Verwaltungsbereiche sind, sondern für ihre eigene gesunde Lebenskultur auch eine entsprechende Beheimatung brauchen.37
III. Die Residenz- und Präsenzpflicht der pfarrlichen Seelsorger im geltenden Recht Entsprechend der konziliaren Neubestimmung wird die Pfarrei im geltenden Recht (CIC und CCEO)38 nicht länger als Benefizium (mit der möglichen Unterscheidung von aktueller und habitueller Seelsorge39) oder als bloße Gebietskörperschaft 35
Übersetzung von Peter Hünermann (Hrsg.), Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (HThK II.Vat), Bd. 1, Freiburg/Basel/Wien 2009, S. 268 – 269; vgl. Guido Bausenhart, Theologischer Kommentar zum Dekret über das Hirtenamt der Bischöfe in der Kirche, in: ebd., Bd. 3, S. 281 – 282. 36 Karl-Heinz Selge, Das seelsorgerische Amt im neuen CIC. Pfarrei als Ort neuer kirchl. Ämter? Frankfurt 1991, S. 42, vgl. 39 – 45. 37 Vgl. Paul Winniger, Aus der Mitte der Gemeinde, Freiburg 2003, bes. S. 19 – 29, 55 – 64; Hubertus Brantzen, Lebenskultur des Priesters. Ideale – Enttäuschungen – Neuanfänge, Freiburg 22000, bes. S. 100 – 121; Gisbert Greshake, Priester sein in dieser Zeit. Theologie – pastorale Praxis – Spiritualität, Freiburg/Basel/Wien 22000, bes. S. 222 – 234, 366 – 370. 38 Vgl. cc. 515 – 552 CIC/1983; cc. 279 – 303 CCEO/1990. 39 In c. 520 §1 wird bestimmt, dass eine juristische Person nicht (länger) Pfarrer sein kann; allerdings wurde in Österreich partikularrechtlich noch der vermögensrechtliche Teil des Pfründewesens beibehalten. Vgl. S. Lederhilger, Die inkorporierten Pfarren (Anm. 9), S. 382 – 388.
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verstanden, vielmehr ist sie definitionsgemäß eine „bestimmte Glaubensgemeinde“ (certa communitas christifidelium), die nach verschiedenen territorialen wie personalen Gesichtspunkten umschrieben werden kann (vgl. cc. 518; 813). Nicht zuletzt durch die „Bestimmtheit“ der Gemeinde ist auch einer gewissen „Orthaftigkeit“ und lokalen Verwurzelung der pastoralen Verantwortungsträger sowie den Argumenten einer „raumgerechten Seelsorge“40 in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Zum einen hat nämlich jede/r Angehörige einer Pfarrei das Recht und die Pflicht, sich in pfarrlichen bzw. persönlichen Angelegenheiten vorrangig an seinen zuständigen Pfarrer zu wenden, zum anderen hat der Bischof einen Priester als „eigenen Hirten“ (pastor proprius) möglichst als Pfarrer zu bestellen. Damit dieser sein Amt der umfassenden Hirtensorge in wesentlich kooperativer Weise41 wahrnehmen kann, „um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, Heiligens und Leitens auszuüben, wobei auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien nach Maßgabe des Rechts mithelfen“ (c. 519; vgl. CD 30), ist es notwendig, dass er dort nicht bloß wohnt, sondern tatsächlich präsent und für die Menschen konkret erreichbar ist.42 Dabei geht es neben persönlichen Kontakten auch um die öffentliche Wahrnehmung von Kirche, die im Amt des Pfarrers – wenngleich nicht ausschließlich – einen wichtigen sichtbaren Ausdruck erhält. In diesem Zusammenhang wirken sich dann aber die aktuellen strukturellen Veränderungen in der Territorialseelsorge43 durch verschiedene (sowohl vom Priestermangel als auch durch demographische Veränderungen der Bevölkerung bedingte) Formen der Kooperation, des Verbandes oder der Fusionierung von Pfarreien44 ebenso aus, wie die pastoraltheologischen Konzepte, die tendenziell von einem Ende der bisherigen Gemeindetheologie ausge40 Norbert Greinacher, Raumgerechte Seelsorge, in: Der Seelsorger 35 (1965), S. 191 – 199. – Vgl. Renato Coronelli, La Parrocchia tra comunità e territorio, in: La Parrochia (Quaderni della MENDOLA 13), Mailand 2005, S. 97 – 123; Kongregation für den Klerus, Instruktion „Der Priester Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde“ vom 4. 8. 2002 (VApSt 157), bes. Nr. 18 – 20. 41 Vgl. Heribert Hallermann, Priesterliche Identität gewinnen in Abgrenzung oder in Kooperation?, in: Diakonia 29 (1998), S. 195 – 201, 200 f; Alphonse Borras, La parrocchia. Diritto canonico e prospettive pastorali, Bologna 1997, S. 87 – 102. 42 Die explizite Unterscheidung zwischen Residenz- und Präsenz-Pflicht findet sich durchgängig in den Ordnungen der Evangelischen Kirchen; vgl. etwa Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft, Kassel 2004, S. 49 – 55: „Wer immer nur erreichbar ist, ist noch längst nicht präsent“! (S. 51). 43 Vgl. „Mehr als Strukturen … Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“ Dokumentation des Studientages der Frühjahrs-Vollversammlung 2007 der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 213), Bonn 2007; „Mehr als Strukturen …“ Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-)Diözesen. Ein Überblick (Arbeitshilfen 216), Bonn 2007. 44 Vgl. Caroline H. Schneider, Kooperation oder Fusionierung von Pfarreien? Strukturelle Veränderungen im Bistum Essen aus kirchenrechtlicher Sicht (BzMK 53), Essen 2008; Frans Daneels, Soppressione, unione di parrocchie e riduzione ad uso profano della chiesa parrocchiale, in: Ius Ecclesiae 10 (1998), S. 111 – 148; ders., The Suppression of Parishes and the Reduction of a Church to Profane Use in the Light of the Jurisprudence of the Apostolic Signatura, in: Forum 8 (1997), S. 287 – 293.
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hen45. Aber selbst wenn pfarrliche Leitungsmodelle unter einer größeren Beteiligung und Verantwortlichkeit von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter/inne/n (Laien und Diakone) zum Zuge kommen, stellt sich die Frage, wie die priesterliche Tätigkeit nicht nur hinsichtlich der Leitungsfunktion gewahrt wird, sondern derart in die Seelsorge eingebunden ist, dass Kirche spürbar im Nahbereich der Menschen bleibt46 und der Auferbauung von Gemeinde47 dient. Der Pfarrer soll ja von Rechts wegen (vgl. c. 529 §1) darum bemüht sein, die ihm anvertrauten Gläubigen zu kennen, die Familien zu besuchen, an ihren Ängsten und Sorgen teilzuhaben, sie nötigenfalls auf den rechten Weg zu bringen, den Kranken und Sterbenden mit hingebungsvoller Liebe beizustehen, sich den Armen, Bedrängten, Einsamen, Heimatvertriebenen und in Schwierigkeiten geratenen Menschen zuzuwenden sowie den Eltern und Familien zur Seite zu stehen. „Der Priester dient der Gemeinde, wird aber auch von seiner Gemeinde getragen“, hält dazu die Kleruskongregation in ihrer Instruktion über den „Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde“ fest.48 Weil sich diese Form der Pastoral vor allem in persönlichen Kontakten und Netzwerken vollzieht, besteht – belegt durch empirische Untersuchungen – natürlich die Befürchtung, dass dies in den („geplanten“) großen Seelsorgeräumen nicht mehr gewährleistet werden kann: „In einem Großmodell fusionierter Pfarrgemeinden gebe es diese Nähe und das Miteinander-vertraut-Sein, welches einerseits auf der unmittelbaren Kommunikation beruht und diese andererseits begünstige, nicht mehr. Es 45 Vgl. Matthias Sellmann (Hrsg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle, Freiburg/Basel/Wien 2013; Rainer Bucher, … wenn nichts bleibt, wie es war. Zur prekären Zukunft der katholischen Kirche, Würzburg 2012, S. 186 – 199; ders., Jenseits der Idylle. Wie weiter mit den Gemeinden?, in: ders. (Hrsg.), Die Provokation der Krise. Zwölf Fragen und Antworten zur Lage der Kirche, Würzburg 22005, S. 106 – 130; Bernhard Spielberg, Kann Kirche noch Gemeinde sein? Praxis, Probleme und Perspektiven der Kirche vor Ort (StThPS 73), Würzburg 2008. – Albert Rouet, em. Bischof von Poitiers, hat unter den speziellen französischen Bedingungen einen radikalen Weg der Umstrukturierung initiiert und einen Gestaltwandel der Pfarrei gefordert (A. Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Reinhard Feiter/Hadwig Müller [Hrsg.], Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 2009, S. 17 – 42): „Vom Übergangsort (gemäß dem Sinn des griechischen Ursprungswortes par-oikia) ist sie zu einer Pfründe geworden, schließlich zu einem Wohnsitz! Kann sie den dringenden Funktionswechsel leisten, den die Gegenwart ihr abverlangt? […] Das Bild vom Kirchturm auf dem Hügel mit dem Pfarrhaus in seinem Schatten samt Garten des Pfarrers spukt immer noch in der Vorstellungswelt der Franzosen mit ihren 36 ooo Pfarreien“ (S. 24 – 25). 46 Vgl. Monika Udeani /Helmut Eder/Monika Heilmann (Hrsg.), Kirche bleiben im Nahbereich. Pfarrgemeindliche Leitungsmodelle mit Beteiligung Ehrenamtlicher, Linz 2009; Jürgen Werbick, Warum die Kirche vor Ort bleiben muss, Donauwörth 2002; ders., Plädoyer für die Verörtlichung des Glaubens, in: Lebendige Seelsorge 55 (2004), S. 2 – 6; Michael Böhnke/Thomas Schüller, Zeitgemäße Nähe. Evaluation von Modellen pfarrgemeindlicher Pastoral nach c. 715 §2 CIC (StThPS 84), Würzburg 2011. 47 Vgl. Monika Udeani, Auferbauung – eine vergessene Dimension der Gemeindeleitung. Ansätze zu einer neuen Praxis und Spiritualität des Gemeindeleitens (StThPS 63), Würzburg 2006. 48 Vgl. Kongregation für den Klerus, Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde, Instruktion vom 4. 8. 2002 (VApSt 157), Bonn 2002, Nr. 16 (S. 28); vgl. ebd., Nr. 18 – 23.
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stellt keine Überinterpretation dar, dies mit der Befürchtung, Großpfarren bedeuteten das Ende einer kommunikativen und am Leben der anderen partizipierenden Pastoral, gleichzusetzen“49. Es stimmt natürlich, wenn Helmuth Pree festhält, „dass die Ausstattung einer Gemeinde mit einem geweihten Amtsträger, insbesondere einer Pfarrei mit einem Pfarrer als konkreter Einzelperson nicht in der Weise zum Wesen der Gemeinde gehört, dass bei Nichtvorhandensein diese in ihrer Existenz getroffen wäre“, weshalb man eben unterscheiden müsse: „Das Vorhandensein eines geweihten Amtsträgers gehört gewiss ad integritatem, d. h. zur Vollform einer christlichen Gemeinde. Es ist der Idealfall und der Normalfall. Die christliche Gemeinde als certa communitas und als juristische Person besteht aber auch dann weiter, wenn vorübergehend oder auch für längere Zeit die Ausstattung mit einem Pfarrer oder einem sonstigen geweihten Amtsträger nicht möglich ist“50. Doch darf durch den Umstand, dass pfarrgemeindliche Pastoral auch ohne einen Pfarrer vor Ort (interimistisch) durchaus möglich ist, nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Residenz- und Präsenzpflicht belegbar eine immer noch recht starke Erwartung von Gläubigen einmahnt, die etwa in der hohen Bedeutung des bewohnten Pfarrhauses für die Gemeinde zum Ausdruck kommt51. 1. Die örtliche Residenzpflicht Deshalb normiert aus guten Gründen auch die geltende Rechtsordnung (c. 533 CIC/1983; c. 292 CCEO) weiterhin, dass der jeweilige Pfarrer sich grundsätzlich dauerhaft in seiner Pfarrei aufhalten muss.52 Dies gilt sowohl für eine Territorialals auch eine Personal-Pfarrei (vgl. c. 518). Bei letzterer können allerdings die zugehörigen Gläubigen (in kumulativer Zuständigkeit) über mehrere Pfarreien oder über das ganze Diözesangebiet hinweg verstreut leben, wodurch die Residenzpflicht nicht einfach entfällt, jedoch den verschiedenen Situationen, wo Seelsorge konkret ausgeübt wird, angepasst werden muss.53 Ähnliches gilt für den Fall, dass ein Priester für eine/mehrere weitere benachbarte Pfarrei/en zum Pfarrer ernannt wird (c. 526 §1), da er konkret zwar für die Gläubigen im gesamten Verantwortungsbereich
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M. Böhnke/T. Schüller, Zeitgemäße Nähe (Anm. 46), S. 106, vgl. S. 97 – 130. Helmuth Pree, Pfarrei ohne Pfarrer – Leitung und Recht auf Eucharistie, in: Anzeiger für die Seelsorge 105 (1996), S. 18 – 24, hier: 18. 51 Vgl. Johannes Panhofer, Hören, was der Geist den Gemeinden sagt. Gemeindeleitung durch Nichtpriester als Anstoß zur Gemeindeentwicklung. Eine empirisch-theologische Studie zu can. 517 §2 (StThPS 58), Würzburg 2003, S. 295 f, der auf Grund seiner Befragungen geradezu vom „sakramentalen Symbol“ des bewohnten Pfarrhauses spricht, wenn im Pfarrhof endlich wieder „ein Licht brennt“. 52 Vgl. T. Blot, Le curé (Anm. 3), S. 487 – 493; H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 310 – 318; Antonio S. Sánchez-Gil, c. 533, in: Comentario exegético al Código de Derecho Canónico, Bd. II/2, Pamplona 21997, S. 1273 – 1275. 53 A. Longhitano, Residencia (Anm. 13), S. 977; ders., L’Obbligo (Anm. 4), S. 168. 50
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grundsätzlich erreichbar und verfügbar sein muss, aber faktisch nur an einem Ort wohnen kann. Der Residenzpflicht unterliegen ausdrücklich54 auch alle Mitglieder eines Pfarrer-Teams von einer oder mehreren in solidum geleiteten Pfarreien (c. 543 §2 n.1), wobei der Gesetzgeber nach René Löffler den „verschiedenen Konstellationsmöglichkeiten einer Gemeindeleitung nach can. 517 §1“ Rechnung tragen wollte, da diese „unterschiedliche Möglichkeiten bezüglich einer Erfüllung der Residenzpflicht zulassen: Wird einem Team nur eine Gemeinde anvertraut, so müssten nach c. 533 §1 CIC alle Priester des Teams im Pfarrhaus wohnen. […] Trägt die Priestergruppe für mehrere Gemeinden die Verantwortung, so würden die Priester ihre Residenzpflicht sowohl in dem Fall, dass jeder in einer Gemeinde wohnt, als auch in dem Fall, dass alle in einer Gemeinde in Form einer vita communis wohnen, erfüllen“55. Ebenso ist ein Pfarradministrator, der im Vertretungszeitraum dieselben Pflichten und Rechte wie der Pfarrer übertragen erhält, an die Residenzpflicht gebunden, sofern nicht vom Diözesanbischof (wie vielfach üblich) im Einzelfall etwas anderes bestimmt wird (vgl. c. 540 §1). Auch der Pfarrvikar hat Residenzpflicht in der Pfarrei (wenngleich nicht unbedingt im Pfarrhof selbst, obwohl zumindest „ein gewisser Brauch des gemeinsamen Lebens“ gefördert werden soll; c. 550 §2) bzw. in einer der Pfarreien, wenn er für mehrere gleichzeitig ernannt worden ist (c. 550 §1).56 Die Grundnorm sieht vor, dass der vorgesehene Wohnsitz57 in der Regel im Pfarrhaus nahe der Kirche genommen werden muss.58 Dieses Pfarrhaus wird dem Pfarrer für die Erfüllung seiner Amtsaufgaben während der Dauer seines Dienstes – von der Besitzergreifung bis zur Amtserledigung – zur Verfügung gestellt. Es gehört der Pfarrei und ist nicht Privatbesitz des Pfarrers (auch wenn es in Österreich mitunter immer noch zur eigenen juristischen Person der „Pfarrpfründe“ gehört, dessen Nutzung dem jeweiligen Pfarrer für die Dauer seines Amtes überantwortet wird). Das Pfarrhaus ist daher Dienstwohnung und soll dementsprechend für die Gläubigen erkennbar und baulich ausgestattet sein als Sitz der ordentlichen Seelsorge und Ort zur Erledigung
54 In c. 375 §2 Schema Canonum 1977 begnügte man sich mit einem Verweis auf c. 367 (533 CIC/1983). Ohne eigene Begründung wurde dieser Zusatz ab dem Schema 1980 gestrichen (vgl. Communicationes 13 [1981], S. 293), was von manchen Kommentatoren bedauert wird, weil damit jeglicher (empfehlende) Hinweis auf die vita communis fehlt (vgl. JeanClaude Périsset, La Paroisse, Paris 1989, S. 196). 55 René Löffler, Gemeindeleitung durch ein Priesterteam. Interpretation des c. 517 §1 CIC/ 1983 unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Rechtslage (BzMK 31), Essen 2001, S. 70, 69 – 71. Vgl. R. Ahlers, c. 543, Rdnr. 6, in: MK CIC (Stand: Feb. 2009). 56 Die Bedingungen für die Genehmigung einer Wohnung außerhalb der Pfarrei entsprechen jenen des Pfarrers. 57 Vgl. Markus Walser, Die Bedeutung des Wohnsitzes im kanonischen Recht. Eine Untersuchung zu cc. 100 – 107 CIC, St. Ottilien1993, S. 72. 58 Vgl. R. Ahlers, c. 533, Rdnr. 3 – 4, in: MK CIC (Stand: Feb. 2009).
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administrativer Verpflichtungen.59 Partikularrechtlich werden in manchen Bauordnungen Kriterien für ein angemessenes Raumprogramm zwischen dienstlichem und privatem (Wohn-)Bereich vorgesehen60 oder eigene Regelungen getroffen hinsichtlich der Modalitäten einer (teilweisen) Wohnungsüberlassung an andere Personen bzw. für den Fall einer rein privaten Weiterbenützung durch den pensionierten Pfarrer, der keinen Nachfolger vor Ort hat. Für den Fall von geplanten Veränderungen des Territorialgebietes (durch Pfarrfusion oder Errichtung eines Pfarrverbandes) sind auch Normen bezüglich einer entsprechend angepassten pastoralen Infrastruktur bzw. einer Wohn- und Übernachtungsmöglichkeit für die zuständigen Priester oder aber für eine eventuelle völlige Freigabe des Pfarrhauses angeraten. Generell lässt sich feststellen, dass sich die Funktion des Pfarrhauses im Wandel befindet und eine stärker betonte Trennung von privatem Bereich (als Rückzugsort, für das Bedürfnis nach Ruhe und Abstand) und amtlicher Dienstwohnung zunehmend als sinnvoll und wünschenswert angesehen wird.61 Das Pfarrhaus als Ausdruck der Untrennbarkeit von Amt und Person entspricht hingegen (noch) dem Selbstverständnis eines permanent einsatzbereiten Priesters, dessen Berufs- und Privatleben 59 Vgl. Communicationes 25 (1993), S. 193. – Insofern gehören regelmäßig auch das Pfarrbüro und Pfarrarchiv mit dazu. Vgl. H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 311; R. Ahlers, c. 533, Rdnr. 3, in: MKCIC (Stand: Feb. 2009); zur Mehrdimensionalität des Pfarrhauses: Andreas Wollbold, Als Priester leben. Ein Leitfaden, Regensburg 2010, S. 278 – 281 (Dienstwohnung und Diensträume, Haus des ,Hirten‘ und der ,Herde‘; geistliches Haus; Haus der Pfarrei; Bleibe des Pfarrers; Repräsentationsbau; Haus einer Hausgemeinschaft). 60 Dies betrifft nicht nur Neubauten, sondern kann auch im Zuge von Sanierungsmaßnahmen (übergroßer und aufwändiger) historischer Bausubstanz zum Tragen kommen. 61 Vgl. Max Stierlin, Vom klösterlichen Pfarrhof zum priesterlichen Single. Das katholische Pfarrhaus im Wandel, in: Urban Fink/René Zihlmann (Hrsg.), Kirche – Kultur – Kommunikation (FS Peter Henrici), Zürich 1998, S. 743 – 757. – Aus ökumenischer Perspektive: „Pfarrhaus im Wandel“. Beiträge einer Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin (3.–5. 3. 2014) und Auszüge aus einer Podiumsdiskussion des Deutschen Historischen Museums (24. 2. 2014), in: Evangelischer Pressedienst, Dokumentation Nr. 24 vom 17. 6. 2014 (www.eaberlin.de/nachlese/dokumentationen/2014 – 24-epd-pfarrhaus-im-wandel/2014 – 24epd-pfarrhaus-im-wandel.pdf); dazu auch: Wolfgang Beck, Die unerkannte Avantgarde im Pfarrhaus, Berlin 2008, S. 83 – 143, hier: 108 – 113; Hartmut Maurer, Die Pflichten des Pfarrers aus Ordination und Dienstverhältnis, in: ders. Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht (Jus Ecclesiasticum 59), Tübingen 1998, S. 46 – 74, hier: 61 – 62; Herbert Pachmann, Pfarrer sein. Ein Beruf und eine Berufung im Wandel, Göttingen 2011, S. 207 – 212 (Vom Sinn der Residenzpflicht): „Die Präsenzpflicht des Pfarrers oder richtiger: seine Residenzpflicht im Pfarrhaus wird heute in Frage gestellt. Für viele ist es fraglich geworden, ob sie angesichts der veränderten Lebensverhältnisse noch angemessen beziehungsweise angesichts der neuen Kommunikationsmöglichkeiten noch erforderlich ist. […] Jüngere wollen sich auf die Exklusivität eines Pfarrhauses nicht mehr ohne Weiteres einlassen“ (S. 207). Pachmann kann sich dabei auf eine Befragung der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau 2001 über die Wohnzufriedenheit der Pfarrer/innen berufen, wonach drei Viertel unter den Bedingungen der Residenzpflicht leben, aber weniger als die Hälfte damit sehr zufrieden, ein Fünftel sogar unzufrieden ist, während Pfarrer/innen mit Befreiung von der Residenzpflicht zufriedener sind. Dennoch sprechen sich weiterhin gut zwei Drittel aller Pfarrer/innen für die Beibehaltung der Präsenzpflicht aus.
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gar nicht klar getrennt werden sollen.62 Bestand in alter Tradition vielfach noch eine generationenübergreifende Lebensgemeinschaft zwischen Pfarrern, Pfarrvikaren (Kaplänen, Kooperatoren, Kuraten) und der Haushälterin („Perpetua“), deren pastorale Bedeutung nicht unterschätzt werden darf63, die aber jetzt zunehmend von Teilzeitkräften abgelöst wird, so macht sich der Priestermangel und eine veränderte Beschäftigungskultur auch in der Residenzform bemerkbar. Stichworte dafür sind etwa eine plural eingeforderte Individualisierung, eine stärkere Ausdifferenzierung der Lebens-Orte sowie eine zunehmende Mobilität der handelnden Personen. Zugleich kann man problematische Tendenzen der Vereinsamung64 besonders bei Pfarrern mit Einzelkämpfer-Mentalität wahrnehmen, weshalb sich die Förderung und Empfehlung von Formen gemeinsamen Lebens als Teil (welt-)priesterlicher Spiritualität zu Recht sehr nahe legen. Bereits in c. 533 ist daher die Ausnahmeregelung enthalten, dass der Ortsordinarius, „wenn ein gerechter Grund vorliegt“, die Erlaubnis erteilen kann, dass der Pfarrer an einem anderen Ort auch außerhalb des Pfarrgebietes wohnen darf. Ein (vorübergehender) gerechter Grund könnte schon dann gegeben sein, wenn besondere körperliche Bedürfnisse des Pfarrers oder seiner Haushälterin zu berücksichtigen sind, das Haus nicht ihren Erfordernissen entspricht oder dringend sanierungsbedürftig ist.65 Ausdrücklich als Genehmigungsgrund angeführt66 ist jedoch der Wunsch, sich einer geistlichen Wohn- und Gebetsgemeinschaft von Priestern (vita communis) anzuschließen, wobei die ordnungsgemäße Durchführung der pfarrlichen Aufgaben in geeigneter Weise sichergestellt sein muss. 62 Vgl. M. Böhnke/Th. Schüller, Zeitgemäße Nähe (Anm. 46), bes. S. 130 – 146, bestätigen, dass die Gläubigen von einem Pfarrer erwarten, dass er sich auf eine (überschaubare) Gemeinde konzentriert, in ihr präsent ist und auch vor Ort wohnt, wobei er hier weniger als Gemeindeleiter, denn als Seelsorger angefragt ist: „Von ihm wird die pastorale Kompetenz erwartet, Menschen in schwierigen Lebenslagen anhören und gegebenenfalls helfen zu können. Er soll auch ansprechbar sein für Menschen, die nicht wissen, an wen sie sich sonst wenden könnten. Er solle da sein […]. Die Präsenz des Priesters als Ansprechpartner vor Ort wird hier als Garantie für eine unmittelbare Pastoral angesehen“ (S. 133). 63 Vgl. Gemeinsame Synode, Gesamtausgabe I, S. 622 (Beschluss: Dienste und Ämter 5.2.3.); A. Wollbold, Als Priester leben (Anm. 59), S. 286 – 290; Josef Grabmeier, Das Berufsbild der Pfarrhaushälterin. Fortschritte, Enttäuschungen, Erwartungen, in: Klerusblatt 76 (1996), S. 159. 64 Vgl. A. Wollbold, Als Priester leben (Anm. 59), S. 284 – 286. 65 Die Diözese Basel nennt (unter spezifisch schweizerischen Umständen) u. a. als Gründe, in denen die zuständige Regionalleitung von der Residenzpflicht entbinden kann: dass zwischen Mietzins und Lohn ein großes Missverhältnis besteht; der Wohnraum für die entsprechende(n) Person(en) nicht zumutbar ist (z. B. zu klein, zu laut, Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt); falls das Pfarrhaus an dritte Personen vermietet, als Büroräumlichkeiten verwendet oder renoviert wird (vgl. Pfarrer/Gemeindeleiter/-in. Voraussetzungen für die Übertragung der Leitungsverantwortung. Grundsatz und Richtlinien, vom 11. 1. 2005, in: http:// www.bistum-basel.ch/de/Dokumente-Formulare/Dokumente/Handbuch-Seelsorge-und-Lei tung.html). 66 Dieser Zusatz wurde in der 9. Sitzung der Codex-Reform aufgenommen; vgl. Communicationes 24 (1992), S. 128 – 176, can. 21.
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Hat der Diözesanbischof einem klerikalen Ordensinstitut oder einer klerikalen Gesellschaft apostolischen Lebens eine Pfarrei anvertraut (c. 520), ist in einem schriftlichen Vertrag zwischen dem Oberen des Institutes bzw. der Gesellschaft und dem Diözesanbischof nicht nur festzulegen, wie viele Personen für welche Aufgaben bereitgestellt werden und wie die vermögensrechtlichen Fragen geordnet sind, sondern es ist auch die Dienstwohnung und die Wahrung eines dem Charisma entsprechenden Gemeinschaftslebens festzulegen. Wenn nämlich der Obere einen oder mehrere geeignete Angehörige seines Verbandes für das Amt des Pfarrers präsentiert, der vom Diözesanbischof dann entweder zum kanonischen Pfarrer ernannt oder – falls die Hirtensorge mehreren solidarisch übertragen werden soll – als Moderator gemäß c. 517 §1 eingesetzt wird, steht dieser in der Spannung zwischen der Verpflichtung als Ordensmann zur vita communis mit dem Konvent (vgl. cc. 665 §1; 602, 607) und der Einhaltung der pfarrlichen Residenzpflicht (c. 533 §1).67 Schon historisch führte dies mitunter innerhalb von Kommunitäten zu Konflikten unter den Mitbrüdern, die sich dann in „interni“ und „externi“ spalteten68. Dies kann – nicht zuletzt im Kontext zahlenmäßig abnehmender und altersmäßig zunehmender Konvente – heute wieder zu Spannungen führen oder zumindest zur Diskussion über das rechte Verhältnis von „Sammlung und Sendung“69. Der höhere Obere kann mit Zustimmung seines Rates aus einem gerechten Grund einem Ordensangehörigen aber gestatten, sich außerhalb einer Niederlassung der Gemeinschaft aufzuhalten (c. 665 §1), damit dieser im Auftrag und mit Erlaubnis sein (pastorales Pfarr-) Amt als Apostolat des Ordensinstitutes ausübt (vgl. 671). Umgekehrt kann der Orts67
Vgl. Peter Koch, Die Ordenspfarre. Entstehung, Herausforderungen und Perspektiven, Paderborn 2014, hier: S. 238 – 240; Francesco D’Ostilio, Il parroco religioso. Origine ed evoluzione storica della parrocchia religiosa, Figura giuridica del parroco religioso, Vatikan 2000, hier: S. 118 – 119. 68 Vgl. Alois Schmid, Zwischen Mönchsaskese und praktischer Seelsorge. Prämonstratensisches Ordensleben in den nordostbayerischen Stiften Windberg und Speinshart, in: Irene Crusius/Helmut Flachenecker (Hrsg.), Studien zum Prämonstratenserorden (Studien zur Germania Sacra 25), Göttingen 2003, S. 543 – 565, hier: 552 – 553. – Die Extrakonventualen hatten von ihren Einkünften meist ein „Absententgelt“ an das Stammkloster abzuführen; vgl. Ingrid Ehlers-Kisseler, Die Entwicklung des Pitanz- und Pfründewesens in den Stiften des Prämonstratenserordens, in: ebd., S. 399 – 461, hier: 446 – 447. 69 Vgl. Severin J. Lederhilger, „Deshalb sind wir vom Chorgebet und Altar aus gesandt, den Menschen im Geist der Bescheidenheit … zum Wohle der Kirche und der Welt zu dienen“. Sammlung und Sendung, in: Hermann Josef Kugler (Hrsg.), Gemeinsam auf dem Weg zu Gott. Beiträge zur Spiritualität der Prämonstratenser, Freiburg-Basel-Wien 2010, S. 167 – 193; Martin Felhofer, Wie viel Seelsorge verträgt ein Kloster? Zur Spannung von Gemeinschaftsbezug und pastoraler Tätigkeit, in: ThPQ 152 (2004), S. 131 – 136. – Die Satzungen der Österreichischen Benediktinerkongregation sehen deshalb explizit vor: „Die Verbundenheit der Brüder auf den Pfarren mit dem Kloster soll durch die Fülle der seelsorglichen Arbeit und die räumliche Entfernung nicht wesentlich beeinträchtigt werden. […] Die in der Pfarrseelsorge tätigen Brüder mögen immer wieder ins Kloster kommen, um fern von den täglichen Sorgen und Arbeiten Kraft und Ermutigung zu finden. Der Abt soll wenigstens einmal im Jahr die Brüder in den Pfarren besuchen und dort zu einer persönlichen Aussprache bereit sein“ (Österreichische Benediktinerkongregation [Hrsg.], Die Satzungen der Österreichischen Benediktinerkongregation, Göttweig 2006, Nr. 251 – 252).
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ordinarius den Ordenspfarrer von der Residenzpflicht befreien, um ihm im konkreten Fall die klösterliche vita communis zu ermöglichen (vgl. c. 678 §2), sofern die Seelsorge darunter keinen Schaden nimmt. Wenn somit „der salus animarum […] gegenüber der vita communis eine Vorrangstellung“ zukommt, bedeutet dies konsequentermaßen: „Kann für die Verrichtung der pfarrlichen Aufgaben nicht in ordnungsgemäßer und geeigneter Weise gesorgt werden, kann der Ordenspfarrer nicht in der Ordensniederlassung wohnen, sondern muss im Pfarrhaus Wohnung nehmen. Ist man von Seiten des Ordensinstitutes nicht gewillt, [diese] Vorrangstellung […] anzuerkennen und die Erfüllung der pfarrlichen Residenzpflicht des Ordenspfarrers zu ermöglichen, ist eine pfarrliche Kooperation zwischen Diözese und Ordensinstitut nicht aufrecht zu erhalten“70. Gemäß c. 280 wird auch den (Welt-)Klerikern die Pflege des Gemeinschaftslebens sehr empfohlen und die Beibehaltung bestehender Gemeinschaftsformen dringend angeraten. So spricht etwa die Deutsche Regentenkonferenz vom „Mut zur Communio“ und führt dazu aus: „Jesus ruft seine Jünger zwar aus ihrer gewohnten Umgebung und Familie heraus, doch nicht, um sie danach der Isolierung auszusetzen, sondern um sie in die neue Familie der Jünger einzufügen. Deshalb darf der Priester kein Single sein. Nur ein gemeinschaftsfähiger Mensch kann teilhaben am Leben Gottes, der selbst Gemeinschaft ist. Von einem Priester wird zu Recht erwartet, dass er imstande ist, Zellen des Evangeliums zu formen und Menschen zusammenzuführen. Er soll selbst gemeinschafts- und kommuniktionsfähig sein. Dazu braucht er selbst eine tragende Lebens- und Glaubensgemeinschaft, die nicht einfach schon durch das Leben in einer Pfarrei mit anderen Christen zusammen gegeben ist. Es bedarf vielmehr ausdrücklicher priesterlicher Gemeinschaftsformen“71. In diesem Sinne gilt es – besonders für Weltpriester72 – nicht nur das Presbyterium wieder neu zu entdecken73, sondern auch die Vorschläge und Anregungen zur Bildung verschiedener Formen einer vita communis aufzugreifen, selbst wenn 70
P. Koch, Die Ordenspfarre (Anm. 67), S. 239 – 240. Deutsche Regentenkonferenz (Hrsg.), Priester für das 21. Jahrhundert, Optionen, o.O. 2003, S. 13; hier zit. n. Andreas Tapken, Grundfähigkeiten und Voraussetzungen für den priesterlichen Dienst, in: ThPQ 155 (2007), S. 419 – 426, 425. – Vgl. Giangiacomo Sarzi Sartori/Gianni Trevisan, La vita commune nella casa parocchiale fra il parroco e i vicari parrocchiali, in: QDE 5 (1992), S. 47 – 66; A. Wollbold, Als Priester leben (Anm. 59), S. 281 – 284. 72 Vgl. zur Verschiedenheit und ergänzenden Verwiesenheit aufeinander von Welt- und Ordensklerus: Karl Hillenbrand, Ist unser Priesterbild zu uniform? Notwendige Differenzierungen, dargestellt am Verhältnis zwischen Ordensspiritualität und Lebensform des Diözesanpriesters, in: Thomas Handgrätinger (Hrsg.), Der hl. Augustinus als Seelsorger. Augustinus-Colloquium 20.-24. 5. 1991, St. Ottilien 1993, 140 – 150. – Gisbert Greshake, Zur Frage einer ‘vita communis’ von Weltpriestern, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück 41 (1989), S. 170 – 179. 73 Vgl. Christian Hennecke, Kirche, die über den Jordan geht. Expeditionen ins Land der Verheißung, Münster 2006, S. 151 – 174; Arturo Cattaneo, Il Presbiterio della Chiesa particolare. Questioni canonistiche ed ecclesiologiche nei documenti del magistero e nel dibattito postconciliare, Mailand 1993. 71
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sich dabei bald auch Grenzen im Zusammenleben zeigen sollten, da geistliche Wohngemeinschaften (mit anderen Priestern, mit Laien oder mit einer kleinen Schwesternkommunität) stets besondere Ansprüche stellen und eine spezifische spirituelle Verankerung brauchen, weil bloße Sympathie auf Dauer nicht reichen wird. Im Fall der Inanspruchnahme eines gemeinsamen Domizils außerhalb des eigenen pfarrlichen Zuständigkeitsbereiches sind allerdings besondere (rechtliche und pastorale) Wirkungen und Auflagen zu beachten. So ist etwa „der Wohnort eines Pfarrers außerhalb des Pfarrhauses […] nicht unbedingt zugleich ein Ort der pfarrlichen Seelsorge und steht ebenfalls nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem pfarrlichen Dienst, so dass dieser Wohnsitz an anderem Ort auch nicht als Dienstwohnung zu qualifizierten ist“74. Gerade unter diesen Umständen ist es dann wichtig, dass im bisherigen Pfarrhaus weiterhin bestimmte Räumlichkeiten für den Dienstsitz des Pfarrers und als Ort der pfarrlichen Seelsorge erhalten bleiben. Auch für die Erreichbarkeit – die durch die neuen Kommunikationstechniken (Internet, Mobiltelefon) und Transportmöglichkeiten wesentlich erleichtert werden – ist entsprechend vorzusorgen und es sind die angegebenen Anwesenheitszeiten in verlässlicher Weise einzuhalten, damit die mangelnde permanente Nähe durch eine qualifizierte Form der Präsenz in der Seelsorge ausgeglichen wird.75 2. Die zeitliche Präsenzpflicht Die Residenzpflicht umfasst über den örtlichen Aspekt hinaus ebenso die zeitliche Dimension, um die pfarrliche Hirtensorge persönlich auszuüben, wobei c. 533 §2 (vgl. c. 292 §2 CCEO) berechtigte Abwesenheitszeiten vorsieht.76 Es werden zwei Fälle legitimer Abwesenheit des Pfarrers von der Pfarrei vorgesehen, nämlich zum einen die jährliche Ferien- und Urlaubszeit und zum anderen ein Zeitraum für die geistlichen Exerzitien. Die explizite Erwähnung eines freien Tages pro Woche sowie einer genehmigten theologisch-pastoralen Fortbildung (vgl. c. 279 §2; CD 28)77 ist zwar redaktionell entfallen, aber inhaltlich natürlich zulässig und sehr empfehlenswert, sofern dies nicht schon in diözesanen Regelungen eigens zugestanden wird. 74
H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 312 – 313. Vgl. A. Borras, La parrocchia (Anm. 41), S. 142 – 143; J.-C. Perisset, La Paroisse (Anm. 54), S. 150; A. Longhitano, Residencia (Anm. 13), S. 979. 76 Vgl. H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 313 – 316; R. Ahlers, c. 533, Rdnr. 5 – 9, in: MK CIC (Stand: Feb. 2009). 77 Vgl. Communicationes 24 (1992), S. 128 – 176, hier: 153, can. 21 (Sessio IX); In der Sessio XVII wurde die Streichung empfohlen, um dem Partikularrecht die näheren Ausführung zu überlassen, wobei man den Vorschlag zumindest einer Generalnorm nicht aufgegriffen hat: Communicationes 25 (1993), S. 179 – 209, can. 20. Der Begründungshinweis, dass Fortbildungen nicht jährlich notwendig seien (ebd., S. 193), erscheint manch priesterlicher Bildungsmüdigkeit allzu sehr entgegenzukommen, weshalb entsprechende Anreize zumindest in diözesanen Dienstordnungen aufgenommen werden sollten. 75
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Das II. Vatikanische Konzil mahnte nicht nur eine gerechte Entlohnung der Priester ein, sondern forderte, dass diese so hoch ausfallen müsse, dass sie ihnen gestattet, „jährlich den verdienten und notwendigen Urlaub zu nehmen“ (PO 20), wobei „die nähere partikularrechtliche Regelung […] nicht einfachhin an der jeweiligen weltlichen Rechtsordnung Anhalt zu suchen [hat], zumal die vielfach zunehmende Entwicklung zur ,Freizeitgesellschaft‘ nicht Leitbild für den geistlichen Dienst sein kann“78. Das Recht auf einen ausreichenden Urlaub (vgl. cc. 283 §2, 533 §2; 550 §3) wird für den Pfarrer mit einem Monat maximal (ad summum) festgelegt79, der entweder als ununterbrochener Zeitraum oder mit zeitlichen Unterbrechungen angetreten werden kann. Rücksichtnahme auf schulische Verpflichtungen sowie Koordinierung mit den MitarbeiterInnen und mit den Vertretern im Seelsorgeraum bzw. Dekanat durch die Erstellung eines Urlaubsplanes sollte selbstverständlich und wird zunehmend unumgänglich sein. Die in manchen Diözesen verstärkte Einbeziehung von Priestern aus anderen – insbesondere afrikanischen oder asiatischen – Ländern führt dazu, dass sich mitunter die üblichen Urlaubszeiten der Pfarrer verändern. Dies ist zum einen durch die jeweiligen klimatischen Wetterzonen der Heimatländer (Regenzeit etc.) bedingt und zum anderen durch die Sinnhaftigkeit einer längeren zusammenhängenden Auszeit in der Heimatdiözese. Dies ist dann jedoch oft nicht kompatibel mit den Schul- bzw. Ferienzeiten in den europäischen Einsatzländern und kann zudem dadurch verschärft werden, dass die in den Sommermonaten sonst übliche (internationale) Aushilfe von Priester-Studenten kaum in Frage kommt. Eine gerechte Koordination bei mehreren Pfarrern mit entsprechend langen Urlaubswünschen im Dekanat kann durchaus zu einer Herausforderung für die Sicherstellung der Pastoral durch regionale Vertretungen für den Dechant oder die diözesane Personalstelle werden. Rein rechtlich könnten sich bei schwerem Priestermangel auch hier notfalls Beschränkungen für die Genehmigung solcher Jahresurlaube ergeben.80 Zusätzlich zum Urlaub darf sich jeder Pfarrer einmal im Jahr einige Tage für Exerzitien und geistliche Einkehr frei nehmen (vgl. c. 276 § 2 n.4; 533 §2), ohne dass diese Zeit der Abwesenheit auf den Urlaub angerechnet wird, insbesondere wenn diese Tage partikularrechtlich generell oder gemäß dem Eigenrecht eines Ordenspfarrers diesem vorgeschrieben sind.81 Nicht klar geregelt ist die Teilnahme, Organisation oder geistliche Begleitung von Pilgerreisen oder touristischen Studienfahr78 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht II, Paderborn 1997, S. 153; vgl. S. 428 – 429. 79 Dem Pfarrer stehen gem. cc. 201 – 202 entweder ein tatsächlicher ganzer Kalendermonat oder – bei unterbrochenen Zeitabschnitten – insgesamt 30 Tage Urlaub zu, wobei „gewöhnlich“ Sonn- und Werktage in gleicher Weise gezählt werden (so H. Hallermann, Pfarrei [Anm. 4], S. 314). Es gibt allerdings partikularrechtliche Regelungen, welche die Dauer mit „30 Tagen oder dem entsprechend 5 Wochen“ festlegen; vgl. Dienstordnung für Weltpriester in der Pfarrseelsorge, in: LDBl 144 (1998), Art. 40, Pkt. 7. 80 Vgl. H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), 314. 81 Vgl. R. Ahlers, c. 533, Rdnr. 6, in: MK CIC (Stand: Feb. 2009).
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ten mit Pfarrmitgliedern, da trotz eines gewissen pastoralen Charakters dieser Veranstaltungen der Pfarrer für den Großteil seiner Pfarrgemeinde nicht zur Verfügung steht. Heribert Hallermann spricht sich daher dafür aus, „mit solchen Reisen eher restriktiv“ zu verfahren und regt nötigenfalls eine diözesane Regelung an.82 Dies gilt auch für die Inanspruchnahme einer Sabbatperiode, die in einigen diözesanen Rechtsordnungen nicht nur als Gunsterweis im Ermessen der Vorgesetzten, sondern unter bestimmten Bedingungen und mit entsprechender Absprache auch als rechtlicher Anspruch festgelegt ist.83 Eine solche Aus-Zeit soll der psycho-physischen Erholung, der geistlichen Vertiefung und theologisch-fachlichen Weiterbildung dienen, weshalb ein entsprechender Konzeptplan erforderlich ist. Die dafür vorgesehene Zeit ist in Absprache mit dem Ordinarius dementsprechend variabel meist von einem Monat bis zu einem Halbjahr festzulegen.
IV. Vertretungsvorsorge und Einforderung der Verpflichtung Bei jeder Art von Abwesenheit, die länger als eine Woche dauert, ist der Ortsordinarius jedenfalls in Kenntnis zu setzen (c. 533 §2), wobei diese „vorgängige Informationspflicht“84 im Sinne einer erforderlichen Erlaubnis (mit der bereits angesprochenen Möglichkeit der Verweigerung) zu verstehen ist.85 Bei Ordenspfarrern ist zudem das Einverständnis des eigenen Oberen einzuholen, wobei das Eigenrecht eine kürzere Urlaubszeit vorsehen bzw. Auflagen hinsichtlich des Aufenthaltsortes machen kann.86 Für die Dauer der Abwesenheit des Pfarrers ist nämlich generell die priesterliche Seelsorge in der Pfarrei durch eine Vertretungs-Regelung des Diözesan-
82 H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 316. – Die Linzer Dienstordnung für Weltpriester (Anm. 79), Pkt. 7, sieht vor: „Die Leitung von Kinder- und Jugendwochen, pfarrlichen Fahrten und dergleichen ist bis zu einem Ausmaß von zwei Wochen nicht in den Urlaub einzurechnen“. 83 Vgl. A. H. Eijsink, Hartslag van de Kerk: De Parochie vanuit kerkerechtelijk standpunt I, Leuven 1995, S. 152 – 156, hier: 154 f.; Beispiel: Verfahrensordnung zur Gestaltung und Genehmigung einer Sabbatzeit für Priester im Bistum Münster, in: http://www.bistum-muenster. de/downloads/Seelsorge%20Personal/2013/Verfahrensordnung-zur-Sabbatzeit_20131015.pdf (Stand: 3. 3. 2015): „Eine Sabbatzeit steht jedem Priester des Bistums Münster nach frühestens 15 Dienstjahren zu“ (Präambel). 84 H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 315. 85 Vgl. Communicationes 14 (1982), S. 225: „In fine § addantur verba ,… monere et ab eo consensum obtinere‘ (aliquis Pater). – R. Non censetur necessaria additio proposita, quia subintellegitur.“ 86 John A. Renken, Parishes and Pastors (cc. 515 – 544), in: John P. Beal/James A. Coriden/ Thomas J. Green (Hrsg.), New Commentary on the Code of Canon Law, Mahwah 2000, S. 673 – 724, hier: 704 – 706 (c. 533), meint, dass auch noch immer die Genehmigung des Vertreters sowohl vom Ortsordinarius als auch vom Oberen einzuholen sei (S. 706), obwohl dies lediglich im CIC/1917 ausdrücklich vorgesehen war.
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bischofs sicherzustellen (vgl. c. 533 §3; c. 292 §3 CCEO)87, wobei die gesetzlichen Normen Berücksichtigung zu finden haben, wonach zunächst der Pfarrvikar den Pfarrer zu vertreten hat (c. 548 §2), sofern keine andere Regelung getroffen oder – bei voraussichtlich längerem Fernbleiben88 – ein Pfarradministrator bestellt wurde (vgl. cc. 541, 549). Meist fällt es dem Dechant zu, kurzfristige Vertretungen zu übernehmen, wenn vom Pfarrer keine Vorsorge getroffen wurde bzw. werden konnte.89 Dabei gilt aber, dass selbst dann, wenn nur relativ kurze Zeiten der Abwesenheit geplant werden, für mögliche pastorale Notfälle stets entsprechend vorzusorgen (z. B. rechtzeitige Information des Dechanten, telefonische Rufumleitung, etc.) und eine priesterliche Vertretung sicherzustellen ist. Kodikarisch nicht eigens vorgeschrieben wurde, wer für die Suche des priesterlichen Vertreters tatsächlich zuständig ist, der Pfarrer selbst oder der Ordinarius. Grundsätzlich kann daher sowohl eine individuelle Absprache vom Pfarrer getroffen werden (etwa mit einem in der Pfarrei lebenden Kirchenrektor, Auxiliar oder Ruhestandspriester) oder aber vom zuständigen Dechanten bzw. dem pastoralen Koordinator im Seelsorgeraum eine zuverlässige Vertretung – auch mit Hilfe eines Nachbarpfarrers oder von (Ordens-)Priestern der Umgebung – getroffen werden, wobei der Diözesanbischof dafür generelle Vorgaben erlassen kann.90 Ein solcher vom Ortsordinarius für einen bestimmten Zeitraum ernannter „Absenz-Vertreter“ – in Österreich weiterhin vicarius substitutus genannt91 – muss dann mit den erforderlichen Befugnissen zur Wahrnehmung der pfarrlichen Hirtensorge ausgestattet werden. Besitzt dieser Priester nicht schon von Amts wegen entsprechende Vollmachten, hat er – je nach konkreten Umständen und der voraussichtlichen Dauer – die nötigen Befugnisse (schriftlich) delegiert zu erhalten, jedoch „muss er all das und nur das tun, was in der Zeit der Abwesenheit des Pfarrers für das bonum animarum der Gläubigen erforderlich ist. Ansonsten gilt auch in der Zeit der Abwesenheit der Rechtsgrundsatz, dass in der betreffenden Pfarrei nichts verändert werden darf“92. Davon zu unterscheiden sind gesundheitlich bedingte Krankenhaus- und Kuraufenthalte, die als Behinderung des Pfarramtes zu qualifizieren sind und die Bestellung eines Pfarradministrators (c. 539) bzw. interimistischen Leiters (c. 541 §1) erfordern können.
87 Zu den Urlaubsregelungen im Bereich der DBK: R. Ahlers, c. 533, Rdnr. 9, in: MKCIC (Stand: 2009). 88 Vgl. L. Longhitano, L’Obbligo (Anm. 4), S. 172. 89 Vgl. Francesco Coccopalmerio, De paroecia, Rom 1991, S. 154 – 155. 90 Vgl. Domenico Mogavero, Il parroco e i sacerdoti collaboratori, in: A. Longhitano et al. (Hrsg.), La parrocchia e le sue strutture (Anm. 4), S. 119 – 146, hier: 139, wobei er auf das Beispiel einer diesbezüglichen Norm in Bologna verweist. 91 Die Österreichische Bischofskonferenz nennt den Vertreter eines vorübergehend (z. B. wegen Urlaub, Krankheit, etc.) abwesenden Pfarrers oder eines anderen Pfarrleiters „Substitut“ (vicarius substitutus); vgl. ABl ÖBK 1 (1984), S. 8. 92 Vgl. H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 316 – 317 – mit Verweis auf Communicationes 14 (1982), S. 228.
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Während es zur disziplinären Durchsetzung früher ein eigenes verwaltungsgerichtliches Verfahren gegen Kleriker gab, ist die grobe Verletzung der Residenzplicht nunmehr allein im Strafrecht geregelt (c. 139693) und soll mit einer gerechten Strafe geahndet werden, wobei in schweren Fällen ein Amtsentzug nach vorheriger Verwarnung und dem Zugeständnis einer Bewährungsfrist (vgl. c. 1341) nicht ausgenommen ist.94 Die Tat ist bereits vollendet, wenn die Residenzpflicht den Rahmen einer gerechtfertigten Abwesenheit überschritten hat, wobei sich die „Schwere“ (graviter) als Tatbestandsmerkmal jedoch immer nur im Einzelfall beurteilen lässt. In vielen Fällen legen sich aufgrund der individuellen Umstände zunächst pastorale Interventionen und Maßnahmen seitens der zuständigen Vorgesetzten nahe oder die Verhängung eines Strafbefehls (c. 1319), in dem das Fehlverhalten deutlich aufgezeigt wird und die universal- und partikularrechtlichen Rahmenbedingungen in Erinnerung gebracht werden. Für eine Strafverhängung muss der Vorsatz nämlich sowohl die Abwesenheit vom Dienstort als auch das Wissen um die Verpflichtung zur Anwesenheit umfassen. Die grobe Vernachlässigung oder beharrliche Verletzung einer pfarrlichen Amtspflicht stellt allerdings ebenso einen möglichen (nicht zwingenden) Grund zur strafweisen Amtsenthebung dar (c. 1741 n.4), wobei das dafür eigens vorgesehene Verfahren sorgfältig einzuhalten ist (cc. 1740 – 1747)95.
93 Der CCEO enthält diese Strafbestimmung nicht, jedoch kann der Straftatbestand unter c. 1464 CCEO subsumiert werden. 94 Vgl. A. Longhitano, L’Obbligo (Anm. 4), S. 170 – 171; W. Rees, Die Strafgewalt (Anm. 32), S. 477 – 479; Klaus Lüdicke, c. 1396, MK CIC (Stand: Nov. 1993); Velasio De Paolis/Davide Cito, Le sanzioni nella Chiesa. Commento al Codice di Diritto Canonico Libro VI, Vatikan 2000, S. 362; William H. Woestman, Ecclesiastical Sanctions and Penal Process, Ottawa 2000, S. 145 – 146. 95 Vgl. H. Hallermann, Pfarrei (Anm. 4), S. 318, 251 – 257; Reinhild Ahlers, Amtsenthebung – Strafe und/oder Disziplinarmaßnahme?, in: Ludger Müller et al. (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch?, Berlin 2006, S. 91 – 96; Klaus Lüdicke, cc. 1740 – 1747, in: MK CIC (Stand: April 1992); Frans Daneels, The Removal or Transfer of a Pastor in the Light of the Jurisprudence of the Apostolic Signatura, in: Forum 8 (1997), S. 295 – 301; Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern (AIC 16), Frankfurt et al. 1999; ders., Amtsenthebung bei Pfarrern im geltenden lateinischen Kirchenrecht, in: Christoph Grabenwarter/Norbert Lüdecke (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht (FzK 33), Würzburg 2002, S. 117 – 153; Gian Paolo Montini, La rimozione del parroco tra legislazione, prassi e giurisprudenza; in: QDE 24 (2011), S. 109 – 125; Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf/Ludger Müller, Kanonisches Recht, Bd. 4, Paderborn u. a. 2013, S. 597 – 603.
Seelsorger oder Verwalter? ¢ Überlegungen zur Entlastung des Pfarrers von Verwaltungsaufgaben Heribert Hallermann Im Rahmen des Internationalen Studientags „Neuerungen und aktuelle Tendenzen im Kanonischen Recht“1 hat sich Herr Kollege Helmuth Pree, dem dieser Beitrag gewidmet ist, mit der Frage der Reichweite und Anwendung der kirchlichen Leitungsgewalt beschäftigt.2 Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet das Phänomen der vielfältigen sogenannten ,Priester- oder Pfarrer-Initiativen‘ und anderer Reformgruppen in deutschsprachigen Ländern.3 Neben vielen anderen sogenannten ,Reformanliegen‘ wird von diesen auch die Sorge um „die Zukunft unserer Gemeinden und unserer priesterlichen Berufung“4 vorgetragen. So gibt etwa die Diözesangruppe Würzburg der Pfarrer-Initiative Deutschland zu bedenken: „Priester sind für immer mehr Gemeinden zuständig. Die dadurch entstehende Fülle von Leitungsaufgaben lässt für die Seelsorge immer weniger Zeit. Mit der Folge, dass viele Priester die eigene Berufung nicht mehr leben können und die Freude und Ausstrahlung ihres Dienstes leidet.“5
Angeregt wird eine offene Diskussion und eine Lösungssuche, „bei der nicht bestehende kirchenrechtliche Festlegungen, sondern die Lebendigkeit der christlichen Gemeinden im Vordergrund steht.“6 Dementsprechend hebt die für den Dialogpro1 Der Studientag wurde am 24./25. Mai 2012 am Klaus Mörsdorf-Institut für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt. Die wesentlichen Beiträge sind dokumentiert in: AfkKR 181 (2012), S. 3 – 89. 2 Vgl. Helmuth Pree, Kirchliche Leitungsgewalt. Aspekte ihrer Reichweite und Anwendung, in: AfkKR 181 (2012), S. 39 – 56. 3 Vgl. ebd., S. 39 – 41. 4 http://www.pfarrer-initiative.de/pfarrerinitiative/Sorgen.aspx [Stand: 20. 02. 2014]. 5 Ebd. 6 Ebd. – Obwohl sich solche Initiativen gerne auf P. Franziskus berufen, pflegen sie weiter den angeblichen Antagonismus zwischen ,Pastoral‘ und ,Recht‘ und ignorieren z. B. die klare Aussage des Papstes bei seiner Ansprache an die Beamten des Gerichts der Römischen Rota am 24. 01. 2014: „Die juristische Dimension und die pastorale Dimension des kirchlichen Dienstes stehen nicht im Widerspruch zueinander, denn beide tragen zur Umsetzung der Ziele und der Einheit im Handeln bei, die der Kirche zu eigen sind.“ (http://www.vatican.va/holy_fa ther/francesco/speeches/2014/january/documents/papa-francesco_20140124_rota-romana_ge. html [Stand: 20. 02. 2014]). Vgl. hierzu auch Eduardo Baura, Pastorale e diritto nella Chiesa, in: Pontificio Consiglio per i testi legislativi (Hrsg.), Vent’anni di esperienza canonica 1983 –
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zess in der Diözese Würzburg zuständige Pastoralreferentin als einen der beiden inhaltlichen Schwerpunkte der bisherigen Rückmeldungen und Veranstaltungen hervor, dass „die sich verändernde Struktur in den Pfarreiengemeinschaften, die […] Gemeinden vor Ort vor Herausforderungen stellt. Immer weniger Priester müssten als Seelsorger in immer größeren Pfarreiengemeinschaften arbeiten.“7 Die Frage, ob bzw. wie Pfarrer auch noch Seelsorger sein können8 oder ob sie beruflich weitgehend in der Verwaltung aufgehen müssen, ist drängend geworden. Diesem Problem soll in drei Schritten nachgegangen werden: Zunächst ist der Problemhintergrund darzustellen, dann sind die rechtlichen Grundlagen zu erheben und schließlich sollen Lösungsvorschläge vorgelegt werden.
I. Schlaglichter zur aktuellen Situation von Pfarrern In der Mehrzahl der deutschen Diözesen wird derzeit noch versucht, dem Problem des Priestermangels strukturell mit der Zusammenarbeit zwischen Pfarreien und deren Zusammenschluss zu sogenannten ,Pfarreiengemeinschaften‘ zu begegnen; die Fusion, d. h. der dauerhafte rechtliche Zusammenschluss von Pfarreien zu einer neuen, größeren Pfarrei wird nur in einer kleineren Zahl von Diözesen gewählt.9 Die Folgen solcher Grundentscheidungen werden in den Personalnachrichten diözesaner Amtsblätter erkennbar, wenn beispielsweise einem Priester, der bereits Pfarrer von sechs Pfarreien ist, zusätzlich noch drei weitere Pfarreien sowie zwei Kuratien verliehen werden.10 In jeder dieser Pfarreien bzw. Kuratien bestehen jeweils die so2003. Atti della Giornata accademica tenutasi nel XX anniversario della promulgazione del Codice di Diritto Canonico, Aula del Sinodo in Vaticano, 24 gennaio 2003, Libreria Editrice Vaticana 2003, S. 159 – 180. 7 http://www.dialog.bistum-wuerzburg.de/index.html/dialogprozess-geht-2014-weiter/ 4469a4da-03ca-4ee8-a9bb-d444aaad26ce?mode=detail [Stand: 20. 02. 2014]. 8 Vgl. etwa Bischof Friedhelm Hofmann, Hirtenwort zum 13. 09. 2009 „Der Priester in der Pfarreiengemeinschaft“, in: Anlage zum Würzburger Diözesanblatt, 155. Jahrgang, Nr. 17 vom 07. 09. 2009, S. 2, Nr. 4: „… muss der Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft als Priester Seelsorger sein dürfen.“ (Kursive Hervorhebung im Original). Vgl. ebd., Nr. 3: „Sie [= die Kapläne] sind vielfach frei von den notwendigen Aufgaben in der Verwaltung und stehen als Priester und Seelsorger ganz zur Verfügung.“ 9 Vgl. Sekretariat der DBK (Hrsg.), „Mehr als Strukturen …“ Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-)Diözesen. Ein Überblick, in: Arbeitshilfen Nr. 216, Bonn 2007, S. 133 f. Vgl. hierzu ausführlich Heribert Hallermann, Was ist eine „rechtlich selbstständig bleibende Pfarrei“? Kanonistische Anmerkungen zu laufenden strukturellen Veränderungen in deutschen Diözesen, in: AfkKR 176 (2007), S. 394 – 418 mit weiteren Nachweisen sowie ders., Leitender Pfarrer oder leidender Pfarrer? Überlegungen zum Dienst des Pfarrers in einer Pfarreiengemeinschaft, in: ders. (Hrsg.), Menschendiener – Gottesdiener. Anstöße – Ermutigungen – Reflexionen, Würzburg 2010 (= WTh 4), S. 141 – 171. 10 Vgl. Würzburger Diözesanblatt, 159. Jahrgang, Nr. 15 vom 02. 09. 2013, S. 319: „Bischof Friedhelm hat verliehen: Herrn Georg Hartmann, Pfarrer von Giebelstadt, Allersheim, Eßfeld, Euerhausen, Ingolstadt und Sulzdorf, auch die Pfarreien Bütthard, Gaurettersheim und
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genannten „Gremien der Mitverantwortung“11, d. h. ein Pfarrgemeinderat und mindestens eine Kirchenverwaltung, die weithin als Kriterien der Selbständigkeit der in der Pfarreiengemeinschaft zusammengeschlossenen Einzelpfarreien gelten.12 Der hier beispielhaft gewählte Pfarrer und Kurat hat es demnach mit elf Pfarrgemeinderäten und mit mindestens elf Kirchenstiftungen als den örtlichen kirchlichen Vermögensträgern zu tun: Er ist von Rechts wegen geborenes Mitglied im Vorstand jedes einzelnen Pfarrgemeinderats13 sowie Kirchenverwaltungsvorstand jeder einzelnen Kirchenstiftung14. Wo auf der Ebene der Pfarreiengemeinschaft zusätzliche Gremien der Kooperation und Koordination, etwa zwischen den einzelnen Pfarrgemeinderäten oder den einzelnen Kirchenverwaltungen, eingerichtet werden, ist der Pfarrer ebenfalls unabkömmlich. Gegebenenfalls könnte der Pfarrer oder Kurat auch Pfründeinhaber und daher zugleich auch der Verwalter des Pfründevermögens sein.15 Der mit diesen Aufgaben verbundene strukturell bedingte Organisations-, Koordinations- und Verwaltungsaufwand ist evident. Hinzu kommt die Sorge des Pfarrers für Pfarrbüro und Pfarrarchiv.16 Besondere Sorgfalt fordert die ordnungsgemäße Führung der jeweiligen Pfarrbücher und Pfarrsiegel, weil diese – im Interesse der Rechtssicherheit der Gläubigen – für die einzelnen Pfarreien jeweils getrennt zu führen sind.17 Wo der Pfarreiengemeinschaft oder den einzelnen Pfarreien im Sinne des Oesfeld sowie die Kuratien Gützingen und Höttingen, mit Wirkung vom 1. November 2013. Damit ist er Leiter der Pfarreiengemeinschaft Giebelstadt-Bütthard“. 11 Der Bischof von Würzburg, Richtlinien für die Errichtung von Pfarreiengemeinschaften, in: http://downloads.kirchenserver.net/26/2516/1/29053067359824810902.pdf [Stand: 20. 02. 2014], S. 12. 12 Vgl. Hallermann, Rechtlich selbständige Pfarrei (Anm. 9), S. 401 – 409 sowie ders., Leitender Pfarrer oder leidender Pfarrer (Anm. 9), S. 154 f. mit Anm. 74. 13 Vgl. Diözesanrat der Katholiken im Bistum Würzburg, Satzung und Wahlordnung der Pfarrgemeinderäte im Bistum Würzburg. Stand: November 2008, in: http://www.dioezesanrat.bistum-wuerzburg.de/medien/5054c6f9-c363 – 4c0a-88e1-ef5faa0aeb44/satzungwahlordnung.pdf [Stand: 20. 02. 2014], § 9 Abs. 1. 14 Vgl. Ordnung für kirchliche Stiftungen in den bayerischen (Erz-)Diözesen (KiStiftO), in: http://www.erzbistum-muenchen.de/media/media19823620.pdf [Stand: 20. 02. 2014], Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 13. – Die partikularrechtlichen Ausführungen beschränken sich auf den Bereich der bayerischen Diözesen, dem Herr Kollege Pree sein vermögensrechtliches Handbuch schwerpunktmäßig gewidmet hat. Vgl. Hans Heimerl/Helmuth Pree unter Mitwirkung von Bruno Primetshofer, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche, Regensburg 1993. 15 Vgl. Art. 35 – 37 KiStiftO (Anm. 14). 16 Vgl. Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche (Kirchliche Archivordnung – KAO), in: Würzburger Diözesanblatt, 160. Jahrgang, Nr. 1 vom 20. 01. 2014, S. 15 – 23. 17 Vgl. c. 535 CIC/1983 sowie Franz Kalde, Art. Pfarrbücher, II. Kath., in: LKStKR III, S. 209 – 211. – Der c. 535 §§ 1 und 4 betont, dass die Pfarrbücher und das tabularium (wohl eher die Registratur als das Archiv, wie die deutsche Übersetzung des CIC/1983 an dieser Stelle angibt) in unaquaque paroecia, d. h. in jeder einzelnen und für jede einzelne Pfarrei zu führen sind. Im selben Sinne spricht c. 535 § 3 CIC/1983 davon, dass jede einzelne Pfarrei ein eigenes Siegel besitzen muss (unicuique paroeciae sit proprium sigillum). Mit dem Adjektiv
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c. 519 CIC/1983 Priester, Diakone oder Laien als pastorale Mitarbeiter/-innen zugeordnet sind, ist der Pfarrer in der Funktion sowohl des unmittelbaren Personalverantwortlichen als auch als Koordinator und Leiter der pfarrlichen Hirtensorge gefragt.18 Sofern im Bereich der betreffenden Pfarrei bzw. Pfarreien kirchliche Vereine oder Verbände als gemeinschaftliche Träger des eigenen Apostolats der Gläubigen bestehen,19 dürfen diese legitimerweise die Unterstützung und Förderung seitens des Pfarrers erwarten.20 Auch die Verwirklichung der vielfältigen Teilaufgaben und Aspekte der pfarrlichen Hirtensorge im Sinne der cc. 528 – 529 CIC/1983, die sich keinesfalls auf die Zelebration der Eucharistie sowie die Spendung mancher Sakramente beschränkt, fordert nach dem ekklesiologischen Konzept der Communio21, das dem CIC/1983 zugrunde liegt,22 das bewusste und aktive Zusammenwirken des Pfarrers mit anderen Gläubigen.23 Die Sehnsucht, als Priester vor allem Seelsorger sein zu dürfen,24 kann mit der verklärenden Erinnerung an frühere Zeiten zusammenhängen, in denen der Pfarrer „– wie früher – alle Aufgaben vor Ort alleine erfüllen“25 konnte und daher nicht auf die Zusammenarbeit mit anderen Gläubigen im Sinne des c. 519 CIC/1983 angewiesen war.26 In diesem Kontext wird möglicherweise auch die ekklesiologisch geproprium wird ausgeschlossen, dass mehrere Pfarreien – auch innerhalb einer Pfarreiengemeinschaft – ein und dasselbe Siegel benutzen; ebenso muss für die korrekte Siegelführung das Siegel der jeweils betroffenen Pfarrei und nicht das einer anderen verwendet werden. Weil die Pfarreiengemeinschaft – zumindest im Bistum Würzburg – keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, ist sie nicht berechtigt, ein Siegel zu führen. Vgl. Würzburger Diözesanblatt, 156. Jahrgang, Nr. 17 vom 30. 09. 2010, S. 486. 18 Vgl. cc. 515 § 1, 519, 545 § 1 und 548 § 3 CIC/1983. Vgl. auch Heribert Hallermann, Art. Hirtendienst, in: LKStKR II, S. 245 – 246 sowie ders., Pfarrei und pfarrliche Seelsorge. Ein kirchenrechtliches Handbuch für Studium und Praxis, Paderborn/München/Wien/Zürich 2004 (= KStKR 4), S. 267 – 275 und 343 – 369. 19 Vgl. Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht, Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, 2. Bd., Paderborn 1997, S. 464 – 470; Heribert Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche, Paderborn/München/ Wien/Zürich 1999, S. 340 – 364; ders., Art. Vereinigung von Gläubigen, in: LKStKR III, S. 759 – 760 mit weiteren Nachweisen. 20 Vgl. c. 529 § 2 CIC/1983. 21 Vgl. Ilona Riedel-Spangenberger, Art. Communio, in: LKStKR I, S. 355 – 357. 22 Vgl. P. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Sacrae Disciplinae Leges, in: CIC/ 1983 Lateinisch–Deutsch, Kevelaer 52001, S. XVIII und XIX. 23 Schon die in den cc. 528 und 529 CIC/1983 verwendeten Verben machen dies unmissverständlich deutlich. Vgl. Hallermann, Pfarrei (Anm. 18), S. 275. – Vgl. hierzu auch Thomas Meckel, Die Herde am Laufen halten. Lebendige Seelsorge mit dem Kirchenrecht, in: Heribert Hallermann (Hrsg.), Menschendiener – Gottesdiener. Anstöße – Ermutigungen – Reflexionen, Würzburg 2010 (= WTh 4), S. 181 – 211. 24 Vgl. weiter oben zu Anm. 5. 25 Hirtenwort (Anm. 8), S. 2, Nr. 1. 26 Das von P. Benedikt XVI. ausgerufene Priesterjahr vom 19. 06. 2009 bis 19. 06. 2010 hat mit der Leitfigur des heiligen Johannes Vianney (Pfarrer von Ars), der sich schwerpunktmäßig
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botene Zusammenarbeit mit anderen Gläubigen,27 d. h. Priestern, Diakonen und Laien, die Animation, Motivation, Formation, Koordination und Leitung sowie ein hohes Maß an gegenseitiger menschlicher und ekklesiologisch begründeter Wertschätzung verlangt, unterschiedslos zu den strukturell bedingten Verwaltungs- und Koordinationsaufgaben gezählt, mit diesen identifiziert und folglich innerlich abgelehnt. Damit würde jedoch ein Kernstück des pastoralen Handelns eines Pfarrers – fälschlicherweise als ,Verwaltung‘ begriffen – aufgegeben, das wie kaum etwas anderes zur Verwirklichung der Kirche als Communio beiträgt und diese erfahrbar macht. Von daher muss generell und auch im Folgenden der Begriff ,Verwaltung‘ strikt auf den administrativen und ökonomischen Aufgabenbereich eines Pfarrers eingeschränkt werden.
II. Rechtliche Grundlagen für das Verwaltungshandeln des Pfarrers Die Verwaltungsaufgaben des Pfarrers im engeren Sinn, die mitunter auch unter dem Begriff ,Leitung‘ zusammengefasst werden,28 werden gemeinhin auf die Tatsache zurückgeführt, dass eine Pfarrei ohne die entsprechenden materiellen Güter nicht denkbar ist. So spricht etwa Erzbischof Ludwig Schick, um das Konzept der Pfarrei im CIC/1983 zu erläutern, vom Gotteshaus und anderen Gütern als einem der konstitutiven Elemente der Pfarrei.29 Im Einzelnen meint er damit das Gotteshaus, das Pfarrhaus, die materielle Versorgungsbasis für das Einkommen des Pfarrers, die erforderlichen finanziellen Ressourcen für den Unterhalt der Kirche sowie die Pfarrbücher.30 Nicht genannt werden in diesem Zusammenhang die erforderlichen materiellen Ressourcen für die Gewährleistung der pastoralen Aufgaben, also sachliche, räumliche und finanzielle Mittel sowie die Aufgaben, die aus der Verantwortung für angestellte Mitarbeiter/innen in den Pfarreien und ihren Einrichtungen resultieren. Vor diesem Hintergrund wünscht Schick: auf die Einzelseelsorge, insbesondere die Beichtseelsorge konzentriert hat, möglicherweise das apostrophierte überkommene Pfarrerbild gefördert. 27 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Gläubige, II. Kath., in: LKStKR II, S. 154 – 156. 28 Vgl. ders., Die rechtliche Vertretung der Pfarrei durch den Pfarrer. Kanonistische Erwägungen aufgrund gewandelter Verhältnisse, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (Hrsg.), In mandatis meditari. Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag, Berlin 2012 (= Kanonistische Studien und Texte 58), S. 521 – 536, hier S. 521. 29 Vgl. Ludwig Schick, Pfarrei – Kirche vor Ort. Theologisch-kirchenrechtliche Vorgaben und Hinweise zur Pfarrei, in: Sekretariat der DBK (Hrsg.), „Mehr als Strukturen… . Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“. Dokumentation des Studientages der Frühjahrs-Vollversammlung 2007 der Deutschen Bischofskonferenz, Arbeitshilfen Nr. 213, Bonn 2007, S. 22 – 39, hier S. 25. – Der c. 515 § 1 CIC/1983 gibt allerdings eine andere Auskunft zu den Konstitutivelementen einer Pfarrei. 30 Vgl. ebd., S. 29 f. – Aus dem Vergleich mit der Aufzählung des c. 1184 CIC/1917 wird ersichtlich, dass sich Schick bei der Beschreibung der angeblichen Konstitutivelemente der Pfarrei nicht am geltenden CIC/1983, sondern am CIC/1917 orientiert hat.
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„Zu lösen ist die üppige Verwaltungsstruktur in unseren Pfarreien, die vor allem die Pfarrer belastet. […] [Man muss] überlegen, wie vor allen Dingen die Pfarrer für ihre eigentlichen Aufgaben ,befreit‘ werden können.“31
Um Schritte in diese Richtung unternehmen zu können, sollen im Folgenden zunächst einige der von Schick angesprochenen Probleme in Beziehung zu den jeweiligen rechtlichen Grundlagen gesetzt werden. 1. Die notwendige Unterscheidung zwischen Priester, Pfarrer und Seelsorger Die Klage, dass immer weniger Priester als Seelsorger in immer größeren Pfarreiengemeinschaften arbeiten müssten,32 macht beispielhaft deutlich, dass oft die Begriffe ,Priester‘ und ,Seelsorger‘ identisch gesetzt werden: Demnach wären alle Priester Seelsorger und nur Seelsorger und alle Seelsorger Priester. Damit wären aber die Diakone sowie etwa alle Frauen und Männer in den Berufsgruppen der Gemeinde- und Pastoralereferenten/-innen keine Seelsorger/-innen, obwohl sie ein Kirchenamt innehaben, dessen Inhalt Seelsorge ist.33 Ebenso auffällig ist, dass oft nicht zwischen ,Priester‘ und ,Pfarrer‘ unterschieden wird. Es ist zwar zutreffend, dass alle Pfarrer Priester sein müssen,34 aber es ist unzutreffend, dass alle Priester35 Pfarrer sind oder sein müssen. Alleine im Bereich der pfarrlichen Seelsorge unterscheidet der CIC/1983 zwischen dem Pfarrer im Sinne des c. 519 CIC/198336, dem Pfarrvikar gemäß cc. 545 – 552 CIC/198337, den einfachen Mitgliedern eines Priesterteams einerseits und dem Moderator eines Priesterteams andererseits gemäß cc. 517 § 1 und 542 – 544 CIC/198338, dem priesterlichen Leiter der Hirtensorge in einer vakanten Pfarrei im Sinne des c. 517 § 2 CIC/1983 sowie dem Pfarradministrator gemäß cc. 539 – 540 CIC/198339. Ebenfalls in den Bereich der pfarrlichen oder außerpfarr31 Ebd., S. 35 f. – Worin diese „eigentlichen Aufgaben“ des Pfarrers bestehen sollen, wird in diesem Zusammenhang nicht gesagt, vermutlich ist aber Seelsorge gemeint. 32 Vgl. Anm. 7. 33 Vgl. hierzu ausführlich Heribert Hallermann, Kirchliche Ämter ohne sakramentale Grundlage? – Die Ämter der Pastoral- und Gemeindereferentinnen/-referenten in der kirchlichen Rechtsordnung, in: Trierer Theologische Zeitschrift 108 (1999), S. 200 – 219 sowie ders., Seelsorger(in) – ein geschützter Begriff? Kirchenrechtliche Klärungen, in: Lebendige Seelsorge 55 (2004), S. 210 – 214. Vgl. auch Sabine Demel, Kirche als Volk Gottes und die Berufung der Laien zur eigenen Verantwortung. Die theologischen Grundlagen für die Berufe der Gemeinde- und PastoralreferentInnen, in: dies. (Hrsg.), Vergessene Amtsträger/-innen? Die Zukunft der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Freiburg/Basel/Wien 2013, S. 12 – 29, hier S. 26 f. 34 Vgl. c. 521 § 1 CIC/1983. 35 Vgl. Ernst Pucher, Art. Priester, in: LKStKR III, S. 287 – 288. 36 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Pfarrer, II. Kath., in: LKStKR III, S. 215 – 217. 37 Vgl. ders., Art. Pfarrvikar, II. Kath., in: LKStKR III, S. 234 – 235. 38 Vgl. ders., Art. Priesterteam, in: LKStKR III, S. 295 – 296. 39 Vgl. Gerhard Fahrnberger, Art. Pfarradministrator, in: LKStKR III, S. 201 – 203.
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lichen Seelsorge fallen die Kirchenrektoren gemäß cc. 556 – 563 CIC/198340 sowie die Gruppenseelsorger gemäß cc. 564 – 572 CIC/198341. Bei all diesen Priestern kann zudem zwischen diözesanangehörigen Priestern und Ordenspriestern im Sinne des c. 682 CIC/1983 unterschieden werden. Die Rechte und Pflichten der Priester richten sich nach dem jeweiligen Amt, das sie innehaben, und danach bemessen sich auch die Art, der Anteil und der konkrete Aufgabenbereich sowohl der Seelsorge als auch der Verwaltung, die mit dem jeweiligen Amt verbunden sind. Die beispielsweise für das Kirchenamt eines Pfarrers geforderte kanonische Eignung42 impliziert, dass der betreffende Kandidat nicht nur um alle Aufgaben – auch um die Verwaltungsaufgaben – weiß, die kraft universalen Rechts mit dem Amt eines Pfarrers verbunden sind, sondern dass er auch mit innerer Zustimmung bereit ist, alle diese Aufgaben zu übernehmen. Dasselbe gilt für die je konkreten Aufgaben, die mit einer bestimmten Pfarrei oder Pfarreiengemeinschaft verbunden sind, denn c. 521 § 2 CIC/1983 fordert nicht nur eine allgemeine Eignung für das Pfarramt, sondern eine ganz spezifische Eignung für die konkrete Pfarrei, um deren Besetzung es geht. Wo ein für ein bestimmtes Pfarramt in Aussicht genommener Priester die Übernahme der mit dieser konkreten Stelle verbundenen Verwaltungsaufgaben ablehnen würde, müsste der zuständige Ordinarius die mangelnde Eignung für das betreffende Kirchenamt feststellen. 2. Das erneuerte Verständnis der Pfarrei Der lateinische Rechtsbegriff für die Pfarrei – paroecia – ist im CIC/1983 derselbe geblieben wie im CIC/1917. Es hat sich jedoch sein wesentlicher Gehalt gewandelt. Der c. 216 § 1 CIC/1917 definierte die Pfarrei als ein bestimmtes Territorium einer Diözese, zu der eine eigene Kirche und ein eigenes Pfarrvolk gehören sowie ein Pfarrer, der im Blick auf die Verwaltung des Gotteshausvermögens als deren rector bezeichnet wird43 und im Blick auf die zu leistende Seelsorge als pastor proprius. Die Pfarrkirche gehört demnach notwendig zur Pfarrei und somit auch die fabrica ecclesiae als die Vermögensmasse, die für Bau und Unterhalt der Kirche selbst, für den Unterhalt der dort Beschäftigten sowie für die sonstigen gottesdienstlichen Aufwendungen erforderlich ist.44 Weil das Amt des Pfarrers als ein Kirchenamt verstanden wurde, das im Sinne des c. 146 CIC/1917 zugleich beneficium war,45 gehörte zur Pfarrei als regelmäßig erforderliches Element auch die Pfarrpfründe46 als die Vermö40
Vgl. Heribert Hallermann, Art. Kirchenrektor, in: LKStKR II, S. 514 – 515. Vgl. ders., Art. Cappellanus, in: LKStKR I, S. 326 – 327. 42 Vgl. c. 521 §§ 2 und 3 CIC/1983. 43 Vgl. c. 454 § 1 i. V. m. c. 1182 CIC/1917. Vgl. auch Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones, 2. Bd., Paderborn 1952, S. 429 – 431. 44 Vgl. cc. 1162 § 2 und 1182 – 1187 CIC/1917. Vgl. auch Jone, Gesetzbuch, 2. Bd. (Anm. 43), S. 414 f. und S. 429 – 435. 45 Vgl. Jone, Gesetzbuch, 2. Bd. (Anm. 43), S. 173 – 175. 46 Vgl. c. 1415 § 3 CIC/1917. Vgl. auch Jone, Gesetzbuch, 2. Bd. (Anm. 43), S. 608 f. sowie Felix Hammer, Art. Pfründe, II. Kath., in: LKStKR III, S. 238 – 239. 41
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gensmasse, die dem Unterhalt des Pfarrers diente. Beide Vermögensmassen besaßen kirchliche Rechtspersönlichkeit und wurden vom Pfarrer in seiner Eigenschaft als rector rechtlich vertreten.47 Bereits aus dieser kurzen Übersicht ergibt sich, dass der Pfarrer schon in der Rechtsordnung des CIC/1917 weder primär noch hauptsächlich als Seelsorger verstanden, sondern von Rechts wegen für vielfältige administrative und ökonomische Aufgaben in Anspruch genommen wurde. Der c. 515 § 1 CIC/1983 hingegen definiert die paroecia als eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, der ein Pfarrer als ihr eigener Hirte zugeordnet ist, damit er in und mit der Pfarrei die pfarrliche Hirtensorge (cura pastoralis)48 verwirklicht. Die Pfarrei selbst, d. h. die pfarrliche communitas christifidelium und nicht mehr nur die ihr zugehörigen Vermögensmassen, besitzt von Rechts wegen öffentliche kirchliche Rechtspersönlichkeit.49 Im Unterschied zu c. 216 § 1 CIC/1917 gehört die Pfarrkirche und damit die Vermögensmasse der fabrica ecclesiae nicht mehr zu den Konstitutivelementen der Pfarrei; der Pfarrer wird nicht mehr als rector bestimmt und das Kirchenamt des Pfarrers ist nicht mehr als Benefizium konzipiert.50 Insgesamt wird durch das erneuerte Verständnis der Pfarrei der pastorale Aspekt ins Zentrum gerückt und die Verwaltung des pfarrlichen Vermögens gehört nicht mehr zu den von Rechts wegen mit dem Amt des Pfarrers verbundenen Aufgaben; die Verwirklichung der Hirtensorge ist der einzige rechtfertigende Grund für die Untergliederung einer Diözese z. B. in Pfarreien.51 Die Tatsache, dass entsprechende Vermögensmassen und deren Rechtsträger gemäß c. 515 CIC/1983 nicht mehr zu den Konstitutivelementen der Pfarrei gehören, lässt die Frage als berechtigt erscheinen, ob unter diesen Voraussetzungen die kirchliche Güterverwaltung noch zu den unabdingbaren Aufgaben eines Pfarrers gehören muss. 3. Die rechtlichen Grundlagen für die Vermögensverwaltung durch den Pfarrer Als Argument dafür, dass die pfarrliche Vermögensverwaltung notwendig an das Amt des Pfarrers gebunden ist, wird – auch aufgrund einer wenig vertieften Canon-Exegese – der c. 532 CIC/1983 über die rechtsgeschäftliche Vertretung der Pfarrei durch den Pfarrer angeführt.52 Tatsächlich bezieht sich diese Norm „auf alle kanonischen Belange, das heißt auf alle Aufgaben, Handlungen, Rechte und Pflichten, die der Pfarrei nach kanonischem Recht zukommen. Vor diesem 47
Vgl. cc. 1409 und 99 i. V. m. 100 § 3 und 89 CIC/1917. Vgl. Heribert Hallermann, Art. Hirtendienst (Anm. 18). 49 Vgl. ders., Pfarrei (Anm. 18), S. 142 – 146 mit weiteren Nachweisen. 50 Vgl. c. 145 i. V. m. c. 519 CIC/1983. 51 Vgl. c. 374 CIC/1983. Vgl. auch Hallermann, Pfarrei (Anm. 18), S. 105 – 109. 52 Vgl. etwa Reinhild Ahlers, c. 532, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: Februar 2009): „Was den Inhalt und den Umfang der vom Pfarrer zu erledigenden Rechtsgeschäfte angeht, macht der Canon keine näheren Angaben. Praktisch handelt es sich dabei in der Hauptsache um vermögensrechtliche Angelegenheiten.“ 48
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Hintergrund ist der zweite Teilsatz mit dem Hinweis auf die Sorge für die rechte Vermögensverwaltung […] nicht als eine Einschränkung der Vertretungsmacht des Pfarrers auf den Bereich der Vermögensverwaltung zu verstehen.“53 Das heißt zum einen, dass sich die Aufgabe der Rechtsvertretung nicht allein auf die Vermögensverwaltung beschränkt, und zum anderen, dass die Vermögensverwaltung nur unter der Voraussetzung zu den Amtsaufgaben des Pfarrers gehört, dass das betreffende Vermögen wirklich der Rechtsperson paroecia gehört, die durch den Pfarrer rechtlich vertreten wird. Dabei ist der Begriff der paroecia aber im Sinne der in c. 515 CIC/1983 gegebenen Definition zu verstehen, und nicht im Sinne der kodikarischen Tradition des CIC/1917, in der die Begriffe paroecia, fabrica ecclesiae und beneficium paroeciale weitgehend undifferenziert verwendet wurden.54 Die paroecia im Sinne des c. 515 §§ 1 und 3 CIC/1983 ist persona iuridica publica im Sinne des c. 116 CIC/1983 und besitzt von daher gemäß c. 1255 i. V. m. c. 1257 § 1 CIC/1983 ohne Weiteres die Fähigkeit, Trägerin von Kirchenvermögen zu sein.55 Das bedeutet aber nicht, dass sie in jedem Fall auch tatsächlich Trägerin von pfarrlichem Kirchenvermögen ist; vielmehr kann das Vermögen auch in der Rechtsträgerschaft der überkommenen Rechtspersonen wie etwa der Pfarrpfründe, der fabrica ecclesiae oder der Kirchenstiftung stehen.56 Selbst wenn das Kirchengut der paroecia selbst gehört und somit der Pfarrer in den Blick kommt, ist zu beachten, dass diesem mit c. 532 CIC/1983 nicht eine unmittelbare und persönlich zu übernehmende Vermögensverwaltung aufgetragen wird, sondern vielmehr eine Sorge dafür, dass die Vermögensverwaltung ordnungsgemäß erfolgt (curet ut bona paroeciae administrentur).57 Als unmittelbare Vermögensverwalter sind folglich auch andere Personen denkbar. Auch der c. 1279 § 1 CIC/1983 bedarf einer sorgfältigen Betrachtung: Er bestimmt, dass die Verwaltung des Kirchengutes regelmäßig derjenigen physischen Person zukommt, welche die betreffende juristische Person, der die fraglichen Güter gehören, im Sinne des c. 115 § 3 CIC/1983 unmittelbar leitet. Dieselbe universalkirchliche Norm räumt aber auch die Möglichkeit ein, dass sowohl durch Partikularrecht als auch durch die entsprechenden Statuten wie auch durch eine rechtmäßige Gewohnheit eine andere Regelung besteht. Bei Nachlässigkeit des Verwalters, d. h. wenn dieser dem Anspruch des c. 1284/1983 nicht gerecht wird und eventuell die Gefahr besteht, dass das Kirchenvermögen verloren geht oder Schaden erleidet,58 muss das Eingriffsrecht des Ordinarius aber in jedem Fall sichergestellt sein und 53
Hallermann, Die rechtliche Vertretung (Anm. 28), S. 530. Vgl. ders., Pfarrei (Anm. 18), S. 142 f. – Das berechtigte und notwendige Bemühen von Schick, Pfarrei – Kirche vor Ort (Anm. 29), S. 36 f., die oft unterschiedslos verwendeten Begriffe Pfarrei, Gemeinde, Pfarrgemeinde, Kirchgengemeinde etc. voneinander abzugrenzen, spiegelt die oben genannte, bis heute andauernde Situation. 55 Vgl. Aymans/Mörsdorf, KanR, 1. Bd., S. 316 – 318 i. V. m. 4. Bd., S. 12. 56 Vgl. Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 398 f., Rdnr. 5/196 – 5/199. 57 Vgl. ebd., S. 399, Rdnr. 5/202. 58 Vgl. ebd., S. 271 – 275, Rdnrn. 3/84 – 3/105. 54
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kann weder durch Rechtsvorschrift noch Statut noch Gewohnheit außer Kraft gesetzt werden. Die als Regelfall ausgewiesene Vorschrift ist mit Rüdiger Althaus als eine hilfsweise Vorschrift zu qualifizieren, die erst dann greift, wenn Partikularrecht, Statuten oder Gewohnheit nichts Gegenteiliges festlegen.59 Auf die Pfarrei gewendet bedeutet das, dass sich auch aus c. 1279 § 1 CIC/1983 kein absolut zwingender Grund dafür ableiten lässt, dass die pfarrliche Vermögensverwaltung an das Kirchenamt des Pfarrers gebunden ist – selbst nicht in dem Fall, dass das fragliche Vermögen tatsächlich der Rechtsperson paroecia gehört: Partikularrecht, Statuten oder rechtmäßige Gewohnheit können auch auf andere Weise eine Regelung für die Vermögensverwaltung treffen, sofern das Überwachungs- und Eingriffsrecht des Ordinarius gewahrt bleibt.60 Das geltende Partikularrecht der bayerischen Diözesen weist die Kirchenstiftungen als die Träger und Verwalter des ortskirchlichen Vermögens aus, das den kirchlichen Zwecken im Sinne des c. 1254 § 2 CIC/1983 dient.61 Eine Pfarrkirchenstiftung ist aufgrund der hoheitlichen Errichtung durch den jeweiligen Diözesanbischof öffentliche juristische Person kirchlichen Rechts62 und zugleich im weltlichen Rechtsbereich rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts;63 auf die staatliche Anerkennung als juristische Person des öffentlichen Rechts besteht ein Rechtsanspruch.64 Aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirche65 ordnet und verwaltet in Deutschland die Kirche auch ihre vermögensrechtlichen Angelegenheiten selbstständig. Insofern ist der Erlass der rechtlichen Grundlagen für die Vermögensverwaltung explizit eigene Aufgabe der Kirche und nicht des Staates.66 Die Bestimmung, dass der Pfarrer oder der Inhaber einer selbständigen Seelsorgestelle67 als Kirchenverwaltungsvorstand von Amts wegen Mitglied der Kirchenverwaltung mit den daraus resultierenden Pflichten und Rechten ist, ist demnach eine Bestimmung des positiven kirchlichen und nicht des staatlichen Rechts. Die vielfältige Inanspruchnahme des Pfarrers im Bereich der unmittelbaren Vermögensverwaltung, aber auch bei Bausachen und in Personalangelegenheiten, gründet daher auf einer positiven Setzung kirchlichen, näherhin diözesanen Rechts. Die kirchliche Tradition und ebenso das universalkirchliche Recht sind aber auch mit der Tatsache 59
Vgl. Rüdiger Althaus, c. 1279, Rdnr. 5 a), in: MK CIC (Stand: April 1997). Vgl. c. 1276 i. V. m. c. 1279 § 1 CIC/1983. 61 Vgl. Art. 1 KiStiftO (Anm. 14). 62 Vgl. Art. 1 Abs. Nr. 1 KiStiftO (Anm. 14) i. V. m. cc. 115 § 3 und 116 CIC/1983. 63 Vgl. Art. 1 Abs. 5 und Art 3 Abs. 1 KiStiftO (Anm. 14). Vgl. auch Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 410, Rdnr. 5/247. 64 Vgl. Art. 22 Abs. 1 BayStG (Bayerisches Stiftungsgesetz). 65 Vgl. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV. 66 Vgl. Art. 23 Abs. 1 BayStG: „Die kirchlichen Stiftungen unterstehen der Aufsicht der betreffenden Kirche. Der Erlass allgemeiner Vorschriften über Namen, Sitz, Zweck, Vertretung, Verwaltung und Beaufsichtigung kirchlicher Stiftungen ist Aufgabe der Kirchen.“ 67 Während der Begriff ,Pfarrer‘ nach c. 519 CIC/1983 bestimmt werden kann und muss, ist der Begriff ,Inhaber einer selbständigen Seelsorgestelle‘ kirchenrechtlich nicht definierbar. 60
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vertraut, dass die kirchliche Vermögensverwaltung nicht an Kleriker gebunden sein muss und dass sie sich ohne weiteres auch als ein Aufgabengebiet für Diakone und Laien anbietet.68 4. Die Zuordnung des Pfarrgemeinderates zur Hirtensorge der Pfarrei In ihrer Erklärung „Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde“69 hat sich die DBK u. a. auch mit der Frage der Pfarrgemeinderäte in solchen Situationen beschäftigt, in denen ein und demselben Pfarrer mehrere Pfarreien anvertraut sind. Dort wird einerseits ein gemeinsames Beratungsgremium gewünscht, das die gesamte pfarrliche Seelsorge im Blick hat und unterstützt; ebenso werden für die einzelnen Pfarreien innerhalb einer Pfarrgruppe oder Seelsorgeeinheit je einzelne Gremien empfohlen, die jedoch zur Beratung gemeinsamer Angelegenheiten zusammenarbeiten sollen. Dabei wird auch auf das Problem hingewiesen, das sich aus dieser Gremienstruktur ergibt: Eine Vielzahl von Sitzungsterminen, die unter Umständen vom Pfarrer kaum mehr wahrgenommen werden können.70 Mit ihrer Erklärung schließt die DBK an die Anordnung des Synodenbeschlusses „Räte und Verbände“ an, wonach – abweichend von c. 536 CIC/1983 – in jeder Pfarrgemeinde ein Pfarrgemeinderat zu bilden ist.71 Als Beratungsgremium des Pfarrers und als Organ des Laienapostolats72 besitzt der Pfarrgemeinderat eine Doppelfunktion und ist nicht einfach mit dem Pastoralrat des c. 536 CIC/1983 identisch.73 Zwischenzeitlich ist das Bestehen eines eigenen Pfarrgemeinderates zu einem der Kriterien für eine angeblich rechtlich selbständig bleibende Pfarrei innerhalb einer Seelsorgeeinheit und somit zum Identifikationsobjekt 68 Vgl. cc. 1279 – 1289 CIC/1983. Vgl. auch Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 255, Rdnr. 3/10. 69 Vgl. Sekretariat der DBK (Hrsg.), Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde, in: Die deutschen Bischöfe Nr. 54, Bonn 1995. 70 Vgl. ebd., S. 20, Nr. 4.1: „Es ist notwendig, dass jede Pfarrei auch ihren eigenen Pfarrgemeinderat hat. Darüber hinaus ist es sinnvoll, dass in der gesamten Pfarreiengruppe, für die ein Pfarrer zuständig ist, ein gemeinsames Beratungsgremium mit dem Pfarrer die gesamte Seelsorge im Blick hat. Dafür sind verschiedene Modelle möglich: Es kann ein Rat gebildet werden, in welchem örtliche Ausschüsse die Belange der einzelnen Pfarrbezirke wahrnehmen. Es können auch die Pfarrgemeinderäte der jeweiligen Orte gelegentlich gemeinsam zur Beratung von überörtlichen Belangen zusammenkommen. Die Zusammenarbeit der Pfarrgemeinderäte kann auch durch regelmäßig gemeinsame Vorstandssitzungen erreicht werden. Ziel muss sein, sowohl die Eigenständigkeit der einzelnen Pfarreien und Pfarrbezirke zu wahren als auch ihre Zusammenarbeit untereinander zu fördern. Dabei muss eine Form gefunden werden, die den Pfarrer und die anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht im Übermaß mit Sitzungsterminen belastet.“ 71 Vgl. Gemeinsame Synode, 1. Bd., S. 663, Nr. 1.16.1: „In jeder Pfarrgemeinde ist ein Pfarrgemeinderat zu bilden.“ 72 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Laienapostolat, in: LKStKR II, S. 671 – 673. 73 Vgl. Franz Kalde, Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat, in: HdbKathKR2, S. 529 – 535, hier S. 531 sowie Sabine Demel, Handbuch Kirchenrecht. Grundbegriffe für Studium und Praxis, Freiburg 22013, S. 507.
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ihrer Untergliederungen geworden.74 Daraus ergibt sich unter Umständen eine problematische Verschiebung vom Pfarrgemeinderat als auf den Zuständigkeitsbereich eines Pfarrers bezogenes Beratungs- und Koordinationsgremium in Fragen der pfarrlichen Seelsorge hin zu einem Gremium der örtlichen Interessensvertretung gegenüber der größeren Struktur der Seelsorgeeinheit.75 Die Auflösung oder Umstrukturierung von Räten wird mitunter auch als Rechtsverstoß gegen einen bindenden Beschluss der Gemeinsamen Synode sowie als genereller Angriff auf das Apostolat der Laien empfunden.76 Aus dem Verständnis des Pfarrgemeinderates als einem Organ des Laienapostolats scheint zudem die unzutreffende Schlussfolgerung gezogen zu werden, dass etwa mit der Bildung eines gemeinsamen Pfarrgemeinderates für eine Seelsorgeeinheit Laien in den einzelnen Teilen – den früheren Einzelpfarreien – ihr eigenes Apostolat nicht mehr ausüben könnten. 5. Die Sorge des Pfarrers für die pfarrlichen Bücher Gemäß c. 535 CIC/1983 müssen in jeder einzelnen Pfarrei – nicht aber in einer Seelsorgeeinheit aus rechtlich selbständigen Pfarreien – die universal- und partikularrechtlich vorgeschriebenen pfarrlichen Bücher vorhanden sein und sorgfältig geführt werden. Sie dienen der beweiskräftigen Dokumentation personenstandsrelevanter oder grundlegender seelsorglicher Daten und haben den Charakter öffentlicher kirchenamtlicher Urkunden mit voller Beweiskraft.77 Weil insbesondere die Spendung von Sakramenten, die den kirchlichen Personenstand verändern, weitreichende Rechtsfolgen nach sich zieht,78 dient die sorgfältige Führung der Pfarrbücher auch dem Rechtsschutz sowohl der einzelnen Gläubigen als auch der kirchlichen Gemeinschaft. Aufgrund der rechtssystematischen Einordnung des c. 535 CIC/1983 in den gesamten Normenkomplex über die Pfarrei und den Pfarrer wird ersichtlich, dass die Führung der Pfarrbücher zu den Amtsaufgaben des Pfarrers gehört, die ohne weiteres mit dem Kirchenamt des Pfarrers verbunden sind und von diesem nicht abgelöst werden können. Nach dem Wortlaut des c. 535 § 1 CIC/1983 ist dem Pfarrer aber nicht die persönliche Führung der Pfarrbücher aufgetragen: Er soll vielmehr Sorge dafür tragen, dass diese Bücher ordnungsgemäß geführt und sorgfältig aufbewahrt werden. Auch die Ausstellung von Urkunden über den kanonischen Personenstand der Gläubigen sowie die Siegelführung ist entsprechend geregelt: Der c. 535 § 3 CIC/1983 bestimmt, dass solche Urkunden wie etwa ein Taufzeugnis zum
74 Vgl. Hallermann, Was ist eine „rechtlich selbstständig bleibende Pfarrei“? (Anm. 9), S. 402 – 406. 75 Vgl. ebd., S. 406. 76 Vgl. etwa Johannes Grabmeier, Kirchlicher Rechtsweg – vatikanische Sackgasse!, Schierling 2012. 77 Vgl. Franz Kalde, Art. Pfarrbücher (Anm. 17). 78 Vgl. z. B. c. 96 i. V. m. cc. 208 – 223 CIC/1983 oder c. 1008 i. V. m. cc. 273 – 289 CIC/ 1983.
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Zweck der Eheschließung entweder vom Pfarrer persönlich oder von einer von ihm beauftragten Person unterschrieben und gesiegelt werden sollen. 6. Zusammenfassung Die Berufsbilder des Priesters, des Pfarrers und des Seelsorgers sind nicht identisch. Mit dem Berufsbild des Pfarrers sind geschichtlich überkommen bestimmte Verwaltungsaufgaben, insbesondere im ökonomischen Bereich, verbunden. Die geltende universalkirchliche Gesetzgebung verschiebt allerdings den Schwerpunkt im Kirchenamt des Pfarrers hin zu den Aufgaben der pfarrlichen Hirtensorge und sieht den Pfarrer nicht zwingend als den Vermögensverwalter der Pfarrei. Demgegenüber hält das für die bayerischen Diözesen geltende Partikularrecht ohne weitere Begründung an der Verbindung von Pfarramt und Vermögensverwaltung fest. Die Uneindeutigkeit im Konzept des Pfarrgemeinderates kann im Zusammenhang mit der Bildung von größeren Seelsorgeeinheiten dazu beitragen, dass dieser zu einem Objekt örtlicher Identifikation und Selbstbehauptung gegenüber der größeren Einheit wird und eher zentrifugale als zentripetale Kraft entfaltet. Die Sorge um die ordnungsgemäße Führung der pfarrlichen Bücher ist ein Beitrag zur Rechtssicherheit und gehört von Rechts wegen zum Amt des Pfarrers.
III. Entlastungsmöglichkeiten für Pfarrer Bei der Frage nach Entlastungsmöglichkeiten für Pfarrer79 soll – im Unterschied zu anderen Stimmen80 – ganz bewusst von den geltenden kirchenrechtlichen Grundlagen ausgegangen werden. Rechtliche Ordnungen haben nämlich schon als solche die Funktion, zu entlasten, indem sie zum einen standardisierte Verfahren und klare Kriterien anbieten, die den Handelnden der Not einer je neuen Lösungssuche sowie einer ständigen persönlichen Begründung und Rechtfertigung entheben. Zum anderen bietet die rechtliche Ordnung belastbare Grundlagen für Entscheidungen und Vorgehensweisen, so dass die von Erzbischof Schick zitierte Befürchtung nicht mehr eintreffen kann: „[…] wenn es hart auf hart kommt, fällt doch wieder alles auf den Pfarrer zurück.“81 Diese Befürchtung ist dort berechtigt, wo als Lösungsweg die Delegation von Aufgaben und Befugnissen vorgeschlagen oder gewählt wird.82 Delegation bedeutet 79 Schick, Pfarrei – Kirche vor Ort (Anm. 29), S. 36 spitzt diese Frage nach Entlastung zu: „Wie kann wirkliche Befreiung von Verwaltungsaufgaben geschehen?“ 80 Vgl. weiter oben zu Anm. 6. 81 Vgl. Schick, Pfarrei – Kirche vor Ort (Anm. 29), S. 36. 82 Vgl. als ein typisches Beispiel die von der Hauptabteilung Personal des Bistums Würzburg zusammengestellten „Delegationsmöglichkeiten“, die jedoch lediglich Ständige Diakone und hauptberuflich in der Seelsorge tätige Laien mit dem Ziel der Entlastung des Pfarrers in
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nämlich83 nicht, dass ein Amtsinhaber – beispielsweise ein Pfarrer – bestimmte Aufgaben einfach an andere abgeben könnte, so dass er sich nicht mehr darum kümmern müsste. Die Aufgaben bleiben vielmehr bei ihm selbst – sofern sie zu dem Bündel von Rechten und Pflichten gehören, die sein Kirchenamt ausmachen84 – und in seiner originären Verantwortung, auch wenn sie kraft Delegation von einer anderen Person ausgeübt werden.85 So muss der Delegant unter Umständen festlegen und überprüfen, ob die Art und Weise der Ausführung eingehalten wird, die mit der Delegation gegebenenfalls festgelegt worden ist; ebenso muss er überprüfen, ob der Delegierte die Grenzen der Delegation einhält, deren Überschreiten die Ungültigkeit des Handelns zur Folge hat.86 Solche Grenzen können in sachlicher, in personeller und in zeitlicher Hinsicht gegeben sein; eine generelle Delegation scheint mit der geltenden Rechtsordnung nicht vereinbar zu sein.87 Ferner ist zu beachten, dass eine Delegation um der Beweisbarkeit willen selbst im Einzelfall möglichst schriftlich erteilt werden soll;88 für den generellen Fall sowie für die Übertragung ständiger Befugnisse89 gilt dies umso mehr. Ebenso muss der Delegierte über die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen verfügen, um eine Aufgabe oder Zuständigkeit kraft Delegation übernehmen zu können.90 Das Handeln einer Person im Auftrag eines Deleganten erfordert Aufsicht und Kontrolle und somit ein engagiertes Leitungshandeln. Eine Delegation führt wohl nur in wenigen Fällen zu einer wirksamen Entlastung des betreffenden Amtsinhabers und ist kein ,Königsweg‘, wenn es um die Entlastung des Pfarrers von Verwaltungsaufgaben geht.91 1. Beachtung der gesetzlich definierten Aufgabenbereiche Weiterführend ist es, wenn das Amt des Pfarrers rechtswirksam und auf sicherer gesetzlicher Grundlage von all den Aufgaben befreit wird, die bislang zwar traditionell vom Pfarrer wahrgenommen wurden, die aber dennoch gemäß der geltenden den Blick nehmen, in: http://pfarreiengemeinschaft.bistum-wuerzburg.de/bwo/dcms/sites/bis tum/pfarreien/pgs/arbeitshilfen/5/5_3_AH.pdf [Stand: 20. 02. 2014]. 83 Vgl. Reinhard Wenner, Art. Delegation, in: LKStKR I, S. 384 – 385. 84 Vgl. 145 § 2 CIC/1983. Vgl. auch Péter Erdö, Art. Amt, III. Kath., in: LKStKR I, S. 78 – 81 sowie ders., Art. Amtspflichten, ebd., S. 93 – 94. 85 Hubert Socha, c. 137, Rdnr. 9 a), in: MK CIC (Stand: November 1986) weist ausdrücklich darauf hin, dass der Delegant stets Herr über die von ihm delegierte Aufgabe oder Befugnis hinsichtlich ihres Bestandes wie auch hinsichtlich der Form ihrer Ausübung bleibt. Vgl. c. 142 § 1 CIC/1983. 86 Vgl. c. 133 CIC/1983. 87 Vgl. Wenner, Delegation (Anm. 83), S. 385. 88 Vgl. c. 131 § 3 i. V. m. c. 37 CIC/1983. Vgl. auch Hubert Socha, c. 131, Rdnr. 18, in: MK CIC (Stand: November 1986) sowie ders., c. 37, Rdnrn. 3 – 5, in: MK CIC (Stand: Dezember 2013). 89 Vgl. c. 132 § 1 CIC/1983. 90 Vgl. Wenner, Delegation (Anm. 83), S. 384. 91 Vgl. Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 100 – 104, Rdnrn. 1/190 – 1/205.
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Rechtsordnung nicht notwendig mit dem Amt des Pfarrers verbunden sein müssen. Dabei ist der beschriebene Wechsel im rechtlichen Verständnis der Pfarrei ebenso zu beachten wie das erneuerte Verständnis des Kirchenamtes des Pfarrers. Generell gilt, dass alle Aufgaben, die definitionsgemäß zu den Amtspflichten eines Pfarrers gehören, beibehalten und von diesem ausgeübt werden müssen;92 alle anderen Aufgaben können und müssen überprüft und ihre Zuordnung gegebenenfalls rechtlich anders geregelt werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der kirchlichen Vermögensverwaltung und den vielen mit ihr zusammenhängenden Aufgaben etwa im Bereich der Trägerschaft von Kindergärten und anderer Einrichtungen oder im Bereich von Bau und Bauunterhalt: Weil das entsprechende Kirchenvermögen nicht mehr zu den kodikarischen Konstitutivelementen einer Pfarrei gehört, kann nach universalkirchlichem Recht die pfarrliche Vermögensverwaltung auch nicht mehr zu den unabdingbaren Aufgaben eines Pfarrers gehören. Insofern können und sollten die Diözesanbischöfe als die zuständigen partikularkirchlichen Gesetzgeber die partikularrechtlichen Grundlagen – für die bayerischen Diözesen ist dies die Kirchenstiftungsordnung – entsprechend verändern und zumindest als Möglichkeit vorsehen, dass eine andere Person als der Pfarrer Kirchenverwaltungsvorstand sein kann. Die Bestellung eines Stellvertretenden Kirchenverwaltungsvorstands auf Antrag, dessen Befugnisse nicht gesetzlich geregelt sind, sondern jeweils im Einzelfall durch den Ordinarius festgelegt werden müssen,93 sorgt allenfalls partiell für Entlastung, da auch in diesem Fall der Pfarrer stets Kirchenverwaltungsvorstand mit bestimmten Aufgaben im Bereich der pfarrlichen Vermögensverwaltung bleibt.94 Weil das Aufsichts- und Eingriffsrecht des Ordinarius, das gemäß cc. 1276 und 1279 § 1 CIC/1983 die ordnungsgemäße und sorgfältige Vermögensverwaltung sicherstellen soll, in jedem Fall gewahrt bleiben muss, besteht keine sachliche oder rechtliche Notwendigkeit, dass am Pfarrer als dem Zuständigen für die pfarrliche Vermögensverwaltung festgehalten wird.95 Aus ekklesiologischer Perspektive ist die nach früherer Rechtsordnung
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Vgl. insbesondere cc. 528 – 529 CIC/1983. Vgl. Satzung für die gemeindlichen kirchlichen Steuerverbände in den bayerischen (Erz-)Diözesen (GStVS), in: http://www.erzbistum-muenchen.de/media/media 19823820.PDF [Stand: 20. 02. 2014], Art. 6 Abs. 4 und 5. – Aus dem Vergleich mit dem in Art. 6 Abs. 3 GStVS genannten „Vertreter des Kirchenverwaltungsvorstands“, welcher stets ein Geistlicher, d. h. ein Diakon oder ein Priester sein muss, ergibt sich, dass der „Stellvertretende Kirchenverwaltungsvorstand“ im Sinne des Art. 6 Abs. 4 und 5 nicht Geistlicher sein muss. Gerade die Zusammenschau dieser Bestimmungen lässt aber die – nach geltendem kanonischen Recht insbesondere im Blick auf c. 204 § 1 CIC/1983 nicht mehr nachvollziehbare und im Kern unzutreffende – Grundannahme der Satzung erkennen, dass die kirchliche Vermögensverwaltung eine originäre Aufgabe der Geistlichen ist. 94 Vgl. Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 103, Rdnr. 1/201. 95 Art. 43 Abs. 3 KiStifO (Anm. 14) eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit, dass die kirchliche Stiftungsaufsichtsbehörde einem Pfarrer nicht die pfarrliche Vermögensverwaltung überträgt oder dass sie ihm diese entzieht, und bestimmt weiter: „Bei unabweisbarem Bedarf kann ausnahmsweise ein Laie als Kirchenverwaltungsvorstand bestellt werden.“ 93
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noch plausible Identität von ,kirchlich‘ und ,klerikal‘ ebenfalls überholt.96 Zudem sind geeignete und sachkundige Laien im Sinne des c. 228 § 1 CIC/1983 sehr wohl in der Lage, das Amt eines Vermögensverwalters „mit der Sorgfalt eines guten Hausvaters“97 zu erfüllen; im CIC/1983 gibt es zudem keinen Hinweis darauf, dass die gesetzlichen Erwartungen an einen kirchlichen Vermögensverwalter mit der Übernahme des Kirchenamtes eines Pfarrers von Rechts wegen erfüllt wären. 2. Strukturelle Entlastungen Das geschilderte Problem der vielen Gremien der Mitbestimmung, die u. a. zu einer nicht mehr zu bewältigenden Zahl von Sitzungsterminen führen,98 fällt ebenfalls auf die einzelnen Diözesanbischöfe als die für die Strukturierung ihrer Teilkirchen Zuständigen zurück. In Korrespondenz zu c. 374 i. V. m. c. 515 § 2 CIC/1983 weist das Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe99 unmissverständlich darauf hin, der Diözesanbischof müsse „darum besorgt sein, dass die pastoralen Strukturen in einer Weise organisiert werden, dass sie sich den Erfordernissen der Seelsorge anpassen“.100 Im Einzelnen weist das Direktorium hin auf „die Vereinigung von kleinen Pfarreien, die Errichtung von neuen Pfarreien“.101 Überall dort, wo objektiv eine Situation besteht, dass Pfarrer aufgrund einer überbordenden Verwaltungstätigkeit oder einer zu großen Zahl von Gremien an der Verwirklichung der pfarrlichen Hirtensorge gehindert werden,102 steht der betreffende Diözesanbischof in der Pflicht, strukturelle Lösungen durch die rechtliche Vereinigung von Pfarreien sowie deren entsprechenden Vermögensträgern zu treffen.103 Allein auf den Bereich der Kirchen96 Vgl. hierzu ausführlich Heribert Hallermann, Die Bedeutung des Begriffs „kirchlich“ im kanonischen und im staatlichen Recht, in: Winfried Aymans/Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Iudicare inter fideles (= FS für K.-T. Geringer zum 65. Geburtstag), Sankt Ottilien 2002, S. 157 – 179. 97 C. 1284 § 1 CIC/1983. Vgl. auch die in c. 1284 § 2 CIC/1983 genannten gesetzlichen Erwartungen, aus denen sich die entsprechenden Voraussetzungen eruieren lassen, die der kirchliche Gesetzgeber für das Amt eines Vermögensverwalters fordert. 98 Vgl. weiter oben Anm. 70. 99 Vgl. Kongregation für die Bischöfe, Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe. Übersetzung und Kommentar von Heribert Hallermann, Paderborn/München/ Wien/Zürich 2006 (= KStKR 7). 100 Ebd., S. 277, Nr. 214. 101 Ebd. 102 Vgl. weiter oben zu Anm. 5. – Vgl. auch Schick, Pfarrei – Kirche vor Ort (Anm. 29), S. 37. 103 Vgl. hierzu Hallermann, Pfarrei (Anm. 18), S. 164 – 172. – Art. 22 Abs. 3 Satz 3 BayStG legt ausdrücklich fest: „Art. 8 findet mit der Maßgabe Anwendung, dass auf Antrag der betreffenden Kirche eine Zusammenlegung oder Zulegung von kirchlichen Stiftungen des öffentlichen Rechts auch erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 BGB nicht erfüllt sind.“ Das bedeutet, dass kirchliche Stiftungen vereinigt werden dürfen, ohne dass die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist oder dass die Stiftung das Gemeinwohl gefährdet.
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stiftungen bezogen, bietet sich auch an, von der in Art. 25 Abs. 6 KiStiftO104 eröffneten Möglichkeit, eine Gesamtkirchenverwaltung zu bilden, offensiver Gebrauch zu machen. Ein Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des Art. 25 Abs. 7 KiStiftO bietet dem gegenüber nur ein geringeres Maß an Entlastung. Im Hinblick auf die Pfarrgemeinderäte ergibt sich durch eine rechtliche Vereinigung bislang selbstständiger Pfarreien zu einer neuen, größeren Pfarrei insofern eine erhebliche Entlastung, als die Bildung von Pfarrgemeinderäten sowohl nach c. 536 CIC/1983 als auch nach dem Beschluss der Gemeinsamen Synode,105 der Grundlage der meisten Pfarrgemeinderatssatzungen ist, eindeutig auf die Pfarrei und die pfarrliche Hirtensorge bezogen ist, nicht aber auf Untergliederungen von Pfarreien. Eine rechtliche Vereinigung von mehreren bislang selbständigen Pfarreien hätte demzufolge auch die Bildung eines einzigen gemeinsamen Pfarrgemeinderates zur Folge. Im Blick auf die Pfarreiengemeinschaften oder andere Formen der Seelsorgeeinheiten, in denen man an der angeblichen rechtlichen Selbständigkeit von Pfarreien festhält, muss seitens des Diözesanbischofs grundlegend geklärt werden, ob er ein Gremium will, das den Pfarrer in der Hirtensorge für die Seelsorgeeinheit berät, unterstützt und entlastet, oder ob er eine ortskirchliche Interessenvertretung der Gläubigen gegenüber der Seelsorgeeinheit und deren Pfarrer für sinnvoll und erstrebenswert hält. Der erste Fall hätte einen gemeinsamen Pfarrgemeinderat zur Folge und der zweite Fall würde das Bestehen vieler einzelner Organe rechtfertigen, an deren Zusammenkünften der Pfarrer lediglich sporadisch teilnehmen kann; dabei wäre aber der in c. 536 CIC/1983 angezielte Charakter eines Pastoralrates in der Praxis nicht mehr einlösbar. 3. Psychische Entlastung Erzbischof Schick weist zu Recht auf die Notwendigkeit hin, „alles zu tun, um genügend Priester zu haben, die Pfarrer sein können in den Pfarreien, die wir […] in Zukunft haben und haben müssen. Die Ausbildung und Fortbildung der Priester soll den veränderten Bedingungen in der Pastoral und in den Pfarreien angepasst werden.“106 Mit der erforderlichen Unterscheidung zwischen ,Priester‘ einerseits und ,Pfarrer‘ andererseits spricht Schick implizit die Tatsache an, dass nicht alle Priester ohne weiteres dazu geeignet sind, das Amt eines Pfarrers übernehmen zu können.107 Erzbischof Zollitsch greift diese Differenzierung auf, wenn er darauf hinweist, dass sich „neben und in Ergänzung zum Pfarrer […] Priester als Pfarrvikare, Kooperato104
Vgl. Art. 25 Abs. 6 KiStifO (Anm. 14): „Auf Antrag der beteiligten Kirchenstiftungen kann die kirchliche Stiftungsaufsichtsbehörde die Bildung einer Gesamtkirchenverwaltung zur sachgerechten Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben gestatten.“ 105 Vgl. Anm. 71. 106 Schick, Pfarrei – Kirche vor Ort (Anm. 29), S. 34. 107 Dies ist u. a. auch aus der Tatsache zu erkennen, dass cc. 521 und 524 CIC/1983 Anforderungen an Kandidaten für das Amt eines Pfarrers formulieren, die über den in c. 1029 i. V. m. c. 1031 § 1 CIC/1983 formulierten Anforderungskatalog für Kandidaten zur Priesterweihe hinausgehen.
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ren oder als Seelsorger mit eigenem Schwerpunkt gezielt einbringen“108 können. Es geht demnach nicht um eine Klärung eines subjektiven oder eines objektiven Priesterbildes,109 sondern um eine bewusste Wahrnehmung und innere Akzeptanz der verschiedenen Aufgabenbereiche, Rechte und Pflichten, die mit dem einen oder dem anderen priesterlichen Amt in der pfarrlichen Seelsorge verbunden sind. Diesbezügliche falsche oder fehlgeleitete Erwartungen werden notwendigerweise entweder zur Frustration des betreffenden Priesters führen oder dazu, dass dieser den ihm anvertrauten Gläubigen die Verwirklichung bestimmter Aufgaben schuldig bleibt. Die inneren Belastungen, die daraus für beide Seiten entstehen, sind absehbar. Andererseits gilt aber: „Wo es gelingt, Berufsbilder zu profilieren und Aufgabenfelder abzustecken, wird die Zusammenarbeit klarer, wächst die Zufriedenheit und steigt das Engagement.“110 Mit anderen Worten: Die Klärung der Berufsbilder, die mit allen daraus resultierenden praktischen Konsequenzen bereits in der Ausbildung beginnen muss, wird insofern zu psychischen Entlastungen führen, als die jeweiligen Erwartungen realistischer und frustrierende – weil falsche und objektiv unerfüllbare – Erwartungen weniger werden.
IV. Ausblick Die Frage, ob bzw. wie Pfarrer auch noch Seelsorger sein können und wie sie entlastet werden können, bedarf dringend der Beantwortung. Tragfähige Antworten sind aber nicht in einem Raum abseits der geltenden Rechtsordnung zu finden, sondern auf der verlässlichen Grundlage des geltenden Rechts. Dieses bedarf jedoch der kritischen und genauen Analyse und der sorgfältigen Vermittlung, denn Tradition und Recht können im Einzelfall durchaus verschieden sein. Die kirchliche Rechtsordnung bietet verlässliche und auf das Gemeinwohl hin orientierte Handlungsweisen an, klärt Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten und trägt zu geordneten Beziehungen zwischen allen Personen bei, die zur Verwirklichung der Sendung der Kirche zusammenarbeiten. Herr Kollege Helmuth Pree hat in Forschung und Lehre zur besseren Kenntnis und zur verlässlichen Anwendung kirchlichen Rechts beigetragen. Insofern hat er auch einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der kirchlichen Akteure geleistet.
108 Robert Zollitsch, Neue Anforderungen an die Priester, Diakone und hauptamtlichen Mitarbeiter in Seelsorge und Diakonie und Veränderungen in ihren Berufsprofilen und Rollenzuschreibungen, in: Sekretariat der DBK (Hrsg.), „Mehr als Strukturen … . Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“. Dokumentation des Studientages der Frühjahrs-Vollversammlung 2007 der Deutschen Bischofskonferenz, Arbeitshilfen Nr. 213, Bonn 2007, S. 50 – 61, hier S. 59. 109 Vgl. hierzu Hallermann, Leitender Pfarrer oder leidender Pfarrer (Anm. 9), S. 142 – 143 mit Anm. 6 und 9. 110 Zollitsch, Neue Anforderungen (Anm. 108), S. 52.
Kanonistische Überlegungen zum Pfarrgemeinderat mit dreifacher Funktion: Gremium zur Koordinierung des Laienapostolats – Pastoralrat – Vermögensverwaltungsrat Nikolaus Schöch
I. Einführung Die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stark gestiegene Zahl von Räten soll in der Lage sein, Bischöfe, Ordensobere und Pfarrer zu beraten sowie eine authentische communio unter den Gläubigen sowohl auf lokaler Ebene als auch mit der Weltkirche herbeizuführen. Bei den Räten auf pfarrlicher Ebene besteht im deutschsprachigen Raum eine große Vielfalt von Bezeichnungen und je nach Diözese unterschiedlichen Statuten, die nicht nur zu einer terminologischen Verwirrung, sondern auch zu Spannungen und Auseinandersetzungen unter den Gläubigen innerhalb der Pfarrei sowie zwischen Pfarrer und Pfarrgemeinderat auf Grund von Unklarheiten in Bezug auf deren Natur und Auftrag führen können. Die Bezeichnung Consilium pastorale paroeciale wird wörtlich mit „pfarrlicher Pastoralrat“ ins Deutsche übersetzt. In der Praxis wird jedoch vorwiegend der traditionelle Ausdruck Pfarrgemeinderat verwendet. Für den pfarrlichen Vermögensverwaltungsrat haben sich unterschiedliche Bezeichnungen eingebürgert: „Kirchenvorstand“, „Kirchenverwaltung“, „Kirchenfabrik“, „Pfarrkirchenrat“ etc.
II. Die Pfarrgemeinderäte des deutschsprachigen Raums und der pfarrliche Pastoralrat des CIC/1983 Bei der gemeinsamen Sitzung von Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 15. April 1983 wurde die Frage nach der eventuellen Neugestaltung des pfarrlichen Pastoralrats auf der Grundlage von c. 536, § 1 diskutiert und eine Empfehlung an die Deutsche Bischofskonferenz erarbeitet, in welcher einerseits behauptet wird, dass der Pfarrgemeinderat in die universale Gesetzgebung aufgenommen und andererseits im Widerspruch zu c. 536 vorgeschlagen wurde, im Bereich der Empfehlungen der Würzburger Synode zu verbleiben.
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Bei der gemeinsamen Sitzung der Mitglieder der kirchenrechtlichen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken vom 11. September 1987 wurde festgestellt, der Pfarrgemeinderat sei nicht gänzlich, aber teilweise vom im CIC/1983 geregelten pfarrlichen Pastoralrat verschieden1, weshalb keinerlei Anpassung der Statuten an die neue Kodexnorm erforderlich wäre2, was lediglich auf seine Aktivität als Organismus für die Koordination des Laienapostolats zutrifft. Andererseits kann nicht geleugnet werden, dass die wichtigsten Aktivitäten der von vielen Diözesen erlassenen Statuten die Liturgie und die Erarbeitung bzw. Anpassung von Konzepten für die Sakramentenkatechese betreffen, welche klarerweise in den Bereich des munus sanctificandi und des munus docendi des Pfarrers fallen.3 Ob die nicht-hauptamtlichen Mitglieder des Pfarrgemeinderates über die nötigen liturgischen und dogmatischen Kenntnisse verfügen, ist zweifelhaft. Nach Aymans kann ein Rat, der sich mit der Pfarrseelsorge in allen Bereichen beschäftigt, dessen Mitglied der Pfarrer von Rechts wegen ist und den der Diözesanbischof in jeder Pfarrei mit verbindlichen Statuten einführte, nicht als ein vom CIC verschiedenes Organ betrachtet werden.4 Sonst hätte der CIC/1983 auf einen rein theoretischen Organismus ohne praktische Anwendung Bezug genommen. Geringer bemerkt, dass der Pfarrgemeinderat der deutschen Diözesen vor allem die Aufgaben des im c. 536 geregelten pfarrlichen Pastoralrats ausübt.5 Dass viele deutsche Diözesen diesen Kanon nicht berücksichtigen, zeigt den Einfluss des kirchlichen Vereinswesens in Deutschland.6 Es verwundert, wenn daher manche Diözesanbischöfe behaupten, der vom CIC empfohlene Rat wäre im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz von keiner Diözese eingeführt worden, nur weil dort schon vor Erscheinen des neuen Kirchenrechts Räte für die Koordination der Laientätigkeit in den Gemeinden und für die Beratung im seelsorglichen Bereich bestanden hätten. Paarhammer bezeichnet diese Behauptung als den dritten Lösungsversuch des Widerspruchs zwischen c. 536 und den Statuten der Pfarrgemeinderäte mancher Diözesen.7
1
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Vgl. Zentralkomitee deutscher Katholiken, Berichte und Dokumente 66 (1988), S. 58 –
Vgl. Kalde, F., Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat. Handbuch für katholisches Kirchenrecht, zweite Auflage, Regensburg 1999, S. 531. 3 Vgl. Pree, H., Consilium pastorale parrocchiale. Anmerkungen zur Struktur pfarrlicher Mitverantwortung, in: Boekholt, P./Riedel-Spangenberger, I. (Hrsg.), Iustitia et Modestia (FS Hubert Socha) München 1998, S. 75 – 101. 4 Vgl. Aymans, W./Mörsdorf, K., Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Paderborn 1997, Bd. II, S 441. 5 Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte als verfassungsrechtliches Problem, in: Münchener theologische Zeitschrift 37 (1986), S. 49. 6 Vgl. ders., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (s. Anm. 5), S. 48. 7 Vgl. Paarhammer, H., c. 536, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: August 1985).
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III. Die Kompetenzen des Pfarrgemeinderats Die Würzburger Synode nannte als Aufgabe des Pfarrgemeinderates: „in allen Fragen, die die Pfarrgemeinde betreffen, je nach Sachbereichen und unter Beachtung diözesaner Regelungen beratend oder beschließend mitzuwirken“8. Der pfarrliche Pastoralrat „[…] fördert, unterstützt, koordiniert und verifiziert die gesamte seelsorgliche Tätigkeit der Pfarrei“9. Er entdeckt die seelsorglichen Bedürfnisse der Pfarrei und sucht nach Wegen, wie sie im Einklang den Vorgaben des diözesanen Pastoralrats gedeckt werden können.10 Um den Pfarrer bei der Erfüllung seiner Aufgaben effizient beraten und unterstützen zu können, sollte er in seiner Zusammensetzung die soziale und kulturelle Realität des Pfarrgebietes widerspiegeln.11 Jedes Mitglied ist aufgerufen, seine eigene Ausbildung und Erfahrung einzubringen. Darüber hinaus ist es das Recht und die Pflicht eines jeden Gläubigen, dem Pfarrer und der Gemeinde die eigene Meinung über die seelsorglichen Bedürfnisse und die entsprechenden Initiativen mitzuteilen (vgl. cc. 212, 519, 529, § 2)12. Der Pfarrgemeinderat hat das Ziel, die seelsorgliche Tätigkeit der Kirche zu fördern, die nicht auf die Tätigkeit des Hirten reduziert werden darf. Es handelt sich nämlich um eine Aktivität der gesamten Gemeinde. Seine Mitglieder sind nach c. 228, § 2 gehalten, den Hirten als Fachleute und Berater in den Räten gemäß ihrem Wissen, ihrer Kompetenz und ihrer Erfahrung beizustehen. Fast alle Aufgaben des Pfarrgemeinderats berühren gemäß kodikarischem Recht die Kompetenzen des Pfarrers.13 So sieht etwa die Satzung für die Pfarreiräte im Bistum Münster14 für den Pastoralrat der Pfarrei bzw. der Pfarrverband verschiedene rein seelsorgliche Aufgaben vor. Negativ muss betont werden, was auch für den diözesanen Pastoralrat gilt, nämlich, dass er keinerlei Zuständigkeit besitzt, um sich zu Fragen der Glaubens- und
8
Vgl. Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg 1971 – 1975, Offizielle Gesamtausgabe, 2 Bde., Freiburg i.Br., 4 ed. 1978, Bd. I, S. 651 – 677 (Beschluss: Räte und Verbände 1.16.2). 9 Vgl. Il Consiglio pastorale parrocchiale. Statuto – Tipo, Roma 1992, S. 16. 10 Vgl. Borras, A., Les communautés paroissiales. Droit canonique et perspectives pastorales, Paris 1996, S. 243. 11 Vgl. ebd., S. 245. 12 Vgl. Sánchez-Gil, A. S., Kommentar zu c. 536: Universidad de Navarra: Marzoa, A./ Miras, J./Rodríguez Ocaña, R. (Hrsg.), Comentario exegetico al Código de derecho canónico, 7 Bde., Pamplona 1995 – 1997, Bd. II, S. 1285. 13 Vgl. Mörsdorf, K., Die andere Hierarchie. Eine kritische Untersuchung zur Einsetzung von Laienräten in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland, in: AfkKR 144 (1969), S. 486. 14 Vgl. Bistum Münster: Der Diözesanbischof, Satzung für die Pfarreiräte in der Fassung vom 1. Februar 2013, Münster 2013, § 2, Abs. 2.
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Sittenlehre oder den Gesetzen der Universalkirche zu äußern.15 Er wird auch nicht in Abwesenheit des Pfarrers oder in Pfarreien ohne einen ständigen Priester zu einem subsidiären Leitungsorgan.16
IV. Die Abgrenzung des Pfarrgemeinderats vom pfarrlichen Vermögensverwaltungsrat Neben dem Pfarrgemeinderat ist der Vermögensverwaltungsrat der wichtigste pfarrliche Rat, dessen Kompetenzen in den Statuten klar festgelegt werden müssen. Der Vermögensverwaltungsrat hat weniger Mitglieder als der Pfarrgemeinderat.17 Die Effizienz beider Räte hängt jedoch nicht von der Zahl der Mitglieder, sondern von deren Reife im Glaubensleben sowie von deren Fähigkeit ab, beim Aufbau der Gemeinde und deren Erfüllung mit christlichem Geist mitzuwirken.18 Die Würzburger Synode empfahl eine personelle Verbindung des Pfarrgemeinderats und dem Gremium, das für die Vermögensverwaltung zuständig ist, damit bei Fragen der Vermögensverwaltung auch pastorale Gesichtspunkte Berücksichtigung finden.19 Um die gegenseitige Kenntnis und Zusammenarbeit zu fördern, ist es empfehlenswert, dass ein Mitglied des Pfarrgemeinderats gewählt wird, um als Beobachter regelmäßig an den Sitzungen des Vermögensverwaltungsrats teilzunehmen. Die Pfarrgemeinde des kanonischen Rechts entspricht im deutschen Staatskirchenrecht der Kirchengemeinde mit dem Unterschied, dass die rechtliche Vertretung im Gegensatz zu c. 532 durch kollegiale Organe erfolgt. Der Kirchenverwaltungsrat wird im Allgemeinen vom Kirchenverwaltungsvorstand geleitet und besteht, je nach der Zahl der Gläubigen, aus bis zu acht Ratsmitgliedern. Der Kirchenverwaltungsvorstand führt die ordentliche Verwaltung und die Rechtsgeschäfte, die man nicht auf die nächste Sitzung verschieben kann. Er kontrolliert die Kasse und legt der Finanzkammer der jeweiligen Diözese den jährlichen Rechnungsabschluss vor.20
15 Vgl. Miragoli, E., Il Consiglio pastorale parrocchiale fra teoria e prassi, in: Rivella, M. (Hrsg.), Partecipazione e corresponsabilità nella Chiesa. I consigli diocesani e parrocchiali (Percorsi di diritto ecclesiale), Milano 2000, S. 261. 16 Vgl. Pree, H., Consilium pastorale parrocchiale (Anm. 3), S. 86. 17 Vgl. Il Consiglio pastorale parrocchiale. Statuto – Tipo, Roma 1992, S. 13. 18 Vgl. Marcuzzi, P. G., Il Consiglio pastorale parrocchiale, in: Ius in vita et missione Ecclesiae (Acta Symposii internationalis iuris canonici occurrente X anniversario promulgationis Codicis iuris canonici diebus 19 – 24 aprilis 1993 in Civitate Vaticana celebrati cura Pontificii Consilii de Legum textibus interpretandis), Vatikanstadt 1994, S. 447. 19 Vgl. Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg 1971 – 1975, Offizielle Gesamtausgabe (Anm. 8), Bd. I, S. 651 – 677 (Beschluss: Räte und Verbände 1.16.3). 20 Vgl. Bayerische (Erz)Bischöfe, Ordnung für die kirchlichen Stiftungen in den bayerischen (Erz)diözesen in der Fassung vom 1. Januar 2012, Art. 13, § 7.
Kanonistische Überlegungen zum Pfarrgemeinderat
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Mit Schreiben des Staatsekretariats gewährte Papst Johannes Paul II. am 13. Januar 1984 auf Antrag der Deutschen Bischofskonferenz vom 9. September 1983 ein Indult von c. 532, sodass die rechtliche Vertretung der Kirchengemeinde und der Kirchenstiftung durch eine vom Pfarrer unterschiedene Person erfolgen.21 Zugleich wird die Deutsche Bischofskonferenz gebeten, den gesamten Fragenkomplex und die Möglichkeit erneut zu überprüfen, auf welche Weise der gegenwärtige Rechtszustand dem Geist des c. 532 angeglichen werden kann. Dies gilt auch für diejenigen Diözesen, in denen entgegenstehendes Konkordatsrecht besteht.22 Aus den Mitgliedern des Pfarrgemeinderats können für besondere Aufgaben Ausschüsse, etwa für bestimmte Bereiche des pfarrlichen Lebens oder für bestimmte Gebiete der Pfarrei, gebildet werden. Diese Kommissionen haben jedoch einen vom Anlass bedingten Charakter. Wenn es erforderlich ist, können außenstehende Personen zu besonderen Begegnungen eingeladen werden.23 Während die Mitglieder des Pfarrgemeinderats von Amts wegen in der Regel bereits gut ausgebildet sind, gilt dies nicht immer für die Mitglieder durch Ernennung oder Wahl, deren fachliche Begleitung in der Praxis vielfach vernachlässigt wird.24 Die Statuten einiger Diözesen des deutschsprachigen Raums, wie jene der Erzdiözese Wien, sehen eine Personalunion zwischen dem Pfarrgemeinderat und dem Vermögensverwaltungsrat vor. Diese Praxis steht im Gegensatz zu den cc. 536 – 537, welche zwischen beiden Organen klar unterscheiden. Die Wiener Pfarrgemeinderats-Ordnung weist dem Pfarrgemeinderat pastorale Mitverantwortung in Form eines Beratungs- und Anhörungsrechts und in vermögensrechtlichen Angelegenheiten eine noch weiter gefasste Kompetenz zu. Der Pfarrgemeinderat hat nicht nur ein bloßes Beispruchsrecht im Sinne von c. 127, sondern er handelt mit dem Pfarrer als „collegium inter pares“ als solcher rechtsgeschäftlich (vgl. c. 119). Der Pfarrer verfügt über eine Stimme, die nicht mehr wiegt als jene der übrigen Mitglieder.25 Art. 5 der Wiener Pfarrgemeinderats-Ordnung von 2006 stellt fest, dass der Pfarrgemeinderat als gesetzlicher Vertreter des kirchlichen Vermögens im Namen folgender Rechtspersönlichkeiten tätig ist: 21
Vgl. Heimerl, H./Pree, H., Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, S. 396. 22 Abgedruckt in: Bauschke, K., Der Kirchenvorstand im Erzbistum Paderborn, Paderborn 2000, S. 168. 23 Vgl. Il Consiglio pastorale parrocchiale. Statuto – Tipo, Roma 1992, S. 20. 24 Vgl. Miragoli, E., Il Consiglio pastorale (Anm. 15), S. 256. 25 So die Pfarrgemeinderats-Ordnung der Erzdiözese Wien (Amtsblatt 144, 2006, Nr. 6, 38 ff.). In anderen Diözesen aber ist der Pfarrkirchenrat ein gesonderter Fachausschuss des Pfarrgemeinderats (Pree, H./Primetshofer, B., Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Handreichung für die Praxis, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wien/ New York 2010, S. 97).
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a) der Pfarre (vgl. c. 515 § 3 CIC/1983); b) der Pfarrkirche; c) der nicht inkorporierten Pfarrpfründe und sonstiger Pfründen des Pfarrbereichs, sofern es sich um Baulast-Angelegenheiten handelt; d) der rechtsfähigen pfarrlichen Stiftungen; e) der anvertrauten Filialkirchen; f) des kirchlichen Eigentümers des Pfarrheims. In den partikularrechtlichen Regelungen aller Diözesen Österreichs ist in Bezug auf die Verwaltung pfarrlichen Vermögens eine kollegiale Vertretungsbefugnis vorgesehen, d. h. rechtsgeschäftlicher Vertreter dieses Vermögens ist eine Personenmehrheit, die aus grundsätzlich gleichberechtigten Mitgliedern besteht.26 Auch in zahlreichen deutschen Diözesen ist die rechtsgeschäftliche Vertretung der Pfarrei nicht allein dem Pfarrer vorbehalten, sondern erfolgt durch Gremien.27 Der Pfarrer ist in der Regel Vorsitzender, allerdings kommt dem Rat kollegiale beschließende Kompetenz zu.28 Für die rechtliche Vertretung durch den Pfarrer in Rechtsgeschäften sind zusätzlich zu den Statuten die geltenden zivilrechtlichen Normen zu beachten, da es sich wegen der unmittelbaren Wirksamkeit jener Akte in der staatlichen Rechtsordnung um sogenannte res mixtae handelt.29 In den bayrischen Pfarreien bestehen drei juristische Personen: 1) die Kirchenstiftung bzw. Pfarrkirchenstiftung, d. h. die vor dem In-Kraft-Treten des CIC/1983 als juristische Person errichtete Pfarrkirche. Sie wird in Bayern auch als juristische Person öffentlichen Rechts anerkannt30 ; 2) die Pfründestiftung, als juristische Person des pfarrlichen Benefiziums31; 3) die Kirchengemeinde, welche der Pfarrei im Sinne des CIC entspricht. Die Kirchengemeinde und die Kirchenstiftung werden von der Kirchenverwaltung unter der Leitung des Kirchenverwaltungsrats geführt, der dem
26 Vgl. Primetshofer, B., Kanonistische Bemerkungen zu den österreichischen Pfarrgemeinderats- und Pfarrkirchenratsordnungen, in: Kremsmair, J./Pree, H., Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer (= Kanonistische Studien und Texte 44), Berlin 1997, S. 338. Derselbe Artikel wurde auch publiziert in: Primetshofer, B., Kanonistische Bemerkungen zu den österreichischen Pfarrgemeinderats- und Pfarrkirchenratsordnungen, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 42 (1993), S. 156 – 177. 27 Vgl. Althaus, R., Die Rezeption des Codex Iuris Canonici von 1983 in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Voten der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (= Paderborner theologische Studien, Bd. 28), Paderborn 2000, S. 704. 28 Vgl. ebd., S. 704. 29 Vgl. Heimerl, H./Pree, H., Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 21), S. 106. 30 Vgl. Ordnung für die kirchlichen Stiftungen in den bayerischen (Erz)diözesen in der Fassung vom 1. Januar 2012, Art. 1 (5). 31 Vgl. ebd., Art. 1 (2).
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pfarrlichen Vermögensverwaltungsrat gemäß c. 537 entspricht, und dem Kirchenverwaltungsvorstand.32 In einigen österreichischen Diözesen wird der Besonderheit der Verbindung der Pfarrkirche mit Ordensgemeinschaften dadurch Rechnung getragen, dass die Kompetenz des Pfarrgemeinderats nach Maßgabe einzelner diözesaner Regelungen ausgeschaltet und die rechtsgeschäftliche Vertretung der betreffenden Pfarrkirchen der Ordensgemeinschaft anvertraut wird. Es wird auf beide möglichen Formen der Verbindung von Kloster und Pfarrei Bezug genommen: die eventuell in Einzelfällen noch fortbestehende Inkorporation gemäß CIC/1917 und die sogenannte einfache Anvertrauung gemäß c. 520 § 1 CIC/1983, die auf Dauer oder für eine bestimmte festgelegte Zeit erfolgen kann.
V. Die Doppelfunktion als Pfarrgemeinderat und als Laienapostolatsgremium Sowohl auf praktischer als auch auf theoretischer Ebene schafft nicht nur die Zuweisung von Kompetenzen eines Vermögenverwaltungsrats an den Pfarrgemeinderat, sondern auch jene eines Gremiums für das Laienapostolat Spannungen, da der Pfarrgemeinderat von seiner Natur her als unterschiedener Organismus konzipiert werden muss. Das Laienapostolatsgremium ist die Frucht der freien Initiative der Laien (vgl. c. 215), während der Pfarrgemeinderat ein von c. 536 geregeltes verfassungsrechtliches kirchliches Organ ist. Beide Funktionen sollten daher nicht gleichzeitig von Seiten desselben Organs ausgeführt werden. Die Statuten der Pfarrgemeinderäte im deutschsprachigen Raum umgreifen sowohl verfassungsrechtliche als auch vereinsrechtliche Momente.33 Sie vermischen Elemente der Autonomie des Laienapostolats mit seelsorglichen Elementen, die unter der Leitung des Pfarrers auszuüben sind.34 Diese Vermischung hat ihre Wurzeln noch in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Katholikenräte in Deutschland (Pfarrausschüsse bzw. pfarrliche Katholiken-Ausschüsse) waren Organismen für die Koordination des Laienapostolats.35 Die Statuten vieler Diözesen des deutschsprachigen Raums folgen weiterhin den Modellstatuten des Kapitels „Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“, das die Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg 1971 – 1975 im Beschluss Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche vom 11. Mai 197536 für alle diözesanen, überpfarrlichen und pfarrlichen Räte verabschiedete. Die Synode erteilte allen Diözesen gemäß Art. 14.2 des Statuts der Gemeinsa32
Vgl. Heimerl, H./Pree, H., Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 21), S. 396. Vgl. Kalde, F., Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat (Anm. 2), S. 531. 34 Vgl. Paarhammer, H., c. 536, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: August 1985). 35 Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), S. 55. 36 Vgl. Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg 1971 – 1975, Offizielle Gesamtausgabe (Anm. 8), Bd. I, S. 651 – 677. 33
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men Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland den Auftrag, partikulare Gesetze in diesem Sinne vorzubereiten: „Beschlüsse der Synode, die Anordnungen enthalten, treten in den einzelnen Bistümern mit der Veröffentlichung im Amtsblatt des Bistums als Gesetz der Deutschen Bischofskonferenz oder – je nach Zuständigkeit – als Diözesangesetz in Kraft.“
Die Beschlüsse der Synode wurden von Papst Paul VI. am 13. Dezember 1975 rekognosziert.37 Sie sehen für den Pfarrgemeinderat die Doppelfunktion als Pastoralrat gemäß Nr. 27 von Christus Dominus und als Organ für die Koordination und Förderung des Laienapostolats38 vor. Die Bezugnahme auf Christus Dominus, Nr. 27, verbindet sich gut mit Nr. 37 von Lumen gentium39. Die Funktionen des pfarrlichen Pastoralrats und des Laienapostolatsgremiums wurden auf der Ebene der Pfarrei miteinander verbunden, um nicht zwei Gremien schaffen zu müssen.40 Als Pastoralrat berät er den Pfarrer in seinem spezifischen Eigenbereich41, nämlich in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Einheit innerhalb der Pfarrei sowie mit der Diözese und der Weltkirche, die authentische Verkündigung der Heilsbotschaft, die Feier der Liturgie sowie der Sakramente und die ökumenische Zusammenarbeit. In diesen Bereichen kommt dem Pfarrgemeinderat ein beratendes, jedoch kein entscheidendes Stimmrecht zu.42 In der Praxis ist die Trennung von Aufgaben, die zum Laienapostolat und von Aufgaben in der Verantwortung des Pfarrers, nicht immer leicht.43 Die nach den Weisungen der Synode erlassenen diözesanen Satzungen haben die unterschiedlichen Kompetenzen Beschlussfassung und Beratung nicht näher aufgeschlüsselt.44
37 Vgl. Bistum Essen: Der Diözesanbischof, Kirchliches Amtsblatt 19 (1976), S. 403; Conrad, M., De Consilio pastorali paroeciali. Adnotationes in canonem 536 CIC/1983, in: PerRCan 80 (1991), p. 49, nota 14. 38 Vgl. Erzdiözese Berlin, Satzung für die Pfarrgemeinderäte vom 1. Oktober 1994, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 163 (1994), S. 527 – 533. 39 Vgl. Fischer, M. F., What was Vatican II’s intent regarding Parish Councils?, in: Studia canonica 33 (1999), S. 10. 40 Vgl. Althaus, R., Die Rezeption des Codex Iuris Canonici (Anm. 27), S. 694. 41 Vgl. Sacra Congregatio pro Clericis, Litterae circulares, ad Patriarchas, Primates, Archiepiscopos, Episcopos aliosque loci, Prot. N. 140686/I, 25 ianuarii 1973: Das Schreiben wurde von einer gemischten Kommission mit Vertretern der Kleruskongregation, der Kongregation für die Bischöfe, der Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute sowie dem Päpstlichen Rat für die Laien erstellt und abgedruckt in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 142 (1973), S. 483 – 489 sowie in italienischer Sprache in: Enchiridion Vaticanum, Bd. IV: Documenti ufficiali della Santa Sede 1971 – 1973, testo ufficiale e traduzione italiana, Nr. 1922, 1210 – 1211. 42 Vgl. Erzdiözese Berlin, Satzung für die Pfarrgemeinderäte vom 1. Oktober 1994, § 3, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 163 (1994), S. 528. 43 Vgl. Althaus, R., Die Rezeption des Codex Iuris Canonici (Anm. 27), S. 695. 44 Vgl. ebd., S. 697.
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Bei der Redaktion von c. 536 CIC/1983 wird keinerlei Bezug auf Art. 26 des Konzilsdekrets Apostolicam actuositatem45 genommen, weil das Konzil nicht zwei Räte auf diözesaner Ebene mit der gleichen Struktur und Kompetenz gewollt hat.46 In den Quellen zu c. 536 taucht Apostolicam Actuositatem, Nr. 26, nicht auf, sondern nur Christus Dominus, Nr. 27, sowie die Nummern 179 und 204 des Direktoriums für den pastoralen Dienst der Bischöfe47 und das Rundschreiben von 1973.48 Apostolicam Actuositatem, Nr. 26, ist daher nur auf die Vereine für das Laienapostolat auf pfarrlicher, überpfarrlicher sowie diözesaner Ebene anwendbar, nicht aber auf die Kirche und ihre verfassten Strukturen.49 Der Pastoralrat hat nicht die Aufgabe, ein Ort der theologischen, spirituellen und kulturellen Bildung zu werden. Sonst würde er in den speziellen Bereich der Vereine und der geistlichen Bewegungen eindringen, die auf der Ebene der Pfarrei tätig sind.50 Dies bedeutet keineswegs, dass die ständige Weiterbildung der Mitglieder des Pfarrgemeinderats vernachlässigt werden darf. Ebenso müssen der Pfarrer und der Pfarrgemeinderat den autonomen Bereich der kirchlichen Vereine und Bewegungen respektieren. Aymans sieht daher in Apostolicam actuositatem, Nr. 26, zu Recht einen vom Pfarrgemeinderat unterschiedenen Rat, der seinen Ursprung im vereinsbildenden Willen der Laien hat. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Nationen wurde er von der katholischen Aktion begonnen.51 Die Verwirrung durch die Doppelfunktion führt dazu, dass der Pfarrgemeinderat innerhalb seiner seelsorglichen Kompetenzen mit beratendem Stimmrecht agiert, in jenen des Laienapostolats hingegen mit beschließendem Stimmrecht.52 Es ist daher empfehlenswert, den Pfarrgemeinderat klar von den kirchlichen Vereinen zu trennen und die legitime Autonomie des Laienapostolats anzuerkennen (vgl. c. 216).53 Die Räte mit Doppelfunktion konstituieren eine parallele Hierarchie.54 Die ursprünglich nur für das Laienapostolat geschaffenen Räte wurden verfassungsmäßige Organe, 45
Vgl. Dalton, W., Parish Councils or Parish Pastoral Councils?, in: Studia canonica 22 (1988), S. 171: Apostolicam actuositatem, Nr. 26 ermunterte zur Errichtung von Räten, um die apostolische Aktivität der Kirche zu fördern und nicht um die Hirten zu beraten. 46 Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), S. 43. 47 Vgl. S. Congregatio pro Episcopis, Directorium de pastorali ministerio Epsicoporum, Città del Vaticano 1973, S. 176. 48 Vgl. Sacra Congregatio pro Clericis, Litterae circulares, ad Patriarchas, Primates, Archiepsicopos, Episcopos aliosque loci, Prot. N. 140686/I, 25 ianuarii 1973, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 142 (1973), S. 483 – 489. 49 Vgl. Conrad, M., De Consilio pastorali paroeciali (Anm. 37), S. 84. 50 Vgl. Il Consiglio pastorale parrocchiale. Statuto – Tipo, Roma 1992, S. 13. 51 Vgl. Rees, W., Die Freisinger Thesen im Widerstreit, in: Forum katholische Theologie 10 (1994), S. 56. 52 Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), S. 50. 53 Vgl. ebd., S. 51. 54 Vgl. Mörsdorf, K., Die andere Hierarchie (Anm. 13), S. 477.
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welche zu einem doppelten Leitungsorgan in der Pfarrei führen: Pfarrer und Pfarrgemeinderat.55 Manche Diözesen versuchten eine Unterscheidung der Kompetenzen ohne zu einer vollständigen Klärung zu gelangen.56 Der Pfarrgemeinderat kann schwer einerseits dem Pfarrer in seinem seelsorglichen Dienst Hilfestellung bieten und andererseits die freie Initiative der kirchlichen Vereine und Bewegungen fördern und koordinieren und in diesem Bereich auch verbindliche Entscheidungen treffen.57 Matthias Conrad sieht eine der Schwierigkeiten für die Strukturierung des Pfarrgemeinderats in Deutschland im fast vollständigen Fehlen einer Theologie der Pfarrei, des Pfarrers und daher auch des Pfarrgemeinderats begründet.58
VI. Der Vorsitz eines Laien als Charakteristikum des Laienapostolatsgremiums Nr. 27 von Christus Dominus behielt für den auf diözesaner Ebene eingerichteten Pastoralrat dem Diözesanbischof den Vorsitz vor und verlieh ihm lediglich beratendes Stimmrecht.59 Die Analogie zwischen dem Pfarrpastoralrat und dem diözesanen Pastoralrat wurde im Schreiben der Kleruskongregation von 1973 unterstrichen.60 Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Seelsorger: er führt den Vorsitz, und fragt in seelsorglichen Fragen um Rat.61 Die Seelsorge wird im Namen der Kirche auf der Grundlage der missio canonica oder der Ernennung zu einem Kirchenamt ausgeübt.62 Der CIC verwendet zweimal den Begriff officium curam animarum secumferens, konkret in den cc. 150 und 151. Ein Amt, welches die Seelsorge in ihrer Fülle umfasst, kann nur einem Priester verliehen werden (c. 150). Diakone und Laien können am Seelsorgsamt lediglich teilhaben.63
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Vgl. ebd., S. 478. Vgl. Bistum Münster: Der Diözesanbischof, Satzung für die Pfarreiräte (s. Anm. 14) Präambel: „Als Organ des Laienapostolates kann er, unbeschadet der Eigenständigkeit der Gruppen und Verbände in der Pfarrei, in eigener Verantwortung tätig werden.“ 57 Vgl. Borras, A., Les communautés paroissiales (Anm. 10), S. 245. 58 Vgl. Conrad, M., De Consilio pastorali paroeciali (Anm. 37), S. 76 – 77. 59 Vgl. Fischer, M. F., What was Vatican II’s intent (Anm. 39), S. 25. 60 Vgl. Nr. 12. 61 Vgl. Fischer, M. F., What was Vatican II’s intent (Anm. 39), S. 25. 62 Vgl. Hallermann, H., Seelsorge: Campenhausen, A. von (Hrsg.), Lexikon für Kirchenund Staatskirchenrecht, Bd. III, Paderborn 2004, S. 535. 63 Vgl. Schmitz, H., Officium animarum curam secumferens. Zum Begriff des seelsorgerischen Amtes, in: Reinhardt, H.J.F., Ministerium Iustitiae (FS Heribert Heinemann) Essen 1985, S. 134. 56
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Nach Schmitz sind pastores animarum (Seelsorger) lediglich diejenigen, denen ein Kirchenamt im Sinne von c. 145, § 1 verliehen wurde sowie diejenigen, die auf Grund eines Spezialmandats an der Ausübung der Seelsorge teilnehmen.64 Der Hirtendienst erreicht in der Repräsentation des unsichtbaren Hirten der Kirche seinen Höhepunkt, welcher die einzelnen Gläubigen zu einer Gemeinschaft vereint, die auf Christus in der Ausübung des dreifachen Dienstes der Verkündigung, der Heiligung sowie der Leitung der Gläubigen gründet, welche ihnen hilft, das Heil zu finden. Die Qualifizierung für diesen Hirtendienst in der Kirche wird durch das Weihe-Sakrament (c. 1008), genauer genommen durch die Priesterweihe verliehen, sodass sie eine Charakteristik des Begriffs der Seelsorge darstellt.65 Der Pfarrer hat auf der Grundlage der ihm durch das Amt verliehenen Vollmachten die Funktionen der Lehre, der Heiligung sowie der Leitung auszuüben (vgl. cc. 528 – 530)66. Die Figur des pastor proprius kann nicht ihres Inhalts beraubt und einer demokratischen Institution weltlicher Art angepasst werden.67 Vom theologischen Standpunkt kann man die Leitung der Gemeinde schwer vom Vorsitz bei der Eucharistiefeier trennen. Nach dem Bild des Vorsitzes bei der Eucharistie ist die Leitung der Gemeinde nicht als ein isolierter Akt im Einzelfall zu sehen.68 Der Vorsitz bei der Eucharistie verhindert nicht die enge Zusammenarbeit mit den Pfarrvikaren, Diakonen, Katechisten und sonstigen Mitarbeitern69, sondern garantiert die Letztverantwortung dessen, der die Gemeinde leitet. Nur der Priester garantiert die sakramentale Gegenwart Jesu Christi auf der Grundlage des Weihesakraments, welches ihn mit Christus als Haupt identifiziert und ihm die Fähigkeit zur Feier der Eucharistie als theologischer Wirklichkeit verleiht, da die Pfarrgemeinde eine communitas eucharistica ist.70 Auf der Grundlage seines priesterlichen Dienstes ist es Aufgabe des Pfarrers, die Charismen in der Gemeinde zu entdecken und ihren Beitrag zu einem gemeinsamen pastoralen Weg mit den übrigen Pfarreien der Diözese und der Weltkirche zu fördern.71 Der Vorsitz des Pfarrers im Pfarrgemeinderat ergibt sich nicht nur aus c. 536, § 1, sondern auch aus der Natur des Pfarramtes selbst.72 Der Pfarrgemeinderat ist nach allgemeinem Kirchenrecht kein Kollegium, dessen Mitglied der Pfarrer ebenso
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Vgl. ebd., S. 129. Vgl. ebd., S. 129. 66 Vgl. Sánchez-Gil, A. S., Circa la portata della qualifica del parroco quale pastore proprio della comunità parrocchiale, in: Ius Ecclesiae 8 (1996), S. 223. 67 Vgl. Viana, A., El parroco, pastor proprio de la parroquia, in: Ius canonicum 29 (1989), S. 475. 68 Vgl. Borras, A., Les communautés paroissiales (Anm. 10), S. 246. 69 Vgl. ders., A., Les paroisses et l’avenir, in: Studia canonica 35 (2001), S. 452. 70 Vgl. Sánchez-Gil, A. S., Circa la portata (Anm. 66), S. 223. 71 Vgl. Il Consiglio pastorale parrocchiale. Statuto – Tipo, Roma 1992, S. 20. 72 Vgl. Marcuzzi, P. G., Il Consiglio pastorale parrocchiale (Anm. 18), S. 456. 65
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wie alle übrigen Pfarrgemeinderäte sind.73 Es mag eigenartig anmuten, wenn festgestellt wird, der Pfarrer sei nach allgemeinem Kirchenrecht nicht selbst Mitglied des Pfarrgemeinderates, weder von Rechts wegen, noch aufgrund von Ernennung oder Wahl, weil es gemäß c. 536 Aufgabe des Pfarrgemeinderates ist, den Pfarrer bei der Ausübung seiner Seelsorgstätigkeit zu beraten. Ebenso wenig ist der Diözesanbischof Mitglied des diözesanen Pastoralrats, auch wenn er den Vorsitz führt.74 Analog ist der Ordensobere Mitglied des Rates gemäß c. 627, § 1, obwohl er als einziger Leitungsgewalt ausübt.75 Die Räte auf diözesaner und pfarrlicher Ebene sind nicht selbst Leitungsorgane oder kollegiale Träger des munus regendi. Sie müssen dem hierarchischen Organ bei der Ausübung der Leitungsgewalt Hilfestellung bieten, können dieses jedoch nicht ersetzen. Die Pfarrei wird nicht von einem Kollegium geleitet, welches ihn sowie die Laienmitglieder des Pfarrgemeinderats auf gleicher Ebene umfasst. Mitverantwortung bedeutet, Charismen, Kenntnisse und Erfahrungen bei der Konsultation mitzuteilen, nicht jedoch die Gemeinde kollegial zu leiten.76 Die beratende Funktion des Pfarrgemeinderates ist die Folge der Natur der Pfarrei als nichtkollegiale juristische Person.77 Die eigenständige Verantwortung des priesterlichen Leiters der Gemeinde muss erhalten bleiben und darf auf keinerlei Weise eingeschränkt oder durch Beispruchsrechte gebunden werden.78 Helmuth Pree erinnert an die Verbindlichkeit der Leitung des Pfarrgemeinderats durch den Pfarrer gemäß c. 536. Er muss den Vorsitz führen und dem Pfarrgemeinderat darf lediglich beratendes Stimmrecht zukommen. Nach c. 536, § 2 ist der Pfarrer nicht nur rechtlicher Vertreter der Pfarrei, sondern auch deren spiritueller Leiter.79 Diese vom CIC vorgegebenen strukturellen Organisationsmerkmale gestatten als Vorsitzenden nur den Pfarrer.80 Die Statuten verschiedener Diözesen schreiben hingegen den Vorsitz durch Laien verbindlich vor.81 So verlangt z. B. das Bistum Münster, dass die Gemeindeleitung kollegial durch den Vorstand des Pfarreirates, dem der Pfarrer von Amts wegen und zwei bis vier weitere gewählte Mitglieder des Pfarrgemeinderats angehören, erfolgt.82 Vorsitzender ist der Pfarrer nur dann, wenn er zum Präsidenten des Pfarrge-
73
Vgl. Sánchez-Gil, A. S., Circa la portata (Anm. 66), S. 225. Vgl. Marcuzzi, P. G., Il Consiglio pastorale parrocchiale (Anm. 18), S. 455. 75 Vgl. c. 596, § 2. 76 Vgl. Pree, H., Consilium pastorale parrocchiale (Anm. 3), S. 82. 77 Vgl. Perisset, J. C., La paroisse: commentaire des Canons 515 – 572, Paris 1989, S. 172. 78 Vgl. Paarhammer, H., c. 515, in: MK CIC (Stand: August 1985). 79 Vgl. Aymans, W./Mörsdorf, K., Kanonisches Recht (Anm. 4), Bd. II, S. 440. 80 Vgl. Paarhammer, H., c. 536, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: August 1985). 81 Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), S. 54. 82 Vgl. Bistum Münster: Der Diözesanbischof, Satzung für die Pfarreiräte (Anm. 14) Art. 7, Abs 1. 74
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meinderats gewählt worden ist.83 Der Pfarrgemeinderat (in manchen Diözesen „Pfarreirat“ genannt) erscheint als Kollegium, bei dem alle die gleiche Stimme haben.84 In der Schweiz sind die Statuten der Pfarrgemeinderäte je nach Kanton unterschiedlich geregelt. Den Vorsitz führen in den meisten Kantonen Laien.85 Der Pfarrgemeinderat wählt den Präsidenten des Leitungsgremiums. Dieser, ein Laie, beruft die Sitzungen ein und leitet sie. Auch in der in Italien gelegenen Diözese Bozen-Brixen wählt der Pfarrgemeinderat einen Präsidenten, der nicht notwendigerweise Pfarrer ist.86 Zweifellos ist die Moderation von Sitzungen durch Laien legitim87, da es dem Pfarrer keineswegs zusteht, alles selbst zu tun und allein das Wort zu ergreifen.88 Es ist vielmehr seine Sorge, dass alle Charismen aktiv am pfarrlichen Leben teilnehmen, jeder in der ihm gemäßen Art.89 In jenen Sektoren des pfarrlichen Lebens, in denen sie qualifiziert sind, besteht für die Laien sogar die Pflicht, ihre Meinung darzulegen: Bauten und Restaurierungen, Verwaltung, Buchhaltung, zivilrechtliche Fragen, Bioethik, Schule, Kindergarten, Senioren-Betreuung etc. Eine kritische Bemerkung gegenüber dem kirchlichen Amtsträger ist nicht notwendigerweise Ausdruck eines Mangels an Ehrfurcht ihm gegenüber.90 Der Bischof von Regensburg hat mit Datum vom 15. 11. 2005 eine neue Satzung für Pfarrgemeinderäte erlassen.91 Darin ist geregelt, dass der Pfarrer dem Pfarrgemeinderat vorsteht, der den Pfarrer in pastoralen Belangen berät.92 Im Weiteren ist geregelt, dass ein Pfarrgemeinderatssprecher gewählt wird, der als Sitzungsleiter Pfarrgemeinderatsvorsitzender ist.93
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Vgl. ebd., § 8, Abs. 4. Vgl. ebd., § 9, Abs. 2. 85 Vgl. Kalde, F., Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat (Anm. 2), S. 532. 86 Vgl. Diözese Bozen-Brixen, Amtsblatt 31 (1995), S. 453 – 464. 87 Vgl. Berlingò, S., Il Consiglio Pastorale della parrocchia: La parrocchia, Città del Vaticano 1997 (= Studi giuridici, Bd. 43), S. 264. 88 Vgl. Borras, A., Les communautés paroissiales (Anm. 10), S. 246. 89 Vgl. ebd. 90 Vgl. Althaus, R., Die vielen Räte in der Kirche – Hilfe oder Hindernis, in: Theologie und Glaube 92 (2002), S. 21. 91 Vgl. Bistum Regensburg: Der Diözesanbischof, Satzung für Pfarrgemeinderäte vom 15. 11. 2005, in: KABl Regensburg Nr. 13/2005, S. 135 – 139. 92 Vgl. ebd., Art. II, Abs. 1. 93 Vgl. ebd., Art. II, Abs. 3; Ahlers, R., c. 536, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: Februar 2009). 84
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VII. Die Beschlüsse der pfarrlichen Räte und das Veto-Recht des Pfarrers Der Pfarrgemeinderat verfügt gemäß c. 536 über ein rein beratendes Stimmrecht.94 Die mangelnde Fähigkeit, für den Pfarrer verbindliche Entscheidungen zu treffen, führt nicht zu seiner Bedeutungslosigkeit. Kardinal Francesco Coccopalmerio erinnert daran, dass es Pflicht des Pfarrers ist, seinen Pfarrgemeinderat, nicht nur auf Grund des Wissens, der Kompetenz und des Prestiges seiner Mitglieder zu hören, sondern vor allem auf Grund einer theologischen Motivation, die auf den Sakramenten der Taufe und der Firmung aufbaut.95 Der Pfarrer darf sich von der einmütigen Meinung seines Rates ohne vernünftige Gründe nicht entfernen (vgl. c. 127, § 2, 28). Das Abstimmungs-Ergebnis mit einer großen Mehrheit oder einem einstimmig gewährten Rat kann nur in außergewöhnlichen Fällen und nur in Bezug auf Fragen von grundsätzlicher pastoraler Bedeutung erfolgen, welche das Gewissen des Pfarrers betreffen und dem Rat selbst dargelegt werden müssen. Es wird nur eine Verschiebung des Beschlusses empfohlen, sofern dieser nicht dringlich ist.96 In manchen Diözesen berät der Pfarrgemeinderat den Pfarrer sowie den für die Seelsorge amtlich Beauftragten in allen die Pfarrgemeinde betreffenden Fragen und Aufgaben, fasst Beschlüsse und trägt – gemeinsam mit den hauptamtlichen Mitgliedern – Sorge für deren Durchführung.97 Gemäß der sogenannten „Freisinger Thesen“ der katholischen Landbewegung in Bayern vom 2. April 199398 ist der Pfarrgemeinderat in allen die Pfarrei betreffenden Fragen kompetentes Entscheidungsorgan mit letzter Verantwortung.99 Der pfarrliche Vermögensverwaltungsrat, im Partikularrecht oft Kirchenvorstand genannt, hat seit Jahren unbestrittene Beschlussfassungs-Kompetenz.100 Das Partikularrecht kann Rechtsgeschäfte vorsehen, für welche der Pfarrer den Vermögensverwaltungsrat nicht nur anhören, sondern auch dessen Zustimmung einholen muss.101 Zusätzlich kann für bestimmte Rechtsgeschäfte die Genehmigung durch den Ortsordinarius, eventuell nach Anhörung oder mit Zustimmung des diözesanen Vermögensverwaltungsrats und des Konsultorenkollegiums, erforderlich sein. C. 1277 94
Vgl. Sánchez-Gil, A. S., Kommentar zu c. 536 (Anm. 12), Bd. II, S. 1284. Vgl. Coccopalmerio, F., De paroecia, Romae 1991, S. 169 – 170; ders., La „consultività“ del Consiglio pastorale parrocchiale e del Consiglio per gli affari economici della parrocchia (cc. 536 – 537), in: QDE 2 (1988), S. 60 – 65. 96 Vgl. Erzdiözese Mailand, Direttorio per i Consigli parrocchiali, Milano 1996, S. 19 – 20. 97 Vgl. Bistum Münster: Der Diözesanbischof, Satzung für die Pfarreiräte (Anm.14) § 9, Abs. 1. 98 Vgl. Rees, W., Die Freisinger Thesen (Anm. 51), S. 299. 99 Vgl. ebd. 100 Vgl. Althaus, R., Die Rezeption des Codex Iuris Canonici (Anm. 27), S. 697. 101 Vgl. De Paolis, V., Il Consiglio per gli affari economici ed i beni patrimoniali della parrocchia, in: Arcisodalizio della Curia Romana (Hrsg.), La parrocchia (= Studi giuridici, Bd. 43), Vatikanstadt 1997, S. 283, Anm. 29. 95
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sieht die Zustimmung des Vermögensverwaltungsrats für die Akte von größerer Bedeutung und jene der außerordentlichen Verwaltung vor.102 Ein Vetorecht ist nur in jenen Statuten vorgesehenen, welche dem Pfarrgemeinderat ein entscheidendes Stimmrecht zuweisen. Da dem Pfarrgemeinderat nach universalem Kirchenrecht kein beschließendes Stimmrecht zukommt, bedarf es keines Vetorechts für den Pfarrer, wenn er sich nicht dem Mehrheitsbeschluss beugt. Umso weniger bedarf es eines Rekurses an ein diözesanes Organ für die einvernehmliche Beilegung von Konflikten, wie ihn einige Diözesen vorsehen. Es ist auch nicht sinnvoll, wenn der Pfarrer sich in der Ausübung seiner Verantwortung einem diözesanen Schiedsorgan unterordnen muss, sofern er im Bereich seiner seelsorglichen Verantwortung handelt.103 Der Pfarrgemeinderat ist kein Kontrollorgan gegenüber dem Pfarrer. In manchen Diözesen geht der Bereich der Beschlussfassung durch den Pfarrgemeinderat so weit, dass das Veto-Recht auf die Grundaufgaben von Liturgie, Verkündigung und Diakonie eingeschränkt ist, ohne dass diese näher definiert werden: „Erklärt der leitende Pfarrer förmlich aufgrund seiner pastoralen Verantwortung und unter Angabe der Gründe, dass ein Beschluss die Ausübung der Grundaufgaben in der Liturgie, Verkündigung oder Diakonie einschränkt, so hat dieser Einspruch für den Beschluss aufschiebende Wirkung. Die anstehende Frage ist im Pfarreirat innerhalb von sechs Wochen erneut zu beraten. Kommt auch hier eine Einigung nicht zustande, ist die zuständige Schiedsstelle (siehe § 14) anzurufen. Einigt man sich dabei nicht, entscheidet der Bischof.“104
Es ist schwierig im konkreten Fall zwischen den grundlegenderen und weniger grundlegenden Aufgaben im Bereich der Liturgie und der Katechese zu unterscheiden. Nach Aymans nimmt der Pfarrgemeinderat bei einem reinen Vetorecht nicht nur an der Gemeindeleitung Teil, sondern leitet die Pfarrei.105 Der Pfarrer wird zum Ausführungsorgan der Beschlüsse des Pfarrgemeinderates.
VIII. Die Koordination der Räte im Pfarrverband Eine Seelsorgeeinheit (auch als „Seelsorgsraum“, „Pfarrverband“ oder „Pfarrverbund“ bezeichnet) umfasst mehrere Pfarreien, deren Seelsorge der Bischof einem Pastoralteam anvertraut.106 Als Gründe für die Errichtung werden vor allem die sinkende Zahl an Priestern und an Kirchenbesuchern genannt.107 102
Vgl. c. 1292, § 1. Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), ders., S. 53. 104 Vgl. Bistum Münster: Der Diözesanbischof, Satzung für die Pfarreiräte (Anm. 14) § 9, Abs. 3. 105 Vgl. Aymans, W./Mörsdorf, K., Kanonisches Recht (Anm. 4), Bd. II, S. 442. 106 Vgl. Bistum St. Gallen, Bischöfliche Weisungen für die Seelsorgeinheiten vom 7. November 2012, Art. 1.2. 103
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Rechtlich berufen sich die Bischöfe bei der Errichtung der Pfarrverbände auf c. 374, § 2 CIC/1983, der lediglich das Dekanat als Ort der Zusammenarbeit zwischen den Pfarreien erwähnt, ohne andere Formen auszuschließen. So ist es möglich, Zwischeninstanzen zwischen Pfarreien und Diözesen zu schaffen.108 Für den einzigen Pfarrer einer Vielzahl von Pfarreien (vgl. c. 526, § 1) wird es zeitraubend, den Vorsitz in jedem einzelnen Vermögensverwaltungsrat und in jedem Pfarrgemeinderat auszuüben. Noch zeitaufwendiger wird es, wenn zusätzlich zu den Räten jeder einzelnen Pfarrei ein Rat für alle Pfarreien des Pfarrverbands errichtet wird. Es ist deshalb Althaus zuzustimmen, der einen einzigen Pastoralrat für eine Vielzahl von Pfarreien vorsieht, die dem gleichen Pfarrer anvertraut sind.109 Bereits während der Redaktionsarbeiten für den CIC wurde ein solcher Vorschlag auf der Grundlage des einzigen Moderators der Pfarrpastoral erarbeitet, dem der Vorsitz zukäme.110 Durch einen einzigen Pastoralrat könnten Verdoppelungen bei den Konsultationen vermieden sowie die wechselseitige Kenntnis und Zusammenarbeit in Hinblick auf eine künftige Vereinigung der Pfarreien und für eine gerechtere Verteilung der verfügbaren pastoralen Dienste verbessert werden. Ein solcher gemeinsamer Pastoralrat könnte bei der Koordination der Seelsorgsarbeit jenen behilflich sein, die hauptamtlich im Dienste der Seelsorge stehen. Er würde auch das Problem des Auffindens geeigneter Kandidaten lösen und deren effektive Auswahl zum Zeitpunkt der Wahl erlauben. Die Wahl würde durch die Gläubigen erfolgen, die ihren Wohnsitz im Territorium einer der Pfarreien des Verbands haben.111 Er steht nicht im Gegensatz zum allgemeinen Kirchenrecht, denn für die Organisation liturgischer Feste oder besonderer Anlässe könnten Komitees geschaffen werden, die exklusiv aus Mitgliedern einer einzelnen Pfarrei gewählt werden, in der ein Fest oder eine andere spezielle Aktivität stattfindet. Gemäß dem Grundstatut für die Pastoralverbünde in Fulda liegt die Leitung in der Hand des vom Diözesanbischof ernannten Pfarrers des Verbands. Der Pfarrverbundsrat ist nach Art. 8 aus allen Priestern, Diakonen und hauptamtlichen Mitarbeitern in der Seelsorge zusammengesetzt. Das dritte Organ, das Pfarrerkollegium (Pfarrerkollegium) umfasst alle Pfarrer der Seelsorgseinheit.112 Aufgrund der getrennten Rechtspersönlichkeit der einzelnen Pfarreien müssen die Vermögensverwaltungsräte im Gegensatz zum Pfarrgemeinderat in den einzelnen Pfarreien auf 107 Vgl. Althaus, R., Der Pfarrgemeinderat in Pfarreien-Verbünden. Diskussionsbeitrag zu einer Neuorganisation: Zapp, H./Weiss, A. (Hrsg.), Ius Canonicum in Oriente et Occidente (FS Carl Gerold Fürst) (= Adnotationes in ius canonicum 25) Frankfurt am Main 2003, S. 433. 108 Vgl. Communicationes 15 (1982), S. 204. 109 Vgl. Althaus, R., Der Pfarrgemeinderat in Pfarreien-Verbünden (Anm. 107), S. 440 – 455. 110 Vgl. Marcuzzi, P. G., Il Consiglio pastorale parrocchiale (Anm. 18), S. 450 – 451. 111 Vgl. Althaus, R., Der Pfarrgemeinderat in Pfarreien-Verbünden (Anm. 107), S. 454. 112 Art. 12.
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jeden Fall erhalten bleiben.113 Außerdem ist zu bedenken, dass die Gremien vor Ort nicht einfach abgeschafft werden können, weil nach c. 537 CIC in jeder Pfarrei ein Vermögensverwaltungsrat vorgeschrieben ist. Sollten in den einzelnen Pfarreien die betreffenden Gremien nicht mehr gebildet werden können, wäre dies ein Indiz dafür, die zum Pfarrverband gehörenden Pfarreien aufzuheben und zu einer neuen Pfarrei zusammenzuführen.114 Den Ausschüssen und Räten insbesondere auf den untersten Ebenen, die auch als Gemeinden, Teilgemeinden oder Substrukturen innerhalb des größeren Pfarrverbands bezeichnet werden, kommt tendenziell weniger die nach Maßgabe des c. 536 CIC vorgesehene Beratungs- und synodale Mitverantwortungsfunktion zu, als vielmehr die Aufgabe einer örtlichen Interessensvertretung innerhalb des Pfarrverbands.115 Der wiederholte Vorschlag, dass diese Gremien der angeblich rechtlich selbstständig bleibenden Pfarreien in Abwesenheit des Pfarrers zusammentreten, beraten und beschließen sollten, um diesen durch die Vielzahl der Gremientermine nicht zu überfordern, ignoriert Grundgegebenheiten synodaler Gremien.116 Der Pfarrverbundsrat ersetzt nicht die einzelnen pfarrlichen Pastoralräte und die Vermögensverwaltungsräte, auch wenn ihre Funktionen neu festgelegt werden müssen, um unnötige Überschneidungen zu vermeiden.117 Um innerhalb des Pfarrverbands den Sinn für eine weitergehende Teilung auch der materiellen Güter zu wecken, können Treffen der Vermögensverwaltungsräte der einzelnen Pfarreien einberufen werden.118 Die Statuten der Erzdiözese Wien von 2006 bestimmen für den Pfarrverbandsrat: „Wo mindestens zwei Pfarren durch das Ordinariat bestätigt eine Kooperation in Gestalt eines Pfarrverbands bilden, wird auch eine verbindliche Form der Kooperation der Pfarrgemeinderäte vorgesehen. Ein gemeinsames Gremium, genannt Pfarrverbandsrat, wird gebildet aus den in den betroffenen Pfarren hauptamtlich tätigen Priestern, Diakonen und Laien, aus den stellvertretenden Vorsitzenden sowie weiteren 1 – 2 aus jedem einzelnen Pfarrgemeinderat entsandten Personen.“
In der Diözese St. Gallen und einigen anderen Diözesen muss der Pfarrer innerhalb des Pfarrverbands seine Seelsorge nach den kollegial vom Pastoralteam, dem der Pfarrverband anvertraut ist, vorgegebenen Richtlinien ausüben.
113 Vgl. Bistum Fulda: Der Diözesanbischof, Grundstatut für die Pastoralverbünde, 1. März 2006, Art. 9. 114 Vgl. Krämer, P., Krise und Kritik der Pfarrstruktur. Kirchenrechtliche Überlegungen zur Notwendigkeit einer Reform, in: AfkKR 175 (2006), S. 16. 115 Vgl. Hallermann, H., Was ist eine rechtlich selbstständig bleibende Pfarrei?, in: AfkKR 176 (2007), S. 406. 116 Vgl. ebd. 117 Vgl. Pavanello, P., La parrocchia: prospettive canonistiche innovative, in: Quaderni di diritto ecclesiale 18 (2005), S. 304. 118 Vgl. ebd.
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Die Struktur des Dekanats und des Pfarrverbands ist ähnlich: ein moderierender Priester und ein gemeinsamer Rat (Dekanatsrat)119. Weder dem Dekanat noch dem Pfarrverband kommt Rechtspersönlichkeit zu. Aufgrund der subsidiären Rolle des Dekanats könnte bei Errichtung der Pfarrverbände auf einen Pastoralrat auf Dekanatsebene verzichtet werden.120
IX. Schluss Neben dem Pfarrgemeinderat ist nach c. 537 ein pfarrlicher Vermögensverwaltungsrat einzurichten. Ein separates Gremium zur Koordination des Laienapostolats ist in jenen Pfarreien denkbar, wo zahlreiche Vereine und geistliche Bewegungen tätig sind. Angesichts der Vervielfältigung der Räte ist es wichtig, sie an die notwendige Koordination und die effektive Zusammenarbeit zu erinnern, um Wiederholungen, exzessive Dauer bei der Entscheidungsfindung sowie eventuelle Rivalitäten zu vermeiden. Eine fehlende Koordination der Arbeit des Pfarrgemeinderats mit jener des diözesanen Pastoralrats führt zu einer verminderten Effizienz bei der Umsetzung diözesaner Pastoralpläne.121 Umgekehrt ist auch eine klare Trennung der Kompetenzen der einzelnen Räte untereinander sowie gegenüber dem Pfarrer erforderlich. In den Satzungen verschiedener Diözesen des deutschsprachigen Raums besteht die Schwierigkeit, dass der Pfarrgemeinderat weiterhin auf den Vorgaben der Würzburger Synode beruht und daher sowohl verbands- als auch verfassungsrechtliche Kategorien abdeckt, doch vermag diese Symbiose eines „unvermischt und ungetrennt“ in der Praxis nicht zu greifen, „so dass häufig grundsätzlich eine beschließende Zuständigkeit des Pfarrgemeinderates unterstellt wird“122. Der Großteil der im deutschsprachigen Raum geltenden Statuten sieht ein beratendes Stimmrecht in den typischen Kompetenzbereichen des Pfarrgemeinderats und ein beschließendes Stimmrecht in jenen des Laienapostolats vor.123 Auch jene Diözesen, deren Statuten den Pfarrgemeinderäten ein umfassendes Beschlussrecht auch gegen den Pfarrer einräumen, erkennen an, dass der Pfarrgemeinderat keine Beschlüsse fällen darf, die der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche sowie dem universalen und partikularen Kirchenrecht widersprechen.124 Ein reines Vetorecht ist besonders in den Statuten jener Diözesen sinnlos, welche ausdrücklich die Doppelfunktion des Pfarrgemeinderats sowohl als Organe des Laienapostolats als auch als Laienapostolatsgremien zur Koordination des katholischen Vereinswesens vorsehen. Welch 119 Vgl. Geringer, K. Th., Das Dekanat, in: Listl, J./Schmitz, H. (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 19992, S. 482. 120 Vgl. Pavanello, P., La parrocchia (Anm. 117), S. 304 – 305. 121 Vgl. Miragoli, E., Il Consiglio pastorale (Anm. 15), S. 257. 122 Vgl. Althaus, R., Die Rezeption des Codex Iuris Canonici (Anm. 27), S. 705 – 706. 123 Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), S. 50. 124 Vgl. Bistum Münster: Der Diözesanbischof, Satzung für die Pfarreiräte (Anm. 14) § 9, Abs. 2.
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einen Sinn hat dann das Veto-Recht des Pfarrers, wenn er einerseits auf die amtlichen Pflichten schauen, andererseits die Autonomie des katholischen Vereinswesens wahren muss?125 Ein getrenntes Gremium für das Laienapostolat könnte hingegen problemlos von einem Laien geleitet werden.126 Gegen die Doppelfunktion spricht auch die Tatsache, dass die Pfarrgemeinderäte im Allgemeinen vom Volk gewählt werden. Bei einem Laienapostolatsgremium hätten die kirchlichen Vereine und Bewegungen zweifellos das Recht Vertreter in das zu entsenden127, was in den meisten Diözesen nicht der Fall ist. Nicht alle geltenden Satzungen von Pfarrgemeinderäten respektieren die doppelte Autonomie: a) jene des Laienapostolates, da der Pfarrgemeinderat kein Ersatz für die Gruppen, Bewegungen und kirchlichen Vereine ist und die Autonomie dieser nach vereinsrechtlichen Kategorien auf freiem Zusammenschluss fußenden Gemeinschaften nicht einschränken darf; b) jene des Pfarrers als pastor proprius in der Gemeinde.128 In Bezug auf den Vermögensverwaltungsrat erkannte die Deutsche Bischofskonferenz unmittelbar nach der Promulgation des CIC/1983 den Widerspruch zu c. 532 und erwirkte vom Hl. Stuhl ein Indult, wonach c. 532 in den Rechtsgebieten nicht eingehalten werden muss, in denen das Vermögensverwaltungsrecht auf staatlicher Grundlage oder auf staatskirchenrechtlicher Vereinbarung beruht oder früheres Recht inzwischen durch eigenständiges kirchliches Recht ersetzt worden ist. Von einem Indult gleichen oder ähnlichen Inhalts ist für Österreich nichts bekannt.129 Beim Vermögensverwaltungsrat stellen daher im Gegensatz zum Pfarrgemeinderat das Beschlussrecht, der Vorsitz durch Laien sowie das Recht der kollegialen Vertretung der Pfarrei kein Problem dar, sofern dies auch den örtlich geltenden staatskirchenrechtlichen Vorgaben entspricht. Angesichts der erforderlichen fachlichen Kompetenz der Mitglieder des Vermögensverwaltungsrats und der geltenden kodikarischen Normen ist eine Übernahme von dessen Aufgaben durch den Pfarrgemeinderat als einzigem Rat nicht möglich. In den vergangenen Jahren gab es zwei gegenläufige Tendenzen: einerseits von Seiten mancher Diözesanbischöfe die Erweiterung der Entscheidungskompetenz des Pfarrgemeinderats, andererseits dessen schwindende Rezeption, die auch in der Schwierigkeit Ausdruck findet, ausreichend Kandidaten zu finden, um den Gläubigen bei den Wahlen eine Auswahl zu ermöglichen.130 Im Bereich von Beschluss125
Vgl. Geringer, K.Th., Die deutschen Pfarrgemeinderäte (Anm. 5), S. 51. Vgl. ebd. 127 Vgl. ebd., S. 56. 128 Vgl. Paarhammer, H., c. 536, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: August 1985). 129 Vgl. Althaus, R., Die vielen Räte in der Kirche – Hilfe oder Hindernis, in: Theologie und Glaube 92 (2002), S. 168. 130 Vgl. ders., Die Rezeption des Codex Iuris Canonici (Anm. 27), S. 704. 126
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fassung und Veto-Recht führt die fehlende Trennung zwischen Verantwortung und Mitverantwortung auf beiden Seiten zu Frustrationen und wird letztlich zu einem der Gründe, warum es in manchen Regionen immer schwieriger wird, einen Kandidaten zu finden.131 Auf der Ebene der Pfarrverbände und des Dekanats stellt sich das dringende Problem der Koordination der Räte mit jenen der Pfarre noch deutlicher, um Konkurrenz und Verdoppelungen zu vermeiden. Auch sollten die eventuell in den einzelnen Pfarreien weiterhin bestehenden Pfarrgemeinderäte nicht zu Organen der reinen Interessensvertretung der einzelnen Pfarrei innerhalb des Pfarrverbandes degenerieren. Während der Ersatz der Pfarrgemeinderäte in den einzelnen Pfarreien durch den Pfarrverbundsrat im Partikularrecht möglich ist, muss gemäß c. 537 der Vermögensverwaltungsrat für jede einzelne Pfarrei als juristische Person erhalten bleiben.
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Vgl. ebd., S. 442.
Gottgeweihte Jungfrauen in der römisch-katholischen Kirche Kanonistische Bemerkungen zu einer spezifisch weiblichen Lebensform Bernhard Sven Anuth Schon bald nach Inkrafttreten des CIC von 1983 hat Helmuth Pree in einem Beitrag für die Zeitschrift „Diakonia“ über die Rechtsstellung von Mann und Frau im neuen Kirchenrecht informiert.1 Sein Augenmerk lag dabei leser(innen)orientiert auf den beseitigten Benachteiligungen von Frauen und ihrer gleichwohl bleibenden rechtlichen Ungleichbehandlung. So ist nachvollziehbar, dass er die einzige geschlechtsspezifische Rechtsbeschränkung für Männer im CIC/1983 nicht eigens thematisieren konnte: Der Jungfrauenstand (Ordo virginum) ist eine spezifisch weibliche Lebensform in der katholischen Kirche. Er ist nur Frauen zugänglich, und ein männliches Pendant gibt es nicht. Mag dieser besondere Stand bisweilen auch „als ein Sammelbecken für verunglückte Ordensfrauen erscheinen“2, Papst Benedikt XVI. hat die geweihten Jungfrauen (Virgines consecratae) ausdrücklich ein „Geschenk in der Kirche und für die Kirche“3 genannt. Sein Vorgänger, Papst Johannes Paul II., hatte schon 1996 einen „Grund zu Freude und Hoffnung“ darin gesehen, „daß die bereits seit der apostolischen Zeit in den christlichen Gemeinden bezeugte alte Weihe der Jungfrauen heute wiederaufblüht.“4 Bis heute konstatieren Beobachter(innen) einen neuen Trend zur Lebensweihe u. a. als Virgo consecrata.5 1 Vgl. Helmuth Pree, Mann und Frau im neuen Kirchenrecht, in: Diakonia 15 (1984), S. 107 – 112. 2 Rudolf Henseler, Virgines consecratae – verunglückte Ordensfrauen?, in: OK 50 (2009), S. 276 – 283, hier S. 277. 3 Papst Benedikt XVI., Ansprache v. 15. Mai 2008, in: AAS 100 (2008), S. 396 – 398, hier S. 396 [Nr. 1]; dt.: OR dt. 38 (2008) Nr. 23 v. 6. Juni 2008, S. 10 f. Auch Papst Franziskus, Ansprache v. 2. Februar 2014, in: OR 154 (2014) Nr. 27 v. 3./4. Februar 2014, S. 8 hat u. a. vor Virgines erklärt, gottgeweihte Menschen seien „ein Geschenk Gottes an die Kirche, ein Geschenk Gottes für sein Volk“. 4 Papst Johannes Paul II., NachsynApSchr „Vita consecrata“ v. 25. März 1996, in: AAS 88 (1996), S. 377 – 486, hier S. 382, Nr. 7a (i. O. z. T. hervorgeh.); dt.: VAS 166. 5 Vgl. Angela Reddemann, Berufungsbarometer: Neuer Trend zur Nachfolge und Weihe auch als „virgo consecrata“, 11. April 2008: http://www.zenit.org/de/articles/berufungsbarome ter-neuer-trend-zur-nachfolge-und-weihe-auch-als-virgo-consecrata [Stand: 19. 07. 2014]. Schon Gigliola Tosetti, Vergini consacrate nel mondo. Un ritorno alle origine (= Itinerari 3), Bologna 1990, S. 7, und Silvia Recchi, L’ordine delle vergini, in: QDirEccl 5 (1992), S. 141 –
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Was hat es auf sich mit diesem besonderen Stand in der Kirche, dem weltweit etwa 3000 und in Deutschland gut 150 Frauen angehören?6 Welche (Vor-)Geschichte hat er und wie ist er nach geltendem Recht ausgestaltet? Wer kann gottgeweihte Jungfrau werden und auf welchem Wege? Welche Rechte und Pflichten resultieren aus dem Empfang der Jungfrauenweihe und warum gibt es für Männer in der Kirche nichts Vergleichbares?
I. Ein neuer alter Ritus und seine (Vor-)Geschichte Ein schlichter Satz der Liturgiekonstitution des II. Vatikanums war Auslöser der nachkonziliaren Wiederbelebung des Jungfrauenstandes: Die Jungfrauenweihe des Römischen Pontifikale solle überarbeitet werden (VatII SC 80). Der infolgedessen revidierte Ordo Consecrationis Virginum (OCV) trat am 6. Januar 1971 in Kraft.7 Er sah nicht nur erstmals seit dem II. Laterankonzil von 1139 wieder eine Spendung der Jungfrauenweihe an Nicht-Ordensfrauen vor, sondern machte die Weihe solch in der Welt lebender Frauen sogar zur „normalen“ Form des Ritus.8 Auf diese Weise wurde eine der ältesten kirchlichen Lebensformen wieder eigenständig und sichtbar gemacht: Um des Himmelreiches willen ehelos lebende Frauen hat es in der Kirche von Anfang an gegeben. Erste Ansätze einer Institutionalisierung des Jungfrauenstandes sind bereits vom zweiten Jahrhundert an nachweisbar, wenngleich die Jungfrauen zur Zeit Tertullians noch kein Gelübde vor dem Bischof, sondern lediglich ein
150, hier S. 141, hatten von einem zahlenmäßigen Anstieg berichtet. Schließlich seien die Virgines consecratae, so Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 552, als eine „dem Zeitgeschmack zuwiderlaufende Existenzform […] zeitgemäß.“ 6 Vgl. „Eine Gabe für die Kirche“. Zweiter Internationaler Kongress der geweihten Jungfrauen in Rom, in: DT 61 (2008) Nr. 65 v. 29. Mai 2008, S. 7, bzw. unter http://consecratedvirgins.org/whoarewe [Stand: 19. Juli 2014] oder die thematisch gegliederte Darstellung bei René Metz, La consécration des vierges. Hier, aujourd’hui, demain, Paris 2001, S. 220 – 232. 7 Vgl. SC Cult, Dekret v. 31. Mai 1970 (Prot Nr. 600/70), in: AAS 62 (1970), S. 650, die erklärenden Ausführungen der SC Cult, Circa ordinem consecrationis Virginum (Documentorum explanatio), in: Notitiae 7 (1971), S. 107 – 110 sowie den neuen Ritus selbst: Ordo Consecrationis Virginum. Pontificale Romanum ex decreto Sacrosancti Œcumenici Concili Vaticani II instauratum auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, Editio typica, Typ. Pol. Vat. 1970; dt.: Die Jungfrauenweihe, in: Pontifikale II: Die Weihe des Abtes und der Äbtissin. Die Jungfrauenweihe, Handausgabe mit pastoralliturgischen Hinweisen, hrsg. v. den Liturgischen Instituten Salzburg, Trier, Zürich, Freiburg i.Br./Basel/Wien 1994, S. 67 – 150. 8 So Annibale Bugnini, Die Liturgiereform 1948 – 1975. Zeugnis und Testament, Freiburg i.Br. 1988, S. 824. „Die Bedeutung dieser Neuerung“, so Emmanuel von Severus, Die Jungfrauenweihe, in: Bruno Kleinheyer/Emmanuel von Severus/Kaczynski Reiner (Hrsg.), Sakramentliche Feiern II. Ordinationen und Beauftragungen – Riten um Ehe und Familie – Feiern geistlicher Gemeinschaften – Die Sterbe- und Begräbnisliturgie – Die Benediktionen – Der Exorzismus (= GdK 8), Regensburg 1984, S. 182 – 184, hier S. 183, liege „nicht im ideell und historisch begründeten Rückgriff auf die kirchliche Frühzeit, sondern in ihrem Gegenwartsbezug.“
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privates Versprechen ablegten.9 Seit dem dritten Jahrhundert ist die Übergabe eines Schleiers als Zeichen einer unwiderruflichen Hochzeit der Jungfrau mit Christus belegt10 und somit die sichtbare Ausgestaltung des die Jungfrauenweihe bis heute prägenden Verständnisses der Jungfrau als Braut Christi.11 Eine öffentliche Consecratio virginum existierte aber wohl noch nicht. Von der Mitte des dritten Jahrhunderts an wuchs die Wertschätzung des Jungfräulichkeitsideals in der Kirche und damit auch die Zahl geweihter Jungfrauen.12 Öffentliche Gelübde und ein eigener liturgischer Ritus der Jungfrauenweihe sind ab der Mitte des vierten Jahrhunderts nachweisbar.13 Sie belegen die zunehmende Institutionalisierung des Jungfrauenstandes. Die Synodenbeschlüsse des vierten und fünften Jahrhunderts zur kirchenrechtlichen Stellung gottgeweihter Jungfrauen14 gingen nahezu einhellig davon aus, durch die Jungfrauenweihe werde ein eheliches Band
9 Vgl. Georg Schöllgen, Art. Jungfräulichkeit, in: RAC XIX, Sp. 523 – 592, hier Sp. 553, aber auch Christoph Stücklin, Tertullian: De virginibus velandis. Übersetzung, Einleitung und Kommentar. Ein Beitrag zur altkirchlichen Frauenfrage (= EHS 23,26), Bern/Frankfurt a.M. 1974, S. 150 – 158, der mit Nachdruck der These widerspricht, Tertullians Schleierschrift belege die Existenz gottgeweihter Jungfrauen in Form eines institutionalisierten Standes. 10 Vgl. Cyprian, De habitu virginum, Nr. 20, in: S. Thasci Caecilii Cypriani Opera omnia ex recensione Guilelmus Hartelii (= CSEL III,1), Wien/New York 1868, S. 185 – 205, hier S. 201, sowie dazu Elizabeth Castelli, Virginity and its meaning for women’s sexuality in early Christianity, in: Journal of feminist studies in religion 2 (1986), S. 61 – 88, hier S. 71. 11 Nach Metz, Consécration (Anm. 6), S. 21 hat erstmals Tertullian die Braut-Christi-Metaphorik individualisiert verwendet. Vgl. Janine Hourcade, Noces mystiques. Spiritualité de l’Ordo virginum, Paris 2007, S. 43 f., und Marianne Schlosser, Alt – aber nicht veraltet! Die Jungfrauenweihe als Weg der Christusnachfolge, in: OK 33 (1992), S. 41 – 64, S. 165 – 178 u. S. 289 – 311, hier S. 49, bzw. dies., „Imago Ecclesiae desponsatae“. Zur Theologie der Jungfrauenweihe, in: RTLu 8 (2003), S. 99 – 112, hier S. 102. 12 Vgl. Schöllgen, Art. Jungfräulichkeit (Anm. 9), Sp. 575 f. 13 Die ältesten überlieferten liturgischen Bücher mit verbindlichen Vorgaben für die consecratio virginum stammen aus dem 6. Jh.; vgl. etwa Metz, Consécration (Anm. 6), S. 66 – 69, oder Ignazio M. Calabuig/Rosella Barbieri, Art. Consacrazione delle vergine, in: Domenico Sartore/Achille Maria Triacca/Carlo Cibien (Hrsg.), Liturgia (= I dizionari San Paolo), Cinisello Balsamo (Milano) 2001, S. 466 – 485, hier S. 467 – 469, sowie ausführlich zu Geschichte und Theologie der liturgischen Texte der Jungfrauenweihe Gabriel Ramis, La consagración de la mujer en las liturgias occidentales (= Bibliotheca „Ephemerides Liturgicae“. Subsidia 52), Rom 1990, S. 69 – 164. Durch Ambrosius und nachfolgende Autoren ist jedoch belegt, dass es schon Mitte des 4. Jhs. eine rituell an die kirchliche Eheschließung angelehnte velatio der Jungfrauen gab. Vgl. z. B. Schöllgen, Jungfräulichkeit (Anm. 9), Sp. 579, sowie zu Parallelen zwischen Braut- und Jungfrauensegen im 4. Jh. Adrien Nocent, Il mistero di Cristo nella „Velatio sponsae“ e nella „Velatio virginum“, in: RivLit 55 (1986), S. 368 – 377, bzw. Johannes Petrus de Jong, Brautsegen und Jungfrauenweihe. Eine Rekonstruktion des alt-römischen Trauungsritus als Basis für theologische Besinnung, in: ZKTh 84 (1962), S. 300 – 322, und ders., Nochmals Brautsegen und Jungfrauenweihe, in: ZKTh 86 (1964), S. 442 – 449. 14 Vgl. hierzu ausführlich Iniga Feusi, Das Institut der gottgeweihten Jungfrauen. Sein Fortleben im Mittelalter, Freiburg/Schweiz 1917, S. 37 – 45.
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zwischen der Virgo und Christus geschaffen, das seiner Natur nach unauflöslich sei und den Tod überdauere.15 Waren die geweihten Jungfrauen bis dahin zumeist in ihren Herkunftsfamilien geblieben, so etablierte sich vom fünften Jahrhundert an zunehmend eine gemeinschaftliche Lebensweise der Virgines.16 Die Weihe allein lebender Jungfrauen wurde ab dem 7./8. Jahrhundert nicht mehr gern gesehen17 und vom 10. Jahrhundert an zunehmend seltener gespendet.18 1139 bestimmte schließlich das II. Laterankonzil: „Zu dieser verderblichen und abscheulichen Gewohnheit gewisser Frauen, die von aller Welt für Gottgeweihte gehalten werden wollen, obwohl sie weder nach der Regel des heiligen Benedikt noch des Basilius oder des Augustinus leben, beschließen wir, dass sie beseitigt werde.“19 Dies kam einem Verbot der Weihe nicht klösterlich lebender Jungfrauen gleich. Als logische Folge entfiel bei der Neufassung des Pontifikale im 13. Jahrhundert der entsprechende Ritus. Von den bis dahin zwei Formen der Consecratio virginum blieb nur die für klausurierte Ordensfrauen übrig.20 Zwar wurde die Jungfrauenweihe in den folgenden Jahrhunderten auch in den Orden zunehmend unüblich, ging aber nie ganz unter. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an wurde sie zunächst innerhalb der Klöster neu wertgeschätzt21 und mit dem beginnenden 20. Jahrhundert ebenfalls wieder von nicht klösterlich le15 Vgl. Ignazio M. Calabuig/Rosella Barbieri, Art. Verginità consacrata nella Chiesa, in: Sartore/Triacca/Cibien (Hrsg.), Liturgia (Anm. 13), S. 2053 – 2070, hier S. 2059. Vgl. mit Bezug darauf Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 52 f. mit entspr. Belegen ebd., S. 53 Anm. 41. 16 Vgl. Feusi, Institut (Anm. 14), S. 179. 17 Vgl. Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 56. 18 Vgl. René Metz, Art. Jungfrauenweihe, in: LThK2 V, Sp. 1213; Philipp Oppenheim, Die Consecratio Virginum als geistesgeschichtliches Problem. Eine Studie zu ihrem Aufbau, ihrem Wert und ihrer Geschichte, Rom 1943, S. 44, bzw. Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 55. 19 Vgl. Conc. Lateranense II, c. 26 (Mansi XXI, S. 532 f.). 20 Vgl. Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 59; Calabuig/Barbieri, Art. Consacrazione (Anm. 13), S. 470 f., sowie zu dieser Neugestaltung des Ritus Adrien Nocent, Die Jungfrauenweihe, in: Aimé Georges Martimort (Hrsg.), Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. II: Die übrigen Sakramente und Sakramentalien. Die Heiligung der Zeit, Freiburg i.Br./Basel/Wien 1965, S. 146 – 154, hier S. 152 – 154, bzw. ausführlich Metz, Consécration (Anm. 6), S. 89 – 108. Die Jungfrauenweihe wurde dabei „einerseits durch rechtsförmige Zusätze ergänzt, andererseits dramatisch inszeniert“, so Gunda Brüske, Die Jungfrauenweihe. Geschichtliche Stationen und heutige Feier eines „Übergangsritus“, in: Winfried Haunerland u. a. (Hrsg.), Manifestatio Ecclesiae. Studien zu Pontifikale und bischöflicher Liturgie (= Studien zur Pastoralliturgie 17), Regensburg 2004, S. 239 – 259, hier S. 246. Vgl. im Einzelnen ebd., S. 248 – 250, bzw. Gabriel Ramis, La consagración de virgenes y viudas en los Pontificales Romanos, in: EL 110 (1996), S. 97 – 140 u. S. 193 – 209, hier S. 109 – 111. 21 Seine eigentliche Renaissance erlebte die Consecratio virginum am 15. August 1868, als mit Erlaubnis der Religiosenkongregation sieben Nonnen des Benediktinerinnenklosters S. Cécile bei ihrer monastischen Profess von Abt Guéranger von Solesmes die Jungfrauenweihe empfingen. Vgl. z. B. Metz, Consécration (Anm. 6), S. 122; Elena Lucia Bolchi, La consacrazione nell’ordo Virginum. Forma di vita e disciplina canonica (= Tesi Gregoriana. Serie Diritto Canonico 56), Rom 2002, S. 27, oder Hourcade, Noces mystiques (Anm. 11), S. 57.
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benden Frauen angestrebt. Einzelne Bischöfe spendeten sie ihnen auch tatsächlich.22 Offizielle Anfragen in Rom wurden jedoch negativ beschieden: 1927 bekräftigte die Religiosenkongregation, eine Jungfrauenweihe von Frauen, die in der Welt lebten, sei nicht möglich.23 1950 verbot Papst Pius XII. ihre Spendung an Nicht-Nonnen.24 Das II. Vatikanische Konzil hat über den Ordo virginum nicht gesprochen. Auch der Revisionsauftrag von Sacrosanctum Concilium Nr. 80 zielte nach den Konzilsakten nicht auf eine Öffnung des Jungfrauenstandes für in der Welt lebende Frauen.25 Die mit der Überarbeitung des Ritus betraute Studiengruppe sah sich hierzu gleichwohl verpflichtet.26 Ihr entsprechender Entwurf zu einem neuen OCV, der als Normalform die Jungfrauenweihe nicht klösterlich lebender Frauen vorsah, wurde schließlich approbiert und am 31. Mai 1970 im Auftrag Papst Pauls VI. von der Gottesdienstkongregation promulgiert. In dem hierzu erlassenen Dekret zählt die Kongregation den Ritus der Jungfrauenweihe zu den „kostbarsten Schätzen der römi-
22 Sowohl vor Inkrafttreten des CIC/1917 wie auch in den 1920er Jahren bemühten sich nicht klösterlich lebende Frauen zunehmend um den Empfang der Consecratio virginum. Vgl. Dorio Maria Huot, La consécration des vierges, in: Informationes SCRIS 9 (1983), S. 155 – 172, hier S. 158, sowie exemplarisch Jacqueline Roux, Anne Leflaive. Une vie pour la renaissance d’une vocation oubliée, Paris 2004. Zumindest einige der daraufhin gespendeten Jungfrauenweihen waren durch eine Anfrage bei Papst Benedikt XV. legitimiert, dessen Linie Papst Pius XI. 1923 beibehielt (vgl. hierzu etwa Metz, Consécration [Anm. 6], S. 124 – 127). Allerdings handelten die Bischöfe jeweils in eigener Verantwortung (vgl. Schlosser, Alt [Anm. 11], S. 61 auf der Grundlage von Timoteo de Urkiri, Circa „Ordinem Consecrationis Virginum“ quaestiones tres, in: ComRelMiss 63 [1982], S. 351 – 362 u. ComRelMiss 64 [1983], S. 142 – 169, hier S. 143). Der Jungfrauenstand wurde nicht generell geöffnet. 23 Vgl. SC Rel, Dubium de consecratione virginum pro mulieribus in saeculo viventibus, 25. März 1927, in: AAS 19 (1927), S. 138 f. Zur Begründung vgl. Philip Maroto, Annotationes, in: ComRelMiss 8 (1927), S. 154 – 161, bes. S. 161, und den Kommentar von Emile Jombart, Réponse de la S. Congrégation des religieux sur la consécration des vierges vivant dans le monde, in: RCR 3/I (1927), S. 97 f., sowie zu beiden ausführlich Urkiri, Circa „OCV“ (Anm. 22), S. 147 – 152, und Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 32 – 34, sowie Hourcade, Noces mystiques (Anm. 11), S. 60 f., und Metz, Consécration (Anm. 6), S. 129 – 132. 24 Vgl. Papst Pius XII., Const. Ap. „Sponsa Christi“ v. 21. November 1950, in: AAS 43 (1951), S. 5 – 24, hier S. 16, Art. III § 3, sowie hierzu u. a. Metz, Consécration (Anm. 6), S. 132 – 134. 25 Zur Textgeschichte von SC 80 vgl. ausführlich Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 62 – 66 sowie María Magdalena Benites, La consagración en el Ordo Virginum. Identidad canónica y aporte al derecho de la vida consagrada, Buenos Aires 2005, S. 11 – 17. Obgleich die Intention einer Öffnung des Jungfrauenstandes aus den Konzilsakten nicht belegbar ist, postulierte auch Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache v. 2. Juni 1995 an die Teilnehmerinnen der Internationalen Tagung des „Ordo Virginum“, es sei SC 80 auch darum gegangen, „einen Ritus wieder aufzunehmen, der sich auf Frauen bezog, die nicht Instituten geweihten Lebens angehörten, und der viele Jahrhunderte nicht gebräuchlich war“, in: OR 135 (1995) Nr. 128 v. 3. Juni 1995, S. 5, Nr. 1; dt.: Der Apostolische Stuhl 1995, Köln 2003, S. 983 – 986. 26 Zur Redaktionsgeschichte des Ritus vgl. mit weiteren Belegen Bernhard Sven Anuth, Gottgeweihte Jungfrauen nach Recht und Lehre der römisch-katholischen Kirche (= MK CIC. Beihefte 54), Essen 2009, S. 60 – 62.
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schen Liturgie“27. Mit Inkrafttreten des neuen OCV konnte er nach über 800 Jahren erstmals wieder offiziell auf Frauen angewendet werden, die nach altkirchlichem Vorbild in der Welt lebten. Damit ist zugleich der Ordo virginum in der Kirche wieder zu einem von anderen Formen des geweihten Lebens unabhängigen, eigenständigen Phänomen geworden.28 Von seiner „Wiedereinführung“ zu sprechen29, ist allerdings missverständlich. Tatsächlich handelte es sich um eine „Wiederbelebung“: Dem Jungfrauenstand, in den eine Frau durch die Jungfrauenweihe aufgenommen wird, gehören nicht nur die in der Welt lebenden Virgines an. Zumindest lässt sich eine solche Engführung weder historisch herleiten, noch ist sie durch den späteren Wortlaut von c. 604 gedeckt.30 Daher hat die Entscheidung des II. Laterankonzils nicht die Existenz des Ordo virginum beendet, sondern ihn lediglich unsichtbar gemacht: Wo nur Nonnen in Verbindung mit ihrer Ordensprofess die Jungfrauenweihe empfangen, wird der Jungfrauenstand von der klösterlichen Lebensform „überlagert“.31 Durch die nachkonziliare Überarbeitung des Ritus wurde der Empfängerinnenkreis
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Vgl. SC Cult, Dekret v. 31. Mai 1970 (Anm. 7), S. 605. Insofern nennt Barbara Albrecht, Jungfrauenweihe für Frauen, die in der Welt leben, Faltblatt „Mein Beruf/Meine Berufung“, hrsg. v. Zentrum für Berufungspastoral der Erzdiözese Freiburg, Freiburg i.Br. 2003, S. 2 den Jungfrauenstand zu Recht eine „uralte und doch neue geistliche Lebensform“. Vgl. Lila B. Archideo, L’Ordine delle Vergini, in: VC 30 (1994), S. 734 – 750, hier S. 745; Diane C. Desautels, An Early Christian Rite Revised: Consecrated Virgins Living in the World, in: RfR 49 (1990), S. 567 – 580, hier S. 578 sowie entsprechend Paola Moschetti, L’ordo virginum. Germoglio di vita cristiana, Siena 2000, S. 11. 29 Vgl. z. B. Papst Johannes Paul II., Ansprache v. 2. Juni 1995 (Anm. 25), Nr. 1; Libero Gerosa, Jungfräulichkeit und kanonisches Recht. Zur kirchlichen Bedeutung des Standes der Jungfrauen, in: IKZ Communio 25 (1996), S. 523 – 533, hier S. 523. 30 Gerard Sheehy u. a. (Hrsg.), The canon law letter & spirit. A practical guide to the Code of canon law, Collegeville Minn. 1995, Rn. 1191; Rincón-Pérez, in: Ángel Marzoa/Jorge Miras/Rafael Rodríguez-Ocaña (Hrsg.), Comentario exegético al Código de derecho canónico II/2, Pamplona 32002, S. 1501; Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 552 und Elio Gambari, I religiosi nel codice. Commento ai singoli canoni, Mailand 1986, S. 100 beziehen c. 604 nur auf die in der Welt lebenden Jungfrauen, belegen diese Behauptung jedoch nicht. Nach dem Wortlaut von c. 604 § 1 gehört dem Ordo virginum an, wer die Jungfrauenweihe empfangen hat. So auch Marie-Aleth Trapet, Pour l’avenir des nouvelles communautés dans l’Église, Paris 1987, S. 102. Vgl. Recchi, L’ordine (Anm. 5), S. 142. 31 Vgl. Marie-Paul Dion, Les effets du rite de la consécration des vierges. Aspectes théologiques, in: Église et Théologie 16 (1985), S. 275 – 318, hier S. 299 sowie zustimmend Trapet, Pour l’avenir (Anm. 30), S. 103. Daher bedarf es entgegen der Meinung von Stephan Haering, Ausgewählte Rechtsfragen um den kanonischen Jungfrauenstand, in: Thomas Schüller/Martin Zumbült (Hrsg.), Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi. 20 Jahre Studiengang Lizentiat im Kanonischen Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Festschrift für Klaus Lüdicke zum 70. Geburtstag (= MK CIC. Beihefte 70), Essen 2014, S. 143 – 162, hier S. 160 nicht in jedem Fall einer Entlassung aus dem Ordo virginum, wenn eine gottgeweihte Jungfrau in ein Institut des geweihten Lebens eintreten will: Der Eintritt in ein Institut, in dem bei der feierlichen Profess optional oder regelmäßig auch die Jungfrauenweihe gespendet wird, ist ohne Weiteres möglich. 28
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erweitert und damit zugleich der Jungfrauenstand als eigenständige Lebensform wiederbelebt.32
II. Geltendes Recht Folgerichtig erkennt auch der kirchliche Gesetzgeber den Ordo virginum als eine Form des geweihten Lebens an: Dabei handelt es sich um den Stand jener Jungfrauen, die aufgrund ihres „heiligen Vorsatzes“ (sanctum propositum), „Christus enger nachzufolgen, vom Diözesanbischof nach anerkanntem liturgischem Ritus Gott geweiht, Christus, dem Sohn Gottes, mystisch vermählt und für den Dienst der Kirche geweiht“ (c. 604 § 1 CIC) werden.33 1. Zugangsvoraussetzungen zum Jungfrauenstand Voraussetzung für den Empfang der Jungfrauenweihe ist neben dem weiblichen Geschlecht34 gemäß c. 604 § 1 das sanctum propositum35 einer Kandidatin, in dessen Zentrum die Bereitschaft zur Übernahme einer lebenslangen Keuschheitsverpflichtung steht.36 Darüber hinaus gelten die Zulassungsbedingungen des liturgischen Rechts37: Weil sie durch die Jungfrauenweihe mystisch mit Christus vermählt werden 32
Vgl. Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 298 Anm. 39; Recchi, L’ordine (Anm. 5), S. 14. Zur Diskussion um die Zugehörigkeit des Ordo virginum zum status vitae consecratae vgl. ausführlich Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 16 – 29 sowie Serenella del Cinque, L’ordine delle vergini. Il can. 604 § 1, in: Sequela Christi 35 (2009), S. 222 – 253, hier S. 228 – 233. – In den katholischen Ostkirchen ist es nach c. 570 CCEO Sache des Partikularrechts, Virgines consecratae zu ermöglichen. Universalkirchenrechtlich ist die Rechtsstellung geweihter Jungfrauen daher nur für die lateinische Kirche bestimmbar. 34 Vgl. hierzu im Folgenden unter III.1. 35 Dass c. 604 vom „Vorsatz“ (propositum) und nicht von einem „Gelübde“ (votum) der Jungfrauen spricht, ist eine Besonderheit des Ordo virginum. Allerdings wird darauf hingewiesen, das propositum sei einem votum äquivalent, da es eine besonders enge Christusnachfolge beinhalte. Vgl. etwa Metz, Consécration (Anm. 6), S. 199; Francesco Coccopalmerio, L’Ordo virginum: note di esegesi del can. 604, in: VC 32 (1996), S. 522 – 533, hier S. 524; Marie-Thérèse Huguet, La rénovation du rite liturgique de la consécration des vierges. Quelques questionnements et enjeux, in: NV 67 (1992), S. 91 – 119, hier S. 95; Urkiri, Circa „OCV“ (Anm. 22), S. 155 f.; vgl. aber auch die gegenteilige Meinung von Aitor Jiménez Echabe, Directorio marco del „orden de vírgenes“ consagradas, in: ComRelMiss 80 (1999), S. 387 – 406, hier S. 402, und den entsprechenden Überblick bei Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 266 – 268, bzw. Benites, Consagración (Anm. 25), S. 87 – 97. 36 Vgl. Alberto Perlasca, L’uscita dall’ordo virginum, in: QDirEccl 19 (2006), S. 392 – 405, hier S. 394 f., oder Desautels, Rite (Anm. 28), S. 569. 37 Die Praenotanda zum OCV haben mehr disziplinären als theologischen Charakter. Vgl. Carmen Álvarez Alonso, El Espíritu Santo en el ritual de consagración de vírgenes. Notas de pneumatología litúrgica, in: REDC 67 (2007), S. 63 – 96, hier S. 65, sowie allgemein Antonio Donghi, Significato dei Praenotanda dei nuovi libri liturgici, in: ders. (Hrsg.), I praenotanda dei nuovi libri liturgici, Mailand 21991, S. 7 – 16. Gemäß c. 2 bleiben die Normen des OCV 33
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(c. 604 § 1), dürfen Kandidatinnen „niemals eine Eheschließung gefeiert und auch nicht öffentlich oder offenkundig in einem der Keuschheit widersprechenden Zustand gelebt haben“38. In der Welt lebende Jungfrauen müssen zudem „durch ihr Alter, ihr Urteilsvermögen und durch ihre nach dem übereinstimmenden Zeugnis der Gläubigen erprobten Charaktereigenschaften die Gewähr bieten, in einem sittenreinen, dem Dienst der Kirche gewidmeten Leben auszuharren“39. Weitere Zugangsvoraussetzungen sind universalkirchenrechtlich nicht normiert.40 Allerdings benötigen nicht klösterlich lebende Kandidatinnen eine Zulassung durch den Ortsbischof.41 Er entscheidet frei, ob und wen er zur Weihe zulässt.42 Zudem kann er insbesondere auch nach Inkrafttreten des CIC/1983 in Geltung. Vgl. Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 92. 38 Vgl. OCV (Anm. 7), Praenotanda Nrn. 4a u. 5a. Dabei stellt „numquam nuptias celebraverint“ nicht auf den Ehevollzug, sondern die Eheschließung ab. Wer bereits einmal einem Mann den Ehekonsens habe leisten wollen, könne sich Christus nicht mehr jungfräulichbräutlich schenken, so Elena Lucia Bolchi, Ordo virginum, in: Gruppo Italiano Docenti Diritto Canonico, Associazione Canonistica Italiana (Hrsg.), La vita consacrata nella Chiesa. XXXII Incontro di studio, Centro Dolomiti Pio X, Borca di Cadore (BL), 27 giugno-1 luglio 2005 (= Quaderni della Mendola 14), Milano 2006, S. 121 – 152, hier S. 143 f., bzw. dies., Consacrazione (Anm. 8), S. 348 f. Wo eine Ehe aufgrund von c. 1095 Nrn. 1 oder 2, c. 1096 oder c. 1103 auf Seiten der Frau für nichtig erklärt wurde, sei aber eine Zulassung möglich. Vgl. ebd., S. 350 f.; Benites, Consagración (Anm. 25), S. 176. Dagegen hält Haering, Rechtsfragen (Anm. 31), S. 155 den Weg vom Ehe- in den Jungfrauenstand nach einer nichtvollzogenen Ehe ebenso für möglich wie nach einer von der Kandidatin verschwiegenen Vorehe. 39 OCV (Anm. 7), Praenotanda Nr. 5b. Diesen Anforderungen genügte 2006 nach dem Urteil des Bischofs von Como trotz ihres Down-Syndroms die Kandidatin Cristina Acquistapace, vgl. Maria Maset, Ich habe mein Leben in die Hand genommen und ein Meisterwerk daraus gemacht, 6. Mai 2014: http://www.zenit.org/de/articles/ich-habe-mein-leben-in-diehand-genommen-und-ein-meisterwerk-daraus-gemacht [Stand:19. 07. 2014]. Das war eine insofern konsequente Entscheidung, als Menschen mit geistiger Behinderung bei ernsthaftem Ehewunsch auch eine kirchliche Heirat nicht verwehrt werden darf. Vgl. hierzu Bernhard Sven Anuth, Eheschließung von Menschen mit geistiger Behinderung nach dem CIC/1983, in: DPM 9 (2002), S. 155 – 209. 40 Allerdings weist Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 346 zu Recht darauf hin, dass die Jungfrauenweihe nur Katholikinnen gespendet werden kann. Die Weihe einer nicht in voller Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche stehenden Frau hält sie für „nichtig oder wenigstens schwerwiegend unerlaubt“. Außerdem wünscht sie sich ein Verbot ihrer Spendung an nicht gefirmte Frauen (vgl. ebd., S. 346 f.). 41 Vgl. OCV (Anm. 7), Praenotanda Nr. 5c. Bei Ordensfrauen ist anstelle der individuellen Zulassung gefordert, „daß die Ordensfamilie nach alter Gewohnheit oder auf Grund einer neuen Erlaubnis der zuständigen Autorität diese liturgische Ordnung verwendet“ (Nr. 4c). 42 Auch wenn Raymond Leo Burke, Reflexionen über den Weiheritus und die Berufung zu einem Leben geweihter Jungfräulichkeit in der Welt, in: María Luisa Öfele/Irmingard Breuer (Hrsg.), Virgo consecrata – Braut Christi: Zeichen für die Liebe der Kirche zu Christus (= Ordo Virginum 2), St. Ottilien 2012, S. 17 – 48, hier S. 30, es für „nicht gerecht“ hält, „einer Jungfrau die Berufung zu einem Leben geweihter Jungfräulichkeit in der Welt zu verweigern, ohne einen ernsten Grund hinsichtlich ihrer persönlichen Eignung anzuführen“, besteht kein Rechtsanspruch auf Empfang der Jungfrauenweihe. Will ein deutscher Diözesanbischof die Weihe grundsätzlich nicht spenden (lassen), soll er dies einer Bewerberin schon nach der ersten Kontaktaufnahme schriftlich mitteilen, so die DBK, Empfehlungen für die
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jene Kriterien, die die Gewähr eines dauerhaft sittenreinen Lebens im Jungfrauenstand bieten sollen, partikularkirchlich konkretisieren und ausgestalten: Nach den Praenotanda steht es dem „Bischof […] zu, festzusetzen, auf welche Weise die Jungfrauen, die in der Welt leben, ihre Verpflichtung zu einem jungfräulichen Leben übernehmen sollen“ (Nr. 5).43 Seit 1596 und bis ins Pontifikale Romanum von 1962 war die „leibliche Unversehrtheit“ (integritas carnis) einer Kandidatin kraft liturgischen Rechts ausdrückliches Zulassungskriterium. Dabei galt eine Frau als „unversehrt“, wenn sie im anatomischen Sinn jungfräulich war, also ein unversehrtes Hymen nachweisen konnte, oder im weiteren Sinne einer „technischen Virginität“ nichtkoital defloriert war.44 Nach Defloration durch Geschlechtsverkehr konnte eine Frau nur zugelassen werden, wenn dieser als unfreiwilliger Inzest oder als Vergewaltigung stattgefunden hatte, also nicht als actus humanus geschehen war.45 Gemäß dem Pontifikale von 1962 hatte sich der Bischof beim Skrutinium noch durch explizite Nachfrage zu vergewissern, dass die Kandidatin eine in diesem Sinn intakte Jungfrau war. Das Erfordernis der physischen Jungfräulichkeit wurde allerdings schon in der mit der Ritusüberarbeitung befassten Studiengruppe als problematisch empfunden und sollte abgeschafft werden.46 Die Zulassungskriterien des revidierten OCV müssen daher als Spendung der Jungfrauenweihe an Frauen, die in der Welt leben, in: OrdKor 27 (1986), S. 466 – 469, hier S. 467 Nr. 2. 43 Die Zuständigkeit des Diözesanbischofs besteht also auch für die Lebensführung einer Virgo consecrata, vgl. Elena Lucia Bolchi, La ricomparsa dell’ordo virginum e la sua configurazione canonica tra normativa universale e normativa della chiesa particolare, in: QDirEccl 19 (2006), S. 364 – 391, hier S. 382. 44 Vgl. z. B. James A. Brundage, Law, Sex, and Christian Society in Medieval Europe, Chicago 1987, S. 385, wobei Anke Bernau, Mythos Jungfrau. Die Kulturgeschichte weiblicher Unschuld, Berlin 2007, S. 12 darauf hinweist, das Hymen sei „als Indikator von Jungfräulichkeit viel unzuverlässiger als gemeinhin angenommen“. Vgl. zum medizinischen Kontext und der entsprechenden Terminologie die Stichworte „Defloration“, „Hymen“ und „Virginität“ z. B. in: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch (2014), 265., neu bearb. Aufl., Berlin 2013. 45 Vgl. etwa Raymond Leo Burke, Lex orandi, lex credendi. Der Ritus der Jungfrauenweihe und die Berufung zu einem Leben gottgeweihter Jungfräulichkeit in der Welt, in: María Luisa Öfele/Irmingard Breuer (Hrsg.), Geweihte Jungfräulichkeit. Eine vergessene kirchliche Lebensform (= Ordo Virginum 1), St. Ottilien 2011, S. 177 – 207, hier S. 27. 46 Vgl. Alexandra Schumann, Das Phänomen der Virgines consecratae im deutschen Sprachraum anhand der Rechtsentwicklung in den Richtlinien der Bischofskonferenzen von Deutschland (1986) und Österreich (2005), Lizentiatsarbeit Münster 2006 (unveröff.), S. 109 mit Verweis Krzysztof Konecki, Konsekracja dziewic w odnowie liturgicznej Soboru Watykan´skiego II. Studium liturgiczno-teologiczne, Włocławek 1997, S. 111 f. In der Literatur wurde schon zu Beginn der 1960er Jahre die Meinung vertreten, es gehe heute nicht mehr um strikt anatomische, sondern um „formale“ Jungfräulichkeit, die auch nach Verlust der integritas carnis bestehen könne. Vgl. João Evangelista Enout, De virginum consecratione quaestiones selectae, in: EL 76 (1962), S. 3 – 38, hier S. 32 f.; Joachim Nabuco, Pontificalis Romani. Expositio iuridico-practica. Functiones pontificales extraordinariae, Editio secunda iuxta novam editionem Pontificalis Romani revisa, Paris u. a. 1962, S. 353 Anm. 4. Deren Überbetonung könne „sogar das Eigentliche christlicher Jungfräulichkeit eher verdunkeln als erhellen“, so Friedrich Wulf, Ein Nachtrag, in: GuL 38 (1965), S. 370 – 373, hier S. 371.
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bewusst formuliert gelten: Die physische Jungfräulichkeit, geschweige denn ihr Nachweis, wird nach universalkirchlichem Recht für die Zulassung zur Jungfrauenweihe nicht mehr verlangt.47 „Nach Auskunft verschiedener Diözesanbeauftragter“, so berichtet Dominicus Meier 2013, werde „in den deutschen Diözesen auf eine Feststellung der physischen Jungfräulichkeit im Sinne einer integritas carnis […] bei der Aufnahme in den Kreis der Kandidaten und bei der Weihe selbst verzichtet.“48 Allerdings werden Bewerberinnen zumindest in einigen (Erz-)Diözesen durchaus nach ihrem geschlechtlichen Vorleben gefragt.49 Diözesanbischöfe, die ihre Ordensreferent(inn)en oder Beauftragten hierzu anhalten, folgen der gegen den Wortlaut des liturgischen Rechts nach wie vor und prominent z. B. von Raymond Leo Kardinal Burke vertretenen Meinung: „Wenn eine Frau nicht mehr über die Gabe der Jungfräulichkeit verfügt, um diese aufopfern zu können, dann muss davon ausgegangen werden, dass sie von Gott auch nicht dazu berufen ist.“50 Schon 2006 hat Kardinal Burke berichtet, er habe die Gottesdienstkongregation um eine amtliche Auslegung des Kriteriums „numquam […] publice seu manifeste in statu castitate contrario vixerint“ gebeten.51 Vereinzelt wird über eine Antwort der Kongregation vom 4. April 47 So auch Dominicus M. Meier, Um des Himmelreiches willen. Das Keuschheitsgelübde in den Sonderformen des geweihten Lebens, in: OK 53 (2013), S. 53 – 62, hier S. 59. Vgl. bereits Adrien Nocent, La consécration des vierges, in: Aimé Georges Martimort (Hrsg.), L’Église en prière. Introduction à la Liturgie. Edition nouvelle. Bd. III: Les sacraments, Paris 1984, S. 225 – 237, hier S. 235, sowie Benites, Consagración (Anm. 25), S. 63, die darin (kritisch) „una innovación del nuevo rito“ sieht. Auch Aitor Jiménez Echabe, El ordo „virgenes consagradas“ a la luz del Código vigente, in: ComRelMiss 75 (1994), S. 221 – 240, hier S. 231, gesteht zu, der OCV setze die physische Jungfräulichkeit einer Kandidatin für die Zulassung nicht mehr voraus. Für ihn bleibt sie gleichwohl eine conditio sine qua non (vgl. ebd., S. 230). 48 Meier, Himmelreiches (Anm. 47), S. 59. 49 Vgl. Henseler, Virgines (Anm. 2), S. 279, der sich als ehemaliger Ordensreferent des Erzbistums Köln etwa fragt: Wenn „eine 45-jährige Bewerberin für den ordo virginum ehrlich erklärt, mit 17 Jahren habe sie einmal mit ihrem damaligen Freund einen Beischlaf vollzogen, ist es dann wirklich vorbei mit ihrem sanctum propositum? Sie mag damals sofort gebeichtet haben, sie mag daraufhin die Lossprechung erhalten haben, aber für den Stand der virgines consecratae ist sie ,unbrauchbar‘ geworden, quasi ,una donna contaminata‘.“ 50 Burke, Reflexionen (Anm. 42), S. 27. Henseler, Virgines (Anm. 2), S. 279, spricht von einer „klaren sententia communis“, zur Jungfrauenweihe dürfe nur eine körperlich unversehrte Frau zugelassen werden. Diese Härte habe „offenbar mit der Glaubwürdigkeit dieses Standes zu tun, so dass es hier nicht um ein bloßes Symbol, sondern um eine carnale Wirklichkeit gehen soll.“ Vgl. für diese Meinung z. B. Magalis Aguilera/Judith Stegman, Something Ancient … Something New, in: The Lamp 13 (2008) Nr. 5 v. 15. September 2008, S. 2; Diane Christine Farr, The Solemn Dignity of Our Beautiful Vocation to Consecrated Virginity, in: The Lamp 13 (2008) Nr. 5 v. 15. September 2008, S. 10; María Luisa Öfele, Theologischliturgische Bedeutung des Weihegebetes der Jungfrauenweihe für Frauen, die in der Welt leben, in: dies./Breuer (Hrsg.), Jungfräulichkeit (Anm. 45), S. 97 – 143, hier S. 135, sowie Hourcade, Noces mystiques (Anm. 11), S. 73 – 88, die im Regelfall ein einfaches medizinisches Attest über die physische Virginität für ausreichend und es generell für schädlich hält, diese Frage nicht aufmerksam zu prüfen (vgl. ebd., S. 85). 51 Vgl. Raymond Leo Burke, Q & A with Archbishop Burke, in: The Lamp 11 (2006) Nr. 5 v. September 2006, S. 7, sowie hierzu näher Judith M. Stegman, Virginal, feminine, spousal love for Christ, in: Sequela Christi 5 (2009), S. 128 – 145, hier S. 134 f.
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2007 berichtet, die Burkes Meinung bestätige, wonach „women who have lost the gift of virginity by knowingly and deliberately engaging in sexual relations should not be received as consecrated virgins.“52 Nachprüfbar ist dies allerdings nicht. Die Kongregation hat eine Antwort auf Kardinal Burkes Anfrage nicht publiziert und dieser hat sich in seinen einschlägigen Veröffentlichungen bisher auch nicht auf eine solche berufen. Unabhängig davon wäre zu prüfen, ob das fragliche Schreiben überhaupt eine „autoritative Antwort“53 der Kongregation war. Zudem wären seine Konsequenzen gründlich zu analysieren: Zumindest anhand der zitierten Passagen ist nicht erkennbar, dass die Kongregation die integritas carnis als ein Gültigkeitserfordernis der Jungfrauenweihe versteht.54 Insofern gilt: Eine amtlich bindende Auslegung der Zulassungsbedingungen gemäß Nrn. 4a und 5a der Praenotanda zum OCV liegt nicht vor. Bis die Gottesdienstkongregation nichts anderes verbindlich erklärt, ist am Wortlaut der liturgischen Norm festzuhalten.55 Zudem fordert auch c. 570 CCEO für die in den Ostkirchen partikularrechtlich möglichen Jungfrauen nicht Jungfräulichkeit, sondern „nur“ das Gelübde der Keuschheit (castitas).56 Das heißt: Wer gottgeweihte Jungfrau werden will, muss lediglich im moralischen Sinn Jungfrau sein. Die geschlechtlich unversehrte Jungfräulichkeit einer Kandidatin ist nach geltendem Recht nicht Voraussetzung für den Empfang der Jungfrauenweihe. 52 Vgl. USACV, Brief reference for discernment: http://consecratedvirgins.org/reference [Stand:19. Juli 2014] mit Zitat aus einem Schreiben der Congr. Cult an Erzbischof Burke v. 4. April 2007 (Prot. Nr. 231/06/L), das vom Kongregationssekretär Erzbischof Albert Malcom Ranjith unterzeichnet sei, wie Stegman, Virginal (Anm. 51), S. 144 Anm. 15 berichtet. Demnach diene das publice seu manifeste von OCV (Anm. 7), Praenotanda Nr. 5a dazu, „to avoid a possible inference that anyone should be required to make a manifestation of conscience in the external forum, since such a requirement would clearly violate the Church’s ancient practice regarding all matters of conscience. Still, it seems clear that if a loss of the gift of virginity is ascertained in the external forum during the course of one’s petition for reception as a consecrated virgin, then such a woman should not be so received. If the same is ascertained in the internal forum, however, then the woman should simply be counselled to withdraw voluntarily – even though there would be no way for such a counsel to be enforced as a precept.“ (ebd.) 53 Vgl. die entsprechende Einschätzung von Stegman, Virginal (Anm. 51), S. 135. 54 Als solche wird sie allerdings verstanden von Judith Stegman, Das BerufungsbaumProjekt – unter Berücksichtigung der besonderen Berufung zu einem Leben geweihter Jungfräulichkeit in der Welt, in: Öfele/Breuer (Hrsg.), Jungfräulichkeit (Anm. 45), S. 145 – 169, hier S. 162 f. In der Sicht anderer Jungfrauen könne „der Versuch der allzu genauen Abgrenzung mancher Dinge“ aber auch zu einem „übersteigerten Physikalismus“ und damit „zu einer Art Elitarismus führen“, so Braut des Lammes, Wer kann zur Jungfrauenweihe zugelassen werden? Hingabe, Liebe und Treue – just my 2 cents, 6. Mai 2014: http://brautdeslammes.blog spot.de/2014/05/wer-kann-zur-jungfrauenweihe-zugelassen.html [Stand: 19. Juli 2014]. 55 Vgl. Raymond Leo Burke, The New Evangelization and Canon Law, in: Jur 72 (2012), S. 4 – 30, hier S. 27: „liturgical law must enjoy the primacy among canonical norms, for it safeguards the most sacred realities in the Church.“ 56 Darauf weist zu Recht hin Rudolf Henseler, Die virgines consecratae in der Gesetzgebung von CIC und CCEO, in: Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (Hrsg.), Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst (= AIC 50), Frankfurt a.M. u. a. 2013, S. 221 – 232, hier S. 230.
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2. Spender der Jungfrauenweihe Beim Internationalen Kongress des Ordo virginum 2008 in Rom57 hat der damalige Erzbischof und heutige Kardinal Burke berichtet, zumindest in den USA gebe „es eine beträchtliche Verwirrung oder Achtlosigkeit hinsichtlich des ordnungsgemäßen Spenders der Jungfrauenweihe.“ Einige Diözesanbischöfe bestünden „darauf, dass die Jungfrauenweihe für Frauen, die in der Welt leben, durch einen Priester oder Weihbischof vorgenommen wird.“58 Dabei war und ist umstritten, ob ein Priester die Jungfrauenweihe spenden darf bzw. kann. Seit ein liturgischer Ritus für die Consecratio virginum historisch nachzuweisen ist, erscheint diese in der Regel als eine dem Bischof reservierte Feier.59 Daher wird bis heute die Meinung vertreten, nur ein Bischof könne die Jungfrauenweihe spenden und sie allenfalls ausnahmsweise bzw. nur aus einem sehr schwerwiegenden Grund an einen Priester delegieren.60 Nach c. 604 § 1 werden virgines consecratae „vom Diözesanbischof nach anerkanntem liturgischem Ritus Gott geweiht“, während nach den Praenotanda zum OCV gilt: „Minister ritus consecrationis virginum est Episcopus Ordinarius loci“ (Nr. 6)61, d. h. neben dem Diözesanbischof auch ein wenigstens zum Bischofsvikar ernannter Auxiliarbischof.62 Das Caeremoniale Episcoporum von 1984 ergänzte die Vorgabe des OCV durch den Zusatz, mit Zustimmung des Diözesanbischofs könne auch ein anderer Bischof der Jungfrauenweihe vorstehen.63 Die Delegation an einen 57 Auf Einladung der Ordenskongregation nahmen vom 15.–20. Mai 2008 rund 500 geweihte Jungfrauen an der Tagung zum Thema „Geweihte Jungfräulichkeit: eine Gabe in der Kirche und für die Kirche“ teil. Die Kongregation hat die Tagungsbeiträge in Heft 1/2009 ihrer Zeitschrift „Sequela Christi“ dokumentiert. 58 Raymond Leo Burke, Lex orandi, lex credendi. The rite of consecration and the vocation of consecrated virginity lived in the world, in: Sequela Christi 35 (2009), S. 92 – 110, hier S. 97, Nr. 19; dt.: ders., Lex orandi (Anm. 45), S. 187, Nr. 19. Vgl. ders., Reflexionen (Anm. 42), S. 33 f. 59 Vgl. Matiàs Augé, Art. Consecrazione delle vergine. III. Rito, in: DIP II, Sp. 1621 – 1627, hier Sp. 1621. Allerdings gab es bereits in der alten Kirche Ausnahmen und galt die Delegation auch an einen Priester grundsätzlich als möglich. Vgl. bereits Paladini, De benedictione et consecratione virginum, in: EL 49 (1935), S. 441 – 445, hier S. 442 f., sowie entsprechend zu dem von Abt Guéranger 1868 erstellten Ritus und der Rechtslage unter Geltung des CIC/1917 Enout, De virginum consecratione (Anm. 46), S. 10 – 17. 60 Vgl. etwa Metz, Consécration (Anm. 6), S. 201; Janine Hourcade, Une vocation féminine retrouvée. L’ordre des vierges consacrées, Paris 1997, S. 138. Nach Moschetti, L’ordo virginum (Anm. 28), S. 115 sind sich alle Kommentator(inn)en des Ritus einig, eine Delegation sei zumindest nicht opportun. Gloria Irene Álvaro Sanz, To love and to serve. The Order of Virgins According to Canon 604, Translated with notes by Carmen M. Muñoz, Augusta 4 2007, S. 39 erwartet daher für eine Ausnahme „very grave causes“, entsprechend z. B. auch Coccopalmerio, L’Ordo (Anm. 35), S. 526. 61 Der OCV dt./1994 (Anm. 7) übersetzt dies ungenau mit: „Der Vorsteher der Jungfrauenweihe ist der Diözesanbischof.“ 62 Vgl. AG Kirchenrecht, Spendung der Jungfrauenweihe (Nr. 13), in: Sekretariat der DBK (Hrsg.), Stellungsnahmen (Anm. 93), 27. 63 Vgl. Caeremoniale Episcoporum, Typ.Pol.Vat 1984 (reimpr. Em. 2008), Nr. 720.
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Priester wird nicht thematisiert.64 Auf ihre Möglichkeit wies erst ein Schreiben des Präfekten der Gottesdienstkongregation vom 22. Februar 1986 an den Sekretär der DBK hin.65 Demnach kann der Diözesanbischof die Feier einer Jungfrauenweihe „auch an Priester delegieren, die ihm in der Führung und Leitung des Bistums zur Seite stehen: also etwa an den Generalvikar, an einen Prälaten der Bistumskurie oder einen Domkapitular. Dabei soll die oben genannte Verbindung zwischen der Ortskirche und den Jungfrauen jedenfalls deutlich zum Ausdruck gebracht werden.“66 Wer um diese Mitteilung der Kongregation wusste, konnte überrascht sein, dass der damalige Erzbischof und heutige Kardinal Burke auf der Tagung 2008 in Rom berichtete, er habe kurz zuvor „von einer offiziellen Antwort des Heiligen Stuhls erfahren, aus der hervorgeht, dass die Jungfrauenweihe durch einen Priester nicht gültig gespendet wird und durch die private Spendung der Jungfrauenweihe durch den Diözesanbischof geheilt werden muss.“67 Publiziert oder anderweitig belegt ist diese Auskunft bis heute nicht. Auch Kardinal Burke hat darauf in späteren Beiträgen nicht mehr Bezug genommen. Ohnehin war er schon 2008 der kanonistisch gut begründeten Meinung, die durch einen Priester oder Weihbischof auf explizite Anweisung des Diözesanbischofs hin erteilte Jungfrauenweihe sei gültig, auch wenn dabei „der volle Zeichencharakter der Spendung durch den Diözesanbischof nicht korrekt beachtet wird.“68 Kirchenrechtlich ist der Diözesanbischof ordentlicher Spender der Jungfrauenweihe und daher gehalten, sie persönlich vorzunehmen.69 Die regelmäßige Delegation z. B. an einen Weihbischof kann insofern „als eine wenig angebrachte Geringschätzung des Ordo virginum verstanden werden.“70 Wo er die Spendung der Jungfrauenweihe jedoch im Einzelfall an einen Auxiliarbischof oder auch Priester als außerordentlichen Spender delegiert71, ist die so gespendete Weihe gültig. Der Diözesanbischof ist zudem nicht verpflichtet, die Delegation zu begründen. Die Kandidatin 64 Urkiri, Circa „OCV“ (Anm. 22), S. 159, sowie Calabuig/Barbieri, Art. Consacrazione (Anm. 13), S. 473 halten, sie allerdings schon aufgrund des OCV für möglich. Vgl. John M. Huels, The Minister of the Consecration of Virgins, in: Roman Replies and CLSA Advisory Opinions 2001, S. 134 – 136, hier S. 135, in Auslegung von c. 1196. 65 Zu seinem Inhalt und Rechtscharakter vgl. Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 87. 66 Congr. Cult/Augustin Kard. Mayer, Schreiben v. 22. Februar 1986 (Prot.-Nr. 286/86), S. 1. 67 Burke, Lex orandi (Anm. 45), S. 187 f. Nr. 20, allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ihm die Stellungnahme nicht vorliege. 68 Ebd., S. 188 Nr. 20. Vgl. ders., Reflexionen (Anm. 42), S. 34. Auch Haering, Rechtsfragen (Anm. 31), S. 150 hält die an einen Priester delegierte Jungfrauenweihe für gültig. 69 Vgl. Huels, Minister (Anm. 64), S. 135. 70 Haering, Rechtsfragen (Anm. 31), S. 151. 71 Gültig delegiert nur der Diözesanbischof, so zu Recht John M. Huels, The ministers of sacramentals, in: Jur 65 (2005), S. 338 – 385, hier S. 374 Anm. 116 (vgl. bereits ders., Minister [Anm. 64], S. 136), gegen die Meinung von Thomas C. Anslow, Improperly Delegated Consecration of a Virgin, in: Roman Replies and CLSA Advisory Opinions 20 (2003), S. 80 – 82, hier S. 81.
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hat keine rechtliche Möglichkeit, auf die Bestellung des Spenders Einfluss zu nehmen. 3. Rechtsfolgen der Jungfrauenweihe Wenn die Kandidatin bei der Jungfrauenweihe in die Hände des Bischofs verspricht, „Christus im Stand der Jungfräulichkeit mit Gottes Hilfe nachzufolgen“ (OCV Nr. 22), verpflichtet sie sich zu einem Leben in eheloser Keuschheit.72 Die beiden anderen evangelischen Räte der Armut und des Gehorsams werden allenfalls implizit mitgelobt.73 Durch ihre Weihe wird die Virgo zu einem standesspezifischen „Dienst der Kirche“ (servitium Ecclesiae) bestimmt (c. 604 § 1), zu dessen Vervollkommnung die virgines auch Vereinigungen bilden können (§ 2).74 Worin ihr Dienst besteht, bleibt jedoch nach dem CIC offen und wird auch durch das liturgische Recht nur bedingt konkretisiert. So zählen die Praenotanda zum OCV zu den „wichtigsten Pflichten“ der Jungfrauen, sich „je nach ihren Verhältnissen und Gnadengaben, der Buße, den Werken der Barmherzigkeit, dem Apostolat und dem Gebet [zu] widmen. Es wird ihnen dringend geraten, ihre Gebetspflicht auch dadurch zu erfüllen, daß sie täglich das kirchliche Stundengebet, vor allem Laudes und Vesper, beten“ (Nr. 2).75 Um das dabei Charakteristische des Jungfrauenstandes positiv zu beschreiben, haben sich die Österreichische und die Schweizer Bischofskonferenz in ihren „Empfehlungen“ für die Jungfrauenweihe76 eine Formulierung von Barbara Albrecht zu eigen 72
Vgl. hierzu eingehend Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 359 – 366. Vgl. Raymond Leo Burke, „Hingegeben zum Dienst für die Kirche und alle Brüder und Schwestern“: Zur rechtlichen Natur des Dienstes, welcher der Berufung zu einem Leben gottgeweihter Jungfräulichkeit in der Welt eigen ist, in: Maria Luisa Öfele/Irmingard Breuer (Hrsg.), Virgo consecrata – für den Dienst der Kirche bestimmt (= Ordo virginum 3), St. Ottilien 2013, S. 61 – 89, hier S. 67. Papst Benedikt XVI., Ansprache v. 15. Mai 2008 (Anm. 3), S. 397 hat festgestellt: Der Weg der gottgeweihten Jungfrauen weise nur „anscheinend keine spezifischen Merkmale des religiösen Lebens, vor allem des Gehorsams“ auf. Tatsächlich fordere ihre Ganzhingabe an Christus „implizit die Erfüllung der evangelischen Räte“ (Nr. 5). 74 Bei der Codexrevision wurde mit Rücksicht auf künftige Entwicklungen entschieden, den Jungfrauenstand im CIC nicht zu stark zu konturieren. Vgl. Communicationes 11 (1979), S. 333 sowie zur unterschiedlichen Bewertung dieser Offenheit Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 100 Anm. 391. 75 Nach DBK, Empfehlungen (Anm. 42), S. 466 Nr. 1 übernimmt eine geweihte Jungfrau „die Pflicht, der Kirche dort, wo sie lebt, zu dienen – so wie es ihrer Situation entspricht“, indem sie ein geistliches Leben führt und ggf. auch apostolisch tätig ist. Zur Feier der Tagzeitenliturgie sind gottgeweihte Jungfrauen trotz (fakultativer) Übergabe des Stundenbuchs (vgl. OCV [Anm. 7] Nr. 28) formal nicht verpflichtet. Vgl. hierzu Stephan Haering, Das Lob Gottes und das Gebet für das Heil der Menschen. Gottgeweihte Jungfrauen und kirchliches Stundengebet, in: Öfele/Breuer (Hrsg.), Virgo consecrata (Anm. 73), S. 145 – 164. 76 Vgl. ÖBK, Empfehlungen für die Spendung der Jungfrauenweihe gemäß can. 604 CIC, in: ABl. ÖBK 22 (2005) Nr. 39 v. 1. Mai 2005, S. 19 – 25 bzw. Sekretariat der SBK (Hrsg.), Empfehlungen der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) für die Spendung der Jungfrauenweihe gemäß c. 604 CIC vom 1. März 2006, Freiburg/Schweiz 2006. Zur kirchenrechtlichen Einordnung der deutschsprachigen „Empfehlungen“ und für einen inhaltlichen Überblick vgl. Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 69 – 75. 73
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gemacht: Demnach sei eine geweihte Jungfrau dazu berufen, „durch ihr Sein in aller Stille zeichenhaft die Braut Kirche in ihrer ungeteilten Bindung an Christus darzustellen. Ihr Leben ist und soll sein ein Leben in und mit ihm, ,verborgen in Gott‘ (Kol 3,3), ein Leben zugleich im wachsam-liebenden Harren auf den kommenden Herrn. Diese eschatologische Hoffnungsdimension muss das Leben einer gottgeweihten Jungfrau zuinnerst prägen, und zwar stellvertretend für die ganze Kirche“77. Das heißt in kirchenrechtlicher Sicht für das servitium Ecclesiae der Jungfrauen: Es handelt sich um „einfach jenen Dienst, den jeder Gläubige der Kirche zu leisten verpflichtet ist“, und zu dem bei geweihten Jungfrauen lediglich als „Kennzeichen […] das besondere Band der Liebe zu Christus, ihrem Bräutigam“78, hinzutritt. Ausdrücklich betonen die „Empfehlungen“ der deutschsprachigen Bischofskonferenzen: „Die Jungfrauenweihe verleiht kein Amt in der Kirche, sie enthält auch keinen Auftrag für eine bestimmte Funktion oder einen kirchlichen Dienst.“79 Sie begründet also „keinen Anspruch auf Unterhalt oder Beschäftigung, noch konstituiert sie eine Verfügbarkeit für den Einsatz im Bistum“80. Die gottgeweihte Jungfrau hat – sieht man davon ab, dass sie als Weiheinsignien Ring und Schleier tragen darf81 – aufgrund ihrer Konsekration keine spezifischen Rechte. Natürlich kann sie sich wie jeder Laie in ein kirchliches Dienstverhältnis begeben. Sie tut dies jedoch – auch wenn der Diözesanbischof sie darum bittet82 – freiwillig und ist dafür wie alle Laien im kirchlichen Dienst gemäß c. 231 § 2 entsprechend zu entlohnen.83
77 Albrecht, Jungfrauenweihe (Anm. 28), S. 10, wörtlich zitiert in Nr. 16 der ÖBK- und SBK-Empfehlungen (Anm. 76). Vgl. bereits Barbara Albrecht, Jungfrauenweihe für Frauen, die in der Welt leben, in: OK 25 (1984), S. 298 – 305, hier S. 303. 78 Burke, Hingegeben (Anm. 73), S. 67. Vgl. Gabriele Konetzny, Die Jungfrauenweihe, in: Teresa Berger/Albert Gerhards (Hrsg.), Liturgie und Frauenfrage. Ein Beitrag zur Frauenforschung aus liturgiewissenschaftlicher Sicht (= Pietas liturgica 7), St. Ottilien 1990, S. 475 – 492, hier S. 491, sowie für eine Konkretisierung hinsichtlich der Gebets-, Buß- und Apostolatspflicht Dion, Effets (Anm. 31), S. 303 – 316. 79 ÖBK bzw. SBK, Empfehlungen (Anm. 76), Nr. 16. Vgl. DBK, Empfehlungen (Anm. 42), S. 466 Nr. 1. 80 DBK, Empfehlungen (Anm. 42), S. 467 Nr. 2. Vgl. ÖBK bzw. SBK, Empfehlungen (Anm. 76), Nr. 20. Daher empfiehlt Rose M. McDermott, Admission to the Order of Virgins, in: Patrick J. Cogan (Hrsg.), CLSA advisory opinions, 1984 – 1993, Washington DC 1995, S. 163 f., hier S. 164, die Virgo consecrata solle schriftlich erklären, dass weder Universalkirche noch (Erz-)Diözese durch die Jungfrauenweihe finanzielle Verantwortung für sie übernommen hätten. 81 Vgl. OCV (Anm. 7), Nr. 8. Eine Pflicht, den Schleier zu tragen, resultiert aus seiner zudem fakultativen Übergabe bei der Jungfrauenweihe nicht. Vgl. Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 177. 82 Vgl. Jean Beyer, Le droit de la vie consacrée. Commentaire des Canons 573 – 606. Normes communes, Paris 1988, S. 151, sowie entsprechend Coccopalmerio, L’Ordo (Anm. 35), S. 527 f.; Jiménez, El ordo (Anm. 47), S. 234 f. und Gerosa, Jungfräulichkeit (Anm. 29), S. 530. 83 Vgl. Coccopalmerio, L’Ordo (Anm. 35), S. 528.
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Über die Pflicht zu einem geschlechtlich enthaltsamen Leben hinaus gibt es also keinen rechtsverbindlichen und für alle gottgeweihten Jungfrauen einheitlichen Katalog konkreter (Standes-)Pflichten.84 Wie eine Virgo consecrata ihr geistliches Leben im Einzelnen gestaltet, sollte sie mit dem Diözesanbischof bzw. seinem Beauftragten abstimmen. Schließlich gehen nicht nur die deutschsprachigen Bischofskonferenzen davon aus, dass der zuständige Diözesanbischof bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen „die von einer geweihten Jungfrau geforderte Lebensweise […] eine Entlassung aus dem ordo virginum verfügen“85 kann. Dabei entscheidet er im jeweiligen Einzelfall allein, ob ein solcher Verstoß vorliegt. Weil ihre (Standes-)Pflichten weder universalkirchenrechtlich noch durch die „Empfehlungen“ der genannten Bischofskonferenzen präzise beschrieben sind, weiß eine Virgo consecrata „streng genommen nicht, ob und zu was sie verpflichtet ist“86. Um daher nicht unwissentlich gegen Standespflichten zu verstoßen und eine Entlassung zu riskieren, sollte sie den Diözesanbischof ihres Wohnortes daher möglichst noch vor, spätestens aber kurz nach der Jungfrauenweihe um eine schriftliche Auskunft über ihre Pflichten bitten.87 Umgekehrt kann eine gottgeweihte Jungfrau beim Diözesanbischof ihres Wohnortes auch selbst die Entlassung aus dem Jungfrauenstand und damit einhergehend die Dispens von allen mit der Jungfrauenweihe verbundenen Pflichten beantragen.88 Grund hierfür kann etwa der Verlust des Glaubens sein, der beabsichtigte Eintritt in ein Institut des geweihten oder eine Gesellschaft des apostolischen Lebens, falls hierfür die vorherige Entlassung aus dem Ordo virginum zur Aufnahmebedingung gemacht wird, oder auch ein Heiratswunsch der Jungfrau.89 Zu dessen Realisierung ist sie auf die Zustimmung des Diözesanbischofs allerdings nicht angewiesen. Die 84
Vgl. Desautels, Rite (Anm. 28), S. 573; Benites, Consagración (Anm. 25), S. 134 – 140. Nach Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 45 bleibe die Virgo consecrata aber „nicht ohne Pflichten gegenüber Kirche und Welt“, sondern müsse „ihr ganzes Leben als ,von Christus‘ und der Kirche in Dienst genommen verstehen“. 85 ÖBK bzw. SBK, Empfehlungen (Anm. 76), Nr. 44. Vgl. DBK, Empfehlungen (Anm. 42), S. 469 Nr. 4. So auch McDermott, Admission (Anm. 80), S. 164 in analoger Anwendung der einschlägigen ordensrechtlichen Normen. Vgl. Benites, Consagración (Anm. 25), S. 186 und Perlasca, L’uscita (Anm. 36), S. 398 f. 86 Schumann, Phänomen (Anm. 46), S. 82. 87 Aufgrund der kirchlichen Dimension dieser Berufung, könne „sie nicht im Raum der eigenen Vorstellungen bleiben“, so María Luisa Öfele, Aspekte der Spiritualität der Virgo consecrata – Braut Christi, in: dies./Breuer (Hrsg.), Virgo (Anm. 42), S. 91 – 134, hier S. 108. Allerdings sieht sie die Zuständigkeit des Diözesanbischofs darauf beschränkt, „die konkreten Möglichkeiten eines kirchlichen Dienstes mit der Kandidatin gemäß ihren Gaben und Fähigkeiten anzusprechen und zu erwägen.“ Tatsächlich besitzt der Diözesanbischof jedoch, wie schon Metz, Consécration (Anm. 6), S. 169, festgestellt hat, „größtmögliche Freiheit“, jenes Band auszugestalten, das die Jungfrau mit ihm verbindet. Vgl. zustimmend Burke, Hingegeben (Anm. 73), S. 76. 88 Vgl. ÖBK bzw. SBK, Empfehlungen (Anm. 76), Nr. 44, sowie DBK, Empfehlungen (Anm. 42), S. 469 Nr. 4. 89 Vgl. ausführlich Perlasca, L’uscita (Anm. 36), S. 393 – 396.
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Jungfrauenweihe impliziert zwar ein öffentliches und ewiges Gelübde der Keuschheit, bindet aber nicht an ein Institut des geweihten Lebens und ist daher nach c. 1088 kein Ehehindernis.90 Forderungen, der Jungfrauenweihe aufgrund ihrer Geschichte auch heute wieder eheverungültigende Wirkung zu verleihen91, hat der universalkirchliche Gesetzgeber bisher nicht aufgegriffen. Durch partikulares Recht jedoch kann der Wechsel vom Jungfrauen- in den Ehestand „nur erschwert, aber nicht völlig verhindert werden.“92 Das heißt: Eine geweihte Jungfrau kann nach geltendem Recht eine gültige Ehe eingehen, auch ohne vom Diözesanbischof zuvor aus dem Jungfrauenstand entlassen worden zu sein.93 Der Wunsch bzw. die Forderung nach einer Wiederbelebung der Jungfrauenweihe als Ehehindernis wird in der Literatur oft damit begründet, sie bedeute eine unwiderrufliche Bindung an Christus, die nicht ungeschehen gemacht werden könne.94 Wer eine Dispens für möglich halte, missverstehe die spezifische Identität der Berufung zu einem Leben als geweihte Jungfrau.95 Zum einen wird argumentiert: Da die Jungfrauenweihe eine Frau zur Braut Christi mache, sei sie der Eheschließung zumindest ähnlich, weshalb von ihr nicht dispensiert werden könne.96 Zum anderen betont Burke auch die Parallelen zwischen Priester- und Jungfrauenweihe und sieht hier
90 Vgl. z. B. Rincón-Pérez, in: CECDC3 (Anm. 30), S. 1503; Bolchi, Ordo virginum (Anm. 38), S. 150. 91 Vgl. Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 295 f. mit Verweis auf Maroto, Annotationes (Anm. 23), S. 161, sowie etwa Urkiri, Circa „OCV“ (Anm. 22), S. 150 f.; Teodoro Bahíllo Ruiz, Profesión del consejo de castidad mediante votos y otros sagrados vínculos. A propósito del alcance del impedimentum voti del canon 1088, in: Estudios eclesiásticos 84 (2009) Nr. 331, S. 701 – 728 sowie Haering, Rechtsfragen (Anm. 31), S. 155. Zur vor 1970 geführten Diskussion um die Jungfrauenweihe als Ehehindernis vgl. Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 404 – 409. 92 Haering, Rechtsfragen (Anm. 31), S. 155. Um der Dignität des Jungfrauenstandes willen sei daher „angemessen, […] dass sich der gesamtkirchliche Gesetzgeber der Sache annimmt“ (ebd.). 93 Solange Austritt oder Entlassung aus dem Jungfrauenstand (noch) nicht rechtswirksam seien, verbiete die Jungfrauenweihe allerdings „wie bei den Bindungen in einem Säkularinstitut ex natura rei eine Eheschließung“, so die AG Kirchenrecht der DBK, Nr. 12: Jungfrauenweihe (c. 604 CIC), in: Sekretariat der DBK (Hrsg.), Kirchenrechtliche Stellungnahmen der Arbeitsgruppe Kirchenrecht der Deutschen Bischofskonferenz in der Zeit von 1984 – 1989 (= SICA 4), Metten 1994, S. 24 – 27, hier S. 25. Vgl. entsprechend Benites, Consagración (Anm. 25), S. 112. 94 Vgl. z. B. Álvaro Sanz, To love (Anm. 60), S. 43; Burke, Reflexionen (Anm. 42), S. 24 bzw. Aguilera/Stegman, Something (Anm. 50), S. 2: „The virgin is forever changed“. 95 Genauso falsch sei es, die Jungfrauenweihe jährlich erneuern zu lassen, „als ob die Weihe nicht bleibende Realität wäre“, so Burke, Lex orandi (Anm. 45), S. 25. 96 Vgl. z. B. Urkiri, Circa „OCV“ (Anm. 22), S. 163; Dion, Effets (Anm. 31), S. 299; Tosetti, Vergini consacrate (Anm. 5), 59 f., sowie Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 296, mit Calabuig/ Barbieri, Art. Consacrazione (Anm. 13), S. 484.
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eine „Analogie“97. Anders als das Weihesakrament verleiht die Jungfrauenweihe jedoch keinen unauslöschlichen Charakter. Sie verändert die Jungfrau also nicht wesentlich und nicht unwiderruflich.98 Auch die Mitglieder eines Religioseninstituts erfahren durch die Profess der evangelischen Räte eine consecratio, die jener der gottgeweihten Jungfrauen in nichts nachsteht.99 Angesichts der Rechtsfolgen des gewährten Austritts bzw. der strafweisen Entlassung aus einem Religioseninstitut ergibt sich daher auch für den Jungfrauenstand: In beiden Fällen ist die Jungfrau von ihrem Keuschheitsgelübde dispensiert und es erlöschen alle mit dem Jungfrauenstand verbundenen Pflichten und Rechte. Sie ist nicht mehr eine gottgeweihte Person.100
III. Eine spezifisch weibliche Lebensform Verschiedentlich wird die Meinung vertreten, die Wiederbelebung der Jungfrauenweihe für in der Welt lebende Frauen sei ein großer Schritt zur Anerkennung und Aufwertung der Berufung der Frau in der Kirche.101 Schließlich stärke die Konsekration eine Frau für jenen „Dienst […], der ihrem fraulichen Wesen entspricht.“102 Die im OCV vorgesehene Ansprache des Bischofs habe insofern „Modellcharakter“: Ihr Inhalt könne „als gültiger Ausdruck für die Einschätzung der Stellung der Frau in der Kirche von heute angesehen werden.“103 Der Jungfrauenstand vervollständige die Mission der Frau in der Kirche und bereichere sie um einen wichtigen Aspekt.104 Die spezifische Berufung der gottgeweihten Jungfrauen sei ein „starkes Zeichen“ zugunsten des Weiblichen in einer für das Geschlechterverhältnis unruhigen Zeit.105 Wie sind solche Einschätzungen zu verstehen? 97 Burke, Reflexionen (Anm. 42), S. 44. Vgl. ebd., S. 24 u. S. 38. Auch Öfele, Aspekte (Anm. 42), S. 123 erkennt „bei genauerem Studium des Ritus der Priesterweihe“ zwischen jungfräulicher und priesterlicher Spiritualität „gewisse Parallelen“. 98 So auch Henseler, Virgines consecratae (Anm. 56), S. 227. Anderer Meinung sind z. B. Aguilera/Stegman, Something (Anm. 50), S. 2, oder bereits Desautels, Rite (Anm. 28), S. 571. 99 Vgl. SC Cult, Circa ordinem (Anm. 7), S. 109 Nr. 6. Anderer Meinung auch hier Aguilera/Stegman, Something (Anm. 50), S. 2: Weil die Virgo sich nicht selbst Gott weihe, bestünden zwischen Jungfrauenweihe und Profess „important distinctions“. 100 Vgl. hierzu näher Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 129 Anm. 501. 101 Vgl. etwa Jiménez Echabe, Directorio (Anm. 35), S. 390, bzw. Silvia Recchi, La donna nella disciplina del nuovo Codice, in: QDirEccl 2 (1989), S. 203 – 210, hier S. 209. 102 Mirjam Prager, Der neue Ritus der Jungfrauenweihe, in: HlD 28 (1974), S. 129 – 135, hier S. 131. 103 Severus, Jungfrauenweihe (Anm. 8), S. 183 mit Bezug auf OCV (Anm. 7), Nr. 16 (= OCV dt./1994 Nr. 17). Renée de Tryon-Montalembert/Annie Guerbet, L’ordre des vierges, in: Vie consacrée 55 (1983), S. 227 – 229, hier S. 229 halten den Ritus insgesamt für geeignet, „d’exprimer avec une telle plénitude la vocation de la femme chrétienne.“ 104 Vgl. Diego Coletti, Quale missione dalla consacrazione dell’Ordo virginum, in: VC 35 (1999), S. 480 – 493, hier S. 485, sowie ähnlich Dion, Effets (Anm. 31), S. 318. 105 Vgl. Janine Hourcade, L’ordre des vierges consacrées, in: Vie consacrée 65 (1993), S. 297 – 301, hier S. 301, sowie ähnlich María Luisa Öfele, Ein heiliges Zeichen – Die Virgo
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1. Nur für Frauen! Nach Veröffentlichung des OCV/1970 waren bei der Kongregation für den Gottesdienst verschiedene Fragen (dubia) zum neuen Ritus eingegangen. Dabei wurde etwa gefragt, ob der Ritus auch für männliche Mitglieder von Säkularinstituten genutzt werden könne und ob die derzeitige Beschränkung des Empfänger(inn)enkreises historisch, kulturell oder aber in der „Natur der Frau“ begründet sei.106 Im Auftrag der Gottesdienstkongregation befasste sich der Berichterstatter der Studiengruppe, die den Ritus der Jungfrauenweihe überarbeitet hatte107, mit den vorgelegten Fragen. Seine Antworten wurden 1971 im offiziellen Publikationsorgan der Kongregation veröffentlicht.108 Zur Spendung der Jungfrauenweihe an Männer gab er die Auskunft: Dass ein paralleler Ritus für männliche Laien nicht existiere, habe ohne Zweifel größtenteils historische und kulturelle Gründe. Dies stehe in einer Tradition, die bis in die nachapostolische Zeit zurückreiche. Die Zukunft jedoch kenne man nicht. Es könne sein, dass sich die Mentalität der Gläubigen noch entwickle und man zu einer Weihe von Männern komme, die der Jungfrauenweihe ähnlich sei. Im Augenblick seien die Voraussetzungen hierfür aber wohl nicht gegeben. Wahrscheinlich denke auch die Kirche so. Es sei zudem nicht bekannt, ob es überhaupt schon einmal eine entsprechende Anfrage gegeben habe.109 Damit blieb die Frage nach Sinn und Möglichkeit einer der Consecratio virginum analogen Weihe für Männer letztlich offen.110 Dass sie weiterhin auch von Bischöfen gestellt wurde, belegt das Instrumentum laboris zur Bischofssynode über „Das gottgeweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt“ (1994).111 Auch in der Literatur wurde und wird ein männliches Pendant zur Consecratio virginum für möglich gehalten.112 consecrata für den Dienst der Kirche bestimmt, in: dies./Breuer (Hrsg.), Virgo consecrata (Anm. 73), S. 111 – 144, hier S. 142, und bereits Louis Bouyer, Frau und Kirche (= Kriterien 42), Einsiedeln 1977, S. 76. 106 Vgl. SC Cult, Circa ordinem (Anm. 7), S. 107 Nr. 5. 107 Zur Zusammensetzung des Coetus XX bis vgl. Bugnini, Liturgiereform (Anm. 8), S. 796 Anm. 1. Relator war Ansgar Dirks. 108 Vgl. SC Cult, Circa ordinem (Anm. 7), S. 107 – 110. 109 Vgl. ebd., S. 109 sowie hierzu auch Silvia Recchi, La donna nel diritto della chiesa, in: VC 25 (1989), S. 529 – 540 u. S. 612 – 620, hier S. 617. 110 Vgl. Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 278. 111 Vgl. IX. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode, Das gottgeweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt. Instrumentum laboris, Vatikanstadt 1994, S. 46. 112 Vgl. Matias Augé, I riti della professione religiosa e della consacrazione delle vergini. Struttura e contenuto teologico, in: RivLit 60 (1973), S. 326 – 340, hier S. 340 Anm. 41; Calabuig/Barbieri, Art. Consacrazione (Anm. 13), S. 481 f.; Hourcade, Noces mystiques (Anm. 11), S. 84; Marie Zimmermann, Weder Kleriker noch Laie – die Frau in der Kirche, in: Conc(D) 21 (1985), S. 406 – 411, hier S. 410, sowie zu diesen Positionen bereits Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 278 – 280. Richard F. Groves, Hermits and consecrated virgins – current issues, in: CLSA Proceedings 1984, S. 141 – 148, hier S. 148 Anm. 14, schlägt vor, den
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Gegen eine solche Öffnung des Jungfrauenstandes wird betont: „In Wirklichkeit“ könne man nur bei Frauen von Jungfräulichkeit sprechen und deren Verehrung durch die Kirche sei „Ausdruck ihrer Hochachtung der besonderen Gabe der Frau in der Kirche, menschliches Leben zu empfangen, in ihrem Schoß zu tragen und zur Welt zu bringen.“113 Tatsächlich erweist sich die Lebensform der gottgeweihten Jungfrauen vor dem Hintergrund der lehramtlichen Geschlechteranthropologie114 als eine spezifisch weibliche Berufung. Durch die Jungfrauenweihe wird eine Frau zeichenhaft für Gott ausgesondert und ihrer innerweltlichen Bestimmung enthoben.115 Die Virgo consecrata sei Abbild der Kirche als Braut Christi.116 Da Mann und Frau nach amtlicher Lehre komplementäre Aspekte sowohl des Menschseins als auch von Kirche repräsentieren, könne diese bräutliche Dimension der Kirche nur durch eine Frau angemessen dargestellt werden.117 Das Argument der symbolischen Repräsentation, das zur Begründung für den Ausschluss der Frau von der Priesterweihe angeführt wird118, gilt also umgekehrt für die Jungfrauenweihe: Ordo virginum durch einen gemischtgeschlechtlichen „order of consecrated celibates“ zu ersetzen. 113 Raymond Leo Burke, Wesentliche Elemente der Berufung zur geweihten Jungfräulichkeit für Frauen, die in der Welt leben, in: Öfele/Breuer (Hrsg.), Jungfräulichkeit (Anm. 45), S. 23 – 57, hier S. 53. 114 Vgl. hierzu Congr. DocFid, Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt v. 31. Mai 2004, in: AAS 96 (2004), S. 671 – 687 (dt. VAS 166) oder z. B. den Überblick bei Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 139 – 163. 115 Vgl. DBK, Empfehlungen (Anm. 42), S. 466 Nr. 1, sowie hierzu ausführlich Anuth, Jungfrauen (Anm. 26), S. 117 – 122. 116 Vgl. z. B. Burke, Reflexionen (Anm. 42), S. 23; Gerhard Ludwig Müller, Zum Geleit, in: Öfele/Breuer (Hrsg.), Virgo (Anm. 42), S. 5 – 7, hier S. 6, bzw. Franc Rodé, Die eschatologische Dimension im Leben der Virgo consecrata. „Der Geist und die Braut sagen: Komm!“ (Offb 22, 17), in: ebd., S. 69 – 89, hier S. 79 – 81, der die geweihte Jungfrau ebd., S. 82 f. allerdings irrtümlich auch „Abbild des Bräutigams“ nennt. 117 Vgl. Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 289; Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 173; Álvaro Sanz, To love (Anm. 60), S. 48 f. bzw. Renzo Bonetti, Discernimento e formazione nell’Ordo virginum. Un percorso di crescita nella verginità consacrata, in: VC 35 (1999), S. 570 – 589, hier S. 572 sowie ausführlich Ignazio M. Calabuig, La vergine consacrata vive e manifesta l’amore sponsale della Chiesa per Cristo, in: VC 32 (1996), S. 534 – 550. – Bei der Akzentuierung „fraulicher Werte“ geht es der lehramtlichen Geschlechteranthropologie allerdings „nicht um Exklusivität, sondern um wesensprägende Spezifizität“, so Norbert Lüdecke, Recta collaboratio per veram aequalitatem. Kanonistische Bemerkungen zum Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt, in: Intams review 10 (2004), S. 232 – 240, hier S. 236 mit Verweis auf Congr. DocFid, Schreiben v. 31. Mai 2004 (Anm. 114), Nr. 14. Daher betont z. B. auch Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 174: Natürlich sei „jeder Christ […] Glied am Leibe Christi und als Glied der Kirche Christus gegenüber ,Braut‘; repräsentiert aber wird die Kirche als Braut angemessen von einer Frau.“ (Hervorh. i.O.) 118 Vgl. etwa Papst Johannes Paul II., ApSchr „Mulieris dignitatem“ v. 15. August 1988, in: AAS 80 (1988), S. 1653 – 1729, hier S. 1716 Nr. 26 (dt. VAS 86), oder Joseph Ratzinger, Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, in: Gerhard Ludwig Müller (Hrsg.), Frauen in der Kirche. Eigensein und Mitverantwortung, Würzburg 1999,
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„Nur eine Frau verkörpert den marianischen Aspekt in der Nachfolge Christi. Die Kirche spendet Männern die Jungfrauenweihe nicht, weil es dem Mann nicht gegeben ist, menschliches Leben zu empfangen – Tabernakel für das menschliche Leben zu sein – und er nicht die Gabe hat, Leben zu gebären, eine Gabe, die ausschließlich von ihrem Wesen her nur der Frau zu eigen ist.“119
Hinzu kommt: Die Jungfrauenweihe gilt als mystische Vermählung mit Christus.120 An seiner Stelle steht bei der liturgischen Feier der Bischof.121 Insofern macht schon der Ritus der Jungfrauenweihe deutlich, warum Männer von ihrem Empfang ausgeschlossen sind: Nur eine Frau kann Christus, einen Mann, heiraten.122 2. Gottgeweihte Jungfrauen als Protagonistinnen eines „neuen“ Feminismus? Im Sinne der lehramtlich verbindlichen Geschlechteranthropologie ist die Lebensform einer Virgo consecrata etwas spezifisch Weibliches: Neben der Mutterschaft gilt die Jungfräulichkeit als eine der beiden besonderen Berufungen der Frau. Die gottgeweihte Jungfrau nimmt daher ihre „natürliche Veranlagung“ in der antwortenden Selbsthingabe an den göttlichen Bräutigam an und macht es zu ihrem Lebensprogramm, „Braut Christi“ zu sein.123 Zugleich wird aus ihrem bis dahin privaten jungfräulichen Leben durch die Jungfrauenweihe „ein öffentlicher Lebensvollzug der Kirche.“124 Papst Benedikt XVI. hat die gottgeweihten Jungfrauen ausdrücklich ein „Geschenk in der Kirche und für die Kirche“125 genannt und daran erinnert, dass sie S. 267 – 277, hier S. 274, bzw. entsprechend Rudolf Voderholzer, Geschlechterdifferenz und Weihevorbehalt, in: Sascha Müller u. a. (Hrsg.), Ant-Wort. FS Jörg Splett (= Wortmeldungen 6), München 2006, S. 129 – 150, oder Alberto Piola, Donna e sacerdozio. Indagine storicoteologica degli aspetti antropologici dell’ordinazione delle donne, Turin 2006, S. 584 – 596. 119 Burke, Elemente (Anm. 113), S. 53. Vgl. Irmingard Breuer, Maria im Ritus der Jungfrauenweihe und im Leben der Virgo consecrata, in: Öfele/Breuer (Hrsg.), Virgo (Anm. 42), S. 135 – 157, hier S. 155. 120 Vgl. z. B. Nocent, Jungfrauenweihe (Anm. 20), S. 147, bzw. ders., Consécration (Anm. 47), S. 227, oder Metz, Consécration (Anm. 6), S. 200 f. 121 Vgl. Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 290, sowie Nocent, Jungfrauenweihe (Anm. 20), S. 147, bzw. ders., Consécration, S. 227, und Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 107. 122 Vgl. sériaux, Droit canonique, Paris 1996, S. 330, bzw. Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 290. 123 Vgl. z. B. Coletti, Quale missione (Anm. 104), S. 483; Moschetti, L’ordo virginum (Anm. 28), S. 169 – 174, oder Öfele, Aspekte (Anm. 42), S. 109. Die „Weihe des Mannes im priesterlichen Zölibat oder im Ordensstand“ sei daher, so Papst Johannes Paul II., ApSchr „Mulieris dignitatem“ (Anm. 118), S. 1703 Nr. 20d, auch nur „ähnlich zu verstehen“ wie die gottgeweihte Jungfräulichkeit der Frau. 124 Albrecht, Jungfrauenweihe (Anm. 28), S. 7. Vgl. Benites, Consagración (Anm. 25), S. 85. 125 Papst Benedikt XVI., Ansprache v. 15. Mai 2008 (Anm. 3), S. 396 [Nr. 1].
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„immer die Würde der Braut Christi ausstrahle[n], die Neuartigkeit des christlichen Daseins und die frohe Erwartung des künftigen Lebens zum Ausdruck bringe[n]“ sollen. Mit ihrer „ehrenhaften Lebensweise“ könnten sie „Sterne sein, die Orientierung geben für den Lauf der Welt.“126 Unbeschadet der eschatologischen Dimension ihrer Berufung127 sollen die Virgines consecratae dabei ausdrücklich in der Welt präsent sein.128 Dort leben sie eine „Zeichenexistenz“129 und verwirklichen über die Pflege eines intensiven Gebetslebens mit häufigem Empfang der Sakramente sowie über ein etwaiges haupt- oder ehrenamtliches Engagement im caritativen oder apostolischen Bereich hinaus ein „Apostolat durch Sein“130. Dies besteht nicht zuletzt darin, der Welt zeichen- und vorbildhaft den „Genius“ der Frau vorzuleben. Schließlich, so Papst Johannes Paul II., gebe es „im ,Frausein‘ der gläubigen und ganz besonders der ,gottgeweihten‘ Frau […] eine Art immanentes ,Prophetentum‘“131. Die Kirche zähle daher „sehr auf die Frauen des geweihten Lebens […], besonders was die Würde der Frau […] angeht. Denn ,die Frauen haben einen einzigartigen und vielleicht entscheidenden Denk- und Handlungsspielraum: sie sind es, die einen ,neuen Feminismus‘ fördern müssen, der, ohne in die Versuchung zu verfallen, ,Männlichkeits‘-Vorbildern nachzujagen, durch den Einsatz zur Überwindung jeder Form von Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung den echten weiblichen Geist in allen Ausdrucksformen des bürgerlichen Zusammenlebens zu erkennen und zu bekunden versteht‘.“132
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Ebd., S. 398 [Nr. 6]. Vgl. Papst Johannes Paul II., Ansprache v. 2. Juni 1995 (Anm. 25), Nr. 5, sowie etwa Öfele, Gottgeweihte Frauen, S. 661, bzw. Albrecht, Jungfrauenweihe (Anm. 28), S. 10. 128 Papst Benedikt XVI., Ansprache v. 15. Mai 2008 (Anm. 3), S. 398 [Nr. 6]. Zur zeichenhaften Präsenz der gottgeweihten Jungfrauen inmitten der Welt vgl. auch eingehend Benites, Consagración (Anm. 25), S. 153 – 161. 129 Schlosser, „Imago Ecclesiae desponsatae“ (Anm. 11), S. 107. Nach dem OCV (Anm. 7), Praenotanda Nr. 1 wird die Jungfrau durch ihre Weihe „zu einem Zeichen, das auf die Liebe der Kirche zu Christus hinweist und zu einem endzeitlichen Bild der himmlischen Braut und des künftigen Lebens“. Vgl. ausführlich Öfele, Zeichen (Anm. 105), S. 111 – 144. 130 Albrecht, Jungfrauenweihe (Anm. 28), S. 11. Vgl. ähnlich Schlosser, „Imago Ecclesiae desponsatae“ (Anm. 11), S. 109, bzw. Moschetti, L’ordo virginum (Anm. 28), S. 164 – 169. 131 Papst Johannes Paul II., Brief an die Frauen v. 29. Juni 1995, in: AAS 87 (1995), S. 803 – 812, hier S. 811 Nr. 11b. 132 Papst Johannes Paul II., NachsynApSchr „Vita consecrata“ (Anm. 4), S. 430 f. Nr. 58c (i.O. z. T. hervorgeh.). Das im Text enthaltene Zitat entstammt ders., Enz. „Evangelium Vitae“ v. 25. März 1995, in: AAS 87 (1995), S. 401 – 522, hier S. 514 Nr. 99a. Zum „neuen Feminismus“ i. S. Papst Johannes Pauls II. vgl. dankbar Léonie Caldecott, Sincere Gift: The new feminism of John Paul II, in: William Oddie (Hrsg.), John Paul the Great. Maker of the postconciliar Church, London 2003, S. 109 – 129, bes. S. 122 – 129, die allerdings darauf hinweist, „old-style feminists“ seien darüber „not so happy“ (ebd., S. 112). 127
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Dies kann und muss als Appell auch an die gottgeweihten Jungfrauen verstanden werden133, die sich zudem selbst als „der Treue zum HI. Vater und dem Lehramt verpflichtet“134 sehen. Wo es ihnen gelingt, ihre besondere weibliche Berufung in Kirche und Welt aktiv und sichtbar einzubringen135, können sie zu Protagonistinnen des von Papst Johannes Paul II. angeregten „neuen“ bzw. „wahren Feminismus“ werden136 und zu jener Vertiefung und Förderung einer Theologie der Frau beitragen, die sich Papst Franziskus wünscht.137 Aufgrund ihrer besonderen Verbundenheit mit Diözesanbischof und Diözese sowie ihrer zölibatären und meist solitären Lebensform in der Welt werden die Virgines consecratae bisweilen als „Schwestern“ der Diözesanpriester bezeichnet.138 Zwar gilt dies nicht im institutionellen Sinn, denn aus der Jungfrauenweihe erwächst keine rechtliche Bindung an die Diözese, in der sie empfangen wird.139 Der Ordo virginum ist kein weibliches Pendant zum Diözesanklerus. Die Bezeichnung der gottgeweihten Jungfrauen als „Schwestern“ der Diözesanpriester darf nicht den Unterschied zum männlichen sakramentalen Ordo relativieren. Sie kann aber helfen, das spezifisch Weibliche ihrer Berufung zu erfassen: Wo eine Virgo consecrata die Diözesankleriker stützt, die als Amtsträger gefordert und gefährdet sind, und ihnen zumindest geistlich-moralisch bei der Einhaltung ihrer klerikalen Standespflicht des Zölibats hilft140, erfüllt sie eine im Sinne der kirchlichen Lehre spezifisch weibliche Rolle. Denn die „moralische Kraft der Frau und ihre geistige Kraft verbinden sich mit 133
Papst Johannes Paul II., Ansprache v. 2. Juni 1995 (Anm. 25), Nr. 6 hat die Virgines consecratae ausdrücklich dazu aufgerufen, sich „für die Förderung der Frau, für die Respektierung ihrer Freiheit und ihrer Würde“ einzusetzen. 134 Öfele, Aspekte (Anm. 42), S. 121. 135 Vgl. ebd., S. 124: Die Liebe zur Kirche führe die Jungfrau „dazu, ihren Glauben öffentlich zu bekennen, wenn die Umstände es verlangen und sie Zeugnis geben muss. Als Braut Christi wird sie das Licht des Glaubens in die Welt tragen und Zeugnis für den Bräutigam ablegen wo sie arbeitet, lebt und dient und wo sie danach gefragt wird.“ 136 Denn, so Magdalena Bogner, Gelebte Charismen verändern Kirche und Welt, in: kfd (Hrsg.), Eine jede hat ihre Gaben. Studien, Positionen und Perspektiven zur Situation von Frauen in der Kirche, Ostfildern 2008, S. 182 – 186, hier S. 184: „Gelebte Charismen verändern […] kirchliches Leben und prägen damit auch die jeweiligen Lebenskontexte.“ 137 Vgl. etwa Papst Franziskus, Antworten v. 28. Juli 2013 bei der Pressekonferenz auf dem Rückflug von Rio de Janeiro, in: OR 153 (2013) Nr. 174 v. 31. Juli 2013, S. 4 – 6, hier S. 5; ders., Ansprache v. 12. Oktober 2013, in: OR 153 (2013) Nr. 235 v. 13. Oktober 2013, S. 7. 138 Vgl. etwa Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 310. 139 Anderer Meinung sind etwa Marie-Thérèse Huguet, Dans l’Eglise-Epouse un chant à plusieurs voix. Les diverses vocations dans l’unique église, in: NV 62 (1987), S. 179 – 217, hier S. 185, oder Bolchi, Consacrazione (Anm. 21), S. 383 f., während Jiménez, El ordo (Anm. 47), S. 239 f., mit Timoteo de Urkiri, Vírgenes seglares consagradas. Notas históricocanónico-pastorales, Madrid 1986, S. 106 f., davon ausgeht, es gebe in rechtlicher Hinsicht zwei „Varianten“ gottgeweihter Jungfrauen: Solche mit dauerhafter Verpflichtung zum Dienst in ihrer Diözese und solche ohne sie. Benites, Consagración (Anm. 25), S. 171 merkt allerdings zu Recht an, diese These finde weder in c. 604 noch im OCV eine Grundlage. 140 Vgl. hierzu etwa Schlosser, Alt (Anm. 11), S. 310 f., oder auch schon Bouyer, Frau (Anm. 105), S. 77.
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dem Bewußtsein, daß Gott ihr in einer besonderen Weise den Menschen anvertraut. Natürlich vertraut Gott jeden Menschen allen und jedem einzelnen an. Doch dieses Anvertrauen betrifft in besonderer Weise die Frau – eben wegen ihrer Weiblichkeit“141. Weil die Frau den anderen Menschen stets „mit dem Herzen sieht“, versuche sie, „ihm entgegenzukommen und ihm eine Hilfe zu sein.“142 Wo immer Frauen in diesem Sinne „Hilfe“ sind, also auch dort, wo gottgeweihte Jungfrauen sich als „Schwestern“ der Diözesanpriester verstehen, die ihre Sensibilität, ihre intuitive Wahrnehmung, ihre Selbstlosigkeit und ihre Beständigkeit in das Leben der Diözese einbringen143, verwirkliche sich „der grundlegende Plan des Schöpfers und tritt in der Vielfalt der Berufe und Berufungen unaufhörlich die – nicht nur physische, sondern vor allem geistige – Schönheit zutage, mit der Gott von Anfang an […] im Besonderen die Frau beschenkt hat.“144
IV. Ausblick René Metz, einer der ausgewiesensten Kenner des Jungfrauenstandes und seiner Geschichte145, erwartet im Ordo virginum „eine der schönsten Blüten, wenn nicht sogar die schönste unter den Formen des geweihten Lebens in der Kirche des 21. Jahrhunderts“146. Ob diese Voraussage eintrifft, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es den gottgeweihten Jungfrauen gelingt, die Besonderheit und Bedeutung ihres Standes für Kirche und Gesellschaft sichtbar sowie vor allem verständlich zu machen.147 Hierzu kann die mediale Präsenz der US-amerikanischen Vereinigung
141 Papst Johannes Paul II., ApSchr „Mulieris dignitatem“ (Anm. 118), S. 1725 Nr. 30d (i.O. z. T. hervorgeh.). Vgl. zustimmend Papst Franziskus, Ansprache v. 12. Oktober 2013, in: OR 153 (2013) Nr. 235 v. 13. Oktober 2013, S. 7. 142 Papst Johannes Paul II., Brief an die Frauen (Anm. 131), S. 812 Nr. 12a. Wie wichtig eine solche Hilfe auch für Priester ist, hat Papst Benedikt XVI., Ansprache v. 2. März 2006, S. 272 f. betont. Man werde „nie genug darüber sagen können, wie sehr die Kirche die Teilnahme der Frauen an ihrer Mission des Dienstes an der Verbreitung des Evangeliums anerkennt, schätzt und würdigt“, so ders., Ansprache v. 15. November 2008, S. 8. 143 Vgl. den entsprechenden Dank von Papst Johannes Pauls II., Brief an die Frauen (Anm. 131), S. 804 Nr. 2d an die „Frau als Schwester, die du in die engere Familie und dann in das gesamte Leben der Gesellschaft den Reichtum deiner Sensibilität, deiner intuitiven Wahrnehmung, deiner Selbstlosigkeit und deiner Beständigkeit einbringst.“ 144 Ebd., S. 812 Nr. 12a. 145 Vgl. Burke, Hingegeben (Anm. 73), S. 75. Álvaro Sanz, To love (Anm. 60), S. 100, nennt ihn „the main researcher on the Order of Virgins nowadays“. 146 Metz, Consécration (Anm. 6), S. 232 (eig. Übers.). Vgl. Álvaro Sanz, To love (Anm. 60), S. 100 f. 147 Vgl. Schumann, Phänomen (Anm. 46), S. 122, die sich der Forderung von Konecki, Konsekracja (Anm. 46), S. 295 anschließt, zunächst und vor allem müsse „eine vorsichtige, aber resolute pastorale Aktion dem Stand der geweihten Jungfrauen den Geruch des Unorthodoxen oder Apokryphen nehmen.“
Gottgeweihte Jungfrauen in der römisch-katholischen Kirche
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gottgeweihter Jungfrauen (USACV)148 ebenso beitragen wie die Gründung des Ordo virginum e.V. 2009 in Regensburg149 mit eigener Homepage und im EOS-Verlag erscheinender Reihe zur Publikation der Vorträge und Predigten seiner jährlichen Tagungen.150 Wünschenswert wäre gleichwohl, dass auch die Tagungen selbst öffentlich stattfinden und nicht nur für Virgines consecratae, Kandidatinnen und fest an der Berufung interessierte Frauen zugänglich sind.151 Mögen Jungfrauenweihe und -stand auch ihrem „Wesen nach etwas Leises“ sein, dürfen sich die Virgines consecratae doch keineswegs „in die ,Krypta‘, in das verborgene Innere der Kirche“152 zurückziehen. Wie sonst könnten sie der Welt verständlich machen, dass der Jungfrauenstand eben keine „Allüre“153 ist? Angesichts der auch innerkirchlich anzutreffenden Vorbehalte154 ist das aber gewiss eine Herausforderung.
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Vgl. die Internetpräsenz unter http://consecratedvirgins.org sowie den seit 1996 vierteljährlich erscheinenden Newsletter „The Lamp“ (Ausgaben ab 2006 online verfügbar unter: http://consecratedvirgins.org/newsletters). 149 Vgl. Carl Prämaßing, Alt, aber nicht veraltet. Ein in Regensburg gegründeter Verein unterstützt die Lebensform der gottgeweihten Jungfrau, in: Katholische SonntagsZeitung für das Bistum Regensburg Nr. 34 v. 27./28. August 2011, S. 16, sowie Dominicus M. Meier, Die consociationes virginae – dargestellt im Lichte des CIC und der Satzung des „Ordo Virginum Deutschland e. V.“, in: Güthoff/Korta/Weiß (Hrsg.), Clarissimo (Anm. 56), S. 387 – 405. 150 Vgl. http://www.ordovirginum.de sowie die bisher drei Bände der im EOS-Verlag erscheinenden Reihe „Ordo Virginum. Frauen in der Nachfolge Jesu“: „Jungfräulichkeit. Eine vergessene kirchliche Lebensform“ (2011), „Virgo consecrata – Braut Christi: Zeichen für die Liebe der Kirche zu Christus“ (2012) und „Virgo consecrata – für den Dienst der Kirche bestimmt“ (2013). 151 Vgl. http://www.ordovirginum.de/cms/index.php/aktuelles.html [Stand: 19. 07. 2014], entsprechend die Auskunft von María Luisa Öfele, E-Mail v. 27. April 2010 an Verf. 152 Albrecht, Jungfrauenweihe (Anm. 77), S. 298. 153 Vgl. Öfele, Zeichen (Anm. 105), S. 116, die betont: Geweihte Jungfräulichkeit sei „ein Charisma und keine auferlegte Pflicht oder gar eine Allüre.“ 154 Henseler, Virgines (Anm. 2), S. 276 attestiert eine z. T. „ziemliche Reserviertheit“ gegenüber dem Ordo virginum „nicht nur bei Fernstehenden, sondern auch bis in den Kern des Gottesvolkes hinein, ja sogar beim Klerus bis hinauf in den Episkopat, ebenso auf der Konferenz der Ordensreferenten der 27 deutschen Diözesen“.
Kirchlicher Verkündigungs- und Heiligungsdienst
Fehlt der pastoralen Lehrverkündigung von Papst und Bischöfen ein eigenständiger Grad der lehramtlichen Verbindlichkeit? Reinhard Knittel
I. Einführung Papst Franziskus hält in seiner Apostolischen Exhorte Evangelii Gaudium als Zielsetzung des Schreibens fest: „In diesem Schreiben möchte ich mich an die Christgläubigen wenden, um sie zu einer neuen Etappe der Evangelisierung einzuladen, die von dieser Freude geprägt ist, und um Wege für den Lauf der Kirche in den kommenden Jahren aufzuzeigen.“1 Natürlich ist mit dieser einleitenden Bemerkung nicht schon eine umfassende Gewichtung der lehramtlichen Tragweite der Exhorte gegeben, die sich, wie der Lauf des Schreibens zeigt, zudem auf mehreren Aussage- und Verpflichtungsebenen bewegt. Dennoch fällt auf: Eingefügt in ein klassisches Genre des ordentlichen päpstlichen Lehramtes, an die Gesamtheit der Gläubigen gerichtet, zu denen der Papst als oberster Hirte und Lehrer der Kirche redet, reicht diese Exhorte doch bei weitem über den Bereich von Lehre hinaus, indem der pastoralen Anwendung auf die konkrete Lebensgestaltung der Kirche und der Gläubigen breiter Raum zugemessen wird. Was sich beginnend mit der Lehrverkündigung des Zweiten Vatikanischen Konzils und dem nachfolgenden päpstlichen Lehramt abzeichnete, erhält hier einen neuen intensiven Verwirklichungsgrad: Eine Metamorphose in der Ausübung der kirchlichen Lehrverkündigung ist im Gange. Eine Metamorphose, die die verschiedenen inneren Momente des amtlichen Lehrens in der Kirche neu zu gewichten scheint. Genaue Lehrfestlegungen des hoheitlichen Lehramtes der Kirche, wie ab dem 19. Jahrhundert zumindest bei endgültigen Entscheidungen die einzige Weise der höchsten Lehrausübung in der Kirche2, sollten den lehramtlichen Glaubensschutz in möglichst hoher und zweifelsfreier Eindeutigkeit gewährleisten. Die aus dem Hören auf das Wort Gottes resultierende, authentisch bezeugende und kerygmatisch
1 Papst Franziskus, Exhortatio Apostolica Evangelii Gaudium vom 24. November 2013, Nr. 1, vgl. AAS 105 (2013), 1019. 2 Vgl. Avery Dulles, Magisterium. Teacher and Guardian of the Faith. Naples 2007, S. 35.
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intendierte Verkündigung des Glaubens seitens des höchsten kirchlichen Lehramtes trat demgegenüber eher in den Hintergrund.3 Vor diesem Szenario einer Metamorphose scheint die „neue“ (eben nur im Sinn eines Kontrastes zu den Prioritäten der unmittelbar vorausgehenden Modalitäten und Zielsetzungen der Ausübung des kirchlichen Lehramtes) Ausübungsweise zurecht mit dem Attribut „pastoral“ versehen zu werden.4 Diese pastorale Ausübungsweise stellt aber auch eine Anfrage und Herausforderung an die Hermeneutik der darin beanspruchten kirchlichen Lehrautorität dar. Auch wenn zweifellos bei dieser pastoralen Ausübungsweise die von Christus her gegebene Sendung und Autorität der kirchlichen Lehrer beteiligt ist, wird doch eine adäquate Hermeneutik die pastorale Intention und Anwendung anders deuten und gewichten müssen als formaljuridisch genau normierte Festlegungen in der kirchlichen Lehre. Von daher erhebt sich die Frage, ob die bereits in diesem Kontext ausgearbeiteten theologisch-kanonistischen Kategorien für die Hermeneutik der autoritativen Verbindlichkeit bzw. der von daher normativ bestimmten Verpflichtung der Annahme ausreichen, um der Eigenart der pastoralen Lehrverkündigung gerecht zu werden.
II. Forderung nach einer neuen Kategorie der lehramtlichen Qualifikation der pastoralen Lehrverkündigung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bei Florian Kolfhaus Die genannte Metamorphose in der Ausübungsweise des kirchlichen Lehramtes analysiert der Theologe Florian Kolfhaus auf theologischer Ebene in seiner Doktor-
3
Vgl. dazu Max Seckler, Kirchliches Lehramt und theologische Wissenschaft. Geschichtliche Aspekte, Probleme und Lösungselemente, in: Die Theologie und das Lehramt. Hrsg. v. Walter Kern (= QD 91), Freiburg/Basel/Wien 1982, S. 24 – 25, wo von einer ursprünglichen „Perichorese“ im kirchlichen Altertum ausgegangen wird, die im amtlichen Dienst am Glauben sich primär als Aufgabe der Glaubensverkündigung und sekundär als Aufgabe des Glaubensschutzes ausdrückt. Erst im Mittelalter sei dann der Typus der amtlichen Unterweisung deutlich geformt worden (das magisterium cathedrae pastoralis bei Thomas v. Aquin), dem dann auch eine klar umschriebene und formal verbindliche Lehrgewalt zugeschrieben wird, vgl. Seckler, Kirchliches Lehramt, S. 29 – 30; Walter Kasper, Freiheit des Evangeliums und dogmatische Bindung in der katholischen Theologie, in: Die Theologie und das Lehramt. Hrsg. v. Walter Kern (= QD 91), Freiburg/Basel/Wien 1982, S. 208. In den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts erst wird der Begriff „Magisterium“ synonym mit dem Papst und dem Corpus episcoporum gebraucht und tritt, mit entsprechenden Rückwirkungen auf Theologie und kirchliches Leben, primär als formaljuridische Entscheidungsinstanz in Erscheinung, vgl. Seckler, Kirchliches Lehramt, S. 52; vgl. Kasper, Freiheit des Evangeliums, S. 210. 4 Vgl. Kasper, Freiheit des Evangeliums (Anm. 3), S. 211.
Pastorale Lehrverkündigung und lehramtliche Verbindlichkeit
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these, die er an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom verteidigte und die mittlerweile als Monographie veröffentlicht wurde.5 Ein Hauptteil dieser Analyse wendet sich konkret der Entstehung des lehramtlichen Charakters und der Sekundärliteratur dreier konziliarer Dokumente zu.6 Dabei gelingen dem Autor Aufweise aus der Entstehungsgeschichte, die quellenmäßig solide abgestützt sind und zurecht weiterführen auf dem Weg zu einer sachgerechten Interpretation und Festlegung des Lehranspruchs dieser konziliaren Lehrdokumente. Zweifellos aber leitet diese Analyse, wie der Autor unverhohlen bereits zu Beginn zu erkennen gibt, auch eine klare Positionierung in der Aussageabsicht: Ein Beitrag zu einer adäquaten Konzilshermeneutik soll angedacht werden, bei welchem der Autor sich ganz klar von einer Hermeneutik des Bruchs und ihren Vertretern abgrenzt7, somit aber sich dem (nicht immer ganz unparteiisch vorgebrachten) Vorwurf aussetzt, dass bei seiner Auswertung der Wille Vater des Gedankens war, somit a priori das Ergebnis der unternommenen Untersuchung die hermeneutische Linie der Kontinuität abstützen will.8 Die abschließende Generalisierung der analytischen Ergebnisse der Studie mit dem Ziel der Gewinnung einer begrifflich-systematischen Einordnung und Terminologie dieser „neuen“ Ausübungsweise des kirchlichen Lehramtes bildet allerdings eher eine Art Zusammenfassung vor der Zusammenfassung9, mit dem Nachteil, dass gerade in dieser abschließenden Kürze auch die Grenze dieses Versuchs steckt. Der Autor operiert darin mit dem Begriff des munus und greift damit auf das DreiÄmter-Schema zurück, das bereits in der Volk-Gottes-Ekklesiologie im zweiten Kapitel von LG Anwendung fand und das dann auch in der kodikarischen Systematik angewendet wurde.10 Er subsumiert unter munus docendi sowohl das Magisterium im engen Sinn (als munus determinandi) als auch ein weiter gefasstes munus praedicandi, das der Autor von einem Akt des Lehramtes formell abgrenzt, da es als „Verkündigung von Wahrheit mit dem Ziel der Begründung bzw. Ordnung einer bestimmten Praxis“11 anzusehen sei. Zwar beruhe auch die Ausübung des munus praedicandi auf an sich verbindlichen Lehrelementen mit Verpflichtungscharakter für die Adressaten, aber das Ziel sei 5
Florian Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung – Grundmotiv des Zweiten Vatikanischen Konzils. Untersuchungen zu „Unitatis Redintegratio“, „Dignitatis Humanae“ und „Nostra Aetate“. Berlin 2010. 6 Vgl. Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 35 – 212. 7 Vgl. Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 5 – 13. 8 Dies ist der Vorwurf, den A. R. Battlogg in seiner Rezension in StdZ 230 (2012), S. 858 – 860, erhebt. 9 Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 213 – 226. 10 Vgl. Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Bd. III. Hrsg. v. Winfried Aymans, Paderborn/München/Wien/Zürich 2007, S. 3 – 4. 11 Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 216, 217.
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nicht die Annahme dieser Grundlagen, sondern das Eingehen auf eine konkrete Lebenssituation, die davon geprägt werden soll, weswegen auch der Stil der Verkündigung angepasst werde, der Adressatenkreis weiter sei als beim Lehramt und der Gegenstand alle Bereiche des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens umfassen könne, sofern sie heilsrelevant seien, während das Lehramt sich auf die Bewahrung und Auslegung des Depositum fidei beschränke.12 Vor diesem Hintergrund folgert der Autor, dass die Differenzierung in unfehlbare und nicht unfehlbare Lehräußerungen für die Ausübung des munus praedicandi in der pastoralen Lehrverkündigung nicht mehr ausreiche, somit also eine neue Kategorie dafür gefunden werden müsse.13 Die theologische Ebene, die der Autor der Studie einnimmt, muss aber gerade hinsichtlich des lehramtlich-autoritativen Gewichts der pastoralen Lehrverkündigung eine Konkretisierung auf kanonistischer Ebene finden. Zu fragen ist aber vorab auch, ob und wie der geltende CIC 1983, der ja mit den Worten Papst Johannes Pauls II.14 als Übersetzungsbemühung der konziliaren Ekklesiologie in die kanonistische Sprache gelten darf, dieser Metamorphose in der Ausübung der kirchlichen Lehrweise gerecht wird.
III. Die einführenden Canones des III. Buches des CIC 1983 als geeignete Basis für eine lehramtliche Qualifizierung der pastoralen Lehrverkündigung? Obwohl der Generaltitel des III. Buches des CIC 1983 den Verkündigungsdienst der ganzen Kirche analog zu LG 12 aus der prophetischen Sendung Christi heraus ableitet, tritt in den einführenden Canones (cc. 747 – 755 CIC) mit den theologischen Grundprinzipien dieses kirchlichen Dienstes subjekthaft nur das kirchliche Lehramt in Erscheinung, gleichsam die qualitative Konzentration des hierarchisch gegliederten Verkündigungsdienstes in der Kirche, während das zu der authentischen und autoritativen Lehrvorlage in der Kirche vorgängige Hören aller Christgläubigen auf das Wort Gottes und der übernatürliche Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes (bis auf einen kurzen Hinweis in c. 750, § 1 CIC) unerwähnt bleiben.15 12
Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 217 – 218. Vgl. Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 214. 14 Vgl. Papst Johannes Paul II., Constitutio Apostolica Sacrae disciplinae leges vom 25. Januar 1983, vgl. AAS 75 (1983), S. XI. 15 Vgl. Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht III (Anm. 10), S. 6, wo vom Eindruck einer „hierarchologischen Engführung“ gesprochen wird; vgl. auch Heinrich Mussinghoff/Hermann Kahler, vor c. 747/3, in: MK CIC (Stand: November 2000). Die diesbezüglichen Normen der früheren Fassungen der LEF (bis 1971) fanden keine Aufnahme in den CIC 1983, vgl. O. G. M. Boelens, Synopsis „Lex Ecclesiae Fundamentalis“, Löwen 2001, S. 90. Wohl aber wird im Pflichtenkatalog aller Gläubigen (II. Buch des CIC) in c. 212, § 1 CIC auf den grundsätzlichen Glaubens- und Gesetzesgehorsam der Gläubigen verwiesen, dies aber im Bewusstsein der 13
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Ein Blick auf die Canones, die die verschiedenen Weisen der verbindlichen Ausübung der Lehrautorität bzw. deren respektive Verpflichtungsgrade für die Gläubigen betreffen (cc. 750, 752, 753, 754 CIC), was hinwiederum wesentlich den rechtlichen Charakter des kirchlichen Lehramtes ausmacht, zeigt im Vergleich zum CIC 1917 eine teilweise Überarbeitung, Umgestaltung und Erweiterung der Normen, die durchaus konziliaren Einfluss erkennen lassen.16 Insbesondere der neu hinzugekommene c. 752 CIC, der inhaltlich und vom Wortlaut her in LG 25 gründet und bereits in allen Fassungen der LEF ohne größere inhaltliche Veränderungen enthalten war17, enthält die normative Verpflichtungsebene für Lehrvorgaben im Rahmen des authentischen und ordentlichen Lehramtes des Papstes, des Bischofskollegiums bis hin zum Lehramt der Einzelbischöfe bzw. der Bischöfe in den teilkirchlichen Verbänden (so in c. 753 CIC), die zwar eine verbindliche Richtschnur des Glaubens sein wollen, aber die dennoch nicht endgültig und unfehlbar vorgelegt werden. Die in c. 752 CIC und c. 753 CIC genannte Verpflichtungsebene schließt Beliebigkeit in der Annahme und Zustimmung aus, fordert aber auch nicht Glaubenszustimmung (assensus fidei) im Sinn von c. 750 CIC. Diese lehramtliche Ebene, die für c. 750 CIC in der gewöhnlichen Verkündigung des Papstes bzw. des Bischofskollegiums gegeben ist, stellt also eine verbindliche Richtschnur
eigenen Verantwortung, d. h. also im Bewusstsein des geistgeschenkten sensus fidei und seiner lehramtlichen Bezogenheit. 16 Beim c. 750 CIC/1983 (Verpflichtungsgrad gegenüber den zwei Ausübungsweisen des unfehlbaren Lehramtes) etwa entspricht die Substanz des § 1 im Wesentlichen dem c. 1323, § 1 des CIC/1917. Dem c. 753 CIC/1983 (Verpflichtungsgrad dem eigenständig bischöflichen Lehramt gegenüber) entspricht c. 1326 CIC/1917, wobei in der Überarbeitung der Verpflichtungsgrad formal deutlicher ausgeführt wird, nämlich als obsequium animi religiosum. Die fundamentalen theologischen Normen zum Lehramt wurden im CIC 1983 belassen, obwohl bei der Rekognoszierung die Diskussion unter den Konsultoren bestand, ob nicht überhaupt nur disziplinäre Normen im CIC berücksichtigt werden sollten. Allerdings wurden dann nur jene theologischen Prinzipien aufgenommen, die im Licht der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils sicher sind, weswegen ein Konsultor auch die substantielle Durchsicht der entsprechenden Canones des CIC/1917 unter Berücksichtigung der konziliar relevanten Texte forderte, vgl. Comm 19 (1987), S. 221 – 222, 224. 17 LG 25, Abs. 1: „Die Gläubigen aber müssen mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittensachen übereinkommen und ihm mit religiös gegründetem Gehorsam anhangen. Dieser religiöse Gehorsam des Willens und Verstandes ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom, auch wenn er nicht kraft höchster Lehrautorität spricht, zu leisten; nämlich so, dass sein oberstes Lehramt ehrfürchtig anerkannt und den von ihm vorgetragenen Urteilen aufrichtige Anhänglichkeit gezollt wird, entsprechend der von ihm kundgetanen Auffassung und Absicht. Diese läßt sich vornehmlich erkennen aus der Art der Dokumente, der Häufigkeit der Vorlage ein und derselben Lehre, und der Sprechweise.“ Die Letztfassung des c. 61 der LEF ging dann in den Text des c. 752 CIC über, allerdings mit dem verdeutlichenden Einschub, wonach es sich bei der Gehorsamspflicht um eine Einbeziehung des Verstandes und des Willens handle, sowie mit dem Zusatz in c. 752 CIC, dass die Gläubigen also sorgsam meiden müssen, was dieser authentischen und nicht unfehlbaren Lehrfestlegung widerspricht, vgl. Boelens, Synopsis „Lex Ecclesiae Fundamentalis“ (Anm. 15), S. 92 – 94.
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dar18, weil sie von der Autorität des Papstes bzw. des Bischofskollegiums als Lehrer des Glaubens getragen ist und deswegen „das sorgsame Hinhören auf ihr Wort und den schuldigen Gehorsam“ fordern muss.19 Der solchen lehramtlichen Vorgaben geschuldete Gehorsam (obsequium) wird in c. 752 CIC näher als eine den Verstand und den Willen des Menschen umgreifende Zustimmung angegeben, die so auch von einem bloß disziplinär verstandenen Gehorsam (oboedientia) zu unterscheiden ist.20 Dieses obsequium bedeutet kein kritikloses, Verstand und Willen ausschließendes oder verbietendes Zustimmen ohne seriöse Auseinandersetzung, ja sogar mögliche Konflikte mit solchen Lehraussagen können bestehen bleiben.21 Wohl aber wird grundsätzlich und primär auch ein die Begrenztheit des eigenen kritischen Vermögens nüchtern zur Kenntnis nehmendes Akzeptieren der höchsten Lehrautorität der Kirche in diesem obsequium gefordert, der die Verheißungen Christi gilt und die die Sendung der Kirche auch in dieser nicht unfehlbaren Ausübung der Lehrgewalt verwirklicht.22 Demgemäß haben nach c. 752 CIC die Gläubigen alles zu meiden, was dieser Lehrvorgabe nicht entspricht, allerdings ohne deswegen eine Zustimmung leisten zu müssen, die den oben genannten Charakteristiken entbehrt.23 Der Gegenstandsbereich schließlich, auf den sich diese nicht endgültige Lehre nach c. 752 CIC erstrecken kann, wird nur sehr allgemein und weit mit Lehren de fide vel de moribus abgesteckt.24 18 Vgl. Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht III (Anm. 10), S. 21. Die auf der Grundlage des päpstlichen Motu proprio Ad tuendam fidem vom 18. Mai 1998 von Papst Johannes Paul II. auch auf den Sachverhalt der in c. 752 CIC enthaltenen Akte des Lehramtes ausgeweitete strafrechtliche Norm in c. 1371, Nr. 1 CIC weist ebenfalls auf den rechtlich verpflichtenden Charakter der Annahme der nicht endgültig verpflichtend vorgelegten Lehren des Papstes und des Bischofskollegiums hin. Für die Verpflichtung der Annahme des bischöflichen Lehramtes in c. 753 CIC besteht jedoch keine strafrechtliche Sanktion. 19 Heinrich Mussinghoff, c. 752/1, in: MK CIC (Stand: Dezember 1998). 20 Diese Charakterisierung des Verpflichtungsgrades ist, wie Winfried Aymans in: Aymans/ Mörsdorf, Kanonisches Recht III (Anm. 10), S. 21, Fußnote 35, feststellt, im kanonistischlehramtlichen Gebrauch neu und theologischer Natur. 21 Über den Umgang mit solchen Konflikten, die die Annahme von Lehraussagen des nicht endgültig verpflichtenden Lehramtes betreffen, sh. Congregatio de doctrina fidei, Instructio Donum veritatis vom 24. Mai 1990, Nr. 24, in: AAS 82 (1990), S. 1560. 22 Vgl. Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht III (Anm. 10), S. 21; Mussinghoff, c. 752/1, in: MK CIC (Stand: Dezember 1998). 23 Vgl. Aymans/ Mörsdorf, Kanonisches Recht III (Anm. 10), S. 21; Mussinghoff, c. 752/2, in: MK CIC (Stand: Dezember 1998). 24 Hier wird die offene und weite Formel auch für das nicht unfehlbare ordentliche Lehramt verwendet, die bereits das Erste Vatikanische Konzil für die Ausübung des außerordentlichen und unfehlbaren Lehramtes des römischen Papstes verwendet hat. Vgl. dazu DH 3074; Klaus Schatz, Vaticanum I: 1869 – 1870, in: Walter Brandmüller (Hrsg.): Konziliengeschichte. Paderborn/München/Wien/Zürich 1994, S. 22 – 23, 116, 134, 145.
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Bereits in LG 25 und noch differenzierter in lehramtlichen Klarstellungen aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des CIC 1983 finden sich Aussagen zur Frage der konkreten Weise der Ausübung des nicht endgültig verpflichtenden Lehramtes der Kirche, insbesondere zum Gegenstandsbereich, der ihm zukommt, und zur adäquaten Hermeneutik der lehramtlichen Verbindlichkeit.25 Auch für unsere Fragestellung, ob die pastorale Lehrverkündigung in den klassischen lehramtlichen Kategorien adäquaten Raum finden kann, ergibt diese Fortschreibung von LG 25 und der darauf beruhenden Norm des c. 752 CIC einen wichtigen Schlüssel zur Beantwortung.
IV. Wird die pastorale Lehrverkündigung von der Kategorie des nicht endgültig verpflichtenden Lehramtes in c. 752 CIC einbegriffen? Nicht unerwähnt bleiben darf die Tatsache, dass unter den gesamten Grundlagennormen am Anfang des III. Buches des CIC keine innere Differenzierung zwischen lehramtlich vorgetragener Lehre (im Sinn des munus determinandi) und lehramtlich getätigter Verkündigung (im pastoral anwendenden Sinn eines mit Lehrautorität ausgeübten munus praedicandi) in Erscheinung tritt. Das muss zwar nicht notwendig bedeuten, dass die lehramtliche Pastoralverkündigung keine eigenständige Ausübungsweise des kirchlichen Lehramtes sein kann oder keine eigene lehramtliche Qualifikation beanspruchen darf, da ja im CIC 1983 nur grundlegende und sichere dogmatische Prinzipien zum Lehramt der Kirche berücksichtigt sind, theologische Festlegungen in offenen oder diskutablen Fragen hier jedoch nicht vorgesehen sind.26 Aber das würde, wie Florian Kolfhaus auch annimmt27, doch voraussetzen müssen, dass eine adäquate Kategorie des Verbindlichkeitsgrades dieser Art der Lehrverkündigung noch fehlt. Genau dagegen aber gibt es begründete Einwände. Ein erster Einwand betrifft die Prämisse, die gelegt wird. Wenn nämlich die Aufgabe des kirchlichen Lehramtes zugespitzt in der definitorischen Festlegung der Lehre gesehen wird (munus determinandi), greift dies zu kurz, um die komplexe Aufgabenstellung und die daran geknüpfte Ausübungsweise des kirchlichen Lehramtes zu fassen. In LG 25 wird etwa sinngemäß die amtliche Lehre der Bischöfe nicht nur als Botschaft beschrieben, die zum Glauben führen soll, sondern auch als eine Botschaft, die 25 Die beiden lehramtlichen Quellen dafür sind zu finden in den beiden von der Congregatio de doctrina fidei erlassenen Dokumenten, einmal der Instructio Donum veritatis (1990), Nr. 23 und 24, und dann in der Nota doctrinalis Professionis fidei vom 29. Juni 1998, Nr. 10 und 11, in: AAS 90 (1998), S. 548 – 551. 26 Vgl. Comm 19 (1987), S. 224. 27 Vgl. Anm. 13.
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zur Anwendung auf das von christlichen Grundsätzen geprägte Leben bestimmt ist, somit also auch eine pastorale Valenz besitzt.28 Hier scheint aber eine gegenseitige Hinordnung aufeinander und gegenseitige Einbeziehung der lehrhaften und pastoralen Aufgabenstellung vorausgesetzt zu sein. Dies wird von Christoph Ohly unterstrichen, der zum Schluss kommt, dass Verkündigung und Lehre als Lebensvollzüge der Kirche real nicht voneinander zu trennen sind, weil die Verkündigung des Wortes Gottes bis hinein in die pastorale Valenz im Kern auch autoritative Lehre enthält, was übrigens Florian Kolfhaus auch keineswegs bestreiten will, sodass die Wahrnehmung der Lehrgewalt seitens des Papstes und der Bischöfe immer auch und untrennbar davon eine kerygmatische Verkündigungsabsicht prägt.29 Wohl aber werden bei Kolfhaus der lehramtliche Gehalt und die pastorale Zielsetzung entgegen der realen und komplexen Pluridimensionalität der einen kirchlichen Lehrverkündigung säuberlich kategorial voneinander abgeschieden, dies aber um den Preis der Gefahr einer gegenseitigen Verarmung der beiden zusammengehörenden Sinnmomente des kirchlichen Lehramtes. Einer reduktiven dezisionistischen Zuspitzung des Lehramtes ohne pastorale Relevanz könnte dann aber leicht ein ebenso reduktiver Minimalismus des lehramtlichen Gewichtes der pastoralen Verkündigung gegenüberstehen, auch wenn dies nicht beabsichtigt ist.30 Sofern es sich also bei der pastoralen Lehrverkündigung wirklich um Lehrverkündigung handelt (also formal getragen von der kirchlichen Lehrgewalt) und nicht bloß um pastoral-disziplinäre Weisungen (also formal getragen von der kirchlichen Leitungsvollmacht), so muss dabei die lehramtliche Aussageebene zwar nicht unmittelbar intendiert oder als solche enthalten sein31, wohl aber trägt sie je nach ihrem Gewicht oder Ausmaß die Grundlage und den lehramtlichen Verpflichtungsanspruch der entsprechenden Lehrverkündigung. Bedingt durch die eben erläuterte Engführung auf die definitorische Aufgabenstellung des kirchlichen Lehramtes wird von Florian Kolfhaus auch das Postulat der Inadäquatheit der bereits bestehenden Kategorien der unfehlbaren und endgültig verpflichtenden Lehräußerungen einerseits und der nicht unfehlbaren und nicht end-
28 Vgl. Dulles, Magisterium (Anm. 2), S. 59, 63; vgl. F. A. Sullivan, Magisterium. Teaching Authority in the Catholic Church. New York 1983, S. 128 – 129. 29 Vgl. Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im kanonischen Recht. St. Ottilien 2008, S. 23. 30 Vgl. Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 213, wo sich der Autor gegen eine bloß unverbindlich-erbauliche Deutung der Konzilslehre wendet, ebenso wie er im Namen einer differenzierten Wertung eine Überhöhung der konziliaren Lehrverbindlichkeit ablehnt, vgl. Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung (Anm. 5), S. 217. 31 So unterscheidet Fidelis M. Gallati, Wenn die Päpste sprechen. Das ordentliche Lehramt des Apostolischen Stuhles und die Zustimmung zu dessen Entscheidungen. Wien 1960, S. 24, eine unmittelbare und lehrhafte Weise der Ausübung des ordentlichen päpstlichen Lehramtes von einer mittelbar und praktischen Weise, etwa in der Form von Gesetzgebung oder bloß pastoraler Empfehlung, Ermunterung oder anderer Impulse.
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gültig verpflichtenden Lehräußerungen andererseits für die Eigenart der pastoralen Lehrverkündigung erhoben.32 Das in c. 752 CIC eigens qualifizierte, nicht endgültig verpflichtende, ordentliche Lehramt des Papstes und des Bischofskollegiums (auf derselben lehramtlichen Ebene dann auch die Weiterführung auf das ordentliche Lehramt der Einzelbischöfe bzw. der Bischöfe in den teilkirchlichen Verbänden) ist in seinem Gegenstandsbereich (Lehre in Glaubens- und Sittenfragen) und in seinem bloß relativen Verbindlichkeitsanspruch durchaus differenziert einzuordnen und zu werten, wie die genannten lehramtlichen Erläuterungen dazu ausführen. Gerade deswegen scheinen auch die Dokumente der pastoralen Lehrverkündigung in ihrem lehramtlichen Stellenwert formal in diesem Bereich des Lehramtes einbegriffen zu sein, der wegen seiner relativen Differenzierbarkeit im lehramtlichen Verbindlichkeitsgrad (eben als nicht absolute Ausübungsweise), aber ohne Aufgabe des grundsätzlichen lehramtlichen Anspruchs als authentische Lehrausübung des höchsten kirchlichen Lehramtes, den Erfordernissen der pastoralen Lehrverkündigung entspricht. Davon zu unterscheiden sind die in dieser pastoralen Lehrweise unmittelbar oder mittelbar enthaltenen lehrhaften Elemente oder Grundlagen, die also mit Glaubensoder Sittenfragen zusammenhängen. Diese materialen Einzelelemente lehrhafter Art müssen in ihrem lehramtlichen Anspruch differenziert gewertet werden, von einer möglichen absolut bzw. endgültig verpflichtenden unfehlbaren Ebene bis zu einer bloß relativen, nicht endgültig verpflichtenden und nicht unfehlbaren Ebene der Geltung. Davon müssen dann andersgeartete Grundlagen oder Anwendungen konkreter oder pastoraler Art unterschieden werden, die vom jeweiligen Informations- oder Kenntnisstand sowie von der korrekten Deutung der Fakten und von einer bloß prudentiellen Einschätzung des Lehramtes getragen sind, die so aber graduell weniger lehramtlich verpflichtend bzw. auch durch den Beistand des Heiligen Geistes getragen sind.33 Die nach der Promulgation des geltenden CIC erfolgten lehramtlichen Deutungshilfen zu dieser nicht endgültig verpflichtenden Form der Ausübung des kirchlichen Lehramtes bestätigen eine differenzierende Dynamik in der Anwendung auf diese Ebene der Ausübung des kirchlichen Lehramtes, die jedoch zu keiner willkürlichen Relativierung des Lehranspruchs beitragen will. So sind für eine adäquate Wertung die Prinzipien der Deutung anzuwenden, die das kirchliche Lehramt selbst dazu gibt, aber auch die theologisch-kanonistische Lehrtradition zum kirchlichen Lehramt kann wichtige Interpretationshilfen bereitstellen. In den genannten lehramtlichen Deutungshilfen wird der pastoral vermittelnde Aspekt beim Gegenstandsbereich dieser Form der Lehrausübung betont, wenn in der Instruktion Donum veritatis als Intention dieser Lehre das Wecken eines besseren Verständnisses in Sachen des Glau-
32 33
Vgl. LG 25; c. 750, § 1 und 2 bzw. c. 752 CIC/1983. Vgl. Dulles, Magisterium (Anm. 2), S. 64.
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Reinhard Knittel
bens und der Sitten oder das Erlassen von moralischen Weisungen, die sich aus dieser Lehre ergeben, genannt wird.34 Ebenso wird ein Maßstab der Hermeneutik gefordert, der den lehramtlichen Verbindlichkeitsanspruch differenziert, indem der eigene Charakter einer jeden Äußerung des Lehramtes beachtet werden muss, dazu das Maß, in dem es seine Autorität geltend macht.35 Ebenso wird in Anlehnung an LG 25 erläutert, dass die Zustimmung des obsequium differenziert werden muss „entsprechend der kundgetanen Auffassung und Absicht, die sich vornehmlich aus der Art der Dokumente, der Häufigkeit der Vorlage ein und derselben Lehre und der Sprechweise erkennen läßt.“36 Diese weiterführenden lehramtlichen Präzisierungen zur Differenziertheit des Lehranspruchs im nicht endgültig verpflichtenden ordentlichen Lehramt des Papstes und des Kollegiums (gleiches gilt analog vom bischöflichen Lehramt in den Teilkirchen bzw. in den Teilkirchenverbänden), die in der genannten Studie keine Berücksichtigung fanden, ermöglichen eine genügend differenzierte Hermeneutik der jeweils vorgelegten lehrhaften Dichte und Autorität. Darin scheint der geeignete Schlüssel für die lehramtliche Verortung der pastoralen Lehrverkündigung in der Kirche zu liegen, in ihrem eigentümlichen komplexen Charakter und im jeweils zu differenzierenden Maß, in welchem sie konkret die lehramtliche Autorität der Kirche einbringt.
V. Schlussfolgerung Fehlt der pastoralen Lehrverkündigung von Papst und Bischöfen ein eigenständiger Grad der lehramtlichen Verbindlichkeit? Diese Frage müsste dann bejaht werden, wenn die pastorale Intention der Lehrverkündigung eine doktrinale Einordnung derselben in die bestehenden Kategorien des kirchlichen Lehramtes nicht zulassen würde. Nun aber ist dem kirchlichen Lehramt als Ganzem eine pastorale Aufgabe und Ausrichtung eigen, die es in der ureigensten Weise der Ausübung wahrnimmt, die aber durchaus komplex und unterschiedlich je nach den Bedürfnissen der verschiedenen Zeiten gestaltet sein kann, so auch in der Form einer unmittelbar mehr zielgerichteten pastoralen Lehrverkündigung als legitime Ausdrucksweise des kirchlichen Lehramtes.37 Auf die eingangs gestellte Frage wurde deshalb auf der Grundlage der geltenden Gesetzeslage der c. 752 CIC als Bezugsort dieser Form der pastoralen Lehrverkündigung festgelegt. Entgegen des absoluten Lehranspruchs im c. 750 CIC tritt uns in c. 752 CIC ein bloß relativer Anspruch entgegen, ohne dass diese Relativität den 34
Vgl. Congregatio de doctrina fidei, Instructio Donum veritatis, Nr. 17. Vgl. Congregatio de doctrina fidei, Instructio Donum veritatis, Nr. 17. 36 Congregatio de doctrina fidei, Nota doctrinalis Professionis Fidei, Nr. 11. 37 Vgl. Congregatio de doctrina fidei, Instructio Donum veritatis, Nr. 17, wo die doktrinale Aufgabe des kirchlichen Lehramtes mit der vielfältigen pastoralen Aufgabe des Lehramtes verbunden wird, ohne dass sie aber ineinander fließen. 35
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Charakter und die Autorität der kirchlichen Lehrautorität in Frage stellen würde. Die Subjekte des höchsten Lehramtes der Kirche – Papst und Bischofskollegium – üben in c. 752 CIC dieses nicht endgültig verpflichtende Lehramt aus und verpflichten kraft ihrer von Christus verliehenen Lehrautorität die Gläubigen zur Annahme. Aber sie schöpfen die Lehrautorität darin nicht in absolut verbindlicher und verpflichtender Weise aus. Diese Form des Lehrens erstreckt sich dem Inhalt nach unmittelbar und mittelbar auf Glaubens- und Sittenfragen, kann aber auch eng mit der Ausübung der Leitungsvollmacht oder mit pastoral-kerygmatisch intendierten Anwendungen, Empfehlungen und Impulsen verknüpft sein, die natürlich in ihrem eigenen Gewicht von der Nähe zur kirchlichen Lehre und vom Getragensein durch sie zu bemessen sein werden. Diese dynamische und pluridimensionale Ganzheit von Dokumenten der pastoralen Lehrverkündigung als lehrhafte und zugleich pastoral ausgerichtete Dokumente des kirchlichen Lehramtes fordert zu einer genauen Deutung der lehramtlichen Verbindlichkeit solcher Dokumente heraus, die einerseits dem spezifischen Charakter und Anspruch einer solchen komplexen Lehrverkündigung Rechnung trägt, die andererseits aber nicht relativierend und abwertend den lehramtlichen Bezug und die dabei einbezogene Lehrautorität vergisst. Somit bietet der c. 752 CIC einen genügend dynamisch-differenzierbaren rechtlichen Raum an, um auch den Typus der pastoralen Lehrverkündigung darin verorten zu können. Die Suche nach einer neuen lehramtlichen Kategorie für diesen Typus der Lehrverkündigung erscheint von daher unnötig, da ja auch diese neue Kategorie vom Lehranspruch her eine relative und dynamisch differenzierbare Qualifikation enthalten müsste, die in c. 752 CIC aber bereits vorliegt. Diese Suche erscheint sogar erfolglos, weil die lehramtlichen Kategorien wesentliche Typologien in der Ausübung des kirchlichen Lehramtes berücksichtigen, die der lebendigen Wirklichkeit der pastoralen Lehrverkündigung in ihrer vielgestaltigen und vielschichtigen Konkretheit nicht einfach übergestülpt werden können. Es bleibt somit die (mühsame) analytische und exegetische Aufgabe des Theologen und des Kanonisten auch in Zukunft, anhand der bereits bewährten Prinzipien und Normen, die vielgestaltige Weise der Lehrausübung des kirchlichen Lehramtes zu interpretieren.
Evangelisierung und Katholische Universität Kirchenrechtliche Überlegungen zu einem aktuellen Erfordernis Christoph Ohly
I. Thematische Hinführung Zu den Grundüberzeugungen im wissenschaftlichen Arbeiten von Helmuth Pree gehört das Bestreben, einer Kirchenrechtstheorie als eigenständiger kanonistischer Grundlagendisziplin zum Durchbruch zu verhelfen. In verschiedenen Publikationen1 hat er in Anlehnung insbesondere an die spanischsprachige Kanonistik sowie an die Überlegungen von Arthur Kaufmann2 deutlich zu machen versucht, dass eine Kirchenrechtstheorie unter die von der geltenden Studienordnung „Novo Codice“ als „disciplinae conexae“ bezeichneten Lehrfächer des kanonischen Rechts zu zählen ist.3 Damit tritt neben die theologische4, historische5, juristische6 und praktische7 Dimension der kirchenrechtlichen Lehrbereiche die rechtsphilosophische Perspektive8. Letztere umfasst zwar die Kirchenrechtstheorie „von ihrem Gegenstand und von
1 Vgl. dazu v. a. Helmuth Pree, Generalia Iuris Principia im CIC/1983 und ihre Bedeutung für das Kanonische Recht, in: AfkKR 172 (2003), S. 38 – 57; ders., Der Rechtscharakter des kanonischen Rechts und seine Bedeutung für die Kirche, in: Folia Canonica 7 (2004), S. 49 – 70; ders., Kirchenrechtstheorie als eigenständige kanonistische Grundlagendisziplin, in: AfkKR 178 (2009), S. 52 – 67. 2 Vgl. Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtsdogmatik, in: Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer/Ulfrid Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, Heidelberg 72004, S. 1 – 25 (überarb. Aufl.: Heidelberg u. a. 8 2011). 3 So Congregatio de institutione catholica, Decretum Novo Codice vom 2. September 2002, in: AAS 95 (2003), S. 281 – 285; in dt. Übersetzung: AfkKR 171 (2002), S. 491 – 495, hier I, b sowie II, 28, b. 4 Vgl. ebd.: „theologia iuris canonici“. 5 Vgl. ebd.: „institutiones iuris romani“, „historia institutionum canonicarum“ sowie „historia fontium iuris canonici“. 6 Vgl. ebd.: „elementa iuris civilis“. Dazu können auch im weitesten Sinn die „relationes Ecclesiam inter et societatem civilem“ gezählt werden. 7 Vgl. ebd.: „praxis canonica administrativa et iudicialis“. 8 Vgl. ebd.: „philosophia iuris“.
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ihrer Entstehung her“9. In jüngerer Zeit hat sie sich jedoch im weltlichen Rechtsdenken aus der philosophischen Umklammerung gelöst und in ihrer Eigenständigkeit zu profilieren versucht. In Folge dessen hat Helmuth Pree verschiedene Charakteristika einer Theorie des kanonischen Rechts herausgearbeitet, die der Besonderheit der neuen Disziplin im Kontext des Kanonischen Rechts Rechnung tragen wollen.10 Diesen Ansatz als solchen und dessen Konturen einer kritischen Erwägung zu unterziehen, kann und soll nicht Aufgabe der folgenden Überlegungen sein. Doch wird aus dem Schnittfeld der Überlegungen, die sich mit der Theologischen Grundlegung des kanonischen Rechts11 berühren, ein entscheidender Ansatzpunkt aufgenommen und für die Durchdringung einer für die aktuelle Situation der Kirche nicht unbedeutenden Fragestellung im Verkündigungsrecht, und hier speziell im Recht der Katholischen Universitäten, beachtet. Zur Rechtfertigung einer eigenständigen Kirchenrechtstheorie wird unter anderem betont, dass diese allein schon aus ihrer Beziehung zur Rechtspraxis der Kirche notwendig sei und daher zur Grundausbildung des Kanonisten gehöre: „Die Theorie muss sich an der Praxis bewähren und darf den Kontakt zur Lebenswirklichkeit nicht verlieren. Umgekehrt bedarf die Praxis der Theorie“12. Worin besteht die hier erwähnte Praxis, jene Lebenswirklichkeit, auf die die Theorie des Kirchenrechts bezogen ist? Eine Antwort darauf berührt das Wesen des Kirchenrechts als Recht der Kirche, das aus dem Wesen der Kirche und ihrem Glauben folgt. Mit anderen Worten: Die vielgestaltige Nähe kanonischer Normen zum Leben der Kirche ergibt sich bereits aus deren konstitutiver Verbindung zum Glauben. Das Erkenntnisprinzip kanonistischen Arbeitens ist daher „der rechtlich spezifizierte Glaube der Kirche“13. Die Theorie der kanonischen Norm findet folglich im Glauben der Kirche sowie seiner konkreten Realisierung in der Lebenswirklichkeit der kirchlichen Sendung ihren Anhalt. Von dorther muss sie sich bewähren, zugleich aber auch kritisch hinterfragen lassen, ebenso wie die Praxis ohne die Theorie blind für den Weg wäre, auf dem sie sich verwirklicht. Im Kontext dieser inneren Verwobenheit von Theorie und Praxis des Kirchenrechts soll im Folgenden eine Frage behandelt werden, die insbesondere durch das 9
Pree, Kirchenrechtstheorie (Anm. 1), S. 55. Vgl. ebd., S. 59 – 63. 11 Vgl. dazu als Ausgangspunkt Klaus Mörsdorf, Zur Grundlegung des Rechtes der Kirche, in: Edmund Schlink/Hermann Volk (Hrsg.), Pro veritate. Ein theologischer Dialog. FS für Lorenz Jäger und Wilhelm Stählin, Münster-Kassel 1963, S. 224 – 248, abgedruckt in: Winfried Aymans/Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz (Hrsg.), Klaus Mörsdorf. Schriften zum Kanonischen Recht, Paderborn u. a. 1989, S. 21 – 45. Zur Übersicht und in Fortführung vgl. Christoph Ohly, Deus caritas est. Die Liebe und das Kirchenrecht, in: Michaela C. Hastetter/Christoph Ohly/Georgios Vlachonis (Hrsg.), Symphonie des Glaubens. Junge Münchener Theologen im Dialog mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., St. Ottilien 2007, S. 103 – 129. 12 Pree, Kirchenrechtstheorie (Anm. 1), S. 65 – 66 mit Bezug auf den lateinischen Aphorismus „Praxis sine theoria est caecus in via – theoria sine praxi est sicut currus sine axi“. 13 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. I, Paderborn u. a. 1991, S. 61 – 81, hier S. 71. 10
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programmatische Schreiben „Evangelii Gaudium“ von Papst Franziskus zur Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute14 neue Aktualität gewonnen hat. Welchen Beitrag vermag die Katholische Universität für die zentrale Aufgabe der Evangelisierung zu leisten? Eröffnen die einschlägigen kanonischen Normen in Verbindung mit den Aussagen des kirchlichen Lehramtes Anhaltspunkte oder Leitlinien, mit Hilfe derer die konkrete Praxis des kirchlichen Evangelisierungsauftrags unterstützt werden kann? Und welche Rückwirkung hat dabei die Praxis auf die Theorie der Normen? Die folgenden Überlegungen, die sich diesen Fragen widmen wollen, möchten sich als Zeichen des Dankes gegenüber dem Jubilar und seinem vielfältigen Wirken im Bereich der Kanonistik verstanden wissen.
II. Wesen und Notwendigkeit der Evangelisierung15 1. Evangelisierung und Neuevangelisierung Das II. Vatikanische Konzil bezeugt in seiner Dogmatischen Konstitution „Dei Verbum“ das Wesen der göttlichen Offenbarung. Sie beruht auf dem Beschluss Gottes gegenüber den Menschen, „sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun […], um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen“16. Das, was sich dabei in Wort und Tat vollzieht, bietet den Grundgehalt für den Auftrag der Kirche. Sie bezeugt die Selbstmitteilung Gottes, um sie für jeden Menschen in jeder Zeit vernehmbar zu machen. Die verkündigende Weitergabe der göttlichen Offenbarung wird von der Kirche als „Evangelisierung“ bezeichnet. Der Begriff und das damit verbundene „munus Evangelii annuntiandi“ (c. 756 § 1 CIC) umfassen eine Vielzahl von unterschiedlichen Instrumenten, die dem einen Ziel dienen wollen, „die Frohbotschaft in alle Bereiche der Menschheit zu tragen und sie durch deren Einfluß von innen her umzuwandeln und die Menschheit selbst zu erneuern.“17
Das bedeutet nicht einfach, „immer weitere Landstriche oder immer größere Volksgruppen durch die Predigt des Evangeliums zu erfassen, sondern zu erreichen, daß durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Interessensbereiche, die Denkgewohnheiten, die 14 Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute vom 24. November 2013, in: AAS 105 (2013), S. 1019 – 1137; in dt. Übersetzung: VApSt 194, Bonn 2013. 15 Vgl. dazu ausführlich Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht (= MThSt III/ 63), St. Ottilien 2008, hier S. 75 – 100. 16 DV 2. 17 Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, in: AAS 68 (1976), S. 5 – 76; in dt. Übersetzung: NKD 57, Trier 1975, S. 32 – 195, hier Nr. 18. Vgl. dazu auch Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 14), Nr. 19 – 49.
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Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle der Menschheit, die zum Wort Gottes und zum Heilsplan im Gegensatz stehen, umgewandelt werden.“18
Die „Evangelisierung“ stellt in Folge dessen einen vielschichtigen Prozess dar, der nicht nur eine Vielzahl von Elementen, sondern zugleich auch von Mitteln zu ihrer Verwirklichung umfassen kann. Nach Aussagen des Allgemeinen Direktoriums für die Katechese gehören unter die Elemente das christliche Zeugnis in der Welt durch die Nächstenliebe, die Verkündigung des Evangeliums mit dem Ruf zur Umkehr, die Einführung in den Glauben und das christliche Leben durch die Katechese und insbesondere die Initiationssakramente, die Weiterbildung im Glauben durch Predigt, Homilie, Sakramente, Caritas und kirchliche Dienste sowie die beständige Mission durch die Sendung der Christen in die Welt.19 Mit dem Erfordernis der Evangelisierung eng verbunden ist seit Papst Paul VI. der Aufruf zu einer „erneuten Verkündigung“ oder auch „Neu-Evangelisierung“, die von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sowie derzeit von Papst Franziskus aufgenommen und weiterentwickelt wurde.20 2. Katholische Universität als Ort der Evangelisierung Nach der Promulgation des Codex Iuris Canonici am 25. Januar 1983 hat Papst Johannes Paul II. das neue Gesetzbuch der Kirche oft als „letztes Dokument des II. Vatikanischen Konzils“ bezeichnet, dem die Aufgabe zukomme, das Konzil in das ganze Leben der Kirche einzufügen.21 Er tat dies in der Überzeugung, dass der Codex spürbar 18
Ebd., Nr. 19. Vgl. dazu Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 14), Nr. 74. Vgl. Congregatio pro Clericis, Directorium Generale pro Catechesi vom 15. August 1997, Città del Vaticano 1997; in dt. Übersetzung: VApSt, Nr. 130, Bonn 1997, hier Nr. 47 und 48. 20 Siehe Papst Paul VI., Evangelii nuntiandi (Anm. 17), Nr. 52; Papst Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio vom 7. Dezember 1990, in: AAS 83 (1991), S. 249 – 340; in dt. Übersetzung: VApSt 100, Bonn 1990, hier Nr. 33; ders., Die Schwelle der Hoffnung überschreiten, Hamburg 1994, hier S. 133 – 145; Papst Benedikt XVI., Motu proprio Ubicumque et semper aus Anlass der Errichtung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung vom 21. September 2010, in: AAS 102 (2010), S. 788 – 792; in dt. Übersetzung: AfkKR 179 (2010), S. 487 – 492; Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 14), Nr. 14. Vgl. zum Verhältnis von Verkündigung und kanonischen Recht u. a. Julio Garcia Martin, L’azione missionaria della Chiesa nella legislazione canonica, Rom 1993; Raymond Leo Burke, The New Evangelization and Canon Law, in: Jurist 72 (2012), S. 4 – 30. 21 Vgl. u. a. Papst Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Kurses der Päpstlichen Universität Gregoriana über das neue kirchliche Gesetzbuch vom 21. November 1983, in: ORdt 13 (1983), Nr. 49, S. 4, abgedruckt in: AfkKR 152 (1983), S. 517 – 520, hier S. 518: „Er ist der Codex des Konzils, und in diesem Sinne ist er sozusagen das ,letzte Konzilsdokument‘, das zweifellos Kraft und Wert, Einheit und Ausstrahlung dieses Konzils festigen wird.“ Diese Feststellung wurde durch die Inkraftsetzung des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium im Jahre 1990 geweitet, indem dieser als die „neue Ergänzung der Lehre“ des Konzils charakterisiert wurde, durch welche die Rechtsordnung der gesamten Kirche vollendet und schließlich zusammen als ein Instrumentarium „für die Communio, welche die gesamte Kirche gleichsam zusammenhält“, zur Verfügung gestellt werden könne; ders., Constitutio 19
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dem Wesen der Kirche entspreche, „wie es vor allem durch das Lehramt des II. Vatikanischen Konzils ganz allgemein und besonders in seiner ekklesiologischen Lehre dargestellt wird“22. Mehr noch, das Gesetzbuch der Kirche könne „gewissermaßen als ein großes Bemühen aufgefaßt werden, eben diese Lehre, nämlich die konziliare Ekklesiologie, in die kanonistische Sprache zu übersetzen“23. Deshalb müsse das Gesetzeswerk immer wieder an den Aussagen des Konzils Maß nehmen. Diese richtungsweisende Interpretation findet auch in jenem spezifischen Rechtsbereich Anwendung, der den Titel De Ecclesiae munere docendi (cc. 748 – 833 CIC/ 1983) – Verkündigungsdienst der Kirche – trägt. Die Verkündigung des Wortes Gottes ist ein zentrales Element innerhalb der Sendung der Kirche, die auf den Auftrag des Herrn an seine Jünger zurückgeht24, und damit zugleich das Wesen der Kirche zuinnerst bestimmt. Die Kirche nimmt als „Lehrmeisterin des Hörens“25 das Wort Gottes auf, erwägt es in ihrem inneren Tun und verkündet es wie eine „Symphonie des Wortes“26 durch alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumentarien. So ist die Kirche als „allumfassendes Heilssakrament“27 in Geschichte und Kultur zugleich Zeugin der Wahrheit und Treuhänderin jenes göttlichen Wortes, das sich den Menschen im Sohn Gottes auf unüberbietbare Weise geoffenbart hat. Es ist kein beliebiges Wort, sondern das Wort, das Gott selbst ist.28 In den Kreis jener Instrumentarien, durch die die Kirche das Wort auf spezifische Weise verkündet, integriert das kirchliche Gesetzbuch auf der Grundlage der Aussagen in der Erklärung über die christliche Erziehung Gravissimum Educationis des II. Vatikanischen Konzils29 auch die Katholische Universität sowie andere entsprechende Hochschuleinrichtungen. Neben Predigt und Katechese, denen ein „Primat im Dienst am Wort Gottes“ zugesprochen wird (c. 761 CIC/1983)30, stellt die Katholische Universität (cc. 807 – 814 CIC/1983; cc. 640 – 645 CCEO) ein herausragendes Mittel zur Verkündigung des göttlichen Wortes im Bereich der Erziehung dar.
Apostolica Sacri Canones vom 18. Oktober 1990, in: AAS 82 (1990), S. 1033 – 1044, hier S. 1038. 22 Papst Johannes Paul II., Constitutio Apostolica Sacrae Disciplinae Leges vom 25. Januar 1983, in: AAS 75.II (1983) S. VII-XIV; dt. Übersetzung in: Codex Iuris Canonici auctoritate Ioannis Pauli PP. II. promulgatus. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 62009, hier S. XVII-XIX. 23 Johannes Paul II., Sacrae Disciplinae Leges (Anm. 22), hier XIX. 24 Vgl. Mt 28,19 – 20. 25 Papst Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini vom 30. September 2010, in: AAS 102 (2010), S. 681 – 787; dt. Übersetzung in: VApSt 187, Bonn 2010, hier Nr. 51. 26 Ebd., Nr. 7. 27 LG 48. 28 Vgl. Joh 1,1.14. 29 GE 10. 30 Vgl. dazu Ohly, Dienst am Wort Gottes (Anm. 15), S. 120 – 128.
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Die besondere Stellung, die das geltende Gesetzbuch – anders als im Gesetzbuch von 1917 –31 der Katholischen Universität zuweist, hat Papst Johannes Paul II. erstmals durch eine eigene Apostolische Konstitution zur Katholischen Universität bestätigt und vertieft.32 Beide Rechtsdokumente sehen sich der langen Tradition der Universität verpflichtet, indem proklamatisch festgestellt wird: „Aus dem Herzen der Kirche hervorgegangen, hat sich die Katholische Universität in den Strom der Tradition eingefügt, die mit den ersten Anfängen der Universität als Institution begonnen hat. Seither war sie immer wie ein herausragendes Zentrum schöpferischer Kraft und Wissensverbreitung zum Wohl und Nutzen des Menschengeschlechtes […]. Ihre hervorragende Aufgabe besteht darin, ,in der geistigen Arbeit selbst zwei Ordnungen der Wirklichkeit existentiell zu verbinden, die man allzuoft einander entgegenzustellen geneigt ist, als handelte es sich um Gegensätze: die Suche nach der Wahrheit und die Gewißheit, die Quelle der Wahrheit bereits zu kennen‘.“33
Ausdrücklich weist Papst Johannes Paul II. auf die innere Verflechtung der Katholischen Universität mit dem umfassenden Evangelisierungsauftrag der ganzen Kirche hin: „Jede Katholische Universität leistet ihrem eigenen Wesen gemäß der Kirche eine große Hilfe beim Werk der Evangelisierung. Es handelt sich um ein lebendiges Zeugnis auf institutioneller Ebene, das Christus und seiner Botschaft geleistet wird, und das so notwendig ist in den durch den Säkularismus geprägten Kulturen, oder wo Christus und seine Botschaft noch nicht bekannt sind.“34
Die einschlägigen Normen des kirchlichen Gesetzbuches sowie die Bestimmungen der Apostolischen Konstitution bieten dabei eine Reihe von praxisrelevanten Anregungen für die Verhältnisbestimmung von Katholischer Universität und Evangelisierung, die im Folgenden systematisiert werden sollen.
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Siehe dazu c. 1375 und c. 1379 § 1 CIC/1917. Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Ex corde Ecclesiae vom 15. August 1990, in: AAS 82 (1990) S. 1475 – 1509. Vgl. dazu u. a. Josef Ammer, Zum Recht der „Katholischen Universität“ – Genese und Exegese der Apostolischen Konstitution „Ex corde Ecclesiae“ vom 15. August 1990 (= FzK 17), Würzburg 1994; Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. III, Paderborn u. a. 2007, S. 135 – 162; Peter Krämer, Die Katholische Universität. Kirchenrechtliche Perspektiven, in: AfkKR 160 (1991), S. 25 – 47; Javier Otaduy, Tipología de Universidades católicas: Derecho universal y Derecho pastoral de España, in: Escritos en honor de Javier Hervada, Pamplona 1999, S. 431 – 443. Dazu in jüngster Zeit Catherine Declercq, Las Universidades católicas: Contribución a la nueva Evangelización (Facultad de Derecho Canónico de la Universidad San Dámaso), Madrid 2014. 33 Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 1. 34 Ebd., Nr. 49. Papst Franziskus unterstreicht diesen Zusammenhang, wenn er formuliert: „Die Universitäten sind ein bevorzugter Bereich, um dieses Engagement der Evangelisierung auf interdisziplinäre Weise und in wechselseitiger Ergänzung zu entfalten“ (Evangelii Gaudium [Anm. 14], Nr. 134). 32
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III. Kirchenrechtliche Leitlinien Die kanonistische Literatur versteht die Katholische Universität zumeist als „kulturellen Beitrag der katholischen Kirche im Hochschulbereich“.35 Danach ist die Kirche gemäß der Erklärung Gravissimum Educationis um die Wahrung der Freiheit wissenschaftlicher Forschung bemüht mit der Überzeugung, dass die neuen Forschungsergebnisse weitreichender erkennen lassen, „wie Glaube und Vernunft sich in der einen Wahrheit treffen“36. Welche Disziplinen dies sind, hängt sowohl vom Bedarf als auch vom Gestaltungswillen des entsprechenden Trägers ab. Um jedoch deren inneren Zusammenhang mit dem Glauben der Kirche zu verdeutlichen, ist gemäß c. 811 § 1 CIC/1983 dafür Sorge zu tragen, dass zumindest ein Lehrstuhl für Theologie (Institut) oder sogar eine eigene theologische Fakultät errichtet wird, die regelmäßige theologische Lehrveranstaltungen für alle Studierenden unter Berücksichtigung der jeweiligen Disziplinen anbietet (c. 811 § 2 CIC/1983; c. 643 CCEO). Mit diesen Grundlinien ist zwar der Kerngedanke des katholischen Universitätswesens berührt, doch das Prospekt des c. 807 CIC/1983 als Einleitungscanon zum gesamtkirchlichen Rahmengesetz (cc. 807 – 814 CIC/1983; c. 640 – 645 CCEO) wird auf diese Weise noch nicht ausgeschöpft. Es bedarf demzufolge einer näheren Durchsicht der diesen Bereich eröffnenden Norm. Sie lautet: „Die Kirche hat das Recht, Universitäten zu errichten und zu führen; denn sie tragen bei zur höheren Kultur der Menschen und zur volleren Entfaltung der menschlichen Person wie auch zur Erfüllung des Verkündigungsdienstes der Kirche.“37
Die Normaussage verpflichtet die Kirche mit dem historisch belegten Recht zur Errichtung einer Universität zugleich zu deren innerer Wesensbestimmung.38 Die Katholische Universität muss demnach beitragen (1) zu einer höheren Kultur der Menschen (ad altiorem hominum culturam), (2) zu einer volleren Entfaltung der menschlichen Person (pleniorem personae humanae promotionem) sowie (3) zur Erfüllung des kirchlichen Verkündigungsdienstes (ipsius Ecclesiae munus docendi implendum). Damit sind drei konstitutive Kriterien benannt, welche die Grundprinzipien und Ziele der Katholischen Universität prägen und zugleich Verbindungslinien zum Evangelisierungsauftrag der Kirche aufzeigen.
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So Aymans/Mörsdorf, KanR III (Anm. 32), S. 135 – 162, hier S. 137 f. GE 10. Vgl. dazu Heinrich Mussinghoff, Einführung vor 807, 2, in: MK CIC (Stand: Juli 1991); siehe auch c. 809 CIC/1983. 37 Festzuhalten ist hier, dass der Universität als solcher die Bezeichnung „Katholisch“ nach c. 808 CIC/1983 (c. 642 § 1 CCEO) nur mit Zustimmung (consensus) der zuständigen kirchlichen Autorität (Apostolischer Stuhl, Bischofskonferenz, Diözesanbischof) zukommt. Unter diesem formellen kirchlichen Zustimmungsakt ist ein positiver Willensakt der Übereinstimmung und des Einverständnisses in schriftlicher Form zu verstehen, der als conditio sine qua non die Bezeichnung „katholisch“ legitimiert. 38 Vgl. dazu auch Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 13. 36
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1. Höhere Kultur der Menschen Anlässlich der Eröffnung des akademischen Jahres an der Katholischen Universität Sacro Cuore rief Papst Benedikt XVI. am 25. November 2005 in seiner Ansprache aus:39 „Was für eine Verantwortung! Tausende und Abertausende junger Menschen kommen in die Hörsäle der ,Cattolica‘“. Und deshalb müsse man sich immer wieder folgende Fragen stellen: „Wie kommen sie heraus? Welcher Kultur sind sie begegnet? Was für eine Kultur haben sie aufgenommen?“ Bereits die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes hat die Wissenschaften in das Kapitel über die richtige Förderung des kulturellen Fortschritts eingeordnet.40 Die Konzilsväter machen damit deutlich, dass Wissenschaft keinen Selbstzweck besitzt, sondern in einem unlösbaren Bezug zum Menschen steht.41 Wissenschaft bleibt in ihrer konstitutiven Dienstfunktion vornehmlich ausgerichtet auf die menschliche Person und das Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft im Sinne der Förderung einer höheren Kultur. Demzufolge kommt Wissenschaft (scientia) da an ihr Ziel, wo sie Weisheit (sapientia) wird, das heißt die in die Anbetung führende Erkenntnis, dass Wissenschaft und Kultur im dreifaltigen Gott gründen. Bereits hier wird erkennbar, wie sehr einer Wissenschaft, die der höheren Kultur der Menschen dient, ein Verkündigungscharakter zukommt, da sie die Wahrheit über Gott und den Menschen kundtut. Zugleich vermag sie anderen kirchlichen Verkündigungsformen (z. B. Predigt, Katechese, Mission, Schule) hilfreich zur Seite zu stehen, indem sie deren Ausübung inhaltlich und formell vertieft und da, wo es notwendig ist, reinigt. An dieser Stelle bleibt aber die Frage: Was ist das für eine Kultur, von der hier die Rede ist und die sich in der Katholischen Universität durch wissenschaftliche Forschung und Lehrtätigkeit im Dienst der jungen Generation der Gesellschaft auftut? Papst Johannes Paul II. hat darauf in der Apostolischen Konstitution Ex corde Ecclesiae eine wegweisende Antwort gegeben. Auch wenn der grundlegende Auftrag jeder Universität „das ständige Suchen nach Wahrheit durch Erforschen, Bewahren und Verbreiten von Wissen zum Wohl der Gesellschaft“42 umfasst, zeichnet sich eine katholische Universitätsgemeinschaft – Leitung, Lehrkörper, Studierende – durch verschiedene spezifische Elemente aus. Dazu gehören u. a. die christliche Prägung der universitären Gemeinschaft und ihrer einzelnen Glieder, der Glaube, der das Denken und Forschen des Menschen durchdringt, aber auch die Bereitschaft, dies in Treue zur christlichen Lehre und zur Kirche zu tun.43 Die Katholizität mindert nicht, sondern hebt – im Zusammenspiel von gaudium de veritate und zugesicherter For39
Papst Benedikt XVI., Ansprache beim Besuch in der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen anlässlich der Eröffnung des akademischen Jahres vom 25. November 2005, in: AAS 97 (2005), S. 1035 – 1039, hier S. 1036. 40 Vgl. GS 53 – 62. 41 Vgl. im Folgenden Mussinghoff, Einführung vor 807, 3 (Anm. 36). 42 Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 30. 43 Vgl. ebd., Nr. 13.
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schungsfreiheit44 – die innere Ausrichtung und äußere Qualität der Universität. Die Katholische Universität ist daher ein „großes Laboratorium, in dem, den verschiedenen Fachgebieten entsprechend, immer neue Forschungsansätze erarbeitet werden in einer anregenden Gegenüberstellung von Glaube und Vernunft“.45 Ihr Ziel ist es, entgegen einer weit verbreiteten Kontraposition von Glaube und Vernunft, dabei jene Fragen nicht auszuschließen, die den Menschen als solchen, aber auch den Kontext seiner Kultur betreffen: Woher komme ich? Warum lebe ich? Warum muss ich sterben und wohin gehe ich? Die verschiedenen Disziplinen der Universität können auf je eigene Weise Antworten auf diese Fragen geben und die Studierenden befähigen, künftige berufliche Aufgaben in christlichem Geist zu bewältigen. Gerade darin liegt nach Papst Benedikt XVI. die große Herausforderung der Katholischen Universität im zeitgenössischen Kontext von Säkularismus und Relativismus. Wissenschaft muss betrieben werden „im Blickfeld einer wahren Rationalität, die sich von jener, die heute weithin dominiert, unterscheidet, entsprechend einer Vernunft, die offen ist für die Frage nach der Wahrheit und nach den in das Sein selbst eingeschriebenen erhabenen Werten, offen also für das Transzendente, für Gott“.46 Da dies für den Glauben nur im Licht des inkarnierten Logos möglich ist47, stellt dieses Bemühen, Wissenschaft und Glaube miteinander zu verbinden, einen indispensablen Dienst der Kirche an der höheren Kultur der Menschen dar und ist von ihrem Wesen her Verkündigung des göttlichen Wortes. Daher gilt: „Sich für die Katholische Universität zu entscheiden heißt, sich für diesen Ansatz zu entscheiden!“48 2. Vollere Entfaltung der menschlichen Person Die höhere Kultur, an deren Erlangung die Wissenschaften mitwirken, die sich der Einheit von Vernunft und Glaube öffnen, ist ohne das zweite Kriterium der Katholischen Universität nicht zu denken. Dienst an der Kultur der Menschen bedeutet grundlegend Dienst an der Entfaltung der menschlichen Person. Der Beweggrund für diese Arbeit liegt in der Offenbarung Gottes selbst. Der Wunsch Gottes, sich den Menschen mitzuteilen, und der Wunsch des Menschen, die Wahrheit zu erkennen, stellen die Brennpunkte einer Ellipse dar, in deren Mitte die Erkundung von Ursprung und Sinn menschlichen Lebens liegt. Wer im Kontext der Katholischen Universität nach der Wahrheit sucht, sucht Gott und lebt vom Glauben an ihn. Diese Suche ist somit Dienst an der vollen Entfaltung 44 Vgl. ebd., Nr. 1 und Art. 2 § 5. Mit Blick auf die theologischen Disziplinen siehe c. 218 CIC/1983 (c. 21 CCEO). 45 Benedikt XVI., Ansprache (Anm. 39), S. 1037. 46 Ebd., S. 1037. Vgl. dazu auch ders., Ansprache vor dem Deutschen Bundestag in Berlin vom 22. September 2011, in: AAS 103 (2011), S. 663 – 669, hier bes. S. 668 – 669; abgedruckt in VApSt 189, Bonn 2011, S. 30 – 38. 47 Vgl. Joh 1,1.14. 48 Benedikt XVI., Ansprache (Anm. 39), S. 1037 f.
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der menschlichen Person, sie ist „ein Schritt vom ,Ich‘ zum ,Wir‘, der dazu führt, daß der einzelne in das Volk Gottes eingegliedert wird“.49 Die geforderte Entfaltung der menschlichen Person bedeutet somit vor allem eine notwendige Ausrichtung der Person auf Gott als ihren Schöpfer und Erlöser, ihren Ursprung und ihr Ziel. Papst Benedikt XVI. stellte deshalb im Rahmen einer Ansprache in der Katholischen Universität Amerikas in Washington am 17. April 2008 wiederum eine Anfrage: „Glauben wir wirklich, daß sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt? Sind wir bereit, unser ganzes Selbst – Verstand und Willen, Geist und Herz – Gott anzuvertrauen? Nehmen wir die Wahrheit an, die Christus offenbart? Ist der Glaube in unseren Universitäten und Schulen spürbar? Wird er in der Liturgie, in den Sakramenten, durch das Gebet, durch Werke der Nächstenliebe, durch die Sorge um Gerechtigkeit und die Achtung für Gottes Schöpfung sinnfällig zum Ausdruck gebracht? Nur auf diese Weise geben wir wirklich Zeugnis vom Sinn dessen, wer wir sind und was uns wichtig ist.“50
Die Entfaltung der menschlichen Person steht demzufolge in einem indispensablen Zusammenhang mit der „persönlichen Vertrautheit mit Jesus Christus“51, ja, sie wird dort gelernt und vollzogen. Das jedoch bringt die Konsequenz mit sich, in der Erziehung nicht allein auf die Vernunft des jungen Menschen zu bauen, sondern ihn ganzheitlich zu einem Forschen und Lernen zu erziehen, die insbesondere den Willen mit einschließen. Der geschulte Wille vermag durch den Glauben zu einem starken und entschiedenen Willen der Hingabe zu erwachsen. Erst und gerade darin entfaltet sich die menschliche Person, indem sie die eigene Freiheit nicht zu einer Freiheit von Gott, sondern zur Freiheit für Gott verwandeln lässt und so zur Gewissheit der Wahrheit gelangt, deren radikalste Form im Gekreuzigten erkennbar wird.52 Die Vernunft der Person steht somit in einer Beziehung zum Glauben, der in der Liebe fruchtbar wird und die Person erst zu dem verwandelt, was sie in Wahrheit ist: ein geliebtes und zur Liebe befähigtes und berufenes Geschöpf Gottes. 3. Verkündigungsdienst als Evangelisierung Bei den beiden in c. 807 CIC/1983 genannten und bisher beleuchteten Kriterien zum Wesen der Katholischen Universität fällt auf, dass sie durch einen Komparativ bestimmt sind. Die Universität trägt sowohl zur höheren Kultur der Menschen als 49 Papst Benedikt XVI., Ansprache anlässlich der Begegnung mit katholischen Erziehern in der Katholischen Universität Amerikas (Washington) vom 17. April 2008, in: AAS 100 (2008), S. 320 – 327, hier S. 322. 50 Ebd., S. 322. 51 Ebd., S. 322. 52 Vgl. dazu Papst Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est vom 25. Dezember 2005, in: AAS 98 (2006), S. 217 – 252; in dt. Übersetzung: VApSt 171, Bonn 2006, hier bes. Nr. 12.
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auch zur volleren Entfaltung der menschlichen Person bei. Der Gesetzgeber bekennt sich damit zur Auffassung, dass das Wirken der Katholischen Universität von einer grundlegend positiven Bewertung der menschlichen Person und der Kultur in der Kraft der Vernunft ausgeht, diese jedoch im Licht des Glaubens der Vertiefung und der weiteren Ausstreckung bedarf. So bleibt die Vernunft offen für die Erwägung der letzten Wahrheiten, die der Person und der Kultur ihren erfüllten Sinn offenbaren. Das will jedoch nicht besagen, dass dem Glauben lediglich die Funktion eines „geistigen Überbaus“ zukommt, der deswegen verhandelbar, ersetzbar oder gar verzichtbar ist. Der Glaube umgreift und durchdringt vielmehr die menschliche Person und die Kultur; er bildet so deren Ursprung, Weg und Ziel. Darin vermag er die Vernunft zu reinigen und sie ihrer letzten Bestimmung zuzuführen. Dies hat zur Konsequenz, dass die Katholische Universität als solche ein unverzichtbares Instrument im gesamten Verkündigungsdienst der Kirche darstellt, der stets auf den ganzen Menschen und die Kultur der Menschheit ausgerichtet ist. Daher hält das dritte Kriterium in c. 807 CIC/1983 fest, dass die Universität zur Erfüllung des Verkündigungsdienstes der Kirche beiträgt. Insbesondere mit Blick auf die heutige Situation der Säkularisierung bedeutet Verkündigungsdienst hier Evangelisierung und nicht selten Neu-Evangelisierung.53 Der Gedanke, der sich zunächst an dieser Stelle auftut, muss deshalb nach der spezifischen Weise fragen, wie die Katholische Universität diesen Auftrag erfüllt. Papst Johannes Paul II. nennt für dieses „Zeugnis auf institutioneller Ebene, das Christus und seiner Botschaft geleistet wird“54, fünf verschiedene Wirkungsbereiche. Dazu gehören: (1) die Forschung, die, im Licht der christlichen Botschaft vollzogen, neue und wichtige Erkenntnisse den Menschen zur Verfügung stellt, (2) eine Bildung, die den Menschen zu einem vernünftigen und kritischen Urteil als Ausdruck seiner Würde befähigt, (3) eine Berufsausbildung, die ethische Werte und geistliche Anstöße zur Dienstbereitschaft mit einbezieht, (4) der Dialog mit der Kultur, der eine Inkulturation des Glaubens ermöglicht und schließlich (5) die theologische Forschung, die hilft, den Glauben in einer verständlichen Sprache auszudrücken. Jeder einzelne Bereich macht deutlich: „In einer Katholischen Universität treffen […] die Sendung der Kirche zur Evangelisierung und die Sendung zur Forschung und zum Lehren zusammen und ergänzen sich gegenseitig“55, mit anderen Worten: Forschung und Lehre einer Katholischen Universität sind als solche immer Formen
53 Nach Johannes Paul II., Redemptoris missio (Anm. 20), Nr. 33, bezieht sie sich auf Situationen, „vor allem in Ländern mit alter christlicher Tradition, aber manchmal auch in jüngeren Kirchen, wo ganze Gruppen von Getauften den lebendigen Sinn des Glaubens verloren haben oder sich gar nicht mehr als Mitglieder der Kirche erkennen, da sie sich in ihrem Leben von Christus und vom Evangelium entfernt haben“. 54 Vgl. Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 49. 55 Papst Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses über die Katholischen Universitäten und Institute für höhere Studien vom 25. April 1989, in: AAS 81 (1989), S. 1216 – 1225, hier S. 1220.
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der Evangelisierung. Sie sind letztlich darauf ausgerichtet, dem Menschen den Sohn Gottes zu zeigen, in dem sich das Geheimnis des Menschen vollkommen klärt.56 Darin findet die Katholische Universität ihren spezifischen und einzigartigen Charakter. Als Werkzeug der Evangelisierung dient sie der „Glaubensgestalt“ des heutigen Menschen57. Sie ist bemüht, im Kontext der Forschung und Lehre den Menschen in seiner vollkommenen Würde als Wesen der Vernunft und des Glaubens zu formen, indem sich in ihr katholische Ideale, Haltungen und Grundsätze in Übereinstimmung mit Wesen und Autonomie des Forschens und Lehrens durchdringen.58
IV. Praktische Konsequenzen Mit dieser grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von Forschung, Lehre und Evangelisierung im Kontext der Katholischen Universität, wie sie sowohl von den kodikarischen Normen als auch von der Apostolischen Konstitution „Ex corde Ecclesiae“ vorgezeichnet wird, verbleibt die Frage, wie dies konkret im Leben der Katholischen Universität geschehen kann. Dazu können in Anlehnung an die Aussagen von Papst Franziskus drei Desiderate benannt werden. 1. Sentire cum Ecclesia Die Evangelisierung lebt von Personen.59 Folglich bedarf die Katholische Universität einer tragenden christlichen Ausrichtung, die insbesondere in der Universitätsgemeinschaft als solcher, der lehrenden ebenso wie der lernenden Personen, erfahrbar wird. Dienst an der Glaubensgestalt des heutigen Menschen heißt nach Felix Genn, dass die Katholische Universität einen Weg zur Einübung in das sentire cum Ecclesia aufzeigt. Dies bedeutet im Umfeld von Forschung und Lehre gerade nicht eine „naive Kirchlichkeit“, sondern „eine qualitative Identifikation mit der Kirche, eine Identifikation, die daher kommt, dass er [i. e. der Mensch] die Kirche von innen her glaubend verstanden hat“.60 Zu dieser Identifikation gehört es grundlegend, mit den Augen des Glaubens auf die Kirche zu schauen, die in der Katholischen Universität als Heimat erlebt werden soll. Das sentire cum Ecclesia heißt deshalb konkret: Freude und Dankbarkeit für die Kirche sowie Leben mit der Kirche und ihren Vollzügen in Wort und Sakrament. Von daher erscheint es den gesetzlichen Bestim56
Vgl. GS 22.1. Vgl. dazu Bischof Felix Genn, Zum Auftrag einer Theologischen Fakultät heute im Rahmen von Wesen und Sendung der Theologie, in: TThZ 120 (2011), S. 98 – 110. Ebenso grundlegend: Joseph Cardinal Ratzinger, Wesen und Auftrag der Theologie. Versuche zu ihrer Ortsbestimmung im Disput der Gegenwart, Einsiedeln 1993. 58 Vgl. Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 13 f. 59 Vgl. Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 14), Nr. 127 – 129. 60 Genn, Auftrag (Anm. 57), S. 106 im Anschluss an Joseph Ratzinger/Karl Lehmann, Mit der Kirche leben, Freiburg 1977, S. 39. 57
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mungen unter anderem als unerlässlich, dass die Katholische Universität mit einer entsprechenden Universitätskirche oder -kapelle ausgestattet ist, die mit einem reichen liturgischen Angebot die Bandbreite der Identifikation erkennbar werden lässt.61 2. Vernunft und Glaube Die Evangelisierung lebt vom Inhalt des Evangeliums.62 Forschung und Lehre in der Katholischen Universität üben die beständige „Reflexion im Lichte des katholischen Glaubens über den immerfort wachsenden Schatz der menschlichen Erkenntnis, zu dem sie ihren Teil mit den ihr eigenen Studien beizutragen sucht“.63 Um dies erreichen zu können, ist zugleich eine tiefere Kenntnis und Durchdringung des Evangeliums und der daraus erwachsenden kirchlichen Lehre notwendig. Diese Aufgabe soll in der Regel durch einen entsprechenden theologischen Lehrstuhl oder durch katechetische Projekte erfüllt werden, die für die erforderliche Reflexion in der jeweiligen Disziplin des Studierenden unabdingbar sind. Sinnvoll erscheint es dafür, ein Curriculum zu erstellen, das mit Hilfe eines geordneten mehrjährigen Zyklus den Studierenden hilft, den Glauben in seinen Inhalten und aktuellen Herausforderungen zu durchdringen. Dieses Erfordernis der Katholischen Universität betrifft aber nicht nur die Studierenden, sondern in analoger Weise auch die Lehrenden. Mit der Evangelisierung ist nach Johannes Paul II. immer die Notwendigkeit einer beständigen „Selbst-Evangelisierung“ verbunden.64 Diese vergisst nicht, „dass die technischen Kommunikationsmittel niemals das unmittelbare Zeugnis eines heiligmäßigen Lebens werden ersetzen können“.65 Der Lehrende selbst ist demnach erster Zeuge des Glaubens, an dem man die Lebendigkeit und Verwandlungskraft des Glaubens für das eigene Arbeiten ablesen darf. Deshalb gründet die Wirkmächtigkeit der Evangelisierung immer in der Bereitschaft zur „Selbstevangelisierung“, d. h. das eigene Leben und Arbeiten durch den Glauben formen zu lassen. Die Evangelisierung nach außen fordert somit als Voraussetzung eine Evangelisierung nach innen, die dieser das Fundament und 61
Vgl. c. 813 CIC/1983 und c. 645 CCEO. Dazu Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 41: „Die Universitätsseelsorge ist eine unverzichtbare Aufgabe, wodurch die katholischen Studenten in Erfüllung ihres Taufversprechens vorbereitet werden können zu tätiger Teilnahme am Leben der Kirche. Sie kann ferner dazu beitragen, die Hochschätzung der Ehe und des familiären Lebens zu nähren und zu mehren, geistliche Berufungen für Priestertum und Ordensleben zu wecken, das christliche Engagement der Laien anzuregen und jedweden Einsatz mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen.“ 62 Vgl. Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 14), Nr. 34 – 39. 63 Johannes Paul II., Ex corde Ecclesiae (Anm. 32), Nr. 13. 64 Vgl. exemplarisch Papst Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita Consecrata vom 25. März 1996, in: AAS 88 (1996), S. 377 – 486, hier Nr. 81; in dt. Übersetzung: VApSt 125, Bonn 1996. 65 Kongregation für den Klerus, Der Priester, Lehrer des Wortes, Diener der Sakramente und Leiter der Gemeinde für das dritte christliche Jahrtausend vom 19. März 1999, in: Communicatione 34 (2002), S. 180 – 195; in dt. Übersetzung: VApSt 139, Bonn 1999, hier Nr. I, 1.
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die dynamische Richtung anzeigt. Der Anspruch, der mit der Evangelisierung ausgedrückt wird, ist damit zugleich Anspruch an das Leben dessen, der im Dienst der Evangelisierung steht.66 3. Wissenschaft und Spiritualität Die Evangelisierung lebt von der spirituellen Ausrichtung.67 Die Disziplinen einer Katholischen Universität tragen durch den Anspruch, Vernunft und Glaube miteinander zu verbinden, die Notwendigkeit einer geistlichen Begleitung in sich. Das betrifft nicht allein die Theologie und ihre einzelnen Fachbereiche. Im Gegenteil: Forschung und Lehre in allen wissenschaftlichen Disziplinen, die in einer Katholischen Universität vertreten sind, bedürfen einer geistlichen Begleitung und Förderung derer, die in ihnen tätig sind. So können in Studienkursen zu geistlichen Fragestellungen (z. B. durch die Anleitung und Einübung der Betrachtung des Wortes Gottes oder durch die Lektüre geistlicher Gestalten der Kirchengeschichte) die Studierenden auch zu geistlich fundierten Suchern und Forschern in ihrer Disziplin herangebildet werden. Die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität kann so zu einer ganzheitlichen Ausbildung und menschlichen Formation beitragen, die die Absolventen einer Katholischen Universität zu bedeutsamen Verantwortungsträgern in Beruf, Kirche, Kultur und Gesellschaft heranzubilden vermögen.
V. Würdigung Der Blick auf das Verhältnis von Katholischer Universität und Evangelisierung, wie es sich von c. 807 CIC/1983 als Grundnorm zu den Katholischen Universitäten her darstellen lässt, hat deutlich werden lassen: Die Katholische Universität hat im Kontext des Evangelisierungsauftrags der Kirche einen reichen wissenschaftlichen und pastoralen Horizont vor sich. Dieser eröffnet sich der Katholischen Universität in dem Maße, in dem ihr Wesen aufgenommen und im Glaubensleben der Kirche gestaltet wird. Dieser Glaube ist nach Aussagen des kirchlichen Lehramtes ein evangelisierender Glaube, der Auswirkungen sowohl auf Forschung und Lehre als auch auf die Universitätsgemeinschaft als Ganze und in Bezug auf ihre einzelnen Mitglieder mit sich bringt. In diesem Zusammen erweist sich die Katholische Universität als „Schule der christlichen Tugenden, wo das in der Taufe erhaltene Leben wächst und sich systematisch entwickelt, […] ein offenes und aufnahmebereites Haus für all jene, die die Stimme ihres inneren Lehrmeisters hören und deshalb nach der Wahrheit suchen und der Menschheit dienen durch ihren täglichen Einsatz für ein Wissen, das weit über lediglich eingeengte und pragmatische Ziele hinausgeht, ein vitales Zen66 Vgl. dazu Ohly, Dienst am Wort Gottes (Anm. 15), S. 76 – 83. Vgl. in diesem Zusammenhang c. 812 CIC/1983 (c. 644 CCEO). 67 Vgl. Franziskus, Evangelii Gaudium (Anm. 14), Nr. 160 – 162.
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trum zur Förderung einer christlichen Erneuerung der Kultur […] im respektvollen und aufrichtigen Dialog, von einem klaren und wohlbegründeten Standpunkt aus (vgl. 1 Petr 3,15) und durch ein Zeugnis, das für Befragungen aufgeschlossen und überzeugungskräftig ist“.68 Die programmatischen Überlegungen von Papst Franziskus zur Evangelisierung in der Welt von heute unterstreichen diese Sichtweise und stellen die Notwendigkeit ihrer beständigen Umsetzung heraus. Zugleich lassen sie damit den rechtstheoretisch relevanten Zusammenhang von Theorie und Praxis der einschlägigen kanonischen Normen zum Wesen der Katholischen Universität erkennen, wie es zu Beginn der Überlegungen generell mittels der kanonistischen Überzeugung herausgestellt wurde, dass die Theorie der kanonischen Norm ihren Anhalt im Glauben der Kirche sowie seiner konkreten Realisierung in der Lebenswirklichkeit der kirchlichen Sendung findet. Die Notwendigkeit neuer Wege der Evangelisierung im Blick auf den heutigen Menschen weiten folglich die Vorgabe der Norm, die wiederum den Wegen ihrer Umsetzung eine verstärkende Stoßrichtung zu geben vermag. Die aufgewiesenen Desiderate für die Evangelisierung im Raum der Katholischen Universität können dies zumindest exemplarisch sichtbar machen.
68 Papst Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Europäischen Kongresses der Universitätskapläne vom 1. Mai 1998, in: www.vatican.va [Ansprachen, Mai 1998].
Eucharistiegemeinschaft mit anderen Christen Vom Verbot mit Ausnahmen zur Erlaubnis unter Bedingungen als Folge vertiefter ekklesiologischer Einsichten Myriam Wijlens Im Herbst 2013 sprach ein Journalist in einem Radiointerview mit dem derzeitigen katholischen Vorsitzenden des Dritten Internationalen Dialoges zwischen der Anglikanischen Kirche und der Römisch-Katholischen Kirche (ARCIC III), dem Erzbischof von Birmingham in England, Bernhard Longley, über Teilhabe an der Eucharistie im ökumenischen Kontext.1 Der Erzbischof erklärte, dass die katholische Kirche versuche zwei Prinzipien zusammenzuhalten: die Eucharistie als Zeichen der vollen sichtbaren Einheit und als Mittel zur Einheit.2 Angesprochen auf die Möglichkeit an der Eucharistie teilzunehmen, wenn sich Menschen, die sich für die Wiederherstellung der Einheit der Kirche Christi engagieren, treffen, um an ihr zu arbei1 Ein Wort von Dank gilt meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Lic.iur.can., Dipl.theol. Michael Karger für die Korrekturen des hiesigen Aufsatzes hinsichtlich der deutschen Sprache. Der vorliegende Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, der auf Einladung des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland – vorher bekannt als Jäger-Stählin-Kreis – in Tutzing am 08. März 2014 gehalten wurde. Für den Aufsatz wurde an mehreren Stellen zurückgegriffen auf Myriam Wijlens, Sharing the Eucharist. A Theological Evaluation of the Post Conciliar Legislation. With a Foreword by Johannes Cardinal Willebrands, Lanham, MD/New York/Oxford 2000 sowie auf Myriam Wijlens, Krankenseelsorge in konfessionsverbindenden Ehen. Eine ekklesiologisch-kirchenrechtliche Betrachtung, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger (Hrsg.), In mandatis meditari. Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (=KStuT 58), Berlin 2012, S. 781 – 799. 2 Canon Ian Ellis, Herausgeber der Gazette, einer Zeitschrift der Church of Ireland, sprach am 24. September 2013 im St. Patrick’s College, Maynooth, Irland, mit dem römisch-katholischen Erzbischof von Birmingham, Dr. Bernhard Longley. Das Interview, Nr. 46 ist zu hören auf: http://www.coigazette.net/?page_id=1653 (Zugriff: 31. Juli 2014, 20:30 Uhr). Bemerkenswert war, dass das Interview am 1. August 2014 erneut in den Nachrichten von den Catholic World News vermeldet wurde: http://www.catholicculture.org/news/headlines/index.cfm?storyid=22200 (Zugriff: 02. August 2014, 09.45 Uhr). Longley betonte unlängst erneut, dass die Normen angewandt werden sollten: „These pastoral provisions deserve to be much better known and more effectively used. Local clergy should make baptized Christians aware that they may ask to receive Holy Communion (as well as Penance and Anointing of the Sick) in exceptional circumstances.“ [Bernhard Longley, Together yet apart, in: The Tablet 24. Januar 2015, S. 13.]
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ten und für sie zu beten, antwortete er, dass gerade der Schmerz des Nichtteilhabenkönnens und die bewusste Entscheidung auf den Empfang der Eucharistie zu verzichten Ansporn seien, weiter zusammen um die Einheit zu ringen. Er verwies dann aber auch auf das 1993 von der katholischen Kirche veröffentlichte Ökumenische Direktorium3, in dem es auf Grund vertiefter theologischer Einsichten zu einem Wandel von einer Unmöglichkeit zu einer beschränkten Möglichkeit zur Eucharistieteilhabe gekommen sei und zwar in besonderen Situationen. Er könne sich – und dies sagte er im Sinne einer persönlichen Einschätzung – als ein Ergebnis des ökumenischen Engagements ein vertieftes Verstehen der communio und eine vertiefte communio zwischen den Kirchen vorstellen. In dem Interview brachte er sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die derzeitigen Normen zur Teilhabe am Abendmahl unzureichend bekannt seien und Menschen somit der Zugang zu den Sakramenten nicht ausreichend gewährt werde, und fügte hinzu: „What the Lord permits, should not be denied to anybody who asks for it.“ (Was der Herr erlaubt, sollte niemandem verwehrt bleiben, der darum bittet.) In dem Interview verwies der Erzbischof ebenfalls auf das bereits 1998 von den Bischofskonferenzen von England und Wales, Schottland und Irland gemeinsam erlassene Dokument über die Teilnahme an der Eucharistie One Bread, One Body.4 In diesem Dokument, das im ersten Teil theologische Aspekte erläutert und im zweiten Teil Richtlinien zum Sakramentenempfang im ökumenischen Kontext anbietet, wird in dem letztgenannten Teil vor allem auf die Situationen von konfessionsverbindenden Ehepaaren und Familien eingegangen. Das Radiointerview erregte Aufsehen und führte zu zwei Reaktionen, welche in der in England erscheinenden internationalen katholischen Zeitschrift The Tablet veröffentlicht wurden.5 In einer ersten Reaktion berichtete Dom Henry Wansbrough OSW, Mönch in der Benediktinerabtei Ampleforth und ebenfalls Mitglied von ARCIC III, von der bewussten Entscheidung der beiden Vorsitzenden von ARCIC III aus dem Jahr 2011, welche beinhaltete, dass sie als Gruppe während ihrer geplanten jährlichen Sitzungen zwar an den jeweiligen Eucharistiefeiern teilnehmen, jedoch die Kommunion nicht empfangen würden, um so die fehlende Einheit zum Ausdruck zu bringen. Dom Wansbrough habe sich daraufhin entschieden, das Dokument One Bread, One Body erneut zu lesen und festgestellt, dass das Dokument zwar Richtlinien für den Kommunionempfang biete, weil es in der Tat Situationen 3
Pontificium Consilium ad Unitatem Christianorum Fovendam, Directoire pour l’application des principes et des normes sur l’oecuménisme, in: AAS 85 (1993), S. 1039 – 1119. Dt. Übersetzung: Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen des Ökumenismus. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (=VApSt 110), Bonn 1993. Im Text wird wie folgt auf das Dokument verwiesen: DirOec/1993 mit der entsprechenden Randnummer. 4 Catholic Bishops’ Conferences of England and Wales, Ireland and Scotland, One Bread, One Body. A Teaching Document on the Eucharist in the Life of the Church, and the Establishment of General Norms on Sacramental Sharing, London/Dublin 1998. 5 Henry Wansbrough, United we could stand, in: The Tablet 19. Oktober 2013, S. 6 – 7.
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gäbe, in denen die Freude der Einheit im christlichen Glauben zum Ausdruck kommen und in dieser Weise gefeiert werden solle – Wansbrough stimmte Longley sogar zu, dass es vermutlich weitere zu den im Dokument genannten Situationen gäbe, die anerkannt werden sollten –, betonte dann aber auch, dass das Dokument hervorhebe, dass die vollständige Teilnahme an der Eucharistie als Ausnahme zu sehen sei. Es sei wichtig, dass der Schmerz des Nichtvorhandenseins der Einheit umfassend erlebt und zum Ausdruck gebracht werde. Als zweiter reagierte der emeritierte Erzbischof von Southwark (England) und ehemalige Sekretär von ARCIC II, Kevin McDonald. Seine Reaktion ist auch deswegen von Interesse, da er von 1985 bis 1993 Mitarbeiter am Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und als solcher an der Abfassung des 1993 veröffentlichten Ökumenischen Direktoriums beteiligt war. Erzbischof McDonald unterstrich, dass viele Menschen wichtige Änderungen und Möglichkeiten zur Teilhabe an der Eucharistie nicht kennen würden. Auch er verwies auf das Ökumenische Direktorium und auf One Bread, One Body und betonte, dass die Erlaubnis für getaufte Nichtkatholiken, die Kommunion zu empfangen, zwar beschränkt sei und nur in Übereinstimmung mit dem Kirchenrecht erteilt werden dürfe, es aber sehr wichtig sei, dass es diese Bestimmungen bereits gäbe. Er hob hervor, dass diese existierten, um angewandt zu werden. Weiterhin seien der theologische und der kulturelle Kontext dieser Entwicklungen wichtig, die man nur vor dem Hintergrund einer communio-Theologie – der Theologie der koinonia – verstehen könne, welche, so betonte McDonald, im Zweiten Vatikanischen Konzil so zentral stünde. Ziel der Dialoge sei es, von einer derzeit unvollständigen communio zu einer ekklesialen communio zu gelangen, d. h. einer vollen communio des Glaubens und des sakramentalen Lebens. Entwicklungen in den Normen zur Teilhabe an den Sakramenten seien deswegen wesenseigen verbunden mit dem schwierigen, aber unvermeidlichen Fortschreiten zum Ziel, welches im Gehorsam gegenüber dem Herrn folge. Sowohl das Direktorium als auch One Bread, One Body gäben klare und objektive Gründe, die dort genannten Bestimmungen zu verbreiten und diese auch zu nutzen.6 In einem persönlichen Treffen mit dem Erzbischof im Frühjahr 2014 betonte dieser mir gegenüber erneut, dass die vom Recht vorgesehenen Möglichkeiten zu wenig bekannt seien und Menschen somit der Zugang zum Abendmahl in der katholischen Kirche auch in solchen Situationen verwehrt bleibe, in denen dies aus theologischer und rechtlicher Perspektive erlaubt sei. Die Geschehnisse in England hinterlassen den Eindruck, dass zu viele Gläubige und Seelsorger weiterhin davon ausgehen, dass der Zugang zum Abendmahl für getaufte Nichtkatholiken unerlaubt oder sogar verboten sei bzw. man könnte den Eindruck gewinnen, dass sie die Regelungen ungenügend kennen, weshalb die vorhandenen Bestimmungen somit in der Seelsorge unzureichend zum Tragen kommen. Dieser Eindruck entsteht zuweilen auch im deutschsprachigen Raum. Die vorliegen6 Der Beitrag von Erzbischof em. Kevin McDonald hat keinen Titel, sondern nur ein Zitat als Überschrift: „The important thing is the fact that provisions are there already – and are there to be used.“ Der Text ist farblich abgegrenzt gegenüber dem von Henry Wansbrough (Anm. 5) abgedruckt in: The Tablet 19. Oktober 2013, S. 7.
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de Studie hat deswegen als Gegenstand darzulegen, was innerhalb der katholischen Kirche derzeit möglich, ja erlaubt ist und welche Herausforderungen bestehen. Dabei soll es jedoch nicht um eine reine Darlegung des Rechtes gehen. Ziel ist es vielmehr aufzuzeigen, welcher Thematik sich ein ökumenischer Dialog widmen könnte, damit nicht nur das Ziel der Einheit näher kommt, sondern damit auch die Gläubigen auf dem Weg dahin erfahren dürfen, wie die wachsende Einheit in einer wachsenden Teilhabe an der Eucharistie zum Ausdruck kommen kann und darf. Es geht dabei vor allem um die Anwendung des Rechtes, nicht so sehr um die Interpretation einzelner Gesetze. Dies erfordert jedoch zuerst einige methodische Bemerkungen und eine Klärung einzelner theologischer Prämissen, bevor die Anwendung der geltenden Normen näher reflektiert werden kann. Da eine umfassende Studie weit über den Rahmen eines Aufsatzes hinausgeht7, ist in gewisser Weise etwas stakkatomäßig vorzugehen, wobei vor allem von Relevanz ist aufzuzeigen, was in der Problematik berücksichtigt werden muss.
I. Methodische Bemerkungen Aus methodischer Perspektive ist erstens festzuhalten, dass sich die Frage nach den kanonischen Normen in Bezug auf die Teilhabe an der Eucharistie aus einem ökumenischen Blickwinkel in der Regel nicht auf die reine Interpretation des Gesetzes beschränkt, sondern sich vielmehr auf die Anwendung des Rechtes bezieht. Interpretation und Anwendung sind aber nicht identisch. Während bei der Interpretation nur das Gesetz oder die Norm selbst in den Blick genommen wird, muss bei der Anwendung neben dem Recht als solchem auch der konkrete Sachverhalt formuliert und somit interpretiert werden. In der Anwendung ist es sozusagen der Sachverhalt, der die Frage an das Recht stellt und deswegen in den meisten Fällen auch den Blickwinkel bestimmt. Hinzu kommt, dass bei der Rechtsanwendung nicht nur bestimmte konkrete Gesetze interpretiert werden, sondern das ganze Recht mit allen dazugehörigen Institutionen wie Dispensen, Epikeia (Epikie), aequitas canonica (kanonische Billigkeit) usw. zum Tragen kommen muss. Werden diese Institutionen berücksichtigt, dann wird es in vielen Fällen aus gerechtem Grund zu einer differenzierten und manchmal auch anderen Balance zwischen den verschiedenen theologisch zu berücksichtigenden Aspekten, die sich hinter den einzelnen Gesetzen verbergen, kommen, als wenn nur das Gesetz als solches interpretiert wird. Ein Beispiel macht schnell klar, was hier zum Ausdruck gebracht werden soll. In der Interpretation werden die Gesetze, die den Zugang zur Eucharistie mit anderen Christen regeln, ausgelegt. Konkret geht es dann um die Interpretation von c. 844 CIC/1983 bzw. c. 671 CCEO. In der Anwendung jedoch wird z. B. die Frage gestellt, 7 Für eine Analyse der Normen zur Teilhabe an der Eucharistie und die ihr zugrunde liegenden theologischen Gedanken und Entwicklungen siehe auch Wijlens, Sharing the Eucharist (Anm. 1).
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ob und inwieweit Menschen, die in einer konfessionsverbindenden Ehe leben, das Sakrament der Eucharistie anlässlich kirchlicher Hochfeste sowie Feiern, die für das Ehepaar oder ihre Familie von Bedeutung sind – wie etwa die Eheschließung, die Erstkommunion eines (Enkel-)Kindes, die Beerdigung eines Ehegatten usw. –, empfangen dürfen. In der Beantwortung dieser Frage wird nicht nur c. 844 CIC/ 1983 bzw. c. 671 CCEO interpretiert werden müssen, sondern es wird ebenfalls notwendig sein, die Relevanz einerseits des Verständnisses der Ehe als eine Art Hauskirche und andererseits des gemeinsamen Empfangs der Eucharistie für die Unauflöslichkeit und eheliche Treue der konkreten Ehe und ihres Familienlebens in die Entscheidung mit einzubeziehen.8 Die Ebene der Anwendung wird dabei noch näher konkretisiert, wenn es um ein reales Ehepaar bei einem bestimmten Anlass geht, da dann der Fall in seiner Einmaligkeit dargelegt und betrachtet werden muss.9 Ein zweiter zu berücksichtigender methodischer Aspekt betrifft die theologischen Prämissen hinter dem Sachverhalt, in dem das Gesetz angewandt werden muss. Es stellt sich die Frage, welche theologischen Perspektiven bereits in der Beschreibung des Sachverhaltes bzw. in der Fragestellung implizit zum Ausdruck gebracht werden und deswegen schon zu einer bestimmten Antwort führen. Die Relevanz, sich dessen bewusst zu sein, wurde mir persönlich eindringlich deutlich, als einige Personen die Legitimität des Spendens der Kommunion an Frère Roger Schutz von Taizé innerhalb der Beerdigungsfeier für Papst Johannes Paul II. in Frage stellten. Sie wollten wissen, ob Frère Roger katholisch geworden sei oder nicht: War er konvertiert oder nicht? Theologisch betrachtet darf diese Frage nach dem II. Vatikanum so nicht mehr gestellt werden, weil diese Formulierung nicht der konziliaren Ekklesiologie entspricht. Aufgrund des Konzils wird nicht mehr über Konversion oder Katholiken und Nicht-Katholiken – im Sinne eines alles oder nichts – geredet. Vielmehr hat das Konzil herausgestellt, dass durch die Taufe jeder zur Kirche Christi gehört und somit auch derjenige, der nicht in der katholischen Kirche getauft wurde, mit ihr in Gemeinschaft, wenn auch nicht in voller Gemeinschaft, verbunden ist. Um dies sprachlich zum Ausdruck zu bringen, hat das Konzil bewusst auf den Begriff „Mitglied“ (membrum) verzichtet und deswegen den Begriff „Zugehörigkeit“ (plene incorporare – LG 14 und coniungere – LG 15) benutzt.10 Statt also die 8 Von besonderer Relevanz sind die konfessionsverbindenden Ehen, in denen beide Partner ihre konfessionelle Zugehörigkeit beibehalten, es ihnen aber gleichzeitig wichtig ist, am Leben, dem Gottesdienst und der Spiritualität der Kirche ihres Partners so viel wie möglich teilzunehmen. 9 So z. B. bei der Beerdigung des Partners/der Partnerin. Vgl. dazu Wijlens, Krankenseelsorge (Anm. 1), S. 781 – 799. 10 Bereits in Bezug auf den Entwurf zur Kirchenkonstitution aus der vorkonziliaren Phase hatte Kardinal Augustin Bea darum gebeten, den Begriff „membrum“ nicht mehr zu verwenden, da nach der Enzyklika „Mystici corporis Christi“ [in: AAS 35 (1943), S. 193 – 248.] von Papst Pius XII. die Mitgliedschaft nicht mehr einheitlich diskutiert wurde. In der Diskussion spielte auch die Frage nach der Deckungsgleichheit zwischen der katholischen Kirche und der Kirche als mystischem Leib eine Rolle. Bea schlug deswegen vor, dass nur diejenigen, die umfassend der katholischen Kirche angehören, als „Mitglied“ bezeichnet werden. Es gäbe
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Frage zu stellen, ob man einem Nichtkatholiken die Kommunion spenden darf oder verweigern muss oder kann, sollte im Lichte des II. Vatikanums die Frage so formuliert werden: Darf man jemandem, der durch die Taufe zur Kirche Christi gehört und deswegen in einer wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche steht, die Kommunion spenden bzw. ihm diese verweigern? Die Fragestellung zeigt bereits auf, dass es wichtig ist, die theologischen Prämissen der Frageformulierung zu bedenken. Man könnte – ja müsste sogar – die Fragestellung noch weiter unter die Lupe nehmen, indem nämlich nachgegangen würde, ob theologisch betrachtet die Perspektive des Verweigerns oder die des Spendendürfens korrekter ist. Diese Erörterung bleibt noch auf einer gewissen abstrakten Ebene, denn im konkreten Fall ging es um Frère Roger Schutz und um ein einmaliges Geschehen, das in keinster Weise wiederholt werden kann, nämlich das Requiem für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. Zu beachten war da zusätzlich vor allem, dass Frère Roger Schutz zu einem früheren Zeitpunkt öffentlich (!) erklärt hatte, den Glauben der katholischen Kirche hinsichtlich der Sakramente zu teilen. Somit müsste die Fragestellung noch einmal näher präzisiert werden: Darf oder kann ein Spender jemandem die Kommunion spenden/verweigern, der mit der katholischen Kirche aufgrund seiner Taufe in Gemeinschaft steht – wenn auch nicht in voller Gemeinschaft –, den Glauben der katholischen Kirche hinsichtlich des Sakramentes teilt und bei einem Requiem einer ihm persönlich wichtigen Person, welches aus der Natur der Sache nicht wiederholt werden kann, von sich aus darum bittet? Diese Formulierung der Frage führt fast automatisch zu einer anderen Antwort als die eingangs formulierte Version. Es zeigt sich also, dass der Formulierung des Sachverhalts in der Anwendung des Rechtes eine nicht zu unterschätzende Bedeutung beizumessen ist, weil sie theologische Prämissen enthält, die auf die Anwendung einen wesentlichen Einfluss haben können. Eine dritte methodische Bemerkung betrifft die Hermeneutik von Konzils- und Gesetzestexten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Kirchenrecht. Die derzeitigen kanonischen Normen können nur vor dem Hintergrund der Lehre des II. Vatikanums verstanden werden. Von außerordentlicher Relevanz für die Teilnahme an der Eucharistie ist die mit dem Konzil geänderte Sicht auf die Ekklesiologie, welche vor allem Folgen hat für das Verständnis der Beziehung der Kirche Christi zu der katholischen Kirche einerseits und zu den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften andererseits sowie der Verhältnisse der verschiedenen sichtbaren Kirchen und Gemeinschaften untereinander. Weiterhin ist für die Frage nach der Teilnahme an der Eucharistie die vom Konzil dargelegte Lehre über die Sakramente und die mit ihr veränderte Sichtweise auf die Teilnahme an der Liturgie mitzubedenaber auch Elemente der sichtbaren Mitgliedschaft, welche nicht exklusiv den Katholiken vorbehalten seien. Vgl. Acta et Documenta concilio oecumenico Vaticano II apparando, Vatikan 1960 – 1988, Series 2, vol. II, pars III, S. 998; Gerard Philips, L’Église et son mystère au IIe concile du Vatican. Histoire, texte et commentaire de la Constitution lumen gentium, Bd. 1, Paris 1967, S. 24; Gustave Thils, L’Église de les Églises. Perspectives nouvelles en œcuménisme, Paris 1967, S. 131.
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ken. Methodisch ist deswegen vor allem das zu berücksichtigen, was das Konzil in diesen Punkten gelehrt und auch gegenüber der vorkonziliaren Theologie anders gesehen und zum Ausdruck gebracht hat. Deswegen wird es erforderlich sein, auf das Konzil zurückzugreifen bzw. das Recht und den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Konzils zu interpretieren. Was allerdings fünfzig Jahre nach Konzilsende mit „Konzil“ gemeint ist, ist vor dem Hintergrund der sich kontinuierlich weiterentwickelnden Ergebnisse der Konzilsforschung nicht mehr so einfach festzustellen. Klar ist auf jeden Fall, dass ein einfaches Zitieren von Konzilstexten ohne Berücksichtigung und Kenntnisnahme der Ergebnisse der Konzilsforschung nicht mehr ausreicht. Gefragt ist, die Hintergründe der Konzilsdokumente zur Kenntnis zu nehmen, d. h. vor allem darum zu wissen, warum bestimmte Äußerungen aufgenommen, hinzugefügt oder auch bewusst weggelassen wurden. Die Forschung hat z. B. ergeben, dass bei ökumenischen Themen das Dekret über die Ökumene Unitatis redintegratio als Linse für die Interpretation der Kirchenkonstitution Lumen gentium zu sehen ist.11 Es ist vor allem die Entwicklungsgeschichte dieser beiden Dokumente, die zu dieser Sichtweise führt: Im Konzil wurden neue Gedanken bezüglich ökumenischer Themen in der Regel zuerst in den Entwürfen für das Ökumenismusdekret vorgetragen. Anschließend fanden sie in der darauffolgenden Konzilssitzung Eingang in die Kirchenkonstitution. Die Entstehungsgeschichte des Begriffes „subsistit in“ in Lumen gentium 8 zeigt dies sehr klar: Nachdem in den Entwürfen und Debatten über das Ökumenismusdekret bereits bestätigt worden war, dass die getauften Christen in Gemeinschaften leben, welche als Kirchen oder kirchliche Gemeinschaften zu bezeichnen sind, gerade weil auch diese Gnade vermitteln, konnte man in der Konsequenz den Ausdruck „ecclesia Christi est ecclesia catholica“ in dem Entwurf für die Kirchenkonstitution nicht mehr stehen lassen. Deswegen wurde das „subsistit in“ in Lumen gentium eingeführt.12 Bei der Interpretation des Konzils sind solche Genesen zu berücksichtigen, da man der Intention des Konzils nur so auf die Spur kommen kann. Das ist vor allem im Bereich der Ökumene wichtig, da die Dialoge zwischen den Kirchen wie auch die Entwicklungen in der Welt zu Fragestellungen führen, die zum Zeitpunkt des Konzils noch gar nicht vorlagen.13 11 Siehe für eine ausführliche Begründung Myriam Wijlens, Zur Verhältnisbestimmung von Konzil und nachkonziliarer Rechtsordnung. Eine theologisch-kanonistische Reflexion, in: Peter Hünermann (Hrsg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 331 – 339. 12 Das impliziert, dass es nicht ausreicht nur die Textgeschichte von Lumen gentium zu studieren. Methodisch betrachtet ist es wichtig den Gedankenprozess der Konzilsväter zu allen Dokumenten, die in einer Konzilssitzung diskutiert wurden, zu verfolgen. Dieses Anliegen wurde verfolgt in Wijlens, Sharing the Eucharist (Anm. 1). 13 In der Kanonistik findet die Forschung zum Thema Konzilshermeneutik und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für das Kirchenrecht in ihrer Konsequenz bis dato noch wenig Berücksichtigung. Standard-Handbücher und -Kommentare zu den Gesetzesbüchern gehen kaum auf die Konzilsforschung ein. Zu der Problematik der Hermeneutik des Konzils siehe Myriam Wijlens, Die Verbindlichkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine
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Diese Entwicklungen berühren deswegen auch einen vierten methodisch relevanten Punkt, der sich aus der Konzilsforschung ergeben hat: Das Konzil darf nicht als eine statische Größe betrachtet werden. Gerade in Bereichen, die das hier zu behandelnde Thema berühren, wurde bewusst vieles nicht festgelegt, ja sogar absichtlich der nachkonziliaren Forschung überlassen. So wurde auf den explizit gestellten Antrag zu definieren, was eine Kirche oder kirchliche Gemeinschaft sei, geantwortet, dass dies vom Konzil nicht festgesetzt und somit der nachkonziliaren Kirche überlassen werde.14 Auch der Vorschlag eine Liste der Gemeinschaften zu erstellen, welche als Kirche oder kirchliche Gemeinschaft anzusehen seien, wurde abgewiesen (vgl. UR 19). Eine Klärung dieser und vieler anderer offen formulierter Konzepte wurde vom Konzil bewusst der postkonziliaren Kirche und der Theologie anvertraut. Darauf hat Karl Rahner bereits 1966 hingewiesen, indem er schrieb: „Das Konzil hat viele Fragen bewußt offen gelassen, sie als solche erst deutlich gemacht oder als weiterer theologischer Arbeit bedürftig ausdrücklich anerkannt“15. Der amerikanische Kanonist Ladislas Örsy hat solche Begriffe als „seminal locutions“ bezeichnet: Dies seien Ausdrücke oder Konzepte, deren Bedeutung sich noch entfalten müsse.16 Methodisch stellt sich in Bezug auf das Recht aus zwei Perspektiven die Frage, wie damit umzugehen ist: In Anbetracht dessen, dass diese theologisch nicht festgelegten Begriffe in die Gesetzestexte aufgenommen wurden – z. B. „subsistit in“ in c. 204 § 1 CIC/1983 sowie „Kirche“ und „(kirchliche) Gemeinschaft“ in c. 844 CIC/1983 –, stellt sich die Frage, wer ihre Bedeutung klären soll. Es wäre m. E. methodisch falsch, wenn aus dem Gesetzestext heraus die Bedeutung oder Begriffsbestimmung vorgenommen werden würde, da dann das Recht die Theologie bestimmen würde und nicht die Theologie das Recht. Vielmehr muss auf die Ergebnisse der kirchenrechtliche Betrachtung, in: Christoph Böttigheimer (Hrsg.), Zweites Vatikanisches Konzil. Programmatik – Rezeption – Vision (= QD 261), Freiburg/Basel/Wien 2014, S. 37 – 62. 14 „Loquentes in titulo de Ecclesiis et de Communitatibus ecclesialibus omnes comprehendere volumus qui nomine Christiano decorantur. Minime tamen in quaestionem disputatam intramus, quaenam requirantur, ut aliqua Communitas christiana theologice Ecclesia vocari possit.“ [Acta synodalia sacrosancti concilii oecumenici Vaticani secundi. Vatican 1970 – 1978 III/IV, S. 14. Im Folgenden mit AS und der entsprechenden Seitenzahl angegeben.] Es wurde der Antrag gestellt, das Wort „Ecclesia“ für die Gemeinschaften im Westen zu streichen, da es nur eine katholische Kirche gäbe. Die Antwort lautete, dass das Konzil nicht festlegen wolle, welche Gemeinschaften Kirche im theologischen Sinne sind. „Duplex expressio, Ecclesiae et Communitates Ecclesiales seu seiunctae‘ a concilio approbata legitime omnino adhibentur. Una quidem est Ecclesia universalis, plures vero Ecclesiae locales et particulares. Sollemne est in Traditione catholica Communitates Orientales seiunctas vocare Ecclesias – locales sive particulares utique – et quidem sensu proprio. Concilii non est investigare et determinare, quaenam inter alias Communitates vocandae sint Ecclesiae sensu theologico.“ [AS III/VII, S. 35.] 15 Karl Rahner, Die Herausforderung der Theologie durch das Zweite Vatikanische Konzil, in: Ders., Sämtliche Werke Bd. 21/2: Das Zweite Vatikanum. Beiträge zum Konzil und seiner Interpretation. Hrsg. v. d. Karl-Rahner-Stiftung, Freiburg/Basel/Wien 2013, S. 826 – 849, hier S. 827 – 828. (Betonung im Original) 16 Vgl. Ladislas Örsy, The Church. Learning and Teaching, Wilmington 1987, S. 85 – 86.
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theologischen Forschung unter Berücksichtigung postkonziliarer lehramtlicher Aussagen zurückgegriffen werden. In der Konsequenz stößt man dann aber auch auf ein zweites Problemfeld, nämlich den in Betracht zu ziehenden Zeitraum der Entwicklungen in der Theologie. Aus der Tatsache, dass der Codex am 27. November 1983, d. h. vor mehr als 30 Jahren, in Kraft getreten ist, ergibt sich die Frage, wie die postkodikarischen theologischen und lehramtlichen Entwicklungen, d. h. solche, die nach 1983 veröffentlicht wurden, in der Interpretation und Anwendung des Rechtes zu berücksichtigen sind. Dass diese Entwicklungen einzubeziehen sind, kann m. E. nicht wirklich in Frage gestellt werden. Die richtige, aber gleichsam schwieriger zu beantwortende Frage lautet, mit welchem Gewicht welche Aussagen berücksichtigt werden müssen.17 Zu diesem Bereich gehören aber auch die Ergebnisse der Dialoge zwischen den Kirchen: nicht nur sollten sie Gesetzesänderungen nach sich ziehen, sondern ebenso bereits in der Interpretation und Anwendung des Rechtes Früchte tragen können. Dies auch, damit die Dialogergebnisse am Ende des Tages nicht nur Dokumente auf Papier bleiben, sondern das Leben nachhaltig beeinflussen und so im kirchlichen Leben umgehend rezipiert werden. Die erforderliche Klärung der schwierigen hermeneutischen Fragen, die sich wegen der Konzilsforschung, der postkonziliaren Dokumente und der Dialogergebnisse auftun, werden Kanonisten allein nicht meistern können. Es wird auf eine Kooperation der verschiedenen theologischen Disziplinen ankommen, wobei aber Kanonisten wegen ihrer spezifischen Fragestellungen auch nicht fehlen dürfen. Die in der hiesigen Studie gebotenen Reflexionen sind deswegen als eine Einladung an die systematischen Theologinnen und Theologen zu verstehen, gemeinsam über die Herausforderungen, die sich auch aus rechtlicher Perspektive ergeben, nachzudenken. Hinsichtlich der klassischen Regeln der Interpretation von Gesetzestexten gilt zudem zu beachten, was im Laufe der Gesetzgebung entschieden wurde: Was wurde betont, was wurde weggelassen und mit welcher Begründung geschah dies? Methodisch ist es deswegen erforderlich, bei der vorkonziliaren Situation zu beginnen, um so die Reform im Konzil umfänglich zum Tragen kommen zu lassen.
II. Die vorkonziliare Theologie und Gesetzgebung In einem Aufsatz aus dem Jahre 1965 schrieb der am Pontificio Instituto Orientale in Rom lehrende Wilhelm de Vries, dass die Geschichte zeige, dass communicatio in 17
Kanonisten würden sich hier mit der Frage nach der Bedeutung der mens legislatoris beschäftigen müssen: Ist dieser als ex tunc oder ex nunc zu verstehen? Bereits Winfried Schulz hat argumentiert, dass dieser ex nunc zu erfolgen hat: „Der Geist eines kanonischen Gesetzes erschliesst sich nicht immer und notwendigerweise als Geist der Gesetzgebung von damals, sondern er erfährt seine aktuelle Interpretation im Lichte des Verständnishorizontes der Kirche von heute.“ [Winfried Schulz, Der ,Geist des Konzils‘ als Interpretationsmaxime der kanonischen Rechtsordnung? Zur Auslegung der kodikarischen Interpretationsregeln, in: Apollinaris 55 (1982), S. 449 – 460, hier S. 459.]
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sacris unmittelbar nach einer Kirchentrennung immer absolut verboten wurde, es aber im Laufe der Zeit dann doch zu Lockerungen kam.18 Eine solche Praxis lässt sich auch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erkennen, die wie folgt begründet wurde: Die vorkonziliare Ekklesiologie und das damalige Recht bestätigten, dass Menschen durch die Taufe der Kirche Christi eingegliedert und sie deswegen zu einer Person in der Kirche mit Rechten und Pflichten wurden. Ihre Rechte konnten sie allerdings nicht ausüben, wenn eine Sperre (obex) vorlag. Da die Kirche Christi ausschließlich mit der katholischen Kirche identifiziert wurde, hatten getaufte Nichtkatholiken Pflichten in der katholischen Kirche, waren aber in der Ausübung ihrer Rechte eingeschränkt. Obwohl einerseits als Häretiker und Schismatiker betrachtet, wurden sie dennoch als Menschen gesehen, denen für diese Situation keine persönliche Schuld angerechnet werden konnte. Sie irrten sozusagen in gutem Glauben. Das Gesetzbuch von 1917 bestätigt, dass Laien das Recht haben von den Klerikern gemäß den Regeln der kirchlichen Disziplin geistliche Güter zu empfangen, insbesondere die für das Heil erforderlichen Mittel (c. 682 CIC/1917).19 Das Empfangen der Sakramente fällt unter diese Norm. Dennoch hält der Codex fest, dass die Sakramente mit Sorgfalt und Achtung zu spenden sind, da sie Heiligungs- und Heilsmittel sind (c. 731 § 1 CIC/1917). Vor dem Hintergrund der damaligen Ekklesiologie bestimmt das Gesetz, dass es „verboten ist (vetitum est), die Sakramente Häretikern und Schismatikern zu spenden, auch wenn sie im guten Glauben irren und um sie bitten, es sei denn, sie haben, ihre Irrtümer ablehnend, sich mit der Kirche versöhnt“ (c. 731 § 2 CIC/1917).20 Das Gesetz richtet sich an die Spender, nicht an den Empfänger und stellt klar, dass zwei Aspekte zu berücksichtigen sind: Sakramente sind Heilsmittel und die Kirche hat sie mit Sorgfalt zu spenden. Die hier aufgezeigte Spannung wird noch einmal in zwei weiteren Bestimmungen ersichtlich: Erstens wird geregelt, dass Getaufte, denen es vom Gesetz her nicht verboten ist, zur Kommunion zugelassen werden können und müssen (c. 853 CIC/1917).21 Zweitens wird gleichzeitig einem Spender eine Strafe angedroht, wenn die Sakramente Personen gespendet werden, denen es gemäß göttlichem oder kirchlichem Recht verboten ist, diese zu empfangen (c. 2364 CIC/1917).22 18 Vgl. Wilhelm de Vries, Communicatio in sacris. Gottesdienstliche Gemeinschaft mit den von Rom getrennten Ostchristen im Licht der Geschichte, in: Concilium 1 (1965), S. 271 – 281. 19 C. 682 CIC/1917: „Laici ius habent recipiendi a clero, ad normam ecclesiasticae disciplinae, spiritualia bona et potissimum adiumenta ad salutem necessaria.“ 20 C. 731 § 1 CIC/1917: „Cum omnia sacramenta Novae Legis, a Christo Domino nostro instituta, sint praecipua sanctificationis et salutis media, summa in iis opportune riteque administrandis ac suscipiendis diligentia et reverentia adhibenda est. § 2: Vetitum est sacramenta Ecclesiae ministrare haereticis aut schismaticis, etiam bona fide errantibus eaque petentibus, nisi prius, erroribus reiectis, Ecclesiae reconciliati fuerint.“ 21 C. 853 CIC/1917: „Quilibet baptizatus qui iure non prohibetur, admitti potest et debet ad sacram communionem.“ 22 C. 2364 CIC/1917: „Minister qui ausus fuerit sacramenta administrare illis qui iure sive divino sive ecclesiastico eadem recipere prohibentur, suspendatur ab administrandis sacra-
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Im Ergebnis bedeutet dies, dass es nach dem damaligen Recht verboten war, die Sakramente an – in heutiger Sprache formuliert – getaufte Nichtkatholiken zu spenden. Das Gesetz legte aber nicht fest, dass die Sakramente ungültig gespendet wurden. Dies ist nicht unwichtig, da die Kirche sich in der Seelsorge mit Fragen konfrontiert sah, die zur weiteren Entwicklung der Gesetzgebung beitrugen, denn es kam zu Ausnahmen von den gerade genannten Regelungen. Das Hl. Offizium – dessen Nachfolger die heutige Glaubenskongregation ist – antwortete zwischen 1864 und 1941 auf vier ihm vorgelegte Fragen, in denen es auf Grund der Herkunft der Fragen vermutlich nur um Schismatiker ging, die im guten Glauben irrten und sich in Todesgefahr befanden.23 Gefragt wurde, wie der katholische Seelsorger handeln soll in Anbetracht der Tatsache, dass die Sakramente heilsnotwendig sind. Sei eine Ablehnung der Irrtümer immer erforderlich? Drei der vier Antworten betrafen die Sakramente der Buße und der Letzten Ölung.24 In der vierten Antwort wurde allgemein von Sakramenten gesprochen. Zusammenfassend ergaben die Antworten folgendes: In Todesgefahr durften die Sakramente gespendet werden, da sie für das ewige Heil erforderlich waren. Der Spender sollte jedoch irgendwie ein Indiz haben, aufgrund dessen er präsumieren konnte, dass die Irrtümer abgelehnt wurden und eine Versöhnung mit der Kirche vorhanden war. Wenn der Empfänger bereits bewusstlos war, sollte man das Sakrament sub conditione spenden. Der Spender hatte darauf zu achten, dass es keinen Skandal gab. Bemerkenswert ist die Diskussion in den moraltheologischen und kirchenrechtlichen Kommentaren zu der Frage nach der erforderlichen Intention bzw. dem katholischen Glauben des Empfängers in Bezug auf die Sakramente. Die Antwort lautete, dass es ausreiche die Intention zu haben das zu tun, was Christus für das Heil vermentis per tempus prudenti ordinarii arbitrio definiendum aliisque poenis pro gravitate culpae puniatur, firmis peculiaribus poenis in aliqua huius generis delicta iure statutis.“ 23 Die erste Antwort ist datiert auf 13. Januar 1864 [Fontes IV, Nr. 975.], die zweite auf 20. Juli 1898 [Fontes IV, Nr. 1203.], die dritte ist eine Entgegnung an den Bischof von Linz (Österreich) und datiert auf den 17. Mai 1916 [abgedruckt in: ThPQ 79 (1926), S. 41 – 42.] und die vierte enthält das Datum 15. November 1941 [abgedruckt in: ME 67 (1942), S. 114 – 115.]. Die beiden letzten Schriften sind deswegen sogenannte private Antworten. In der Mitteilung von 1864 wird zwar von Häretikern und Schismatikern gesprochen, zu beachten ist aber, dass die Anfrage aus Jerusalem kommt. Handelte es sich also auch wirklich um Häretiker? Bemerkenswert ist, dass weder die Frage noch die Antwort das Ablegen eines Glaubensbekenntnisses erwähnen. Die 1898 formulierte Problemstellung betrifft eine materielle Schismatikerin und einen Missionar in einem orientalischen Teil der Welt. Der Fall aus dem Jahr 1916 handelt von einer materiellen Schismatikerin und die 1941 gestellte Frage kommt vom Apostolischen Visitator für die Ukrainer und betrifft orthodoxe Christen. Eine Analyse der Entwicklung der communicatio in sacris seit dem 17. Jahrhundert ist zu finden in: Francesco Coccopalmerio, La participazione degli acattolici al culto della Chiesa cattolica nella practica e nella dottrina della Santa Sede dall’inizio del secolo XVII ai nostri giorni. Uno studio teologico sull’essenza del diritto di prendere parte al culto cattolico. Pubblicazione del Pontificio Seminario Lombardo in Roma, Richerche di Scienze Teologiche. Vol. 5, Brescia 1969. 24 Das Konzil erarbeitete eine neue Sicht auf das Sakrament der Letzten Ölung und verweist deswegen mit dem Begriff „Krankensalbung“ auf die neue Perspektive. [Vgl. SC 73 und LG 11.]
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langte. Kommentare hierzu erläutern, dass Empfänger deswegen keine Intention im Hinblick auf das Sakrament als solches zu haben brauchten, sondern dass eine Bestrebung in Bezug auf das Heil im Allgemeinen ausreichte.25 Ein Autor fasst die Ansichten der Kommentare von Vermeersch-Creusen, Capello und Sabetti – alles hochrespektierte Kanonisten/Moraltheologen – zusammen: Ein Protestant könne zu diesen Sakramenten gar keine Intention haben, da die meisten von ihnen diese ja gar nicht anerkennen würden. So könne man noch nicht einmal mit Hilfe einer impliziten Intention argumentieren. Nicht ausgeschlossen wäre jedoch, dass sie die Sakramente empfangen möchten, wenn sie wüssten, dass es Sakramente seien, und wenn sie wüssten, dass Gott möchte, dass sie diese empfangen.26 Ein anderer Autor argumentiert, dass bei Gläubigen, die ein ordentliches Leben geführt haben und keine fanatischen Katholikenhasser – so die damalige Terminologie – waren, davon ausgegangen werden dürfe, dass sie nicht nur eine gültige Taufe, sondern auch eine Lossprechung der Sünden wünschten.27 Folgendermaßen wird ebenfalls argumentiert: Sollte sich ein gutgläubiger Schismatiker in Todesgefahr befinden und ein orthodoxer Spender nicht vorhanden sein, so soll der katholische Spender ihm das Sakrament zwar per se verweigern, es jedoch dann spenden, wenn die Verweigerung den guten Glauben des Sterbenden berühren würde. Epikeia, so die Autoren, gebiete das Sakrament zu spenden, vorausgesetzt es entstünde kein Scandalum.28 Die Kommentare vermitteln den Eindruck sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, ob und wie die katholische Kirche überhaupt begründen könnte, dass die Sakramente den sterbenden Protestanten zu verweigern seien, wenn die katholische Kirche doch gleichzeitig von sich sagt, allein über die erforderlichen Heilsmittel zu verfügen und der sterbende Nichtkatholik nun um diese erforderlichen Heilsmittel bittet. Deswegen wurde gefragt, wie der katholische Spender seiner Verantwortung für das Heil des ihm in diesem Moment anvertrauten Menschen gerecht wurde? Die Kommentare kamen zu folgendem Ergebnis: Weil Christus die Sakramente seiner Kirche, d. h. der katholischen Kirche, anvertraut hat, können nur Mitglieder die Sakramente empfangen. Da Christus jedoch die Sakramente zum Heil gestiftet hat und weil er sie der katholischen Kirche anvertraut hat, hat diese Kirche auch die Verpflichtung sie Menschen zu spenden, die sich in Not befinden. Den Kommentaren ist zu entnehmen, dass damals wirklich mit der Frage nach der Verantwortung der Kirche in Bezug auf das Heil der Menschen gekämpft worden ist. Festzuhalten ist 25 Vgl. James King, What can a Priest do for a Dying Protestant?, in: The [American] Ecclesiastical Review 67 (1922), S. 444 – 466, hier S. 447; vgl. ebenfalls John J. Danagher, Administration of the Sacraments to Heretics and Schismatics, in: The Jurist (1953), S. 357 – 381. 26 Vgl. Stanislaus Woywood, A Practical Commentary on the Code of Canon Law. Vol 1, verbessert und erweitert von Callistus Smith, New York 1948, S. 335 – 336. 27 Vgl. Dominicus M. Prümmer, Bedingte Sakramentenspendung an sterbende Akatholiken, in: ThPQ 82 (1929), S. 327 – 334. 28 Vgl. Eduardus F. Regatillo, Ius sacramentarium. Vol. 1, Santander 21949, Rnr. 23; Arthur Vermeersch/Joseph Creusen, Epitome iuris canonici. Vol. 2, Rom 51934, Rnr. 16.
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jedoch, dass es sich hier nicht um das Sakrament der Eucharistie handelte, sondern nur um die Sakramente der Buße und Letzten Ölung. Was die Teilnahme der Katholiken an nichtkatholischen Feiern betrifft, ist einfach festzuhalten, dass dies laut Gesetz verboten war (c. 1258 § 1 CIC/1917), da man meinte, dass eine solche Teilnahme ein Bekenntnis zum falschen Glauben, ja sogar eine Ablehnung des katholischen Glaubens, zum Ausdruck bringen könne.29 Allerdings gab es auch hier bereits Ausnahmen. Im Jahr 1753 verwies das Hl. Offizium auf ein Schreiben von Papst Benedikt XIV., der bestimmte, dass communicatio in sacris mit Häretikern und Schismatikern, die nicht exkommuniziert waren, stattfinden dürfte, wenn folgende Bedingungen vorlagen: (1) ernste Gründe, (2) eine Notwendigkeit, (3) die Häretiker und Schismatiker, von denen man die Sakramente erbitte, müssten gültig geweiht sein, (4) der katholische Ritus müsse verwendet werden, (5) die communicatio in sacris dürfe nicht zu einem Glaubensbekenntnis einer falschen Religion30 führen und (6) es dürfe zu keinem Skandal oder Ärger kommen. Im richtigen Leben, so das Hl. Offizium, würde das alles aber schwierig zu realisieren sein, weshalb man die communicatio in sacris als unerlaubt einstufte.31
29 In der englischsprachigen Welt hatte der 1947 veröffentlichte Kommentar von Timothy Lincoln Bouscaren und Adam C. Ellis einen großen Einfluss: Canon Law. A Text and Commentary, Milwaukee 1947. Bouscaren war Generalprokur der Jesuiten in Rom, Konsultor der Heiligen Kongregation Propaganda Fide und Konsultur der Heiligen Kongregation für die Ausführung und Interpretation des Konzils von Trient. Ellis war Professor emeritus und Konsultor in der Kongregation für das Ordensleben. 1942 hatte Bouscaren in der einflussreichen, von den Jesuiten in den USA herausgegebenen Zeitschrift Theological Studies argumentiert, dass das Naturrecht (!) eine Teilnahme an nichtkatholischen Gottesdiensten verbieten würde: „We have seen that if the services or prayers are distinctively non-Catholic such participation is already certainly forbidden by the natural law, whether accompanied by internal assent to the false worship or not. Thus far, then, the canon merely adds an ecclesiastical prohibition to one already contained in the law of nature.“ [Lincoln Bouscaren, Co-operation with Non-Catholics: Canonical Legislation, in: Theological Studies 3 (1942), 475 – 512, hier S. 478.] 30 Das Wort „Religion“ verrät, wie die Situation damals gesehen wurde. Heute würde man eher von „einer anderen Konfession“ sprechen. 31 Benedictus PP. XIV., De Synodo Diocesana, lib. V, cap. 5, zitiert vom Hl. Offizium, 10. Mai 1753 (Fontes IV, S. 83). Vgl. Bouscaren, Co-operation (Anm. 29), S. 486. In einer Instruktion aus dem Jahre 1729 hatte die Kongregation Propaganda Fide noch argumentiert, dass diese communicatio in sacris eine Gefahr für den Glauben sei sowie die Gefahr eines Skandals oder Gleichgültigkeit beinhalte. Das Verbot sei naturrechtlichen bzw. göttlichen Rechtes und keine Autorität könne davon dispensieren. [Vgl. Collectanea S. Congregationis de propaganda Fide seu Decreta instructiones rescripta pro apostolicis missionibus, vol. 1, Rom 21907, S. 99, Rnr. 311.] 1908 erhielt dennoch der Metropolit von Kiev-Halych und Primat der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche Andrew Sheptysky eine Dispens vom Verbot von Papst Pius X. Diese wurde jedoch nie veröffentlicht. [Vgl. Cyril Korolevsky, Metropolitan Andrew (1865 – 1944), translated and revised by Serge Keleher, L’viv 1993, S. 265.]
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1864 erklärte das Hl. Offizium, dass Katholiken bei Todesgefahr in einer schismatischen Kirche zur Beichte gehen dürften und die Absolution erhalten könnten, wenn der Spender den katholischen Ritus verwendete.32 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass am Vorabend des II. Vatikanischen Konzils communicatio in sacris im Grunde verboten war, es jedoch wegen des Seelenheils in Todesgefahr Ausnahmen gab. Zu den Ausnahmen kam es auch und vor allem, weil die katholische Kirche sich als die alleinige Institution verstand, welcher die Heilsmittel in vollem Umfang anvertraut worden waren und Menschen in Todesgefahr deswegen auf sie angewiesen waren. Diese Regelung änderte sich mit dem und aufgrund vor allem der ekklesiologischen Neuerkenntnissen des II. Vatikanums dahingehend, dass eine gewisse communicatio in sacris erlaubt, ja sogar empfohlen wurde, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt waren. Es änderte sich also die Perspektive. Eine Änderung, die bei der Interpretation und Anwendung berücksichtigt werden muss. Gleichzeitig wird aber auch ersichtlich werden, dass die derzeitigen Normen zum Teil noch den alten Gedanken und Verständnissen anhaften.
III. Vatikanum II In Bezug auf das Konzil werden im Folgenden Aspekte aufgelistet, die m. E. alle bei der Anwendung des Gesetzes zu berücksichtigen sind. Diese Aspekte müssen zusammen und insgesamt in Betracht gezogen und dürfen nicht getrennt voneinander oder isoliert behandelt werden. Da diese Studie den Umfang eines Aufsatzes hat, werden hier die verschiedenen Aspekte nur kurz erwähnt. Das Konzil entdeckt die Bedeutung der Taufe wieder verbunden mit der Einsicht, dass Menschen, die ohne eigenes Verschulden nicht katholisch sind, auch nicht als Häretiker und Schismatiker zu betrachten sind, sondern vielmehr als Brüder und Schwestern gesehen werden müssen, die getrennt von den Katholiken leben. Das Konzil wählt dafür letztendlich den Ausdruck „fratres seiuncti“ statt des Begriffes „fratres separati“ und zwar mit der Begründung, dass „separati“ eine absolute Trennung im Sinne einer Amputation implizieren würde, während „seiuncti“ eher zum Ausdruck bringen würde, dass es eine tiefe Schnittwunde gibt, das Körperteil jedoch mit dem ganzen Körper verbunden geblieben ist.33 Aufgrund dieser Einsicht lehnt das 32 Im Kommentar von Vermeersch-Creusen heißt es, dass das Sakrament unter der Bedingung gespendet werden darf, dass der Ritus der häretischen oder schismatischen Sekte (sic!) nicht verwendet wird. [Vgl. Vermeersch/Creusen, Epitome (Anm. 28), Rnr. 152, Anm. 2.] Vgl. auch Propaganda Fide, 17. Februar 1761 [Fontes VII, Nr. 4538.] und Heiliges Offizium, 30. Juni und 7. Juli 1864, ad 6 [Fontes IV, Nr. 978.]. 33 Es ist aus psycholinguistischer Sicht nicht unwichtig, dass im Latein und in den romanischen Sprachen zuerst das Wort „fratres“ verwendet wird und anschließend das Wort „seiuncti“. Wenn in der deutschen Sprache zuerst das Adjektiv „getrennt“ verwendet wird, dann besteht aus psycholinguistischer Sicht die Gefahr, dass die Trennung doch als wichtiger empfunden und wahrgenommen wird als das, was vereint. Das Konzil hat bewusst den Begriff
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Konzil die Bezeichnungen „Mitglieder“ und „Mitgliedschaft“ ab, da diese eher ein Alles-oder-nichts zum Ausdruck bringen. Stattdessen verwendet die Kirchenkonstitution die Begriffe „Zugehörigkeit“ (coniungere – LG 15) und „volles Eingliedern“ (plene incorporare – LG 14), denn diese können beide verschiedene Intensitäten der Zugehörigkeit zum Ausdruck bringen. Im Dekret über die Ökumene wird der Begriff „communio“ bzw. „communio plena“ (UR 3) verwendet. Entscheidend ist somit die Taufe, durch die man in die Kirche Christi aufgenommen wird. Die Einsicht, dass getrennte Brüder und Schwestern Gnadenmittel in und durch die Gemeinschaft, der sie angehören, erhalten, führt einerseits dazu, dass die katholische Kirche diese Gemeinschaften nicht mehr als Sekten betrachtet, sondern als Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, und andererseits zu der Erkenntnis, dass sie diese Gläubigen nicht mehr primär in ihrer individuellen Beziehung zur katholischen Kirche, sondern über ihre Zugehörigkeit zu ihrer Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft betrachten möchte und sollte. Dies impliziert, dass das ökumenische Anliegen sich vor allem auf die Beziehung mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften konzentriert. In der Praxis bedeutet dies dann aber, dass man nicht mehr von der Nichtkatholikin Mrs. Jones (fiktiver Name) spricht, sondern von der Anglikanerin Mrs. Jones. Die Person wird also in Beziehung zu ihrer eigenen Gemeinschaft und dann über diese zur katholischen Kirche gesehen. Das Ganze führt wiederum zu der Einsicht, dass Ökumene für die katholische Kirche bedeutet, sich nicht sosehr mit Individuen, sondern primär mit den Gemeinschaften, zu denen sie gehören, auseinanderzusetzen. Das Dekret über den Ökumenismus nimmt deswegen vor allem die Beziehung zwischen der katholischen Kirche und den getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in den Blick. Es wird dabei von Anfang an zwischen dem Osten und dem Westen unterschieden. Im Hinblick auf den Osten wird von Kirchen gesprochen. Im Rahmen des Konzils wird sogar darauf verwiesen, dass man nie aufgehört habe, die Orthodoxen Kirchen als Kirchen zu bezeichnen.34 Interessant ist die Diskussion, die auf dem Konzil in Bezug auf die Situation im Westen geführt wurde. Der zweite Teil des dritten Kapitels des Ökumenismusdekretes hat als Überschrift „Kirchen und kirchliche Gemeinschaften im Westen“. Zum Begriff „Kirche“ war es gekommen, weil man feststellte, dass es auch im Westen Kirchen gab – als Beispiel wurde die Altkatholische Kirche genannt.35 In Bezug auf die „seiuncti“ gewählt. Zu der Geschichte dazu siehe den Aufsatz von einem der „Verfasser“ des Ökumenismusdekretes George Tavard, Reassessing the Reformation, in: One in Christ 19 (1983), S. 360 – 361. 34 Bereits im ersten Entwurf für das Ökumenismusdekret, welcher dem Konzil in seiner zweiten Sitzung vorlag, sind zwanzig Referenzen zu Konzilien und Päpsten enthalten, um nachzuweisen, dass die katholische Kirche die getrennten Kirchen im Osten immer als Kirchen bezeichnet hat. [Vgl. AS II/IV, S. 417 – 418.] Im zweiten Entwurf werden noch vier weitere Verweise auf Papst Johannes XXIII. und Papst Paul VI. hinzugefügt. [Vgl. AS III/II, S. 303 – 304.] 35 Vgl. AS III/II, S. 335.
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kirchlichen Gemeinschaften wurde von Kardinal König eindringlich argumentiert, dass es sich hier jedoch nicht um irgendwelche Gemeinschaften handele, sondern um Gemeinschaften, in der die Angehörigen nicht nur christliche Wahrheiten und Gnade akzeptierten, sondern diese auch durch sie erhielten. Die Gemeinschaften seien deswegen als kirchlich zu bezeichnen.36 Wie oben bereits erwähnt, wurde bewusst darauf verzichtet festzulegen, wann eine christliche Gemeinschaft theologisch betrachtet als Kirche zu bezeichnen ist.37 Auf Wunsch mehrerer Konzilsväter hat sich das Ökumenismusdekret positiv über eine communicatio in sacris geäußert. Die neuen Einsichten vor allem im Bereich der Ekklesiologie führten zu der Frage, wie mit der Spannung zwischen der Eucharistie als Zeichen der sichtbaren Einheit einerseits und als Mittel der Gnade zur Einheit andererseits umgegangen werden sollte. Entscheidend wurde eine Passage in UR 8, welche lautet: „Man darf jedoch die Gemeinschaft bei der communicatio in sacris nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung (indiscretim) gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. Hier sind hauptsächlich zwei Prinzipien maßgebend. Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen.“ Der französische Theologe und Ordensmann George Tavard war der Verfasser dieses Absatzes im Ökumenismusdekret sowie der dazugehörenden Relatio, welche von Bischof Helmsing bei der Präsentation des Schemas in der dritten Sitzung des Konzils vorgetragen wurde.38 In der Relatio wird darauf hingewiesen, dass die beiden Prinzipien in einer dialektischen Beziehung zueinander stehen.39 Tavard erklärte, was mit Dialektik hier gemeint sei: Beide Aspekte – Zeichen der Einheit und Mittel der Gnade – können nicht voneinander getrennt werden, sondern müssen in einer kreativen Spannung miteinander zur Geltung kommen. „Indiscretim“ impliziert demnach ein objektiv nicht Trennbares und somit ein nicht Trennendes. Es bedeutet folglich, dass communicatio in sacris nach Abwägung beider Aspekte praktiziert werden soll. Letztendlich ist deswegen ein persönliches, subjektives Urteil erforderlich.40 Diese Urteilsfindung, so geht aus dem Dekret hervor, hat alle Umstände der Zeit, des Ortes und der Personen zu berücksichtigen (UR 8). 36
Vgl. AS II/V, S. 554. Siehe Anm. 14. 38 Vgl. George Tavard, Praying Together. Communicatio in sacris in the Decree on Ecumenism, in: Alberic Stacpoole (Hrsg.), Vatican II. By Those Who Were There, London 1986, S. 202 – 219. 39 Vgl. AS III/III, S. 328 – 329. 40 Tavard erklärt, „that the two aspects cannot be really isolated from each other. A dialectical relationship implies that each side relates intimately to the other in creative tension. This is the key to the adverb, indiscretim, which is used at the beginning of the passage. […] It refers to an objective non-separation and, by extension, to an ,inseparability‘. Accordingly, indiscretim does not mean that communicatio in sacris may be practised not indiscriminately but discriminately or with discretion; it means that the two aspects of communion (means for grace, and expression of unity) cannot be separated. Indiscretim means ,indiscretely‘ in the sense of ,indiscontinuously‘, rather than ,indiscreetly‘ in the sense of something needing to be 37
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Wie sieht die Umsetzung dieses allgemeinen Prinzips im Konzil selbst aus? Bereits in UR 15 wird festgehalten, dass die Orthodoxen die wahren Sakramente besitzen, vor allem aber das Priestertum und die Eucharistie. „So ist eine gewisse Gottesdienstgemeinschaft unter geeigneten Umständen mit Billigung der kirchlichen Autorität nicht nur möglich, sondern auch ratsam“ (suadetur – UR 15). Konkrete Normen erscheinen dann zwar im Dekret über die Ostkirchen (OE 26 – 29), aber diese stehen überhaupt nicht im Einklang mit dem, was in der Kirchenkonstitution und dem Ökumenismusdekret gesagt wird. Die Normen beginnen mit einer Auflistung, wann communicatio in sacris durch göttliches Recht (sic!) verboten sei. Liest man die Normen, so erhält man den Eindruck in einer anderen Welt zu sein. Archivforschung hat gezeigt, dass diese Normen auf der Basis der vorkonziliaren Regelungen und der oben genannten Ausnahmen erstellt wurden.41 Kardinal Johannes Willebrands, der zu Konzilszeiten Sekretär und später Präsident des Einheitsrates war, erklärte mir in einem Privatgespräch, dass man im Rahmen des Ökumenismusdekretes bewusst darauf verzichtet hatte, selbst Normen vorzuschlagen, da man sich nicht sicher gewesen sei, ob diese vom Konzil angenommen werden würden bzw. es sei klar gewesen, dass diejenigen, die an dem Ostkirchendekret gearbeitet hatten, theologisch nicht aus den gleichen Perspektiven arbeiten würden, wie die Personen im Einheitssekretariat.42 Man habe deswegen bereits während des Konzils begonnen ein Direktorium für die Ökumene zu erarbeiten, welches dann 1967 veröffentlicht wurde.43 In Bezug auf den Westen bestimmt das Ökumenismusdekret, dass die Taufe nur ein Anfang und Ausgangspunkt ist, sie aber auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus hinzielt. Daher ist die Taufe „hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, die völlige Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeindone ,with discrimination‘.“ Er fügt hinzu: „Indiscretim is not the equivalent of the word universally, which was used in the first redaction of the text.“ Der Einheitsrat hat verschiedene Begriffe in Erwägung gezogen: von universaliter zu indiscriminatim bis zu indiscretim. „I do not find the adverb indiscriminatim in the dictionaries. It is a made up word with the connotation of ,discrimination/non-discrimination‘, and it therefore refers to personal subjective judgement, as when one is advised to combat racial discrimination.“ [Tavard, Praying Together (Anm. 38), S. 214.] 41 Für die Beschreibung siehe Wijlens, Sharing the Eucharist (Anm. 1), S. 222 – 226. 42 Kardinal Willebrands vermittelte im Gespräch den Eindruck, dass Personen, die am Ökumenismusdekret beteiligt waren, im Konzil agierten, während die, die am Ostkirchendekret beteiligt waren, eher auf die im Konzil stattfindenden Entwicklungen reagierten. Archivforschung bestätigt diesen Eindruck, denn sie hat gezeigt, dass als Grundlage für OE 26 – 29 gutachterliche Stellungnahmen vorgelegt wurden, die im Grunde die Situation am Vorabend des Konzils wiedergaben. Vgl. Wijlens, Sharing the Eucharist (Anm. 1), S. 210 – 214. 43 Vgl. Secretariatus ad Christianorum Unitatem Fovendam, Directorium ad ea quae a Concilio Vaticano Secundo de re oecumenica promulgata sunt exsequenda, in: AAS 59 (1967), S. 574 – 592. Dt. Übersetzung: Sekretariat für die Einheit der Christen, Ökumenisches Direktorium. Richtlinien zur Durchführung der Konzilsbeschlüsse über die ökumenische Aufgabe. Mit Einführung von Jan Willebrands (= Konfessionskundliche Schriften des Johann-Adam-Möhler-Instituts 8), Paderborn 1967.
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schaft“ (UR 22). Entscheidend wird dann der folgenden Satz: „Obgleich bei den von uns getrennten kirchlichen Gemeinschaften die aus der Taufe hervorgehende volle Einheit mit uns fehlt und obgleich sie nach unserem Glauben [laut Relatio wurde dies hinzugefügt um es zu relativieren – Anm. MW] vor allem (praesertim) wegen des Fehlens (defectum) des Weihesakramentes die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit (substantia) des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, bekennen sie doch bei der Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung des Herren im Heiligen Abendmahl, dass hier die lebendige Gemeinschaft in Christus bezeichnet werde, und sie erwarten seine glorreiche Wiederkunft.“44 Im Konzil und in der nachkonziliaren Diskussion ging es um die Begriffe „praesertim“, „defectum ordinis“ und „substantia mysterii eucharistici“. Konkrete Normen wurden nicht erlassen, sondern es wurde auf einen erforderlichen Dialog verwiesen (UR 22). Bevor auf die Betrachtung der postkonziliaren Normen eingegangen werden kann, ist es wichtig noch einen weiteren theologischen Aspekt zu erwähnen, da er m. E. eine immense Auswirkung auf das spirituelle Bedürfnis hat, umfassend an der Eucharistie teilzunehmen. Mit dem Begriff „liturgische Erneuerung“ kann er zusammengefasst werden. Die Verbindung zwischen Taufe und Eucharistie führte im Konzil aufgrund der liturgischen Bewegung auch zu der Tendenz, die Eucharistiefeier selbst als eine Feier der Kirche als Gemeinschaft zu betonen. Damit verbunden ist die participatio actuosa, d. h. die aktive Teilhabe aller Gläubigen an der Feier der Eucharistie. Dieses Verständnis hat innerkatholisch zu einer neuen Wertschätzung des regelmäßigen Kommunionempfangs geführt. Hat man vor dem Konzil eher selten die Kommunion empfangen, kam es nach dem Konzil aufgrund der geänderten Theologie zu einer Situation, in der die Kommunion eher in Ausnahmefällen nicht empfangen wurde. Der Weg zu einem regelmäßigen Kommunionempfang hatte bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt, als z. B. das Alter der Erstkommunion heruntergesetzt worden war und die erforderliche Zeit der eucharistischen Nüchternheit unmittelbar vor dem Kommunionempfang zunehmend reduziert wurde. Diese und weitere Entscheidungen führten in der Konsequenz zu einem anderen Verständnis der Verbindung zwischen der Eucharistiefeier und dem Kommunionempfang – ein Verständnis, das bei der Frage nach Eucharistiegemeinschaft mit anderen Christen nicht außer Betracht gelassen werden darf und kann. Zutiefst hat sich deswegen aber auch das Verständnis der Beziehung zwischen Taufe und Eucharistie bzw. der Erfahrung, was die Eucharistie für das spirituelle Leben bedeutet, gewandelt.
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Unmittelbar vor der Abstimmung des Ökumenismusdekretes bestand Papst Paul VI. auf einige Änderungen, darunter, dass „realitas mysterii eucharistici“ geändert werden würde in „veritas mysterii eucharistici“. Ein Latinist erklärte, dass „realitas“ auch mit „substantia“ zum Ausdruck gebracht werden könnte. Willebands befürwortete „substantia“, da „veritas“ andere Konnotationen hatte. Der Papst bestand zwar auf „veritas“, aber Willebrands gab nicht nach. [Vgl. Pierre Duprey, Paul VI et le decret sur l’oecuménisme, in: Istitui Paolo Vi. (Hrgs.), Paolo VI et i problemi ecclesiologici al concilio. Colloquio internazionale di studio, Brescia 1986. Pubblicazione dell’Istituto Paolo VI. Vol. 7, Brescia 1989, S. 225 – 248, S. 243 – 245.]
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IV. Die postkonziliaren Normen In der nachkonziliaren Zeit galt es, die Einsichten des Konzils zu einer gelebten Realität werden zu lassen. Normen sollten der Gemeinschaft helfen, die konziliare Lehre zu fördern und sie zugleich aber auch zu schützen. Nach der Veröffentlichung des Ökumenischen Direktoriums im Jahr 1967 folgten in den darauffolgenden Jahren weitere Dokumente, die die Normen des Direktoriums näher erläuterten.45 Das derzeit gültige Recht befindet sich für die lateinische Kirche im Codex von 1983 (CIC) und für die Ostkirchen im Codex für die Orientalischen Kirchen (CCEO) aus dem Jahr 1990. Beide Gesetzbücher stimmen zum Thema „Teilhabe an der Eucharistie“ im Großen und Ganzen überein, weshalb wegen des Kontextes in Westeuropa an dieser Stelle vor allem auf den Codex von 1983 eingegangen wird. Für die Interpretation der Gesetze gilt es, das 1993 vom Päpstlichen Einheitsrat veröffentlichte Ökumenische Direktorium zu berücksichtigen.46 Neben dem Ökumenischen Direktorium wurden der Katechismus der katholischen Kirche (1992)47 sowie die Enzykliken „Ut unum sint“ (1995)48 und „Ecclesia de Eucharistia“ (2003)49 von Papst Johannes Paul II. veröffentlicht, welche ebenfalls auf die Normen bezüglich der Eucharistiegemeinschaft eingehen. Betrachtet man diese postkonziliaren Dokumente nicht sosehr chronologisch sondern vielmehr systematisch, so stellt sich vor allem die Frage, welche Anregungen sich daraus für den ökumenischen Dialog ergeben, damit die wachsende Einheit in entsprechender Weise in der Teilnahme der Eucharistie zum Tragen kommen kann. 45 Auf das Direktorium von 1967 folgten vom Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen drei Dokumente: Declaratio Dans ces derniers temps, in: AAS 62 (1970), S. 184 – 188; Instructio In quibus rerum circumstantiis, in: AAS 69 (1972), S. 518 – 525; Communicatio Dopo la pubblicazione, in: AAS 65 (1973), S. 616 – 619. 46 Obwohl Direktorien selbst keine Gesetzestexte beinhalten und somit auch kein bestehendes Gesetz außer Kraft setzen können, sind sie dennoch „amtliche Handreichungen für die seelsorgerliche Tätigkeit.“ [Klaus Mörsdorf, Kommentar zum Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche, in: Heinrich S. Brechter/Bernhard Häring/Josef Höfer u. a. (Hrsg.), Das Zweite Vatikanische Konzil II (= LThK2 13), Freiburg/Basel/Wien 1967, S. 148 – 247, hier S. 247.] 47 L’Église catholique, Catéchisme de l’Église catholique, Paris 1992. Dt. Übersetzung: Ecclesia Catholica, Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993. Im Text wird wie folgt auf das Dokument verwiesen: KKK mit der entsprechenden Randnummer. 48 Ioannes Paulus PP. II., Encyclica Ut unum sint, in: AAS 87 (1995), S. 921 – 982. Dt. Übersetzung: Johannes Paul II., Enzyklika UT UNUM SINT über den Einsatz für die Ökumene. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (=VApSt 121), Bonn 1995. Im Text wird wie folgt auf das Dokument verwiesen: UUS mit der entsprechenden Randnummer. 49 Ioannes Paulus PP. II., Encyclica Ecclesia de Eucharistia, in: AAS 95 (2003), S. 433 – 475. Dt. Übersetzung: Johannes Paul II., Enzyklika ECCLESIA DE EUCHARISTIA an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die gottgeweihten Personen und an alle Christgläubigen über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (=VApSt 121), Bonn 32003. Im Text wird wie folgt auf das Dokument verwiesen: EDE mit der entsprechenden Randnummer.
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Diese postkonziliaren Dokumente zeigen einerseits, wie die katholische Kirche über die Jahre hinweg bestrebt war und weiterhin ist, die komplexe konziliare Lehre auf der Handlungsebene zu rezipieren. Hinsichtlich der Veröffentlichung von Normen und Richtlinien ist ein kontinuierliches Ringen zu erkennen, das von folgenden Aspekten geprägt wird: Den postkonziliaren Normen ist zu entnehmen, dass es eine untrennbare Verbindung zwischen dem Mysterium der Kirche und dem Mysterium der Eucharistie bzw. zwischen ekklesialer und eucharistischer communio gibt. Die Eucharistie bezeichnet die Fülle des Glaubensbekenntnisses und der kirchlichen Gemeinschaft. Ist diese Fülle nicht vorhanden, ist eine gemeinsame Feier der Eucharistie – eine Konzelebration – nicht möglich bzw. nicht legitim, so die Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“50. Gleichzeitig gilt es aber dennoch, die bereits bestehende communio bei der Eucharistiefeier, vor allem wenn es um das spirituelle Wohl der Gläubigen als Individuen geht, zum Tragen kommen zu lassen. Im Gegensatz zur vorkonziliaren Zeit, in der ein getaufter Nichtkatholik als Individuum in Beziehung zur katholischen Kirche stehend betrachtet wurde, sieht die postkonziliare Gesetzgebung die Beziehung zwischen der katholischen Kirche und anderen Christen vor allem über die Zugehörigkeit zur Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft des Getauften. Die bestehende Einheit zwischen der katholischen Kirche und anderen Kirchen einerseits oder kirchlichen Gemeinschaften anderseits ist theologisch betrachtet jedoch nicht äquivalent: die communio zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen der Orthodoxie ist intensiver als die zwischen der katholischen Kirche und den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind. Auf der Handlungsebene ziehen diese Ansichten und Differenzen verschiedene Normen bezüglich der Eucharistiegemeinschaft für diejenigen, die zu einer Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft gehören, nach sich. Gemeinsam ist ihnen jedoch die grundsätzliche Erlaubnis, die Eucharistie zu empfangen. Aufgrund der noch fehlenden communio wird diese Erlaubnis mit Bedingungen versehen, die von der bereits vorhandenen bzw. noch fehlenden Einheit geprägt sind. Vom vorkonziliaren Verbot mit Ausnahmen kommt es deswegen in der nachkonziliaren Zeit zu einer Erlaubnis unter Bedingungen. Der Unterschied in den Normen bezüglich der Eucharistiegemeinschaft zeigt sich vor allem in der bereits bestehenden – wenn auch nicht vollständigen – Einheit hinsichtlich des Sakramentes, das erbeten wird. Deswegen führt die bereits vorhandene Einheit zwischen der katholischen Kirche und anderen Kirchen – nicht so jedoch für die kirchlichen Gemeinschaften – zu Normen, die den einzelnen Gläubigen vollständig über die Zugehörigkeit zu seiner/ihrer Kirche sehen. Die bestehende Übereinstimmung im Glauben zwischen den Kirchen wird entsprechend auf ihre Angehörigen angewandt. Der Glaube des Individuums muss nicht mehr nachgewiesen werden, er wird präsumiert. Ein katholischer Spender darf Getauften, die einer Kirche angehören, welche nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche steht, die Eu50
Vgl. EDE, Nr. 44.
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charistie spenden, wenn diese von sich aus um die Eucharistie bitten und richtig disponiert sind (c. 844 § 3 CIC/1983, c. 671 § 3 CCEO). Gerade die vorher genannte Präsumtion ist für den Dialog zwischen der katholischen Kirche und den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, von Bedeutung, weshalb auf sie zurückzukommen sein wird. Die bestehende communio mit den anderen Kirchen (vor allem der Orthodoxie) ist bereits so intensiv, dass aus Sicht der katholischen Kirche eine gewisse Reziprozität bei der Teilnahme an der Eucharistie möglich ist.51 Dies beinhaltet für Katholiken, dass sie die Eucharistie von einem Spender, der einer Kirche angehört, die zwar nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche steht, in der die Sakramente jedoch gültig gespendet werden, dann erbitten dürfen, wenn für sie ein wirklich geistliches Bedürfnis nach dem Sakrament besteht, der eigene Spender nicht angegangen werden kann und die Gefahr des Irrtums und Indifferentismus vermieden wird (c. 844 § 2 CIC/1983, c. 671 § 2 CCEO). Die bestehende, aber doch anders gelagerte communio zwischen der katholischen Kirche und den kirchlichen Gemeinschaften führte zu entsprechend anderen Normen. Wegen der nicht vorhandenen oder unzureichenden communio hinsichtlich der Eucharistie und des Weiheamtes gibt es für Katholiken keine Regelung, welche es ihnen erlaubt, einen Spender dieser (kirchlichen) Gemeinschaften um die Eucharistie zu bitten. Anders ist es für katholische Spender, wenn Gläubige dieser kirchlichen Gemeinschaften sie um die Eucharistie bitten. Hier werden zwei Anlässe und vier Bedingungen genannt52, deren Eintreten und Erfüllung seitens des Bittenden gefordert werden: Die Anlässe sind (1) „Todesgefahr“ oder (2) eine „andere schwere Notlage“ (c. 844 § 4 CIC/1983, c. 671 § 4 CCEO) bzw. eine „ernste und dringende Notwendigkeit“ (DirOec/1993 Nr. 130.); die vier Bedingungen sind: (1) von sich aus darum bitten, (2) die rechtmäßige Disposition, (3) keine Erreichbarkeit des Spenders der eigenen Gemeinschaft und (4) der Glaube an das Sakrament.53 Die Interpretation der Begriffe „schwere Notlage“ bzw. „ernste und dringende Notwendigkeit“ erweist sich jedoch nicht erst seit der Promulgation des CIC/1983 oder des Ökumenischen Direktoriums von 1993 als sehr schwierig. Bereits in den 1970er Jahren kam es zu Schwierigkeiten die Bedeutung zu erfassen. Die damals genannte „ernste spirituelle Not“ wird folgendermaßen erklärt: Die Not ist nicht nur 51 Die Reziprozität ist ein wichtiger Aspekt. Entscheidend sind die Lehre der Eucharistie, das Weiheamt sowie die apostolische Sukzession. Vgl. Secretariatus ad Christianorum unitatem fovendam, Communicatio (Anm. 45). 52 Vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, Empfang der Krankensalbung durch evangelische Christen in der katholischen Kirche? Eine Anfrage an c. 844 § 4 i.V.m. c. 213 CIC/1983, in: Peter Boekholt/Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Iustitia et Modestia. Festschrift für Hubert Socha zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, München 1998, S. 223 – 237. 53 Bemerkenswert ist, dass die genannten Bedingungen in den verschiedenen postkonziliaren Dokumenten immer wieder anders formuliert werden. Für eine Analyse der Dokumente und eine Tabelle, aus der die Differenzen und Übereinstimmungen zwischen den Dokumenten hervorgehen, siehe Wijlens, Sharing the Eucharist (Anm. 1), S. 257 – 271.
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eine Sache von persönlichem geistigen Wachsen, sondern es ist mit ihr gleichzeitig die Not verbunden, intensiver in die Kirche Christi hineinzuwachsen.54 Ein weiterer Aspekt betrifft die Situationen, in denen spirituelle Not auftreten könnte. Es wird betont, dass es sich hier um Sonderfälle (les cas particulières) handelt, die individuell beurteilt werden müssen und die nie zu einer Kategorie führen können, in denen spirituelle Not dann automatisch zu präsumieren sei. Obwohl angeregt wurde, dass Bischöfe Normen erlassen sollten, um die Situationen näher zu bestimmen (z. B. DirOec/1993, Nr. 130), ist festzustellen, dass viele Bischofskonferenzen und Diözesanbischöfe dies bis heute nicht getan haben.55 Wichtig ist, dass die Not bzw. die ernste und dringende Notwendigkeit vor allem kontextuell – auch im Sinne des Einzelfalles – betrachtet werden und zum Tragen kommen muss. Für die Partikularität des Einzelfalles ist es wiederum kaum möglich allgemeine Normen zu erlassen. Hier ist auch auf die Situation der konfessionsverbindenden Ehen zu verweisen: Auch wenn die konfessionsverbindende Ehe als solche nicht bereits eine „ernste und dringende Notwendigkeit“ nach sich ziehen kann, weswegen sie auch keine eigene Kategorie darstellt, erfordert die konfessionsverbindende Ehe und die dringende Notwendigkeit, die gerade wegen der Ehe entstehen kann – mit all dem, was sich theologisch dahinter verbirgt –, eine differenzierte Betrachtung.56 Der damalige Präsident des heutigen päpstlichen Einheitsrates Kardinal Johannes Willebrands hat bereits 1980 auf der Synode über die Familie gesagt, dass erstens den genannten vier Bedingungen nicht undifferenziert das gleiche Gewicht beigemessen werden dürfe und zweitens diese Bedingungen gerade vor dem Hintergrund einer Mischehe vielleicht noch einmal neu zu gewichten seien: die Einheit der Familie, die Unauflöslichkeit der Ehe und die Treue in der Ehe seien Aspekte, die wichtiger sein könnten als beispielsweise der Zugang zum Spender der eigenen Kirche.57 54 Vgl. Secretariatus ad Christianorum unitatem fovendam, Instructio (Anm. 45), Nr. 3. Übersetzung ins Deutsche durch Myriam Wijlens. Heinrich J. F. Reinhardt schreibt, dass „nichtkatholische Christen in dem Maße subsidiär in der katholischen Kirche ihr Recht auf Sakramentenempfang verwirklichen dürfen, wie sie in dem erbetenen Sakrament mit der Lehre der katholischen Lehre übereinstimmen […] Das heißt, dass je mehr Übereinstimmung gegeben ist, die Messlatte für die schwere Notlage entsprechend heruntergenommen werden muss.“ [Reinhardt, Empfang der Krankensalbung durch evangelische Christen in der katholischen Kirche? (Anm. 52), S. 228.] 55 Die Bischofskonferenzen von England und Wales, Schottland und Irland haben Normen erlassen in dem Dokument One Bread, One Body (Anm. 4). 56 Bereits 1980 wies der damalige Präsident des Einheitsrates Johannes Kardinal Willebrands auf der Bischofssynode über die Familie eindringlich darauf hin, dass für Mischehen die Erhaltung der Einheit und der Unauflöslichkeit der Ehe ein größeres Gut darstellen würden als einige Voraussetzungen für den Sakramentenempfang. Eine Festlegung, was eine „ernste und dringende Notwendigkeit“ ist, würde nicht nur den Ermessensspielraum für die Anwendung des Gesetzes einschränken, sondern auch eine Minderung der Gerechtigkeit riskieren. [Vgl. Johannes Willebrands, Mixed Marriages and their Family Life. Cardinal Willebrands’s address to the Synod of Bishops (October 1980), in: One in Christ 17 (1981), S. 78 – 81, hier S. 80.] 57 Vgl. ebd.
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Dies führt nun zu den einzelnen Bedingungen: Die Sakramente sollten nur dann gespendet werden, wenn jemand selbst darum bittet. Dies ist vor allem eine Bedingung, damit nicht der Vorwurf des Proselytismus entsteht. Als zweite Bedingung gilt die rechtmäßige Disposition zu haben. Als dritte ist erforderlich, dass der eigene Spender nicht erreichbar ist. Während im Ökumenischen Direktorium von 1967 das Kriterium der Erreichbarkeit des eigenen Spenders noch mit dem Zusatz „für eine gewisse Zeit“ versehen war, wurde dies weder in c. 844 § 4 CIC/1983 bzw. c. 671 § 4 CCEO noch in die anderen postkodikarischen Dokumente aufgenommen. Weiterhin ist zu bemerken, dass die Bedingung, dass der eigene Spender nicht erreichbar ist, im Katechismus der katholischen Kirche58 und in den päpstlichen Enzykliken „Ut unum sint“59 sowie „Ecclesia de Eucharistia“60 nicht mehr genannt wird. Ebenfalls ist darauf hinzuweisen, dass Kardinal Castillo Lara, der die Reform-Kommission für den Codex für die lateinische Kirche leitete und nachher Präsident der Päpstlichen Kommission für die Revision des Codex Iuris Canonici wurde, bereits während der Revision des Codex die Nichtverfügbarkeit des eigenen Spenders auch wegen dessen Unwürdigkeit oder wegen eines anderen Grundes gegeben sah. Die Änderungen in den Normen bezüglich der Erreichbarkeit des Spenders könnten ein Zeichen dafür sein, dass der Zusammenhang von Teilnahme an der Eucharistiefeier und Empfang der heiligen Kommunion als wichtiger angesehen wird als der Zugang zum Spender der eigenen Gemeinschaft. Schließlich gibt es die Bedingung bezüglich des gemeinsamen Glaubens. An dieser Stelle muss an die Diskussion, die Anfang des 20. Jahrhunderts in moralischen und kirchenrechtlichen Handbüchern geführt wurde, erinnert werden: da wurde geklärt, dass nicht mehr als ein allgemeiner Glaube (keine Kenntnisse) bezüglich des Sakramentes sowie die Intention, das zu tun, was Christus von den Gläubigen erwarten würde, gefordert werden dürfe. Nachdem es in den 1970er Jahren zu Fragen bezüglich des erforderlichen Inhaltes des Glaubens kam61, wurde dies in jüngster Zeit nicht mehr erörtert. In der Anwendung jedoch führt gerade diese Bedingung zu Schwierigkeiten, da nicht selten veraltete Kenntnisse verbunden mit Vorurteilen über den Inhalt des Glaubens der kirchlichen Gemeinschaft, zu der der Empfänger gehört, weiterhin sowohl bei Seelsorgern wie auch bei Gläubigen bestehen. Liegt hier nicht eine Aufgabe für den Dialog? 58 Vgl. KKK 1401: „Wenn Todesgefahr besteht oder wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs eine schwere Notlage dazu drängt, spenden katholische Priester die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung erlaubt auch den übrigen nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehenden Christen, die von sich aus darum bitten, sofern sie bezüglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind.“ 59 Vgl. UUS, Nr. 46. 60 Vgl. EDE, Nr. 46. 61 Die Kommunikation von 1973 weist daraufhin, dass dies nicht nur eine Affirmation der Realpräsenz beinhaltet, sondern die Lehre der Eucharistie, wie sie von der katholischen Kirche dargelegt wird. [Vgl. Secretariatus ad Christianorum unitatem fovendam, Communicatio (Anm. 45), Nr. 7.]
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V. Ausblick: Die Dialogergebnisse rezipieren Seit dem II. Vatikanischen Konzil hat sich die katholische Kirche stark in Dialogen engagiert. Diese erfolgten auf nationaler wie internationaler Ebene und waren manchmal getragen von Privatinitiativen, aber oftmals auch von den kirchlichen Leitungen „in Auftrag“ gegeben. Große Themen wurden angegangen, viele Dokumente verabschiedet und nun fast fünfzig Jahre später stellt sich die Frage, wie es weiter gehen könnte und sollte. Die Frage stellt sich einerseits, weil wegen empfundener Enttäuschungen eine gewisse Dialogmüdigkeit herrscht, und andererseits, weil befürchtet wird, dass das, was dennoch erarbeitet wurde, verloren gehen könnte, da die Personen, die in den Dialogen der ersten Stunden tätig waren, inzwischen verstorben oder nicht mehr aktiv tätig sind. Es gilt deswegen in unmittelbarer Zukunft nachzugehen, welche Konsequenzen aus den Ergebnissen verbindlich gezogen werden können, damit diese das Zusammenleben bereits jetzt nachhaltig beeinflussen können und so auch neue Wege für die noch zu überwindende fehlende Einheit eröffnet werden können. Dazu ist vor allem erforderlich, dass die betroffenen Kirchen die Ergebnisse vor allem der Dialoge, die die Kirchenleitungen selbst mandatiert haben, rezipieren und für die Handlungsebene praktische Konsequenzen treffen. Für die katholische Seite hat vor allem Kardinal Walter Kasper mit seinem Buch „Die Früchte ernten“62 einen Beitrag geleistet, die Ergebnisse der offiziellen Dialoge mit vier reformatorischen Traditionen (lutherisch, reformiert, anglikanisch und methodistisch) zusammenzutragen und festzuhalten. Auch wenn diese Veröffentlichung für die betroffenen Dialogpartner nicht verbindlich sein kann, ist es wichtig, dass die Ergebnisse zusammengetragen wurden. Sie könnte ein Baustein für ein Projekt sein, wozu der lutherische Theologe Harding Meyer schon vor Jahren aufgerufen hat. Er schlägt vor, dass der Weg über sogenannte „In Via Erklärungen“ verläuft.63 Sein Vorschlag beinhaltet, dass die betroffenen Kirchen verbindlich festhalten, was vor allem in den offiziellen Dialogen schon erreicht wurde, denn sie seien verpflichtet, auf die Ergebnisse der von ihnen selbst beauftragten Dialoge zu hören und sich auf den Rezeptionsprozess einzulassen. Dies auch dann, wenn es „dabei zu kritischen Vorbehalten gegenüber den Dialogergebnissen und zu Rückfragen kommen mag“, denn diese seien dann „im weiteren Dialog aufzunehmen“64. Unter Verweis auf die in diesem Sinne gelungene „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“65 schlägt er 62
Walter Kasper, Die Früchte ernten. Grundlagen christlichen Glaubens im ökumenischen Dialog, Paderborn/Leipzig 2011. 63 Vgl. Harding Meyer, Stillstand oder neuer Kairos. Zur Zukunft des evangelisch-katholischen Dialogs, in: StdZ 225 (2007), S. 687 – 696. 64 Er fügt hinzu: „Dieses Wechselspiel, diese Interaktion zwischen Dialog und Rezeption ist dringend nötig, um weiterzukommen im Suchen nach der Einheit im Glauben. Nur so ist der Stillstand des Dialogs zu vermeiden und das Versickern seiner Ergebnisse aufzuhalten.“ [Meyer, Stillstand oder neuer Kairos (Anm. 63), S. 692.] 65 Vgl. Gemeinsame Erklärung zur Rechtsfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche, in: Harding Meyer/Damaskinos Papandreou/Hans J. Urban u. a. (Hrsg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte in-
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vor, in ähnlicher Weise „kirchlich offizielle ,Vergewisserungen‘ über den Weg und den Stand des Dialogs und seines Bemühens um Gemeinschaft im Glauben [zu verabschieden]: ,Vergewisserungen‘ – einerseits – über das auf dem Dialogweg schon Erreichte und – andererseits – über das noch nicht Erreichte und die noch ausstehenden Aufgaben“66. Solche Vergewisserungen bezeichnet er als „In Via Erklärungen“67 und kann sich diese vor allem zu Themen wie „Gegenwart Christi im Abendmahl“, „Opfercharakter der Messe“, das „kirchliche Amt“ und das „Verständnis der Kirche“ vorstellen. Könnte der Vorschlag von Harding Meyer für die Anwendung des Kirchenrechtes interessant sein, gerade wenn es um die Zulassung von Angehörigen aus Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, geht? Anzuknüpfen wäre bei der in c. 844 § 4 CIC/1983 genannten Bedingung bezüglich des erforderlichen Glaubens. Gerade weil eine Einheit im Glauben, welche eine volle communio beinhalten würde, in näherer Zukunft noch nicht erwartet werden kann, wäre zu fragen, ob es hilfreich sein könnte, wenn in der Zwischenzeit verbindlich festgestellt werden würde, in welchen Bereichen bereits Übereinstimmung erreicht wurde. Könnte eine derartige Erklärung dazu führen, dass Spender des Sakramentes – in Analogie zu der Situation bei den Orthodoxen – präsumieren könnten und müssten, dass der Gläubige, der um das Sakrament bittet, das glaubt, was seine/ihre Gemeinschaft glaubt und worüber bereits Einigkeit mit der katholischen Kirche besteht? Dann würden auch diese Gläubigen wie die Orthodoxen über ihre Zugehörigkeit zu ihrer Kirche (vgl. c. 844 § 3 CIC/ 1983) und nicht als ein Individuum wahrgenommen werden, welches den katholischen Spender um ein Sakrament bittet. Könnten und müssten sich nicht Spender dann auf eine solche Erklärung berufen und könnten und müssten sie den Glauben des einzelnen Gläubigen als in Übereinstimmung mit seiner/ihrer Gemeinschaft stehend präsumieren? Die derzeit in der Anwendung noch vielfach irrige, weil nicht in Übereinstimmung mit den Dialogergebnissen stehende Auffassung über den Glauben des jeweils anderen könnte auf diese Weise geradegerückt werden. In-via-Erklärungen könnten so zu Präsumtionen führen, die die „Beweislast“ umkehren. Würden nicht Spender und Empfänger des Sakramentes auf diese Weise eine größere Sicherheit erfahren und würde dadurch in der Tat nicht das umgesetzt werden können, was Bischof Longley in England bereits länger befürwortet: „What the Lord permits, should not be denied to anybody who asks for it“ (Was der Herr erlaubt, sollte niemandem verwehrt bleiben, der darum bittet)?68 terkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, 3. Bd., Frankfurt a.M./Paderborn 2003, S. 419 – 437. 66 Meyer, Stillstand oder neuer Kairos (Anm. 63), S. 693. (Kursivsetzung im Original) 67 Meyer erklärt: Die In-via-Erklärungen „hätten eine dreifache Funktion: erstens die durchschrittene Wegstrecke und die schon erreichte Stufe bei der Klärung der jeweiligen Kontroversfragen zu beschreiben, zweitens dem schon Erreichten einen ,dialogdefiniten‘ Status zuzusprechen und es so vor immer neuen Infragestellungen oder gar kollektivem Vergessen zu schützen, und drittens die noch nicht zurückgelegte und darum noch vor uns liegende Wegstrecke mit ihren Aufgaben möglichst klar zu markieren.“ [Meyer, Stillstand oder neuer Kairos (Anm. 63), S. 693.] 68 Vgl. Anm. 2.
Considerazioni sul rapporto tra il sacramento della penitenza e il diritto nella Chiesa Carlos José Errázuriz M.
I. La rilevanza giuridica del sacramento della penitenza Per evidenziare la dimensione giuridica del sacramento della penitenza e della riconciliazione1 si deve anzitutto percorrere la stessa via che vale per tutti i sacramenti cristiani, vale a dire occorre mostrare come si danno in esso il diritto della Chiesa in quanto istituzione e il diritto dei battezzati. Dalle parole di Gesù agli Apostoli – “Gesù disse loro di nuovo: ‘Pace a voi! Come il Padre ha mandato me, anche io mando voi’. Detto questo, soffiò e disse loro: ‘Ricevete lo Spirito Santo. A coloro a cui perdonerete i peccati, saranno perdonati; a coloro a cui non perdonerete, non saranno perdonati’” (Gv 20, 21 – 23) – e dalla loro applicazione fatta dalla Tradizione ecclesiale, emerge che la potestà di perdonare i peccati commessi dopo il battesimo, e il modo di esercitarla a nome dello stesso Signore, viene affidata nella Chiesa agli Apostoli, e ai loro successori e collaboratori nel sacerdozio ministeriale. L’indole istituzionale di questo dono sacramentale, che prolunga quello del battesimo ed è intimamente unito quale preparazione a quello massimo dell’Eucaristia, è stata sempre percepita dalla Chiesa: amministrare il sacramento del perdono, con la partecipazione attiva e determinante dello stesso penitente, costituisce un diritto esclusivo dei sacerdoti che come ministri rappresentano Cristo e la Chiesa, compresa la sua dimensione d’istituzione. Il senso ovvio di tale diritto della Chiesa è il servizio ai fedeli in quanto peccatori. A loro volta, essi hanno veramente diritto al perdono sacramentale, il quale viene amministrato dalla Chiesa non in modo arbitrario, bensì in funzione delle disposizioni dei penitenti. Il fatto che la penitenza sia sacramento della misericordia divina non toglie in alcun modo l’esistenza di un vero rapporto di giustizia tra ministro e fedele: la misericordia, basata sui meriti di Cristo Redentore, è destinata nella Chiesa quale un suo vero diritto al fedele peccatore che 1
Un tentativo monografico sulla dimensione giuridica di questo sacramento, condotto alla luce della sua storia, è stato quello di José María González del Valle, El sacramento de la penitencia: fundamentos históricos de su regulación actual, Pamplona 1972. Per alcuni studi sulla disciplina vigente, cfr. Gruppo italiano docenti di diritto canonico (ed.), Il sacramento della penitenza, Milano 2010.
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si converte e a cui vengono così applicati quei meriti.2 In questo senso, conviene ricordare che una delle peculiarità del sacramento della confessione consiste nel fatto che gli atti del penitente (contrizione, confessione e soddisfazione) facciano parte ad validitatem dello stesso segno sacramentale, come sua materia rispetto alla forma che è l’assoluzione impartita dal sacerdote, per cui il diritto del penitente al perdono presuppone sempre il compimento personale di un cammino di conversione, al di fuori del quale non sussiste nessun diritto ad una riconciliazione che sarebbe semplicemente inesistente. La celebrazione del sacramento della penitenza costituisce non solo un diritto ma anche un dovere del penitente circa i peccati gravi (per i peccati veniali vi è invece una raccomandazione: cfr. c. 988 § 2 CIC/1983). Tale dovere è indubbiamente di natura morale, poiché attiene al rapporto del fedele con Dio e al suo bene personale ultimo; ma possiede anche una dimensione giuridica, in quanto la riconciliazione sacramentale con Dio e con la Chiesa rappresenta un obbligo di giustizia rispetto alla stessa Chiesa, dalla cui osservanza dipende la possibilità di ricevere la santissima Eucaristia e quindi di poter partecipare in pienezza alla vita di comunione anche nei suoi aspetti visibili. Sotto il profilo morale il fedele consapevole di aver commesso un peccato grave deve accostarsi al sacramento appena gli sia possibile (ciò viene esplicitato dal Codice orientale, c. 719). Nella Chiesa latina il dovere giuridico fondamentale del fedele, di per sé indeterminato in quanto al tempo, viene così precisato: “Ogni fedele, raggiunta l’età della discrezione, è tenuto all’obbligo di confessare fedelmente i propri peccati gravi, almeno una volta nell’anno.” (c. 989 CIC/1983)
Questa determinazione risale al Concilio Lateranense IV, essendo comune con quella del precetto pasquale3, con cui è in stretto rapporto, pur non essendo oggi cronologicamente legata al tempo pasquale. Il precetto della confessione annuale obbliga soltanto coloro che sono consci di aver peccato mortalmente, per cui il suo adempimento risulta insindacabile dall’esterno, non essendo pertanto suscettibile di sanzioni canoniche (ma è possibile, anzi doveroso, tener positivamente conto della pratica dei sacramenti nell’assegnare compiti ecclesiali di responsabilità). Com’è ovvio, la confessione annuale rappresenta un minimo a partire dal quale il cristiano va incoraggiato alla frequenza sacramentale, da scoprire nell’ottica della chiamata universale alla santità. Vi è un altro aspetto specifico del legame tra questo sacramento e il diritto nella Chiesa, il quale dipende dalla pluralità di dimensioni del peccato dei battezzati e
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Cfr. Javier Hervada, Le radici sacramentali del diritto canonico, in: Ius Ecclesiae 17 (2005), pp. 647 – 648. 3 Cfr. il celebre canone 21 Omnis utriusque sexus del Concilio Lateranense IV nel 1215, in Conciliorum oecumenicorum decreta, a cura di Giuseppe Alberigo ed altri e con la consulenza di Hubert Jedin, Bologna 1991, p. 221. Il testo è stato raccolto nelle Decretali di Gregorio X (X, 5, 38, 12),
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della loro riconciliazione sacramentale.4 In effetti, insieme alla dimensione essenziale attinente al rapporto di comunione del peccatore con Dio, il peccato e il suo perdono concernono sempre la relazione del fedele con la Chiesa (sulla scia di Lumen gentium, 11b, il c. 959 CIC/1983 nel presentare gli effetti dell’assoluzione sacramentale, dopo il perdono del peccato, esplicita quest’aspetto: “e contemporaneamente vengono riconciliati con la Chiesa che, peccando, hanno ferito”). A prescindere dal dibattito circa il rapporto tra la pax cum Ecclesia e la pax cum Deo (alcuni considerano la prima quale effetto immediato dell’assoluzione, che sarebbe mezzo rispetto alla seconda, a modo di res et sacramentum), la dimensione ecclesiale è sempre presente nella celebrazione di questo sacramento. Tale dimensione è a sua volta articolata, poiché comprende anzitutto un profilo interno, concernente il danno che ogni peccato comporta per la comunione dei santi, ma include anche un profilo esterno, in cui possono esistere delle ingiustizie intraecclesiali. Il peccato risulta allora contrario al diritto inteso come ciò che è giusto, cioè antigiuridico nel senso più sostanziale di questa nozione. Quest’antigiuridicità ecclesiale è in funzione dei beni giuridici della comunione, i quali sono soprattutto quelli d’indole soprannaturale riguardanti la struttura e la missione salvifica della Chiesa (a cominciare dai beni della parola di Dio e dei sacramenti), ma abbracciano pure i beni giuridici naturali (la vita umana, la libertà, l’intimità, la buona fama, ecc.) in quanto sono oggetti di veri rapporti di giustizia all’interno della Chiesa. Ciò non si verifica soltanto quando l’attentato contro tali beni avviene in un contesto ecclesiale, ma anche quando il comportamento gravemente ingiusto del fedele contrasta visibilmente con le esigenze del suo rapporto di comunione con la Chiesa. In queste ipotesi il peccato comporta una vera lesione del diritto della Chiesa alla comunione dei suoi figli. La dimensione giuridico-ecclesiale di questi peccati del battezzato e della reazione ecclesiale dinanzi ad essi, spiega il profondo intreccio esistente nella Chiesa antica tra la celebrazione del sacramento della penitenza e il processo di applicazione delle pene contro le ingiustizie intraecclesiali.5 Siamo oggi abituati a distinguere nettamente tra il perdono sacramentale impartito al peccatore pentito che si confessa e vuol riparare il danno compiuto, e le sanzioni ecclesiali, tra cui le più gravi sono quelle penali, che vengono applicate per tutelare la giustizia nell’ambito della compagine ecclesiale. Ma agli inizi mancava la consapevolezza della distinzione tra i due aspetti che, pur essendo intimamente connessi, erano realmente diversi. Infatti, senza dimenticare che la disciplina era diversificata e in alcuni casi tanto rigorosa da ritenere alcuni peccati irremissibili se non in punto di 4 Su questa complessa questione, cfr. Péter Erdö, Il peccato e il delitto. La relazione tra due concetti fondamentali alla luce del diritto canonico, Milano 2014. 5 Per un primo approccio storico, con indicazioni bibliografiche fondamentali, cfr. Angel García-Ibáñez, Il sacramento della penitenza e della riconciliazione. Storia e teologia, vol. I/2 La penitenza post-battesimale nell’epoca dei Padri, Roma 2011. Si tratta di dispense parziali, pubblicate nella Pontificia Università della Santa Croce, in preparazione di un omonimo trattato.
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morte, si può dire in generale che per peccati particolarmente gravi (come l’idolatria, l’omicidio o l’adulterio, ma anche altri peccati), dopo la confessione segreta al Vescovo o a un presbitero da lui delegato, venivano stabilite la durata e le modalità di un tempo di penitenza, durante il quale si apparteneva pubblicamente all’ordine dei penitenti. Questa penitenza pubblica si concludeva con il rito solenne della riconciliazione, e la conseguente riammissione del battezzato alla comunione sacramentale. In questo processo si scorgono tutti gli elementi essenziali del sacramento della penitenza (gli atti del penitente e il perdono salvifico amministrato dalla Chiesa), e nel contempo si avverte la dimensione di pena rivolta alla correzione del fedele, mediante la sua esclusione dalla comunità durante il tempo penitenziale.6 Sarebbe perciò erronea sia la riduzione di questa penitenza alla sola dimensione disciplinare, come se il sacramento non esistesse in quel periodo, sia la dimenticanza del fatto che la celebrazione sacramentale avveniva contemporaneamente all’applicazione di sanzioni, anzitutto quella medicinale consistente nell’escludere temporalmente dalla comunità, ma anche altre d’indole permanente che andavano oltre il momento della riconciliazione, come ad es. l’interdetto di ricevere ordini sacri. Il rigore della penitenza pubblica, che si manifestava anche nel suo carattere tendenzialmente unico nella vita, determinò un suo declino, per cui molti la rimandavano fino alla vecchiaia o alla fine della vita. Occorreva un’altra forma di penitenza, non più legata alla disciplina penale, attraverso cui si ampliasse l’esercizio della potestà di perdonare i peccati. A partire dal sec. VII, soprattutto grazie all’influsso dei missionari irlandesi nell’Europa continentale, si aprì rapidamente strada la celebrazione della penitenza in forma privata, in sostanza quella che oggi celebriamo, la quale si attua interamente nel segreto tra sacerdote e penitente, non richiede perciò il compimento pubblico di opere di penitenza prima della riconciliazione, consente la ricezione frequente, anzi regolare, del sacramento, e comprende sia i peccati mortali che quelli veniali. La penitenza pubblica si mantenne per i peccati pubblici, ma a poco a poco scomparì, cedendo il posto alla progressiva configurazione autonoma di un processo penale, con la conseguente distinzione tra peccato e delitto, tra foro della coscienza (spesso chiamato interno) e foro esterno. Questa separazione tra sacramento della penitenza e tutela penale della comunione si fonda sulla distinzione tra la dimensione essenziale del peccato quale offesa nei confronti di Dio e l’ingiustizia intraeccelesiale propria di alcuni peccati. Non legare più l’amministrazione del perdono del peccato al compimento previo di una sanzione è stato indubbiamente un bene per la Chiesa. Come vedremo, 6 La compenetrazione tra i due aspetti viene efficacemente messa in risalto da Giuseppe D’Ercole, Foro interno e foro esterno nella penitenza delle origini cristiane, in: Apollinaris 32 (1959), pp. 273 – 302. Sulla complessa evoluzione del rapporto tra scomunica e penitenza, cfr. un’esposizione introduttiva in: Klaus Mörsdorf, voce Excomunión, in AA.VV., Conceptos fundamentales de la teología, a cura di Heinrich Fries, trad. spag., Madrid 1966, vol. II, pp. 96 – 102.
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è stato positivo che il Codice del 1983 abbia chiarito anche terminologicamente che per l’amministrazione del sacramento non occorre la potestà di governo, cioè la giurisdizione, propria dell’ambito esterno (cfr. c. 966 CIC/1983). D’altra parte, pensiamo che l’assetto penale della Chiesa risulterebbe ancor più chiaro se si eliminassero nella Chiesa latina (come già avviene nelle Chiese orientali) le pene latae sententiae, nelle quali s’incorre per il solo fatto di aver commesso il delitto, indipendentemente cioè da una dichiarazione nel foro esterno. In effetti, la loro automaticità determina, nel caso della scomunica e dell’interdetto che includono il divieto di celebrare il sacramento della penitenza, la necessità pastorale di esaminare previamente nel foro interno sacramentale se il penitente sia incorso nella pena e di valutare se e come essa possa essere rimessa, il che sembra estraneo alla forma attuale di amministrare la penitenza. Ciò nonostante, l’intreccio storico tra penitenza e pena risulta a nostro parere assai istruttivo per la vita della Chiesa in tutti i tempi. Da un lato, costituisce un inequivocabile avvertimento sulla serietà di questo sacramento, sempre minacciato dal lassismo che smarrisce lo stesso senso del peccato e della conversione; e mette in risalto la natura ecclesiale del sacramento, essenziale pure nella penitenza celebrata in forma privata. Dall’altro, il rapporto con la penitenza evidenzia alcuni capisaldi del diritto penale canonico: il principio di colpevolezza del delinquente, che tanto ha influenzato il diritto penale secolare, l’indole essenzialmente medicinale delle sanzioni penali ecclesiali, che devono cioè essere anzitutto in funzione del cambiamento del fedele che ha commesso il delitto, durando quanto si richieda per il suo emendamento, senza dimenticare però che il bene comune può esigere altre sanzioni stabili.
II. Le forme di celebrazione del sacramento della penitenza L’esperienza storica della Chiesa indica che ci possono essere mutamenti particolarmente significativi nella forma di celebrazione di questo sacramento, dovendo però sempre rimanere intatto tutto ciò che è essenziale. La riforma liturgica dopo il Vaticano II ha favorito le celebrazioni penitenziali comunitarie7, le quali precedono e seguono la confessione individuale e segreta di ciascun penitente al sacerdote con l’assoluzione impartita pure individualmente. Com’è ovvio, tale forma non pone nessun problema sotto il profilo dell’essenza del segno sacramentale, dovendosi comunque chiarire che il suo uso non cambia la sostanza della dimensione ecclesiale del sacramento: anche nella celebrazione di un solo penitente è presente ed agisce tutta la Chiesa attraverso il ministero del sacerdote e la partecipazione determinante dello stesso penitente. 7 Cfr. Ordo paenitentiae, 2 dicembre 1973, rito B (il rito A è quello, di per sé largamente prevalente in pratica, in cui vi è solo un penitente).
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La possibilità invece di un’assoluzione collettiva, senza previa confessione individuale, si è diffusa negli anni dopo il Vaticano II, estendendo indiscriminatamente l’autorizzazione molto eccezionale concessa dalla Santa Sede in occasione delle due guerre mondiali del sec. XX, dinanzi ad ipotesi di vera impossibilità di confessarsi previamente. Malgrado i chiarimenti della stessa Santa Sede8, la tendenza si mantenne in molti luoghi, adoperandosi spesso in maniera abituale il rito previsto ad hoc dopo la riforma liturgica.9 In realtà si tendeva a prescindere dal requisito essenziale dell’impossibilità di confessarsi, e il vero centro del dibattito teologico e pastorale concerneva la necessità stessa della confessione individuale, la quale purtroppo è stata di fatto abbandonata in non pochi ambienti ecclesiali. La normativa del Codice del 1983 (cfr. cc. 960 – 963 CIC/1983), il Sinodo dei Vescovi dedicato al tema della riconciliazione e della penitenza10 e il motu proprio Misericordia Dei di San Giovanni Paolo II11, hanno ribadito che la confessione individuale e integra è l’unico modo ordinario con cui il fedele consapevole di peccato grave si riconcilia con Dio e con la Chiesa, e che le assoluzioni collettive trovano giustificazione soltanto laddove diventa davvero impossibile la confessione individuale. Anzi, “affinché un fedele usufruisca validamente della assoluzione sacramentale impartita simultaneamente a più persone, si richiede che non solo sia ben disposto, ma insieme faccia il proposito di confessare a tempo debito i singoli peccati gravi, che al momento non può confessare” (c. 962 § 1 CIC/1983)12, il che mostra fino a che punto la confessione è essenziale nel sacramento. Due sono i casi in cui è lecita l’assoluzione a più penitenti senza la previa confessione individuale: l’imminente pericolo di morte che impedisca ai sacerdoti presenti di ascoltare le confessioni, o una grave necessità in cui, tenuto conto del numero di penitenti e dei confessori disponibili, i primi senza colpa sarebbero costretti a rimanere a lungo privi della grazia sacramentale o della sacra comunione (cfr. c. 961 § 1 CIC/1983). Il ricordato motu proprio ha offerto una dettagliata interpretazione di quest’ultima ipotesi, chiarendo anzitutto che “si tratta di situazioni oggettivamente eccezionali, come quelle che si possono verificare in territori di missione o in comunità di fedeli isolati, dove il sacerdote può passare
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Cfr. S. Congregazione per la Dottrina della Fede, norme pastorali Sacramentum Paenitentiae, 16 giugno 1972, in: AAS 64 (1972), pp. 510 – 514. 9 Cfr. Ordo paenitentiae (nota 7), rito C. 10 Cfr. Giovanni Paolo II, esort. ap. post-sinodale Reconciliatio et paenitentia, 2 dicembre 1984, in: AAS 77 (1985), pp. 185 – 275, la quale ha messo in risalto che la confessione individuale è legata all’indole giudiziaria e medicinale del sacramento, nonché al suo essere segno dell’incontro personale con Dio e con la Chiesa (cfr. n. 31, III). 11 7 aprile 2002, in: AAS 94 (2002), pp. 425 – 459. 12 Tale obbligo viene ulteriormente precisato dal c. 963 CIC/1983 nel senso che la confessione individuale si deve compiere quanto prima diventi possibile.
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soltanto una o poche volte l’anno o quando le condizioni belliche, metereologiche o altre simili circostanze lo consentano” (n. 4, 28, a).13 È chiaro che nel rispetto di queste norme vi sono diritti in gioco: il diritto della Chiesa a vivere questo sacramento nella fedeltà alla sua configurazione essenziale istituita da Cristo; il diritto del penitente a quell’incontro personalissimo con Cristo e con la Chiesa che avviene nella confessione individuale. Una delle manifestazioni più rilevanti della giustizia nel ministero pastorale, strettamente legata a quella della celebrazione eucaristica, consiste nell’offrire ai fedeli le massime facilitazioni possibili per accostarsi alla confessione individuale.14 Per sua natura la celebrazione del sacramento della confessione ha bisogno di una cornice adeguata, che metta in risalto l’indole sacra del dialogo tra confessore e penitente, favorendo la sincerità e la discrezione, evitando ciò che possa snaturarlo o addirittura corromperlo, tenuto conto della debolezza umana e del carattere molto intimo di quella conversazione.15 Si stabilisce perciò che il luogo proprio per ricevere le confessioni sacramentali è la chiesa o l’oratorio (cfr. c. 964 § 1 CIC/ 1983), e che esse devono avvenire nell’apposita sede per le confessioni, a meno che 13 Per maggiori particolari rimandiamo allo stesso c. 961 § 1, 28 CIC/1983 nonché al commento che ne fa il m.pr. Misericordia Dei. n. 4 (ad es. si considera che il tempo prudenziale di privazione troppo prolungata della grazia sacramentale deve essere almeno di un mese: cfr. n. 4, 28, d). Il legislatore ha voluto così delimitare l’ipotesi con la maggior precisione possibile, adoperando un criterio nettamente restrittivo. Il giudizio poi circa questa grave necessità non compete al singolo confessore, bensì al Vescovo diocesano, il quale inoltre può determinare i casi di necessità, mediante cioè l’emanazione di norme, le quali devono tener conto dei criteri concordati con altri membri della Conferenza Episcopale (cfr. c. 961 § 2 CIC/ 1983), e si considera che questi criteri danno luogo a vere norme della Conferenza Episcopale, soggette al requisito della recognitio della Santa Sede che consente di attuare la piena armonia tra gli episcopati del mondo in una materia tanto essenziale per la vita della Chiesa (cfr. m.pr., n. 6). In ogni caso, per non rimanere intrappolati in una casistica troppo lassa o troppo rigorista, conviene sempre ricordare che ci deve essere sempre una vera impossibilità. Non viene considerata grave necessità quella che si crea per il solo fatto di una grande affluenza di penitenti, ad es. in una festa o in un pellegrinaggio (cfr. c. 961 § 1, 28 CIC/1983), nella misura in cui quei penitenti, che non possono confessarsi immediatamente, possano farlo poi entro un tempo non eccessivo. 14 Il c. 916 CIC/1983 precisa che vanno stabiliti giorni e ore per la comodità dei fedeli, e il m.pr. Misericordia Dei aggiunge: “In particolare, si raccomanda la presenza visibile dei confessori nei luoghi di culto durante gli orari previsti, l’adeguamento di questi orari alla situazione reale dei penitenti, e la speciale disponibilità per confessare prima delle Messe e anche per venire incontro alla necessità dei fedeli durante la celebrazione delle SS. Messe, se sono disponibili altri sacerdoti” (n. 2). 15 Si può arrivare ad ingiustizie particolarmente gravi, come quella contemplata dal c. 1387 CIC/1983: “Il sacerdote che, nell’atto o in occasione o con il pretesto della confessione sacramentale, sollecita il penitente al peccato contro il sesto precetto del Decalogo, a seconda della gravità del delitto, sia punito con la sospensione, con divieti, privazioni e, nei casi più gravi, sia dimesso dallo stato clericale.” Se l’azione è diretta al peccato con lo stesso confessore, il delitto è riservato alla Congregazione per la Dottrina della Fede (cfr. Congregazione per la Dottrina della Fede, Normae de gravioribus delictis, 21 maggio 2010, art. 4 § 1, 48, in: AAS 102, 2010, pp. 419 – 430).
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ci sia una giusta causa (cfr. c. 964 § 3 CIC/1983). La determinazione delle caratteristiche della sede è stata rimandata alle Conferenze Episcopali, ma per diritto universale sussiste un’esigenza comune: “che si trovino sempre in luogo visibile i confessionali, provvisti di una grata fissa tra il penitente e il confessore, cosicché i fedeli che lo desiderano possano liberamente servirsene.” (c. 964 § 2 CIC/1983)
In questo modo il confessionale con grata fissa viene configurato come un diritto dei penitenti, i quali possono preferirlo per svariati motivi, tra cui quello di non dover rivelare la propria identità. Un’interpretazione autentica ha chiarito che anche il ministro del sacramento ha diritto a scegliere il confessionale con la grata fissa, per giusta causa ed escluso il caso di necessità, anche nell’eventualità che il penitente chieda altrimenti.16 Il diritto del confessore in tal senso, basato discrezionalmente su una giusta causa (riconducibile alla tutela del bene spirituale sia del penitente che proprio) ma limitato ovviamente dall’esistenza di un caso di necessità, deriva dal suo compito di ordinare adeguatamente la celebrazione, il che spiega la sua prevalenza rispetto alla scelta del penitente.
III. Il ministro del sacramento della penitenza Nella Chiesa antica spettava al Vescovo, personalmente o attraverso un presbitero da lui incaricato, il rappresentare la Chiesa nella penitenza pubblica. In seguito si è conservata la coscienza secondo cui nella disciplina di questo sacramento interveniva l’autorità episcopale mediante il conferimento al confessore di una giurisdizione ad hoc, la quale, insieme alla potestà di ordine sacerdotale, si esigeva per la validità del sacramento. Nel Codice del 1983, mantenendo la sostanza del binomio, il termine “giurisdizione”, il quale echeggiava la situazione di intreccio tra disciplina penale e sacramento della penitenza, è stato sostituito con “facoltà”, chiarendosi così che l’assoluzione sacramentale non è atto di governo ecclesiastico, in quanto appartiene ad un’altra sfera, quella del rapporto comunionale con Dio e, sotto il profilo interiore, con la Chiesa. In questo modo, dopo aver ribadito che “ministro del sacramento della penitenza è il solo sacerdote” (c. 965 CIC/1983), si aggiunge: “Per la valida assoluzione dei peccati si richiede che il ministro, oltre alla potestà di ordine, abbia la facoltà di esercitarla sui fedeli ai quali imparte l’assoluzione.” (c. 966 § 1 CIC/ 1983)17 16
Cfr. interpretazione del c. 964 § 2 CIC/1983, 7 luglio 1998, in: AAS 90 (1998), p. 711. Vanno ricordati i delitti di tentare d’impartire l’assoluzione sacramentale oppure ascoltare la confessione sacramentale, non potendo assolvere validamente (cfr. c. 1378 § 2, 28 CIC/ 1983), e quello di simulare l’amministrazione di questo sacramento (cfr. c. 1379 CIC/1983); entrambi sono riservati alla Congregazione per la Dottrina della Fede (cfr. Normae de gravioribus delictis [nota 15], art. 4 § 1, 28 e 38). 17
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L’istituto della facoltà per confessare ha subito però un notevole cambiamento contenutistico nella recente codificazione, poiché, come vedremo, in molti casi il possesso della facoltà per un determinato ambito ecclesiale comporta ipso iure un’estensione universale. Si sono così felicemente superate le difficoltà precedenti di un sistema che, malgrado lo si cercasse di flessibilizzare in pratica (ad es. mediante accordi tra diocesi vicine), limitava l’esercizio di questo ministero ai fedeli assegnati tramite la concessione della giurisdizione, il che risultava sempre meno conforme ad una situazione di crescente mobilità umana. Nella nuova situazione però si corre maggiormente il rischio di smarrire il senso di quella che ora viene denominata facoltà, la quale può tendere ad apparire sempre più quale semplice formalità priva di autentica sostanza ecclesiale. Pensiamo invece che occorra ricuperare la consapevolezza della rilevanza inerente al conferimento di questa facoltà: a parte le varie posizioni teoriche sulla sua natura, è indubbio che la sua concessione comporta sempre l’affidamento da parte dell’autorità ecclesiastica dei potenziali penitenti al ministero sacramentale di un determinato sacerdote, il quale deve possedere la formazione adeguata. Il fatto che la legge attuale in molti casi estenda tale affidamento a tutti i penitenti del mondo, non fa altro che accrescere l’importanza del conferimento che è all’origine, come garanzia su cui poggia l’estensione universale della facoltà di confessare. Conviene osservare che questa disciplina sulla facoltà del ministro del sacramento della penitenza è particolarmente rilevante dal punto di vista del diritto della Chiesa e dei fedeli su di esso: tali diritti non solo esigono che il confessore abbia i requisiti per la validità dell’assoluzione, ma anche l’adeguata preparazione morale e pastorale per essere in grado di esercitare validamente, lecitamente e fruttuosamente i suoi compiti di giudice, medico e maestro. È perciò d’obbligo che si curi molto questo aspetto fondamentale della formazione sacerdotale, sia nei programmi iniziali che in quelli permanenti, cercando di offrire una sintesi tra teoria e pratica che sia davvero conforme alle necessità di questo ministero, senza dimenticare che esso è di per sè molto collegato all’esercizio della direzione spirituale. Il sacerdote può avere la facoltà di confessare in virtù di una norma generale che gliela attribuisce (così avviene con i Cardinali e i Vescovi, per confessare ovunque, oppure con i titolari di alcuni uffici, per confessare nel loro rispettivo ambito: Ordinario del luogo, canonico penitenziere, parroco, Ordinari nelle realtà associative), oppure per una concessione fatta dall’autorità competente (Ordinario del luogo per i fedeli in rapporto pastorale con una comunità gerarchica, sia quelle facenti funzione di diocesi sia quelle d’indole complementare; Ordinari nelle realtà associative, per i membri e quanti vivono giorno e notte nelle loro case) (cfr. cc. 967 – 969 CIC/1983). A partire da queste attribuzioni o concessioni operano alcune estensioni, e soprattutto questa: Per una monografia che studia tanto la disciplina vigente quanto la storia, la natura e il senso della facoltà di confessare, cfr. Francisco Walker Vicuña, La facultad para confesar, Roma 2004.
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“Coloro che godono della facoltà di ricevere abitualmente le confessioni sia in forza dell’ufficio, sia in forza della concessione dell’Ordinario del luogo di incardinazione18 o del luogo nel quale hanno il domicilio, possono esercitare la stessa facoltà ovunque, a meno che l’Ordinario del luogo, in un caso particolare, non ne abbia fatto divieto.” (c. 967 § 2 CIC/1983) “La facoltà di ricevere le confessioni non venga concessa se non ai presbiteri che sono stati riconosciuti idonei mediante un esame, oppure la cui idoneità consti da altra fonte.” (c. 970 CIC/1983)
Occorre certamente usare ogni mezzo affinché tutti i presbiteri siano idonei per essere confessori, ma è molto conveniente conservare il sistema tradizionale degli esami (le concessioni possono essere graduali, prima a tempo determinato, poi rinnovate da esami successivi che vengano previsti dalla legge particolare) per evidenziare che si richiede una preparazione specifica. I sacerdoti devono avvertire l’esigenza di una formazione permanente in questo ministero, sia mediante sussidi comuni sia mediante la petizione di consiglio a confessori sperimentati (osservando delicatamente il sigillo sacramentale, e cioè senza menzionare nomi, facendolo presso consiglieri che non possano riconoscere le persone, e cercando di mutare alcune circostanze per evitare qualunque riconoscimento). La mancanza di idoneità richiede la revoca della facoltà, che costituisce di per sé una sanzione amministrativa (il divieto di esercizio e la privazione della facoltà possono costituire anche pene canoniche). Il Codice esige che per la revoca di una facoltà concessa in modo abituale concorra una causa grave (cfr. c. 974 § 1 CIC/1983): non si può privare il Popolo di Dio di un confessore se non sia venuta a mancare chiaramente la sua idoneità, per motivi colpevoli o meno. Sia per la concessione che per la revoca si prevede il contatto con l’Ordinario proprio del presbitero (cfr cc. 971, 974 § 3 CIC/ 1983), in modo da assicurare la dovuta informazione e il coordinamento nel governo. Infine, conviene ricordare che la Chiesa supplisce questa facoltà nei casi di errore comune e di dubbio positivo e probabile (cfr. c. 144 § 2 CIC/1983, che rimanda al c. 966 CIC/1983). L’esercizio del sacro ministero delle confessioni comporta gravi doveri di giustizia per il sacerdote; per il fatto di riguardare un rapporto così intimo, è problematico che tali doveri siano oggetto di accertamenti e sanzioni esterne, e prevale in pratica quindi la loro dimensione morale e pastorale, ragion per cui il loro studio spetta soprattutto alla teologia morale e pastorale. Ma non va sottovalutata la dimensione propriamente giuridica, propria di ogni dovere di giustizia: la Chiesa come istituzione e i penitenti hanno diritto ad un’amministrazione della penitenza che, entro gli inevitabili limiti umani, rispecchi l’insieme del compito del confessore, come giudice e come medico, quale ministro contemporaneamente della divina giustizia e della misericordia, così da provvedere all’onore divino e alla salvezza delle anime (cfr. c. 978 § 1 CIC/1983), come profili intrinsecamente 18 Il “luogo d’incardinazione” riflette una terminologia che non recepisce l’esistenza di comunità gerarchiche d’indole personale (prelature personali, ordinariati militari, ecc.), le quali naturalmente vanno comprese a questi effetti come “luoghi d’incardinazione”.
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armonici. Una conseguenza essenziale è che “il confessore, in quanto ministro della Chiesa, nell’amministrazione del sacramento aderisca fedelmente alla dottrina del Magistero e alle norme date dalla competente autorità” (c. 978 § 2 CIC/1983). I fedeli hanno diritto a trovare unità di criterio in tutto ciò che è essenziale, anziché risposte accomodanti che nella loro apparente pastoralità nascondono delle ingiustizie verso le persone e le comunità, che ne risultano confuse e divise. Il Codice ricorda la prudenza e discrezione con cui il sacerdote deve porre le domande, tenendo conto della condizione e dell’età del penitente (il che si applica in particolar modo nell’ambito della castità19), e l’obbligo di astenersi dall’indagare sul nome del complice (perché tale indagine è inutile agli effetti sacramentali, e dà l’impressione che la confessione possa essere usata per altri fini) (cfr. c. 979 CIC/ 1983); ma sarebbe altrettanto ingiusta l’omissione dell’aiuto pastorale dovuto ai penitenti affinché facciano una confessione integra (cfr. c. 988 § 1 CIC/1983) e la loro vita complessiva sia gradualmente ma efficacemente illuminata dalla fede.20 Il Codice ribadisce che il confessore non deve negare o differire l’assoluzione se non ha dubbi sulle disposizioni del penitente che la chiede (cfr. c. 980 CIC/1983); tale dovere di giustizia è però inseparabile da quello di non impartire l’assoluzione qualora egli constati purtroppo che, pur dopo aver usato i mezzi pastorali opportuni, mancano le disposizioni minime, come può avvenire soprattutto nei casi in cui appaiano nella confessione gravi immoralità oggettive d’indole stabile, dinanzi alle quali il penitente non è disposto a mutare il suo comportamento. Per promuovere la giustizia in questa delicata materia e sanzionare l’ingiustizia vanno adoperate le opportune misure di governo: ad es. delle norme che sanciscano l’obbligatorietà di un insegnamento adeguato ai confessori su questo ministero, in modo da evitare anche la superficialità e burocratizzazione, davvero ingiuste; la revoca della facoltà di confessare a quei sacerdoti che sostengano in qualsiasi sede dottrine morali incompatibili con il Magistero; ecc. L’obbligo di ascoltare le confessioni ricade in primo luogo su coloro che abbiano uffici con cura d’anime (parroci, cappellani, ecc.) rispetto ai fedeli loro affidati, che ragionevolmente lo chiedano, dovendosi dare loro l’opportunità di accostarsi alla confessione individuale, stabiliti, per loro comodità, giorni e ore; in caso di urgente necessità (da interpretare a nostro avviso in senso largo, data la grande necessità di questo sacramento e la pratica abituale della confessione al di fuori della propria parrocchia o comunità pastorale) ogni confessore è tenuto a ricevere le confessioni dei fedeli21; e in pericolo di morte qualunque sacerdote – il quale ha allora tutte le facoltà necessarie: cfr. c. 976 CIC/1983– (cfr. c. 986 CIC/1983). 19 Congregazione del Sant’Uffizio, Normae quaedam de agendi ratione confessariorum circa sextum Decalogi praeceptum, 16 maggio 1943, in: Leges Ecclesiae II, 1749. 20 Va tenuto presente ad es. il Vademecum per i confessori su alcuni temi di morale attinente alla vita coniugale, pubblicato dal Pontificio Consiglio per la Famiglia, il 12 febbraio 1997 (cfr. EV 16/170 – 213). 21 È stata tolta la precisazione del c. 892 § 2 CIC-1917, secondo cui tale obbligo era di carità: riteniamo che sia chiaramente di giustizia.
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Dopo la confessione sorge per il confessore l’obbligo gravissimo del sigillo sacramentale, che “è inviolabile; pertanto non è assolutamente lecito al confessore tradire anche solo in parte il penitente con parole o in qualunque altro modo e per qualsiasi causa” (c. 983 § 1 CIC/1983). Si tratta di un dovere di giustizia nei confronti dello stesso penitente, la cui osservanza costituisce anche un diritto dell’intera Chiesa: in questa massima segretezza è in gioco la stessa pratica della confessione sacramentale, quale accusa pienamente sincera e libera rivolta esclusivamente al perdono e alla conversione, poiché essa si renderebbe di fatto impossibile se il confessore potesse rivelare qualcosa. Solo il penitente può autorizzarne un’eccezione, ma anche in tal caso riteniamo che di regola il bene della Chiesa consigli al confessore di non avvalersene. Il sigillo sacramentale in senso proprio concerne soltanto l’obbligo dello stesso confessore di non rivelare peccati ascoltati in confessione, ed esso può essere violato in modo diretto, quando si rivela il peccato e il peccatore, oppure in modo indiretto, quando a partire dalle parole, dai gesti, dai fatti o dalle omissioni del confessore si può capire quale è il peccato e chi è il peccatore, essendoci un pericolo più o meno elevato in tal senso (di tale distinzione si tiene conto nel tipizzare i delitti: cfr. c. 1388 § 1 CIC/198322). Ma il segreto sui peccati confessati si estende all’interprete, qualora sia intervenuto (non è vietato, ma si debbono evitare possibili abusi e scandali: cfr. c. 990 CIC/1983), e a tutti gli altri a cui in qualunque modo sia giunta notizia di quei peccati in quanto confessati (cfr. c. 983 § 2 CIC/1983). Anzi, l’obbligo del segreto va oltre l’ambito dei peccati, allo scopo di allontanare ogni pericolo di violazione del sigillo: è affatto proibito al confessore fare uso delle conoscenze acquisite dalla confessione con aggravio del penitente (cfr. c. 984 § 1 CIC/1983), e riteniamo che, tenuto conto dell’altissima convenienza di evitare perfino le apparenze di violazione del sigillo, sia anche sconsigliabile fare tale uso in favore del penitente (a meno che vi sia il suo consenso). D’altra parte, la notizia dei peccati confessati non può essere mai usata per il governo esterno: è chiaro il rischio di violazione almeno indiretta del sigillo (cfr. c. 984 CIC/1983). Più in generale, si cerca di separare il ministero della confessione dai compiti di governo esterno nelle istituzioni legate alla formazione (cfr. c. 985 CIC/1983). 22 La violazione diretta è punita con scomunica latae sententiae riservata alla Sede Apostolica; per l’indiretta si prevede una pena proporzionale alla gravità del delitto, che dipenderà dal grado di pericolo della diffusione della confessione. Entrambe sono riservate alla Congregazione per la Dottrina della Fede (Normae de gravioribus delictis [nota 15], art. 4 § 1, 58). La violazione del segreto da parte dell’interprete e di altre persone cui sia giunta notizia della confessione costituisce pure un delitto canonico, da punire con giusta pena, non esclusa la scomunica (cfr. c. 1388 § 2 CIC/1983). “Fermo restando il disposto del § 1 n. 5 [sulla violazione del sigillo sacramentale da parte del confessore], alla Congregazione per la Dottrina della Fede è riservato anche il delitto più grave consistente nella registrazione, fatta con qualunque mezzo tecnico, o nella divulgazione con i mezzi di comunicazione sociale svolta con malizia, delle cose che vengono dette dal confessore o dal penitente nella confessione sacramentale, vera o falsa. Colui che commette questo delitto, sia punito secondo la gravità del crimine, non esclusa la dimissione o la deposizione, se è un chierico” (Normae de gravioribus delictis [nota 15], art. 4 § 2).
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La soddisfazione imposta dal confessore al penitente a seconda della qualità e del numero dei peccati e tenuto conto della condizione del penitente (cfr. c. 981 CIC/1983), benché appartenga alla sostanza del sacramento, si configura attualmente come un dovere solo morale, non giuridico.23 Nello stesso contesto della remissione dinanzi a Dio della pena temporale per i peccati già rimessi quanto alla colpa, la Chiesa amministra il tesoro delle soddisfazioni di Cristo e dei Santi mediante la concessione di indulgenze, sia plenarie che parziali, applicabili a determinate condizioni per se stesso o per i defunti (cfr. cc. 992 – 995 CIC/1983). Per definizione le indulgenze sono una grazia di remissione della pena temporale data dalla Chiesa ai fedeli, non un loro diritto. Tuttavia, l’amministrazione delle indulgenze va compiuta secondo una logica interna di vera giustizia distributiva: l’atto di grazia non può essere arbitrario, e deve complessivamente offrire a tutti i fedeli l’opportunità di avvalersi delle concessioni previste, in modo adeguato alla situazione effettiva delle persone (compresa la massima facilitazione nel caso estremo del pericolo di morte), e cercando di abbinare le concessioni ad azioni che favoriscano la vita cristiana delle persone e delle comunità. La competenza in materia di indulgenze è accentrata nel Romano Pontefice, coadiuvato dalla Penitenzieria Apostolica (cfr. c. 995 CIC/1983; cost. Pastor Bonus, art. 120). La stessa necessità della facoltà di confessare evidenzia che rientra nella potestà di governo ecclesiale la possibilità di limitare in vari modi, e sempre per tutelare il bene della Chiesa e delle anime, l’amministrazione di questo sacramento. Oltre alla regolamentazione già vista sui limiti inerenti alla concessione della facoltà, questa può essere per un tempo determinato (cfr. c. 972 CIC/1983) e pensiamo che, come avveniva spesso in passato, potrebbe essere limitata per gravi motivi pastorali in funzione del tipo di penitente (ad es. escludendo per i sacerdoti novelli le confessioni degli altri sacerdoti e dei seminaristi). Ci sono poi alcune limitazioni stabilite dalla legge universale. Ad es., oltre ad essere un delitto (cfr. c. 1378 § 1 CIC/198324), l’assoluzione del complice in un peccato contro il sesto comandamento è invalida, tranne in pericolo di morte (cfr. c. 977 CIC/1983). La coincidenza nelle stesse persone dei due rapporti, di peccato e di remissione sacramentale, costituisce un pericolo grave per il bene del penitente, non solo perché possono essere seriamente compromesse le doti dovute di giudice e di medico nel
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Nella penitenza pubblica vi era l’obbligo chiaramente giuridico di compiere le opere penitenziali previste, determinate in generale dai canoni conciliari o dalle sentenze dei Padri. Nei primi secoli della pratica della penitenza in forma privata, la soddisfazione veniva determinata secondo i libri penitenziali (a volte si parla di penitenza tariffata), e doveva essere eseguita di regola prima della riconciliazione. Anche oggi è logico che quando l’autorità ecclesiastica (Penitenzieria Apostolica, Vescovo diocesano) deve intervenire nel foro interno per la remissione di un peccato riservato in ragione di una censura o per se stesso, si seguano dei criteri generali d’indole oggettiva sulla penitenza da imporre, determinati dalla stessa autorità che decide. 24 È riservato alla Congregazione per la Dottrina della Fede (cfr. Normae de gravioribus delictis [nota 15], art. 4 § 1, 18).
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confessore, ma anche perché ci si può servire del sacramento come mezzo per proseguire poi in una falsa pace il rapporto peccaminoso.25 D’altra parte, le censure di scomunica e di interdetto comportano il divieto di ricevere l’assoluzione sacramentale (cfr. c. 1331 § 1, n. 2; c. 1332 CIC/1983), e poiché tali pene operano in diversi casi latae sententiae, ossia in maniera automatica rispetto alla commissione del delitto, nella celebrazione del sacramento si verifica talvolta la situazione di un peccato che non può essere assolto in ragione della censura per il rispettivo delitto. Il confessore ha però in alcuni casi speciali facoltà di rimettere la pena latae sententiae (cfr. cc. 508, 1357 CIC/1983). Non è previsto invece nell’attuale Codice latino l’istituto della riserva dei peccati ad una determinata autorità ecclesiastica (Sede Apostolica, Vescovo diocesano, ecc.), non già in ragione di una censura ma in se stessi, e cioè come peccati che, tranne casi eccezionali, solo possono essere assolti da quell’autorità. Il Codice orientale l’ha conservato (cfr. cc. 727 – 729 CIC/1983), non prevedendo invece le pene latae sententiae. Pensiamo che de iure condendo sarebbe possibile e conveniente estendere la soluzione orientale all’ambito latino, per meglio chiarire la distinzione, dimostratasi storicamente tanto auspicabile, tra celebrazione del sacramento della penitenza ed operatività delle sanzioni penali nella Chiesa. In fine, nel pericolo di morte cadono tutte le limitazioni per assolvere poste dall’autorità ecclesiastica, per cui ogni sacerdote, benché privo della facoltà di ricevere le confessioni e nonostante qualsiasi pena canonica che gli sia stata inflitta, in virtù della stessa legge universale (cfr. c. 976 CIC/1983), assolve validamente e lecitamente qualunque penitente da qualsiasi censura, dichiarata o meno, e da ogni peccato, anche quando sia presente un sacerdote approvato. Basta pertanto che si tratti di un sacerdote validamente ordinato e che il penitente abbia le dovute disposizioni.
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Un’altra limitazione legale è quella concernente il peccato (che è pure un delitto: cfr. c. 1390 § 1 CIC/1983) di aver falsamente denunziato un confessore per il delitto di sollecitazione al peccato contro il sesto comandamento: prima di dare l’assoluzione il Codice esige che ci sia stata ritrattazione formale della denunzia, oltre alla disposizione a riparare gli eventuali danni (cfr. c. 982 CIC/1983).
Pastoralchemie und Requisitenkunde Anmerkungen zu einem liturgierechtlichen Desiderat Winfried Haunerland Es war nach dem Gründonnerstag des Jahres 2013. Der kurz zuvor gewählte Papst Franziskus hatte in einem Gefängnis die Messe vom Letzten Abendmahl gefeiert und bei der nach der liturgischen Ordnung vorgesehenen Fußwaschung nicht nur Männern, sondern auch zwei Frauen die Füße gewaschen. Einer KNA-Meldung zufolge kommentierte der Pressesprecher des Vatikans diese Praxis, die in offensichtlicher Spannung zu den Vorschriften der liturgischen Bücher steht, nicht nur mit dem Hinweis, der Papst habe schon als Erzbischof von Buenos Aires Frauen in der Gründonnerstagsliturgie die Füße gewaschen, sondern auch mit der Einschätzung, dies sei zulässig, da es für diesen Ritus keine Gesetze gebe.1 Nun ist nicht auszuschließen, dass der Pressesprecher selbst vom souveränen Umgang des Papstes mit dem liturgischen Recht überrascht und insofern dadurch überfordert war. Möglicherweise hatte der Pressesprecher allerdings auch ausgeblendet, dass die Vorschriften der liturgischen Bücher verbindlich sind und insofern Gesetzeskraft haben. Oder ihm war nicht bewusst, dass die Rubriken des Missale Romanum für die Fußwaschung bei der Messe vom Letzten Abendmahl ausdrücklich von ausgewählten Männern (viri selecti) sprechen, denen innerhalb dieser Feier die Füße gewaschen werden können.2 Alle drei Interpretationen legen allerdings nahe, dass der Abschied von einer kleinteiligen und teilweise kleinlichen Rubrizistik auch eine Verunsicherung mit sich bringt, was denn nun liturgierechtlich verbindlich ist. Selbst 1 „Papst Franziskus feierte den Abendmahlsgottesdienst diesmal mit 49 Häftlingen im römischen Jugendgefängnis Casal del Marmor, in dem es auch einen größeren Anteil inhaftierter Frauen gibt, erläuterte Lombardi. Daher sei es zulässig gewesen, in dieser geschlossenen Gemeinschaft auch weibliche und nicht-katholische Häftlinge in die Geste der Fußwaschung mit einzubeziehen. Bei dieser handele es sich nicht um ein Sakrament, wenn auch um einen wichtigen Ritus, für den es jedoch keine Gesetze gebe, so der Vatikansprecher. Zudem habe der neue Papst bereits in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires wiederholt in Abendmahlsgottesdiensten am Gründonnerstag auch Frauen in die Fußwaschung mit einbezogen.“ KNA-Meldung hier zit. nach: http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/news/ page_news.php?id=12012 [Stand: 04. 04. 2013]. 2 Vgl. Missale Romanum. Editio typica tertia, Typis Vaticanis 2002, S. 300 (Nr. 11); ebenso Reimpressio emendata 2008, S. 300 (Nr. 11); ebenso Caeremoniale Episcoporum. Editio typica, Typis Polyglottis Vaticanis 1984 (Reimpressio 1995), Nr. 301. In diesem Sinn auch Kongregation für den Gottesdienst, Rundschreiben über die Feier von Ostern und ihre Vorbereitung vom 16. Januar 1988, Nr. 51 (EDIL/DEL 6082).
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wer nicht nur dem Papst, sondern auch anderen liturgisch Handelnden einen großen Ermessensspielraum einräumen möchte, müsste allerdings ein Interesse haben, dass jeder Entscheidungsträger nicht nur das liturgierechtliche Ordnungswerk kennt, sondern auch in seiner inneren Logik versteht. Im Folgenden soll nun versucht werden, exemplarisch auf die praktischen Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die sich stellen, wenn nach dem liturgischen Recht gefragt wird. An zwei älteren Werken kann gezeigt werden, wie das Problem, das auch in früheren Zeiten schon existierte, vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gelöst wurde. Darauf aufbauend ist zu überlegen, wie die Sache heute angegangen werden könnte.3
I. Kanonistik und liturgisches Recht 1. Das Problem Schon c. 2 CIC/1983 macht deutlich, dass der CIC nicht in umfassender Weise das liturgische Recht enthält: „Der Codex legt zumeist die Riten nicht fest, die bei der Feier liturgischer Handlungen zu beachten sind; deshalb behalten die bislang geltenden liturgischen Gesetze ihre Geltung, soweit nicht eines von diesen den Canones des Codex zuwiderläuft.“
Damit ist deutlich, dass prinzipiell die approbierten und rekognoszierten liturgischen Bücher weiterhin gültiges liturgisches Recht enthalten.4 Im Blick auf jene Bestimmungen, die in den liturgischen Büchern zu den Festlegungen des CIC im Widerspruch stehen, hat die Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst am 12. September 1983 ein Dekret über notwendige Änderungen in den liturgischen Büchern veröffentlicht.5 Bei Nachdrucken und Neuauflagen der lateinischen Editiones 3 Auch wenn Helmuth Pree, der mit diesem Beitrag geehrt werden soll, aufgrund seiner Münchener Lehrstuhlumschreibung nicht für das Heiligungsrecht zuständig ist, so hat er in seinen Veröffentlichungen doch immer wieder auch liturgierechtliche Fragen aufgegriffen und mit seiner einschlägigen Kompetenz mehrfach dem liturgiewissenschaftlichen Kollegen bereitwillig Rat gegeben. Vgl. exemplarisch Helmuth Pree, Das Recht auf die Heilsgüter (c. 213 CIC), in: Heiliger Dienst 48 (1994), S. 273 – 291; ders., Die Gemeinde als Trägerin der Liturgie in kanonistischer Sicht, in: Anselm Bilgri/Bernhard Kirchgessner (Hrsg.), Liturgia semper reformanda. FS Karl Schlemmer, Freiburg/Basel/Wien 1997, S. 12 – 33. 4 Vgl. zum Verhältnis von Liturgie und Recht insgesamt Stephan Haering, Liturgie und Recht, in: Martin Klöckener/Angelus A. Häußling/Reinhard Meßner (Hrsg.), Theologie des Gottesdienstes, Bd. 2 (= GdK 2/2), Regensburg 2008, S. 403 – 454; Stefan Rau, Die Feiern der Gemeinden und das Recht der Kirche. Zu Aufgabe, Form und Ebenen liturgischer Gesetzgebung in der katholischen Kirche (= MThA 12), Altenberge 1990. 5 Vgl. Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst, Dekret und Variationes vom 12. September 1983, hier zit. nach Notitiae 19 (1983), S. 540 – 555; dazu Reiner Kaczynski, Notwendige Änderungen der liturgischen Bücher aufgrund des Codex Iuris Canonici von 1983, in: Liturgisches Jahrbuch 34 (1984), S. 84 – 99.
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typicae und der volkssprachigen Ausgaben der liturgischen Bücher waren bzw. sind diese Variationes einzuarbeiten. Damit sind aber bei weitem nicht alle Probleme gelöst. Denn manches, was in den liturgischen Büchern oder im CIC festgelegt ist, wurde in weiteren Ausführungsbestimmungen spezifiziert – sei es durch den Apostolischen Stuhl, sei es durch die zuständigen Bischofskonferenzen oder einzelne Bischöfe. So finden sich etwa grundlegende Bestimmungen zur Ausstattung eines Kirchenraumes sowohl im CIC als auch in der Grundordnung des Messbuches und anderen liturgischen Büchern. Aber bestimmte Festlegungen sind den Bischofskonferenzen übertragen.6 Hilfreich war da sicher, dass die Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz schon 1988 „Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung gottesdienstlicher Räume“ herausgegeben und damit wichtige Orientierung gegeben hat.7 In ähnlicher Weise hat auch die Liturgische Kommission für Österreich frühere Beiträge des Wiener Liturgiewissenschaftlers Johannes H. Emminghaus aktualisiert und 1986 in einer SeparatPublikation zugänglich gemacht.8 Und natürlich finden sich wichtige Hinweise in Lexika9 und Handbüchern10. Eine hilfreiche Orientierung über die derzeit zu beachtenden Bestimmungen zu Material, Gestalt und Symbolik von Altar und Ambo, Vorstehersitz und Kredenz, Tabernakel und Taufbrunnen geben in einzelnen Diözesen eigene Leitlinien.11 Eine Zusammenstellung, die unter historischer, rechtlicher und theologischer Hinsicht zuverlässig darüber, aber auch über die Beschaffenheit etwa der vasa sacra oder über andere liturgische Vorschriften informiert, ist dennoch ein Desiderat. Dabei müssen im Einzelfall sehr unterschiedliche Informationen gesammelt und zusammengebracht werden, was am Beispiel der Materie für die Eucharistiefeier gut aufgezeigt werden kann.
6 So kommt es z. B. nach c. 1236 § 1 der Bischofskonferenz zu, festzulegen, aus welchem Material die Altarmensa gefertigt werden darf. 7 Vgl. Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen. Handreichung der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz. 25. Oktober 1988. 6. ergänzte Auflage 2002 (= Die deutschen Bischöfe – Liturgiekommission 9), Bonn 2002. 8 Vgl. Johannes H. Emminghaus, Gestaltung des Altarraumes, neubearb. v. Rudolf Pacik (= Texte der Liturgischen Kommission für Österreich 11), Salzburg 1986. 9 Vgl. etwa die einschlägigen Artikel im LThK3. 10 Vgl. etwa Johannes H. Emminghaus, Der gottesdienstliche Raum und seine Ausstattung, in: Rupert Berger u. a., Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen. 2. durchgesehene u. erg. Aufl. (= GdK 3), Regensburg 1990, S. 347 – 416, hier S. 385 – 416. 11 Vgl. z. B. Richtlinien für die Gestaltung von Kirchenräumen im Bistum Augsburg, Augsburg 2008; Leitlinien für die Gestaltung von liturgischen Räumen in der Diözese Gurk. Hrsg. v. d. Liturgischen Kommission, Klagenfurt o. J. [2012].
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2. Die Materie für die Eucharistiefeier a) Das Brot C. 924 § 2 klärt, wie das Brot für die Feier der Eucharistie beschaffen sein muss: „Das Brot muß aus reinem Weizenmehl bereitet und noch frisch sein, so daß keine Gefahr der Verderbnis besteht.“
C. 926 ergänzt: „Bei der Feier der Eucharistie hat der Priester gemäß der alten Überlieferung der lateinischen Kirche ungesäuertes Brot zu verwenden, wo immer er das Opfer darbringt.“
Die Grundordnung des Römischen Messbuches12 greift dies inhaltsgleich in GORM 320 auf: „Das Brot für die Eucharistiefeier muss aus reinem Weizenmehl bestehen, unlängst gebacken und nach der alten Tradition der lateinischen Kirche ungesäuert sein.“
Sie ergänzt freilich diese Bestimmungen und setzt damit ebenfalls Recht in GORM 321: „Die Zeichenhaftigkeit verlangt, dass die Materie der Eucharistiefeier tatsächlich als Speise erkennbar ist. Daher soll das eucharistische Brot, auch wenn es ungesäuert ist und in der herkömmlichen Form bereitet wird, so beschaffen sein, dass der Priester in einer mit dem Volk gefeierten Messe die Hostie wirklich in mehrere Teile brechen und diese wenigstens einigen Gläubigen reichen kann. Die kleinen Hostien werden jedoch keineswegs ausgeschlossen, wenn die Zahl der Kommunizierenden oder andere seelsorgliche Gründe sie erforderlich machen. Die Gebärde des Brotbrechens, die der Eucharistie in apostolischer Zeit schlechthin den Namen gab, wird die Kraft und Bedeutung des Zeichens der Einheit aller in dem einen Brot klarer zum Ausdruck bringen und die Bedeutung des Zeichens der Liebe dadurch, dass das eine Brot unter Brüdern geteilt wird.“
Damit scheint alles gesagt, was Priester, Mesner und Hostienbäcker über das Brot für die Feier der Eucharistie wissen müssen. Doch hatte man in Rom offensichtlich den Eindruck, dass diese an sich klaren Bestimmungen in der Praxis nicht immer befolgt wurden. Aus diesem Grund rief die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung in der Instruktion Redemptionis sacramentum diese Bestimmungen in Erinnerung und ergänzte: „Daraus folgt, dass Brot, das aus einer anderen Substanz, wenn auch aus Getreide, bereitet ist, oder Brot, dem eine vom Weizen verschiedene Materie in so großer Menge beigemischt ist, dass es gemäß dem allgemeinen Empfinden nicht mehr als Weizenbrot bezeichnet werden kann, keine gültige Materie für den Vollzug des eucharistischen Opfers und Sakramentes darstellt. Es ist ein schwerer Missbrauch, bei der Zubereitung des für die Eucharistie bestimmten Brotes andere Substanzen, wie zum Beispiel Früchte, Zucker oder Honig, beizu12 Dt. Text hier zitiert nach: Missale Romanum. Editio typica tertia 2002. Grundordnung des Römischen Messbuchs. Vorabpublikation zum Deutschen Messbuch (3. Auflage). 12. Juni 2007 (= Arbeitshilfen 215), Bonn 2007. Im Folgenden abgekürzt mit GORM.
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fügen. Es ist klar, dass die Hostien von Personen herzustellen sind, die sich nicht nur durch Rechtschaffenheit auszeichnen, sondern auch in der Zubereitung der Hostien erfahren und mit geeigneten Werkzeugen ausgerüstet sind.“13
In der Frage der Größe der Hostien und der nachdrücklichen Empfehlung, das Brot der Eucharistie auch wirklich zu teilen, setzt die Instruktion einen eigenen Akzent, der in einer gewissen Spannung zu GORM 321 steht. Die Bestimmungen zu den kleinen Hostien werden zitiert, aber dann mit dem Satz kommentiert: „Ja, für gewöhnlich sollen weitgehend kleine Hostien verwendet werden, die keiner weiteren Brechung bedürfen.“14
Während das liturgische Buch zumindest für kleinere Gruppen die Brechung einer größeren Hostie nahelegt, urgiert die Instruktion nicht einen zeichenhafteren Vollzug, wo immer es möglich ist, sondern geht davon aus, dass im Normalfall für die Gläubigen kleine Hostien verwendet werden, und empfiehlt diese – vermutlich weit verbreitete – Praxis auch. Mit wünschenswerter Deutlichkeit sind sich aber alle zitierten rechtlichen Quellen einig, dass gültige Materie für das eucharistische Brot nur Weizenbrot ist. Alle Überlegungen, ob im Rahmen einer Inkulturation des Christentums das Weizenbrot durch eine andere Speise ersetzt werden kann, werden damit vom Recht her zurückgewiesen. Damit könnte die Frage abschließend beantwortet sein, wenn es nicht auch unter den Katholiken Menschen gäbe, die an Zöliakie leiden und auf Gluten allergisch reagieren. Welche Möglichkeiten bestehen nun für diese, an der Eucharistie sakramental teilzunehmen?15 Die Kongregation für die Glaubenslehre hat in einem Schreiben an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen am 24. Juli 2003 die Verwendung von glutenfreien Hostien ausgeschlossen, von glutenarmen Hostien allerdings für möglich gehalten: „1. Hostien, die überhaupt kein Gluten enthalten, sind für die Eucharistie ungültige Materie. 2. Hostien, die wenig Gluten enthalten, jedoch soviel, dass die Zubereitung des Brotes möglich ist ohne fremdartige Zusätze und ohne Rückgriff auf Vorgangsweisen, die dem Brot seinen natürlichen Charakter nehmen, sind gültige Materie.“16
13
Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Instruktion Redemptionis sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind. 25. März 2004, Nr. 48 (VApS 164, 35). 14 Instruktion Redemptionis sacramentum (Anm. 13), Nr. 49 (VApS 164, 36). 15 Vgl. zur Sache Thomas Schüller, „Wenn der Kommunionempfang krank macht“ – Zöliakie, eine Krankheit und ihre Auswirkungen auf das Eucharistierecht, in: Rüdiger Althaus/ Klaus Lüdicke/Matthias Pulte (Hrsg.), Kirchenrecht und Theologie im Leben der Kirche. FS Heinrich J. F. Reinhard (= BzMK 50), Essen 2007, S. 377 – 387. 16 Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre vom 24. Juli 2003 an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zum Kommunionempfang bei Zöliakie oder Alkoholismus, hier zit. nach: AfkKR 172 (2003), S. 475 – 477, hier S. 475.
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Nach demselben Brief können Zöliakie-Kranke auch allein unter der Gestalt des Weines kommunizieren, falls sie sogar Hostien mit wenig Gluten nicht sumieren können. Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat schon am 24. Juni 1996 darauf hingewiesen, dass nach „Feststellung kompetenter medizinischer Fachleute […] Zöliakiekranke Hostien aus Weizenstärke ,Cerestar‘ problemlos kommunizieren“ können.17 Wo allerdings findet ein Seelsorger, der erstmals mit dieser Frage konfrontiert wird, entsprechende Informationen? b) Der Wein Auch die Bestimmungen über den Wein für die Feier der Eucharistie sind komplexer, als es CIC und Messbuch erkennen lassen.18 C. 924 § 3 erklärt: „Der Wein muß naturrein aus Weintrauben gewonnen sein und darf nicht verdorben sein.“
Die Grundordnung des Römischen Messbuches erklärt in GORM 322: „Der Wein für die Eucharistiefeier muss vom Gewächs des Weinstocks (vgl. Lk 22,18) stammen und naturrein und unvermischt sein, das heißt ohne Beimischung von Fremdstoffen.“
Die Deutsche Bischofskonferenz hatte im Jahr 1976 eine differenzierte Messweinverordnung erlassen, die klare Standards formulierte und auch differenzierte Bestimmungen für die Zulassung von Messweinlieferanten enthielt. Mittlerweile wurden aber die einschlägigen deutschen Weingesetze so verändert, dass die Verordnung von 1976 inhaltlich weitgehend obsolet ist und deshalb von der Deutschen Bischofskonferenz am 23. Juni 2014 auch förmlich aufgehoben wurde.19 Vielfach aber war schon zuvor die Einhaltung der Verordnung von 1976 nicht mehr urgiert worden. Ähnlich wie beim Weizenbrot gibt es auch beim Wein Personen, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Alkohol trinken dürfen. In dem oben genannten Rundschreiben wird ausdrücklich auch Traubensaft als für die Eucharistie gültige Materie bezeichnet und zugleich geklärt, für welchen Personenkreis die Verwendung gestattet werden darf. Natürlich kann man in aktuellen Kommentaren die Bestimmungen finden.20 Dies setzt allerdings nicht nur voraus, dass solche Kommentare leicht greifbar sind, sondern auch, dass die Verantwortlichen wissen, wo sie diese Informationen zum liturgischen Recht suchen können.
17
Hier zit. nach Pastoralblatt des Bistums Eichstätt Nr. 9 vom 24. November 2003, S. 216. Vgl. zur Sache beispielsweise Georg May, Vinum de vite als Materie des eucharistischen Opfersakramentes, in: Bernd Jochen Hilberath/Dorothea Sattler (Hrsg.), Vorgeschmack. Ökumenische Bemühungen um die Eucharistie. FS Theodor Schneider, Mainz 1995, S. 429 – 452. 19 Vgl. etwa Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Regensburg, Nr. 8 vom 11. August 2014, S. 92. 20 Vgl. etwa Rüdiger Althaus, c. 924, Rdnr. 5, in: MK CIC (Stand: Juli 2004). 18
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II. Rudolf Fattinger und seine liturgierechtlichen Sammlungen Offensichtlich ist das Problem nicht neu und wurde auch schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gesehen. Im Abstand von 25 Jahren hat der Linzer Diözesanpriester Rudolf Fattinger 1930 und 1955 zwei Bücher vorgelegt, in denen er auf der Grundlage der geltenden kirchlichen Bestimmungen über vieles informierte, was für die Feier der Liturgie von Bedeutung war. Rudolf Fattinger wurde am 11. April 1889 in St. Agatha geboren und am 3. September 1911 in Linz zum Priester geweiht. Nach kürzeren Tätigkeiten als Kaplan und Provisor21 war er mit einer kurzen Unterbrechung von April 1914 bis August 1916 in Linz Präfekt am Petrinum, dem Knabenseminar der Diözese.22 Danach unterrichtete er bald 40 Jahre als Katechet (Religionslehrer) in Waldegg23, wobei er zeitweise nebenbei auch als Kaplan tätig war.24 Vermutlich nach seiner Versetzung in den Ruhestand wurde er am 12. August 1955 Diözesandirektor des Priesteranbetungsvereins, nach seinem Tod am 31. Dezember 1966 fand er in seiner Heimat St. Agatha sein Grab. Aus dem Lebenslauf und den Unterlagen des Linzer Diözesanarchivs ergibt sich kein Hinweis, dass Fattinger für eine solche liturgierechtliche Orientierung besonders vorbereitet war. Offensichtlich verdanken sich beide Bände auch keinem Auftrag, sondern entstanden, weil der Verfasser selbst an den Fragen interessiert war und einen entsprechenden Bedarf sah. Mit Datum vom 30. Oktober 1950 findet sich im Archiv ein Brief, in dem sich Fattinger an das Ordinariat wendet, um für seine im Manuskript fertige „Liturgisch-praktische Requisitenkunde“ zu werben. Geplant war offensichtlich ein Druck in der Missionsdruckerei St. Gabriel.25 Der dortige Verlagsleiter hatte allerdings verlangt, dass schon im Voraus die Übernahme von 200 Exemplaren durch die Diözese gesichert sein müsse. Fattinger ersuchte nun das Ordinariat um die Entscheidung, dass das Buch von den Pfarrämtern aus der Kirchenkasse anzuschaffen sei. Er warb dabei unter anderem mit den Überlegungen: „Das Buch bietet rasche Orientierung, die für den mit Arbeit heute überlasteten und der nötigen Handliteratur baren Klerus eine Zeitersparnis zu Gunsten der eigentlichen Seelsorgs21
02. 09. 1911 – 12. 05. 1913 Kooperator Esternberg; 13. 05. 1913 – 20. 08. 1913 Provisor Eggerding; 21. 08. 1913 – 01. 04. 1914 Provisor St. Radegund. 22 02. 04. 1914 – 26. 06. 1914 Präfekt Linz, Petrinum; 26. 06. 1914 – 26. 07. 1914 Kooperator Linz-St. Josef; 26. 07. 1914 – 22. 08. 1916 Präfekt Linz, Petrinum. 23 23. 08. 1916 – 1954 Bürgerschulkatechet Linz, Waldegg. 24 1943 – 01. 07. 1950 Lokalkaplan Linz, Heilham. 25 Zur Geschichte von Verlag und Druckerei der Steyler Missionare in Mödling vgl. Winfried Glade, Missionsdruckerei St. Gabriel, in: Maria Enzersdorfer Kulturblätter. Geschichte und Geschichten werden lebendig. Heft 11 (2/2009), hier zit. nach: http://www.steyler.eu/svd/ steyler/Glade_Winfried/Geschichte_Missionsdruckerei.pdf [Stand: 12. 05. 2014].
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arbeiten bedeutet. Das Buch wird auch die Durchführung der Rubriken und der behördlichen Weisungen, die alle zusammengetragen sind, fördern sowie der Ordinariatskanzlei die Beantwortung vieler Fragen ersparen.“
Fattinger verweist noch auf das Gutachten eines nicht namentlich genannten Laien, „der jedenfalls Fachmann in diesen rebus mixtis ist“, und zeigt auch damit noch einmal, dass das Werk das Ergebnis seiner Privatinitiative ist. Einem handschriftlichen Randvermerk ist zu entnehmen, dass das Buch zwar empfohlen, aber seine Anschaffung nicht verpflichtend vorgeschrieben werden sollte. Vermutlich reichte diese Entscheidung der Missionsdruckerei St. Gabriel nicht, um das Buch herauszugeben. Faktum ist, dass das Werk erst 1955 im Verlag Herder in Freiburg erschien.26 1. Pastoralchemie 1930 Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Fattinger aber bereits sein erstes Buch erfolgreich beim Verlag Herder veröffentlichen können. Unter dem Titel „Pastoralchemie“ wollte er – wie der Untertitel deutlich machte – „eine Orientierung über die sakramentalen Materien, liturgischen Metalle, Textilien und Beleuchtungsstoffe nach den kirchlichen Bestimmungen“ geben.27 Fattinger handelt deshalb über Brot und Wein für die Feier der Eucharistie, über die Öle für Chrisam sowie Katechumenenund Krankenöl, über liturgisches Wasser sowie liturgische Metalle, Textilien und Beleuchtungskörper. Eindrucksvoll ist das Quellen- und Literaturverzeichnis, aus dem hervorgeht, dass der Verfasser nicht nur die normativen Quellen und die einschlägigen kanonistischen und liturgischen Handbücher konsultiert hat, sondern ebenso wichtige Werke zur Nahrungskunde und zu der für die verschiedenen Dinge notwendigen Materialkunde. Für das Liturgierecht im engeren Sinn war seinerzeit natürlich in besonderer Weise die sechsbändige Sammlung der Decreta authentica der Ritenkongregation wichtig.28 Denn hier waren die Antworten gesammelt, mit denen das für den Gottesdienst zuständige römische Dikasterium auf vielfältige Fragen zur Liturgie und ihrer Feier reagierte. Diese Entscheidungen der Kongregation waren als authentische Auslegung des liturgischen Rechtes zu verstehen und damit für das Verständnis und die Interpretation zahlreicher Bestimmungen auch in den liturgischen Büchern verbindlich. Auch wenn diese Sammlungen gedruckt vorlagen, so standen sie natürlich nicht allen Priestern zur Verfügung. Vor allem aber waren diese Sammlungen chronologisch und nicht sachlich geordnet, so dass die wirkliche Kenntnis der gegenwärtigen 26
Siehe dazu unten bei Anm. 30. Rudolf Fattinger, Pastoralchemie. Eine Orientierung über die sakramentalen Materien, liturgischen Metalle, Textilien und Beleuchtungsstoffe nach den kirchlichen Bestimmungen, Freiburg im Breisgau 1930. 28 Vgl. Decreta authentica Congregationis Sacrorum Rituum ex actis eiusdem collecta. 6 Bde., Rom 1898 – 1927. 27
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Ordnung ein eigener Akt der Suche und Zusammenschau war, den Fattinger mit seiner Pastoralchemie für einen wichtigen Bereich zu leisten versuchte. 2. Liturgisch-praktische Requisitenkunde 1955 Was zur Quellen- und Literaturbasis der „Pastoralchemie“ gesagt wurde, gilt entsprechend auch für die „Liturgisch-praktische Requisitenkunde“, deren erstes Manuskript offensichtlich bereits 1950 fertiggestellt war. Sie erhielt am 24. Mai 1954 das Imprimatur durch den Linzer Generalvikar Ferdinand Weinberger (1896 – 1981)29 und erschien 1955 im Freiburger Verlag Herder.30 Das „in lexikaler Form“ als Nachschlagewerk konzipierte Buch sollte nach seinem Titel „für den Seelsorgsklerus, für Theologen, Architekten, Künstler, Kunst- und Paramentenwerkstätten“ als Hilfe dienen. Wie schon in seinem Schreiben von 1950 herausgestellt, will Fattinger mit dem Buch dem Seelsorgeklerus eine praktikable Hilfe an die Hand geben. Dabei denkt er auch an die Missionare und Missionsbischöfe, die noch weniger in der Lage sind, sich im Einzelnen selbst sachkundig zu machen. Dann aber stellt er heraus, dass die jüngeren technischen Entwicklungen auch neue Herausforderungen mit sich bringen. So soll das Buch also helfen, „die oft vergessenen oder noch unbekannten autoritativen Bestimmungen durchzuführen, dem Klerus in Fragen moderner Technik, wie Einführung radiophonischer Geläute, Lautsprecheranlagen, des Tonbandes u. dgl., Klarheit über die neuesten Erlasse zu bieten, ihn auf die mögliche Verwendung neuer, bisher liturgisch ungebräuchlicher Werkstoffe, wie Chrom, Kunstharz u. a., hinzuweisen, Fehlanschaffungen und -konstruktionen zu verhindern – man denke etwa an den Bau der Beichtstühle –, altes Kunstgut vor Verschleuderung und vor Verderb durch schädliche Behandlung zu bewahren, falsche Praktiken seitens der Kunstwerkstätten auszuschalten, den vorhandenen liturgischen Hausrat richtig intakt erhalten zu lehren und damit auch nicht unbeträchtlich die Kirchenkasse zu schonen.“31 Während die „Pastoralchemie“ in sieben Kapitel aufgeteilt war, ist die „Liturgisch-praktische Requisitenkunde“ konsequent als Wörterbuch angelegt. Natürlich gibt es auch hier Lemmata, die über mehrere Seiten traktiert werden und damit den Umfang eines eigenständigen Buchkapitels haben.32 Aber durch die alphabetische Anordnung der Artikel findet der Nutzer schneller, was er braucht, und darüber hinaus Antworten auf Fragen, die Fattinger in der „Pastoralchemie“ noch nicht behandelt hatte. 29
Vgl. zu seiner Person Rudolf Zinnhobler, Weinberger, Ferdinand (1896 – 1981), in: Erwin Gatz (Hrsg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945 – 2001. Ein biographisches Lexikon., Berlin 2002, S. 335. 30 Vgl. Rudolf Fattinger, Liturgisch-praktische Requisitenkunde für den Seelsorgsklerus, für Theologen, Architekten, Künstler, Kunst- und Paramentenwerkstätten. In lexikalischer Form, Freiburg im Breisgau 1955. 31 Ebd., S. V f. 32 Vgl. etwa Fattinger, Art. Bilder und Statuen, in: ders., Liturgisch-praktische Requisitenkunde (Anm. 30), S. 64 – 75; Art. Wein, in: ebd. S. 260 – 273.
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III. Vorüberlegungen zu einem liturgierechtlichen Wörterbuch Fattingers Bücher haben keine weiteren Auflagen gehabt und zumindest im deutschen Sprachgebiet auch keine Nachfolger gefunden. Dennoch dürfte das Anliegen, verlässliche Orientierung über die liturgierechtlichen Bestimmungen im umfassenden Sinn zu finden, unter verschiedenen Aspekten nicht einfach überholt sein. Freilich ist es notwendig, nach den angemessenen Zielen im Kontext der Gegenwart und nach den dafür notwendigen Kompetenzen zu fragen.
1. Ziele Eine neue Sammlung und Systematisierung der liturgierechtlichen Materie darf nicht Grundlage einer Neorubrizistik werden, in der kasuistisch oder gar kleingeistig die Feier der Liturgie dem Diktat positivistischer Normen unterworfen wird, ohne nach deren innerer Logik, ihrem liturgischen Sinn und ihrer theologischen Berechtigung zu fragen. Ziel muss es vielmehr sein, die liturgierechtlichen Bestimmungen zur Kenntnis zu nehmen und in ihrer vielfältigen Bezogenheit wahrzunehmen. Das nämlich ist die notwendige Grundlage für eine sach- und situationsgerechte Anwendung oder auch für eine entsprechende Fortschreibung und Weiterentwicklung. Normabweichungen, die aus Unbedarftheit oder Unkenntnis geschehen, sind in der Regel kein Beitrag zu einer besseren Gottesdienstkultur, sondern fördern statt der viel beschworenen ars celebrandi eine Beliebigkeit, die langfristig die Liturgie als einen rituellen, von der Kirche geordneten und aus der Tradition heraus geprägten Vollzug beschädigen kann. So dient die Sammlung und Systematisierung der liturgierechtlichen Materie zuerst der leichteren Orientierung für alle, die sich reflexiv mit dem Gottesdienst der Kirche beschäftigen oder für das konkrete gottesdienstliche Leben Verantwortung tragen. Wünschenswert wäre darüber hinaus, dass auch die damit zusammenhängenden Probleme thematisiert werden. Gerade dort, wo die Praxis von den vorgegebenen Normen abweicht, muss geprüft werden, wieweit hier „nur“ die Ordnung verletzt wird oder aber innere Gesetzmäßigkeiten und theologische Grundlagen des liturgischen Aktes beschädigt werden. Das eingangs zitierte Beispiel der Fußwaschung am Gründonnerstag kann hier noch einmal instruktiv sein. Liturgierechtlich ist es keine Frage, dass die Rubriken von viri selecti sprechen und damit davon ausgehen, dass die Fußwaschung allein an Männern vollzogen wird. Als Papst Pius XII. die Fußwaschung in die Liturgie der Messfeier vom Letzten Abendmahl integrierte, hatte diese Bestimmung große Plausibilität. Denn nach den damaligen Regeln war der Ritus wesentlich mimetisch bestimmt. Ausdrücklich wurde von zwölf Männern gesprochen und der Zelebrant legte die Kasel ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch – so wie Jesus nach Joh 13,4 seinen zwölf Aposteln die Füße wusch, nachdem er das Obergewand abge-
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legt und ein Leinentuch umgelegt hatte.33 Plausibel war die Bestimmung seinerzeit allerdings nicht nur, weil die zwölf Männer ein Bild für die Apostel waren, sondern auch deshalb, weil nach dem allgemeinen Liturgieverständnis der damaligen Zeit Frauen zu einem liturgischen Akt nicht fähig waren. Noch im Jahr 1958 stellte die Ritenkongregation heraus, dass nur Männer einen unmittelbaren, wenn auch delegierten amtlichen Dienst in der Liturgie ausüben konnten.34 Nachdem mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die grundsätzliche Liturgiefähigkeit aller Getauften keine Frage mehr ist und nachdem das erneuerte Missale die mimetischen Züge der Fußwaschung relativiert bzw. weitgehend zurückgedrängt hat, ist die Beschränkung auf Männer theologisch nicht mehr zu rechtfertigen. Eine Korrektur der Rubriken wäre also möglich und theologisch problemlos. Dadurch dass eine der beiden Frauen, denen Papst Franziskus die Füße gewaschen hat, eine Muslima war, hat der Papst allerdings eine weitergehende Frage aufgeworfen.35 Das Recht zur tätigen Teilnahme an der Liturgie basiert auf der Taufe. Welche Rollen können Nichtgetaufte in der katholischen Liturgie wahrnehmen, ohne dass damit die Liturgie selbst in ihrem grundlegenden Charakter als Wesensvollzug von Kirche Schaden nimmt. In der Sache ist es wohl zu wenig, in den Männern und Frauen, denen die Füße gewaschen werden, nur passive Empfänger eines Handelns der Kirche zu sehen und ihnen jede aktive Teilnahme an der Liturgie abzusprechen. Aber auch wer aus Freude über die Offenheit des Papstes und seines liturgischen Handelns an dieser Stelle Bedenken nicht nachvollziehen kann, muss daran interessiert sein, die Frage zu klären, welchen Platz Nichtgetaufte in katholischer Liturgie einnehmen können. Denn es wäre fatal, wenn der souveräne Umgang des Papstes mit den liturgischen Vorschriften bei der Messe vom Letzten Abendmahl dazu führte, dass andere nun unterschiedslos Getaufte und Nichtgetaufte zur Teilnahme am Allgemeinen Gebet der Gläubigen, an der Verlesung der Heiligen Schrift, an der Gabendarbringung bei der Messfeier oder gar an der Kommunion einladen. Es reicht jedenfalls nicht, angesichts kritischer Anfragen an das päpstliche Handeln vor einem „Rückfall in den alten, mit Ängstlichkeit gepaarten Rubrizismus“36 zu
33
Vgl. Winfried Haunerland, Die Fußwaschung am Gründonnerstag – Evangelienspiel oder Nachfolgehandlung?, in: Liturgisches Jahrbuch 48 (1998), S. 79 – 95, hier S. 86. 34 Vgl. Ritenkongregation, Instruktion über die Kirchenmusik und die heilige Liturgie im Geiste der Enzykliken Papst Pius‘ XII. „Musicae sacrae disciplina“ und „Mediator Dei“. 03. September 1958, Nr. 93c, hier zit. nach Dokumente zur Kirchenmusik unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebietes. Hrsg. v. Hans Bernhard Meyer/Rudolf Pacik, Regensburg 1981, S. 114; sowie Carlo Braga/Annibale Bugnini, Documenta ad instaurationem liturgicam spectantia. 1903 – 1963, Roma 2000, Nr. 3258. 35 Vgl. Winfried Haunerland, Die Liturgie der Fußwaschung. Anfragen aus der Praxis an die gottesdienstliche Ordnung am Gründonnerstag, in: Benjamin Leven/Martin Stuflesser (Hrsg.), Ostern feiern. Zwischen normativem Anspruch und lokaler Praxis (= Theologie der Liturgie 4), Regensburg 2013, S. 47 – 55, hier S. 51 f. 36 Erich Garhammer, Wider die Musealisierung der Liturgie, in: Lebendige Seelsorge 65 (2014), S. 215 – 221, hier S. 221.
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warnen. Wissenschaft, auch Pastoraltheologie, die ernst genommen werden will, darf auf die Mühe theologischer Argumentation nicht verzichten. 2. Notwendige Kompetenzen Damit aber liegt auf der Hand, dass eine zeitgemäße Bestandsaufnahme des Liturgierechts und aller rechtlich relevanten Bestimmungen, die sich auf die Liturgie und ihre Feier beziehen, nur das Ergebnis interdisziplinärer Bemühungen von Kanonistik und Liturgiewissenschaft sein kann. Aus der Perspektive beider Disziplinen wird es dabei nicht nur um eine Zusammenschau der gegenwärtigen Rechtslage gehen können. Historische Kenntnisse sind unumgänglich, um die Logik einschlägiger Bestimmungen einschätzen zu können. Ebenso aber müssen die rechtlichen Festlegungen auf ihre theologische Valenz hin befragt werden. Dass darüber hinaus auch ganz praktische Kenntnisse vorausgesetzt werden müssen, ergibt sich etwa im Blick auf die Materie für die Eucharistie oder für die vasa sacra von selbst. Wie in vielen Bereichen der praktischen Theologie bedarf es also historischer, theologischer und praktischer Kompetenzen, damit das liturgische Recht umfassend dargelegt werden kann. Dann fördert es einerseits in der Feier der Liturgie und ihrem Umfeld Verhaltenssicherheit, andererseits aber besteht auch die Chance, es nicht als positivistisches Regelwerk zu empfinden, das im Zweifel als Hindernis für eine authentische Feier der Liturgie sowie eine menschenzugewandte Seelsorge angesehen und deshalb nicht zur Kenntnis genommen wird. Die Voraussetzungen, unter denen Rudolf Fattinger einst seine Wörterbücher geschrieben hat, haben sich tiefgreifend verändert. Rubrizistische Ängstlichkeit ist weitgehend überwunden, umfangreiche Sammlungen authentischer Entscheidungen der für den Gottesdienst zuständigen römischen Stellen gibt es nicht mehr und kann es auch in der Form früherer Zeiten nicht mehr geben.37 Gerade deshalb aber dürfte es nicht unwichtig sein, dass jene Orientierungen, die es gibt, auch zur Kenntnis genommen werden können. Normabweichungen sollten jedenfalls nicht das Ergebnis geistloser Ignoranz sein. Ohne Zweifel wird es – wie Papst Franziskus eindrucksvoll ge37 Hilfreich sind sicher die Sammlungen der Dokumente, die sich auf die liturgische Erneuerung beziehen, die vereinzelt auch auf Antworten verweisen, die die für den Gottesdienst zuständige Kongregation gegeben hat. Im Vergleich zu den authentischen Dekreten der Ritenkongregation vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist die Zahl dieser Antworten nach diesem Konzil äußerst gering. Vgl. Reiner Kaczynski, Enchiridion documentorum instaurationis liturgicae. Bd. 1: 1963 – 1973, Torino 1976; Bd. 2: 4. 12. 1973 – 4.12.1983, Roma 1988, Bd. 3: 4. 12. 1983 – 4.12.1993, Roma 1997; Dokumente zur Erneuerung der Liturgie. Bd. 1: Dokumente des Apostolischen Stuhls 1963 – 1973. Hrsg. v. Heinrich Rennings unter Mitarb. v. Martin Klöckener, Kevelaer 1983 (2. Aufl. Kevelaer/Freiburg Schweiz 2002); Bd. 2: Dokumente des Apostolischen Stuhls 4. 12. 1973 – 3.12.1983. Übers., bearb. u. hrsg. v. Martin Klöckener/Heinrich Rennings, Kevelaer/Freiburg Schweiz 1997; Bd. 3: Dokumente des Apostolischen Stuhls 4. 12. 1983 – 3.12.1993. Mit Supplementum zu Bd. 1 und 2. Übers., bearb. u. hrsg. v. Martin Klöckener unter Mitarb. v. Guido Muff, Kevelaer/Freiburg Schweiz 2001.
Pastoralchemie und Requisitenkunde
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zeigt hat – Situationen geben, in denen um der Sache selbst willen sekundäre Bestimmungen nicht anwendbar, obsolet oder auch überholt sind. Verantwortlich entscheiden kann aber nur der, der das geltende liturgische Recht kennt und die innere Logik seiner Normen verstanden hat. Eine eingehende Bestandsaufnahme und ihre angemessene Aufbereitung wären nicht zuletzt im Blick auf die gottesdienstliche Praxis wünschenswert.
Vermögens-, Arbeits- und Urheberrecht
La responsabilità canonica degli amministratori dei beni della Chiesa Jesús Miñambres L’amministratore di beni ecclesiastici, quelli di titolarità delle persone giuridiche pubbliche nella Chiesa, secondo la descrizione del c. 1257 CIC/19831, risponde in primo luogo, secondo gli strumenti (norme, procedure, processi, ecc.) previsti nell’ordinamento canonico che è quello che definisce le sue funzioni, davanti alla Chiesa. Perciò, oltre ai molti doverosi riferimenti ad altri ordinamenti legali in materia di responsabilità giuridica sulla gestione dei beni, e malgrado la scarsa previsione legale canonica in materia (principalmente, i c. 1281 § 3 e c. 639 CIC/ 1983, insieme con il c. 128 CIC/1983 relativo al risarcimento dei danni, o i corrispettivi cc. 1024 § 3; 468, 529, 533; e 935 CCEO)2, la giusta gestione e amministrazione dei beni ecclesiastici richiede un uso responsabile degli strumenti canonici a disposizione che in primo luogo fa riferimento alla Chiesa stessa, alla comunità dei fedeli. Perciò abbiamo pensato di focalizzare le nostre riflessioni esclusivamente sulla responsabilità giuridica canonica degli amministratori di beni ecclesiastici. Per raggiungere qualche conclusione utile in materia, inizieremo con l’analisi delle “posizioni giuridiche soggettive” di coloro che partecipano all’amministrazione dei beni, delle persone giuridiche titolari dei beni amministrati e anche, per quanto sarà necessario, dei terzi che in questo modo entrano in contatto con la funzione amministrativa canonica. Questa prima analisi ci consentirà di identificare e distinguere le responsabilità della stessa persona giuridica da quelle che possano essere attribuite all’amministratore o agli altri soggetti coinvolti nella gestione dei beni ecclesiastici, ed eventualmente anche dalle responsabilità di chi stabilisce un rapporto contrattuale con questi soggetti. Passeremo poi a considerare le attività che possono dare origine ad una responsabilità, sia quelle che possono essere considerate come attività “pubbliche” di amministrazione (la produzione di atti amministrativi in materia di gestione dei beni ecclesiastici), sia quelle altre che potrebbero essere definite come attività di collaborazione, o anche quelle che rispondono alla nozione di “gestione quotidiana 1 Descrizione analoga fa il c. 1009 § 2 CCEO, con le peculiarità proprie del Diritto orientale, che non conosce la distinzione tra persone giuridiche pubbliche e private. 2 Per un primo approccio generale a questi strumenti, cfr. Jean-Pierre Schouppe, Elementi di Diritto patrimoniale canonico, 28 ed. riveduta, aggiornata ed ampliata, Milano 2008, pp. 156 ss.
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dei beni” (contratti, obbligazioni, omissioni, ecc.). Non pare che l’ordinamento canonico possa accogliere la nozione di responsabilità “oggettiva”, ma anche questa ipotesi dovrà essere valutata brevemente.3 Infine, sarà anche interessante prendere in esame le diverse conseguenze che l’attività dell’amministratore può avere nella sfera patrimoniale dell’ente amministrato, e anche sul proprio patrimonio personale dell’amministratore, così come quelle altre conseguenze del suo agire che possano esulare dalle ricadute patrimoniali su uno o sull’altro soggetto e arrivare alla privazione coatta di diritti personali dell’amministratore, come pena per la commissione di un delitto tipizzato dal Diritto penale canonico. In questo contesto, la legge canonica non ha, per il momento, sviluppato la denominata “responsabilità penale degli enti”, come invece hanno fatto molti ordinamenti giuridici negli ultimi decenni.4
I. Soggetti responsabili La gestione dei beni ecclesiastici genera una prima relazione tra la persona giuridica pubblica titolare dei beni (cfr. c. 1257 CIC/1983) e le persone fisiche che la gestiscono come organi o rappresentanti5; sono queste infatti che mettono in moto l’attività della persona giuridica e configurano ed esprimono la sua volontà. Tra queste persone fisiche, la legge canonica universale include coloro che svolgono la funzione di amministrare i beni della persona giuridica che denomina appunto “amministratori” e descrive come coloro che reggono “immediatamente la persona cui gli stessi beni appartengono” (c. 1279 § 1 CIC/1983 e c. 1023 CCEO). Stabilisce anche che “ogni persona giuridica abbia il proprio consiglio per gli affari economici o almeno due consiglieri, che coadiuvino l’amministratore nell’adempimento del suo compito” (c. 1280 CIC/1983, non previsto dal CCEO). Per le diocesi, gli istituti di vita consacrata e i seminari, la legge richiede inoltre la costituzione dell’ufficio di economo (cfr. cc. 494, 636, 239 CIC/1983).6 Nella gestione dei beni ecclesiastici, o se si preferisce nella loro amministrazione “diretta” (escludiamo così le funzioni di vigilanza e controllo affidate all’Ordinario 3 Sulla responsabilità oggettiva nel Diritto canonico, cfr. Maria D’Arienzo, Il concetto giuridico di responsabilità. Rilevanza e funzioni nel Diritto canonico, Cosenza 2012, pp. 89 – 92; Eduardo Baura, Parte generale del Diritto canonico. Diritto e sistema normativo, Roma 2013, pp. 72 – 73. 4 Un breve cenno a questa responsabilità in materia penale, cfr. D’Arienzo, Il concetto (nota 3), pp. 92 – 95. 5 Sulle teorie organiche e rappresentative e la loro applicazione all’ordinamento canonico, cfr. Juan Ignacio Arrieta, Diritto dell’organizzazione ecclesiastica, Milano 1997, pp. 106 ss. 6 Per il CCEO, cfr. cc. 262, 447 e 338. Non è da escludere che altre persone giuridiche pubbliche possano prevedere la figura dell’economo nei propri statuti. Se si confrontano i canoni citati si osserva che gli uffici descritti, anche se tutti denominati “economo”, manifestano differenze notevoli.
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[c. 1276 CIC/1983 e c. 1022 CCEO]7 o al Romano Pontefice [c. 1273 CIC/1983 e c. 1008 CCEO]8, che secondo noi non rientrano nell’amministrazione in senso proprio), concorrono quindi almeno i soggetti seguenti: la persona giuridica titolare dei beni, il suo amministratore, assistito dal consiglio per gli affari economici, e l’economo, quando previsto. Quale è la responsabilità di ciascuno nei confronti dell’amministrazione? 1. Amministratore ed economo Probabilmente il punto più discusso per quanto riguarda l’individuazione dei responsabili dell’amministrazione dei beni ecclesiastici, almeno dal punto di vista teorico, e quello che offre maggiori difficoltà di ermeneutica legale, riguarda il contenuto formale e funzionale, nonché la relativa distinzione, degli uffici di amministratore e di economo.9 Da una parte, come abbiamo già indicato, l’amministratore è “chi regge immediatamente la persona” giuridica (c. 1279 CIC/ 1983 e c. 1023 CCEO); dall’altra, spetta all’economo “amministrare i beni della diocesi” (c. 494 § 3 CIC/1983).10 Viene così legittimata dal testo normativo stesso la domanda su chi risponda per l’amministrazione dei beni della diocesi: il Vescovo, che la regge, o l’economo? Per motivi di chiarezza espositiva, concentreremo le nostre riflessioni sulla struttura amministrativa delle diocesi, senza però tralasciare gli altri rapporti tra amministratore ed economo previsti dall’ordinamento, per quanto possano offrire elementi utili a capire la figura: quello tra il superiore religioso e l’economo dell’istituto (o della Provincia, o della casa) del c. 636 CIC/
7 Cfr. Jesús Miñambres, La responsabilità nella gestione dei beni ecclesiastici dell’ente diocesi, in: Juan Ignacio Arrieta (cur.), Enti ecclesiastici e controllo dello Stato. Studi sull’Istruzione CEI in materia amministrativa, Venezia 2007, pp. 71 – 86. 8 Cfr. Jesús Miñambres, Il Romano Pontefice garante ultimo della destinazione dei beni ecclesiastici, in: James Conn/Luigi Sabbarese (cur.), Iustitia in caritate. Miscellanea di studi in onore di Velasio De Paolis, Città del Vaticano 2005, pp. 431 – 443. 9 Interessa qui il contenuto “reale” delle figure al di là delle denominazioni che, talvolta, possono aggiungere confusione: non è infrequente trovare documenti che designano l’economo come amministratore, e i collaboratori dell’economo come ufficio amministrativo (vedi, ad es., l’Istruzione in materia amministrativa [2005] della Conferenza episcopale italiana, nn. 21, 24, 26, 96, ecc., anche se, in realtà, il documento distingue sempre tra economo e responsabile dell’ufficio amministrativo). 10 Come si sa, già il c. XXV del concilio di Calcedonia (a. 451) dispose di nominare un economo per ogni diocesi: “Quoniam quibusdam ecclesiis, ut rumores conperimus, praeter oeconomos episcopi facultates ecclesiasticas tractant, placuit omnem ecclesiam habentem episcopum habere et oeconomum de clero proprio, qui dispenset res ecclesiasticas secundum sententiam episcopi proprii, ita ut ecclesiae dispensatio praeter testimonium non sit, et ex hoc dispergantur ecclesiasticae facultates, et derogatio maledictionis sacerdotio provocetur. Quod si hoc minime fecerit, divinis constitutionibus subiacebit” (Giuseppe Alberigo et al., ed., Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 1991, p. 99).
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1983, e quello tra il rettore del Seminario e l’economo, previsto dal c. 239 CIC/ 1983.11 Il Codice di Diritto canonico attribuisce al Vescovo la rappresentanza della diocesi “in tutti i negozi giuridici” (c. 393 CIC/1983 e c. 190 CCEO). Ma non stabilisce espressamente che il Vescovo sia anche l’amministratore della diocesi.12 Invece, come abbiamo appena detto, il c. 494 § 3 CIC/1983 stabilisce che “è compito dell’economo […] amministrare i beni della diocesi sotto l’autorità del Vescovo”13. Dal combinato di questi canoni, e dalla considerazione complessiva delle figure organizzative coinvolte e dei contorni dell’attività di amministrare nella Chiesa, si può dedurre che l’amministratore della diocesi è l’economo14 ; oppure, come altri hanno scritto, si potrebbe distinguere fra un amministratore ordinario, l’economo, chiamato a porre gli atti che non superino i limiti dell’amministrazione ordinaria; e un amministratore straordinario (per denominarlo in qualche modo) chiamato a porre gli atti di amministrazione che superano quella ordinaria (vale a dire, gli atti di maggiore importanza del c. 1277 CIC/1983, e gli atti di amministrazione straordinaria, inclusi quelli assimilati all’alienazione dal c. 1295 CIC/ 1983), nel qual caso l’amministratore sarebbe il Vescovo.15 11
Le previsioni normative in questi casi sono più scarne e rimandano a quanto stabilito nelle norme proprie (Statuti, Costituzioni, ecc.) di ciascun istituto o seminario. 12 Taluni testi “ufficiali” pubblicati dopo il Codice, anche se di carattere non legale, attribuiscono esplicitamente al Vescovo l’amministrazione della diocesi: il Direttorio per il ministero pastorale dei Vescovi “Apostolorum successores” della Congregazione per i Vescovi (2004) descrive la funzione del vescovo in questo ambito come “amministratore unico della diocesi” (n. 189). La stessa dicitura è adoperata anche dalla Istruzione in materia amministrativa (2005) della Conferenza episcopale italiana, al n. 21. 13 Come si può vedere nella citazione del concilio di Calcedonia riportata sopra, all’inizio dell’esigenza legale della figura dell’economo, non si cercava tanto un amministratore o qualcuno che potesse “controllare” l’agire economico del vescovo, quanto un dispensatore dei beni diocesani secondo la mente del vescovo, vale a dire qualcuno che lo aiutasse nel compito episcopale di amministrare i beni della diocesi: “oeconomum de clero proprio, qui dispenset res ecclesiasticas secundum sententiam episcopi proprii” (nota 10). 14 Cfr., ad esempio, Francesco Coccopalmerio, commento al c. 494, in: Angel Marzoa/ Jorge Miras/Rafael Rodríguez Ocaña, Comentario exegético al Código de derecho canónico, (= ComEx) II, Pamplona 1996, pp. 1125 – 1137. In realtà, l’autore non nega che l’amministrazione spetti al Vescovo, ma sembra attribuire la funzione di “vero amministratore” all’economo: “El único modo de entender la presencia de dos administradores es considerar que el segundo administra en lugar del primero, haciendo sus veces. […] Se podría proponer, pues, una modificación del texto en este sentido: ‘bona dioecesis loco Episcopi dioecesani et sub eius directioni administrare’” (p. 1133). 15 In questa prospettiva pare porsi il Card. Velasio De Paolis, I beni temporali della Chiesa, Bologna 1995 (nuova ed. aggiornata e integrata a cura di Alberto Perlasca, Bologna 2011), pp. 176 – 177: “La responsabilità dell’amministrazione dei beni della diocesi ricade sul vescovo […]. Il vescovo pone gli atti di amministrazione straordinaria […], quelli di amministrazione ordinaria di maggiore importanza […]. Lo stesso vescovo pone gli atti di alienazione, a norma del c. 1292 § 1. Il vescovo tuttavia non può ricoprire l’ufficio di amministratore dei beni della diocesi. Egli, a norma del c. 494, deve nominare un economo che ha il compito di ‘amministrare i beni della diocesi sotto l’autorità del vescovo’.”
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La figura delineata dal primo paragrafo del c. 636 CIC/1983 nella descrizione dell’ufficio dell’economo di un istituto religioso (o di una provincia o comunità locale) è forse ancora meno chiara che quella dell’economo diocesano; il che appare logico se si considera che la legislazione del codice non può affrontare le diversità organizzative proprie dei differenti istituti, come risulta dalle costituzioni o statuti approvati per ciascuno.16 In ogni caso, l’economo religioso è un ufficio obbligatorio (“ci sia”) stabilito “per amministrare i beni sotto la direzione del rispettivo Superiore” (§ 1) e, di conseguenza, gli economi religiosi devono presentare “all’autorità competente il rendiconto dell’amministrazione da loro condotta” (§ 2). Come risulta dal canone, la posizione relativa di responsabilità tra l’economo e il Superiore potrebbe essere interpretata almeno in due modi principali, senza stravolgere l’impianto generale dell’amministrazione dei beni ecclesiastici. In primo luogo, il c. 636 può essere interpretato nel senso di un’assegnazione di autonomia all’economo tale da giustificare la rendicontazione (non prevista per l’economo diocesano) allo stesso Superiore che dirige l’amministrazione; in questa ipotesi, la figura dell’economo si avvicina molto all’amministratore e la figura del Superiore all’Ordinario che riceve il rendiconto, secondo il c. 1287 § 1, quasi come il rapporto che vi è tra un parroco e il suo Vescovo, ma con la differenza importante che il parroco è amministratore della parrocchia, non della diocesi, e invece l’economo dell’istituto amministra i beni dell’intero istituto e non di una parte di esso. Ma lo stesso canone potrebbe essere interpretato anche sulla scia di quanto esposto a proposito del rapporto tra Vescovo ed economo diocesano. Vale a dire, l’amministratore rimarrebbe il Superiore (“chi regge immediatamente la persona” giuridica, secondo il c. 1279 § 1 CIC/1983), con l’aiuto del proprio consiglio, mentre l’economo porrebbe gli atti necessari per la gestione dei beni dell’istituto che in realtà è amministrato dal Superiore.17 Per quanto riguarda l’ufficio dell’economo del Seminario, le prescrizioni legali sono ancora meno esplicite nella sua descrizione. Il c. 239 § 1 CIC/1983 lo menziona tra gli uffici obbligatori e poi, nel § 3, richiede che “negli statuti del seminario siano stabilite le modalità secondo cui gli altri moderatori, gli insegnanti e anche gli stessi alunni possano condividere la responsabilità del rettore, soprattutto per quanto riguarda la disciplina”. Perciò, nelle singole fattispecie occorrerà studiare gli statuti del seminario per determinare chi sia responsabile dell’amministrazione dei suoi beni, ma sembra 16
Cfr., tra tanti, Velasio De Paolis, Temporal Goods of the Church in the New Code with Particular Reference to Institutes of Consecrated Life, in: The Jurist 43 (1983), pp. 343 – 360; Vincenzo Mosca, Povertà e amministrazione dei beni negli Istituti religiosi, in: Quaderni di diritto ecclesiale 3 (1990), pp. 234 – 263; Francesco Ciccimarra, Normativa peculiare circa i beni degli Istituti religiosi, in: Euntes docete 43 (1990), pp. 323 – 360. 17 Cfr. Francis G. Morrisey, commento al c. 636, in: ComEx, II, p. 1596.
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legittimo presupporre che, in linea con l’ermeneutica generale della responsabilità sui beni ecclesiastici da amministrare, i beni del seminario siano amministrati dal rettore, con l’aiuto degli altri uffici previsti.18 In definitiva, sembra possibile affermare che nell’ermeneutica del Codice di Diritto canonico il responsabile dell’amministrazione dei beni ecclesiastici sia colui che “regge immediatamente” la persona giuridica titolare degli stessi, come stabilito dal c. 1279 CIC/1983. Gli altri uffici che aiutano l’amministratore nello svolgere il suo compito risponderanno delle concrete funzioni loro affidate, ma non saranno responsabili dell’amministrazione della persona giuridica perché tale funzione non spetta loro. 2. Partecipazione dei consigli nell’amministrazione dei beni Come abbiamo già detto, il c. 1280 CIC/1983 richiede che “ogni persona giuridica abbia il proprio consiglio per gli affari economici o almeno due consiglieri, che coadiuvino l’amministratore nell’adempimento del suo compito, a norma degli statuti”. Vale a dire, l’amministratore dei beni ecclesiastici deve essere aiutato dal suo consiglio, che si assume la responsabilità di offrire il proprio parere nei diversi aspetti che riguardano la sua funzione di amministrare.19 Tali pareri sono richiesti da norme specifiche che esigono talvolta che il consiglio sia ascoltato, talaltra che offra il suo consenso per atti determinati (cfr., ad esempio, c. 1277 CIC/ 1983). Sono anche chiamati a partecipare alla conformazione degli atti di amministrazione altri organi collegiali come il consiglio presbiterale (cfr. c. 1263 CIC/1983), il collegio dei consultori (cfr. cc. 1277, 1292 CIC/1983) o il consiglio di un Superiore di un Istituto religioso (cfr. c. 638 § 3 CIC/1983)20. Gli interventi dei diversi organi collegiali nell’amministrazione dei beni ecclesiastici comportano una qualche difficoltà di classificazione giuridica per quanto i collegi non pongano gli atti di amministrazione o di gestione21; il loro compito si concretizza in una collaborazione consultiva (mediante pareri o anche con l’espressione del proprio consenso, secondo quanto previsto dal c. 127 § 1), che tuttavia spesso è imprescindibile per garantire la validità degli atti, come capita nelle alienazioni del c. 1292, negli atti di amministrazione straordinaria della
18
Cfr. Davide Cito, commento al c. 239, in: ComEx, II, pp. 232 – 235. Cfr. Cristian Begus, Responsabilità patrimoniale degli Organi canonici di consultazione, in: Paolo Gherri (ed.), Responsabilità ecclesiale, corresponsabilità e rappresentanza. Atti della Giornata Canonistica Interdisciplinare, Città del Vaticano 2010, pp. 183 – 200. 20 Cfr. Juan Ignacio Arrieta, La colegialidad en la gestión del patrimonio eclesiástico, in: Ius canonicum 53 (2013), pp. 493 – 515. 21 Cfr. Gianfranco Ghirlanda, Atto giuridico e corresponsabilità ecclesiale (c. 127 CIC), in: Periodica 90 (2001), pp. 225 – 272. 19
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diocesi, a norma del c. 1277, ecc.22 Per questo motivo, i consigli chiamati a collaborare alla realizzazione degli atti di amministrazione dei beni ecclesiastici assumono una responsabilità che potrebbe essere denominata di “collaborazione attiva” nella produzione degli atti stessi, ma non sono veri amministratori e pertanto non rispondono dell’amministrazione dei beni della persona giuridica cui offrono la propria collaborazione. Riesce però difficile precisare l’eventuale responsabilità giuridica che possa derivare al collegio (consiglio per gli affari economici, collegio dei consultori, consiglio presbiterale, ecc.) che con il suo intervento permetta il perfezionarsi di un atto (o di un’omissione) di amministrazione che arrechi danni alla persona giuridica. Danno che potrebbe verificarsi non soltanto per l’azione di emettere un parere o di acconsentire o meno alla realizzazione di un atto, ma eventualmente anche con l’omissione dell’uno o dell’altro. Certamente, sarà difficile far accertare la responsabilità per l’espressione di un parere non vincolante, in quanto la legge stessa lascia alla discrezionalità dell’autore dell’atto seguire o meno tale parere.23 Se invece si richiede il consenso del collegio, allora la responsabilità di questo potrà essere maggiore. In un’ipotesi di responsabilità di un collegio che deve emettere un parere per la realizzazione di un atto di amministrazione, occorrerebbe in primo luogo stabilire se il collegio risponde come organo autonomo all’interno della persona giuridica, o se la responsabilità sia da addebitare al soggetto “personificato” (alla stessa persona giuridica), oppure alle persone fisiche che compongono il consiglio24, e, in tal caso, se solidalmente o in altri modi. Poi bisognerà accertare anche la “legittimazione attiva”, cioè chi possa richiedere la responsabilità per l’operato dei consigli. Se, ad esempio, il consiglio diocesano per gli affari economici non dà il proprio consenso per mettere in opera un atto di amministrazione straordinaria proposto dal Vescovo (cfr. c. 1277) e, col passare del tempo, viene dimostrato che la tempestiva realizzazione di tale atto avrebbe evitato dei danni economici che la diocesi deve ora affrontare, potrebbe il Vescovo, rappresentante della diocesi (cfr. c. 393), agire nei confronti dei membri del consiglio? A noi sembra che l’unica via praticabile in 22 In riferimento specifico alle diocesi, Arrieta descrive gli organi collegiali consultivi come “organismos colegiados de representación moral de las componentes subjetivas de la porción del Pueblo de Dios que, en base a la corresponsabilidad sacramental del bautismo o del orden sagrado, participan institucionalmente conforme al Derecho y en forma consultiva en la acción pastoral de gobierno que corresponde al Obispo diocesano” (Juan Ignacio Arrieta, Órganos de participación y corresponsabilidad en la Iglesia diocesana, in: Ius Canonicum 34 [1994], p. 592). 23 Scrive Baura: “il consiglio, proprio perché ‘consiglio’, non vincola l’autorità emanante l’atto, la quale rimane perciò l’unica responsabile dell’atto stesso” (Baura, Parte generale [nota 3], p. 122). 24 Questa possibilità non sembra molto coerente con il precetto del c. 127 che distingue l’intervento collegiale da quello richiesto a più persone singolarmente; cfr. Michel Thériault, commento al c. 127, in: ComEx, I, pp. 830 – 834.
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un’ipotesi di questo tipo sarebbe l’azione di risarcimento dei danni che trae origine dal c. 128. Ad ogni modo, la responsabilità del consiglio sarebbe, per così dire, “interna” alla diocesi, non opponibile da terzi, che soltanto potranno rivolgersi contro la diocesi stessa. 3. La comunità che configura la persona giuridica Molte persone giuridiche canoniche sono costituite su di una base comunitaria, vale a dire, la persona (il soggetto personificato) esprime giuridicamente una comunità di fedeli: “la diocesi è la porzione del popolo di Dio” (c. 369 CIC/1983); “la parrocchia è una determinata comunità di fedeli” (c. 515 § 1 CIC/1983); ecc. In tali casi, sembra logico attribuire anche alla comunità dei fedeli, comunque determinata, una certa responsabilità nell’amministrazione dei beni temporali del soggetto giuridico che essa stessa costituisce. Di fatti, l’origine battesimale della corresponsabilità di tutti i fedeli nella costruzione della Chiesa e nell’evangelizzazione comporta delle manifestazioni esistenziali nella vita di ciascuno dei componenti la comunità (diocesana o parrocchiale o altre) che possono costituire anche delle esigenze di giustizia e, in tal senso, rilevare giuridicamente. In questo ambito, si potrebbe ascrivere una certa responsabilità giuridica ai membri delle comunità che costituiscono la base di persone giuridiche canoniche, nei confronti della comunità stessa e delle sue diverse manifestazioni vitali, tra le quali quella dell’amministrazione dei suoi beni. La determinazione legale degli estremi di una tale responsabilità nei confronti dell’amministrazione dei beni non appare facile (talvolta si parla di responsabilità “diffusa”25). Se poi si aggiunge la difficile coercibilità delle decisioni giurisprudenziali dei tribunali ecclesiastici in materia economica (non ci sono gli strumenti di polizia o di altri tipi che consentano di “forzare” l’esecuzione delle sentenze) appare evidente che l’esigibilità concreta della responsabilità che stiamo prospettando rimane quanto meno problematica. E tuttavia, ciò non toglie che non si possa parlare di una vera dimensione di giustizia della corresponsabilità battesimale di tutti i fedeli che, tra i vari altri aspetti, rileva anche per l’amministrazione dei beni ecclesiastici.
II. Attività per le quali rispondono gli amministratori di beni Stabiliti i soggetti che si assumono delle responsabilità nella gestione ed amministrazione dei beni ecclesiastici, procediamo adesso ad inquadrare meglio le
25 Di recente, d’Arienzo ha preso in considerazione questo tipo di responsabilità in riferimento al Diritto canonico, chiamandola “responsabilità partecipata” (cfr. D’Arienzo, Il concetto [nota 3], pp. 175 – 189).
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attività che sono chiamati a svolgere nell’adempimento del loro ruolo di amministrazione e per le quali rispondono. Nella gestione del patrimonio ecclesiastico possono essere individuate una serie di attività necessarie affinché i beni adempiano alle funzioni che giustificano il loro impiego. Il primo paragrafo del c. 1254 CIC/1983 riassume tali attività con l’uso di quattro verbi: “acquistare, possedere, amministrare ed alienare i beni temporali”26. Ogni attività in questo ambito comporta la conseguente responsabilità, tanto da parte del titolare dei beni (la persona giuridica) quanto da parte degli organi che agiscono in ogni caso, come abbiamo già visto nella parte precedente. In termini generali, potremmo elencare le attività generatrici di responsabilità giuridica canonica degli amministratori di beni ecclesiastici, nei seguenti punti: ¢ La garanzia di destinazione dei beni ecclesiastici. L’attività di garantire la destinazione di tutte le risorse alle finalità della persona giuridica forse non è la prima che viene in mente quando si pensa alle responsabilità degli amministratori, ma è imprescindibile. La tendenza finalistica (teleologica) dei beni costituisce l’unica giustificazione del loro impiego, come abbiamo visto dal c. 1254. Ogni atto di acquisto di un bene, di amministrazione, di protezione, di alienazione, ecc., posto da un amministratore si giustifica in virtù della sua destinazione alle finalità della persona giuridica. Le garanzie di procedura stabilite per alcuni atti non tolgono questa prima esigenza dell’amministrazione nell’ordinamento canonico, in modo che un atto posto con tutte le garanzie legali potrebbe essere illecito se non congruente con le finalità della persona giuridica amministrata. Per questo motivo, l’attività più importante degli amministratori dei beni ecclesiastici è quella che garantisce la loro (dei beni) destinazione ai fini previsti dalla legge. E perciò, tale attività di garanzia, molto vicina alla rappresentanza legale dell’entità, anche se distinta da essa, diventa la prima responsabilità degli amministratori.27 ¢ La direzione dell’amministrazione. Spetta all’amministratore ottenere un uso efficace ed efficiente delle risorse che gli sono affidate. Spesso dovrà dirigere l’amministrazione dei beni della persona giuridica non soltanto con gli strumenti adoperati abitualmente nella governance delle entità, ma anche con veri e propri atti di potestà, atti amministrativi in senso pieno.28 Rientrano in questa attività 26 L’originale latino evita il verbo “possidere”, di lunga tradizione giuridica e di senso tecnico abbastanza preciso, ed elenca le attività da compiere sui beni così: “acquirere, retinere, administrare et alienare”. 27 Condividono in modi diversi questa responsabilità altri uffici ecclesiastici che partecipano al governo dei beni anche se, in senso proprio, non li amministrano. Per alcuni spunti sulla responsabilità in materia di amministrazione dei beni ecclesiastici degli uffici di Romano Pontefice e di Vescovo diocesano, cfr. i miei studi: Il Romano Pontefice (nota 8), pp. 431 – 443; La responsabilità (nota 7), pp. 71 – 86. 28 Sui diversi sensi del termine “amministrazione” cfr. Pontificio Consiglio per i Testi legislativi, Nota “La funzione dell’autorità ecclesiastica sui beni ecclesiastici”, in: “Communicationes” 36 (2004), pp. 24 – 32.
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degli amministratori, ad esempio, la convocazione dei consigli che devono aiutarlo nel compimento delle sue funzioni e quanto riguarda la messa in opera delle decisioni da loro prese; il coordinamento degli uffici che gestiscono i diversi movimenti dei beni, dal controllo delle fatture alle scadenze, dai pagamenti in sospeso ai debiti, ecc.; il controllo aggiornato della realizzazione del bilancio consuntivo e la redazione di una rappresentazione contabile della gestione che sia fedele, chiara e tempestiva; la realizzazione delle misure necessarie alla conservazione del patrimonio nella disponibilità della persona giuridica, mediante gli strumenti amministrativi o privati, di diritto canonico o non, le iscrizioni registrali, i contratti assicurativi, ecc. che si rendano necessari in ogni singolo caso. Se l’amministratore, in virtù del proprio ufficio, è anche titolare di potestà di governo (il Vescovo diocesano, i Superiori religiosi, ecc.), la direzione dell’amministrazione della persona giuridica può comportare la realizzazione di atti di potestà sia legislativa29 che esecutiva o giudiziaria.30 ¢ La contrattazione. Alcuni canoni del Codice di Diritto canonico (cc. 1286, 532, 393) permetterebbero l’assegnazione della capacità “negoziale” della persona giuridica al suo amministratore. Ogni contratto della persona giuridica di contenuto “economico” rientra nella responsabilità dell’amministratore con tutte le sue conseguenze, uguali a quelle che si produrrebbero nell’ordinamento del luogo (cfr. c. 1290 CIC/1983).31 Nel caso specifico delle diocesi, anche se il c. 1278 non contempla espressamente la possibilità di assegnare la conclusione dei contratti all’economo, il tenore generale del c. 494 § 3 sembrerebbe permetterlo, con l’adeguato atto di procura.32 Nelle diocesi in cui si sia provveduto in questo modo viene resa più difficile l’individuazione del soggetto cui verrebbe attribuita la responsabilità contrattuale se non dovesse rispondere la persona giuridica: il Vescovo o l’economo. Queste sono le “attività” principali che gli amministratori compiono in quanto amministratori di beni ecclesiastici. Non abbiamo preso in considerazione quelle altre che riguardano la vigilanza e il controllo che vengono attribuiti dal legislatore 29 Ad esempio, l’imposizione di un tributo diocesano fatta mediante decreto generale: cfr. Jesús Miñambres, Il tributo diocesano ordinario come strumento di governo, in: Arturo Cattaneo (cur.), L’esercizio dell’autorità nella Chiesa. Riflessioni a partire dall’esortazione apostolica “Pastores gregis”, Venezia 2005, pp. 121 – 135. 30 Cfr. Schouppe, Elementi (nota 2), p. 165. 31 In materia di contratti, dato il rinvio generale alla legislazione del luogo operato dal c. 1290 CIC/1983 (e dal parallelo c. 1034 CCEO), tranne le pochissime specificazioni canoniche, le conseguenze giuridiche delle attuazioni delle parti sono le stesse nell’ordinamento della Chiesa e in quelli degli Stati (cfr. Jesús Miñambres, La remisión de la ley canónica al derecho civil, Roma 1992). Sui contratti in Diritto canonico, cfr. Teresa Blanco, La noción canónica de contrato. Estudio de su vigencia en el CIC de 1983, Pamplona 1997. 32 L’economo potrebbe porre “los actos formales, poniendo su propia firma. En este […] caso, el ecónomo debe recibir del obispo diocesano apoderamiento para actuar. […] [En este] caso el ecónomo, en virtud de su apoderamiento, firma también la escritura notarial” (Francesco Coccopalmerio, commento al c. 494, in: ComEx, II, pp. 1133 – 1134).
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canonico agli Ordinari (c. 1276 CIC/1983), perché sebbene queste attività riguardino i beni ecclesiastici e appartengano ad un ufficio cui viene attribuita anche l’amministrazione di altri beni, tuttavia appaiono come attività da compiere nei confronti di beni dei quali non si è amministratori, come attività che potrebbero essere denominate “esterne” all’amministrazione e alla persona amministrata.
III. Conseguenze giuridiche della responsabilità degli amministratori di beni ecclesiastici Stabilito nelle pagine precedenti chi risponde giuridicamente per l’amministrazione dei beni ecclesiastici e per quali attività su di essi, occorre adesso determinare quali siano le conseguenze dell’adempimento o dell’inadempimento degli atti da parte dei soggetti coinvolti nell’amministrazione. La misura generale della responsabilità degli amministratori dei beni ecclesiastici viene espressa dal c. 1284 § 1 CIC/1983 (c. 1028 § 1 CCEO) nei termini della “diligenza di un buon padre di famiglia”, criterio tradizionale in questa materia ripreso anche da molte legislazioni civili.33 Se dall’agire dell’amministratore derivasse danno per altri, esso dovrà essere riparato dalla persona individuata secondo i criteri stabiliti dal c. 1281 (la stessa persona giuridica o l’amministratore). Ad ogni modo, come abbiamo già indicato, il legislatore canonico stabilisce che chiunque, con qualsiasi “atto posto con dolo o con colpa, arreca danno ad un altro, è tenuto all’obbligo di riparare il danno arrecato” (c. 128). Quindi, il legislatore cerca soprattutto di risolvere i momenti di conflittualità o di crisi che possano derivare dall’amministrazione mediante la determinazione del “chi” e del “quanto”. Ma conviene non perdere di vista il quadro generale indicato dal c. 1284: la diligenza del buon padre di famiglia. In questo contesto, tutte le prescrizioni legali relative all’amministrazione dei beni ecclesiastici, e soprattutto quelle espresse dal c. 1284 § 2, servono a delineare in qualche modo la responsabilità “positiva” dell’amministratore.34 Tuttavia, conviene esaminare brevemente il quadro legale previsto dall’ordinamento canonico per le situazioni di “crisi” nell’amministrazione dei beni ecclesiastici. 33
Cfr. ad es., art. 1176 del Codice civile italiano del 1942, art. 1094 Codice civile spagnolo, ecc. 34 F. S. Salerno, grande giurista ed esperto di questioni relative all’amministrazione dei beni ecclesiastici, era solito denominare questo canone (1284 § 2 CIC/1983) il “decalogo dell’amministratore”. Il Direttorio per il ministero pastorale dei Vescovi “Apostolorum successores” della Congregazione per i Vescovi (2004), oltre ad esplicitare alcune conseguenze del criterio generale del buon padre di famiglia, offre altri criteri positivi per l’amministrazione dei beni ecclesiastici: a) Il criterio di competenza pastorale e tecnica; b) Il criterio di partecipazione; c) Il criterio ascetico; d) Il criterio apostolico. Cfr. anche De Paolis, I beni temporali (nota 15), p. 167; Cristian Begus, Diritto patrimoniale canonico, Città del Vaticano 2007, pp. 186 – 192; Schouppe, Elementi (nota 2), p. 151.
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Il c. 1281, al terzo paragrafo, prevede due fattispecie diverse: la realizzazione di un atto invalido e quella di un atto illegittimo, anche se valido. Implicitamente, quindi, si può dedurre chi risponda per gli atti validi.35 ¢ “La persona giuridica non è tenuta a rispondere degli atti posti invalidamente dagli amministratori.” Nell’ipotesi di atto invalido posto dall’amministratore, dunque, risponde lui stesso personalmente. La persona giuridica soltanto si assume le conseguenze di tale atto “quando e nella misura in cui ne ebbe beneficio”. ¢ La persona giuridica risponde, invece, “degli atti posti validamente ma illegittimamente dagli amministratori”, ma ritiene la titolarità della “azione o il ricorso […] contro gli amministratori che le abbiano arrecato danni”. ¢ Come conseguenza di queste previsioni legali si deduce che la persona giuridica stessa risponde per gli atti di amministrazione posti legittimamente dagli amministratori. Il regime della responsabilità canonica per gli atti di amministrazione viene espresso in questi termini nel c. 1281 che, logicamente, come dicevamo, va completato con quanto disposto in generale dal c. 128. Ora, appare anche chiaramente dalla legge canonica la rilevanza della legge “civile”, nel senso di “non canonica” in questa materia. Basti pensare alla responsabilità contrattuale degli amministratori: il c. 1290 prevede esplicitamente che “le norme di diritto civile vigenti nel territorio sui contratti […] siano parimenti osservate per diritto canonico in materia soggetta alla potestà di governo della Chiesa e con gli stessi effetti”. Certamente, parte importante delle norme riguardanti i contratti nei diversi ordinamenti giuridici viene dedicata all’individuazione della responsabilità tra i contraenti. Perciò, tranne le eventuali contrarietà di queste norme al diritto divino36 o le fattispecie per le quali l’ordinamento canonico ha emanato norme specifiche, il giudice canonico individuerà le responsabilità contrattuali applicando le leggi “civili” del territorio.37 Per questo gioco delle fonti, l’amministratore di beni 35
Per un buon riassunto recente delle considerazioni dottrinali sull’esistenza, la validità e l’efficacia degli atti giuridici nell’ordinamento canonico, cfr. Baura, Parte generale (nota 3), pp. 106 – 117. 36 Ci siamo occupati di alcuni aspetti della problematicità di questa limitazione legale nel nostro articolo: Il diritto divino come limite al rinvio normativo nell’ordinamento canonico, in Juan Ignacio Arrieta (a cura di), Ius divinum. Atti del XIII Congresso Internazionale di Diritto Canonico (Venezia 17 – 21 settembre 2008), coord. Costantino-Matteo Fabris, Venezia 2010, pp. 501 – 512. 37 Sul rinvio normativo nell’ordinamento canonico, cfr. Geraldina Boni, La rilevanza del diritto dello Stato nell’ordinamento canonico. In particolare la canonizatio legum civilium, Milano 1998; Chiara Minelli, La canonizzazione delle leggi civili e la codificazione postconciliare. Per un approccio canonistico al tema dei rinvii tra ordinamenti, in: Periodica 85 (1996), pp. 445 – 487; Miñambres, La remisión (nota 31); Jesús Miñambres, Análisis de la técnica de la remisión a otros ordenamientos en el Código de 1983, in: Ius canonicum 32 (1992), pp. 713 – 749.
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ecclesiastici assume nell’ordinamento canonico, vale a dire nei confronti della Chiesa, la responsabilità contrattuale stabilita dalla legge civile del territorio.38 La complessità dell’individuazione della responsabilità può diventare ancora più importante laddove per accordi tra le autorità civili e quelle ecclesiastiche siano applicabili altre previsioni normative o di collegamento tra gli ordinamenti.39 In talune circostanze, il legislatore ha previsto la sottoscrizione di contratti di assicurazione da parte degli amministratori (cfr. c. 1284 § 2, 18), in modo tale che il pagamento per i danni in essi previsti sia fatto dall’assicuratore, anche se la responsabilità rimane della persona giuridica oppure dell’amministratore, secondo le norme già viste. Anche tutte le altre previsioni del secondo paragrafo del c. 1284, come dicevamo prima e come stabilisce espressamente il paragrafo primo dello stesso canone, determinano ambiti di responsabilità dell’amministratore. Non ci fermiamo adesso a studiare tali responsabilità ad una ad una, ma non possiamo non ribadire la necessità di non dimenticarle quando si traccia il quadro generale della responsabilità dell’amministratore dei beni ecclesiastici. Un regime di responsabilità giuridica canonica peculiare, anche se molto simile a quello generale descritto sopra, è previsto per gli istituti religiosi dal c. 63940: risponde la persona giuridica per i debiti contratti a suo nome (§ 1) da un membro che agisce con mandato dell’istituto (§ 2); ma “si può sempre intentare un’azione contro colui il cui patrimonio si è in qualche misura avvantaggiato in seguito a quel contratto” (§ 4). Anche se la dicitura legale non è chiara, sembra che il canone stabilisca la responsabilità dell’istituto nella misura del beneficio riportato da un atto di amministrazione posto da uno dei suoi membri, mentre risponde personalmente il singolo nella misura del lucro personale ottenuto con lo stesso atto.41 38
Data l’indeterminatezza di questo elemento di collegamento (il territorio), l’individuazione concreta della norma applicabile può essere complicata in alcune circostanze, come illustra la dottrina canonica in argomento (gli autori citati nella nota precedente e quegli altri da loro richiamati) e come dimostra la storia del Diritto internazionale privato. Le regole del locus rei sitae o della nazionalità delle parti o del luogo dove si celebra il contratto vengono sempre più messe in discussione dalla facilità di accordi contrattuali multinazionali, sia per l’origine e la residenza delle parti, sia per i luoghi dove la cosa viene prodotta o distribuita, sia anche per l’abbondanza di contratti “telematici”. Il CCEO, al c. 1034 precisa che si tratta del “territorio dove si stipula il contratto”, ma anche questa specificazione non risolve tutti i dubbi. 39 Ad esempio, la legislazione concordataria può prevedere la validità civile delle norme canoniche in materia di amministrazione dei beni ecclesiastici. In tale ipotesi, l’amministratore risponde anche davanti alla società civile per l’adempimento delle leggi canoniche. Il caso più rilevante è quello dell’Italia, cfr. Andrea Bettetini, Gli enti e i beni ecclesiastici. Art. 831, 28 ed., Milano 2013; Paolo Cavana, Rilevanza canonica dei controlli civili e rilevanza civile dei controlli canonici nell’amministrazione degli enti ecclesiastici, in: Juan Ignacio Arrieta (a cura di), Enti ecclesiastici e controllo dello Stato. Studi sull’Istruzione CEI in materia amministrativa, Venezia 2007, pp. 273 – 298. 40 Cfr. Francis G. Morrisey, commento al c. 639, in: ComEx, II, pp. 1607 – 1609. 41 Cfr. John A. Renken, Church Property. A Commentary on Canon Law Governing Temporal Goods in the United States and Canada, Ottawa 2009, pp. 355 – 356. La responsabilità
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L’altro canone cui abbiamo fatto riferimento nell’accennare alla soluzione legale delle “crisi di responsabilità” è quello che riguarda il risarcimento dei danni, che stabilisce che “chiunque illegittimamente con un atto giuridico, anzi con qualsiasi altro atto posto con dolo o con colpa, arreca danno ad un altro, è tenuto all’obbligo di riparare il danno arrecato” (c. 128 CIC/1983 e c. 935 CCEO).42 Il legislatore focalizza qui non tanto l’agire del soggetto quanto le conseguenze dei suoi atti: chi causa un danno deve riparare.43 L’amministratore ecclesiastico può incorrere nell’obbligo di riparare i danni provocati dal suo agire con dolo o con colpa (non soltanto eventuali danni economici, ma anche fisici, morali, spirituali, ecc.44). L’esigenza dell’imputabilità del dolo o della colpa a chi pone l’atto illegittimo pare eliminare dall’orizzonte dell’ordinamento canonico la possibilità della cosiddetta responsabilità oggettiva.45 Oltre alle attività già riferite, l’amministratore di beni ecclesiastici potrebbe anche commettere delitti nell’esercizio delle sue funzioni. In tal caso risponderebbe davanti alla Chiesa penalmente. Il Codice del 1983 ha tipizzato alcuni delitti che possono essere commessi da chi ricopre il ruolo di amministratore di beni ecclesiastici, cui noi accenniamo soltanto brevemente. ¢ Il c. 1375 CIC/198346 comprende nella descrizione dei fatti che portano alla possibile imposizione di “una pena giusta” (indeterminata nel testo del canone per quanto riguarda il suo contenuto e potestativa, in quanto non si prescrive che sia imposta) l’impedimento all’uso legittimo dei beni sacri o degli altri beni ecclesiastici.47 L’amministratore dei beni di una persona giuridica pubblica potrebbe incorrere in questo delitto se impedisse l’uso legittimo dei beni in generale e dei beni che amministra in particolare, il che può risultargli più facile che ad altri fedeli.48 La fattispecie delittuosa pare includere l’impedimento all’uso di beni ecclesiastici qualsiasi, in particolare le cose sacre, ma sembra giuridica canonica dei religiosi (dei singoli, dei superiori e degli istituti) viene in qualche modo mediata dal voto di povertà (c. 600 CIC/1983) e dall’obbligo della testimonianza “in certo modo collettiva di carità e di povertà” (c. 640 CIC/1983). Ma la considerazione di questi aspetti ci distrarrebbe dall’oggetto principale del nostro studio. 42 Cfr. Francesco S. Salerno, La responsabilità per l’atto giuridico illegittimo (c. 128 c.j.c.) (Obbligo della riparazione del danno nel Codex’83), in: AA.VV., L’atto giuridico nel Diritto canonico, Città del Vaticano 2002, pp. 317 – 373. 43 Gli strumenti offerti dalla legge canonica per riparare i danni sono, principalmente, un’azione di riparazione dei danni (c. 1729 – 1731 CIC/1983), la possibilità di un accordo extra giudiziario (c. 1713 – 1716 CIC/1983), o il ricorso gerarchico (c. 1732 – 1739 CIC/1983) e l’eventuale contenzioso amministrativo presso la Segnatura Apostolica (art. 123 § 2 Pastor bonus): cfr. Michel Thériault, commento al c. 128, in: ComEx, I, pp. 835 – 836. 44 Cfr. Michel Thériault, commento al c. 128, in: ComEx, I, p. 835. 45 Cfr. Baura, Parte generale (nota 3), p. 74. Con una visione più attenta al diritto penale italiano, cfr. anche. D’Arienzo, Il concetto (nota 3), pp. 89 – 92. 46 Cfr. c. 1447 § 2 CCEO. 47 Cfr. Angel Marzoa, commento al c. 1375, in: ComEx, IV, pp. 518 – 520. 48 Cfr. Antonio Calabrese, Diritto penale canonico, Città del Vaticano 1996, p. 292.
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escludere l’impedimento dell’uso legittimo dei beni sacri che non siano ecclesiastici.49 ¢ L’alienazione di beni ecclesiastici “senza la debita licenza” deve essere punita “con giusta pena” (c. 1377 CIC/1983). Evidentemente questo delitto può essere commesso soltanto dagli amministratori dei beni ecclesiastici e riguarda esclusivamente l’alienazione in senso stretto (cfr. c. 1291). La fattispecie descrittiva del delitto non comprende gli altri atti assimilati all’alienazione dal c. 129550, o da altri canoni che non riguardano alienazioni in senso proprio (come sarebbe, ad esempio, il caso degli affitti del c. 1297). ¢ L’amministratore di beni ecclesiastici può incorrere anche nel delitto di abuso d’ufficio (abuso dell’incarico, dice il testo legale: munere abutens) e, talvolta, anche in quello di abuso di potere o “della potestà ecclesiastica” (cfr. c. 1389 § 1 CIC/1983). La stessa norma del Codice prevede la commissione di delitto colposo (“per negligenza colpevole”) di abuso di potestà che causa danno ad altri, sia per l’emanazione di un atto di potestà dannoso, sia anche per l’omissione della sua emanazione (cfr. c. 1389 § 2).51 I delitti tipizzati in questo canone possono essere commessi anche dagli economi o da altri collaboratori, pur quando non siano amministratori in senso proprio, in quanto abbiano un munus publicum nella Chiesa. ¢ Sono puniti anche dall’ordinamento canonico i delitti di ricatto e corruzione, sia attiva che passiva. Gli amministratori sono più esposti di altri fedeli alla commissione di questi delitti: “Chi dona o promette qualunque cosa per ottenere un’azione o un’omissione illegale da chi esercita un incarico nella Chiesa, sia punito con una giusta pena; così chi accetta i doni e le promesse” (c. 1386 CIC/ 1983).52 Il delitto sarebbe consumato anche nell’ipotesi in cui non si ottiene l’obbiettivo prefissato da chi cerca di corrompere.53 ¢ Esiste anche il delitto di “chi profana una cosa sacra, mobile o immobile” (c. 1376 CIC/1983), che comporta una pena obbligatoria anche se indeterminata.54 Qui non si tratta di un delitto che possano commettere soltanto gli amministratori di beni ecclesiastici. Tuttavia, dato che molte volte viene ad essi affidata la funzione di garantire un uso proprio e riverente degli oggetti e dei luoghi sacri che appartengono alla persona giuridica che amministrano, hanno più facilità di profanarli e, in qualche modo, assumono una peculiare responsabilità di evitare le profanazioni. La profanazione di luoghi sacri si ha “se in 49 Cfr. Velasio De Paolis/Davide Cito, Le sanzioni nella Chiesa. Commento al Codice di Diritto Canonico Libro VI, Città del Vaticano 2000, pp. 318 – 319. 50 Cfr. José Tomás Martín de Agar, commento al c. 1377, in: ComEx, IV, pp. 524 – 525. Sembra difendere l’opinione contraria De Paolis/Cito, Le sanzioni (nota 49), p. 320. 51 Cfr. Angel Marzoa, commento al c. 1389, in: ComEx, IV, pp. 561 – 563. 52 Cfr. Antonio Calabrese, commento al c. 1386, in: ComEx, IV, pp. 554 – 556. 53 Cfr. De Paolis/Cito, Le sanzioni (nota 49), p. 339. 54 Cfr. Angel Marzoa, commento al c. 1376, in: ComEx, IV, pp. 521 – 523.
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essi si compiono con scandalo azioni gravemente ingiuriose, che a giudizio dell’Ordinario del luogo sono tanto gravi e contrarie alla santità del luogo da non essere più lecito esercitare in essi il culto finché l’ingiuria non venga riparata con il rito penitenziale, a norma dei libri liturgici” (c. 1211 CIC/1983). Si potrebbe far riferimento ad altri delitti che hanno un qualche rapporto con l’amministrazione dei beni ecclesiastici, come la simonia (cfr. c. 1380 CIC/1983) o il profitto illegittimo dalle elemosine di Messe (cfr. c. 1385 CIC/1983), ma queste fattispecie non si rivolgono alla protezione dei beni temporali o del buon uso della funzione pubblica; cercano soprattutto la protezione di beni “non temporali”, i sacramenti.
IV. Responsabilità giuridica e corresponsabilità Torniamo al già accennato rapporto tra la responsabilità degli amministratori dei beni ecclesiastici e la corresponsabilità di tutti i fedeli nella missione della Chiesa. Quando si riflette sulla responsabilità in senso “positivo” (il “buon padre di famiglia”) degli amministratori, non si può evitare di prendere in considerazione il rapporto che si instaura tra loro e la comunità dei fedeli. Da quando il Concilio Vaticano II ha chiarito la partecipazione di tutti i fedeli al sacerdozio di Cristo in forza del battesimo55, si parla anche del necessario coinvolgimento di ciascuno nella missione della Chiesa e si adopera la nozione di corresponsabilità.56 In quanto tale missione esige l’utilizzo di beni temporali, tutti i fedeli, corresponsabilmente, sono chiamati a procurarli e ad usarli responsabilmente. Gli amministratori partecipano con un ruolo specifico a questa funzione di tutti i battezzati, ma devono ricordare il diritto di tutti i fedeli di partecipare, ognuno dal proprio “posto” e secondo la propria condizione giuridica, al reperimento e alla destinazione dei beni necessari per la missione. Per questo motivo, l’amministratore risulta responsabile (nel mondo dell’economia e della “governance” piace dire “accountable”) della propria gestione dei beni temporali davanti alla comunità che costituisce il sostrato della personalità titolare di essi.57 55
Cfr. Concilio Vaticano II, Lumen gentium, n. 10. “Idea maestra del Concilio” la chiamò il Card. Suenens nel 1968 (Léon J. Suenens, La corresponsabilité dans l’Église d’ajourd’hui, Paris 1968, p. 7). 57 È chiaro che qui si sta pensando soprattutto e principalmente alla struttura gerarchica della Chiesa. Vi sono anche nell’ordinamento canonico non pochi soggetti di carattere “fondatizio” che non poggiano su una comunità di fedeli. Inoltre, potrebbero esserci dei soggetti di tipo “corporativo” o “associativo”, cioè costituiti su un gruppo di persone fisiche, che non rispondano alla struttura comunitaria qui delineata (si pensi, ad es., agli istituti di vita consacrata, o alle federazioni e confederazioni di entità diverse, ecc.). Ci pare, però, che in queste altre ipotesi di soggetti canonici la “accountability” davanti ai titolari dei beni sia più evidente; invece, nelle strutture a base comunitaria conviene ribadirla perché storicamente non è stata sempre percepita. Fino al Codice del 1983, il proprietario delle parrocchie era spesso il beneficio parrocchiale. Oggi, la parrocchia è una comunità di fedeli e il titolare della proprietà dei suoi beni è la persona giuridica costituita su tale comunità. 56
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La consapevolezza responsabile dell’“accountability” davanti alla comunità dei fedeli comporta un modo di agire dell’amministratore improntato alla necessaria trasparenza nell’uso e nella destinazione dei beni amministrati, alla partecipazione dei fedeli nei modi, negli istituti e secondo i percorsi previsti per la produzione degli atti, all’esercizio del ministero ecclesiale ricevuto in chiave di servizio, soprattutto da parte di chi presiede una comunità, ecc. È senz’altro difficile tradurre questa responsabilità in concrete misure legali ed economiche, che possano rendere efficace la protezione della posizione giuridica soggettiva della comunità titolare dei beni ecclesiastici affidati all’amministratore, ma pare che una riflessione seria sulla responsabilità dell’amministratore non possa fare a meno di enunciarla come uno dei corollari del criterio legale principale in questa materia: “la diligenza di un buon padre di famiglia” (c. 1284 § 1). In fondo, la responsabilità dell’amministratore di beni ecclesiastici nell’ordinamento canonico consiste nel garantire quella diligenza.
Die Vermögensverwaltung auf diözesaner Ebene in Deutschland – oder: Impressionen einer Nichtrezeption des CIC Rüdiger Althaus Die finanzielle Situation der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland bewegt sich derzeit wieder im „grünen Bereich“. Dies sah vor gut zehn Jahren in einigen Bistümern noch gänzlich anders aus. Mitunter waren harte Sparmaßnahmen erforderlich, um die finanzielle Situation wieder zu konsolidieren oder um strukturellen Defiziten vorzubeugen. Mehrere Bistümer nahmen in diesem Zusammenhang die Hilfe externer, betriebswirtschaftlich orientierter Strategieberatungen in Anspruch. Eine an der Universität Münster erstellte pastoraltheologische Dissertation1 analysiert diese Beratungsprozesse in ausgewählten Diözesen und ihre Auswirkungen auf die seelsorgliche Planung, was nicht nur für diese Disziplin Aufmerksamkeit verdient, sondern auch das Interesse dessen weckt, der sich mit vermögensrechtlichen Fragestellungen befasst – die zu den Forschungsschwerpunkten des Jubilars gehören. Bei der Lektüre dieser Studie stellt sich unweigerlich die Frage, ob und ggf. warum die einschlägigen Vorschriften der kirchlichen Vermögensverwaltung nicht geeignet waren, solche erheblichen finanziellen Schieflagen zu verhindern. Müssen diese also nicht – zumindest für die komplexen Vermögensmassen auf diözesaner Ebene wie sie in Deutschland anzutreffen sind – dringend nachgebessert werden? Den kanonistischen Insider beschleicht jedoch eine andere Vermutung: Wurden die einschlägigen kodikarischen Vorschriften des Liber V des geltenden kirchlichen Gesetzbuches konsequent genug angewendet? Wäre es dadurch vielleicht möglich gewesen, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorzubeugen, ggf. sogar die später als „Notbremse“ erscheinende externe Hilfestellung überflüssig werden zu lassen? Daher seien nachfolgend für drei zentrale Aspekte der diözesanen Vermögensverwaltung die jeweiligen kodikarischen Regelungen samt deren Umsetzung in einigen deutschen Diözesen analysiert2, wobei sich dreißig Jahre nach Inkrafttreten des CIC 1 Thomas Suermann, „Die Weisen aus dem Wirtschaftsland?“ Analyse der Zusammenarbeit von katholischen Diözesen und externen betriebswirtschaftlichen Strategieberatungen (= Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster), Münster 2012 (hierzu auch meine Rezension in: AfkKR 181 [2012], S. 296 – 299). Diese Arbeit gibt auch Auskunft über die finanziellen Engpässe, die Anlass dieser Beratungsprozesse waren. 2 Exemplarisch ausgewählt wurden für diesen Beitrag die (Erz-)Bistümer Aachen, Augsburg, Bamberg, Berlin, Eichstätt, Erfurt, Freiburg, Hildesheim, Köln, Münster, Paderborn und Trier.
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die Frage stellt, ob eventuell zentrale vermögensrechtliche Bestimmungen wegen permanenter Nichtrezeption inzwischen ihre Verpflichtungskraft eingebüßt haben.3 Konkret geht es um das Amt des Diözesanökonomen, die Beispruchsgremien Diözesanvermögensverwaltungsrat und Konsultorenkollegium sowie um die Wertgrenzen für Veräußerungen diözesanen Vermögens.
I. Der Diözesanökonom4 Mit der Einrichtung des Amtes des Diözesanökonomen betritt der kodikarische Gesetzgeber für den Bereich der lateinischen Kirche Neuland.5 Indes sahen bereits die Motuproprien Postquam Apostolicis Litteris vom 9. Februar 1952 und Cleri Sanctitati vom 2. Juni 1957 für die katholischen Ostkirchen ein solches Amt vor.6 Zudem lässt sich für die Bundesrepublik Deutschland festhalten, dass mit Einführung der Diözesankirchensteuer in den einzelnen Diözesen um 19507 dem jeweiligen Finanzdezernenten in den Ordinariaten de facto eine zentrale Stellung zukam. Eine sachliche Berechtigung findet dieses Kirchenamt mit Blick auf die Gesamtkirche
3
Vgl. c. 26 CIC/1983. Vgl. auch Franz Kalde, Art. Desuetudo, in: LKStKR I, S. 407 – 408. Zu diesem Amt vgl. Rüdiger Althaus, Die Rezeption des Codex Iuris Canonici von 1983 in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Voten der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (= Paderborner Theologische Studien 28), Paderborn 2000, S. 608 – 611; Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, 2. Bd., Paderborn 1997, S. 389 – 390; Georg Bier, c. 494, in: MK CIC (Stand: Dezember 1999); Jürgen Cleve, Inkompatibiliät und Kumulationsverbot. Eine Untersuchung zu c. 152 CIC/1983 (= Adnotationes in Ius Canonicum 11), Frankfurt 1999, S. 197 – 198; Günter Etzel, Der Diözesanvermögensverwaltungsrat (= Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 19), Würzburg 1994, S. 74 – 88; ders., Art. Diözesanvermögensverwaltungsrat, in: LKStKR I, S. 453 – 455; Hans Heimerl/Helmuth Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, 5/62 – 5/68; Helmuth Pree/Bruno Primetshofer, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Eine praktische Handreichung, Wien 2007, S. 94 – 97; Heribert Schmitz, Organe diözesaner Finanzverwaltung. Anmerkungen zu offenen-strittigen Fragen, in: AfkKR 163 (1994), S. 121 – 145, hier: S. 138 – 142; Hugo Schwendenwein, Die Katholische Kirche. Aufbau und rechtliche Organisation (= MK CIC. Beihefte 37), Essen 2003, S. 413 – 415. 5 Zwar kannte der CIC/1917 in den cc. 432 § 1 und 442 einen oeconomus, doch bezog sich dieses lediglich auf die Zeit der Vakanz einer Diözese. 6 Vgl. Motuproprio Postquam Apostolicis Litteris, in: AAS 44 (1952), S. 65 – 152, c. 262; Motuproprio Cleri Sanctitati, in: AAS 49 (1957), S. 433 – 603, c. 438. 7 Vgl. Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland I, Berlin 21994, S. 1101 – 1147, hier: S. 1117 – 1118. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen beschloss ein entsprechendes Gesetz am 30. Januar 1950. 4
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nunmehr durch die geforderte grundlegende Umgestaltung des Benefizialsystems zugunsten diözesaner Vermögensmassen insbesondere für die Klerikerbesoldung.8 Die Bestellung eines Diözesanökonomen durch den Diözesanbischof schreibt c. 494 § 1 CIC/1983 verpflichtend vor, wobei dieser zuvor die in die kirchliche Vermögensverwaltung involvierten Gremien Diözesanvermögensverwaltungsrat9 und Konsultorenkollegium anzuhören hat; daraus resultiert für den Diözesanbischof die Pflicht, sich beraten zu lassen, nicht aber, dem Rat dieser Gremien zwingend zu folgen.10 In Bezug auf die Qualifikation des Ökonomen verlangt das Recht, dass dieser in re oeconomica wirklich erfahren ist und sich in besonderer Weise durch Rechtschaffenheit auszeichnen muss. Wenn der gesamtkirchliche Gesetzgeber an dieser Stelle auch keine konkrete Form der Ausbildung vorschreibt bzw. auf das Erfordernis einer einschlägigen akademischen Qualifikation verzichtet, liegt dies in den sehr verschieden ausgeprägten Vermögensausstattungen der Teilkirchen weltweit begründet. Der Intention des Gesetzgebers entspricht aber, dass der Ökonom über umso gediegenere Qualifikationen verfügt (durchaus ein Hochschulabschluss), je komplexer die Vermögenslage der Teilkirche ist. Dies schließt nicht nur fundierte betriebswirtschaftliche Kenntnisse in Theorie und Praxis ein, sondern auch mit den Spezifika der kirchlichen Vermögensverwaltung hinsichtlich ihrer rechtlichen und faktischen Voraussetzungen11 sowie der Zweckbestimmung kirchlichen Vermögens überhaupt vertraut zu sein.12 Die angesprochene Rechtschaffenheit zielt auf Integrität hinsichtlich der persönlichen Lebensführung, aber auch des Umganges mit anvertrautem Vermögen, so wie es Pflicht eines bonus paterfamilias ist.13 Grundsätzlich kommt für dieses Kirchenamt14 sowohl ein Kleriker als auch ein Laie in Betracht.15 Für den kirchlichen Gesetzgeber steht also im Blick, die spezifi8
Vgl. cc. 1272 und 1274 CIC/1983; hierzu u. a. Rüdiger Althaus, cc. 1272 und 1274, in: MK CIC (Stand: August 1997); Heribert Schmitz, Die Bestimmungen des c. 1272 CIC zum Benefizialrecht, in: AfkKR 155 (1986), S. 443 – 460. 9 Diese Anhörung findet eine sachliche Begründung in dem Umstand, dass es sich hierbei um einen Rat von Experten handelt, die die Eignung des vorgesehenen Ökonomen beurteilen können (vgl. Georg Bier, c. 494, Rdnr. 2, in: MK CIC [Stand: Dezember 1999]). 10 Vgl. c. 127 § 2, 28 CIC/1983. 11 Hinzuweisen ist zum einen insbesondere auf die Sorgfaltspflichten des Vermögensverwalters im Rahmen der ordentlichen und außerordentlichen Vermögensverwaltung (cc. 1280 – 1289 CIC/1983), aber auch auf die speziellen Vorschriften betreffend Verträge und Veräußerungen (cc. 1290 – 1298 CIC/1983), schließlich auch hinsichtlich frommer Verfügungen und Stiftungen (cc. 1299 – 1310 CIC/1983), zum anderen auf das eventuelle Vorhandensein mehrerer ggf. rechtlich eigenständiger Vermögensmassen auf diözesaner Ebene. 12 Vgl. die fundamentale Bestimmung des c. 1254 CIC/1983, der im Grunde die Legitimation für den Besitz zeitlicher Güter durch die Kirche und den Umgang mit diesen zum Ausdruck bringt. 13 Vgl. c. 1284 § 1 CIC/1983. 14 Zwar spricht der CIC im Blick auf den Diözesanökonomen nicht von einem officium ecclesiasticum, doch erfüllt dieser die in c. 145 § 1 CIC/1983 benannten Kriterien für ein Kirchenamt, obgleich ein geistliches Ziel nur mittelbar verfolgt wird; der CCEO wendet indes
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sche Fachkompetenz eines Laien nutzen zu können, um den Bischof in dieser für ihn normalerweise fremden Materie der Vermögensverwaltung16 entlasten zu können.17 Damit konkretisiert der Gesetzgeber die allgemeine Regelung, dass für geeignet befundene Laien für bestimmte Ämter herangezogen werden können18, die ihrerseits verpflichtet sind, sich die für eine gebührende Erfüllung ihrer Aufgabe erforderliche Bildung anzueignen und diese Aufgabe gewissenhaft, eifrig und sorgfältig zu erfüllen.19 Die Amtszeit des Ökonomen ist auf fünf Jahre befristet, eine erneute Ernennung aber möglich. Eine Absetzung während des Quinquenniums kann nur aus einem schwerwiegenden, vom Bischof zu erwägenden Grund erfolgen, wobei er zuvor die bereits genannten Gremien anzuhören hat.20 Diese Stabilität im Amt sichert die Unabhängigkeit des Ökonomen vom tagtäglichen Wohlwollen des Bischofs im Interesse einer mittel- und längerfristigen, geordneten Vermögensverwaltung. Die zentrale Aufgabe eines Diözesanökonomen besteht in der Verwaltung des Vermögens der Diözese entsprechend dem Haushaltsplan des Diözesanvermögensverwaltungsrates unter der Autorität des Bischofs21, was konsequenterweise die Einforderung der festgesetzten Einkünfte und das Bestreiten der vom Bischof oder seinem Beauftragten angeordneten Ausgaben einschließt.22 Hierzu zählen auch die Vornahme von Akten der außerordentlichen Vermögensverwaltung23 sowie der Abschluss von Verträgen oder auch Veräußerungen24, wobei jeweils die diesbezüglichen Vorschriften zu beachten sind. Zwar bleibt der Diözesanbischof derjenige, der die ihm anvertraute Teilkirche nach Maßgabe des Rechts mit gesetzgebender, ausführenallgemein auf den Vermögensverwalter (fast) konsequent den Begriff officium ecclesiasticum an (vgl. auch allgemein: Althaus, vor 1273, Rdnr. 4 – 7, in: MK CIC [Stand: August 1997]). 15 Darauf lässt nicht nur das Fehlen einer entsprechenden Einschränkung im Gesetzestext schließen; vielmehr tilgte man während der Redaktionsarbeit die Wendung sive clericus sive laicus (c. 308 Schema De populo Dei) als pleonastisch (vgl. Comm. 12 [1981], S. 128). 16 Vgl. die in c. 378 CIC/1983 genannten Qualifikationen eines Kandidaten für das Bischofsamt. 17 Ein Kleriker dürfte nur ausnahmsweise entsprechende Fachkenntnisse mitbringen. Zudem fordert das II. Vatikanische Konzil nachdrücklich, für eine sachgerechte und wirksame Verwaltung des Kirchenvermögens die Hilfe erfahrener Laien in Anspruch zu nehmen (vgl. PO Art. 17 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1; AA Art. 10 Abs. 1). 18 Vgl. c. 228 § 1 CIC/1983. 19 Vgl. c. 231 § 1 CIC/1983. Dies dürfte sicher analog für einen zum Diözesanökonomen bestellten Kleriker gelten (vgl. auch c. 274 § 2 CIC/1983). 20 Vgl. c. 494 § 2 CIC/1983. 21 Bier (c. 494, Rdnr. 8, in: MK CIC [Stand: Dezember 1999]) führt hierzu aus: „Verwaltung des Vermögens unter der Autorität des Diözesanbischofs bedeutet vielmehr: Der Ökonom hat bei seinem Handeln neben den einschlägigen kodikarischen Vorschriften des Buches V De bonis Ecclesiae temporalibus auch die Grundsätze zu beachten, die der Diözesanbischof im Rahmen der partikularkirchlichen Gesetzgebung für die Vermögensverwaltung in seiner Diözese erlassen hat.“ 22 Vgl. c. 494 § 3 CIC/1983. 23 Vgl. c. 1277 CIC/1983. 24 Vgl. cc. 1290 – 1298 CIC/1983.
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der und richterlicher Gewalt leitet25 und diese auch in allen Rechtsgeschäften vertritt26, doch soll er sich auf diesem für ihn wenig vertrauten Sachgebiet der Finanzen der Hilfe des Ökonomen bedienen. Daraus resultiert keine Unabhängigkeit desselben, denn als ausführendes Organ bleibt er dem Diözesanbischof untergeordnet und dem Diözesanvermögensverwaltungsrat als Aufsichtsorgan der Finanzverwaltung jährlich rechenschaftspflichtig.27 An dieser Stelle eröffnet sich die Frage, was näher unter dem Vermögen der Diözese zu verstehen ist.28 Diese zielt nicht auf die Arten der Vermögensstücke, ob es sich also um Immobilien, Mobilien oder geldwerte Rechte handelt, sondern auf die unterschiedlichen Rechtsträger auf diözesaner Ebene. Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten einer möglichen Vielzahl solcher Vermögensträger eingehen zu können, sei an das Vermögen des jeweiligen Kathedral- oder Metropolitankapitels erinnert, dessen Verwaltung diesem selber obliegt, oder das der Hohen Domkirche, das unter Beachtung etwaiger staatskirchenrechtlicher Vereinbarungen oftmals dem Domkapitel zukommt, dann aber an das Vermögen des jeweiligen (Erz-)Bischöflichen Stuhles, wobei es sich im Unterschied zur mensa episcopalis29 um eine Vermögensmasse handelt, mit Hilfe derer der Diözesanbischof Obliegenheiten seines Amtes erfüllen kann.30 Mitunter fungiert die sedes episcopalis auch als Träger von besonderen, selbstständigen Einrichtungen (z. B. Theologische Fakultät Paderborn), so dass 25
Vgl. c. 391 § 1 CIC/1983. Vgl. c. 393 CIC/1983. 27 Vgl. c. 494 § 3 CIC/1983. – Zutreffend betont Bier (c. 494, Rdnr. 4, in: MK CIC [Stand: Dezember 1999]) die Inkompatibilität des Amtes des Diözesanökonomen mit der Mitgliedschaft oder gar dem Vorsitz im Diözesanvermögensverwaltungsrat, insofern in klarer Trennung von Aufsicht und Vertretung der Ökonom Ausführungsorgan und er diesem Rat rechenschaftspflichtig ist. 28 Vgl. hierzu Althaus, c. 1277, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: August 1997); ders., Rezeption (Anm. 4), S. 608, Anm. 7. 29 Dieses Benefizium des Bischofs dient ihm zur Bestreitung seines persönlichen Lebensunterhaltes und fiel oftmals der Säkularisierung zum Opfer. Vgl. hierzu Karl-Eugen Schlief, Art. Bischöflicher Stuhl, in: LKStKR I, S. 270 – 271. Schlief trägt allerdings nicht hinreichend der Unterscheidung zwischen Stuhl und Mensa Rechnung. Eine aktuelle Studie aus kanonistischer oder gar vermögensrechtlicher Sicht liegt hierzu indes nicht vor. 30 Diese Rechtsperson – nach Maßgabe der weltlichen Rechtsordnung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts – begegnet bereits im Staatskirchenrecht des 19. Jh. und findet sich auch in den deutschen Konkordaten des 20. Jh. verankert. – Diese der breiteren Öffentlichkeit bislang kaum bekannte Rechtsperson erfuhr im Kontext der Finanzierung des viel beachteten Baues des Diözesanen Zentrums St. Nikolaus in Limburg dadurch verstärkt Aufmerksamkeit, dass die Mittel zu einem großen Teil nicht aus dem diözesanen Haushalt stammten, sondern aus dem Vermögen des Bischöflichen Stuhles (vgl. zu Limburg: http://www.bistumlimburg.de/ meldungen/meldung-detail/meldung/der-bischoefliche-stuhl.html [Zugriff: 15. 08. 2013]). – Eine klare Zäsur zwischen den Rechtspersonen Bischöflicher Stuhl und Diözese gestaltet sich schwierig; beide dienen grundlegenden Aufgaben der Diözese. In einer Annäherung mag man das Vermögen des Bischöflichen Stuhles als das Tafelsilber der Diözese im Sinne eines patrimonium stabile bezeichnen, das der Diözese, unbeschadet der Bildung langfristiger Rücklagen, als Verbrauchsvermögen dient. 26
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man von einer zweiten juristischen Person „Diözese“ – mit aller Vorsicht – im Sinne einer „Holding“ sprechen kann. Man könnte vielleicht sagen, der Bischöfliche Stuhl sei hauptsächlicher Träger von auf lange Zeit angelegtem Vermögen, die Rechtsperson Diözese eher der des Diözesanhaushaltes (einschließlich aktiver und passiver Rücklagen). Daher legt sich aus sachlogischen Gründen nahe, dass die Verwaltung des Vermögens des Bischöflichen Stuhles ebenfalls dem Diözesanökonomen zukommt. Ein weiteres wichtiges und weitreichendes – arbeitsintensives – Aufgabenfeld – diesmal jedoch nicht als Vertretungsorgan der Rechtsperson Diözese, sondern als Aufsichtsorgan – kann der Diözesanbischof dem Diözesanökonomen mit der Vermögensaufsicht über die ihm unterstellten Rechtspersonen (also insbesondere auch Kirchengemeinden) übertragen.31 Blickt man nun auf die Situation in den deutschen Diözesen, so lässt sich den Personalschematismen ein auffallender Befund entnehmen: Die einen geben keine Auskunft über das Vorhandensein eines Diözesanökonomen32 überhaupt, andere zeugen von einer Personalunion von Generalvikar und Diözesanökonom33, wieder andere weisen zwar einen eigenen Diözesanökonomen aus, ordnen diesen jedoch als Abteilungsleiter im Ordinariat dem Generalvikar unter.34 Lediglich die Diözese Augsburg kennt einen Diözesanökonomen auf derselben Stufe wie der Generalvikar.35 Zur Qualifikation des Diözesanökonomen enthalten die Personalschematismen nur ausnahmsweise eine Angabe. Dies lässt nach der Verhältnisbestimmung der Ämter von Generalvikar und Diözesanökonom fragen. Ausweislich der Gesetzessystematik des CIC normiert dieser innerhalb des Verfassungsrechts der Teilkirchen im Titel 3 De interna ordinatione Ecclesiarum peculiarium, Kapitel 2 De curia dioecesana folgende Amtsträger: Art. 1: Generalvikare und Bischofsvikare; Art. 2: Kanzler und andere Notare sowie Archive; Art 3: Vermögensverwaltungsrat und Ökonom.
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Vgl. c. 1278 § 1 CIC. Vgl. Bischöfliches Generalvikariat Aachen, Personal- und Anschriftenverzeichnis 2012; Erzbischöfliches Ordinariat Bamberg, Schematismus 2013; Bischöfliches Ordinariat Eichstätt, Schematismus 2013; Bischöfliches Ordinariat Erfurt, Personalschematismus 2012; Erzdiözese Freiburg, Personalschematismus 2013 (siehe aber Anm. 35); Bischöfliches Generalvikariat Hildesheim, Schematismus 2011; Bischöfliches Generalvikariat Münster, Personal-Schematismus 2012; Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn, Personalverzeichnis 2013; Bistum Trier, Personalschematismus und Anschriftenverzeichnis 2012. 33 So in Köln: vgl. Erzbischöfliches Generalvikariat Köln, Personalschematismus 2013/14, S. 7 (siehe aber Anm. 35). 34 So in Berlin: vgl. Erzbischöfliches Ordinariat Berlin, Schematismus 2013, S. 61. 35 So das Organigramm für die Diözese Augsburg: vgl. Bischöfliches Ordinariat Augsburg, Schematismus 2012, S. 26 – 27. In jüngster Vergangenheit haben allerdings die Erzbischöfe von Köln (11. Februar 2015) und Freiburg (17. März 2015) einen eigenen, vom Generalvikar verschiedenen Diözesanökonomen ernannt. 32
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Ohne an dieser Stelle auf Details eingehen zu können, bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei um führende Amtsträger der Diözesankurie handelt, nicht aber um dem Generalvikar unterstellte Personen.36 Zwar schließt das Recht die Ernennung des Generalvikars zum Diözesanökonomen nicht expressis verbis aus37 doch dürfte der Intention des Gesetzgebers entsprechen, beide Ämter voneinander zu trennen. Hierfür kommt folgenden Argumenten Bedeutung zu: (1) Ein eventuell vorhandener Weihbischof sollte möglichst zum Generalvikar ernannt werden38 damit gemäß der Weisung des II. Vatikanischen Konzils39 die mit dem Bischofsamt verbundene Jurisdiktion deutlicher zum Ausdruck kommt. Unbeschadet der Frage nach hinreichender Sachkenntnis und Erfahrung eines Weihbischofs in re oeconomica empfiehlt sich schon aus Gründen der Arbeitsentlastung, diesem nicht noch zusätzlich die Verantwortung für das diözesane Finanzwesen aufzuerlegen. (2) Insofern das Amt des Generalvikars einem Priester vorbehalten ist, der Diözesanökonom aber fundierte finanzwirtschaftliche Kenntnisse mitbringen sollte, legt sich eine sorgfältige Trennung nahe. Damit lässt sich formal und in sachlogisch begründeter Kompetenzzuweisung der Diözesanökonom als „Bischöflicher Vikar für die diözesane Finanzverwaltung“40 auf derselben Ebene wie General- und Bischofsvikare ansiedeln. (3) Der Diözesanökonom besitzt während seiner fünfjährigen Amtszeit Beständigkeit im Amt, während der Generalvikar ad nutum episcopi absetzbar ist.41 (4) Der Diözesanökonom untersteht in seiner Amtsführung der Autorität des Diözesanbischofs42, nicht aber dem Generalvikar, da andernfalls der Gesetzgeber all36 Vor diesem Hintergrund ist auch der Generalvikar in seiner Rolle als moderator curiae zu sehen, der die Aufgaben und Belange der Diözesankurie koordinieren soll (vgl. c. 473 §§ 2 und 3 CIC/1983), wobei die Funktion des Generalvikars als Weisungsbefugter gegenüber Untergebenen zu unterscheiden ist von der moderierenden Tätigkeit in einem Kreis rechtlich Gleichgestellter. 37 So fehlt einerseits eine inhabilitierende Vorschrift, andererseits aber auch jedweder Hinweis, dass der Generalvikar dieses Amt ausüben könnte oder sollte. Ausgeschlossen wegen Inkompatibilität bleibt lediglich, dass der Generalvikar als Diözesanökonom zugleich den Vorsitz (mit Stimmrecht) im Diözesanvermögensverwaltungsrat führt. 38 Vgl. c. 406 § 2 CIC/1983. An die Tatsache, dass keine deutsche Diözese diese Vorschrift umsetzt, sei nur erinnert. 39 Vgl. CD Art. 26 Abs. 2; Motuproprio Ecclesiae Sanctae vom 6. August 1966, in: AAS 58 (1966), S. 757 – 782, I, 13 § 2. 40 Dies ist von einem Bischofsvikar in rebus oeconomicis zu unterscheiden, zu dem die deutsche Arbeitsgruppe Kirchenrecht im Juni 1984 eher zurückhaltend Stellung genommen hat (vgl. Franz Kalde [Hrsg.], Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kirchenrechtliche Stellungnahmen der Arbeitsgruppe Kirchenrecht der Deutschen Bischofskonferenz in der Zeit von 1984 bis 1989 [= Subsidia ad ius canonicum vigens applicandum 4], Metten 1994, S. 11 – 12); vgl. hierzu kritisch: Cleve, Inkompatibilität (Anm. 4), S. 198. 41 Vgl. c. 481 § 1 CIC/1983. 42 Vgl. cc. 494 § 3 und 1278 CIC/1983.
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gemein vom Ortsordinarius gesprochen hätte. Zutreffend weist Bier darauf hin, der Diözesanökonom müsse nicht „jede einzelne Handlung mit dem Diözesanbischof abstimmen oder von diesem genehmigen lassen“, denn sonst wäre er „nicht mehr als ein Sachbearbeiter, der Maßnahmen vermögensrechtlicher Art lediglich vorbereitet, um sie zur rechtsverbindlichen Entscheidung schließlich doch dem Bischof vorzulegen. Das Kirchenamt des Ökonomen wäre dann überflüssig“.43 (5) Im Falle einer Personalunion von Generalvikar und Diözesanökonom würden Entscheidungs- und Kontrollfunktion zusammenfallen, denn ersterer hat als Leiter der Exekutive Ausgaben anzuordnen, die letzterer im Rahmen des Gesamthaushaltsplanes ausführen und kontrollieren müsste.44 Die derzeit partikularrechtlich oder zumindest faktisch gegebene Struktur in den deutschen Ordinariaten beraubt die Diözesanbischöfe der Möglichkeit, sich der weitgehend eigenverantwortlichen Hilfe eines versierten Ökonomen für die Verwaltung des diözesanen (und die Aufsicht über die Verwaltung des pfarrlichen) Vermögens zu bedienen. Dieses Faktum hat das Inkrafttreten des CIC nunmehr dreißig Jahre überdauert. Setzt man die Vernünftigkeit dieser widergesetzlichen Praxis voraus45, liegt nunmehr eine consuetudo contra legem bzw. contra intentionem legislatoris vor, die inzwischen die Kraft eines Gesetzes erlangt hat.
II. Die Aufsichtsorgane für die Vermögensverwaltung auf diözesaner Ebene Das gesamtkirchliche Recht kennt mit Diözesanvermögensverwaltungsrat und Konsultorenkollegium zwei Gremien, die Aufsicht über die Verwaltung diözesanen Vermögens führen.46 Um ihren Auftrag erfüllen zu können, kommen diesen entsprechende Anhörungs- und Zustimmungsrechte zu. Dies bedeutet, der Diözesanbischof (oder an seiner Statt der Diözesanökonom) kann bestimmte Rechtsakte mit diözesanem Vermögen gültig nur setzen bzw. Rechtsgeschäfte nur tätigen, wenn er zuvor diese beiden Gremien in der rechtlich vorgeschriebenen Weise konsultiert hat.
43
Vgl. Bier, c. 494, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: Dezember 1999). Vgl. Cleve, Inkompatibilität (Anm. 4), S. 197 – 198. Zudem weist er mit Etzel (Diözesanvermögensverwaltungsrat [Anm. 4], S. 88) auf die ausdrücklich normierte Inkompatibilität der Ämter des Diözesanadministrators und des Diözesanökonomen gemäß c. 423 § 2 CIC/ 1983 hin. 45 Dabei handelt es sich gemäß c. 24 § 2 CIC/1983 um eine Voraussetzung für das Entstehen von Gewohnheitsrecht. 46 Bezüglich der einzelnen Rechtsträger sei auf das zuvor Gesagte verwiesen, d. h. nicht nur die Rechtsperson Diözese kommt in Betracht, sondern auch die des Bischöflichen Stuhles und ggf. andere Rechtsträger (z. B. Vermögensmassen im Sinne des c. 1274 CIC/1983, sofern diese eigene Rechtspersönlichkeit besitzen), die Aufgaben der Diözese erfüllen. 44
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Für jede Diözese ist das Vorhandensein eines diözesanen Vermögensverwaltungsrates verpflichtend vorgeschrieben.47 Dieser besteht unter dem Vorsitz des Diözesanbischofs oder seines Beauftragten aus wenigstens drei von ihm ernannten Gläubigen – also Kleriker oder Laien –, die in wirtschaftlichen Fragen sowie im weltlichen Recht wirklich erfahren sind und sich durch Integrität auszeichnen.48 Obgleich der Gesetzgeber wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse in den Teilkirchen nicht weltweit eine bestimmte formale akademische Qualifikation vorschreibt, werden dennoch zwei fachliche Kompetenzen deutlich thematisiert: Ökonomie und weltliches Recht. Die hier geforderte Erfahrung zielt nicht allein auf theoretische Kenntnisse, sondern auch auf eine durch praktische Tätigkeit erworbene Vertrautheit mit der Materie. Die Dauer der Mitgliedschaft im Vermögensverwaltungsrat beläuft sich auf fünf Jahre, doch sind Wiederberufungen möglich49, was eine gewisse Kontinuität der Arbeit, aber auch den Austausch zumindest einzelner Mitglieder ermöglicht, um der Gefahr einer neuen Aspekten verschlossenen Verharrungstendenz vorzubeugen. Bezüglich der Abberufung während eines Quinquenniums findet sich keine Angabe, doch resultiert aus der Funktion des Gremiums als Aufsichtsorgan sachlogisch, dass dies nur aus schwerwiegendem Grund möglich ist, wenn also ein Mitglied seiner Aufgabe nicht oder zum Nachteil des Diözesanvermögens nachkommt, nicht aber wegen einzelner versagter Zustimmungen. Die Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder dieses Gremiums soll durch das Verbot gesichert werden, dass keines mit dem Diözesanbischof bis zum vierten Grad blutsverwandt oder verschwägert sein darf.50 Obgleich diese Regelung an den klassischen Nepotismus erinnert, wäre zu fragen, inwiefern es nicht anderen Beziehungen (z. B. Studentenverbindungen, geistliche Gemeinschaften) – obwohl rechtlich mitunter schwer zu greifen – zu wehren gilt, 47 Zu diesem Gremium vgl. Agostino de Angelis, I consigli per gli affari economici: statuti e indicazioni applicative, in: Monitor Ecclesiasticus 111 (1986), S. 57 – 68; Althaus, Rezeption (Anm. 4), S. 562 – 572; Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht, 2. Bd. (Anm. 4), S. 388 – 389; Bier, cc. 491 – 493, in: MK CIC (Stand: Dezember 1999); Cleve, Inkompatibilität (Anm. 4), S. 198 – 202; Frans Daneels, De dioecesanis corresponsabilitatis organis, in: Periodica de re morali canonica liturgica 74 (1985), S. 301 – 324, hier: S. 310 – 313; Etzel, Diözesanvermögensverwaltungsrat (Anm. 4); Adrian Farella, The diocesan finance council: Functions and duties according to the Code of Canon Law, in: Studia Canonica 23 (1989), S. 149 – 166; Hans Heimerl, Diözesane Gremien der Vermögensverwaltung in Österreich, in: Hans Walther Kaluza u. a. (Hrsg.), Pax et Iustitia, FS Alfred Kostelecky, Berlin 1990, S. 185 – 194, hier: S. 185 – 188; Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 4) 5/359 – 367; Pree/Primetshofer, Kirchliches Vermögen (Anm. 4), S. 97 – 99; Schmitz, Organe (Anm. 4), S. 123 – 138; Schwendenwein, Katholische Kirche (Anm. 4), S. 407 – 413. 48 Vgl. c. 492 § 1 CIC/1983. – Der Hinweis auf das weltliche Recht verdient Berechtigung, insofern der Gesetzgeber mehrfach die Beachtung desselben zum Schutz der zeitlichen Güter der Kirche gerade auch für den (hierfür zentralen) Rechtsbereich ausdrücklich fordert (v. a. cc. 1274 § 5, 1284 § 2, 28 und 38 CIC/1983), ja das weltliche Vertragsrecht weitestgehend rezipiert (c. 1290 CIC/1983). Wenn von den Mitgliedern Kenntnisse im kanonischen Recht expressis verbis nicht gefordert werden, mag das darin begründet liegen, dass der Gesetzgeber solche seitens des Diözesanbischofs bzw. des Diözesanökonomen voraussetzt. 49 Vgl. c. 492 § 2 CIC/1983. 50 Vgl. c. 492 § 3 CIC/1983.
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denn Aufsicht – durchaus in einem positiven Sinne als Absicherung der Arbeit des Vermögensverwalters und letztlich auch des kirchlichen Vermögens zu verstehen – kann nur gelingen, wenn Unabhängige sie führen. Dieser Intention entspräche auch, dass kein dem Diözesanbischof ansonsten Weisungsuntergebener (allein schon aus psychologischer Rücksichtnahme) dem Vermögensverwaltungsrat angehört, weil er sonst vor der Herausforderung stehen würde, das Handeln seines Vorgesetzten unabhängig bewerten zu sollen. Die Aufgabe des Diözesanvermögensverwaltungsrates umfasst mehrere, auch in Bezug auf ein Verhältnis zum Diözesanbischof voneinander zu unterscheidende Dimensionen: (1) Gemäß den Weisungen des Diözesanbischofs hat dieser Rat den Haushaltsplan der Diözese aufzustellen51; dem Bischof kommt dabei eine gewisse Richtlinienkompetenz zu, dem Rat im Sinne eines ausführenden Organs die Konkretisierung einschließlich der ökonomischen Verantwortung. (2) Der Rat hat die Jahresrechnung der Diözese zu prüfen und zu billigen52, also Aufsicht über die Amtsführung des Diözesanökonomen unmittelbar und die des Diözesanbischofs in ökonomischer Hinsicht mittelbar zu führen. (3) Dem Rat kommen in vom Recht benannten Fällen, die die Verwaltung der zeitlichen Güter der Diözese sowie der dem Diözesanbischof unterstellten Rechtspersonen betreffen, Beispruchsrechte zu.53 (4) Der Rat hat die Jahresrechnungen der dem Diözesanbischof unterstellten Rechtspersonen zu prüfen54, ihn also mit Sachkompetenz zu unterstützen. Steht wie in den Fällen der Ziffern 2 und 3 der Diözesanbischof dem Diözesanvermögensverwaltungsrat als Konsenswerber gegenüber, kann er sich aus sachlogischen Gründen nicht selber an der Abstimmung beteiligen oder gar ein dirimierendes 51
Vgl. c. 493 CIC/1983. Vgl. c. 493 CIC/1983. 53 Näherhin besteht ein Anhörungsrecht in folgenden Fällen: (1) Ernennung oder Absetzung des Diözesanökonomen (c. 494 §§ 1 und 2 CIC/1983); (2) Erhebung der Diözesansteuer und Notabgabe (c. 1263 CIC/1983); (3) Vornahme eines Aktes der ordentlichen Vermögensverwaltung maioris momenti auf diözesaner Ebene (c. 1277 CIC/1983); (4) Festlegung der Akte der außerordentlichen Vermögensverwaltung für dem Bischof unterstellte Rechtspersonen (c. 1281 § 2 CIC/1983); (5) Anlage von Geld und beweglichem Vermögen einer Stiftung (c. 1305 CIC/1983); (6) Verminderung von Stiftungsverpflichtungen in bestimmten Fällen (c. 1310 § 2 CIC/1983). Ein Zustimmungsrecht kommt dem Rat in folgender Hinsicht zu: (1) Setzen eines Aktes der außerordentlichen Vermögensverwaltung mit diözesanem Vermögen (c. 1277 CIC/1983); (2) Veräußerung von Stammvermögen der Diözese oder einer dem Diözesanbischof unterstellten öffentlichen juristischen Person bei Überschreiten der sog. Untergrenze (c. 1292 § 1 CIC/1983); (3) Rechtsgeschäfte, die zu einer Verschlechterung der Vermögenslage der Diözese oder einer dem Diözesanbischof unterstellten öffentlichen juristischen Person führen könnten, bei Überschreiten der sog. Untergrenze (c. 1295 CIC/1983). 54 Vgl. c. 1287 § 1 CIC/1983. 52
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Stimmrecht beanspruchen55; vielmehr kommen ihm diesbezüglich lediglich die Präsidialrechte zu. Das Konsultorenkollegium56 kann man als einen ständigen Ausschuss (gleichwohl eine unabhängige Einrichtung mit eigenen Kompetenzen darstellend) des Priesterrates bezeichnen, da der Diözesanbischof sechs bis zwölf Mitglieder des Priesterrates in dieses Gremium zu berufen hat. Die Amtsdauer beträgt fünf Jahre, doch nimmt dieses Gremium seine Aufgaben so lange wahr, bis der Diözesanbischof ein neues Kollegium konstituiert hat.57 Eine spezielle fachliche Qualifikation fordert der Gesetzgeber für diese Mitgliedschaft nicht; vielmehr dürfte es darum gehen, dass hier Priester, die der Diözesanbischof ohnehin als Helfer und Ratgeber hören soll58, aus ihrer Sicht und mit Blick auf die pastorale Dimension zu bedeutenden Entscheidungen Stellung nehmen sollen. Sede plena kommen diesem Gremium lediglich vermögensrechtliche Kompetenzen in Form von Beispruchsrechten zu.59 Dies bedeutet auch hier, dass dem Diözesanbischof ansonsten in ihrer tagtäglichen Arbeit weisungsgebundene Priester aus sachlogischen Gründen diesem Kollegium nicht angehören können60, und dass dem Bischof, der diesem persönlich oder durch einen Ver55 Vgl. hierzu den Entscheid der Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici authentice interpretando vom 5. Juli 1985, abgedruckt in: AAS 77 (1985), S. 771; hierzu Literaturverweise bei Franz Kalde, Authentische Interpretationen zum Codex Iuris Canonici I (1984 – 1994) (= Subsidia ad ius canonicum vigens applicandum 1), Metten 21996, S. 46 – 47. 56 Vgl. hierzu Althaus, Rezeption (Anm. 4), S. 552 – 562; Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht, 2. Bd. (Anm. 4), S. 399 – 401; Georg Bier, Gleichsam Senat des Bischofs? Der Priesterrat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Kirchliches Recht als Freiheitsordnung, GS Hubert Müller (= Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 27), Würzburg 1997, S. 142 – 168, hier: S. 154 – 156; Cleve, Inkompatibilität (Anm. 4), S. 202 – 205; Massimo Calvi, Il Collegio dei consultori, in: Quaderni di Diritto Ecclesiale 4 (1991), S. 104 – 111; Daneels, De organis (Anm. 47), S. 317 – 320; John Hannon, Diocesan Consultors, in: Studia Canonica 20 (1986), S. 147 – 179; Heimerl, Diözesane Gremien (Anm. 47), S. 189 – 190; Eva Jüsten, Das Domkapitel nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland und Österreich (= Europäische Hochschulschriften II 1386), Wien 1993, S. 45 – 46; Stephan Kotzula, Der ekklesiologische Gehalt in den Normen des CIC/1983 zum Priesterrat, in: AfkKR 154 (1985), S. 58 – 82, hier: S. 79 – 81; Luis Martínez Sistach, El colegio de consultores en el nuevo Código, in: Revista Española de Derecho Canónico 39 (1983), S. 291 – 305; Ernesto Piacentini, Le competenze del Collegio dei Consultori nel nuovo Codice, in: Monitor Ecclesiasticus 110 (1985), S. 401 – 410; Pree/Primetshofer, Kirchliches Vermögen (Anm. 4), S. 97 – 99; Oskar Stoffel, c. 502, in: MK CIC (Stand: April 1997). 57 Vgl. c. 502 § 1 CIC/1983. 58 Vgl. c. 384 CIC/1983, auch wenn sich hieraus keine förmlichen Rechte ableiten lassen. 59 Die Anhörungsrechte betreffen: (1) Ernennung oder Absetzung des Diözesanökonomen (c. 494 §§ 1 und 2 CIC/1983); (2) Akte der ordentlichen Vermögensverwaltung maioris momenti auf diözesaner Ebene (c. 1277 CIC/1983). Die Zustimmungsrechte sind identisch mit denen des Diözesanvermögensverwaltungsrates (Anm. 53). 60 Dies bedeutet zugleich, dass – obgleich im Gesetzestext nicht weiter ausgeführt – eine Fokussierung auf geborene Mitglieder des Priesterrates, die zudem im Ordinariat tätig sind, ausscheidet, so dass sich eine Mischung von geborenen, gewählten und ernannten Mitgliedern des Priesterrates im Konsultorenkollegium nahelegt.
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treter vorsteht61, lediglich Präsidial-, aber keine Stimmrechte zukommen. – Aufgrund einer Intervention von deutschsprachiger Seite während der Redaktionsarbeiten sieht der CIC ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass aufgrund eines Generaldekretes der Bischofskonferenz62 die Aufgaben des Konsultorenkollegiums dem jeweiligen Kathedralkapitel übertragen werden können.63 Hiervon hat die Deutsche Bischofskonferenz noch vor Inkrafttreten des CIC auf ihrer Sitzung vom 19./22. September 198364, die Österreichische Bischofskonferenz bereits am 1. Juli 198365 Gebrauch gemacht. Wie rezipiert nun das deutsche Partikularrecht diese Vorgaben?66 Sieht man von der teilkirchenrechtlichen Besonderheit der Übernahme der Aufgaben des Diözesanvermögensverwaltungsrates durch den Diözesansteuerausschuss in Bayern einmal ab67, so gibt ein Blick in die Personalschematismen darüber Auskunft, dass der Diözesanvermögensverwaltungsrat, der aufgrund diözesanen historischen Herkommens unterschiedliche Bezeichnungen wie Diözesaner Wirtschaftsrat, Verwaltungsrat o. ä. trägt, sich in der Regel ausschließlich aus leitenden Mitarbeitern der Diözesankurie zusammensetzt.68 Obgleich diese Schematismen nur ausnahmsweise eine 61
Vgl. c. 502 § 2 CIC/1983. Vgl. c. 455 § 1 CIC/1983. 63 Vgl. c. 502 § 3 CIC/1983. 64 Vgl. Heribert Schmitz/Franz Kalde, Partikularnormen der deutschsprachigen Bischofskonferenzen (= Subsidia ad ius canonicum vigens applicandum 2), Metten 1990, S. 20. Dieser Beschluss wurde mit Blick auf eine Vereinheitlichung der Partikularnormen der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz zum 1. Januar 1996 erneuert (vgl. dies., Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz [= Subsidia ad ius canonicum vigens applicandum 5], Metten 1996, S. 40 – 41). 65 Vgl. Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz vom 25. Januar 1984, S. 6 Nr. 8; Schmitz/Kalde, Partikularnormen der deutschsprachigen Bischofskonferenzen (Anm. 64), S. 21. 66 Vgl. hierzu Althaus, vor 1273, Rdnr. 10, in: MK CIC (Stand: August 1997); ders., Strukturen kirchlicher Vermögen und kirchliche Vermögensverwaltung in der katholischen Kirche, in: Essener Gespräche 47, Münster 2013, S. 99 – 111, hier: S. 105; Schmitz, Organe (Anm. 4), S. 127 – 138. 67 Hierbei handelt es sich um größtenteils gewählte Mitglieder (vgl. Schematismus Eichstätt 2013 [Anm. 32], S. 58; der Schematismus des Erzbistums Bamberg für 2013 [Anm. 32], S. 127, gibt indes keine Auskunft über die personelle Zusammensetzung; zur Thematik vgl. auch meinen Beitrag: Diözesanvermögensverwaltungsrat und Diözesankirchensteuerrat – Chancen und Hindernisse für eine intensive Zusammenarbeit, in: Andreas Weiß/Stefan Ihli [Hrsg.], Flexibilitas iuris canonici, FS Richard Puza [= Adnotationes in Ius Canonicum 28], Frankfurt 2003, S. 397 – 420). Indes kennt das Bistum Augsburg neben dem Diözesansteuerausschuss einen Diözesanvermögensrat gemäß cc. 492 ff. CIC/1983, der unter Vorsitz des Bischofs sieben Mitglieder zählt, zu denen der Diözesanökonom und der Weihbischof gehören, ansonsten nicht (mehr) in der Diözesankurie tätige Personen (vgl. Schematismus 2012 [Anm. 35], S. 100 – 101). 68 Aachen: Dem Vermögensverwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz) und drei leitende Mitarbeiter des Generalvikariates, darunter der Justitiar und der Hauptabteilungsleiter Finanzen, sowie der Dompropst, ferner als Beisitzer der Abteilungsleiter für Beratung bzw. Aufsicht Kirchengemeinde(verbände) (vgl. Personal- und Anschriftenverzeichnis 2012 62
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akademische Qualifikation benennen, sei gediegene Qualifikation und Erfahrung der Ressortchefs für ihren jeweiligen Bereich präsumiert, ansonsten mögen aber nicht nur hinsichtlich der priesterlichen Mitglieder dieses Rates die kodikarisch vorgeschriebenen fachlichen Voraussetzungen in Fragen der Ökonomie und des weltlichen Rechts nur ausnahmsweise (vor allem bei den Abteilungsleitern Weltliches Recht und Finanzen) gegeben sein, so dass sich schon diesbezüglich die Möglichkeit einer effizienten Finanzaufsicht problematisch gestaltet. Zudem stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Mitglieder dieses Rates. Der Finanzreferent im Ordinariat gehört diesem Rat mit Sitz und Stimme ebenso an wie der Generalvikar, der den Vorsitz innehat. Zwar ermöglicht die Mitgliedschaft des ersteren, Entscheidungsvorlagen kompetent zu erläutern, doch tritt dieser quasi wie auch der Generalvikar als Konsenswerber auf, wobei beide voll stimmberechtigte Mitglieder dieses Gremiums zu sein scheinen und der Generalvikar sich mitunter gar eines dirimierenden Stimmrechts erfreut.69 Zudem resultiert aus einer solchen Zusammensetzung, dass die einzelnen Personen höchstens aufrichtig bemüht sein können, Vorlagen unabhängig zu prüfen und somit Vermögensaufsicht auszuüben, was aber dem ansonsten weisungsgebundenen und bereits an der Vorbereitung der Entscheidung beteiligten Sachbearbeiter kaum möglich sein dürfte. Eine Ausnahme stellt das Erzbistum Berlin dar. Dort gehören die Mitglieder des Rates nicht der Diözesanverwaltung an, Erzbischof und Generalvikar haben nur beratendes [Anm. 32], S. 19 – 20). Erfurt: Dem Diözesanvermögensverwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz), drei leitende Mitarbeiter des Ordinariates (darunter die Justitiarin und der Hauptabteilungsleiter Finanzen), und ein leitender Mitarbeiter des Krankenhausbereiches (vgl. Personalschematismus 2012 [Anm. 32], S. 14). Freiburg: Dem Diözesan-Vermögensverwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz), drei leitende Mitarbeiter des Generalvikariates, darunter der Hauptabteilungsleiter Finanzen und Recht, sowie ein Weihbischof (Personalschematismus 2013 [Anm. 32], S. 39). Köln: Dem Diözesanverwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz) sowie sechs leitende Mitarbeiter des Generalvikariates, darunter der Hauptabteilungsleiter Finanzen (vgl. Personalschematismus 2013/14 [Anm. 33], S. 58). Münster: Dem Diözesanverwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz) sowie sieben leitende Mitarbeiter des Generalvikariates, darunter die Justitiarin und der Hauptabteilungsleiter Finanzen (vgl. Personal-Schematismus 2012 [Anm. 32], S. 89). Paderborn: Dem Diözesan-Verwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz) sowie sieben leitende Mitarbeiter des Generalvikariates, darunter der Justitiar und der Hauptabteilungsleiter Finanzen (vgl. Personalverzeichnis 2013 [Anm. 32], S. 31). Trier: Dem Diözesanverwaltungsrat gehören an: der Generalvikar (Vorsitz), fünf leitende Mitarbeiter des Generalvikariates, darunter der Justitiar und der Hauptabteilungsleiter Finanzen, sowie zwei weitere Mitarbeiter desselben ohne Stimmrecht (Personalschematismus und Anschriftenverzeichnis 2012 [Anm. 32], S. 54). – Eine „gemischte“ Zusammensetzung weist der Diözesan-Vermögensverwaltungsrat in Hildesheim auf. Diesem gehören an: der Generalvikar (Vorsitz), drei leitende Mitarbeiter des Generalvikariates und drei andere Personen, der Finanzdirektor mit beratender Stimme (vgl. Schematismus 2011 [Anm. 32], S. 26). – In jüngster Vergangenheit werden in einzelnen Diözesen Überlegungen angestellt, diesen Rat nicht mehr mit Ordinariatsbediensteten zu besetzen. 69 Vgl. für das Erzbistum Paderborn: Statut für den Verwaltungsrat vom 16. Februar 1985, § 8, in: Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 128 (1985), S. 65 – 66, Nr. 76; geändert am 7. November 1991, in: ebd. 134 (1991), S. 133, Nr. 168.
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Stimmrecht.70 Ansonsten aber lässt sich diesem Befund entnehmen, dass viele Diözesen bewusst davon absehen, das wirtschaftliche Handeln mit ihren zeitlichen Gütern bzw. mit denen ihnen unterstellter Rechtspersonen durch ein zugleich einschlägig kompetentes und unabhängiges Gremium abzusichern. Zwar kommen dem „Verwaltungsrat“ in vielen Diözesen oft aufgrund Geschäftsordnungen des Ordinariates oder aufgrund Gewohnheit viele Kompetenzen zu, die es sehr schwierig oder gar unmöglich erscheinen lassen, Personen aus der oft weitläufigen Diözese zu wöchentlichen Sitzungen zusammenzurufen, doch kann aufgrund der Bedeutung der Aufsicht die Lösung nicht in einer zumindest in Spannung zu den kodikarischen Vorgaben stehenden Praxis bestehen, sondern nur in der Zuweisung der nicht dem Diözesanvermögensverwaltungsrat zukommenden Aufgaben an eine behördeninterne Kommission bzw. Abteilungsleiterkonferenz. Dieser Befund einer „weisungsabhängigen Selbstbeaufsichtigung“ lässt nach dem zweiten wichtigen Aufsichtsgremium in der Vermögensverwaltung fragen, dem Konsultorenkollegium. Aufgrund der besonderen Rechtslage in Deutschland werden dessen Aufgaben vom jeweiligen Kathedralkapitel wahrgenommen, dessen Mitglieder sich zu einem größeren Teil wiederum aus leitenden (priesterlichen) Mitarbeitern der Diözesankurie rekrutieren. Daraus resultiert für die Vermögensaufsicht ein nicht unerhebliches strukturelles Defizit: Aufgrund dieser personellen Identität haben manche Personen gleich zweimal zu Angelegenheiten, die sie mitunter selber bearbeitet haben, Stellung zu nehmen, was nicht so sehr an eine effektive Aufsicht, sondern eher – mit Verlaub gesagt – an Beschäftigungstherapie denken lässt. Zumindest kann einem Domkapitular in solchen Angelegenheiten, mit denen er als Mitarbeiter im Ordinariat bereits selber befasst war, kein Stimmrecht zukommen. Paradox mutet zudem an, wenn ein vermögensrechtlicher Beschluss des Kathedralkapitels diesem in einer späteren Sitzung als Konsultorenkollegium zwecks aufsichtsrechtlicher Zustimmung vorgelegt wird. Diese Praxis rezipiert die kodikarischen Vorgaben nicht einmal in einer rein formalen Hinsicht. Zwar existiert ein Gremium, das die Aufgaben des Diözesanvermögensverwaltungsrates wahrnimmt, doch fehlt den Mitgliedern nicht selten die vom Gesetzgeber geforderte einschlägige Qualifikation sowie die gebührende Unabhängigkeit. Zwar mögen immer auch partikulare Bedingungen eine modifizierte Rezeption der kodikarischen Vorgaben rechtfertigen, doch kann dies nicht geschehen, ohne der Intention des Gesetzgebers Rechnung zu tragen. Daher wäre anzufragen, ob in diesem Fall tatsächlich die Gewohnheit die beste Auslegerin des Gesetzes71 darstellt, ja ob die in vielen Diözesen bestehende widergesetzliche Gewohnheit als vernünftig qualifiziert werden kann, um in Gesetzeskraft zu erstarken.72 Gleichwohl: Wenn 70 Berlin: Dem Diözesanvermögensverwaltungsrat gehören an der Dezernatsleiter Finanzen und Bau sowie der Diözesanökonom als Vorsitzender, der Erzbischof und der Generalvikar (beide nur beratend), mit Stimmrecht sieben Mitglieder, bei denen es sich nicht um Bedienstete des Ordinariates handelt (vgl. Schematismus 2013 [Anm. 34], S. 135). 71 Vgl. c. 27 CIC/1983. 72 Vgl. c. 24 § 2 CIC/1983.
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deutsche Diözesen in der jüngeren Vergangenheit zur Bewältigung ihrer Finanzprobleme sich externer Wirtschaftsexperten bedient haben, so mag dies einerseits vor dem Hintergrund einer eingehenden Analyse von Strukturen und einer langfristigen Planung sinnvoll gewesen sein. Indes bleibt die Anfrage, ob bei Vorhandensein eines nach Maßgabe der kodikarischen Vorgaben eingerichteten diözesanen Vermögensverwaltungsrates dies überhaupt oder zumindest in dem erfolgten Umfang notwendig gewesen wäre.
III. Die Wertgrenzen für Veräußerungen73 Das kanonische Recht verbietet Veräußerungen nicht grundsätzlich, knüpft an diese aber – weil das Stammvermögen einer Rechtsperson betroffen bzw. deren Vermögenslage möglicherweise gefährdet ist – an bestimmte Voraussetzungen. So bedarf es zur gültigen Veräußerung zeitlicher Güter einer öffentlichen juristischen Person, die zu deren Stammvermögen (patrimonium stabile) gehören, bei Überschreiten von bestimmten Summen der Erlaubnis der zuständigen Autorität.74 Diese Vorschrift findet Ergänzung durch eine analoge Bestimmung hinsichtlich solcher Rechtsgeschäfte, durch die die Vermögenslage (conditio patrimonialis) einer juristischen Person verschlechtert werden könnte.75 Diese Genehmigungsvorbehalte zielen auf eine Absicherung der ökonomischen Ausstattung und wirtschaftlichen Situation einer Rechtsperson, weshalb dem Diözesanbischof unterstellte Rechtspersonen bei Überschreiten einer ersten Wertgrenze (sog. Untergrenze) diesen ad validitatem des Rechtsgeschäftes um Erlaubnis anzugehen haben, der seinerseits vor deren Erteilung die Zustimmung des Diözesanvermögensverwaltungsrates und des Konsultorenkollegiums einholen muss; bei Überschreiten einer zweiten Wertgrenze (sog. Obergrenze oder Romgrenze) bedarf es zusätzlich der Erlaubnis des Hl. Stuhles.76 Die Zustimmung dürfen alle damit Befassten nur erteilen, wenn sie sich zuvor über bereits von der betreffenden juristischen Person durchgeführte Veräußerungen und deren Wirt-
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Vgl. hierzu Althaus, cc. 1291 – 1295, in: MK CIC (Stand: August 1997); Heimerl/Pree, Vermögensrecht (Anm. 4), 4/29 – 84; Pree/Primetshofer, Kirchliches Vermögen (Anm. 4), S. 141 – 146. 74 Vgl. c. 1291 CIC/1983. Gemeint sind hiermit alienationes im engeren Sinne, also unter gänzlicher Aufgabe des Eigentumsrechts. 75 Vgl. c. 1295 CIC/1983. Hierbei handelt es sich um alienationes im weiteren Sinne, die aufgrund der Art des Rechtsgeschäftes das Risiko in sich tragen, sich nachteilig auf die Vermögenslage (diese reicht über das Stammvermögen hinaus) der juristischen Person auszuwirken, insofern einer anderen Person Rechte an einer Sache eingeräumt werden. Man spricht auch von veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäften, Schlechterstellungsgeschäften bzw. Risikogeschäften. 76 Vgl. c. 1292 § 2 CIC/1983. Die Zuständigkeit liegt bei der Kleruskongregation (vgl. Apostolische Konstitution Pastor Bonus vom 28. Juni 1988, in: AAS 80 [1988], S. 841 – 912, Art. 98).
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schaftslage informiert, d. h. diese geprüft, haben.77 Ausdrücklich hebt der Gesetzgeber hervor, der Diözesanbischof benötige die Zustimmung der beiden Gremien auch bei der Veräußerung von Diözesanvermögen.78 Der Bischofskonferenz obliegt, in einem decretum generale diese Wertgrenzen festzulegen79, wobei an sich die Möglichkeit besteht, Summen fix zu benennen oder diese in Relation zur Finanzkraft der jeweiligen Rechtsperson zu setzen. Für die deutschen Diözesen liegen diese Wertgrenzen gemäß eines Beschlusses der Deutschen Bischofskonferenz derzeit bei 100.000 Euro bzw. 5 Mio. Euro.80 Indes führt die sorgfältige Lektüre dieser sog. Partikularnorm zu einem befremdlichen Befund, lautet doch die einleitende Passage: „Veräußerungen (c. 1291 CIC/ 1983) und veräußerungsähnliche Rechtsgeschäfte (c. 1295 CIC/1983) von Stammvermögen einer öffentlichen juristischen Person des kanonischen Rechts, die dem Diözesanbischof untersteht, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen genehmigungsbedürftig […].“ Unbeschadet der Tatsache, dass hier – die kodikarischen Regelungsbereiche eingrenzend – nur vom patrimonium stabile die Rede ist und nicht auch von der conditio patrimonialis im Sinne des c. 1295 CIC/1983, und unbeschadet einer verwirrenden Terminologie in Bezug auf die nachfolgend festgelegte Untergrenze81, gelten bei wörtlicher Auslegung der Partikularnorm die genannten Wertgrenzen lediglich hinsichtlich der dem Diözesanbischof unterstellten öffentlichen juristischen Personen, nicht aber für das Diözesanvermögen selber, für das sich auch keine spezielle Regelung findet. Dies bedeutet: Veräußerungen, die das Vermögen der Diözese betreffen, werden von dieser Partikularnorm nicht erfasst. Aufgrund der Rekognition des Generaldekrets durch den Hl. Stuhl ist der Diözesanbischof somit auf dieser Rechtsgrundlage hinsichtlich einer Veräußerung oder eines veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäftes mit diözesanem Vermögen an keinerlei Genehmigung bzw. Beispruchsrecht gebunden. Handelt es sich hierbei um ein redaktionelles Versehen oder eine gezielte Regelung in Anbetracht des erheblichen Fi-
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Vgl. c. 1292 § 4 CIC/1983. Vgl. c. 1292 § 1 CIC/1983. Diese Passage wurde während der Redaktionsarbeiten bewusst aufgenommen (vgl. Comm. 16 [1984], S. 35 – 36), damit der Diözesanbischof hinsichtlich der Vornahme eigener Rechtsgeschäfte nicht nach Gutdünken verfahren kann. 79 Vgl. c. 455 CIC. Die Normsetzungsbefugnis der Bischofskonferenz entzieht diese Materie der Regelungskompetenz des einzelnen Diözesanbischofs, so dass eine einheitliche Regelung im Konferenzgebiet besteht. 80 Vgl. Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 138 (1995), S. 127 – 130, Nr. 158, hier: S. 129 – 130; Schmitz/Kalde, Partikularnormen DBK (Anm. 64), S. 60 – 62 (Erläuterungen ebd., S. 72 – 75). Die mit Blick auf die Euro-Umstellung geänderte, geltende Fassung wurde von der Deutschen Bischofskonferenz am 24./27. September 2001 bzw. 18./ 20. Februar 2002 beschlossen und vom Hl. Stuhl am 13. Juni 2002 rekognosziert; sie trat mit dem 1. Oktober 2002 in Kraft (vgl. Amtsblatt Paderborn 146 [2002], S. 139 – 140, Nr. 154). 81 Vgl. hierzu: Althaus, c. 1292, Rdnr. 21, in: MK CIC (Stand: August 1997). 78
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nanzvolumens der Diözesen im Unterschied zu denen der nachgeordneten Rechtsträger wie Kirchengemeinden und anderen?82 Der hier aufgezeigte Befund bedarf jedoch einer Relativierung. Für Akte der außerordentlichen Vermögensverwaltung auf diözesaner Ebene bedarf der Diözesanbischof zur Absicherung der wirtschaftlichen Situation der Zustimmung der beiden genannten Gremien; diese Akte festzulegen fällt ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Bischofskonferenz.83 Zwar sind Akte der außerordentlichen Vermögensverwaltung von Veräußerungen und veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäften formal zu unterscheiden, insofern erstere zwar nicht regelmäßig wiederkehren, aber allein der Substanzerhaltung dienen, doch verdient die inhaltliche Füllung dieser Kategorie durch die Deutsche Bischofskonferenz in unserem Zusammenhang Aufmerksamkeit. Die derzeit geltende Partikularnorm wurde zum 1. Januar 1996 in Kraft gesetzt und im Blick auf die Euro-Umstellung hinsichtlich der genannten Summen zum 1. Oktober 2002 angepasst.84 Dieser Katalog umfasst: ¢ die Annahme von Zuwendungen, die nicht frei sind von Auflagen und Belastungen, ¢ die Aufnahme von Darlehen, die nicht nur zur kurzfristigen Gewährleistung der Zahlungsbereitschaft dienen, ¢ das Einstehen für fremde Verbindlichkeiten, ¢ den Abschluss von Kauf- und Werkverträgen sowie Grundstücksgeschäften, deren Wert 500.000 Euro im Einzelfall überschreitet, ¢ die Errichtung oder Übernahme von anstaltlichen Einrichtungen kirchlichen oder staatlichen Rechtes oder die Auflösung oder Übernahme solcher, ¢ Vereinbarungen über die Ablösung von Baulastverpflichtungen und anderer Leistungen Dritter. Obgleich nicht alle aufgeführten Rechtsgeschäfte unter die Veräußerungen bzw. veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäfte zu subsumieren sind, so kann man doch eine „Wertgrenze“ bei Kauf- und Werkverträgen sowie Grundstücksgeschäften von 500.000 Euro ausmachen, bei anderen „Risikogeschäften“, v. a. hinsichtlich der anstaltlichen Einrichtungen, sogar eine Wertgrenze von quasi 0 Euro. Es sei zudem prä82 Eine definitive Beantwortung dieser Frage dürfte kaum möglich sein, jedoch sollte daran erinnert werden, dass im Kontext der Formulierung der Partikularnorm zu cc. 1292 und 1295 CIC/1983 die Erarbeitung eines für alle deutschen Diözesen einheitlichen Kataloges derjenigen Rechtsgeschäfte stand, für die eine kirchenaufsichtliche Genehmigung einzuholen ist (was an sich aus c. 1281 § 2 CIC/1983 resultiert). Vgl. hierzu auch: Rüdiger Althaus, Wi(e)der den Partikularismus – Zur Problematik der Partikularnorm Nr. 19 der Deutschen Bischofskonferenz zu c. 1292 § 1 CIC, in: ThGl 87 (1997), S. 409 – 422. 83 Vgl. c. 1277 CIC/1983. 84 Vgl. Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 138 (1995), S. 127 – 130, Nr. 158, hier: S. 129; Schmitz/Kalde, Partikularnormen DBK (Anm. 64), S. 58 – 59 (Erläuterungen ebd., S. 59); Amtsblatt Paderborn 145 (2002), S. 139, Nr. 154.
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sumiert, dass die Gremien in derselben Weise wie bei einer Veräußerung grundlegend über die Vermögenslage der juristischen Person „Diözese“ informiert werden.85 Diese in Deutschland anzutreffende Regelung widerspricht zwar in formaler Hinsicht den kodikarischen Vorgaben, doch schließen diese letztlich nicht aus, Wertgrenzen variabel mit Blick auf die wirtschaftliche Situation der juristischen Person festzulegen. Es besteht jedoch die nicht unbegründete Gefahr, dass der diözesane Vermögensverwalter diese Regelung gemäß c. 1277 CIC/1983 nicht unbedingt im Blick hat86, weil er hinsichtlich des Angehens der Gremien auf die Pfarreien bzw. Kirchengemeinden, also auf c. 1292 CIC/1983 fokussiert ist. Zudem fällt auf, dass das Partikularrecht für Rechtsgeschäfte mit diözesanem Vermögen keine Romgrenze benennt, mit anderen Worten: Kein solches ist der Aufsicht des Hl. Stuhles unterworfen.87– Man mag diesbezüglich die partikulare Rechtslage den mitunter langjährig bestehenden Gepflogenheiten der Ordinariate angepasst haben, nicht aber der Intention des kodikarischen Gesetzgebers.
IV. Resümee Die angesprochenen Aspekte lassen nicht unerhebliche Desiderate bei der Verwaltung diözesanen Vermögens erkennen, insofern die einschlägigen kodikarischen Vorschriften weder formal noch hinsichtlich ihrer Intention rezipiert worden sind, so dass man die Regelungsabsicht des Gesetzgebers reflektiert und diese – entsprechend der speziellen örtlichen Verhältnisse – in modifizierter Form umgesetzt hätte. Vielmehr erweckt die geltende Praxis den Eindruck eines starren Festhaltens an einer klar auf den Generalvikar (bzw. den Diözesanbischof) fokussierten, hierarchisch (statt synodal) geprägten Struktur mit einer gewissen Tendenz zur Aufsichtsscheu und Selbstbeschäftigung, die das eigene Vorgehen nicht hinterfragen lassen möchte, wobei es doch u. a. um die Fruchtbarmachung fachspezifischer, dem Theologen zu85
Vgl. c. 1292 § 4 CIC/1983. Es sei dem Verf. nachgesehen, wenn er an dieser Stelle konkrete Beispiele nicht benennt. Dass man den Diözesanvermögensverwaltungsrat sowie das als Konsultorenkollegium agierende Kathedralkapitel nicht über Gebühr mit der Aufsicht über die Verwaltung diözesanen Vermögens belasten möchte, zeigt ein anderes Phänomen: Der vom Gesetzgeber in c. 1277 CIC/1983 angesprochene besondere Umgang mit Rechtsgeschäften maioris momenti im Bereich der ordentlichen Vermögensverwaltung, die festzulegen dem Diözesanbischof obliegt, und hinsichtlich derer er die beiden genannten Gremien anzuhören hat, fand in Deutschland bislang keine Beachtung. Dies mag zwar einem zügigen Geschäftsablauf in den Ordinariaten dienen, doch sollte nicht übersehen werden, dass auch diese Vorschrift auf den Schutz diözesanen Vermögens und die Entlastung des Diözesanbischofs zielt. 87 Dieser Befund des Fehlens einer Romgrenze passt zu der Aussage eines jahrzehntelang im Ordinariat tätigen Mitarbeiters, ihm sei nicht bekannt, jemals in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit den Hl. Stuhl angegangen zu haben. Schmitz/Kalde (Partikularnormen DBK [Anm. 64], S. 64) weisen nicht auf das Fehlen der Romgrenze hin. – Hiervon unberücksichtigt bleibt das Angehen des Hl. Stuhles aufgrund anderer Rechtstitel, so bei der Veräußerung von Gaben ex voto und res pretiosae (vgl. c. 1292 § 2 CIC/1983). 86
Die Vermögensverwaltung auf diözesaner Ebene in Deutschland
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meist fremder Kenntnisse ginge. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es steht nicht die Frage im Raum, ob in der Vergangenheit in (einzelnen) deutschen Teilkirchen eine Zweckentfremdung kirchlicher Mittel stattgefunden hat; sondern es geht vielmehr um eine hinreichende Effizienz der aktuellen Vermögensverwaltung sowie um eine mittel- und langfristige Sicherung der ökonomischen Grundausstattung der Teilkirchen, die auch beinhaltet, Kürzungen – obgleich ein solcher Einschnitt immer sehr schmerzlich ist, aber ein langsames Dahinsiechen verhindert – rechtzeitig vorzunehmen und entsprechend einer längerfristigen Prioritätenliste (z. B. in Bezug auf den Unterhalt kirchlicher Gebäude) zu agieren, und so den Diözesanbischof in die Lage zu versetzen, auch in späteren Jahren die Seelsorge strukturell und inhaltlich zu planen, ohne dass hierfür primär oder gar allein die Kassenlage ausschlaggebend ist. Wenn eingangs die Frage gestellt wurde, ob die kodikarischen Vorschriften hinreichend geeignet sind, finanziellen Engpässen vorzubeugen, so kann dies nicht mit Sicherheit positiv beantwortet werden, doch stellen die vom kodikarischen Gesetzgeber vorgesehene Position des Diözesanökonomen sowie die Überprüfung durch externe Sachverständige hierfür eine wichtige Vorbedingung dar. Die Perspektive, die das kanonische Recht hier eröffnet, wird bisher leider nicht recht wahrgenommen. Im vorvergangenen Jahr konnte das derzeit geltende kirchliche Gesetzbuch für die lateinische Kirche seinen „30. Geburtstag“ feiern. Bei diesem handelt es sich jedoch nicht um einen beliebigen Gedenktag. Vielmehr verlieren Vorschriften, die diesen Zeitraum hindurch konsequent nicht beachtet worden sind, wegen widergesetzlicher Gewohnheit ihre Verpflichtungskraft.88 Dies träfe hinsichtlich der Zeitdauer auf alle drei in diesem Beitrag thematisierten Aspekte zu, denn es ist auch nicht bekannt, dass der Hl. Stuhl als Gesetzgeber oder im Rahmen seiner obersten Vermögensaufsicht89 eine Einhaltung dieser Vorschriften angemahnt hätte. Haben wir es daher mit einer widergesetzlichen Gewohnheit zu tun, die nunmehr in der Kraft eines Gesetzes erstarkt ist? Es ist nicht davon auszugehen, dass die nicht rezipierten Vorschriften im göttlichen Recht wurzeln, deren Nichtrezeption also im Widerspruch zu diesem stehen würde.90 Aber ist die Praxis auch vernünftig, rationabilis?91 Sicher verwirft weder das kodikarische Recht noch eine andere rechtliche Verlautbarung diese ausdrücklich mit einer Reprobationsklausel. Indes setzt Rationabilität voraus, dass die in Frage stehende Praxis „die grundlegenden Prinzipien der rechtlichen Ordnung der Kirche, sowie die wesentlichen Elemente ihrer Rechtseinrichtungen und -handlungen wahrt, auch wenn diese nicht unabdingbar durch das ius divinum festgelegt sind […] [und] das kirchliche Leben und Heilswirken der betroffenen Gemeinschaft 88
Vgl. c. 26 CIC/1983. Vgl. c. 1256 CIC/1983. 90 Gemäß c. 24 § 1 CIC/1983 kann keine Gewohnheit die Kraft eines Gesetzes erlangen, die dem göttlichen Recht zuwider läuft. 91 Gemäß c. 24 § 2 CIC/1983 kann eine widergesetzliche Gewohnheit nur die Kraft eines Gesetzes erlangen, wenn sie vernünftig ist; eine im Recht ausdrücklich verworfene Gewohnheit ist nicht vernünftig. 89
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fördert.“92 Vor diesem Hintergrund mag man durchaus anfragen, ob die in vielen Diözesen anzutreffenden widergesetzlichen Gewohnheiten wirklich nunmehr in Gesetzeskraft erstarkt sind. Aber selbst wenn man dies unterstellen würde: Formalrechtlich wäre dann alles in Ordnung – aber auch sachlich, finanziell?
92 Vgl. Hubert Socha, c. 24, Rdnr. 5 (mit weiteren Belegen), in: MK CIC (Stand: November 2012).
Organe der klösterlichen Vermögensverwaltung Dominicus M. Meier Zu den Zielen vieler Ordensgemeinschaften gehört neben einem kontemplativen Engagement ein aktiver Dienst für Menschen in Not. Sie führen Krankenhäuser und Pflegeheime, betreiben Einrichtungen der Fürsorge und tragen Schulen und Hochschulen. Auf all diesen Gebieten werden die Gemeinschaften in den letzten Jahren mehr denn je angefragt. Gleichzeitig sind die Institute des geweihten Lebens in ihrer jeweiligen staatlichen Rechtsform und mit ihren sozialen Dienstleistungen und Einrichtungen in die Umbrüche unserer Gesellschaft gestellt. Sie haben teil an den Veränderungen und Einschnitten unserer Zeit und damit sowohl an den permanenten Veränderungen sozialrechtlicher, wirtschaftlicher und demographischer Rahmenbedingungen als auch dem stetig größer werdenden Wettbewerb sozialer und karitativer Dienstleister in Deutschland und der Europäischen Union. Sie werden durch die ökonomischen und sozioökonomischen Zwänge und Entscheidungsnöte unserer Gesellschaft herausgefordert und unterliegen einem wachsenden Kostendruck, einem spürbaren Wettbewerb und der nach der Wirtschaftskrise immer lauter werdenden Forderung nach Transparenz in ihrer Vermögensverwaltung. Um eine effiziente Führung und Überwachung von Wirtschaftsunternehmen zu gewährleisten, hat der staatliche Gesetzgeber seinerseits in den letzten Jahren eine Vielzahl von Regelungen erlassen, z. B. das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG), das „Gesetz zur weiteren Reform des Aktienund Bilanzrechts zu Transparenz und Publizität“ (Transparenz- und Publizitätsgesetz, TransPuG) oder den „Deutschen Corporate Governance Kodex“ (DCGK).1 1
Mit dem TransPuG vom 19. Juli 2002 verfolgt der staatliche Gesetzgeber im Anschluss an das KonTraG vom 27. April 1998 im Wesentlichen das Ziel, die Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich durch Änderungen des Aktien- und Handelsrechts zu verbessern. Das TransPuG enthält umfangreiche Neuregelungen zur Stärkung der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrates und zu dessen Kooperation mit dem Vorstand, erleichtert einzelne Kapitalmaßnahmen von Aktiengesellschaften und modifiziert geltende Grundsätze im Rahmen der Gewinnverwendung. Das Gesetz stärkt darüber hinaus den Konzernabschluss als umfassendes Informationsmedium. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) legt – internationalen Standards folgend – umfangreiche Rollen- und Verhaltensempfehlungen für Mitglieder des Vorstands- und Aufsichtsrates von börsenorientierten Aktiengesellschaften fest. Zum Modell des Corporate Governance und seiner Einordnung in das kirchliche Vermögensrecht vgl. Johannes Krall, Kirchenvermögen – Nachhaltigkeit – Wirtschaftsethik. Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Verwaltung unter nachhaltigen und wirtschaftlichen Überlegungen (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg 22), Frankfurt/Berlin/Bern u. a., 2009, S. 158 – 183.
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Dominicus M. Meier
Wenn diese Regelungen auch in erster Linie auf börsennotierte Aktiengesellschaften Anwendung finden, so können sie doch in einem weiten Sinne Anregungen für die Arbeit von Geschäftsführungs- und Aufsichtsebene einer Organisation geben sowie hilfreich für die Zusammenarbeit beider Organe und einer verantwortungsvollen Unternehmensführung, im Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sein. Schließlich sehen sich die Orden den Forderungen nach innerkirchlicher Einheitlichkeit in der Anwendung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“2 und den damit verbundenen Tarifvereinbarungen ausgesetzt, getragen von der Forderung, dass für kirchliche Einrichtungen eine werteorientierte Unternehmensführung charakteristisch sei, die die Prinzipien der katholischen Soziallehre beachtet. Dazu gehören die Prinzipien der Personalität, der Solidarität und der Subsidarität. Alle drei Prinzipien sind wichtig für die Unternehmenskultur in kirchlichen Einrichtungen, da sie das christliche Menschenbild widerspiegeln. All diese Forderungen wirken auf die Ordensleitung ein und verlangen von ihr ein rechtskonformes Handeln im Blick auf die notwendigen Rechtsakte der Vermögensverwaltung.
I. Merkmale einer modernen Unternehmensführung Dem Begriff der modernen Unternehmensführung kann man sich unter den Aspekten Funktion, Institution und Prozess nähern. Funktionale Merkmale beschreiben die Aufgaben- und Tätigkeitsinhalte der Unternehmensführung. Zentrale Funktionen der Unternehmensführung stellen dabei Planung, Controlling, Organisation und Personalwirtschaft dar. Prozessuale Merkmale beschreiben dagegen die Unternehmensführung als Folge von Vorgängen, die sich zwischen Einzelnen oder Gruppen im Zeitablauf durch deren Handeln ergeben. Schließlich heben institutionelle Merkmale auf die Träger, Organe oder Personen der Unternehmensführung ab. Danach sind hauptsächlich die Geschäftsführer oder Vorstände sowie der Aufsichtsrat Träger der Unternehmensführung. Hier werden im Rahmen der Unternehmensführung echte Führungsentscheidungen verlangt, d. h. Führungsentscheidungen, die von weitreichender Bedeutung für das Unternehmen sind und den Bestand oder Erfolg des Unternehmens als Ganzes betreffen. Sie sind nicht delegierbar.
2
Vgl. Sekretariat der DBK (Hrsg.), Kirchliches Arbeitsrecht, in: Die Deutschen Bischöfe 95 vom 28. September 2011, Bonn 2011; Dominicus M. Meier, Änderung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes durch die Bischöfe – Herausforderung für Ordensgemeinschaften päpstlichen Rechts, in: OK 53 (2012), S. 325 – 335; ders., Die Änderung der Grundordnung für kirchliche Dienste. Gelöste und ungelöste Fragen, in: Jahresbericht AcU 2012, S. 25 – 28; ders., Gemeinsam oder doch besser getrennt? Die veränderte Grundordnung für kirchliche Dienste als Stolperstein für das Miteinander von Bischöfen und Ordensinstituten, in: ZAT 1 (2013), S. 17 – 24.
Organe der klösterlichen Vermögensverwaltung
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Im Rahmen des vorliegenden Artikels über die Organe der klösterlichen Vermögensverwaltung werden die prozessuale und die institutionelle Sichtweise der Unternehmensführung miteinander in Beziehung gesetzt, während die funktionalen Merkmale stets im Hintergrund der Erörterungen mitzudenken sind.
II. Geschäftsführendes Organ 1. Ökonom3 Gemäß c. 636 § 1 CIC/1983 muss es in jedem Institut und ähnlich in jeder Provinz, die von einem höheren Oberen geleitet wird, einen Ökonomen geben, der vom höheren Oberen verschieden und nach Norm des Eigenrechts eingesetzt ist. Unter der Leitung des jeweiligen Oberen hat er die Verwaltung des Vermögens eines Ordensinstitutes zu führen. Auch in den örtlichen Kommunitäten soll, soweit das möglich ist, ein vom Hausoberen verschiedener Ökonom eingesetzt werden. Die dem Ordensoberen qua Amt zufallende Pflicht der Vermögensverwaltung bedeutet nicht, dass er diese Verantwortung allein tragen muss, sondern der Codex stellt ihm ein Organ zur Seite, das ihn von Amts wegen in der Verwaltung des klösterlichen Vermögens unterstützt: den Ökonom.4 Seine Bestellung ist vom Gesetz zwingend vorgeschrieben, für das gesamte Institut sowie für einen Teil (z. B. Provinz), sofern sie von einem höheren Oberen geleitet werden. In örtlichen Kommunitäten mit einem Hausoberen als Vorsteher, d. h. auf der untersten Ebene eines Institutes, ist die Unvereinbarkeit zwischen dem Leitungsamt des Hausoberen und dem des Ökonomen nicht gegeben, jedoch soll auch hier, soweit es möglich ist, ein vom Hausoberen verschiedener Vermögensverwalter eingesetzt werden. Stillschweigend gehen der Codex Iuris Canonici und die meisten Kommentatoren davon aus, dass der Ökonom in jedem Falle ein Ordensmitglied ist. Jedoch ist dieses sachlich begründete Erfordernis nicht vom kodikarischen Text verlangt und damit auch keine Gültigkeitsanforderung im strengen Sinne.5 Eine solche Engführung 3 Ökonom bezeichnet den Typus eines Kirchenamtes, dessen Wesen in der Befugnis besteht, unter dem jeweiligen kirchlichen Oberen (vgl. cc. 636 § 1, 1276, 1278 CIC/1983) die unmittelbare Vermögensverwaltung einer kirchlichen juristischen Person zu besorgen. Vgl. Helmuth Pree, Art. Ökonom, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, Sp. 544 – 546. 4 Bruno Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des CIC 1983 und des CCEO unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz, Freiburg 42003, S. 163. Der Ökonom führt in den unterschiedlichen Instituten des geweihten Lebens verschiedene Bezeichnungen, wie z. B. Vermögensverwalter, Cellerar, Prokurator, Schaffner oder Minister. 5 Der begrenzte Rahmen dieses Beitrags lässt es leider nicht zu, auf diese für viele Gemeinschaften drängende Frage des ordenseigenen Ökonomen oder eines angestellten Ge-
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ist m. E. nicht nachvollziehbar, da der kirchliche Gesetzgeber bei der Bestellung eines Diözesanökonomen und der Umschreibung der besonderen Sorgfaltspflicht der an der Vermögensverwaltung Beteiligten keine Begrenzung auf Kleriker vorsieht. C. 1282 CIC/1983 spricht ausdrücklich von „sive clerici sive laici“.6 Hiernach kann jeder „kraft rechtmäßigen Titels mit Aufgaben der Verwaltung von Kirchenvermögen (bona ecclesiastica) betraut werden.“7 Die näheren Erfordernisse von Bestellung und Amtsdauer des Ökonomen bzw. eines Geschäftsführers, sofern eine Ordensgemeinschaft einen ordenseigenen Ökonomen nicht mehr stellen kann, sind vom Eigenrecht des Institutes zu regeln, ebenso die Art und Weise, wie der Ökonom und die übrigen Verwalter8 klösterlichen Vermögens der zuständigen, institutsinternen Autorität Rechenschaft über die Durchführung der Vermögensverwaltung abzulegen haben (c. 636 § 2 CIC/1983). Bei der Bestellung des Ökonomen bzw. weiterer Organe der Geschäftsführung sollte in jedem Fall darauf geachtet werden, dass ausreichende theologische, ethische, fachspezifische und ökonomische Kompetenzen gegeben sind. Daher ist es empfehlenswert, konkrete Anforderungsprofile und Qualifikationsvoraussetzungen für die einzelnen Positionen in der Verwaltungs- und Geschäftsführungsebene zu beschreiben, nach denen dann die Entscheidungsorgane prüfen und entscheiden können. Während in weltlichen Unternehmen die Amtszeit der Geschäftsführung oftmals befristet geregelt ist, verweist der kirchliche Gesetzgeber in c. 636 § 1 CIC/1983 auf das Eigenrecht eines Ordensinstitutes9. Hier sind seitens des Generalkapitels eines Institutes bei der Erstellung des Eigenrechts entsprechende Regelungen zu Amtszeit, Bestellung, Mitgliedschaft in anderen Beratungsgremien mit entscheidendem bzw. beratendem Stimmrecht etc. vorzunehmen. 2. Aufgaben und Verantwortung Der Ökonom und die übrigen geschäftsführenden Organe eines Ordensinstitutes haben entsprechend den ihnen vom Oberen übertragenen Befugnissen sowohl für die laufende Besorgung der Vermögensangelegenheiten, als auch die Vertretung des Inschäftsführers einzugehen. Vgl. hierzu: Dominicus M. Meier, Der klösterliche Vermögensverwalter (c. 636 CIC) – Kirchenrechtliche Anforderungen an seine Person, in: EuA 84 (2008), S. 194 – 196. 6 Rüdiger Althaus, c. 1282, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: April 1997). 7 Helmuth Pree/Bruno Primetshofer, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Eine praktische Handreichung, Wien/New York 2007, S. 79. 8 Unter dem kodikarischen Begriff der „übrigen Verwalter“ sind m. E. auch Geschäftsführer zu verstehen, die aufgrund eines fehlendes Ordensökonomen diese Aufgabe (kommissarisch), unter der Autorität der ordensinternen Aufsichtsorgane, wahrnehmen. 9 Zum Begriff des Eigenrechts vgl. Dominicus M. Meier, „… secundum ius proprium.“ Kanonistische Anmerkungen zum Eigenrecht der Institute des geweihten Lebens, in: EuA 89 (2013), S. 92 – 98.
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stitutes gegenüber Dritten zu sorgen. Der Umfang der Verwaltungs- und Vertretungsbefugnisse richtet sich nach dem Eigenrecht des Institutes und den Weisungen des zuständigen Oberen, von dessen Aufsicht die unterschiedlichen geschäftsführenden Organe abhängig sind.10 Dieser hat Aufgaben, Kompetenzen, Rechenschaftspflichten und Verantwortlichkeiten klar zu regeln und zu dokumentieren, damit die geschäftsführenden Organe dem Institutsauftrag gerecht werden können. Kein Mitglied der Geschäftsführung darf bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen und Geschäftschancen, die dem Institut und seinen Einrichtungen zustehen, für sich nutzen. Entsprechende Regelungen sollten in einer Geschäftsordnung enthalten sein. Manche Akte der Vermögensverwaltung sind von vornherein aus der Kompetenz des Ökonomen und der geschäftsführenden Organe ausgeschlossen: Veräußerungsgeschäfte und veräußerungsähnliche Geschäfte sowie Akte der außerordentlichen Verwaltung. Ihre Kompetenzbefugnis ist, auch im Blick auf die Vertretungsbefugnis, grundsätzlich auf die ordentliche Verwaltung beschränkt.11 Den zuständigen Institutsstellen kommt es zu, im Eigenrecht die notwendige Abgrenzung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Vermögensverwaltung vorzunehmen und festzulegen, was zur gültigen Vornahme einer Handlung der außerordentlichen Verwaltung erforderlich ist (c. 638 § 1 i. V. m. c. 741 CIC/1983; vgl. c. 1281 § 1 CIC/1983). Auch wenn der Gesetzgeber hier den Oberen als Aufsichtsorganen der Vermögensverwaltung keine Definition an die Hand gibt, was ordentliche und was außerordentliche Verwaltung ist, und ebenso keine Verfahrensanordnung darüber trifft, welche Gültigkeitsanforderungen für bestimmte Rechtshandlungen erforderlich sind, so lassen sich doch im Vergleich mit staatlichen und kirchlichen Anordnungen zur Vermögensverwaltung Kriterien erkennen, an denen sich die Regelungen im Eigenrecht orientieren können.
10 Vgl. Helmuth Pree, Religiosen und deutsches Zivilrecht – vermögensrechtliche Fragen, in: OK 52 (2011), S. 447 – 467, hier: S. 454. Der Handlungsspielraum eines Ökonomen bzw. eines Geschäftsführers sollte durch den Oberen nicht so eingeengt werden, dass die Einrichtung des Ökonomenamtes faktisch überflüssig wäre. Daher ist es ausgeschlossen, dass jede Maßnahme des Verwalters einer besonderen Erlaubnis oder Zustimmung des Oberen bedarf und der Obere in den Aufgabenbereich des Ökonomen bzw. Geschäftsführers beliebig eingreifen und dessen Amtsrechte an sich ziehen kann. Vgl. Hubert Socha, Rechtlicher Kommentar zum Gesetz der Gesellschaft des Katholischen Apostolats, Rom 2000, S. 1846. 11 Das Begriffspaar „ordentliche und außerordentliche Verwaltung“ wird im geltenden Gesetzbuch der lateinischen Kirche in fünf Canones verwandt: cc. 1277, 1281, 1285, 638 und 1524 § 2 CIC/1983. Im Gesetzbuch für die katholischen Ostkirchen, dem CCEO, finden sich entsprechende Anklänge in den cc. 263 § 4, 1024, 1029 und 1205. Vgl. zur Begriffsbestimmung: Rudolf Henseler/Dominicus M. Meier, c. 638, Rdnr. 1 – 2: MK CIC (Stand: November 2012); Helmuth Pree, Religiosen und deutsches Zivilrecht (Anm. 10), S. 458; Dominicus M. Meier, Ordentliche und außerordentliche Vermögensverwaltung im Ordensbereich – Anmerkungen zu zwei unbestimmten Rechtsbegriffen, in: EuA 84 (2008), S. 311 – 313; Hubert Socha, Rechtlicher Kommentar (Anm. 10), S. 1801.
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Nach kanonistischer Lehre fallen unter die ordentliche Verwaltung: ¢ alles, was der Erhaltung der Gebäude, Ländereien, Kapitalien und deren notwendigen Sanierungen und Modernisierungen dient, nicht aber Neubauten und wesentliche Änderungen der Substanz; ¢ die sachgemäße Bewirtschaftung der Güter, um die Erträgnisse in Form von Früchten, Zinsen oder Pachtgeldern zu gewinnen; ¢ die Entlohnung angestellter Mitarbeiter und die notwendige Abfuhr von Sozialbeiträgen für Institutsmitglieder und Mitarbeiter; ¢ das Versicherungswesen; ¢ alles, was zur Bestreitung des täglichen Lebensunterhalts des Instituts und seiner Mitglieder notwendig ist; ¢ der gewöhnliche Zinsendienst bei Schulden und Darlehen; ¢ der Haushaltsvorschlag, die ordnungsgemäße Kassen- und Buchführung, das Rechnungswesen und die Rechnungslegung am Ende eines Wirtschaftsjahres. Handlungen der außerordentlichen Verwaltung sind demnach solche, die die Zwecke und die Art und Weise der zuvor umschriebenen ordentlichen Verwaltung überschreiten. Geht entweder der Zweck der Handlung oder die Art und Weise ihrer Vornahme oder ihr Umfang über das hinaus, was der alltägliche Verwaltungsablauf an mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrenden Handlungen mit sich bringt, liegen Akte der außerordentlichen Verwaltung vor. Dies ist naturgemäß von der einen zur anderen juristischen Person verschieden. Was für das einzelne Kloster außerordentliche Verwaltung ist, kann für eine Provinz oder für ein Gesamtinstitut ein Geschäft der ordentlichen Verwaltung sein. Somit sind die kirchenrechtlichen Ausdrücke ordentliche und außerordentliche Verwaltung als komplementär anzusehen: bezogen auf eine konkrete Einrichtung bzw. juristische Person kann eine Handlung entweder als Rechtsakt der ordentlichen oder außerordentlichen Verwaltung definiert werden. Bei der Festlegung dessen, was für eine konkrete juristische Person außerordentliche Verwaltung sein soll, können deshalb besonders folgende Kriterien richtungsweisend sein: ¢ der finanzielle Umfang des Geschäfts; ¢ mit dem Geschäft verbundene Risiken; ¢ die Auswirkungen der Maßnahme auf den Vermögensbestand und die wirtschaftliche Weiterentwicklung des Trägers; ¢ die Natur und die näheren Merkmale des Geschäfts, z. B. die Laufzeit des Vertrages; einmalige Verpflichtung oder Dauerschuldverhältnis usw.; ¢ welche Gegenstände (je nach wirtschaftlicher Bedeutung) im Vermögen des Rechtsträgers vom Geschäft betroffen werden;
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¢ die Vermögenssituation zum Zeitpunkt des geplanten Geschäftes, z. B. könnte festgelegt werden, dass bestimmte Maßnahmen erst dann als außerordentliche Verwaltung gelten, wenn die Rücklagen des Trägers einen gewissen Wert unterschritten haben.12 Bestimmte Rechtsgeschäfte erfordern eine erhöhte Wachsamkeit, weil besondere Umstände vorliegen, sie einen erheblichen Gegenstandswert haben oder im Negativfall daraus eine Schlechterstellung der Vermögenslage eines Institutes resultiert oder die Zweckbindung des Institutsvermögens gefährdet sein könnte. Während c. 1281 § 1 CIC/1983 zur Vornahme von Akten der außerordentlichen Verwaltung die vorgängige schriftliche Ermächtigung durch den Ordinarius als Gültigkeitsvoraussetzung vorsieht, ist die Festlegung der Gültigkeitsvoraussetzungen im Ordensrecht ganz dem Eigenrecht des jeweiligen Institutes überlassen. C. 638 § 1 CIC/1983 sagt: Dem Eigenrecht kommt es zu, im Rahmen des allgemeinen Rechts die Handlungen zu bestimmen, welche die Grenze und die Weise der ordentlichen Verwaltung überschreiten, und das festzulegen, was zur gültigen Vornahme einer Handlung der außerordentlichen Verwaltung notwendig ist.13 Bei dieser Festlegung muss der jeweils für die Ermächtigungserteilung zuständige Obere in jedem Fall benannt werden. Dieser kann seinerseits zur gültigen Erteilung der Ermächtigung an Beispruchsrechte, z. B. seines Rates oder Kapitels, gebunden sein (vgl. c. 127 CIC/1983). Beispruchsberechtigte Ratsmitglieder haben in den vom Oberen vorgelegten Vermögensfragen eine sorgfältige Prüfung durchzuführen und ihre Meinung aufrichtig vorzutragen (c. 127 § 3 CIC/1983). Handeln die geschäftsführenden Organe aber in den vom Eigenrecht umschriebenen Fällen ohne die vom Eigenrecht statuierte erforderliche Ermächtigung, handeln sie ungültig (cc. 638 § 1; 1281 § 1 CIC/1983). Wenn Beispruchsrechte im Eigenrecht des Institutes normiert sind, so hat der Obere selbst, niemals der Ökonom oder sonst ein Mitglied der Geschäftsführung, den Beispruch einzufordern. Die „Kompetenzen des Ökonomen bewegen sich immer im nicht beispruchspflichtigen Bereich (ordentliche Verwaltung)“.14
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Helmuth Pree/Bruno Primetshofer, Das kirchliche Vermögen (Anm. 7), S. 67. In diesem Zusammenhang soll auf eine weitere Notwendigkeit im Rahmen der Vermögensverwaltung hingewiesen werden, der Unterscheidung von Stammvermögen und frei verfügbarem Vermögen. Diese zu umschreiben ist den institutseigenen Stellen vorbehalten. Solche deklaratorischen Akte sind in jedem Fall Akte der außerordentlichen Verwaltung und damit den geschäftsführenden Organen entzogen. Selbst eine spätere Umwidmung von Stammvermögen zu frei verfügbarem Vermögen fällt unter die Akte der außerordentlichen Verwaltung. Vgl. zu diesem wichtigen Feld der Vermögensverwaltung die knappe Zusammenfassung von Helmuth Pree, Religiosen im deutschen Zivilrecht (Anm. 10), S. 456 – 459. 14 Ebd., S. 455. 13
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III. Aufsichtsorgane Jeder zivile und kirchliche Rechtsträger ist verpflichtet, in seiner Satzung, im Gesellschaftsvertrag bzw. in seinem Eigenrecht neben der geschäftsführenden Ebene angemessene und wirksame Aufsichtsstrukturen zur Kontrolle der geschäftsführenden Organe zu installieren. Dies kann im zivilen Bereich durch die Errichtung eines Aufsichtsrates, Verwaltungsrates, Stiftungsrates oder Beirates geschehen. Er sollte aus mindestens drei, besser aus noch mehr Personen bestehen; die optimale Größe dieses Aufsichtsorgans ist entsprechend der fachlichen und wirtschaftlichen Bedeutung und den Anforderungen an die Aufsichtspflicht des Trägers zu konzipieren. Maßgebend für die Größe sind die fachlichen Anforderungen einerseits und die praktischen Arbeitsstrukturen andererseits. Bei der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans ist darauf zu achten, dass Interessenkonflikte möglichst ausgeschlossen sind und die einzelnen Mitglieder sich mit den Zielen der Einrichtung und, sofern es sich um kirchliche Einrichtungen handelt, mit dem Sendungsauftrag der katholischen Kirche identifizieren können.15 1. Oberer und sein Rat Gemäß c. 627 § 1 CIC/1983 hat jeder klösterliche Obere einen Rat (Beirat, Konsulta, Consilium), dessen Hilfe er sich bei der Ausübung seines Amtes bedienen soll.16 Dem Eigenrecht sind dabei Zusammensetzung (geborene und gewählte Mitglieder), Anzahl der Ratsmitglieder, Bestellung, Amtsdauer, Rechtsstellung und Vorgehensweise dieses Gremiums überlassen, soweit das allgemeine Recht nicht schon Regelungen vorgibt. Den Räten ist aufgegeben, dem Oberen bei der Erfüllung seines Leitungsdienstes und damit auch bei der Vermögensverwaltung des Ordensinstitutes initiativ und kooperativ beizustehen. Der Obere ist seinerseits gehalten, alle wichtigeren Fragen mit seinen Räten zu besprechen (c. 627 § 1 CIC/1983). In bestimmten vom Kirchenrecht oder vom Eigenrecht vorgesehenen Fällen kann der Obere Amtshandlungen ohne die vorausgehende Mitwirkung seines Rates nicht gültig vornehmen. Die Mitwirkungsweise besteht darin, dass die Ratsmitglieder entweder ihre Zustimmung oder ihren Rat erteilen müssen (c. 627 § 2 CIC/1983). Aus der Tatsache, dass der Rat des Oberen ein Beispruchsorgan im Sinne der kanonischen Grundregeln von c. 127 CIC/1983 ist, ist zu folgern, dass der Obere das Initiativrecht innerhalb des Gremiums hat; er ist Träger und Herr des Handelns, er setzt die Tagesordnung fest und entscheidet letztlich, ob er eine Vorlage zur Entschei15 Aus diesem Grunde enthalten die Regelungen für die Aufsichtsgremien kirchlicher katholischer Einrichtungen häufig die Feststellung, dass die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsgremiums der katholischen Kirche angehören muss. 16 Dominicus M. Meier, Die Generaloberin und ihr Rat. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht, in: OK 42 (2001), S. 323 – 331 = ON 40 (2001), S. 46 – 56.
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dung gibt, sie abändert oder zur erneuten Diskussion zurückstellt. Dieses Beispruchsrecht ist zu charakterisieren als Zustimmungs- und Beratungsrecht; es wird in Form des votum deliberativum und des votum consultivum ausgeübt.17 Grundsätzlich sind folgende Arten von Rechtshandlungen kodikarisch zu unterscheiden:18 ¢ der Obere handelt allein; ¢ der Obere muss den Rat hören; ¢ der Obere bedarf der Zustimmung des Rates; ¢ der Obere und der Rat handeln als Kollegium.
2. Aufgaben und Verantwortung Der Obere und sein Rat haben nach den Vorgaben des Eigenrechtes die Pflicht, sich regelmäßig mit dem Ökonomen und den Mitgliedern der geschäftsführenden Organe zu beraten und diese in ihrer Amtsführung zu überwachen. Daher ist es anzuraten, dass sich die Mitglieder des Aufsichtsgremiums nicht am operativen Geschäft eines Institutes und seiner Einrichtungen beteiligen, sondern ihre Aufsichts- und Kontrollaufgabe durch die Erteilung der Genehmigungsvorbehalte, z. B. die Zustimmung bei der Genehmigung der Wirtschafts- und Stellenpläne, Investitionspläne, Grundstücksgeschäfte oder Darlehensverträge ausüben. In ihren Kompetenzbereich gehörten vor allem aber die Erstellung grundsätzlicher Richtlinien und Geschäftsordnungen für die Handelnden eines Ordensinstitutes in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, in denen z. B. die oben schon erörterten Begriffe der ordentlichen und außerordentlichen Vermögensverwaltung definiert und für das Ordensinstitut und seine Einrichtungen spezifiziert werden. Aus der Vielfalt der Kompetenzbereiche seien besonders herausgestellt: a) Einrichtung eines funktionierenden Kontrollsystems19 Unter einem internen Kontrollsystem werden die von der Ordensleitung für das Institut oder die Leitung eines Unternehmens eingeführten Grundsätze, Verfahren und Maßnahmen verstanden, die gerichtet sind auf die organisatorische Umsetzung der Entscheidungen der Unternehmensleitung:
17 Vgl. Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, II. Bd.: Verfassungs- und Vereinigungsrecht, Paderborn 1997, S. 652. 18 Zu den folgenden Erwägungen vgl. Rudolf Henseler/Dominicus M. Meier, c. 627, in: MK CIC (Stand: April 2007); Dominicus M. Meier, Das geistliche und rechtliche Profil von Leitung in den Instituten des geweihten Lebens, in: OK 54 (2013), S. 64 – 79, insb. S. 70 – 72. 19 Zur Thematik vgl. Dominicus M. Meier, Klösterliche Finanzvisitation. Anforderungen an ein internes Kontrollsystem, in: Dieter A. Binder u. a. (Hrsg.), Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft, Innsbruck u. a. 2006, S. 405 – 420.
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¢ zur Sicherung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens (Schutz des Vermögens, Verhinderung und Aufdeckung von Vermögensschädigungen), ¢ zur Ordnungsmäßigkeit und Verlässlichkeit der internen und externen Rechnungslegung, sowie ¢ zur Einhaltung der für ein Unternehmen maßgeblichen rechtlichen Vorschriften. Das interne Kontrollsystem besteht damit aus Regelungen zur Steuerung der Instituts- und Unternehmensaktivitäten (internes Steuerungssystem) und Regelungen zur Überwachung der Einhaltung dieser Regelungen (internes Überwachungssystem). Das interne Überwachungssystem beinhaltet sowohl prozessintegrierte Überwachungsmaßnahmen (organisatorische Sicherungsmaßnahmen20 und Kontrollen21) als auch prozessunabhängige Überwachungsmaßnahmen, die vor allem von der „Internen Revision“ eines Unternehmens durchgeführt werden. Diese Institution muss eine prozessunabhängige Größe eines Unternehmens sein, da sie innerhalb eines Unternehmens Strukturen und Aktivitäten prüft und beurteilt. Dieser instituts- bzw. unternehmensinterne Überwachungsträger darf weder in den Arbeitsablauf integriert noch für das Ergebnis des überwachten Prozesses verantwortlich sein. Die auf die Geschäftsaktivität eines Instituts bzw. eines Unternehmens ausgerichteten Teile des internen Kontrollsystems sollen deren Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit sicherstellen und dienen somit dem Schutz des Vermögens und der Verhinderung bzw. Aufdeckung von Vermögensschädigungen. Hierzu zählen z. B. Maßnahmen, die gewährleisten sollen, dass auf Vermögenswerte und Aufzeichnungen des Unternehmens nur mit Genehmigung der Instituts- bzw. Unternehmensleitung oder von ihren Bevollmächtigten zugegriffen werden kann. Die auf die Sicherung der Ordnungsmäßigkeit und Verlässlichkeit der Rechnungslegung (Buchführung, Jahresabschluss etc.) gerichteten Teile des internen Kontrollsystems sind sämtlich für eine abschließende wirtschaftliche Bewertung des Instituts und seiner Einrichtungen von Bedeutung. Sie zielen insbesondere darauf ab, dass 20 Organisatorische Sicherungsmaßnahmen werden durch laufende, automatische Einrichtungen wahrgenommen. Sie umfassen Fehler verhindernde Maßnahmen, die sowohl in die Aufbau- als auch die Ablauforganisation eines Unternehmens integriert sind und ein vorgegebenes Sicherheitsniveau gewährleisten sollen (z. B. Funktionstrennung, Zugriffsbeschränkungen einzelner Mitarbeiter im EDV-Bereich, Zahlungsrichtlinien). 21 Kontrollen erfolgen durch Maßnahmen, die in den Arbeitsablauf integriert sind. Erfolgen die Kontrollen durch Überwachungsträger, so können diese sowohl für das Ergebnis des überwachten Prozesses als auch für das Ergebnis der Überwachung verantwortlich sein. Kontrollen sollen damit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Fehlern in den Arbeitsabläufen vermindern bzw. aufgetretene Fehler aufdecken. Hierunter fallen z. B. die Überprüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit von erhaltenen oder weitergegebenen Daten, manuelle Soll-Ist-Vergleiche oder programmierte Plausibilitätsprüfungen in der vom Unternehmen benutzten Software.
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¢ Geschäftsvorfälle in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften vollständig und zeitnah, mit dem richtigen Wert, in der richtigen Buchungsperiode und auf den richtigen Konten erfasst werden, ¢ Geschäftsvorfälle in Übereinstimmung mit der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag und den generellen und besonderen Regelungen der Unternehmensleitung erfasst, verarbeitet und dokumentiert werden, ¢ Buchungsunterlagen richtig und vollständig sind, ¢ Inventuren ordnungsgemäß durchgeführt und bei festgestellten Inventurdifferenzen geeignete Maßnahmen eingeleitet werden, ¢ die Vermögensgegenstände und Schulden im Jahresabschluss zutreffend angesetzt, ausgewiesen und bewertet werden und dass ¢ verlässliche und relevante Informationen zeitnah und vollständig den Verantwortlichen bereitgestellt werden. Die auf die Einhaltung sonstiger gesetzlicher Vorschriften gerichteten Teile eines internen Kontrollsystems sind für die vermögensrechtliche Bewertung des Institutes insoweit von Bedeutung, als sich daraus üblicherweise Rückwirkungen auf den geprüften Jahresabschluss ergeben können; hierbei ist z. B. an die Einhaltung der Vorschriften des Steuerrechts oder des Sozial- und Arbeitsrechts zu denken. Erwähnung finden müssen im Rahmen der Errichtung funktionierender Kontrollsysteme auch die klösterlichen Visitationen gemäß c. 628 CIC/1983, die entsprechend dem Eigenrecht des Institutes durchgeführt werden.22 Innerhalb dieser ordenseigenen Visitation werden sowohl die personelle als auch die wirtschaftliche Situation eines Ordensinstitutes und ihrer sozialen Einrichtungen begutachtet und bewertet sowie Geschäftsordnungen und Regelungen einer Prüfung unterzogen. Angesichts der wirtschaftlichen Umbrüche der letzten Jahre beauftragte die Deutsche Bischofskonferenz eine Arbeitsgruppe der Kommission für caritative Fragen23, Handreichungen zur wirtschaftlichen Aufsicht über soziale Einrichtungen in Trägerschaft der Katholischen Kirche zu erarbeiten und vorzulegen.24 In ähnlicher Weise lag der Vollversammlung der Vereinigung Deutscher Ordensoberen (VDO) und 22 Visitation bezeichnet nach Johann Hirnsperger den rechtlich geordneten Besuch eines aufsichtspflichtigen kirchlichen Oberen, d. h. eines Diözesanbischofs oder Höheren Oberen eines Ordensinstitutes, zur Feststellung und Behebung von Mängeln. Vgl. Johannes Hirnsperger, Art. Visitation, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (Anm. 3), Sp. 997 – 999. 23 In der Arbeitsgruppe haben VertreterInnen der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, des Verbandes der Diözesen Deutschlands, des Deutschen Caritasverbandes, der Vereinigung der Ordensoberinnen und Oberen Deutschlands sowie ein Sozialethiker mitgearbeitet. 24 Vgl. Sekretariat der DBK (Hrsg.), Soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft und wirtschaftliche Aufsicht. Eine Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz vom 2. Februar 2004, in: Arbeitshilfen Nr. 182, Bonn (2004).
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der Vereinigung der Ordensoberen der Brüderorden und -kongregationen Deutschlands (VOB) bereits im Jahre 2003 ein Beschlussentwurf zum externen Controlling im Ordensbereich vor.25 Darin wurden die Orden päpstlichen Rechts aufgefordert, für alle ihre zivilen Rechtsträger (Vereine, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Körperschaft des öffentlichen Rechts u. a.) Kriterien wirtschaftlicher Überprüfbarkeit verbindlich in Kraft zu setzen. b) Dokumentation wesentlicher Entscheidungen Sowohl der Obere und die Mitglieder seines Rates als auch die Mitglieder der Geschäftsführung haben alle wesentlichen Entscheidungen schriftlich zu dokumentieren, um insbesondere bei einer Inanspruchnahme wegen etwaiger Pflichtverletzungen die Ordnungsmäßigkeit ihres Handelns gegenüber Dritten, z. B. im Rahmen der Visitation, nachweisen zu können. Das Protokoll ihrer Sitzungen soll ¢ Datum und Ort der Sitzung, die Namen der Anwesenden, die Verhandlungsgegenstände und das Beratungs- und Abstimmungsergebnis festhalten; ¢ nach Möglichkeit so rechtzeitig erstellt werden, dass es während der nächsten Sitzung von den Ratsmitgliedern eingesehen werden und ¢ durch Mehrheitsbeschluss des Rates genehmigt bzw. gegebenenfalls berichtigt werden kann.26 c) Frühzeitige Inanspruchnahme von Beratung Zivile und kirchenrechtliche Gesetzesänderungen oder aktuelle Rechtsprechungen können dazu führen, dass bisherige Entscheidungsabläufe innerhalb eines Institutes oder einer Einrichtung verändert oder angepasst werden müssen. Nur durch eine umfassende und frühzeitige rechtliche Beratung lassen sich Veränderungen richtig bewerten, Risiken antizipieren und Modifizierungen im Eigenrecht oder anderen Rechtsordnungen eines Institutes und seiner Einrichtungen vornehmen. Es ist Aufgabe der Aufsichtsorgane, dafür Sorge zu tragen, dass den Mitgliedern der geschäftsführenden Ebene und der Aufsichtsorgane diese Materialien zur Verfügung gestellt und Fort- und Weiterbildungen in entsprechenden Sachbereichen ermöglicht und durchgeführt werden.27 Anfallende Kosten der Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sind vom Ordensinstitut zu übernehmen und die Mitglieder durch Informationen und Kostenübernahmen angemessen zu unterstützen. 25
Rüdiger Kiefer, Controlling im Ordensbereich, in: OK 44 (2003), S. 443 – 445. Vgl. Hubert Socha, Rechtlicher Kommentar (Anm. 10), S. 1523. 27 Gemäß c. 661 CIC/1983 sollen die Ordensleute ihr ganzes Leben eifrig ihre spirituelle, theoretische und praktische Ausbildung fortführen; die Oberen haben die notwendigen Hilfsmittel und die Zeit dazu zur Verfügung zu stellen. Hierunter sind sicher alle Bildungsangebote zu subsumieren, die der Aneignung von Fertigkeiten für übernommene Aufgaben innerhalb des Institutes und seiner Einrichtungen dienlich sind. 26
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d) Haftungsbeschränkung durch Einrichtung von Finanzgrenzen Der Obere und die Mitglieder seines Rates nehmen ihre Aufsichts- und Kontrollaufgabe unter anderem durch die Erteilung von Genehmigungs- bzw. Erlaubnisvorbehalten28 wahr, z. B. die Zustimmung bei der Genehmigung der Wirtschafts- und Stellenpläne, Investitionspläne, Grundstücksgeschäfte, Darlehensverträge etc. Hierzu kann es gehören, dass die Erteilung der Genehmigung zu Rechtsgeschäften über das Ordensvermögen an Wertgrenzen in Bezug auf die handelnden Personen gekoppelt ist. aa) Genehmigungsvorbehalte Veräußerungen von bestimmten kirchlichen Vermögenswerten sind gemäß kanonischem Recht an Gültigkeits- und Erlaubtheitsvoraussetzungen gebunden (cc. 638, 1291 – 1295 CIC/1983). Der von der zuständigen kirchlichen Autorität für die gültige oder rechtswirksame Veräußerung von bestimmten Vermögenswerten zu setzende Rechtsakt wird als licentia bezeichnet.29 Sie bezeichnet somit eine Rechtswirksamkeitsvoraussetzung, da es nicht um die Erlaubnis im allgemein sprachlichen Sinn geht, sondern vielmehr um die Gültigkeit des zu setzenden Rechtsgeschäftes. In diesem Sinne ist die licentia eine rechtsgeschäftliche vorgängige Genehmigung. Insbesondere ist nach c. 37 i. V. m. c. 638 § 3 CIC/1983 darauf zu achten, dass die Genehmigung schriftlich erteilt wird und die Erteilung durch den zuständigen Oberen erst nach Zustimmung seines Rates als einem beispruchsberechtigten Organ erfolgt. Ohne diese Zustimmung wäre die Erteilung der „licentia“ ungültig. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, Erlaubnis und Zustimmung schriftlich festzuhalten, weil der Ortsordinarius, wenn er für bestimmte Klöster ein zusätzliches Zustimmungsrecht bei Veräußerungen besitzt (c. 638 § 4 CIC/1983), sich über die institutsinterne Erlaubnis des Oberen und die erteilte Zustimmung der Rates vergewissern, d. h. die Vorlage eines schriftlichen Dokuments verlangen kann. „Wenn der Ortsordinarius aufgrund von Konkordatsrecht eine Bestätigung über das kirchenrechtlich einwandfreie Zustandekommen der Voraussetzungen für eine Veräußerung auszustellen hat [Österr. Konkordat Art. XIII Zus.Prot], kann er, ohne die Autonomie eines Verbandes zu verletzen, Einblick in die entsprechende verbandsinterne Beschlussfassung verlangen und sich auch, soweit von der Wertgrenze her erforderlich, die Genehmigung des Heiligen Stuhles vorlegen lassen.“30 28 Die Verletzung solcher Genehmigungs- und Erlaubniserfordernisse, Beispruchsrechte oder Anforderungen an die Form bei Akten der außerordentlichen Verwaltung macht ein Rechtsgeschäft ungültig. Vgl. Marcus Schmitt, Das Vermögensrecht kirchlicher Vereine, Wien 2010, S. 43. 29 Vgl. Heribert Schmitz, Die „licentia“ für Veräußerungen nach kanonischem Recht, in: Fides et Ius, FS für Georg May zum 65. Geburtstag, hrsg. von Winfried Aymans u. a., Regensburg 1991, S. 189 – 202; Dominicus M. Meier, Die „licentia“ für Veräußerungen von Ordensvermögen, in: OK 46 (2005), S. 190 – 195. 30 Bruno Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 4), S. 162.
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Außer Acht gelassen werden darf dabei aber nicht c. 1292 § 3 CIC/1983: Die Genehmigung hat, sofern die zu veräußernde Sache teilbar ist, nur Gültigkeit, wenn in dem Gesuch um Erteilung der Genehmigung die bereits früher veräußerten Teile (z. B. Grundstücke, Waldbesitz etc.) angegeben werden. bb) Genehmigungsbedürftige Veräußerungen31 Die Veräußerung ist nicht für jedwedes ordenseigene Vermögen erschwert, sondern nur dann genehmigungsbedürftig, wenn es sich um das Stammvermögen (patrimonium stabile)32 eines Institutes handelt, unter das auch Geschenke aufgrund eines Gelübdes oder kostbare und wertvolle Sachen fallen, die einen besonderen künstlerischen oder historischen Wert besitzen.33 Darin liegt die große Bedeutung, dass das kirchliche Gesetzbuch Codex Iuris Canonici dem verbandseigenen Recht die Aufgabe zuweist, die Handlungen zu bestimmen, welche die Grenze und die Weise der ordentlichen Verwaltung überschreiten. cc) Wertgrenzen Der kirchliche Gesetzgeber hat verschiedene Wertgrenzen für kirchliche Vermögensgeschäfte vorgesehen. Gemäß c. 1292 §§ 1 – 2 CIC/1983 ist zu unterscheiden zwischen einer Untergrenze, unterhalb derer für die Rechtswirksamkeit von Veräußerungen keine Genehmigung erforderlich ist (§ 1) und einer Obergrenze (sogenannte Romgrenze), oberhalb deren eine zusätzliche Genehmigung zur Rechtswirksamkeit der Veräußerungen erforderlich ist (§ 2). Nach c. 638 § 3 CIC/1983 unterliegen auch Veräußerungen im Ordensbereich der Romgrenze. Die von einer Bischofskonferenz festgelegte untere Wertgrenze dagegen ist auf die Veräußerung ordensrechtlichen Vermögens nicht anwendbar. Die DBK hat in ihren Partikularnormen zum CIC/1983 vom 24./27. 9. 1986 eine Reihe von vermögensrechtlichen Bestimmungen zu den Canones 1277, 1291, 1292, 1295 und 1297 CIC/1983 erlassen, darunter auch eine Festlegung der Akte der außerordentlichen Vermögensverwaltung, Bestimmungen über die Genehmigungszuständigkeit bei Veräußerungen und veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäften je nach 31 Zur Thematik vgl. Rüdiger Althaus, c. 1292, in: MKCIC (Stand: Dezember 2002), mit ausführlichen und weiterführenden Literaturhinweisen. 32 Nach Hubert Socha bilden das Stammvermögen eines Institutes „alle körperlichen und unkörperlichen Sachen, die widmungsgemäß zur bleibenden Ausstattung (patrimonium stabile) einer juristischen Person gehören und objektiv geeignet sind, so erhalten zu werden, daß durch ihren Gebrauchs- oder Ertragswert die juristische Person ihre Zwecke dauerhaft zu erhalten vermag.“ Hubert Socha, Rechtlicher Kommentar (Anm. 10), S. 1864. 33 Zum Vermögen, das durch die kirchenrechtlichen Veräußerungsbestimmungen geschützt werden soll, gehören aber z. B. nicht Güter, die entweder ihrer Natur nach nicht als bleibende Ausstattung eines Instituts geeignet oder ihrer Widmung nach zum Verbrauch bestimmt sind, Erträgnisse aus dem Stammvermögen und Bestandteile des Stammvermögens, die unbrauchbar geworden sind und ersetzt werden müssen.
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Werthöhe sowie eben die Festlegung der Ober- und Untergrenzen.34 Derzeit gelten bezüglich der Obergrenze der finanziellen Vollmachten nach Norm des c. 638 § 3 CIC/1983 folgende Werte: Deutschland: 5.000.000,- Euro, Österreich:
3.000.000,- Euro,
Schweiz:
5.000.000,- SFR.35
Daneben ist es jedem Institut überlassen, interne Wertgrenzen festzusetzen, in dessen Rahmen z. B. der Ökonom oder Geschäftsführer allein, mit Zustimmung des Oberen oder gar mit Zustimmung des Ordenskapitels handeln kann. dd) Erteilung durch die zuständige kirchliche Autorität Schon c. 636 § 1 CIC/1983 normiert, dass der Ökonom die Verwaltung des Vermögens unter der Leitung des entsprechenden Oberen durchzuführen hat; Näheres bestimmt c. 638 § 2 CIC/1983. Ausgaben und Rechtshandlungen der ordentlichen Verwaltung nehmen außer den Oberen auch die Ökonomen gültig vor, unbeschadet der Zuständigkeit für den weltlichen Bereich. Dabei spricht der § 2 etwas umständlich von denjenigen Amtsträgern, die im Eigenrecht dazu bestellt sind. Im Eigenrecht wird in der Regel auch festgelegt sein, wie die Grenzen des Amtes des Ökonomen verlaufen. Für Akte der außerordentlichen Verwaltung benötigt der Ökonom eine Ermächtigung durch den entsprechenden Oberen. Zu der ordentlichen Verwaltung zählen in der Regel Haushaltsvoranschlag, geordnete Kassenführung (Kassenjournal), Rechnungslegung am Ende eines Wirtschaftsjahres, das Versicherungswesen, die Entlohnung der angestellten Mitarbeiter, Buchführung und geordnete Aufbewahrung von Rechnungen, Quittungen etc., die Anschaffung der notwendigen Dinge des täglichen Lebens wie Lebensmittel und anderes mehr; dem Ökonom obliegt damit meist auch die Verwahrung der Hauskasse. Bei Veräußerungen oder anderen Rechtsgeschäften36, durch die sich die Vermögenslage einer juristischen Person verschlechtern kann, ist es zur Gültigkeit dieser Rechtshandlung erforderlich, dass der zuständige Obere seine schriftliche Erlaubnis 34
Vgl. OK 27 (1986) S. 464 – 465. Vgl. für die BRD: Würzburger Diözesanblatt 148/2002, S. 218; für Österreich.: ABl der ÖBK 26/2000, Nr. 9.4; für die Schweiz: Mitteilung der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens vom 24. April 1993, in: OK 34 (1993), S. 337 f. 36 Bei den anderen veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäften kommt es „nicht auf den angestrebten oder erhofften wirtschaftlichen Nutzen an, noch auf wahrscheinlich zu erwartende negative wirtschaftliche Folgen, sondern darauf, ob die vertragstypischen Folgen eine finanzielle Gefährdung bedeuten können, sei es durch Verlust, sei es durch Belastung oder Beschränkung im Gebrauch.“ Hans Heimerl/Helmuth Pree, Handbuch des Vermögensrecht, Regensburg 1993, Rdnr. 4/43. 35
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(licentia) abgibt. Er braucht dazu die Zustimmung seines Rates. Ein Ökonom, der ohne diese Voraussetzungen handelt, handelt ungültig. Die hier in Frage kommenden Handlungen sind im engeren Sinne etwa Verkauf, Tausch, Schenkung, im weiteren Sinne aber auch die Aufnahme von Darlehen, Hypotheken, Übernahme von Bürgschaften, Einräumung eines Baurechtes, längeres Verpachten oder Vermieten, Verzicht oder Einschränkung von Rechten dinglicher oder schuldrechtlicher Art, Vergleich oder Schiedsvertrag, dingliches Vorkaufsrecht, Aufnahme einer Anleihe, aber auch Fragen der Ausgliederung von Vermögenswerten in selbständige Stiftungen oder Gesellschaften. Bei bestimmten Geschäften genügen selbst die Erlaubnis des zuständigen Oberen und die Zustimmung seines Rates nicht. Wenn es sich um ein Geschäft handelt, das die vom Heiligen Stuhl für jede Region festgelegte Geldsumme überschreitet, und ebenso bei Geschenken an die Kirche aufgrund eines Gelübdes oder bei Wertsachen künstlerischer oder historischer Art, ist – wie schon zuvor angeführt – neben der schriftlichen licentia des zuständigen Oberen die Erlaubnis des Heiligen Stuhls erforderlich, so c. 638 § 3, Satz 2 CIC/1983. Was hierbei die sog. Romgrenze angeht, ist eine gewisse Disharmonie zwischen Ordens- und Vermögensrecht festzustellen. Einschlägig sind neben c. 638 §§ 3 und 4 CIC/1983 die Bestimmungen des c. 1292 §§ 1 und 2 CIC/1983. Nach c. 638 § 3 CIC/1983 ergibt sich, dass bei Überschreiten der vom Heiligen Stuhl für jede Region festgelegten Geldsumme die Erlaubnis des Hl. Stuhls zusätzlich erforderlich ist. Obwohl in c. 638 § 3 CIC/1983 nicht eigens normiert ist, dass dies zur Gültigkeit notwendig ist, ergibt sich dies klar aus der Analogie zu c. 1292 § 2 CIC/1983, wo man das ad validitatem hinzufügte. Will man aber diese Interpretation aufgrund von c. 10 CIC/1983 nicht gelten lassen, so darf man doch das ad validitatem, mit dem c. 638 § 3 Satz 1 CIC/1983 beginnt, sinngemäß auf Satz 2 ausdehnen. Mit Schreiben vom 8. Februar 2005 mahnte der Sekretär der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens eine besondere Aufmerksamkeit bei solchen Veräußerungen an und verschärfte die rechtlichen Bestimmungen von c. 1293 § 3 CIC/1983 im Blick auf die Institute päpstlichen Rechts. Er schreibt: „Wenn also der Wert des geschätzten Gutes die von der Bischofskonferenz festgelegte und von der CIVCSVA übernommene Höchstsumme überschreitet, wird für die Gewährung der vorgeschriebenen Erlaubnis folgendes gefordert: a) daß der Wille zur Veräußerung des Gutes von ernsthaften und schwerwiegenden Gründen getragen wird (can. 1293 § 1, 18), die von den Höheren Oberen aufmerksam geprüft sind, welche dazu der Zustimmung ihres jeweiligen Rates bedürfen; b) daß zwingend eine Schätzung vorliegt, die nach Möglichkeit von einer kompetenten zivilen Einrichtung beglaubigt ist (can. 1293 § 2); c) ein Urteil des Ortsbischofs des zu veräußernden Gutes, obwohl das Kirchenrecht dieses für Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens päpstlichen Rechts nicht vorschreibt. Canon 586 – 593 und 634 – 638 anerkennen die volle Autonomie in der Leitung der Institute (die auch der Ortsbischof wahren und schützen muß). Die Institute
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können also über ihr Vermögen frei verfügen, immer im Rahmen der kirchlichen Gesetzgebung und der Zielsetzung des Instituts. Um jedoch die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischof und Institut zu fördern und eine Verarmung des Kirchengutes nach Möglichkeit zu verhindern, und schließlich, um dem Ortsbischof die Möglichkeit zu geben, zu entscheiden, ob er ein Objekt unter gleichen Bedingungen und Kosten für die Diözese erwerben will, hat dieses Dikasterium im Geiste von can. 1293 § 2 die Praxis eingeführt, von den Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des apostolischen Lebens päpstlichen Rechts zu verlangen, daß sie den Diözesanbischof des zu veräußernden Gutes vom geplanten Verkauf unterrichten, damit dieser sein Urteil darüber abgeben kann, vor allem im Blick auf einen eventuellen Erwerb für die pastoralen Notwendigkeiten seiner Diözese; d) im Falle des Verkaufs eines Objektes mit künstlerischem oder historischem Wert (can. 638 § 3) wird die oben beschriebene Prozedur gefordert, wobei noch die Beachtung staatlicher Gesetze und die Zustimmung der entsprechenden kompetenten zivilen Behörde verlangt wird.“37
ee) Erlaubtheitsvoraussetzungen für Veräußerungen Neben den Gültigkeitsvoraussetzungen zur Rechtswirksamkeit der Veräußerungen sind gemäß universalkirchlichem Recht zur Vornahme des Rechtsgeschäftes auch Erlaubtheitsvoraussetzungen normiert bzw. können im Eigenrecht eines Institutes festgelegt sein. Zur Erlaubtheit einer Veräußerung sind in den cc. 1293 – 1294 CIC/1983 folgende materielle und formelle Voraussetzungen statuiert: (1) materielle Voraussetzungen: ¢ gerechter Grund (iusta causa), ¢ dringende Notwendigkeit (urgens necessitas), ¢ offenbarer Nutzen (evidens utilitas), ¢ Frömmigkeit (pietas), ¢ Nächstenliebe (caritas), 37 Schreiben der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens vom 8. Februar 2005, Prot. n. 971/2004. Als rechtlich nicht eindeutig scheint mir dabei die in der deutschen Übersetzung benutzte Formulierung „Urteil des Ortsbischofs“ zu sein. Handelt es sich bei diesem Urteil um eine Zustimmungspflicht des Ortsordinarius zum Veräußerungsgeschäft eines Institutes oder kann auf Grund des von der Kongregation gegebenen Hinweises auf die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischof und Institut von einer reinen Informationspflicht seitens der Institute ausgegangen werden? Unklar bleiben ferner die Kriterien, auf die sich das Urteil des Ortsordinarius stützen kann. Aus juristischer Sicht ist in jedem Fall ein sogenanntes Vorkaufsrecht für kirchliche Stellen damit grundgelegt worden. Die Vereinigung der Frauenorden Österreichs (VFÖ) brachte ihren Mitgliedern in einem Schreiben vom 10. April 2005 bereits die Bitte der Österreichischen Bischofskonferenz zur Kenntnis, dass sowohl die Superiorenkonferenz als auch die VFÖ auf ihre Mitglieder dahingehend einwirken möchten, dass bei Liegenschaftstransaktionen der Orden mit den zuständigen diözesanen Stellen Kontakt aufgenommen wird, ob hinsichtlich zu veräußernder Grundstücke kirchliche Interessen bestehen, wenn ja, diese auch zu berücksichtigen.
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¢ jedweder andere schwerwiegende pastorale Grund (gravis alia ratio pastoralis). (2) formelle Voraussetzung: ¢ Schätzung durch Sachverständige (aestimatio rei)38. Durch die zuständige kirchliche bzw. ordensinterne Autorität kann über diese Gültigkeits- und Erlaubtheitsvoraussetzungen von c. 1292 CIC/1983 und c. 1293 § 1 CIC/1983 hinaus die Beachtung weiterer Sicherheitsvorkehrungen bei Veräußerungen angeordnet werden. Sie dienen dazu, einen größeren Schaden vom jeweiligen Institut abzuhalten oder dem besonderen ideellen Wert eines zu veräußernden Gegenstandes für ein Institut gerecht zu werden.
IV. Anstelle eines Resümees: Drei Prinzipien für die Zusammenarbeit Um eine gesetzeskonforme, d. h. dem Rahmenrecht des Codex Iuris Canonici, dem Eigenrecht eines Institutes und den staatlichen Erfordernissen entsprechende Vermögensverwaltung zu garantieren, bedarf es einer gedeihlichen Zusammenarbeit der geschäftsführenden Organe und der Aufsichtsorgane, die gleichzeitig um die je eigenen Kompetenzen wissen und statuierte Abgrenzungen respektieren. Hierzu sind m. E. drei grundlegende Prinzipien zu beachten: 1. Prinzip der personellen Trennung Die beiden Funktionen der Geschäftsführung und der Aufsicht sind streng voneinander zu trennen. Dabei kommt den geschäftsführenden Organen die Verantwortung für Maßnahmen der Vermögensverwaltung (z. B. Personal-, Finanz- und Leitungsmanagement) zu, während die Aufsichtsorgane in der regelmäßigen Überwachung der geschäftsführenden Organe und deren Beratung strategischer Fragen ihre Aufgaben sehen sollten. Die jeweiligen Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Rechte, Pflichten und Aufgaben sind im Eigenrecht des Institutes und in einer Geschäftsordnung festzuhalten. 2. Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit Dem Prinzip der personellen Trennung steht das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit gegenüber. Geschäftsführende Organe und Aufsichtsorgane arbeiten 38 Die Sachverständigen müssen wenigstens zwei schriftliche Schätzungen der zu veräußernden Sache erstellen. Der Schätzwert ist maßgeblich für die Einstufung bezüglich der nach c. 638 § 3 zu beachtenden Wertgrenze. Vgl. Hans Heimerl/Helmuth Pree, Handbuch des Vermögensrecht (Anm. 36), Rdnr. 4/79.
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zum Wohle des Ordensinstitutes und seiner Einrichtungen. Daher bedarf es der ausreichenden Informations- und Berichtspflichten von beiden Seiten und einer offenen und vertraulichen Kommunikation. Damit eine angemessene Kommunikation zwischen den beiden Leitungsebenen erreicht wird, kann z. B. der Ökonom oder der Geschäftsführer an den Sitzungen des Rates mit beratender Stimme teilnehmen, vermögensrechtlich relevante Fragen in die Sitzung einbringen und in Auswahlentscheidungen oder Findungsprozesse eingebunden werden. 3. Festlegung rechtlicher Grundlagen: Eigenrecht, Geschäftsordnung Für das Wohl des Institutes und seiner Einrichtungen ist es von grundlegender Bedeutung, dass im Eigenrecht des Institutes bzw. den Geschäftsordnungen die Kompetenzen, Rechte und Pflichten der beiden Leitungsebenen fixiert sind. Bei der Verschriftlichung dieser Ordnungen kommt dem Ordens- bzw. Generalkapitel als Rechtsträger des Institutes und seiner Einrichtungen eine besondere Bedeutung zu. Entsprechend der Rechtsform ist die korrekte Bezeichnung der unterschiedlichen Gremien zu definieren als Mitglieder-, Gesellschafter- oder Vollversammlung. Hier sollten die Grundlagen eines Institutes (codex fundamentalis) und grundsätzliche Fragen geklärt und die rechtlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung der ordenseigenen Zwecke geschaffen werden. Das Generalkapitel kann entsprechend der Norm und in den Grenzen des Eigenrechts das Grundgesetz ändern, wenn Zeitumstände es erfordern. Grundgesetz und Ausführungsgesetze sind Ausfluss der gesetzgebenden Befugnis des Generalkapitels (c. 631 CIC/1983). Während Änderungen des Grundgesetzes einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, kann das Generalkapitel die Ausführungsgesetze mit absoluter Mehrheit beschließen. Die Beschlüsse erlangen sofortige Rechtskraft. Daneben kann das Generalkapitel kraft seiner ausführenden Befugnis Dekrete erlassen, die für das Gesamtinstitut, für einzelne oder mehrere Provinzen bzw. Regionen oder für bestimmte Gruppen von Personen bindend sind. Es wäre wünschenswert, wenn die geschäftsführenden Organe und die Aufsichtsorgane in den Instituten des geweihten Lebens sich entschiedener für ein rechtskonformes Handeln entsprechend ihrem Eigenrecht bei der Vermögensverwaltung einsetzen. Gerade in den anfangs beschriebenen Zeiten des Umbruchs braucht es Obere, Ratsmitglieder, Ökonomen und Geschäftsführer, die um ihre Rechte und Pflichten wissen und diese zielorientiert zum Wohl des Institutes und seines Vermögens einsetzen.
Karitative Organisationen zwischen kirchlicher Autorität und Autonomie Burkhard Josef Berkmann
I. Aktuelle Anlassfälle „Sternsinger kauften mit Spendengeld Risiko-Aktien“, so lautete im Jahr 2011 eine Schlagzeile im österreichischen Nachrichtenmagazin „profil“.1 Dieser Artikel warf der Dreikönigsaktion in der Diözese Linz vor, Rücklagen für mehrjährige Entwicklungshilfeprojekte teilweise in einer Aktie angelegt zu haben, die einen starken Kursverlust erlitten hatte. Die Dreikönigsaktion ist ein Hilfswerk der Katholischen Jungschar2 Österreichs, die sich der pastoralen Arbeit mit Kindern widmet. Als „heilige drei Könige“ verkleidete Kinder, die so genannten „Sternsinger“, ziehen in der Zeit um Epiphanie von Tür zu Tür, um singend die Weihnachtsbotschaft zu verkünden und Spenden für Entwicklungshilfeprojekte zu sammeln. Im selben Jahr berichtete The Tablet: Der Apostolische Stuhl verhinderte, dass die wiedergewählte Leiterin von Caritas Internationalis, Lesley-Anne Knight, ihre zweite Amtszeit antritt, weil ein anderer Leiter gewünscht war, der die katholische Identität stärken und engere Beziehungen mit dem Apostolischen Stuhl pflegen soll-
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Emil Bobi, Sternsingeraktien, in: profil, 17. 1. 2011, S. 38 – 39. Es handelt sich um einen Verein nach österreichischem Zivilrecht (ZVR-Zahl 405326502) und um einen nationalen privaten Verein ohne Rechtspersönlichkeit nach kanonischem Recht: Statut, genehmigt von der ÖBK (17.-19. 6. 2009), in: ABl. ÖBK 49/2009 vom 1. 9. 2009, Nr. II.1, S. 4 – 9. Dass es sich um einen zivilrechtlichen Verein handelt, ist unter anderem in § 10 der Statuten vorausgesetzt, der bei Auflösung eine Anzeige an die Vereinsbehörde verlangt. Dass es sich um einen privaten kanonischen Verein handelt, ergibt sich aus dem Genehmigungsdekret der ÖBK (ebd., S. 9). Demnach beruht die Zuständigkeit der ÖBK für die Genehmigung auf c. 321 i.V.m. c. 312 § 1 8 2 CIC. C. 321 leitet die Bestimmungen über die privaten Vereine ein. Im Hinblick auf die Statutengenehmigung wäre es freilich korrekt gewesen, c. 322 § 1 CIC anzuführen. Die Bezugnahme auf c. 305 CIC in diesem Dekret ist unpassend, weil dieser Canon nicht die Genehmigung von Statuten betrifft. Dass § 10 der Statuten hinsichtlich der Auflösung auf c. 320 § 2 CIC verweist, dürfte ein Irrtum sein und steht der Qualifikation als privatem Verein nicht entgegen. Bei einem privaten Verein wäre richtigerweise c. 326 § 1 CIC anzuführen gewesen. Eine Verleihung von Rechtspersönlichkeit geht weder aus dem Dekret noch aus dem Statut hervor. 2
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te.3 In der Folge hat das Staatssekretariat für Caritas Internationalis ein allgemeines Dekret4 sowie neue Statuten5 und eine Geschäftsordnung6 erlassen.7 Bereits im Jahr 2004 hatte Johannes Paul II. Caritas Internationalis die öffentliche kanonische Rechtspersönlichkeit verliehen und diese Organisation damit enger an die kirchliche Hierarchie gebunden.8 Diese Beispiele genügen, um das Spannungsverhältnis zu illustrieren, das zwischen der kirchlichen Autorität und der Autonomie karitativer kirchlicher Organisationen bisweilen besteht. Gleich welche Rechtsform diese Organisationen besitzen, sie werden in der Öffentlichkeit als Teil der Kirche wahrgenommen. Das gilt sowohl bei positiven als auch bei negativen Schlagzeilen. Da die karitativen Organisationen weitgehend ein hohes Ansehen genießen, ist die kirchliche Autorität bestrebt, dass die Kirche als Ganze davon profitiert. Wenn sich der Ruf hingegen verschlechtert, leidet darunter ebenso die ganze Kirche. Die Autorität hat daher in legitimes Interesse daran, dass diese Organisationen gut funktionieren. Außerdem ist sie bestrebt, durch sie den Auftrag zur Diakonie möglichst nach den eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Schließlich gehört die Diakonie neben der Verkündigung und der Liturgie zu den drei Hauptaufgaben der Kirche.9 In kirchenrechtlicher Hinsicht stellen sich unter anderem die folgenden Fragen: Kann eine kirchliche Autorität einer karitativen Organisation vorschreiben, die Zwecke bzw. Tätigkeitsfelder zu ändern? Kann sie z. B. eine Organisation, die in Entwicklungsländern Schulen baut, dazu anhalten, stattdessen Kirchen zu bauen, wenn sie das für wichtiger hält? Kann die kirchliche Autorität eine Änderung der Rechtsform auferlegen, also z. B. einen zivilrechtlichen Verein in einen öffentlichen kanonischen Verein umwandeln, wenn sie meint, dass dies dem Charakter des Vereins angemessener wäre? Kann die Autorität eine Änderung der Statuten anordnen, 3 Vgl. Alexander Foitzik, Aufsicht. Vatikan schafft neuen Rechtsrahmen für Caritas Internationalis, in: HK 66 (2012) S. 274 – 275, hier S. 274; Robert Mickens, Caritas Internationalis leader ’must strengthen charity’s Catholic identity’, in: The Tablet 26. 2. 2011, S. 27. 4 Secretaria Status, Decreto Generale: Caritas Internationalis (2. 5. 2012), in: AAS 104 (2012) S. 910 – 918. 5 Secretaria Status, Statuti: Caritas Internationalis (2. 5. 2012), in: AAS 104 (2012) S. 919 – 937. 6 Secretaria Status, Regolamento Interno: Caritas Internationalis (2. 5. 2012), in: AAS 104 (2012) S. 938 – 969. 7 Vgl. Osvaldo Neves De Almeida, Il rinnovato quadro giuridico di Caritas Internationalis, in: Communicationes 44 (2012), S. 129 – 132, hier S. 131; Costantino Matteo Fabris, Caritas Internationalis e autorità gerarchica, in: PontConsCor (Hrsg.), Il Servizio della Carità: Corresponsabilità & Organizzazione (Atti della giornata di studio sul Motu Proprio Intima Ecclesiae Natura, 13 dicembre 2013), Città del Vaticano 2014, S. 193 – 250, hier S. 226. 8 Johannes Paul II., Durante l’ultima cena. Lettera per il riconoscimento della personalità giuridica canonica pubblica a Caritas Internationalis (16. 9. 2004), in: AAS 96 (2004), S. 929 – 931. 9 Benedikt XVI., Litterae encyclicae: Deus Caritas est. De christiano amore (25. 12. 2005), in: AAS 98 (2006), S. 217 – 252; dt. in: VApSt 171, Art. 25 lit. a.
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um sich stärkere Einwirkungsrechte, etwa bei der Bestellung der Leitungsorgane, zu sichern? Wie kann sie auf die Finanzgebarung Einfluss nehmen, um sicherzustellen, dass kein Geld für Zwecke verwendet wird, die der katholischen Lehre entgegenstehen? Diese und ähnliche Fragen werden im Folgenden im Hinblick auf das Recht der lateinischen Kirche behandelt. Dieses Recht hat sich im Jahr 2012 durch das MP Intima Ecclesiae natura (IEN)10 verändert. Daher werden zuerst die Regelungen des CIC/1983 und anschließend die Neuerungen dargestellt. Wo auf Partikularrecht Bezug genommen wird, beschränkt sich der Blick auf die Rechtslage in Österreich. Der Begriff „Organisationen“ wird als Oberbegriff für Einrichtungen mit karitativen Zwecken unabhängig von der konkreten Rechtsform verwendet. Helmuth Pree, dem dieser Beitrag gewidmet ist und der selbst aus Österreich stammt, bereicherte die Kanonistik mehrmals mit profunden Studien über die Rechtsformen karitativer Organisationen, ohne dabei diffizilen und unangenehmen Fragen auszuweichen. Zudem gehört er zu den ersten Kanonisten, die das MP IEN wissenschaftlich reflektiert haben.
II. Vielfalt an Rechtsformen Je nach dem, welche rechtliche Form eine karitative kirchliche Organisation annimmt, variiert das Verhältnis zwischen ihrer Autonomie und der Bindung an die kirchliche Autorität. Grundsätzlich steht eine Vielzahl verschiedener Rechtsformen zur Verfügung. Innerhalb des Vereinigungswesens sind vier Kategorien zu unterscheiden: die freien Zusammenschlüsse, die privaten kanonischen Vereine ohne Rechtspersönlichkeit, die privaten kanonischen Vereine mit Rechtspersönlichkeit und die öffentlichen kanonischen Vereine, die immer juristische Personen sind.11 Vereine mit Rechtspersönlichkeit sind Personengesamtheiten. Daneben kennt das Kirchenrecht auch Sachgesamtheiten, in erster Linie Stiftungen. Dabei unterscheidet es zwischen selbstständigen Stiftungen, die von der zuständigen kirchlichen Autorität als juristische Personen errichtet wurden (c. 1303 § 1 8 1 CIC), und unselbstständigen Stiftungen, die ein besonderes Zweckvermögen darstellen, das einer öffentlichen juristischen Person übergeben wurde (c. 1303 § 1 8 2 CIC). Als weitere Sachgesamtheiten erwähnte der CIC/1917 in c. 1489 noch die Anstalten („instituta“), die unter anderem zu Werken der geistlichen und leiblichen Barmherzigkeit bestimmt sind. Ausdrücklich genannt wurden Kranken- und Waisenhäuser, also genuin karitative Einrichtungen. Diese Rechtsform ist auch unter dem CIC/1983 möglich, obwohl 10 Benedikt XVI., MP Intima Ecclesiae natura. De caritate ministranda, in: OssRom 2. 12. 2012, S. 6 – 7; dt. in: VApSt 195. 11 Vgl. Winfried Aymans, Art. Vereinigungswesen, kirchliches Vereinigungswesen, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, Sp. 973 – 975.
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sie hier nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird. Anstalten unterscheiden sich von den Stiftungen dadurch, dass die Vermögensmasse ohne Bindung an einen Stifterwillen Zwecken der öffentlichen Verwaltung gewidmet ist.12 Den kirchlichen karitativen Organisationen stehen außer den kanonischen auch zivile Rechtsformen zur Verfügung.13 Manche zivile Rechtsformen, nämlich der Verein und die Stiftung, finden ein Pendant in einer kanonischen Rechtsform. Andere wie die Genossenschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder die Aktiengesellschaft haben keine solche Entsprechung, erfreuen sich aber zunehmender Beliebtheit zur Erfüllung karitativer Zwecke. Es ist möglich, dass karitative Organisationen sowohl eine Rechtsform nach weltlichem Recht als auch eine Rechtsform nach kanonischem Recht annehmen und dass zwischen diesen ein mehr oder weniger großer Einklang oder aber Divergenzen bestehen. In Österreich ermöglicht Art. II des Konkordats14 einen weitgehenden Einklang zwischen der kanonischen und der staatlichen Rechtsordnung. Demnach genießen Einrichtungen der katholischen Kirche, die nach dem kanonischen Recht Rechtspersönlichkeit besitzen, auch für den staatlichen Bereich Rechtspersönlichkeit. Für Einrichtungen, die nach Inkrafttreten des Konkordats geschaffen werden, genügt es zur Erlangung der Rechtspersönlichkeit im staatlichen Bereich, dass der Diözesanbischof bei der obersten staatlichen Kultusverwaltung eine Anzeige über die erfolgte Errichtung hinterlegt, die hierüber eine Bestätigung ausstellt (Art. XV § 7 Konkordat). Damit wird die Rechtspersönlichkeit kanonischer juristischer Personen auf einfachem Weg auch für den staatlichen Bereich anerkannt, ohne dass zusätzlich eine juristische Person nach staatlichem Recht gegründet werden müsste. Das Konkordat trat unter der Geltung des CIC/1917 in Kraft, welcher die Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen juristischen Personen nicht kannte. Art. II spricht der katholischen Kirche in Österreich ausdrücklich die öffentlichrechtliche Stellung zu. Nachdem der CIC/1983 die Möglichkeit privater kanonischer Vereine geschaffen hatte, sah sich die ÖBK veranlasst, im Hinblick auf die konkordatären Bestimmungen durch ein Dekret Klarheit zu schaffen. So stellte sie fest, dass alle kirchlichen Rechtspersonen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des CIC/1983 bestanden und gemäß Konkordat auch Rechtspersönlichkeit für den staatlichen Bereich haben, öffentliche kirchliche Rechtspersonen sind.15 Für die Zukunft bestimmte sie, dass es sich bei den dem Diözesanbischof unterstehenden Rechtspersonen immer um öffentliche kirchliche Rechtspersonen handelt, sofern nicht im Einzelfall der pri-
12 Helmuth Pree/Bruno Primetshofer, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Handreichung für die Praxis, Wien 22010, S. 43. 13 Vgl. Delegationsgericht der Apostolischen Signatur, Urteil Nr. 42676/09 (31. 3. 2010), in: ZMV 20 (2010), S. 145 – 149. 14 Heiliger Stuhl/Republik Österreich, Konkordat (5. 6. 1933), in: AAS 26 (1934), S. 249 – 283. 15 ÖBK, Dekret über juristische Personen, in: ABl. ÖBK 1984/1/15, S. 7, Nr. 15.1.
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vate Charakter in der Errichtungsurkunde festgestellt wird.16 Die Zurückhaltung, private kanonische Vereine mit Rechtspersönlichkeit auszustatten, mag der Sorge geschuldet sein, dass sie dann durch Anzeige bei der Kultusbehörde auch Rechtspersönlichkeit im staatlichen Bereich erlangen, obwohl das Konkordat noch nicht mit privaten kanonischen Rechtspersonen gerechnet hat. Damit erklärt sich die in Österreich verbreitete Praxis, privaten kanonischen Vereinen keine Rechtspersönlichkeit zu verleihen. Die Sorge, dass die Symmetrie zwischen dem Status im kanonischen und im staatlichen Recht gestört werden könnte, ist jedoch unberechtigt. Der Diözesanbischof ist nämlich nicht verpflichtet, die Anzeige zu hinterlegen. Ein privater kanonischer Verein mit Rechtspersönlichkeit könnte die Rechtspersönlichkeit im staatlichen Recht stattdessen dadurch erlangen, dass ein Parallelverein gegründet wird, der im staatlichen Bereich ebenfalls nach Privatrecht zustande kommt.17 Somit wäre wieder eine gewisse Symmetrie – soweit eine solche überhaupt möglich ist – erreicht.18 Wenn hingegen im kirchlichen Bereich keine Rechtspersönlichkeit verliehen wird, im staatlichen Bereich aber ein ziviler Verein gegründet wird, ist erst recht keine Symmetrie gegeben. In Wirklichkeit hat die Bischofskonferenz keine Kompetenz, Rechtsformen, die der universalkirchliche Gesetzgeber vorsieht, in ihrem Territorium auszuschließen.19 Ein solcher genereller Ausschluss würde vielmehr die Vereinigungsfreiheit gemäß c. 215 CIC verletzen. Das genannte Dekret enthält aber ohnehin keinen völligen Ausschluss, sondern nur eine Vorzugsregelung. Im Bereich der Wohlfahrt und Entwicklungshilfe finden sich bei kirchlichen Organisationen in Österreich vor allem die beiden folgenden Strukturen: erstens öffentliche kanonische Vereine, Stiftungen und Anstalten, die durch das Konkordat Rechts-
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Ebd., Nr. 15.2. Zu dieser Möglichkeit vgl. Helmuth Pree, Die wichtigsten Neuerungen im katholischen Kirchenrecht unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen staatlichen Rechts, in: JBl. 109 (1987), S. 20 – 25 und 90 – 97, hier S. 22. 18 Primetshofer weist aber zu Recht darauf hin, dass die Unterscheidung öffentlich/privat im staatlichen Recht nicht dieselbe Bedeutung hat wie im kirchlichen. Ihm zufolge ist es daher möglich, dass ein privater, rechtsfähiger kanonischer Verein durch das konkordatäre Anzeigeund Hinterlegungsverfahren staatliche Rechtspersönlichkeit erlangt und zwar auf jeden Fall einen öffentlich-rechtlichen Status, vgl. Bruno Primetshofer, Kirchliche Verbandsformen im staatlichen Recht des deutschsprachigen Raumes, in: Winfried Aymans/Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element in der Kirche. Akten des VI. internationalen Kongresses für kanonisches Recht, St. Ottilien 1989, S. 847 – 863, hier S. 855. 19 Das genannte Dekret wurde wie auch andere Partikularnormen, die aufgrund des CIC/ 1983 erforderlich wurden, im ABl. Nr. 1 vom 25. 1. 1984 provisorisch publiziert, weil die Rekognition bzw. Approbation nicht sofort erteilt werden konnte. Die approbierten und rekognoszierten Dekrete wurden schließlich im ABl. Nr. 3 vom 15. 4. 1989 definitiv promulgiert. Es fällt auf, dass das genannte Dekret Nr. 15 über die juristischen Personen dabei nicht mehr aufscheint. Daher gibt es Zweifel, ob es überhaupt in Kraft steht. Da inzwischen mehr als dreißig Jahre vergangen sind, könnte gemäß c. 26 CIC aber partikulares Gewohnheitsrecht entstanden sein. 17
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persönlichkeit im staatlichen Bereich erlangt haben;20 zweitens Vereine nach Zivilrecht, die im Kirchenrecht lediglich private Vereine ohne Rechtspersönlichkeit sind.21 Bei manchen Organisationen ist nur ein Teilbereich auf karitativem Gebiet tätig. In einigen Fällen haben kanonische juristische Personen zur Ausübung der karitativen Tätigkeit zivile juristische Personen geschaffen. Die Struktur der Diözesancaritas variiert in Österreich von Diözese zu Diözese. Aus der Sicht des staatlichen Rechts lassen sich zwei Kategorien von Caritasorganisationen unterscheiden: öffentlich-rechtlicher Status (Eisenstadt, Feldkirch, Graz, Linz, St. Pölten) und privatrechtliche Rechtspersönlichkeit nach staatlichem Vereinsrecht (Kärnten, Salzburg, Wien).22 Aus kirchenrechtlicher Sicht finden sich in der ersten Kategorie öffentliche kanonische Vereine und Anstalten gemäß c. 1489 CIC/1917.23 In die zweite Kategorie fallen private kanonische Vereine ohne Rechtspersönlichkeit.24 Die Caritas der Diözese Innsbruck war lange Zeit nur als bischöfliches Amt organisiert, das weder im kirchlichen noch im staatlichen Bereich eine eigene Rechtspersönlichkeit besaß. Seit 2009 ist sie eine kirchliche Stiftung mit öffentlicher Rechtspersönlichkeit und genießt auch Rechtspersönlichkeit im staatlichen Bereich.25 Als Dachverband fungiert die Caritas Österreich, die durch die „Österreichische Caritaszentrale“, einem nach c. 1489 CIC/1917 mit eigener Rechtspersönlichkeit errichteten Institut, nach außen vertreten wird.26
20 Z. B.: Missio – Päpstliche Missionswerke in Österreich, § 3 Geschäftsordnung (19. 11. 1998), in: ABl. ÖBK 25/1999 vom 29. 6. 1999, Nr. II.2, S. 12 – 15; Missions-Verkehrs-Arbeitsgemeinschaft (MIVA), Art. I Statut (18. 12. 2009), in: ABl. 51/2010 vom 15. 5. 2010, Nr. II.4, S. 25 – 27; Fastenaktion der Diözese St. Pölten, § 3 Statut (1. 1. 2010), in: DBl. St. Pölten 2/2010 vom 15. 2. 2010, Nr. 2, S. 14 – 16. 21 Z. B.: Horizont3000, ZVR-Zahl: 657802754, anerkannt durch die ÖBK, in: ÖBK ABl. 31/2001 vom 1. 9. 2001, Nr. II.1, S. 3; Jugend Eine Welt – Don Bosco Aktion Austria, ZVR-Zahl: 843744258, anerkannt durch die ÖBK, in: ABl. ÖBK 26/2000 vom 2. 2. 2000, Nr. II.6, S. 16; Initiative Christlicher Orient (ICO), ZVR-Zahl: 768671398, anerkannt durch die ÖBK, in: ABl. 38/2004 vom 1. 8. 2004, Nr. II.3, S. 3. 22 Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 307. Ebenso Landau, der aber bemerkt, dass die Grenzen in jüngster Zeit fließend geworden sind, vgl. Michael Landau, Die Tätigkeit der Caritas vor dem Hintergrund ihres kirchlichen Anspruchs, in: öarr 55 (2008), S. 413 – 458, hier S. 430. 23 Petra Gantner, Die verbandliche Caritas in Österreich – eine staatskirchenrechtliche Bestandsaufnahme, Linz 1998, S. 34 f. 24 Ebd., S. 49 – 52. Detaillierte Informationen zum zivilrechtlichen und kanonischen Status in den einzelnen Diözesen bei: Landau, Tätigkeit (Anm. 22), S. 433 – 438. Die oben genannten Kategorien werden bisweilen durchbrochen, z. B. wenn es in der Diözese Gurk-Klagenfurt neben der Diözesancaritas, die ein Verein nach Zivilrecht ist, ein „Caritas-Institut für Betreuung und Pflege“ gibt, das ein öffentlicher kanonischer Verein ist, dem im staatlichen Bereich Rechtspersönlichkeit durch Hinterlegung der Errichtungsanzeige zukommt (ebd., S. 435). 25 Nicole Hennecke, Caritas und Recht. Eine kanonistische Untersuchung zum caritativen Sendungsauftrag der Kirche, Berlin 2012, S. 225. 26 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 22), S. 306.
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III. Grundrechte und Autonomie Mehrere Grundrechte verankern die Freiheit von Christgläubigen, karitative Initiativen ins Leben zu rufen. Gemäß c. 216 CIC haben sie das Recht, durch eigene Unternehmungen eine apostolische Tätigkeit in Gang zu setzen oder zu unterhalten. Dieses Grundrecht bildet die Basis für karitative Tätigkeiten unabhängig von der gewählten Rechtsform. Speziell Vereinigungen werden in c. 215 CIC angesprochen. Dabei geht es nicht nur um kanonische, sondern ebenso um zivile Vereine und um freie Zusammenschlüsse. Eigens wird in diesem Canon die Caritas als möglicher Zweck genannt. Dieses Grundrecht umfasst die Gründungs- und die Leitungsfreiheit. Die Vereinigungsfreiheit von Weltklerikern wird zudem speziell in c. 278 CIC verankert. Ferner ist das Grundrecht der Laien gemäß c. 227 CIC auf Freiheit in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens zu beachten. Das schließt die Freiheit mit ein, sich ziviler Rechtsformen zu bedienen, selbst wenn es darum geht, kirchliche Zwecke zu verwirklichen. Die Grundrechte können nach Maßgabe des c. 223 CIC Schranken unterworfen werden. Die Christgläubigen haben außerdem die Grundpflicht, Beiträge zu leisten für Werke der Caritas und zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit (c. 222 CIC). Wenn sie finanzielle Beiträge als fromme Verfügung leisten, machen sie gemäß c. 1299 § 1 CIC von einer naturrechtlichen Fähigkeit Gebrauch und können gemäß c. 1303 CIC die Form einer Stiftung wählen. Die Autonomie der einzelnen juristischen Personen beruht auf diesen Grundrechten. Ausdrücklich erwähnt wird die Autonomie der privaten kanonischen Vereine in c. 323 § 1 CIC,27 doch genießen die öffentlichen kanonischen Vereine, wenngleich eingeschränkt, ebenfalls Autonomie. Bei den selbstständigen Stiftungen kann die Autonomie aus den cc. 115 und 1303 CIC abgeleitet werden.28 Nicht ohne Grund lautet die lateinische Bezeichnung „piae fundationes autonomae“. Die Autonomie hängt hier mit dem Stifterwillen zusammen, der nur unter engen Voraussetzungen geändert werden kann.29 Die Autonomie erstreckt sich auf den Innenbereich und umfasst neben der Wahrung des eigenen Charismas die Mitgliedschaft und die Selbstorganisation.30 Pree zählt verschiedene Elemente der Autonomie auf: Gründungsfreiheit, Beitritts- und Aufnahmefreiheit sowie die Freiheit der Leitung und der inhaltlichen Gestaltung des Statuts.31 Die Autonomie ist entsprechend der Rechtsform 27
Vgl. Winfried Schulz, c. 321, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: Mai 1989). Adolfo Longhitano, L’amministrazione dei beni: la funzione di vigilanza del Vescovo diocesano (cann. 1276 – 1277), in: Raffaello Funghini (Hrsg.), I beni temporali della Chiesa (Studi giuridici L), Città del Vaticano 1999, S. 83 – 102, hier S. 88. 29 Vgl. Luigi Trivero, Pie volontà e pie fondazioni, in: Gruppo italiano docenti di diritto canonico (Hrsg.), I beni temporali della Chiesa, Milano 1997, S. 93 – 116, hier S. 111. 30 Thomas Amann, Wie autonom sind kirchliche Lebensverbände und Vereine in der Gestaltung ihres Arbeitsrechts wirklich? in: Ulrich Kaiser/Ronny Raith/Peter Stockmann (Hrsg.), Salus animarum suprema lex. Festschrift für Offizial Max Hopfner zum 70. Geburtstag (AIC 38), Frankfurt am Main 2006, S. 39 – 50, hier S. 49. 31 Helmuth Pree, Aufsicht über Einrichtungen der Caritas aus der Sicht des kanonischen Rechts, in: KuR 390 (2001), S. 161 – 180, hier S. 167. 28
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je nach der Intensität der Anbindung an die hierarchische Autorität abgestuft. „Nicht die Autonomie, sondern ihre Begrenzung ist begründungspflichtig.“32
IV. Einwirkungsinstrumente für Einzelfälle 1. Terminologische Unterscheidungen Die kirchliche Autorität kann auf die genannten Organisationen einerseits durch die Ausübung der Aufsicht (vigilantia), andererseits durch die Ausübung der Leitungsgewalt (regimen) Einfluss nehmen.33 Davon zu unterscheiden ist die Verwaltung, die nicht von der Autorität, sondern von den eigenen Organen der Organisation ausgeübt wird.34 Sie bezieht sich direkt auf die Güter und Mittel der Organisation und wird im Interesse des Eigentümers ausgeübt, wogegen die Aufsicht eine hierarchische Kontrollgewalt im öffentlichen Interesse ist.35 Regimen36 meint die Unterstellung des kanonischen Vereins unter die allgemeine Leitungsbefugnis der kirchlichen Autorität, wie sie sich in Akten der Gesetzgebung, Rechtsprechung und der potestas exsecutiva äußert, zum Beispiel in Akten der Rekognoszierung von Statuten, der Belobigung oder Empfehlung einer Vereinigung und der Verleihung der Rechtspersönlichkeit per Dekret.37 Unter Aufsicht sind die Einwirkungsbefugnisse von Verfassungsorganen der Kirche auf kirchliche Organisationen zu verstehen mit dem Ziel, das Handeln derselben mit vorgegebenen Maßstäben in Übereinstimmung zu bringen oder zu halten.38 Pree/Primetshofer führen verschiedene Arten von Aufsicht an. So unterscheiden sie nach dem Ziel zwischen Rechtsmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle, nach dem zeitlichen Verhältnis zwischen vorgängiger und nachfolgender Kontrolle und nach der Wirkung zwischen repressiver und substitutiver Aufsicht.39 Bisweilen kommt es zu einer Verknüpfung
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Ebd. Vgl. die Terminologie in c. 305 § 1 und c. 323 § 1 CIC. 34 Bei öffentlichen juristischen Personen kann es vorkommen, dass dieselbe Autorität sowohl die Verwaltung als auch die Aufsicht innehat. Es bleibt aber zu unterscheiden zwischen der schlichten Verwaltung und der hoheitlichen Verwaltung, vgl. Pree/Primetshofer, Vermögen (Anm. 12), S. 89. 35 Vgl. Longhitano, Amministrazione (Anm. 28), S. 91. 36 In der ursprünglichen Version wurde stattdessen der Ausdruck „iurisdictio“ verwendet, vgl. Communicationes 18 (1986), S. 288. 37 Helmuth Pree, Aufsicht über Einrichtungen der Caritas aus der Sicht des kanonischen Rechts, in: KuR 390 (2001) S. 161 – 180, hier S. 168. 38 Vgl. Dirk Künzel, Die kirchliche Vereinsaufsicht. Eine Untersuchung der Aufsicht der katholischen Kirche über Vereinigungen von Gläubigen nach dem Codex Iuris Canonici und deren Umsetzungsmöglichkeit für eingetragene Vereine im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 41. 39 Pree/Primetshofer, Vermögen (Anm. 12), S. 89 f. 33
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zwischen Leitungsgewalt und Aufsicht.40 Im Folgenden soll ein Überblick über verschiedene Instrumente auf der Grundlage des CIC/1983 geboten werden, die der kirchlichen Autorität zur Verfügung stehen, um auf einzelne Organisationen einzuwirken. 2. Konkrete Instrumente Statuten: Die Einwirkungsrechte der kirchlichen Autorität bei der Anerkennung der Statuten sind je nach Rechtsform unterschiedlich intensiv, aber in keinem Fall unbegrenzt. Bei privaten kanonischen Vereinen ohne Rechtspersönlichkeit bedürfen die Statuten der recognitio (c. 299 § 3 CIC). Bei privaten kanonischen Vereinen mit Rechtspersönlichkeit (c. 322 § 2 CIC) und bei Stiftungen mit Rechtspersönlichkeit (c. 117 CIC) benötigen sie eine probatio, während bei öffentlichen kanonischen Vereinen eine approbatio erforderlich ist (c. 314 CIC). Die recognitio ist das schwächste dieser Instrumente. Sie hat lediglich die Bedeutung einer kanonischen Unbedenklichkeitsbescheinigung.41 Es besteht ein Rechtsanspruch auf recognitio.42 Sie darf nur verweigert werden, wenn die Statuten nicht den Mindestanforderungen des c. 304 § 1 CIC entsprechen oder der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche oder ihrer Disziplin entgegenstehen.43 Da sich die probatio auf Statuten von Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit und daher mit Vermögensfähigkeit bezieht, umfasst sie zusätzlich eine Prüfung hinsichtlich vermögensrechtlicher Bestimmungen, soweit diese wegen c. 1257 § 2 CIC überhaupt auf private juristische Personen anwendbar sind.44 So dürfen die Statuten keine Vermögensverwendung außerhalb der Vereinszwecke zulassen (vgl. c. 325 § 1 CIC), müssen aber eine Regelung zur Verwendung der Güter bei Erlöschen der Vereinigung enthalten (c. 326 § 2 CIC).45 Das stärkste Instrument ist schließlich die Approbation. Sie bedeutet eine inhaltliche Genehmigung. Die kirchliche Autorität kann dazu Anforderungen an die
40 Luis Navarro, c. 305, S. 474, in: Ángel Marzoa Rodriguez-Ocaña (Hrsg.), Exegetical Commentary of the Code of Canon Law, Montréal 2004. Bei der Codexreform gefiel die Unterscheidung zwischen Leitung und Aufsicht einem Konsultor nicht, weil die Aufsicht in der Leitung eingeschlossen sei (Communicationes 12 [1980], S. 99). 41 Winfried Schulz, c. 299, Rdnr. 6, in: MK CIC (Stand: Mai 1989); vgl. Antonio Viana, La norma estatutaria y la autonomía de los entes en la Iglesia, in: Javier Canosa (Hrsg.), I principi per la revisione del codice di diritto canonico. La ricezione giuridica del Concilio Vaticano II, Milano 2000, S. 271 – 301, hier S. 292. 42 Künzel, Vereinsaufsicht (Anm. 38), S. 61; Hans Joachim Schulz, Was wurde aus den „Grundsätzen über kirchliche Vereinigungen“ – Ein heißes Eisen, das die Bischofskonferenz fallen ließ? in: Offerten Zeitung 42 (1989) S. 611 – 624, hier S. 614. 43 Vgl. Schulz, c. 299 (Anm. 41), Rdnr. 7. Zu weit geht Nobel, der den unangemessenen Zeitpunkt oder die Existenz einer ähnlichen Vereinigung als Verweigerungsgründe gelten lässt: Michael-Andreas Nobel, The Responsibility of a Diocesan Bishop towards Diocesan Associations, in: Studies in Church Law 6 (2010), S. 129 – 169, S. 161. 44 Künzel, Vereinsaufsicht (Anm. 38), S. 64. 45 Vgl. ebd.
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Statuten stellen, die nach ihrer Einschätzung notwendig sind.46 Da sich aber auch öffentliche kanonische Vereine der Satzungsautonomie erfreuen, darf die kirchliche Autorität nicht so weit gehen, die Tilgung bestimmter Festlegungen zu verlangen und andernfalls die Approbation zu verweigern.47 Bei privaten Vereinen ist die Möglichkeit der kirchlichen Autorität, bei der Prüfung der Statuten Auflagen vorzuschreiben, stärker eingeschränkt. Hier können nur Verbesserungen aufgetragen werden.48 Insbesondere kann die Autorität nicht verlangen, dass ihr in den Statuten ein Eingriffsrecht eingeräumt wird, sofern dies nicht freiwillig geschieht.49 Nur wenn der Verein Unterstützungen der kirchlichen Autorität in Anspruch nehmen will, kann sie dies von bestimmten Satzungsinhalten oder der Wahl einer bestimmten Rechtsform abhängig machen.50 Selbst der freiwilligen Verankerung von Eingriffsrechten in den Statuten sind aber Grenzen gesetzt, weil sie nicht dazu führen darf, dass der Verein „zu keiner nennenswerten selbstständigen, eigenverantwortlichen Willensbetätigung mehr in der Lage ist und daher so gut wie vollständig von der Autorität abhängig ist“51. Eine Änderung der Statuten bedarf wiederum der recognitio, probatio bzw. approbatio. Bei zivilen juristischen Personen kommt der kirchlichen Autorität keine Einwirkungsbefugnis hinsichtlich der Statuten zu, sofern diese nicht selbst eine solche vorsehen. Leitungspersonen: Auch was die Leitungspersonen betrifft, sind die Einwirkungsbefugnisse der kirchlichen Autorität je nach Rechtsform unterschiedlich. Bei öffentlichen kanonischen Vereinen werden die Vorsitzenden vorbehaltlich der Regelung in den Statuten von der zuständigen kirchlichen Autorität nach Wahl bestätigt, aufgrund eines Vorschlags eingesetzt oder kraft eigenen Rechts ernannt (c. 317 § 1 CIC). Die Autorität, welche die Vorsitzenden ernannt oder bestätigt hat, kann sie aus einem gerechten Grund auch entlassen, nachdem sie die betroffene Leitungsperson und die Vorstandsmitglieder nach Maßgabe der Statuten angehört hat (c. 318 § 2 CIC). Aus schwerwiegenden Gründen kann die kirchliche Autorität einen Kommissar bestellen, der den Verein in ihrem Namen zeitlich befristet zu leiten hat (c. 318 § 1 CIC). Der Kaplan oder geistliche Assistent wird von der kirchlichen Autorität nach Anhörung der Vorstandsmitglieder ernannt (c. 317 § 1 CIC) und kann von dieser wieder entlassen werden (c. 318 § 2 CIC). Private kanonische Vereine bestellen sich die Vorsitzenden und Amtsträger hingegen frei (c. 324 § 1 CIC), können in den Statuten aber eine Mitwirkung der kirchlichen Autorität vorsehen. Ebenso können sie sich einen geistlichen Berater frei auswählen, doch bedarf dieser der Bestätigung des Ortsordinarius (c. 324 § 2 CIC).
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Ebd., S. 83. Winfried Schulz, c. 314, Rdnr. 2 und 5, in: MK CIC (Stand: Mai 1989). 48 Viana, norma (Anm. 41), S. 292. 49 Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 171. 50 Vgl. Aymans/Mörsdorf, KanR, Bd. II, 517; Künzel, Vereinsaufsicht (Anm. 38), S. 61. 51 Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 167. 47
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Tätigkeiten: Was den Tätigkeitsbereich der privaten kanonischen Vereine betrifft, so räumt c. 323 § 2 CIC der kirchlichen Autorität die Befugnis ein, darauf zu achten und dafür zu sorgen, dass eine Zersplitterung der Kräfte vermieden und die Ausübung des Apostolats auf das Gemeinwohl hin ausgerichtet wird. Da diese Koordinierungsfunktion die freie Ausübung von Grundrechten einschränkt, ist sie gemäß c. 18 CIC eng auszulegen. Manche Autoren stellen ihre Existenzberechtigung überhaupt in Frage.52 Immerhin legt c. 323 § 2 CIC auch fest, dass die Autonomie zu achten ist. Jedenfalls lässt sich daraus kein Monopolschutz für bereits bestehende Vereine ableiten.53 Bei öffentlichen Vereinen wird keine derartige Koordinierungsfunktion erwähnt, sondern vielmehr die Oberleitung durch die kirchliche Autorität festgelegt, wenn sie von sich aus Unternehmungen beginnen (c. 315 CIC). Öffentliche Vereine können von der zuständigen Autorität außerdem einen Sendungsauftrag für Ziele erhalten, die sie im Namen der Kirche ausführen (c. 313 CIC). Das Subsidiaritätsprinzip sieht Nobel darin verwirklicht, dass öffentliche Vereine durch die kirchliche Autorität nur dann errichtet werden, wenn die betreffenden Zwecke durch private Unternehmungen nicht ausreichend erfüllt werden (c. 301 § 2 CIC).54 Wenn sich zeigt, dass zwei öffentliche juristische Personen ähnliche Tätigkeitsbereiche haben und eine Zusammenlegung zweckmäßig wäre, kann eine Fusion gemäß c. 121 CIC stattfinden. C. 394 § 1 CIC überträgt dem Bischof die Aufgabe der Koordinierung aller Apostolatswerke in seiner Diözese unabhängig von der jeweiligen Rechtsform. Aufsicht: C. 305 legt die Aufsichtsbefugnis der kirchlichen Autorität für alle Arten kanonischer Vereine gleichermaßen fest.55 Der Inhalt der Aufsicht besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Unversehrtheit von Glaube und Sitte bewahrt wird, und darüber zu wachen, dass sich keine Missbräuche in der kirchlichen Disziplin einschleichen. Was fromme Verfügungen betrifft, so liegt die Aufsichtsbefugnis nach c. 1301 § 2 und c. 1302 § 2 CIC beim Ordinarius. Das betrifft kirchliche Stiftungen56 dann, wenn sie mit einer derartigen frommen Willensverfügung bedacht sind oder wenn sie selbst in einer solchen Verfügung gründen.57 Über diese Sonderbestimmungen für Vereine und Stiftungen hinaus legt c. 397 § 1 CIC ein Visitationsrecht des Bischofs über Personen, katholische Institute, heilige Sachen und Orte fest, die sich im Bereich der Diözese befinden.58 Zu den hier genannten Personen sind 52
Z. B. Viana, norma (Anm. 41), S. 294. Zu weit geht ihm jedenfalls das Erfordernis, dass ein Verein in ein diözesanes Pastoralprogramm passen muss (ebd., S. 296). 53 Schulz, Grundsätzen (Anm. 42), S. 314. 54 Nobel, Responsibility (Anm. 43), S. 163. 55 Obwohl c. 305 § 1 CIC sich selbst schon ausdrücklich auf alle („omnes“) Vereine von Christgläubigen bezieht, erwähnt c. 323 § 1 CIC noch eigens, dass auch private Vereine dieser Aufsicht unterliegen. C. 305 § 2 CIC gilt auch für private Vereine ohne Rechtspersönlichkeit (Lluís Martínez Sistach, Die Vereine von Gläubigen, Paderborn 2008, S. 101). 56 Auch private kirchliche Stiftungen: Trivero, volontà (Anm. 29), S. 109. 57 Vgl. Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 175 f. 58 Unklar ist, ob dieses Visitationsrecht ein allgemeines Beaufsichtigungsrecht meint (ebd., S. 168).
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auch die juristischen Personen des Kirchenrechts zu zählen,59 so dass öffentliche und private Vereine sowie Stiftungen, sofern sie Rechtspersönlichkeit besitzen, Objekt der bischöflichen Visitation sind.60 Katholische Institute sind diejenigen Einrichtungen, denen aufgrund ihrer Satzung der rechtliche Charakter eines „katholischen“ Instituts zukommt. Bier zählt dazu unter anderem karitative Einrichtungen wie katholische Kindergärten, Krankenhäuser usw.61 Das Prädikat „katholisch“ kann auch Einrichtungen verliehen werden, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen oder sich einer Rechtsform nach Zivilrecht bedienen.62 Juristische Personen des Zivilrechts unterstehen jedenfalls dann der kirchlichen Aufsicht, wenn dies in den Statuten vorgesehen ist63 oder wenn sie eine fromme Verfügung64 angenommen haben hinsichtlich dieser (c. 1301 § 2 CIC). Vermögensverwaltung: Das Vermögen öffentlicher juristischer Personen des Kirchenrechts ist Kirchengut und untersteht daher den Canones des fünften Buches des CIC (c. 1257 § 1 CIC). Bestimmte Rechtsgeschäfte über diese Güter bedürfen daher der Genehmigung durch die kirchliche Autorität.65 Der Ordinarius hat die Verwaltung des gesamten Vermögens zu überwachen, das den ihm unterstellten öffentlichen juristischen Personen gehört (c. 1276 § 1 CIC). Die Verwalter von Kirchengut sind dem Ortsordinarius jährlich zur Rechenschaft verpflichtet, welcher die Rechnungslegung dem Vermögensverwaltungsrat zu übergeben hat (c. 1287 CIC). Speziell für die öffentlichen Vereine normiert c. 319 CIC die jährliche Rechenschaftspflicht sowie die Oberleitung durch die kirchliche Autorität. Für den Fall der Nachlässigkeit eines Vermögensverwalters steht dem Ordinarius ein Eingriffsrecht zu (c. 1279 § 1 CIC). Das Vermögen der privaten Vereine mit Rechtspersönlichkeit ist hingegen kein Kirchengut (c. 1257 § 1 CIC). Diese Vereine verwalten ihr Vermögen frei. Die Aufsicht der kirchlichen Autorität beschränkt sich darauf, darüber zu wachen, dass das Vermögen zu den Vereinszwecken verwendet wird (c. 325 § 1 CIC). Die Autorität kann nicht ohne weiteres eine jährliche Rechenschaftspflicht fordern, wohl aber im Einzelfall bei begründetem Verdacht.66 Weitere Eingriffsrechte können die Statuten vorsehen, solange sich der Verein nicht seiner Autonomie begibt, so dass nicht 59
Georg Bier, c. 397, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: Dezember 1998). Ihli wendet diesen Canon jedenfalls auf Stiftungen an, vgl. Stefan Ihli, Stiftungen im Kirchen- und Zivilrecht des 19. Jahrhunderts. Mit einem Ausblick auf den CIC/1917 und den CIC/1983, in: Richard Puza/Stefan Ihli/Abraham Peter Kustermann (Hrsg.), Kirchliche Stiftung zwischen kirchlichem und staatlichem Recht. Zur zeitgemäßen Profilierung eines alten Finanzierungs- und Rechtsinstituts, Berlin 2008, S. 41 – 64, hier S. 62. 61 Bier, c. 397 (Anm. 59), Rdnr. 5. 62 Vgl. cc. 216, 300, 803 § 1 CIC. 63 Vgl. Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 163. 64 Vgl. ebd., S. 176. 65 Vgl. z. B. cc. 1281 und 1291 CIC. 66 Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 170. Martínez Sistach empfiehlt aber, eine jährliche Berichtspflicht in den Statuten zu verankern, damit es nicht gleich nach Verdacht aussieht, wenn ein Bericht verlangt wird, vgl. Martínez Sistach, Vereine (Anm. 55), S. 114. 60
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mehr von einer Vermögensverwaltung gesprochen werden könnte, die auf eigener Willensbetätigung beruht.67 Nimmt der Verein Vermögen zu frommen Zwecken an, so untersteht er in dieser Hinsicht der Autorität des Ordinarius (c. 325 § 2 i.V.m. c. 1301 CIC). Nichtrechtsfähige private Vereine haben kein eigenes Vermögen, so dass sich die Frage der Aufsicht über die Vermögensverwendung erübrigt.68 Private natürliche und private juristische Personen bedürfen für Spendensammlungen der schriftlichen Erlaubnis durch den eigenen Ordinarius und den Ordinarius des Sammlungsortes (c. 1265 § 1 CIC). Auflösung: Als ultima ratio kann die kirchliche Autorität einen kanonischen Verein auflösen. Bei öffentlichen Vereinen sind dafür schwerwiegende Gründe erforderlich (c. 320 § 2 CIC). Bei einem privaten Verein ist erforderlich, dass eine Tätigkeit zu einem schweren Schaden für die kirchliche Lehre bzw. Disziplin wird oder den Gläubigen zum Ärgernis gereicht (c. 326 § 1 CIC). Einwirkung auf Individuen: Von den bisher behandelten Einwirkungsinstrumenten werden freie Zusammenschlüsse von Gläubigen und zivile Rechtsformen bis auf wenige Ausnahmen nicht erfasst. Der kirchlichen Autorität verbleibt aber die Möglichkeit, auf die einzelnen Gläubigen Einfluss zu nehmen, die ihnen angehören oder sie leiten.69 Die Grundrechte, die den Christgläubigen zustehen, gelten nicht unbeschränkt. Vielmehr müssen die Gläubigen auch in Vereinigungen auf das Gemeinwohl der Kirche und die Rechte anderer achten (c. 223 § 1 CIC). Dies zu regeln, ist Sache der kirchlichen Autorität (c. 223 § 2 CIC). Insbesondere sind die Gläubigen verpflichtet, immer die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren (c. 209 CIC).70 Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewusstsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen (c. 212 § 1 CIC). Diese Art der Aufsicht äußert sich in den „der Autorität jederzeit zu Gebote stehenden Formen pastoralen Handelns wie Verkündigung, Beratung, seelsorgerlicher Zuspruch, ohne Eingriff in bestehende Rechtssphären. Rechtsbeschränkende oder -entziehende Einwirkungsbefugnisse hingegen […] bedürfen jeweils einer speziellen rechtlichen Grundlage.“71 Entzug bestimmter Prädikate: Es ist allein Sache der kirchlichen Autorität, die Zustimmung zu erteilen, dass sich Unternehmungen der Gläubigen (c. 216 CIC), ins67
Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 171. Vgl. Künzel, Vereinsaufsicht (Anm. 38), S. 58. 69 Vgl. Helmuth Pree, Schwangerschaftskonfliktberatung – kirchenrechtliche Gesichtspunkte, in: AfkKR 168 (1999), S. 134 – 139, hier S. 137. 70 Vgl. Sabine Demel, Ungleiche Rechte – ungleiche Pflichten. Es gibt keine kirchenrechtlichen Einwände gegen eine katholische Schwangeren-Konfliktberatung durch „Donum Vitae“, in: AfkKR 168 (1999), S. 121 – 123, hier S. 123; Norbert Lüdecke, Der schönste Pluralismus deckt keinen Ungehorsam. Das Kirchenrecht gibt „Donum Vitae“ keinen Spielraum: Ob man das im deutschen Verbandskatholizismus genügend bedacht hat? in: AfkKR 168 (1999), S. 127 – 133, hier S. 130. 71 Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 165. 68
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besondere Vereine (c. 300 CIC), „katholisch“ nennen dürfen. Wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, kann die Autorität die Zustimmung zur Führung dieser Bezeichnung auch wieder entziehen. Ferner kann die kirchliche Autorität eine Vereinigung belobigen oder empfehlen (c. 299 § 2 CIC). Auch diese Auszeichnung kann wieder entzogen werden, wenn die Vereinigung sie nicht mehr verdient. Im Gegenteil, es kann sogar vor einer bestimmten Vereinigung gewarnt werden.72 Diese Instrumente kann die kirchliche Autorität bei allen Organisationen unabhängig von ihrer Rechtsform anwenden, weil die genannten Prädikate auch Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit und zivilen juristischen Personen verliehen werden können. Somit liegt ein Beispiel dafür vor, dass es Maßnahmen der kirchlichen Autorität gibt, welche auch rein zivile Rechtsträger direkt betreffen ohne Umweg über die Gläubigen als Mitglieder. 3. Die zuständige kirchliche Autorität Bisher blieb die Frage ausgeklammert, welche kirchliche Autorität für die Anwendung der genannten Instrumente zuständig ist. Dafür muss zwischen Maßnahmen der Leitung und der Aufsicht unterschieden werden. Die für die Errichtung öffentlicher Vereine zuständigen Autoritäten werden in c. 312 § 1 CIC aufgelistet: für gesamtkirchliche und internationale Vereine ist es der Heilige Stuhl, für nationale Vereine die Bischofskonferenz und für diözesane Vereine der Diözesanbischof. Dieselbe Zuständigkeitsverteilung gilt für die folgenden Akte der Leitungsgewalt: Approbation der Statuten, Verleihung der Rechtspersönlichkeit, Ein- und Absetzung der Vorsitzenden und der geistlichen Assistenten, Bestellung des Kommissars, Oberleitung für Unternehmungen, Oberleitung für die Vermögensverwaltung, Auflösung des Vereins und die Zuerkennung der Bezeichnung „katholisch“.73 Bei privaten Vereinen gilt diese Zuständigkeitsverteilung für die probatio bzw. recognitio der Statuten, die Verleihung der Rechtspersönlichkeit, die Auflösung des Vereins und die Bezeichnung „katholisch“. Was die Koordinierungsfunktion (c. 323 § 2 CIC) und die Vermögensverwendung (c. 325 § 1 CIC) betrifft, kommt es darauf an, ob es sich um einen hoheitlichen Akt oder um reine Aufsicht handelt.74 Anders ist die Kompetenzverteilung bei Maßnahmen der Aufsicht. Für alle Arten von Vereinen legt c. 305 § 2 CIC fest, dass die Aufsicht dem Heiligen Stuhl zukommt. Der Aufsicht des Ortsordinarius unterstehen außerdem die diözesanen Vereine sowie andere Vereine, insofern sie in der Diözese tätig sind. Dass den Bischofskonferenzen keine Kompetenz für die Aufsicht zugesprochen wird, war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. C. 44 § 2 Schema PopDei hätte den Bischofskonferenzen noch eine Zuständigkeit für regimen und vigilantia zugesprochen, die sich 72
Vgl. Nobel, Responsibility (Anm. 43), 160. Die entsprechenden Canones verweisen jeweils auf c. 312 § 1 CIC oder enthalten selbst die gleiche Zuständigkeitsverteilung. 74 Vgl. Pree/Primetshofer, Vermögen (Anm. 12), S. 108. 73
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auf regionale Vereine und diejenigen internationalen Vereine bezog, deren Bereich auf eine bestimmte Region beschränkt ist. Diese Passage wurde jedoch gestrichen, weil man auf der Ebene der Bischofskonferenz keine Aufsichtsbehörde ansiedeln wollte.75 Diese Regelung führt dazu, dass in manchen Fällen für Leitung und Aufsicht nicht dieselbe Autorität zuständig ist. Dies kann im Falle nationaler Vereine Konflikte heraufbeschwören.76 Man denke nur an den Fall, dass ein Diözesanbischof im Rahmen seiner Aufsicht feststellt, dass ein Verein gegen die Lehre der katholischen Kirche verstößt, die Bischofskonferenz aber nicht bereit ist, den Leitungsakt der Auflösung zu setzen. Außerdem ist es unter praktischen Gesichtspunkten schwer vorstellbar, wie ein einzelner Diözesanbischof die Aufsicht über einen Verein ausüben soll, der auch in anderen Diözesen wirkt und dort eventuell seinen Sitz hat.77 Einige Autoren schlagen nun vor, innerhalb von c. 305 CIC zwischen allgemeiner und besonderer Aufsicht zu unterscheiden. Die allgemeine Aufsicht sei in § 2 geregelt und stehe nur dem Heiligen Stuhl und dem Diözesanbischof zu, während die besondere Aufsicht in § 1 geregelt sei und derselben Autorität zukomme, welche auch die Leitung innehabe.78 Das würde bedeuten, dass die besondere Aufsicht bei nationalen Vereinen der Bischofskonferenz zukommt. Allerdings findet die Unterscheidung zwischen allgemeiner und besonderer Aufsicht keinen Anhaltspunkt im Wortlaut des c. 305 CIC und die inhaltliche Abgrenzung zwischen den beiden Aufsichtsarten stößt, wie ein Vertreter dieser These selbst einräumt,79 auf Schwierigkeiten. C. 305 § 1 CIC enthält keinen Verweis auf c. 312 CIC, wie es bei anderen Canones 75 Communicationes 12 (1980), S. 98: Der Sekretär gab zu bedenken, dass eine derartige Bestimmung eine unnötige Bürokratie auf der Ebene der Bischofskonferenzen schaffen würde und der Natur der Bischofskonferenzen selbst zuwiderliefe, die Organe der pastoralen Beratung aber nicht der Leitung sind. Es sei ausschließlich Aufgabe des Bischofs, die Vereine zu beaufsichtigen, die sich in seinem Territorium befinden. Daher sei es angemessen, die Kompetenz der Bischofskonferenzen auf die Gesetzgebungsgewalt für bestimmte Fälle sowie die eventuelle Approbation von Statuten zu beschränken. Diese Ansicht des Sekretärs setzte sich in der schließlich beschlossenen Textversion durch (ebd., S. 100). C. 679 Schema CIC 1980 sah daher keine Aufsichtskompetenz für Bischofskonferenzen mehr vor. Ein Versuch, sie wieder einzuführen, wurde von der Revisionskommission abgelehnt, weil man keine nationale Kurie schaffen wollte, vgl. Communicationes 15 (1983), S. 84. 76 Vgl. Martínez Sistach, Vereine (Anm. 55), S. 71; Navarro, c. 305 (Anm. 40), S. 474. 77 Provost bietet dafür folgende Lösung an: Dem Bischof des Vereinssitzes obliegt die Aufsicht über die Gesamtleitung des Vereins sowie über die Aktivitäten, die der Verein in seiner Diözese ausübt. Den anderen Bischöfen obliegt die Aufsicht hinsichtlich der Aktivitäten, die der Verein in der jeweiligen Diözese ausübt. Provost empfiehlt zudem die wechselseitige Information zwischen den Bischöfen: James Provost, Canons 94 and 304 – 309: Responsibility of the Diocesan Bishop toward Association of the Faithful, in: CLSA Advisory Opinions 1994, S. 68 – 73, hier S. 70 f. 78 Vgl. Aymans/Mörsdorf, KanR, Bd. II, S. 482 f.; Heribert Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche, Paderborn 1999, S. 403; Winfried Schulz, c. 305 MK CIC (Stand: Mai 1989). 79 Ebd., Rdnr. 3.
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des Vereinsrechts, die tatsächlich die Autorität des c. 312 CIC meinen, der Fall ist. Nur der letzte Satz dieses Paragrafen, der allerdings selbst unklar bleibt,80 scheint von einer Identität zwischen Aufsichts- und Leitungsautorität auszugehen. Der Gesamtzusammenhang des Canons und seine Redaktionsgeschichte legen jedoch die Auslegung nahe, dass die „auctoritas ecclesiastica competens“, von der § 1 spricht, jene ist, die in § 2 näher spezifiziert wird.81 C. 305 § 2 CIC verdrängt daher als lex specialis im Bereich der Aufsicht die Zuständigkeitsverteilung des c. 312 § 1 CIC. So vertreten andere Autoren die These, dass den Bischofskonferenzen keine Aufsichtsbefugnisse über Vereine zukommen.82 Eine Änderung der Rechtslage bedürfte eines Eingriffs des Gesetzgebers.83 Im Übrigen stimmt diese Auslegung mit Canones außerhalb des Vereinsrechts überein, welche Aufsichtsrechte auch über Einrichtungen festlegen, die keine Vereine sind. So sehen die schon erwähnten cc. 397 § 1 und 1276 § 1 CIC Rechte ebenfalls nur für den Bischof bzw. den Ordinarius, aber nicht für die Bischofskonferenz vor. Außerdem wird die Aufsicht über Stiftungen allein dem Ordinarius zugesprochen (vgl. cc. 1301 § 2 und 1302 § 2 CIC). 4. Zusammenfassung Am Anfang dieses Aufsatzes wurden einige Fragen aufgeworfen, die sich in der Praxis gestellt haben. Sie lassen sich nun aufgrund der Rechtslage des CIC/1983, die soeben dargestellt wurde, folgendermaßen beantworten: Die Wahl der Rechtsform
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Diese Passage war bereits in c. 44 § 1 Schema PopDei enthalten. In diesem Schema gab § 2 die zuständige Autorität sowohl für die vigilantia als auch für das regimen an. Somit war es schlüssig, dass auch § 1 nicht nur von der Aufsicht, sondern ebenso bereits von der Leitung sprach und von einer Identität der für Aufsicht und Leitung zuständigen Autorität ausging. Möglicherweise wurde diese Passage einfach übersehen, als beschlossen wurde, dass der Canon nur die Aufsicht behandeln sollte (vgl. Communicationes 12 [1980], S. 98). 81 In c. 44 Schema PopDei verwies § 1 hinsichtlich der zuständigen Autorität ausdrücklich auf § 2. Aus den veröffentlichten Diskussionen bei der Codexreform (Communicationes 12 [1980], S. 97) geht nicht hervor, ob dieser Verweis gestrichen wurde, weil die Verbindung zwischen den beiden Paragrafen ohnehin klar ist oder weil es keine Verbindung geben soll. Nach c. 17 CIC sind kirchliche Gesetze ihrem Kontext gemäß zu verstehen. § 2 gehört zweifellos zum Kontext des § 1. Alle anderen Stellen des kodikarischen Vereinsrechts, die von der zuständigen Autorität sprechen, sind weiter entfernt. § 2 hätte keine Funktion, wenn nicht jene, die zuständige Autorität des § 1 näher zu bestimmen. Es ist nicht anzunehmen, dass man das, was man in § 2 abgelehnt hat, in § 1 einführen wollte. 82 Z. B. Martínez Sistach, Vereine (Anm. 55), S. 71 f.; Navarro, c. 305 (Anm. 40), S. 474; Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 168; Pree/Primetshofer, Vermögen (Anm. 12), S. 107. Besonders ausführlich hat sich González in einem Gutachten mit dieser Frage befasst. Obwohl er von einem Anlassfall ausgeht, in dem eine Bischofskonferenz offensichtlich eine Aufsichtskompetenz über einen privaten nationalen Verein mit Rechtspersönlichkeit begehrte, kommt er zu dem klaren Ergebnis, dass sie keine solche hat, vgl. Javier González, Do Episcopal Conferences have Supervisory Competence over Private Associations of the Faithful? in: Boletin eclesiástico de Filipinas 83 (2007), S. 721 – 730, hier S. 723. 83 Vgl. Martínez Sistach, Vereine (Anm. 55), 72.
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liegt grundsätzlich bei den Gründern.84 Sie entscheiden frei, ob sie eine zivile und/ oder eine kanonische Rechtsform wählen oder sich frei zusammenschließen. Entscheiden sie sich für das kanonische Recht, so stellen sie bei der zuständigen kirchlichen Autorität den Antrag hinsichtlich einer bestimmten Rechtsform. Wenn die Voraussetzungen für diese Rechtsform gegeben sind, ist dem Antrag stattzugeben. Ob etwa auch die Voraussetzungen für eine andere Rechtsform gegeben wären, die der Autorität zweckmäßiger erscheint, spielt keine Rolle für die Entscheidung. Wenn der Antrag z. B. auf recognitio der Statuten eines nichtrechtsfähigen privaten Vereins lautet, der Diözesanbischof jedoch meint, der Verein sollte als öffentliche juristische Person errichtet werden, so kann er dies nur empfehlen, aber nicht anordnen.85 Wenn die kirchliche Autorität zu der Ansicht gelangt, dass eine bestimmte Tätigkeit besser in der Form einer öffentlichen juristischen Person ausgeübt werden sollte, bleibt ihr nur der Weg, selbst eine solche zu errichten. Dabei muss sie aber das Subsidiaritätsprinzip beachten. Wenn der Verein einmal besteht, verbleibt die Statutenhoheit bei allen kanonischen Rechtsformen beim Verein selbst, außer es handelt sich um einen von der Autorität errichteten öffentlichen Verein, dessen Statuten sie als Gesetz erlassen kann.86 Änderungen bedürfen zwar wiederum des entsprechenden Mitwirkungsaktes der Autorität, können von ihr aber nicht auferlegt werden. Eine Ausnahme hiervon besteht nur, wenn sich in den Statuten Fehler zeigen, die schon bei der ersten Prüfung zu einer Abweisung hätten führen müssen. Das ist der Fall, wenn die Statuten den gesetzlichen Mindeststandards (c. 94 § 1 und c. 304 § 1 CIC) nicht entsprechen oder Verstößen gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre oder die kirchliche Disziplin Vorschub leisten. In den anderen Fällen kann eine Statutenänderung lediglich nahegelegt werden. Nur in begrenztem Umfang kann die Autorität auf einen Verein Einfluss nehmen, indem sie bei der Bestellung der Leitungspersonen mitwirkt. Bei privaten Vereinen besitzt sie Mitwirkungsrechte nicht von Gesetzes wegen, sondern allenfalls aufgrund der Statuten. Bei öffentlichen Vereinen kommt es darauf an, welche der in c. 317 § 1 CIC genannten Verfahrensweisen zur Anwendung kommt bzw. wie sie in den Statuten konkretisiert ist. Wenn der Vorsitzende z. B. vom Verein gewählt wird und von der Autorität nur zu bestätigen ist, kommt es darauf an, welche Versagungsgründe vorgesehen sind.87 Die intensivste Einflussnahme besteht dann, wenn die Autorität den 84
Zur Gründungsinitiative vgl. Aymans/Mörsdorf, KanR, Bd. II, 496. Wie Aymans/Mörsdorf (KanR, Bd. II, 520) bemerken, kann c. 301 CIC nicht in dem Sinn interpretiert werden, dass ein privater Verein gezwungen werden könnte, öffentlichen Charakter anzunehmen, sofern er nicht irgendwelche Ansprüche z. B. auf Unterstützung geltend macht. 86 Ebd., S. 498. 87 Die Statuten von Caritas Internationalis aus dem Jahr 2004 sahen eben die Wahl durch den Verein und die Bestätigung durch den Heiligen Stuhl vor. Die Liste der Kandidaten war aber bereits vor der Wahl vom Papst zu genehmigen (vgl. Jesús Miñambres, Status giuridicocanonico di Caritas Internationalis, in: IusEccl 17 [2005], S. 295 – 302, S. 300). Mickens wirft 85
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Vorsitzenden frei ernennen kann. In keinem Fall hat die Aufsichtsautorität aber die Befugnis, sich an die Stelle des Verwalters zu setzen oder die juristische Person rechtlich zu vertreten.88 Was die Einflussnahme auf konkrete Tätigkeiten betrifft, so ist zwischen öffentlichen und privaten Vereinen zu unterscheiden. Öffentliche Vereine unterstehen der Oberleitung der der kirchlichen Autorität (c. 315 CIC). Diese hat nach Aymans/Mörsdorf eine positive und eine negative Seite. In positiver Hinsicht könne die Autorität nur helfen, wünschen und anraten, aber die Übernahme einer bestimmten Aufgabe nicht verbindlich vorschreiben. In negativer Hinsicht könnten aber um des Gemeinwohls willen bestimmte Tätigkeiten untersagt werden.89 Bei privaten Vereinen ist c. 323 § 2 CIC maßgeblich. Die Autorität kann hier nur einer Zersplitterung der Kräfte entgegenwirken und für eine Hinordnung auf das Gemeinwohl sorgen.90 Wenn die Autorität auf einem bestimmten Gebiet einen Bedarf feststellt, der von keiner Organisation abgedeckt wird, und wenn keine die entsprechenden Aufgaben übernehmen will, bleibt ihr nur die Möglichkeit, selbst eine Organisation mit dieser Zwecksetzung zu gründen. 5. Auswirkungen auf das Partikularrecht Was die Einwirkungsrechte im Bereich der Vermögensverwaltung betrifft, so ist zu unterscheiden, ob es sich um Akte der Leitung oder der Aufsicht handelt. Wie bereits dargelegt, kommen der Bischofskonferenz keine Aufsichts- sondern nur Leitungsbefugnisse zu. Nun hat die ÖBK eine so genannte „Kontrollstelle“91 eingerichtet. Sie ist nach Teil A Art. 2 ihrer Geschäftsordnung92 für die wirtschaftliche und buchmäßige Kontrolle aller gesamtösterreichischen Einrichtungen der Katholischen Kirche zuständig, welche der Oberaufsicht der ÖBK unterstellt sind. Für Rechtsträger des staatlichen Rechts, die nicht kanonisch errichtet sind, ist die Zuständigkeit dann gegeben, wenn dieser Rechtsträger ständiger Subventionsempfänger der ÖBK ist und Aufgaben der Katholischen Kirche in Österreich erfüllt. Als Rechtsgrundlage für die Kontrollstelle erwähnt die Geschäftsordnung die „Erfüllung der dem Heiligen Stuhl vor, das nihil obstat für die Wiederwahl von Lesley-Anne Knight als Präsidentin von Caritas Internationalis verweigert zu haben, obwohl Kandidaten nur dann hätten ausgeschlossen werden dürfen, wenn sie in keinem guten Verhältnis zur Kirche stehen. Bei der ersten Wahl von Frau Knight habe es jedenfalls keine Beanstandung gegeben (Mickens, Caritas [Anm. 3], 27). 88 Vgl. Pree/Primetshofer, Vermögen (Anm. 12), S. 89. 89 Aymans/Mörsdorf, KanR Bd. II, S. 523. 90 Vgl. José Fuentes, c. 323, S. 543, in: Exegetical Commentary (Anm. 40). Der Gedanke der Zersplitterung der Kräfte stammt aus Art. 19 Abs. 4 AA und wird dort näher beschrieben: „Diese tritt dann ein, wenn man ohne ausreichenden Grund neue Vereinigungen und Werke fördert oder an veralteten Vereinigungen und Methoden festhält, die keinen Nutzen mehr bringen.“ 91 Kontrollstelle der ÖBK, in: ABl. ÖBK 1994/13/II.6, S. 10. 92 ÖBK, Geschäftsordnung der Kontrollstelle der Österreichischen Bischofskonferenz, in: ABl. ÖBK 1995/14/II.3, S. 4 – 7.
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Aufsichtspflicht der Österreichischen Bischofskonferenz über die überdiözesanen Stellen in analoger Anwendung von canon 1276“. Nun haben die Darlegungen im vorangegangenen Abschnitt ergeben, dass den Bischofskonferenzen keine Aufsichtspflicht zukommt. C. 1276 CIC normiert die Aufsichtspflicht der Ordinarien über die Vermögensverwaltung der ihnen unterstellten öffentlichen juristischen Personen. Die Bischofskonferenz ist kein Ordinarius im Sinne des c. 134 § 1 CIC. Eine analoge Anwendung erscheint problematisch. Bischofskonferenzen besitzen nach c. 455 § 1 CIC Gesetzgebungskompetenz nur in den Angelegenheiten, in denen das allgemeine Recht oder eine besondere Anordnung des Apostolischen Stuhls es bestimmt. C. 1276 CIC verleiht aber nur den Ordinarien eine Regelungskompetenz. Ein Analogieschluss ist nur dann zulässig, wenn eine echte Gesetzeslücke besteht.93 Die Redaktionsgeschichte des c. 305 CIC hat aber gezeigt, dass der universalkirchliche Gesetzgeber den Bischofskonferenzen bewusst keine Aufsichtsbefugnisse über kanonische Vereine verleihen wollte und Aufsichtsbehörden auf der Ebene der Bischofskonferenzen ausdrücklich abgelehnt hat. Es liegt also keine planwidrige Lücke vor. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass sich c. 305 CIC nur auf Vereine bezieht, c. 1276 CIC aber auch auf andere juristische Personen, denn auch in Bezug auf die Stiftungen weisen die cc. 1301 § 2 und 1302 § 2 CIC Aufsichtsbefugnisse nur den Ordinarien zu. Dies scheint im Codex ein durchgängiges Prinzip zu sein. Außerdem bezieht sich c. 1276 CIC nur auf öffentliche juristische Personen des kanonischen Rechts. Die Kontrollstelle der ÖBK übt ihre Aufsicht aber über alle gesamtösterreichischen Einrichtungen der katholischen Kirche und sogar über rein zivile Rechtsträger aus. Auch diese Ausdehnung des Wortlauts bedürfte einer Rechtfertigung. Eine Möglichkeit bestünde darin, dass die jeweiligen Statuten Aufsichtsrechte für die Kontrollstelle vorsehen94 oder dass eine derartige Kontrolle bei der Vergabe von Subventionen vereinbart wird. Die Zweifel an der Rechtsgrundlage implizieren jedoch keineswegs Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer derartigen Kontrollstelle, wie bereits oben angeklungen ist. Es ist durchaus verständlich, dass sich die einzelnen Diözesanbischöfe, denen die Aufsicht eigentlich zukäme, zur Wahrnehmung dieser Aufgabe einer gemeinsamen Einrichtung bedienen wollen. Wird die Kontrollstelle als eine derartige Hilfseinrichtung für die einzelnen Bischöfe zur Unterstützung bei ihren Aufsichtspflichten verstanden, ist sie aus der Sicht des kodikarischen Rechts anders zu beurteilen.95 93 Vgl. Georg May/Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, S. 231. González legt dar, dass im Falle von c. 305 § 2 CIC keine unbeabsichtigte Lücke, sondern eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers vorliegt, vgl. González, Conferences (Anm. 82), S. 723. 94 Z. B. § 7 lit. a Statut Jungschar (Anm. 2). 95 Man könnte außerdem überlegen, ob der Bischofskonferenz nicht aus dem Titel der Leitung eine vergleichbare Kompetenz zukommen könnte. Unzweifelhaft besitzt sie hinsichtlich der Vermögensverwaltung nationaler öffentlicher Vereine die Oberleitung (c. 319 § 1 i.V.m. c. 312 § 1 8 2 CIC). Dazu zählt ausdrücklich auch die jährliche Rechnungslegung (vgl. Pree/Primetshofer, Vermögen [Anm. 12], S. 107). Bei privaten Vereinen sind Leitungsbefugnisse hinsichtlich der Vermögensverwaltung aus c. 325 CIC jedoch nur sehr begrenzt ableitbar
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Was das eingangs genannte Beispiel betrifft, so stellt der Kauf von Aktien als Kapitalanlage wegen des Kursrisikos ein veräußerungsähnliches Rechtsgeschäft dar,96 das der Genehmigung durch die kirchliche Autorität bedarf (c. 1295 i.V.m. c. 1291 CIC). Dies gilt jedoch nicht für private juristische Personen, die ja kein Kirchenvermögen besitzen, und noch weniger für nichtrechtsfähige private Vereine, die überhaupt nicht vermögensfähig sind. Die Statuten der Katholischen Jungschar Österreichs enthalten jedoch verschiedene Einwirkungsrechte für die kirchliche Autorität. So geht aus § 7 lit. a hervor, dass eine Rechnungsprüfung durch die Kontrollstelle der ÖBK vorgesehen ist. Nach den Ethikrichtlinien97 dieser Kontrollstelle ist eine Kapitalanlage in Aktien möglich, solange diese nicht mit ethisch verwerflichen Praktiken verbunden sind. Nach dem erwähnten Anlassfall verabschiedete die ÖBK Finanzrichtlinien98 für Organisationen, die Spenden sammeln. Nr. 5.1 bestimmt nun, dass die Geldanlage nur wenig riskant sein darf. Fondsanlagen dürfen nicht mehr als 30 % ausmachen und davon dürfen wiederum nicht mehr als 30 % in Aktien bestehen (Nr. 5.2.1). Mit den Finanzrichtlinien wählte die ÖBK das Instrument einer generellen Rechtsnorm, das im folgenden Abschnitt noch näher zu untersuchen ist.
V. Schaffung genereller Rechtsnormen Im vorangegangenen Abschnitt zeigte sich, dass der CIC/1983 der kirchlichen Autorität nur begrenzte Instrumente zur Verfügung stellt, um in Einzelfällen auf karitative Organisationen einzuwirken. Vor allem ist die Vorgangsweise in Einzelfällen nicht dazu geeignet, um eine grundsätzliche Umgestaltung der rechtlichen Struktur des karitativen Sektors vorzunehmen, die von manchen kirchlichen Autoritäten eventuell gewünscht wird. Als Alternative bietet sich die Schaffung genereller Rechtsnormen, insbesondere von Gesetzen an.
(vgl. ebd., S. 108). Weitere Vorschläge für Maßnahmen der Bischofskonferenz aus dem Titel der Leitung bringt González, Conferences (Anm. 82), S. 724 f. Außerdem weist er auf die Notwendigkeit hin, dass sich die Bischöfe, denen die Aufsichtskompetenz zukommt, im Falle eines nationalen Vereins koordinieren und dass ihnen dazu die Möglichkeit des c. 455 § 4 CIC zur Verfügung steht, einen einstimmigen Beschluss zu fassen (ebd., S. 728). Dieser Vorschlag ist nicht weit entfernt von der oben angestellten Überlegung einer gemeinsamen Hilfseinrichtung für die einzelnen Bischöfe. 96 Vgl. Hans Heimerl/Helmuth Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, Rdnr. 4/51. 97 ÖBK, Kontrollstelle, Ethik-Richtlinien. Ziel-, Kriterienkatalog (undatiert), at: http:// www.bischofskonferenz.at/site/article_list.siteswift?SWS=58bbd1c72956388f55701043b342f ba1&so=all&do=all&c=download&d=article%3 A329 %3 A1 [28. 2. 2015]. 98 ÖBK, Finanzrichtlinien, in: ABl. ÖBK 2011/55/II.1, S. 5 – 10.
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1. Ebene der Diözese Auf der Ebene der Diözese ist der Diözesanbischof der Träger der Gesetzgebungsbefugnis (c. 391 CIC), die in sachlicher Hinsicht prinzipiell umfassend ist (c. 381 CIC). Der Diözesanbischof kann daher Gesetze auch zur Regelung des karitativen Sektors erlassen.99 In jenen Punkten, die der universalkirchliche Gesetzgeber offen gelassen hat, bleibt ohnehin nur dieser Weg.100 Das PCLT hat in seiner Funktion als Normenkontrollorgan (Art. 158 PastBon) festgestellt, dass ein Diözesanbischof befugt ist, ein Gesetz zu erlassen, an das ein Diözesancaritasverband gebunden ist.101 Das gilt selbst dann, wenn der Caritasverband nicht den Status einer öffentlichen juristischen Person des kanonischen Rechts hat.102 Eine besondere Regelungskompetenz für die kirchliche Vermögensverwaltung verleiht c. 1276 § 2 CIC. Sie ist für karitative Organisationen dann relevant, wenn sie als öffentliche juristische Personen kirchliche Güter besitzen. Diese Kompetenz kommt nicht nur dem Diözesanbischof, sondern allen Ordinarien zu. Die Gesetzgebungsbefugnis des Diözesanbischofs ist jedoch nicht unbegrenzt. So ist er an das übergeordnete Recht gebunden, wie es z. B. im CIC enthalten ist und im vorangegangen Abschnitt dargestellt wurde. Außerdem darf auch das Partikularrecht die Grundrechte, auf denen die Autonomie beruht, nicht verletzen oder gar die konstitutiven Elemente der Vereine und Stiftungen aushöhlen. In praktischer Hinsicht erscheint für nationale Organisationen die Normsetzung durch die Bischofskonferenz zweckmäßiger und selbst bei diözesanen Organisationen könnten die Bischöfe es bevorzugen, gemeinsam eine einheitliche Regelung auf der Ebene der Bischofskonferenz zu schaffen. 2. Ebene der Bischofskonferenz Abgesehen von der Möglichkeit, dass alle Bischöfe als Einzelne einen einstimmigen Beschluss fassen (c. 455 § 4 CIC), besitzt die Bischofskonferenz nur in jenen Angelegenheiten Gesetzgebungsbefugnis, in denen das allgemeine Recht oder eine besondere Anordnung dies bestimmen (c. 455 § 1 CIC). Was den karitativen Bereich betrifft, verleiht der CIC den Bischofskonferenzen kaum Legislativgewalt. Zu erwähnen ist aber die Kompetenzgrundlage des c. 1265 § 2 CIC, wonach die Bischofskonferenz Normen für Spendensammlungen erlassen kann. Die ÖBK hat 99
Die Mitglieder von kanonischen Vereinen und Lebensverbänden sind hinsichtlich ihres Apostolates an die bischöflichen Gesetze rückgebunden, vgl. Amann, Lebensverbände (Anm. 30), S. 49. 100 Z. B. wenn der nähere Inhalt der Aufsicht im universalkirchlichen Recht nicht geregelt ist, vgl. Pree, Aufsicht (Anm. 37), S. 168. 101 PCLT, Dekret zur Augsburger AK-Ordnung (13. 9. 2010), in: ZMV 30 (2010), S. 309 – 310 [Auszug], Nr. 3.1. 102 Joachim Eder, Päpstliche Kommission zur „Augsburger AK-Ordnung“, in: ZMV 30 (2010) S. 309 – 311, hier S. 310.
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davon mehrmals Gebrauch gemacht.103 2003 erließ sie in einem allgemeinen Dekret Vorschriften über die Zweckbindung der Erträgnisse, den Höchstanteil für den Personal- und Sachaufwand sowie die Vorlage des Rechenschaftsberichts.104 Im Jahr 2011 erließ sie die schon erwähnten, umfangreichen Finanzrichtlinien, die sie auf c. 1265 § 2 CIC stützte.105 Laut Vorbemerkung gelten sie für Organisationen, über welche die Bischofskonferenz die Aufsichtspflicht innehat. Die Fußnote verweist dazu auf c. 325 CIC. Für Hilfswerke auf Diözesanebene wird die Anwendung der Richtlinien „empfohlen“ (Nr. 5.4). Inhaltlich geht es in diesen Richtlinien um Bewerbung und Verwendung von Spenden, vor allem aber um die Bilanzierung, den Jahresabschluss und Anlagerichtlinien. Die Angaben über die Geltung der Finanzrichtlinie werfen Fragen auf. Wie bereits ausgeführt, kommt der Bischofskonferenz keine Aufsichtspflicht zu. C. 325 CIC bezieht sich nur auf private kanonische Vereine, doch soll die Finanzrichtlinie offensichtlich auch für andere Organisationen gelten. C. 325 § 2 bezieht sich zwar auf Schenkungen zu frommen Zwecken, als die man Spenden auffassen kann, doch spricht er die Aufsicht darüber dem Ortsordinarius und nicht der Bischofskonferenz zu. Überhaupt erscheint die Erwähnung weiterer Kompetenzgrundlagen unnötig, weil c. 1265 § 2 CIC ausreicht. Aufgrund dieser Bestimmung kann die Bischofskonferenz Normen erlassen, die „von allen beachtet werden müssen“, d. h. von allen Normadressaten im Territorium der Bischofskonferenz.106 Das bedeutet, dass es weder auf die Rechtsform107 ankommt noch darauf, ob es sich um eine diözesane oder um eine nationale Organisation handelt. Die ÖBK hätte also die Kompetenz gehabt, die Finanzrichtlinie auch für die diözesanen Hilfswerke verbindlich zu machen, aber es steht ihr natürlich frei, sich auf die nationalen zu beschränken. Eine andere Frage ist hingegen, wie weit die Kompetenzgrundlage des c. 1265 § 2 CIC in sachlicher Hinsicht reicht.108 Erfasst sie nur die Durchführung von Spendensammlungen oder auch die Veranlagung von Vermögen und die Kontrolle der Bischofskonferenz darüber?
103 Im vorliegenden Zusammenhang sind ohne Relevanz: Dekret über Sammelaktionen (Spendensammlungen) außerhalb der Diözese (1265 § 2), in: ABl. ÖBK 1984/1/13, S. 7 und Karfreitagssammlung für das Heilige Land, in: ABl. ÖBK 2002/34/II.1, S. 5. 104 Decretum Generale über das Spendenwesen, in: ABl. ÖBK 2003/35/II.2., S. 12 – 14. 105 Finanzrichtlinien (Anm. 98). 106 Vgl. Rüdiger Althaus, c. 1265, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: November 2000). 107 Nach Tirapu sind sowohl physische als auch juristische, öffentliche wie private Personen erfasst: Daniel Tirapu, c. 1265, S. 63, in: Exegetical Commentary (Anm. 40). In c. 7 § 2 Schema IurPatr beschränkte sich die Kompetenzgrundlage auf Spenden sammelnde Institute des geweihten Lebens. Diese Einschränkung wurde bei der Codexreform fallen gelassen (Communicationes 12 [1980], S. 404). 108 Nach Heimerl/Pree (Handbuch [Anm. 96], Rdn.r 2/331) kann die Bischofskonferenz Beschränkungen z. B. in territorialer Hinsicht oder bezüglich Form und Zahl der Sammlungen auferlegen. Nach Aymans/Müller (KanR, Bd. IV, S. 22) erstreckt sich die Kompetenz auf die „Ordnung des gesamten kirchlichen Sammelwesens“.
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3. Begrenzte Anwendbarkeit der hoheitlichen Instrumente Wie sich zeigt, sind die Instrumente, die der kirchlichen Autorität durch Aufsicht und Leitung im Einzelfall bzw. durch die Schaffung genereller Rechtsnormen zur Verfügung stehen, begrenzt. Dieses Ergebnis ist keineswegs als Versäumnis des kirchlichen Gesetzgebers zu werten. Vielmehr ist es ein Beweis dafür, dass der CIC/1983 die Autonomie der Vereine und Stiftungen wirklich achtet, ohne sie zur beliebig formbaren Hausmacht der kirchlichen Autorität zu machen. Das Gesetzbuch balanciert das Verhältnis zwischen Autorität und Autonomie je nach Rechtsform unterschiedlich aus. Am größten ist die Autonomie bei den privaten Vereinen ohne Rechtspersönlichkeit, am geringsten bei den öffentlichen Vereinen, doch selbst bei diesen ist die Vereinsfreiheit nicht aufgehoben.109 In diesem Sinne wird das Verhältnis zwischen den Vereinen und der kirchlicher Hierarchie als Bipolarität110 oder als Dialog beschrieben, in dem der Verein die Gemeinschaft mit der Kirche schuldet, die Hierarchie aber den Dienst.111 Die bisher betrachteten Einwirkungsmöglichkeiten sind „harte“ Instrumente, mit denen die Autorität Maßnahmen gegen den Willen der betreffenden Organisationen setzen kann. Es stellt sich aber die Frage, ob es im Sinne des genannten Dialogs zudem „weiche“ Methoden der Steuerung gibt, die Organisationen durch verschiedene Anreize dazu motivieren, sich auf freiwilliger Basis an bestimmte Regelungen zu binden. Möglicherweise sind sie sogar wirksamer, um die Ziele der kirchlichen Autorität zu erreichen.
VI. Weiche Methoden der Steuerung 1. Subventionen und andere Unterstützungen Manche karitative Organisationen nehmen kirchenamtliche Unterstützung in ideeller, personeller oder materieller Hinsicht in Anspruch.112 Die Zuteilung solcher Unterstützungen kann an die Erfüllung von Auflagen, insbesondere an statutarische Anpassungen, geknüpft werden.113 Die Organisation kann frei entscheiden, ob sie diese Anpassungen durchführt oder auf die Unterstützung verzichtet. In manchen Fällen gewährt die Kirche keine direkte Subvention, räumt aber die Möglichkeit ein, im
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Viana, norma (Anm. 41), S. 297. Vgl. José Martín de Agar, Gerarchia e associazioni, in: Das konsoziative Element (Anm. 18), S. 303 – 311, hier S. 308. 111 Vgl. Fuentes, c. 323 (Anm. 90), S. 542. 112 Beispiele: Horizont3000 wird unter anderem durch Förderungen und Zuwendungen kirchlicher Stellen finanziert (§ 4 Abs. 1 Statut [Anm. 21]). Ebenso Jugend Eine Welt – Don Bosco Aktion Austria (§ 3 Abs. 2 Statut [Anm. 21]). 113 Vgl. Aymans/Mörsdorf, KanR, Bd. II, S. 522. 110
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kirchlichen Bereich Spenden zu sammeln (vgl. 1265 § 1 CIC).114 Das ist ein Vorteil für die betreffende Organisation, der ebenfalls an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden kann. Die Anbindung an die Kirche kann außerdem immaterielle Vorteile bringen. Zum Beispiel erfahren Entwicklungshilfeeinrichtungen durch diese Anbindung eine Stärkung gegenüber der staatlichen Macht und profitieren vom internationalen Einfluss des Heiligen Stuhls.115 2. Serviceeinrichtungen Die kirchliche Autorität kann Serviceeinrichtungen schaffen, um den karitativen Organisationen begehrenswerte Dienstleistungen anzubieten, die aber wiederum an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind. Ein Beispiel hierfür ist die „Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission“ (KOO).116 Sie bietet ihren Mitgliedsorganisationen unter anderem Information, Beratung, Bereitstellung von Arbeitsstrukturen, gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Förderung von Kooperationen und Nutzung von Synergien. Im Gegenzug verpflichten sich die Mitgliedsorganisationen auf die Einhaltung der KOO-Leitlinien117, welche die Grundsätze der katholischen Soziallehre und die Verpflichtung zu einer integralen Evangelisierung ebenso enthält wie entwicklungspolitische Leitgedanken und konkrete Arbeitsmethoden. So koordiniert und kontrolliert118 die KOO die kirchlichen Organisationen, die im betreffenden Sektor tätig sind. Da die Mitgliedschaft freiwillig ist,119 kommt es auf die hoheitliche Kompetenzverteilung ebenso wenig an wie auf die Rechtsform der Organisationen.120 Ein weiteres Beispiel ist das österreichische Spendengütesiegel. Es beruht auf einem Kooperationsvertrag zwischen der Kammer der Wirtschaftstreuhänder einer-
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Beispiele: Fastenaktion der Diözese St. Pölten: „Sammlungen“ (§ 3 Z. 2 Statut [Anm. 20]); Missions-Verkehrs-Arbeitsgemeinschaft: „Kirchensammlungen“ (Art. III.1 Statut [Anm. 20]). Vgl. Otto Luchterhand, Kirchliches Sammlungswesen, in: HdbStKirchR2, Bd. 2, S. 315 – 336, hier S. 334. 115 Johannes Falterbaum, Entwicklungshilfe im nationalen und internationalen Recht. Eine Darstellung ausgehend von christlichen Einrichtungen der Entwicklungsförderung, Würzburg 1995, S. 90 f. 116 Statuten (6. 11. 1997), in: ABl. ÖBK 1997/21/II.7, S. 17 – 22. 117 KOO-Leitlinien (Juli 1997), at: http://www.koo.at/index.php?id=21 [28. 2. 2015]. 118 Vgl. Nr. 1.2.1 und 1.2.4 der Statuten [Anm. 116]. 119 Nr. 3.4.1 der Statuten [Anm. 116] hält nur fest, dass die Einrichtungen, die den Kriterien entsprechen, Mitglieder sein „sollen“. 120 Nach Nr. 3.4.1 der Statuten [Anm. 116] genügt es, wenn die Mitglieder eine juristische Person sind oder eine Fachabteilung einer kirchlichen Rechtspersönlichkeit mit der Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts (vgl. Konkordat!). Dabei ist es „gleichgültig, ob sie der Vigilanz der Österreichischen Bischofskonferenz oder eines Diözesanbischofs unterliegen oder nicht“.
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seits und den Dachverbänden von Non-Profit-Organisationen andererseits.121 Obwohl es keine rein kirchliche Einrichtung ist, sind einige der tragenden Dachverbände eindeutig kirchlich. Um das Siegel zu erlangen, müssen die Organisationen bestimmte Standards bei der Aufbringung und Verwaltung von Spendengeldern erfüllen. Das signalisiert potentiellen Spendern eine besondere Vertrauenswürdigkeit und verschafft der Organisation einen Vorteil im Wettbewerb um Spender.122 Wenngleich es in diesem Beispiel nicht um Kriterien der Kirchlichkeit geht, wäre doch auch eine rein kirchliche Qualitätsauszeichnung denkbar, zumal der Kirche nach wie vor eine hohe Kompetenz im karitativen Bereich zugesprochen wird. Die Verleihung des Prädikats „katholisch“ gemäß c. 300 CIC weist in diese Richtung.
VII. Rechtslage nach Intima Ecclesiae natura Die Verabschiedung eines generellen Gesetzes wurde inzwischen vom Papst bewerkstelligt. Er ist dabei weder an Kompetenzabgrenzungen noch an die Vorgaben des universalen Kirchenrechts gebunden, weil er die umfassende Gesetzgebungsgewalt in der Kirche besitzt und auch universales Kirchenrecht ändern kann. Es handelt sich um das MP IEN von Benedikt XVI. Er wollte damit eine Gesetzeslücke schließen, die daraus entstanden war, dass der CIC/1983 die karitative Arbeit nicht ausdrücklich als eigenen Sektor des bischöflichen Wirkens behandelt hatte.123 Im Folgenden wird nun geprüft, ob IEN das Verhältnis zwischen Autorität und Autonomie gegenüber der bisherigen Rechtslage verändert hat. 1. Ausdehnung des Anwendungsbereichs Welche Subjekte zur Beachtung der Bestimmungen von IEN gehalten sind, sagt Art. 1. Nach § 1 sind es jene Unternehmungen, die auf das ius associandi und das ius instituta creandi der Gläubigen zurückgehen. Es handelt sich folglich um „Vereine“ 121
Kooperationsvertrag über die Vergabe eines Spendengütesiegels für Spenden sammelnde Non Profit Organisationen (1. 5. 2014), at: http://www.osgs.at/sites/default/files/ downloads/KoopV%202013 %20 gültig%20ab%2001. 05. 2014_0.pdf [28. 2. 2015]. 122 Der eingangs erwähnte Fall bezüglich der Dreikönigsaktion beschäftigte in Österreich auch die Politik. Er war nämlich Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage. Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz beantwortete sie dahingehend, dass Nichtregierungsorganisationen des Privatrechts nicht seiner Kontrolle unterstehen, dass er aber auf eine Erhöhung der Standards des Spendengütesiegels hinwirken werde: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Anfragebeantwortung (21. 3. 2011), 7385/ AB XXIV. GP. 123 Benedikt XVI., Litterae encyclicae: Deus Caritas est. De christiano amore (25. 12. 2005), in: AAS 98 (2006) 217 – 252; dt. in: VApSt 171, Art. 31. Vgl. dazu Carlo Redaelli, Diritto canonico, carità e i tria munera, in: QDE 24 (2011), S. 8 – 34, hier S. 8 f.; Matteo Visioli, La carità quale principio costitutivo del diritto ecclesiale, in: QDE 24 (2011), S. 35 – 50, hier S. 46.
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und „Institute“. In § 2 kommen die opera fundata, also die Stiftungen hinzu. § 4 erwähnt noch einmal die „Institute“ und „Stiftungen“. Während „Vereine“ und „Stiftungen“ in diesem Zusammenhang hinreichend klare Begriffe sind, wirft der Ausdruck „instituta“ Fragen auf und unter den veröffentlichten Lehrmeinungen zeichnet sich noch keine Konvergenz ab.124 Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber damit die instituta des c. 1489 CIC/1917 wieder aufgreifen möchte, denn dabei handelt es sich um Sachgesamtheiten, die den Stiftungen ähnlicher sind und deren Regelung daher eher in § 2 zu erwarten gewesen wäre. Der CIC/1983 verwendet „instituta“ sehr häufig und in verschiedenen Bedeutungen, vor allem aber für die Religioseninstitute.125 Daneben dient der Begriff aber auch dazu, Einrichtungen unterschiedlicher Art zusammenzufassen, wenn es nicht auf einen bestimmten Rechtstypus ankommt.126 So wird er etwa für die Einrichtungen der Römischen Kurie (cc. 334 und 361) verwendet oder für die Einrichtung zum Unterhalt der Kleriker (c. 1274). Im Zusammenhang mit der Aufsicht über karitative Organisationen sind vor allem die cc. 397 § 1 und 1265 CIC relevant. Zu c. 397 § 1 CIC wurde bereits oben bemerkt, dass sich der Begriff „instituta“ auf Einrichtungen unabhängig von einer kanonischen Rechtsform und Rechtspersönlichkeit bezieht. In c. 1265 § 1 CIC dient der Ausdruck zur Abgrenzung der Frage, wann eine Organisation in den kanonischen Rechtsbereich eintritt und daher einer Genehmigung für das Sammeln von Spenden bedarf.127 Davon können auch juristische Personen des Zivilrechts erfasst sein, die kirchliche Zwecke verfolgen.128 Zwischen c. 1265 und Art. 1 IEN besteht in zweifacher Hinsicht eine Ähnlichkeit. Erstens sind karitative Organisationen in der Regel Spenden sammelnde Organisationen. Zweitens geht es in beiden Bestimmungen um Einwirkungsbefugnisse der kirchlichen Autorität über solche Organisationen. Daher ist anzunehmen, dass „instituta“ auch in IEN ein sehr allgemeiner, weiter Begriff ist, der Einrichtungen unterschiedlicher Art umfassen soll, ohne sich auf eine bestimmte
124 Catozzella ist sich unschlüssig, ob der Begriff ein Synonym für die Vereine darstellt, ob er alle Organisationen bezeichnet, die keine Stiftungen sind oder ob er überhaupt ein tertium quid mit nur analogen Eigenschaften gegenüber den Vereinigungen bezeichnet, vgl. Francesco Catozzella, Una prima lettura del m.p. „Intima Ecclesiae Natura“ sul servizio della carità, in: Apollinaris 86 (2013), S. 99 – 123, hier S. 108. Rhode zufolge soll der Begriff keine neue Rechtsform bezeichnen, denn dazu wären deutlichere Erläuterungen zu erwarten gewesen, vgl. Ulrich Rhode, Das Motu Proprio Intima Ecclesiae natura über den Dienst der Nächstenliebe, in: KuR 230 (2013), S. 107 – 122, hier S. 112. 125 Vgl. Xaverius Ochoa,, Index verborum ac locutionum codicis iuris canonici, Roma 2 1984, S. 211 – 214. 126 Mörsdorf stellte schon hinsichtlich des Gebrauchs von „institutum“ in c. 1503 CIC/1917 fest, dass es weder auf die kirchliche Rechtsfähigkeit noch auf die Eingliederung in eine kirchliche Rechtsperson ankommt (Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Iuris Canonici. Eine kritische Untersuchung, Paderborn 21967, S. 277). 127 Vgl. Althaus, c. 1265, Rdnr. 2 (Anm. 106). 128 Althaus nennt den Deutschen Caritasverband (ebd., Rdnr. 6).
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Rechtsform festzulegen.129 Er kann auch die Institute des c. 1489 CIC/1971 oder Vereine umfassen – wofür die Nähe zum ius associandi in Art. 1 § 1 IEN spricht130 –, doch er beschränkt sich nicht auf diese. „Instituta“ ist der Leitbegriff in IEN. Der Gesetzgeber hat damit einen weiten Begriff gefunden, der möglichst alle karitativen Organisationen umfassen soll.131 Gestützt wird diese Interpretation durch die Einleitung von IEN, die verschiedene Kategorien karitativer Organisationen erwähnt, ohne auf bestimmte Rechtsformen abzustellen.132 Der Gesetzgeber ist sich in der Einleitung vielmehr bewusst, dass die organisierten Initiativen in ihrer Rechtsform sehr verschieden sind, möchte sie aber alle unter eine angemessene Regelung stellen. Die deutsche Übersetzung auf der Internetseite des Vatikans133 verwendet dafür das Wort „Organisationen“. Dieses hat im Deutschen ebenfalls die Funktion, verschiedenste Arten von Zusammenschlüssen zu bezeichnen, die einheitlich aufgebaut sind und bestimmte Ziele verfolgen. Aus demselben Grund wurde für den vorliegenden Aufsatz der Ausdruck „Organisationen“ gewählt. Damit nun eine Organisation in den Anwendungsbereich von IEN fällt, muss eines von drei Kriterien erfüllt sein:134 Sie muss mit dem karitativen Wirken der Hirten der Kirche verbunden sein oder beabsichtigen, die Unterstützung der Gläubigen zu beanspruchen, oder von einem kanonischen Lebensverband errichtet worden sein.135 Mit diesen Kriterien wird sichergestellt, dass nur solche karitativen Organisationen in den Anwendungsbereich von IEN fallen, die im festgelegten Sinn einen Bezug zur Kirche haben. Das zweite Kriterium, das vom Wortlaut her sehr weit und 129 Im Ergebnis stellt auch Rhode fest, dass der Geltungsbereich des MP von der Rechtsform der verschiedenen karitativen Organisationen unabhängig ist (Rhode, Motu Proprio [Anm. 124], S. 113). 130 Rhode schließt daraus, dass es gerade die instituta sind, die aus dem Vereinigungswillen der Gläubigen hervorgehen (ebd., S. 112). Das ius associandi umfasst aber mehr als nur die kanonischen Vereine. 131 Noch allgemeiner ist der Begriff der „incepta“, der in IEN ebenfalls häufig vorkommt, auf c. 216 CIC zurückgeht und im Deutschen mit „Unternehmungen“ wiedergegeben wird. Während „instituta“ eine – wenngleich beliebige – Rechtsform und damit Dauercharakter voraussetzen, weil hier irgendetwas „eingerichtet“ worden sein muss, umfassen die incepta außerdem schlichte und selbst einmalige karitative Tätigkeiten. 132 Auch Catozzella zieht die drei Kategorien der Einleitung heran, um Art. 1 besser zu verstehen, und schließt daraus, dass sich das MP jedenfalls auf die Diözesancaritas beziehen muss, gleich welche Rechtsform sie in den verschiedenen Ländern annimmt (Catozzella, lettura [Anm. 124], S. 110 f.). 133 At: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/motu_proprio/documents/hf_ben-xvi_ motu-proprio_20121111_caritas.html [28. 2. 2015]; ebenso die deutsche Übersetzung in VApSt 195. 134 Vgl. Rhode, Motu Proprio (Anm. 124), 110. Die ersten beiden Kriterien werden in Art. 1 § 1 IEN genannt. Hinsichtlich der Stiftungen verweist § 2 auf § 1 zurück. Das dritte Kriterium wird in Art. 1 § 4 genannt. Es bezieht sich direkt auf Organisationen und Stiftungen. 135 Rhode (Motu Proprio [Anm. 124], 112) zufolge wird man beim dritten Kriterium vom Sinn her nicht nur an einen einmaligen historischen Errichtungsakt denken, sondern auch eine bleibende Verantwortung der Ordensgemeinschaft für die Organisation voraussetzen müssen.
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vage formuliert ist, muss restriktiv interpretiert werden.136 Viele Organisationen, die keinen Bezug zur Kirche haben, werden von Gläubigen z. B. durch Spenden unterstützt. Dies kann jedoch nicht genügen, um den Vorschriften von IEN unterworfen zu sein. Vom Sinn der Formulierung her wird es darum gehen, ob eine Organisation in einem kirchlichen Rahmen um die Unterstützung der Gläubigen nachsucht wie etwa bei kirchlichen Veranstaltungen, in kirchlichen Gebäuden oder in kirchlichen Medien.137 Diese restriktive Interpretation ist durch c. 18 CIC geboten, weil die Unterwerfung unter IEN die freie Ausübung von Rechten beschränkt und Verpflichtungen auferlegt. Uneinigkeit besteht bislang in der Frage, ob auch Organisationen, die keine kanonische, sondern nur eine zivile Rechtspersönlichkeit besitzen, in den Anwendungsbereich von IEN fallen können.138 Wenngleich es auf den ersten Blick verwundern mag, wird man diese Frage mit Pree139 bejahen, sofern die betreffenden Organisationen eines der drei Kriterien erfüllen. Ziel des Gesetzgebers war es offensichtlich, die karitativen Organisationen, die einen Bezug zur Kirche haben, umfassend und einheitlich zu regeln. Viele der in der Einleitung zu IEN genannten Organisationen haben nur eine zivile, aber keine kanonische Rechtspersönlichkeit. Dies trifft in einigen Ländern sogar auf die offizielle kirchliche Caritas zu.140 Aus der Einleitung zu IEN ist aber zu schließen, dass auch diese Organisationen in den Anwendungsbereich fallen sollen. Ein kirchliches Gesetz über die karitativen Organisationen wäre unvollständig, wenn es diese Hauptträger des diakonischen Wirkens der Kirche nicht erfassen würde. Wohl wurde auch der sehr weite Begriff „instituta“ mit Bedacht gewählt, um derartige Organisationen nicht auszuschließen. Schließlich wendet IEN an mehreren Stellen dem Zivilrecht eine große Aufmerksamkeit zu. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass die kirchliche und die staatliche Rechtsordnung getrennt sind und die Kirche daher keine Gesetzgebungskompetenz für zivile juristische Personen besitzt. IEN bezieht sich ja nicht auf jegliche zivile 136 Pree empfiehlt wegen der Auslegungsprobleme eine Klärung durch eine Instruktion, vgl. Helmuth Pree, Impostazione giuridca del servizio della carità, in: PontConsCor (Hrsg.), Il Servizio della Carità: Corresponsabilità & Organizzazione (Atti della giornata di studio sul Motu Proprio Intima Ecclesiae Natura, 13 dicembre 2013), Città del Vaticano 2014, S. 45 – 80, hier S. 49. 137 Rhode, Motu Proprio (Anm. 124), 111. 138 Eher ablehnend: Luis Navarro, Diritti dei fedeli e servizio della carità „organizzato“, in: Il Servizio della Carità (Anm. 136), S. 81 – 112, hier S. 107; Giuseppe Dalla Torre, L’organizzazione della carità, in: Il Servizio della Carità (Anm. 136), S. 169 – 192, S. 182. 139 Pree, Impostazione (Anm. 136), S. 51. Ihm folgend: Giampietro Dal Toso, Il Motu Proprio Intima Ecclesiae natura: ragioni teologiche e canoniche, in: Il Servizio della Carità (Anm. 136), S. 273 – 294, hier S. 288. 140 Z. B. ist der Deutsche Caritasverband ein eingetragener Verein nach Zivilrecht ohne kanonische Rechtspersönlichkeit. „Secours catholique“ in Frankreich ist ein rein ziviler Verein, dessen Statuten nur wenige Bezüge zur katholischen Kirche aufweisen, vgl. Gianpaolo Montini, Il caso Caritas. Nota sulla sua collocazione giuridica nella Chiesa, in: QDE 17 (2004), S. 41 – 51, hier S. 44.
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juristische Personen, sondern nur auf jene, die aufgrund eines der drei Kriterien einen Bezug zur katholischen Kirche haben.141 Dieser Bezug aber genügt, um die Kompetenz des kirchlichen Gesetzgebers zu begründen.142 Indem sie diesen Bezug herstellen, unterstellen sie sich gleichsam selbst der Ordnung von IEN. Wenn eine Organisation die Verwirklichung der christlichen Nächstenliebe zum Ziel hat und dazu in einer Verbindung mit der katholischen Kirche steht, ist der Geltungsbereich des katholischen Kirchenrechts in sachlicher Hinsicht auf jeden Fall gegeben. Aus ähnlichen Gründen unterstehen etwa auch Nichtchristen dem katholischen Kirchenrecht, wenn sie wie z. B. durch eine religionsverschiedene Ehe einen Bezug zur kirchlichen Rechtsordnung haben. Die Autonomie in zeitlichen Dingen gemäß c. 227 CIC ist dadurch nicht verletzt, denn es steht den Gläubigen weiterhin frei, rein zivile wohltätige Organisationen zu gründen, die nicht in den Anwendungsbereich von IEN fallen.143 Dies ist dann der Fall, wenn die Organisation nicht mit der kirchlichen Hierarchie in Verbindung steht, keine Unterstützung in Anspruch nimmt und nicht von einem kanonischen Lebensverband errichtet wurde. Im Vergleich zum CIC/1983 sind somit zwei wesentliche Veränderungen im Anwendungsbereich festzustellen. Erstens erstreckt sich IEN unterschiedslos auch auf nichtkanonische juristische Personen, sobald sie eines der drei Kriterien erfüllen. Zweitens macht IEN auch innerhalb der kanonischen Rechtsformen keine Unterschiede, sondern unterstellt – abgesehen von den ausdrücklichen Ausnahmen144 – alle denselben Vorschiften. Damit wird aber die abgestufte Regelung des CIC eingeebnet, die verschiedene Mischungsverhältnisse von Autorität und Autonomie vorsah, je nach dem, ob Rechtsfähigkeit und öffentlicher Status gegeben sind oder nicht. Bei der CIC-Reform wurde bewusst der Weg gewählt, die Arten von Vereinen nach ihrer formalen Beziehung zur Hierarchie zu untergliedern anstatt nach ihrem Zweck.145 IEN kehrt nun zu der Methode zurück, den Anwendungsbereich nach dem Zweck einer Organisation, nämlich dem karitativen Wirken, zu bestimmen und nicht nach ihrem formalen Status gegenüber der Hierarchie. Damit wird zumindest für den karitativen Bereich der Mangel des CIC behoben, der darin bestand, dass er zwar die Vereine detailliert geregelt hat, die Stiftungen aber nur knapp und andere Rechtsformen wie die Anstalten gar nicht in den Blick nahm. Der Vergleich mit dem österreichischen Partikularrecht zeigt eine überraschende Parallele hinsichtlich des Anwendungsbereichs, denn auch die Kontrollstelle der ÖBK beansprucht Zuständigkeit nicht nur über alle gesamtösterreichischen Einrichtungen der katholischen Kirche unabhängig von ihrer Rechtsform, sondern auch über 141
Vgl. Pree, Impostazione (Anm. 136), S. 49. Vgl. Juan Ignacio Arrieta, Tra responsabilità e servizio, in: OssRom 2. 12. 2012, S. 9. 143 Vgl. Navarro, Diritti (Anm. 138), S. 92. 144 Eine Ausnahme ist beispielsweise Art. 10 § 1 IEN. Da er von „Kirchengütern“ spricht, kann er sich gemäß c. 1257 CIC nur auf öffentliche juristische Personen des Kirchenrechts beziehen. 145 Communicationes 2 (1970), S. 97. 142
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die Rechtsträger des staatlichen Rechts, sofern sie Subventionsempfänger der ÖBK sind. Im Begriff der gesamtösterreichischen „Einrichtungen“ klingen die „instituta“ von IEN an und das Kriterium des Empfangs von Subventionen erinnert an das zweite Kriterium von IEN, nämlich die Unterstützung durch die Gläubigen. Die Formulierung dieses Kriteriums erscheint in der österreichischen Regelung aber besser geglückt, weil es nicht zu weit gefasst ist und auf die Subventionen durch die ÖBK abstellt anstatt auf die vage Unterstützung durch die Gläubigen, die nicht in jedem Fall eine kirchliche Zuständigkeit begründen kann. Da die Geschäftsordnung der Kontrollstelle um siebzehn Jahre älter ist als IEN, entsteht der Eindruck, dass die ÖBK dem gesamtkirchlichen Gesetzgeber zuvorgekommen ist. Wahrscheinlich haben die gleichen Überlegungen zu diesen ähnlichen Regelungen geführt. In der Praxis kommt es nämlich vor, dass nicht immer die passende Rechtsform gewählt wird, doch ist für den gesamten Sektor eine einheitliche Regelung notwendig, der eine Organisation durch die Wahl einer bestimmten Rechtsform nicht entgehen kann. So wird ausgeschlossen, dass eine Organisation durch ihr Wirken im kirchlichen Bereich zwar die Vorteile desselben begehrt, ohne sich aber der kirchlichen Kontrolle zu unterstellen. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind nur Organisationen, die keinen Bezug zur Kirche haben. Bei ihnen besteht keine Gefahr, dass die Kirche in der Öffentlichkeit Schaden nimmt, wenn sie sich ungehörig verhalten. 2. Auferlegung einer bestimmten Rechtsform? Einerseits gilt IEN für alle Rechtsformen, aber andererseits stellt sich die Frage, ob das MP nicht doch eine bestimmte Rechtsform nahelegt oder sogar auferlegt. Die Organisationen, welche die Kriterien des Art. 1 § 1 IEN erfüllen, werden durch dieselbe Bestimmung nämlich verpflichtet, ihre Statuten der zuständigen kirchlichen Autorität zur Approbation vorzulegen. Die Approbation ist aber der kanonistische Fachbegriff für die Genehmigung der Statuten öffentlicher kanonischer Vereine. Bedeutet diese Vorschrift also, dass alle karitativen Organisationen die Rechtsform eines öffentlichen kanonischen Vereins mit kanonischer Rechtspersönlichkeit annehmen müssen?146 Ein Motiv für eine solche Anordnung könnte darin liegen, dass karitative Organisationen, weil sie materielle Hilfe leisten, über ein beträchtliches Vermögen verfügen und dieses den Regelungen über die Kirchengüter unterworfen werden sollte. Die Auferlegung dieser Rechtsform käme aber einem massiven Eingriff in die Autonomie gleich, weil damit stärkere Einwirkungsbefugnisse der kirchlichen
146 Nach Catozzella wird hier eine Genehmigung verlangt, die nach c. 322 CIC Voraussetzung für den Erwerb der Rechtspersönlichkeit ist. Zugleich ist Catozzella aber der Ansicht, dass ein Verein, der in Übereinstimmung mit IEN um Approbation ansucht, nicht notwendigerweise die Rechtspersönlichkeit erwerben muss (Catozzella, lettura [Anm. 124], S. 113). Nach Rhode besitzt ein bloßer Zusammenschluss eine Rechtsform gemäß kanonischem Recht, sobald diese Genehmigung erfolgt ist (Rhode, Motu Proprio [Anm. 124], 113). Beide Autoren gehen aber nicht so weit, die oben gestellte Frage zu bejahen.
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Autorität verbunden wären.147 Da rechtseinschränkende Gesetze eng auszulegen sind (c. 18 CIC) und da spätere Gesetze mit früheren in Einklang zu bringen sind, ohne dass ein Widerruf zu vermuten ist (c. 21 CIC), muss die Genehmigungspflicht in Art. 1 § 1 IEN anders interpretiert werden. Die Einleitung zu IEN spricht von der Verschiedenheit der Rechtsformen sowie von den angemessenen Rechts- und Umsetzungsformen, ohne eine Absicht zur Vereinheitlichung erkennen zu lassen. Nach Arrieta sagt die Genehmigungspflicht nicht notwendigerweise etwas über die öffentliche oder private Natur noch über die Rechtspersönlichkeit aus. Vielmehr sei sie nur ein von der Rechtsordnung aufgestelltes Erfordernis, um Initiativen des karitativen Sektors im Wechselspiel der Interessen adäquat zu schützen.148 Das heißt, dass die „adprobatio“ des Art. 1 § 1 IEN nicht identisch ist mit der „approbatio“ des c. 314 CIC.149 Dass es neben der Trias approbatio-probatio-recognitio des CIC noch andere Formen für die kirchliche Anerkennung von Vereinen gibt, zeigt Art. 30 Abs. 1 Christifideles laici, wonach Zusammenschlüsse von Laien aufgrund bestimmter Kriterien anzuerkennen sind.150 Dadurch verändern sie jedoch nicht ihre Rechtsnatur. Auch die Genehmigung des Art. 1 § 1 IEN hat nicht zum Ziel, eine bestimmte Rechtsform zu verleihen oder zu ändern. Vielmehr handelt es sich um eine speziell auf den Regelungsgehalt von IEN abgestimmte Genehmigung. Sie ist im Zusammenhang mit Art. 2 § 1 IEN zu sehen, der den Mindestinhalt der Statuten festlegt. Daraus erhellt, dass die Vorlage dazu dient, es der Autorität zu ermöglichen, die Statuten auf diesen Mindestinhalt hin zu prüfen. Die Genehmigung beinhaltet dann die Bestätigung der Autorität, dass der Mindeststandard erfüllt ist. Die Rechtswirkung der Genehmigung besteht darin, dass die Grundlage gegeben ist für die Verbindung mit dem karitativen Wirken der Hirten der Kirche sowie für die Inanspruchnahme der Unterstützung der Gläubigen. Aus Art. 1 § 1 IEN geht nämlich klar hervor („cum“), dass dies der Zweck der Genehmigung ist. Vorlagepflichtig sind sowohl jene Organisationen, die ihre Statuten noch nie der kirchlichen Autorität vorgelegt haben, weil sie keine kanonische Rechtsform anstreben, als auch jene, die bereits die approbatio, probatio oder recognitio erhalten haben, doch nun die Statuten an die Vorgaben von IEN anpassen müssen.
147 Pree betont, dass der Caritas die ganze Bandbreite denkbarer Erscheinungs- und Handlungsformen von Kirchen offen steht, vgl. Helmuth Pree, Die Caritas im CIC und im CCEO, in: Hartmut Zapp/Andreas Weiß/Stefan Korta (Hrsg.), Ius Canonicum in Oriente et Occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag (AIC 25), Frankfurt am Main 2003, S. 117 – 133, hier S. 133. 148 Arrieta, responsabilità (Anm. 142), S. 9. 149 Eine Identität wäre schon deswegen nicht möglich, weil sich IEN nicht nur auf Vereine bezieht. 150 Vgl. Nobel, Responsibility (Anm. 43), 157; Roch Pagé, Note sur les “critères d’ecclésialité pour les assocations de laïcs”, in: StudCan 24 (1990), S. 455 – 463, hier S. 463.
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3. Erweiterung der Einwirkungsinstrumente Im Vergleich zum CIC finden sich in IEN teils zusätzliche Einwirkungsinstrumente der kirchlichen Autorität, teils werden die schon vorhandenen verstärkt oder auf weitere Rechtssubjekte ausgedehnt. Diözesanes Amt: Als zusätzliches Instrument sieht Art. 8 IEN ein diözesanes Amt („officium“) vor, das im Namen des Bischofs den karitativen Dienst orientiert und koordiniert.151 Der Vorschlag, dass die schon bestehende Diözesancaritas diese Funktion übernehmen solle,152 ist nur in Italien verständlich, weil dort die Diözesancaritas schon bisher ein diözesanes Amt mit Koordinierungs-, Förderungs- und Gestaltungsaufgaben war.153 In Ländern, in denen die Diözesancaritas hingegen selbst operativ im karitativen Bereich tätig ist, würde dieser Vorschlag bedeuten, einen – in der Regel mächtigen – Mitbewerber zur Aufsichtsbehörde über die anderen Organisationen zu machen. Berichtspflicht: Die Pflicht, einen jährlichen Rechenschaftsbericht vorzulegen, die sich im CIC nur auf öffentliche juristische Personen bezog (cc. 319 und 1287), wird durch Art. 10 § 5 IEN auf alle Organisationen im Sinne des Art. 1 § 1 ausgedehnt.154 Dies ist ein Beispiel dafür, wie die abgestufte Regelung des CIC durch IEN eingeebnet wird. Statuten: Die Statutenprüfung, die schon der CIC vorgesehen hatte, wird insofern verschärft, als Art. 2 § 1 IEN in den Statuten zusätzliche Angaben verlangt. Dabei handelt es sich um die Leitmotive und Ziele, die Art der Verwaltung der Geldmittel, das Profil der eigenen Mitarbeiter und die Berichte und Informationen, die der zuständigen kirchlichen Autorität vorzulegen sind. Zugleich wird diese Vorschrift auf alle karitativen Organisationen des Art. 1 IEN erstreckt. Das bedeutet, dass diese Organisationen ihre Statuten durchsehen und gegebenenfalls ändern müssen.155 Während eine Statutenänderung durch die Leitungsautorität, wie oben dargelegt, nur in sehr engen Grenzen möglich ist, wird sie nun durch den universalkirchlichen Gesetzgeber angeordnet. Das mit der Durchführung des MP betraute PontConsCor hat die Bischofskonferenzen in einem Rundbrief bereits um diesbezügliche Informationen gebeten.156
151 Nach Incitti ist diese Vorschrift bindend, vgl. Giacomo Incitti, Responsabilità del Vescovo diocesano nel servizio della carità, in: Il Servizio della Carità (Anm. 136), S. 125 – 168, hier S. 160. Im authentischen lateinischen Text bleibt die Verbindung von „consentaneum est“ mit „debere“ unklar. 152 Catozzella, lettura (Anm. 124), 116; Robert Sarah, Un cuore che vede le misere della società, in: OssRom 2. 12. 2012, S. 8. 153 Vgl. Montini, Caritas (Anm. 140), S. 47. 154 Vgl. Pree, Impostazione (Anm. 136), S. 76; Navarro, Diritti (Anm. 138), S. 108. 155 Vgl. Pree, Impostazione (Anm. 136), S. 48. 156 Dal Toso, Motu Proprio (Anm. 139), S. 281.
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Koordinierung: Während nach c. 323 § 2 CIC das Ziel der Koordinierungsfunktion darin besteht, eine Zersplitterung der Kräfte zu vermeiden, besteht es nach Art. 2 § 4 IEN nun darin, eine übermäßige Mehrung der karitativen Initiativen zu verhindern. Davon sind nun nicht mehr nur die privaten Vereine betroffen, sondern alle Organisationen, die in den Anwendungsbereich von IEN fallen, ja alle „incepta“, also auch die freien, nicht notwendigerweise organisierten Unternehmungen der Gläubigen.157 Die zuständige Autorität erhält durch diese Bestimmung sogar eine Regelungskompetenz. Immerhin weist Art. 6 IEN darauf hin, dass der Diözesanbischof, wenn er seine Koordinierungsaufgabe wahrnimmt, die Autonomie der einzelnen Initiativen zu wahren hat. Art. 9 § 2 IEN lässt erkennen, dass die offizielle „Caritas“ keine Monopolstellung erhalten soll.158 Eigene Koordinierungseinrichtungen wie die KOO der ÖBK, die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen, werden in IEN nicht genannt, sind aber auch nicht ausgeschlossen und können die bischöfliche Koordinierungsstelle des Art. 8 IEN ergänzen. 4. Änderung der Zuständigkeitsverteilung? Mit IEN verfolgte der Gesetzgeber, wie er in der Einleitung darlegt, hauptsächlich die Absicht, „die Wesentlichkeit des Liebesdienstes in der Kirche und seine konstitutive Beziehung zum Bischofsamt in der kanonischen Rechtsordnung angemessen zum Ausdruck zu bringen“. Demzufolge „galt es, die Autorität und die koordinierende Rolle zu unterstreichen, die dabei dem Diözesanbischof zukommen“. So verwundert es nicht, dass im normativen Teil des MP der Diözesanbischof im Mittelpunkt steht. Die Art. 4 – 6 und 8 – 14 IEN legen im Wesentlichen seine Aufgaben fest. Dagegen werden die Bischofskonferenzen nur an einer Stelle ausdrücklich genannt, nämlich in Art. 12 § 2 IEN. Dieser Bestimmung zufolge ist es angemessen, dass der Bischof im Falle von national ausgerichteten karitativen Initiativen die zuständige Stelle der Bischofskonferenz zu Rate ziehen muss. Offenbar wird hier vorausgesetzt, dass bei der Bischofskonferenz eine Stelle für den karitativen Dienst der Kirche angesiedelt ist. Diese wird hier jedoch keineswegs als Aufsichtsbehörde dargestellt, sondern als Ratgeber für den einzelnen Bischof, welcher folglich selbst bei nationalen Initiativen der Entscheidungsträger bleibt. Implizit kommen die Bischofskonferenzen aber zudem insofern vor, als Art. 3 § 1 IEN generell festhält, dass unter der zuständigen Autorität entsprechend der jeweiligen Ebene jene des c. 312 CIC zu verstehen ist. Damit wird die Zuständigkeitsregelung des c. 312 CIC über die Vereine hinaus auf andere karitative Organisationen ausgedehnt. Das heißt, dass für nationale Organisationen die Bischofskonferenz die 157
Der positive Grundton des c. 216 CIC, der sich ebenfalls auf die incepta bezieht, wird hier umgekehrt. Angesichts von Not und Armut in der Welt fragt man sich, ob es denn überhaupt zu viele Initiativen geben kann und ob hier nicht der freien Entfaltung der Charismen der Gläubigen misstraut wird. 158 Vgl. Rhode, Motu Proprio (Anm. 124), S. 115; Sarah, cuore (Anm. 152), 8; ders., Presentazione, in: Il Servizio della Carità (Anm. 136), S. 19 – 26, hier S. 22.
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zuständige Autorität ist. Diese Zuständigkeitsregelung gilt in IEN für verschiedene Leitungsakte wie die Genehmigung der Statuten, die Bezeichnung „katholisch“ und die Koordinierungsfunktion.159 Die Aufsichtskompetenzen werden hingegen auch in IEN grundsätzlich dem Diözesanbischof zugewiesen, wie aus Art. 4 § 3, Art. 5 sowie Art. 10 § 1 und § 4 hervorgeht. Davon gibt es jedoch eine bemerkenswerte Ausnahme.160 Art. 10 § 5 IEN spricht nämlich eine Aufsichtspflicht derjenigen Autorität zu, die in Art. 3 § 1 IEN genannt ist, welcher wiederum auf c. 312 CIC verweist. Das heißt nun, dass den Bischofskonferenzen eine Aufsichtspflicht über die nationalen Organisationen zukommt. Diese Aufsichtspflicht bezieht sich nach Art. 10 § 5 IEN auf den jährlichen Rechenschaftsbericht. Das aber ist genau die Aufgabe, die in Österreich von der Kontrollstelle der ÖBK wahrgenommen wird. Damit hat IEN die Kompetenzgrundlage für diese Stelle gleichsam nachgereicht. Diese Kompetenzgrundlage gilt für alle nationalen Organisationen, die in den Anwendungsbereich von IEN fallen. Somit besteht hier ebenso wenig wie in der Geschäftsordnung der Kontrollstelle eine Einschränkung bezüglich der Rechtsform, so dass nun auch in dieser Hinsicht zwischen dem Universalkirchenrecht und dem österreichischen Partikularrecht der Einklang hergestellt ist. Gleichwohl gilt die Kompetenzgrundlage in IEN nur, sofern der karitative Dienst zumindest einen Teilzweck der betreffenden Organisation darstellt. Allerdings ist Art. 10 § 5 IEN in sich nicht konsequent. Die Entgegennahme des Rechenschaftsberichts und der Erlass diesbezüglicher Vorgaben verbleiben nämlich in der Zuständigkeit des Ordinarius. Gemeint ist wohl der Ordinarius des Hauptsitzes der Organisation (vgl. Art. 3 § 2 IEN). In der Praxis bedeutet dies, dass der Rechenschaftsbericht gemäß den vom Ordinarius gemachten Vorgaben vorzulegen und von diesem an die Bischofskonferenz weiterzuleiten ist. Bei nationalen Organisationen erscheint es zweckmäßig, dass die zur betreffenden Bischofskonferenz gehörenden Bischöfe dazu einheitliche Vorgaben festlegen, indem sie sich der Vorgangsweise des c. 455 § 4 CIC bedienen. 5. Neues Verhältnis zwischen Autorität und Autonomie Das Ziel von IEN besteht nicht darin, die Autonomie zu beschneiden. Dennoch werden die Einwirkungsbefugnisse der kirchlichen Autorität in einigen Punkten erweitert.161 Damit antwortet der universalkirchliche Gesetzgeber auf Erfordernisse, die an manchen Orten entstanden sind und auf die der teilkirchliche Gesetzgeber bereits reagieren musste. Auf diese Weise wird das Verhältnis zwischen Autorität und Autonomie neu ausbalanciert.162 Trotz der Einschränkungen betont IEN aber an vielen Stellen, dass die Autonomie gewahrt werden muss. Insgesamt ist das MP in Über159
Art. 3 § 1 IEN verweist auf die vorhergehenden Artikel zurück. Vgl. Pree, Impostazione (Anm. 136), S. 76. 161 Vgl. Rhode, Motu Proprio (Anm. 124), S. 120. 162 Vgl. Dal Toso, Motu Proprio (Anm. 139), 285. 160
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einstimmung mit den Grundrechten und daher autonomiefreundlich zu interpretieren.163 Obwohl IEN ein Gesetz ist, enthält es auch Elemente weicher Methoden der Steuerung. Den Kriterien des Art. 1 § 1 zufolge gilt es für Organisationen, die eine Verbindung zur kirchlichen Hierarchie haben oder eine Unterstützung durch die Gläubigen anstreben. Beide Punkte bieten Vorteile für karitative Organisationen, denn sie bringen auch heute eine nicht zu unterschätzende Qualifikation als kirchliche Einrichtung mit sich und eröffnen Finanzquellen und Strukturen, die für das Fundraising und die Durchführung der karitativen Tätigkeiten nützlich sind. Letztlich steht es den Gründern einer Organisation aber frei, darauf zu verzichten, sich rein nach Zivilrecht zu organisieren und so dem Anwendungsbereich von IEN zu entgehen.164 Zivilrechtliche juristische Personen, welche die Kriterien nicht erfüllen, sind nämlich nicht an die Vorschriften von IEN gebunden. Diese Möglichkeit wird durch die konditionale Formulierung („cum“) des Anwendungsbereichs in Art. 1 § 1 IEN angedeutet. Umgekehrt steht es aber auch der Kirche frei, sich von einer Organisation zu trennen, wenn sie gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre oder das Kirchenrecht verstößt. Dies kann die ultima ratio sein, um klar zu stellen, dass die betreffende Organisation keine Verbindung mit der Kirche mehr hat. Damit schützt sich die Kirche selbst vor Schaden an ihrer Glaubwürdigkeit. Der Entzug der Vorteile hat somit umgekehrt auch die Funktion einer Sanktion, deren Androhung dazu motivieren soll, die Vorschriften von IEN einzuhalten.165 In der Regel wird aber weder die kirchliche Autorität noch die betreffende Organisation ein Interesse an einer derartigen Trennung haben. Die Organisation verlöre damit die entsprechenden Vorteile und die Kirche verlöre eine Gelegenheit, den keineswegs nebensächlichen Dienst der Nächstenliebe in der Welt auszuüben.
VIII. Ausblick: Katholische Identität und weltliches Recht Ein wichtiges Anliegen von IEN besteht darin, die katholische Identität der karitativen Organisationen zu wahren und zu stärken.166 Zugleich mahnt das MP zur Beachtung des weltlichen Rechts.167 Vorschriften des weltlichen Rechts können auf kirchliche Organisationen eigens Bezug nehmen, sie begünstigen, ihnen einschränkende Vorgaben machen oder ihrem Selbstverständnis widersprechen. 163
Vgl. Navarro, Diritti (Anm. 138), S. 110. Navarro befürchtet eine solche Flucht ins Zivilrecht, weil durch IEN zusätzliche Pflichten auferlegt werden (ebd., S. 108). 165 Rhode bemerkt sowohl die motivierende als auch die sanktionierende Funktion (Rhode, Motu Proprio [Anm. 124], 121). 166 Vgl. Art. 1 § 3, Art. 7 § 1, Art. 11 und Art. 13 IEN. 167 Einleitung und Art. 5 IEN. 164
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Eine ausdrückliche Erwähnung von Einrichtungen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften findet sich in Österreich in § 3 Abs. 2 EZA-G168. Sie werden hier den Entwicklungsorganisationen gleichgehalten. Im Bereich der EU erwähnt das Cotonou-Abkommen bezüglich der Entwicklungszusammenarbeit Akteure der Zivilgesellschaft, zu denen ausdrücklich konfessionelle Organisationen gehören.169 Begünstigende Vorschriften finden sich in Österreich vor allem im Steuerrecht. § 34 BAO170 bildet die Grundlage für steuerliche Erleichterungen von Organisationen, die gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke verfolgen.171 Steuerlich absetzbar sind Spenden an mildtätige Einrichtungen, sowie Einrichtungen, die Entwicklungs- und/oder Katastrophenhilfe betreiben oder für solche Zwecke Spenden sammeln.172 Außerdem nehmen die Sammlungsgesetze der Bundesländer kirchliche Sammlungen von der Bewilligungspflicht oder überhaupt von ihrem Geltungsbereich aus.173 Auch in dieser Hinsicht ist es für karitative Organisationen somit attraktiv, ihre Sammlungen als kirchliche deklarieren zu können. Einschränkende Vorgaben finden sich in jenen weltlichen Vorschriften, die staatliche Beihilfen an bestimmte Auflagen knüpfen. So werden in manchen Förderprogrammen nur bestimmte Inhalte, Themen oder Regionen gefördert.174 Das kann bedeuten, dass kirchliche Organisationen für bestimmte ihnen wichtige Projekte keine Fördergelder erhalten.175 Außerdem wird die Einhaltung des Diskriminierungsver168
2003.
Entwicklungszusammenarbeitsgesetz, in: BGBl. I Nr. 49/2002 i. d. F. BGBl. I Nr. 65/
169 Partnerschaftsabkommen zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000, 2000/483/EG, in: ABl. Nr. L 317 vom 15. 12. 2000, 3 – 353; insbesondere Art. 6 Abs. 1 lit. b i.V.m. Erklärung I. 170 Bundesabgabenordnung, in: BGBl. Nr. 194/1961 i. d. F. BGBl. I Nr. 105/2014. 171 Vgl. dazu VwGH Erkenntnis (28. 2. 2002), Zl. 2001/16/0563. Hier wurde die Kirchlichkeit nicht bejaht und die steuerliche Begünstigung daher nicht gewährt. Vgl. Gerhard Prinz,/Johannes Prinz, Gemeinnützigkeit im Steuerrecht. Steuerbefreiung für Vereine, Kapitalgesellschaften und Stiftungen, Wien 22004, S. 75 f. 172 § 4a Abs. 1 Einkommensteuergesetz, in: BGBl. Nr. 400/1988 i. d. F. BGBl. I Nr. 34/ 2015. 173 Allerdings variiert die Definition kirchlicher Sammlungen von Bundesland zu Bundesland. Wo diese Gesetze Sammlungen außerhalb der Kirchenräume nicht als kirchliche Sammlungen ansehen, stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu § 21 ProtestantenG. Aus Paritätsgründen müsste die Landesgesetzgebung diesen Inhalt für alle Kirchen und Religionsgesellschaften vorsehen (Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht [Anm. 22], S. 419). 174 Vgl. Nr. 4.4 NRO-Kooperation, Leitlinie der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, at: http://www.entwicklung.at/uploads/media/LL_NRO2007_09.pdf [28. 2. 2015]. 175 Eine ähnliche Abhängigkeit besteht zudem gegenüber den Spendern. Karitative Organisationen sind versucht, Projekte zu favorisieren, für die Menschen bereitwillig spenden, vgl. Klaus Vellguth, Kirche und Fundraising. Neue Wege einer zukunftsfähigen Kirchenfinanzierung, Freiburg 2007, S. 324. Art. 10 § 2 IEN mahnt dazu, dass Spendengelder jenen Zwecken zugeführt werden, für die sie gesammelt wurden.
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bots zur Bedingung für Förderungen gemacht.176 Für die Kirche ist jedoch ohnehin schon aus dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe klar, dass sie unter den Empfängern von Hilfeleistungen nicht diskriminieren darf.177 Das gilt ebenso für Diskriminierungen aus Gründen der Religionszugehörigkeit.178 Auch die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden bringt gewisse Steuerungswirkungen für den kirchlichen Bereich mit sich. Ihre Einführung war für Caritas Innsbruck und andere karitative kirchliche Organisationen der Anlass, sich als eigene Rechtsperson zu konstituieren, da nur juristische Personen in den Genuss der Spendenbegünstigung kommen können.179 Wie dieses Beispiel zeigt, wird die Wahl der Rechtsform nicht nur vom kirchlichen, sondern auch vom staatlichen Recht beeinflusst.180 Außerdem muss eine Organisation, damit sie den Spendenbegünstigungsbescheid erhält, mit zumindest 75 % der Gesamtressourcen begünstigte Ziele verfolgen. Da rein kirchliche Zwecke nicht begünstigt sind, dürfen kirchliche karitative Organisationen nur zu einem sehr geringen Teil solche Ziele wahrnehmen, wenn sie auf die Absetzbarkeit nicht verzichten wollen. Ein solcher Verzicht brächte freilich gravierende Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen mildtätigen Organisationen mit sich.181 Solange weltliche Regelungen nur andere, aber keine der katholischen Lehre widersprechenden Schwerpunkte setzen, ist es kirchlichen Organisationen nicht verboten, entsprechende Aufträge zu übernehmen (Art. 1 § 3 IEN) und Finanzmittel anzunehmen (Art. 10 § 3 IEN). Vorschriften, die der katholischen Identität karitativer Organisationen zuwiderlaufen, sind in der österreichischen Rechtsordnung nicht ersichtlich. Dal Toso berichtet aber hinsichtlich anderer europäischer und nordamerikanischer Länder von Vorschriften, welche die öffentliche Finanzierung an Bedingungen knüpfen, die mit der katholischen Lehre in Widerspruch stehen.182 Gewiss dürfen kirchliche Einrichtungen derartige Verpflichtungen nicht eingehen. Wenn die öffentliche Finanzierung aber entfällt, drohen Wettbewerbsnachteile und letztlich die Schließung der entspre176
Z. B. Art. 8 Abs. 4, Art. 13 Abs. 1 und Art. 72 Abs. 2 Cotonou-Abkommen [Anm. 169]. Vgl. Rainald Tippow, Kann die Caritas katholisch bleiben? Die Praxis einer katholischen Caritas in der Spannung von Migration, Integration und Identität, in: Diakonia 42 (2011), S. 186 – 191, hier S. 189. 178 Dass auch Nichtchristen Adressaten des karitativen Wirkens der Kirche sind, geht aus c. 383 § 4 CIC hervor. Vgl. Johannes Paul II., Allocutio: Vi accolgo con gioia. Ad eos qui plenario coetui Pontificii Consilii de Spirituali Migrantium et Itinerantium Cura interfuerunt (27. 10. 1995), in: AAS 88 (1996) 577 – 580, Nr. 3 179 Vgl. Hennecke, Caritas (Anm. 25), S. 229. 180 Die Wahl der staatlichen Rechtsform hat Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung, auf die Unterstellung unter die staatliche Aufsichtsbehörde – die zur kirchlichen Aufsicht hinzukommt – sowie auf die wirtschaftliche Einordnung. Ausführlicher dazu: Christoph Grabenwarter, Staatsrechtliche Rahmenbedingungen katholischer Caritas, in: öarr 55 (2008), S. 373 – 398, hier S. 380 f. 181 Außerdem dürfen die Verwaltungskosten 10 % der Spendeneinnahmen nicht übersteigen. Damit ist das österreichische Recht präziser und strenger als Art. 10 § 4 IEN, der nur verlangt, dass die Verwaltung der entsprechenden Initiativen ein Beispiel christlicher Einfachheit gibt und die Gehälter und Betriebsausgaben verhältnismäßig sind. 182 Dal Toso, Motu Proprio (Anm. 139), 292. 177
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chenden Einrichtungen. Die Folge wäre, dass auf bestimmten Sektoren keine kirchlichen Anbieter mehr zur Verfügung stünden, so dass Katholiken nur noch solche Einrichtungen zur Auswahl hätten, die gegen die katholischen Prinzipien verstoßen. Letztlich würde das bedeuten, dass die Kirche dem Liebesauftrag Christi auf bestimmten Gebieten nicht mehr nachkommen könnte. Dieser Auftrag ist aber nicht suspendiert, wenngleich der moderne Staat selbst Sozialleistungen erbringt. Ein Rückzug, wie ihn Dal Toso nahelegt,183 würde der Säkularisierung Vorschub leisten und kann daher nur das letzte Mittel sein. Zunächst aber müsste, wie Dalla Torre vorschlägt, die Kirche mit dem Staat in Verhandlungen treten, um Lösungen zu erreichen, die es kirchlichen Organisationen ermöglichen, sich von bestimmten, mit ihrem Selbstverständnis unvereinbaren Tätigkeiten fernzuhalten.184 Dies kann durch einen Hinweis auf die Grundrechte begründet werden, denn die ausnahmslose Verknüpfung von Fördermitteln mit Bedingungen, die von bestimmten Religionsgemeinschaften nicht mitgetragen werden können, liefe auf eine indirekte Diskriminierung wegen der Religionszugehörigkeit hinaus. Außerdem wird heute immer mehr die Bedeutung des Rechts erkannt, bestimmte Tätigkeiten aus Gewissensgründen zu verweigern. Diesem Recht müsste zudem eine korporative Dimension zugesprochen werden. Nicht zuletzt ist auch die Caritas eine Form der Religionsausübung und somit von der Religionsfreiheit geschützt.185 In einer Zeit, in der die EU einen stärkeren Wettbewerb und eine größere Vielfalt auf dem Markt sozialer Dienstleister anstrebt,186 wäre es anachronistisch, kirchliche Anbieter zu verdrängen, denn damit würde die Vielfalt gerade eingeschränkt. Nach dem Subsidiaritätsprinzip muss sich vielmehr der Staat zurückhalten, wenn karitative Dienste ohnehin von freien Trägern erfüllt werden. Schließlich nehmen die kirchlichen karitativen Organisationen dem Staat Aufgaben ab, die er sonst – oft mit höheren Kosten – selbst erbringen müsste.187 Schon aus diesem Grund sollte der Staat gegenüber den Anliegen der Kirche offen sein. Wie man sieht, versucht nicht nur die kirchliche, sondern auch die staatliche Autorität den Wohltätigkeitssektor durch Anreize und Begünstigungen zu lenken. Die einzelnen Organisationen müssen einen Weg finden, um beiden bestmöglich gerecht zu werden. Die Autonomie kirchlicher karitativer Organisationen kann nicht nur durch die kirchliche Autorität beeinträchtigt werden, sondern auch durch staatliche Regelungen. Hier kommt der kirchlichen Autorität die Aufgabe zu, sich für den Schutz der kirchlichen Autonomie gegenüber dem Staat einzusetzen.
183
Ebd., S. 293. Dalla Torre, organizzazione (Anm. 138), 190. 185 Vgl. ebd., S. 189. 186 Vgl. Burkhard Josef Berkmann, Österreichische Caritas im europäischen Wettbewerb. Gemeinnützige soziale Dienste im EU-Recht, in: öarr 55 (2008), S. 462 – 493. 187 Katharina Stürz, Die staatliche Förderung der christlichen karitativen Kirchentätigkeit im Spiegel des europäischen Beihilfenrechts, Baden-Baden 2008, S. 129. 184
Werkvertrag auf dem Wege der Gestellung? Anmerkungen zu einem Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs Stefan Ihli Der mit vorliegender Festgabe zu Ehrende hat sich unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen zum kirchlichen Vermögensrecht auch mehrfach mit dem Arbeitsrecht in der Kirche beschäftigt. Dieses ist nicht nur europarechtlich unter Druck geraten, sondern ebenso aus verschiedenen anderen Gründen in Bewegung gekommen, weil sich beispielsweise kirchliche Unternehmen in einem verstärkten Wettbewerb sehen und auf moderne Instrumente des Outsourcing zurückgreifen, um den Personaleinsatz zu flexibilisieren und dadurch ökonomische Vorteile zu erzielen. Dazu gehört auch die Inanspruchnahme von Arbeitnehmerüberlassung, zu der der Kirchliche Arbeitsgerichtshof (KAGH) ein überraschendes Urteil gesprochen hat, das hier etwas näher betrachtet werden soll.
I. Ausgangslage des Falles Der streitgegenständliche Fall nahm seinen Ausgang in einem in einer Großstadt in Baden-Württemberg gelegenen Krankenhaus der Zentralversorgung mit 760 Betten, das von einem Ordensinstitut diözesanen Rechts in der Diözese RottenburgStuttgart getragen wird. Die Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Krankenhauses umfasst 53 ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die 18 OP-Säle betreuen. Zur Optimierung des Personaleinsatzes im Bereich der Anästhesie schloss das Krankenhaus 2012 eine als „Honorarvertrag“ bezeichnete Vereinbarung1 mit einem in der gleichen Stadt ansässigen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), das mit 50 Mitarbeitern, darunter 16 Ärzten, auf den Gebieten der Allgemeinmedizin, Schmerztherapie und Anästhesiologie in eigenen Räumlichkeiten tätig ist, diese Dienstleistungen aber auch vor Ort in Einrichtungen anderer Anbieter des Gesundheitswesens erbringt. Gegenstand der auf unbestimmte Zeit geschlossenen2 Vereinbarung ist die Erbringung eines anästhesiologischen Dienstleistungspaketes, bestehend aus der Aufklä1 Kirchliches Arbeitsgericht Erster Instanz der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Verfahrensakte AS 15/12, Blatt 53 – 62. 2 § 8 Abs. 1 der Vereinbarung.
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rung, der Prämedikation, der Ein- und Ausschleusung und der Überwachung des Patienten bis zur Übergabe an die Station, der eigentlichen Anästhesie, der Befunddokumentation und der Zwischenreinigung des OP-Saals3, und zwar in einem variablen, fallweise vom Krankenhaus angeforderten Umfang von mindestens vier Stunden pro OP-Tag.4 Der zur Erbringung der Leistungen eingesetzte Personalbestand bemisst sich nach der freien Entscheidung des MVZ und ist lediglich nach unten mit 1 Arzt/Ärztin, 1 Anästhesiepfleger/-schwester, 1 OP-Pfleger/-Schwester und 1 Springer/in pro Operation sowie 1 Aufwachraumpfleger/-schwester zur postoperativen Überwachung festgelegt.5 Dementsprechend muss das MVZ gegebenenfalls auch eine Vertretung sicherstellen.6 Die Vergütung des Personals, dessen Qualifikation dem Krankenhaus gegenüber auf Verlangen nachgewiesen werden muss7 und das zum Krankenhaus weder in einem Angestellten- noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis steht, obliegt einschließlich Abführung aller Steuern und Sozialabgaben dem MVZ8, das auch die Fach- und Dienstaufsicht über das Personal wahrnimmt9 und die Einhaltung von Vorschriften des Krankenhauses durch sein Personal kontrolliert10, wobei die ärztlichen Mitarbeiter des MVZ in Diagnostik und Therapie unabhängig und nur gesetzlichen Vorschriften unterworfen sind.11 Ein Weisungsrecht des Hygienebeauftragten des Krankenhauses gegenüber dem Hygienebeauftragten des MVZ in Fragen der Hygiene ist allerdings gegeben, und eine regelmäßige Teilnahme des Personals des MVZ an Hygieneschulungen des Krankenhauses ist vorgeschrieben.12 Einweisungen in Geräte des Krankenhauses werden von diesem übernommen, deren Besuch wird jedoch seitens des MVZ überwacht und dokumentiert.13 Das Krankenhaus kann aufgrund Organisationshoheit Satzungen, Hausordnungen u. ä. erlassen, an die sich die Mitarbeiter des MVZ zu halten haben, wodurch jedoch die vertraglich festgelegten Rechte nicht geschmälert und die Pflichten des MVZ nicht erweitert werden dürfen.14 Als Vergütung für das gesamte Leistungspaket ist unabhängig von der tatsächlich zum Einsatz kommenden Mitarbeiterzahl eine Pauschale vereinbart, und zwar zunächst für die erste Stunde der Operation und danach für jede angefangene Viertel-
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§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 und 6 der Vereinbarung. § 1 Abs. 3 der Vereinbarung. 5 § 3 Abs. 2 der Vereinbarung. 6 § 6 der Vereinbarung. 7 § 1 Abs. 4 der Vereinbarung. 8 § 2 Abs. 1 der Vereinbarung. 9 § 2 Abs. 3 der Vereinbarung. 10 § 2 Abs. 4 der Vereinbarung. 11 § 2 Abs. 2 der Vereinbarung. 12 § 2 Abs. 5 der Vereinbarung. 13 § 3 Abs. 4 der Vereinbarung. 14 § 9 Abs. 1 der Vereinbarung. 4
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stunde (wobei der Stundensatz dann demjenigen der ersten Stunde entspricht).15 Für die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen seitens des MVZ nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) hat dieses dem Krankenhaus eine pauschalierte Vergütung abzuführen.16 Die Nutzung der Räumlichkeiten und Geräte des Krankenhauses bei der Erbringung der Leistungen durch das MVZ erfolgt kostenfrei, wie umgekehrt eine Nutzung eigener Einrichtungen des MVZ seitens des Krankenhauses nicht vergütet wird.17 Das MVZ haftet für alle selbst oder durch seine Erfüllungsgehilfen verursachten Schäden gegenüber den Patienten wie hinsichtlich einer etwa falschen Gerätebedienung18 und stellt das Krankenhaus von allen mit den von ihm erbrachten Leistungen zusammenhängenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen frei.19 Durch eine vom Vertragstext abweichende Übung sollen sich keine weitergehenden Rechte und Pflichten ergeben.20 Die Mitarbeitervertretung (MAV) des Krankenhauses war im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Vertrages nicht beteiligt worden.
II. Der erstinstanzliche Rechtsstreit Die MAV erhob daher Klage zum Kirchlichen Arbeitsgericht Erster Instanz der Diözese Rottenburg-Stuttgart, da sie ihre Mitbestimmungsrechte verletzt sah, weil sie den Einsatz der Mitarbeiter des MVZ als (mitbestimmungspflichtige) Arbeitnehmerüberlassung einstufte und ohnehin eine verzahnte Zusammenarbeit dieser Personen mit den Beschäftigten des Krankenhauses gegeben sei, so dass ein legitimes Interesse der MAV daran bestehe zu wissen, wer im OP-Saal eingesetzt werde: Zum einen arbeiteten die anästhesiologischen Kräfte dem Operateur zu, der beim Krankenhaus angestellt sei und eine Weisungsbefugnis ihnen gegenüber besitze, zum anderen erfolge nach der Aufwachphase eine Übergabe des Patienten seitens der Mitarbeiter des MVZ an das Personal des Krankenhauses. Der Hygienebeauftragte des Krankenhauses sei zudem gegenüber den Mitarbeitern des MVZ weisungsberechtigt, und das Krankenhaus stehe ohnedies in der Gesamtverantwortung. Das beklagte Krankenhaus hielt die Vereinbarung mit dem MVZ dagegen für einen (nicht zustimmungspflichtigen) Dienstvertrag. Dieser Ansicht schloss sich das Gericht in seinem am 21. September 2012 ergangenen Urteil21 an. Eine Arbeitnehmerüberlassung liege nach der ständigen Recht15
§ 4 Abs. 2 der Vereinbarung. § 5 Abs. 1 der Vereinbarung. 17 § 3 Abs. 3 und 5 der Vereinbarung. 18 §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 1 und 3 der Vereinbarung. 19 § 7 Abs. 2 der Vereinbarung. 20 § 9 Abs. 2 der Vereinbarung. 21 Kirchliches Arbeitsgericht Erster Instanz der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 21. September 2012, Az. AS 15/12. 16
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sprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dann vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt würden, die in dessen Betrieb eingegliedert würden und ihre Arbeit allein nach den Weisungen des Entleihers ausführten. Im vorliegenden Fall seien zwar in gewissem Rahmen Indizien für eine derartige Eingliederung gegeben, nämlich Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Entleihers, Übernahme von Tätigkeiten, die früher von Mitarbeitern des Entleihers ausgeführt wurden, und Stellung von Material und Arbeitskleidung durch den Entleiher. Vor Abschluss des Vertrages mit dem MVZ habe das Krankenhaus nur eigene Mitarbeiter bei Operationen eingesetzt; die Operationen würden in den Räumlichkeiten und mit den Gerätschaften des Krankenhauses durch einen von diesem angestellten Arzt durchgeführt; nach der Operation würden die Patienten an Mitarbeiter des Krankenhauses übergeben. Eine isolierte Betrachtung der durch das MVZ erbrachten Leistungen sei nicht möglich, da diese für die Durchführung der seitens des Krankenhauses ausgeführten Operationen zwingend erforderlich seien, so dass eine Zusammenarbeit unausweichlich erfolge. Gleichwohl liege kein über lediglich arbeitsbezogene Weisungen hinausgehendes Weisungsrecht des Krankenhauses gegenüber den Mitarbeitern des MVZ vor, da im Gegenteil laut Vertrag und tatsächlicher Übung das MVZ das fachliche und disziplinarische Weisungsrecht über sein Personal ausübe. Naturgemäß bestehe während der Operationen ein Weisungsrecht des Operateurs, das sich aber auf die Durchführung der Anästhesie, also der vertraglich vereinbarten Leistung, beschränke. Ebenso sei das Weisungsrecht des Hygienebeauftragten des Krankenhauses gegenüber demjenigen des MVZ auf Hygienefragen eingeschränkt. Überdies entscheide allein das MVZ, wie viele und welche Mitarbeiter tatsächlich bei einer Operation zum Einsatz kämen. Diese würden zudem vom MVZ vergütet, das ihre Arbeitszeit festlege und das dienstvertragliche Weisungsrecht über sie innehabe. Relevant sei in diesem Zusammenhang, dass das MVZ auch in eigenen Räumlichkeiten Leistungen erbringe und das unternehmerische Risiko insbesondere in haftungsrechtlicher Hinsicht trage. Das Gericht ließ mangels grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits die Revision nicht zu.
III. Der zweitinstanzliche Rechtsstreit Hiergegen erhob die MAV Nichtzulassungsbeschwerde zum KAGH, der die Revision mit Beschluss vom 31. Januar 2013 zuließ; mit Schriftsatz vom 11. März 2013 legte die MAV tatsächlich Revision ein. Daraufhin hob der KAGH mit Urteil vom 7. Juni 201322 das erstinstanzliche Urteil auf, weil er die Erbringung der Leistungen durch das MVZ als zustimmungspflichtigen Tatbestand wertete. Zur Begründung führte er aus, für das Vorliegen einer (zustimmungspflichtigen) „Einstellung und Anstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) komme es nicht auf das Vorliegen eines privatrecht22
KAGH, Urteil vom 7. Juni 2013, Az. M 22/12.
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lichen Arbeitsvertrages an, zumal gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 MAVO zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch jene Personen zu zählen seien, die aufgrund eines Gestellungsvertrages in der jeweiligen Einrichtung arbeiteten. Im Regelfall gehe es dabei in einem Krankenhaus um durch Mitglieder eines Ordens oder eines kirchlichen Verbandes erbrachte Pflegedienstleistungen, doch sei dadurch keine Schranke für die Anwendung dieses Rechtsinstituts errichtet; vielmehr könne ein Gestellungsvertrag auch dann vorliegen, wenn die gestellte Person mit dem Gestellungsträger einen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe. Bei dem im vorliegenden Fall zwischen dem Krankenhaus und dem MVZ vereinbarten „Honorarvertrag“ handele es sich um einen Gestellungsvertrag, da das vom MVZ gestellte Personal wie die Mitarbeiter des Krankenhauses zeitweilig in den betrieblichen Ablauf integriert werde und mit ihnen zusammenarbeite. Wenn das erstinstanzliche Gericht das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung auch deshalb ausgeschlossen habe, weil den Anästhesisten des MVZ seitens der Mitarbeiter des Krankenhauses nur arbeitsbezogene Weisungen erteilt werden dürften, so werde dabei übersehen, dass Ärzte aufgrund ihrer Berufsfreiheit bei ihren ärztlichen Entscheidungen generell keinen Weisungen unterlägen. Entscheidend sei demgegenüber die unabdingbare Zusammenarbeit zwischen dem Personal des MVZ und den Mitarbeitern des Krankenhauses bei den Operationen, wegen der eine Eingliederung in den Betrieb des Krankenhauses gegeben sei.23 Ein drittbezogener Personaleinsatz in einer kirchlichen Einrichtung dürfe überdies grundsätzlich das Leitbild der Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Dienstes nicht in Frage stellen. Hierauf habe das BAG in seinem Urteil zur Streikfreiheit innerhalb des Dritten Weges24 ausdrücklich abgestellt.
IV. Formen drittbezogenen Personaleinsatzes Um feststellen zu können, welche der beiden Instanzen den Sachverhalt angemessen beurteilt hat, sollen nachfolgend zunächst die wesentlichen Formen drittbezoge23
Der KAGH verweist hier auf den Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD (KGH.EKD) vom 29. Januar 2007, Az. II-0124/M38 – 06, wo es vor dem Hintergrund einer analogen Sach- und Rechtslage heißt, „im kirchlichen Bereich [ist es] vom Normzweck her geboten, der Mitarbeitervertretung ein Mitspracherecht bei der Zusammensetzung der Personen zu geben, die einen kirchlichen Auftrag, hier Behandlung kranker Menschen im ambulanten und stationären Bereich eines Krankenhauses, gemeinsam erfüllen […]. Dabei kann es auf die Unterscheidung nicht entscheidend ankommen, auf welcher rechtlichen Grundlage – Dienstvertrag i. S. v. AVR, Dienst- oder Werkvertragsbasis – die an der Erfüllung des Auftrages beteiligten Personen tätig sind. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass eine Absonderbarkeit der von den Anästhesisten des Instituts ausgeführten Arbeiten nicht i. d. S. vorliegt, dass eine abgrenzbare unternehmerische Tätigkeit des Instituts vorliegt, es geht um einen Teilaspekt der ärztlichen Betreuung der zu behandelnden Patienten mit den damit einhergehenden Interdependenzen“ (Gründe, II.3.). 24 BAG, Urteil vom 20. November 2012, Az. 1 AZR 179/11.
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nen Personaleinsatzes dargestellt werden, da diese zwischenzeitlich sehr vielgestaltig sind. Von einem drittbezogenen Personaleinsatz wird gesprochen, da sich dabei ein Dreiecksverhältnis zwischen entsendendem Betrieb, Einsatzbetrieb und Mitarbeiter ergibt. 1. Arbeitnehmerüberlassung So schließt beispielsweise bei der Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit, Zeitarbeit) als wichtigster Form drittbezogenen Personaleinsatzes der Leiharbeitnehmer mit dem Verleiher einen Arbeitsvertrag und erhält von ihm das Arbeitsentgelt; der Entleiher schließt mit dem Verleiher einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und zahlt für die Arbeitnehmerüberlassung ein Entgelt. Zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher besteht kein Rechtsverhältnis; gleichwohl kann der Entleiher die überlassenen Arbeitnehmer frei nach seinen Bedürfnissen einsetzen25; er hat im Gegenzug allerdings gegenüber dem Leiharbeitnehmer auch gewisse Fürsorgepflichten.26 Diese Konstruktion basiert auf dem Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG), das eine – eventuell nicht ausreichende27 – Umsetzung der EU-Richtlinie 2008/104/EG in nationales Recht darstellt. Nach dessen § 1 Abs. 1 handelt es sich um die vorübergehende28, leihweise, im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit29 erfolgende, erlaubnispflichtige Überlassung eines Arbeitnehmers durch dessen Arbeitgeber – den Verleiher – an einen Dritten – den Entleiher –, die normalerweise entgeltlich erfolgt. Für einzelne Branchen der Leiharbeit kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Vorschlag von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gewisse Lohnuntergrenzen für allgemeinverbindlich erklären (§ 3a AÜG). Soweit Tarifverträge nichts anderes vorsehen, gilt ansonsten zum Schutz der Leiharbeitnehmer der Grundsatz von equal pay und equal treatment, d. h. Leiharbeitnehmer müssen vom Verleiher nicht identisch, aber doch hinsichtlich der wesentlichen30 Ar25 Adolf Thiel, § 3, Rdnr. 72, in: ders./Martin Fuhrmann/Manfred Jüngst (Hrsg.), MAVO. Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, Köln 72014; Werner Walk/Anselm Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung in Einrichtungen der Caritas, in: Zeitschrift für Arbeitsrecht und Tarifpolitik 1 (2013), S. 165 – 171, hier S. 165. 26 Thiel, § 3, Rdnr. 73 (Anm. 25). 27 Ulf Kortstock, Art. Arbeitnehmerüberlassung, in: Hermann Reichold/Ulf Kortstock, Das Arbeits- und Tarifrecht der katholischen Kirche, München/Freiburg i. Br. 2014, S. 43 – 47, hier S. 43. 28 Es ist unklar und umstritten, ob das gesetzliche Merkmal „vorübergehend“ arbeitsplatzbezogen oder personenbezogen zu interpretieren ist: Tobias Nießen/Burkhard Fabritius, Was ist vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung? Das Rätsel weiter ungelöst?, in: NJW 67 (2014), S. 263 – 266; Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 169. 29 Damit ist zwischenzeitlich auch eine nicht-gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung (wie typischerweise die Personalgestellung) vom AÜG erfasst, während bis 30. November 2011 darunter nur die gewerbsmäßige Überlassung von Leiharbeitnehmern fiel. 30 Die wesentlichen Arbeitsbedingungen beziehen sich laut Art. 3 Abs. 1 Buchst. f Richtlinie 2008/104/EG auf die Dauer der Arbeitszeit, die Überstunden, die Pausen, die Ruhezeiten, die Nachtarbeit, den Urlaub, die arbeitsfreien Tage und das Arbeitsentgelt.
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beitsbedingungen vergleichbar einem Stammmitarbeiter ihres Einsatzbetriebs31 beschäftigt werden (§ 10 Abs. 4 AÜG). Gegenüber ihrem Arbeitgeber haben Leiharbeitnehmer daher einen Auskunftsanspruch über diese Arbeitsbedingungen (§ 13 AÜG). Leihverträge, die für Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen, sind gemäß § 9 Nr. 2 AÜG unwirksam. Entsprechend der Eingliederung der Leiharbeitnehmer in die Betriebsabläufe des entleihenden Betriebs haben Leiharbeitnehmer auch Anspruch auf Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Betrieb (§ 13a AÜG) und Information über freie Stellen im Betrieb (§ 13b AÜG). Freilich bleiben Leiharbeitnehmer während der ganzen Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des Betriebs des Verleihers (§ 14 Abs. 1 AÜG). Das gilt nur dann nicht, wenn der Verleiher die nötige Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nicht besitzt. Dann nämlich ist der Leihvertrag zwischen Verleiher und Entleiher gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam und gilt gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zustande gekommen. Zum Schutz des Entleihers vor dieser für ihn drastischen, für den Leiharbeitnehmer komfortablen Rechtsfiktion ist der Verleiher verpflichtet, beim Abschluss des Vertrags mit dem Entleiher zu erklären, ob er die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt oder nicht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG). Aufgrund der Tatsache, dass Leiharbeitnehmer durchweg Angehörige des verleihenden und nicht des entleihenden Betriebs sind, zumal sie ihren Arbeitsvertrag nur mit ersterem abgeschlossen haben, gelten sie im entleihenden Betrieb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 MAVO nicht als Mitarbeiter im Sinne der Ordnung und sind damit dort nicht Teil der Dienstgemeinschaft.32 Demgemäß besitzt die MAV der betreffenden Einrichtung für sie kein Mandat33 ; allerdings wird seit der Rahmen-MAVO von 2010 die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern gleich behandelt wie die Einstellung von Arbeitnehmern und ist damit ein Tatbestand, der der Zustimmung der MAV bedarf (§ 34 Abs. 1 Satz 2 MAVO), der dafür auch ein spezifischer Verweigerungsgrund eingeräumt wurde, nämlich eine beabsichtigte Beschäftigungsdauer des Leih-
31 Vergleichsmaßstab ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG ein hypothetischer Arbeitnehmer, der vom Einsatzbetrieb auf den fraglichen Arbeitsplatz als Stammmitarbeiter eingestellt worden wäre. 32 Ist das verleihende Unternehmen ein kirchliches, so gelten die Leiharbeitnehmer vielmehr dort als Mitarbeiter im Sinne der MAVO: Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 170. 33 Eine eingeschränkte Zuständigkeit besteht lediglich hinsichtlich aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers vom Einsatzbetrieb getroffener Maßnahmen, die mitbestimmungspflichtig sind und alle in der Einrichtung tätigen Personen – also auch die Leiharbeitnehmer – betreffen: Norbert Beyer, § 3, Rdnr. 24, in: ders. u. a. (Hrsg.), MAVO. Freiburger Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung. Einschließlich Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung (KAGO), Freiburg i. Br. 2014.
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arbeitnehmers von über 6 Monaten (§ 34 Abs. 2 Nr. 3 MAVO).34 Dies liegt nicht nur daran, dass die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern generell nicht unkritisch ist aufgrund etwa ungleicher Arbeitsbedingungen – was durch die vom AÜG festgelegten Grundsätze von equal pay und equal treatment in Schranken gehalten wird – und einer Verdrängung von Arbeitsplätzen der Stammbelegschaft des Einsatzbetriebes; vielmehr lässt das Grundprinzip der Dienstgemeinschaft jeden drittbezogenen Fremdpersonaleinsatz und damit auch den Einsatz von Leiharbeitnehmern gerade im kirchlichen Bereich als besonders problematisch erscheinen.35 Zwar kommen rein innerkirchliche Beziehungen zwischen Verleiher und Entleiher vor aufgrund der Tatsache, dass zwischenzeitlich verschiedene kirchliche Rechtsträger Personalservicegesellschaften gegründet haben36, um in einer Art „Eskapismus“37 die Grenzen kirchlichen Arbeitsrechts zu sprengen, den eigenen Personaleinsatz zu flexibilisieren und zugleich für andere Einrichtungen tätig werden zu können. Doch beschränkt sich der Einsatz von Leiharbeitnehmern im kirchlichen Bereich bei weitem nicht darauf, sondern es werden zur Deckung kurzfristigen Personalbedarfs selbstverständlich auch Arbeitskräfte der „klassischen“, nichtkirchlichen Zeitarbeitsfirmen eingesetzt. Da für diese das kirchliche Arbeitsrecht nicht gilt38, ist deren – zumindest längerfristiges – Tätigwerden in einer kirchlichen Einrichtung ein Angriff auf die Einheitlichkeit der dortigen Dienstgemeinschaft und „zerstört die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Einrichtung, ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche zu erfüllen“39; es wirft daneben auch arbeitsrechtliche Probleme insbesondere hinsichtlich der Loyalitätsobliegenheiten auf, die für bei einem nichtkirchlichen Entleiher beschäftigte Leiharbeitnehmer nicht gelten.40 Dies kann nicht nur im Einzelfall Probleme bei einem kirchenfeindlichen Verhalten des Leiharbeitnehmers nach sich ziehen, sondern schafft generell eine Ungleichheit zwischen Stammbelegschaft und Leiharbeitnehmerschaft, die gewiss nicht zuträglich dafür ist, dass „[a]lle in einer 34 Jacob Joussen, Der Mitarbeiterbegriff nach der MAVO, in: ZMV Die Mitarbeitervertretung 24 (2014), S. 66 – 70, hier: S. 68; Thiel, § 3, Rdnr. 69 (Anm. 25); mehrere kürzere Beschäftigungszeiten ein und desselben Leiharbeitnehmers sind zusammenzurechnen: ebd., Rdnr. 76. 35 Zu den in der Literatur dazu vertretenen Positionen s. Raphael Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung. Die Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung in den zur Kirche gehörenden Einrichtungen, Freiburg i. Br. 2013, S. 36 – 43. 36 Zu diesbezüglichen statistischen Angaben s. ebd., S. 25 – 26. 37 Hans Michael Heinig, Dienstgemeinschaft und Leiharbeit. Kirchenrechtliche Probleme eines komplexen Rechtsbegriffs, in: ZevKR 54 (2009), S. 62 – 75, hier S. 71. 38 Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 167 – 168. Allenfalls wäre denkbar, dass nur den Loyalitätsanforderungen genügende Mitarbeiter entliehen werden (ebd., S. 168). Jedoch würde das auch nur für die bei der Einstellung eines Stammmitarbeiters geforderten Kriterien entsprechend Art. 3 GrO kirchl. Dienst gelten; spätere Loyalitätsverstöße im Sinne von Art. 4 und 5 GrO kirchl. Dienst wären nicht zu ahnden, da Grundlage dafür ein auf der GrO kirchl. Dienst basierendes Arbeitsverhältnis ist. 39 Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, München 62012, S. 82. 40 Joussen, Mitarbeiterbegriff (Anm. 34), S. 68; Thiel, § 3, Rdnr. 69 (Anm. 25).
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Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen […] durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei[tragen], dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann“.41 Zwischen „Beschäftigungsverhältnissen im Dritten Weg und Leiharbeitnehmern, die aus dem kirchlichen Arbeitsrecht zur Gänze herausfallen“, muss daher „ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteh[en]“, und zwar umso mehr, als ansonsten fraglich ist, inwieweit „die für den Fortbestand des kirchlichen Arbeitsrechts im Dritten Weg unerläßliche Plausibilisierung des kirchlichen Selbstverständnisses in den staatlichen Rechtskreis hinein […] noch zu leisten ist, wenn die Arbeits- und Lohnbedingungen für einen beachtlichen Kreis in der Kirche tätiger Arbeitnehmer außerhalb des Dritten Weges festgelegt werden.“42 Um diesbezüglich zumindest begrenzt gegenzusteuern, wurde die genannte Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Abs. 2 Nr. 3 in die MAVO aufgenommen. Schon 2007 hatte das Kirchliche Arbeitsgericht der Diözese Rottenburg-Stuttgart anerkannt, dass die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern aufgrund der Auswirkungen auf die Dienstgemeinschaft zumindest einen Tatbestand der Anhörung und Mitberatung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 MAVO darstellt.43 Darüber hinausgehend hatte der KGH.EKD in rechtsfortbildender, rechtspolitisch motivierter Weise im Jahr zuvor postuliert, die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern sei eine Einstellung und damit gemäß § 42 Buchst. a MVG.EKD zustimmungspflichtig44, was zumindest praeter legem war; Beweggrund für diese Entscheidung war, dass „[d]ie auf Dauer angelegte Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, die Substituierung, der Ersatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter [sic!] durch Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen […] mit dem Kirchenarbeitsrecht nicht vereinbar [ist]; sie widerspricht dem kirchlichen Grundsatz des Leitbildes von der Dienstgemeinschaft.“45 2. Gestellungsvertrag Eine Sonderform der Arbeitnehmerüberlassung stellen Gestellungsverträge dar. Bei dieser typischerweise im Krankenhausbereich vorkommenden, nicht-gewerbsmäßigen46 Art von Dienstverschaffungsverträgen verpflichtet sich ein Gestellungsträger, dem Rechtsträger des Einsatzbetriebs Personal zur Verfügung zu stellen, 41
Art. 1 GrO kirchl. Dienst. Heinig, Dienstgemeinschaft (Anm. 37), S. 75. 43 Kirchliches Arbeitsgericht Erster Instanz der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 15. Juni 2007, Az. AS 15/07. 44 KGH.EKD, Beschluss vom 9. Oktober 2006, Az. II-0124/M35 – 06. 45 Ebd., Leitsatz 3. 46 Ulf Kortstock, Art. Gestellungsverträge, in: Hermann Reichold/Ulf Kortstock, Das Arbeits- und Tarifrecht der katholischen Kirche, München/Freiburg i. Br. 2014, S. 188 – 190, hier: S. 188; Harald Schliemann, Das Arbeitsrecht im BGB, Berlin 22002, S. 301; Sigurd Wern, Gestellungsverträge, in: Stephan Weth/Hermann Reichold/Heike Thomae (Hrsg.), Arbeitsrecht im Krankenhaus, Köln 22011, S. 343 – 351, hier S. 343. 42
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das dieser wie bei der Arbeitnehmerüberlassung frei seinen Bedürfnissen entsprechend einsetzen kann; im Unterschied zur auf Vorläufigkeit angelegten Arbeitnehmerüberlassung werden Gestellungsverträge auf Dauer abgeschlossen. Beim Gestellungsvertrag im eigentlichen Sinne existiert dabei keinerlei Arbeitsvertrag, weder zwischen Gestellungsträger und Krankenhausträger, noch zwischen Krankenhausträger und gestellter Person, noch zwischen Gestellungsträger und gestellter Person. Vielmehr steht die gestellte Person zum Gestellungsträger „in einem kirchlichen oder weltlichen Kooperationsverhältnis, also in einer verbandsrechtlichen Sonderbeziehung“47, beispielsweise in einem mitgliedschaftlichen Verhältnis (z. B. Rot-KreuzSchwester oder Ordensmitglied). Sie hat daher keinen Arbeitnehmerstatus.48 Dementsprechend ist auch der Inhalt des Gestellungsvertrags nicht an arbeitsrechtliche Vorgaben gebunden, sondern unterliegt der freien Vertragsgestaltung der Parteien.49 Gleichwohl erfolgt eine Eingliederung der gestellten Person in den Betrieb des Krankenhausträgers und es bestehen seitens desselben arbeitsrechtliche Weisungsrechte wie bei der Arbeitnehmerüberlassung.50 Der Gestellungsträger kann dennoch jederzeit die Auswechslung der gestellten Person „verlangen und auch vornehmen“.51 In einem weiteren Sinne ist auch dann von einem Gestellungsvertrag zu sprechen, wenn die gestellte Person beim Gestellungsträger angestellt und ihm nicht mitgliedschaftlich verbunden ist.52 Seit das AÜG seit 1. Dezember 2011 aufgrund der Formulierung seines § 1 Abs. 1 Satz 1 für jede Entleihung von Arbeitnehmern im Rahmen einer wirtschaftlichen und nicht mehr lediglich einer gewerbsmäßigen Tätigkeit gilt, unterfallen auch solche Verträge über die Gestellung von Arbeitnehmern dem AÜG und seiner Erlaubnispflicht.53 Im uneigentlichen Sinne können sich Gestellungsverträge in Form eines einem Tarifvertrag ähnlichen Rahmenvertrages „auf die Festlegung von Rahmenbedingungen beschränken und die weitere Ausgestaltung einer arbeitsvertraglichen Vereinba-
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Schliemann, Arbeitsrecht (Anm. 46), S. 98 – 99, vgl. ebd. S. 301. Joussen, Mitarbeiterbegriff (Anm. 34), S. 67; Renate Oxenknecht-Witzsch, § 3, Rdnr. 14, in: dies. u. a. (Hrsg.), Eichstätter Kommentar MAVO. Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung – KAGO, Köln 2014; Reinhard Richardi, Arbeitnehmereigenschaft und Vertragsgestaltung, in: ders. u. a. (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1: Individualarbeitsrecht, München 32009, S. 252 – 267, hier: S. 265 – 266; Thiel, § 3, Rdnr. 55 (Anm. 25); Wern, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 343 – 344; Manfred Wulff/Eva Büchele, Einsatz von Fremdfirmenarbeitnehmern. So kann der Betriebsrat nach § 99 BetrVG mitbestimmen, in: Arbeitsrecht im Betrieb 33 (2012), S. 159 – 164, hier S. 162. 49 Kortstock, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 190. 50 Richardi, Arbeitnehmereigenschaft (Anm. 48), S. 266; Thiel, § 3, Rdnr. 56 (Anm. 25); Wern, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 345. 51 Beyer, § 3, Rdnr. 15 (Anm. 33). 52 Kortstock, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 188; Wern, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 345. 53 Kortstock, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 188. 48
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rung zwischen der gestellten Person und dem Krankenhausträger überlassen“.54 Dann besteht zwischen Krankenhausträger und gestellter Person ein Arbeitsvertrag. Personalgestellung kann schließlich auch als eine vertragliche Nebenleistung vorliegen, wenn der Vertrag an sich über die Gestellung technischen Geräts geschlossen wird und das Personal zu dessen Bedienung mit überlassen wird.55 Dieses Personal steht typischerweise in einem Arbeitsverhältnis zum Gesteller des Geräts. Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt dennoch nicht vor, da das Personal vom Einsatzbetrieb nicht wie eigene Mitarbeiter eingesetzt werden kann.56 Im Unterschied zu Leiharbeitskräften gelten Mitarbeiter, die aufgrund eines Gestellungsvertrags in einer Einrichtung tätig sind, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MAVO als Mitarbeiter im Sinne der Ordnung, woraus sich erweiterte Mitwirkungsrechte der MAV ergeben, wenngleich nur hinsichtlich der Eingliederung der fraglichen Mitarbeiter in die Dienstgemeinschaft und nicht bezüglich ihrer persönlichen Angelegenheiten und ihres Verhältnisses zum Gestellungsträger, wie dies § 3 Abs. 3 MAVO für Kleriker und Ordensleute explizit klarstellt.57 3. Werkvertrag Aufgrund der zunehmenden Reglementierung der Arbeitnehmerüberlassung durch das AÜG in Verbindung mit den darin angedrohten Rechtsfolgen bei Verstößen hat in einer Art „Ausweichstrategie“58 eine „Flucht in den Werkvertrag“59 als alternatives Rechtsinstitut für den drittbezogenen Personaleinsatz eingesetzt, da dieser als privatrechtlicher Vertrag flexibler ausgestaltbar ist; er basiert auf den §§ 631 – 651 BGB. Demnach verpflichtet sich durch den Abschluss eines Werkvertrags der Werkunternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der dafür vereinbarten Vergütung (§ 631 Abs. 1 BGB), wobei das „Werk“ „sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg“ sein kann (§ 631 Abs. 2 BGB). Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 633 Abs. 1 BGB), widrigenfalls dem Besteller verschiedene Rechte zukommen, v. a. Minderung der vereinbarten Vergütung, Nacherfüllung, Rücktritt und 54 Wern, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 343; vgl. Richardi, Arbeitnehmereigenschaft (Anm. 48), S. 265. 55 Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 162. 56 Schliemann, Arbeitsrecht (Anm. 46), S. 99. 57 Kortstock, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 189; Thiel, § 3, Rdnr. 60 (Anm. 25). 58 Thomas Klebe, Werkverträge – ein neues Dumpingmodell? Flucht aus der Leiharbeit?, in: Arbeitsrecht im Betrieb 33 (2012), S. 559 – 564, hier S. 559. 59 Mark Lembke, Der Einsatz von Fremdpersonal im Rahmen von freier Mitarbeit, Werkverträgen und Leiharbeit. Die Sicht eines unternehmensberatenden Anwalts, in: NZA 30 (2013), S. 1312 – 1318, hier S. 1312; vgl. Frank Maschmann, Fremdpersonaleinsatz im Unternehmen und die Flucht in den Werkvertrag, in: NZA 30 (2013), S. 1305 – 1312, hier S. 1306.
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Schadensersatz (§ 634 BGB). Bis zur Abnahme des Werkes durch den Besteller trägt der Werkunternehmer alle Gefahren (§ 644 Abs. 1 BGB), es sei denn, die Umstände liegen im Verschulden des Bestellers (§ 645 BGB). Der Werkunternehmer kann sich zur Herstellung des Werkes bei ihm angestellter Erfüllungsgehilfen bedienen, die im Betrieb des Bestellers tätig werden. Ein Werkvertrag im uneigentlichen Sinne liegt vor, wenn aufgrund betrieblicher Notwendigkeiten im Einsatzbetrieb „das ,Werk‘ bis hin zur Gestaltung einzelner Arbeitsschritte so detailliert vertraglich festgelegt [wird], daß dem Werkunternehmer in der vertraglichen Durchführungsphase kein beachtlicher eigener Entscheidungsspielraum mehr verbleibt. Die strenge Bindung an fremdbetriebliche Vorgaben führt dazu, daß das Gelingen des Werkes letztlich von nicht beherrschbaren Umständen aus der Bestellersphäre abhängt. Daher wird die Gewährleistung eingeschränkt und der Werklohn nicht mehr projektbezogen, sondern nach Zeiteinheiten vergütet. […] Mit Hilfe solch atypischer Werkverträge kann grundsätzlich jedwede Aufgabe im Fremdbetrieb übernommen werden.“60 Gleichwohl ist auch eine solche vertragliche Regelung noch eine zulässige Ausgestaltung eines Werkvertrags.61 Es kommt daneben aber vor, dass ein drittbezogener Personaleinsatz zwar als Werkvertrag deklariert wird, aber nicht dessen Kriterien erfüllt, sondern de facto als Arbeitnehmerüberlassung zu bewerten ist (zur Abgrenzung s. u. IV. 6.). Da es für die rechtliche Qualifikation des Vertrags auf die Intention bei seinem Abschluss und seine tatsächliche Durchführung und nicht auf seine Deklaration ankommt62, liegt dann ein Scheinwerkvertrag bzw. tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung vor, die, sofern der Entleiher die notwendige Genehmigung dafür nicht besitzt, die oben genannten Konsequenzen nach sich zieht.63 Bei Personen, die aufgrund eines Werkvertrags in einer Einrichtung tätig sind, kommen der MAV keine Mitwirkungsrechte zu. In Analogie zur Arbeitnehmerüberlassung wäre allerdings aufgrund des Grundprinzips der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Dienstgeber und MAV (§ 26 Abs. 1 MAVO) von einem Recht der MAV auf Anhörung und Mitberatung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 MAVO auszugehen, bevor Werkvertragsmitarbeiter tätig werden, da auch dies je nach Umfang ver-
60 Andreas Walle, Betriebsverfassungsrechtliche Aspekte beim werkvertraglichen Einsatz von Fremdpersonal, in: NZA 26 (1999), S. 518 – 522, hier S. 518; vgl. Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 160. 61 Walle, Aspekte (Anm. 60), S. 518, Anm. 8 (Judikatur). 62 Burkhard Boemke, Arbeitnehmerüberlassung oder Fremdfirmeneinsatz im Rahmen von Werkverträgen, in: ders./Mark Lembke/Rüdiger Linck (Hrsg.), Festschrift für Gerrick Freiherr von Hoyningen-Huene zum 70. Geburtstag, München 2014, S. 43 – 58, hier S. 44, 47 – 48; Lembke, Fremdpersonal (Anm. 59), S. 1313; Maschmann, Fremdpersonaleinsatz (Anm. 59), S. 1306; Thiel, § 3, Rdnr. 66 (Anm. 25); Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 166. 63 Klebe, Werkverträge (Anm. 58), S. 562; Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 167.
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gleichbare Probleme wie der Einsatz von Leiharbeitskräften mit sich bringen kann.64 Ein Recht auf Anhörung und Mitberatung gibt der MAV allerdings keine Möglichkeit, die geplante Maßnahme zu verhindern. 4. Dienstvertrag In ähnlicher Weise wie beim Werkvertrag verpflichtet sich beim in den §§ 611 – 630 BGB geregelten Dienstvertrag jemand statt zur Schaffung eines Werkes zur Erbringung von Diensten jeglicher Art gegenüber einem anderen, der sich im Gegenzug zur Gewährung einer vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 611 BGB). Freilich übernimmt der Dienstverpflichtete keine Gewährleistung für seine Dienste, da er weitergehenden Anweisungen seitens des Dienstberechtigten unterworfen ist als der Werkunternehmer. Aus dem Dienstvertrag ergeben sich für den Dienstberechtigten verschiedene Fürsorgepflichten gegenüber dem Dienstverpflichteten (§§ 617, 618 BGB). Eine typische Sonderform der Dienstverträge stellen Arbeitsverträge dar (vgl. § 622 BGB), die unselbstständige Arbeitserbringung regeln, während unter die Dienstverträge generell auch selbstständig erbrachte Dienste fallen. Werden vom Einsatzbetrieb Vorgaben gemacht, die dem aufgrund Dienstvertrag erbrachten Dienst teilweise den Charakter einer weisungsgebundenen Tätigkeit verleihen, so liegt – wiederum ähnlich wie beim Werkvertrag – ein unechter Dienstvertrag vor. Liegt die gesamte Weisungsbefugnis beim Einsatzbetrieb, so handelt es sich um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung.65 Wie beim Werkvertrag sind Personen, die aufgrund eines Dienstvertrages in einer Einrichtung tätig werden, keine Mitarbeiter im Sinne der MAVO, so dass sich bezüglich ihnen keine Mitwirkungsrechte der MAV ergeben.66 5. Weitere Formen Neben den bisher angesprochenen Rechtsinstituten kommt insbesondere der Einsatz freier (auf selbstständiger Basis tätiger) Mitarbeiter in Betracht, bei denen sich die Frage der Abgrenzung von der Stammbelegschaft stellt, da sie äußerlich kaum von dieser zu unterscheiden sind. Ein typischer freier Mitarbeiter organisiert seine Arbeitszeit und Arbeitsabläufe im Unterschied zum Stammmitarbeiter allerdings selbstständig67 und gilt dann nicht als Mitarbeiter im Sinne der MAVO.68 „Je mehr der angebliche ,freie‘ Mitarbeiter arbeitsrechtlichen Weisungen hinsichtlich Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung […] bzw. Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer 64
Klebe, Werkverträge (Anm. 58), S. 559. Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 161. 66 Joussen, Mitarbeiterbegriff (Anm. 34), S. 67. 67 Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 162. 68 Thiel, § 3, Rdnr. 66 (Anm. 25). 65
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im Betrieb […] unterliegt und je mehr er in die Arbeitsprozesse und Betrieb des Einsatzunternehmens eingegliedert ist, desto eher ist […] davon auszugehen, dass es sich um einen Fall der ,Scheinselbständigkeit‘ handelt und der Mitarbeiter in Wahrheit Arbeitnehmer […] ist.“69
Falls es sich bei der durch Fremdpersonal wahrgenommenen Tätigkeit um „eine selbstständig abtrennbare organisatorische Einheit [handelt], in der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird“, kann dies als ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB einzustufen sein.70 Daneben vorkommende Formen drittbezogenen Personaleinsatzes sind die Abordnung als „vom Arbeitgeber veranlasste vorübergehende Beschäftigung bei einer anderen Dienststelle oder einem anderen Betrieb desselben oder eines anderen Arbeitgebers unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses“71, die Versetzung als „vom Arbeitgeber veranlasste, auf Dauer bestimmte Beschäftigung bei einer anderen Dienststelle oder einem anderen Betrieb desselben Arbeitgebers unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses“72 und die Zuweisung als „vorübergehende Beschäftigung bei einem Dritten im In- und Ausland, bei dem [das einschlägige Arbeitsvertragsrecht] nicht zur Anwendung kommt“.73 Vor der Umsetzung derartiger Maßnahmen kommt der MAV in der entsendenden Einrichtung ein Zustimmungsrecht zu, „es sei denn, dass es sich um Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter für pastorale Dienste oder religiöse Unterweisung handelt, die zu ihrer Tätigkeit der ausdrücklichen bischöflichen Sendung oder Beauftragung bedürfen“ (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 MAVO); in diesen letzteren Fällen besitzt die MAV lediglich ein Anhörungs- und Mitberatungsrecht (§ 29 Abs. 1 Nr. 10 MAVO). Abgeordnete Mitarbeiter bekommen nach einer dreimonatigen Tätigkeit im Einsatzbetrieb das Wahlrecht zur MAV, während ihr Wahlrecht in der entsendenden Einrichtung erlischt, falls nicht feststeht, dass sie innerhalb weiterer sechs Monate dorthin zurückkehren werden (§ 7 Abs. 2 MAVO). Schließlich kann eine entgeltliche Geschäftsbesorgung als Sonderform eines Werk- oder Dienstvertrags (§ 675 BGB) vorliegen.
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Lembke, Fremdpersonal (Anm. 59), S. 1313. Boris Karthaus/Thomas Klebe, Legitimation durch Kollektivvertrag. Leiharbeit, Werkvertrag und die Erosion der Arbeitgeberrolle, in: Jens Schubert (Hrsg.), Anforderungen an ein modernes kollektives Arbeitsrecht. Festschrift für Otto Ernst Kempen, Baden-Baden 2013, S. 295 – 312, hier S. 307. 71 Protokollerklärung Nr. 1 zu § 4 Abs. 1 TV-L; vgl. Thomas Ritter, Art. Abordnung, in: Hermann Reichold/Ulf Kortstock, Das Arbeits- und Tarifrecht der katholischen Kirche, München/Freiburg i. Br. 2014, S. 5 – 10, hier S. 5. 72 Protokollerklärung Nr. 2 zu § 4 Abs. 1 TV-L; vgl. Hermann Reichold, Art. Versetzung, in: ders./Ulf Kortstock, Das Arbeits- und Tarifrecht der katholischen Kirche, München/Freiburg i. Br. 2014, S. 343 – 346, hier: S. 343. 73 Protokollerklärung zu § 4 Abs. 2 TV-L; vgl. o. 4.2. 70
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6. Unterscheidung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag Bei drittbezogenem Personaleinsatz sind die Rechtsinstitute Arbeitnehmerüberlassung (gegebenenfalls auch in der Form eines Gestellungsvertrags) und Werkvertrag (bzw. Dienstvertrag) die häufigsten. Da sie gerade hinsichtlich der jeweils der MAV zukommenden Rechte grundlegend verschieden sind, ist – wie der Ausgangsfall gezeigt hat – ihre teilweise „in der Praxis sehr diffizile Unterscheidung“74 von zentraler Bedeutung. Dafür wurden in der Literatur und staatlichen arbeitsgerichtlichen Judikatur verschiedene Kriterien entwickelt, die Indizcharakter dafür besitzen, auf welcher Rechtsgrundlage betriebsfremde Arbeitnehmer tätig sind. Das bedeutsamste Unterscheidungsmerkmal ist das arbeitsrechtliche, „personenbezogen[e], ablauf- und verfahrensorientiert[e]“75 Direktionsrecht, aufgrund dessen festgelegt werden kann, welche Personen wann, wo und wie tätig werden, wann sie Pausen machen müssen, wie sie sich im Betrieb zu verhalten haben, wann sie Urlaub bekommen usw.; liegt es vollständig beim Entleiher, spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung, liegt es vollständig oder zumindest teilweise beim Vertragsarbeitgeber, spricht dies demgegenüber für einen Werkvertrag.76 „Dass der Besteller Einfluss auf die Qualifikation und die Zahl der eingesetzten Erfüllungsgehilfen nimmt, hat keine Aussagekraft dafür, wem das arbeitsrechtliche Direktionsrecht zusteht. Im Einzelfall kann sich sogar aus dem Inhalt des Werkvertrags ergeben, dass eine genau bestimmte Zahl von Personen zur Erfüllung eingesetzt werden muss. […] Entsprechendes gilt für die Gestellung von Material und Arbeitsmittel. Dieses ist für die Frage, wem das arbeitsrechtliche Weisungsrecht zusteht, ohne Belang. […] Generell hat das BSG entschieden, dass das Zurverfügungstellen von Arbeitsgerät zumindest dann nicht gegen einen Werkvertrag spricht, wenn sich dies preismäßig auswirkt.“77
In ähnlicher Weise kann die Organisationshoheit betrachtet werden. Ein Werkunternehmer organisiert die Erstellung des von ihm geschuldeten Werkes nach Art der Durchführung und Zeitdauer eigenverantwortlich; ein Weisungsrecht ihm gegenüber besitzt das Einsatzunternehmen nur „projektbezogen und ergebnisorientiert“78 bezüglich des geschuldeten Werkes, also hinsichtlich des Arbeitsergebnisses, nicht bezüglich des Arbeitsablaufs. Demgegenüber wird der Einsatz von Leiharbeitnehmern vom Einsatzunternehmen geregelt, das über Zahl und Beschäftigungsdauer der Leih74
Boemke, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 62), S. 53. Ebd., S. 47. 76 Ebd., S. 44, 46; Maschmann, Fremdpersonaleinsatz (Anm. 59), S. 1308 – 1309; Walk/ Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 166; Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 161; zwischen Gestellungs- und Werkvertrag ist die Unterscheidung analog: Wern, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 345 – 346. 77 Boemke, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 62), S. 51 – 52. A. A. bezüglich der Zurverfügungstellung von Arbeitsmitteln Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 166. 78 Boemke, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 62), S. 47. 75
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arbeitnehmer bestimmt, sie in die Betriebsabläufe integriert, ihnen die konkrete Arbeit zuweist und Vorgaben über die Weise der Arbeitserfüllung macht.79 Je enger die Zusammenarbeit mit der Stammbelegschaft des Einsatzbetriebs (z. B. in gemischten Teams, Urlaubsvertretungen) und je näher die verrichtete Arbeit am Kernbereich des Unternehmenszwecks ist, desto mehr spricht für Arbeitnehmerüberlassung; das gleiche gilt, wenn der Einsatzbetrieb dem Fremdpersonal die Arbeitszeiten vorgibt, es als Vertretung für Stammpersonal einsetzt oder ihm Tätigkeiten zuweist, die mit dem vereinbarten Werk nichts zu tun haben.80 Dass sich im Einzelfall für die Beurteilung der Rechtsqualität des Fremdpersonaleinsatzes ein schmaler Grat eröffnen kann, zeigt sich daran, dass es einerseits nicht für das Vorliegen eines arbeitsrechtlichen Direktionsrechtes und damit für Arbeitnehmerüberlassung spricht, wenn dem Fremdpersonal lediglich im Rahmen einer detaillierten Beschreibung der übertragenen Tätigkeiten im zugrundeliegenden Werkvertrag Anweisungen gegeben werden; ebenso begründet alleine die dauerhafte Erbringung betrieblicher Aufgaben durch das Fremdpersonal diese Annahme noch nicht.81 Andererseits kann eine „als Werkvertrag maskier[te]“82 Arbeitnehmerüberlassung vorliegen, wenn seitens des Einsatzunternehmens arbeitsrechtliche Direktiven an einen vom Werkunternehmer gestellten Vorarbeiter gegeben werden, der diese aber nur weitergibt.83 Insbesondere zwischen Arbeitnehmerüberlassung und uneigentlichen Werkverträgen ist die Unterscheidung schwierig: „In beiden Fällen ist der Inhaber des Betriebes, in dem die Fremdarbeiter eingesetzt werden, diesen gegenüber weisungsbefugt. Der Unterschied dieser beiden Einsatzformen liegt darin, dass der Betriebsinhaber bei einem atypischen Werkvertrag den Fremdarbeitnehmern gegenüber nur zum Teil weisungsbefugt ist. Die Fremdfirma ist bei diesem Vertragstyp nach wie vor als Vertragspartnerin […] für die Leistung ihrer Arbeitnehmer mitverantwortlich. […] Bei der Arbeitnehmerüberlassung hingegen hat die Fremdfirma ihre Weisungsbefugnis vollständig auf den Dritten übertragen.“84
Während bei der Arbeitnehmerüberlassung der Entleiher lediglich einen entsprechend qualifizierten Arbeitnehmer gestellt bekommt, den er nach der geleisteten Arbeitszeit bezahlt, jedoch keine Garantie für ein bestimmtes Arbeitsergebnis erhält85, ist bei einem Werkvertrag das Arbeitsergebnis der zuvor (z. B. in einem Leistungs79 Ebd., S. 45, 46, 52; Lembke, Fremdpersonal (Anm. 59), S. 1317; Maschmann, Fremdpersonaleinsatz (Anm. 59), S. 1306, 1309; Thiel, § 3, Rdnr. 61 (Anm. 25); Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 166; Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 161. 80 Maschmann, Fremdpersonaleinsatz (Anm. 59), S. 1310; Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 166; vgl. jüngst KAG Fulda, Urteil vom 6. November 2013, Az. M 1/12. 81 Karthaus/Klebe, Legitimation (Anm. 70), S. 302. 82 Ebd., S. 303. 83 Maschmann, Fremdpersonaleinsatz (Anm. 59), S. 1309. 84 Wulff/Büchele, Einsatz (Anm. 48), S. 161. 85 Gleiches gilt für einen Gestellungsvertrag: Wern, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 346.
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verzeichnis) festgelegte, eigentliche und vergütungspflichtige86 Inhalt des Vertrags, der nach Abschluss konkret messbar und durch die Gewährleistungspflicht des Werkunternehmers garantiert ist, der auch für durch seine Erfüllungsgehilfen verursachte Schäden am Betriebseigentum des Einsatzbetriebs haftet.87 Eine derartige Haftung kann der Werkunternehmer gerade und nur deshalb übernehmen, weil er das arbeitsrechtliche Direktionsrecht ausübt; der Verleiher eines Leiharbeitnehmers, der dies nicht tut, kann dagegen nur für die Qualifikation des Arbeitnehmers, nicht aber für dessen Arbeitsausübung haften, die nicht nur von der Qualifikation abhängt, sondern auch vom Arbeitsablauf.88
V. Bewertung des Urteils des KAGH Vor diesem rechtlichen Hintergrund soll nun die Entscheidung des KAGH bewertet werden. Kann sie „nicht überzeugen“89 oder enthält sie „wegweisende Aussagen“, weil sie über die Qualifizierung des drittbezogenen Personaleinsatzes, der „[v]om Sendungsauftrag der Kirche her […] jedenfalls problematisch“ ist, als Gestellungsvertrag ein Zustimmungsrecht der MAV „direkt aus der MAVO begründet“90 und damit den „MAVen einen klaren Auftrag [gibt], aktiv zu werden“91? Die Entscheidung zu loben, scheint zu heißen, Rechtspolitik durch die Judikatur zu loben. Über Sinn und Legitimität derartiger, zumindest praeter legem betriebener Rechtsfortbildung lässt sich trefflich streiten.92 Dass der Einsatz von Fremdpersonal in kirchlichen Einrichtungen besonders problematisch ist, wurde oben bereits angesprochen und steht außer Frage. Andererseits sind klare Kriterien erkennbar, nach denen der Ausgangsfall gelöst werden kann – wenn man nicht ein rechtspolitisches Ziel vorgegeben sieht. Die Qualifikation des fraglichen Fremdpersonaleinsatzes durch den KAGH als Gestellungsvertrag überrascht schon deshalb, weil der an der Entscheidung beteiligte 86 Allerdings ist neben der typischen erfolgsbasierten pauschalierten Vergütung bei einem Werkvertrag auch eine Abrechnung auf Basis eines Stundensatzes möglich, wie sich schon aus dem zwischenzeitlich aufgehobenen § 641a Abs. 1 Satz 4 BGB ergab; vgl. Boemke, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 62), S. 56 – 57. 87 Ebd., S. 45, 46, 55; Walk/Christiansen, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 25), S. 166. Freilich muss der Leistungserfolg nicht schon bei Abschluss des Werkvertrags feststehen: Boemke, Arbeitnehmerüberlassung (Anm. 62), S. 50. 88 Maschmann, Fremdpersonaleinsatz (Anm. 59), S. 1309. 89 Joussen, Mitarbeiterbegriff (Anm. 34), S. 67, Anm. 12. 90 Renate Oxenknecht-Witzsch, Arbeitnehmerüberlassung durch Gestellungsvertrag, in: ZMV Die Mitarbeitervertretung 23 (2013), S. 209 – 210, hier S. 209. 91 Ebd., S. 210. 92 Siehe dazu Gerhard Neudecker, Ius sequitur vitam. Der Dienst der Kirchengerichte an der Lebendigkeit des Rechts. Zugleich ein Beitrag zur Vergleichung des kanonischen und staatlichen Rechtssystems (= Tübinger kirchenrechtliche Studien, Band 13), Münster/Berlin 2013.
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Präsident dieses Gerichtes bislang mit der überwiegend in der Literatur vorgetragenen Meinung die Auffassung vertreten hatte, dass von einem Gestellungsvertrag nur dann gesprochen werden könne, wenn zwischen gestellter Person und Gestellungsträger ein mitgliedschaftliches Verhältnis besteht. Das oben referierte neuere, weitere Verständnis, demzufolge auch die Gestellung Angestellter als Gestellungsvertrag klassifiziert werden kann, teilte er bisher nicht.93 Von einem Mitgliedschaftsverhältnis der Mitarbeiter des MVZ kann selbstverständlich nicht die Rede sein, da diese dort als gewöhnliche Arbeitnehmer angestellt sind. Freilich ist einzuräumen, dass eine weite Auslegung des Begriffs eines Gestellungsvertrags, die auch Angestellte umfasst, wahrscheinlich korrekt ist. Als Beispiel kann die Beschäftigung von Pastoralreferenten angeführt werden, die mit der Diözese einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben, aber in einer Pfarrei tätig werden; ebenso können Religionslehrer genannt werden, die als Angestellte der Diözese an staatlichen Schulen unterrichten. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine Umsetzung als „Wechsel des Arbeitsplatzes innerhalb einer Dienststelle“94, da die Betreffenden bei einem anderen Dienstgeber als demjenigen tätig werden, mit dem sie einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben. Von den oben (4.) genannten Formen drittbezogenen Personaleinsatzes beschreibt der Gestellungsvertrag das faktisch vorliegende Arbeitsverhältnis rechtlich wohl am zutreffendsten, weil es sich um eine auf Dauer angelegte Beschäftigung innerhalb der Grenzen des jeweiligen diözesanen Tarifwerks und unter Fortgeltung der Loyalitätsobliegenheiten des kirchlichen Dienstes, jedoch bei einem anderen Dienstgeber – der Kirchengemeinde bzw. staatlichen Schule – unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses mit dem ursprünglichen Dienstgeber – der Diözese – handelt.95 Eine Personalgestellung Angestellter ist also im kirchlichen Bereich durchaus verbreitet. 93
Richardi, Arbeitnehmereigenschaft (Anm. 48), S. 265 – 266. Reichold, Versetzung (Anm. 72), S. 344. 95 Kortstock, Gestellungsverträge (Anm. 46), S. 189. Insbesondere ist das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung selbst bei an staatlichen Schulen tätigen, kirchlich angestellten Religionslehrern zu verneinen, da diese nicht „voll in die Einrichtung der entleihenden Stelle eingegliedert“ werden, sondern selbst bei einer staatlichen Refinanzierung aufgrund der fortbestehenden Loyalitäts- und sonstigen besonderen, sich aus der Missio canonica ergebenden Obliegenheiten „der Schwerpunkt der arbeitsvertraglichen Pflichten zum vertraglichen kirchlichen Arbeitgeber […] erhalten“ bleibt, weil „das Bistum den Dienst in der Einrichtung bei dem anderen Träger nach seinen eigenen Grundsätzen inhaltlich festlegt und überwacht“, „so dass eine Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen zwischen dem Vertragsarbeitgeber und dem anderen Träger einer Einrichtung nicht vorliegt“ (Thiel, § 23, Rdnr. 34 [Anm. 25]; vgl. ebd. § 3, Rdnrn. 70, 74, § 23, Rdnr. 31). Für die Beschäftigung von Pastoralreferenten in Kirchengemeinden kann dies ohnehin gesagt werden. Der Annahme des Vorliegens einer Arbeitnehmerüberlassung bei diesen Fallkonstellationen steht daneben nicht nur die Dauerhaftigkeit des Personaleinsatzes entgegen, sondern auch das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf selbstständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV: Beyer, § 3, Rdnr. 26 (Anm. 33); Wolfgang Hammerl, § 23, Rdnr. 3, in: Norbert Beyer u. a. (Hrsg.), MAVO. Freiburger Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung. Einschließlich Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung (KAGO), Freiburg i. Br. 2014. 94
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Nichtsdestotrotz müssen für eine sachgerechte Beurteilung des Ausgangsfalles die zur Anwendung kommenden Vertragsbedingungen betrachtet werden, aus denen sich eine eindeutige Qualifikation des Vertragsverhältnisses ergibt. Indizcharakter besitzen insbesondere folgende Klauseln des „Honorarvertrags“: (1)
Vertragsgegenstand ist die Erbringung der kompletten anästhesiologischen Leistungen für einen bestimmten Patienten.96
(2)
Der Umfang wird fallweise vom Krankenhaus angefordert.97
(3)
Der eingesetzte Personalbestand ist nur nach einer Mindestanzahl definiert und bemisst sich ansonsten nach der freien unternehmerischen Entscheidung des MVZ.98
(4)
Das MVZ muss nötigenfalls eine Vertretung sicherstellen.99
(5)
Das MVZ nimmt die Fach- und Dienstaufsicht über das Personal wahr.100
(6)
Das MVZ kontrolliert die Einhaltung von Vorschriften des Krankenhauses durch sein Personal.101
(7)
Der Besuch von Einweisungen des Krankenhauses durch das Personal des MVZ wird von letzterem überwacht und dokumentiert.102
(8)
Die Vergütung für das MVZ wird nach Zeit berechnet, aber unter Absehung von der Anzahl des zum Einsatz kommenden Personals pauschaliert.103
(9)
Eine Nutzung eigener Einrichtungen des MVZ seitens des Krankenhauses wird nicht vergütet.104
(10) Das MVZ haftet für alle selbst oder durch seine Erfüllungsgehilfen verursachten Schäden gegenüber den Patienten wie hinsichtlich einer etwa falschen Gerätebedienung.105 (11) Das MVZ stellt das Krankenhaus von allen mit den von ihm erbrachten Leistungen zusammenhängenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen frei.106
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§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 und 6 der Vereinbarung. § 1 Abs. 3 der Vereinbarung. 98 § 3 Abs. 2 der Vereinbarung. 99 § 6 der Vereinbarung. 100 § 2 Abs. 3 der Vereinbarung. 101 § 2 Abs. 4 der Vereinbarung. 102 § 3 Abs. 4 der Vereinbarung. 103 § 4 Abs. 2 der Vereinbarung. 104 § 3 Abs. 3 und 5 der Vereinbarung. 105 §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 1 und 3 der Vereinbarung. 106 § 7 Abs. 2 der Vereinbarung.
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(12) Die ärztlichen Mitarbeiter des MVZ sind in Diagnostik und Therapie unabhängig und nur gesetzlichen Vorschriften unterworfen.107 (13) Das MVZ muss die Qualifikation des Personals gegenüber dem Krankenhaus nachweisen.108 (14) Der Hygienebeauftragte des Krankenhauses besitzt gegenüber dem Hygienebeauftragten des MVZ in Fragen der Hygiene ein Weisungsrecht.109 (15) Eine regelmäßige Teilnahme des Personals des MVZ an Hygieneschulungen des Krankenhauses ist vorgeschrieben.110 (16) Einweisungen in Geräte des Krankenhauses werden von diesem übernommen.111 (17) An Hausordnungen o. ä. des Krankenhauses haben sich die Mitarbeiter des MVZ zu halten.112 (18) Die Nutzung der Räumlichkeiten und Geräte des Krankenhauses bei der Erbringung der Leistungen durch das MVZ erfolgt kostenfrei.113 Im Sinne der obigen Ausführungen zur Unterscheidung zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung (IV.6.) ist es ein erstes klares Anzeichen für das Vorliegen eines Werkvertrags, dass das MVZ ein in sich abgeschlossenes Leistungspaket „anästhesiologische Leistungen“ erbringt (Klausel 1.), das fallweise nach Bedarf vom Krankenhaus eingekauft wird (2.), so dass nicht etwa ständig ein Anästhesieteam des MVZ vor Ort ist und auf möglicherweise eintretende Einsätze wartet. Dass die Leistungserbringung im Rahmen von Operationen in enger Zusammenarbeit mit Stammmitarbeitern des Krankenhauses erfolgt, steht dem nicht entgegen. Die Anästhesieleistungen sind ein in sich abgeschlossener Bereich und nicht integraler Teil der Operation an sich, sondern nach modernem Verständnis (im Unterschied zum historischen Befund, wo noch ohne Anästhesie operiert wurde) eine deren Voraussetzungen, ebenso wie beispielsweise das Operationsbesteck sterilisiert sein muss. Anders wäre die Sachlage, wenn die Anästhesie eines bestimmten Patienten von einem gemischten Team aus Mitarbeitern des Krankenhauses und des MVZ durchgeführt würde oder wenn seitens des MVZ bei der Operation assistierende Ärzte gestellt würden, gegenüber denen dem leitenden Operateur auch deutlich weiter gehende Weisungsrechte zukämen. Die Qualität der Anästhesie und die Qualität der Operation können auch ohne weiteres getrennt betrachtet werden, selbst wenn die letztere (u. a.) von der ersteren abhängt. Es kann daher im vorliegenden Fall nur von 107
§ 2 Abs. 2 der Vereinbarung. § 1 Abs. 4 der Vereinbarung. 109 § 2 Abs. 5 der Vereinbarung. 110 § 2 Abs. 5 der Vereinbarung. 111 § 3 Abs. 4 der Vereinbarung. 112 § 9 Abs. 1 der Vereinbarung. 113 § 3 Abs. 3 und 5 der Vereinbarung. 108
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einer begrenzten Eingliederung der Mitarbeiter des MVZ in den Betriebsablauf des Krankenhauses die Rede sein. Hinzu kommt, dass der eingesetzte Personalbestand (abgesehen von einem vertraglich vereinbarten Minimum) sich nach der freien unternehmerischen Entscheidung des MVZ bemisst (3.), das auch bestimmt, welche Mitarbeiter genau zum Einsatz kommen. Für das Leistungspaket erhält das MVZ zudem lediglich eine Pauschalvergütung, die zwar die Einsatzzeit berücksichtigt, nicht aber die Anzahl des tatsächlich eingesetzten Personals (8.). Konsequenterweise muss das MVZ gegebenenfalls auch eine Vertretung organisieren, d. h. die Erbringung des Leistungspakets sicherstellen (4.) und bekommt für die Nutzung eigener Einrichtungen keine zusätzliche Vergütung (9.). Wie ein Werkunternehmer stellt das MVZ also ein „Werk“ zur Verfügung, während sich das Krankenhaus für die Modalitäten dessen Erbringung nicht interessiert. Dass das MVZ dabei durchaus ein gewerbsmäßiges Interesse verfolgt, spricht ebenfalls gegen eine Gestellung. Über das eingesetzte Personal übt das MVZ die Fach- und Dienstaufsicht aus (5.) und kontrolliert die Einhaltung von Vorschriften (6.) und Einweisungen (7.), hat also ein umfassendes arbeitsrechtliches Direktionsrecht inne. Demgegenüber kommt dem Krankenhaus mit dem bloßen Recht, Hygieneschulungen vorzuschreiben (15.), Weisungen bezüglich der Hygiene zu erteilen (14.), Einweisungen durchzuführen (16.) und Haus- und ähnliche Ordnungen zu erlassen (17.), nur ein projektbezogenes und ergebnisorientiertes Weisungsrecht zu; das Krankenhaus macht den Mitarbeitern des MVZ gerade keine Vorschriften darüber, auf welche Art und Weise sie eine erfolgreiche Anästhesie durchzuführen haben. Ein derart eingeschränktes arbeitsrechtliches Direktionsrecht des Krankenhauses, das mitnichten völlig frei über die seitens des MVZ eingesetzten Mitarbeiter verfügen kann, wäre bei einer Arbeitnehmerüberlassung oder Gestellung gänzlich atypisch. Auch die Vereinbarung, dass die Qualifikation des seitens des MVZ eingesetzten Personals nachgewiesen werden muss (13.), entspricht lediglich der Notwendigkeit, gesetzlichen Sicherheitsvorschriften Genüge zu tun und den Erfolg der Operationen sicherzustellen, und sagt nichts darüber aus, wem das arbeitsrechtliche Direktionsrecht zukommt. Dass die eingesetzten Anästhesisten in Diagnostik und Therapie nur gesetzlichen Vorschriften unterworfen sind (12.), ist dabei eine sich aus der ärztlichen Berufsfreiheit ergebende Selbstverständlichkeit, die nicht gegen das Vorliegen eines Werkvertrags spricht, da dies beim Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung nicht anders sein könnte. Ein deutliches Zeichen für die Qualifikation des „Honorarvertrags“ als Werkvertrag ist schließlich die Haftung (10.) bzw. Haftungsfreistellung (11.) seitens des MVZ, die bei einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Gestellung nicht in Frage käme, da hierbei der eingesetzte Arbeitnehmer in die Belegschaft des Einsatzbetriebs eingegliedert wird. Dass das MVZ Räumlichkeiten und Geräte des Krankenhauses unentgeltlich nutzen kann (18.), muss nicht zwingend gegen das Vorliegen eines Werkvertrags sprechen. Ähnlich wie die vorliegend zweifellos nötige enge Zusammenarbeit zwischen Personal des MVZ und Stammpersonal des Krankenhauses beim Operationsablauf könnte dies allenfalls ein Argument darstellen, die vertragli-
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che Konstruktion als einen atypischen Werkvertrag anzusehen114, wozu auch die Vergütung nach Zeiteinheiten passt. Wie oben (4.3.) ausgeführt, handelt es sich gleichwohl dann aber immer noch um eine zulässige Form eines Werkvertrags und nicht um Arbeitnehmerüberlassung oder Gestellung115, wobei ohnehin nicht ersichtlich ist, weshalb der KAGH für das letztere und nicht das erstere plädiert hat, obwohl auch dieses ein Mitbestimmungsrecht der MAV begründet hätte; dass im aktuellen Fall eine Gestellung vorläge, hatte während des Rechtsstreits niemand vorgetragen. Angesichts der Eindeutigkeit der sachlichen Kriterien überrascht nicht nur die zweitinstanzliche Entscheidung, sondern eher noch, dass diese in der einschlägigen Kommentarliteratur durchweg kritiklos referiert wird.116 Dies mag seine Ursache darin haben, dass das Ergebnis begrüßt wird, „Personen, die kein Arbeitsverhältnis mit dem Träger der Einrichtung abgeschlossen haben, in den Anwendungsbereich der MAVO zu integrieren“117 und somit sicherzustellen, dass „das Leitbild einer kirchlichen Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Dienstes nicht in Frage“118 gestellt wird. Demgegenüber ist jedoch festzuhalten, dass Aufgabe der Gerichte nicht ist, eine Aushöhlung der Dienstgemeinschaft rückgängig zu machen, die andere verursacht haben und heilen könnten und müssten; Aufgabe der Gerichte ist, auf Basis geltenden Rechts Streitfälle zu entscheiden, was das erstinstanzliche Urteil jedenfalls sachgerechter erfüllt hat. Selbst wenn dem nicht ausschließlich so sein sollte, darf doch eine gerichtliche Entscheidung nicht so interessegeleitet sein, dass sie eindeutige sachliche Kriterien übergeht, nur um beim hehren Ziel eines Mitbestimmungsrechts der MAVanzulangen, auch wenn dieses zum Schutz des hohen Gutes der Dienstgemeinschaft noch so wünschenswert sein mag.
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A. A. Thiel, § 3, Rdnr. 57 (Anm. 25). Vgl. Anm. 61. 116 Beyer, § 3, Rdnr. 16 (Anm. 33); Oxenknecht-Witzsch, § 3, Rdnr. 14 (Anm. 48); Thiel, § 3, Rdnr. 57 (Anm. 25). 117 Oxenknecht-Witzsch, § 3, Rdnr. 14 (Anm. 48). 118 Beyer, § 3, Rdnr. 16 (Anm. 33). 115
Als es noch keine kirchlichen Arbeitsgerichte gab Der Rechtsschutz bei Streitigkeiten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts in der Zeit von 1971 bis 2005 Ulrich Rhode
I. Einführung Im Jahre 2015 kann die von der katholischen Kirche in Deutschland geschaffene Arbeitsgerichtsbarkeit auf eine zehnjährige Geschichte zurückblicken.1 Versuche einer Beurteilung ihrer Erfolge und Schwierigkeiten tun gut daran, auch einen Vergleich damit anzustellen, wie die Kirche die betreffenden Streitigkeiten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts vor Erlassen der Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung (KAGO), also vor dem Jahre 2005, zu bewältigen versucht hatte. Dazu soll der nachstehende geschichtliche Überblick eine Hilfestellung bieten. Er hat es mit ungefähr einem Drittel Jahrhundert zu tun. Zwar wurden die ersten diözesanen Mitarbeitervertretungsordnungen schon in den 50er Jahren erlassen,2 die Frage des Rechtsschutzes trat dabei aber zunächst noch kaum ins Bewusstsein.3 Das änderte
1 Einen Überblick über die ersten drei Jahre gibt Alfred E. Hierold, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der Katholischen Kirche, in: Stephan Haering u. a. (Hrsg.), In mandatis meditari (= FS Paarhammer), Berlin 2012, S. 671 – 680. 2 Erzbistum Paderborn, Einführung von Mitarbeitervertretungen bei den caritativen Einrichtungen in der Erzdiözese Paderborn, vom 27. 1. 1956: ABl. Paderborn 1956, S. 27 – 30; Bistum Limburg, Satzung für eine Mitarbeitervertretung im Bischöflichen Ordinariat Limburg, in Kraft getreten am 1. 1. 1962, abgedruckt in: Gerhard Buballa, Grundprobleme der kirchlichen Mitarbeitervertretung, Bornheim 1993, S. 203 – 207; Bistum Fulda, Kirchliches Personalvertretungsgesetz für die Laienbediensteten des Bischöflichen Generalvikariates, des Bischöflichen Offizialates und des Fuldaer Domkapitels, vom 31. 12. 1968 (erwähnt: ABl. Fulda 1976, S. 6, § 24 Abs. 2); Erzbistum Paderborn, Verordnung über die Bildung einer Mitarbeitervertretung im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn (Personalratssatzung), vom 1. 10. 1969: ABl. Paderborn 1969, S. 154 – 158; Bistum Würzburg, Personalvertretungsordnung des Bischöflichen Ordinariats Würzburg, vom 13. 5. 1970: ABl. Würzburg 1970, S. 135 – 150. – Auch die Rahmen-MAVO von 1971 gibt zu erkennen, dass es bereits vorher kirchliche Mitarbeitervertretungen gab; denn in § 29 enthält sie Übergangsregelungen für „beim Inkrafttreten bestehende Mitarbeitervertretungen“. 3 Die Verordnung über die MAV im Generalvikariat Paderborn von 1969 (siehe Anm. 2) enthielt in § 13 Abs. 3 Bestimmungen über ein Wahlprüfungsgericht. Die Personalvertre-
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sich, als der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) im Jahre 1971 erstmals eine Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) beschloss; denn bereits diese erste Fassung der Rahmen-MAVO ging auch auf die Frage des Rechtsschutzes ein. Demgegenüber blieb in den Ordnungen für die Kommissionen zur Ordnung des Arbeitsrechts (KODA-Ordnungen), die seit Mitte der 70er Jahre – zunächst im Caritas-Bereich und etwas später im diözesanen Bereich – erlassen wurden, die Frage des Rechtsschutzes zunächst ausgeblendet. Dass es auch im KODA-Bereich zur Entstehung von Rechtsschutzbestimmungen kam, wurde erst durch die 1993 beschlossene Grundordnung des kirchlichen Dienstes angestoßen. Insgesamt geht es in der folgenden Darstellung des Rechtsschutzes im Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts demnach um die Zeit von 1971 bis zum Inkrafttreten der KAGO im Jahre 2005, also um einen Zeitraum von 34 Jahren. Dabei beschränkt sich die Darstellung auf die Frage des kirchlichen Rechtsschutzes. Wenn nämlich die Kirche für das kollektive Arbeitsrecht der von ihr Beschäftigten eigene Normen erlassen kann, dann ist sie auch dafür zuständig, die Einhaltung dieser Normen zu kontrollieren. Die Anerkennung dieser Zuständigkeit durch den Staat ergibt sich aus dem der Kirche in der Verfassung garantierten Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Die dabei verwendete Formulierung vom selbständigen „Ordnen und Verwalten“ der eigenen Angelegenheiten bezieht sich nicht nur auf das Erlassen von Rechtsnormen und ihre Anwendung, sondern im selben Umfang auch auf die Kontrolle der Einhaltung dieser Normen. Anders gesagt: das Selbstbestimmungsrecht umfasst nicht nur Gesetzgebung und Verwaltung, sondern auch Rechtsprechung. So wie die Kirche „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ Normen des kollektiven Arbeitsrechts schaffen kann, muss sie – innerhalb derselben Schranken – auch befähigt sein, den für diese Normen erforderlichen Rechtsschutz zu gewähren. Zunächst (Abschnitt II.) soll dargestellt werden, welchen Rechtsschutz die besonderen Normen des kirchlichen Arbeitsrechts in dem genannten Zeitraum vorgesehen hatten, welche Veränderungen es dabei im Laufe der Jahrzehnte gegeben hat und welche Probleme sich dabei gezeigt haben. Sodann (Abschnitt III.) wird die Frage angesprochen, wie der vor 2005 im kirchlichen Arbeitsrecht vorgesehene Rechtsschutz zum allgemeinen Kirchenrecht passte, das heißt vor allem: zu den Bestimmungen im Codex Iuris Canonici. Schließlich (Abschnitt IV.) soll die Frage zur Sprache kommen, ob während des genannten Zeitraums für den Rechtsschutz auf dem Gebiet des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts auch die normalen im Recht der Kirche vorgesehenen Beschwerde- und Klagemöglichkeiten zur Verfügung standen, sei es anstelle oder zusätzlich zu den besonderen im kirchlichen Arbeitsrecht vorgesehenen Möglichkeiten.
tungsordnung für das Bischöfliche Ordinariat Würzburg (siehe Anm. 2) sah in § 50 eine Einigungsstelle vor, die auch bindende Entscheidungen treffen konnte.
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II. Im kirchlichen Arbeitsrecht bis 2005 vorgesehener Rechtsschutz Um sich einen Überblick über den vor Inkrafttreten der KAGO im kirchlichen Arbeitsrecht vorgesehenen Rechtsschutz zu verschaffen, legt es sich nahe, vor allem auf die Rahmenordnungen und sonstigen Gesetzgebungsempfehlungen des VDD zurückzugreifen. Von Bedeutung sind vor allem ¢ die verschiedenen Fassungen der MAVO-Rahmenordnung, ¢ die zugehörigen Muster-Ordnungen für das Schlichtungsverfahren, ¢ die Grundordnung des kirchlichen Dienstes von 1993 (GrO), ¢ die im Jahre 1998 empfohlene Neufassung der KODA-Ordnungen, ¢ die Caritas-Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (CWMO) aus dem Jahre 2003 sowie ¢ die vom VDD erlassene Ordnung für die Zentrale Gutachterstelle beim VDD. Rechtliche Geltung kommt freilich nicht den Rahmenordnungen und Gesetzgebungsempfehlungen zu, sondern den von den einzelnen Diözesanbischöfen erlassenen Ordnungen sowie den vergleichbaren Ordnungen für Rechtsträger außerhalb des diözesanen Bereichs, vor allem im Caritas-Bereich.4 Im Großen und Ganzen und vor allem in den letzten Jahren des behandelten Zeitraums folgten die in Kraft gesetzten Ordnungen allerdings den Rahmenordnungen und Gesetzgebungsempfehlungen.5 Die genannten Ordnungen werden im Folgenden der Reihe nach durchgegangen entsprechend der zeitlichen Reihenfolge, in der die verschiedenen Arten von Ordnungen erstmals entstanden sind. 4
Zu den KODA-Ordnungen, die zusätzlich zu den diözesanen Ordnungen bestanden, siehe: Joachim Eder, Dienstgeberfreundlicher Dritter Weg in der Katholischen Kirche?, in: ZMV 13 (2003), S. 67 f. 5 In dieser Hinsicht waren vor allem zwei Ausnahmen zu nennen: – Das Bistum Fulda lehnte sich in den Fassungen seiner Mitarbeitervertretungsordnungen aus den Jahren 1975 und 1986 zwar grundsätzlich an die Rahmenordnungen an, wich in zahlreichen einzelnen Punkten jedoch davon ab, insbesondere auch hinsichtlich der Schlichtungsstelle; siehe: Ordnung für die Mitarbeitervertretung im Bistum Fulda, vom 17. 12. 1975: ABl. Fulda 1976, S. 1 – 6; Ordnung für die Mitarbeitervertretung im Bistum Fulda, vom 2. 12. 1986: ABl. Fulda 1987, S. 7 – 13. Eine weitgehende Übernahme der Rahmenordnung erfolgte dort erst im Jahre 1997 (Ordnung für die Mitarbeitervertretungen im Bistum Fulda [BistumsMAVO], vom 1. 1. 1997: ABl. Fulda 1997, S. 23 – 36). – Das Bistum Würzburg ging im diözesanen Bereich mit dem Erlass von „Personalvertretungsordnungen“ zunächst einen Sonderweg, bis es sich im Jahre 1988 umfassend den Rahmenordnungen anschloss. Für den diözesanen Bereich siehe: Personalvertretungsordnung des Bischöflichen Ordinariats Würzburg, vom 13. 5. 1970: ABl. Würzburg 1970, S. 135 – 150; Personalvertretungsordnung der Diözese Würzburg und zugehörige Einigungsverfahrensordnung, vom 31. 5. 1977: ABl. Würzburg 1977, S. 210 – 227. Für den Caritas-Bereich siehe: ABl. Würzburg 1971, S. 135 – 146; Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg, vom 30. 9. 1977: ABl. Würzburg 1977, S. 2 – 18. Zur Anpassung an die MAVO-Rahmenordnung von 1985 siehe: ABl. Würzburg 1988, S. 277 f.
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1. Mitarbeitervertretungsordnungen Bereits bei der Abfassung der ersten MAVO-Rahmenordnung6 aus dem Jahre 1971 war man sich der Rechtsschutzproblematik bewusst und richtete mit der MAVO-Schlichtungsstelle ein Organ ein, das bei Streitigkeiten nicht nur den Streitgegnern Einigungsvorschläge machen konnte, sondern das auch bindende Entscheidungen zu treffen hatte, und zwar gerade auch bei Rechtsstreitigkeiten. Die Schlichtungsstelle hatte also von Anfang an eine Doppelfunktion: Ihr kam nicht nur das „Schlichten“, sondern auch das „Richten“ zu. In aller Regel wurde die Schlichtungsstelle jeweils für ein Bistum eingerichtet. Im Jahre 2003 gab es für die 27 deutschen Bistümer insgesamt 26 Schlichtungsstellen.7 In allen Fassungen der MAVO-Rahmenordnung wurde die Schlichtungsstelle in einem eigenen Abschnitt im Umfang von drei Paragraphen behandelt, deren Überschriften in allen Fassungen gleich blieben. a) Erster Paragraph: „Schlichtungsstelle“ Der erste Paragraph8 behandelte unter der Überschrift „Schlichtungsstelle“ die Frage ihrer Besetzung. Zunächst hatte die Schlichtungsstelle sieben Mitglieder, ab 1985 dann nur noch fünf. Vorher waren neben fünf ständigen Mitgliedern noch zwei Mitglieder im Einzelfall zu benennen. Deren Benennung erfolgte durch die jeweiligen Streitgegner, und zwar aus dem Kreis derer, die bei der betreffenden Einrichtung tätig waren. Diese beiden Mitglieder sollten offenbar die besondere Sachnähe zu der streitigen Angelegenheit gewährleisten. Ihre Zugehörigkeit zu den jeweiligen Streitgegnern betonte den Charakter der Schlichtungsstelle als Einigungsstelle. Demgegenüber ließ die Reduzierung der Besetzung auf die fünf ständigen Mitglieder seit dem Jahre 1985 – entsprechend dem Grundsatz nemo iudex in causa sua – mehr den gerichtlichen Charakter der Schlichtungsstelle hervortreten.9 Die fünf ständigen Mitglieder setzten sich zusammen aus dem Vorsitzenden, zwei vom Generalvikar bestellten Mitgliedern und zwei von der Dienstnehmerseite be6
Die fünf MAVO-Rahmenordnungen von 1971, 1977, 1985, 1995 und 2003 wurden jeweils vom VDD beschlossen: Rahmenordnung für die Mitarbeitervertretungen (MAV) im kirchlichen und caritativen Dienst, vom 4. 3. 1971: ABl. München 1971, S. 272 – 286; Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, vom 24. 1. 1977: Arbeitshilfen, Heft 17, S. 3 – 22; Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, vom 25. 11. 1985: Arbeitshilfen, Heft 47; Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, vom 20. 11. 1995: Arbeitshilfen, Heft 128; Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, von 23. 6. 2003. – Einige in den Zwischenzeiten erfolgte Änderungsempfehlungen des VDD hinsichtlich einzelner Paragraphen der MAVO-Rahmenordnung sind für die Frage des Rechtsschutzes ohne Belang. 7 Adolf Thiel, Aus der Rechtsprechung von MAVO-Schlichtungsstellen, in: ZMV 13 (2003), S. 12. 8 In der Rahmen-MAVO von 1971 und 1980 handelte es sich um § 25, seit der RahmenMAVO von 1985 um § 40. 9 Vgl. Kordula Bernards, Die Schlichtungsstelle im Mitarbeitervertretungsrecht der katholischen Kirche, Neuwied u. a. 1991, S. 29.
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stellten Mitgliedern. Die beiden letzteren waren von den Mitarbeitervertretungen des Ordinariats und des Diözesancaritasverbandes zu wählen, seit 1985 stattdessen – falls vorhanden – von der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (DiAG), seit 1995 vom Vorstand der DiAG. Seit 1985 wurden die vier zum Vorsitzenden hinzukommenden Mitglieder als „Beisitzer“ bezeichnet. Von Anfang an musste der Vorsitzende die Befähigung zum staatlichen Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz haben. An der Bestellung des Vorsitzenden waren einerseits der Diözesanbischof, andererseits die vier übrigen ständigen Mitglieder der Schlichtungsstelle beteiligt. Bis 1995 hatte der Bischof diesen vier Mitgliedern einen Dreiervorschlag zu machen, aus dem sie den Vorsitzenden wählten. Falls niemand eine Mehrheit bekam, machte der Bischof einen weiteren Dreiervorschlag; kam auch daraufhin keine Wahl zustande, konnte er den Vorsitzenden frei ernennen. 1995 ging das Vorschlagsrecht auf die vier Beisitzer über; der Bischof hatte den Vorgeschlagenen dann zu ernennen. Wenn die Beisitzer innerhalb einer vom Bischof gesetzten Frist nicht zu einem gemeinsamen Vorschlag kamen, konnte der Bischof den Vorsitzenden selbst bestimmen, allerdings nach Anhörung des Vorstandes der DiAG. Unter den Vorsitzenden der 26 Schlichtungsstellen, die es im Jahre 2003 gab, waren 23 Berufsrichterinnen und -richter aus der staatlichen Gerichtsbarkeit bzw. Richterinnen und Richter im Ruhestand; die übrigen drei waren Rechtsanwälte.10 Die Amtszeit aller Mitglieder betrug vier Jahre; daran hat sich nie etwas geändert. Zunächst musste nur der Vorsitzende katholisch sein, aber schon 1977 wurde verlangt, dass alle Mitglieder katholisch waren und die Fähigkeit besaßen, ein kirchliches Wahlamt anzunehmen. Seit 1985 hieß die entsprechende Formulierung, sie durften „in der Ausübung ihrer allgemeinen kirchlichen Gliedschaftsrechte nicht gehindert sein“. Vom Vorsitzenden war von Anfang an verlangt, dass er nicht im kirchlichen Dienst stand; von den Beisitzern hingegen wurde seit 1985 verlangt, dass sie im Dienst des Bistums standen. Im Laufe der Jahrzehnte erfolgten in den Neufassungen Präzisierungen im Hinblick auf Stellvertretung, das vorzeitige Ausscheiden aus dem Amt sowie die Frage des genauen Amtsendes. Schließlich ging der erste Paragraph noch darauf ein, welche Schlichtungsstelle für überdiözesane Einrichtungen zuständig war. b) Zweiter Paragraph: „Schlichtungsverfahren“ Der zweite Paragraph11 behandelte unter der Überschrift „Schlichtungsverfahren“ vor allem die Frage der sachlichen Zuständigkeit. In dieser Hinsicht gab es im Laufe der Jahrzehnte die weitreichendsten Änderungen, und zwar im Sinne einer stetigen Ausweitung der Zuständigkeit. Die ersten drei MAVO-Rahmenordnungen beschränkten sich auf eine enumerative Aufzählung von Zuständigkeitsgründen mit zu10
Thiel, Rechtsprechung (Anm. 7), S. 12. In der Rahmen-MAVO von 1971 und 1980 handelte es sich um § 26, seit der RahmenMAVO von 1985 um § 41. 11
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nächst vier, dann sieben und schließlich zehn Punkten. Ein umfassender Rechtsschutz für alle möglichen Arten von Verletzungen des Mitarbeitervertretungsrechts wurde also über mehrere Jahrzehnte hin nicht gewährt. Der Rechtsschutz war auch insofern eingeschränkt, als nach den ersten drei MAVO-Rahmenordnungen bei einigen Bestimmungen nicht ein einmaliger, sondern erst ein wiederholter Verstoß des Dienstgebers die Möglichkeit zur Anrufung der Schlichtungsstelle eröffnete. Dass die erste Rahmenordnung aus dem Jahre 1971 sich mit der Aufzählung bestimmter Zuständigkeitsgründe begnügte, kann nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit auch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) dem Enumerationsprinzip folgten. Weniger leicht ist einzusehen, warum es deutlich länger als im staatlichen Bereich dauerte, durch eine Generalklausel die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle auf alle möglichen Arten von mitarbeitervertretungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten auszudehnen. Während das BetrVG seit 1972 und das BPersVG seit 1974 eine umfassende Zuständigkeit der Arbeits- bzw. Verwaltungsgerichte für vergleichbare Streitigkeiten vorsahen, kam es in der katholischen Kirche erst nach Inkrafttreten der GrO im Jahre 1993 zu einer in etwa vergleichbaren Rechtslage. Angesichts des in der GrO angekündigten umfassenden Rechtsschutzes für alle mitarbeitervertretungsrechtlichen Rechtstreitigkeiten fügte in den nachfolgenden Jahren ein Teil der Bistümer eine Bestimmung in ihre MAVO ein, wonach die Schlichtungsstelle außer in den bereits in den bisherigen Fassungen der MAVO aufgezählten Fällen auch „in allen sonstigen Rechtsstreitigkeiten mitarbeitervertretungsrechtlicher Art einschließlich solchen des Wahl- und Schlichtungsverfahrensrechts angerufen werden“ konnte.12 Soweit die Bistümer eine solche Klausel zunächst noch nicht in ihre Bistums-MAVO eingefügt hatten, stellte sich die Frage, ob die Aussage in Art. 10 Abs. 2 GrO bereits unmittelbar geltendes Recht darstelle, so dass eine Zuständigkeit der Schlichtungsstelle auch jenseits der in der jeweiligen MAVO aufgezählten Zuständigkeitsgründe gegeben war. Zwar wurde diese Frage in der Literatur zum Teil bejaht13 ; die Schlichtungsstellen selbst gingen aber davon aus, dass Art. 10 Abs. 2 GrO nicht unmittelbar anwendbar war.14
12
Z. B. ABl. Köln 1994, Nr. 74. Reinhard Richardi, Die Grundordnung der katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst, in: NZA 1994, S. 23; ders., Die Bedeutung der Grundordnung für die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle, in: ZMV 5 (1995), S. 4, Abschnitt II 1. mit Anm. 16; Adolf Thiel, Das Wächteramt der Mitarbeitervertretung nach der Grundordnung, in: ZMV 4 (1994), S. 8, Nr. 2; Renate Oxenknecht, Die Allzuständigkeit der Schlichtungsstelle, in: ZMV 4 (1994), S. 58, Nr. 1 bis 2. 14 Siehe: Zuständigkeit der Schlichtungsstelle durch die Grundordnung, in: ZMV 5 (1995), S. 35; Berthold Fink, Defizite des kirchlichen Gerichtsschutzes, in: ZMV 5 (1995), S. 111 – 113; Adolf Thiel, Die Zulässigkeit des Rechtsweges nach der MAVO in der Rechtsprechung von Schlichtungsstellen, in: ZMV 6 (1996), S. 67, Nr. 5 e); ders., Aus der Rechtsprechung von Schlichtungsstellen, in: ZMV 9 (1999), S. 12, Nr. 3. 13
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Diese Frage erledigte sich, nachdem die Rahmen-MAVO des Jahres 1995 eine Klausel über die umfassende Zuständigkeit der Schlichtungsstelle aufgenommen hatte und im Laufe der folgenden Jahre in allen Bistümern in dieser Form übernommen wurde. Die Einfügung dieser Klausel hatte allerdings nicht dazu geführt, dass man auf den bisherigen Zuständigkeitskatalog verzichtet hätte. Er blieb insofern von Bedeutung, als dieser Katalog nicht nur Zuständigkeitsgründe aufgezählt hatte, sondern bei den einzelnen Zuständigkeitsgründen jeweils nähere Angaben über die Anrufungsmöglichkeiten gemacht hatte, insbesondere im Hinblick auf die Antragsberechtigung. Diese Bestimmungen blieben weiterhin in Kraft.15 Im Übrigen führte die Ankündigung kirchlicher Arbeitsgerichte in Art. 10 GrO dazu, dass in der MAVORahmenordnung des Jahres 1995 der Überschrift des Paragraphen über das Schlichtungsverfahren eine Fußnote hinzugefügt wurde, die erklärte: „Diese Regelung ist vorläufig und gilt bis zum Inkrafttreten der Regelungen über eine umfassende kirchliche Gerichtsbarkeit nach Artikel 10 Abs. 2 Grundordnung.“ Die Rahmen-MAVO von 2003 brachte in der Frage der sachlichen Zuständigkeit und der Antragsberechtigung noch einige Erweiterungen von weniger weitreichender Bedeutung.16 Ein weiterer Absatz des zweiten Paragraphen machte einige grundsätzliche Aussagen über die Vorgehensweise der Schlichtungsstelle. Darin war bestimmt, dass sie nicht öffentlich verhandelte, dass dem Dienstgeber und der zuständigen MAV Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben war und dass Zeugen und sachkundige Dritte herangezogen werden konnten. Weiterhin hieß es, dass auf Antrag eines Beteiligten eine mündliche Verhandlung stattfinden sollte.17 Schließlich kam der zweite Paragraph auf die Doppelfunktion der Schlichtungsstelle als Einigungsstelle und als bindendes Entscheidungsgremium zu sprechen. In dieser Hinsicht gab es im Laufe der Jahrzehnte keine Veränderungen. Die Schlichtungsstelle hatte in jedem Fall eine Einigung anzustreben und sollte deshalb den Parteien einen Einigungsvorschlag unterbreiten. Kam eine Einigung nicht zustande, so hatte die Schlichtungsstelle eine Entscheidung zu treffen, indem sie dem Antrag stattgab oder ihn ablehnte.
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c). 16
Siehe: Richardi, Bedeutung (Anm. 13), S. 5, Nr. 3; Thiel, Zulässigkeit (Anm. 14), S. 66,
Siehe dazu: Renate Oxenknecht-Witzsch, Neuer MAVO-Gesetzentwurf – eine vertane Chance, in: ZMV 12 (2002), S. 263 (zu § 41 Rahmen-MAVO); Adolf Thiel, Novellierung der Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, in: ZMV 13 (2003), S. 161, Abschnitt IX. 17 Diese Bestimmung wurde im Bistum Limburg bereits zwei Monate nach Erlassen der ursprünglichen Fassung in die Aussage geändert: „In der Regel findet eine mündliche Verhandlung statt.“ (ABl. Limburg 1972, S. 79) Anlässlich der Übernahme der Rahmenordnung von 1985 kehrte man im Bistum Limburg im Jahre 1986 zu der Formulierung der Rahmenordnung zurück (ABl. Limburg 1986, S. 179).
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c) Dritter Paragraph: „Entscheidung der Schlichtungsstelle“ Der dritte Paragraph18 enthielt einige grundlegende Bestimmungen über das einzuhaltende Verfahren in Fällen, in denen die Schlichtungsstelle eine Entscheidung zu treffen hatte. In dieser Hinsicht gab es im Laufe der Jahrzehnte nur wenige Veränderungen. Ein erster Absatz hielt fest, dass die Schlichtungsstelle durch einen mit Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluss zu entscheiden hatte, der den zugrunde liegenden Sachverhalt und die Begründung enthalten musste und den Beteiligten zuzustellen war. Im Übrigen wurde auf eine vom Bischof zu erlassende Verfahrensordnung verwiesen. Diese Bestimmungen blieben in allen Fassungen der Rahmenordnung unverändert. Ein zweiter Absatz erklärte, dass der Beschluss der Schlichtungsstelle für die Beteiligten bindend war. Einschränkend wurde hinzugefügt, dass der Dienstgeber durch den Beschluss nur insoweit gebunden werden konnte, als für die Maßnahmen eine finanzielle Deckung in seinen Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzierungsplänen ausgewiesen war.19 Dieser Vorbehalt hatte aber von der Sache her, soweit es um die Gewährung von Rechtsschutz durch die Schlichtungsstelle ging, keine Bedeutung. Es hätte dem Wesen eines Rechtsanspruchs widersprochen, wenn er von der finanziellen Lage und Disposition eines Schuldners abhängig gewesen wäre.20 Von der Sache her bezog sich der Finanzierungsvorbehalt vielmehr auf Zwangsschlichtungen, die die Schlichtungsstelle im Rahmen ihrer Funktion als Einigungsstelle aussprach. Ein dritter Absatz bestimmte schließlich, dass die für die Durchführung des Schlichtungsverfahrens entstehenden notwendigen Kosten vom Dienstgeber zu tragen waren. Diese Bestimmung blieb die ganze Zeit über unverändert. 2. Ordnungen für das Schlichtungsverfahren Bereits die erste Fassung der MAVO-Rahmenordnung aus dem Jahre 1971 enthielt eine Verweisung auf eine vom Bischof zu erlassende Verfahrensordnung. Auch für diese Schlichtungsordnung hatte der VDD ein Muster entwickelt und den Bischöfen zur Inkraftsetzung empfohlen.21 Die meisten Bistümer folgten dieser 18
In der Rahmen-MAVO von 1971 und 1980 handelte es sich um § 27, seit der RahmenMAVO von 1985 um § 42. 19 Die Rahmenordnungen von 1971 und 1977 enthielten noch eine Aufzählung der Fälle, in denen dieser Finanzierungsvorbehalt zum Tragen kommen konnte; seit der Rahmenordnung von 1985 war diese Aufzählung entfallen, so dass der Finanzierungsvorbehalt dem Wortlaut des Gesetzes nach im Prinzip für alle Entscheidungen der Schlichtungsstelle galt. 20 Vgl. Bernards, Schlichtungsstelle (Anm. 9), S. 96. 21 Dieses vom VDD gebilligte Muster ist erwähnt in: ABl. Rottenburg-Stuttgart 1976, S. 51.
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Empfehlung.22 Einige Bistümer hatten jedoch bereits in den Jahren zuvor eigene Verfahrensordnungen entwickelt.23 Nach der Rahmen-MAVO des Jahres 1985 folgten etliche Bistümer einer neuen Muster-Schlichtungsordnung. Einer der Unterschiede zwischen den verschiedenen Schlichtungsordnungen betraf die Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens. Einige sehr frühe Schlichtungsordnungen sahen eine Wiederaufnahme nicht vor.24 Bereits die Schlichtungsordnung des Bistums Berlin aus dem Jahre 1972 enthielt jedoch eine Aufzählung von sechs Umständen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglichten.25 Die erste Muster-Schlichtungsordnung des VDD nannte fünf solche Umstände26 ; daran hielten sich die meisten Bistümer, aber nicht alle.27 Seit etwa 1986 sahen die meisten Schlichtungsordnungen vor, dass sich die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach den entsprechenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung richtete.28 Die diözesanen Ordnungen enthielten aber z. T. abweichende Regelungen. Z. B. hieß es in der Schlichtungsordnung des Erzbistums Bamberg aus dem Jahre 1992 einfach: „Eine Wiederaufnahme ist nur zulässig, wenn neue Tatsachen bekannt oder neue Beweise vorgelegt werden, die geeignet erscheinen, eine andere Entscheidung herbeizuführen.“29 Andererseits kam es bis zuletzt vor, dass eine Schlichtungsordnung eine Wiederaufnahme des Verfahrens überhaupt nicht vorsah.30 3. Grundordnung des kirchlichen Dienstes Die Bedeutung der im Jahre 1993 beschlossenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes für den Rechtsschutz im Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts ist kaum zu überschätzen. Dabei sind zwei verschiedene Aspekte zu unterscheiden: Einerseits kündigte die GrO in Art. 10 Abs. 2 die Bildung kirchlicher Gerichte an. Auf diese Weise gab sie einen entscheidenden Impuls auf dem Weg zu der 12 Jahre später entstandenen kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit.
22 Siehe z. B. ABl. Aachen 1975, S. 76 – 79; ABl. Augsburg 1979, S. 127 – 134; ABl. Essen 1975, S. 149 – 152; ABl. Freiburg 1976, S. 117 – 121; ABl. Hildesheim 1978, S. 74 – 81; ABl. Köln 1975, S. 359 – 364; ABl. München 1981, S. 70 – 76; ABl. Münster 1975, S. 55 – 57; ABl. Paderborn 1976, S. 278 – 280; ABl. Passau 1975, S. 75 – 77; ABl. Rottenburg-Stuttgart 1976, S. 51 – 54; ABl. Speyer 1975, S. 190 – 197. 23 Siehe: ABl. Limburg, 1972, S. 82 – 84; ABl. Köln 1973, S. 28 f.; ABl. Osnabrück 1974, S. 6 – 8. 24 Z. B. ABl. Limburg 1972, S. 82 – 84; ABl. Köln 1973, S. 28 f. 25 ABl. Berlin 1972, S. 70 – 73; ebenso ABl. Osnabrück 1974, S. 7 f., § 23. 26 Siehe dort § 25. 27 Keine Wiederaufnahme war z. B. vorgesehen in: ABl. Mainz 1978, S. 117 – 119. 28 Siehe z. B. ABl. Aachen 1986, S. 172 – 174, § 23. 29 ABl. Bamberg 1992, S. 62, § 22 Abs. 1; ebenso ABl. München 1992, S. 75. 30 ABl. Limburg 1997, S. 102 f.
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Andererseits führte die Ankündigung der kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit dazu, dass man auch schon vor deren Errichtung den Rechtsschutz im Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts zu verbessern suchte. Während das kirchliche Arbeitsrecht vor Inkrafttreten der GrO nur im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts eigene Rechtsschutzinstrumente gekannt hatte und deren Anwendbarkeit zudem an das Enumerationsprinzip gebunden war, wurde die Zuständigkeit der MAVO-Schlichtungsstelle innerhalb weniger Jahre nach Inkrafttreten der GrO überall generalklauselartig beschrieben, und vergleichbare Generalklauseln wurden auch in die KODA-Ordnungen eingefügt. 4. KODA-Ordnungen Der von der GrO gewünschte umfassende Rechtsschutz führte dazu, dass in den nachfolgenden Jahren auch in die Ordnungen über die verschiedenen Kommissionen zur Ordnung des Arbeitsrechts Rechtsschutzbestimmungen aufgenommen wurden. Dabei ging man, was den diözesanen Bereich angeht, in Bayern und im übrigen Deutschland unterschiedliche Wege: Außerhalb Bayerns wurde in die KODA-Ordnungen eine Bestimmung eingefügt, wonach bei Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der KODA-Ordnung eine bestimmte mitarbeitervertretungsrechtliche Schlichtungsstelle angerufen werden konnte.31 In einigen KODA-Ordnungen beschränkte sich die Einfügung auf diese grundsätzliche Aussage. In anderen Ordnungen wurden einige zusätzliche Festlegungen getroffen, nämlich über die Frage der Antragsberechtigung, die Zulassung von Bevollmächtigten oder Beiständen sowie die Frage der Kostenregelung.32 Insbesondere das Fehlen einer Aussage über die Antragsberechtigung in einigen KODA-Ordnungen erwies sich bald als sehr problematisch.33 In die Ordnung der Bayerischen Regional-KODAwurde im Jahre 1997 ein zusätzlicher Paragraph eingefügt, wonach bei Rechtsstreitigkeiten aus dem Gebiet der KODA-Ordnung der in dieser Ordnung bereits vorgesehene Vermittlungsausschuss angerufen werden konnte.34 In dieser Funktion bezeichnete die Bayerische KODAOrdnung den Vermittlungsausschuss als „KODA-Gericht im Sinne des Art. 10 Abs. 2“ der GrO. Was den Caritas-Bereich angeht, bestimmte der Zentralrat des Deutschen Caritasverbandes (DCV) in seiner im Jahre 1995 erlassenen Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes (AK), dass in allen Rechtsstreitigkei-
31
Für die Regional-KODA NW: ABl. Köln 1994, Nr. 71. Für die Regional-KODA NW: ABl. Aachen 1997, S. 174 f., § 17. 33 Siehe dazu vor allem: Adolf Thiel, Zuständigkeit des Offizialats bei Streitigkeiten auf dem Gebiet der KODA-Ordnung?, in: ZMV 9 (1999), S. 218 – 220. 34 ABl. Augsburg 1997, S. 294 – 296, § 17a. 32
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ten aus dieser Ordnung die mitarbeitervertretungsrechtliche Schlichtungsstelle beim Erzbistum Freiburg angerufen werden konnte.35 Als die Zentral-KODA 1998 erstmals die Befähigung erhielt, in bestimmten Angelegenheiten bindende Beschlüsse zu fassen, fügte man in ihre Ordnung zugleich einen zusätzlichen Paragraphen ein, wonach in Rechtsstreitigkeiten aus dieser Ordnung die mitarbeitervertretungsrechtliche Schlichtungsstelle der Erzdiözese Köln angerufen werden konnte.36 5. Caritas-Werkstätten-Mitwirkungsordnung Als der VDD im Jahre 2003 für die Werkstätten für behinderte Menschen eine Ordnung über die Mitwirkung der darin Beschäftigten beschloss, sah er darin von Anfang an die Möglichkeit vor, bei Streitigkeiten aus dieser Ordnung die mitarbeitervertretungsrechtliche Schlichtungsstelle des betreffenden Bistums anzurufen.37 6. Zentrale Gutachterstelle Im Jahre 1985 richtete der VDD die „Zentrale Gutachterstelle beim Verband der Diözesen Deutschlands ein“.38 Sie setzte sich aus drei Personen zusammen, die die Befähigung zum Richteramt haben mussten. Die von den einzelnen Diözesanbischöfen erlassene Ordnung für die Gutachterstelle sah vor, dass eine Schlichtungsstelle dort ein Gutachten beantragen konnte, wenn sie in ihrer Entscheidung von der Entscheidung einer anderen Schlichtungsstelle abweichen wollte oder wenn es sich um einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung handelte. Die Schlichtungsstellen wurden auf diese Weise berechtigt, aber nicht verpflichtet, solche Gutachten einzuholen. Die Schlichtungsstelle war an das Ergebnis eines eingeholten Gutachtens nicht gebunden. Vom Inhalt her war die Tätigkeit der Gutachterstelle ursprünglich auf Fragen der Anwendung der Mitarbeitervertretungsordnung beschränkt. Durch eine Änderung aus dem Jahre 1995 wurde die inhaltliche Zuständigkeit auf Fragen aus den KODA-Ordnungen ausgedehnt. 35
Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes, von 1995, § 14 Abs. 1. 36 Zentral-KODA-Ordnung, vom 15. 06. 1998, § 19a. Für die Zeit vor 1998 vgl. Joachim Eder, Möglichkeiten und Grenzen kirchlichen Rechtsschutzes aus Sicht der KODA, in: Rechtsschutz und Gewaltenteilung in den Kirchen, hrsg. von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1999, S. 66: „Für den Bereich der Zentral-KODA (ZK) Abteilung A wurde kein Kodagericht gebildet, da die ZK-A bislang nur Empfehlungscharakter hat.“ 37 Caritas-Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (CWMO), vom 23. 6. 2003, in: ABl. Rottenburg-Stuttgart 2003, S. 642 – 650, § 40. 38 VDD, Ordnung für die Zentrale Gutachterstelle beim Verband der Diözesen Deutschlands, vom 25. 11. 1985, geändert am 19. 6. 1995: ABl. Limburg 1997, S. 115.
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Die Einrichtung der Zentralen Gutachterstelle war offensichtlich eine Reaktion auf das Fehlen eines Instanzenzuges innerhalb des durch die kirchlichen Ordnungen geschaffenen Rechtsschutzes. Als eine zusätzliche Instanz war die Gutachterstelle nicht anzusehen, da sie nicht von den Streitparteien selbst angerufen werden konnte und da die von ihr verfassten Gutachten keine Bindungswirkung hatten. Die Gutachterstelle sollte aber offenbar zumindest einen der Vorteile einer Revisionsinstanz zu verwirklichen helfen, nämlich die Einheitlichkeit in der Spruchpraxis der Schlichtungsstellen fördern39, insbesondere auch mit Hilfe der Bestimmung, dass die Gutachterstelle die von ihr angefertigten Gutachten allen Schlichtungsstellen zu übermitteln hatte. Ein mit der Einrichtung der Gutachterstelle zusammenhängender Vorteil bestand darin, dass die Bestimmungen über deren Anrufung die Schlichtungsstellen dazu veranlassten, sich vermehrt über die Entscheidungen der anderen Schlichtungsstellen zu informieren. Einer größeren Kenntnis der Entscheidungen der Schlichtungsstellen dienten daneben nicht zuletzt die regelmäßigen sorgfältigen Berichte über diese Entscheidungen in der seit 1991 erscheinenden Zeitschrift „Die Mitarbeitervertretung“ (ZMV). 7. Probleme Das voranstehend beschriebene, vor allem von den MAVO-Schlichtungsstellen geprägte Rechtsschutzsystem war nicht frei von Mängeln und Problemen. Soweit diese Probleme mit dem Verhältnis dieses Systems zum übrigen kanonischen Recht zusammenhängen, ist weiter unten (III. und IV.) darauf einzugehen. An dieser Stelle ist demgegenüber eine Reihe von Mängeln zu benennen, die einem umfassenden und effektiven Rechtsschutz abträglich waren und die während der beschriebenen 34 Jahre auch zunehmend ins Bewusstsein traten. Das Problem der begrenzten sachlichen Zuständigkeit der Schlichtungsstellen hat man im Laufe dieses Zeitraums immer mehr zurückdrängen können. Hatte sich die erste MAVO-Rahmenordnung aus dem Jahre 1971 mit einer Aufzählung von vier Zuständigkeitsgründen begnügt, so war man am Ende des behandelten Zeitraums bei einer nahezu umfassenden Zuständigkeit der Schlichtungsstellen (einschließlich des KODA-Gerichts der Bayerischen Regional-KODA) für alle Rechtsstreitigkeiten des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts angelangt. Zwar blieben, was die sachliche Zuständigkeit angeht, auch am Ende noch Lücken offen, insbesondere, weil kein Rechtsschutz für Streitigkeiten vorgesehen war, die sich unmittelbar aus der GrO ergaben40 – was sich auch durch die KAGO nicht geändert hat. Dennoch konnte man das Problem der zunächst eingeschränkten sachlichen Zuständigkeit am Ende des behandelten Zeitraums im Großen und Ganzen als gelöst ansehen. Demgegenüber blieben andere Mängel oder Probleme während des gesamten Zeitraums bestehen. Um mit einem weniger gravierenden Problem zu beginnen, 39
Bernards, Schlichtungsstelle (Anm. 9), S. 111. Vgl. Adolf Thiel, Die Koalition im Blickfeld kirchlichen Verwaltungsverfahrens, in: ZMV 13 (2003), S. 276 – 280. 40
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sei die Vermischung von „Schlichten“ und „Richten“ innerhalb der Tätigkeit der Schlichtungsstellen erwähnt. Sie war vermutlich ein wichtiger Grund für die Bestimmung, dass die Schlichtungsstelle nicht öffentlich verhandelt. Während das nicht-öffentliche Vorgehen, solange es um die Funktion des „Schlichtens“ geht, wohl angemessen ist, scheint es, sobald es um die Funktion des „Richtens“ geht, eher fragwürdig. Eine öffentliche Vorgehensweise wäre nicht nur einer größeren Kontrolle der Tätigkeit der Schlichtungsstelle, sondern auch einer breiteren Kenntnis ihrer Tätigkeit förderlich gewesen. Damit sei nicht geleugnet, dass auch die richtende Tätigkeit der Schlichtungsstelle unter Umständen zum Wohl der Kirche oder zum Wohl einzelner Betroffener den Ausschluss der Öffentlichkeit hätte verlangen können. Dazu hätte es aber auch genügt, der Schlichtungsstelle die Möglichkeit zu geben, die Öffentlichkeit vorübergehend auszuschließen. Ein gravierenderes Problem war sicherlich das Fehlen eines Instanzenzuges. Zwar wurde in der Literatur wieder und wieder darauf hingewiesen, dass die Schlichtungsstellen auch ohne die Existenz einer höheren Instanz die Mindestanforderungen erfüllten, die staatlicherseits an ein „Gericht“ zu stellen sind. Doch weist andererseits gerade die Notwendigkeit, dies immer wieder zu betonen, darauf hin, dass das Fehlen eines Instanzenzuges als Problem betrachtet wurde. Als einen vorsichtigen, aber auf die Dauer nicht hinreichenden Schritt, dieses Problem anzugehen, konnte man die Einrichtung der Zentralen Gutachterstelle ansehen. Auch wenn man davon ausgeht, dass von Schlichtungsstellen gefällte Entscheidungen, die unter schweren Mängeln der Rechtsanwendung litten, eine seltene Ausnahme waren, blieb es doch unbefriedigend, dass solche Entscheidungen unanfechtbar waren oder zumindest schienen. Schließlich ist auch das Problem zu nennen, dass die beschriebenen Ordnungen keine Vorschriften über eine Vollstreckbarkeit der Entscheidungen der Schlichtungsstelle enthielten. Zwar war für viele Entscheidungen der Schlichtungsstellen eine Vollstreckung nicht erforderlich, weil Feststellungsbeschlüsse keiner Vollstreckung bedurften und weil die Verurteilung eines Beteiligten zu einer Willenserklärung die betreffende Willenserklärung ersetzte, so dass sie nicht mehr tatsächlich abgegeben werden musste.41 Doch kam es auch vor, dass eine zu einer Leistung verurteilte Partei dieser Verpflichtung einfach nicht nachkam und die Entscheidung der Schlichtungsstelle ihr gegenüber nicht durchsetzbar war. Dieser Mangel des kirchlichen Rechtsschutzsystems stieß auch auf die Kritik seitens der staatlichen Rechtsprechung.42 Die fehlende Vollstreckbarkeit ging eher zu Lasten der Dienstnehmerseite. Denn während der Dienstgeber gegenüber einem Dienstnehmer, der eine Entscheidung der Schlichtungsstelle nicht umsetzte, Anweisungen erteilen sowie Abmahnungen und ggf. auch eine Kündigung aussprechen konnte, waren die Möglichkeiten, gegen einen unwilligen Dienstgeber vorzugehen – etwa auf dem Wege einer Dienstauf-
41
Vgl. Bernards, Schlichtungsstelle (Anm. 9), S. 115. Siehe dazu: Arbeitsgericht rügt Mangel des MAVO-Schlichtungsverfahrens, in: ZMV 4 (1994), S. 301 f. 42
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sichtsbeschwerde oder unter Zuhilfenahme von öffentlichem Druck – nicht in jedem Fall gegeben oder zumindest weniger erfolgversprechend.43
III. Verhältnis des im kirchlichen Arbeitsrecht bis 2005 vorgesehenen Rechtsschutzes zum allgemeinen Kirchenrecht 1. Die Diskussion um die Schlichtungsstelle als ein „kirchliches Gericht“ Die Frage, wie sich der im deutschen kirchlichen Arbeitsrecht bis zum Jahre 2005 vorgesehene Rechtsschutz zum allgemeinen Kirchenrecht – d. h. in erster Linie: zum Codex Iuris Canonici – verhält, wurde ausführlich behandelt in einem Aufsatz von Adolf Thiel aus dem Jahre 1993 unter der Überschrift „Ist die MAVO-Schlichtungsstelle in den Diözesen der katholischen Kirche ein Gericht?“.44 Damit war nicht die Frage der staatskirchenrechtlichen Einordnung der Schlichtungsstellen gemeint. Denn spätestens seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 198945 war anerkannt, dass die MAVO-Schlichtungsstelle aus der Sicht des staatlichen Rechts als kirchliches Gericht zu werten war. Thiel ging es in seinem Aufsatz vielmehr um die Frage der kirchenrechtlichen Stellung der Schlichtungsstelle. Wenn man bedenkt, dass die Schlichtungsstellen gerade durch kirchliche Rechtsetzung geschaffen worden waren und dass sie damals schon auf eine über zwanzigjährige Geschichte zurückblicken konnten, ist es überraschend, dass ihre kirchenrechtliche Stellung nach so vielen Jahren immer noch unklar war. Auch für den Fachmann war die Frage, ob es sich bei der MAVO-Schlichtungsstelle um ein kirchliches Gericht handelte oder nicht, nicht leicht zu beantworten, denn für beide Ansichten ließen sich ernstzunehmende Argumente vorbringen. Zunächst soll aber die Frage, um die es geht, noch etwas präzisiert werden. Insoweit die Schlichtungsstelle die Aufgabe hatte, den Streitgegnern Einigungsvorschläge zur Annahme vorzulegen, war ihre Stellung von der eines Gerichts deutlich verschieden. Zwar konnte man auch untersuchen, wie sich diese Einigungsfunktion der Schlichtungsstelle zu den verwandten Bestimmungen des CIC verhielt, vor allem zu der allgemeinen Aufforderung in c. 1446, Gerichtsverfahren nach Möglichkeit zu vermeiden, und zu den Bestimmungen über das Schiedsverfahren in cc. 1713 – 1716. Die Frage nach dem gerichtlichen Charakter betrifft aber im Grunde nur die Schlichtungsstelle, insoweit sie bei Rechtsstreitigkeiten verbindliche Entscheidungen fällen konnte. Des Weiteren ist auch offensichtlich, dass die Schlichtungsstellen 43 Vgl. Hans Georg Ruhe/Wolfgang Bartels, Praxishandbuch für Mitarbeitervertretungen, Neuwied u. a. 2001, S. 439 – 441. 44 ZMV 3 (1993), S. 11 – 19. 45 BAG, Entscheidung vom 25. 4. 1989: NJW 1989, S. 2284 f. = KirchE 27, S. 123.
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von den im CIC beschriebenen Diözesangerichten (oder Offizialaten) verschieden waren. Präziser gefasst, lautete die eigentliche Frage also: Waren die Schlichtungsstellen, soweit sie bei Rechtsstreitigkeiten verbindliche Entscheidungen fällen konnten, als besondere, im CIC nicht vorgesehene Gerichte anzusehen, oder hatten sie nicht den Charakter solcher besonderen Gerichte? Für die Charakterisierung der Schlichtungsstelle als Gericht sprachen vor allem die folgenden Argumente: ¢ Die Schlichtungsstelle hatte die Aufgabe, über Rechtsstreitigkeiten verbindlich zu entscheiden. ¢ Für den Vorsitzenden war die Befähigung zum Richteramt verlangt, wenn auch nicht zum kirchlichen, sondern zum staatlichen Richteramt. ¢ Die Mitglieder der Schlichtungsstelle waren in dieser Funktion von Weisungen unabhängig. ¢ Im staatlichen Rechtsbereich wurden vergleichbare Tätigkeiten von Gerichten ausgeübt. Gegen die Charakterisierung als kirchliches Gericht ließ sich anführen: ¢ Der Name „Schlichtungsstelle“ deutete nicht auf einen gerichtlichen Charakter hin. ¢ Sowohl nach dem CIC/1917 als auch nach dem CIC/1983 mussten alle kirchlichen Gerichte den in diesen Codices enthaltenen Bestimmungen folgen.46 Die Diözesanbischöfe konnten von diesen Bestimmungen nicht befreien, nicht einmal im Einzelfall auf dem Weg einer Dispens (vgl. c. 87 § 1 CIC/1983), erst recht nicht durch eine Gesetzgebung mit dauerndem Geltungsanspruch (vgl. c. 135 § 2 CIC/1983, am Ende). Die für die Schlichtungsstellen erlassenen Bestimmungen entsprachen jedoch unter vielen Rücksichten nicht den Vorgaben der Codices über die Gerichte. Das gilt z. B. für die Qualifikation der Richter, den Ablauf des Verfahrens und die Anfechtungsmöglichkeiten. ¢ Solange die sachliche Zuständigkeit der Schlichtungsstelle enumerativ geregelt war, sprach auch die sich daraus ergebende Einschränkung der Zuständigkeit tendenziell gegen die Charakterisierung als Gericht. ¢ Gegen den gerichtlichen Charakter der Schlichtungsstelle sprach schließlich auch die fehlende Vollstreckbarkeit ihrer Entscheidungen. Die Unklarheit über den gerichtlichen Charakter der Schlichtungsstelle war kein Zufall, sondern ergab sich aus ihrer Entstehungsgeschichte nahezu zwangsläufig. Einerseits sollte die Schlichtungsstelle – unter anderem – gerade die Funktion haben, Rechtsschutz zu gewähren, also bei Rechtsstreitigkeiten verbindliche Entscheidun46 C. 1555 § 2 CIC/1917: „Cetera tribunalia servare debent praescripta canonum qui sequuntur.“ C. 1402 CIC/1983: „Omnes Ecclesiae tribunalia reguntur canonibus qui sequuntur, salvis normis tribunalium Apostolicae Sedis.“
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gen zu fällen. Insofern war die Funktion der Schlichtungsstelle, wie ein Gericht tätig zu werden, von Anfang an intendiert. Andererseits war dem VDD, als er die erste Rahmen-MAVO beschloss, klar, dass die Schlichtungsstelle nicht den Bestimmungen des CIC über das kirchliche Gerichtswesen entsprach. Dass man den Rechtsschutz im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts – bzw. später des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts insgesamt – nicht Gerichten anvertrauen wollte, die in jeder Hinsicht den Vorgaben des CIC entsprachen, ist leicht verständlich. Dagegen sprach allein schon die Tatsache, dass die im allgemeinen Kirchenrecht vorgesehenen Gerichte mehrheitlich aus Klerikern bestehen mussten, die zwar über eine Ausbildung im kanonischen Recht, nicht aber über Kenntnisse im Zivilrecht verfügen mussten. Um in einem formellen Sinn kirchliche Gerichte besonderer Art zu errichten, die in ihrer Zusammensetzung und Vorgehensweise auf die Erfordernisse des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschlands abgestimmt waren, hätte es besonderer Vollmachten seitens des Apostolischen Stuhls bedurft. Das dazu erforderliche Verfahren hätte sich, wenn es angesichts der Neuartigkeit dieser Angelegenheit überhaupt Aussicht auf Erfolg hatte, sicherlich lange hingezogen. Angesichts all dessen war es gewissermaßen naheliegend, den unklaren Mittelweg zu beschreiten: einerseits Einrichtungen mit einer gerichtlichen Funktion zu schaffen, die aber andererseits nicht formell als kirchliche Gerichte anzusehen waren. Die Frage, ob es sich bei der MAVO-Schlichtungsstelle um ein kirchliches Gericht besonderer Art handelte, wurde im Jahre 2001 von der Apostolischen Signatur negativ beantwortet. Zu deren Zuständigkeiten gehört unter anderem die Aufgabe, in der gesamten katholischen Kirche die geordnete Amtsführung der kirchlichen Gerichte zu überwachen (c. 1445 § 3, 18 CIC). Ein Mitarbeitergremium hatte sich an die Apostolische Signatur gewandt, um gegen den Vorsitzenden einer Schlichtungsstelle vorzugehen, der es versäumt hatte, für einige Entscheidungen, die seine Schlichtungsstelle verkündet hatte, die Begründungen vorzulegen. Der Präfekt der Apostolischen Signatur teilte daraufhin mit, dass der Oberste Gerichtshof nicht beabsichtigte, in dieser Angelegenheit tätig zu werden, da sich die Tätigkeit der Apostolischen Signatur nur auf die kirchlichen Gerichte beziehe.47 Implizit hatte er damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der MAVO-Schlichtungsstelle nicht um ein kirchliches Gericht handelte. 2. Alternativen zur Stellung der Schlichtungsstelle als „kirchliches Gericht“ Dies vorausgesetzt, stellte sich die schwierige Frage, worum es sich bei der MAVO-Schlichtungsstelle denn dann handelte. Konnte sie dann überhaupt verbindliche Entscheidungen treffen, oder handelte es sich auch bei den Entscheidungen der Schlichtungsstelle letztlich nur um Einigungsvorschläge? 47 Siehe: Joachim Eder, MAVO-Schlichtungsstelle ist kein kirchliches Gericht, in: ZMV 11 (2001), S. 300 f.
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Verbindlichkeit konnte den Entscheidungen der Schlichtungsstellen nur zukommen, wenn sie über irgendeine Form von kirchlicher Leitungsgewalt verfügten. Wenn die Schlichtungsstellen nun nicht die Stellung kirchlicher Gerichte innehatten, blieb als einzige Möglichkeit die Charakterisierung als besondere kirchliche Verwaltungsbehörden.48 Auch diese Charakterisierung war aber nicht unproblematisch. Denn auch unter dieser Rücksicht ließen sich Spannungen zwischen der Struktur der Schlichtungsstelle und den Vorgaben des CIC aufzeigen. Der CIC bestimmt in allgemeiner Weise, dass allein Kleriker Ämter erhalten können, zu deren Ausübung kirchliche Leitungsgewalt erforderlich ist (c. 274 § 1). Laien ist nach c. 129 § 2 CIC lediglich die Mitwirkung bei der Ausübung dieser Gewalt möglich. Man wird nun nicht leicht behaupten können, dass die Tätigkeit der Schlichtungsstelle lediglich eine Art der Mitwirkung bei der Ausübung der Leitungsgewalt des Bischofs darstellte. Angesichts solcher Schwierigkeiten wurde bisweilen behauptet, dass für die Tätigkeit der Schlichtungsstellen überhaupt keine kirchliche Leitungsgewalt erforderlich war.49 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die Verbindlichkeit der Entscheidungen der Schlichtungsstelle ihren Ursprung primär daher hatte, dass der Diözesanbischof ihr durch den Erlass der diözesanen MAVO diese Vollmacht übertragen hatte. Das war ohne eine Beteiligung an der kirchlichen Leitungsgewalt nicht vorstellbar. Den Schwierigkeiten, die sich aus dem Verhältnis zwischen MAVO und CIC ergaben, hätte man aus dem Wege gehen können, wenn man annahm, dass die Entscheidungen der Schlichtungsstelle letztlich doch nicht verbindlich waren, sondern dass sie nur Einigungsvorschläge an die Streitparteien darstellten. Dann wäre auch ohne weiteres plausibel gewesen, dass es keine Bestimmungen über die Vollstreckbarkeit der Entscheidungen der Schlichtungsstellen gab. Die genannte Deutung hätte aber der klaren Aussage der MAVO: „Der Beschluss bindet die Beteiligten“50 widersprochen. Außerdem hätte sie auf die Dauer auch die staatliche Anerkennung der Schlichtungsstellen als kirchliche Gerichte in Frage gestellt. Wenn sich herausgestellt hätte, dass die Entscheidungen der Schlichtungsstelle im kirchlichen Rechtsbereich keine Bindungswirkung entfalten, hätte auch der Staat nicht weiter so tun können, als ob das der Fall wäre. Er hätte dann vielmehr erkennen müssen, dass die Kirche für einen wirksamen Rechtsschutz im Bereich ihres kollektiven Arbeitsrechts nicht gesorgt hatte. Letztlich zeigen diese Überlegungen wohl, dass die Frage der kirchenrechtlichen Stellung der Schlichtungsstellen bis zuletzt nicht wirklich geklärt war. Dass diese Unklarheit nicht im Laufe der Zeit zu massiven Problemen geführt hat, ist keine 48 So schon Hans Heimerl/Helmuth Pree, in: Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche, Regensburg 1993, S. 836 f., Rdnr. 6/781. 49 Joachim Eder, Besprechung von: K. Bernards, Die Schlichtungsstelle, in: ZMV 2 (1992), S. 162 f. 50 § 27 Abs. 2 S. 1 Rahmen-MAVO 1971 bis 1977; § 42 Abs. 2 S. 1 Rahmen-MAVO 1985 bis 2003.
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Selbstverständlichkeit, und wäre – wenn nicht die KAGO gekommen wäre – womöglich auch nicht immer so geblieben. Nur am Rande sei angemerkt, dass ähnliche Schwierigkeiten der kirchenrechtlichen Einordnung wie bei der MAVO-Schlichtungsstelle auch im Hinblick auf andere Einrichtungen bestehen. Das gilt insbesondere für die in manchen deutschen Bistümern bestehenden Disziplinargerichte für Kirchenbeamte. Im Gegensatz zur MAVOSchlichtungsstelle werden sie ausdrücklich als „Gerichte“ bezeichnet. Dennoch entsprechen auch sie nicht den Vorgaben des CIC für kirchliche Gerichte, ohne dass bei der Errichtung der Disziplinargerichte eine entsprechende Vollmacht des Apostolischen Stuhls eingeholt worden wäre.51 Auf diese Problematik hat die Apostolische Signatur im Zuge der Approbation der KAGO ausdrücklich hingewiesen.52
IV. Inanspruchnahme der normalen im Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten bei Streitigkeiten aus dem kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht 1. Die einzelnen im Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten Dass das kirchliche Arbeitsrecht mit den Schlichtungsstellen eigene Einrichtungen zur Gewährung von Rechtsschutz vorsah, schloss nicht aus, dass Rechtsschutz in denselben Angelegenheiten auch mit Hilfe der normalen im Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten gesucht wurde. Die Frage, inwieweit das tatsächlich möglich war, soll im Folgenden allein auf der Grundlage des CIC/1983 behandelt werden; die ihm vorausgehende Rechtslage bleibt also unberücksichtigt. a) Die ordentliche kirchliche Gerichtsbarkeit Rechtsstreitigkeiten über kirchliche Angelegenheiten können seit jeher vor die ordentliche kirchliche Gerichtsbarkeit gebracht werden. Damit stellt sich die Frage, ob nicht auch bei Streitigkeiten aus dem kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht – alternativ zur MAVO-Schlichtungsstelle (bzw. zum KODA-Gericht der Bayerischen Regional-KODA) – die ordentlichen kirchlichen Gerichte hätten angerufen werden können. Nach c. 1491 ist grundsätzlich jedes Recht durch die Möglichkeit einer gerichtlichen Klage geschützt. Vorausgesetzt ist dabei erstens, dass es um Rechte innerhalb 51 Vgl. Adolf Thiel, Dienst- und Disziplinarordnung für die kirchlichen Beamten in der Diözese Hildesheim, in: ZMV 12 (2002), S. 14. 52 Vgl. Joachim Eder, Votum der Apostolischen Signatur zur Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung, in: ZMV 13 (2003), S. 165: „Die Frage zusätzlicher Disziplinargerichte soll später überprüft werden.“
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der Kirche geht (vgl. cc. 1400 – 1401), und zweitens, dass es nicht um eine Streitigkeit geht, die sich aus einer Maßnahme der ausführenden Gewalt ergibt. Beide Voraussetzungen sind bei Streitigkeiten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts in aller Regel erfüllt. Solche Streitigkeiten ergeben sich aus der MAVO oder der KODA-Ordnung, also aus kirchlichen Rechtsnormen. Der kirchliche Charakter solcher Streitigkeiten steht damit außer Frage. Andererseits geht es bei solchen Streitigkeiten normalerweise nicht um Maßnahmen der ausführenden Gewalt, denn im Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts handeln kirchliche Arbeitgeber und auch der Diözesanbischof in der Regel nicht als kirchliche Verwaltungsautoritäten. Grundsätzlich ist somit davon auszugehen, dass man zum Schutz von Rechten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts die kirchlichen Gerichte anrufen kann. Nun kann die zuständige kirchliche Autorität eine Angelegenheit den ordentlichen kirchlichen Gerichten dadurch entziehen, dass sie dafür eine spezielle Gerichtsbarkeit errichtet. Wäre die MAVO-Schlichtungsstelle als kirchliches Gericht anzusehen gewesen, dann hätte man insofern die Bestimmungen der MAVO, wonach bestimmte Streitigkeiten in die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle fielen, so auffassen müssen, dass diese Streitigkeiten dadurch implizit der ordentlichen kirchlichen Gerichtsbarkeit entzogen wurden. Nach der erwähnten Äußerung der Apostolischen Signatur aus dem Jahre 2001 handelte es sich bei der MAVO-Schlichtungsstelle aber nicht um ein Gericht. Die Möglichkeit, der kirchlichen Gerichtsbarkeit die Zuständigkeit für bestimmte Angelegenheiten dadurch zu entziehen, dass man sie einer nicht-gerichtlichen Einrichtung zuweist, ist im CIC nicht vorgesehen. Sie würde vielmehr dem genannten Grundsatz in c. 1491 widersprechen, wonach jedes Recht durch die Möglichkeit einer gerichtlichen Klage geschützt ist. Daraus ergibt sich, dass man sich mit Rechtsstreitigkeiten, für die die MAVO-Schlichtungsstelle zuständig war, alternativ auch an die ordentlichen kirchlichen Gerichte wenden konnte.53 b) Die Verwaltungsbeschwerde Für Streitigkeiten, die sich aus einer Maßnahme der ausführenden Gewalt ergeben, gibt es nach c. 1400 § 2 zwei Rechtsschutzmöglichkeiten: zum einen die sogenannte hierarchische Beschwerde bei der übergeordneten Verwaltungsautorität, wie sie in cc. 1732 – 1739 näher beschrieben ist, zum anderen die Klage vor einem Verwaltungsgericht. Dass sich Streitigkeiten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts aus Maßnahmen der ausführenden Gewalt ergeben, kommt aber normalerweise nicht vor. Daher kommen Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsklage bei solchen Streitigkeiten normalerweise nicht in Betracht. 53
Ebenso Andreas Weiß, Möglichkeiten und Grenzen kirchlichen Rechtsschutzes, in: Rechtsschutz und Gewaltenteilung in den Kirchen, hrsg. von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1999, S. 14: „Auf dem Gebiet des kirchlichen Arbeitsrechts sind die bestehenden kirchlichen Gerichte […] aufgrund der Rechtsschutzgarantie in cann. 221 § 1, 1476 und 1491 CIC verpflichtet, Streitigkeiten intern gerichtlich zu entscheiden.“
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c) Normenkontrollverfahren Einen Ansatz für ein kirchliches Normenkontrollverfahren liefert Art. 158 der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus über die Römische Kurie. Dort wird bestimmt, dass der Päpstliche Rat für Gesetzestexte auf Antrag der Betroffenen darüber entscheidet, ob partikulare Gesetze und allgemeine Dekrete, die von Gesetzgebern unterhalb der höchsten Autorität erlassen wurden, mit den gesamtkirchlichen Normen übereinstimmen oder nicht. Ein solches Verfahren wäre also z. B. möglich, wenn eine MAV sich durch eine Bestimmung der MAVO beschwert fühlt und meint, dass diese Bestimmung dem CIC widerspricht. Auch das dürfte in der Praxis allerdings nur selten vorkommen. Ein für die Praxis relevantes Beispiel für eine rechtswidrige Gesetzgebung kann man darin erblicken, dass ein Diözesanbischof eine Arbeitsrechtsregelung erlässt, ohne sich dabei an das in seiner eigenen KODA-Ordnung vorgesehene Verfahren zu halten. Bei derartigen Verstößen kann der Päpstliche Rat jedoch – da er nur die Übereinstimmung mit gesamtkirchlichen Gesetzen überprüft – nicht angerufen werden. 2. Anfechtung von Entscheidungen der Schlichtungsstelle Die Mitarbeitervertretungsordnungen enthielten keine Hinweise darauf, dass Entscheidungen der Schlichtungsstellen in irgendeiner Weise angefochten werden konnten. Die meisten Ordnungen für das Schlichtungsverfahren sahen zwar unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens vor; eine Anfechtung von Entscheidungen war hingegen auch in den Schlichtungsverfahrensordnungen nicht vorgesehen. Angesichts dessen konnte man in den Kommentaren lesen, dass es gegen Entscheidungen der Schlichtungsstellen keine Rechtsmittel gab.54 Diese Aussage war aber nur insoweit zutreffend, als die besonderen von den deutschen Bischöfen erlassenen Normen des kirchlichen Arbeitsrechts keine Möglichkeit zur Anfechtung der Entscheidungen von Schlichtungsstellen vorsahen. Eine Anfechtung dieser Entscheidungen mit den normalen im Kirchenrecht vorgesehenen Mitteln war dadurch nicht ausgeschlossen. Vielmehr bestand – auch wenn faktisch davon nicht Gebrauch gemacht wurde – die Möglichkeit, dass jemand, der sich durch die Entscheidung einer Schlichtungsstelle beschwert fühlte, mit den in Buch VII des CIC vorgesehenen Mitteln dagegen vorging. Denn die deutschen Bischöfe waren nicht befähigt, durch den Erlass ihrer arbeitsrechtlichen Gesetze die vom CIC vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten auszuschließen; und sie haben das auch nicht versucht. 54
Franzjosef Bleistein/Adolf Thiel, Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO), München/Unterschleißheim 42004, S. 838, Rdnr. 24: „Gegen die Beschlüsse der Schlichtungsstelle gibt es kein Rechtsmittel.“ Bernards, Schlichtungsstelle (Anm. 9), S. 107: „Die Entscheidung der Schlichtungsstelle kann durch ein anderes kirchliches Organ nicht überprüft werden.“ Vgl. auch Thiel, Zulässigkeit (Anm. 14), S. 68 f., Nr. 9.
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Welche Rechtsschutzmittel näherhin in Anspruch genommen werden konnten, hängt davon ab, wie man die Entscheidungen der Schlichtungsstelle kirchenrechtlich qualifiziert. Wenn man einerseits mit der Apostolischen Signatur davon ausgeht, dass die Schlichtungsstellen keine Gerichte waren, und andererseits voraussetzt, dass die Entscheidungen der Schlichtungsstellen kirchenrechtlich bindend waren, konnten die Entscheidungen der Schlichtungsstellen nur als Maßnahmen des kirchlichen Verwaltungshandelns qualifiziert werden. Gegen solche Maßnahmen ist nach c. 1400 § 2 der Rechtsweg zu den ordentlichen kirchlichen Gerichten nicht eröffnet. Zwar spricht diese Bestimmung ausdrücklich nur von Maßnahmen der „ausführenden Gewalt“ (potestas administrativa); von ihrer Zielsetzung her ist sie jedoch auf jegliches kirchliches Verwaltungshandeln anzuwenden.55 Anstelle der Klage vor einem ordentlichen kirchlichen Gericht nennt c. 1400 § 2 als Möglichkeiten, gegen kirchliches Verwaltungshandeln vorzugehen, die hierarchische Beschwerde und die Klage vor einem Verwaltungsgericht. Gegen Entscheidungen der Schlichtungsstellen ein kirchliches Verwaltungsgericht anzurufen, war nicht möglich; denn das einzige existierende kirchliche Verwaltungsgericht, die Zweite Sektion der Apostolischen Signatur, urteilt nur über Beschwerden gegen Verwaltungsakte der Römischen Kurie.56 Als einziges Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Schlichtungsstellen blieb damit die hierarchische Beschwerde gemäß cc. 1732 – 1739. Da die Schlichtungsstelle eine dem Bischof unterstellte Behörde im Sinne von c. 1734 § 3, 18 darstellte, waren Beschwerden gegen ihre Entscheidungen an den Diözesanbischof zu richten57, ohne dass dabei zunächst ein Antrag auf Rücknahme erforderlich gewesen wäre. Ein Antrag auf Rücknahme hätte im
55 Dass die Vorschriften in cc. 1732 – 1739 auch auf Verwaltungsentscheidungen anzuwenden sind, die nicht auf hoheitlicher ausführender Gewalt beruhen, vertritt der Sache nach ebenso Eduardo Labandeira, Tratado de derecho administrativo canónico, Pamplona 21993, S. 428 f. Ebenso, zumindest im Hinblick auf Entscheidungen von Ordensoberen: Velasio De Paolis, I ricorsi amministrativi presso gli istituti religiosi, in: Informationes SCRIS 18 (1992), S. 97 – 121 und S. 206 – 228, hier S. 225; Francisco Javier Egaña, I canoni 1732 ss. relativi al ricorso contro i decreti amministrativi, si applicano anche ai decreti dei superiori religiosi? E se sì, in che misura?, in: Vita Consacrata 28 (1992), S. 381 – 383; Domingo J. Andrés, Los Superiores religiosos de los Religiosos según el Código: V – Estatuto específico de los Superiores locales, in: ComRelMiss 82 (2001), S. 23, Nr. 7.3. – Zenon Grocholewski (De ordinatione ac munere tribunalium in Ecclesia ratione quoque habita iustitiae administrativae, in: EphIurCan 18 [1992], S. 67) nennt bei der Darstellung der Verwaltungsbeschwerde ohne weitere Erläuterungen auch Beispiele aus dem Bereich der Verwaltungsentscheidungen ohne Leitungsgewalt. Vgl. auch den Zusatz »ex quavis legitima potestate in Ecclesia« in c. 996 CCEO. – Anderer Ansicht war Hans Heimerl (Der hierarchische Rekurs [can. 1732 – 1739 CIC], in: ÖAKR 35 [1985], S. 164 f.). Er nahm an, dass cc. 1732 – 1739 nicht auf Verwaltungsentscheidungen ohne Leitungsgewalt Anwendung finden. 56 PastBon, Art. 123. 57 Vgl. Eder, Besprechung (Anm. 49), S. 163: „Wenn eine Entscheidung […] dem kirchlichen Recht widerspricht, ist nach kirchlichem Recht eine Berufung an den Diözesanbischof möglich, der die Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem kirchlichen Recht feststellen kann.“
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Übrigen auch nach den Verfahrensordnungen der Schlichtungsstellen nicht zugelassen werden dürfen. 3. Beispiele für die Inanspruchnahme der im allgemeinen Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten Aus der Literatur sind zwei Beispiele dafür bekannt, dass man bei Streitigkeiten aus dem kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht die im allgemeinen Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen versucht hat. a) KODA-Mitarbeiterseite gegen den Bischof von Limburg (1999 – 2000) Im Jahre 1999 wandte sich die KODA-Mitarbeiterseite des Bistums Limburg an das Bischöfliche Offizialat Limburg, weil sie der Auffassung war, in ihren Rechten bei der Gestaltung des Arbeitsvertragsrechts verletzt zu sein, da der Bischof von Limburg eine Weiterbildungsordnung für Mitarbeiter ohne KODA-Beschluss geändert hatte.58 Ein vorausgegangener vergleichbarer Antrag bei der zuständigen Schlichtungsstelle war wegen fehlender Antragsberechtigung für unzulässig erklärt worden.59 Dagegen gab das Limburger Offizialat der KODA-Mitarbeiterseite der Sache nach recht. Das Urteil wurde jedoch vom zuständigen Berufungsgericht des Erzbistums Köln für nichtig erklärt. Es habe sich nämlich um einen Rechtsstreit gegen den Bischof von Limburg gehandelt. Dafür sei nach c. 1405 § 3, 18 nicht das eigene Gericht des Bischofs, sondern die Römische Rota zuständig.60 Von der Möglichkeit, dort ein Verfahren anzustrengen, hat die KODA-Mitarbeiterseite keinen Gebrauch gemacht. b) AK Caritas-Mitarbeiterseite gegen den VDD (2002 – 2004) Im Jahre 2002 begann die Mitarbeiterseite der AK Caritas ein Verwaltungsbeschwerdeverfahren gegen den VDD, weil sie sich durch dessen Genehmigung einer Änderung der Satzung der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse (KZVK) beschwert fühlte.61 Ein in der gleichen Sache vor die zuständige Schlichtungsstelle in Freiburg gebrachtes Verfahren gab der AK-Mitarbeiterseite recht.62 Währenddessen gelangte das Verwaltungsbeschwerdeverfahren an die Römische Kurie, genauer
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Siehe: Thiel, Zuständigkeit (Anm. 33). Siehe: Joachim Eder, Änderung der Weiterbildungsverordnung – Unzulässiger Antrag, in: ZMV 9 (1999), S. 142 f. 60 Siehe: Klage gegen den Diözesanbischof kein Fall für das Bischöfliche Offizialat, in: ZMV 10 (2000), S. 75 f. 61 AK Magazin Nr. 24 (Juni 2003), S. 3 – 7. 62 AK Magazin Nr. 27 (Februar 2004), S. 1 – 4. 59
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gesagt an die Kleruskongregation. Sie wies den Antrag im Jahre 2004 zurück, unter anderem wegen fehlender Antragsberechtigung der AK-Mitarbeiterseite.63 c) Stellungnahme In den erwähnten Fällen wurde versucht, in Streitigkeiten aus dem Bereich des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts Rechtsschutz mit den Mitteln des allgemeinen Kirchenrechts zu erhalten. Verlauf und Ergebnis der erwähnten Verfahren erwiesen sich dabei in hohem Maße als unbefriedigend. Bereits über die Fragen der Zuständigkeiten und der Antragsberechtigung bestand offenbar große Unsicherheit, sowohl aufseiten der Beschwerdeführer als auch aufseiten der angerufenen kirchlichen Stellen. Die beiden Beispiele können im Nachhinein verdeutlichen, warum man es seit den 70er Jahren vorgezogen hatte, für das kollektive kirchliche Arbeitsrecht eigene Rechtsschutzmöglichkeiten zu schaffen, anstatt Streitigkeiten an die im allgemeinen Kirchenrecht vorgesehenen Stellen gelangen zu lassen. Auf der anderen Seite zeigen die beiden Beispiele aber auch, dass es noch nicht gelungen war, das von den Schlichtungsstellen geprägte Rechtsschutzsystem mit dem allgemeinen vom Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsschutzsystem in Beziehung zu setzen. Gerade diese Beziehungslosigkeit führte zu Unklarheiten und Problemen. So gesehen verdeutlichen die beiden Beispiele letztlich die Notwendigkeit einer in die Strukturen des allgemeinen Kirchenrechts eingepassten kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit.
V. Fazit Etliche der Schwierigkeiten, die im Laufe dieser Überlegungen deutlich wurden, haben in irgendeiner Weise damit zu tun, dass die katholische Kirche weltweit organisiert ist und ein gesamtkirchlich verbindliches Kirchenrecht besitzt, das gerade, was die Gewährung von Rechtsschutz angeht, eingehende Vorgaben macht, von denen die einzelnen Bischöfe nicht leicht abweichen können. Als die deutschen Bischöfe in den 70er Jahren begannen, ein eigenes Rechtsschutzsystem für das kollektive kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland zu schaffen, geschah dies weitgehend unabhängig von den gesamtkirchlichen Vorgaben. Man wird wohl annehmen können, dass diese Vorgehensweise zumindest anfänglich sinnvoll war. Was damals in Deutschland nötig war, hätte sich nicht leicht von Anfang an in die gesamtkirchlichen Vorgaben integrieren lassen. Andererseits führte aber gerade das beziehungslose Nebeneinander zweier unterschiedlicher Rechtsschutzsysteme innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland zu neuen Problemen. Diese Probleme wären vielleicht noch viel deutlicher zu Tage getreten, wenn die Arbeit der Schlichtungsstellen nicht
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AK Magazin Nr. 28 (Oktober 2004), S. 1 – 3.
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weithin geschätzt worden wäre, so dass man sie nicht leicht grundsätzlich in Frage stellen wollte. Angesichts dessen könnte der Eindruck entstehen, dass die Spannungen zwischen dem in Deutschland entwickelten Rechtsschutzsystem und den gesamtkirchlichen Vorgaben letztlich einfach eine unnötige Erschwernis waren, so dass man womöglich neidvoll auf die evangelischen Kirchen in Deutschland hätte blicken können, die sich nicht mit weltweiten Vorgaben auseinandersetzen mussten. Ein solches Urteil wäre aber zu einseitig. Das gesamtkirchliche katholische Rechtsschutzsystem mag gegenüber dem im deutschen kirchlichen Arbeitsrecht entwickelten System schwerfälliger gewesen sein; es hatte aber auch gewichtige Vorteile, etwa hinsichtlich seiner Überprüfbarkeit, Einheitlichkeit und Durchsetzbarkeit. Gerade was den fehlenden Instanzenzug und die Probleme bei der Vollstreckbarkeit angeht, war das von den Schlichtungsstellen geprägte System dem gesamtkirchlichen Rechtsschutzsystem deutlich unterlegen. So notwendig das anfängliche Auseinanderklaffen zwischen deutschem und gesamtkirchlichem System gewesen sein mag, so konnte es doch auf die Dauer gesehen nicht die geeignete Lösung sein. Mit einer gewissen Notwendigkeit lief es daher auf die Schaffung der kirchlichen Arbeitsgerichte hinaus, die im Unterschied zu ihren Vorläufern, den MAVO-Schlichtungsstellen, nicht mehr nur im staatlichen, sondern auch im kirchlichen Rechtsbereich im vollen Sinn als kirchliche Gerichte anzusehen sind. Dass die zunächst nur probeweise für fünf Jahre rekognoszierte Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung bei ihrer dauerhaften Inkraftsetzung im Jahre 2010 keine gravierenden Änderungen erfuhr64, deutet darauf hin, dass sie von Anfang an gut gelungen war. Die Erklärung dafür hat zwei Aspekte: einerseits die jahrzehntelangen Erfahrungen, die man mit dem in das gesamtkirchliche Recht nicht leicht einzuordnenden Rechtsinstitut der MAVO-Schlichtungsstelle gesammelt hatte, und andererseits der Zwang, dieses System später mit der gesamtkirchlichen Rechtsordnung in Übereinstimmung zu bringen. Diese Feststellung führt offensichtlich zu der – hier nicht mehr zu erörternden – Frage, was sich aus der beschriebenen Vorgeschichte der kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit für die Schaffung einer dezentralen kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit lernen lässt.
64 Stefan Korta, Zur novellierten Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung 2010: KuR (Neuwied) 16 (2010), S. 43 – 55.
Das Urheberrechtsgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 19. März 2011 Elmar Güthoff
I. Vorausgehende Regelungen Der Staat der Vatikanstadt verfügt für seinen Bereich über eine eigene Gesetzgebung; die Gesetze sind keine kirchlichen, sondern staatliche Gesetze. Nach dem Abschluss der Lateranverträge 1929 gab es für den Staat der Vatikanstadt zunächst kein eigenes Urheberrechtsgesetz. Stattdessen erklärte das Gesetz über die Rechtsquellen im Staat der Vatikanstadt vom 7. Juni 1929 die zu diesem Zeitpunkt verbindliche Gesetzgebung des Königreiches Italien über das künstlerische und literarische Eigentum für das Gebiet des Vatikanstaates grundsätzlich für verbindlich (Art. 20c Nr. 2).1 Seinerzeit war in Italien das Urheberrechtsgesetz vom 7. November 1925 geltendes Recht.2 Ein eigenes, lediglich aus vier Artikeln bestehendes Urheberrechtsgesetz für den Staat der Vatikanstadt wurde dann am 12. Januar 1960 von Papst Johannes XXIII. erlassen.3 1
Siehe Pius XI., Legge n. II sulle fonti del diritto, 07. 06. 1929, in: AAS Supplemento 1 (1929), S. 5 – 13. Vgl. Schulz, W., Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanonischen Rechts. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Problemkreis des Urheberrechtes und seiner Aufgabe und Bedeutung im kanonischen Recht. (= Schriftenreihe der InterGU, Bd. 49) München 1973, S. 78; ders., Vatikanisches Urheberrecht als Rechtsschutz des geistigen Eigentums in der Kirche, in: ThGl 66 (1976), S. 220 – 230, hier S. 223; ders., Il diritto di autore nella Città del Vaticano e la protezione della proprietà intellettuale nella Chiesa, in: Apollinaris 48 (1975), S. 289 – 300; hier S. 292; ders., Der Schutz des geistigen Eigentums in der Gesetzgebung des Vatikanstaates, in: Ress, G. (Hrsg.), Intellectual Property Rights and EG-Law. Droits intellectuels et droit communautaire. Wissenschaftliches Kolloquium anläßlich des 70. Geburtstags von Gerhard Reischl. Baden-Baden 1989, S. 119 – 129, hier S. 120 f. 2 Siehe Vittorio Emanuele III, Decreto legge n. 1950 disposizioni sul diritto di autore, 07. 11. 1925, in: Raccolta ufficiale delle leggi e dei decreti del Regno d’Italia, Provveditorato Generale dello Stato, Libreria, Rom, 1925, n. 1950; Gazzetta ufficiale (nachfolgend GU) vom 20. 11. 1925, n. 270. 3 Siehe Johannes XXIII., Legge n. 12 sul diritto di autore, 12. 01. 1960, in: AAS Supplemento 32 (1960), S. 45 f. Deutsche Übersetzung und Kommentierung bei Schulz, W., Vatikanstaat: Quellen des Urheberrechts. Gesetzestexte aller Länder mit deutschen Übersetzungen, systematischen Einführungen und tabellarischen Übersichten. Loseblattsammlung. Frankfurt/ M. ab 1960, S. I-IV. Vgl. ders., Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanoni-
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In der Einleitung wird das Gesetz vom 12. Januar 1960 von Papst Johannes XXIII. ausdrücklich als Staatsgesetz („legge dello Stato“) bezeichnet. Somit handelt es sich bei diesem Gesetz um ein Gesetz ausschließlich für den Staat der Vatikanstadt und nicht um eine gesamtkirchliche Norm. Art. 3 dieses Urheberrechtsgesetzes hob die Bestimmung des Gesetzes des Staates der Vatikanstadt über die Rechtsquellen vom 7. Juni 1929 auf, wodurch das seinerzeit verbindliche italienische Urheberrecht für den Vatikanstaat zur Anwendung kam. Art. 1 des Urheberrechtsgesetzes vom 12. Januar 1960 enthält eine generelle, statische Rezeption des italienischen Urheberrechtes. „Was das Urheberrecht an Geisteswerken anbelangt, so ist im Vatikanstaat die Gesetzgebung des italienischen Staates zu beobachten, einschließlich der geltenden Verordnungen, die bei Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes Gültigkeit haben“4. Zu diesem Zeitpunkt galt in Italien das Urheberrechtsgesetz vom 22. April 19415 ; es galt somit ebenso wie die darauf bezogenen Durchführungsbestimmungen und nachfolgenden Normen des Zivilgesetzbuches mit allen Änderungen bis zum 12. Januar 1960 für den Staat der Vatikanstadt.
II. Der Erlass des Gesetzes von 2011 und der darin enthaltene Grundsatz Die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt erließ am 19. März 2011 ein aus acht Artikeln bestehendes Gesetz über den Schutz des Urheberrechts an Werken des Geistes und der verwandten Schutzrechte.6 Das Grundgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 26. November 2000 beginnt mit der selbstverständlichen Feststellung, dass der Papst als Oberhaupt des Vatikanstaates die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt besitzt (Art. 1 Abs. 1).7 Warum hat dann nicht der Papst das Urheberrechtsgesetz von 2011 schen Rechts (Anm. 1), S. 78 – 80; ders., Vatikanisches Urheberrecht als Rechtsschutz des geistigen Eigentums in der Kirche (Anm. 1), S. 292; ders., Der Schutz des geistigen Eigentums in der Gesetzgebung des Vatikanstaates (Anm. 1), S. 121. 4 Schulz, Vatikanstaat: Quellen des Urheberrechts (Anm. 3), S. I. 5 Siehe Legge n. 633, Protezione del diritto d’autore e di altri diritti connessi al suo esercizio, 22. 04. 1942, in: GU n. 166 vom 16. 07. 1941. 6 Siehe Pontificia commissione per lo Stato della Città del Vaticano, Legge n. CXXXII sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno e dei diritti connessi, 19. 03. 2011, in: AAS Supplemento 82 (2011), S. 9 – 12; auch abgedruckt in: Ius Ecclesiae 24 (2012), S. 209 – 212. Vgl. Riofrío Martínez-Villalba/Juan Carlos, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno e dei diritti connessi, in: Ius Ecclesiae 24 (2012), S. 212 – 232, mit Hinweisen zur Entstehung S. 212; Carrieri, Carlo/F. Aumenta, Sergio, La nuova legge vaticana sul diritto d’autore, in: OR 30. 03. 2011, S. 7. 7 Siehe Johannes Paul II., Legge fondamentale dello Stato della Città del Vaticano, 26. 11. 2000, in: AAS Supplemento 71 (2000), S. 73 – 83.
Das Urheberrechtsgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 19. März 2011
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erlassen? Die gesetzgebende Gewalt übt der Papst im Hinblick auf den Staat der Vatikanstadt in der Regel nicht selbst aus, sondern durch eine aus von ihm ernannten Kardinälen bestehende Kommission für den Staat der Vatikanstadt (Art. 3 Abs. 1), deren Präsident das Gesetz am 19. März 2011 unterzeichnete. Die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt ordnete im einleitenden Satz an, das Gesetz von 2011 sei als staatliches Gesetz zu befolgen. Das neue Gesetz von 2011 bringt den Grundsatz der Rezeption des italienischen Urheberrechts (Art. 1 § 1) ähnlich wie im Gesetz von 1960 (Art. 1) zum Ausdruck, wonach im Hinblick auf das Urheberrecht an Geisteswerken im Staat der Vatikanstadt die in Italien geltende Gesetzgebung zu beobachten ist. Nach Art. 1 § 2 handelt es sich um eine dynamische Rezeption. In Italien gilt immer noch das Urheberrechtsgesetz von 1941, das seitdem wiederholt geändert wurde, zuletzt am 21. Februar 2014.8 Die Rezeption des italienischen Urheberrechts für den Vatikanstaat stellt keine Besonderheit dar. Der allgemeine Grundsatz der Rezeption der Normen der Republik Italien beim Fehlen einer anwendbaren Vorschrift in rein weltlichen Angelegenheiten findet sich bereits in den Gesetzen über die Rechtsquellen vom 7. Juni 1929 (Art. 3) und vom 1. Oktober 2008 (Art. 3 Abs. 1)9.
III. Die Einschränkungen des Grundsatzes Art. 1 des Gesetzes von 2011 entspricht Art. 1 des Gesetzes von 1960, ergänzt diese Regelung aber an mehreren Stellen. Wie bereits gesagt, bringt das Gesetz von 2011 zunächst den Grundsatz der Rezeption zum Ausdruck: Im Hinblick auf das Urheberrecht an Geisteswerken ist im Staat der Vatikanstadt das in Italien geltende Urheberrecht zu beobachten (Art. 1 § 1). Diese Rezeption erfolgt allerdings nicht schlechthin, sondern mit weitreichenden Einschränkungen.10 8
Siehe Decreto legislativo 21. 02. 2014, in: GU n. 22 vom 11. 03. 2014. S. Benedikt XVI., Legge n. LXXI sulle fonti del diritto, 01. 10. 2008, in: AAS Supplemento 79 (2008), S. 65 – 70. Hier findet sich als zusätzliches Erfordernis, dass die italienischen Normen zuvor vom Präsidenten des Governatorats des Staates der Vatikanstadt zu billigen sind (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 3), was aber im Hinblick auf die italienischen Normen zum Urheberrecht aufgrund der im Urheberrechtsgesetz von 2011 erfolgten Rezeption (Art. 1 § 1) nicht erforderlich ist. Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 215 – 218; Arrieta, Juan Ignacio, La nuova legge vaticana sulle fonti del diritto, in: Ius Ecclesiae 21 (2009), S. 231 – 242, hier S. 235 – 237. 10 Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 214; Carrieri/Aumenta, La nuova legge vaticana sul diritto d’autore (Anm. 6), S. 7. 9
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So ist das italienische Urheberrecht im Staat der Vatikanstadt dann nicht einschlägig, wenn es im Widerspruch zum göttlichen Recht, zu den Grundsätzen des kanonischen Rechts oder zu Regelungen der Lateranverträge11 steht; zudem ist das italienische Urheberrecht im Staat der Vatikanstadt nur einschlägig, wenn es sich in Bezug auf die bestehenden Gegebenheiten im Staat der Vatikanstadt als anwendbar erweist. Diese Einschränkungen sind nicht neu, man findet sie auch im Urheberrechtsgesetz aus dem Jahr 1960 (Art. 1) und im Gesetz über die Rechtsquellen aus den Jahren 1929 (Art. 3) und 2008 (Art. 3 Abs. 2). Darüber hinaus finden sich in Art. 1 § 1 des Urheberrechtsgesetzes von 2011 weitere Einschränkungen, die keine Entsprechung im Gesetz von 1960 (Art. 1) und im Gesetz über die Rechtsquellen von 1929 (Art. 3) haben. So gilt das italienische Urheberrecht im Staat der Vatikanstadt auch dann nicht, wenn etwas anderes vom Urheberrechtsgesetz aus dem Jahr 2011 vorgesehen ist oder wenn es im Widerspruch steht zu den Normen der internationalen Abkommen, die der Heilige Stuhl abgeschlossen hat oder zukünftig noch abschließen wird. Die zuletzt genannte Einschränkung findet man auch im Gesetz über die Rechtsquellen von 2008 (Art. 3 Abs. 2). Art. 1 § 2 des Gesetzes von 2011 hat keine Entsprechung im Gesetz von 1960; diese Regelung besagt, dass mögliche Änderungen der italienischen Gesetzgebung zum Urheberrecht an Geisteswerken und an den verwandten Schutzrechten in Zukunft in die Ordnung des Staates der Vatikanstadt ausschließlich unter Vorbehalt der in § 1 genannten Einschränkungen übernommen werden.
IV. Die Anwendung der Urheberrechtsnormen auf Gesetzestexte und amtliche Verlautbarungen Die Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 13. November 190812, welcher der Staat der Vatikanstadt am 12. September 1935 beigetreten ist13, überlässt die Entscheidung, ob amtliche Texte urheberrechtlichen Schutz genießen, der Gesetzgebung der einzelnen Verbandsländer (Art. 2 Abs. 4). Auch das Welturheberrechtsabkommen vom 6. September 195214, 11 Mit den nachfolgenden Änderungen; diese Einschränkung hat keine Entsprechung im Urheberrechtsgesetz von 1960. 12 Abgedruckt: RGBl. 1910, 965 – 987; Quellen des Urheberrechts (Anm. 3), Multilaterale Abkommen/RBÜ, I/1 – 102. 13 Aktenzeichen B 14.3.6b HV ad N8 11737. Vgl. Schulz, Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanonischen Rechts (Anm. 1), S. 78; ders., Vatikanisches Urheberrecht als Rechtsschutz des geistigen Eigentums in der Kirche (Anm. 1), S. 223; ders., Il diritto di autore nella Città del Vaticano e la protezione della proprietà intellettuale nella Chiesa (Anm. 1), S. 292; ders., Der Schutz des geistigen Eigentums in der Gesetzgebung des Vatikanstaates (Anm. 1), S. 120 f. 14 Abgedruckt: Quellen des Urheberrechts (Anm. 3), Multilaterale Abkommen/WUA, II/ 1 – 14.
Das Urheberrechtsgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 19. März 2011
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dem der Hl. Stuhl am 15. Juli 1955 beigetreten ist15, schließt Urheberrechtsschutz für amtliche Texte nicht aus. Art. 2 der Urheberrechtsgesetze von 1960 und 2011 stimmen inhaltlich überein: Die Normen zum Schutz (und zur Verwaltung) des Urheberrechts finden Anwendung auf die vom Heiligen Stuhl und vom Vatikanstaat in irgendeiner Form veröffentlichten Gesetzestexte und amtlichen Verlautbarungen. In diesem Punkt ist Kontinuität im Staat der Vatikanstadt gegeben, denn auch aufgrund des Gesetzes über die Rechtsquellen aus dem Jahr 1929 in Verbindung mit dem dadurch rezipierten italienischen Urheberrechtsgesetz des Jahres 1925 war dies bereits bestehende Rechtslage im Vatikanstaat.16 Interessanterweise steht Art. 2 der vatikanischen Urheberrechtsgesetze von 1960 und 2011 im Gegensatz zu Art. 5 des italienischen Urheberrechtsgesetzes des Jahres 1941, wonach amtliche Texte in Italien nicht urheberrechtlich geschützt sind.17 Der italienische Gesetzgeber nahm hier eine inhaltliche Änderung vor, die der Gesetzgeber für den Staat der Vatikanstadt nicht übernehmen wollte.18 Diese Regelung des italienischen Urheberrechtsgesetzes von 1941 (Art. 5) findet sich in den Urheberrechtsgesetzen der meisten Staaten.19 „Amtliche Texte haben als Besonderheit, dass sie der allgemeinen Information dienen und ein rechtskonformes Verhalten erzeugen sollen, also wesentlich zur Kundgabe an die Rechtsunterworfenen konzipiert sind, da rechtskonformes Verhalten die Kenntnis des betreffenden amtlichen Textes voraussetzt. Bei amtlichen Texten steht also das Informationsbedürfnis der Normunterworfenen im Vordergrund und nicht der Schutz der schöpferischen Leistung des Verfassers. Die Lektüre eines amtlichen Textes dient zudem nicht der Befriedigung eines kulturellen Bedürfnisses mit Hilfe eines fremden (geistigen) Eigentums.“20 15 Vgl. Stato della Città del Vaticano, Governatorato: Ufficio Legale, Pro-Memoria, 27. 05. 1941, Abs. 3. Vgl. Schulz, Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanonischen Rechts (Anm. 1), S. 138 – 140. 16 Auch der CIC/1983, der CCEO und der CIC/1917 enthalten auf der Rückseite des Titelblattes die Aussage, dass sich der Hl. Stuhl omnia iura (am CIC/1983 und CCEO) bzw. das ius proprietatis (am CIC/1917) vorbehält. Vgl. Schulz, Il diritto di autore nella Città del Vaticano e la protezione della proprietà intellettuale nella Chiesa (Anm. 1), S. 290; ders., Der Schutz des geistigen Eigentums in der Gesetzgebung des Vatikanstaates (Anm. 1), S. 126 f. 17 „Le disposizioni di questa legge non si applicano ai testi degli atti ufficiali dello Stato e delle Amministrazioni pubbliche“ (Art. 5). 18 Carrieri/Aumenta, La nuova legge vaticana sul diritto d’autore (Anm. 6), S. 7, sprechen hier von „una peculiarità della disciplina vaticana rispetto a quella italiana“. 19 S. den immer noch aktuellen Überblick bei Schulz, Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanonischen Rechts (Anm. 1), S. 170 Anm. 67. Auch § 5 des deutschen Urheberrechtsgesetzes stellt amtliche Texte ausdrücklich nicht unter Urheberrechtsschutz. 20 Güthoff, Elmar, Urheberrechtsschutz im CCEO, in: Mirabelli, C./Feliciani, G./ Fürst, C. G./Pree, H. (Hrsg.), Winfried Schulz in memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskirchenrecht. (= AIC, Bd. 8) Frankfurt/M.: Peter Lang 1999, S. 343 – 362, hier S. 353; vgl. Schulz, Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanonischen Rechts (Anm. 1), S. 170.
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„Zudem kann eine juristische Person grundsätzlich nicht Urheber eines Geisteswerkes sein. Mit Urheber ist immer nur der Schöpfer des Werkes als solcher gemeint. Durch den Akt der Schöpfung erwirbt der Urheber geistiges Eigentum an dem von ihm geschaffenen Werk. Das ist bei einer juristischen Person in dieser Form nicht möglich. Es sprechen also gewichtige Gründe dagegen, ein Urheberrecht an amtlichen Texten zu statuieren.“21 „Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die Sorge des Gesetzgebers vor möglichen Verfälschungen amtlicher Texte berechtigt ist.“22 „Es sprechen zweifelsohne gute Gründe dafür, für den Nachdruck amtlicher Texte die Erlaubnis der zuständigen Autorität zu fordern. Nicht sachgerecht ist lediglich die Einordnung in den urheberrechtlichen Kontext.“23
V. Die verwandten Schutzrechte Bei dem hier zu behandelnden vatikanischen Gesetz von 2011 handelt es sich im Unterschied zum Gesetz von 1960 nicht mehr um ein reines Urheberrechtsgesetz, sondern um ein Gesetz, das sich auch auf den Schutz verwandter Schutzrechte („dei diritti connessi“) bezieht24 ; die entsprechenden Normen sind in den Art. 3 – 6 zu finden und haben keine Entsprechung im Urheberrechtsgesetz von 1960. Eine vergleichbare Ausweitung erfolgte auch in anderen zivilen Rechtsordnungen. Auch die entsprechenden Gesetze z. B. aus Deutschland (§§ 70 – 87)25 und Italien (Art. 72 – 101) beziehen sich nicht mehr allein auf den Schutz des Urheberrechts, sondern schützen auch andere geistige Leistungen, auf die das Urheberrecht als solches keine Anwendung findet. Was unter diesen verwandten Schutzrechten genau zu verstehen ist, differiert in den einzelnen Gesetzen26; das übereinstimmend verwendete Substantiv Verwandtschaft drückt eine Nähe zum Urheberrecht aus, trägt darüber hinaus aber nichts zur Begriffsbestimmung bei, da Verwandtschaftsart, -linie
21 Güthoff, Elmar, Der Schutz des geistigen Eigentums im CCEO, in: AfkKR 177 (2008), S. 28 – 39, hier S. 38. 22 Güthoff, Urheberrechtsschutz im CCEO (Anm. 20), S. 355. Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 219 – 221, wo dieses Problem nicht thematisiert wird. 23 Güthoff, Der Schutz des geistigen Eigentums im CCEO (Anm. 21), S. 38. 24 Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 224 f. 25 Siehe Bundesrepublik Deutschland, Gesetz über Urheberrechte und verwandte Schutzrechte vom 16. 09. 1965 (BGBl I, 1273 – 1275), zuletzt geändert am 01. 10. 2013 (BGBl. I [2013] 3728 – 3730). 26 Vgl. Peukert, Alexander, Verwandte Schutzrechte, in: Basedow, Jürgen/Hopt, Klaus J./ Zimmermann, Reinhard (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. II, Tübingen 2009, S. 1725 – 1728; Menegon, Diego, Diritti connessi, un ritardo pericoloso, in: IBL Briefing Paper 116 vom 12. 11. 2012, Turin 2012, S. 1 – 6.
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und -grad unklar bleiben. Manfred Rehbinder bezeichnet diese verwandten Schutzrechte zutreffend als „Leistungsschutzrechte“27. „Hierbei unterscheiden sich die bloßen geistigen Leistungen von den Geisteswerken wesentlich. Während bei Letzteren der individuelle Geist sich selbst eine Ausdrucksform gibt und so einen neuen geistigen Gegenstand in der Außenwelt schafft, sind die bloßen Leistungen nur einem bereits vorhandenen geistigen Gut gewidmet, indem sie dieses entdecken, wiedergeben oder realisieren. Da sie aber teils den Leistungen der Urheber ähnlich sind, […] hat sie das UrhG im Anschluss an das Urheberrecht geregelt. […] Zur Vereinfachung der Regelung des Leistungsschutzes verweist das UrhG teilweise auf die Bestimmungen des Urheberrechts.“28
1. Die Schriften, Reden, das Bild und die Stimme des Papstes Das Gesetz von 2011 schützt auch die Schriften, Reden, das Bild und die Stimme des Papstes (Art. 3).29 Da das italienische Urheberrechtsgesetz keine entsprechende Bestimmung enthält, war aus der Sicht des Gesetzgebers eine eigene Norm für den Staat der Vatikanstadt erforderlich. Zunächst geht es um die Schriften und die Reden des Papstes (Art. 3 § 1); auch sie sind nach Maßgabe des Gesetzes von 2011 geschützt. Bei dieser Schutznorm handelt es sich um eine urheberrechtliche Regelung, von welcher der Papst aber abweichen kann.30 Darüber hinaus geht es in allgemeiner Weise um die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Bild des Papstes ausgestellt, vervielfältigt, verbreitet oder in den Handel gebracht werden darf. Dies alles ist verboten, wenn es sich für die Ehre, den Ruf, das Ansehen oder das Prestige der Person des Papstes möglicherweise als nachteilig erweisen könnte (Art. 3 § 2). Das Bild des Papstes darf aber ausgestellt, vervielfältigt, verbreitet oder in den Handel gebracht werden, wenn es durch religiöse, kultu27
Rehbinder, Manfred, Urheberrecht, Ein Studienbuch, München 162010, S. 308. Vgl. ebd.; vgl. ferner Schack, Haimo, Urheber- und Urhebervertragsrecht. Tübingen 5 2010, S. 28. 29 Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 221 – 223. 30 Kurz nach ihrer Wahl übertrugen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. der Libreria Editrice Vaticana die Wahrnehmung und den Schutz sämtlicher Autoren- und Exklusivrechte für den Verkauf der Schriften, Werke und Publikationen, die sie vor ihrer Wahl zum Papst publizierten, und die Wahrnehmung und den Schutz der Autorenrechte bezüglich noch laufender Verträge; Franziskus übertrug diese Rechte nicht der Libreria Editrice Vaticana (OR 27. – 28. 11. 1978; 31. 05. 2005; 23. 03. 2013). Vgl. auch die Erklärung des Staatssekretariats vom 19. 12. 2009 zum Schutz der Würde des Papstes (AAS 102 [2010], S. 59): „Die Verwendung all dessen, was sich direkt auf die Person und das Amt des Papstes (Name, Bild, Wappen) bezieht, wie auch der Bezeichnung ,päpstlich‘ (muss) ausdrücklich und im Voraus vom Heiligen Stuhl autorisiert werden“ (ORdt 39 [2009] Nr. 52 f., S. 8). Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 229 f. 28
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relle, didaktische oder wissenschaftliche Zwecke gerechtfertigt ist und mit öffentlichen oder sich in der Öffentlichkeit ereignenden Geschehnissen, Ereignissen oder Feiern in Verbindung steht (Art. 3 § 3); sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, ist die Zustimmung der zuständigen Organe einzuholen, die in den wichtigsten Fällen das Staatssekretariat zu informieren haben. Das Gesetz von 2011 schützt aber auch die Stimme des Papstes (Art. 3 § 4): Die Regelungen zum Schutz der Schriften und Reden sowie des Bildes des Papstes gelten auch im Hinblick auf den Schutz der Stimme des Papstes. Hier wird man vor allem daran denken, dass Tonaufzeichnungen nur unter den gesetzlich umschriebenen Konditionen (§§ 2 f.) vervielfältigt, verbreitet oder in den Handel gebracht werden dürfen; hingegen kann an der Stimme des Papstes kein Urheberrecht i. e. S. geltend gemacht werden. 2. Die Kulturgüter im Staat der Vatikanstadt Da sich im Staat der Vatikanstadt zahlreiche Kulturgüter befinden, stellt sich die Frage, wer von ihnen Fotografien und andere Vervielfältigungen anfertigen darf und welches Recht hierbei zu beachten ist.31 Das vatikanische Gesetz von 2011 regelt diese Frage für alle Arten und Weisen von Vervielfältigungen der Kulturgüter und auf jedem beliebigen Träger im Rahmen der verwandten Schutzrechte (Art. 4 § 1). Diese Zuordnung ist sachgerecht. Grundsätzlich kann ein Urheberrecht auch durch die Kunst des Fotografierens erlangt werden32, um das es hier aber letztlich nur untergeordnet geht, weil in der Regel nicht das Foto, z. B. des Petersplatzes, das Kunstwerk ist, sondern das Kunstwerk auf dem Foto abgebildet ist. Für den Staat der Vatikanstadt besteht aber vor allem im Hinblick auf Vervielfältigungen seiner Kulturgüter und die wirtschaftliche Nutzung dieser Vervielfältigungen Regelungsbedarf. Darüber hinaus gibt es aber auch Fotografien und andere Arten der Vervielfältigungen (z. B. Fotokopien), die ausschließlich dokumentarischer Art sind und bei denen die Frage des Verwertungsrechts untergeordnet ist; obwohl auch in diesem Zusammenhang Regelungsbedarf besteht, kann kein Urheberrecht i. e. S. geltend gemacht werden. Das Gesetz von 2011 beantwortet die Frage, welches Recht in diesem Zusammenhang anzuwenden ist, durch einen Verweis auf Art. 1; das italienische Recht zum Schutze der Geisteswerke und der verwandten Schutzrechte wird dadurch für alle
31 Eine Umschreibung der in diesem Zusammenhang gemeinten Kulturgüter findet sich in Art. 1 des Gesetzes des Staates der Vatikanstadt über den Schutz der Kulturgüter (Pontificia commissione per lo Stato della Città del Vaticano, Legge n. CCCLV sulla tutela dei beni culturali, 25. 07. 2001, in: AAS Supplemento 72 [2001], S. 37 – 47). 32 Vgl. Rehbinder, Urheberrecht (Anm. 27), S. 198.
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rechtlichen Fragen zum Thema des Fotografierens und sonstiger Vervielfältigungen der Kulturgüter im Staat der Vatikanstadt für verbindlich erklärt (Art. 4 § 1)33. Grundsätzlich sind nur diejenigen Einrichtungen des Staates der Vatikanstadt zur Vervielfältigung berechtigt, in deren Obhut sich die jeweiligen Kulturgüter befinden (Art. 4 § 1), was das Fotografieren der Kulturgüter im Staat der Vatikanstadt Sonstiger zu kommerziellen Zwecken ausschließt und private Fotografien nur nach den Maßgaben des italienischen Rechts gestattet. Im neuen Gesetz von 2011 wird auch die Frage geregelt, wie lange die zulässigen Fotografien und sonstigen Vervielfältigungen der Kulturgüter rechtlich geschützt sind. Dieses Schutzrecht besteht für eine Dauer von siebzig Jahren ab dem Jahr der ersten Aufnahme des Werkes im jeweiligen Format (Art. 4 § 2). Eine Aufnahme in ein anderes Format stellt eine neue Veröffentlichung des Werkes mit allen rechtlichen Wirkungen dar (Art. 4 § 3). In Art. 4 § 2 wird die Dauer des geschützten Rechts unzutreffend als Urheberrecht („diritto di autore“) bezeichnet. Beim Urheberrecht unterscheidet man das Urheberpersönlichkeitsrecht und das wirtschaftliche Nutzungsrecht, die eine Einheit bilden.34 Diese Unterscheidung ist dem Gesetzgeber natürlich grundsätzlich bekannt, was aus Art. 5 § 4 und Art. 6 des Gesetzes von 2011 hervorgeht.35 Der Schutz der Kulturgüter im Staat der Vatikanstadt gegen unerlaubte Vervielfältigungen ist sicher berechtigt; allerdings sollte dies nicht unter dem Deckmantel des Urheberrechts geschehen, weil sich der in diesem Zusammenhang erforderliche Schutz nur auf die wirtschaftliche Nutzung und nicht auf das Urheberpersönlichkeitsrecht beziehen kann, was an dieser Stelle (Art. 4 § 2) nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt (im Unterschied zu § 5 Abs. 4). 3. Das Urheberrecht an Auftragsarbeiten Art. 5 regelt das Urheberrecht an Auftragsarbeiten36, wofür das italienische Urheberrechtsgesetz als solches keine ausdrückliche Entsprechung hat.37 „Die große 33 Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 223 f.; Carrieri/Aumenta, La nuova legge vaticana sul diritto d’autore (Anm. 6), S. 7. 34 „Darüber, daß das Urheberrecht sowohl eine vermögensrechtliche wie eine persönlichkeitsrechtliche Komponente hat, ist man sich heute weitgehend einig“ (Ulmer, E., Rezension zu Schulz, Zum Schutz des geistigen Eigentums im System des kanonischen Rechts [Anm. 1], in: AfkKR 146 [1977], S. 688 – 691, hier S. 688). 35 Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 225 – 227. 36 Vgl. ebd., S. 227 f. 37 Das italienische Urheberrechtsgesetz handelt in den Art. 16 bis 88, 90 vom Auftraggeber, doch geht aus diesen Regelungen nicht hervor, wem das Urheberrecht an im amtlichen Auftrag erbrachten Werken zukommt.
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Mehrzahl von geistigen Leistungen wird […] auf Bestellung oder in einem Angestelltenverhältnis, also aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages erbracht.“38 Auftragsarbeiten können unter das Urheberrecht fallen, müssen es aber nicht grundsätzlich, weshalb sie hier unter die verwandten Schutzrechte eingereiht werden. Wenn es sich um geistige Schöpfungen handelt, gelten im Staat der Vatikanstadt grundsätzlich die einschlägigen Regelungen des italienischen Urheberrechts. Das Urheberrechtsgesetz von 2011 bringt darüber hinaus in Art. 5 klar zum Ausdruck, wem im Staat der Vatikanstadt das Urheberrecht an im amtlichen Auftrag erstellten Werken zukommt. Das Gesetz bringt den Grundsatz zum Ausdruck: Dem Heiligen Stuhl39 und dem Staat der Vatikanstadt steht das Urheberrecht („diritto di autore“) an den Werken zu, die unter ihrem Namen erstellt oder veröffentlicht oder in ihrem Namen angefertigt wurden (Art. 5 § 1). Dieser Regelung liegt – ähnlich wie Art. 4 § 2 – eine Verkürzung der Lehre vom geistigen Eigentum zugrunde; auch bei Auftragsarbeiten bleibt das Urheberpersönlichkeitsrecht des Autors als solches erhalten, während das wirtschaftliche Nutzungsrecht an den Auftraggeber abgetreten werden kann. Bei Auftragsarbeiten kann es also nur um die Abtretung des wirtschaftlichen Nutzungsrechtes gehen. Das Gesetz von 2011 regelt auch die Dauer der wirtschaftlichen Nutzungsrechte bei Auftragsarbeiten (Art. 5 § 4): Die Dauer der ausschließlichen wirtschaftlichen Nutzungsrechte bei Auftragsarbeiten beträgt – wie im italienischen Urheberrecht – siebzig Jahre, und zwar ab dem Jahr der ersten Veröffentlichung des Werkes bzw. ab dem Todesjahr des Autors, sofern der Name des Autors im Werk angegeben wird.40 Diese Regelung bezieht sich ausdrücklich nur auf das wirtschaftliche Nutzungsrecht, nicht aber auf das zumindest im Grundsatz zeitlich unbegrenzte Urheberpersönlichkeitsrecht.41 Den mit Fragen des Urheberrechts bei Auftragsarbeiten konfrontierten Organen des Hl. Stuhles (und des Staates der Vatikanstadt) sind, sofern sie über das Recht der Selbstverwaltung verfügen, die Ausübung und der Schutz des Urheberrechts in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen überlassen (Art. 5 § 3)42. Sie haben das Recht, 38
Rehbinder, Urheberrecht (Anm. 27), S. 45. In diesem Gesetz sind unter „Santa Sede“ der Papst, die Dikasterien und Organe der Römischen Kurie sowie die mit ihr verbundenen Einrichtungen zu verstehen (Art. 5 § 2; vgl. c. 361 CIC/1983, wo die „Istituzioni ad essa collegate“ nicht genannt sind). 40 Nach Art. 26 des italienischen Urheberrechtsgesetzes umfasst die Dauer der Verwertungsrechte am Werk das Leben des Urhebers und 70 Jahre nach seinem Tod. 41 Nach Art. 23 des italienischen Urheberrechtsgesetzes bleibt das Urheberpersönlichkeitsrecht auch nach dem Tod des Urhebers zeitlich unbegrenzt bestehen. Vgl. Art. 12 Abs. 1 der „Charta des Urheberrechts“ aus dem Jahr 1956, in: Schriftenreihe der InterGU, Bd. 8, Frankfurt/M. 1958, S. 7 – 16. 42 Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 229, zeigt auf, warum es hierfür keine zentrale Ein39
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die Urheberschaft am Werk geltend zu machen und sich jeder Entstellung, Verstümmelung oder sonstigen Änderung und jeder Beeinträchtigung des Werkes zu widersetzen (Art. 6). Durch diese Regelung wird nicht nur das wirtschaftliche Nutzungsrecht, sondern auch das Urheberpersönlichkeitsrecht bei Auftragsarbeiten geregelt; dass es gegen Dritte zu schützen ist, dürfte unstrittig sein. Darüber hinaus wird es (durch Art. 6) aber auch gegen den im Auftrag handelnden Urheber geschützt, was im Hinblick auf das Urheberpersönlichkeitsrecht als Einschränkung des im Auftrag handelnden Urhebers grundsätzlich vertretbar ist.43
VI. Die Kommission für das geistige Eigentum In Art. 7 findet man eine weitere Neuerung des vatikanischen Urheberrechtsgesetzes von 2011.44 Durch Art. 7 § 1 wird eine Kommission für das geistige Eigentum („Commissione per la proprietà intellettuale“) eingerichtet. Dieser Kommission gehören der Assessor des Staatssekretariats als Vorsitzender und ein vom Hl. Stuhl und vom Staat der Vatikanstadt zu benennender Vertreter („rappresentante“) an. Sie tagt mindestens zweimal pro Jahr und geht nach einer eigenen Ordnung vor, die vom Staatssekretariat zu approbieren ist (§ 2). Diese Kommission soll das Wirken der verschiedenen Verwaltungen im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte fördern und koordinieren, die allgemeine Richtung vorgeben und generell eine beratende Funktion ausüben (§ 2). Im Fall von Streitfragen über die Zuständigkeit auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte auf der Ebene des Hl. Stuhles und des Staates der Vatikanstadt hat die Kommission nach einem Einigungsversuch dem Staatssekretariat die Entscheidung vorzulegen (§ 3).
VII. Inkrafttreten Art. 8 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes von 2011. Zunächst wird bestimmt, dass mit Inkrafttreten dieses Gesetzes alle früheren Bestimmungen zum Urheberrecht aufgehoben sind. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes ist das Urheberrechtsgesetz von 1960 also formell außer Kraft gesetzt. Das Gesetz vom 19. März 2011 sollte am siebten Tag nach seiner Veröffentlichung in dem (nur schwer zugänglichen) Ergänzungsband der AAS für die „leggi richtung gibt, differenziert an dieser Stelle aber nicht zwischen Urheberpersönlichkeitsrecht und wirtschaftlichem Nutzungsrecht. 43 Vgl. Rehbinder, Urheberrecht (Anm. 27), S. 45 f. 44 Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 231; Carrieri/Aumenta, La nuova legge vaticana sul diritto d’autore (Anm. 6), S. 7.
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e disposizioni dello Stato della Città del Vaticano“ in Kraft treten (Art. 8). Diese Bestimmung geht auf eine Regelung des Gesetzes über die Rechtsquellen aus dem Jahr 2008 zurück, wonach die Gesetze des Staates der Vatikanstadt grundsätzlich am siebten Tag nach der Veröffentlichung im supplemento in Kraft treten (Art. 2 Abs. 2 f.). Die Veröffentlichung dieses Gesetzes im supplemento erfolgte am Tag der Unterzeichnung, so dass es am 26. März 2011 in Kraft trat. Demgegenüber trat das Urheberrechtsgesetz von 1960 bereits am Tag seiner Veröffentlichung im Ergänzungsband der AAS in Kraft (Art. 4), der wie das Gesetz selbst auf den 12. Januar 1960 datiert war.45 Wir haben es hier mit einer vom Gesetzgeber zugestandenen Ausnahme von der Regel zu tun, die sich auch im Gesetz über die Rechtsquellen aus dem Jahr 1929 findet (Art. 2), wonach Gesetze des Staates der Vatikanstadt grundsätzlich am siebten Tag nach der Veröffentlichung im AAS-Ergänzungsband in Kraft treten.
VIII. Abschließende Bemerkungen Es ist als positiv zu bewerten, dass der Staat der Vatikanstadt – im Unterschied zur Lateinischen Kirche – überhaupt über ein Urheberrechtsgesetz verfügt; dass es sich hierbei um ein neues Gesetz handelt, verstärkt den positiven Befund. Auch gegen die Rezeption des Urheberrechts der Republik Italien und die Einbeziehung der verwandten Schutzrechte spricht grundsätzlich nichts. Dass das Urheberrecht auch auf amtliche Texte ausgeweitet wird, zählt zu den Eigenheiten des Gesetzes, was aber im Staat der Vatikanstadt seit 1929 geltendes Recht darstellt.
45 Siehe Anm. 3. Vgl. Riofrío Martínez-Villalba, Commentario a la Legge sulla protezione del diritto di autore sulle opere dell’ingegno (Anm. 6), S. 212 – 232, wo diese Frage nicht thematisiert wird.
Kirchliches Prozessrecht
Corso rato e non consumato: Fase iniziale diocesana Alejandro W. Bunge
I. Presentazione del Documento basico Il Documento fondamentale, contenente una sintesi della procedura da seguire nell’istruire i processi per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato, è la Lettera Circolare del 20 dicembre 19861 della Congregazione per i Sacramenti, allora competente a presentare al Santo Padre queste richieste di dispensa. Nonostante non possano essere tralasciati i due principali antecedenti, citati all’inizio della stessa Lettera Circolare.2 Questo Documento basilare, per altro, deve essere adattato, dove necessario, a quanto statuito nel Motu Proprio Quaerit Semper di Benedetto XVI del 30 agosto 20113, che ha spostato la competenza per la trattazione delle cause “super rato” e di nullità dell’ordinazione dalla Congregazione per il Culto Divino e la Disciplina dei Sacramenti al nuovo Ufficio appositamente creato presso il Tribunale della Rota Romana. Con la soppressione degli articoli 67 e 68 della Costituzione Apostolica Pastor Bonus e l’aggiunta di due paragrafi all’articolo 126, infatti, le competenze sul matrimonio rato e non consumato sono state attribuite a tale Ufficio della Rota Romana. Si deve tener conto che la legislazione su questi processi, dispersa in diversi luoghi del Codice del 1917, fu saggiamente riunita in un solo posto nel Codice adesso vigente, promulgato il 25 gennaio 1983 e in vigore dal 27 novembre dello stesso anno. Queste norme si trovano nel Libro VII, dedicato a “I processi”, Parte III, dedicata a “Alcuni processi speciali”, Titolo I, relativo a “I processi 1
Congregatio pro Sacramentis, Litterae Circulares “De Processu super matrimonio rato et non consummato, diei 20 Decembris 1986, in: Communicationes 20 (1988), pp. 78 – 84. Nelle successive citazioni in note: LC. 2 Sacra Congregatio de Disciplina Sacramentorum, Decr. Catholica Doctrina et Regulae Servandae in processibus super matrimonio ratum et non consummatum, diei 7 Maii 1923, in: AAS 15 (1923), pp. 389 – 413; ibid., Appendix, seu praecipuorum actorum formulae, quae utiliter et opportune adhibentur in his causis, pp. 414 – 436. Sacra Congregatio de Disciplina Sacramentorum, Instructio Dispensationis Matrimonii, diei 7 Martii 1972, in: AAS 64 (1972), pp. 244 – 252. 3 L’Osservatore Romano, die 28 mensis septembris 2001, p. 7.
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matrimoniali”, Capitolo III, interamente dedicato al “Processo per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato”. Sono in tutto dieci canoni, dal 1697 al 1706. Tra i criteri che ispirano il processo, tale come oggi è presentato dal Codice, si trovano la semplicità del procedimento, la velocità nell’amministrazione della grazia pontificia e la dimensione pastorale di tutto il provvedimento.4 La Lettera Circolare aggiunge a questi canoni alcune precisazioni sulla celebrazione del processo sia nella sua fase diocesana, sia presso la Santa Sede. Il processo, come avremo opportunità di spiegare dettagliatamente più avanti, è di natura amministrativa, nonostante prenda dal diritto processuale molte delle sue procedure. Per questa ragione è necessario prestare la dovuta attenzione ad alcuni principi generali della pratica amministrativa, ma anche ad alcune norme del diritto processuale, per arrivare a una corretta applicazione delle norme relative ai processi di dispensa dal matrimonio rato e non consumato. In primo luogo, non deve dimenticarsi che l’autorità amministrativa deve sempre operare “iuxta legem”. Questo significa che, ogni qualvolta non sia indicato il modo di procedere5, si dovrà trovare il modo di supplire a tali lacune della legge. In secondo luogo, tenendo conto che “generi per speciem derogatur, et illud potissimum habetur quod ab speciem directum est”6, le prime norme che si dovranno osservare al momento di istruire un processo per la dispensa di un matrimonio rato e non consumato saranno le norme specifiche date per questi processi. Si tratta dei canoni da 1697 a 1706, che determinano il modo di procedere in questi casi, con l’ausilio delle precisazioni che si trovano nella Lettera Circolare che costituisce il Documento fondamentale che stiamo presentando. Qualora ci trovassimo di fronte a una “lacuna della legge”, e cioè, davanti alla necessità di agire, sempre “iuxta legem”, senza però trovare nelle norme che reggono questo nostro processo le indicazioni su come procedere, l’autorità avrà l’obbligo di colmare il vuoto normativo risalendo dalle norme proprie a quelle più generali, cercando di trovare quelle indicazioni che permettano di rimanere sempre, nel nostro operare, aderenti al dato normativo. In primo luogo si dovrà considerare tutto il Titolo I, I processi matrimoniali, dove si trova il nostro Capitolo III, sul Processo per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato. Se non si trovasse lì la risposta alla domanda sul modo di agire in una data circostanza, bisognerà ricorrere a tutta la Parte III del Libro VII,
4 Cfr. B. Marchetta, Il processo “Super rato et non consummato” nel nuovo Codice di Diritto Canonico, in: Aa. vv., Dilexit Iustitiam, Città del Vaticano 1984, p. 405. 5 C. 19: Se su una determinata materia manca un’espressa disposizione di legge sia universale sia particolare o una consuetudine, la causa, se non è penale, è da dirimersi tenute presenti le leggi date per casi simili, i principi generali del diritto applicati con equità canonica, la giurisprudenza e la prassi della Curia Romana, il modo di sentire comune e costante dei giuristi. 6 Papinianus, l. 80 D. de R. J. 50, 17.
Corso rato e non consumato: Fase iniziale diocesana
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dedicata ad Alcuni processi speciali, ed eventualmente ancora a tutto il Libro VII del Codice, dedicato a I processi. Per questa ragione la Carta Circolare, nella sua Introduzione, ci ricorda che le norme che espressamente trattano del processo per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato7, presuppongono le norme peculiari dei processi di nullità matrimoniale8 e le norme generali sul processo contenzioso ordinario.9 In caso di conflitto o contraddizione, prevalgono sempre le norme più specifiche e peculiari e, quando queste non prevedano come si deve procedere, si applicano le norme più generali. Vediamo un esempio. Le norme specifiche del processo di dispensa dal matrimonio rato e non consumato non stabiliscono nulla sul modo di procedere all’interrogatorio delle parti e dei testi, né per la perizia richiesta per la prova fisica della non consumazione del matrimonio. Ebbene, conformemente a quanto prescritto dal canone 1702, si dovrà ricorrere alle norme del processo contenzioso ordinario: ai canoni da 1530 a 1538 che statuiscono circa il modo di interrogare le parti; ai canoni da 1547 a 1572 che precisano chi può o meno essere teste in una causa e il modo in cui deve essere interrogato; ai canoni da 1574 a 1583 che ci danno indicazioni su come debba essere fatta una perizia e le relazioni peritali corrispondenti, così come ai canoni da 1672 a 1680 sulle prove nelle cause di nullità matrimoniale. Non deve dimenticarsi che non pochi processi di dispensa dal matrimonio rato e non consumato presentano difficoltà che si sarebbero potute evitare se, al momento dell’istruttoria durante la prima raccolta delle prove, fossero state applicate, nella forma dovuta, tutte queste precise e dettagliate norme. Si tratta di un processo di natura essenzialmente amministrativa, e non esclusivamente amministrativo. Questo si evince dal rinvio del canone 1702 alle norme del processo contenzioso ordinario e del processo nelle cause di nullità di matrimonio, in tutto quello che, prescritto per questi processi, sia applicabile a questo speciale per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato.10 Che si possa applicare, mutatis mutandis, al processo de quo la procedura propriamente giudiziale si rileva anche dal linguaggio utilizzato dal Codice e dalla Lettera Circolare: a volte viene chiamato Giudice chi abitualmente è detto Istruttore del processo.11 A ogni modo, il processo “super rato” si distingue da quello giudiziale a causa del suo carattere amministrativo, nonostante faccia uso di alcuni strumenti 7
Cc. 1697 – 1706. Cc. 1671 – 1691. 9 Cc. 1501 – 1655. 10 Cfr. O. Buttinelli, Il procedimento di dispensa dal matrimonio rato e non consumato: la fase davanti al Vescovo diocesano, in: Aa. Vv., I procedimenti speciali nel diritto canonico, Città del Vaticano 1992, p. 108. 11 Cfr. ibid., p. 111 (cfr. anche c. 1703 § 2 e LC, 17). 8
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giudiziali. Si può dire addirittura che si tratta di un procedimento sostanzialmente amministrativo (poichè chi lo richiede non ha un “diritto” a una “azione”; la concessione della grazia infatti è una decisione discrezionale dell’autorità suprema), e anche formalmente amministrativo (poiché l’oratore non introduce una causa che deve essere definita con sentenza ma chiede una grazia che può essere concessa attraverso un rescritto).12 Detto questo, conviene subito riconoscere che la Lettera Circolare dà precise istruzioni e, nelle note che l’accompagnano, dà i corrispondenti riferimenti alla legislazione, aiutandoci così a porre attenzione a tutto quanto va osservato per istruire accuratamente un processo di dispensa dal matrimonio rato e non consumato. Vediamo adesso alcuni punti fondamentali dell’introduzione della Lettera Circolare, che ci permetteranno di verificare ciò che fino ad ora abbiamo detto: (1) La Santa Sede ha sempre aiutato i Vescovi a realizzare la parte a loro propria in questi processi di dispensa dei matrimoni rati e non consumati. Questo è lo scopo anche di questa Lettera Circolare. (2) Il Codice oggi vigente ha regolato completamente la materia processuale e, in particolare, il processo per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato. Pertanto, conformemente al canone 6 § 1, 48, le norme anteriori non sono oggi vigenti. (3) Le norme specifiche per il processo di dispensa dal matrimonio rato e non consumato presuppongono le norme sui processi matrimoniali13 e le norme generali sui processi contenziosi.14 (4) In caso d’incompatibilità, conflitto o contraddizione tra le norme sui processi per la dispensa dal matrimonio rato e non consumato e le norme più generali, o quando per la natura propria di questi processi così sia richiesto, le norme specifiche prevarranno sulle norme più generali (generi per speciem derogatur).
II. La fase iniziale diocesana Ci tocca adesso sviluppare la prima parte della fase diocesana del processo per la dispensa dai matrimoni rati e non consumati. Nei giorni seguenti si svilupperanno le altre tappe della fase diocesana e il modo di procedere della Santa Sede.
12
Cfr. G. Orlandi, Recenti innovazioni nella procedura “super matrimonio rato et non consummato”, in: Aa. Vv., Il processo matrimoniale canonico, Città del Vaticano 1988, pp. 447 – 474. 13 Cc. 1671 – 1696. 14 Cc. 1501 – 1655.
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1. La competenza Si può parlare di una competenza “attiva”, quella di chi può presentare la richiesta della dispensa dal matrimonio rato e non consumato al Sommo Pontefice, e di una competenza “passiva”, quella di chi è competente a ricevere la richiesta e iniziare il processo. a) La competenza attiva Hanno competenza attiva, possono cioè presentare al Santo Padre la richiesta della grazia della dispensa dal matrimonio rato e non consumato, solo i coniugi, anche singolarmente e benché l’altro sia contrario.15 Secondo questa norma i terzi non possono fare la richiesta di questa grazia, benché la norma generale permetta che possa essere richiesta una grazia in beneficio di una terza persona.16 Neanche il Vescovo, o il Promotore di Giustizia, o il Vicario Giudiziale, possono presentare la richiesta della dispensa. Si tratta di una grazia che scioglie un vincolo matrimoniale di carattere sacramentale (tranne che alcuna delle parti non sia battezzata). Pertanto sembra coerente che a sollecitare tale provvedimento gratifico sia almeno uno dei contraenti, che considera la sua concessione come un bene favorevole alla propria salvezza. Peraltro, senza la richiesta di almeno una delle parti per mettere in moto il processo, sarebbe molto difficile, per non dire impossibile, che si possa individuare e provare una causa giusta che serva di fondamento per la concessione della grazia. Ci sono alcuni autori che interpretano il bene pubblico come una causa giusta che, in alcuni casi eccezionali, per esempio per ragioni di scandalo, potrebbe giustificare la concessione ex officio della dispensa del matrimonio rato e non consumato; c’è anche chi dice che non si può concepire che la richiesta di almeno una delle parti condizioni il Papa nell’esercizio della sua potestà di dispensa dal matrimonio rato e non consumato. Piuttosto si dovrebbe pensare che non è ragionevole che, senza la richiesta di almeno una delle parti, si possa realizzare il bene dei fedeli, ragione ultima della concessione di una grazia.17 Già con le norme del 1923 quello che presenta la causa non è chiamato “attore”, come si fa nelle cause contenziose, perché non si tratta di qualcuno che mette in moto un processo per esigere un diritto. È chiamato invece “oratore”, giacché si tratta di un fedele che supplica all’autorità suprema la concessione di una grazia.18 “L’altro” può essere identificato come “l’altra parte” o, secondo l’uso abituale, “convenuto”, o “parte convenuta”, in quanto non inizia il processo con la petizione 15
Cfr. c. 1697. Cfr. c. 61: Se non consta altrimenti, un rescritto può essere ottenuto a favore di altra persona, anche prescindendo dal suo assenso, e ha valore prima dell’accettazione da parte del medesimo, salvo clausole contrarie. In questo caso consta nel c. 1697 che la dispensa del matrimonio rato e non consumato non può essere richiesta in favore di una terza persona. 17 Cfr. B. Marchetta, Il processo (nota 4), pp. 409 – 410. 18 Cfr. a modo di esempio i cc. 1701 § 2 e 1703 § 1. 16
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della grazia. Si deve tener conto, come abbiamo già accennato con insistenza, che non c’è in questo caso un processo e quindi un “contraddittorio” iniziato da qualcuno che pretende di rivendicare un diritto contro o senza l’opposizione dell’altro, ma la petizione di una grazia. I diritti possono esigersi per via giudiziale, le grazie si sollecitano per via amministrativa. b) La competenza passiva Hanno competenza passiva, e cioè possono ricevere la petizione della grazia19: ¢ Il Vescovo diocesano del domicilio dell’oratore.20 ¢ Il Vescovo diocesano del quasi-domicilio dell’oratore.21 ¢ Può chiedersi alla Rota Romana, con il consenso previo del Vescovo del domicilio o quasi-domicilio dell’oratore, una proroga della competenza perché diventi competente a ricevere il libello il Vescovo diocesano del luogo dove di fatto si dovranno raccogliere la maggior parte delle prove. c) Casi che richiedono consulta previa Ci sono alcuni casi speciali in cui, benché il Vescovo diocesano sia per sé competente, prima di qualsiasi altro passo deve consultare la Rota Romana e attenersi alle istruzioni che gli verranno date. Sono i così chiamati casi difficili22: ¢ Quando si è fatto uso onanistico del matrimonio. ¢ Quando c’è stata penetrazione senza eiaculazione. ¢ Quando c’è stato un concepimento per assorbimento di seme. ¢ Quando c’è stata l’inseminazione artificiale e altri rimedi oggi offerti dalla medicina. ¢ Presenza di figli (anche come risultato dell’adozione). ¢ Carenza del “humano modo” nell’atto di consumare. ¢ Pericolo di scandalo o danni economici con la concessione della grazia. ¢ Altri casi simili, come non consumazione a causa di vasectomia.23
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Canon 1699 § 1, LC, 1. Cfr. c. 102 §§ 1 e 3. 21 Cfr. c. 102 §§ 2 – 3. 22 Cfr. c. 1699 § 2 e LC, 2. 23 Cfr. B. Marchetta, Il processo (nota 4), p. 414.
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2. Il libello Il libello è lo scritto con cui l’oratore presenta al Santo Padre la sua petizione della dispensa dal suo matrimonio, rato e non consumato. In questi processi non si ammette la partecipazione di un avvocato che “difenda” la posizione della parte. Nonostante ciò, quando la difficoltà del caso lo suggerisce, il Vescovo diocesano può ammettere che sia l’oratore sia l’altra parte o convenuto possano esser aiutati da un esperto o perito.24 Già l’Istruzione del 1972 aveva autorizzato le parti ad avvalersi di consiglieri o periti, eletti dalle stesse parti o designati dal Vescovo (anche a questo si segnalava la possibilità di valersi di questi aiuti). Questi consiglieri o periti potevano aiutare sia nella preparazione del libello sia nell’istruire il processo o per richiedere un complemento d’istruttoria.25 Il compito dell’esperto sarà in primo luogo aiutare l’oratore a presentare la causa (per esempio, aiutando a scrivere il libello), ma potrà anche aiutare a riunire le prove necessarie e, se il risultato fosse negativo (perché la grazia non è concessa), accedere agli atti del processo (tranne il voto del Vescovo diocesano, che rimane sempre riservato) e proporre, se fosse questo possibile, qualche motivo grave che permetta di presentare di nuovo la richiesta.26 Non ci sono indicazioni precise nelle norme specifiche del processo di dispensa dal matrimonio rato e non consumato sul contenuto del libello. È necessario, pertanto, ricorrere alle norme del processo contenzioso ordinario27, applicandole con i dovuti adattamenti, e precisamente: ¢ Il libello deve dirigersi al Papa, sia col suo nome proprio sia con un riferimento generico benché chiaro (“Francesco”, “Santo Padre”), perché è lui come Vicario del Cristo e con la potestà di Cristo l’unico che potrà dispensare il matrimonio rato e non consumato.28 ¢ Nel libello si deve sollecitare al Santo Padre la grazia della dispensa dal matrimonio rato e non consumato. Devono constare con chiarezza tutti i dati del matrimonio celebrato e i rispettivi documenti in copia autentica (parti, data della celebrazione, parrocchia, diocesi, ecc.), precisando i motivi che costituiscono il fondamento della petizione.29 ¢ Niente impedisce che, se fosse impossibile all’oratore esprimersi per iscritto, lo faccia in forma orale davanti a chi il Vescovo designi a questo fine, con la
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Cfr. c. 1701 § 2. Cfr. B. Marchetta, Il processo (nota 4), pp. 420 – 422, che commenta il paragrafo II, e dell’Istruzione (cfr. nota 2). 26 Cfr. c. 1705 § 3 e LC, 6. 27 Cc. 1501 – 1504. 28 Cfr. c. 1504, 18. 29 Ibid. 25
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presenza di un notaio che dovrà redigere un verbale che, a tutti gli effetti, prenderà il luogo del libello.30 ¢ Nel libello si deve indicare, almeno in forma sommaria, come si pretende provare sia il fatto della non consumazione (prova fisica, prova morale, ecc.), sia la causa giusta che precisamente giustifica la concessione della grazia.31 ¢ Devono indicarsi, infine, tutti i dati dell’oratore (nomi, domicilio o quasidomicilio, telefono, ecc.), e quelli dell’altra parte o convenuto (domicilio o quasi-domicilio, ecc.).32 3. L’accettazione Una volta ricevuto il libello dell’oratore, il Vescovo diocesano deve prima di tutto informare l’altra parte e, ogni volta esista la possibilità di un risultato favorevole, deve invitare i coniugi a provare a risolvere le difficoltà, ritornando se possibile alla convivenza matrimoniale.33 Quest’invito avrà specialmente senso se le parti, mantenendo ancora sufficientemente vivo l’affectus maritalis, non hanno saputo individuare i mezzi per rimediare al problema o ai problemi che hanno impedito fino a quel momento la consumazione del matrimonio. Non si deve perdere di vista che in questo caso si presume l’esistenza di un vincolo matrimoniale34, che, qualora fosse possibile, dovrebbe essere salvato. Si presenta la possibilità (teorica, giacché fino adesso mai è stata ammessa nella pratica), di chiedere la grazia per sollecitare la dispensa del matrimonio rato e non consumato inscia altera parte, e cioè senza che l’altra parte venga messa a conoscenza della richiesta fatta dall’oratore. La risposta generalizzata tra gli autori coincide con la pratica della Santa Sede ed è negativa, giacché non si vede come sia possibile proteggere i diritti di chi non viene a sapere del processo che potrebbe portare alla dissoluzione del suo vincolo matrimoniale con l’oratore. Inoltre, prima di accettare il libello, il Vescovo diocesano è tenuto a citare il convenuto e ascoltarlo in forma preliminare, al fine di valutare i meriti di esso. Senza questa citazione previa, rischierebbe di intraprendere l’istruzione di un processo che, una volta sentito il convenuto, può essere considerato ingiusto.35 Questa citazione deve essere fatta per iscritto, e si deve ripetere per almeno due volte. Dopo due assenze non giustificate alle citazioni fatte in modo efficace, il convenuto deve essere dichiarato assente prima di prender la decisione di andare 30
Cfr. c. 1503. Cfr. c. 1504, 28. 32 Cfr. c. 1504, 18 e 48. 33 Cfr. cc. 1676 e 1695, LC, 4. 34 Cfr. c. 1060. 35 Cfr. LC, 4.
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avanti con il processo. Sia le citazioni, che le eventuali assenze e la corrispondente dichiarazione di assenza nel processo devono essere registrati e constare negli atti. Non si deve dimenticare che ciò che interessa è raggiungere il risultato che il convenuto partecipi al processo. Per questa ragione si dovrebbero usare tutti i mezzi legittimi possibili e utili a ottenere la sua presenza attiva. Oltre alla citazione scritta si potrebbe ricorrere al telefono, a una visita del parroco, all’invito a rispondere per iscritto sempre che si possa verificare l’autenticità della firma, alla dichiarazione davanti al parroco o a un altro sacerdote o a un delegato laico.36 Fatto il tentativo con l’esortazione alle parti di ripristinare la convivenza pacifica, o saltato questo passo se è ritenuto inutile, ma mai senza aver citato il convenuto, il Vescovo diocesano deve valutare se vi siano motivi sufficienti per accettare e istruire il processo, vale a dire: ¢ Se ci sono motivi sufficienti per ritenere che il matrimonio potrebbe non essere stato consumato e che si potrà ottenere la prova della non consumazione.37 ¢ Se i motivi per la petizione della grazia sembrano una causa giusta e che si potrà dimostrare l’esistenza di questa giusta causa.38 Constatati questi fondamenti, il Vescovo diocesano deve accettare la richiesta e ordinare con un decreto l’istruzione del processo. Va notato che, se le parti vivono ancora insieme, prima di accettare il libello perché possa essere considerato sufficientemente fondato, il Vescovo diocesano deve ordinare la separazione, che è una condizione necessaria per avviare il processo.39 4. La costituzione del Tribunale Davanti ai processi che, una volta accettati, il Vescovo diocesano deve istruire, lui ha quattro possibilità40 : (1) Può affidare l’istruzione dei processi dei matrimoni rati e non consumati stabilmente a un Tribunale, sia quello della sua diocesi, sia un altro Tribunale diocesano, sia un Tribunale Interdiocesano o Regionale. Di solito questo si farà per un tempo determinato, rinnovabile ogni volta si consideri conveniente. (2) Può anche affidare l’istruzione “per questa volta”, vale a dire, per un caso specifico, un dato processo, a un Tribunale, quello stesso della diocesi, o a un altro Tribunale diocesano, o a un Tribunale Interdiocesano o Regionale. 36
Cfr. B. Marchetta, Il processo (nota 4), pp. 410 – 411 e O. Pepe, La fase diocesana del processo “super rato et non consummato”, in: Aa. Vv., Lo scioglimento del matrimonio canonico, Città del Vaticano 2013, pp. 156. Cfr. anche cc. 1507, 1509, 1592 e LC, 10. 37 Questo punto si tratta lungamente in un’altra parte del corso. 38 Anche su questo punto si tratta lungamente in un altro momento del corso. 39 Cfr. G. Orlandi, Recenti innovazioni (nota 12), p. 454. 40 Cfr. c. 1700 § 1 e LC, 5.
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(3) Può affidare in forma stabile le istruzioni dei processi di dispensa dai matrimoni rati e non consumati a un sacerdote idoneo, sia della sua diocesi, sia di un’altra diocesi, sia un membro di un Istituto religioso o un membro di un Istituto Secolare o di una Società di Vita Apostolica, in questi ultimi casi con il dovuto consenso dei suoi Superiori. (4) Infine può affidare “per questa volta”, vale a dire, per un caso specifico, l’istruzione di un processo determinato a un sacerdote idoneo, sia della sua diocesi, sia di un’altra diocesi, sia un membro di un Istituto religioso o un membro di un Istituto Secolare o una Società di Vita Apostolica, in questi casi con il dovuto consenso dei suoi Superiori. I compiti dell’Istruttore sono spiegati in varie presentazioni del corso. Serva adesso semplicemente indicare qui alcuni punti salienti: ¢ Accettare o rigettare le richieste di parte. ¢ Ammettere i ricorsi che le parti possono fare contro i loro propri atti nel processo. ¢ Inviare lettere rogatorie chiedendo l’interrogazione di parti e testi. ¢ Delegare sacerdoti o laici a ricevere le dichiarazioni delle parti e dei testi. ¢ Designare il medico o i medici che faranno le perizie. ¢ La stesura della Relazione finale, con le misure adottate e i risultati ottenuti. In tutti i casi deve essere garantito, sia perché esiste come un ufficio stabile (nel caso dei Tribunali) o perché è designato in generale o per il caso particolare, che in ogni processo di dispensa del matrimonio rato e non consumato intervenga il Difensore del Vincolo.41 Il suo compito sarà di collaborare con l’Istruttore nella ricerca della verità oggettiva, sempre dal suo punto di vista specifico che lo porta a sostenere tutto ciò che ragionevolmente si può dire a favore del mantenimento del vincolo matrimoniale nel caso. Deve anche essere nominato un notaio, tra quelli già esistenti nella rispettiva Curia diocesana o Tribunale, o uno specifico nominato per il caso. 5. Il rifiuto e il possibile ricorso Se il Vescovo diocesano non trova nel libello introduttorio elementi sufficienti per introdurre il processo, deve rifiutare la petizione della grazia, e deve farlo con un decreto.42 Il rigetto del libello di richiesta della dispensa del matrimonio rato e non consumato è una decisione di governo del Vescovo diocesano, che gli è stata 41 42
Cfr. c. 1701 § 1. Cfr. c. 1699 § 3.
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affidata dal Romano Pontefice, al quale si rivolge la petizione. Pertanto, per la legittimità del decreto, deve contenere, almeno brevemente, i motivi.43 Davanti al rifiuto del libello (che non è lo stesso della non concessione della grazia da parte del Romano Pontefice), c’è la possibilità dell’appello alla Rota Romana.44 Se tre mesi dopo la presentazione del libello con la richiesta della grazia il Vescovo non ha risposto, deve considerarsi come se avesse dato una risposta negativa, e si apre la strada del ricorso avverso il “silenzio amministrativo”, equivalente a una decisione negativa.45 Questa presunzione (“iuris et de iure”) non esime il Vescovo dall’obbligo di rispondere con un decreto alla richiesta dell’oratore e, nel caso, a riparare agli eventuali danni che potrebbero derivare per il ritardo nella risposta.46 La mancanza di motivazione nel decreto di rigetto del libello dell’oratore non invalida il decreto, ma dà ragione sufficiente all’oratore per presentare il ricorso, proprio per questa mancanza di motivazione. Sarebbe anche un motivo perché la Rota Romana accettasse il ricorso e ordinasse al Vescovo la motivazione del rigetto del libello o, se si considerassero sufficienti i fondamenti del libello respinto, si ordinasse al Vescovo di procedere all’istruzione del processo. L’oratore ha diritto a seguire direttamente davanti alla Rota Romana il ricorso per motivo del rigetto del suo libello. Tuttavia, nulla vieta di seguire il normale percorso del ricorso avverso un decreto singolare dell’autorità esecutiva dal quale si considera leso. Quindi può anche andare direttamente dal Vescovo diocesano chiedendo di cambiare la sua decisione e accettare il suo libello ordinando l’istruzione del processo.47 Se entro 30 giorni il Vescovo non ha accettato il libello o non ha risposto alla nuova richiesta, l’oratore potrà iniziare il ricorso gerarchico, che dovrà presentare al Vescovo diocesano, e questo dovrà inviarlo alla Rota Romana, andando fino in fondo nella via del ricorso.48 6. Casi speciali Essi sono due. Quando davanti a una richiesta di dispensa del matrimonio rato e non consumato, per suggerimento del Vescovo diocesano, si passa alla via giudiziale della causa di nullità dello stesso matrimonio; o quando nell’istruzione di una causa di nullità matrimoniale si arriva al dubbio molto probabile della non consumazione del matrimonio: 43 Cfr. c. 51; non si tratta di una norma irritante, e pertanto la motivazione è necessaria per la liceità ma non per la validità del decreto di rigetto. 44 Cfr. c. 1699 § 3. 45 Cfr. c. 57. 46 Cfr. cc. 1729 – 1731. 47 Cfr. c. 1734 §§ 1 – 2. 48 Cfr. cc. 1737 – 1739.
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(1) Se il Vescovo diocesano, letto il libello introduttorio che chiede la grazia della dispensa dal matrimonio perché considerato rato e non consumato, crede che sorgano dubbi circa la validità del matrimonio, può prendere contatto con l’altra parte e chiederle se vuole agire giudizialmente per ottenere la dichiarazione di nullità del matrimonio, o può decidere l’introduzione del processo.49 In questa fase iniziale corrisponde al Vescovo diocesano prendere l’una o l’altra strada, cioè, di proporre all’altra parte l’inizio del processo giudiziale della nullità del matrimonio o iniziare il processo per rato e non consumato. Non si prevede che il Vescovo diocesano possa proporre il cammino giudiziario all’oratore perché questo ha già scelto, con la presentazione del libello, il cammino della dispensa dal matrimonio rato e non consumato.50 (2) Diverso è il caso quando prima è stata iniziata in un Tribunale la causa di nullità del matrimonio, qualsiasi sia il capitolo presentato, e in qualsiasi momento dell’istruzione sorge un dubbio molto probabile della non consumazione del matrimonio. In questo caso è il Tribunale, che, con il consenso di entrambe le parti e con un libello firmato da almeno uno di loro, deve fermare per decreto la causa e completare l’istruzione e poi, con le osservazioni del Difensore del Vincolo, il voto del Tribunale e del Vescovo diocesano, presentare alla Rota Romana la richiesta di concessione della grazia.51 In entrambi questi casi, il processo deve essere realizzato dal Tribunale competente per la causa di nullità del matrimonio.52
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Cfr. LC, 3. Sacra Congregatio de Disciplina Sacramentorum, Instructio Dispensationis Matrimonii (nota 2), I, e; cfr. anche c. 1681. 51 Cfr. c. 1700 § 2 e LC, 7. 52 Cfr. LC, 5 e 7. 50
Die Formulierung der Prozessfrage im kanonischen Eheprozess – Nur eine Altlast aus dem römischen Legisaktionsprozess? Matthias Pulte Immer wieder stellt sich im Kontext der Beratungsgespräche und im Vorfeld der Streitfestlegung in kanonischen Eheprozessen die Frage, wie konkret eigentlich diese Streitfestlegung sein muss, um den Anforderungen des kanonischen Rechts zu entsprechen. Die Meinungen variieren hier zwischen einer möglichst offenen Formulierung der Prozessfrage, die es erlaubt, im Verlauf des Verfahrens und seiner Entwicklung ohne weitere prozessuale Hürden die Streitfestlegung zu justieren, und der traditionellen Verfahrensweise, die Capita quaesita möglichst genau zu benennen.1 Bei diesem Meinungsunterschied handelt es sich nicht einfach um eine Quisquilie, sondern um eine Streitfrage, die auch das Verteidigungsrecht der Parteien und damit letztlich die eventuelle Urteilsnichtigkeit berührt. Das gilt insbesondere in allen Fällen, in denen es um die Rechtsfindung aufgrund eines Simulationstatbestandes (c. 1101 § 2 CIC/1983) geht. Die Praxis der kirchlichen Gerichte ist in diesem Bereich auch innerhalb des Instanzenzuges bisweilen unterschiedlich. Welcher Weg ist zu beschreiten? Ist es erforderlich, noch im 21. Jahrhundert einem Rechtsinstitut zu folgen, das seine Wurzeln im römischen Zivilprozess hat? In der Literatur wird darauf verwiesen, dass die Streitfestlegung von grundlegender Bedeutung für den kanonischen Prozess ist und seine Festlegungen mitunter für den gesamten Instanzenzug die Richtung weisen.2 Ist das aber vielleicht auch zu viel Festlegung?
I. Rechtshistorische Anmerkungen Seit mehr als 2500 Jahren begleitet die sog. Litis contestatio das europäische Prozessrecht. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff: die Festlegung des Streitgegen-
1 Vgl. Sebastiano Villeggiante, Il principio del contraddittorio nella fase di constituzione del processo ordinario per la dichiarazione di nullità del matrimonio, in: Grocholewski/Cárcel Ortí (Hrsg.), Dilexit Iustitiam. Studia in honorem Aurelii Card. Sabattani, Vatikan 1984 (= Studi Giuridici; 5), pp. 349 – 361, 357 f. Augustine Mendonça, Correct „Formula of Doubt“ in a Marriage Nullity Case, in: Studies in Church Law 2 (2006), S. 411 – 417. 2 Vgl. Günter Assenmacher, Streitfestlegung, in: v. Campenhausen/Riedel-Spangenberger/ Sebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht Bd. 3, Paderborn 2004, S. 629.
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standes.3 Diese diente der Bestimmung des Willens der Parteien bezüglich der zu untersuchenden Rechtsfrage im römischen Zivilprozess.4 Dabei hatte der zweigeteilte Prozess in der römischen Antike mit seinem in iure und dem in iudicio die Funktion der friedlichen Streitbeilegung coram iudicis.5 Die Litiskontestation gehörte in den ersten Teil, wo es zunächst um die Zulässigkeit des Klagebegehrens ging.6 Der römische Zivilprozess orientierte sich am antiken magistralen Schiedsverfahren und kannte daher Angelegenheiten, die ohne die Mitwirkung der pars conventa nicht zu entscheiden gewesen sind. Aus diesem Grund wurde dem Beklagten nach Einreichen der Klage die Möglichkeit eingeräumt, bei der Festlegung der Prozessfrage durch seine Einrede mitzuwirken, die der Richter bei der Festlegung des Streitgegenstandes zu berücksichtigen hatte. Dabei wurde die Litis contestatio in justinianischer Zeit als Einverständnis dieser Partei gewertet, sich überhaupt am Verfahren zu beteiligen.7 Die rechtshistorische Forschung hat anhand von Quellenanalysen schon im 19. Jahrhundert herausgearbeitet, dass die ursprüngliche Rechtsnatur der Litis contestatio ein zweiseitiges konsensuales Rechtsgeschäft, also ein Vertrag gewesen ist.8 Die Parteien haben darin Einigkeit über den Streitgegenstand erzielt, der sachlich und prozessual im Recht begründet ist.9 Ein weiterer wesentlicher Zweck der Streitfestlegung bestand darin, im römischen Zivilprozess die Anträge der Parteien auf jene Gegenstände auszurichten und zu beschränken, um die es in der strittigen Rechtsfrage ging und die als quaestio iudicii von der Rechtsordnung anerkannt worden waren.10 Ein dritter, nicht weniger bedeutsamer Zweck kann darin erkannt werden, dass durch die Streitfestlegung sichergestellt werden konnte, dass in derselben Sache nicht zwei Verfahren nacheinander durchgeführt wurden. Insofern stützt die Streitfestlegung auf formaler Ebene die ne bis in idem Richtlinie.11 Das kanonische Recht hatte in seiner Blüte im 12. und 13. Jahrhundert das hier zu diskutierende Rechtsinstitut aus dem weltlichen Recht übernommen und in das eigene Prozessrecht eingefügt und damit ältere germanische Rechtstraditionen, die noch 3
Vgl. Max Kaser/Karl Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, München 21997, S. 295. Vgl. Ulrike Babusiaux, Id quod actum est. Zur Ermittlung des Parteiwillens im klassischen römischen Zivilprozeß, München 2006. 5 Vgl. Steffen Schlinker, Die Litis Contestatio im Kameralprozess, in: Peter Oestmann (Hrsg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit: Forschungen zum vormodernen Zivilprozess, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 139 – 164, hier S. 139. 6 Vgl. Rudolf Sohm/Ludwig Mitteis/Leopold Wenger, Institutionen. Geschichte und System des Römischen Privatrechts, München 171933, S. 643 – 649. 7 Vgl. Dominicus M. Meier, Die Streitfestlegung als prozessleitendes Instrumentarium. Anmerkungen zu einer Eigentümlichkeit des kanonischen Prozessrechts, in: De processibus matrimonialibus 04 (1997), S. 251 – 270, hier S. 252. 8 Vgl. Marum Samuel Mayer, Die Litis Contestatio geschichtlich vorgestellt, Stuttgart 1830, S. 27 – 30. 9 Vgl. Sohm/Mitteis/Wenger (Anm. 6), S. 646. 10 Vgl. Steffen Schlinker, Litis Contestatio. Eine Untersuchung über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses in der Zeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2008, S. 1. 11 Vgl. Kaser/Hackl (Anm. 3), S. 301. 4
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fortbestanden, verdrängt.12 Während im weltlichen Recht mit der Zeit die Litis contestatio zum Begriff für die Einrede der beklagten Partei mutierte13, bleibt es im kanonischen Prozess zunächst bei der ursprünglichen Bedeutung.14 Die Litiskontestation beschreibt hier die Formulierung der Prozessfrage durch die petitio des Klägers und Gegenrede des Beklagten. Gregor IX. beschrieb dies in einer Dekretale um 1230: in dem dort geschilderten Fall geht es um die Auseinandersetzung zwischen dem Bischof von Noyon und dem Domkapitel, dessen Gegenstand hier vernachlässigt werden kann. Trotz eines gewissen Austausches der unterschiedlichen Rechtsauffassungen bemängelt Gregor, dass es nicht zu einer förmlichen Streitfestlegung gekommen sei. Wegen dieses Mangels habe er das gesamte Verfahren kassiert.15 Der Vorgang der Litiskontestation im kanonischen Prozess ist nicht so systematisch abgegrenzt wie im antiken römischen Streitverfahren. Er kann besser als ein Prozess im Prozess verstanden werden, der vor dem Richter und Zeugen stattfindet. Damit liegt der Streitgegenstand fest, deren Entscheidung die Parteien vom Richter fordern. Zugleich beeiden sie mit dem iuramentum calumniae, in diesem Verfahren wahrheitsgemäß zu agieren und so die Wahrheitssuche nicht durch Tricks zu unterlaufen.16 Dabei ist zu bedenken, dass über das gesamte Mittelalter hinweg dem Eid in seinen unterschiedlichen Formen ein besonders starker Beweiswert zugemessen wurde.17 Die mittelalterliche Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung stellten jedoch zunehmend die Unbeweglichkeit der Prozessführung aufgrund der strikten Bindung an die Litis contestatio fest, weshalb die Rechtspraxis in Italien bereits im 13. Jahrhundert die zwingende Einhaltung dieses prozessualen Schrittes zunehmend lockerte.18 Prozessrechtlich genügt es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, dass der Beklagte oder Beschuldigte überhaupt zum Verfahren rechtmäßig geladen wird. Das gegenwärtige Prozessrecht kennt weder im Zivil- noch im Strafprozess die Litis contestatio. Im kanonischen Recht blieb es auch in der jüngeren präkodikarischen Rechtsentwicklung bei der Notwendigkeit der Litiskontestation. Nun sollte aber die Antwort des Beklagten auf die petitio des Klägers allein schon ausreichen.19 Die Festlegung der Prozessfrage nahm dann der Richter unabhängig von der Einigung der Parteien
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Vgl. Ferdinand Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen Konfessionen, Bonn 141871, S. 424 f. 13 Vgl. Steffen Schlinker (Anm. 5), S 174. 14 Vgl. Severin Lederhilger, „Subordinate“ eingeführte Klagegründe im Ehenichtigkeitsverfahren, in: Puza/Weiß (Hrsg.), Iustitia in caritate. FS Ernst Rößler (= AiC 3), Frankfurt/M. 1997, S. 353 – 370, hier S. 356. 15 X, 2, 5,can.un. 16 X, 2, 7, c. 1 – 7; VI, 2, 4. 17 Vgl. Matthias Pulte, Historical Aspects on the Right to Due Process in the Church from the Period of Charlemagne to the CIC/1917, in: Torfs (Hrsg.), The Right to Due Process in the Church. A comparative ecclesiastical approach, Leuven 2014, S. 17 – 28, hier S. 20 f. 18 Vgl. Steffen Schlinker, (Anm. 5), S. 262. 19 Vgl. Johann B. Haring, Grundzüge des Katholischen Kirchenrechts, Graz 21916, S. 839.
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vor. Er wird hier zum finalen Redaktor der Streitfrage20, anders als das noch im antiken römischen Recht der Fall war, wo den Streitparteien die diesbezügliche Herrschaftsmacht behalten blieb. Damit gelang ohne Zweifel eine wesentliche Straffung des Vorverfahrens, bevor überhaupt in die Sachauseinandersetzung eingestiegen wurde. Anders als im weltlichen Recht blieb es im kanonischen Prozessrecht bis in die neueste Zeit bei der formellen Streitfestlegung durch den Richter. Die rechtsgeschichtliche Skizze macht deutlich, dass dieses aus der Antike überkommene Rechtsinstitut an einer präzisen Formulierung der Streitfrage und deren rechtlicher Fundierung interessiert gewesen ist, bevor in die Sachauseinandersetzung eingestiegen werden konnte. Die Frage ist heute aber, ob es dieses Instruments im Kontext einer zeitgemäßen Prozessführung wirklich bedarf.
II. Die Vorschriften nach ihrem Wortlaut Das kanonische Prozessrecht kennt das Rechtsinstitut der Streitfestlegung für das allgemeine Streitverfahren in den cc. 1513 ff. Diesen Bestimmungen gegenüber gelten die Vorschriften aus dem Eheprozessrecht als vereinfachte Spezialvorschriften.21 Hier wird die Rolle des Richters gestärkt, der innerhalb von 15 Tagen nach Bekanntgabe der Ladung der Parteien zum Prozess (Aufforderung zur Prozessbeteiligung) den Streitgegenstand amtlich festlegt. C. 1677 § 3 CIC/1983 hat als eheprozessrechliche Spezialbestimmung keinen direkten Vorläufer im CIC/1917. Zwar handeln dort im Kontext des Allgemeinen Streitverfahrens die cc. 1726 – 1731 über die Streitfestlegung, jedoch wird dort nichts darüber gesagt, wie genau diese Streitfestlegung zu erfolgen hat. Vielmehr geht der altkodikarische Gesetzgeber davon aus, dass sich die Parteien mit dem Richter über die Prozessfrage einigen. Widrigenfalls trifft der Richter bzw. das Richterkollegium in Ehesachen die entsprechende Entscheidung über den Streitgegenstand.22 Eine wirkliche Auseinandersetzung über die Prozessfrage forderte der CIC/1917 nicht mehr. C. 1727 ließ es genügen, dass der Richter über die schriftlichen Einlassungen der Parteien zur Prozessfrage eine Entscheidung fällte.23 In der Eheprozessordung von 193624 erfolgt in Art. 89 § 4 eine weitere Minderung der Anforderungen an die Beteiligung der pars conventa, indem es genügen soll, wenn diese erklärt, sich „der Gerechtigkeit des Gerichts anzuvertrauen“. Diese Bestimmung ist vor der rechtspraktisch ungenügenden Festlegung von c. 1971 § 1 (Art. 35 § 1 EPO) zu 20
Vgl. Fernando Betancourt, Derecho romano clásico, Sevilla 32007, S. 230. Vgl. Dominicus M. Meier (Anm. 7), S. 265. 22 Vgl. Instruktion Provida mater vom 15. August 1935, in: AAS 28 (1936), S. 313 – 372, Art. 92 § 2. Instruktion der Sakramentenkongregation über die Behandlung der Ehenichtigkeitssachen an den Diözesangerichten Provida Mater Ecclesia vom 15. August 1936, in: AAS 28 (1936), S. 313 – 372. 23 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 3, Paderborn 101959, S. 123. 24 Siehe Anm. 22. 21
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sehen, dass in Personenstandssachen nur die „unschuldige“ Partei ein Klagerecht hat.25 Beide Regelungen sind vom CIC/1983 aufgegeben worden, weil es in Eheprozessen nicht um die Frage von Schuld, sondern um die der Feststellung des Personenstandes geht. Daher war es auch nur folgerichtig, dass die als prozessuale Erleichterung gedachte Klausel aus Art. 89 § 4 wegfallen konnte. Der Gerechtigkeit des Gerichts müssen sich die Parteien ohnehin anvertrauen, wenn auch in einem anderen Sinne als dem von Art. 89 § 4 EPO intendierten. Art. 88 EPO sagt sodann über die Formulierung der Prozessfrage: „an constet de matrimonii nullitate, ob caput vel capita recensita, in casu“26. Der Wortlaut der Bestimmung, bei der nicht auf eine Parallelbestimmung oder Bezugsnorm des CIC/ 1917 verwiesen wird, weist deutlich darauf hin, dass der Gesetzgeber von 1936 eine genaue Spezifikation der Klagegründe in der Streitfestlegung gewünscht hat. Dieser Bestimmung wurde in der Folgezeit, auf jeden Fall bis zur Promulgation des CIC/1983, Folge geleistet. Eine derartige Festlegung der Streitfrage zu Beginn des Prozesses, bevor überhaupt in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist, birgt vor allem für das Ehenichtigkeitsverfahren gewisse Gefahren und verlangt daher eine intensive vorprozessuale Beratung der Parteien, bzw. wenigstens des Antragstellers. Der Prozess wird in seiner Beweisführung von vornherein auf die eingeführten Klagegründe fixiert. Erfordert das Beweisaufkommen eine Neubestimmung der Prozessfrage, ist das zwar auch nach c. 1731 n. 1 CIC/1917 nicht ausgeschlossen, aber deutlich erschwert gewesen. Dem klägerischen Antrag auf Veränderung oder Erweiterung der Streitfrage konnte nur stattgegeben werden, wenn die pars conventa dem zustimmte. Dabei ist zu bedenken, dass c. 1731 n. 1 für alle Streitverfahren gilt und aus der Perspektive formuliert ist, dass mit einer Änderung der Streitfestlegung dem Beklagten ein Schaden entstehen könnte.27 Es geht also bei dieser strikten Regel hauptsächlich um das Rechtsschutzinteresse der Gegenpartei. Im Hinblick auf das Ehenichtigkeitsverfahren steht jedoch die Frage im Raum, ob die rechtliche Fiktion des c. 1731 n. 1 überhaupt dem Rechtsschutzinteresse der Prozessbeteiligten entspricht. Wenn es um den Personenstand geht, dann tritt das individuelle Interesse der Parteien am in Streit stehenden Eheband hinter das öffentliche Interesse nach dem tatsächlichen Rechtsstatus zurück. Daher müsste eine Änderung des Streitgegenstandes immer dann möglich sein, wenn es das öffentliche Interesse erfordert. Müssen dazu überhaupt die Parteien, obschon Betroffene, befragt werden? Kann ihre Einstellung dazu angesichts des übergeordneten Interesses noch von Belang
25 Dabei steht in diesen Fällen völlig infrage, ob man eine solche Festlegung überhaupt immer sicher treffen kann. Außerdem ist auch nicht gesagt, dass die „unschuldige“ Partei überhaupt ein Interesse an dem Verfahren hat. Da der Gesetzgeber aber von einer Mitwirkungspflicht ausgeht (die er freilich, ohne Sanktionen zu besitzen, nicht erzwingen kann), soll die Hürde hier so niedrig wie systemmöglich angesetzt werden. 26 Übers: Steht die Nichtigkeit der Ehe im vorliegenden Fall fest, wegen des einen oder der angeführten Klagegründe. 27 Vgl. Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche, Bd. 3, Paderborn 21953, S. 147.
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sein? Sollte der Gesetzgeber bei der Reform des CIC schon aus Gerechtigkeitsgründen nicht besser auf das althergebrachte, starre Rechtsinstitut verzichten? Die CIC-Reform hat bei der Erstellung des ersten Prozessrechtsschemas die Normen des alten Codex bereits einer ersten Revision unterzogen, zunächst aber auch den Normenbestand von 1917 zur Rechtsfortschreibung abgebildet.28 Im Zuge dieser Transformation der Bestimmungen über die Streitfestlegung im Eheprozess erscheint c. 1677 § 3 CIC/1983 als kontinuierliche Rechtsentwicklung. Im Schema CIC von 1980 ist die Litiskontestation als c. 341 § 2 (novus) eingefügt. Die allgemeinen Bestimmungen über die Streitfestlegung (cc. 1726 – 1731 CIC/1917) hat in den cc. 154 – 157 SchProc 1976 (cc. 1513 – 1516 CIC/1983) ihre Fortentwicklung erfahren, ohne dass man von einer direkten Übernahme der altkodikarischen Bestimmungen sprechen kann.29 Die beiden speziellen Formulierungen für den Eheprozess seien hier einander gegenübergestellt: C. 1677 § 3 CIC/1983
C. 341 § 2 SchProc (1976)
Formula dubii non tantum quaerat an constet de nullitate matrimonii in casu, sed determinare etiam debet quo capite vel quibus capitibus nuptiarum validitas impugnetur.
Formula dubii non tantum quaerat an constet de nullitate matrimonii in casu, sed determinare debet quo capite vel quibus capitibus nuptiarum validitas impugnetur.
Bis auf das Wort etiam, das bis zum Schema 198030 noch nicht in der neuen Norm enthalten ist, zeigt sich die neue Norm trotz substantieller Einwendungen im Gesetzgebungsprozess unverändert. Überzeugend erschien jener Einwand, der es genügen lassen wollte, die Prozessfrage zum Abschluss der Beweisaufnahme festzulegen. Dagegen wurde jedoch vorgebracht, dass die exakte Streitfestlegung schon für die Beweisaufnahme erforderlich sei.31 Vom Ergebnis her gesehen, hat sich die letzte Auffassung durchgesetzt. Aus der Gerichtspraxis scheint sie jedoch nicht erwachsen zu sein. Betrachtet man die Interrogatorien aus den deutschen Offizialaten, fällt auf, dass diese mehr oder minder umfassend oder zumindest summarisch alle in dem anstehenden Fall hypothetisch denkbaren Capita miterfassen. Folgt man der Auffassung des ersten Konsultors, erweist sich diese Praxis als zielführend und prozessstraffend, weil sich der Lebenssachverhalt erst im Laufe der Beweisaufnahme erschließt und dieser nicht schon durch die vorprozessuale Beratung, die Klageschrift und die Parteieinlassungen zur Streitfestlegung offen zu Tage liegt. Folgt man hingegen der Auffassung des zweiten Konsultors, wäre eine so breite Anlage der Beweisaufnahme 28 Vgl. Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici Recognoscendo, Schema Canonum de Modo procedendi pro tutela Iurium seu de Processibus (reservatum), Rom 1976, S. 38. 29 Vgl. Hubert Pöschl, Die unheilbare Urteilsnichtigkeit im kanonischen Prozess, Marburg 1992, S. 138. 30 Vgl. Codex Iuris Canonici Schema Patribus Commissionis reservatum, Vatikanstadt 1980. 31 Vgl. Communications 11 (1979), S. 261 f.
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unnötig, weil es in der Sache nur um das geht, was festgelegt worden war. Idealtypisch soll die Litiskontestation genau jene Themen definieren, auf die das Urteil eine Antwort geben soll. Es ist allerdings nicht unumstritten, ob das in der Anfangsphase eines Prozesses überhaupt schon möglich ist.32 Der Gesetzgeber hat sich bei aller Modifikation für eine traditionelle Rechtsfortschreibung entschieden. Es ist aus den Akten nicht erkennbar, dass das Für und Wider noch weiter diskutiert worden wäre. Die Diözesangerichte haben zumindest in dem vom Verfasser überblickten deutschsprachigen Raum an der Praxis festgehalten, die Beweisaufnahme breit anzulegen, um die Parteien nicht erst in einen Prozess zu führen, der in einer Sackgasse endet, um dann mühsam über c. 1514 CIC/1983 die Causa neu auf den Weg zu bringen.33 Es ist logisch und konsequent, dass der Gesetzgeber auch mit der nachfolgenden Gesetzgebung für die unierten orientalischen Kirchen in c. 1363 § 3 CCEO (1990) ebenso an dem einmal eingeschlagenen Weg festhält, wie in den Prozessnormen für die Römische Rota (1994) in Art. 62.34 Dort wird allerdings hinsichtlich der Präzisierung der Streitfrage in einer Fußnote festgehalten, dass eine Entscheidung aufgrund von äquivalenter Konformität der Klagegründe nicht gegen Art. 62 verstößt. Die Rechtsprechung der Rota hat diesen Rechtsgedanken auch auf Entscheidungen der Diözesangerichte erweitert.35 Den Schlusspunkt der Rechtsentwicklung setzt im Jahr 2005 Art. 135 § 3 DignConn unter Verweis auf die bereits genannte Norm des CIC. Dort heißt es: „Die Prozessfrage muss bestimmen, aufgrund welchen Klagegrundes oder welcher Klagegründe die Gültigkeit der Ehe angefochten wird.“ Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ist ersichtlich, dass die in DignConn gefundene Formulierung so bereits im Schema 1999 enthalten gewesen ist.36 Dagegen hat sich auch vonseiten der Deutschen Bischofskonferenz kein Einwand erhoben. Es wird lediglich vorgeschlagen, den Gesamtkomplex über die Einleitung des Prozesses aus sachlogischen Gründen systematisch neu zu ordnen.37 Die Formulierung von Art. 135 § 3 DignConn legt bei wortgetreuer Auslegung gem. c. 17 CIC/1983 nahe, darin eine zwingende Bestimmung zu erkennen. Die Spe32 Vgl. Severin Lederhilger (Anm. 14), S 358; mit weiteren Nachweisen zu dieser Diskussion unter den Rota-Auditoren. 33 Zu diesen Mühen ebd., S. 359. 34 Rota Romana, Normae Rotae Romanae Tribunalis, 18 aprilis 1994, in: AAS 86 (1994), S. 508 – 540, approvate «in forma specifica» dal Papa (cfr. Segretaria di Stato, Rescriptum ex Audientia Sanctissimi, 23 febbraio 1995, in: AAS 87 [1995], S. 366). 35 Vgl. Sebastiano Villeggiante, La conformità equivalente delle sentenze affermative nel processo canonico di nullità matrimoniale, in: ME 123 (1998), S. 295 – 378. 36 Vgl. Commissio interdicasterialis „per il primo progretto di una istruzione sui processi matrimoniali“ (1996 – 1999), Primum Schema a Commissione approbatum (Manuskript), Vatikan 1999, S. 40. 37 Vgl. Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zum Primum Schema Instructionis de processibus ad nullitatem matrimonii declarandam vom 22. Februar 1999 (Manuskript), Aachen 1999, S. 5.
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zifikation der Klagegründe bleibt danach unabdingbar. Es geht nicht nur um die generelle Prozessfrage, ob eine beklagte Ehe nichtig ist, sondern aufgrund welches materiell rechtlichen Fundaments genau die Nichtigkeitsfrage zu untersuchen ist.38 Auch der Blick auf eine Auslegung im weiteren Kontext der Gesetzesgenese lädt nicht dazu ein, zu einer anderen Einschätzung der Rechtslage zu gelangen. Allerdings haben sich gegen diese Interpretation in der kommentierenden Literatur vor 2005 Einwände erhoben. Diese bezogen sich auf die Gesetzesgenese von c. 1677 § 3 CIC/1983, wonach gegen die Formulierung vorgebracht wurde, man möge auf die Angabe der capita nullitatis verzichten, damit der Richter sie nach Abschluss der Beweisaufnahme, gleichsam als Resümee, festlegen könne.39 Später modifizierte derselbe Autor seinen Einwand dahingehend, dass die genaue Bezifferung der Gesetzesgrundlage nicht unbedingt gefordert sei, jedoch die Umschreibung des Tatbestandes in typisierter Form hinreichen würde.40 Stellt man sich die Frage, wozu die genaue Streitfestlegung nötig und eine summarische nicht hinreichend sei, so erhellt sich eine Antwort aus der Tatsache, dass erst die Kombination aus Lebenssachverhalt und Rechtsnorm die mögliche Anspruchsgrundlage deutlich machen. Der Lebenssachverhalt beschreibt die Merkmale eines bestimmten Tatbestandes. Die Rechtsnorm sagt aus, inwieweit die Tatbestandsmerkmale normausfüllend sind und damit Nichtigkeit einer Ehe begründen können.41 Insofern wird aus der Zusammenschau von Streitfestlegung und Urteil ersichtlich, ob und inwieweit das Urteil zur Streitfrage Stellung genommen hat und ob diese Ausführungen die Entscheidung hinreichend begründen. Auch nach 1983 hatte die Römische Rota immer wieder über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Urteile zu entscheiden, in denen es hinsichtlich der Streitfestlegung und der Entscheidungsgründe zu Abweichungen gekommen ist.42 In gravierenden Fällen könnte sich daraus eine Denegation des Verteidigungsrechts einer Partei und damit eine Urteilsnichtigkeit aufgrund von c. 1620 87 CIC/ 1983 ergeben.43 Vor diesem Hintergrund erscheint die hier gestellte Frage durchaus wertvoll für eine eingehendere Betrachtung. In der kanonistischen Literatur hat sie bisweilen Be-
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Vgl. Dominikus M. Meier (Anm. 7), S 265. Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1677, Rdnr. 1, in: MKCIC (Stand: Juli 1999). 40 Vgl. Klaus Lüdicke, Dignitas Connubii. Die Eheprozessordung der katholischen Kirche, BzMKCIC 42, Essen 2005, S. 171. 41 Vgl. ders., Der kirchliche Ehenichtigkeitsprozess nach dem Codex Iuris Canonici von 1983. Normen und Kommentar, (= BzMKCIC 10), Essen 1996, S. 131. 42 Vgl. Dorio M. Huot, Nullitatis sententiae (ob defectum citationis, litis contestationis et decreti causam ad ordinarium alterius gradus examen remittentis), Rota Romana, Dekret vom 13. 06. 1979, in: Arcisodalizio della Curia Romana (Hrsg.), Cause incidentali e processo contenzioso sommario ossia orale nella dinamica della revisione del diritto processuale canonico, Rom 1988, S. 182 – 185. José M. Serrano Ruiz, Querela nullitatis, Rota Romana, 01. 07. 1988, in: DEc 96/II (1985), S. 424 – 432. 43 Vgl. Cormac Burke, Querela nullitatis, Rota Romana vom 04. 05. 1988, in: DEc 96/II (1995), S. 445 – 447. 39
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achtung gefunden, stand aber selten im Fokus weitreichender Erörterungen.44 Vielmehr wurde gerade aus der Gerichtspraxis immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt noch praxisgerecht sei, dieses aus dem römischen Recht herkommende Rechtsinstitut anzuwenden, das im gegenwärtigen säkularen Recht keine Parallele mehr kennt.
III. Die Klagegründe Die Klagegründe werden vom Gesetzgeber in Normen definiert und spezifiziert. Ihre Funktion besteht darin, all jene Tatbestandsmerkmale zu erfassen und umschreiben, die tatbestandsausfüllend sind. Dabei kann der Gesetzgeber unterscheiden zwischen Tatbeständen, deren Merkmale additiv auftreten müssen und solchen, bei denen Merkmale alternativ als tatbestandsausfüllend angesehen werden. Ein Beispiel für eine additive Tatbestandsumschreibung findet sich in c. 1098 CIC/1983. Eine arglistige Täuschung im Sinne dieser Norm liegt nur vor, wenn eine Täuschungshandlung vorliegt, die sich auf eine Eigenschaft des nicht getäuschten Partners bezieht und geeignet ist, das eheliche Leben schwer zu stören. Bis zu diesem Punkt besteht eine Kongruenz zu dem gleichnamigen Tatbestand im bürgerlichen Recht. Das kanonische Eherecht verlangt jedoch mehr. Die Täuschung muss erfolgt sein, um das Jawort des Getäuschten herbeizuführen. Fällt nur eines der Tatbestandsmerkmale weg, sind die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt. Das Standardbeispiel für eine alternative Tatbestandsumschreibung finden wir in c. 1101 § 2 CIC/1983. Der Gesetzgeber unterscheidet hier in mehrfacher Hinsicht. Die erste Alternative besteht zwischen Total- und Partialsimulation. Die zweite Alternative beschreibt die unterschiedlichen Negationen des Ehewillens mit Blick auf die Wesenselemente und Wesensziele der Ehe. Die alternative Umschreibung der Tatbestandsmerkmale ist hier möglich, weil die Tathandlung der Sache nach immer die Gleiche ist. Es handelt sich um eine actus positivus voluntatis. Unterschieden wird lediglich das Ziel, auf das der Willensakt sich richtet. Als eine weitere Norm, die mehrere Lebenssachverhalte erfasst, kann c. 1095 CIC/1983 angesehen werden, der grundsätzlich drei Gruppen psychisch bedingter Nichtigkeitsgründe umfasst, die in den einzelnen Nummern des Canons selbständig nebeneinander stehen. Hier sind die Rechtsgründe so unterschiedlich, dass 44 Vgl. Andrzej, Dziega, La partecipazione delle parti processuali nella „litis contestatio“ nel processo canonico per dichiarare la nullità del matrimonio (orig. polnisch), in: Góralski (Hrsg.), Ius matrimoniale, Ze studiów nad koscielnym prawem malzenskim, Band III, Lublin 1992, S. 55 – 69. Zenon Grocholewski, A fase inicial iu introdutória do processo nas causas de nulidade de matrimonio, in: Direito & Pastoral 10/33 (1996), S. 7 – 52. Michael P. Hilbert, La contestazione della lite, in: Forum 4/2 (1993), S. 65 – 77. Dominicus M. Meier, (Anm. 7), S. 251 – 270. Paolo Moneta, Determination of the Formulation of the Doubt and Conformity of the Sentence, in: Dugan/Navarro (Hrsg.), Studies on the Instruction Dignitas Connubii (= Gratianus Collection Series), Montréal 2006. Schöch, Nikolaus, Festlegung, Änderung und Konformität von Klagegründen im Kanonischen Eheprozess (= Adnotationes in Ius Canonicum 30), Frankfurt a. M./Berlin/Bern u. a. 2003. Ders., I limiti del potere discrezionale del Giudice al Momento della Concordanza del dubbio nel Processo di nullità matrimoniale, in: Quaderni dello Studio Rotale 13 (2003), S. 55 – 82.
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man auch drei einzelne Normen unter einem besonderen Titel hätte formulieren können. Das ist hinsichtlich der Formulierung der Streitfestlegung zu beachten. Diese Übersicht zeigt: Nach der Vorstellung des Gesetzgebers besteht die wesentliche Funktion der Capita darin, die Prozessführung auf die quaestio nullitatis hinzuführen. Es geht offensichtlich nicht darum, in einer so höchstpersönlichen Angelegenheit wie einer Ehe ein Schleppnetz auszuwerfen und alles vom Grund der Beziehung an das Tageslicht zu fördern. Es geht nicht um eine „Lebensbeichte“. Den Gesetzgeber interessieren für den Prozess nur jene Sachverhalte aus dem Leben der Parteien, die in einem wirklichen Zusammenhang mit der Streitfrage stehen. Um hier Präzision und Diskretion zu erreichen, will der Gesetzgeber die Ermittlungen auf den Punkt führen.
IV. Was ist erforderlich im Lichte von c. 1101 § 2 CIC/1983? Reicht es hin, den Tatbestand nach c. 1101 § 2 CIC/1983 abstrakt als Total- oder Partialsimulation zu beschreiben? Nach herrschender Lehre ist ein Klagegrund ein Lebenssachverhalt, dem eine Rechtsnorm zugrunde liegt, welcher die Nichtigkeit einer Ehe behauptet. Wie bereits oben festgestellt, ist der Klagegrund also geeignet, die Nichtigkeit der beklagten Ehe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu begründen.45 Lebenssachverhalte sind nicht abstrakt, sondern eine Realität in der Sprache des Rechts. Das bedeutet mit Blick auf c. 1101 § 2 CIC/1983, dass sich die Totalsimulation nur auf den Fall bezieht, in dem einer der Nupturienten am Traualtar Ja gesagt, obwohl er/sie diese Ehe im Sinne des c. 1055 CIC/1983 insgesamt abgelehnt hat. Der Simulant wollte hier entweder gar nicht heiraten oder hat alle Wesenseigenschaften und Wesenselemente der christlichen Ehe abgelehnt. Eine rein säkulare Ehevorstellung nach Maßgabe des Art. 6 GG46 schließt daher eine Totalsimulation im Sinne des kanonischen Rechts nicht aus. Denn hier geht es um eine Partnerschaft gleicher Rechte und Pflichten, in der die Gatten verpflichtet sind, einander mit gegenseitiger Achtung und Verantwortung zu begegnen, sowie einander Mitsprache und Mitentscheidung in allen wichtigen Lebensfragen zuzusprechen.47 C. 1055 CIC/1983 zeichnet demgegenüber ein umfassenderes Ehebild. Geht es im kanonischen Eheprozess um den Ausschluss eines Wesenselements der Ehe gem. c. 1101 § 2 CIC/1983, so ist zur näheren Bestimmung desselben auf die Tatbestände von c. 1056 CIC/1983 zu verweisen, die Einheit und die Unauflöslichkeit der Ehe. Wird eine dieser Wesenseigenschaften ausgeschlossen, ist zwar eine Ehe gewollt, je45 Vergleichbare Definitionen zum Klagegrund finden sich auch im weltlichen Recht: Vgl. Bärbel Sachs, Die Ex-officio-Prüfung durch die Gemeinschaftsgerichte (= Jus Internationale et Europaeum 21), Tübingen 2008, S. 12 – 14. 46 Vgl. zur säkularen Ehedefinition: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Studienausgabe, Berlin 21995, S. 295. 47 Vgl. Herbert Grziwotz, Rechtsfragen zu Ehe und Lebenspartnerschaft, München 32003, S. 13.
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doch unterscheidet diese sich dem Wesen nach von der durch den Gesetzgeber definierten christlichen Ehevorstellung. Reicht es angesichts dieses Befundes hin, die Prozessfrage allgemein auf einen Ausschluss eines Wesenselements hin zu formulieren, oder bedarf es der genauen Nennung? Eheliche Treue einerseits und der Wille zur lebenslangen Bindung an den Gatten sind zwei unterschiedliche Wesenseigenschaften. Die jeweiligen Motive und Indizien, die gegen einen Willen sprechen, sich entsprechend zu binden, setzen auf der Beweissicherungsebene ganz unterschiedliche, mitunter sogar gegensätzliche Herangehensweisen voraus. Ergibt das erste Informationsgespräch mit den Parteien oder der Klageantrag, dass es hingegen um eine Wesenseigenschaft des in Streit stehenden Ehekonsens geht, also entweder um einen Ausschluss von Nachkommenschaft oder gar den Ausschluss des Ehegattenwohls, sind wieder ganz andere Aspekte der Beweiserhebung berührt, die es eben nicht erfordern, im Sinne der Schleppnetztheorie auch noch etwaige andere Vorbehalte erschöpfend abzufragen. In einem solchen Fall geriete die gesamte Beweisaufnahme in die Gefahr des Voyeurismus. Insbesondere in Zeiten, in den die Kirche mit allen ihren Institutionen von der Öffentlichkeit kritisch wahrgenommen wird, sind solche Anmutungen bestimmt zu vermeiden. Schließlich muss mit Blick auf die Sachermittlungen festgestellt werden, dass die Festlegung auf den genauen Klagegrund den Weg eröffnet, zu einer präzisen Beweiserhebung in der Sache zu gelangen und den Blick auf alle jene Aspekte des Falles zu lenken, die für die Streitfrage von Bedeutung sind. Denn auch wenn nur ein Klagegrund eingeführt ist, so erfordert die Erhebung des diesbezüglichen Sachverhaltes hinsichtlich des Abweichens von innerem und äußerem Willen eine Vielzahl von Fragestellungen zur Haltung des Simulanten, seinen möglichen Motiven, den Umständen und Indizien. Schließlich geht es auch um die Glaubwürdigkeit des Klagevorbringens, die nicht einfach lapidar allgemein, sondern gezielt auf die Fragestellung hin zu beantworten ist, wenn sie überhaupt beweisrechtlich Gewicht haben soll. Die Nachteile, die eine derartige Fokussierung andererseits mit sich bringt, haben wir bereits angesprochen. Da nicht nur der Tatbestand als solcher, sondern auch die Credibilitas der prozessbeteiligten Personen (Parteien und Zeugen) mit Blick auf die beweisrechtliche Relevanz der Aussagen zu erheben sind, wird man aber auch bei einer an der Litiskontestation ausgerichteten Prozessführung nicht umhin kommen, die Beweisaufnahme in einer gewissen Breite anzulegen. In der Codex-Reform ist die Frage der Formulierung der Prozessfragen strittig diskutiert worden. Im Ergebnis wurde dort ein Verzicht auf die Spezifikationen verworfen. DignConn hat daran in Art. 135 § 3, wie bereits diskutiert, nichts geändert. Insofern erscheint eine Interpretation von c. 1677 § 3 CIC/1983, wonach die Prozessfrage vage gehalten und allenfalls in einem Begleitbrief zur Streitfestlegung erläutert wird, nicht ausreichend. Prozessrechtlich ist festzuhalten, dass ein solcher Begleitbrief nicht Bestandteil des Dekretes und damit auch nicht für die im Verfahren handelnden Gerichtspersonen bindend ist. Da die Prozessordnung gem. c. 86 CIC/1983 indispensabel ist, kann einem solchen Begleitschreiben keine juristische Bedeutung beigemessen werden. Das ist aber gerade nach der eben vorgebrachten Forderung
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einer angemessenen und diskreten Ermittlung nicht nur angemessen, sondern auch rechtlich bindend festzulegen. Parteien und Zeugen müssen sich darauf zurückziehen können, nicht jede noch so weit vom Streitgegenstand entfernte Frage zu beantworten. Sie haben das Recht, sachwidrige Fragen zurückzuweisen, ohne dass ihnen das negativ ausgelegt wird. Noch weniger reicht es aus, wenn ein ganz allgemeiner Rechtsanspruch auf Klärung des Personenstandes geltend gemacht würde.48 Dieser summarische Anspruch besteht nicht, weil die Klageschrift wenigstens summarisch gem. c. 1504 82 CIC/1983 das Klagebegehren zu plausibilisieren hat. Ferner ist mit Blick auf die Interpretationsregel von c. 17 festzuhalten, dass die Formulierung von c. 1677 § 3 CIC/1983 so eindeutig ist, dass eine wortgetreue Auslegung der Vorschriften eine zureichende Interpretationssicherheit gibt.
V. Was ist erforderlich im Kontext von c. 1995 nn. 2 und 3 CIC/1983? Zunächst darf in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden, dass die Spezifikationen des Gesetzestextes zur Beschreibung der einzuführenden Klagegründe einer psychisch bedingten Eheunfähigkeit zu wählen sind. Im Fall des c. 1095 n. 2 CIC/1983 ist daher von einem schweren Mangel des kritischen Urteilsvermögens zu sprechen. Welche Einzeltatbestände von diesem Klagegrund umfasst werden können, ist in der Literatur und der Rechtsprechung hinlänglich, aber keinesfalls abschließend geklärt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es in den Fällen des c. 1095 n. 2 CIC/1983 um eine Unfähigkeit geht, einen geistigen Prozess zurechenbar durchzuführen, an dessen Ende ein ausgeformter Ehewille in verantworteter Weise steht. Handelt es sich hingegen um einen Fall des c. 1095 n. 3 CIC/1983, so beschreibt der Gesetzgeber diese Unfähigkeit als eine Unfähigkeit zur Übernahme der wesentlichen ehelichen Verpflichtungen. Hier geht es um den Nachweis einer peculiaris anomalia (Art. 209 § 1 DignConn), die eine Eheführung als initial zurechenbare und lebbare Wirklichkeit verunmöglicht. Damit stellt sich die Frage, ob die überkommene Formulierung der Prozessfrage aus der Zeit vor der Geltung des gegenwärtigen Codex weiter Bestand haben kann, die von einem „Fehlen der Voraussetzungen zur Ehe gem. c. 1081 und c. 1082 CIC/1917“ sprach. Dabei ist sicher zu berücksichtigen, dass das alte Recht den Tatbestand psychisch bedingter Eheunfähigkeit nur über den Behelf der richterlichen Rechtsfortbildung kannte und demzufolge diese an die einzig passenden Normen des alten Codex angepasst hat.49 C. 1095 CIC/1983 fasst die höchstrichterliche Rechtsfortbildung neu und beschreibt die Tatbestände in ihrer Grundabgrenzung voneinander präziser. Daher ist es angemessen, die neuen vom Gesetzgeber vorgegebenen Begriffe in die Streitfestlegung zu über48
Vgl. Klaus Lüdicke, Einf. v. c. 1513, in: MKCIC (Stand: Mai 1989). Vgl. RR coram Parisella vom 8. 5. 1980, Prot. 101/80, 11981. Der Ponens Parisella musste hier noch mit GS 48 über die cc. 1081 § 1 und 1082 CIC/1917 argumentieren, um einen Tatbestand justitiabel zu machen, der vom Gesetz noch nicht erfasst war. 49
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nehmen. Ein Klagegrund, der nach wie vor die sehr weite Begrifflichkeit des Fehlens der Voraussetzungen zur Ehe benennt, kommt in der Begrifflichkeit der Varianten des c. 1095 CIC/1983 nicht mehr vor. Daher würde sich bei der Anwendung des Begriffs die Frage stellen, wo die Klagebehauptung ihren Sitz im Leben der partnerschaftlichen Biographien der Parteien findet. Erst unter Beifügung einer der drei Alternativen des c. 1095 CIC/1983 dürfte klar sein, worum es geht. In diesem Fall stellt sich aber zugleich die Frage, warum man dann nicht die präzisere Formulierung der Prozessfrage vorzieht. Die Neuformulierung des c. 1095 CIC/1983 zeigt, dass der Gesetzgeber mehr Klarheit bei der Formulierung gerade dieser komplexen Materie erstrebte. Art. 209 § 1 DignConn hat das bestätigt und eben nicht an die alten Formulierungen angeschlossen. Art. 209 § 2 DignConn nimmt die Vorgaben von c. 1095 CIC/1983 auf und unterscheidet ebenso zwischen einem Mangel des Vernunftgebrauchs, einem Mangel des kritischen Urteilsvermögens und einer Unfähigkeit zur Übernahme der wesentlichen Rechte und Pflichten aus der Ehe.
VI. Summarium Nach übereinstimmender Meinung in der Literatur zu c. 1677 CIC/1983 ist die präzise Umschreibung der Klagegründe vom Gesetzgeber gefordert. Das haben die hier angeführten Beispiele deutlich werden lassen. Sie ließen sich um weitere Varianten erweitern. Das bedeutet, dass die normativen Vorgaben die Grundlage für die jeweilige Ausformulierung des Klagegrundes bilden, in dem sich der Lebenssachverhalt zumindest im Ansatz widerspiegelt. Die verschärfende Formulierung von c. 1363 CCEO, wo im selben Zusammenhang von definire debet statt determinare debet wie noch in c. 1677 § 3 CIC die Rede ist, spricht ebenfalls für eine konsequente Weiterführung dieses Präzisierungsgedankens bei der Streitfestlegung. Ob allerdings eine bloß phrasenhafte Formulierung der Capita schon zur Urteilsnichtigkeit gem. c. 1620 n. 4 CIC/1983 führen muss, wird nur im Einzelfall zu entscheiden sein. Im Kontext dieser Erörterungen wäre ein solcher Fall gegeben, wenn ein Urteil ohne entsprechenden Klageantrag erfolgt wäre. Das ist aber bereits dann nicht der Fall, wenn ein Klageantrag im Sinne des c. 1496 § 1 CIC/1983 eingereicht worden ist. Um die Risiken aus formalen Gründen scheiternder Verfahren zu vermeiden, kommt es daher auf die Qualität der vorprozessualen Beratung und die Dokumentation derselben für die Prozessakte an. Die Litiskontestation ist zwar ein wahrlich antikes Rechtsinstrument. Die Ausführungen haben aber gezeigt, dass es sich in seiner mehr als 2500-jährigen Geschichte den sich verändernden Bedingungen des Rechts in Kirche und Welt anzupassen vermocht hat. Die Streitfestlegung bietet den Parteien Rechtssicherheit darüber, dass der von ihnen zur Verhandlung aufgerufene Streit nach Maßgabe des Rechts überhaupt zu entscheiden ist. Den gerichtlichen Personen, gem. c. 1677 § 4 CIC/1983 insbesondere dem instruierenden Richter, legt die präzise Formulierung der Prozessfrage die Disziplin auf, genau das und nur das zu untersuchen, was mit dem angenommenen
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Streitgegenstand in Zusammenhang steht. Das bedeutet nicht, dass damit von vornherein einer Engführung des Prozesses oder gar einer Beweisführung auf Sparflamme das Wort geredet würde. Genau das war sicher nicht die Intention des Gesetzgebers, als er die Litis contestatio im geltenden Prozessrecht zu seiner heutigen Form entwickelt hat. Daher erscheint es eher als Missverständnis, sie über die Grenzen der zulässigen Interpretation hinaus auszuhöhlen.
Il diritto al doppio grado di giurisdizione nella procedura penale amministrativa e la tutela della terzietà della “Feria IV” della Congregazione per la Dottrina della Fede A proposito del Rescritto “ex audientia Sanctissimi” del 3 novembre 20141 Joaquín Llobell
I. Il diritto al doppio grado di giurisdizione e la tutela della terzietà dell’organo predisposto per l’ultima istanza del ricorso amministrativo condizioni del giusto processo penale extragiudiziale “Non si dà appello né ricorso contro la sentenza o il decreto del Romano Pontefice” (c. 333 § 3; cfr. c. 1629, 18). “Il giudice non è competente a giudicare atti o strumenti confermati in forma specifica dal Romano Pontefice, salvo non ne abbia avuto prima mandato dal medesimo” (c. 1405 § 2). Pertanto, come manifestazione di rispetto dell’indipendenza giudiziale e per evitare che l’intervento del Santo Padre (la cui realizzazione “in forma specifica” non è sempre evidente2) possa privare gli interessati del diritto al doppio grado di giurisdizione, il CIC del 1917 (cfr. c. 244 § 2), la REU3 e la PB4, in modo del tutto omogeneo, sanciscono che non 1 Questo commento, destinato agli Studi in onore del Prof. Helmuth Pree, l’ho aggiunto come §§ 10 e 11 della relazione: Giusto processo e “amministrativizzazione” della procedura penale canonica, in: Consociatio Internationalis Studio Iuris Canonici Promovendo/School of Canon Law, The Catholic University of America/Co-sponsored by the United States Conference of Catholic Bishops, XV International Congress of Canon Law, “Crime and Punishment”. Nature, Problems and Perspectives of Canonical Penal Law and Its Relation to Civil Law, Washington, DC – 17 – 21.IX.2014, in corso di stampa. Rinvio a detta relazione per una considerazione più motivata dei concetti propedeutici di questo commento in cui ometto l’analisi di diverse questioni, come quella della natura di “decreto generale esecutivo” (cfr. cc. 29 e 31) del Rescritto. 2 Cfr. Segreteria di Stato, Rescriptum ex Audientia Sanctissimi quo Normae Rotales in forma specifica approbantur, 23 febbraio 1995, in: AAS 87 (1995), p. 366. 3 Cfr. Beato Paolo VI, cost. ap. “Regimini Ecclesiae Universae”, 15 agosto 1967, n. 136, in: AAS 59 (1967), pp. 885 – 928 (citata: REU).
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“devono essere sottoposte all’approvazione del Sommo Pontefice” “le sentenze del Tribunale della Rota Romana e del Supremo Tribunale della Segnatura Apostolica, pronunciate entro i limiti della rispettiva competenza”, nonostante riguardino cause “di maggiore importanza” (cfr. PB art. 18 [a]). Evidentemente, la norma serve non solo per la Rota e la Segnatura ma anche per gli altri Tribunali Apostolici e, in particolare, per la CDF nel giudicare i delicta graviora, secondo quanto stabiliscono le “Normae de delictis CDF reservatis”: “Le sentenze di questo Supremo Tribunale, emesse nei limiti della propria competenza, non sono soggette all’approvazione del Sommo Pontefice”5. Com’è noto, fino al 15 agosto 1967 con la REU6 (quando vigeva l’istr. “Crimen sollicitationis” [1922/1962]7), le decisioni della CDF erano, in realtà, del Santo Padre, il quale era il Prefetto della Congregazione (colui che la presiedeva). Ne derivava la loro inimpugnabilità. Il sistema è stato felicemente modificato. Questa mens legislatoris potrebbe servire per rettificare l’impianto normativo vigente per le decisioni amministrative di natura penale nell’ambito di competenza della Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli (in seguito: CEP)8 e della Congregazione per il Clero (in seguito: CPC)9, nonché la decisione ex 4 Cfr. S. Giovanni Paolo II, cost. ap. “Pastor bonus” ed “Adnexa”, 28 giugno 1988, art. 18, in: AAS 80 (1988), pp. 841 – 934 (citata: PB). 5 S. Giovanni Paolo II, “Normae substantiales et processuales” promulgate col m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela”, 30 aprile 2001, art. 6 § 3, in: Ius Ecclesiae 16 (2004), pp. 313 – 321, in seguito citato: m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela”, 30 aprile 2001. Identica prescrizione in Congregazione per la Dottrina della Fede, “Normae de gravioribus delictis”, approvate e promulgate con Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 21 maggio 2010, art. 8 § 3, in: AAS 102 (2010), pp. 419 – 430, in seguito citate: “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010. Sulla data delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, cfr. Joaquín Llobell, Processi e procedure penali: sviluppi recenti, § 3, in: Pontificia Università della Santa Croce. V Corso di aggiornamento in diritto matrimoniale e processuale canonico. Roma, 16 – 20 settembre 2013, in corso di stampa, e in: José Francisco Castelló Colomer (Ed.), “Opus Iustitiae: Pax et Unitas”. Homenaje al Prof. D. Antonio Benlloch Poveda, Valencia, 2014, pp. 213 – 245. 6 Cfr. Beato Paolo VI, m.p. “Integrae servandae”, 7 dicembre 1965, n. 2, in: AAS 57 (1965), pp. 952 – 955; REU (nota 3, n. 30). 7 S.S. Congregatio Sancti Officii [Suprema Sacra Congregazione del Santo Uffizio], Instructio “Crimen sollicitationis” de modo procedendi in causis sollicitationis, 16 marzo 1962, in: http://www.bishop-accountability.org/downloads/crimenlatinfull.PDF, versione inglese in: http://www.vatican.va/resources/resources_crimen-sollicitationis-1962_en.html, in seguito citata: istr. “Crimen sollicitationis” (1922/1962). Tale norma è identica a quella precedente del 9 giugno 1922 e simile a quelle del 1866, 1890 e 1897 (cfr. Ioannis Ortega Uhink, De delicto sollicitationis. Evolutio historica, documenta, commentarius, Washington, 1954, p. 202, nota 39). 8 Cfr. “Facoltà speciali” concesse da Benedetto XVI al Cardinale Prefetto, Ivan Dias, nell’udienza del 19 dicembre 2008: in CEP, Special faculties for administrative procedure for the laicization of priests, deacons and members of Institutes of Consecrated Life and Societies of Apostolic Life for “missio ad gentes”, Prot. N. 0579/09, March 31, 2009, in: Roman Replies and CLSA Advisory Opinions 2009, Washington, 2009, pp. 48 – 52: a) CEP, Letter to Superiors General, Missionary Societies of Apostolic Life dependent on the Congregation for the Evangelization of Peoples, in: ibidem, pp. 48 – 50; b) CEP, Request for Dispensation from Clerical Obligations Presented by Priests and Deacons, Prot. N. 0579/09, March 31, 2009
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art. 21 § 2, 28 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, che sono provvedimenti del Papa e, quindi, inimpugnabili, malgrado siano “di prima istanza”. Infatti, vietare sistematicamente il diritto al doppio grado di giurisdizione (lato sensu, ovvero considerando il ricorso gerarchico come una “seconda istanza”) in materia penale, come fanno le norme testé citate a causa del necessario intervento del Santo Padre nei rispettivi provvedimenti definitivi, è contrario alla tradizione canonica che (tranne nelle cause riservate alla CDF per la particolare posizione del Papa in questo Dicastero fino al 1967) lo riconosceva persino contro le pene inflitte ex informata conscientia (cfr. CIC 1917 c. 2194). Nella vigente disciplina presso la CDF, il diritto di appello stricto sensu (giudiziale) è stabilito dagli artt. 2 § 2, 16, 20, 23, 26 § 1, 28, 28 e 38, persino nelle fattispecie riguardanti “i Padri Cardinali, i Patriarchi, i Legati della Sede Apostolica, i Vescovi, nonché le altre persone fisiche di cui al c. 1405 § 3 del Codice di Diritto Canonico e al c. 1061 del Codice dei (Enclosures), in: ibidem, pp. 50 – 52; c) CEP, Dismissal “in poenam” of clerics from the clerical state. Instructions for the Ordinaries, Prot. N. 0579/09, 31 March 2009. La versione italiana di questi tre documenti è stata praticamente trascritta da Vincenzo Mosca: Le facoltà speciali concesse alla Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli e alla Congregazione per il Clero (in particolare circa la dimissione dalla condizione giuridica clericale “in poenam” ed “ex officio” per via amministrativa), in: Andrea D’Auria/Claudio Papale (a cura di), I delitti riservati alla Congregazione per la Dottrina della Fede, Città del Vaticano, 2014, pp. 159 – 180. Cfr. Damián G. Astigueta, Le facoltà speciali concesse alla Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli e alla Congregazione per il Clero, in: Questioni attuali di diritto penale canonico, Città del Vaticano, 2012, pp. 135 – 148; José Bernal, Nuevos desarrollos del procedimiento administrativo para la imposición de las penas, in: Asociación Española de Canonistas, Actas de las XXXII Jornadas de actualidad canónica, Madrid, 11 – 13 de abril de 2012, Madrid, 2014, pp. 134 – 137; Andrea D’Auria, Le Facoltà speciali della Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli, in: Ius Missionale 1 (2007), pp. 257 – 261; Joaquín Llobell, Il giusto processo penale nella Chiesa e gli interventi (recenti) della Santa Sede, in: Archivio Giuridico 232 (2012), pp. 194 – 197 (versione on line: www.bibliotecanonica.net/docsai/btcain. pdf e www.iuscanonicum.it/ Contributi); Claudio Papale, Il can. 1395 e la connessa facoltà speciale di dimissione dallo stato clericale “in poenam”, in: Ius Missionale 2 (2008), pp. 39 – 57, in particolare pp. 50 – 57. Lo studio di Carlo Fabris (Le facoltà speciali della Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli, in: Associazione Canonistica Italiana, XLVI Congresso nazionale: Matrimonio canonico e culture, Arezzo, 8 – 11 settembre 2014, Libreria Editrice Vaticana, Città del Vaticano, 2015, in corso di stampa) riguarda solo le facoltà speciali sulle cause matrimoniali in Cina e non considera cause su altre materie. 9 Cfr. CPC, Lettera circolare di presentazione delle facoltà ricevute dal Sommo Pontefice in data 30 gennaio 2009, 18 aprile 2009, in: Revista Española de Derecho Canónico 67 (2010), pp. 391 – 400 e in: Il Regno-documenti 13 (2009), pp. 392 – 396; CPC, Lettera Circolare per l’applicazione delle tre “Facoltà speciali” concesse il 30 gennaio 2009 dal Sommo Pontefice, 17 marzo 2010, in: Revista Española de Derecho Canónico 67 (2010), pp. 923 – 933 e in: Ius Ecclesiae 23 (2011), pp. 229 – 235; commenti di Damián G. Astigueta, Facoltà concesse alla Congregazione per il Clero, in: Periodica 99 (2010), pp. 1 – 33; Federico R. Aznar Gil, in: Revista Española de Derecho Canónico 67 (2010), pp. 923 – 933; Joaquín Llobell, Il giusto processo penale nella Chiesa e gli interventi (recenti) della Santa Sede (nota 8), pp. 197 – 202; Francesco Pappadia, Ambito e procedimento di applicazione delle Facoltà speciali della Congregazione per il Clero, in: Ius Ecclesiae 23 (2011), pp. 235 – 251.
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Canoni delle Chiese Orientali” (art. 1 § 2), tranne che il mandato previo del Romano Pontefice indichi una clausola simile a “remoto quolibet iuris remedio” o “appellatione remota” (vide infra § 2.9, d]). Il sostanziale diritto al doppio grado di giurisdizione è, altresì, garantito in via amministrativa dall’art. 27 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010. Difatti, benché sia escluso il contenzioso-amministrativo presso la Segnatura Apostolica, contro gli atti amministrativi singolari emessi o approvati dalla CDF nei casi dei delitti riservati, si ammette un ricorso, presentato entro il termine perentorio di sessanta giorni utili, uguale al termine previsto per il contenzioso-amministrativo presso la Segnatura Apostolica.10 Tale ricorso sarà deciso normalmente dal nuovo (reso pubblico l’11 novembre 2014) “Collegio per l’esame dei ricorsi di ecclesiastici per i ‘delicta graviora’” (vide infra § 2.9, a])11. Tale organo è definito come “un’istanza di cui la Sessione Ordinaria (Feria IV12) della Congregazione si dota per una maggiore efficienza nell’esame dei ricorsi di cui all’art. 27 SST13, senza che vengano modificate le sue competenze in materia così come stabilite dal medesimo art. 27 SST” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3). L’impugnazione presso il nuovo Collegio del primo atto della CDF ex art. 27, essendo un ricorso amministrativo, può riguardare non soltanto la legittimità in decernendo e in procedendo, come avviene invece presso la Segnatura Apostolica. 10 Cfr. Benedetto XVI, m.p. “Antiqua ordinatione”, quo Supremi Tribunalis Signaturae Apostolicae lex propria promulgatur, 21 giugno 2008, artt. 34 § 1, 74 § 1, in: AAS 100 (2008), pp. 513 – 538 (in seguito citata: Lp SAp 2008). 11 Cfr. Papa Francesco, Rescriptum “ex audientia Sanctissimi” sulla istituzione di un Collegio, all’interno della Congregazione per la Dottrina della Fede, per l’esame dei ricorsi di ecclesiastici per i “delicta graviora”, 3 novembre 2014, in: L’Osservatore Romano, 12 novembre 2014, p. 8, in seguito citato: Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014. La notizia è stata data dalla Sala Stampa della Santa Sede l’11 novembre 2014 (cfr. il Bollettino di detto giorno). Il Santo Padre aveva manifestato qualche mese prima l’intenzione di creare tale Collegio (cfr. Sala Stampa della Santa Sede, Bollettino, 19 maggio 2014 [vide infra nota 44]). 12 Presso la CDF le adunanze dei diversi organi del Dicastero prendono il nome del giorno della settimana in cui si riuniscono. La “Feria II” (lunedì) è l’incontro dei Consultori (la Consulta). La “Feria IV” (mercoledì) è la Sessione Ordinaria dei Membri (Cardinali e Vescovi) residenti a Roma, quantunque possano prendervi parte anche gli altri Membri. La “Feria VI” (venerdì) è la riunione del Congresso (sulla loro composizione e procedura vide infra § 2.3). Nel pomeriggio del venerdì il Prefetto o, in sua assenza, il Segretario (talvolta entrambi insieme) sono ricevuti dal Papa in un’udienza denominata “di tabella”, perché tenuta periodicamente in data prefissata. 13 L’abbreviazione “SST” adoperata dal Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, fa riferimento alle “Normae de delictis CDF reservatis” promulgate dal Rescritto “ex audientia Sanctissimi” del 21 maggio 2010, le quali hanno modificato le norme promulgate dal m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela” del 30 aprile 2001, senza alcun “cambiamento” al testo di tale motu proprio: il rescritto di promulgazione delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, “sostituisce” completamente il m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela”, 30 aprile 2001, di promulgazione delle Norme di tale data. L’“aggiornamento” di cui parla il Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, riguarda solo le Norme del 2010 nei confronti di quelle del 2001.
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Infatti, la “Feria IV”, e ora il Collegio, possono sindacare, a norma del c. 1739 CIC (CCEO c. 1004), anche il merito del provvedimento amministrativo dell’“Incaricato” (o “Delegato”14) nominato dal Congresso della CDF. Tale “Incaricato” (assistito da due assessori a norma del c. 1720, 28) può emettere il primo provvedimento sul merito della causa (qualora il Prefetto in Congresso abbia avocato a sé la causa in “prima istanza”) o, invece, definire il ricorso gerarchico contro una decisione di “prima istanza” emessa in ambito locale.15 Il provvedimento della “Feria IV”, o del nuovo “Collegio”, sostituisce qualsiasi ulteriore ricorso alla Segnatura ex art. 123 della PB. È evidente l’importanza del ricorso ex art. 27 in cui, logicamente, è possibile chiedere un supplemento istruttorio. Scicluna indica che “la prassi della CDF ammette che anche in questa procedura extra-giudiziale [presso la ‘Feria IV’ e il nuovo ‘Collegio’] ci sia la possibilità di istruttoria supplementare e che al reo si conceda un adeguato lasso di tempo per presentare la sua difesa con l’ausilio di un legale di fiducia”16. In realtà, difficilmente si potrebbe ritenere soddisfatto il diritto di difesa dell’accusato presso la “Feria IV” senza avere il diritto di proporre nuove prove e di servirsi dell’assistenza di un avvocato di fiducia, sebbene, come in ambito giudiziale, il diritto dell’accusato di proporre prove non implichi il diritto a che esse siano ammesse da chi deve decidere la causa, perché le può ritenere inutili o illecite (cfr. cc. 1527 § 1, 1553). Questa discrezionale ammissione delle prove proposte, a tutela dell’economia e della celerità processuali, è prevista sin dall’inizio della causa, ma comporta un maggiore potere dispositivo in seconda istanza (cfr. c. 1639 § 2) o in sede di ricorso gerarchico; vale a dire, potranno essere respinte tutte quelle prove che non abbiano un sufficiente fumus boni iuris di essere utili per accertare la verità ed emettere una decisione giusta e tempestiva, a norma del c. 1600. Questa impostazione dell’attività della “Feria IV”, come “appello” del provvedimento amministrativo dell’“Incaricato” nominato dal Prefetto in Congresso17, richiede che vi sia una reale diversità e, quindi, imparzialità fra i membri del Congresso che sono intervenuti nella prima decisione presso la CDF e quelli che, essendo anche membri della “Feria IV”, decideranno il successivo ricorso gerarchico con un provvedimento inimpugnabile.18 Forse questo motivo, assieme ad altri 14 La versione italiana dell’art. 9 § 3 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, chiama “incaricati” (“deputati” in latino) i giudici con potestà delegata nominati ad casum dal Prefetto della CDF. Io utilizzo abitualmente il termine “Incaricato” per riferirmi a chi è stato nominato dal Congresso per decidere la causa in via extragiudiziale sia perché così mi è stato detto che è solito fare la CDF (vide infra nota 24), sia per sottolineare la natura normalmente amministrativa della potestà esercitata dall’“Incaricato”. 15 Cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 16. 16 Charles J. Scicluna, Delicta graviora: ius processuale, in: Andrea D’Auria/Claudio Papale (a cura di), I delitti riservati alla CDF (nota 8), § 5.3.1, p. 122. Lo stesso testo in: Questioni attuali di diritto penale canonico (nota 8), pp. 79 – 94. 17 Cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 9 e 21 § 2, 18. 18 Sulla composizione del Congresso della CDF, vide infra § 2.3. Un problema analogo è posto dall’intervento della Congregazione per gli Istituti di vita consacrata e le Società di vita
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(celerità, consentire alla “Feria IV” di occuparsi dell’esame delle dottrine19, ecc.), hanno portato Papa Francesco a decidere di creare, all’interno della CDF, il menzionato “Collegio per l’esame dei ricorsi di ecclesiastici per i ‘delicta graviora’”. L’intervento del Santo Padre previsto dalle Facoltà speciali della CEP e della CPC non è dovuto primariamente al fatto che l’irrogazione della pena della dimissione dallo stato clericale o di altra pena espiatoria perpetua tramite un procedimento amministrativo (per decreto extragiudiziale), […] sia espressamente vietata dai cc. 1317, 1319, 1342 § 2 e 1349 del CIC.20 Infatti, S. Giovanni Paolo II concesse alla CDF la facoltà d’imporre pene perpetue senza richiedere l’approvazione del provvedimento del dicastero da parte del Papa.21 Quindi, il Pontefice avrebbe potuto concedere la stessa facoltà alla CEP e alla CPC. Vi è, invece, una ragione che rende necessario l’intervento del Papa: quella (prevista anche per fattispecie “gravissime” all’interno dei delicta graviora riservati alla CDF22) di poter dispensare dall’obbligo del celibato, dispensa che, tranne nella fattispecie di nullità della sacra ordinazione, viene concessa unicamente dal Romano Pontefice (cfr. CIC c. 291; CCEO c. 396).23 Pertanto, sembra opportuno distinguere entrambi i provvedimenti benché quello del Papa sul celibato possa essere preso, senza dilazioni, in seguito a quello della dimissione dallo stato clericale e notificato congiuntamente all’interessato, sebbene come due decisioni di autori diversi.
II. Cenni sull’iter di una causa sui “delicta graviora” riservati alla CDF ¢ Verso un rafforzamento dell’indipendenza della “Feria IV” nei confronti del Congresso Per tentare di capire meglio alcuni dei problemi che la “amministrativizzazione” del processo giudiziale penale può porre all’adempimento di taluni requisiti apostolica o del Vescovo diocesano per la conferma della dimissione di un religioso dal proprio Istituto ex c. 700 (cfr. Joaquín Llobell, La conferma del decreto di dimissione del religioso a norma del can. 700. Note sull’ermeneutica degli istituti rivolti all’attuazione del diritto di difesa, in: Ius Ecclesiae 4 [1992], pp. 235 – 252). 19 Cfr. CDF, Agendi ratio in doctrinarum examine (Regolamento per l’esame delle dottrine), 29 giugno 1997, in: AAS 89 (1997), pp. 830 – 835. 20 Cfr. Francesco Pappadia, Ambito e procedimento (nota 9), p. 242. 21 Cfr. S. Giovanni Paolo II, Modifiche alle “Normae substantiales et processuales” promulgate col m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela” (30 aprile 2001), modifica “d/b” del 7 febbraio 2003, in: Ius Ecclesiae 16 (2004), p. 321. 22 Cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 28. La norma proviene dalla modifica “d/a” del 7 febbraio 2003, alle “Normae substantiales et processuales” promulgate col m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela”, (nota 21). 23 Cfr. Egidio Miragoli, La perdita dello stato clericale e la dispensa dal celibato. Diritto comune e facoltà speciali, in: Quaderni di diritto ecclesiale 24 (2011), pp. 233 – 251.
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essenziali del giusto processo, è utile descrivere diversi passi dell’“iter” di una causa sui delicta graviora di cui alle “Normae de delictis CDF reservatis”, secondo l’interpretazione della legge fatta dalla prassi della CDF e divulgata da diversi studi di qualificati professori e ufficiali della medesima Congregazione.24 Da tale parziale descrizione scaturisce una nostra iniziale provvisoria interpretazione del Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014. 1. Sulla (innovativa) competenza assoluta della CDF per decidere i “delicta graviora” in “prima istanza” giudiziale e amministrativa (1) Secondo la vigente normativa, la CDF è l’unico organo della Chiesa competente ratione materiae per giudicare uno di tali delicta graviora sin dalla prima istanza, in via giudiziale o amministrativa. Vi è un’eccezione relativamente ai delitti contro la fede: in prima istanza è competente l’Autorità locale ex art. 2 § 2 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, eccezione ricordata dal Proemio del Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014. Ne consegue che, tranne in dette cause contro la fede, senza la “delega” conferita dalla CDF, tutti i Tribunali locali o le Autorità amministrative di “prima istanza” sono assolutamente incompetenti e le loro sentenze giudiziali o i loro decreti amministrativi
24 Ringrazio la gentilezza dei Proff. Carlo Dezzuto, John Paul Kimes e Claudio Papale, Ufficiali presso la CDF, per aver messo a mia disposizione loro studi in corso di stampa e per aver chiarito pazientemente i miei dubbi su diversi particolari della procedura sui delicta graviora. Fra la bibliografia al riguardo, cfr., fra gli altri, Damián G. Astigueta, L’investigazione previa, in: Andrea D’Auria/Claudio Papale (a cura di), I delitti riservati alla CDF (nota 8), pp. 79 – 108; Davide Cito, Commento alle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, in: Massimo del Pozzo/Joaquín Llobell/Jesús Miñambres (a cura di), Norme procedurali canoniche commentate, Roma, 2013, pp. 628 – 655; Andrea D’Auria, La scelta della procedura per l’irrogazione delle pene, in: Questioni attuali di diritto penale canonico (nota 8), pp. 113 – 134, e in: Andrea D’Auria/Claudio Papale (a cura di), I delitti riservati alla CDF (nota 8), pp. 129 – 157; Carlo Dezzuto, Le principali obiezioni alla prassi della Congregazione per la Dottrina della Fede nel trattamento dei casi di “delicta graviora”, in: Pontificia Università Urbaniana, Corso intensivo su “I delitti riservati alla Congregazione per la Dottrina della Fede”, sotto il patrocinio della CDF, 24 – 25 marzo 2014, Urbaniana University Press, Città del Vaticano, 2015, in corso di stampa); John Paul Kimes, Considerazioni generali sulla riforma legislativa del motu proprio “Sacramentorum sanctitatis tutela”, in: Andrea D’Auria/ Claudio Papale (a cura di), I delitti riservati alla CDF (nota 8), pp. 11 – 28; Id., Le linee guida delle Conferenze Episcopali, in: Corso intensivo, 24 – 25 marzo 2014, cit.; Id., Le “Essential Norms” della Conferenza Episcopale degli Stati Uniti d’America, in: Corso intensivo, 24 – 25 marzo 2014, cit.; Claudio Papale, Traccia di un caso di un delitto contro la morale, in: Andrea D’Auria/Claudio Papale (a cura di), I delitti riservati alla CDF (nota 8), pp. 181 – 191; Id., Errori procedurali più ricorrenti nei casi di “delicta graviora”, in: Corso intensivo, 24 – 25 marzo 2014, cit.; Charles J. Scicluna, Delicta graviora: ius processuale (nota 16), pp. 109 – 128. Nelle pagine successive, alla numerazione dei titoletti, ho aggiunto un’altra correlativa riguardante diversi paragrafi (indicati fra parentesi) per facilitare i rinvii interni.
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saranno nulli per incompetenza assoluta (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 16). (2) Invero, è evidente la competenza assoluta della CDF in via amministrativa e nella seconda istanza giudiziale, per cui senza la commissione della CDF l’incompetenza dell’organo inferiore locale sarebbe assoluta.25 Invece, almeno nel sistema precedente al m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela” (30 aprile 2001), i tribunali locali di prima istanza erano competenti sicuramente in via giudiziale, tranne che ci fosse l’avocazione della causa da parte della CDF in seguito alla comunicazione della notitia criminis alla Congregazione. Pertanto (analogamente alla vigente normativa sui delitti contro la fede, appena ricordata), i tribunali locali di prima istanza non avevano bisogno di ricevere dalla CDF la commissione della competenza: “Congregatio S. Officii […] Iudicat de iis delictis quae sibimet secundum propriam eiusdem legem reservantur, cum potestate has criminales causas videndi non solum in gradu appellationis a tribunali Ordinarii loci, sed etiam in prima instantia, si directe ad ipsam delatae fuerint.” (c. 247 § 2 del CIC 1917) “De infando hoc crimine cognoscere in prima instantia spectat ad locorum Ordinarios in quorum territorio Reus residentiam habet.” (art. 2 dell’istr. “Crimen sollicitationis” [1922/ 1962] cit. in nota 7)
Anzi, per il delitto di pedofilia, una norma del 1994 affermava (correttamente) non solo l’ordinaria competenza dei tribunali diocesani di prima istanza degli Stati Uniti d’America (e delle altre diocesi della Chiesa), ma anche (erroneamente) di quelli ordinari di appello, sia di quelli locali sia della Rota Romana a norma del c. 1444 § 1, 18.26 Inoltre, questo impianto continuerebbe ad essere accolto sia dall’art. 13 del m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela”, 30 aprile 2001, che dall’art. 16 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010. Ma non è questa la sede per approfondire tale problematica.27 (3) Comunque, qualora il provvedimento dell’Autorità locale fosse insanabilmente nullo per incompetenza assoluta ratione materiae o per altri motivi, e gli atti riguardanti siano deferiti alla CDF, il Congresso della Congregazione può sanare 25 “In ogni caso si stabilisce la competenza esclusiva in secondo grado della CDF rispetto a qualunque altra istanza giudiziaria” (Davide Cito, Commento alle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 16 [nota 24], p. 646). 26 Cfr. Segreteria di Stato, Rescritto “ex audientia Sanctissimi” in favore della Conferenza episcopale degli USA sulla deroga “ad tempus” di norme penali e processuali riguardanti i cc. 1395 § 2 e 1362 § 1, 18, 25 aprile 1994, in: Ius Ecclesiae 8 (1996), p. 193; versione latina in Gregory Ingels, Dismissal from the Clerical State: An Examination of the Penal Process, in: Studia Canonica 33 (1999), pp. 208 – 212. Il 30 novembre 1998 è stata concessa la proroga di detta deroga fino il 26 aprile 2009 (cfr. ibidem). 27 Per la situazione precedente il m.p. “Sacramentorum sanctitatis tutela”, 30 aprile 2001, cfr. Joaquín Llobell, I delitti riservati alla Congregazione per la Dottrina della Fede, in: Gruppo italiano docenti di diritto canonico (a cura di), Quaderni della Mendola, vol. 5: Le sanzioni nella Chiesa, Milano, 1997, §§ 3 – 5, pp. 254 – 264.
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tali atti, inclusa la decisione di “prima istanza” (giudiziale o amministrativa) dell’Autorità locale, fatto salvo il diritto alla difesa (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 18). In tale fattispecie, il provvedimento sanato (giudiziale o amministrativo) dell’Autorità locale diventa “approvato” dalla CDF, ma l’autore formale della decisione di prima istanza (giudiziale o amministrativa) sul merito resta l’Autorità diocesana. Ad ogni modo, questo provvedimento che il Congresso della CDF ha meramente “probatus”, non “latus”, è impugnabile solo presso la “Feria IV” ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 27.28 Il motivo sembra ovvio: il Congresso, sanando e approvando il provvedimento nullo dell’Autorità locale, già si è pronunciato sul merito della causa. Di conseguenza, una nuova decisione del Congresso su tale causa nella veste di Superiore che decide il ricorso gerarchico contro il provvedimento locale sanato intaccherebbe sia il principio del “ne bis in idem”, sia il diritto al doppio grado di giurisdizione. 2. Sul momento e sull’oggetto dell’obbligo dell’Autorità locale d’informare la CDF e sulle diverse possibili risposte del Dicastero (4) Tranne quando la notitia criminis appare completamente inverosimile (notizia da conservare nell’archivio segreto dell’Autorità locale), l’Ordinario o il Gerarca deve svolgere l’indagine previa e trasmetterla alla CDF assieme al suo parere: l’Autorità locale è obbligata ad inviare alla CDF gli atti dell’indagine previa anche quando dalla stessa emerga, a giudizio di detta Autorità, l’impossibilità del delitto (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 16).29 L’Autorità locale può sollecitare la CDF che la causa si svolga in via giudiziale o amministrativa in prima istanza, sia presso detta Autorità locale sia presso la CDF. La Congregazione, non essendo vincolata dalla richiesta dell’Autorità inferiore, può avocare a sé la causa in “prima istanza” oppure ordinare all’Autorità locale di procedere ulteriormente in via giudiziale o amministrativa, fermo restando tuttavia che il provvedimento locale di primo grado deve essere sempre inviato alla CDF e potrà essere impugnato soltanto presso la Congregazione (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 16 e 26).
28
Cfr. Claudio Papale, Errori procedurali più ricorrenti nei casi di “delicta graviora” (nota 24), § 8. 29 Cfr. Claudio Papale, Errori procedurali più ricorrenti nei casi di “delicta graviora” (nota 24), §§ 2 e 3.
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3. I membri del Congresso della CDF (5) Secondo l’articolo 65 § 1 del Regolamento interno della CDF (22 ottobre 1995), conformemente al RGCR30, al Congresso prendono parte il Prefetto, il Segretario, il Sottosegretario, il Promotore di giustizia per le questioni di sua competenza, il Capoufficio interessato, gli Officiali che seguono le questioni da trattare e l’Officiale che verbalizza le decisioni. Il § 2 del medesimo articolo 65 (cfr. RGCR, art. 118 § 3) stabilisce che il Congresso si riunisce legittimamente se vi sono almeno due Superiori della Congregazione (fra il Prefetto, il Segretario e il Sottosegretario), il Capoufficio interessato e l’Officiale responsabile della pratica. Presso la CDF, per motivi contingenti, è stato nominato un altro Superiore del Dicastero: il Segretario Aggiunto31 che, non essendo previsto dall’organico della CDF, non è contemplato dal Regolamento del Dicastero del 1995. Tale norma, come il RGCR (cfr. artt. 119 e 120), non stabilisce chi, fra i membri del Congresso, abbia voce deliberativa o meramente consultiva. Riunito il Congresso, l’Officiale responsabile espone la questione. A continuazione, esprimono il loro parere sul caso, in ordine inverso alla loro posizione giuridica, il Capoufficio, il Promotore di giustizia, il Sottosegretario, il Segretario Aggiunto, il Segretario e il Prefetto. Comunque, la decisione finale compete solo a chi presiede il Congresso: il Prefetto o, in sua assenza, il Segretario. Tale provvedimento monocratico potrà differire dal parere di tutti gli altri membri del Congresso, così come avviene presso la Segnatura Apostolica in cui la decisione spetta soltanto al Prefetto “in Congresso”32. Il Promotore di giustizia non è un Superiore malgrado, dal 18 ottobre 2007, sia equiparato al Sottosegretario agli effetti della loro retribuzione economica, ecc.33. Il compito del Promotore di giustizia è duplice: sostenere l’accusa nelle cause giudiziali penali (vide infra § 2.9, f]) e dare qualificati pareri pro rei veritate sulla retta applicazione della legge, qualora il suo intervento sia richiesto dalla legge e dalla legittima autorità.34
30 Cfr. Segreteria di Stato, Rescriptum ex audientia SS.mi “Il 4 febbraio”, quo Ordinatio generalis Romanae Curiae foras datur (Regolamento Generale della Curia Romana), 30 aprile 1999, art. 118 § 1, modificato il 18 ottobre 2007, in: AAS 91 (1999), pp. 629 – 699, testo aggiornato dall’ULSA con le modifiche fino a quella del 28 novembre 2011, in: ULSA Bollettino, 19 (2011): http://www.vatican.va/roman_curia/labour _office/docs/documents/ulsa_b19_7_it.html, in seguito citato: RGCR; Regolamento Proprio della Congregazione per la Dottrina della Fede, ad usum internum, 22 ottobre 1995, art. 65 (cfr. http://www.vatican.va/ roman_curia/congregations/cfaith/documents /rc_con_cfaith_pro_14071997_it.html) [30 ottobre 2014]. 31 Cfr. Annuario Pontificio, 2014, p. 1157; http://www.vatican.va/roman_curia/ congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_pro_14071997_it.html) [30 ottobre 2014]. 32 Cfr. Lp SAp 2008 (nota 10), art. 22. 33 Cfr. RGCR (nota 30), art. 5 § 2. 34 Cfr. cc. 1430, 1431; Lp SAp 2008 (nota 10), art. 7 §§ 1 e 2.
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4. I provvedimenti del Congresso sull’indagine previa dell’Autorità locale e la decisione dell’“Incaricato” del Congresso sul merito della causa (6) Il Congresso può considerare che l’indagine previa svolta dall’Autorità locale: a) Non meriti di procedere ad ulteriora, ad es., perché carente del minimo fumus boni iuris richiesto (“quando la denuncia sia manifestamente falsa”35), o perché si tratta di una fattispecie per la quale la CDF è assolutamente incompetente, atteso che il fatto non costituiva un delitto riservato alla CDF prima della promulgazione delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, ecc. b) Sia adeguata per avviare la procedura giudiziale o amministrativa penale sia presso l’istanza locale (con o senza la possibilità d’infliggere pene perpetue ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 18), sia presso la CDF. Qualora la CDF avochi a sé la causa per deciderla “in prima istanza” in via extragiudiziale, la procedura amministrativa potrebbe essere svolta sia presso il medesimo Congresso (soluzione meramente teorica), sia (ed è la prassi adoperata) affidandola ad un “Incaricato”, assistito da due assessori ex c. 1720, 28. Il processo giudiziale presso la CDF richiederà la nomina del rispettivo Tribunale di prima istanza, in cui il Promotore di giustizia sarà la parte attrice (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 8 § 2, 11, 14, 15, 23, 26 § 2). In caso di avocazione della causa alla CDF, i provvedimenti, amministrativi o giudiziali, di “prima istanza” sono imputabili all’“Incaricato” o al Tribunale, i quali agiscono con potestà delegata a nome della Congregazione. Queste decisioni non possono essere attribuite al Congresso che li ha nominati. c) Sia carente dei presupposti richiesti dal procedimento penale, ma consente, integrando la procedura se ciò fosse necessario, l’adozione di provvedimenti disciplinari o cautelari, ad es. nelle fattispecie non penali “per le quali il parroco può essere legittimamente rimosso dalla sua parrocchia” (CIC c. 1741; cfr. CCEO c. 1390).36 d) Evidenzi una fattispecie particolarmente grave che consente di “deferire [la causa] direttamente alla decisione del Sommo Pontefice in merito alla dimissione dallo stato clericale o alla deposizione, insieme alla dispensa dalla legge del celibato, […] quando consta manifestamente il compimento del delitto, dopo 35
Charles J. Scicluna, Delicta graviora: ius processuale (nota 16), § 3.1, p. 115. Cfr. G. Paolo Montini, I rimedi penali e le penitenze: un’alternativa alle pene, in: Zbigniew Suchecki (a cura di), Il processo penale canonico, 2a ed., Roma, 2003, pp. 75 – 101; Francisca Pérez-Madrid, Derecho administrativo sancionador en el ordenamiento canónico, Pamplona, 1994; Id., Derecho administrativo sancionador en el ordenamiento canónico, in: Zbigniew Suchecki (a cura di), Il processo penale canonico, cit. in questa nota, pp. 383 – 412. 36
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che sia stata data al reo la facoltà di difendersi” (“Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 28). (7) “Se il caso viene deferito direttamente alla Congregazione, senza condurre l’indagine previa, i preliminari del processo, che per diritto comune spettano all’Ordinario o al Gerarca, possono essere adempiuti dalla Congregazione stessa” (“Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 17). Ad ogni modo, tranne che la notitia criminis sia inverosimile, la Congregazione chiede abitualmente all’Autorità locale che porti a termine l’indagine previa e poi la trasmetta al Dicastero con il suo parere. Qualora, invece, la notitia criminis consenta, a giudizio del Congresso, di avviare il processo penale senza necessità dell’indagine previa, la CDF, tranne che trattenga la causa per deciderla in via giudiziale o amministrativa, affiderà la causa all’Autorità locale affinché avvii il processo penale, esplicitando se deve seguire la via giudiziale o quella amministrativa ed, eventualmente, in questa seconda fattispecie, se potrà infliggere una pena perpetua (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 18). (8) Difatti, alla CDF è lecito, d’ufficio o su istanza dell’Ordinario o del Gerarca, consentire che l’Autorità locale possa irrogare per decreto extragiudiziale pene espiatorie perpetue (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 18; vide supra § 2.4, n. 6, b]). Detta facoltà può essere stabilita sia assieme al mandato iniziale di procedere in via amministrativa, sia successivamente ma prima del provvedimento di condanna da parte dell’Autorità locale, a richiesta della medesima o ex mandato della CDF.37 5. L’iter nel processo giudiziale (9) La sentenza di prima istanza del Tribunale locale (collegiale ex c. 1425 §§ 1, 28 e 4 del CIC e ex c. 1084 §§ 1, 38 e 3 del CCEO) può essere appellata soltanto al Tribunale collegiale costituito, abitualmente ad casum, dal Prefetto in Congresso ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 9 § 3, 10, 20, 18. Data la mole di lavoro, la CDF ha instaurato la prassi di chiedere ad alcuni tribunali locali di agire come Tribunali di seconda istanza della CDF ex commissione. Questi Tribunali hanno tutte le prerogative del Tribunale d’appello della CDF.38 La sentenza di prima istanza (del Tribunale locale o del Tribunale della CDF, assolutoria o di condanna) passa in giudicato qualora manchi l’appello ad normam iuris; la sentenza di seconda istanza passa in giudicato ope legis, a prescindere dalla conformità con la sentenza di prima istanza (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 28).
37 Cfr. Claudio Papale, Errori procedurali più ricorrenti nei casi di “delicta graviora” (nota 24), § 6.2. 38 Cfr. Charles J. Scicluna, Delicta graviora: ius processuale (nota 16), § 5.2, p. 120.
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(10) La sentenza di prima istanza presso la CDF è emessa dal Tribunale collegiale costituito, abitualmente ad casum, dal Prefetto in Congresso ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 9 § 3, 10, 20, 28, 22. (11) Tale sentenza della CDF può essere appellata presso un Collegio di giudici nominato dal Prefetto fra i Padri del Dicastero (vale a dire, fra i membri della “Feria IV”) ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 9 §§ 1 e 2, 20, 28, 22. Tuttavia, l’appello contro la sentenza di primo grado della CDF, di fatto, è giudicato soltanto presso un altro Tribunale collegiale costituito, ad casum, dal Prefetto in Congresso ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 9 § 3, 10, 20, 28, 22. Come testé indicato, la sentenza di seconda istanza passa in giudicato ope legis, purché sia valida (“Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 28, 18). Contro il giudicato è possibile la restitutio in integrum qualora vi siano i severi presupposti richiesti dalla legge (cfr. cc. 1645 – 1648 del CIC; cc. 1326 – 1329 del CCEO). 6. L’iter nella procedura extragiudiziale (12) Il primo decreto extragiudiziale dell’Autorità locale può essere impugnato soltanto dinanzi al Congresso della CDF che poi nomina un “Incaricato” assistito da due “assessori”, designati in modo analogo ai giudici che non sono Padri del Dicastero. In nessuna delle fasi del ricorso gerarchico amministrativo per un delictum gravius è richiesta la remonstratio (la richiesta di modificare il decreto) all’autore del provvedimento che si intende impugnare (cfr. c. 1734 § 1 del CIC; c. 999 del CCEO; RGCR, art. 135)39 Tali “incaricati” e i loro assessori possono essere membri dell’Ufficio Disciplinare della CDF. Il secondo decreto extragiudiziale, quello dell’“Incaricato” nominato dal Prefetto in Congresso, con il quale si decide il ricorso gerarchico contro il provvedimento “di prima istanza” dell’Autorità locale, in quanto primo atto amministrativo singolare “emesso” dalla CDF, può essere impugnato sia innanzi alla “Feria IV” (presieduta, come il Congresso, dal Prefetto della CDF) ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 27, sia innanzi al nuovo “Collegio” che è configurato come “un’istanza di cui la Sessione Ordinaria (Feria IV) della Congregazione si dota per una maggiore efficienza nell’esame dei ricorsi di cui all’art. 27 SST, senza che vengano modificate le sue competenze in materia così come stabilite dal medesimo art. 27 SST” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3). Nella fattispecie che stiamo considerando (l’impugnazione del primo provvedimento extragiudiziale della CDF), la prassi della Congregazione non considera 39 Questa manifestazione di epikeia è prevista anche nei confronti dei provvedimenti amministrativi singolari dei dicasteri della Curia Romana: possono essere direttamente impugnati presso la Segnatura Apostolica senza chiedere la remonstratio al dicastero (cfr. Lp SAp 2008 [nota 10], art. 114 § 2).
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“approvato” il decreto dell’Autorità inferiore per il fatto che il decreto extragiudiziale della CDF confermi completamente il provvedimento dell’Autorità amministrativa inferiore. In questo caso la CDF considera “nuovo” (di “seconda istanza”) il proprio provvedimento con il quale definisce il ricorso gerarchico ratificando completamente il provvedimento di “prima istanza” dell’Autorità locale. Tale decreto di ratifica è considerato “emesso” (“latus”) dalla Congregazione. Non si tratta dell’“approvazione” (“probatio”) del decreto dell’Autorità inferiore ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 27. Agli effetti della formazione del primo provvedimento amministrativo della CDF nei confronti della decisione di “prima istanza” dell’Autorità locale, l’“approvazione” è un istituto che la CDF riserva alla fattispecie descritta nel § 2.1, n. 3.40 (13) Il primo decreto extragiudiziale della Congregazione può essere stato “emesso” da un “Incaricato” della CDF assistito da due “assessori”, perché la CDF ha avocato a sé la causa all’inizio della procedura ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 16 o perché l’avocazione della CDF avviene in seguito alla ricezione di una decisione insanabilmente nulla ex art. 18 (ad es., per palese lesione del diritto di difesa) dell’Autorità locale alla quale la stessa CDF aveva richiesto di procedere in via amministrativa. La Congregazione potrebbe rinviare la causa all’Autorità inferiore affinché sani la procedura viziata, ma la Congregazione può anche dichiarare la nullità di detta procedura ed avocare a sé la causa (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 18; CIC c. 1739; CCEO c. 1004). In questa seconda fattispecie, il primo decreto amministrativo valido della causa sarà quello “emesso” (“latus”) dalla CDF, che potrà essere impugnato sia presso la “Feria IV” ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 27, sia presso il nuovo “Collegio” ex Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3, tranne che il Regolamento del nuovo organo indichi diversamente. 7. La competenza della “Feria IV” secondo la giurisprudenza della CDF precedente il Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014 (14) Secondo l’interpretazione e l’applicazione dell’art. 27 delle “Normae de delictis CDF reservatis” (21 maggio 2010), precedente il Rescritto “ex audientia Sanctissimi” (3 novembre 2014), la “Feria IV” della CDF è competente soltanto per decidere il ricorso gerarchico contro il primo provvedimento amministrativo singolare della CDF, “latus” o “probatus” (vide supra § 2.1, n. 3 e § 2.6, n. 12), nonostante tutti i Membri (i Padri) della “Feria IV” siano per lo stesso diritto (ipso iure) i titolari della potestà giudiziale (i Giudici stricto sensu) di questo Supremo Tribunale (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 9 § 1). La 40 Cfr. Claudio Papale, Errori procedurali più ricorrenti nei casi di “delicta graviora” (nota 24), § 8.
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decisione extragiudiziale della CDF impugnata presso la “Feria IV” potrà essere la prima sul merito della causa (ad es., perché la CDF ha avocato a sé la causa) e perciò si tratterà necessariamente di un decreto “emesso” dalla CDF. Ad ogni modo, la decisione impugnata potrà essere anche la seconda sul merito della causa, quando si tratti del primo provvedimento della CDF con cui decide il ricorso gerarchico contro il decreto extragiudiziale dell’Autorità locale.41 (15) Nella fattispecie descritta nel § 2.1, n. 3, il provvedimento amministrativo nullo dell’Autorità inferiore, che è stato sanato dal Congresso della CDF, fatto salvo il diritto alla difesa (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 18), diventa “approvato” e fatto proprio dalla CDF. Di conseguenza, è impugnabile anche solo presso la “Feria IV” ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 27 (vide supra § 2.1, n. 3 e § 2.6, nn. 12 e 13). (16) In sintesi, secondo la prassi della CDF, il primo provvedimento amministrativo singolare della Congregazione (a prescindere se ci sia un precedente decreto extragiudiziale dell’Autorità locale) ammette solo il ricorso amministrativo presso la “Feria IV”, senza che il Promotore di giustizia adempia l’ufficio di parte attrice, tipico del processo penale giudiziale (vide infra § 2.9, f]). (17) Invece, la sentenza giudiziale di prima istanza di un collegio giudicante nominato ad casum dal Prefetto ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 9 § 3 e 10, non può essere appellata presso la “Feria IV”, potendosi impugnare in seconda istanza in via giudiziale soltanto dinanzi ad un altro Tribunale nominato dalle stesse persone che hanno costituito il Tribunale di primo grado (il Prefetto in Congresso), essendo tale l’interpretazione (discutibile: vide supra § 2.7, n. 14) della CDF delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 20, 28. (18) La “Feria IV” non interviene nemmeno per valutare se si danno le condizioni per la fattispecie di cui alle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 28: “deferire direttamente alla decisione del Sommo Pontefice in merito alla dimissione dallo stato clericale o alla deposizione, insieme alla dispensa dalla legge del celibato, i casi più gravi, quando consta manifestamente il compimento del delitto, dopo che sia stata data al reo la facoltà di difendersi”. La decisione di sollecitare tale provvedimento al Santo Padre è di competenza del Congresso della CDF, a richiesta dell’Autorità locale o a proposta dell’Ufficiale della CDF al quale è stato affidato lo studio della causa (vide supra § 2.3, n. 5). La CDF redige il rescritto notificando la decisione del Sommo Pontefice a firma di due Superiori fra i quattro membri del Congresso che hanno la qualifica di Superiori della CDF.42 41
Cfr. Claudio Papale, Errori procedurali più ricorrenti nei casi di “delicta graviora” (nota 24), § 8. 42 Vide supra § 2.3, n. 5. Cfr. Charles J. Scicluna, Delicta graviora: ius processuale (nota 16), § 3.4, p. 116.
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(19) La “Feria IV” non interviene neanche qualora vi sia stato il mandato del Romano Pontefice affinché la CDF possa giudicare, in via giudiziale o amministrativa, le persone di cui alle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 1 § 2.43 In via giudiziale, concesso il mandato del Papa, il Prefetto in Congresso procederà alla nomina del Tribunale di prima istanza e, qualora ci sia l’appello, di quello di seconda istanza, la cui sentenza valida diventa giudicato, a prescindere dalla conformità con quella di primo grado (“Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 28, 18). Se sarà seguita invece la via amministrativa, il Prefetto in Congresso nominerà l’“Incaricato” e due “assessori”. In questa fattispecie, trattandosi del provvedimento amministrativo di “primo grado” della CDF, vi è il diritto al ricorso alla “Feria IV” ex art. 27. 8. Il nuovo Collegio, all’interno della CDF, per l’esame dei ricorsi di ecclesiastici per i “delicta graviora” creato con un Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014 (20) Il 19 maggio 2014, il Bollettino della “Sala Stampa” della Santa Sede, alla sezione “Rinunce e nomine”, informava: “il Santo Padre Francesco ha nominato Membro della Congregazione per la Dottrina della Fede nell’erigenda Commissione di esame dei ricorsi di Ecclesiastici per ‘delicta graviora’ S. E. Mons. José Luis Mollaghan, finora Arcivescovo Metropolita di Rosario (Argentina)”44. Tale intenzione in ordine ai delitti riservati alla CDF è stata compiuta da Papa Francesco con il Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014 (reso pubblico il successivo giorno 11). Il nuovo “Collegio” non soltanto è un organo “all’interno della CDF” (come indica il titolo del Rescritto “ex audientia Sanctissimi”), ma è anche, più precisamente, “un’istanza di cui la Sessione Ordinaria (Feria IV) della Congregazione si dota per una maggiore efficienza nell’esame dei ricorsi di cui all’art. 27 SST, senza che vengano modificate le sue competenze in materia così come stabilite dal medesimo art. 27 SST” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3). Questa appartenenza alla “Feria IV” (con una specifica identità e autonomia) dei membri del “Collegio” nominati dal Papa fra Cardinali e Vescovi che, fino alla nomina come componenti del “Collegio”, non ne appartenevano emerge anche dalla designazione dell’Arcivescovo argentino fatta dal Santo Padre a maggio 2014, quando il “Collegio” (che allora era denominato “Commissione”) ancora non era stato eretto. Vale a dire, il nuovo “Collegio” non è un organo esterno alla “Feria IV”, né tantomeno alla CDF, presso il quale impugnare il provvedimento amministrativo penale della “Feria IV”. Il nuovo “Collegio” non 43 “Nei delitti di cui al § 1, previo mandato del Romano Pontefice, la Congregazione per la Dottrina della Fede ha il diritto di giudicare i Padri Cardinali, i Patriarchi, i Legati della Sede Apostolica, i Vescovi, nonché le altre persone fisiche di cui al can. 1405 § 3 del CIC e al can. 1061 del CCEO” (“Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 1 § 2). 44 Vide supra nota 11.
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sostituisce il contenzioso-amministrativo presso la Segnatura Apostolica, ricorso che è vietato dall’art. 27 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010. Il nuovo “Collegio” si presenta formalmente come un’istanza più snella e probabilmente “prioritaria” della “Feria IV”, atteso che il Collegio è “formato da sette Cardinali o Vescovi” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 1), meno dei membri della “Feria IV”. Anzi, considerato che la finalità della norma è quella di “garantire un più rapido esame” dei ricorsi di competenza della “Feria IV” (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, Proemio), sarebbe proponibile che il nuovo “Collegio” possa agire, oltre che nell’adunanza plenaria dei sette membri, in turni di tre o di cinque: “un apposito Regolamento interno determinerà le modalità operative del Collegio” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 6). Vi sono diverse questioni che adesso è possibile soltanto enunciare e che potrebbero essere risolte dal Regolamento. In via esemplificativa, chi, quando e come stabilire se una causa sarà affidata alla “Feria IV” stricto sensu o al nuovo “Collegio”. (21) Ad ogni modo, il fatto che i componenti del nuovo “Collegio” possano essere membri esterni al Dicastero e che il Presidente, nominato dal Papa come gli altri integranti del Collegio, non debba essere uno dei “Superiori” della Congregazione (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, nn. 1 e 2), fa pensare (quantunque il Rescritto “ex audientia Sanctissimi” non vi accenni) a persone esperte in diritto e che garantiscano la distinzione fra i membri delle diverse istanze presso la CDF e, di conseguenza, la loro imparzialità. Difatti, tale terzietà non è formalmente tutelata quando coloro che, essendo membri della “Feria IV”, fanno parte anche del Congresso della CDF (il Prefetto, il Segretario e il Segretario Aggiunto), atteso che facilmente saranno stati implicati sin dall’introduzione della causa presso la CDF ex art. 16 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, e, almeno indirettamente, anche dal primo provvedimento sul merito presso la CDF, quello poi impugnato presso la “Feria IV”. 9. Sulla competenza in via amministrativa del nuovo “Collegio” a) Il nuovo “Collegio” dovrebbe sostituire di fatto l’ordinaria “Feria IV”, senza intaccare, tuttavia, la competenza ope legis della medesima, per i ricorsi contro tutti gli atti amministrativi della CDF ex “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 27 (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3). b) Invece è da escludere la competenza sui semplici ricorsi gerarchici al Congresso della CDF nei confronti dei provvedimenti amministrativi delle Autorità locali alla CDF: lo vieta la norma che identifica la competenza del nuovo “Collegio” con quella della “Feria IV” ex art. 27 delle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010 (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3).
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c) Il Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, avrebbe potuto affidare al nuovo “Collegio” la facoltà di richiedere al Santo Padre il provvedimento di cui alle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 21 § 2, 28. Invece, essendo di competenza del Congresso (vide supra § 2.4, n. 6, d] e § 2.7, n. 18), tale facoltà non appartiene, in via ordinaria, alla “Feria IV” né, di conseguenza, al nuovo “Collegio”. d) Sempre in via amministrativa, il nuovo “Collegio” avrebbe ricevuto la competenza di decidere in “prima istanza” le cause delle persone di cui alle “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 1 § 2, “qualora il reo sia insignito della dignità episcopale” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 4). Sarebbe così, a mio parere, come si dovrebbe interpretare la continuazione del n. 4 del rescritto: “il suo ricorso [del Vescovo contro il provvedimento di condanna] sarà esaminato dalla Sessione Ordinaria [la ‘Feria IV’], la quale potrà anche decidere [senza il previo provvedimento del nuovo ‘Collegio’] casi particolari a giudizio del Papa” (ibidem). Vale a dire, il “previo mandato del Romano Pontefice” (“Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 1 § 2) per giudicare Vescovi (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014) sarebbe concesso in prima istanza (amministrativa o giudiziale) sempre al “Collegio” e non ad un organo nominato dal Congresso, considerata la trascendenza ecclesiale e sociale della causa. Per questo motivo (evitare il “bis in idem”) il rescritto sancisce che il ricorso gerarchico non può essere interposto dinanzi al “Collegio” ma alla Sessione Ordinaria della “Feria IV”. e) La norma ha una prudente clausola di supplenza della “Feria IV” nei confronti del nuovo “Collegio”, il quale potrà deferire alla “Feria IV” “altri casi a giudizio del Collegio” (ibidem). Non appare possibile invece che contro il primo provvedimento della CDF ad opera di un Turno del nuovo “Collegio” vi sia alcun ricorso ad un Turno superiore del medesimo Collegio, in modo (amministrativo) analogo al sistema (giudiziale) tradizionale presso la Rota Romana.45 Tale ricorso è di competenza dell’ordinaria “Feria IV” (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 4). f) Inoltre, il “Collegio” potrebbe ricevere dal Papa (non dal Regolamento, tranne che fosse approvato in forma specifica dal Pontefice) la competenza per decidere il ricorso gerarchico proposto dal Promotore di giustizia contro i provvedimenti amministrativi decisi dall’Autorità locale in modo assolutorio dell’accusato o in un altro modo mite, considerato inadeguato dal Congresso. Tale valutazione del Congresso sul merito renderebbe detto organo incompetente per designare un Incaricato e i suoi due assessori. Il nuovo “Collegio”, invece, ha la dovuta indipendenza per garantire la giustizia della decisione, sia questa di ratifica del provvedimento dell’Autorità locale, sia di condanna 45 Cfr. Normae Rotae Romanae Tribunalis, 18 aprile 1994, artt. 17 – 21, 57 § 2, 113, ecc. in: AAS 86 (1994), pp. 508 – 540.
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dell’accusato. In tale modo si verrebbe a colmare una lacuna di legge sull’impugnabilità del provvedimento amministrativo “benigno”, che non sarà impugnato dall’accusato assolto o mitemente punito, ma che neanche lo potrà essere dal Promotore di giustizia, diversamente da quanto è previsto in via giudiziale (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 23 e 26). Difatti, l’introduzione della possibilità dell’impugnazione del provvedimento amministrativo da parte del Promotore di giustizia sarebbe agevolata dall’obbligo (contestuale alla notifica della sentenza, o del decreto extragiudiziale, alle parti) imposto in via giudiziale a qualsiasi Tribunale dall’art. 26 § 1 e dal rispettivo diritto-dovere del Promotore di giustizia della CDF ex art. 26 § 2: “§ 1. […] terminata in qualunque modo l’istanza in un altro Tribunale, tutti gli atti della causa siano trasmessi d’ufficio quanto prima alla Congregazione per la Dottrina della Fede. § 2. Il diritto del Promotore di Giustizia della Congregazione di impugnare la sentenza decorre dal giorno in cui la sentenza di prima istanza è stata notificata al medesimo Promotore”. Questa “giudizializzazione” della procedura amministrativa, concettualizzata da Davide Cito come “procedura amministrativa rinforzata”46, garantirebbe la tutela del diritto di difesa delle vittime, della comunità e dell’accusato.
10. Sulla competenza in via giudiziale del nuovo “Collegio” Nell’impianto dell’attuale prassi della CDF, la “Feria IV” è competente soltanto per i ricorsi gerarchici contro i provvedimenti amministrativi presso la CDF. Secondo detta prassi, la “Feria IV” sarebbe assolutamente incompetente in ambito giudiziale. Ad ogni modo, abbiamo ricordato che i membri della “Feria IV” hanno ope legis la potestà giudiziale del Supremo Tribunale della Congregazione per la Dottrina della Fede e, di conseguenza, sono giudici stricto sensu (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 8 e 9; vide supra § 2.5, n. 11 e § 2.7, n. 14). Inoltre, il Proemio del Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, sottolinea che, nel giudicare i delitti riservati, “la CDF procede tramite processo penale, giudiziale o amministrativo (cfr. art. 21 § 1 e § 2, n. 1 SST)”. Da tale affermazione deriva la possibilità di sostenere che il nuovo “Collegio” – in quanto “è un’istanza [della] Sessione Ordinaria (Feria IV) della Congregazione” – non solo partecipa della competenza “nell’esame dei ricorsi di cui all’art. 27 SST” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 3), cosa certa perché esplicitamente dichiarata, ma possa condividere anche la potestà giudiziale propria della “Feria IV” in quanto tale Collegio è una mera nuova istanza del medesimo Tribunale, con la sua stessa competenza e senza intaccare la possibilità del Prefetto in Congresso di nominare, stabilmente o ad casum, un Tribunale di appello (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, artt. 8 – 10, 16, 20, 26 § 1, 46 Cfr. Davide Cito, Note alle nuove norme sui “Delicta graviora”, in: Ius Ecclesiae 22 (2010), p. 798.
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28). Qualora una tale interpretazione sia condivisibile, il nuovo “Collegio” sarebbe competente per giudicare in via giudiziale stricto sensu: a) Gli appelli contro le sentenze di prima istanza sia di un Tribunale locale, sia di un Tribunale della CDF nominato dal Prefetto in Congresso (vide supra § 2.7, n. 17). b) Il giudizio di prima istanza nei confronti dei Vescovi (cfr. Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 4). Se il nuovo “Collegio” è competente in prima istanza extragiudiziale (vide supra § 2.9, d]) dovrebbe esserlo anche in via giudiziale in quanto prima istanza dell’ordinaria “Feria IV”. L’appello competerebbe alla “Feria IV”, in modo analogo al ricorso in via amministrativa (ibidem). c) La restitutio in integrum contro le sentenze dell’Autorità locale o del Tribunale nominato dal Prefetto in Congresso passate in giudicato (cfr. “Normae de delictis CDF reservatis”, 21 maggio 2010, art. 28), in modo analogo alla competenza della Segnatura Apostolica nei confronti della Rota Romana.47 (22) In ogni caso, è evidente la complessità per armonizzare le competenze del nuovo “Collegio” con quelle dell’Ufficio disciplinare, del Congresso e della “Feria IV” della CDF: “un apposito Regolamento interno determinerà le modalità operative del Collegio” (Rescritto “ex audientia Sanctissimi”, 3 novembre 2014, n. 6). Per facilitare la celerità delle cause, finalità affidata al nuovo organo dal Proemio del Rescritto, il Regolamento potrebbe stabilire che il nuovo “Collegio” possa esercitare le proprie competenze in turni di tre o di cinque Membri, oltre che nell’adunanza plenaria dei sette Membri.
47 Cfr. PB art. 122, 18; Lp SAp 2008 (nota 10), artt. 33, 28, 55 – 57; vide supra § 2.7, n. 17. Cfr. Joaquín Llobell, La diaconia funzionale della potestà giudiziaria della Segnatura Apostolica con gli altri Organismi della Curia Romana: l’ecclesialità dei principi processuali, il contenzioso amministrativo e le competenze giudiziali nei confronti della Rota Romana, in: Piero Antonio Bonnet/Carlo Gullo (a cura di), La “lex propria” della Segnatura Apostolica, Città del Vaticano, 2010, pp. 179 – 182; Id., Il diritto alla tutela giudiziale e i ricorsi avverso la reiezione del libello di domanda. A proposito dell’art. 51 delle Norme della Rota Romana, in: Geraldina Boni/Erminia Camassa/Paolo Cavana/Pasquale Lillo/Vincenzo Turchi (a cura di), “Recte sapere”. Studi in onore di Giuseppe Dalla Torre, Torino, 2014, vol. 1, pp. 419 – 440.
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III. Papa Francesco, Rescriptum “ex audientia Sanctissimi” sulla istituzione di un Collegio, all’interno della Congregazione per la Dottrina della Fede, per l’esame dei ricorsi di ecclesiastici per i “delicta graviora”, 3 novembre 2014, in L’Osservatore Romano, 12 novembre 2014, p. 8. Il Motu Proprio Sacramentorum Sanctitatis Tutela (SST) del 30 aprile 2001, aggiornato il 21 maggio 2010, precisa quali sono i delitti riservati alla competenza della Congregazione per la Dottrina della Fede (cfr. artt. 1 – 6), a norma dell’art. 52 della Costituzione apostolica Pastor Bonus. Nel giudicare i delitti sopra indicati, la Congregazione per la Dottrina della Fede procede tramite processo penale, giudiziale o amministrativo (cfr. art. 21 § 1 e § 2, n. 1 SST), salva la possibilità di sottoporre direttamente la decisione al Sommo Pontefice per i casi gravissimi (cfr. art. 21 § 2, n. 2 SST). Resta inteso, relativamente ai delitti contro la fede, che la competenza in prima istanza è dell’Ordinario o del Gerarca (cfr. art. 2 § 2 SST). A motivo del numero dei ricorsi e della necessità di garantire un più rapido esame degli stessi, dopo approfondita riflessione, nell’Udienza concessa al sottoscritto Cardinale Segretario di Stato il 3 novembre 2014, il Sommo Pontefice Francesco ha decretato quanto segue:
1. è istituito all’interno della Congregazione per la Dottrina della Fede uno speciale Collegio, formato da sette Cardinali o Vescovi, che possono essere sia membri del Dicastero, sia esterni ad esso; 2. il Presidente e i membri di detto Collegio sono nominati dal Papa; 3. il Collegio è un’istanza di cui la Sessione Ordinaria (Feria IV) della Congregazione si dota per una maggiore efficienza nell’esame dei ricorsi di cui all’art. 27 SST, senza che vengano modificate le sue competenze in materia così come stabilite dal medesimo art. 27 SST; 4. qualora il reo sia insignito della dignità episcopale, il suo ricorso sarà esaminato dalla Sessione Ordinaria, la quale potrà anche decidere casi particolari a giudizio del Papa. Ad essa potranno inoltre essere deferiti altri casi a giudizio del Collegio; 5. sarà cura del Collegio informare periodicamente delle proprie decisioni la Sessione Ordinaria; 6. un apposito Regolamento interno determinerà le modalità operative del Collegio. Il Santo Padre ha disposto che il presente decreto generale esecutivo sia promulgato mediante la pubblicazione su L’Osservatore Romano, entrando in vigore l’11 novembre 2014, e successivamente nel commentario ufficiale Acta Apostolicae Sedis.
Dal Vaticano, 3 Novembre 2014
Pietro Card. Parolin, Segretario di Stato
Aus der Katholischen Theologie
Gott vor Gericht Ein Beitrag zur Gerichtstheologie vor dem Hintergrund der Theodizeeproblematik1 Judith Hahn Als religiöse Rechtsordnung steht das Recht der Kirche und die es wissenschaftlich Reflektierenden vor einer besonderen Herausforderung. Denn im Unterschied zu säkular begründeten Rechtsordnungen spielt in religiösen Rechtssystemen die Gottesfrage eine zentrale Rolle. So ist es Aufgabe der Kanonistinnen und Kanonisten, die Bedeutung Gottes innerhalb des kirchlichen Rechtssystems zu bedenken. Ihre Rechtstheorie erweist sich dergestalt als zur Rechtstheologie hin geöffnet, insoweit sie nach der theologischen Dimension der kirchlichen Rechtsbegründung fragen.2 1
Der vorliegende Beitrag basiert auf dem Vortrag „God on Trial. How a Forensic View on the Theodicy Problem Contributes to a Theology of Law“, der im März 2014 an der Tel Aviv University im Rahmen des Symposiums „Theodicy and Protest. Jewish and Christian Perspectives on Terminology, Function, Literary Form, and Mutual Relationships“ gehalten wurde. Während der einwöchigen Tagung wurde die Theodizeefrage aus jüdischer und christlicher Sicht sowie aus der Perspektive der Religionswissenschaft und Theologien beleuchtet. Von diesem interreligiösen und interkonfessionellen Entstehungszusammenhang lebt der Beitrag, nicht zuletzt von der in der jüdischen Theologie fehlenden Scheidung von Recht und Theologie (vgl. Ralf Dreier, Methodenprobleme der Kirchenrechtslehre, in: ZevKR 23 [1978], S. 343 – 367, hier: S. 348). Dass die in der katholischen Gedankenwelt eher ungewöhnliche Verknüpfung der Theodizeethematik mit einer rechtlichen Fragestellung jüdische Denkerinnen und Denker kaum verwundert, ist in der jüdischen Geisteswelt in der halachischen Tradition begründet, die religiöse Phänomene in rechtlichen Denkstrukturen begreift. In diesem Zusammenhang sei auf Shlomo C. Pills Beitrag „Transcending Theodicy. Approaching the Holocaust through the Lens of Halakhah“ (in: Cult/ure 9 [2014], http://cultandculture.org /culture/index. php/issues/26-culture-9-spring-2014.html [Stand: 04. 07. 2014]) verwiesen, in dem der Verfasser halachisch-rechtliche Reaktionsweisen als jüdisch-theologische Alternativen zu Theodizeestrategien vorstellt. Vorliegender Beitrag orientiert sich am katholischen Paradigma: er ist zurückhaltend, die christlich-religiöse Praxis als rechtliche Praxis zu deuten (vgl. Dreier, Methodenprobleme [Anm. 1], S. 348), wiewohl er das Recht und die Rechtspraxis der Kirche als religiös bedeutsam versteht. In dieser Perspektive erschließt sich die gewählte Argumentationsrichtung, in der nicht das Recht in die Theodizeedebatte, sondern die Theodizeefrage an das Recht herangetragen wird. Hierdurch eröffnet sich ein rechtstheologisches Feld, das in gerichtstheologischer Engführung skizziert wird. Als rechtstheologische Überlegung sei der Beitrag Helmuth Pree gewidmet, zu dessen Arbeitsschwerpunkten die theologische Grundlegung des Kirchenrechts zählt. 2 Vgl. Richard Potz, Die Geltung kirchenrechtlicher Normen. Prolegomena zu einer kritisch-hermeneutischen Theorie des Kirchenrechts (= Kirche und Recht 15), Wien 1978, S. 261.
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Zugleich beschränkt sich die Rechtstheologie nicht auf begründungstheoretische Momente. In diesem Sinne ist es rechtstheologischer Auftrag, „die im Gottesbezug liegenden rechtlichen Elemente herauszustellen“3. Es ist die Rechtstheologie, die das Verhältnis von Gott und Mensch in seiner rechtlichen Dimension zu beschreiben sucht und der Theologie die in der rechtlichen Sprach- und Bildwelt enthaltenen Ausdrucksformen zur beschreibenden Annäherung dieses Verhältnisses erschließt. Rechtstheologie erweist sich in dieser Hinsicht als zweifache Perspektive: sie ordnet den kirchlichen Rechtsbegründungsstrategien das Paradigma einer theologischen Begründung vor; und sie ist Reflexion des Verhältnisses von Gott und Mensch im Medium des Rechts. Dass sich die Frage nach Gott aus der Perspektive der Kanonistik nicht an das kirchliche Lehramt oder die systematische Theologie delegieren lässt, ist Ertrag des kirchlich-ekklesiologischen Selbstverständnisses, das in der Kirche einer Dichotomie von Heils- und Strukturfragen wehrt. So stellten die Konzilsväter in der Kirchenkonstitution Lumen gentium nicht Glaubens- und Rechtskirche gegen-, sondern ineinander, indem sie die Rechtsstruktur der Kirche als Organisationform der Heilsgemeinschaft bewerteten (vgl. Lumen Gentium, Nr. 8). Die Rechtsgestalt von Kirche als „die der kirchlichen Communio innewohnende strukturelle Dimension“4 bildet somit keine fakultative Form kirchlicher Organisation, sondern stellt ein essentielles Merkmal der in der Welt verfassten Kirche dar. Eine Geistkirche ohne Recht ist nach kirchlichem Verständnis nicht denkbar. Denn die Geistkirche konkretisiert sich in dieser Welt als sichtbares, rechtlich geordnetes Gefüge – und damit als Rechtskirche. Als Rechtsordnung mit Heilsbedeutsamkeit normiert das kirchliche Recht die Zugehörigkeit zur Kirche als Heilsgemeinschaft und die Rechtsstellung der Kirchenglieder in ihr. Sie reguliert den Zugang der Gläubigen zu den Heilsmitteln, den Sakramenten und gottesdienstlichen Feiern. Und sie bindet die Gläubigen sanktionsbewehrt an bestimmte Verhaltensvorschriften und -verbote, deren Beachtung sie für heilsrelevant hält. In dieser Perspektive kommt Gott in mehrfacher Hinsicht in den Blick: zum ersten als Grund von Recht, von dem her sich das System religiöser Normen begründen und legitimieren lassen muss. Dies konkretisiert sich in der kanonistischen Arbeit in der Suche nach einer kircheneigenen und theologisch verantworteten kirchlichen Rechtsbegründung. Denn aufgrund des Zusammenhangs von himmlischer und irdischer Wirklichkeit erweisen sich für das kirchliche Recht Rechtsbegründungsstrategien weltlich-soziologischen Zuschnitts als nicht zureichend. So muss das kirchliche Recht und die kirchliche Rechtspraxis vor dem Hintergrund seiner Heilsrelevanz und Bedeutung für die communio begründet und gerechtfertigt werden, kann nur vom „Wesen, Grund und Zweck der Kirche“5 her Plausibilität erfahren. Der amerikanische Kanonist Thomas J. Green fasst die Relevanz 3
Ebd. Libero Gerosa, Das Recht der Kirche (= AMATECA, Lehrbücher zur katholischen Theologie 12), Paderborn 1995, S. 45. 5 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht, Bd. 1: Einleitende Grundfragen und Allgemeine Normen, Paderborn 1991, S. 148. 4
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des theologischen Begründungsparadigmas des kirchlichen Rechts in den markigen Satz: „Solange […] das Recht nicht von theologischen Erkenntnissen bestimmt wird, bleibt es etwas Unfruchtbares und der Glaubensgemeinschaft Unwürdiges.“6
Dies hat zugleich Auswirkungen auf die kirchliche Auslegungs- und Anwendungstheorie des Rechts, da sich die religiös begründete Rechtspraxis auf den göttlichen Willen zur Weltgestaltung hin zu orientieren und die von Gott den Menschen eröffnete Heilsperspektive zu berücksichtigen hat. Interpretations- und applikationstheoretische Fragestellungen werden dergestalt von der Kanonistik als theologische Fragestellungen wahrgenommen und reflektiert. Zu diesen begründungs- und anwendungstheoretischen Ebenen tritt die rechtstheologische Kapazität des Rechts und seiner kanonistischen Reflexion, der Theologie das Medium des Rechts als Denk- und Beschreibungsform der göttlich-menschlichen Relation zur Verfügung zu stellen und damit für die Reflexion und Versprachlichung des Verhältnisses von Gott und Mensch einsetzbar zu machen. In diesem Sinne wird das Recht der Kirche als eine Funktion von Kirche erkannt und ausgewiesen, deren Bedeutung sich nicht in der innerweltlichen Sozialstrukturierung erschöpft, sondern deren Regelungen Strukturen bilden, in denen sich Kirche als Heilsgemeinschaft konkretisiert. Das Recht wirkt als Medium der Heilswirklichkeit. Bei Eugenio Corecco liest man: „Als konkrete historische Fakten tragen das kirchliche Gesetz und die kanonischen Rechtsinstitute einen Teil des Inhalts in sich, indem sie die rechtsverbindliche Dimension des Mysteriums der Inkarnation und der Kirche greifbar zum Ausdruck bringen. Als kirchliche Wirklichkeit, die von Rechtsinstituten gebildet wird, in denen sich die rechtlich bindende Dimension der Kirche in der Geschichte konkretisiert, ist das kanonische Recht eine der wesentlichen Gegebenheiten, in denen sich die Tradition der Kirche und folglich die im Wort und Sakrament enthaltene Wahrheit durch konkludente Sachverhalte bekundet.“7
Das Recht der Kirche ist also Bekundungsform – Konkretisierungsmodus – der in der Welt erfahrbaren göttlichen Wirklichkeit. Corecco beschreibt dies in der Aussage, dass „der rechtliche Sachverhalt – wenn er das Mysterium der Kirche genau erfaßt – in sich selbst Ausdruck der theologischen Wahrheit ist.“8 Und an anderer Stelle identifiziert er das Recht der Kirche – in Teilen – in ebendieser Weise als historische Konkretisierung von Offenbarung: „Als Wirklichkeit, in der sich die kirchliche Erfahrung […] geschichtlich institutionalisiert, trägt das kanonische Recht als wesentliches Element, in dem sich die Tradition verwirklicht, 6 Thomas Green, Eine lebendige Rechtsprechung, in: Concilium 13 (1977), S. 453 – 459, hier: S. 456. 7 Eugenio Corecco, Handlung „contra legem“ und Rechtssicherheit im kanonischen Recht, in: ders., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von Libero Gerosa und Ludger Müller, Paderborn/München/Wien/Zürich 1994, S. 36 – 54, hier: S. 43. 8 Corecco, Handlung (Anm. 7), S. 43.
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wenigstens einen Teil der geoffenbarten Wahrheit in sich, deren Sinn es mit seinem eigenen wissenschaftlichen Instrumentarium und in seiner eigenen Denkweise zu erfassen sucht.“9
Das hierfür notwendige Instrumentarium und die Denkweise stellt die Kanonistik bereit. Hierdurch erweist sie sich als Disziplin der Theologie, die dieser die Kompetenz, das Medium des Rechts als Konkretisierungsform der Heilsgemeinschaft zu deuten, verdankt. Zugleich leistet die Kanonistik hiermit der kirchlichen Rechtspraxis einen Dienst. Denn indem sie die rechtliche Struktur der Kirche als Konkretisierungsmodus der Heilsgemeinschaft ausweist, attestiert sie der rechtlichen Praxis der Kirche Heilsbedeutsamkeit. So eröffnet die Rechtstheologie der Rechtspraxis die Möglichkeit, sich selbst als religiös relevant zu verstehen und als Erfahrungsraum zu deuten, in dem das rechtliche Handeln der Kirche als heilsbedeutsam und damit als göttliches Handeln erfahren wird. Sie kennzeichnet das Potential der Orte kirchlicher Rechtspraxis, Räume der Gotteserfahrung zu sein.
I. Die theologische Relevanz des Kirchengerichts Denn im Medium des Rechts wird Heil, Gerechtigkeit und Wahrheit – und damit die Trias der Eigenschaften Gottes10 – erfahrbar. Die göttlichen Eigenschaften wirken als Zielperspektiven der kirchlichen Rechtspraxis. Richard Potz beschreibt diese der Praxis inhärente Ausgriffsperspektive in ihrer Dynamik wie Begrenztheit, Heil, Gerechtigkeit und Wahrheit in den irdischen Strukturen zur Geltung zu bringen. Die „Geschichte des Rechts in der Kirche [sei k]eine heilsgeschichtlich vorgezeichnete Einbahnstraße zu immer vollkommenerem Recht […], sondern es ist die Geschichte des Gelingens und Scheiterns des Bemühens, das je Gerechte im Zeichen der Heilstat Christi zu konkretisieren.“11 Indem die kirchliche Praxis auf Heil, Gerechtigkeit und Wahrheit zielt, eignet ihr ein antizipatorisches Moment, das die göttliche Realität in der menschlichen Wirklichkeit aufscheinen lässt. Zugleich erweist sich der Ausgriff als kontingent. Denn der Ineinsfall menschlichen und göttlichen Handelns ist aufgrund der Geschichtlichkeit der menschlichen Praxis prekär. Recht und Rechtspraxis sind dergestalt Vergegenwärtigung und Antizipation der göttlichen Gerechtigkeit, der Wahrheit und des Heils – und bleiben hierbei doch menschliche Repräsentationsmodi der Trias, die dieser nicht allenthalben entsprechen.
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Ebd., S. 53. Vgl. Ottmar John/Matthias Möhring-Hesse, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Heil – Gerechtigkeit – Wahrheit. Eine Trias der christlichen Gottesrede, S. 7 – 14, hier S. 8. 11 Richard Potz, Rechtsbegriff und Rechtsfortbildung nach dem CIC 1983, in: Concilium 22 (1986), S. 173 – 178, hier: S. 173. 10
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1. Das Kirchengericht als Ort der Theologie Das der irdisch-rechtlichen Praxis anhaftende antizipatorische Moment, das die höhere, nämlich göttliche Gerechtigkeit, die absolute Wahrheit und das Heil als Zielperspektive vor Augen hat, muss nicht neu erdacht werden, sondern kann in diachronischer Perspektive in der Rechtsgeschichte und nicht zuletzt in der kirchlichen Rechtsprechungsgeschichte entdeckt werden: unter anderem in den historischen Wurzeln des kirchlichen Strafrechts und der kirchlichen Straftheorie. So steht der Kampf gegen die Sünde – den Glaubensabfall und den Verstoß gegen Grundsätze der christlich-sittlichen Lebensführung – und für das menschliche Heil im Zentrum der frühkirchlich richterlichen Tätigkeit. Der Ausschluss einer Sünderin bzw. eines Sünders aus der Gemeinschaft bildet die ultima ratio, um den gemeinsamen Glauben zu schützen. Der vom menschlichen Richter erklärte Ausschluss wird als Konsequenz der Sünde verstanden und antizipiert die göttliche Reaktion. Als Abbild des göttlichen Urteils gilt er als heilsbedeutsam; er kann eine Sünderin bzw. einen Sünder zugrunde richten. Der Verfasser der syrischen Didaskalie macht daher den kirchlichen Richtern die eschatologische Relevanz ihrer Entscheidung klar: „der Urteilsspruch, den ihr fällt, steigt sofort hinauf zu Gott“12. Das menschliche Gericht nimmt hierin das göttliche Gericht vorweg, ist Abbild der himmlischen Gerechtigkeit. Es repräsentiert das Anbrechen des Reiches Gottes und ein im Hier und Heute erfahrbares Moment der göttlichen Weltgestaltung, die man in der nahenden Parusie als vollendet erwartete. Aus diesem Junktim von himmlischer und irdischer Gerechtigkeit erwächst die Autorität und Legitimation des kirchlichen Gerichts. Das Gericht ist in diesem Sinne nicht allein institutionalisierte Form menschlicher Gerechtigkeitsproduktion, sondern Ort, an dem das göttliche Gericht in der irdischen Realität anfanghaft verwirklicht wird. Es ist Moment der Begegnung mit dem richtenden Gott im Medium der menschlichen Rechtspraxis. Auch in der mittelalterlichen Gerichtstheorie und -theologie wird die Verbindungslinie zwischen der himmlischen und der irdischen Gerechtigkeit gezogen. Der Historiker André Holenstein spricht von einer „unmittelbare[n] Parallelisierung des weltlichen Gerichts mit dem Geschehen am Ende aller Tage“13 und kennzeichnet das mittelalterliche Selbstverständnis als Überzeugung „vom unmittelbaren Ineinandergreifen der göttlich-himmlischen und der weltlich irdischen Sphäre“14. Bis heute hat diese Verknüpfung in der kirchlichen Strafrechtsbegründung ihren Platz. Im Kern der kirchlichen Strafidee steht die Sanktionierung der Taten, die unmittelbar 12 Kap. 11, in: Die syrische Didaskalia, u¨ bersetzt und erkla¨ rt von Hans Achelis und Johs. Flemming (= Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts 2), Leipzig 1904, S. 64 Zeilennr. 36 – 37. 13 André Holenstein, Rituale der Vergewisserung. Der Eid als Mittel der Wahrheitsfindung und Erwartungsstabilisierung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Edgar Bierende/ Sven Bretfeld/Klaus Oschema (Hrsg.), Riten, Gesten, Zeremonien. Gesellschaftliche Symbolik in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Trends in Medieval Philology 14), Berlin/New York 2008, S. 229 – 252, hier: S. 238. 14 Ebd.
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das Gottesverhältnis des Menschen berühren. Diese „Strafen sind Konsequenzen der Tat selbst. Sie sind Ausdruck der Selbstexkommunikation des Täters, der Gott die […] Communio aufkündigt. […] Das kirchliche Strafrecht muss dieser hamartiologischen Perspektive entsprechen, indem es im Unterschied zum staatlichen Strafrecht Strafe als innere Konsequenz der Tat verständlich macht.“15 Der Zusammenfall buß- und straftheologischer Denkmomente erzeugt Verbindungslinien zwischen dem kirchlichen Buß- und Strafwesen, die Henning von Soden in seiner 2010 erschienenen Dissertationsschrift herausarbeitete. In ihr nahm Soden mit dem Begriff der confessio einen im Buß- wie Strafwesen genutzten Begriff in den Blick. Mit diesem Begriff wird nicht nur der Beichtvorgang sowie das Schuldbekenntnis, sondern auch das gerichtliche Geständnis bezeichnet. Und überdies das Glaubensbekenntnis – die confessio fidei.16 Dementsprechend wies Soden einen begrifflichen Zusammenhang zwischen Sünde und Bußwesen, Strafe und Gerichtswesen und dem Glauben der Kirche nach. Diesen Zusammenhang sollte man nicht als zufälligen verstehen, sondern darf ihn als Hinweis auf die theologische Dignität des kirchengerichtlichen Verfahrens deuten. So wird die confessio als Geständnis im kirchengerichtlichen Kontext mit dem hamartiologischen Gedanken verbunden, sie – potentiell – als Zeichen der Reue und Bußwilligkeit der bzw. des Gestehenden deuten zu dürfen und dem Geständnisakt damit Sündenbekenntnischarakter zuschreiben zu können.17 Im Angesicht der dritten begrifflichen Ebene, der confessio als Glaubensbekenntnis, offenbart der Begriff seine soteriologische Dimension. Denn indem die Täterin bzw. der Täter seine Tat als Sünde deutet und gesteht, wird die gerichtliche confessio zu einer Aussage über den Glauben an Gottes Erlösungshandeln, an dem die Täterin bzw. der Täter durch Umkehr und Buße anteilig wird. Auf dieser Deutungsebene fallen kirchliche und weltliche Straftheorie auseinander. Während es der weltlichen Strafpraxis um Verwirklichung menschlicher Gerechtigkeit geht, untersteht das kirchliche Strafen nicht der weltlichen, sondern der göttlichen Gerechtigkeit – und hiermit dem Erlösungsparadigma.18 So werden im kirchengerichtlichen Kontext Dimensionen angesprochen, die der weltlichen Gerichtstheorie fremd sind. Und indem die kirchliche Gerichtstheorie mit dem Anspruch auftritt, dass die Urteile und Entscheidungen kirchlicher Gerichte auf die Heilsfrage hin perspektiviert seien, kennzeichnet sie die kirchliche Gerichtpraxis als heilsbedeut15 Michael Schulz, Strafe Gottes – Strafe der Kirche. Dogmatische Überlegungen zum kirchlichen Strafrecht, in: Ludger Müller/Alfred E. Hierold/Sabine Demel/Libero Gerosa/ Peter Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= Kirchenrechtliche Bibliothek 9), Berlin 2006, S. 45 – 60, hier S. 49. 16 Vgl. Henning von Soden, Confessio zwischen Beichte und Geständnis. Eine dogmengeschichtliche Betrachtung über die Entwicklung des Schuldbekenntnisses vom römischen Recht bis zum IV. Lateranum, Inauguraldissertation, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2010, einsehbar unter http://www. soden.eu/Henning-von-Soden-Dissertation-Confessio-Zwischen-Beichte-und-Gestaendnis.pdf [Stand: 17. 09. 2013], S. 3 – 4. 17 Vgl. Soden (Anm. 16), S. 65 – 66, S. 165. 18 Vgl. ebd., S. 166.
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sam und das kirchliche Gericht als einen theologisch relevanten Ort. In zweifacher Hinsicht: in einer ersten ist das kirchliche Gericht als theologisch relevanter Ort zu verstehen, insoweit es auf der begründungstheoretischen Ebene als eine rechtliche Konkretisierung von Kirche als Heilsgemeinschaft – und damit als ein locus Ecclesiae – zu gelten hat, der vom „Wesen, Grund und Zweck der Kirche“19 seinen Grund und seinen Auftrag empfängt. In einer weiteren Hinsicht erweist sich das kirchliche Gericht als theologisch bedeutsam, insoweit es sich als Ort der Theologie bestimmen lässt: als Ort, an dem die Begegnung mit dem richtenden Gott im Medium der menschlichen Rechtspraxis Reflexionen anstößt, die als rationale Bearbeitung von Glaubensfragen Theologiecharakter haben.20 So finden am Ort des Gerichtes theologische Reflexionsprozesse statt, wenn kirchliche Richterinnen und Richter ihren Beitrag an der kirchlichen Gerechtigkeitsarbeit mit dem Antizipationsgedanken verbinden, der ihr Tun mit der göttlichen Gerechtigkeit in Verbindung setzt. Deuten Bandverteidigung und Kirchenanwaltschaft ihre parteiliche Rolle als Dienst an der Wahrheitsfindung, die auf die absolute Wahrheit als Eigenschaft Gottes zielt, oder reflektiert das Gerichtspersonal seine Aufgabe als aus dem christlichen Geist heraus erbrachten Dienst am Nächsten, entstehen Theologien: rationale Bearbeitungen der Gottesfrage am Ort des Gerichts. Und dies geschieht ebenso, wenn die Parteien sich in den kirchlichen Verfahren mit ihrer Biographie auseinandersetzen und dies zum Anlass nehmen, ihre Gottesbeziehung zu bedenken. Das Gericht ist dergestalt ein Ort der Theologieproduktion. Hiermit erweist es sich als ein locus Theologiae: dieser „bringt nicht nur eigene theologische Fragen hervor, er bringt auch eine eigene Theologie hervor“21. Indem Fragen des Glaubens in spezifisch rechtlicher Perspektive zum Gegenstand rationaler Überlegungen gemacht werden, entsteht ein eigenes theologisches Genre: die Gerichtstheologie als Verarbeitungsform der Gottesfrage im Angesicht des Rechts. Zwar stellt das kirchliche Gericht keinen locus theologicus im Sinne von Melchior Canos Distinktion dar, also keinen Ort theologischer Erkenntnis wie die biblischen Schriften, die kirchliche Tradition oder die Natur,22 jedoch einen „theologiegenerativen Ort“23 und „Entstehungskontext von Theologie“24, insoweit es den Rahmen bietet, der theologische Re19
Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht (Anm. 5), S. 148. Zum Begriff der Orte der Theologie: vgl. Norbert Mette/Matthias Sellmann (Hrsg.), Religionsunterricht als Ort der Theologie (= Quaestiones disputatae 247), Freiburg im Breisgau 2012. 21 Norbert Mette/Matthias Sellmann, Religionsunterricht als Ort der Theologie – eine Einführung, in: dies., (Hrsg.), Religionsunterricht als Ort der Theologie, Freiburg/Br. 2012, S. 9 – 22, hier: S. 12. Die hier aufgegriffene Idee der Orte der Theologie wurde von Mette, Sellmann u. a. in Bezug auf den Religionsunterricht entwickelt und konkretisiert. Sie wird vorliegend für das Gericht als eines weiteren Orts der Theologie fruchtbar gemacht. Die hierzu getätigten Ausführungen sind als Weiterführung des Gedankens in Bezug auf ein weiteres Anwendungsfeld – das Kirchengericht – zu verstehen. 22 Vgl. Melchior Cano, De locis theologicis libri duodecim, Löwen 1569. 23 Mette/Sellmann, Religionsunterricht (Anm. 21), S. 12. 24 Ebd. 20
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flexionsprozesse inspiriert und konturiert. In diesem Sinn gilt für das Gericht, was Norbert Mette und Matthias Sellmann in Bezug auf den Religionsunterricht festhalten, dass es „nicht länger bloß als Anwendungsfall der Theologie angesehen, sondern darüber hinaus in seinem genuinen Beitrag für theologische Erkenntnisgewinnung gewürdigt und zur Geltung gebracht werden“25 muss. 2. Das Kirchengericht als Ort der Theodizeefrage Auf der Gerichtstheologie als Verarbeitungsform der Gottesfrage im Angesicht des Rechts liegt ein Schatten. Denn indem die gerichtlich thematisierten Streitund Strafsachen den Ausgangspunkt der theologischen Reflexion bilden, stehen zumeist Erfahrungen menschlichen Scheiterns und Fehlgehens am Beginn der theologieproduktiven Prozesse. So erweist sich die Gerichtstheologie nicht zuletzt als Bearbeitung der Widerspruchserfahrung, die sich mit Blick auf erfahrenes Leid und Unheil im Angesicht eines allmächtigen und allgütigen Gottes stellt. In diesem Sinne ist das Gericht ein Ort, an dem die Theodizeefrage zum Thema gemacht wird. In jüngerer Zeit wurden in Aufarbeitung der Missbrauchsfälle vor kirchlichen Gerichten vermehrt kirchliche Strafverfahren gegen Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger gerichtshängig. Die hier zur Sprache gebrachten Leiderfahrungen der Opfer ließen nicht selten die Frage nach dem Warum laut werden, deren Beantwortung sich angesichts der Gott attribuierten Güte und Allmacht nicht einfachhin erschließt. Doch nicht allein drastische Beispiele aus der kirchlichen Strafrechtspraxis helfen die Theodizeefrage in ihrer forensischen Dynamik zu entfalten. Auch im Alltagsgeschäft der kirchlichen Gerichte stellt sie sich. Da die Kirchengerichte vor allem als Ehegerichte tätig werden, die über die Gültigkeit von Ehen zu entscheiden haben, werden rechtsalltäglich vor allem beziehungsbiographische Leiderfahrungen gerichtlich thematisiert. In zweifacher Weise ist das hier angesprochene Leid ein Stein des Anstoßes mit Blick auf einen allmächtigen und allgütigen Gott. Denn nicht nur das in der Partnerschaft erfahrene Leid der Parteien lässt Fragen aufkommen; vielmehr erweist sich angesichts einer gescheiterten Beziehung als anstößig, dass die Kirche mit der sakramentalen Qualität der Ehe zwischen Getauften die Zusage göttlicher Präsenz im Beziehungsalltag verbindet. Denn stellt das Kirchengericht eine Ehenichtigkeit fest, spricht sie ein Nichtigkeitsurteil über eine Wirklichkeit, die für gläubige Katholikinnen und Katholiken sakramentale Bedeutung hatte. Die hiermit verbundene Heilszusage erweist sich für die Parteien im Nichtigkeitsverfahren retrospektiv als trügerisch. Es bleiben nicht wenige Parteien nach einer ehegerichtlichen constat-Entscheidung mit der Wahrnehmung zurück, man habe ihnen mit dem institutionellen Rahmen ihrer zerbrochenen Beziehung nicht nur eine Realität im ontologischen Sinne genommen,26 sondern ihrer Beziehungsge25
Ebd., S. 11. Zum Problem der Gleichsetzung der Nichtigerklärung mit einer ontologischen Nivellierung der vergangenen Beziehungsrealität: vgl. Judith Hahn, Recht verstehen. Die Kir26
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schichte überdies ihre religiöse Bedeutung abgesprochen. Auch die non constat-Entscheidung hat diesbezüglich Konfliktpotential. Denn kann das Gericht in Bezug auf eine gerichtlich beklagte Ehe keine Nichtigkeit nachweisen, gilt die gescheiterte Verbindung bis zum Beweis des Gegenteils als gültig. Als eine dem Rechtsschein nach gültige Ehe wird eine beschädigte Beziehungsrealität zwischen zwei Getauften bleibend als Sakrament betrachtet. So muss sich eine als unheil erfahrene Realität als Zeichen göttlichen Heils deuten lassen. Dergestalt sind sowohl constat- als auch non constat-Urteile geeignet, die Parteien mit Widersprüchen zu konfrontieren, die die Theodizeefrage aufwerfen. Ein Heilsversprechen, das ins Leere läuft? Eine unheile Realität, die göttliches Heil repräsentiert? In beiden Fällen ist nicht überraschend, wenn die gerichtlich inspirierten theologischen Reflexionsprozesse die Widerspruchserfahrung mit dem Gedanken eines allmächtigen wie allgütigen Gottes nur schwierig vereinbaren können. In kirchengerichtlichen Kontexten gerät menschliches Leid somit in doppelter Weise in den Blick: als faktisch erfahrenes und gerichtlich thematisiertes Leid in der Leidensgeschichte der Verfahrensbeteiligten oder Opfer sowie als theologisch problematisierte Leiderfahrung, insoweit die Betroffenen in den Verfahren die Frage nach dem Warum menschlicher Leiderfahrung im Angesicht des allmächtigen und allgültigen Gottes erheben. Mit dieser Begründungssuche wird die Frage nach der Theodizee gestellt, nach einer Rechtfertigung Gottes, den die Gläubigen als allmächtigen Schöpfer für fähig halten, das Leid zu vermeiden, und ihm als allgütigen und den Menschen zugewendeten Gott unterstellen, es verhindern zu wollen.
II. Gott vor Gericht: Philosophische und religiös begründete Theodizeestrategien 1. Die Rechtfertigung Gottes vor dem Gerichtshof der Vernunft Leid im Angesicht eines als allmächtig und allgültig vermuteten Gottes zu verstehen, zu deuten und zu plausibilisieren, ist traditioneller Gegenstand philosophischer Theodizeespekulationen, in denen philosophische Denkerinnen und Denker seit der frühen Aufklärung die leidvollen menschlichen Erfahrungen und die Idee der göttlichen Allmächtigkeit und Allgüte in eine logisch bewältigbare Beziehung zu setzen versuchen. In diesen theoretischen Versuchen der logischen Integration zweier sich widersprechender Positionen übernimmt das Gericht als Metapher und Topos eine besondere theodizeetheoretische Funktion. Dergestalt erweist sich das Gericht nicht allein als ein realer Ort, an dem Leiderfahrungen thematisiert werden und sich in Folge religiösen Individuen die Frage nach dem Leid im Angesicht Gottes chenrechtssprache als Fachsprache: rechtslinguistische Probleme und theologische Herausforderung, in: Thomas Schüller/Martin Zumbült (Hrsg.), Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi. 20 Jahre Studiengang Lizentiat im Kanonischen Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Festschrift für Klaus Lüdicke zum 70. Geburtstag (= Beihefte zum Münsterischen Kommentar 70), Essen 2014, S. 163 – 198, hier: S. 190 – 196.
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aufdrängt, sondern es dient auch als Denkfigur, um die rationale Bearbeitung des Theodizeeproblems ins Bild zu setzen. Schon die mittelalterliche Philosophie nutzt das Bild der richterlichen Tätigkeit, um den Einsatz der Vernunft abzubilden. So wird das richterliche Entscheiden über einen vor dem gerichtlichen Forum ausgetragenen Streit zu einem Symbol für menschliches Denken und Abwägen. Bei Anselm von Canterbury ist die Rede von der Vernunft als Herrscherin und Richterin über alles, was im Menschen ist – „ratio quae et princeps et iudex debet omnium esse quae sunt in homine“27. Diese Idee ist unter anderem auch bei Francis Bacon28 und Hermann Samuel Reimarus29 nachzuweisen. Das forensische Bild der Vernunft als richtender Instanz der Differenzierung und Wahrheitserkenntnis greifen die Denkerinnen und Denker der Aufklärung auf. Sie beziehen es auf die selbstbestimmten Subjekte der Moderne, die ihre Unmündigkeit hinter sich lassen, indem sie ihrem Erkenntnisinteresse folgen und sich auf die Suche nach der Wahrheit begeben. In diesem Sinne kennzeichnet Immanuel Kant in der Vorrede zur ersten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ seine Zeit als ein „Zeitalter[s], welches sich nicht länger durch Scheinwissen hinhalten läßt“30. Die Entlarvung von Scheinrealitäten gelinge mithilfe der Kritik. Sie „ist die Bewegung, in der das Subjekt sich das Recht herausnimmt, die behauptete Wahrheit auf seine Machteffekte hin zu befragen, wie umgekehrt, Macht auf ihre Wahrheit hin zu untersuchen.“31 Diese machtentlarvende Funktion und Wirkweise der Kritik, die der Destillation der Wahrheit aus den diversen erhobenen Ansprüchen dient, sehen die Philosophinnen und Philosophen der Moderne auf zwei Wegen als realisierbar. Während einige die Geschichte als Aufweisinstanz der Wahrheit bemühen – „die Zeit, die Geschichte soll es richten“32 –, greifen andere die forensische Metapher auf. In dieser Konzeption hält das Gerichtsverfahren als erkenntnistheoretischer Ort der Scheidung her, der die Wahrheit unter Einsatz der Vernunft vom Unwahren trennt. So muss alles „das, was Anspruch darauf erhebt, wahr zu sein, […] vor dem ,Gerichtshof der Vernunft‘ bestehen können“33. Im Feuer der forensischen Auseinandersetzung werde die Wahrheit von Scheinwahrheiten gereinigt, der Wahrspruch vom Machtspruch geschieden. In der Vorrede zur ersten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ beschreibt Kant das kritische Bedürfnis seiner Zeit 27 De incarnatione verbi, Nr. 1, in: Leben, Lehre, Werke, hrsg. von Rudolf Allers, Wien 1936, S. 419 – 445, hier: S. 429. 28 Neues Organ der Wissenschaften (1620), hrsg. von Anton Th. Brück, Neudruck, Darmstadt 1962, S. 31. 29 Vernunftlehre (1756), Neudruck, hrsg. von Frieder Lötzsch, München 1979, S. 43. 30 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, in: Kant‘s Gesammelte Schriften „Akademieausgabe“, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 4: Kritik der reinen Vernunft (1. Aufl. 1781), Prolegomena, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Berlin 1968, S. 9. 31 Gerhard Gamm, Kritische Theorie nach ihrem Ende, in: Gernot Böhme/Alexandra Manzei (Hrsg.), Kritische Theorie der Technik und der Natur, München 2003, S. 25 – 37, hier: S. 28. 32 Gamm, Kritische Theorie (Anm. 31), S. 29. 33 Ebd.
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nach Wahrheitserkenntnis als „eine Aufforderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntniß, aufs neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlosen Anmaßungen, nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen könne“34. Und dieser Gerichtshof, erläutert Kant, „ist kein anderer als die Kritik der reinen Vernunft selbst.“35 Der im Bild der Gerichtsverhandlung gefasste Erkenntnisprozess wird dadurch vorangetrieben, dass die Vernunft sich in den diversen Rollen einer erweiterten forensischen Dialektik engagiert. Sie übernimmt nicht allein die Funktion der Richterin, sondern tritt auch in der Rolle der Anklage auf.36 Dergestalt reproduziert Kant den richterlichen und anklägerischen Rollenzusammenfall der Inquisitionsgerichtsbarkeit als „Versuch, Verbrechensaufspürung und Verbrechensuntersuchung, Parteitätigkeit und Richtertätigkeit in einer Person zu verbinden“37. Doch entsteht durch die Überlappung der beiden forensischen Rollen, der richtenden und der anklagenden, auch ein Problem, das Erkenntnisprozesse zu blockieren geeignet ist. Mit Blick auf die Rechtsgeschichte analysierte Gustav Radbruch 130 Jahre nach Kant die der Inquisitionsgerichtsbarkeit hieraus erwachsende erkenntnishemmende Dynamik. Dass der Begriff des Inquisitionsprozesses noch heute mit Unbehagen verbunden sei, liege in ebendiesem Rollenzusammenfall von Richterfunktion und Anklage begründet: „Berüchtigt ist diese Prozessform […] deshalb, weil sie den Beschuldigten einem mit richterlicher Machtvollkommenheit ausgestatteten Ankläger schutzlos ausliefert“38. Hierbei erweise es sich als besonders problematisch, „daß die richterliche Unparteilichkeit von der Parteistellung [des Richters] völlig verschlungen wird; während nämlich bei [von einem Dritten] erhobener Anklage der Richter die Frage zu beantworten hat: Hat er, der Ankläger, recht?, eine Frage, der er mit ungetrübter Objektivität gegenübersteht, bildet im Inquisitionsprozeß, in dem der Richter den Verdächtigen selbst aufgespürt hat, das Thema seiner weiteren Untersuchun34 Kant, KrV (Anm. 30), S. 9; vgl. hierzu u. a. Maria Chiara Pievatolo, The Tribunal of Reason: Kant and the Juridical Nature of Pure Reason, in: Ratio Juris 12 (1999), Heft 3, S. 311 – 327; Sofie C. Møller, The Court of Reason in Kant’s Critique of Pure Reason, in: Kant-Studien 104 (2013), Heft 3, S. 301 – 320; Sarah Ann Alexander, Resting in the Court of Reason. Kant’s Resolution to the Antinomy of Pure Reason, Philosophy Theses (= Paper 26), Georgia State University 2007, http://scholarworks.gsu.edu/cgi/viewcontent.cgi?arti cle=1025&context=philosophy_theses [Stand: 01. 02. 2014]. 35 Kant, KrV (Anm. 30), S. 9. 36 Vgl. Axel Hutter, Das Interesse der Vernunft. Kants ursprüngliche Einsicht und ihre Entfaltung in den transzendentalphilosophischen Hauptwerken (= Kant-Forschungen 14), Hamburg 2003, S. 154; Otfried Höffe, Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Grundlegung der modernen Philosophie (= Beck’sche Reihe), München 2011, S. 37. 37 Gustav Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft (1. Aufl., Leipzig 1910), in: ders., Gesamtausgabe, Bd. 1: Rechtsphilosophie I, hrsg. von Arthur Kaufmann, Heidelberg 1987, S. 157. 38 Ebd.
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gen die Frage: ,Habe ich mit meinem Verdachte recht gehabt?‘, und je mehr Maßregeln, Haussuchungen und Verhaftungen usw., er auf Grund dieses Verdachtes schon getroffen hat, um so weniger wird er geneigt sein, diese Frage zu verneinen und dadurch über sein bisheriges Verfahren selbst den Stab zu brechen.“39 So müsse man den Freispruch eines Angeklagten durch das Inquisitionsgericht als Einlassung des Gerichts verstehen, sich in der Sache von Anbeginn geirrt zu haben. Ein Eingeständnis, dem die Richter in Folge nicht zuneigten. Diese der Verurteilung zuarbeitende Schieflage des Inquisitionsprozesses wurde in der weltlichen Rechtsgeschichte dadurch beseitigt, dass man auf das Akkusationsprinzip zurückkam und es mit der Offizialmaxime verband. Die Verbrechensverfolgung verblieb in staatlicher Hand, jedoch nicht in der des Richters, sondern eines staatlich beauftragten Anklägers, den man mit der öffentlichen Anklage und Beweisführung in Strafsachen betraute.40 Die Funktion der Staatsanwaltschaft war entstanden und fand im 19. Jahrhundert von Frankreich aus ihren Einzug in das deutsche Gerichtswesen. In seinem Gerichtshof der Vernunft bewältigt Kant hingegen das Problem der Schieflage auf andere Art. So sichert er die Vernünftigkeit des Verfahrens nicht durch eine strikte Rollentrennung, die die richterliche Unparteilichkeit befördert, sondern dadurch, dass nicht nur die richterliche und anklagende Funktion, sondern alle forensischen Perspektiven und Interessen der Vernunft übertragen werden. Kant löst also die parteiliche Verklammerung der Vernunft in ihrer Richter- und Anklageposition dadurch auf, dass er ihr in der Verhandlung weitere prozedurale Rollen überträgt. Indem die Vernunft zusätzlich auch in die Rolle der angeklagten Partei schlüpft sowie deren professionelle Verteidigung übernimmt,41 beschreibt Kant nicht allein die unmittelbare Betroffenheit der Vernunft in der Sache und ihr existentielles Interesse am Ausgang des Verfahrens, sondern überträgt ihr auch die Aufgabe des Beschuldigtenbeistands. Eine weitere Perspektive tritt hinzu. So wirkt die Vernunft überdies als Normgeberin für das Verfahren vor dem Gerichtshof der Vernunft. Denn die Normen, auf die sich der Gerichtshof in seiner Verhandlung vor und gegen die Vernunft stützt, sind die Regeln der Vernunft.42 Um also den „dialektischen Widerstreit der Vernunft mit sich selbst in einer rechtlichen Perspektive“43 ins Bild zu setzen, bedarf es somit einer fünffachen Verortung der Vernunft in der forensischen Metapher: „In Kants Gerichtshof übernimmt die Vernunft nicht weniger als fünf Rollen. Sie ist die Angeklagte, die Anklägerin und die Verteidigerin, vor allem aber die Richterin, erläßt überdies die Gesetze, nach denen sie richtet, selbst.“44
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Radbruch, Einführung (Anm. 37), S. 158. Vgl. ebd. 41 Vgl. Hutter, Interesse (Anm. 36), S. 154; Höffe, Kants KrV (Anm. 36), S. 37. 42 Vgl. Höffe, Kants KrV (Anm. 36), S. 37. 43 Hutter, Interesse (Anm. 36), S. 154. 44 Höffe, Kants KrV (Anm. 36), S. 37. 40
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Diese multiperspektivische Konzeption stattet Kants Gerichtsmetapher mit einer großen Dynamik aus. Revolutionär – „revolutionary“45 sei sie, so die italienische Philosophin und Kant-Expertin Maria Chiara Pievatolo, insoweit sie den Prozess der Wahrheitserkenntnis durch die Vernunft als dynamischen zu verstehen helfe: „Reason is no longer a contemplating theoria, but a judging faculty.“46 Den Gerichtshof der Vernunft, erkenntnistheoretische Metapher für das Verfahren, in dem das mündige Individuum sich um die Wahrheitserkenntnis müht, führt Kant nun nicht allein als allgemein-prozedurale Konzeption vernunftbegründeter Erkenntnisprozesse an. Vielmehr nutzt er das Bild zugleich, um die Bearbeitung konkreter Denkprobleme zu illustrieren. So sieht er den Gerichtshof der Vernunft als Forum an, um wie vor ihm schon Leibniz die menschlich-denkerischen Versuche, Gott und das Leid zusammenzudenken, in ein Bild zu bringen. In seinem Beitrag „Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee“ hält Kant die Theodizeeproblematik in der Gerichtsmetapher fest, wie bereits seine Theodizeedefinition im Eingangssatz seines Beitrags erkennen lässt: „Unter einer Theodicee versteht man die Vertheidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt.“47
Im Bild des Gerichtshofs stellt die Theodizee somit „einen Prozeß [dar], in dem die Vernunft vor dem ,Gerichtshof der Vernunft‘ Gott als Schöpfer angesichts der Anklagen wegen der Übel und Leiden in der Welt zu verteidigen und zu rechtfertigen versucht.“48 Das Verfahren dient dem Ziel, Gott von dem Vorwurf zu entlasten, dass er das Übel zulasse, obwohl er die Möglichkeit habe, es abzuwenden. So tritt die Vernunft, die Gott wegen des Leids in der Welt anklagt, zugleich als seine Verteidigung auf und versucht sich in einem dialektischen Widerstreit als Richterin davon zu überzeugen, dass Gott in seinem Zulassen des Übels als gerechtfertigt gelten darf. Zugleich dient das Verfahren dem Zweck, die Vernunft selber zu entlasten, die trotz des logischen Widerspruchs der Leiderfahrung im Angesicht eines allmächtigen und allgütigen Gottes den Glauben an diesen Gott, seine Allmacht und seine Güte zu rechtfertigen versucht. In diesem Sinne übernimmt die Vernunft in der Theodizee nicht allein die Verteidigung Gottes, sondern überdies die Verteidigung ihrer selbst als der Instanz, die trotz aller Widersprüche die Vernünftigkeit des Glaubens zu be45
Pievatolo, Tribunal (Anm. 34), S. 312. Ebd., S. 312 – 313. 47 Immanuel Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee, in: Kant‘s Gesammelte Schriften „Akademieausgabe“, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8: Abhandlungen nach 1781, Berlin 1923, S. 253 – 271, hier: S. 255; vgl. auch Willi Oelmüller, Negative Theologie heute. Die Lage der Menschen vor Gott, München 1999, S. 100 – 101. 48 Willi Oelmüller, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Theodizee. Gott vor Gericht?, München 1990, S. 7 – 8, hier: S. 7; vgl. auch Willi Oelmüller, Philosophische Antwortversuche angesichts des Leides, in: ders. (Hrsg.), Theodizee. Gott vor Gericht?, München 1990, S. 67 – 86, hier: S. 84 f. 46
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gründen sucht. Hier bieten sich ihr allerhand Strategien an. Sie kann den Anklagevorwurf dadurch zu entkräften suchen, dass sie am Leid ansetzt und dem Übel seinen Stachel ontologisch zu ziehen versucht, indem sie dem Leid ein eigenständiges Sein aberkennt. Oder sie kann Gott dadurch rechtfertigen, dass sie im Zuge des Verfahrens ihr Gottesbild revidiert und ihm die Eigenschaften der Allmacht oder Allgüte abspricht. Oder sie kann dem Leid einen Zweck zuweisen, es zum Beispiel als für die menschliche Herzensbildung notwendig ausweisen oder es als göttliche Prüfung deuten. Allen Strategien, die hier nicht ausführlich referiert werden sollen, ist jedoch gemeinsam, dass sie vor dem Denkproblem kapitulieren, einen allgütigen und allmächtigen Gott und das Leid – als ontologisch reale Größe – zusammenzudenken. Denn ein Vernünftigkeitsaufweis, der durch die Überwindung des Widerspruchs von Leid auf der einen, der göttlichen Allgüte und Allmacht auf der anderen Seite zustande käme, kann der Vernunft aus logischen Gründen nicht gelingen. Die Theodizeefrage vor dem Gerichtshof der Vernunft zufriedenstellend zu beantworten, ist ein zum Scheitern verurteiltes Projekt.49 So erweisen sich die Rechtfertigungsstrategien der Vernunft letztlich als Bewältigungsstrategien eines Problems, die nur durch Modifikation der Prämissen des ursprünglichen Arguments zum Ziel kommen. Die Vernunft denkt entweder wahlweise Gott oder das Leid klein, um beide denkerisch zu integrieren. Oder sie weist dem Leiden einen tieferen und verborgenen Zweck zu. Eine Strategie, die nicht selten von religiösen Denkerinnen und Denkern gewählt wird, um Gott vom Verdacht des Übelwollens zu entlasten.50 „Vernünfteln“51 nennt Kant despektierlich solche Versuche, Gottes Handeln aus menschlicher Sicht einen Sinn zuzuweisen. Einen rational begründbaren Freispruch für Gott wie überdies für sich selber bleibt die Vernunft, wenn sie die Prämissen ihres Arguments aufrechterhält und nicht ins „Vernünfteln“ verfällt, letztlich schuldig. Und wenn sie es versucht, sind die Ergebnisse problematisch. Hierfür bemüht der Philosoph Otfried Höffe ebenfalls ein strafgerichtliches Bild, insoweit „die Vernunft, sobald sie ihre Grenzen überschreitet, mit Fehlschlüssen, Antinomien und mit Gottesbeweisen, die scheitern, ,bestraft‘ wird.“52 Bei Kant liest man hierzu, die Theodizee als Verteidigung Gottes angesichts des ihm Angelasteten sei der Versuch, „die Sache Gottes verfechten; ob es gleich im Grunde nichts mehr als die Sache unserer anmaßenden, hierbei aber ihre 49
Vgl. Oelmüller, Negative Theologie (Anm. 47), S. 99. Zu dieser „entschuldigenden“ Tendenz in der christlichen Tradition verhält sich der Philosoph Carl-Friedrich Geyer kritisch und plädiert für eine Revision: „Nicht zuletzt aufgrund eines verordneten Optimismus hat – anders als der Protest im säkularen Kontext – die Klage im Bewußtsein der religiösen Tradition weithin ihre Bedeutung eingebüßt. Sprüche wie ,lerne leiden ohne zu klagen‘ etc. haben in der Religiosität des Abendlandes ,die Klage kläglich gemacht‘. Hier wäre eine authentische Dimension im Umgang mit eigenem und fremdem Leiden wiederzuentdecken.“ (Carl-Friedrich Geyer, Das Theodizeeproblem. Ein historischer und systematischer Überblick, in: Willi Oelmüller [Hrsg.], Theodizee. Gott vor Gericht?, München 1990, S. 9 – 32, hier: S. 29). 51 Kant, Mißlingen (Anm. 47), S. 267. 52 Höffe, Kants KrV (Anm. 36), S. 37. 50
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Schranken verkennenden Vernunft sein möchte.“53 Dass man den Versuch der Verteidigung Gottes durch die Vernunft als Anmaßung zu verstehen habe, ist eine Theodizeekritik, die auf mehreren Ebenen ansetzt. Die ontologische Kausalitätenfrage wirft der Hinweis auf, dass die Vernunft, indem sie ihren eigenen Schöpfer zu verteidigen sucht, für den Grund ihres eigenen Seins Partei ergreift. Der Philosoph Peter Koslowski formuliert daher die Frage: „wie kann die menschliche Vernunft autonom Gott richten wollen, der doch die Vernunft geschaffen hat und sie übersteigt?“54 Diese Perspektive kann man auch aus theologischen Motiven kritisieren. Es lässt sich angesichts des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf anfragen, ob es dem Menschen überhaupt zustehe, Gottes Verteidigung zu übernehmen. Denn: „Theologisch ist die Vernunft Gabe Gottes und kann nicht als Selbstermächtigung des Menschen zum Richter Gottes gedacht werden.“55 Aus theologischer Sicht ist ebenso gegen ein Selbstverständnis Bedenken zu erheben, dass Gott der Verteidigung überhaupt bedürfe. So lässt sich vom Standpunkt des Glaubens aus die Frage stellen, ob man Gott als rechtfertigungsbedürftig verstehen dürfe. In diesem Sinne lässt sich „gegen das Unternehmen der Theodizee einwenden, daß man ohne Glauben an die Güte Gottes und ohne vorgängiges Vertrauen in Gott nicht über die Güte und Strenge Gottes reden kann.“56 Mit Blick auf die die menschliche Vernunft übersteigende Größe Gottes kann man ihm überdies den Willen absprechen, sich auf eine Anklagesituation einzulassen. Denn: „Wenn Gott allmächtig ist, warum sollte er sich dann vor dem Gerichtshof der Vernunft seines Untertanen, des Menschen, verantworten?“57 2. Hiobs Anklage Der Glaube legt dem glaubenden Subjekt somit nahe, vom Versuch einer Rechtfertigung Gottes mit den Mitteln der Vernunft Abstand zu nehmen. Denn die richterliche Position gegenüber dem eigenen Schöpfer einzunehmen, widerstrebt der bzw. dem Glaubenden. So lässt sich aus der Perspektive des Glaubens in Bezug auf das gleichermaßen bleibende Problem des Zusammendenkens von Gott und Leid nur eine andere Antwort finden, die nicht die Antwort philosophischer Theodizeen ist, sondern eine aus religiöser Perspektive akzeptable Umgangsweise mit dem Theodizeeproblem ermöglicht. Auf der Suche nach einer religiös inspirierten Reaktion auf das Problem landen theologische Denkerinnen und Denker fast unweigerlich bei Hiob, der biblischen Figur, die wie keine andere für das Fragezeichnen steht, das die Beziehung zwischen Gott und Mensch angesichts der menschlichen Leiderfah53 Kant, Mißlingen (Anm. 47), S. 255; vgl. hierzu auch Geyer, Theodizeeproblem (Anm. 50), S. 21. 54 Peter Koslowski, Der leidende Gott. Theodizee in der christlichen Philosophie und im Gnostizismus, in: Willi Oelmüller (Hrsg.), Theodizee. Gott vor Gericht?, München 1990, S. 33 – 66, hier: S. 34. 55 Ebd. 56 Ebd., S. 33. 57 Ebd., S. 34.
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rung kennzeichnet. Hiobs Umgang mit dem Theodizeeproblem ist kein philosophisches, sondern Reaktion des Geschöpfes auf die Erfahrung seines übermächtigen Schöpfers: „Der religiöse Mensch richtet nicht mit Gott vor dem Richterstuhl seiner, der Menschen, Vernunft, sondern er unterwirft und fügt sich. So streitet zwar Hiob mit Gott, unterwirft sich aber schließlich.“58
In der Hioberzählung ist jedoch nicht allein das Moment des Unterwerfens zentral. Vielmehr geht Hiobs Unterwerfung der Protest gegen Gottes Handeln, dem Hiob ein Zerbrechen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs vorwirft, und die gegen Gottes Missverhalten gerichtete Anklage voraus. So lassen sich Protest und Klage als zentrale Momente einer religiös inspirierten Reaktion auf das Leid als eine mit einem allmächtigen und allgütigen Gottesbild unvereinbare Erfahrung identifizieren. Im Protest erkennt der Philosoph Carl-Friedrich Geyer vor allem die säkular-literarisch genutzte Verarbeitungsform der Leiderfahrung, während er die Klage als religiöse Entsprechung des Klagemodus deutet.59 Nichtsdestoweniger zeigt sich im Hiobbuch, das beide Reaktionsweisen in religiösen Kontexten ihren Sitz haben. Im Zusammenhang einer religiös motivierten Reaktion auf das Theodizeeproblem erfüllen Protest und Klage eine zweifache Funktion. Sie sind menschliche Opposition gegen das Leid, dessen Erfahrung sich mit der Überzeugung von einem allmächtigen wie allgütigen Gott nicht vereinbaren lässt. Und sie sind Zurückweisung menschlicher Versuche, das Problem spekulativ wegzudenken. So richtet sich der Protest wie auch die Klage nicht allein gegen die Leiderfahrung selber, sondern ebenso gegen Denkversuche der logischen Verarbeitung dieser Erfahrung. In diesem Sinne kann man den Protest gegen Versuche einer vernünftigen Erklärung der menschlichen Leiderfahrung als Widerstand gegen einen unzulässigen und nicht sachgerechten „Optimismus der Theodizee“60 verstehen. Wer protestiert und klagt, verwahrt sich „gegen die philosophisch-pseudojuristische Flucht in die Frage nach seiner [des Leidens] Vernünftigkeit.“61 Das Hiobbuch richtet gegenüber diesbezüglich leichtfertigen Erklärungsversuche ein Denkverbot auf: „Die Hioberzählung sperrt sich nicht zuletzt deshalb gegen die Integration in eine Theodizee, weil die Klage Hiobs gegen den konstruierten und verordneten Sinn die Weigerung enthält, das Leiden als notwendig oder sogar zweckhaft anzuerkennen.“62
Wenn sich jedoch die philosophisch-forensischen Versuche einer Rechtfertigung Gottes vor dem Gerichtshof der Vernunft als logisch kontingent erweisen und eine Glättung und Verschleifung des Problems durch „Vernünfteln“ nicht statthaft ist, bleibt die Frage, wie aus der Perspektive des Glaubens in angemessener Weise 58
Ebd., S. 33. Vgl. Geyer, Theodizeeproblem (Anm. 50), S. 29. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 Ebd.
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mit dem Problem der Theodizee umzugehen ist. Ein Ausblenden des durch die Leiderfahrung erzeugten Widerspruchs bildet hierbei keine Option. Denn die mit der Theodizeeproblematik verbundenen Fragen erweisen sich mit Blick auf die menschliche Gottesbeziehung als „legitime[n], ja notwendige Fragen, wenn der Mensch aufrichtig und ohne Heuchelei über und zu Gott sprechen will“63. Als Vorbild einer gläubigen Reaktion dient vielfach Hiob, der im Angesicht der Unmöglichkeit, eine vernünftige Erklärung für sein Schicksal zu finden, aufrichtig mit seinem Denkproblem umgeht. Resultat ist sein an Gott adressierter Protest, der jedoch zugleich den Modus der Geschöpflichkeit gegenüber dem allmächtigen Schöpfer wahrt. So wagt Hiob eine Anklage, nicht ohne sich seiner unterlegenen Position bewusst zu sein. Der Philosoph Willi Oelmüller hält diese Ambivalenz der Hiobsschen Anklagerede fest: „Der biblische Hiob weiß bei all seinen Fragen, Klagen und Anklagen vor Gott und gegen Gott, daß er sich – im Gegensatz zu den modernen Theodizeespekulationen – in einer Lage befindet, in der er Gott gar nicht vor ein Schiedsgericht ziehen kann.“64
Die Unmöglichkeit, sich mit Gott in einem gerichtlichen Streit zu messen, ist Hiob bewusst, wenn er Gott entgegenhält: „Denn du bist kein Mensch wie ich, dem ich entgegnen könnte: Lasst uns zusammen zum Gericht gehen!“ (Hiob 9,32). Gott sei den Menschen schließlich so überlegen, dass man sich nicht mit ihm messen könne. Daher räumt Hiob ein: „Wie wäre ein Mensch bei Gott im Recht! Wenn er mit ihm gerichtlich streiten wollte, nicht auf eins von tausend könnt er ihm Rede stehen.“ (Hiob 9,2 – 3). Und doch bleibt der Wunsch, es wäre möglich, Gott (schieds-) gerichtlich zu belangen: „Gäbe es doch einen Schiedsmann zwischen uns! Er soll seine Hand auf uns beide legen.“ (Hiob 9,33). Hiob weiß um die Grenzen seines Versuchs, Gott zu einem Streit mit ihm herauszufordern, jedoch kann er darauf auch nicht verzichten. Denn um seiner Würde willen und zur Verteidigung seiner Integrität kann er Gottes Verhalten nicht tolerieren und nicht unkommentiert lassen.65 In dieser Situation der Hilflosigkeit, in der Hiob seine Anklage formuliert, die unbeantwortet zu bleiben droht, ereignet sich Unerwartetes. Denn Hiob erhält eine Reaktion: Gott antwortet ihm (vgl. Hiob 38,1 – 40,2; 40,6 – 41,26), wenngleich nicht im erwartbaren Modus einer Erklärung. Die Antwort ist eigentümlich, denn sie pariert Hiobs Anfrage, verweigert jedoch eine Begründung. Weder nimmt die Gottesrede aus dem Wettersturm expliziten Bezug auf Hiobs Schicksal, noch bemüht sich Gott um eine Rechtfertigung für sein Tun. Warum er den Tun-Ergehen-Zusammenhang durchbricht, lässt er unkommentiert. So begibt sich Gott nicht auf Hiobs Niveau, sieht sich seinem Geschöpf gegenüber nicht als rechenschaftspflichtig. Doch Hiobs Anklage ist ihm eine Antwort wert. In diesem Sinne nimmt Gott Hiobs Streiten mit ihm ernst. Den erhobenen Vorwurf, in der Welt regiere das Chaos und Gott gebärde sich tyrannisch, pariert dieser differenziert. Nicht alle Wi63
Oelmüller, Negative Theologie (Anm. 47), S. 101. Ebd., S. 99. 65 Vgl. hierzu auch Nehama Verbin, Divinely Abused. A Philosophical Perspective on Job and his Kin, London 2010. 64
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dersprüche löse er auf. Chaos, Brüche und Leid seien der Schöpfung inhärent. Nichtsdestoweniger sei die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit in seiner Hand. Der Alttestamentler Jürgen Ebach schreibt: „Tatsächlich gibt es in der Welt, die keine heile Welt ist, chaotische Elemente (genauer: solche, die sich der menschlichen Ratio entziehen). Doch ist die Welt nicht als ganze chaotisch. Vielmehr läßt Gott jene der menschlichen Ratio, der menschlichen Lebensweise entgegengesetzten Tiere leben, – freilich nicht herrschen.“66
So sei es Gott selber, „der die in Leviathan und Behemoth sich manifestierenden Chaosmächte immer wieder bekämpft und begrenzt.“67 Die von Hiob wahrgenommen und beklagten Widersprüche zwischen Gutem und Bösem, zwischen Tun und Ergehen, seien daher Antinomien, die es jedoch in „Analogie zur Widersprüchlichkeit der Welt im ganzen“68 zu erfassen gelte. Hierbei sei jedoch zur Kenntnis zu nehmen, dass Gott keine Begründung für Hiobs Widerfahrnis leistet: „Die Analogie indes ist nicht die Begründung für Hiobs Leiden, vollends nicht die Theodizee. Hiobs Geschick wird mit den Widersprüchlichkeiten der Welt nicht in einen kausalen oder konsekutiven Zusammenhang gebracht, nicht begründet und nicht erklärt, nicht legitimiert und nicht eingeordnet.“69
Hiobs Leiden bleibt ungerechtfertigt – und weder Gott noch die Vernunft plausibilisieren, warum es ihm widerfuhr.
III. Der gerichtstheologische Ertrag: Gott – persona standi in iudicio Produzieren also weder die modernen Theologiespekulationen noch die im biblischen Zeugnis überlieferte göttliche Selbstauskunft eine Antwort auf das in der Theodizeefrage gefasste Denkproblem, so stellt sich die Frage, welche über die philosophischen Begründungsprojekte hinausgehende Bedeutung man den religiösen Antwortversuchen auf das Problem attestieren sollte. Denn indem Gott seinen Geschöpfen eine ihn rechtfertigende Antwort versagt, sind sie als religiöse Denkerinnen und Denker um nichts klüger als die philosophische Vernunft in Kants Gerichtshof der Vernunft, die Gott nicht freisprechen kann, ohne die Prämissen ihres Arguments nachträglich zu dekonstruieren oder ins „Vernünfteln“ zu verfallen. Wozu also Hiobs Streiten? Was leisten religiös inspirierter Protest und Klage, was der Gerichtshof der Vernunft nicht zu bewerkstelligen imstande ist? Keinen Erkenntnisvorsprung in der Theodizeefrage. Denn diesbezüglich erweist sich Gott in Hiobs Streit als keine optimale Verfahrenspartei. Als Angeklagter verhält er sich sperrig, denn auf die ihm 66 Jürgen Ebach, Leviathan und Behemoth. Eine biblische Erinnerung wider die Kolonisierung der Lebenswelt durch das Prinzip der Zweckrationalität, Paderborn u. a. 1984, S. 32. 67 Ebd. 68 Ebd. 69 Ebd.
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vorgeworfene Sache reagiert er zwar, äußert sich jedoch nur vergleichsweise indirekt zum Thema. Zur Klärung des Sachverhalts kann seine Einlassung daher nicht beitragen. Das Prä eines theologischen Beitrags zur Theodizeefrage liegt somit nicht auf der Ebene des sachlichen Erkenntnisgewinns. Jedoch hat Hiobs Klagemodus dem Verfahren vor dem Gerichtshof der Vernunft eines voraus: er ist beziehungsstiftend. Denn das Streiten mit Gott hat Bedeutung für Hiobs Gottesbeziehung. Auch wenn Gott Hiob eine Rechtfertigung schuldig bleibt, gönnt er ihm eine Antwort. So entsteht aus dem Konflikt ein Kontakt, eine Auseinandersetzung zwischen beiden Akteuren, die Hiob zwar ohne Begründung, aber mit einer Antwort zurücklässt. Der Clou an Hiobs Streiten mit Gott liegt somit nicht im Erkenntnisgewinn in der Sache, sondern vielmehr in der Bereitschaft Gottes, Hiobs Anklage zu erwidern. Dieser Gedanke lässt sich verfahrenstheoretisch vertiefen und gerichtstheologisch weiterführen. So offenbart sich in einer verfahrenstheoretischen Relektüre der Interaktion zwischen Hiob und Gott die Option, das forensische Szenario als Ort der Gottesbegegnung zu deuten. Zwar zeigt sich Gott nicht zur Selbstrechtfertigung bereit. Jedoch räumt er Hiob gegenüber ein, dass er dessen Auskunftsbedarf für gerechtfertigt hält. Gott ermöglicht also eine Kontroverse, allerdings in der von ihm bestimmten Relation: als Auseinandersetzung zwischen dem allmächtigen Schöpfer und seinem Geschöpf. Als Schöpfer gerät Gott nicht in einen Rechtsfertigungszwang, er steht über den Dingen und muss die Widersprüchlichkeit seiner Welt nicht gegen sich gelten lassen. Als dem Geschöpf zugewandter Gott erklärt er sich dennoch zu einem Streit bereit. Fasst man Gottes Antwort an Hiob in eine forensische Metapher, kann man sie als Gottes Prozessfähigkeitserklärung ins Bild bringen. Gott erklärt sich – indem er freiwillig auf Hiobs Anklage eingeht – für prozedural rollenfähig. Indem er sich den Status einer Partei zuschreibt, die eine prozessuale Rolle ausfüllt, macht er sich anklagbar und ermöglicht dem Menschen das Hiobsche Streiten mit ihm. So begibt er sich selber in die Rolle einer persona standi in iudicio,70 wenngleich er aufgrund seiner Allmacht im Grunde nicht belangt werden könnte. Verbunden mit der Begriffsgeschichte der Rede von der persona standi in iudicio ist die gerichtliche Inszenierung der Parteienpositionen im Gerichtssaal. Diesen Symbolcharakter des Vor-Gericht-Stehens arbeitete die Rechtswissenschaftlerin und Medientheoretikerin Cornelia Vismann in ihrem letzten und posthum erschienenen Werk „Medien der Rechtsprechung“ mit Blick auf die weltliche Rechtsprechungskonzeption heraus: „Die staatliche Gewalt nimmt Platz, alle anderen stehen. Stehend hat der Angeklagte sich vor Gericht zu verantworten. Stehend fordert er sein Recht vor Gericht ein. So sehr kenn70
Zu Begriff und Symbolik des standi in iudicio: vgl. Cornelia Vismann, Medien der Rechtsprechung, Frankfurt am Main 2011, S. 168. Zum in der kirchlichen Rechtskultur genutzten Begriff der capacitas standi in iudicio: vgl. Stefan Margelist, Die Beweiskraft der Parteiaussagen in Ehenichtigkeitsverfahren (= Tesi Gregoriana, Serie Diritto Canonico 14), Rom 1997, S. 85 – 88.
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zeichnet das Stehen vor Gericht die Rechtsprechung, dass es zum Synonym für die subjektiven Rechte wird, die einer gegenüber dem Staat hat. ,To have standing‘ heißt, eine Rechtsposition zu haben.“71
Eine Anwendung dieses Bilds auf die selbst erklärte Rollenfähigkeit Gottes hat ihre Grenzen. Denn Gott begibt sich nicht auf Hiobs Niveau und lehnt es ab, sich als allmächtiger Schöpfer vor dem Gericht seiner Kreatur zu rechtfertigen. In diesem Sinne insinuiert das Bild, Gott als persona standi in iudicio zu sehen, eine Gleichwertigkeit von Schöpfer und Geschöpf, die missverständlich ist. Doch so sehr die Analogie hinkt, so sehr erhellt sie einen Aspekt der Gottesbegegnung im Modus des Protests und der Anklage. Denn mit dem Gedanken der Prozessfähigkeit des wörtlich zu verstehenden Vor-Gericht-Stehens der Parteien verbindet sich die Unmittelbarkeitsidee, die der stehenden – unmittelbaren und authentischen – Konfrontation von Angeklagtem und Gericht entspringt. „Wer steht, wird nicht lange reden. Auch das mag im Kalkül einer Justiz gelegen haben, die den Angeklagten stehen lässt. Seine Rede ist instantan, was wörtlich genommen eine Rede im Stehen ist. Was würde die Prozessregel der Unmittelbarkeit besser umsetzen, als diese instantane Rede vor Gericht?“72
Es ist nicht näher erläuterungsbedürftig, dass auch diese Analogie für menschliches Streiten mit Gott ihre Grenzen kennt. Jedoch enthält sie mit dem Prinzip der Unmittelbarkeit, das einer mündlich vor einem Spruchkörper geführten Verhandlung eigen ist, ein Moment, das die mit der selbst erklärten Prozessfähigkeit Gottes verbundenen Folgen geeignet beschreibt. Denn indem Gott sich dem menschlichen Streiten als Partei zur Verfügung stellt, lässt er den menschlichen Protest und die Klage unmittelbar zu. Der menschliche Vorwurf richtet sich an ihn direkt. So erweist sich Gott in der von ihm gewählten Rolle der persona standi in iudicio als unmittelbar adressierbar. Mit Blick auf die in der Hiobserzählung gefassten Antwort Gottes aus dem Wettersturm lässt sich mit dem forensischen Unmittelbarkeitsparadigma zugleich die Hoffnung verbinden, dass auch die göttliche Reaktion mit einer Unmittelbarkeitserwartung verbunden werden kann. Zu erhoffen ist keine Theodizee, keine Rechtfertigung Gottes, die den logischen Widerspruch der Leiderfahrung im Angesicht Gottes aufzuheben vermag, jedoch die Zusage göttlicher Präsenz und unmittelbarer Zugewendetheit. Versteht man die Antwort Gottes an Hiob als Prozessfähigkeitserklärung Gottes, die dem an Gott gerichteten Protest und die Klage einen forensischen Raum eröffnet, in dem der Unmittelbarkeitsgrundsatz Anwendung findet, tut sich in einem weiteren Schritt die Frage nach der gerichtstheologischen Relevanz dieser Erkenntnis auf. In zweifacher Weise gilt es, den Ertrag der forensischen Bildwelt zur Beschreibung des Verhältnisses von Gott und Mensch gerichtstheologisch zu sichern: zum ersten, indem es das Gericht als Ort der Theodizee – des Protests und der Klage – nicht 71 Vismann, Medien (Anm. 70), S. 168; zum Sitzen als Symbol der Herrschaft vgl. auch Piero Calamandrei, Lob der Richter. Gesungen von einem Advokaten, München 1956, S. 194. 72 Vismann, Medien (Anm. 70), S. 169.
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nur wahrzunehmen, sondern theologisch zu deuten gelingt. Zum zweiten, indem das Gericht als Ort der Gottesbegegnung entdeckt und theologisch reflektiert wird. Dass das Kirchengericht ein Forum darstellt, an dem menschliches Leid in zweifacher Weise zum Thema gemacht wird, wurde herausgearbeitet. Hier wird in den Streitverfahren – vor allem im Ehenichtigkeitsverfahren – das faktisch von den Parteien erfahrene Leid gerichtlich thematisiert. In den Strafverfahren wird das Leid der Opfer, jedoch auch die biographischen Brüche der Beschuldigten angesprochen. Zugleich spielt neben dem Leid als solchem bereits die theologische Deutung der Leiderfahrung eine Rolle. So wird in den Anfragen der Betroffenen nach dem Warum ihrer Erfahrung die Theodizeefrage gestellt und die gerichtlich verarbeiteten Erfahrungen in Erwartungen an eine theologisch verantwortete Begründungsperspektive transformiert. Versteht man das Kirchengericht als einen Ort, an dem die Theodizeefrage akut wird, und als einen Ort der Theologie, an dem die Reflexion von Glaubenspositionen geschieht und geschehen soll, muss sich das Gericht als Ort der Theodizee – als Kontext der theologisch verantworteten Bearbeitung der Theodizeefrage – erweisen, an dem der religiös inspirierte Protest und die Klage ihren Platz haben. Es muss Raum sein für den menschlichen Widerstand gegen die in der Theodizeefrage gefasste Widersprüchlichkeit von Leiderfahrung und christlichem Gottesbild. Und es muss Protest gegen philosophisch oder theologisch motivierte Versuche, das Leid mit Sinn auszustatten, möglich sein. Das Gericht erweist sich in diesem Sinn als Ort des Protests und der Klage, an dem ein Aufbegehren gegen das Leid wie die menschliche Weigerung, der eigenen Leidenserfahrung einen Sinn zuzusprechen, ihren Platz hat. Überdies muss es gelingen, theologisch zu plausibilisieren, dass das Gericht als Ort theodizeebedingter Krise einen Kontext der Gottesbegegnung darstellt. Als Forum, auf dem eine Begegnung unter Glaubenden stattfindet, gilt für das gerichtliche Zusammentreffen ganz grundsätzlich die jesuanische Zusage der göttlichen Präsenz. So darf sich jede Versammlung unter Glaubenden auf die jesuanische Verheißung „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20) berufen. In diesem Sinne weist Myriam Wijlens darauf hin, dass es rechtstheologisch jede Begegnung zwischen Kanonistinnen und Kanonisten und gläubigen Parteien oder Ratsuchenden in ihrer theologischen Dignität zu erfassen gelte.73 Diese Begegnung steht jedoch am Ort des Gerichtes in einer besonderen Spannung, insoweit man das kirchliche Verfahren als protest- und klageproduktiven Begegnungsmodus und damit als einen Raum der Gottesbegegnung der besonderen, nämlich konfliktiven Art zu deuten hat. In diesem Kontext wächst der Zusage göttlicher Präsenz eine besondere forensische Qualität zu, die sich der göttlichen Prozessfähigkeitserklärung verdankt. Wenn also das im Angesicht des allmächtigen und allgütigen Gottes unerklärbare Leid im Zuge seiner gerichtlichen Thematisierung Protest und Klage erzeugt, verweist die hierbei formulierte anklagende Adresse nicht auf einen Außenstehenden, sondern richtet sich unmittelbar an Gott, der sich zur persona standi in iudicio und damit für prozessfähig erklärt hat und sich derge73 Vgl. Myriam Wijlens, Ethical Issues Confronting the Professional Canonist, in: CLSA Proceedings 59 (1997), S. 300 – 313, hier: S. 308.
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stalt unmittelbar den menschlichen Vorwürfen stellt. In dieser Perspektive ist Gott selber als Partei in einem kirchlichen Verfahren präsent. Als allmächtiger Angeklagter kann ihm der Mensch keine Rechtfertigung für das Zulassen des Leids abringen. Als allgütiger Gott jedoch stellt er sich als Adressat menschlichen Protests zur Verfügung. So ergreift er, indem er sich selber zur Partei erklärt, selber Partei – für Hiob, den Menschen, der Klage gegen sein Schicksal erhebt.
„Wahrer Gott und wahrer Mensch“ – Christologie und Pastoral Andreas Wollbold
I. Die Kirche, der fortlebende Christus? Dass Kirche und Pastoral etwas mit Christus zu tun haben sollen, wird theoretisch niemand bestreiten. Anders praktisch: Dostojewskis Großinquisitor muss sich der Gestalt Jesu ganz programmatisch entledigen. Aber nicht nur in klerikalem Machtgehabe stört der Herr nur, sondern auch in einem kirchlichen Großapparat von Institutionen, Organisationen, Strukturen und Angestellten kann der Rückbezug auf ihn seltsam bedeutungslos werden. Kirche als selbstreproduzierendes System, für dessen Funktionieren die Gründung durch Christus über Sonntagsreden nicht hinausreicht – wer wollte die Gefahr dessen leugnen? Das neuere Selbstverständnis des kirchlichen Rechtes, besonders die „Münchener Schule“, hat diese Gefahr der Selbstverschließung der sichtbaren Kirche erkannt und begegnet ihr mit einer dezidiert theologischen Konzeption von Institutionalität und Recht. Grund genug, theologisch nachzufragen: Was genau hat die Pastoral mit Christus zu tun? Mehrere Möglichkeiten gehören zum Grundbestand heutiger Selbstvergewisserung der Kirche, je nachdem wie man ihre Grundaufgabe umschreibt: ¢ Soll sie Menschen in die Kirche eingliedern, sie taufen und sie zu eifrigen Kirchenmitgliedern machen? – Christus als Stifter der Kirche. ¢ Soll sie zum Glauben an ihn führen? – Christus als „sacramentum“ bzw. Mittler des Heils. ¢ Soll sie hinausgehen und evangelisieren? – Christus als Künder des Reiches Gottes. ¢ Soll sie die „Sache Jesu“, sein Reich-Gottes-Programm von Frieden und Gerechtigkeit, vorantreiben?1 Soll sie dafür wie er heilen – vielleicht nicht mehr so hand1 „Jesus von Nazareth ist das Prinzip der Gemeinde, ihr Stifter und ihr Herr. Jesus von Nazareth ist auch das konkrete Prinzip der Praktischen Theologie. Nicht das abstrakte dogmatische Prinzip einer Zweinaturenlehre, sondern die konkrete historische Fülle dieser Gestalt, die alles Handeln der Kirche unter einen Maßstab stellt“ (Günter Biemer/Pius Siller, Grundfragen der praktischen Theologie, Mainz 1971, S. 144). Es war vor allem Heinz Schuster, der die Orientierung an der „Sache Jesu“ vorangetrieben hat: Heinz Schuster, Die Praktische Theologie unter dem Anspruch der Sache Jesu, in: Ferdinand Klostermann/Rolf
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fest leiblich wie er selbst, aber doch das Wunder der Vermenschlichung der Gesellschaft vollbringen2? – Christus als Messias und Künder einer neuen Zeit. ¢ Soll sie sich selbst überschreiten beim Einsatz für den Fortschritt und für eine bessere Welt? Dem entsprechen Leitworte wie: „Helft den Menschen leben“3, „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“4 oder Diakonie, keine „Rekrutierung“ von Kirchenmitgliedern. Evangelisieren versteht dann das Reich Gottes als Vision von einer besseren Welt und Christus als den Vorkämpfer dafür. Was Christus begann, das wollen wir fortsetzen, oder etwas vorsichtiger: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Lasst es uns immer wieder versuchen – die Pastoral der Stehaufmännchen! – Der kosmische Christus, die „Seele der Welt (anima mundi)“, der Zielpunkt aller Geschichte, der „Punkt Omega“ (Teilhard de Chardin). ¢ Oder soll sie den diakonischen Umgangsstil Jesu nachahmen, seine Zuwendung zu Armen, Schwachen und Ausgegrenzten5 ? – Christus als engagierter Mensch. ¢ Oder sollte man sich auf Toleranz und soziales Gewissen beziehen, wie es Jesus vorgelebt hat? – Christus als Inbegriff einer moralischen Religion (Aufklärung). Man sieht, die verschiedenen Strömungen in der Pastoral lassen sich aus ihrem Verhältnis zur Gestalt und Sendung Jesu Christi begreifen. In der Pastoraltheologie findet sich die Rückfrage nach Jesus in der Kriteriologie wieder, d. h. in der Suche nach den Maßstäben pastoraler Entscheidungen. Die Kriteriologie umfasst Bewertungs- und Präferenzurteile in praktischer Absicht, d. h. im Blick auf notwendige Entscheidungen wie diese: Warum etwa soll an dieser und nicht an jener Stelle gespart werden? Oder warum ist ein bestimmtes Firmalter angemessener als ein anderes? Warum predigt man an einem bestimmten Sonntag dies und nicht das? Was bei den Alternativen zum Verhältnis der Pastoral zu Christus auffällt, ist, dass sie das christologische Bekenntnis zum einen Gott in zwei Naturen sehr verschieden aufZerfaß, Praktische Theologie heute, München/Mainz 1974, S. 150 – 163. Zur Orientierung an den Werten des Reiches Gottes vgl. etwa Max Hofer, Das Bistum Basel auf dem Weg in die Zukunft, in: ThPQ 143 (1995), S. 115 – 119; ders., „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit … (Mt 6,33)“: Arbeitsinstrument für Pastorales Handeln im Bistum Basel, in: PthI 14 (1994), H. 1 – 2, S. 41 – 45. 2 Die vorschnelle Identifikation mit dem heilenden Jesus wirft allerdings mehr Probleme auf, als sie löst, vgl. Ulrich Bach, „Heilende Gemeinde“? Theologische Anfragen an einen allgemeinen Trend, in: WzM 47 (1995), S. 349 – 362; ders., „Heilende Gemeinde“? Versuch, einen Trend zu korrigieren, Neukirchen-Vluyn 1988. 3 Paul M. Zulehner, Helft den Menschen leben. Für ein neues Klima in der Pastoral, Freiburg i.Br. 1978. 4 Jacques Gaillot, Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts. Erfahrungen eines Bischofs, Freiburg i.Br. 1990. 5 Vgl. etwa Herbert Haslinger, Diakonie zwischen Mensch, Kirche und Gesellschaft. Eine praktisch-theologische Untersuchung der diakonischen Praxis unter dem Kriterium des Subjektseins des Menschen (= Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 18), Würzburg 1996.
„Wahrer Gott und wahrer Mensch“ – Christologie und Pastoral
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greifen: von die Göttlichkeit, Heilsfülle und Herrschaft Christi betonenden Ansätzen bis hin zu (heute deutlich überwiegenden) seine Menschheit betonenden Modellen. Auf den folgenden Seiten sollen nun aber nicht vorhandene Entwürfe gewissermaßen auf der christologischen Skala platziert werden. Kriteriologisch sollen vielmehr die eigentlichen Maßstäbe für ein rechtes Verhältnis von Christologie und Pastoral entwickelt werden. Dazu sind zwei Teilfragen zu bearbeiten: ¢ Wie ist das Verhältnis von Christus und Kirche als Trägerin der Pastoral zu verstehen? (II.) ¢ Wie lässt sich dieses so bestimmte Verhältnis im Einzelnen als Kriterium pastoraler Entscheidungen gebrauchen? (III.)
II. Wie ist das Verhältnis von Christus und Kirche als Trägerin der Pastoral zu verstehen? Die dogmatische Konstitution über die Kirche des II. Vatikanischen Konzils „Lumen Gentium“ spricht von einer „nicht unbedeutenden Analogie“ zwischen dem fleischgewordenen Wort und der Kirche in ihrem Wesen und ihrer Sendung: „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichen und göttlichen Elementen zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. (Ideo ob non mediocrem analogiam incarnati Verbi mysterio assimilatur.) Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16).“ (LG 8)
Man merkt diesem Passus deutlich an, dass ihm eine jahrhundertelange Diskussion vorausgeht. In ihr beschreiten die Konzilsväter einen Mittelweg, wenn sie nicht von Identität der Inkarnation des Sohnes Gottes und des Wesens der Kirche sprechen, sondern von „einer nicht unbedeutenden Analogie“. D. h. die Kirche ist nicht Christus, sie ist nicht die verlängerte Inkarnation. Sie ist auch nicht Herr und Meister wie Christus selbst. Was aber dann? Theologiegeschichtlich gingen in diese Worte mindestens vier verschiedene Vorstellungen ein. Sie hängen zwar zusammen, müssen aber klar auseinander gehalten werden. (1) Die Fortführung der Inkarnation in der Kirche, etwa einflussreich bei Johann Adam Möhler: „So ist denn die sichtbare Kirche […] der unter den Menschen in menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich erneuernde, ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben, so
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wie denn auch die Gläubigen in der heiligen Schrift der Leib Christi genannt werden.“6 (2) Die Einheit von menschlichem und göttlichem Element in der Kirche („eine einzige komplexe Wirklichkeit“ [LG 8]) wird in der neueren Theologie gern mit der Sakramentalität der Kirche verbunden (vgl. LG 1), so dass alles Sichtbare in der Kirche der unsichtbaren Gnade, also dem Heilswirken Gottes, dient. (3) Der mystische Leib Christi („corpus Christi mysticum“) in der Theologie der Kirchenväter, besonders des Augustinus, welche die katholische Tübinger Schule in romantisch-organologischem Denken aufgegriffen hat, ebenso wie bei Leo XIII. (Enzyklika „Satis cognitum“7) und Pius XII. (Enzyklika „Mystici corporis“8), oft verbunden mit der Vorstellung, dass die Seele dieses Leibes Christus – oder der Heilige Geist, wie LG 8 sagt – ist. „Hier trifft sich die Konstitution am eindeutigsten mit Leo XIII. Er stellt drei Vergleichsgrößen zur Deutung des Verhältnisses von ,sichtbar-unsichtbar‘ im göttlichen Heilswirken nebeneinander: Christus, Gottheit und Menschheit; Mensch als Seele und Leib; Kirche, ,deren sichtbare Bestandteile ihr Leben und ihre Kraft aus den übernatürlichen
6 Johann Adam Möhler, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. Hrsg., eingeleitet und kommentiert von Josef Rupert Geiselmann, Köln/Olten 1958, § 36 (S. 389). Bei Möhler dient die Idee der Abgrenzung vom Protestantismus und der Verbindung von Unsichtbarem und Sichtbarem, Göttlichem und Menschlichem in der Kirche. Die Vorstellung von der Kirche als verlängerte Inkarnation ist allerdings der katholischen Ekklesiologie schon seit langem vertraut, so Thomas von Aquin oder den Theologen der sogenannten französischen Schule der Spiritualität (vgl. Yves Congar, Dogme christologique et ecclésiologie. Vérité et limites d’un parallèle, in: ders., Sainte Église. Études et approches ecclésiologiques, Paris 1963, S. 69 – 104, hier S. 70; erstmals abgedruckt deutsch in: Aloys Grillmeier/Heinrich Bacht [Hrsg.], Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart. Bd. III. Chalkedon heute, Würzburg 1954, S. 239 – 269, sowie Yves Congar, Christologisches Dogma und Ekklesiologie. Wahrheit und Grenzen einer Parallele, in: ders., Heilige Kirche, Stuttgart 1966, S. 65 – 104). 7 ASS 28 (1895 – 96) S. 709 – 757, hier S. 710 (DH 3300). Bei Leo XIII. dient der Bezug zum Leib Christi dazu, ihr göttliches Wesen und Wirken zu erläutern, das sie von einer bloß menschlichen Religionsvereinigung unterscheidet, sowie dazu, die Einzigkeit der Kirche zu unterstreichen. Wie LG 8 gebraucht auch er den Bezug zur hypostatischen Union als Analogie („Sicut Christus […], sic corpus eius mysticum“ [DH 3301]), nicht aber im Sinn einer Identität des Persongeheimnisses Christi in zwei Naturen mit dem Wesen der Kirche. 8 AAS 35 (1943) S. 200 – 243 (in Auszügen DH 3800 – 3822), hier insbesondere DH 3806 („Wie Christus in der Kirche lebt“) sowie S. 3807 f. („Der Heilige Geist als Seele der Kirche“). Pius XII. geht einerseits sehr weit in der Analogie der Kirche zur Inkarnation Christi („sed ex eo etiam, quod ita Ecclesiam sustinet et ita in Ecclesia quodammodo vivit, ut ipsa quasi altera Christi persona exsistat“ [DH 3806]), andererseits weist er unmittelbar darauf die Vorstellung der Kirche als verlängerte Inkarnation im eigentlichen und ontologischen Sinn ausdrücklich zurück. Sie sei vielmehr in ihrer sichtbaren ebenso wie in ihrer unsichtbaren Gestalt das vollkommene Abbild Christi („Christi imaginem quam perfectissime exprimat“).
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Gaben schöpfen und ihre Kraft aus jenen anderen Quellen, aus denen ihre Natur und ihr Wesen hervorgeht‘.“9 (4) Die Verbindung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche, eine in Abgrenzung von der „ecclesia invisibilis“ des Protestantismus entwickelte Denkfigur, wie sie vor allem die nachtridentinische Theologie unter maßgeblichem Einfluss von Robert Bellarmin entwickelte. Trotz der vorsichtigen Worte aus LG 8 hat sich die nachkonziliare Theologie, insbesondere die Pastoraltheologie, erstaunlich schwer mit ihrer Rezeption getan. Infolge ihres zumeist sehr institutionskritischen Charakters maß sie ihrem gottgesetzten, die Kirche von allen weltlichen Organisationen unterscheidenden Wesen zumeist keine Bedeutung zu. Das „mysterium Ecclesiae“ trat hinter die „ecclesia instrumentum“ zurück, und zwar instrumentell anders als in LG 1 in einem einfach organisationssoziologischen Sinn aufgefasst: Die Kirche wird auf ihre Tätigkeit reduziert, und diese ist nun daran zu bemessen, ob sie die ihr gesteckten Ziele erreicht. Ein christologisches „mysterium Ecclesiae“ erscheint demgegenüber abgehoben, ja man stellt es unter den Verdacht, dass damit der kirchliche Apparat sich nur selbst gegenüber Kritik immunisiere. Programm Jesu ja, Fortleben in der Kirche nein, so könnte man diese Einstellung umschreiben. Selbst der Dogmatiker Medard Kehl gibt zu bedenken, die Kirche sei: „keineswegs der fortlebende Christus‘ oder seine in der Geschichte ,fortdauernde Inkarnation‘, wie es seit J. A. Möhler in der katholischen Theologie und Spiritualität bis zum 2. Vatikanischen Konzil sehr oft hieß. In Verbindung mit dem ersten Aspekt (sc. die Zurückführung der Kirche auf historische Einsetzungsakte Christi) führte diese theologische Deutung der Kirche zu einer unantastbaren Immunisierung der kirchlichen Hierarchie. Denn wenn die Kirche gerade in ihrer hierarchischen Struktur unmittelbar auf Jesus Christus zurückgeführt wird, dann gilt diese natürlich auch als der hervorgehobene (manchmal sogar der ausschließliche) Ort der repräsentatio [sic!] Christi und seiner ,fortdauernden Inkarnation‘ (,incarnatio continua‘) in der Geschichte.“10 9 Aloys Grillmeier, Kommentar zum I. Kapitel, in: LThK.E I, S. 156 – 175, hier S. 172, unter Verweis auf LG 8,1 und Leo XIII., Enzyklika „Satis cognitum“ (ASS 22 [1895 – 96] S. 710). 10 Medard Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 31994, S. 80 f. Vgl. zur Bedeutung und Grenze der Analogie zwischen der göttlichen und menschlichen Natur Christi und der Kirche Congar, Dogme (Anm. 6); Otto Semmelroth, Die Kirche als Ursakrament, Frankfurt a. M. 1953, S. 105 f. und S. 114 f.; Wilhelm Breuning, Communio Christi. Zur Einheit von Christologie und Ekklesiologie, Düsseldorf 1980, S. 134 – 156; Hermann Josef Pottmeyer, Der eine Geist als Prinzip der Einheit der Kirche in Vielfalt. Auswege aus einer christomonistischen Ekklesiologie, in: PthI 5 (1988), S. 253 – 284; Heribert Mühlen, Das Verhältnis zwischen Inkarnation und Kirche in den Aussagen des Vatikanum II, in: ThGl 55 (1965) S. 171 – 190, hier S. 178. – Zur unzutreffenden Verzeichnung der Lehre Robert Bellarmins vgl. Friedo Ricken, „Ecclesia…universale salutis sacramentum”. Theologische Erwägungen zur Lehre der Dogmatischen Konstitution „De Ecclesia” über die Kirchenzugehörigkeit, in: Scholastik 40 (1965) S. 352 – 388, hier S. 357: „Es wäre aber ein Irrtum, wollte man aus den zitierten Sätzen schließen, für Bellarmin erschöpfe sich das Geheimnis der Kirche in der von ihm betonten äußeren Wirklichkeit. Er selbst sagt im Anschluß an Augustinus, die
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Doch das II. Vatikanum nannte die Kirche nicht einfach den fortlebenden Christus, sondern sah im Geheimnis der zwei Naturen einen Verständnisschlüssel für die Einzigartigkeit der Kirche. Um ihr Wesen zu begreifen, genügt es danach nicht, göttlich-unwandelbare und menschlich-wandelbare Elemente zu unterscheiden und dann letztere für beliebig reformierbar zu erklären. In dieser Weise hat man gerne die kanonistische Unterscheidung zwischen „ius divinum“ und „ius mere ecclesiasticum“ aufgefasst. Auch manche liturgische Gestaltung respektiert zwar den Kern der sakramentalen Handlung, will aber alles andere dem freien Spiel der Kreativität überlassen. Ebenso gestaltet sich die tragende Ideologie bei nicht wenigen reformorientierten Vertretern der Kirchenleitung nach dem Bild von Schale und Kern: „Es gibt einen unwandelbaren Kern der Lehre und Ordnung. Daran wollen wir nicht rühren. Doch die Schale um den Kern ist zu knacken ¢ und sie umfasst vielleicht auch manches, was man bisher für unwandelbar gehalten hat.“
Doch eine solche Scheidung der zwei Naturen in reformerischer Absicht greift entschieden zu kurz. Sie nimmt nur das „unvermischt“ des christologischen Dogmas auf, übersieht aber das „ungetrennt“. Die zwei Naturen Christi sind in der einen Person des Sohnes Gottes verbunden, ohne doch in ihrer Eigenheit aufgehoben zu sein – das ist ja die Zielaussage der chalkedonischen Definition: „[E]in und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt.“ (DH 302)
Darum ist alles Menschliche an Christus von seiner göttlichen Sendung in Dienst genommen – zuhöchst im Opfer seines Leibes auf Golgota. Ebenso ist der Zielpunkt der analogen Anwendung der Inkarnation auf die Kirche die Indienstnahme alles Menschlichen, d. h. ihrer gesamten sichtbaren Erscheinung für die Fortsetzung der Sendung Christi. Darum ist in der Seelsorge die kleinste Kleinigkeit keineswegs beliebig: Das freundliche Wort eines Seelsorgers an einen Firmling mag den Ausschlag geben, dass dieser trotz mangelnder religiöser Sozialisierung den Glauben nicht aufgibt. Umgekehrt mag die allzu kostspielige Eingangstür eines kirchlichen Hauses Leute zum Austritt aus der Kirche bewegen – ob berechtigt oder nicht, bleibe dahingestellt. Diese restlose Indienstnahme für das Heil der Menschen stellt die einzigartige Würde der Kirche dar, zugleich aber auch ihr unvergleichliches Drama. Denn von ihrer Menschlichkeit, die ja gerade nicht von sich aus bereits ganz heilig, rein und göttlich ist, hängt Gelingen und Scheitern ihrer Sendung ab.
Kirche sei ein lebendiges Ganzes, dessen Seele die inneren Gaben des Heiligen Geistes, Glaube Hoffnung und Liebe, und dessen sichtbarer Leib das äußere Bekenntnis des Glaubens und die Gemeinschaft der Sakramente seien. Seine Definition erstrecke sich nur auf die Zugehörigkeit zum Leib der Kirche, weil diese als Mindestmaß erforderlich sei. Vollkommen in der Kirche seien aber nur jene, die am Leib und an der Seele der Kirche teilhaben.“
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Niemand hat diese Konsequenz des christologischen Dogmas klarer erkannt als Maximus Confessor (ca. 580 – 662), der Verteidiger des menschlichen Willens Christi.11 Seine Gegner, die Monenergeten bzw. bald Monotheleten, verstanden sich sozusagen als die geläuterten Vertreter der einzigen göttlichen Natur Christi. Dafür bekannten sie zwar dem Buchstaben nach die zwei Naturen Christi, meinten dagegen aber von nur einer göttlichen Wirkweise (energeia) und einem einzigen Willen Christi sprechen zu können. Alles menschliche Wirken und Wollen Christi sei nichts anderes als der bloße Ausfluss seiner Göttlichkeit. Auf unseren Zusammenhang übertragen hieße dies, dass die sichtbare Kirche in Analogie dazu gewissermaßen nur Ort, Kanal und Präsenz des göttlichen Heils sei. Sie brauche dazu keine eigene Willensanstrengung mehr aufzubringen. In einer gewissen Selbstgefälligkeit könne sie sich darauf verlassen, in der Liebe Christi gehalten zu sein. Eigenartigerweise liegt dieses monotheletische Missverständnis der integralistischen Versuchung ebenso zugrunde wie dem liberalen Versuch, neben dem göttlichen Kern der Kirche ein weites Feld der menschlichen Gestaltungsfreiheit aufzutun. ¢ Der Integralismus meint fälschlich: Wo die Kirche ist, da ist Christus. Darum wächst die Verchristlichung der Welt in dem Maß, wie die Kirche in ihr an Einfluss gewinnt. ¢ Der Liberalismus dagegen will in der Kirche Räume der Autonomie eröffnen, die nicht dem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes verpflichtet sind, sondern der eigenen Selbstbestimmung dienen sollen. Scharfsichtig arbeitete der Bekenner Maximus dagegen die zwei Wirkweisen und die zwei Willen Christi heraus. Erst indem Christus auch mit seinem menschlichen Willen und mit den gewöhnlichen menschlichen Instrumenten des Handelns (energeiai) ganz dem göttlichen Willen und Wirken gehorsam wird, kann er uns erlösen. Nirgendwo tritt das Ringen Jesu um den Gehorsam eindrücklicher zu Tage als im Gebet Jesu in Getsemani: „Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine“ (Lk 22,42). Das bedeutet für Pastoral und Kirche: Das Göttliche, also das ihr anvertraute Gut, ist das „depositum fidei“, also Gottes Wort, seine Sakramente, seine Erwählung und Lenkung. Das Wesen der Kirche als eine, heilige, katholische und apostolische ist davon geprägt. Doch dies wird erst pastoral wirksam, wo der menschliche Wille und die menschlichen Werkzeuge, also jeder einzelne Gläubige ebenso wie alle kirchliche Organisation, sich allein auf den Herrn ausrichten. So ist zu unterscheiden: 11
Vgl. zum Folgenden Guido Bausenhardt, „In allem uns gleich außer der Sünde“. Studien zum Beitrag Maximos’ des Bekenners zur altkirchlichen Christologie. Mit einer kommentierten Übersetzung der „Disputatio cum Pyrrho“ (= TSThPh 5), Mainz 1992; Jean Marie Garrigues, L’énergie divine et la grâce chez Maxime le Confesseur: Ist 19 (1974) S. 272 – 296; Jean-Claude Larchet, Saint Maxime le confesseur (580 – 662) (Initiations aux Pères de l’Église), Paris 2003, S. 156 – 169; Michael Seewald/Bertram Stubenrauch, Freiheit – ein Modewort der Theologie? Systematische Klärungsversuche im Anschluss an Augustinus und Maximus Confessor: IkaZ 40 (2011) S. 381 – 395; Raphael Weichlein, Gottmenschliche Freiheit. Zum Verhältnis von Christologie und Willensfreiheit bei Maximus Confessor, Saarbrücken 2013.
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Ihrem Wesen nach ist die Kirche in ihrem Wirken von der Heilsgegenwart Christi, des Sohnes Gottes und des Menschensohnes, geprägt. Ihrer Wirksamkeit nach muss sie sich immer wieder der Verbindung mit Christus durch die Heiligkeit vergewissern.12 Darum nimmt das Objektive der Kirche das Subjektive in Beschlag, das Amt die Existenz, die Lehre das Zeugnis, das Sakramentale das Persönliche. Wohl ist diese Reihenfolge nicht umkehrbar: Das Göttliche entsteht nicht aus der Vervollkommnung des Menschlichen. So erwächst etwa die Amtsautorität nicht aus dem persönlichen Charisma, sondern sie wird von Gott im sakramentalen Weiheakt verliehen. Doch umgekehrt bleibt ein Amt, das sich nicht um die persönliche Füllung bemühen würde, steril, wenn nicht gar anstößig. Ebenso kann die Feier der Eucharistie nicht aus dem Wünschen einer Gemeinde begründet werden. Wohl aber ist eine eucharistische Feier ohne Umkehr, Ehrfurcht und Verlangen nach Heiligung nicht nur unnütz, sondern sie bringt „Gericht und Verdammnis“, wie es im Stillgebet vor der Kommunion heißt. So setzt jedes „in persona Christi“ eine „sequela Christi“ voraus, weil der Herr die Jünger erwählt und gesandt hat, weil er sich für sie geheiligt hat (Joh 17), weil er für Petrus gebetet hat, damit dieser nach seiner Umkehr seine Brüder stärken könnte, weil er in Getsemani um seine schlafenden Jünger gerungen hat, weil er am Kreuz sein Leben für seine Kirche hingegeben hat und weil er einst wiederkommen wird, um alles recht Begonnene zu vollenden, alles Verstockte aber zu richten. Alles Menschliche ist also auf das Göttliche hin auszurichten, zu reinigen und soll sich ihm schließlich vollkommen zur Verfügung stellen. Zwei Beispiele für diese Aufgabe sind Gebet und Eucharistie: ¢ Das Herz allen seelsorglichen Wirkens ist das Hören auf das Wort Gottes und das „Verharren im Gebet“ (Apg 6,4).13 Die Sammlung steht vor der Sendung. ¢ Die Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ kann mit Recht als Vermächtnis von Papst Johannes Paul II. angesehen werden. Darin mahnt er eindringlich, dass die Eucharistie nicht das Eigentum der Kirche ist.14 Sie ist auch kein Mittel, um Menschen zu belehren, sie zu beglücken oder ihnen mehr oder weniger kurzweilig die Zeit zu vertreiben. Vielmehr ist die Kirche in gewisser Weise Eigentum der Eucharistie. Nur dort, wo sie innig, selbstvergessen und fromm die heiligen Geheimnisse feiert, entsteht auch wirklich die Gemeinschaft der Heiligen.
12 Vgl. das Dokument der Internationalen Theologenkommission „Memoria e riconciliazione“ zur Frage der sündigen Kirche (http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ cfaith/cti_documents/rc_con_cfaith_doc_20000307_memory-reconc-itc_it.html [Stand: 19. 11. 2014]), vgl. Joseph Ratzinger, Erinnern und Versöhnen. Vorstellung des Dokuments der Internationalen Theologischen Kommission, in: L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, 17. März 2000, Nummer 11, S. 11 f. 13 Vgl. Andreas Wollbold, Kontemplative Pastoral, in: MThZ 56 (2005) S. 134 – 147. 14 Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die gottgeweihten Personen und an alle Christgläubigen über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche (17. April 2003) (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 159), Bonn 32003.
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Unübertrefflich hat die kleine hl. Therese vom Kinde Jesus (1873 – 1897) das Bild von der Kirche als dem Leib Christi vertieft: „Ich begriff, wenn die Kirche einen Leib hat, der aus verschiedenen Gliedern besteht, dann fehlt ihr auch nicht das notwendigste, edelste von allen. Ich begriff, die Kirche hat ein Herz, und dieses Herz brennt vor Liebe. Ich begriff, allein die Liebe lässt die Glieder der Kirche wirken, und wenn die Liebe erlöschen würde, würden die Apostel nicht mehr das Evangelium verkünden und die Märtyrer sich weigern, ihr Blut zu vergießen […] Ich begriff, die Liebe schließt alle Berufungen in sich ein, die Liebe ist alles, sie umfasst alle Zeiten und alle Orte […] Mit einem Wort, sie ist ewig!“15
Alle einzelnen Aufgaben in der Kirche, Lehrer, Apostel, Missionare und Ordensleute ebenso wie das Wirken aller Gläubigen, würden augenblicklich erlahmen, wenn dieses Herz schwach würde. Alles Tun im Namen Christi fordert die Liebe zu seinem Namen, die Vollkommenheit der Angleichung an ihn.
III. Wie lässt sich dieses so bestimmte Verhältnis im Einzelnen als Kriterium pastoraler Entscheidungen gebrauchen? 1. Der Entwurf Franz Xaver Arnolds Der Tübinger Pastoraltheologe Franz Xaver Arnold gehört zu den bedeutenden Vermittlern zwischen Dogmatik und Pastoraltheologie. In einem großen programmatischen Beitrag entwickelte er im Kontext der 1500-Jahrfeier des Konzils von Chalkedon „das gott-menschliche Prinzip in der Seelsorge“16. Wie Christus, so ist die Kirche danach Mittlerin zwischen Gott und Mensch, so wie in Christus beide Naturen zusammenwirken, so dass keine der beiden zurückgedrängt werden kann: „Dieser so in Christus, dem Gott-Menschen, geschaffenen Gemeinschaft der Kirche eignet eine wesentlich mittlerische Funktion. Der Weg durch Christus zum Vater führt über diese Gemeinschaft, die der Herr im Heiligen Geist und durch ihn zusammenschließt. Die ganze Kirche, die Versammlung aller ,Heiligen‘ (hagioi), ist nach dem Neuen Testament ein ,königliches Priestertum‘, das am Hohenpriestertum des Menschgewordenen teilhat und insofern Trägerin der Gnade und Mittlerin des Heiles ist.“17
Arnold weist des Weiteren auf, wie im Leben und Beten der Jahrhunderte einmal der menschliche und das andere Mal der göttliche Faktor im Bild Christi und dem der Kirche verkürzt wurde. Wo man das Göttliche einseitig betonte, war die Heilsver15 Ms B 3v (Sainte Thérèse de l’Enfant Jésus et de la Sainte-Face, Manuscrits autobiographiques. Ed. critique du Centenaire. Nouvelle édition revue et corrigée, Paris 2005, S. 299). 16 Franz Xaver Arnold, Das gott-menschliche Prinzip der Seelsorge, seine Verankerung im Konzil von Chalkedon und seine Bedeutung für die Gestaltung der christlichen Frömmigkeit, in: ders., Seelsorge aus der Mitte der Heilsgeschichte (= Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge), Freiburg 1956, S. 15 – 63. – Vgl. Erich Feifel, Arnold, Franz Xaver, in: KatBl 112 (1987) S. 351 – 354. 17 Arnold, Das gott-menschliche Prinzip (Anm. 16), S. 22.
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mittlung quietistisch – man muss alles nur Gott überlassen, die Eigentätigkeit des Menschen, sein systematisches Bemühen wird vernachlässigt. Wo man das Menschliche überbetonte, war die Kirche hauptsächlich mit dem Tun des Menschen, mit eher ethisch-philosophischen Leitideen und mit einer Darstellung von Einzelereignissen aus dem Leben Christi ohne Verbindung mit der gesamten Heilsordnung beschäftigt. So gelte es, das Ineinander und Miteinander der beiden Naturen Christi im kirchlichen Handeln zu wahren und gegen Verkürzungen in Schutz zu nehmen. Dieser Entwurf hat nachhaltig Pastoral und Pastoraltheologie im Umkreis des letzten Konzils beeinflusst. Bei aller Bedeutung ist aber auch eine zweifache Problematik nicht zu übersehen. ¢ Der genaue modus der Übertragung des Christologischen auf das Ekklesiologische erscheint noch nicht restlos durchdacht. Die Kirche ist Mittlerin, insofern sie das anvertraute Gut treu bewahrt. Sie hat also wirklich ein solches Gut, das Heilsgut der Wahrheit und des Weges zu ihr. Aber sie muss stets neu darum ringen, dass sie dies auch treu bewahrt. Sie muss werden, was sie ist, der Leib Christi. ¢ Speziell in der Katechese hat Arnold sein Prinzip zu verwirklichen versucht. Sie soll alles auf die Mitte, auf das Wesentliche, zurückführen. Alles, also etwa auch der Rosenkranz oder das Amt eines Bischofs, wird auf den Zusammenhang mit den großen Heilsgeheimnissen Christi zurückgeführt (die „hierarchia veritatum“, von dem dann das II. Vaticanum in UR 11 sprach). Zweifellos verleiht ein solcher Ansatz der Katechese Tiefe und großen Atem. Aber sie neigt dazu, den Glauben mit theologischen Ideen zu verwechseln. Der ursprüngliche Sinn der Katechese war es aber, zum Tun anzuleiten: Taufbewerber sollten das Taufbekenntnis sprechen lernen, die Sakramente mitfeiern können, entsprechend den Zehn Geboten das Gute tun und das Böse meiden und mit dem Vater Unser beten lernen. Denn der Gläubige heiligt sich nicht durch Ideen, sondern durch Taten. Ob Arnold hier nicht die von ihm geforderte menschliche Dimension selbst etwas verkürzt hat? An beiden Punkten könnte noch einmal die von Maximus Confessor entwickelte handlungsorientierte Christologie weiterhelfen. Wenn die zwei Naturen Christi sich im Ineinander und Miteinander der beiden Willen zeigen, dann dient das gottmenschliche Prinzip nicht allein dazu, unwandelbare und wandelbare Elemente der Kirche oder Heilsgut und Heilvermittlung zu unterscheiden, sondern entscheidend werden Grundakte wie Bekehrung, Arbeit an sich selbst, Vervollkommnung, Suche nach dem Willen Gottes und Bereitschaft, ihn in allem zur Grundlage des pastoralen Handelns zu machen. 2. Das dreifache Amt – das Bindeglied zwischen Christologie, Soteriologie und Pastoral Die grundlegende Konkretisierung einer handlungsorientierten Christologie ist das dreifache Amt Christi. Ganz zu Recht hat das II. Vatikanum auf dieses theologumenon zurückgegriffen, um die Sendung Christi zu beschreiben, die der Kirche
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anvertraut ist: Christus ist Priester, Prophet (Lehrer) und König (Hirte), und dieses Amt übergibt er der Kirche bis zu seiner Wiederkunft am Jüngsten Tag – freilich so, dass er selbst darin im Heiligen Geist wirkt und die Kirche nur im Gehorsam ihm gegenüber dieses Amt ausüben kann. Christus lehren, heiligen und leiten lassen, das beschreibt somit das Gesamt des kirchlichen Handelns.18 Diese Orientierung am dreifachen Amt besitzt für Pastoral und Pastoraltheologie viele Vorzüge: ¢ Sie leistet die Differenzierung der verschiedenen pastoralen Handlungsfelder, ohne doch die innere Einheit allen Tuns aus dem Blick zu verlieren: Liturgie ist nicht Katechese, Caritas nicht Predigt und die Sorge um die finanziellen Mittel nicht Evangelisierung. Jedes einzelne Feld darf somit spezifisch sein und sich auf seine eigenen Aufgaben beschränken. Andererseits bleibt die Einheit der Seelsorge gewahrt. Denn jedes einzelne Tun muss stets darauf zurückgeführt werden können, dass Christus sein Heilswerk verwirklichen kann. ¢ Theologisch ist die Pastoral im dreifachen Amt in die Mitte des göttlichen Geheimnisses, die Dreifaltigkeit, hineingestellt. Das Amt Christi bezeichnet nämlich seinen Gehorsam zum Auftrag durch den Vater und seine messianische Salbung mit dem Heiligen Geist. Dieser trinitarische Grund vermeidet Aktivismus und besinnungsloses Getue. ¢ Zugleich enthält das dreifache Amt die Verbindung der Kirche mit Christus im „mandatum Christi“, das der Herr seiner Kirche als Auftrag hinterlässt. Genau dieses theologische Prinzip der Evangelisierung trug Kardinal Karol Wojtyla auf der römischen Bischofssynode 1974 in einem Grundsatzreferat vor.19 ¢ Schließlich ist das dreifache Amt eine grundlegende Bestimmung des kirchlichen Wirkens aller Gläubigen und nicht nur der Amtsträger. Bei aller Besonderheit der amtlich-hierarchischen Struktur der Kirche verweist es alle in ihr doch auf das Verbindende und alle Verpflichtende, den Auftrag und das Wirken Christi, das in ihr zur Entfaltung kommen soll und nicht behindert werden darf, auch nicht durch unnötiges Gerangel um die besten Plätze. In einer Ortskirche mit einer hohen Professionalisierung kann es zugleich die Bürokratisierungstendenzen
18 Andreas Wollbold, Handbuch der Gemeindepastoral, Regensburg 2004, Kap. 2. Vgl. die eigenen Diskussionsbeiträge zur Tragfähigkeit des Axioms des dreifachen Amtes gegenüber dem der Grundvollzüge der Kirche: ders., Grundvollzüge oder dreifaches Amt? Auf der Suche nach einer praktikablen Einteilung der Pastoral, in: Lebendige Seelsorge 57 (2006) S. 58 – 63; ders., Die Pfarrei ist ein Markenartikel. Die Antwort von Andreas Wollbold auf „Wider den sanften Institutionalismus der Gemeinde“ (ebd., S. 71 f.); ders., Grundvollzüge oder dreifaches Amt? Auf der Suche nach einer praktikablen Einteilung der Pastoral, in: Matthias Sellmann (Hrsg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatten und praktische Modelle (= Theologie kontrovers), Freiburg i.Br. 2013, S. 55 – 64; ders., Kommentar zu den Beiträgen der drei Kollegen (ebd., S. 122 – 147); ders., Abschließendes Statement (ebd., S. 210 – 213). 19 Giovanni Caprile, Il sinodo dei vescovi. Terza assemblea generale (27 settembre-26 ottobre 1974), Rom 1975, S. 965 – 990.
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einer Professionalisierungsfalle20 aufdecken, bei der die Eigeninteressen des Systems sich vor die Verwirklichung des Auftrags schieben. ¢ Ein nicht unwesentlicher pragmatischer Vorzug besteht auch darin, dass das dreifache Amt auch der Gliederung des „Codex Iuris Canonici“ zu Grunde liegt. Dadurch lässt sich die dringend erforderliche interdisziplinäre Verständigung zwischen Recht und Pastoral leichter und begrifflich klarer durchführen. Insbesondere bleiben die Struktur- und Leitungsfragen, die ja doch zu den Lieblingsthemen der Pastoraltheologie gehören, nicht seltsam ortlos – eine Zuordnung zu einem der Grundvollzüge wird zumeist entweder gar nicht vorgenommen oder geschieht moralisierend im Sinn der diakonia. Eigenartigerweise hat die deutschsprachige Pastoraltheologie diese Grundbestimmung der Pastoral aus dem dreifachen Amt durch das II. Vatikanum nicht aufgegriffen und stattdessen das in keiner Weise überzeugende Axiom der drei oder vier Grundvollzüge der Kirche (martyria, leitourgia, diakonia und ggf. koinonia) gesetzt, das aus einem hochspekulativen, jedoch rasch hingeworfenen Gedanken Karl Rahners zur Gliederung des faktischen Lebens der Kirche entwickelt wurde.21 Man muss den Eindruck gewinnen, dass die Orientierung an den Grundvollzügen in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Grund populär geworden ist, dass man damit eine angebliche diakonia herausdestillieren wollte, die ihren inneren Zusammenhang mit Liturgie und Verkündigung verloren hat. Dies gilt umso mehr, wenn die diakonia dann zudem noch zur Grundbestimmung allen kirchlichen Handelns gemacht wird, aber nicht im Sinn des Heilsdienstes, sondern als eher vage bestimmte Lebenshilfe, die aber den Aufruf Christi zu Bekehrung und Glaube ebenso hintanstellt wie die Lehr- und Leitungsautorität der Kirche, die diese von Christus erhalten hat. So wird ein ursprünglich bloß als Gliederungsprinzip der Pastoraltheologie gedachter Begriff unter der Hand zum Vehikel der Transformation zu einer anderen Kirche, deren Rückbezug zu Christus aber letztlich auf die genannten Modelle der „Sache Jesu“ oder seiner (allerdings rein innerweltlichen) „Reich-Gottes-Praxis“ reduziert wird. 20 Ulrich Bätz, Die Professionalisierungsfalle. Paradoxe Folgen der Steigerung glaubensreligiösen Engagements durch professionelles Handeln – dargestellt am Beispiel der Verwirklichung pfarrgemeindlicher ,Verlebendigungsprogrammatiken‘ durch hauptamtliche Laientheologen (= Praktische Theologie im Dialog 10). Freiburg i.d.Schw. 1994. 21 „Verkündigung des Wortes, Kult, Sakramentenspendung, kirchliches Rechtsleben, christliches Leben in seiner ganzen Breite und Caritas bezeichnen zweifellos solche Grundfunktionen“ (HPTh I, 216; zur gesamten Frage vgl. ebd., S. 216 – 219). Rahner versuchte diese Vielfalt kirchlichen Handelns dann als Vergegenwärtigung der Zuwendung Gottes zu allen Menschen in dreifacher Gestalt spekulativ zu fassen: „In der ersten Gruppe (Wort als Funktion) erscheint die Präsenz der Wahrheit, in der dritten Gruppe (rechtlich geordnetes Leben der Liebe) zeigt sich die Präsenz Gottes als Liebe, in der zweiten Gruppe (Eucharistie) ist die Feier der Einheit von Wahrheit und Liebe in der Selbsthingabe des fleischgewordenen Logos in den Tod als Opfer der Welt und damit der sakramentale totale Selbstvollzug der Kirche als innerste Mitte, Quelle und Ziel aller übrigen Funktionen der Kirche gegeben“ (HPTh I, S. 219).
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3. Konsequenzen Bis zu diesem Punkt blieben die Überlegungen zu Christologie und Pastoral weitgehend im Grundsätzlichen. Wie könnten sie sich aber praktisch auswirken? Dabei kann Franz Xaver Arnolds Warnung vor der Vereinseitigung des Menschlichen oder des Göttlichen ein Wegweiser sein. Das Menschliche wird oft fälschlich gegen das Göttliche ausgespielt: ¢ Das geschieht immer da, wo ein Gegensatz zwischen dem göttlichen Gebot und der Menschlichkeit aufgebaut wird, z. B. bei der Diskussion um die Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen: Strenge wird als unmenschlich ausgelegt und Wahrheit und Barmherzigkeit erscheinen als Gegensätze. Vielmehr müssen stets Wege gefunden werden, wie die Menschen mit ihren Möglichkeiten den ganzen Willen Gottes erfüllen können. Johannes Paul II. hat hier genau zwischen dem (pastoralen) Gesetz der Gradualität und der unzulässigen (moraltheologischen) Gradualität des Gesetzes unterschieden.22 ¢ Es gibt das nicht ungefährliche Missverständnis von „ganz Gott, ganz Mensch“, dass man nur recht menschlich sein muss, die eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen soll und nicht zu streng mit sich sein dürfe. Das endet dann sozusagen in einer Taufe des Egoismus. Im Anschluss an Maximus Confessor ist es vielmehr so zu verstehen: Das Menschliche muss dem Göttlichen ganz dienen. In freiem, festem Entschluss soll alles, was wir als Menschen sind und tun, Gott geweiht sein. Ganzhingabe und nicht Autozentrik ist das Grundgesetz der Seelsorge. ¢ Weltoffenheit, Zeitgenossenschaft und Dialog spielen für ein heutiges christliches Selbstverständnis eine große Rolle. Doch man muss sich nüchtern eingestehen, dass die Bereitschaft, auf christliche Stimmen zu hören, in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kunst, Freizeit und privatem Leben eher gering ist. Ob es nicht damit zusammenhängt: Christen haben ihre Autorität nur als Frauen und Männer Gottes. Wenn sie mit dem Göttlichen vertraut sind, dann wird man sie auch im Irdischen wenigstens wahrnehmen. Wenn einer aber bei allem möglichen Irdischen mitreden will, ohne durch jahrelange Übung mit den Wegen Gottes vertraut worden zu sein, wird man ihm wohl weder Göttliches noch Irdisches abnehmen. Das Göttliche kann aber auch umgekehrt jenseits des Menschlichen gesucht werden. So ist heute zunehmend Spiritualität gefragt. Doch nicht selten geschieht dies auf Kosten des Realismus.
22 Apostolisches Schreiben Familiaris Consortio von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, Priester und Gläubigen der ganzen Kirche über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981) (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 33), Bonn 1981, Nr. 34 unter Verweis auf Johannes Paul II., Homiliae. I. In Xystino sacello habita VI exeunte Synodo Episcoporum, in: AAS 72 (1980) S. 1079 – 1085, hier S. 1083; vgl. Eric Jacquinet/Jacques Nourissat, Fidèles jusqu’à l’audace. Un chemin nouveau pour l’accompagnement de fidèles divorcés remariés dans l’Eglise, Paris 2008, S. 197 – 209.
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¢ Es gibt ein Klischee: fromm, aber unpraktisch. Wer einmal in einem blühenden Kloster gewesen ist, weiß, wie wenig das stimmt. Aber es kann stimmen, wenn die Frömmigkeit nur das Ziel vor Augen hat, den Weg zum Ziel aber nicht ausreichend bedenkt. Große Worte und Events werden gemacht, aber die Verwirklichung in einem gewöhnlichen Leben erschöpft sich in Appellen. Man vernachlässigt die Fragen der situationsgemäßen Verwirklichung, man meint, die gute Gesinnung allein reiche schon aus. Das ist ein christliches Schwärmertum, das gegenwärtig durchaus Konjunktur hat. Aber noch weiter als dies ist ein Großteil gegenwärtiger Spiritualität groß in Mystik, aber klein in Askese. Doch zuerst gilt es, das Menschliche zu ordnen, dann erst kann man das Göttliche auch mystisch erfahren. Sonst fällt man bald in Pseudomystik. Insgesamt geht es darum: Der Weg zum Ziel, der „ordo ad finem“, ist aber nach Thomas von Aquin die Aufgabe der Klugheit. Doch schon der Herr mahnt: „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ (Mt 10,16). ¢ Die Spiritualität kann auch zum Deckmantel für Bequemlichkeit werden, für die Scheu vor der Auseinandersetzung, für den mangelnden Willen, sich sachkundig zu machen. Seelsorger, die einen hohen Anspruch an die Glaubensvermittlung etwa in Jugendpastoral oder Religionsunterricht stellen, bleiben mitunter schwach im Methodischen und kommen etwa bei Gruppen über ein gelenktes Unterrichtsgespräch kaum hinaus. Ihre mangelnde Beachtung der Wie-Frage und die daraus resultierende geringe Motivation der jungen Menschen legen sie dann rasch sehr grundsätzlich als Zeichen für die Glaubensferne der jungen Generation aus, anstatt die eigene Unprofessionalität zu überwinden. ¢ Eine Vernachlässigung des Menschlichen besteht auch in der Inflation der Worte, also jener „Logorrhöe“, vor der Paul M. Zulehner gerne warnt. Kirchliche Arbeitsstellen scheinen manchmal ihre erste Aufgabe in der Erstellung von Flyern, Broschüren und Grundsatzpapieren zu sehen. Was den Umfang kirchlicher Dokumente angeht, hat man regelrecht den Eindruck, man wollte damit die göttliche Unendlichkeit nachahmen. Ob es vielleicht die folgende Ursache für die vielen Worte gibt? Versteckt glaubt man nämlich gar nicht mehr so recht daran, dass das Wort der Verkündigung die Hörer erreicht. Vor lauter Verzweiflung sagt man es wieder und wieder. Dieselben hohen Worte werden wie Beschwörungen in der Predigt wieder und wieder gesagt. („Wir wollen nun wieder neu …“). Dieselbe Haltung kann sich auch dahingehend äußern, dass Seelsorger viel reden, aber nicht zuhören können. Denn das Zuhören besteht ja gerade darin, geduldig beim Anderen zu verfolgen, wie sich die Wege Gottes in einem Menschenleben entwickeln und dann erst zu raten oder zu mahnen, was zu tun ist. ¢ Praktische Theologen vom Fach beklagen sich manchmal darüber, zu wenig in die gegenwärtigen Strukturveränderungen der deutschsprachigen Bistümer einbezogen zu werden. Gleichzeitig meiden viele Veröffentlichungen, ja manchmal selbst Pastoralpläne, die wirklich praktischen Fragen wie der Teufel das Weih-
„Wahrer Gott und wahrer Mensch“ – Christologie und Pastoral
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wasser („Ich will Ihnen keine Rezepte geben“ wird das dann vornehm ausgedrückt). So wird das Menschliche oft gegen das Göttliche ausgespielt oder das Göttliche gegen das Menschliche: Die Gebote etwa stehen gegen die Menschlichkeit und Kirchlichkeit gegen Weltoffenheit, oder umgekehrt wirkt die Spiritualität fromm aber unpraktisch, oder es werden schrecklich viele Worte gemacht, weil man insgeheim gar nicht mehr an ihre Wirkung bei den Menschen glaubt. Nein, Pastoral ist gewissermaßen ganz himmlisch und ganz irdisch: Alle Seelsorge beginnt am Altar und der Liebe zu Gott und endet immer beim Klingeln an der Haustür, also beim rastlosen Nachgehen der Menschen, beim „allen alles werden, um wenigstens einige zu retten“ (1 Kor 9,22).
Die Patientenverfügung im Schnittpunkt von Ethik, Medizin und Recht1 Peter Fonk
I. Zur Vorgeschichte Der griechische Arzt Hippokrates (ca. 460 v. Chr. bis 377 v. Chr.) gilt bis heute als „Vater der Heilkunde“. Obwohl der nach ihm benannte Hippokratische Eid, der seinem sittlichen Gehalt nach bis in die Gegenwart als Grundlage für die ärztliche Berufsethik gilt, die antiken und mittelalterlichen Ärzte zur bedingungslosen Erhaltung des menschlichen Lebens verpflichtet, war sich Hippokrates der Tatsache bewusst, dass es Grenzen der ärztlichen Heilkunst gibt. Diese müssen unbedingt respektiert werden und sind dann erreicht, wenn der Arzt die Unheilbarkeit der Krankheit und den Beginn des unumkehrbar begonnenen Sterbeprozesses erkannt hat. Der Höhepunkt seiner Kunst bestand für den Arzt darin, die damit verbundenen Symptome zu erkennen. Seine schwerste Aufgabe aber war es dann, den Kranken am Sterbebett zu verlassen. Wann aber dieser Zeitpunkt erreicht war, sollte der Arzt am Gesichtsausdruck des Sterbenden erkennen können, so wie ihn Hippokrates beschrieben hat: „In akuten Krankheiten muss man auf Folgendes achten: zuerst auf das Gesicht des Kranken, ob es demjenigen gesunder Menschen gleicht, vor allem aber, ob es sich selbst gleich sieht. So wäre es am günstigsten; am schlimmsten aber wäre die größte Unähnlichkeit. Dann sieht es so aus: spitze Nase, hohle Augen, eingesunkene Schläfen, die Ohren kalt und zusammengezogen, die Ohrläppchen abstehend, die Haut im Gesicht hart, gespannt und trocken. Die Farbe des ganzen Gesichtes grünlich oder grau. Wenn das Gesicht zu Beginn der Krankheit so aussieht und es noch nicht möglich ist, die anderen Zeichen zu Prognosen heranzuziehen, muss man fragen, ob der Kranke nicht geschlafen hat, ob der Stuhl stark wässrig war oder ob ihn etwa Hunger quält. Kann er etwas davon bestätigen, muss man den Zustand
1 Der Titel dieses Beitrags verdankt sich der These, die Lüder Meyer-Stiens seiner umfangreichen Dissertationsschrift voranstellt: „Die Patientenverfügung als solche ist Gegenstand vor allem von Medizin, Ethik und Jurisprudenz. Wie mit der Patientenverfügung ,richtig‘ umzugehen ist, wird zwischen diesen Wissenschaften ausgehandelt (Lüder Meyer-Stiens, Der erzählende Mensch – der erzählte Mensch. Eine theologisch-ethische Untersuchung der Patientenverfügung aus Patientensicht [= Edition Ethik 9], Göttingen 2012, S. 11).
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für weniger gefährlich halten. Binnen 24 Stunden kommt es zur Entscheidung, wenn das Aussehen des Gesichtes auf diese Gründe zurückgeht.“2
Der Tod, diese Auffassung teilten Mediziner, Theologen, Philosophen, aber auch Maler, Schriftsteller und Musiker bis ins 18. Jahrhundert, kommt, wann er will. Dann kann der Mensch ihm nichts mehr entgegensetzen. Deshalb soll er seine Lebenszeit nutzen, um die Kunst des guten Sterbens, die ars bene moriendi, einzuüben. Wer diese Kunst gelernt hat, weiß, was ihn nach dem Ende seines irdischen Lebens erwartet. Er braucht sich vor dem Tod nicht zu fürchten. So waren die von Hippokrates geschilderten Symptome, die auch heute noch als facies hippocratica bezeichnet werden, lange Zeit völlig ausreichend, um die als unumkehrbar erfahrene Sterbephase zu diagnostizieren. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gerät die Verlässlichkeit dieser Diagnostik in Zweifel, als die Angst vor dem Scheintod und – als dessen Folge – die Angst, lebendig begraben zu werden, virulent wurden. Um ganz sicher zu gehen, dass ein Mensch tatsächlich verstorben war, beschränkte man sich nicht auf die Feststellung von Herz- und Atemstillstand, Leichenstarre und Totenflecken, sondern ging dazu über, die Leiche drei Tage in einem bewachten Leichenhaus aufzubewahren. An die Stelle des Problems der Scheintoten des 18. Jahrhunderts ist jedoch seit dem 20. Jahrhundert ein neues Problem getreten: das Problem des Schein-Lebenden. Diese Debatte wurde öffentlichkeitswirksam erstmals im Jahr 1976 geführt und sorgte für erheblichen Aufruhr. Im Mittelpunkt stand die damals 21-jährige Karen Ann Quinlan, die unter nicht ganz geklärten Umständen3 im April 1975 auf einer Party kollabierte und dauerhaft das Bewusstsein verlor. Sie wurde sofort in ein Krankenhaus in Denville, New Jersey, eingeliefert, wo die Ärzte unverzüglich lebenserhaltende Maßnahmen samt künstlicher Beatmung einleiteten. Als sich die Wahrscheinlichkeit, dass Karen Ann das Bewusstsein niemals wiedererlangen würde, allmählich zur Gewissheit verdichtete, verlangten ihre Eltern das Abschalten des Beatmungsgerätes. Ihre Forderung begründeten sie damit, auf diese Weise dem Wunsch ihrer Tochter zu entsprechen, die sich sehr deutlich in diese Richtung geäußert habe. „,Karen Ann‘, sagte die Mutter unter Tränen, ,hat mehrfach zu mir gesagt, dass sie unter keinen Umständen mit außergewöhnlichen Mitteln am Leben erhalten werden will.’ Dies bestätigte auch eine Freundin, nachdem Karen Ann den langsamen und schmerzhaften Krebstod eines Bekannten miterlebt hatte.“4
2 Hippokrates, zitiert nach Wolfgang Putz/Beate Steldinger, Patientenrechte am Ende des Lebens. Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Selbstbestimmtes Sterben, München 42012, S. 1 f. 3 Nach Auskunft der Eltern hatte sich die junge Frau, um eine Abmagerungskur durchzuhalten, an jenem Abend mit Alkohol und Tabletten betäubt. Gerüchten zufolge war sie allerdings schon seit längerer Zeit tablettenabhängig. 4 Monika M. Metzner, Wenn der Tod nicht schneller ist, in: Die Zeit 46 (1975), S. 56 – 57.
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Die Ärzte weigerten sich jedoch, weil das EEG immer noch geringe Aktivitäten zeigte und somit die Kriterien für einen Hirntod nicht erfüllt waren. Es kam schließlich zu einem Prozess, in dem der New Jersey Supreme Court entschied, dass eine Ethikkommission über die weitere Behandlung entscheiden solle. Die Kommission erlaubte die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen, doch die Ärzte konnten erwirken, dass der Respirator erst schrittweise außer Betrieb gesetzt wurde. Daraufhin stabilisierte sich Karen Ann’s Spontanatmung wider Erwarten auch ohne Gerät und sie lebte zehn weitere Jahre mit chronischem apallischen Syndrom in einem Pflegeheim bei künstlicher Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Als sie 1985 im Alter von 31 Jahren verstarb, war ihr bis dahin noch selbständig atmender Körper vollkommen abgemagert und in eine embryonal verkrümmte Haltung übergegangen. Nicht wenige Pressestimmen urteilten anschließend, dass nach 10 Jahren in einem persistierenden vegetativen Status lediglich ihre letzten Lebensfunktionen ausgesetzt hätten – gestorben sei sie schon lange.5 Zwar gab es auch zuvor schon Fälle, in denen amerikanische Gerichte todkranken Menschen das Recht zugesprochen hatten, eine Behandlung abzulehnen. Doch gab es bis dahin noch keinen Fall, in dem der Patient, für den es keine Hoffnung mehr gibt, nicht selbst über die Einstellung medizinischer Maßnahmen entscheiden konnte. Es wurde schon sehr bald deutlich, dass das Urteil, gleich wie es ausfiel, die öffentliche Meinung spalten würde. Die Befürworter des Abbruchs intensivmedizinischer Maßnahmen führten ein folgenorientiertes Argument ins Feld. Sollten die Richter im Fall Quinlan die Sterbehilfe in Form eines Behandlungsabbruchs verweigern, könnte die rasant voranschreitende Entwicklung im Bereich der Medizintechnik dazu führen, dass künftig die Intensivstationen mit Patienten belegt wären, die medizinisch als hoffnungslose Fälle einzustufen sind und für die nicht einmal ansatzweise Hoffnung auf Besserung besteht. Den Kranken aber, die Akutfälle sind oder deren Leiden durch medizinische Behandlung zumindest gelindert werden könnte, müsste das notwendige Krankenbett möglicherweise vorenthalten werden. Auch die strikten Gegner des Behandlungsabbruchs argumentierten teleologisch und verwiesen auf die zu befürchtenden Konsequenzen. Sollten die Richter dem Wunsch der Quinlans stattgeben, könnte ein Damm brechen, sodass in Zukunft Eltern für ihre behinderten Kinder, Söhne und Töchter für ihre alten und kranken Eltern, Altersheime und Krankenhäuser für unheilbar kranke Bewohner bzw. Patienten immer öfter Sterbehilfe – möglicherweise sogar im Sinne des „mercy killing“ – verlangen könnten. Dass diese Befürchtungen keineswegs auf haltlosen Spekulationen beruhen, wird durch die Sterbehilfepraxis in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg
5 Repräsentativ für diese Position: Spiegel Register „Gestorben“, in: Der Spiegel 25 (1985), S. 188.
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und – mit Einschränkungen – der Schweiz, die von der Gesetzgebung gedeckt ist, schon seit etlichen Jahren bestätigt.6 Und schließlich: Wer kann entscheiden, ob ein konkreter Fall tatsächlich hoffnungslos und unabänderlich ist? Die Quinlans haben als gläubige und praktizierende Katholiken für sich selber eine Antwort in der Lehre der Kirche gefunden. Als ihnen ein Gemeindepfarrer versicherte, dass erstmals Papst Pius XII. eingeräumt habe, menschliches Leben müsse nicht um jeden Preis und mit außergewöhnlichen Mitteln noch aufrechterhalten werden, wenn medizinisch gesehen keine Hoffnung mehr bestehe, fassten sie den Entschluss, Karen Anns Leben in die Hände ihres Schöpfers zurückzulegen. Diese von Pius XII. entwickelte Unterscheidung zwischen aktivem Tun (direkte und aktive Sterbehilfe) und passivem Zulassen des Todes (passive Sterbehilfe), die der Papst bei einer Ansprache anlässlich eines Anästhesiologenkongresses am 24. November 1957 in Innsbruck7 in die Diskussion eingebracht hatte, hat sich seither in der Lehre der katholischen Kirche fest etabliert. Während aktive Sterbehilfe, gleich ob auf Verlangen oder ohne Verlangen ausnahmslos und strikt verboten ist, kann passive Sterbehilfe im Sinne einer Nichtaufnahme lebensverlängernder Maßnahmen in aussichtslosen Fällen (primäre Form) oder des Absetzens bereits begonnener Maßnahmen bei infauster Prognose (sekundäre Form)8 ethisch durchaus legitim und mit der Lehre der katholischen Kirche vereinbar sein. Für die Entscheidung, ob ein solcher Fall konkret vorliegt, schafft es für das Gewissen der Ärzte, des Pflegepersonals und der Angehörigen erhebliche Ent6 „Seit 2002 ist in den Niederlanden das ,Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung‘ in Kraft. Dieses stellt Ärzte, die nach bestimmten Sorgfaltskriterien einem Patienten bei der Selbsttötung helfen oder auf sein Verlangen hin dessen Leben beenden, von Strafe frei. Seit 2002 ist auch in Belgien ein ähnliches Gesetz in Kraft, welches die aktive Sterbehilfe legalisiert. In Luxemburg stimmte das Parlament einem ersten Gesetzesentwurf zur Legalisierung aktiver Sterbehilfe im Februar 2008 zu. In der Schweiz ist die Gesetzeslage vergleichbar mit Deutschland. Organisationen wie EXIT oder Dignitas nutzen die Einschränkung, dass der assistierte Suizid nur strafbar ist, wenn die Beihilfe gewinnbringend für den Helfer ist. Die besondere Einstandspflicht, welche den Helfer in Deutschland der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen würde, sofern er nach Eintreten der Bewusstlosigkeit eine Rettung des Suizidenten unterließe, gibt es in der Schweiz nicht.“ (Marie Christin Hahnen, Autonomie, Würde, Patientenverfügung. Die Medizin am Lebensende im Spiegel der Gesellschaft [= Schriftenreihe im Wissenschaftlichen Beirat im DPHV e.V. Bd. 1], Wuppertal 2009, S. 8 f. i. d. Fußnote). 7 Vgl. Kommentar der Kongregation für die Glaubenslehre der Katholischen Kirche zur Frage der künstlichen Ernährung und Wasserversorgung von Patienten, die sich in einem sogenannten „vegetativen Zustand“ befinden: http://www.vatican.va/roman_curia/congregati ons/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20070801_nota-commento_ge.html [Stand: 6. 5. 2011]. 8 Vgl. Bettina Schöne-Seifert, Ist Assistenz zum Sterben unärztlich?, in: Adrian Holderegger (Hrsg.), Das medizinisch assistierte Sterben. Zur Sterbehilfe aus medizinischer, ethischer, juristischer und theologischer Sicht (= SThE 80), Freiburg i.Ue. 1999, S. 98 – 119, hier S. 100.
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lastung, wenn der Patient selbst sich in dieser Frage noch äußern kann. Gerade diese Voraussetzung war nun im Fall von Karen Ann Quinlan nicht mehr gegeben.
II. Zwei Erfindungen, die die Welt verändert haben – Respirator und PEG-Sonde Die Frage, die sich unvermeidlich stellt, lautet daher, wie eine solche Situation überhaupt entstehen konnte. Zu ihrer Beantwortung muss zunächst der Blick auf zwei Erfindungen gelenkt werden, durch welche die Welt der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen von Grund auf verändert wurde. Die erste Erfindung war die einer Maschine zur künstlichen Beatmung, des Respirators. Er wurde in den 50er Jahren während einer weltweiten Polioepidemie entwickelt. Ein Arzt, der miterlebte, wie die an Kinderlähmung erkrankten Kinder sterben mussten, weil sie nicht mehr selbständig atmen konnten, entwickelte ein Verfahren, mit dessen Hilfe auf mechanischem Wege, von Menschenhand, mit Luftsäcken Sauerstoff in die Lungen der Kinder gepumpt wurde. Solange sich Krankenpfleger und Medizinstudierende fanden, die freiwillig Tag und Nacht Luft in die Lungen der Polio-Opfer pumpten, blieben sie am Leben. Einige konnten sogar gerettet werden. Die neue und in vielen Fällen lebensrettende Erfindung bestand nun darin, eine Maschine zur permanenten Betätigung der Luftzufuhr einzusetzen. Damit war der entscheidende Schritt zur Entwicklung des Respirators, der ersten Maschine zur künstlichen Beatmung, getan. Im Einsatz bei Patienten, die nur auf eine vorübergehende künstliche Unterstützung ihrer Atmung angewiesen waren und bald ihren normalen Zustand wieder erlangt hatten, erwies sich der Respirator als wahrer Segen. Bei einer anderen Gruppe hingegen erschien sein Einsatz zunehmend fragwürdiger. Ihre Herz-Kreislauffunktionen und – damit verbunden – ihr Stoffwechsel konnten auf unabsehbare Zeit aufrechterhalten werden. Rein physiologisch gesehen blieben sie am Leben, doch offensichtlich würden sie das Bewusstsein nie wieder erlangen. Die künstliche Dauerbeatmung irreversibel komatöser Patienten wurde zu einem großen Problem sowohl für die Angehörigen als auch für die Leiter der Intensivstationen. Für die Angehörigen, weil sie auf Dauer den Anblick eines geliebten Menschen nicht ertragen konnten, der einerseits unwiederbringlich von ihnen gegangen war, andererseits aber doch nicht als klinisch tot galt, so dass sie ihn nicht zu Grabe tragen und von ihm Abschied nehmen konnten; für die Leitung der Intensivstationen deshalb, weil die Behandlung irreversibel komatöser Patienten nicht nur sehr kostenintensiv ist und den Krankenhausetat stark belastet, sondern auch weil hier ein Beatmungsgerät und ein Bett dauerhaft blockiert wurden, ohne jemals die geringste Änderung eines hoffnungslosen Zustands erwarten zu können, der im Grunde nur durch den Einsatz technischer Mittel künstlich aufrechterhalten wird.
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Die ethische Frage, die sich aus dieser bislang nicht gekannten Situation ergibt, lautet deshalb, ob beziehungsweise inwieweit solche medizinischen Maßnahmen noch sinnvoll sind und verantwortet werden können. Die zweite Erfindung war zur Zeit von Karen Ann Quinlan zwar noch nicht gemacht, steht aber im Hintergrund solch spektakulärer, durch die Medien international bekannt gewordener und emotional diskutierter Beispiele wie Terri Schiavo in den USA oder Eluana Englaro in Italien. In beiden Fällen handelte es sich um Apalliker, die keine Chance hatten, aus dem Wachkoma wieder aufzuwachen. Gemeint ist die künstliche Ernährung durch die sog. PEG-Sonde.9 Bei diesem Verfahren wird nach einem geringfügigen operativen Schnitt die Sonde durch die Bauchdecke gelegt, sodass die Nahrungssubstanzen direkt in den Magen geleitet werden. Als Erfinder der Ernährung durch die Magenwand gilt der Kinderchirurg Michael Gauderer, der 1979 in Ohio einen Säugling mit Schluckbeschwerden vor dem Verhungern bewahrte. Anfangs pressten die Ärzte echte Mahlzeiten, Suppen oder pürierte Lebensmittel, durch Kunststoffröhren, was jedoch zu Verstopfungen führte. Die Lösung brachte die Raumfahrt. Die für deren Zwecke entwickelte, sogenannte Astronautenkost hatte eine hohe Nährstoffdichte, konnte industriell zubereitet werden und ließ sich einfach lagern. Gegenüber der nasalen Magensonde – das heißt einer Sonde, die über Nase, Rachen und Speiseröhre in den Magen reicht – besitzt die PEG-Sonde mehrere Vorteile. Erstens ist die Aspirationsgefahr verringert und der Patient kann zusätzlich zur verabreichten Sondennahrung ungestört schlucken. Zweitens kann im Unterschied zur nasalen Sonde, bei der die Ernährung durch einen Schlauch erfolgt, der von der Nase über die Speiseröhre in den Magen führt, die PEG-Sonde auch über lange Zeiträume hinweg zur künstlichen Ernährung verwendet werden. Der längste dokumentierte Fall beträgt inzwischen 32 Jahre.10 Der entscheidende Vorteil der Magensonde gegenüber der Ernährung durch Nase und Mund liegt nämlich darin, dass sie nahezu keimfrei und komplikationslos arbeitet. Früher gelangten nicht selten über die Nase Bakterien in den Körper. Eine PEG-Sonde ermöglicht hingegen die künstliche Ernährung mit Sondennahrung als enterale Ernährung, also eine Ernährung über den Magen-Darm-Trakt, die der parenteralen Ernährung – das heißt der Ernährung durch Infusionen wie noch bei Karen Ann Quinlan – grundsätzlich vorzuziehen ist. PEG-Sonden können ein Segen sein: für Menschen, die einen Unfall hatten und für eine Zeit lang in Bewusstlosigkeit fallen, für Patienten, die an der Nervenkrankheit ALS leiden oder denen eine Krebserkrankung die Speiseröhre zerstört hat. Zwei Drittel der Ernährungsschläuche kommen indes bei hoch betagten Menschen in Altenheimen und Krankenhäusern zum Einsatz. Annähernd die Hälfte von ihnen ist altersverwirrt oder hochgradig dement. Weil die PEG-Sonde relativ leicht gelegt ist, wird sie als Methode zur künstlichen Ernährung meistens bei Pati9
PEG = perkutan-endoskopische Gastrostomie. Vgl. Putz/Steldinger, Patientenrechte (Anm. 2), S. 9.
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enten eingesetzt, die in medizinischer Hinsicht als Pflegefälle gelten und aufgrund krankheits- oder altersbedingter Auszehrung selbständig keine Nahrung mehr aufnehmen beziehungsweise nicht einmal mehr schlucken können. Das ethische Problem ist prinzipiell identisch mit dem, das bereits im Blick auf die Maßnahmen der künstlichen Beatmung formuliert wurde. Einerseits möchte sich niemand mit der Schuld belasten, einen Menschen wegen mangelnder Luftzufuhr ersticken bzw. wegen fehlender Nahrung verhungern zu lassen. Andererseits stellt sich aber doch die Frage, ob bei jemandem, von dem sich vorhersagen lässt, er werde mit Sicherheit niemals wieder selbständig atmen oder Nahrung aufnehmen können, eine zeitlich unbegrenzte künstliche Form der Beatmung oder Ernährung noch als Heilbehandlung im Sinne eines den Arzt grundsätzlich verpflichtenden Ethos angesehen werden kann. Auch in Deutschland geht es in den allermeisten Fällen, in denen vor Gericht über das Sterben gestritten wird, um die Entscheidung, ob die künstliche Ernährung eingestellt oder fortgeführt werden muss. Am Fall von Karen Ann Quinlan waren schon früh, geradezu exemplarisch, jene drei Fragen ablesbar, welche nach wie vor in der ethischen Diskussion über medizinische Maßnahmen an Menschen, die sich selbst nicht mehr äußern können, gestellt werden. Die erste: Wann nutzt die künstliche Beatmung und/oder Ernährung einem Menschen, und wann fügt sie seiner Würde Schaden zu? Die zweite: Wo verläuft die Grenze zwischen moralisch gebotener, sinnvoller Lebensverlängerung und dem bloßen Hinauszögern des Todes? Und die dritte: Welchen Wert hat der in gesunden Tagen geäußerte, schriftlich festgehaltene oder mutmaßliche Wunsch eines Menschen bezüglich der Art seines Sterbens? Auch diese letzte Frage scheint im Fall Quinlan bereits durch. Die Gerichte akzeptierten zwar den Wunsch der Eltern nach Einstellung der maschinellen Dauerbeatmung und lehnten auch den Abbruch der künstlichen Ernährung nicht generell ab; sie sahen allerdings diesen zweiten Teil des Behandlungsabbruchs nicht eindeutig im Einklang mit dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen der Patientin. Obwohl sich die Berufung auf den mutmaßlichen Willen in diesem richtungweisenden Fall letztlich nicht als Begründung für die Einstellung intensivmedizinischer Maßnahmen durchsetzen konnte, stand die Frage zwar noch unbeantwortet, aber letztlich unabweisbar im Raum. Ist auch bei einem nicht mehr äußerungsfähigen Patienten der zuvor geäußerte Wille verbindlich oder nicht? Wie lässt sich dieser Wille zweifelsfrei feststellen? Bedarf es dazu der schriftlichen Form oder genügen glaubhaft bezeugte mündliche Äußerungen?
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III. Auf dem Weg zum Patientenverfügungsgesetz: Der Fall Dr. Wittig, das Kemptener Urteil und das Urteil des BGH von 2003 Das Bemühen, die soeben formulierten Fragen einer juristischen Klärung zuzuführen, stellt einen relativ langen und durchaus komplexen Prozess dar. An seinem Beginn stand für die Gesetzgebung außer Zweifel, dass die Garantenstellung des Arztes (§ 323 c StGB) diesen selbstverständlich und ohne jede Einschränkung in die Pflicht nehme, alles zu tun, um das Leben des Patienten zu erhalten. Das Unterlassen oder der Abbruch lebensrettender bzw. lebenserhaltender Maßnahmen konnte allenfalls die ultima ratio in absolut aussichtslosen Fällen sein, in denen der Sterbeprozess durch ärztliche Intervention nicht mehr aufzuhalten war. Diese ehedem allgemein geltende Überzeugung spiegelt das so genannte „Dr. Wittig-Urteil“, das Erste Sterbehilfeurteil aus dem Jahr 1984, deutlich wider11: „Ein Hausarzt hat den Tatbestand des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) verwirklicht, weil er anlässlich eines Selbstmordversuchs seiner Patientin, den er entdeckte, als er einen zuvor verabredeten Hausbesuch unternahm, keinen Rettungsversuch unternahm, da er wusste, dass die 76-jährige Frau ein ,Patiententestament‘ verfasst hatte, in dem sie medizinische Intensivbehandlung im Sterbeprozess ablehnte. Der BGH hielt den zuvor geäußerten Willen angesichts der Bewusstlosigkeit der Patientin beim Eintreffen des Arztes für unbeachtlich und argumentierte: ,Gerade derjenige, der die suizidale Situation so einrichtet, dass zwischen Selbstmordhandlung und Todeseintritt eine längere Latenzperiode liegt, in der das Hinzukommen Dritter ermöglicht wird, handelt oft in der unterschwelligen Hoffnung, dass sein verzweifelter Schrei nach menschlichem Beistand gehört werde.‘ Bestraft wurde der Arzt allerdings nicht: Ihm wurde angesichts der Schäden, die die Patientin im Fall einer Lebensrettung wahrscheinlich erlitten hätte, eine Pflichtenkollision zugutegehalten, die sein Vorgehen rechtfertigen konnte.“12
In der Dr.-Wittig-Entscheidung hatte der BGH noch rechtsdogmatisch für eine vorrangige Pflicht des Arztes zur Lebenserhaltung argumentiert. Diese Sichtweise hatte sich allerdings bereits zehn Jahre später grundlegend verändert. Im Zweiten Sterbehilfeurteil, dem so genannten Kemptener-Urteil aus dem Jahr 1994, akzentuierte der BGH auch die Möglichkeit, nicht zu behandeln. Die Angeklagten, ein Arzt und ein Angehöriger, gingen auch hier straffrei aus. Dieses viel beachtete Urteil wurde folgendermaßen begründet: „Mit Urteil vom 13. September 1994 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs über einen Fall des Abbruchs der künstlichen Ernährung bei einer irreversibel schwerst hirngeschädigten, entscheidungsunfähigen Patientin im Zusammenwirken von deren zum Pfleger bestellten Sohn und dem behandelnden Arzt entschieden. Da die Grunderkrankung – wie im vorliegenden Fall – noch keinen unmittelbar zum Tod führenden Verlauf genommen hatte, lag, wie der 1. Strafsenat festgestellt hat, kein Fall der so genannten ,passiven Sterbehilfe‘ nach den Kriterien der damaligen ,Richtlinien für 11 12
Vgl. BGHSt 32, S. 367 (369). Veröffentlicht in: BGHSt 32, S. 367.
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die Sterbehilfe‘ der Deutschen Ärztekammer vor […] Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof erkannt, ,dass angesichts der besonderen Umstände des hier gegebenen Grenzfalls ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen [sei], sofern der Patient mit dem Abbruch mutmaßlich einverstanden ist.‘“13
Diese scheinbar erreichte Klarheit in der Tendenz, den Patientenwillen als entscheidend für den Abbruch einer Behandlung zu respektieren – auch wenn die Sterbephase noch nicht erreicht ist –, wurde jedoch durch ein späteres Urteil vom XII. Zivilsenat des BGH noch einmal in Frage gestellt. In seinem Beschluss vom 17. März 2003, der den Fall eines an einem apallischen Syndrom leidenden Patienten betraf, hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nämlich entschieden, das Unterlassen lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen bei einem einwilligungsunfähigen Patienten setze voraus, dass dies dessen tatsächlich geäußertem oder mutmaßlichem Willen entspreche und dass die Grunderkrankung einen „irreversibel tödlichen Verlauf“ angenommen habe.14 So galt bis zum Inkrafttreten des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes oder Patientenverfügungsgesetzes vom 1. September 2009 die Richtschnur: Der Patientenwille ist zu beachten, aber nicht in jedem Fall verbindlich. Das Ziel des Patientenverfügungsgesetzes bestand darin, diese Grauzone aufzuhellen, in der sich Ärzte und Pfleger nach wie vor bewegen mussten. Deshalb wurde die Forderung nach Rechtssicherheit für alle Beteiligten, Patienten, Ärzte und Betreuer immer lauter. Damit sollte sichergestellt werden, dass der Grundgedanke des Selbstbestimmungsrechts auch bei medizinischen Behandlungen entscheidungsunfähiger Patienten beachtet wird, ohne Ärzte, Pfleger und Betreuer wegen unterlassener Hilfeleistung mit dem Strafgesetz in Konflikt zu bringen. Der Entscheidung des BGH zum Patientenverfügungsgesetz vom 1. September 2009 ging eine sechs Jahre andauernde Diskussion voraus, die allein zwischen März 2007 und Juni 2009 zu vier Debatten im Plenum des Deutschen Bundestages führte. Die Beteiligten waren sich bewusst, dass es um den Schutz zweier ethisch und rechtlich hochrangiger Güter ging: der Selbstbestimmung auf der einen und der Unantastbarkeit des Lebens auf der anderen Seite. Am Ende lagen dem Bundestag drei verschiedene, fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe vor15 :
13 Veröffentlicht in: BGHSt 40, S. 257 ff. = NJW 1995, S. 204 f.; LG Kempten 1 StR 357/ 94 vom 13. 9. 1994. 14 BGH XII ZB 2/03, Beschluss vom 17. 3. 2003. 15 Vgl. Bernhard Bode, Selbstbestimmt in den Tod. Patientenverfügung, in: Das Parlament 45 (08. 11. 2010). Vgl. auch Deutscher Bundestag, Amtliches Protokoll 227. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, 18. Juni 2009, Tagesordnungspunkt 6.
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¢ Entwurf 1 ging auf den SPD-Abgeordneten Joachim Stünker zurück.16 Wichtigste Voraussetzung für die Verbindlichkeit der Patientenverfügung war bzw. ist nach dem von Stünker und anderen Parlamentariern vorgelegten Gesetzentwurf ihre schriftliche Form. Liegt sie vor, ist der Patientenwille verbindlich – und zwar völlig unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Dies gilt z. B. auch für Wachkomapatienten. Dieser Entwurf bildet den Kern des aktuell geltenden Gesetzes. ¢ Entwurf 2 wurde von Wolfgang Bosbach (CDU) eingereicht17 und enthielt eine Differenzierung nach Art und Stadium der Erkrankung. Demnach sollte es von der Schwere der Erkrankung abhängen, ob die Patientenverfügung voll verbindlich ist. ¢ Entwurf 3 stellte eine Initiative rund um den CSU-Abgeordneten Wolfgang Zöller dar und wollte Betreuer und Ärzte verpflichten, Patientenverfügungen voll anzuerkennen.18 Beschränkungen auf Erkrankung oder Behandlungssituation machte dieser Gesetzentwurf nicht. Patientenverfügungen sollten sogar in mündlicher Form anerkannt werden. Am Ende hat sich der überparteiliche Gesetzentwurf des Bundestagsabgeordneten Stünker durchgesetzt, „nach dem in das Familienrecht des BGB im dritten Abschnitt mit der Überschrift ,Vormundschaft, rechtliche Betreuung, Pflegschaft‘, im zweiten Titel der § 1901 a BGB mit der Überschrift ,Patientenverfügung‘ und der § 1901 b BGB mit der Überschrift ,Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens‘ eingeführt wurde.“19 Der einschlägige § 1901 a lautet wie folgt: „Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.“
Im Mittelpunkt steht das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Selbstbestimmung, so dass prinzipiell der Wille des Patienten zu befolgen ist. Dieser soll in einer schriftlich verfassten Patientenverfügung niedergelegt sein, die für Ärzte und Angehörige bzw. Betreuer absolut verbindlich ist und ohne jede Reichweitenbeschränkung gilt. Die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen muss unabhängig von 16
Vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 16/8442. Vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 16/11360. 18 Vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 16/11493. 19 Wolfgang Schlögl, Durchbruch oder Dammbruch? Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen auf der Grundlage des am 1. 9. 2009 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretenen Patientenverfügungsgesetzes, in: Ethica 19 (2011), S. 227. 17
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Art und Stadium der Erkrankung befolgt werden, also auch, wenn der Patient die Sterbephase noch nicht erreicht hat. Das gilt somit auch für Demenzkranke und Wachkomapatienten, die keinesfalls Sterbende sind. Wenn keine schriftliche Patientenverfügung vorliegt oder wenn Zweifel aufkommen, ob die Patientenverfügung tatsächlich auf die aktuelle Situation passt, müssen Arzt und Betreuer gemeinsam zu einer Entscheidung kommen. In dieser Situation ist der Betreuer besonders gefordert, weil ihm die Aufgabe zukommt, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln und zu vertreten. Nur wenn eine Einigung zwischen Arzt und Betreuer nicht möglich erscheint, muss das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden.20 Festzuhalten bleibt, dass in die Patientenverfügung in jedem Fall zwei unüberschreitbare Grenzen eingezogen sind: Die Obergrenze dient dem Ausschluss einer nicht mehr sinnvollen Maximaltherapie, in der zwar alles medizinisch Machbare, aber eben nicht mehr das sinnvolle, dem Patienten zuträgliche oder von ihm nicht mehr gewollte medizinische Handeln praktiziert wird. Die Untergrenze hingegen dient dem Ausschluss aktiver Tötung eines Menschen durch einen Arzt oder eine andere Person, und zwar auch dann, wenn sie auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten durchgeführt wird. Die Patientenverfügung stellt nach der Gesetzeslage in Deutschland keinesfalls eine Lizenz zum Töten dar. Sie ermöglicht zwar die Hilfe beim Sterben, ist aber in keiner Weise darauf angelegt, die Hilfe zum Sterben zu legalisieren. Diese überaus wichtige Einschränkung war in der langen Vorgeschichte bis zur Verabschiedung des Patientenverfügungsgesetzes offenbar nicht von allen intendiert, die sich für die Rechtsverbindlichkeit einer solchen Vorausverfügung vehement einsetzten. Zu ihnen zählten auch prominente Verfechter wie Hans Küng und Walter Jens.21 Wir können somit festhalten: Im Mittelpunkt des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes oder Patientenverfügungsgesetzes von 2009 steht das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Selbstbestimmung, so dass prinzipiell der Wille des Patienten zu befolgen ist. Seine tragenden Grundsätze sollen an dieser Stelle
20 Einen ausgezeichneten Überblick über Entstehungsgeschichte sowie die rechtlichen und ethischen Aspekte der Patientenverfügung samt den damit möglicherweise verbundenen Problemen bieten Torsten Verrel/Alfred Simon, Patientenverfügungen. Rechtliche und ethische Aspekte (= Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsberichte des DRZE 11), Freiburg i. Br. 2010. 21 Vgl. Hans Küng/Walter Jens, Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung, München 1995. Die Autoren unternahmen schon vor vielen Jahren den Versuch, aktive Sterbehilfe etwa bei unheilbar kranken oder unaufhaltsam dement werdenden Patienten literarisch und theologisch zu rechtfertigen. Schlussendlich ist es ein Plädoyer für die Legalisierung der Tötung auf Verlangen. Die mit großer rhetorischer Souveränität und hoher Suggestivkraft vorgetragenen Stellungnahmen führen deshalb in eine Richtung, die in der heute geltenden Patientenverfügung unbedingt vermieden werden soll, weil sie deren Anliegen konterkarieren würde.
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noch einmal, in diesem Punkte der Sicht Joachim Stünckers folgend, hervorgehoben werden:22 ¢ Die antizipierte Willensbestimmung steht dem aktuell geäußerten Willen gleich. ¢ Dem in Schriftform klar zum Ausdruck gebrachten Patientenwillen ist Ausdruck und Geltung zu verschaffen. ¢ Die Festlegungen in der Patientenverfügung müssen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen; gegebenenfalls ist der mutmaßliche Wille zu ermitteln. ¢ Die Wirksamkeit der Willensbestimmung ist nicht abhängig von Art oder Stadium einer Erkrankung (keine Reichweitenbegrenzung; Erg P.F: sie gilt somit auch für Demenzkranke und Wachkomapatienten, die keinesfalls Sterbende sind). ¢ Keine Beratungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Patientenverfügung. ¢ Das Betreuungsgericht ist nur einzuschalten, wenn Arzt und Betreuer in ihrem dialogischen Prozess zu einer unterschiedlichen Auslegung der Patientenverfügung kommen (Dissensfälle). ¢ Die aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) bleibt strafbar.
IV. Das Dritte Sterbehilfeurteil des BGH – ein Dammbruch? Die gesetzliche Neuregelung durch das Patientenverfügungsgesetz von 2009 hat zweifellos zu größerer Klarheit und höherer Rechtssicherheit geführt. Die damit erreichte Klarstellung von bis dahin heftig und kontrovers diskutierten Fragen hat allerdings einen nicht geringen Preis. Die klassische Unterscheidung der Sterbehilfe in die sowohl rechtlich als auch ethisch höchst unterschiedlich zu bewertenden Formen hinsichtlich aktiver und passiver Sterbehilfe, neben die als weitere Form noch der assistierte Suizid treten kann, wird schleichend ausgehöhlt, wenn die Durchsetzung des Patientenwillens zum höchsten Gut wird. Insofern ist das Urteil des BGH aus dem Jahr 2010, das so genannte Dritte Sterbehilfeurteil, nur konsequent, in dem eine der Tötung ihrer Mutter angeklagte Frau deswegen freigesprochen wurde, weil sie – auf Anraten ihres Rechtsanwaltes Dr. Wolfgang Putz – außer der Durchtrennung des Sondenschlauchs keine Möglichkeit sah, den Jahre zuvor mündlich geäußerten Willen ihrer Mutter gegenüber dem Pflegepersonal durchzusetzen. Die Bewertung der objektiv feststellbaren Handlung tritt 22 Die folgenden Punkte wurden direkt zitiert aus: Joachim Stüncker, Das Gesetz zur Patientenverfügung und wie es dazu kam, in: Gian Domenico Borasio/Hans-Joachim Heßler/ Ralf J. Jox/Christoph Meier (Hrsg.), Patientenverfügung. Das neue Gesetz in der Praxis (= Münchner Reihe Palliativ Care 7), Stuttgart 2012, S. 9 – 14, hier S. 13.
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völlig in den Hintergrund, die Intention hingegen – Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts ohne Begrenzung der Reichweite – setzt alle anderen, ebenfalls bedenkenswerten Gesichtspunkte, außer Kraft. Dass die damit verbundene Gefahr nicht mit der ihr angemessenen Besorgnis wahrgenommen wird, liegt möglicherweise auch daran, dass vielen Menschen die geltende Rechtslage samt der ihr bisher zugrunde liegenden ethischen Differenzierung unklar ist.23 Die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 wäre ohne das im Jahr 2009 verabschiedete Dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz oder Patientenverfügungsgesetz so nicht möglich gewesen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass zuvor das Landgericht Fulda, das in seinem Urteil vom 30. April 2009 der bis dato geltenden Rechtsprechung folgte, den angeklagten Rechtanwalt wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilte. Der BGH hingegen gab der eingelegten Revision statt und sprach in seinem Urteil vom 25. Juni 2010 den Angeklagten frei und befand, dass der Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens nicht strafbar sei. Da dieses Urteil für die weitere Rechtsprechung richtungweisend ist, soll der ihm zugrunde liegende Fall in vollständiger Form, das heißt in diesem Falle im originalen Wortlaut der Veröffentlichung, wiedergegeben werden, die von der Pressestelle des Bundesgerichtshofes kommuniziert wurde: „Der Angeklagte ist ein für das Fachgebiet des Medizinrechts spezialisierter Rechtsanwalt. Nach den Feststellungen des Landgerichts beriet er die beiden Kinder der 1931 geborenen Frau K., nämlich die mitangeklagte Frau G. und deren inzwischen verstorbenen Bruder. Frau K. lag seit Oktober 2002 in einem Wachkoma. Sie wurde in einem Pflegeheim über einen Zugang in der Bauchdecke, eine sog. PEG-Sonde, künstlich ernährt. Eine Besserung ihres Gesundheitszustandes war nicht mehr zu erwarten. Entsprechend einem von Frau K. im September 2002 mündlich für einen solchen Fall geäußerten Wunsch bemühten sich die Geschwister, die inzwischen zu Betreuern ihrer Mutter bestellt worden waren, um die Einstellung der künstlichen Ernährung, um ihrer Mutter ein 23
Deshalb ist Marie-Christin Hahnen wohl zuzustimmen, wenn sie zu diesem Urteil kommt und deshalb die klassischen Kategorien noch einmal in Erinnerung ruft: „Die rechtliche Lage in Deutschland scheint vielen Menschen unklar zu sein. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland durch den § 216 StGB als Tötung auf Verlangen strafbar. Passive Sterbehilfe oder Therapiebegrenzung ist nicht nur nicht strafbar, sondern sogar geboten, sofern der Wille des Patienten der Behandlung entgegensteht, anderenfalls wäre die weitere Behandlung Körperverletzung (§ 223 StGB). Der Patient kann nur in eine Behandlung einwilligen, sofern diese medizinisch sinnvoll und indiziert ist (BGH Beschluss AZ: 2 StR 372/77 vom 22. Februar 1978). Dies bedeutet, dass ein Wegfall der Indikation zu einem straflosen Behandlungsabbruch führen muss. Ein strittiger Fall ist die Beihilfe zum Suizid. Da in Deutschland der Suizid keine strafbare Handlung darstellt, kann auch die Beihilfe dazu nicht einer Strafverfolgung unterliegen. Allerdings verbietet das Standesrecht den Ärzten eine Mithilfe beim Suizid, so dass ein Arzt, der Beihilfe zum Suizid leistet, mit standesrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat. Außerdem würde sich ein Arzt, der den Suizidversuch eines Patienten begleitet, der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen, wenn er die Rettung des Suizidenten unterließe (§ 323c). Auch Angehörige könnten durch diesen Paragraphen zu einer Rettung des Suizidenten verpflichtet werden.“ (Hahnen, Autonomie, Würde, Patientenverfügung [Anm. 6], S. 100 f.)
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Sterben in Würde zu ermöglichen. Nach Auseinandersetzungen mit der Heimleitung kam es Ende 2007 zu einem Kompromiss, wonach das Heimpersonal sich nur noch um die Pflegetätigkeiten im engeren Sinne kümmern sollte, während die Kinder der Patientin selbst die Ernährung über die Sonde einstellen, die erforderliche Palliativversorgung durchführen und ihrer Mutter im Sterben beistehen sollten. Nachdem Frau G. am 20. 12. 2007 die Nahrungszufuhr über die Sonde beendet hatte, wies die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens am 21. 12. 2007 jedoch die Heimleitung an, die künstliche Ernährung umgehend wieder aufzunehmen. Den Kindern der Frau K. wurde ein Hausverbot für den Fall angedroht, dass sie sich hiermit nicht einverstanden erklären sollten. Darauf erteilte der Angeklagte P. Frau G. am gleichen Tag den Rat, den Schlauch der PEG-Sonde unmittelbar über der Bauchdecke zu durchtrennen. Frau G. schnitt Minuten später mit Unterstützung ihres Bruders den Schlauch durch. Nachdem das Heimpersonal dies bereits nach einigen weiteren Minuten entdeckt und die Heimleitung die Polizei eingeschaltet hatte, wurde Frau K. auf Anordnung eines Staatsanwalts gegen den Willen ihrer Kinder in ein Krankenhaus gebracht, wo ihr eine neue PEGSonde gelegt und die künstliche Ernährung wieder aufgenommen wurde. Sie starb dort zwei Wochen darauf eines natürlichen Todes auf Grund ihrer Erkrankungen. Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten als einen gemeinschaftlich mit Frau G. begangenen versuchten Totschlag durch aktives Tun – im Gegensatz zum bloßen Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung durch Unterlassen – gewürdigt, der weder durch eine mutmaßliche Einwilligung der Frau K. noch nach den Grundsätzen der Nothilfe oder des rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt sei.“24
Während – wie bereits erwähnt – das Landgericht Fulda den Rechtsanwalt Dr. Putz zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt hatte, war die Mitangeklagte G. hingegen von Anfang an freigesprochen worden. Ihr Handeln sei deswegen frei von Schuld gewesen, weil sie sich in gutem Glauben auf den Rechtsrat des Angeklagten Dr. Putz verlassen habe und sich daher in einem so genannten unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befand. Auf die Revision des Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil des Landgerichts Fulda aufgehoben und auch den Anwalt freigesprochen. Für den Freispruch des Dr. Putz war die Auffassung des BGH entscheidend, dass die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen zur Tatzeit nicht definitiv geklärt war. Die vorausgegangen Entscheidungen des BGH waren nicht ohne weiteres miteinander vereinbar. Im Zentrum der Diskussion standen die lange Zeit nicht eindeutig geklärten Fragen, ob die Zulässigkeit des Abbruchs einer lebenserhaltenden Behandlung auf tödliche und irreversibel verlaufende Erkrankungen des Patienten beschränkt oder von Art und Stadium der Erkrankung unabhängig sei. Ebenfalls war das Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung einer Entscheidung des gesetzlichen Betreuers über eine solche Maßnahme bis dahin noch nicht eindeutig geklärt. Durch das sog. Patientenverfügungsgesetz mit Wirkung vom 1. September 2009 wurden diese Fragen schließlich geregelt. Da die verhandelte Tat jedoch erst 24
BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 129/210 vom 06. 08. 2010.
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im Folgejahr 2010 stattfand, konnte der Senat auf Grundlage der neuen Gesetzgebung entscheiden, ohne an frühere Urteile anderer Senate gebunden zu sein.25 Der BGH bekräftigte noch einmal das Ergebnis, zu dem bereits das Landgericht Fulda gekommen war: Die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung müsse als rechtswidriger Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin gewertet werden und erfülle den Tatbestand der Körperverletzung. Es widersprach hingegen der Bewertung des Landgerichts in der Beantwortung der Frage, ob sich der Angeklagte des versuchten Totschlags strafbar gemacht habe und berief sich dabei auf die seit 2009 in Kraft getretenen Regelungen der §§ 1901 a, 1904 BGB. „[Die] Einwilligung der Patientin rechtfertigte nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung diente. Eine nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung der straflosen Sterbehilfe vom strafbaren Töten des Patienten wird dem sachlichen Unterschied zwischen der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung und Verhaltensweisen nicht gerecht, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen.“26
Im Fall Dr. Putz führte das Dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz dazu, dass die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung als Körperverletzung gewertet wurde. Zur Legitimierung dieser Maßnahme, so die Meinung des BGH, konnten sich weder Heimleitung noch Pflegepersonal auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen. Die im Grundgesetz garantierte Religions- und Gewissenfreiheit verleihe ihnen nicht das Recht, sich über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinwegzusetzen.27 Kurz gesagt: Eine Güterabwägung wie in dem geschilderten Fall müsse immer zugunsten des Selbstbestimmungsrechts ausfallen. Allerdings war sich der BGH bewusst, dass zur Feststellung des Patientenwillens hinsichtlich medizinischer Behandlungs- oder Nichtbehandlungswünsche drei Fragen zweifelsfrei geklärt werden müssen. Die erste Frage lautet, ob überhaupt eine Willensäußerung des Patienten vorliegt; die zweite Frage dient der Überprüfung, ob die zuvor erfolgte Willensäußerung tatsächlich auf die aktuelle Situation passt. Die dritte Frage muss klären, wer überhaupt zur Umsetzung des Patientenwillens – keinesfalls aber seiner eigenen Vorstellungen – entweder als Betreuer oder als Bevollmächtigter autorisiert ist.28 Die zweifelsfreie Beantwortung dieser Fragen muss 25
Vgl. BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 129/210 vom 06. 08. 2010. BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 129/210 vom 06. 08. 2010. 27 BGH 2 StR 454/09 vom 25. 6. 2010. 28 Für den Fall, dass Patienten ihre Angelegenheiten – insbesondere im medizinischen Bereich – nicht mehr selbst regeln können, sind vom Gesetzgeber drei Möglichkeiten der Vorsorge vorgesehen, um in gesunden Tagen im Sinne der Selbstbestimmung schriftliche Willenserklärungen für den Fall einer späteren Einwilligungsunfähigkeit abgeben zu können: 1. Die Patientenverfügung, die sich vor allem auf den medizinischen Bereich bezieht und die Wünsche hinsichtlich Behandlung/Nichtbehandlung bzw. Behandlungsbegrenzung bei in26
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zwingend vorliegen, damit sich Fälle wie der nachfolgend geschilderte so genannte „Kölner Fall“ in Zukunft nicht wiederholen können. In seinem Urteil zum „Kölner Sterbehilfefall“ hat der 2. Strafsenat des BGH seine Rechtsprechung präzisiert, wohl auch, um mögliche Fehldeutungen des Dritten Sterbehilfeurteils zu korrigieren. Ausdrücklich wies der BGH in diesem Zusammenhang auf die strengen beweisrechtlichen Maßstäbe hin, die für die Feststellung des mutmaßlichen Behandlungswillens beziehungsweise zur Beantwortung der soeben angeführten drei Leitfragen zu gelten haben. Hier sei vor allem zu prüfen, ob die Verfahrensregeln der §§ 1901 a und 1901 b BGB beachtet wurden.29 „Die Entscheidung betraf einen Angeklagten, der am Klinikbett seiner Schwiegermutter erschien und – ohne Betreuer oder Bevollmächtigter zu sein und zudem ohne Kenntnis des genauen Inhalts ihrer Patientenverfügung zu haben – lautstark die Einstellung intensivmedizinischer Maßnahmen verlangte. Wesentliches Motiv war seine Befürchtung, die Patientin könnte als Pflegefall entlassen werden und dann ihm und seiner Ehefrau finanziell zur Last fallen. Als die Ärzte kurze Zeit danach Einblick in die Patientenverfügung nehmen konnten, lehnten sie eine Behandlungseinstellung ab. Sie hielten den Zustand der Patientin für ,ernst aber nicht hoffnungslos‘ und sahen kein Indiz für einen von ihr gewünschten Abbruch der Maßnahmen. Mit den Worten: ,Gut, dann mach ich das jetzt selbst!‘ schaltete der Angeklagte daraufhin eigenmächtig alle Perfusoren ab, was zu einem dramatischen Abfall von Blutdruck und Herzfrequenz der Patientin führte. Am Versuch, auch ein Beatmungsgerät abzuschalten, wurde er gewaltsam durch einen anwesenden Krankenpfleger gehindert. Die Perfusion wurde vom Klinikpersonal nach zehn Sekunden wieder eingeschaltet. Die Patientin starb drei Stunden später an einem septischen Schock, nicht nachweisbar an der vorübergehenden kurzen Unterbrechung der Medikamentenzufuhr.“30
Der Angeklagte wurde daraufhin durch das LG Köln aufgrund versuchten Totschlags zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt – allerdings auf Bewährung, trotz der sehr negativen Attestierung ,rechtsfeindlicher Züge‘ durch das Gericht. Der Angeklagte legte Revision ein, welche jedoch vom BGH als unbegründet verworfen fauster Prognose in der letzten Lebensphase äußert. 2. Die Betreuungsverfügung, durch die eine Person des eigenen Vertrauens benannt wird für den Fall, dass eine Betreuung notwendig wird, und die vom Vormundschaftsgericht eingesetzt werden soll. 3. Eine Vorsorgevollmacht. Im Unterschied zur Betreuungsverfügung muss hier die Person des eigenen Vertrauens nicht erst vom Vormundschaftsgericht eingesetzt werden, sondern kann im Falle der eigenen Entscheidungsunfähigkeit sofort für den Vollmachtgeber handeln. Wichtig ist zu beachten, dass der Betreuer/Bevollmächtigte nicht selbst entscheidet, sondern lediglich befugt ist, die Wünsche des Patienten umzusetzen, der das aus eigenem Vermögen nicht mehr tun kann. 29 Vgl. Schlögl, Durchbruch oder Dammbruch? (Anm. 19), S. 237. Vgl. BGH 2 StR 320/10 vom 10. 11. 2010. 30 Bernhard Knittel, Was hat sich seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes in der Rechtsprechung verändert?, in: Gian Domenico Borasio/Hans-Joachim Heßler/Ralf J. Jox/Christoph Meier (Hrsg.), Patientenverfügung. Das neue Gesetz in der Praxis (= Münchner Reihe Palliativ Care 7), Stuttgart 2012, S. 15 – 25, hier S. 16 f.
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worden ist, da der Wille der Patientin dem Angeklagten nicht bekannt und deshalb auch kein gerechtfertigter Grund für einen Behandlungsabbruch gegeben war. Darüber hinaus, so das BGH in der Urteilsbegründung, ist den in der Patientenverfügung festgelegten Bedingungen nicht entsprochen worden, die eine erkennbar hoffnungslose Lage voraussetzten. Mit dem Urteil sollte Rechts- und Verhaltenssicherheit ermöglicht werden, in dem durch den BGH unter Verweis auf § 1901 a, § 1901 b BGB noch einmal klargestellt wurde, dass nur Betreuer/Bevollmächtigte den Patientenwillen überprüfen und ihm entsprechend der gegebenen Umstände Geltung verschaffen können. Das Zusammenwirken von Betreuer/Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt wird dabei als zwingend erachtet, wobei der Arzt entsprechend seiner Kompetenz und Verantwortung zu prüfen hat, welche medizinischen Maßnahmen in Bezug auf den momentanen und prognostizierten Gesamtzustand des Patienten angezeigt sind. Gemeinsam mit dem Betreuer/Bevollmächtigten ist schließlich – auf Grundlage des Patientenwillens – eine Entscheidung zu treffen.31 Es bleibt zu hoffen, dass die neue Rechtsprechung des 2. Strafsenats im Kölner Fall, die in der Literatur überwiegend begrüßt wird, die Rechtssicherheit für Ärzte und Betreuer/Bevollmächtigte zu erhöhen und rechtsdogmatisch im Wesentlichen überzeugende Abgrenzungen gegen subjektive Willkür zu errichten vermag. Nur so kann verhindert werden, dass die vielfach als Durchbruch32 begrüßte Gesetzesnovelle am Ende nicht zum Dammbruch wird.
V. Offen bleibende Fragen Die Intensivmedizin am Lebensende hat in den letzten Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht. Für viele Menschen, die früher unrettbar dem Tode geweiht waren, hat sie sich als Segen erwiesen. Doch an die Stelle der Angst in früheren Zeiten, viel zu schnell sterben zu müssen, ist heute die Angst getreten, nicht sterben zu dürfen und zu einem qualvollen Dahinvegetieren über Jahre, vielleicht sogar über Jahrzehnte hinweg, gezwungen zu werden. Nicht zuletzt durch tendenziöse Medienberichterstattung bedingt, ist es inzwischen für nicht wenige Menschen ein persönliches Horrorszenario, einsam, mit Schmerzen und der Apparatemedizin ausgeliefert zu sterben. Am Fall Karen Ann Quinlan ist aber erstmals das Grundproblem jener Patientengruppe deutlich geworden, die es früher nicht gab. Es gab sie deshalb nicht, weil keine medizinischen Möglichkeiten bestanden, langzeitige oder dauerhafte Komapatienten am Leben zu erhalten. Erst mit den neuen Möglichkeiten der künstlichen Beatmung und/oder Ernährung stellte sich auch die ethische Frage, ob das, was tech31
Vgl. ebd. Zum Beispiel Gaede NJW 2010, S. 2925; Lipp FamRZ 2010, S. 1555; Kubiciel ZJS 2010, S. 656; Doering-Striening FamFR 2010, S. 341. 32
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nisch möglich ist, ethisch auch als sinnvoll bewertet werden kann. In welchen Fällen sollten Maßnahmen der künstlichen Ernährung und/oder Beatmung gar nicht erst aufgenommen (primärer Behandlungsverzicht als die eine Sonderform passiver Sterbehilfe) oder beendet werden (sekundärer Behandlungsverzicht als die andere Sonderform passiver Sterbehilfe).33 Solange der Patient äußerungsfähig ist, bleibt er in die Entscheidung über die Behandlung oder Nichtbehandlung einbezogen. Auch die Entscheidung, eine lebensverlängernde Behandlung abzulehnen, muss vom behandelnden und pflegenden Personal akzeptiert werden. Doch wer entscheidet, wenn der Betroffene selbst sich nicht mehr äußern kann? Wer entscheidet, wenn er selbst nicht mehr sagen kann, was sein eigener Wunsch ist? Um für diesen Fall eine Vorsorge zu treffen, eröffnet die Patientenverfügung die Möglichkeit, schon im Voraus die Anwendung medizinischer Verfahren und den Verlauf der letzten Lebensphase selbst mitzubestimmen. Nach Auskunft des emeritierten Mainzer Moraltheologen Johannes Reiter haben laut einer repräsentativen Untersuchung aus dem Jahr 2012 inzwischen 23 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger eine Patientenverfügung unterzeichnet.34 Mit einer Patientenverfügung kann man etwas dafür tun, auch in dieser Phase seines Lebens der eigenen Vorstellung und dem eigenen Wunsch gemäß menschenwürdig und körperlich erträglich durch medizinische Behandlung und qualifizierte Pflege betreut zu werden.35 Der Patient kann festlegen, was dann an ihm getan werden soll oder nicht.36 Eine Patientenverfügung kann aber auch die behandelnden Ärzte und Pflegenden von einer Gewissenslast befreien, zumindest aber diese Last erleichtern. Denn stellvertretende Entscheidungen nehmen Menschen, die dieser Berufsgruppe angehören, in eine besondere Gewissenspflicht, die sie an niemanden sonst delegieren können: herauszufinden, wie der Patient seinem mutmaßlichen Willen gemäß in dem konkreten Fall entschieden hätte.
33
„Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen […], dass der Wert künstlicher Ernährung zwar unter Umständen (z. B. Wachkomapatienten) in einer Lebensverlängerung liegt, dass der Tod nach Einstellung von Nahrungs- oder Flüssigkeitszufuhr aber nicht mit den abschreckenden Vokabeln wie „Verhungern“ oder „Verdursten“ dargestellt werden sollte, da die quälenden Symptome meist fehlen und der Tod durch Dehydratation oder Nahrungsentzug nicht mit Leiden verbunden ist.“ (Hahnen, Autonomie, Würde, Patientenverfügung [Anm. 6], S. 104.) 34 Johannes Reiter, Designtes Sterben. Theologisch-ethische Aspekte zur Patientenverfügung, in: ZfME 59 (2013), S. 255 – 267, hier S. 257. 35 Vgl. Albert-Peter Rethmann, Patientenverfügung, Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht. Selbstbestimmung im Sterben, in: ders., Selbstbestimmung, Fremdbestimmung, Menschenwürde. Auskünfte christlicher Ethik, Regensburg 2001, S. 61 – 79. 36 Lüder Meyer-Stiens weist darauf hin, dass gerade ALS-Patienten die Patientenverfügung als ein Selbstschutzinstrument vor dem Arzt verstehen, der ihnen oft als Vertreter einer rigoristischen Prinzipienethik erscheint, die ihn aufgrund ärztlicher Eide und gesetzlicher Regelungen zur unbedingten Lebenserhaltung verpflichtet. Vgl. Meyer-Stiens, Der erzählende Mensch (Anm. 1), S. 261.
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Eine Patientenverfügung hat den Sinn, auf diese Frage eine ebenso sichere wie verbindliche Auskunft zu geben. An diesen beiden Attributen, sowohl der Sicherheit als auch der Verbindlichkeit, hat sich eine über viele Jahre andauernde Debatte entzündet. Darin wurde deutlich, dass diese Zielvorstellungen hinterfragbar sind. Hierfür gibt es zwei Gründe. Beginnen wir mit der Frage nach der Sicherheit, mit der sich der Patientenwille feststellen lässt. Die Patientenverfügung wird ja erst dann aktuell, wenn der Patient seinen Willen schon nicht mehr ausdrücken kann. Das heißt aber, dass in das entstandene Kommunikationsvakuum die Figur eines so genannten mutmaßlichen Patientenwillens eingesetzt wird, der durch die Patientenverfügung dokumentiert werden soll. Lüder Meyer-Stiens bringt diese Intention auf den Punkt, wenn er am Ende seiner umfangreichen Untersuchung festhält: „In kommunikativer Hinsicht sehen Patienten die Patientenverfügung als ein Kommunikationsinstrument an, welches Interpretationsmaßstäbe vorgibt, anhand derer der Patient interpretiert werden will. Sie dient dazu, die Authentizität der Interpretation zu sichern.“37
Aber kann sie das überhaupt leisten, ohne dass Zweifel bestehen bleiben? Das Problem liegt darin, dass der Wille des Menschen zu einem Zeitpunkt formuliert wurde, als er möglicherweise noch gesund war und keine nähere Vorstellung von den konkreten Implikationen seiner späteren Erkrankung hatte. Wer aber kann mit Sicherheit ausschließen, dass der Patient seine Meinung geändert hat, dies jedoch nicht mehr ausdrücken kann, oder aber anders gedacht haben würde, wenn er seine aktuelle Situation damals konkret hätte vorhersehen können? Selbst der Medizinanwalt Wolfgang Putz, der vielen – möglicherweise nicht ganz zu Recht – als Verfechter einer liberalisierten Sterbehilfepraxis gilt, weist auf die unbedingte Verpflichtung hin, vor einer Entscheidung über das Absetzen von künstlicher Beatmung und/oder Ernährung sorgfältig zu überprüfen, ob der früher geäußerte oder schriftlich niedergelegte Patientenwille in der aktuellen Situation möglicherweise nicht mehr gelten soll oder ob Zweifel bestehen am früher geäußerten Willen. Bemerkenswert ist das Ergebnis seiner Überlegungen deshalb, weil es sich in diesem Punkte mit jener tutioristischen Position deckt, die auch von der christlichen Ethik vertreten wird, wenn die Umsetzung einer Norm im sensiblen Bereich des Lebensschutzes zweifelhaft erscheint: „Ist dies der Fall und können diese Zweifel nicht mit einer eindeutigen Wertvorstellung zu der konkreten Krankheitssituation ausgeräumt werden, dann gilt der Grundsatz, im Zweifel für das Leben‘.“38
Nichts anderes sagt auch der inzwischen leider verstorbene, eindeutig von seiner christlichen Herkunft geprägte, Präsident der Bundesärztekammer Jörg Dietrich Hoppe:
37 38
Ebd., S. 328. Putz/Steldinger, Patientenrechte (Anm. 2), S. 24.
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„Der mutmaßliche Patientenwille kann nur dann Kriterium für die Einstellung einer Behandlung sein, wenn er eindeutig zu ermitteln ist.“39
Was aber ist, wenn die in der Patientenverfügung getroffenen Festlegungen zweifelsfrei erscheinen? Ist es dennoch vorstellbar, dass der Patient inzwischen seinen Willen geändert hat, dies aber nicht mehr klar kommunizieren kann – nicht, weil er in ein dauerhaftes Koma verfallen ist, sondern weil jene Erkrankung eingetreten ist, die gerade bei älteren oder hoch betagten Patienten nicht selten vorkommt: Demenz? Wie schon angesprochen, wurde die Diskussion um Sterbehilfe am Lebensende in den 1990er Jahren durch ein Buch belebt, das 1995 von zwei führenden Tübinger Gelehrten herausgegeben wurde: dem Rhetorikprofessor und Literaturkritiker Walter Jens und dem Theologen Hans Küng. In diesem Buch sprachen sich beide eloquent für die so genannte aktive Sterbehilfe, genauer: die Tötung auf Verlangen, aus. Seit 2004 war Walter Jens schließlich selbst an Demenz erkrankt und konnte sich im fortgeschrittenen Stadium seiner Erkrankung an sein früheres Leben kaum noch erinnern. Vor seinem Tod im Jahr 2013 gab seine Ehefrau, die Literaturwissenschaftlerin Inge Jens, ein bemerkenswertes Interview, in dem sie den Widerstreit zwischen den früheren Einstellungen ihres Mannes und seinem aktuellen Zustand eindrücklich schilderte: „Ich weiß genau, und es steht Wort für Wort in unserer Patientenverfügung formuliert, dass mein Mann so, wie er jetzt leben muss – unfähig zu schreiben, zu sprechen, zu lesen, überhaupt noch zu verstehen – niemals hat leben wollen. Sein Zustand ist schrecklicher als jede Vorstellung, die er sich wahrscheinlich irgendwann einmal ausgemalt hat. Trotzdem wäre ich im Augenblick nicht fähig, ihm zum Tode zu verhelfen. […] Er hat seinen Lebenswillen durch die Demenz nicht verloren. Sein Lebenswille bezieht sich nicht mehr auf sein geistiges Wirken. Er hat sich zu einem biologischen Leben in einem Maße verschoben, wie ich es selbst nicht für möglich gehalten hätte. Genauso sicher, wie wir uns damals waren, dass wir beide so nicht leben wollten, weiß ich heute, dass mein Mann nicht sterben möchte. […] Manchmal redet er noch ein paar Worte: ,Bitte, bitte hilf mir.‘ Das kann er noch sagen – angsterfüllt und natürlich doppeldeutig. Es kann bedeuten, hilf mir zu sterben, es kann aber auch heißen, hilf mir zu leben. Er sagt auch oft: ,Ich will nicht sterben.‘ Neulich hat er gesagt: ,Nicht totmachen, bitte nicht totmachen.‘ Ich bin mir nach vielen qualvollen Überlegungen absolut sicher, dass mich mein Mann jetzt nicht um Sterbenshilfe, sondern um Lebenshilfe bittet.“40
39 Jörg-Dietrich Hoppe, Patientenverfügungen und Ethikberatung in der Praxis. Die Position der Bundesärztekammer, in: Andreas Frewer/Uwe Fahr/Wolfgang Rascher (Hrsg.), Patientenverfügung und Ethik. Beiträge zur guten klinischen Praxis (= Jahrbuch Ethik in der Klinik 2), Würzburg 2009, S. 129 – 137, hier S. 129. 40 Zitiert nach Ralf J. Jox, Widerruf der Patientenverfügung und Umgang mit dem natürlichen Willen, in: Gian Domenico Borasio/Hans-Joachim Heßler/Ralf J. Jox/Christoph Meier (Hrsg.), Patientenverfügung. Das neue Gesetz in der Praxis (= Münchner Reihe Palliativ Care 7), Stuttgart 2012, S. 9 – 14, hier S. 130.
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Dieser prominente Fall ist ein anschauliches Beispiel, dass die Umsetzung von Patientenverfügungen problematisch werden kann. Das ist vor allem in Grenzsituationen der Fall, die der Verfasser so nicht vorausgesehen hat und die im Voraus emotional gar nicht nachvollziehbar waren. Die Frage „Kann ich heute wissen, was ich morgen will?“41 mag im ersten Moment ein wenig salopp klingen, trifft aber den Kern des Problems. Gerade bei dementen Patienten kann es erhebliche Probleme bereiten, das aktuelle Verhalten im Kontext der Patientenverfügung zu deuten und auf die klinische Situation anzuwenden. Inge Jens war offenbar der Auffassung, dass ihr Ehemann seine früheren Verfügungen widerrufen hat, das aber nur noch unzureichend artikulieren konnte. Es gibt hinsichtlich der Gewichtung zwischen früheren und aktuellen Willensäußerungen angesichts eines solchen veritablen Konflikts wie dem soeben geschilderten grundsätzlich zwei Positionen, wie dementiell erkrankte Personen in der Situation der Erstellung und Situation der Anwendung zueinander stehen. Position eins beruft sich auf das Kontinuitätsargument, das von der Verbindung beider Personen ausgeht. Entsprechend fordern die Vertreter des Kontinuitätsarguments die Akzeptanz des vorher geäußerten Willens im Sinne der Verlängerung der Selbstbestimmung. Position zwei hingegen vertritt den Diskontinuitätsansatz, demzufolge ein so schwerwiegender Bruch in der Persönlichkeit des Demenzkranken vorliegt, dass er die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung aufzuheben geeignet ist. Folglich ist dem Diskontinuitätsansatz zufolge die Beschränkung der Reichweite einer Patientenverfügung keine Einschränkung des aktuellen Selbstbestimmungsrechts, sondern eine Einschränkung des Rechts zur Selbstbindung, damit in der letzten Lebensphase Selbstbestimmung nicht in Selbstversklavung umschlägt.42 Am konkreten Anwendungsfall dementiell erkrankter Menschen wird deutlich, dass durch die am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetzesregelung die jahrelange Debatte um die Ausgestaltung von Patientenverfügungen noch kein Ende erreicht hat. Trotz der gesetzlichen Neuregelung sind bedeutsame Fragen offen geblieben. Deshalb hat Arnd T. May Recht, wenn er feststellt: „Die Frage nach den Kriterien der Überprüfung der Passgenauigkeit der Patientenverfügung auf die aktuelle ,Lebens- und Behandlungssituation‘ bleibt durch das Gesetz vorläufig unbeantwortet.“43
Das liegt ganz wesentlich auch darin begründet, dass im Zentrum der neuen Gesetzgebung ein hochrangiges Gut steht, das sowohl in der jüdisch-christlichen Tradition als auch in der abendländischen Geschichte der Neuzeit und Moderne eine
41 Arnd T. May, Beratung zu Vorsorgemöglichkeiten. Patientenverfügungen zwischen Politik, Ethik und Praxis, in: Andreas Frewer/Uwe Fahr/Wolfgang Rascher (Hrsg.), Patientenverfügung und Ethik. Beiträge zur guten klinischen Praxis (= Jahrbuch Ethik in der Klinik 2), Würzburg 2009, S. 37 – 60, hier S. 49. 42 Vgl. May, Beratung zu Vorsorgemöglichkeiten (Anm. 41), S. 50 f. 43 Ebd., S. 54.
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große Rolle spielt: das Recht auf Selbstbestimmung oder Autonomie. Dieser Begriff wird aber keineswegs einheitlich verstanden. Nach christlicher Auffassung hängt das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung nicht von bestimmten körperlichen oder geistigen Fähigkeiten ab, die der Mensch hat oder noch nicht beziehungsweise nicht mehr hat. Es umfasst Gesunde und Kranke, Kinder und Erwachsene, Nichtbehinderte und Behinderte ebenso wie schwerkranke, demente und sterbende Menschen. An dieser Norm muss sich ärztliches Handeln orientieren. Das schließt allerdings in der Konsequenz nicht aus, dass es verschiedene Grade der Aktualisierung dieses Selbstbestimmungsrechts gibt, wenngleich es essentiell jedem Menschen gleichermaßen zukommt. Was ist nun mit diesen verschiedenen Graden von Patientenautonomie und den entsprechenden Formen von Willenserklärungen gemeint? In ihrem Beitrag zum „Jahrbuch Ethik in der Klinik“ entwickeln Markus Rothhaar und Roland Kipke eine sehr differenzierte Klassifizierung von unterschiedlichen Graden der Patientenautonomie, die sich im Blick auf das Thema dieses Beitrags als äußerst hilfreich erweist. Sie unterschieden vier Formen von Willenserklärungen: „Die aktuelle Willenserklärung, die Voraberklärung, den mutmaßlichen Willen und den natürlichen Willen.“44 Diesen vier Formen kommen aus Sicht der Autoren allerdings unterschiedliche Grade von Verbindlichkeit zu. Während die erste Form, die aktuelle und reflektierte Willenserklärung, die der Patient in Kenntnis der konkreten Umstände und der Konsequenzen der eigenen Entscheidung abgibt, den Idealfall darstellt, ist die zweite Form, die schriftliche Voraberklärung, zweifellos ein hilfreiches Instrument, das den gebildeten Willen des Patienten zum Ausdruck bringt und so den Ärzten und dem Betreuer wichtige Hinweise für die zu treffende Entscheidungen gibt, gleichwohl aber gegenüber der aktuellen und situativ bekundeten informierten Willensbildung eine defizitäre Form von Willensbekundung und damit lediglich ein Ersatzinstrument darstellt. Erfahrungsgemäß bleibt zwischen aktueller und antizipierter Willensbekundung ein unaufhebbarer Unterschied bestehen, weil Menschen dazu neigen, im gesunden Stadium andere Wünsche in Bezug auf die Behandlung schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung zu haben als wenn der Ernstfall einer bedrohlichen Erkrankung wirklich eintritt.45 Die Problematik dieser unaufhebbaren Diskrepanz tritt bei einem Blick auf die beiden anderen Konstrukte des Willensbegriffs, die in das Patientenverfügungsgesetz Eingang gefunden haben, noch deutlicher zutage: nämlich dem mutmaßlichen Willen und dem natürlichen Willen. Während der mutmaßliche Wille für den Fall ermit44
Markus Rothhaar/Roland Kipke, Die Patientenverfügung als Ersatzinstrument. Differenzierung von Autonomiegraden als Grundlage für einen angemessenen Umgang mit Patientenverfügungen, in: Andreas Frewer/Uwe Fahr/Wolfgang Rascher (Hrsg.), Patientenverfügung und Ethik. Beiträge zur guten klinischen Praxis (= Jahrbuch Ethik in der Klinik 2), Würzburg 2009, S. 61 – 75, hier S. 63. 45 Vgl. ebd., S. 65 – 67.
Die Patientenverfügung im Schnittpunkt von Ethik, Medizin und Recht
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telt werden soll, dass entweder keine schriftlich abgefasste Patientenverfügung vorliegt oder die darin getroffenen Festlegungen nicht passgenau auf die aktuelle Situation zutreffen, dient die Feststellung des natürlichen Willens der Deutung von Lebensäußerungen eines im juristischen Sinne nicht-einwilligungsfähigen Menschen als revidierte Willensäußerung. Anders gesagt: Wenn der Patient für den Fall der Demenz eine Therapieablehung festgelegt hat, in der aktuellen Demenz aber anscheinend noch Lebensfreude besitzt und dies auf die ihm mögliche Weise auch bekundet, stellt sich die Frage, wie diese Äußerungen dann zu bewerten und im Verhältnis zur Patientenverfügung zu gewichten sind. Dieses Problem bleibt vom Gesetzt unberührt und lässt sich vielleicht auch gar nicht regeln. Daran wird deutlich, dass beide Willenskonstrukte, sowohl der mutmaßliche als auch der natürliche Wille, in charakteristischer Weise vom Idealfall der aktuellen Willenserklärung abweichen. In beiden Fällen handelt es sich nicht, „[…] wie der Ausdruck fälschlicherweise suggeriert, um den Willen des Betroffenen, sondern um eine von Anderen vorgenommene Mutmaßung darüber, welche Willensentscheidung der Betroffene treffen würde, wenn er dazu noch in der Lage wäre.“46 Deshalb muss man wohl, darin ist dem Tübinger Medizinethiker Urban Wiesing folgend, „[…] das Fazit ziehen, dass die fundamentalen ethischen Fragen zu Autonomie, Respekt vor der Autonomie und Lebensschutz vor und nach dem Gesetz geblieben sind.“47 Die Einsicht in die Grenzen, an die das neue Patientenverfügungsgesetz bei seiner praktischen Umsetzung stößt und unvermeidlich immer wieder stoßen wird, soll den Nutzen dieses Instruments keineswegs grundsätzlich in Frage stellen. Es erweist sich in vielen Fällen als äußerst hilfreich für die Entscheidung über intensivmedizinische Maßnahmen bei chronisch kranken Patienten, für die keine Aussicht auf nur ansatzweise Besserung ihres Zustandes mehr besteht. Es hat eine weitaus größere Rechtssicherheit geschaffen und in nicht geringem Maße dazu beigetragen, sowohl diesen Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen als auch für die Gewissenslage der Ärzte, Betreuer und Angehörigen Entlastung zu schaffen. Wer jedoch erwartet, ein Gesetz könne alle mit ihm verbundenen anthropologischen, ethischen und theologischen Fragen lösen, wird enttäuscht werden. Zumindest große Ernüchterung könnten jene erleben, die von der ethischen und rechtlichen Legitimationsfigur des Selbstbestimmungsrechts beziehungsweise der Patientenautonomie erhofft haben, diese könne der Schlüssel zur Lösung aller Probleme sein. Man darf dieses Gut, das auch in der christlichen Ethik einen hohen Rang einnimmt, nämlich nicht missverstehen.
46
Ebd. S. 64 f. Urban Wiesing, Offene Fragen zur Patientenverfügung aus ethischer Sicht nach dem neuen Gesetz, in: Gian Domenico Borasio/Hans-Joachim Heßler/Ralf J. Jox/Christoph Meier (Hrsg.), Patientenverfügung. Das neue Gesetz in der Praxis (= Münchner Reihe Palliativ Care 7), Stuttgart 2012, S. 85 – 95, hier S. 90. 47
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Selbstbestimmung wird grundsätzlich relativiert, weil dem Menschen, der in sozialen Kontexten lebt, immer auch Grenzen gesetzt sind. Weil der Mensch immer in eine Gemeinschaft eingebunden ist und auf sie angewiesen bleibt, hat die Gesellschaft auch eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitgliedern. Gleichzeitig aber hat der Staat die Pflicht, das Leben seiner Bürger zu schützen, der Arzt wiederum hat die Pflicht, das Beste für seinen Patienten zu wollen. Fürsorge und Selbstbestimmung sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sie bleiben wechselseitig aufeinander bezogen. Fürsorge bedeutet Respekt vor der Selbstbestimmung. Selbstbestimmung heißt aber auch, dass jeder das für ihn Beste erreichen will. Und wenn er das selbst nicht mehr beurteilen kann, dann darf er auch einem anderen vertrauen, dass dieser stellvertretend für ihn handelt und advokatorisch zu seinem Besten entscheidet. Wenn jemand keine Patientenverfügung verfasst oder in einem solchen Dokument – vielleicht sogar bewusst – konkrete Behandlungswünsche offen gelassen hat, soll er darauf vertrauen können, dass die Ärzte ihn unter Berücksichtigung seiner Lebenssituation nach bestem Wissen und Gewissen behandeln. Wie das Verhältnis von Fürsorge und Selbstbestimmung in einem theologischethischen Sinne verantwortet gedacht werden kann, bringt in prägnanter und eingängiger Formulierung Johannes Reiter auf den Punkt: „Fürsorge bedeutet Respekt vor der Selbstbestimmung. Sie muss immer die körperbezogenen, psychosozialen und spirituellen Wünsche und Vorstellungen des Patienten einbeziehen. ,Fürsorge im Respekt vor der Freiheit des Anderen‘, ein Leitmotiv der Hospizbewegung, trifft auch auf die Anwendung von Patientenverfügungen zu. Werden Patientenverfügungen im Kontext von Selbstbestimmung und Fürsorge betrachtet, dann werden sie in ihrer ethischen Bedeutung nicht gemindert, […] sondern in den Gesamtzusammenhang von individueller Freiheit, menschlichem Wohl und ärztlichen und pflegerischen Pflichten gestellt. Indem Fürsorge sich an Selbstbestimmung orientiert, verliert sie nicht die ihr eigene spezielle Verantwortung. Die Erstrangigkeit der Selbstbestimmung des Patienten bleibt dabei bestehen. In Anlehnung an das in der katholischen Soziallehre gebräuchliche Prinzip der Subsidiarität kann man daher formulieren: ,So viel Selbstbestimmung wie möglich, soviel Fürsorge wie nötig.‘ Aus lauter Fürsorge darf der Mensch nicht am Sterben gehindert werden. Oder anders gesagt: Niemand darf zum Sterben gedrängt werden, aber auch ein Sterbender nicht zum Leben gezwungen werden.“48
48
Reiter, Designtes Sterben (Anm. 34), S. 258.
Ehe und Ehescheidung vom Beginn der Schöpfung her gesehen Ludger Schwienhorst-Schönberger Das Eherecht der Katholischen Kirche dürfte bei vielen Außenstehenden den Eindruck erwecken, hart und unbarmherzig zu sein. „Geht es um Ehe und Familie, dann hat das Kirchenrecht schlechte Karten. Was im kirchlichen Recht zu diesem Thema gesagt wird, steht grundsätzlich im Verdacht, nicht auf der Höhe der Zeit, sondern einer vergangenen, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überwundenen Epoche verhaftet zu sein.“1 In theologischen Kreisen ist nicht selten die Ansicht anzutreffen, das geltende katholische Eherecht stünde im Widerspruch zu der von Jesus verkündigten Barmherzigkeit Gottes. Umso überraschender erscheint vor diesem Hintergrund das Urteil des evangelischen Neutestamentlers Ulrich Luz. In seinem vierbändigen Kommentar zum Matthäusevangelium, der in besonderer Weise die Auslegungsgeschichte des biblischen Textes in den Blick nimmt, vertritt er die Ansicht, dass die katholische kirchenrechtliche Position dem jesuanischen Verbot der Ehescheidung in der dritten Antithese der Bergpredigt wie keine der von anderen Kirchen vertretenen Lösungen gerecht wird. Luz vergleicht die Positionen der katholischen und der orthodoxen Kirche sowie die der reformatorischen Kirchen miteinander und formuliert als Fazit: „Die katholische Position, welche die Möglichkeit einer Trennung von Tisch, Bett und Wohnung bei bleibendem vinculum der Ehe vorsieht, kommt m. E. der mt Position besonders nahe. Das ist angesichts der Flut katholischer Literatur, die doch wohl Ausdruck einer großen Unsicherheit ist, vielleicht überraschend. Gewiss bestehen Unterschiede: Mt spricht von der !p|kusir und unterscheidet nicht zwischen der möglichen Trennung (separatio) und der – bei bleibendem Eheband – unmöglichen Scheidung. Der entscheidende Punkt, worin Mt und die katholische Praxis konvergieren, liegt aber in dem Verbot, eine Geschiedene zu heiraten. Ihm entspricht das Nein zu einer zweiten Ehe, das die Kirchenväter im ganzen mit großer Entschiedenheit durchgehalten haben; erst im 4. Jh. bahnt sich im Osten ein Wandel an […] M. E. steht keine kirchenrechtliche Lösung der mt so nahe wie die katholische […]
1
Markus Graulich, Ganz anders als gedacht? Ehe und Familie im Kirchenrecht, in: George Augustin/Ingo Proft (Hrsg.), Ehe und Familie. Wege zum Gelingen aus katholischer Perspektive (= Theologie im Dialog 13), Freiburg 2014, S. 177 – 186, hier S. 177. Graulich versucht dann freilich zu zeigen, dass der verbreitete Vorwurf, die konziliare Neuausrichtung der Ehetheologie sei vom kanonischen Recht nur oberflächlich rezipiert worden, unzutreffend ist.
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Die zahllosen, letztlich apologetisch motivierten ,échappatoires‘ zu Mt 5,32 gerade von katholischer Seite sind m. E. unnötige Liebesmühe.“2
Doch mit der Erhebung des exegetischen Befundes gibt sich Luz nicht zufrieden. Er ringt mit der Frage, wie denn der „heutige Sinn“ des Scheidungsverbotes zu bestimmen sei. Hier finden sich in den verschiedenen Auflagen des Kommentars die größten Änderungen. Luz tendiert in aller Vorsicht zu einer „Sachkritik“. Er weiß um die Problematik einer solchen Kritik. In der zweiten Auflage des Kommentars heißt es noch: „Aber besteht nicht zwischen der Verwirklichung von Mt 5,32 in der katholischen Kirche und dem Zentrum der Verkündigung Jesu, der unbedingten Liebe Gottes zum Menschen, eine Spannung? Dann muss man auch Mt 5,32 als eine mögliche Keimzelle dieser Spannung sachkritisch hinterfragen. Ja, bereits in Jesu eigenem, unbedingten Nein zu Scheidung und Heirat von Geschiedenen steckte ein Moment potentieller Lieblosigkeit.“3
In der fünften, völlig neubearbeiteten Auflage des Kommentars von 2002 findet sich diese Passage nicht mehr. Der Sache nach hat sich das Urteil von Luz jedoch kaum verändert. Er beendet seine Ausführungen mit einer Frage: „Meine wichtigste Frage ist, wie sich die Liebe Gottes zum Menschen – das Zentrum der biblischen Botschaft! – und die unbedingte Forderung der Unauflöslichkeit der Ehe zueinander verhalten.“4 Mit dieser Frage ringt auch der Kirchenrechtler. Der Jubilar, dem diese Zeilen in herzlicher Verbundenheit und im dankbaren Rückblick auf die gemeinsame Zeit an der Universität Passau gewidmet sind, hat das von den Bischöfen der Oberrheinischen Kirchenprovinz Freiburg, Mainz und Rottenburg-Stuttgart im Jahre 1993 herausgegebene Hirtenschreiben „Zur seelsorglichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen, Geschiedenen und Wiederverheirateten Geschiedenen“ unter dem Aspekt des kanonischen Rechts ausführlich gewürdigt.5 Die Bischöfe der genannten Kirchenprovinz, Oskar Saier, Karl Lehmann und Walter Kasper, haben nach dem Urteil von Helmuth Pree „in grundsätzlicher und ausgewogener Weise pastorale Leitlinien zu einem seelsorglich überaus sensiblen Themenbereich vorgelegt. Sie haben 2 Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1 – 7) (= EKK I/1), Neukirchen-Vluyn 5., völlig neu bearbeitete Auflage 2002, S. 365 f. In diesem Punkt hat Luz seine Position zur ersten Auflage von 1985 nicht geändert. Ebd. S. 361 f. schreibt er: „Jesus hat natürlich keine Gemeinschaft mit einer rechtlichen Gestalt gegründet. Aber seine Forderung ist gleichsam potentielles Recht für das eschatologische Israel im Anbruch des Gottesreiches. Die Entgegensetzung von Recht und Paränese trifft die Sache nicht.“ 3 Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1 – 7) (= EKK I/1), Neukirchen-Vluyn, 2., durchgesehene Auflage 1989, S. 279. 4 Luz, Matthäus (= EKK I/1), 5. Auflage 2002, S. 369. Vgl. auch seine Auslegung von Mt 19,1 – 12, auf die am Ende meines Beitrags hingewiesen wird. 5 Helmuth Pree, „Unio Irregularis“ – Der Sakramentenempfang von Geschiedenen, geschiedenen Wiederverheirateten, ehelos Zusammenlebenden und nur zivil verehelichten Katholiken nach kanonischem Recht, in: Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder (Hrsg.), Neue Positionen des Kirchenrechts, Graz 1994, S. 119 – 152 (Erstveröffentlichung in: Anzeiger für die Seelsorge, 4/1994, S. 145 – 158).
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auf Bestimmungen des geltenden lateinischen Kirchenrechts zurückgegriffen und sich dabei von dem erklärten Bewusstsein leiten lassen, dass es ,in diesem oft schwer durchschaubaren Bereich gescheiterter menschlicher Beziehungen auch eine Grenze für eine Regelung durch allgemeine Richtlinien‘ gibt“.6 Die von Helmuth Pree am Ende des genannten Beitrags gezogenen Schlussfolgerungen haben nichts von ihrer Aktualität verloren: „Auf die Treue zur Weisung des Herrn darf sich nur eine solche Lösung berufen, die beide wesentlichen Pole berücksichtigt: einerseits den objektiven Anspruch der Wahrheit (unverbrüchliche Verpflichtung auf die eheliche Treue), andererseits die grenzenlose Barmherzigkeit gegenüber dem, der in wahrer Reue nach einem Neuanfang sucht […] – Salus animarum ,in Ecclesia suprema semper lex esse debet‘.“ (c. 1752 CIC/1983)7
I. Wiederherstellung der ursprünglichen Schöpfungsordnung Wer theologisch nach Ehe und Familie fragt, kommt an der biblischen Schöpfungserzählung nicht vorbei. Diese Einsicht scheint auch Jesus zu beherzigen, denn seine Antwort auf die Frage der Pharisäer, ob es einem Mann erlaubt sei, seine Frau aus der Ehe zu entlassen, begründet Jesus mit einem doppelten Verweis auf die biblische Schöpfungserzählung. Um argumentativ ganz sicher zu gehen, zitiert er in weiser Voraussicht der Zweiquellentheorie sowohl den ersten als auch den zweiten Schöpfungsbericht: Gen 1,27 und Gen 2,24.8 Die Pharisäer begründen die Möglichkeit der Ehescheidung mit einem Gebot des Mose (vgl. Dtn 24,1 – 4): „Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und aus der Ehe zu entlassen“ (Mk 10,4). Der Clou der Argumentation besteht nun darin, dass Jesus das im mosaischen Gesetz Dtn 24,1 – 4 vorausgesetzte Gewohnheitsrecht der Ehescheidung im Rückgriff auf die ursprüngliche Schöpfungsordnung relativiert, respektive außer Kraft setzt. Er verweist auf Gen 1,27: „Am Anfang der Schöpfung hat er sie männlich und weiblich erschaffen.“ In einem zweiten Argumentationsschritt stellt Jesus eine 6
Ebd. S. 119. Ebd. S. 152. 8 Allerdings ist die Zuordnung der beiden Schöpfungserzählungen zu zwei ursprünglich selbständigen literarischen Quellen inzwischen alles andere als selbstverständlich. Gen 1,1 – 2,3 wird gewöhnlich zur sog. Priesterschrift gerechnet und in das 6. oder 5. Jahrhundert datiert. Mit einem in das 10. Jahrhundert zu datierenden „Jahwistischen Geschichtswerk“, dem gewöhnlich Gen 2,4 – 4,26 zugerechnet wurde, rechnet heute kaum noch jemand. Zur Diskussion vgl. Erich Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, 8. Auflage hrsg. von Christian Frevel, Stuttgart 2012, S. 67 – 231, insbesondere S. 108 – 119. Als eine zeitlich nach der Priesterschrift zu datierende Fortschreibung („Ergänzungshypothese“) versteht Andreas Schüle, Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1 – 11) (= AThANT 86), Zürich 2006, S. 11 – 42, Gen 2,4 – 4,26. Für unsere Fragestellung spielt die diachrone Schichtung keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. 7
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kausale Verbindung zwischen Gen 1,27 und Gen 2,24 her: „Darum (6mejem to}tou) wird der Mensch (%mhqypor) seinen Vater und seine Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein“ (Mk 10,7). Aus dieser in der binären Geschlechterkonstellation angelegten Dynamik erfolgt nun in einem dritten Argumentationsschritt das Sollen: „Was nun Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,9). Jesus scheint also der Ansicht zu sein, dass aus dem ursprünglichen Sein ein ursprüngliches Sollen erwächst. Er versteht nach Joachim Gnilka die angeführten Schriftzitate Gen 1,27 und 2,24 „als Äußerungen des in die Schöpfung hineinverfügten Gotteswillens.“ „Positiv leitet Jesus den Willen Gottes aus der Schöpfungsordnung ab.“9 Begeht er damit den von vielen Moraltheologen kritisierten naturalistischen Fehlschluss? Oder zeigt sich in dieser Argumentation die besondere Nähe der biblischen Ethik zum moralischen Realismus, worauf Eberhard Schockenhoff hinweist: „In allen […] Ausprägungen christlicher Ethik führt die Grundüberzeugung des biblischen Schöpfungsglaubens […] in der einen oder anderen Form zu dem Gedanken, dass der Inhalt der sittlichen Forderung dem realen Sein des Menschen und den Strukturen seiner geschöpflichen Wirklichkeit entsprechen muss. Die katholische Moraltheologie drückt diese Überzeugung in den klassischen Axiomen ens et bonum convertuntur (= das Seiende und das Gute stimmen überein) und agere sequitur esse (= das Handeln folgt dem Sein) aus.“10
Auch namhafte zeitgenössische Vertreter einer philosophischen Ethik lassen ein Interesse an einer ontologischen Fundierung der Ethik erkennen, wie Martha Nussbaum, Charles Taylor und Alasdair McIntyre, um, wie Schockenhoff schreibt, „dem Grundübel moderner Ethiktheorien, ihrer subjektivistischen, reduktionistischen und relativistischen Zugangsweise zu den Phänomenen der Moral“ entgegenzutreten.11 Wir werden sehen, dass die biblische Schöpfungserzählung die Einsicht eröffnet, „dass moralische Forderungen und Werte uns vorgegebene Bestandteile der Wirklichkeit sind.“12
9 Joachim Gnilka, Das Evangelium nach Markus (= EKK II/2), Neukirchen-Vluyn 41994, S. 72. Zur Parallele Mt 19,39 ähnlich auch Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1 – 7) (= EKK I/1), Neukirchen-Vluyn 21989, S. 271: In Mt 19,3 – 9 „macht der Evangelist deutlich, wie er sich das Verhältnis von Jesu Willen zur alttestamentlichen Vorschrift über die Scheidungsurkunde denkt: Jesu Forderung entspricht dem ursprünglichen Gotteswillen, das Mosegebot vom Scheidebrief ist eine bloße Erlaubnis, deren Gültigkeit in beschränktem Umfang fortdauert. Mose Erlaubnis […] wird Jesus Proklamation des ursprünglichen Gotteswillens […] zu- und untergeordnet.“ 10 Eberhard Schockenhoff, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg 2 2014, S. 448. 11 Ebd. S. 449. 12 Ebd.
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II. Verbot der Wiederheirat einer geschiedenen und wiederverheirateten Frau (Dtn 24,1 – 4) In der Perikope von der Ehescheidung verweisen die Pharisäer auf das Gesetz Dtn 24,1 – 4. Es handelt sich hierbei um das einzige Gesetz im Alten Testament, das sich mit der Ehescheidung befasst. Genau genommen wird hier die Ehescheidung „als Gewohnheitsrecht vorausgesetzt“.13 Das Gesetz will sehr wahrscheinlich die finanzielle Ausbeutung einer geschiedenen und wiederverheirateten Frau verhindern. Im Gesetz kommen zwei Formen von Scheidung in den Blick: (1) Der Mann entlässt seine Frau, „weil er an ihr etwas Anstößiges entdeckt“ (Dtn 24,1). In diesem Fall liegt die Schuld bei der Frau. Der Mann hat das Recht, sie aus der Ehe zu entlassen. Dabei muss er ihr jedoch eine Scheidungsurkunde ausstellen. Damit ist die Frau berechtigt, erneut zu heiraten. Weil die Frau die Scheidung verschuldet hat, besitzt sie keinen Anspruch auf Auszahlung ihres Brautgeldes. In der jüdischen Auslegungsgeschichte wird diskutiert, was unter dem „Anstößigen“ zu verstehen ist. Die Schule Schammais vertritt eine enge, die Schule Hillels eine weite Interpretation. (2) Diese so aus der ersten Ehe entlassene Frau heiratet erneut. Falls nun ihr zweiter Mann stirbt oder sie „nicht mehr liebt“ und aus der Ehe entlässt, darf ihr erster Mann sie nicht erneut heiraten. Die Bestimmung erweckt den verstörenden Eindruck, als solle eine Versöhnung zwischen der Frau und ihrem ersten Mann verhindert werden. Das Thema „Versöhnung“ liegt jedoch nicht im Horizont des Gesetzes. Die Intention zielt in eine andere Richtung. Da in diesem zweiten Fall die Schuld für die Scheidung nicht bei der Frau, sondern bei dem Mann liegt, weil er sie „nicht mehr liebt“, dürfte der Frau mit der Aushändigung der Scheidungsurkunde auch das Braut- und Scheidungsgeld ausgezahlt worden sein. Sollte ihr zweiter möglicherweise vermögend gewesener Mann gar verstorben sein (Dtn 24,3), dürfte sein Vermögen der Frau zufallen. In diesem Fall könnte ihr erster Mann Interesse daran haben, sie erneut zu heiraten, um sich mit ihr gleichsam doppelt zu bereichern. Eine solche durch Scheidung und Wiederheirat angezielte Bereicherung ist „dem Herrn ein Gräuel“ (Dtn 24,4). Vor diesem Hintergrund setzt auch Jer 3,1 voraus, dass ein Mann die von ihm aus der Ehe entlassene und mit einem anderen Mann wiederverheiratete Frau nicht erneut heiraten darf: „Wenn ein Mann seine Frau entlässt und wenn sie von ihm weggeht und die Frau eines anderen wird, wendet er sich dann ihr wieder zu? Würde das Land nicht völlig entweiht?“
III. Schöpfung – Sünde – Erlösung Jesus lässt sich auf die detaillierten rechtlichen Regelungen der Scheidungspraxis nicht ein, sondern stellt das dabei vorausgesetzte Gewohnheitsrecht grundsätzlich infrage. Dabei liefert er eine Begründung für die im mosaischen Gesetz vorausgesetzte Praxis der Ehescheidung: „Wegen eurer Herzensverhärtung (sjkgqojaqd_a) schrieb 13 Georg Braulik, Deuteronomium II (16,18 – 34,12), Würzburg 1992, S. 176. Das Folgende im Anschluss an Braulik.
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er euch dieses Gesetz“ (Mk 10,5). Jesus scheint also zwei zeitlich und qualitativ zu unterscheidende Zustände vor Augen zu haben, in denen unterschiedliche Regeln gelten. Die Texte, die Jesus zitiert (Gen 1,27; 2,24), sprechen vom Menschen vor dem Sündenfall. Mit dem Sündenfall setzt offensichtlich eine Kardiosklerose, eine Verhärtung des Herzens, ein. Bei der „Herzensverhärtung“ geht es, wie die Belege des Wortes zeigen (LXX: Dtn 10,16; Jer 4,4; Sir 16,10; vgl. Ez 3,7), um eine Verhärtung des Herzens gegenüber Gott. Die Scheidungsurkunde, die auszustellen Mose erlaubt hat, ist offensichtlich eine sinnvolle Regelung für die Zeit, da Israel unter der Verhärtung des Herzens leidet. Die Herzensverhärtung (sjkgqojaqd_a) begegnet in Dtn 10,16 und Jer 4,4 in Verbindung mit dem Motiv der Herzensbeschneidung. Die Beschneidung ist Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. Mit ihr tritt der Israelit in die Gemeinschaft mit Gott ein. In der gewöhnlich der Priesterschrift zugewiesenen Erzählung von Gen 17 sagt Gott zu Abram: „Ich errichte meinen Bund zwischen mir und zwischen dir und zwischen deiner Nachkommenschaft nach dir gemäß ihren Generationen, einen ewigen Bund: um dir Gott zu sein und deiner Nachkommenschaft nach dir“ (Gen 17,7). Wenn die Beschneidung des Fleisches jedoch innerlich nicht mitvollzogen wird, bleibt sie wirkungslos. Jemand kann beschnitten sein und doch als unbeschnitten gelten, wenn er gegenüber Gott verschlossen ist. Hier gibt es nach Jes 9,22 – 25 keinen Unterschied zwischen Israel und den Völkern: „Fürwahr, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn –, da ziehe ich alle Beschnittenen zur Rechenschaft: Ägypten, Juda, Edom, Ammon, Moab und alle mit gestutztem Haar, die in der Wüste wohnen; denn alle Völker gelten mir als unbeschnitten – auch das ganze Haus Israel hat ein unbeschnittenes Herz.“
In diesem Zusammenhang kann das Motiv der Beschneidung in einem metaphorischen Sinn verwendet werden. Es geht dann um die Beschneidung des Herzens. Davon spricht Jer 4,4 (LXX): „Beschneidet euch für euren Gott und beschneidet eure Herzensverhärtung (sjkgqojaqd_a), ihr Männer Judas und ihr Bewohner Jerusalems, damit mein Grimm nicht wie ein Feuer ausbricht und entflammt wird.“ Ähnlich heißt es in Dtn 10,16 (LXX): „Ihr sollt eure Herzensverhärtung (sjkgqojaqd_a) beschneiden und nicht weiterhin halsstarrig sein.“ In beiden Fällen übersetzt die Septuaginta die hebräische Wortverbindung „Vorhaut des Herzens“ (55@ N@LF) mit sjkgqojaqd_a („Herzensverhärtung“). Ausmaß und Härte der Verstockung führen zu der Einsicht, dass diese letztlich nur von Gott selbst gelöst werden kann. Gott selbst muss die Beschneidung des Herzens vornehmen, damit Israel ihn wieder mit ungeteiltem Herzen lieben kann: „Der Herr, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden. Dann wirst du den Herrn, deinen Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben können, damit du am Leben bleibst“ (Dtn 30,6). Das Motiv der Herzensbeschneidung konnte mit weiteren, ähnlich ausgerichteten Metaphern vertieft werden. Dabei wurde die Einsicht dahingehend radikalisiert, dass eine Beschneidung des Herzens nicht mehr ausreicht, sondern dass das Herz aus Stein durch ein Herz aus Fleisch ersetzt werden muss. Nur so wird Israel wieder empfänglich für die Weisung seines Gottes, die zum wahren Leben führt:
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„Ich schenke ihnen ein anderes Herz und schenke ihnen einen neuen Geist. Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch, damit sie nach meinen Gesetzen leben und auf meine Rechtsvorschriften achten und sie erfüllen. Sie werden mein Volk sein und ich werde ihr Gott sein.“ (Ez 11,19 f.; vgl. 36,24 – 28; Jer 24,7)
Hier wird die Bundesformel aus Gen 17,7 wieder aufgegriffen. Die Transplantation des Herzens zielt auf ein ungeteiltes Hören und Befolgen der Tora. Deshalb kann der angezielte Vorgang auch durch die Metapher der Implantation zum Ausdruck gebracht werden. Gottes Wille zieht in das Personzentrum der Angesprochenen ein. Dadurch bekommt der Bund zwischen Israel und JHWH eine neue Qualität. Er wird jetzt ohne die Vermittlung des Mose unmittelbar in das Innere jedes einzelnen Israeliten gelegt: „Ich gebe meine Tora in ihr Inneres, auf ihr Herz werde ich sie schreiben. Ich werde ihnen Gott sein, und sie werden mir Volk sein“ (Jer 31,33; vgl. 32,39 – 41). Dieser neue Bund (Jer 31,31) kann im Grunde nicht mehr gebrochen werden, da er in das personale Zentrum eines jeden Israeliten eingeschrieben wird, so dass jeder den Herrn unmittelbar erkennen wird (Jer 31,34). Das Wort vom Neuen Bund in Lk 22,20 und 1 Kor 11,25 sieht die in Jer 31,31 – 34 angekündigte Verwandlung des Herzens und die damit einhergehende unmittelbare Erkenntnis Gottes in der Lebenshingabe Jesu erfüllt.14 Vor dem Hintergrund des Neuen Bundes aus Jer 31,31 – 34 erhält die Mose-kritische Aussage Jesu in Mk 10,5 ein besonderes Profil. Nach Georg Fischer könnte Jer 31,34 „eine Reduzierung oder Rücknahme der privilegierten Rolle Moses als Vermittler (Ex 20,18 – 21; Dtn 5,23 – 33) bedeuten. Die Bitte, diese Aufgabe zu übernehmen, die das Volk damals am Sinai an Mose herantrug, brachte Folgen mit sich, die sich alsbald als zerstörerisch für den gerade geschlossenen Bund herausstellten (Ex 32). Gott macht jenen Schritt nun rückgängig. Von sich aus bietet er frei die per14 Nach Michael Theobald, Paschamahl und Eucharistiefeier. Zur heilsgeschichtlichen Relevanz der Abendmahlsszenerie bei Lukas (Lk 22,14 – 38), in: Michael Theobald/Rudolf Hoppe (Hrsg.), „Für alle Zeiten zur Erinnerung“. Beiträge zu einer biblischen Gedächtniskultur (= SBS 209), Stuttgart 2006, S. 172, ruft Lk 22,20 („Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut […]“) eindeutig Jer 31,31 – 34 (LXX: 38,31 – 34) auf. Nach Michael Wolter, Das Lukasevangelium (= HNT 5), Tübingen 2008, S. 707, ist wegen des Blut-Motivs eher an Ex 24,8 zu denken: „Es spricht darum einiges dafür, dass auch das pln-lk Kelchwort auf Ex 24,8 Bezug nimmt und mit Jer 31(38),31 höchstens darin verbunden ist, dass es mit diesem Text zu einer breiten, bis ins frühe Judentum zurückreichenden Tradition gehört, die einen neuen Bund Gottes ankündigte, ohne ihn auch expressis verbis als ,neu‘ zu bezeichnen (vgl. Jes 55,3; 61,8; Jer 32,40; Bar 2,35; Ez 16,60.62; 37,26; 1Q385 Frgm 2 […]).“ Vgl. auch Jens Schröter, Das Abendmahl. Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart (SBS 210), Stuttgart 2006, S. 126: „Das Blut wird also in allen Fassungen als Bundesblut gedeutet, nur bei Paulus und Lukas wird dieser jedoch ausdrücklich als der ,Neue Bund‘ bezeichnet. Dahinter stehen unterschiedliche Bezugnahmen auf alttestamentliche Bundesschlüsse: Bei Markus und Matthäus wird auf den Bundesschluss nach Ex 24,8 angespielt, bei Paulus und Lukas auf die Überlieferung vom Neuen Bund aus Jer 31,31 – 34 (LXX Jer 38,31 – 34). Entscheidend ist allerdings, dass der nunmehr geschlossene Bund als ein durch das Blut Jesu geschlossener verstanden wird. Die Bundesschlüsse Israels werden also – ungeachtet der jeweiligen Anspielungen auf alttestamentliche Texte – vom Tod Jesu her verstanden und dadurch in eine neue Perspektive gerückt.“
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sönliche, unmittelbare Beziehung zu ihm wieder an, ihn selber aus eigener Erfahrung zu kennen.“15 In der Perikope von der Ehescheidung Mk 10,2 – 12 klingt also der theologische Dreiklang von Schöpfung (!p¹ d³ !qw/r jt_seyr) – Sünde (sjkgqojaqd_a) – Erlösung an. Erst vor diesem Horizont ist das Thema Ehe und Familie in theologisch angemessener Weise zu erörtern.
IV. Die Ur-Sünde Es sind vor allem die Propheten, die den Ungehorsam und die Gottvergessenheit Israels mit drastischen Worten zur Sprache bringen. In der prophetischen Gerichtsankündigung lassen sich unterschiedliche Aspekte und Phasen unterscheiden. Es gibt Gerichtsworte, die einen deutlichen Unterschied zwischen Tätern und Opfern machen (Hos 4,4 – 10; 5,1 – 7; Am 4,1 – 3; Ez 18). Andere Worte sprechen unterschiedslos von einer kollektiven Verblendung Israels (Ez 3,7). Die Ursache dieser Verblendung wird gewöhnlich in der Gottvergessenheit gesehen (Jes 1,2 – 4; Hos 4,1.11). Die prophetische Tradition weiß von einer anfänglich gelungenen Liebe zwischen Gott und seinem Volk zu erzählen (Hos 9,10a; 10,1; 11,1; Jes 1,21). Zugleich ist ihr aber auch bewusst, dass diese Liebe schon früh gestört wurde (Ez 2,3). Die Störung der Liebesbeziehung zwischen Gott und Israel reicht bis in die Anfänge ihrer Geschichte zurück (Hos 9,10; 10,1 f.; 11,1 – 3; 13,5 f.; Jer 7,21 – 28; Ez 16; 23). Die Völker, die zunächst als Werkzeuge des göttlichen Strafgerichts in den Blick kommen, sind jedoch nicht besser als Israel (Jes 10,5 – 34). Auch sie können sich auf Dauer dem Gericht Gottes nicht entziehen. Im Aufbau und in der Entstehungsgeschichte einer Reihe prophetischer Bücher spiegelt sich in der Abfolge „Gerichtsworte gegen Israel – Gerichtsworte gegen die Völker – Heilsworte (für Israel und die Völker)“ das Bewusstsein eines universalen Schuldzusammenhangs in Geschichte und Gesellschaft wider, dessen Auflösung in den Horizont eines eschatologischen Handelns Gottes rückt. Große Teile der biblischen Literatur sind von dieser Einsicht geprägt, der Psalter und die Geschichtsschreibung ebenso wie die Weisheitsliteratur, die damit rechnet, dass in einer von der Sünde kontaminierten Welt der Gerechte Opfer ungerechter Gewalt wird (Weish 2). Das immer tiefere Fragen nach der Ursache und dem Wesen des Bösen in der Welt führte in der alttestamentlichen Überlieferung schließlich zu der Einsicht, dass es am Beginn der Menschheitsgeschichte so etwas wie eine Ur-Sünde gegeben haben muss,
15
Georg Fischer, Jeremia 26 – 52 (= HThK AT), Freiburg 2005, S. 174. Zur Frage, ob es jüdische Ansatzpunkte zur Unterscheidung von Schöpferwillen und Mosegebot gibt, vgl. Luz, Matthäus (= EKK I/3), S. 95 – 97. Er weist auf einige Ansatzpunkte hin, gelangt jedoch zu dem Ergebnis, dass die wirklichen Sachparallelen zu Mt 19,7 f. nicht im Judentum, sondern im Christentum zu finden sind.
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die allem weiteren Geschehen in der Welt ihren Stempel aufgedrückt hat.16 Zwar ist die Schöpfung von Gott her gesehen gut, ja sehr gut (Gen 1,31), doch schon bald, mit dem ersten Menschenpaar, kommt die Sünde in die Welt. Sie besteht darin, dass sich der Mensch von einem Geschöpf Gottes zum Ungehorsam gegen seinen Schöpfer hat überreden lassen (Gen 3). Damit ist die Sünde in der Welt. Wie eine von außen in den Menschen eindringende Macht tritt sie in der Erzählung von Kain und Abel auf den Plan. Bevor Kain zum Täter wird, fällt er der Macht der Sünde anheim. Trotz der Warnung Gottes gelingt es ihm nicht, über den am Eingang lauernden Dämon zu herrschen (Gen 4,7). Der Bruch mit Gott zieht den Bruch mit dem Bruder nach sich. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Das im Gottesvolk gewachsene Wissen um eine uranfängliche Störung von Schöpfung und Geschichte hat aber nicht dazu geführt, das Böse in Gott hinein zu verlagern. Dieser Schritt wurde erst von der Gnosis getan und hat seit dieser Zeit ein Denken, welches das Mysterium inaequitatis zu ergründen sucht, immer wieder in seinen Bann geschlagen. Der biblischen Tradition hingegen gelang es, die schwierige Gratwanderung zwischen einer von Gott her gesehen guten und einer durch menschliches Handeln aus den Fugen geratenen Schöpfung durchzuhalten, wenngleich sie dabei an die Abgründe des Denkens und Verstehens geführt wurde (vgl. Ijob 24; 38 – 42). Der Struktur einer ursprünglich guten, doch bereits früh vom Menschen gestörten Schöpfungsordnung entspricht die prophetische Sicht einer am Anfang guten, aber doch schon früh gestörten Geschichte Israels mit seinem Gott. Aus diesem in schmerzhaften Erfahrungen gewonnenen Wissen heraus richten die Propheten ihren Blick voll Hoffnung auf eine Zeit, da Gott durch die Gabe eines neuen Herzens und eines neuen Geistes die Untreue seines Volkes heilen und sich in neuer Liebe mit ihm vereinen wird: „Ich will ihre Untreue heilen und sie aus lauter Großmut wieder lieben“ (Hos 14,5; vgl. Jes 62,4 f.; Ez 36,24 – 32; Jer 31,31 – 34; Dtn 30,1 – 10). Mit dem Kommen Jesu, so das Neue Testament, ist diese Zeit nun angebrochen. Jesus ist der Bräutigam (Joh 3,28 f.; Mt 9,15; Mk 2,19), der vom Himmel herabgekommen ist (Joh 3,31 – 36), um sich mit seiner Braut in neuer Weise zu vermählen. Die Erzählungen von der Hochzeit zu Kana und von der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen zu Beginn des Johannesevangeliums eröffnen den Horizont der Heiligen Hochzeit.17 Das Kommen des messianischen Bräutigams voll16 Ich tendiere dazu, die Erzählung vom Sündenfall (Gen 2 – 4) als eine relativ spät zu datierende narrative Veranschaulichung dieser zunächst in prophetischen Kreisen gewachsenen Einsicht zu verstehen. Damit erklärt sich einerseits die Tatsache, dass diese Erzählung als solche relativ geringe Spuren in der übrigen biblischen Literatur hinterlassen hat, andererseits aber auch das Phänomen ihrer großen Wirkung, die sie vor allem in der christlichen Rezeption entfaltet hat, da sie die einprägsame Veranschaulichung einer breit in der biblischen Tradition verankerten Einsicht darstellt und den hermeneutischen Horizont für die neutestamentliche Soteriologie bildet. 17 In der Erzählung von der Hochzeit zu Kana tut Jesus, was der Bräutigam hätte tun sollen: Er setzt den guten Wein auf. Er handelt als „wahrer“ Bräutigam (Joh 2,9 – 10). Ein wenig
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zieht sich jedoch nicht als romantische Liebesidylle. Im Gegenteil. Mit seinem Kommen wird die Schuld nicht zugedeckt, sondern aufgedeckt. In der Begegnung mit ihm erfahren sich Menschen in ihrem Innersten erkannt. Ihre Schuld kommt ans Licht, irreguläre Lebensformen können und müssen nicht mehr verheimlicht werden (Joh 4), weil sich mit dem Kommen Jesu eine neue Perspektive eröffnet. Als erste spüren die Dämonen, was es mit dem Kommen Jesu auf sich hat. Ihre letzte Stunde hat geschlagen. Die Realität dämonischer Mächte, die den Menschen fesseln und quälen, wird nicht geleugnet, sondern aufgedeckt. Vor der Gegenwart und dem wirkmächtigen Wort Jesu weichen die Dämonen zurück. Das Handeln Jesu setzt voraus, dass die Welt von Mächten des Bösen durchdrungen ist. Der Kampf gegen diese Mächte und Gewalten ist mit Tod und Auferstehung Jesu nicht beendet. Die in seiner Nachfolge stehenden Zwölf (Jünger) werden von ihrem Meister beauftragt und bevollmächtigt, das Gleiche zu tun wie er: Unreine Geister auszutreiben (Mk 6,7), Kranke zu heilen und das Kommen der Gottesherrschaft zu verkünden (vgl. Mt 10,7 f.). Das im Neuen Testament vorausgesetzte dämonische Weltbild kann als eine kulturspezifische Ausprägung der in der Heiligen Schrift tief verankerten Einsicht, dass es in der Schöpfung eine Störung gibt, die in gewisser Weise alles mit einem zum Teil unsichtbaren Gift durchzieht, verstanden werden. Die Störung gründet in einem gestörten Verhältnis des Menschen zu Gott. Mit dem Kommen Jesu soll dieser Schaden geheilt werden. Erst vor diesem Hintergrund kann Jesu Wort zur Ehescheidung in rechter Weise verstanden werden. Wer die Realität einer durch die Sünde gestörten Schöpfung leugnet oder nicht mehr in angemessener Weise in die theologische Denkform zu integrieren vermag, sieht sich mit der Verkündigung Jesu vor unlösbare Widersprüche und Aporien gestellt und sich genötigt, sie in einseitiger und letztlich allzu einfacher Weise aufzulösen. Ohne die Annahme einer durch die Ur-Sünde gestörten Schöpfung hängt das Evangelium des Alten wie des Neuen Testamentes in der Luft.
später deutet Johannes der Täufer das Kommen Jesu mit Hilfe des biblischen Bildes von Braut und Bräutigam: „Ich bin nicht der Messias (Christus; der Gesalbte), sondern nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht. Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihn hört, freut sich über die Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude hat sich erfüllt“ (Joh 3,28 – 29). Die Aussage leitet über zur Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen. Zweimal bekräftigt Jesus, dass die Frau noch gar keinen Mann habe (Joh 4,17 – 18). Das dürfte wohl so zu verstehen sein, „dass die Frau ihren eigentlichen, sie wahrhaft liebenden Ehegatten noch gar nicht gefunden hat“. Somit scheint die Erzählung die Annahme nahezulegen, dass Jesus der wahre messianische Bräutigam ist und „Samaria – repräsentiert durch die Frau – seine messianische ,Braut‘“ (Michael Theobald, Das Evangelium nach Johannes, RNT, Regensburg 2009, S. 318).
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V. Binäre Geschlechterkonstellation, Heteronormativität und Freundschaft Richten wir nun unseren Blick auf jene Texte, die Jesus in Mk 10,6 f. zitiert: Gen 1,27 und Gen 2,24. In Gen 1,27 wird erzählt, dass Gott den Menschen schuf, und zwar männlich und weiblich (85KD9 L?:). Hier liegt eine klassische binäre Geschlechterkonstellation vor. Die biblische Tradition lässt meines Erachtens kein Interesse an einer performativen Verflüssigung, an einer Denaturalisierung oder einer subversiven Resignifikation oder Veruneindeutigung der binären Geschlechterkonstellation erkennen, wie sie heute in einigen Kreisen als emanzipatorisches Projekt propagiert wird. Das Alte Testament kennt diese Phänomene sehr wohl, verwirft sie jedoch. Die binäre Geschlechterkonstellation soll nicht verschleiert oder dekonstruiert werden. Dtn 22,5 verbietet den Transvestismus: „Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen, und ein Mann soll kein Frauenkleid tragen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel.“ Ebenso werden homosexuelle Handlungen im eigentlichen Sinn als unsittlich verworfen. „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel“ (Lev 18,22; vgl. 20,13). Thomas Hieke hat sich gründlich und hermeneutisch reflektiert vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen mit der Thematik befasst: „Das Verbot männlicher homosexueller Akte in V. 22 kann kaum deutlicher formuliert werden. ,Wie man bei einer Frau liegt‘ impliziert analen Geschlechtsverkehr, […] einschließlich des Samenergusses des einen Partners. Dieses kategorische Verbot ist in der Bibel wie in der antiken Welt singulär […] Restriktionen des Geschlechtsverkehrs zwischen Männern, insbesondere zwischen Gleichgestellten und innerhalb der Familie, gab es auch in anderen antiken Kulturen […], ein völliges Verbot jedoch nicht. Die eigentlichen Wurzeln der biblischen Ablehnung homosexuellen Verkehrs zwischen Männern liegen im Dunkeln […] Der Kontext macht deutlich, dass der Schlüssel zum Verstehen das Hervorbringen von Nachkommenschaft ist […] Der homosexuelle Akt unterliegt einer gesellschaftlichen Ächtung, die religiös untermauert wird. Allerdings sind damit keine strafrechtlichen Konsequenzen verbunden.“18
Dem Verbot männlicher homosexueller Akte in Lev 18,22 schließt sich das Verbot der Sodomie (genauer: der Zoophilie) an. Es gilt für Männer wie für Frauen: „Und keinerlei Vieh sollst du dich zum Beischlaf hingeben, du würdest sonst durch es unrein. Und eine Frau soll sich nicht vor ein Vieh hinstellen, um sich mit ihm zu begatten. Es wäre eine schändliche Verirrung“ (Lev 18,23; vgl. 20,15 f.; Ex 22,18).19 Als Begründung für das Verbot des geschlechtlichen Verkehrs mit Tieren führt Hieke den Gedanken „der Störung der kosmischen (göttlichen) Ordnung, die eine unstatthafte Vermischung der Genera sowie der Lebensräume (Gott, Mensch, Tiere) nicht zulassen kann“ an. Die hochkomplexe Thematik kann und 18
Thomas Hieke, Levitikus 16 – 7 (= HThK AT), Freiburg 2014, S. 688 f. Zu Ex 22,18 und entsprechenden antiken Praktiken von Sodomie im Rahmen des Analogiezaubers vgl. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Das Bundesbuch (Ex 20,22 – 23,33). Studien zu seiner Entstehung und Theologie (= BZAW 188), Berlin 1990, S. 322 – 329. 19
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soll hier nicht weiter diskutiert werden.20 Ich möchte lediglich zu bedenken geben, ob der von Hieke angeführte Gedanke kosmischer Ordnung nicht auch beim biblischen Verbot homosexueller Handlungen als impliziter Referenzrahmen stärker in Anschlag zu bringen ist, so dass von der in Gen 1 und 2 als normativ präsentierten binären Geschlechterkonstellation her gesehen die eigentlichen Wurzeln der biblischen Ablehnung homosexuellen Verkehrs keineswegs im Dunkeln liegen. Auch die in diesem Zusammenhang häufig angeführte Freundschaft zwischen David und Jonatan ist nicht als eine homosexuelle Beziehung im eigentlichen Sinne zu verstehen. In der emphatischen Klage über den Tod seines Freundes Jonatan ruft David aus: „Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen“ (2 Sam 1,26; vgl. 1 Sam 18,1). Der Text hat keine Scheu, von der Liebe zwischen zwei Männern zu sprechen. Auch das Neue Testament hat keinerlei Probleme damit (Joh 13,23.25; 19,26; 21,15 – 23). Der Deutung solcher Liebesbeziehungen als homosexuelle oder homoerotische Beziehungen liegt jedoch das verbreitete Missverständnis zugrunde, die Tiefe einer personalen Beziehung korreliere mit dem Vollzug sexueller Akte. Das ist möglich, aber keineswegs notwendig. So ist auch nach Siegfried Kreuzer die auffallende Formulierung von 2 Sam 1,26 „nicht als Andeutung homoerotischer Liebe zu verstehen, sondern als Steigerung gegenüber der üblicherweise intensivsten Liebeserfahrung“. Es sei unwahrscheinlich, dass damit „eine den alttestamentlichen Geboten widersprechende homoerotische Beziehung Davids zu Jonatan geschildert werden soll.“21 In den älteren Texten des Alten Testaments spielt Freundschaft unter Männern keine hervorgehobene Rolle. Möglicherweise hat Freundschaft als eigenständiges Thema erst unter dem Einfluss griechisch-hellenistischer Kultur Eingang in die jüdische Literatur gefunden (vgl. Koh 4,7 – 12). Ausführlich befasst sich das im 2. Jahrhundert v. Chr. entstandene Buch Jesus Sirach mit der Freundschaft unter Männern (vgl. Sir 6,5 – 17; 9,10). Im Horizont biblischer Anthropologie ist es also möglich, im Zusammenhang einer gleichgeschlechtlichen Freundschaft von Liebe zu sprechen. Doch diese Konstellation wird nicht mit jener Beziehung auf eine Ebene gestellt, die in einer heterosexuellen Konstellation als Ehe verstanden wird. Wie das Beispiel der Freundschaft zwischen David und Jonatan zeigt, besteht der Unterschied nicht in der Intensität der Beziehung, sondern im Vollzug oder Nicht-Vollzug sexueller Handlungen. Wie die gelebte Realität tatsächlich aussah, ist nur noch schwer zu ermitteln. Sicher ist jedoch, dass die im Alten Testament entworfene Ordnung der Geschlechter in diesem Punkt zwischen (heterosexueller) Ehe und (gleichgeschlechtlicher) Freundschaft unterscheidet. Damit ist nicht gesagt, dass personale Qualität, Tiefe und Verbindlichkeit einer Freundschaft zweier Personen des gleichen Geschlechts nicht weit 20 Einen nach wie vor guten Überblick bietet der interdisziplinär angelegte Artikel „Homosexualität“ in: LThK, Bd 5, 31996, S. 254 – 260, verfasst von Udo Rauchfleisch/Wilhelm Korff/Georg Bier/Wunibald Müller. 21 Siegfried Kreuzer, Freundschaft, in: Michael Fieger/Jutta Krispenz/Jörg Lanckau (Hrsg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013, S. 168.
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über das hinausgehen können, was gewöhnlich in einer Ehe gelebt und erfahren wird. Die Freundschaft zwischen David und Jonatan dürfte nach Aussage von 2 Sam 1,26 in diesem Sinne zu verstehen sein. Eine analoge Konstellation findet sich im Buch Rut. Die in einem feierlichen Versprechen gegebene und in praktischer Solidarität gelebte Freundschaft zwischen Rut („Rut“ heißt übersetzt „Freundin“) und Noomi (vgl. Rut 1,16 – 17: „Nur der Tod wird mich von dir scheiden“) wird (sprachlich) deutlich von der Ehe unterschieden, die Rut mit Boas eingeht und aus der ein Kind hervorgeht, das in einer Geschlechterfolge steht, die zur Geburt des Messias führt (Rut 4,13 – 22; Mt 1,5).22 Dagegen wird gewöhnlich eingewandt, dass die im Alten Testament verworfenen homosexuellen Handlungen nicht mit dem zu vergleichen seien, was heute in westlichen Kulturen unter gelebter Homosexualität verstanden wird, nämlich einer auf freier Zustimmung und gegenseitiger Anerkennung beruhenden Beziehung, in der die nicht in Abhängigkeit zueinander stehenden Personen gleichen Geschlechts im herrschaftsfreien Diskurs aushandeln, was in puncto Sexualität gefällt. Verworfen werde, wie die Geschichte von Sodom zeige (Gen 19), die Vergewaltigung von Männern durch Männer. Die Bibel würde homosexuelle Handlungen verbieten, da sie in ihr die soziale „Erniedrigung eines Mannes zur Frau“ sehe. Da solche Vorstellungen heute obsolet seien, sei das, was die Bibel unter Homosexualität verstehe, etwas völlig anderes als das, was heute darunter verstanden würde. Meines Erachtens zeigen die Gesetze und Erzählungen zur Vergewaltigung einer Frau jedoch, dass die Bibel sich sehr wohl darum bemühte, zwischen sittlich erlaubten und sittlich nicht erlaubten heterosexuellen Handlungen zu unterscheiden (vgl. Dtn 22,22 – 29; 2 Sam 13,1 – 22).23 Prinzipiell wäre eine solche Unterscheidung auch in der Bewertung homosexueller Beziehungen möglich gewesen. Der im platonischen Symposion von Aristophanes zitierte Mythos zeigt, dass Homosexualität als eine auf gegenseitiger Anerkennung beruhende Beziehung zweier freier Menschen in der Antike sehr wohl vorstellbar war. Dort wird die homosexuelle Beziehung sogar als die höchste Form der
22 Zu Rut 1,16 – 17 schreibt Irmtraud Fischer, Rut (= HThK AT), Freiburg 2001, S. 146: „Wenn man ihn für eine Aktualisierung strikt ernst nähme, dann könnte man diesen Spruch nur bei Trauungen von gleichgeschlechtlichen Paaren verwenden […] Cheryl Exum hat das Rutbuch als Beispiel der Destabilisierung von Geschlechtscharakteren und Geschlechterrollenzuschreibungen vorgestellt; um die gängigen Denkmuster in Bezug auf Sexualität zu stören, erwägt sie die Möglichkeit, die Beziehung zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter lesbisch zu deuten […] Was Rut hier einer anderen Frau verspricht, ist tatsächlich nichts anderes als die Treue bis in den Tod und den Vorrang der Beziehung zu ihr vor allen anderen Bindungen.“ 23 Zur Vergewaltigung Tamars durch Amnon schreibt Ilse Müllner: „Die Wortwahl differenziert […] eindeutig zwischen jener Schande, die auch Unschuldige treffen kann, und der Schande, die ein Verbrechen ist. Tamar sieht klar, dass in den Augen der Öffentlichkeit auch das Opfer einer solchen Gewalt in Schande dasteht. Die Tat des Bruders bezeichnet sie aber als Schandtat, ein Begriff, der auch mit ,Verbrechen‘ übersetzt werden kann“ (Stuttgarter Altes Testament, hrsg. von Erich Zenger, Stuttgart 32005, S. 539).
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drei Beziehungstypen angesehen.24 Altes wie Neues Testament teilen diese Sicht jedoch nicht. Meines Erachtens kann dieser Befund in der Frage nach der sittlichen Beurteilung homosexueller Handlungen in einer theologischen Ethik nicht völlig außer Acht gelassen werden. Die Bibel scheint hier mit „Vorgaben“ zu rechnen, die nicht verhandelbar erscheinen. Der biblische Befund dürfte so zu deuten sein, dass die leiblichen Ausdrucksformen von Freundschaft und Liebe nicht notwendigerweise mit sexuellen Handlungen im engeren Sinne korrelieren müssen. Das wäre der provokative Aspekt dieses oft als unverständlich und inhuman angesehenen Verbotes. Ein analoges Muster liegt der Lebensform der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ zugrunde (vgl. Mt 19,12).25
VI. Nachkommenschaft und Beziehung (Familie und Ehe) Es ist nüchtern festzustellen, dass die binäre Geschlechterkonstellation in Gen 1 auf die Erzeugung von Nachkommenschaft hin ausgerichtet ist. Wie Annette Schellenberg zu Recht feststellt, zeigt der Mehrungsauftrag in Gen 1,28 „dass die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen primär unter dem Gesichtspunkt der Fortpflanzung interessiert.“26 In Gen 2,24 wird der Akzent ein wenig anders gesetzt. Hier geht es um die Dynamik der Beziehung und um die emotionale Bindung von Mann und Frau: „Deshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden zu einem Fleisch.“ Die Erzeugung von Nachkommenschaft steht hier nicht im Vordergrund, sie wird aber auch nicht ausgeschlossen, wie der weitere Textverlauf zeigt. Wo in der nicht-priesterschriftlichen Erzählung von Nachkommenschaft die Rede ist, wird sie als Ausdruck der Beziehung von Mann und Frau verstanden. Um das deutlich zu machen, verwendet der hebräische Text das Verbum F7= „erkennen“: „Und Adam erkannte Eva, seine Frau, und sie wurde schwanger, und sie gebar den Kain, und sie sprach: ,Empfangen habe ich einen Mann von JHWH‘ (Gen 4,1).“ Hier kommt zum Ausdruck, dass Mann und Frau an der Entstehung eines neuen Menschen beteiligt sind und dass dieser Vorgang selbst noch einmal in den Horizont eines göttlichen Handelns gerückt wird.27 Die priesterschriftlichen 24 Vgl. dazu weiter unten den 7. Abschnitt: Die Kugelmenschen im Mythos von Platons Symposion (189d – 193). 25 Zur weiteren Diskussion vgl. Wunibald Müller, Größer als alles aber ist die Liebe. Für einen ganzheitlichen Blick auf Homosexualität, Ostfildern 2014. Ferner die Beiträge in: Herder Korrespondenz. Spezial 10/2014 zum Thema: „Leibfeindliches Christentum? Auf der Suche nach einer neuen Sexualmoral“. 26 Annette Schellenberg, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (= ATANT 101), Zürich 2011, S. 132. So auch Benno Jacob, Das Buch Genesis (Original-Ausgabe Berlin 1934), hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institut, Stuttgart 2000, S. 60. 27 Zu der Formulierung: „Empfangen habe ich einen Mann von JHWH“ vgl. die Ausführungen im Abschnitt: XI. Heilige Hochzeit.
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Texte, die primär an der Nachkommenschaft interessiert sind, erwähnen die Frau bei der Entstehung neuen Lebens nicht. Dort heißt es lediglich: Set zeugte Enosch, Enosch zeugte Kenan usw. (Gen 5,6 ff.). Im Rahmen eines konvergenten Lesens sieht die jüdische Tradition in beiden Erzählungen die Stiftung der Ehe durch Gott grundgelegt. Der Rabbiner Benno Jakob spricht im Hinblick auf den Segen in Gen 1,28 von der „Stiftung und Sanktion der Ehe innerhalb der einheitlichen Gattung Mensch“: „Nachdem Gott Mann und Weib geschaffen hatte, ,tat er sie zusammen‘, segnete er ihren Bund als solchen ein, und nach diesem wünschte er ihm Fruchtbarkeit.“28 Zu Gen 2,22: „Und er führte sie dem Menschen zu“ bemerkt der Midrasch, dass Gott hier bei dem ersten Menschenpaar gleichsam den Brautführer macht.29
VII. Die Kugelmenschen im Mythos von Platons Symposion (189d – 193) Die biblischen Schöpfungserzählungen präsentieren das Modell einer binären Geschlechterkonstellation in Verbindung mit Heteronormativität. Es hätte auch damals durchaus Alternativen gegeben. Eine davon ist uns im platonischen Symposion überliefert. Ein kurzer Blick auf diese Alternative erscheint hilfreich, das besondere Profil der biblischen Schöpfungserzählung im Hinblick auf unsere Fragestellung zu verstehen. Im Symposion geht es um die Frage nach dem Wesen des Eros. Als vierter der insgesamt sieben Redner preist der Komödiendichter Aristophanes Eros als den menschenfreundlichsten der Götter (189d). Um sein Urteil den Teilnehmern einsichtig zu machen zitiert er einen Mythos:30 Ursprünglich existierten die Menschen als doppelgeschlechtliche Kugelmenschen, und zwar einige als Mann-Frau, einige als MannMann, einige als Frau-Frau. Sie waren von gewaltiger Kraft und versuchten, „sich einen Weg zum Himmel zu bahnen, um die Götter anzugreifen“ (190c). Da beschloss Zeus, sie in zwei Hälften zu teilen. „Als nun so ihre Gestalt in zwei Teile zerschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner Hälfte und vereinigte sich mit ihr. Sie umschlangen sich mit den Armen und schmiegten sich aneinander, und weil sie zusammenzuwachsen begehrten, starben sie an Hunger und sonstiger Untätigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun wollten“ (191a.b). Sie konnten nicht voneinander lassen, da ihr Zusammensein ihnen keine Befriedigung verschaffte. „Da erbarmte sich Zeus und gewährte ihnen auf anderem Wege Hilfe, indem er ihre Geschlechtsteile nach vorne versetzte“ (191b). Traf nun ein Männliches auf ein Weibliches, so verschaffte ihnen ihr Zusammensein Befriedigung und Fortpflanzung, traf ein Männli28
Jacob, Genesis (Anm. 26), S. 61 (Hervorhebung im Original). Hinweis bei Jacob, ebd. S. 99. 30 Die folgenden Zitate im Anschluss an die Übersetzung von Barbara Zehnpfennig: Platon, Symposion (= Philosophische Bibliothek 520), übersetzt und herausgegeben von Barbara Zehnpfennig, Hamburg 22012. 29
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ches auf ein Männliches, so sollte das Zusammensein wenigstens zu einer Befriedigung führen, damit sie nun davon abließen und sich wieder der Arbeit zuwendeten und sich um die anderen Dinge des Lebens kümmerten. „Seit so langer Zeit also ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren. Sie führt das ursprüngliche Geschöpf wieder zusammen und versucht, aus Zweien Eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen. Jeder von uns ist daher nur ein Teilstück eines Menschen (!mhq~pou s}lbokom), da wir ja, zerschnitten wie die Schollen, aus einem zwei geworden sind. Jeder sucht demnach beständig sein Gegenstück“ (191d). Mir geht es hier nicht um die Frage nach der Stellung des Mythos im argumentativen Duktus des Symposions. Bekanntlich weist Sokrates darauf hin, dass Aristophanes das Wesen des Eros nicht wirklich erfasst habe. Die Heilung, die er sich vom Eros erwarte, sei nicht die eigentliche Heilung, nach der die Seele des Menschen verlange. Sie liegt nach Ansicht des Sokrates allein darin, dass der Mensch zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. „Letztlich zielt die Liebe also auf das Gute und nicht auf die andere Hälfte, wie Aristophanes meinte“.31 Der Vergleich der im Mythos des Aristophanes präsentierten Geschlechterkonstellation mit derjenigen der Bibel kann gleichwohl zu einem vertieften Verständnis des biblischen Menschenbildes führen. Dabei fallen folgende Unterschiede ins Auge:32 (1) Im von Aristophanes zitierten Mythos ist die geschlechtliche Differenzierung des Menschen in Mann und Frau eine Folge der Sünde. Anders die biblische Anthropologie: Mann und Frau verwirklichen auf je unterschiedliche Weise das ganze Menschsein. Die geschlechtliche Differenzierung ist hier keine Folge der Sünde, sondern gehört zur guten, noch ungefallenen Schöpfung. Es wird in Gen 2 kein ursprünglich vollkommener Mensch in zwei Hälften geteilt, weil er überheblich wurde, sondern ein ursprünglich unvollkommener Mensch (adam) geht in die Differenzierung von Mann (isch) und Frau (ischah). Mann und Frau sind also keine depotenzierten Formen eines ursprünglich vollkommenen Menschseins, sondern umgekehrt: Mannsein und Frausein sind die differenzierende Ausgestaltung eines ursprünglich unvollkommenen, noch undifferenzierten Menschseins. (2) Nach der von Aristophanes angeführten mythischen Tradition ist Liebe in der Gestalt des Eros Ausdruck von Bedürftigkeit und Überwindung eines Mangels. Darin artikuliert sich die in der griechischen Kultur immer empfundene Ambivalenz erotischer Liebe. In der biblischen (und auch sokratischen) Tradition kann Liebe anders gedacht werden. Auch sie weiß von einem Bruch, der sich 31
Barbara Zehnpfennig, Einführung in: Platon, Symposion (= Philosophische Bibliothek 520), übersetzt und herausgegeben von Barbara Zehnpfennig, Hamburg 22012, XV-XVI. 32 Vgl. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Als Mann und Frau erschaffen. Aspekte biblischer Anthropologie, in: Peter Fonk/Karl Schlemmer/Ludger Schwienhorst-Schönberger (Hrsg.), Zum Aufbruch ermutigt. Kirche und Theologie in einer sich wandelnden Zeit. FS Franz Xaver Eder, Freiburg, 2000, S. 18 – 37.
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durch den Menschen zieht. Dieser liegt aber nicht in der geschlechtlichen Differenzierung, sondern in der Abkehr von Gott. Die Heilung des Bruchs kann letztlich nicht in der Sexualität gefunden werden. Ihr wird damit das Metaphysische genommen. Eros ist kein Gott, sondern ein Mittleres zwischen Gott und Mensch, wie Diotima dem Sokrates nahegebracht hat (202d.e). Er ist auf den bleibenden Besitz des Guten ausgerichtet (206a). „Diejenigen, die in ihren Reden die Liebe vergöttlicht haben, als wäre sie nicht Streben, sondern bereits Erfüllung, sind einer Vergötzung des eigenen Triebes erlegen. Ein solcher Liebesbezug benutzt den anderen zur Betätigung und Bestätigung des Ich, er schafft nichts über sich hinaus […] Nicht die Schönheit also wird in der Liebe letztlich begehrt, sondern das, wozu sie anregt: die Hervorbringung des Guten.“33 (3) Der im Symposion überlieferte Mythos vertritt keine Heteronormativität. In der biblischen Tradition geht es primär um Nachkommenschaft und Beziehung, im androgynen Mythos primär um sexuelle Befriedigung und Überwindung eines Mangels. Wenn die in zwei Hälften geteilten Menschen sich sexuell befriedigt haben, in welcher Konstellation auch immer, können sie wieder in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen. Wenn dabei ein Männliches auf ein Weibliches trifft, entsteht dabei gewöhnlich auch Nachkommenschaft. Das wird in Kauf genommen, ist aber nicht das Ziel der sexuellen Begegnung. Von einer auf Dauer angelegten Beziehung ist nicht die Rede. Es gibt in der Antike Konzepte, Liebe und Sexualität zu trennen. Lukrez gibt die Empfehlung aus, die Liebe aus dem sexuellen Genuss herauszuhalten, weil dieser durch Liebe nur gemindert würde. Durch die Liebe wird der Mensch krank und ein Kranker kann nicht wirklich genießen: „Und es entbehrt nicht der Venus Frucht, wer Liebe vermeidet (vitat amorem).“34 (IV, 1073).
VIII. Liebe Der Unterschied zwischen dem im platonischen Symposion von Aristophanes zitierten Mythos und der biblischen Anthropologie tritt noch deutlicher hervor, wenn wir an dieser Stelle kurz einen Blick auf das Hohelied werfen. Das Hohelied kann sowohl als Entfaltung von Gen 1 als auch als Entfaltung von Gen 2 verstanden werden. Entfaltet wird hier zunächst der Aspekt der Beziehung, der in Gen 2 im Vordergrund steht. Was in Gen 2 anklingt, kommt im Hohelied in hochpoetischer Form zur Sprache: Die erotische und sexuelle Anziehung, die die innere Dynamik der Liebe zwischen Mann und Frau gewöhnlich ausmacht. Beide Texte, Gen 2,24 und das Hohelied, sprechen von der Vereinigung von Mann und Frau (Hld 2,6; 3,5; 5,1; 8,4). Das Hohelied erzählt in Form eines Dialogs wechselseitiger Werbung, auf welchen Wegen und Umwegen es zu dieser Vereinigung kommt. So gesehen kann das Hohe33
Barbara Zehnpfennig, Platon zur Einführung, Hamburg 42011, S. 150. Lukrez, De rerum natura – Die Welt aus Atomen. Lateinisch und Deutsch, übersetzt und mit einem Nachwort hrsg. von Karl Büchner, Stuttgart 1986, IV, 1073, S. 335. 34
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lied als Entfaltung dessen, was in Gen 2 implizit gesagt wird, verstanden werden. Wichtig ist, dass die Vereinigung von Mann und Frau hier kein naturhaft-notwendiges Geschehen ist. Das Wort „Liebe/lieben“ (584) ist ein Leitwort des Buches. Das gleiche Wort bezeichnet auch die Liebe zwischen Gott und seinem Volk. Die Liebe ist durchgehend dialogisch-kommunikativ ausgerichtet. Die erotisch-sexuelle Dynamik bleibt eingebunden in die Liebe. Ohne ihre freie Zustimmung will und kann der Mann nicht zu seiner Geliebten kommen (vgl. Hld 4,12 – 5,1). Der Stellenwert der erotischen und sexuellen Lust in der Beziehung der Liebenden des Hoheliedes wird meines Erachtens nicht von allen Kommentatoren richtig bestimmt. Othmar Keel beispielsweise setzt das Eröffnungslied Hld 1,2 – 4 unter die Überschrift: „Voller Sehnsucht nach höchster Lust“.35 Das ist meines Erachtens nicht korrekt. Die Geliebte sehnt sich nicht nach höchster Lust, sondern nach dem Geliebten. Das zumindest sagt der Text. Die sexuelle Lust wird als Dynamik und Begleiterscheinung dieser Sehnsucht freudig und dankbar angenommen, sie wird kultiviert und verkostet, sie ist aber nicht das Ziel, auf die sich die Sehnsucht der Geliebten richtet. Das zu betonen erscheint mir wichtig, denn bekanntlich sind in unserer Gesellschaft Konzepte auf dem Vormarsch, die den Sinn der Sexualität primär oder gar ausschließlich in der sexuellen Befriedigung sehen, was von Therapeuten durchaus kritisch gesehen wird. So schreibt der Psychotherapeut Hans Jellouschek: „Es geht in der sexuellen Beziehung also nicht um Lust, sondern um Hingabe. Wenn ich mich auf diese Bewegung der Hingabe mit Leib und Seele einlasse, stellt sich auch die Lust ein, nicht aber, wenn ich die Lust als solche haben will. Damit vertreibe ich sie eher. Dies scheint mir der Kern fast aller sexuellen Probleme zu sein, mit denen Therapeuten es zu tun bekommen, und alle praktischen Anleitungen nutzen gar nichts, wenn nicht die Frage beantwortet ist, ob unsere Beziehung wirklich so ist, dass ich als Mann mich dir als Frau, dass ich als Frau mich dir als Mann schenken will.“36
Auch im Hohelied begegnen wir einer binären Geschlechterkonstellation in Verbindung mit Heteronormativität im Rahmen einer monogamen Beziehung. Was in Gen 2 implizit gesagt wird, was dort gleichsam als in der Natur selbst angelegt zur Sprache kommt (ein Mann – eine Frau), wird im Hohelied von den Partnern in freier Zustimmung angenommen und in affirmativer Emphase bestätigt. Auch hier kommen Alternativen in den Blick, von denen sich das Hohelied distanziert, nämlich die polyamoren Beziehungen König Salomos (vgl. Hld 8,11 – 12).37
IX. Mann und Frau als Bild Gottes Die christliche Theologie hat sowohl Gen 1,27 als auch Gen 2,24 im Hinblick auf das Wesen Gottes selbst erschlossen. Das Bild-Gottes-Sein kommt dem Menschen 35
Othmar Keel, Das Hohelied (= ZB AT 18), Zürich 21992, S. 48. Hans Jellouschek, Die Kunst als Paar zu leben, Suttgart 2005, S. 106. 37 Vgl. dazu Ludger Schwienhorst-Schönberger, Das Hohelied der Liebe, Freiburg 2015.
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nicht als Monade, sondern in seiner Mann-Frau-Relation zu. Entsprechend ist Gott in seinem Wesen selbst Beziehung. Allerdings wird diese nicht nach dem Modell „Mann-Frau“, sondern nach dem Modell „Vater-Sohn“ gedacht. Vor dem Hintergrund des trinitarischen Gottesbildes ist Christus das Bild, nach dem Gott den Menschen schuf (vgl. Kol 1,15). Genau genommen ist der Mensch also Bild Christi, und insofern Christus Bild Gottes ist (Kol 1,15), ist der Mensch als Bild Christi auch Bild Gottes. Entsprechend der zweifachen Aussage: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, wie unsere Ähnlichkeit“ (Gen 1,26)38 unterscheidet die christliche Auslegungsgeschichte gewöhnlich zwischen Bild und Ähnlichkeit und rückt die Aussage in einen heilsgeschichtlichen und eschatologischen Horizont: Im Sündenfall hat der Mensch zwar seine Gottähnlichkeit, nicht jedoch seine Gottebenbildlichkeit verloren. In Christus wird ihm das Bild Gottes vor Augen gestellt, das seinem Urbild in vollkommener Weise gleicht.39 In der Nachfolge Christi, in der Angleichung an dieses Bild, findet der Mensch zu seiner ursprünglichen Gottähnlichkeit zurück. Das Bild Gottes, das er von seinem Ursprung her ist, erstrahlt wieder in seinem vollen Glanz. Im Wort von Gen 2,24 sieht die christliche Tradition einen Hinweis auf das Geheimnis der Menschwerdung. Eigenartig ist in der Tat die Aussage, dass der Mann (so der hebräische Text; die Septuaginta übersetzt hier mit „Mensch“) und nicht, wie es in der alttestamentlichen Tradition sonst bezeugt ist (Gen 24,58 – 61), die Frau „seinen Vater und seine Mutter verlässt und seiner Frau anhängt und sie ein Fleisch werden“. Die christliche Rezeption sieht darin eine Prophezeiung der Inkarnation: Christus habe das Haus seines Vaters verlassen und Fleisch angenommen um seiner Braut, der Kirche, anzuhangen.40 Die im Hohelied gefeierte Liebe ist nicht nur vor dem Hintergrund von Gen 2,24, sondern auch vor dem Hintergrund von Gen 1 zu verstehen. Entfaltet wird dabei allerdings nicht der Aspekt der Fruchtbarkeit. Nachkommenschaft spielt im Hohelied so gut wie keine Rolle. Die Liebe von Mann und Frau weist einen Wert auf, der über die Zeugung von Nachkommenschaft hinausgeht (vgl. 1 Sam 1,8). Was im Hohelied im Hinblick auf Gen 1 zur Entfaltung kommt, ist das Motiv der Gottebenbildlichkeit. Der Mann wird von seiner Geliebten wie eine Gottesstatue beschrieben (Hld 5,10 – 16). Das erinnert an die Gottesstatue von Gen 1,27. Auch die Frau wird in eine sakralgöttliche Aura gerückt (Hld 6,10). Sie erscheint wie eine Himmelskönigin. In der im Hohelied besungenen Liebe wird die durch die Sünde verschattete Gottebenbildlichkeit des Menschen wieder hergestellt. In der Liebe öffnet sich der verschlossene Garten des Paradieses (Hld 4,12 – 5,1). Die Herrschaft des Mannes über die Frau als 38 Zur Bedeutung des hebräischen Textes vgl. ausführlich Walter Groß, Gen 1,26.27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und griechischen Wortlaut, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 15 (2001), S. 15 – 38. 39 Zu der Thematik vgl. Christoph Kardinal Schönborn, Die Christus-Ikone. Eine theologische Hinführung, Wien 1998. 40 Eine Zusammenstellung und Auslegung der einschlägigen Texte findet sich in: Theresia Heither/Christiana Reemts, Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern: Adam, Münster 2007.
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Folge der Sünde (Gen 3,16) wird aufgehoben. Hld 7,11 ist als Umkehrung und folglich als Aufhebung des Fluches von Gen 3,16 zu verstehen.41
X. Göttliche und menschliche Liebe – Monotheismus und Monogamie Die figurative Verwendung der Mann-Frau-Relation dient in zentralen alt- wie neutestamentlichen Texten der Beschreibung und Erschließung der Gottesbeziehung. Die wechselseitige Beziehung kann dabei sowohl mit Hilfe der Substitutionsals auch der Interaktionstheorie erschlossen werden.42 Nach Ruben Zimmermann wird hierbei die Liebessprache des Menschen „im übertragenen Sinn zur religiösen Sprache, zwischengeschlechtliche Kategorien werden zum bildspendenden Bereich eines theologischen Metaphernkomplexes. Derartige Bildertexte mit religiöser Geschlechtermetaphorik können nun aber umgekehrt auch in den zwischengeschlechtlichen Bereich zurückwirken, die religiös gedeutete Geschlechterrelation wird zum Modell für zwischenmenschliche Liebesbeziehungen. So kommt es im Medium bildlicher Sprache zu einer Interferenz zwischen Sexualität und Religiosität.“43 In der biblischen Geschlechtermetaphorik findet also nicht nur eine einlinige Übertragung von einem (menschlichen) Bereich in einen anderen (göttlichen) Bereich statt, wie die Substitutionstheorie annimmt, sondern es kommt zu einer wechselseitigen Beziehung, worauf die Interaktionstheorie hinweist. Allein von der numerischen Logik her gesehen, weisen Gen 1 und Gen 2 eine Affinität zur Monogamie auf. Interessant ist, dass die Damaskusrolle aus Qumran bereits Gen 1,27 in genau diesem Sinne interpretiert, ja sogar noch einen Schritt weiter geht, und den Text als Verbot der Polygamie liest. Hier liegt eine dem Neuen Testament analoge Argumentation vor. Die Damaskusrolle spricht von der Herzensverstocktheit der Söhne Jakobs und bringt sie unter anderem mit der „Unzucht“ in Verbindung. Es heißt dort: „Sie wurden auf zweierlei Weise gefangen in Unzucht: Sich zu nehmen zwei Frauen in ihrem Leben; doch die Grundlage der Schöpfung ist (Gen 1,27): als (ein) Männliches und (ein) Weibliches hat er sie geschaffen, und in die Arche gingen, zwei und zwei gingen 41 Vgl. dazu Gianni Barbiero, Song of Songs. A Close Reading (= SVT 144), Leiden 2011, S. 403: „In Gen 3:16, the desire of the woman for the man is seen as the origin of the subordination […] This subordination did not exist before the Fall as the joyful cry of the man in 2:23 reveals […] This means to say that the Song is deliberately returning human sexuality to its paradisial position, taking away from desire the curse consequent on sin.“ 42 Vgl. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Metaphorisch wahr. Offenheit und Eindeutigkeit alttestamentlicher Gottesrede, in: G. Kruck/C. Sticher (Hrsg.), „Deine Bilder stehn vor dir wie Namen“. Zur Rede von Zorn und Erbarmen Gottes in der Heiligen Schrift, Mainz 2005, S. 115 – 124. 43 Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt (= WUNT 122), Tübingen 2001, S. 6.
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sie in die Arche (Gen 7,9.15); und über den Fürsten steht geschrieben (Dtn 17,17): Und er soll sich nicht viele Frauen halten. Aber David las nicht im Buch der Torah, dem versiegelten […].“ (0Q CD IV,20-V,2; zit. nach Johann Maier, Bd I, S. 13 f.)
Mit dem Fürsten ist der König gemeint und das Wort: „Und er soll sich nicht viele Frauen halten“ ist ein Zitat aus dem Königsgesetz Dtn 17,17. Der Vers wird gewöhnlich so übersetzt: „Und der König soll sich nicht zu viele Frauen halten“ (EÜ: „keine große Zahl von Frauen“). Das Königsgesetz Dtn 17 geht selbstverständlich davon aus, dass ein König einen großen Harem hat. Alles andere wäre unzumutbar gewesen und dem Prestige eines Königs abträglich. Mit einer Frau allein kann ein König keinen Staat machen. Die Frauen des königlichen Harems waren internationale Spitzenfrauen, die mindestens ein halbes Jahr auf einer Beautyfarm verbracht haben mussten, bevor sie dem König zugeführt wurden (vgl. Esther). Das dtn Gesetz versucht nun, dem ein wenig entgegen zu steuern und die Macht des Königs einzugrenzen: nicht zu viele Pferde, nicht zu viele Frauen, nicht zu viel Gold, nicht zu viel Silber. Die Damaskusrolle aus Qumran sagt nun: Bereits zwei Frauen sind eine zu viel. Grundsätzlich ist diese Interpretation vom hebräischen Text her möglich. Wörtlich übersetzt heißt es in Dtn 17,17: „Und nicht soll er vermehren für sich Frauen“. Eine Vermehrung von einer auf zwei ist der Damaskusrolle also bereits zu viel und ein Ausdruck von Unzucht. Die Damaskusrolle liegt damit auf der gleichen Linie wie das Neue Testament. Im Rückgriff auf die Schöpfungserzählung wird die in der Geschichte Israels vereinzelt praktizierte diachrone oder synchrone Polygamie als „Unzucht“ verworfen. Der innere Zusammenhang von Monogamie und Monotheismus wird aber erst dort deutlich, wo diese Modelle in die Konzeption eines Bundes gegossen werden. Selbst wenn in alttestamentlichen Texten keine ursprüngliche terminologische Entsprechung zwischen Bundestheologie und Ehebund nachgewiesen werden kann,44 so zeigen doch die jüdische wie die christliche Auslegungsgeschichte, dass zwischen beiden Größen eine sachliche Entsprechung besteht, die bereits innerbiblisch aufgewiesen werden kann, wenn beispielsweise Beschreibungen des Bundesbruches mit Begriffen aus der geschlechtlichen Sphäre umschrieben werden (vgl. Dtn 31,16; Jer 9,1 f.; 29,23; Mal 3,5). Der biblische Monotheismus ist von seiner Entstehung her – und in gewisser Weise auch bleibend von der Sache her – zunächst und vor allem monolatrisch zu verstehen. Monolatrie heißt: Es gibt viele faszinierende Götter und Göttinnen. Doch von all diesen soll nur einer „dein Gott sein“. Die anderen dürfen für dich keine Rolle spielen. Genau das ist mit dem 1. Gebot gemeint: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Der Gott JHWH hat sich zu dir in ein besonderes Verhältnis gesetzt. Dieses Verhältnis wird in Dtn 4,37 mit dem Wort „lieben“ 44 Vgl. dazu Zimmermann, Geschlechtermetaphorik (Anm. 43), S. 123 – 128. Vgl. jedoch auch die möglicherweise intendierte Doppeldeutigkeit von Spr 2,17: „die den Freund ihrer Jugend verlässt und den Bund ihres Gottes vergisst.“ Dazu: Ludger Schwienhorst-Schönberger, „Die den Bund ihres Gottes vergisst“. Spr 2,17 und der Dekalog, in: Christoph Dohmen/ Christian Frevel (Hrsg.), Für immer verbündet. Studien zur Bundestheologie der Bibel (= SBS 211), Stuttgart 2007, S. 203 – 210.
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(584) umschrieben. Entsprechend soll sich auch Israel zu diesem Gott in ein besonderes Verhältnis setzen und diesen Gott lieben „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 4,5; vgl. 10,12). Die in diesem Sinne einzigartige Beziehung zwischen JHWH und seinem Volk wird in einer Reihe von prophetischen Texten mit einer auf Ausschließlichkeit hin angelegten Liebesbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau verglichen. Beim Propheten Hosea soll das Liebesverhältnis des Propheten zu einer Frau das Gottesverhältnis Israels abbilden. Hier begegnen wir der Korrelation von Monogamie und Monolatrie. Die Frau repräsentiert das (treulos gewordene) Gottesvolk, der Mann, vertreten durch den Propheten, Gott. Die erneute Liebe des Mannes zu seiner treulosen Frau entspricht der erneuten Liebe Gottes zu seinem Volk: „Darum will ich sie selbst verlocken. Ich will sie in die Wüste hinausführen und sie umwerben […] An jenem Tag – Spruch des Herrn – wirst du zu mir sagen: Mein Mann!, und nicht mehr: Mein Baal! […] Ich traue mich dir an auf ewig; ich traue dich mir an um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen, ich traue dich mir an um den Brautpreis meiner Treue: Dann wirst du den Herrn erkennen (F7=).“ (Hos 2,16.18.21 f.)
Die prophetische Geschlechtermetaphorik steht in einem engen Zusammenhang mit dem Alleinverehrungsanspruch JHWHs. Die Verehrung anderer Götter wird als Hurerei und Ehebruch gebrandmarkt. Dabei nimmt JHWH die männliche Rolle von Ehemann und Bräutigam ein, während die Frau das Volk oder das Land Israel repräsentiert. In älteren Texten konzentriert sich die Metaphorik gewöhnlich auf den Bruch der Beziehung und kontrastiert diesen mit einem glücklichen Anfang und der Aussicht auf eine Wiederherstellung der zerbrochenen Beziehung (Hos 1 – 3; Jes 5,1 – 7; Jer 2; 3; Ez 16; 23). In jüngeren Texten steht die Frau häufig für Zion/Jerusalem (Jes 62,1 – 12). Vor allem in den spätnachexilischen Texten rückt die vollkommene Wiederherstellung der ge- oder zerstörten Beziehung zwischen Gott und seinem Volk in einen eschatologischen Horizont (Jes 54; 61,10 f.; Ps 45). Hier knüpft das Neue Testament an. Die breit bezeugte Metaphorik zeigt: „Dem monotheistischen Gottesbild entspricht die monogame Ehe. Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: Die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe.“45
XI. Heilige Hochzeit Das im vorangehenden Abschnitt beschriebene Modell lässt sich als Transformation des Motivs von der Heiligen Hochzeit (Req¹r c\lor) verstehen. Bei diesem in vielen Kulturen belegten Motiv geht es um eine wirkliche oder symbolisch vollzogene geschlechtliche Vereinigung von (1) Göttern untereinander oder (2) von Gott (seltener Göttin) und Mensch oder (3) eines Königs oder einer Königsmutter mit einer Göttin oder einem Gott. In der griechischen Kultur verstand man darunter 45
Bendikt XVI., Enzyklika Deus caritas est 11 (25. Dezember 2005).
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vor allem die Ehe von Zeus und Hera. Diese Götterehe wiederum war das Ur- und Vorbild der menschlichen Ehe.46 Verbunden mit dem Motiv der Heiligen Hochzeit in der Antike waren verschiedene Korrelationsstrukturen, die in unterschiedlichen Kontexten und Handlungsfeldern mit je eigener Gewichtung hervortreten konnten. Ruben Zimmermann nennt in diesem Zusammenhang vier Dimensionen der religiös gedeuteten Geschlechtervereinigung:47 die kosmisch-transzendente Dimension (Vereinigung von Himmel und Erde), die kosmogonisch-genealogische Dimension (Ursprung der Welt und des Menschen), die sexuell-fertilisatorische Dimension (Urbild der Fruchtbarkeit) und die politisch-legitimierende Dimension (königliches Hochzeitsritual). Vor allem aufgrund ikonographischer Quellen wissen wir, dass die Matrix der Heiligen Hochzeit auch die Religion Kanaans und Israels prägte.48 Das Alte Testament kennt alle drei der oben genanten Typen der Heiligen Hochzeit, formt sie jedoch in spezifischer Weise um. (1) Im Rahmen des biblischen Monotheismus war es verständlicherweise nicht möglich, JHWH eine göttliche Partnerin zuzuweisen. Ob JHWH ursprünglich in polytheistischen Konstellationen beheimatet war, ist in der Forschung umstritten, dürfte jedoch meines Erachtens eher unwahrscheinlich sein. Archäologische Funde deuten jedoch darauf hin, dass solche Vorstellungen zumindest unterhalb der „offiziellen Religion“ nicht völlig abwegig waren. Bei archäologischen Ausgrabungen in Kuntilet Agrud sind im Jahre 1975 – 1976 Inschriften entdeckt worden, in denen von „JHWH von Teman und seiner Aschera“ die Rede ist. Es ist umstritten, ob diese Bezeichnung im Sinne einer sexuell determinierten Paar-Relation zu verstehen ist, dergestalt, dass JHWH hier die Göttin Aschera als seine Partnerin an die Seite gestellt wurde.49 Die im Alten Testament bezeugte „offizielle Religion“ Israels jedenfalls kennt solche Konstellationen nicht. Es findet sich im Alten Testament jedoch eine Konstellation, die diesem Modell sehr nahe kommt. In der Sapienta Salomonis wird die Weisheit als eine an der Seite Gottes thronende Paredros bezeichnet (Weish 9,4). Das erinnert an göttliche PaarKonstellationen altorientalischer Religionen. Um einem polytheistischen Missverständnis entgegenzutreten, wird jedoch zugleich klar gesagt, dass die Weisheit eine Gabe Gottes ist und kein Gott neben Gott. So bleibt der biblische Monotheismus gewahrt. Ähnliches lässt sich in Spr 8 beobachten. Der hebräische Texte spricht davon, dass JHWH die Weisheit „erworben“ (8DK) habe. Sie war also bereits vor der Schöpfung da. Ähnlich erscheint die Weisheit in der Grundschicht von Spr 2 46
Vgl. Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik (Anm. 43), S. 55 – 87. Ebd., S. 69 – 76. 48 Grundlegend dazu: Othmar Keel/Christoph Uehlinger, Göttinnnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (= QD 134), Freiburg 41998. 49 Vgl. dazu die Diskussion bei Keel/Uehlinger (ebd.), Göttinnen, Götter und Gottessymbole. § 129 – 147. 47
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wie eine eigenständige Göttin, die angerufen werden kann und in das Herz des Beters kommt. Die griechische Übersetzung vereindeutigt die Aussage von Spr 8,1, indem sie das hebräische Verbum 8DK „erwerben“ mit jt_fy („erschaffen“) übersetzt. Eine ähnliche Form der Vereindeutigung findet sich in der redaktionellen Bearbeitung von Spr 2. Darin kommt die Weisheit nicht mehr von sich aus wie eine eigenständige Göttin in das Herz dessen, der nach ihr ruft, sondern „JHWH gibt Weisheit, aus seinem Mund kommen Erkenntnis und Einsicht“ (Spr 2,6). (2) Die wirkungsgeschichtlich bedeutendste Transformation erfuhr das zweite Modell der Heiligen Hochzeit, bei der es zur geschlechtlichen Vereinigung von Gott und Mensch kommt. In Gen 4,1 und Gen 6,1 – 4 begegnen zwei im biblischen Kontext auf den ersten Blick sperrige Belege dieses Motivs. Bei der Geburt Kains sagt Eva: „Erworben habe ich einen Mann von JHWH“ (Gen 4,1). Nach Ruben Zimmermann wird hier „wohl die mythische Erinnerung an den genealogischen Ursprung des Menschen aus einer (sexuellen) Gott-Mensch-Relation bewahrt.“50 Dass man in Israel solche Mythen kannte und gezielt darauf zugriff, zeigt die Erzählung von der Vermählung der Göttersöhne mit den Menschentöchtern in Gen 6,1 – 4:51 Die Göttersöhne sehen die Menschentöchter, sind von ihrer Schönheit fasziniert und gehen mit ihnen eine geschlechtliche Verbindung ein. Daraus entstehen die Riesen. Über den Sinn dieser Erzählung ist viel gerätselt worden. Andreas Schüle datiert den Text spät und sieht in ihm das Anliegen, die biblische Schöpfungserzählung in die Chronologie der griechischen Mythologie einzuordnen und sie vor diesem kulturellen Hintergrund zugänglich zu machen: „Der Text übernimmt damit eine Übersetzungsfunktion im Kontakt von israelitischer Tradition und griechischer Bildung.“52 „Vom Ende her gesehen, ist Gen 1,1 – 6,4 der urgeschichtliche Mythos der Anthropogenie. Gegenüber der lange vorherrschenden Tendenz in der Exegese, die Überlieferungsgeschichte von Gen 1 – 11 als Prozess zunehmender Entmythologisierung zu betrachten, ist aufgrund von 6,1 – 4 festzuhalten, dass es offenbar auch den umgekehrten Vorgang einer Re-Mythisierung gab – wohl nicht um der Gattung Mythos willen, sondern weil die Überlieferung der Urgeschichte im Kulturkontakt etwa auch mit der griechischen Welt weitergeführt wurde.“53 Unter dem Vorzeichen biblischer Schöpfungstheologie wird hier ein Stück griechischer Mythologie reformuliert. Die entscheidende Transformation des zweiten Typs erfolgt allerdings dadurch, dass die Metaphorik geschlechtlicher Vereinigung in den Hintergrund tritt und durch die Metaphorik einer personalen Beziehung im Rahmen eines Bundes ersetzt wird. Der Bund zwischen Gott und seinem Volk wird, zunächst nicht dem Begriffe, sondern der Sache nach, mit dem Ehebund zwischen einem Mann und einer Frau ver50
Zimmerman, Geschlechtermetaphorik (Anm. 43), S. 100. Vgl. die beiden unterschiedlichen Deutungen von Zimmermann, Geschlechtermetaphorik 101 (Anm. 43), S. 94 – 101, und Schüle, Prolog (Anm. 8), S. 221 – 246. 52 Schüle, Prolog (Anm. 8), S. 230. 53 Ebd. S. 235. 51
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glichen. Dabei kommt in den Erzählungen der Bundesgeschichte die Dramatik der Beziehung von anfänglicher Liebe, Untreue und erneuerter Liebe zum Ausdruck. Auf der einen Seite des Vergleichs stehen zwei menschliche Figuren, ein Mann und eine Frau, auf der anderen Seite eine göttliche und eine menschliche Figur, wobei die göttliche durch den Mann, die menschliche durch die Frau repräsentiert wird. Dass diese Rollenverteilung von einigen Richtungen feministischer Theologie einer kritischen Relecture unterzogen wurde, dürfte bekannt sein. In jedem Fall ist dabei zu bedenken, dass die Frau das aus Männern und Frauen bestehende Gottesvolk repräsentiert. (3) Der dritte Typ, bei dem die menschliche Seite durch einen König repräsentiert wird, erfährt ebenfalls im Alten Testament eine radikale Transformation. Auf der menschlichen Seite steht dabei ausschließlich der König. Die Beziehung zwischen JHWH und dem König wird mit Begriffen wie „erwählen“ (Dtn 17,15) und „zeugen“ (Ps 2,7; 110,3) umschrieben. Sie wird jedoch nicht im Rahmen einer sexuell konnotierten Mann-Frau-Konstellation entfaltet, wie es beim Modell (2) der Fall ist, sondern in der Konstellation „Vater-Sohn“ (vgl. 2 Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27). Das dürfte damit zusammenhängen, dass im Rahmen einer binären Geschlechterkonstellation JHWH in allen drei Modellen den männlichen Part übernimmt und im Rahmen der biblischen Heteronormativität eine homosexuelle Beziehung zwischen Gott und dem das Volk repräsentierenden König offensichtlich nicht vorstellbar war. Auffallend ist, dass im Modell (2), wo JHWH mit dem Volk eine sexuell konnotierte Liebesbeziehung eingeht, das Volk immer im Bild einer Frau erscheint. Bestätigt wird diese Deutung, wenn wir vor dem Hintergrund der hier skizzierten Modelle noch einmal einen Blick auf das Hohelied werfen. Hier geht es um eine Liebesbeziehung zwischen einer Frau und einem Mann. Wir begegnen zwei menschlichen Figuren, die in einer auf Ausschließlichkeit hin angelegten Liebesbeziehung stehen. In ihrer Dynamik zielt die Beziehung auf eine Vereinigung. Der hohe Grad an intertextueller Verknüpfung zeigt, dass die männliche Figur Gott repräsentiert, die weibliche Figur das Gottesvolk bzw. das Land Israel. Vor dem Hintergrund des ersten Modells wird die Rolle, die in altorientalischen Religionen die Göttin als Partnerin eines Gottes einnimmt, im Hohelied von der Frau eingenommen. Damit findet eine Revolution im Gottesbild statt. Der menschliche Partner, repräsentiert durch die Frau, wird geadelt und in gewisser Weise vergöttlicht, der göttliche Partner, repräsentiert durch den Mann, wird vermenschlicht. Gott und Mensch finden zu einer wahrhaft menschlich-göttlichen Begegnung. Es geht um eine Liebe „von Angesicht zu Angesicht“. Vor dem Hintergrund des dritten Modells rückt der männliche Partner in die Rolle eines messianischen Königs. Auch hier bleibt die binäre und auf Heteronormativität hin ausgerichtete Geschlechterkonstellation gewahrt, da nun der messianische König auf die göttliche Seite rückt und der Frau als Figuration des Volkes als seiner Partnerin entgegentritt. Hier knüpft das Neue Testament an. Es bleibt im Horizont der vom Alten Testament vorgegebenen und entfalteten Figurenkonstellation. In Jesus kommt der gött-
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liche Bräutigam seiner Braut entgegen (vgl. Mk 2,19 f.; Mt 22,1 – 14; 25,1 – 13; Joh 3,29; 2 Kor 11,2; Offb 21,2.9). Er sucht sie auf und geht ihr nach, er nimmt sie an, ja er sehnt sich nach ihr, um sich in Liebe mit ihr zu vereinigen. Diese Liebe findet ihre Vollendung in der Hingabe des Lebens, in der „Hochzeit am Kreuz“.54 In ihr vollzieht sich das Einssein in der Liebe (vgl. Joh 15,9.12; 17,22 f.), die Vermählung von Gottheit und Menschheit. Der Epheserbrief greift die göttlich-menschliche Geschlechtsmetaphorik auf und erschließt sie in origineller Weise für die Eheparänese. Dabei stellt er eine Analogie zwischen der ehelichen Liebe von Mann und Frau und dem Liebesbund Christi und der Kirche her. Als Begründung zitiert er Gen 2,24: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, die zwei werden ein Fleisch sein“ und interpretiert die Aussage mit den Worten: „Dieses Geheimnis ist groß. Ich aber beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5,31 f.). Das Zitat „mit seiner autoritativen Auslegung durch den Verfasser des Briefs“ bildet die „Klimax des Abschnitts“.55 Nach Michael Theobald sieht demnach der Autor des Briefes in der Ehe zwischen Mann und Frau nicht „etwas Zufälliges und Flüchtiges“, sondern etwas „Ur-Bildliches, d. h. der ur-sprünglichen Ordnung der Welt Gemäßes, zutiefst Sinnvolles“.56 Weiterhin schreibt Theobald: „Begründet ist die eheliche Liebe in der Schöpfungsordnung, Maß und Ausrichtung erhält sie dagegen von der Offenbarung eschatologischer Liebe im Christusgeheimnis her. Dass sie auf diese hin geöffnet und ausgerichtet ist, versinnbildlicht der Vers Gen 2,24, der anthropologisch, dann aber vor allem eschatologisch im Blick auf die Liebe Christi zur Kirche zu lesen ist.“57
XII. Ausblick: Geistliche Kommunion Die hier skizzierte, in der biblischen Tradition ebenso wie in der Religionsgeschichte tief verankerte göttlich-menschliche Geschlechtsmetaphorik ist sowohl in den säkularen Kulturen der Neuzeit als auch in der zeitgenössischen Theologie weitgehend in Vergessenheit oder in die Kritik geraten. Dass das Kreuz Symbol einer hochzeitlichen Vereinigung ist und diese zugleich ein Bild der Erlösung darstellt, dürfte vielen zeitgenössischen Christen völlig unbekannt sein. Theologie und Verkündigung sind kaum noch in der Lage, diese Symbolik zu erschließen. Sie ist weitgehend zusammengebrochen. Wohl begegnet sie noch in Ansprachen der Päpste und 54
Vgl. Klaus W. Hälbig, Die Hochzeit am Kreuz. Eine Hinführung zur Mitte, München 2007, S. 112 – 117; S. 508 – 520 et passim. ders., Die Krönung der Braut. Gottes Vermählung mit der Welt in Maria, Sankt Ottilien 2014. Gisbert Greshake, Maria – Ecclesia. Perspektiven einer marianisch grundierten Theologie und Kirchenpraxis, Regensburg 2014. 55 Michael Theobald, Heilige Hochzeit. Motive des Mythos im Horizont von Eph 5,21 – 33, in: Karl Kertelge (Hrsg.), Metaphorik und Mythos im Neuen Testament (= QD 126), Freiburg 1990, S. 220 – 254, hier S. 233. 56 Ebd. S. 230. 57 Ebd. S. 236, Anm. 68.
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in offiziellen Schreiben des kirchlichen Lehramts, wie etwa in dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis von Papst Benedikt XVI. vom 22. Februar 2007, in dem es heißt: „Tatsächlich ist in der paulinischen Theologie die eheliche Liebe ein sakramentales Zeichen der Liebe Christi zu seiner Kirche – einer Liebe, die ihren Höhepunkt im Kreuz erreicht, das der Ausdruck seiner ,Hochzeit‘ mit der Menschheit und zugleich der Ursprung und das Zentrum der Eucharistie ist. Darum tut die Kirche all denen, die ihre Familie auf das Sakrament der Ehe gegründet haben, eine besondere geistliche Nähe kund.“ (27)
Solche und ähnliche Aussagen zu erschließen, scheint nicht mehr im Fokus gegenwärtiger Seelsorge und Verkündigung zu stehen. Über die Gründe, warum das so ist, wäre einmal nachzudenken. Meiner Erfahrung nach sind diese Aussagen in den Kontexten der kulturellen Moderne und Postmoderne sehr wohl zu erschließen, wenn sie vor dem Horizont christlicher (Liebes-)Mystik in ihrem anthropologischen Gehalt und im Kontext geistiger Übungen elementarisiert werden. Weiters ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass das Projekt einer systematischen Dekonstruktion dieser symbolischen Sinnwelt und eine damit einhergehende Rekonstruktion alternativer Modelle in vollem Gange ist. Ihre Legitimität und Plausibilität bezieht das Projekt aus einem damit einhergehenden Anspruch, die mit der traditionellen (christlichen) Sinnwelt verbundenen „Festschreibungen“, Ungerechtigkeiten und Defizite zu überwinden. Das forcierte Projekt einer emanzipatorisch motivierten Dekonstruktion dieser Sinnwelt wiederum ruft den emphatischen Einspruch von Kräften hervor, die darin eine gefährliche Zerstörung naturgegebener, der menschlichen Verfügung und Zuschreibung entzogener Ordnungen erblicken. Diametral einander gegenüberstehende Auffassungen prallen aufeinander. Die gegenwärtige Diskussion um Ehe und Familie innerhalb der Katholischen Kirche ist nicht zuletzt auch vor diesem Horizont zu verstehen. Der folgende Ausblick erhebt nicht den Anspruch, eine Lösung der zur Zeit in Kirche und Theologie kontrovers diskutierten Frage nach der Zulassung der zivilrechtlich wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen zur Kommunion zu präsentieren. Es geht mir lediglich darum, eine bereits vorgeschlagene und bekannte Lösung vor dem Hintergrund vorangehender Ausführungen zu vertiefen. Meine Überlegungen gehen dabei von zwei Voraussetzungen aus: (1) Die erste sei mit den Worten des evangelischen Neutestamentlers Ulrich Luz benannt. Er schreibt in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium zur Perikope über die Ehescheidung (Mt 19,1 – 12): „Als protestantischer Exeget stehe ich vor einer schwierigen Situation: Die Exegese zeigt, dass wahrscheinlich – mehr kann man nicht sagen – die katholische Praxis der Verweigerung der Scheidung unter Gewährung einer Trennung von Bett, Tisch und Wohnung dem, was Matthäus gemeint hat, am nächsten kommt. Leider hat es wohl auch Jesus an diesem Punkt nicht abgelehnt, ,Fragen des Herzens mit Hilfe von Gesetzen zu ordnen‘ [diese Aussage ist gegen Eugen Drewermann, Mk II, 95, gerichtet; L. S.-S.], sondern sehr entschieden einen Grundsatz aufgerichtet. Von diesem Grundsatz ist die landläufige protestantische
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kirchliche Praxis, in der es für mehrmalige kirchliche Trauungen keine Grenze zu geben scheint, weit entfernt. Unser Text ist heute bemerkenswert unmodern und steht quer in einer Landschaft, die einerseits von individueller Verwirklichung und vom Experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens, andererseits von Eheschwierigkeiten und hohen Scheidungsraten geprägt ist.“58
(2) Die zweite Voraussetzung geht von der biblisch bezeugten Analogie zwischen dem Bund Gottes mit seinem Volk und der Ehe zwischen Mann und Frau aus. Wenn diese im Alten wie im Neuen Testament bezeugte Analogie keine ausschließlich kulturell bedingte, rein ornamentale Veranschaulichung eines „weltlich Ding“ ist, sondern eine „sinnstrukturierende Wirklichkeitsreflexion zum Ausdruck“59 bringt, dürfte die in dieser Tradition stehende Lehre von der „inneren Beziehung von Ehe, Familie und Eucharistie“60 nicht unbegründet sein: „Die treue, unauflösliche und ausschließliche Bindung, die Christus und die Kirche miteinander vereint und die ihren sakramentalen Ausdruck in der Eucharistie findet, entspricht einer ursprünglichen anthropologischen Gegebenheit, nach der der Mann sich definitiv an eine einzige Frau binden soll und umgekehrt (vgl. Gen 2,24; Mt 19,5).“61 Als offene Frage sei zur Diskussion gestellt, ob die reflektierte Wiederaneignung der biblisch und religionsgeschichtlich bezeugten Geschlechtsmetaphorik der „Sexuellen Revolution“, die mit dem 17. Jahrhundert in Europa einsetzte,62 nicht jene Dimension zu verleihen oder zu erhalten vermag, die ihr humanes und emanzipatorisches Potenzial vor der Selbstzerstörung bewahrt.63 Die Lösung, die ich vorschlage, beruht auf dem Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der Katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen vom 14. September 1994. Sie sieht vor, dass wiederverheiratete geschiedene Gläubige zwar nicht die sakramentale, wohl jedoch die geistliche Kommunion empfangen können. Dieser Vorschlag hat den Vorteil, dass er theologisch in sich kohärent ist, dass er auf ein verbreitetes magisch-ritualistisches Missverständnis der Kommunion aufmerksam macht und zugleich eine wichtige und notwendige Anregung zur Vertiefung der persönlichen Frömmigkeit zu erbringen vermag. 58
Luz, Matthäus (= EKK I/3), S. 100. Zimmermann, Geschlechtsmetaphorik (Anm. 43), S. 55. 60 Nachsynodales Schreiben Sacramentum caritatis vom 22. Februar 2007 von Papst Benedikt XVI. (Nr. 27). 61 Ebd. Nr. 28. 62 Vgl. dazu Faramerz Dabhoiwala, The Origins of Sex. A History of the First Sexual Revolution, London 2012 (Deutsche Übersetzung von Esther und Hainer Kober: Lust und Freiheit. Die Geschichte der ersten sexuellen Revolution, Stuttgart 2014). 63 Vgl. dazu Jellouschek, Die Kunst als Paar zu leben, S. 147: „Eine neue Religiosität, die sich als Erfahrungsweg versteht, wie es in den meditativen Bewegungen heute der Fall ist, könnte eine Wende einleiten: Sie könnte helfen, dass die Partnerliebe von übersteigerten Erwartungen befreit – in diesem Sinne ,entmythologisiert‘ – wird und dennoch in der Gesamtperspektive der menschlichen Bestimmung einen religiösen Sinn und damit eine neue Tiefe zurückgewinnt.“ 59
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Der eigentliche Paradigmenwechsel im Umgang der Katholischen Kirche mit Geschiedenen und zivilrechtlich wiederverheirateten Geschiedenen hat meines Erachtens längst stattgefunden bzw. ist in unserer Zeit voll im Gange: Es ist ein Wechsel von der Mentalität der Verachtung hin zu einer Mentalität der Liebe und Wertschätzung. Hat sich rechtlich auch nichts geändert, so springt der Mentalitätswechsel jedem, der die einschlägigen Texte sorgfältig studiert und die Katholische Lebenswelt der zurückliegenden 50 Jahre aus eigener Erfahrung kennt, sofort in die Augen. Zudem ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es sich beim Ausschluss der wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen nicht um eine Kirchenstrafe handelt, auch wenn es von vielen so empfunden werden mag.64 Als Beleg für den Mentalitätswandel zitiere ich einen Text von Gerhard Ludwig Kardinal Müller, dem derzeitigen Präfekten der Glaubenskongregation. Er schreibt: „Wichtig ist dabei, dass es außer der sakramentalen Kommunion noch andere Weisen der Gemeinschaft mit Gott gibt. Verbindung zu Gott gewinnt man, wenn man sich ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe, in Reue und Gebet zuwendet. Gott kann den Menschen auf unterschiedlichen Wegen seine Nähe und sein Heil schenken, auch wenn sie sich in einer widersprüchlichen Lebenssituation befinden. Wie die neueren Dokumente des kirchlichen Lehramts durchgängig unterstreichen, sind die Seelsorger und die christlichen Gemeinden gerufen, die Menschen in irregulären Situationen offen und herzlich aufzunehmen, ihnen einfühlsam und helfend zur Seite zu stehen und sie die Liebe des Guten Hirten spüren zu lassen. Eine in Wahrheit und Liebe gründende Seelsorge wird dafür immer wieder neu die rechten Wege und Formen finden.“65
Genau das ist die Botschaft des Alten wie des Neuen Testaments: Gott wendet sich den Menschen zu, auch und gerade dann, wenn sie sich in widersprüchlichen Situationen befinden. Äußerlich gesehen mag der Ausschluss wiederverheiratet Geschiedener von der Kommunion diskriminierend erscheinen und von den Betroffenen auch tatsächlich so empfunden werden. Diese verständliche Gefahr sollte zum Anlass genommen werden, über die gängige Praxis des Kommunionempfangs neu nachzudenken. Nimmt man die einschlägigen kirchlichen Verlautbarungen zum Kommunionempfang ernst, müsste der in sonntäglichen Gottesdiensten zu beobachtende Brauch, dass gewöhnlich alle Anwesenden zur Kommunion gehen, verwundern. Fände man hier wieder zu einer differenzierenden Praxis zurück, würde sich das eingangs genannte Problem äußerlich gesehen weitgehend auflösen. Hinzu kommt, dass an den besonders stark besuchten Gottesdiensten der Hochfeste die am Ort versam64 „Diese Norm hat nicht den Charakter einer Strafe oder irgendeiner Diskriminierung der wiederverheirateten Geschiedenen, sie bringt vielmehr eine objektive Situation zum Ausdruck, die als solche den Hinzutritt zur heiligen Kommunion unmöglich macht“ (Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der Katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen vom 14. September 1994, Nr. 4). 65 Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Zeugnis für die Macht der Gnade: über die Unauflöslichkeit der Ehe und die Debatte in Bezug auf die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente, in: Robert Dodaro OSA (Hrsg.), ,In der Wahrheit Christi bleiben‘: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Würzburg 2014, S. 128.
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melte Gemeinde dem aus Ägypten ziehenden Volk Israel gleicht, dem sich viele Fremde angeschlossen haben, „ein gemischter Haufen anderer Leute“ (Ex 12,38: vulgus promiscuum innumerabile). Das ist einerseits erfreulich, sollte aber doch zu bedenken geben, ob es nicht dem Wohlbefinden aller Teilnehmer zugute kommt, im Hinblick auf einzelne Akte gottesdienstlicher Handlungen zu einer den einzelnen Teilnehmern entsprechenden differenzierten Form der Teilnahme zu ermutigen. In vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens sind solche Differenzierungen selbstverständlich, und niemand käme auf die Idee, sie als diskriminierend zu empfinden. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens werden wir ermahnt, Diversitätskompetenz zu entwickeln. Warum sollte es in der Kirche anders sein? Im Alten wie im Neuen Testament wird bezeugt, dass sich Gott den Menschen in unterschiedlicher Weise zuwendet. Fände man auf diese Weise zu einer neuen Kultur eines differenzierten Miteinanders, könnten wiederverheiratete geschiedene Gläubige gerade aufgrund ihrer Lebensgeschichte zu einer großen Bereicherung des Gemeindelebens führen. Die Samaritanerin am Jakobsbrunnen, zu der Jesus sagt: „Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann“ (Joh 4,18), wird zur Verkünderin des Evangeliums: „Viele Samaritaner aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe“ (Joh 4,39). Mit dieser Lösung kommt eine alte theologisch-geistige Einsicht wieder zur Geltung. Sie ist leider in den zurückliegenden Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten.66 Die gegenwärtige Diskussion eröffnet die Möglichkeit, einige grundlegende Fragen des geistigen Lebens der Kirche theologisch neu aufzurollen. An dieser Stelle können nur wenige Hinweise gegeben werden. Meister Eckhart sagt, es gibt unterschiedliche Weisen, in denen der Mensch Gott empfangen kann. Die Einheit mit Gott kommt durch die rechte innere Gesinnung und den Verzicht auf den Eigenwillen zustande und nicht durch das trotzige Beharren auf dem Wunsch, Gott in einer bestimmten Weise empfangen zu wollen.67 Der Verzicht auf die bestimmte Weise 66 Vgl. Bardo Weiß, Geistliche Kommunion. Eine Hilfe für wiederverheiratet Geschiedene?, in: Theodor Schneider (Hrsg.), Geschieden, wiederverheiratet, abgewiesen? Antworten der Theologie, Freiburg 1995, S. 226 – 235. Paul-Werner Scheele, Die geistliche Kommunion, eine Hilfe für viele, in: Klaus Lüdicke/Rüdiger Althaus/Matthias Pulte (Hrsg.), Kirchenrecht und Theologie im Leben der Kirche. Festschrift für Heinrich J. F. Reinhardt, Essen 2007, S. 571 – 578. Scheele plädiert nach einem theologiegeschichtlichen Überblick (Augustinus, Thomas von Aquin, Thomas von Kempen, Franz von Sales, Karl Rahner, Konzil von Trient, Catechismus Romanus 1846, Pius XII. mit Mediator Dei et hominum) für die Wiederbelebung der geistlichen Kommunion als echter Lösung für die Kommunionproblematik im Zusammenhang mit wiederverheiratet Geschiedenen und bezeichnet diese näherhin sogar als „Schatz auch in unseren Tagen“. 67 „Hafte Gott an, so hängt er dir alles Gutsein an. Suche Gott, so findest du Gott und alles Gute (dazu). Ja, fürwahr, du könntest in solcher Gesinnung auf einen Stein treten, und es wäre in höherem Grade ein gottgefälliges Werk, als wenn du den Leib unseres Herrn empfingest und es dabei mehr auf das Deinige abgesehen hättest und deine Absicht weniger selbstlos wäre“ (Reden der Unterweisung, Nr. 5 „Beachte, was das Wesen und den Grund gut macht“, in: Werke, Bd. II (hrsg. von N. Largier), Frankfurt a. M. 2008, S. 345, bzw. in: Die deutschen
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des sakramentalen Kommunionempfangs würde die Anerkenntnis zum Ausdruck bringen, dass man sich dem Urteil der Kirche zufolge in einer irregulären Situation befindet. Die Empfehlung zur geistlichen Kommunion, der Kommunion mit Christus durch die anderen Weisen seiner universalen Inkarnation, würde demgegenüber zum Ausdruck bringen, dass man sich dem überantwortet, der allein das endgültige Urteil über die eigenen Handlungen fällen wird. Beiden Aspekten wäre somit Genüge getan: der Disziplinargewalt der Kirche, die den Gläubigen zu verstehen gibt, dass nicht alle ihre Handlungen einfach gebilligt werden können, zugleich aber auch dem Umstand, dass die Kirche eben nur die Kirche und nicht Gott selbst ist. Im Konflikt mit den Magdeburger Domherren befürchtete die heilige Mechthild von Magdeburg zeitweilig vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen zu werden. In dieser Bedrängnis vernahm sie die tröstende Stimme der Braut des Hoheliedes, die sie auf die reine Liebe verwies: „Liebe Gespielin, wenn das geschieht, dass man die Weinkammer schließt, dann musst du auf die Straße hinaus, hungrig, arm, nackt und so verachtet, dass du von der Speise des christlichen Lebens nicht mehr behältst als nur den Glauben. Kannst du dann (noch) minnen, dann verdirbst du nimmer.“68
Wer die Kommunion geistlich empfängt, ist eins mit Christus, bemerkt Walter Kardinal Kasper völlig zu Recht.69 Genau das ist der Sinn der Heiligen Kommunion: Werke, Bd. V, Stuttgart 1963, S. 199 f. Ferner: „Dieses Empfangen und selige Genießen des Leibes unseres Herrn hängt nicht nur am äußeren Genuss, sondern liegt auch im geistigen Genuss mit begehrendem Gemüt und in andachtsvoller Einung. Dies kann der Mensch so vertrauensvoll empfangen, dass er reicher an Gnaden wird als irgendein Mensch auf Erden. Dies kann der Mensch tausendmal am Tag und öfter vollziehen, er sei, wo er wolle, ob krank oder gesund. Jedoch soll man sich wie zum Sakramentenempfang dazu bereiten und nach der Weise guter Verordnung und entsprechend der Stärke des Verlangens. Hat man aber kein Verlangen, so reize und bereite man sich dazu und halte sich dementsprechend, so wird man heilig in der Zeit und selig in der Ewigkeit, denn Gott nachgehen und ihm folgen, das ist Ewigkeit“ (Reden der Unterweisung, Nr. 20: „Von unseres Herren Leib, dass man den oft empfange soll, und in welcher Weise und Andacht“; in: Werke Bd. II, S. 403). 68 Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit. Zweite, neubearbeitete Übersetzung mit Einführung und Kommentar von Margot Schmidt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, III, 4 (S. 87). Vgl. dazu Hildegund Keul, Mechthild von Magdeburg. Poetin – Begine – Mystikerin, Freiburg 2007, S. 116 f. 69 Walter Kardinal Kasper, Das Evangelium von der Familie. Die Rede vor dem Konsistorium, Freiburg 2014, S. 61 f., weist jedoch auch auf das Problem dieser Lösung hin: „Sie wirft jedoch Fragen auf. Denn wer die geistliche Kommunion empfängt, ist eins mit Jesus Christus; wie kann er sich dann im Widerspruch zum Gebot Christi befinden? Warum kann er dann nicht auch die sakramentale Kommunion empfangen?“ Hier ist meines Erachtens die Dogmatik gefordert, zu einem vertieften Verständnis der Eucharistie zu gelangen. Vgl. als eine philosophisch und theologisch fundierte Anregung dazu: Martina Roesner, Verwandelnder Blick. Meister Eckharts spekulative Deutung der eucharistischen Realpräsenz, in: ThPh 89 (2014), S. 86 – 112, hier S. 111: „Aufgrund seines wesentlich dynamischen metaphysischen Grundmodells spricht Eckhart denn auch weit weniger von ,Realpra¨ senz‘ als vielmehr von ,Wandlung‘, ,Verwandlung‘, ,Umwandlung‘ und transformatio, deren Anwendungsbereich gerade nicht auf die Eucharistie als einen vom Gla¨ ubigen unterschiedenen, heilsvermittelnden Gegenstand eingeengt wird, sondern sich in allen Bereichen der Natur vollzieht und in der
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eins zu werden mit Christus. Papst Benedikt XVI. hält es also für möglich, dass wiederverheiratet geschiedene Gläubige in der geistlichen Kommunion eins werden mit Christus. Genau so ist es. Vor diesem Hintergrund gewinnt das schöne Wort des Psalmisten eine überraschend neue und zutiefst Trost spendende Bedeutung: „Du legst mir größere Freude ins Herz als andere haben bei Korn und Wein in Fülle“ (Ps 4,8).
unmittelbaren Überformung des Menschen durch das ungeschaffene, akzidenslose Ich Gottes gipfelt. Die sakramentale Weise der Begegnung mit Gott ist daher nicht von grundsa¨ tzlich anderer Art als die intellektuelle Erkenntnis der Vollkommenheiten, die schon von Natur aus allen Dingen unmittelbar innewohnen. Sie hat allerdings insofern eine wesentliche Funktion, als sie diese unmittelbare Gegenwart Gottes in allen Dingen sowie die durch den Logos verbu¨ rgte, universale Transformationskraft der Natur auf exemplarische Weise sichtbar macht, sodass der Mensch dadurch seiner eigenen Vernunftnatur innewird und sich als Teil von Gottes Selbsterkenntnis begreift.“ Martina Roesner weist ebd., S. 89 – 96, auf die Grenzen der Sakramentenlehre Thomas von Aquins hin. Ob diese im Rahmen eines poetischen Zugangs geweitet werden können, dazu vgl. Jan-Heiner Tück, Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin, Freiburg 32014.
Wie unauflöslich ist die Ehe? Zum Umgang der Kirchen mit Scheidung und Wiederheirat Andreas Weiß
I. Annäherung an den Jubilar „Die Wesenseigenschaften der Ehe sind die Einheit und die Unauflöslichkeit.“1 Zusammen mit Hans Heimerl kommentiert Helmuth Pree in seinem Lehrbuch diese Aussage des universalen Gesetzgebers folgendermaßen: „Jede Ehe, auch die nichtchristliche, ist ihrem Wesen nach unauflöslich. […] Von diesem Prinzip der Unauflöslichkeit kennt das katholische Kirchenrecht aber Ausnahmen: Die nichtsakramentalen Ehen und die nichtvollzogenen Ehen. Scheidet man diese unter Umständen lösbaren Ehen aus, bleibt eine Kategorie von Ehen, die unter dem Prinzip der absoluten Unauflöslichkeit steht: Eine vollzogene Ehe zweier Getaufter kann durch keine menschliche Gewalt, außer den Tod, aufgelöst werden (c. 1141).“2 Aus diesem in der Diktion eines Lehrbuchs knapp und trefflich formulierten Befund ist zunächst ablesbar: Jede Ehe, sofern sie diesen Namen mit Recht trägt, ist unauflöslich. Und dennoch scheitern Ehen, auch von Gott im Sakrament begleitete. Die meisten Menschen in dieser Situation lassen sich zivilrechtlich scheiden, nicht wenige heiraten danach wieder. Das führt zu vielen Fragen: Was bedeutet z. B. die Aussage, die Ehe sei „ihrem Wesen nach“ unauflöslich, wenn gleichzeitig „Ausnahmen“ dazu im Gesetzbuch stehen? Kann vom Wesen der Ehe etwas herausgenommen werden, ohne jenes zu verändern? Können Ehen überhaupt unwiderruflich zerbrechen? Sind die auflösbaren Ehen vielleicht keine echten Ehen, weil ihnen in ihrer Substanz etwas zum Wesen einer wahren Ehe Unabdingbares fehlt? Weiter: Was meint „unter Umständen“? Soll damit auf die Voraussetzungen abgehoben werden, die zur möglichen Auflösung vorliegen müssen? Oder klingt hier ganz vorsichtig die Frage an, ob 1
Cc. 1056 CIC/1983; 776 § 3 CCEO. Dem Beitrag liegt ein Vortrag zugrunde, den der Autor am 9. Dezember 2013 vor dem Forum Katholischer Juristen im „Haus der Diözese ,Stella Maris‘“ in Stuttgart und in ähnlicher Themenstellung auf dem Haus der Katholischen Deutschen Studentenverbindung Cheruskia im CV zu Tübingen am 8. Juli 2014 gehalten hat. 2 Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, Wien/ New York 1983, S. 259 (Hervorhebungen im Original). Im Hinblick auf cc. 1149 CIC/1983 und 860 CCEO wäre der letzte Satz des Zitats leicht zu präzisieren: Nur diejenige Ehe ist absolut unauflösbar, außer durch den Tod, die als sakramentale Ehe auch geschlechtlich vollzogen worden ist.
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der in der Katholischen Kirche beschrittene Weg überhaupt plausibel ist und wie diese Praxis sich zum „Prinzip der Unauflöslichkeit“ der Ehe verhält? Gibt es vielleicht plausiblere Wege? Und welchen feinen Sinn transportiert es, dass das Wort „Prinzip“ für jede Ehe kursiv gesetzt ist („Prinzip der Unauflöslichkeit“), bei den Ausnahmen jedoch nicht („Prinzip der absoluten Unauflöslichkeit“)? Gibt es etwa zwei Prinzipien der Unauflöslichkeit? Oder ein Prinzip mit Unterteilungen? Im folgenden Beitrag sollen Überlegungen zur Unauflöslichkeit der Ehe nach der Scheidung derselben und der Wiederheirat eines Partners zu Lebzeiten seines früheren Gatten angestellt und dem Jubilar zu seinem 65. Geburtstag gewidmet werden. Der Autor hofft, mit den folgenden Zeilen das Weiterdenken in dem einen oder anderen Fragenkreis der gegenwärtigen innerkatholischen Debatte um Ehe und Familie zu befruchten und so einen kleinen Baustein für eine hilfreiche Lösung beizusteuern.
II. Einleitung Quer durch alle großen christlichen Konfessionen hindurch wird die Unauflöslichkeit als zur Ehe gehörend betont, und zwar in Verlautbarungen kirchenamtlicher Art3 ebenso wie in theologischen Abhandlungen.4 Während aber die katholische Kirche wegen der im unwiderruflichen Konsens der Partner wurzelnden Unauflöslichkeit5 jede Möglichkeit einer Anerkennung der zivilrechtlichen Scheidung als Ende der Ehe von sich weist und das Eingehen einer neuen Verbindung nur nach Annul-
3 Katholisch gesamtkirchlich z. B. DH 1807; Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute v. 22. November 1981 (= VApSt 33), Bonn 1981, Nr. 20; Congr. DocFid, Epistula ad Catholicae Ecclesiae Episcopos de Receptione Communionis Eucharisticae a fidelibus qui post divortium novas inierunt nuptias diei 15. Octobris 1994, Nr. 10, in: AAS 86 (1994), S. 974 – 979, hier S. 978; dt.: Zur Seelsorge mit wiederverheirateten Geschiedenen. Hrsg. v. den (Erz-)Bischöflichen Ordinariaten der Oberrheinischen Kirchenprovinz, Freiburg/Mainz/RottenburgStuttgart 1994, S. 7 – 15; KKK, Nrn. 1610, 1614 u. 1646, in: Ecclesia Catholica: Katechismus der Katholischen Kirche, München/Wien/Leipzig/Freiburg(Schweiz)/Linz 1993, S. 433 f. u. 441 f. Teilkirchlich z. B. Gemeinsame Synode, Beschluss „Christlich gelebte Ehe und Familie“, Nrn. 1.2.2, 1.3.1 u. 3.5.1.1, in: Gemeinsame Synode Gesamtausg., S. 423 – 457, hier S. 427 f. u. 449 f.; Gemeinsames Hirtenschreiben der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz zur Pastoral mit Geschiedenen und wiederverheirateten Geschiedenen und Grundsätze für die seelsorgliche Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen und von wiederverheirateten Geschiedenen in der Oberrheinischen Kirchenprovinz v. 10. Juli 1993, in: Zur Seelsorge mit wiederverheirateten Geschiedenen (oben), S. 9 – 10. 4 Z. B. wiederholt der jetzige Präfekt der Glaubenskongregation; vgl. Gerhard L. Müller, Zeugnis für die Macht der Gnade. Zur Unauflöslichkeit der Ehe und der Debatte um die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente, in: OssRom Nr. 43 v. 25. Oktober 2013, S. 8 – 9. 5 Auch wenn Müller, Zeugnis (Anm. 4), S. 8 verfänglich vom „Ideal der Unauflöslichkeit“ spricht bzw. vom „Ideal der Treue“ (S. 9), sieht er beide Wesenseigenschaften der Ehe doch in der Schöpfungsordnung begründet.
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lierung der „Vorehe“ oder Auflösung6 derselben kennt, akzeptieren nichtkatholische Kirchen und Kirchliche Gemeinschaften trotz ihres Bekenntnisses zur selben Unauflöslichkeit die Scheidung und dulden auch eine kirchliche Feier anlässlich der Wiederheirat eines Partners. Selbst wenn also das Regel-Ausnahme-Verhältnis als Ergebnis des katholischen Suchens um einen Weg für die Betroffenen der vielen staatlichen Scheidungen und der oft nachfolgenden Wiederverheiratung anzusehen ist, muss man doch zugleich konstatieren, dass damit nur ein äußerst begrenztes Spektrum des pastoralen Problemfeldes beackert werden kann. Nicht selten erwächst aus dieser Haltung der katholischen Kirche der Vorwurf einer unbarmherzigen Institution, die zu wenig Sensibilität für die Wunden zeigt, die eine Scheidung schlägt, ja der das Lebensschicksal des Menschen mehr oder weniger gleichgültig zu sein scheint. Das wirft die Frage auf: Wie ist trotz des einhelligen Bekenntnisses zur Unauflöslichkeit der Ehe eine so unterschiedliche Handhabung derselben in der Pastoral der christlichen Kirchen zu rechtfertigen?7 Wie unauflöslich ist die Ehe wirklich?
6 Beide Rechtswege sind voneinander zu trennen. Die Annullierung ist die in einem kirchlichen Gerichtsverfahren getroffene Feststellung, dass der Eheabschluss nicht gültig erfolgt ist und die Ehe demnach juristisch nie bestanden hat. Der Unterschied zur zivilrechtlichen Scheidung ist ebenso deutlich wie der zur kirchlichen Auflösung einer Ehe: Bei beiden Letztgenannten hat die Ehe nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich eine bestimmte Zeit bestanden, bei der Annullierung tat sie das nie. Kirchliche Annullierungen betreffen nur einen äußerst geringen Prozentsatz der geschiedenen Ehen, sind aber immerhin häufiger als die Auflösungen von Ehen nach kirchlichem Recht. In der Öffentlichkeit werden die beiden Möglichkeiten zur Eröffnung einer neuen kirchlichen Eheschließung oft nicht unterschieden, mitunter wird die kirchliche Auflösung von Ehen sogar ausdrücklich als „Ehescheidung“ bezeichnet und bewertet: Z. B. Richard Puza, Katholisches Kirchenrecht, Heidelberg 21993, S. 389 – 395; Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht, Freiburg 71988, S. 216 – 231; Martha Wegan, Ehescheidung. Auswege mit der Kirche, Graz/Wien/Köln 21983 – der Titel wurde in der überarbeiteten Neuauflage (Graz/Wien/Köln 1993) abgeändert in „Ehescheidung möglich? Auswege mit der Kirche“; Walter Kasper, Das Evangelium von der Familie. Die Rede vor dem Konsistorium, Freiburg 2014, S. 76. 7 Zum Folgenden bes. Matthäus Kaiser, Unauflöslichkeit und „Auflösung“ der Ehe nach kirchlichem Recht, in: Festg. Flatten, S. 27 – 43; ders., Auflösung unauflöslicher Ehen nach kirchlichem Recht?, in: Heiner Grote/Richard Puza/Matthäus Kaiser (Hrsg.), Beiträge zum Kirchenrecht (= Akademievorträge 16), Schwerte 1984, S. 39 – 52; ders., Können Ehen aufgelöst werden?, in: DPM 2 (1995), S. 39 – 67; Rudolf Weigand, Wie unauflöslich ist die Ehe? Kirchenrechtsgeschichtliche Aspekte einer aktuellen Problematik, in: Albert Franz (Hrsg.), Glauben – Wissen – Handeln. Beiträge aus Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft zu Grundfragen christlicher Existenz. Festschrift für Philipp Kaiser, Eichstätt, zum 65. Geburtstag, Würzburg 1994, S. 161 – 177; ders., Die Kirche und die wiederverheirateten Geschiedenen, in: AnzSS 107 (1998), S. 433 – 439; Gerhard Tenholt, Die Unauflöslichkeit der Ehe und der kirchliche Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in dogmatisch-dogmengeschichtlicher Perspektive, Münster 2001; Markus Güttler, Die Ehe ist unauflöslich! Eine Untersuchung zur Konsistenz der kirchlichen Eherechtsordnung (= MK CIC. Beihefte 34), Essen 2002.
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III. Unterschiedliche Wege Oft herrscht die Meinung vor: Allein die katholische Kirche hält an der Unauflöslichkeit der Ehe kompromisslos fest. Der Staat hingegen, aber auch die anderen Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften kennen die Scheidung und Auflösung von Ehen und arbeiten mit diesem Instrumentarium, so denken viele. Hier ist zu differenzieren: Der Staat scheidet tatsächlich in einem Gestaltungsurteil eine gescheiterte Ehe, d. h. er trennt jetzt nach soundso vielen Jahren des Bestehens der Ehe die bisherigen Gatten juristisch. Aber weder die orthodoxen und altorientalischen Kirchen des Ostens8 noch die aus der Reformation im 16. Jh. hervorgegangenen Glaubensgemeinschaften9 des Westens scheiden eine Ehe oder lösen Ehen auf. Auch wenn sie 8
In der Orthodoxie variierten die „Scheidungsgründe“ im Laufe der Geschichte teilweise von Ort zu Ort. Die heute angewandten Gründe werden in die Kategorien „cum damno/mit Verschulden“ („Porneia“ wird zum Inbegriff aller Formen schlechten Lebenswandels – z. B. sexuelle Perversionen, skandalöses Leben, Verleitung zur Unzucht, verleumderische Anschuldigung des Ehebruchs, Lebensbedrohung durch den Gatten, Abtreibung eines Kindes, böswilliges Verlassen) und „sine damno/ohne Verschulden“ (z. B. physische Impotenz, Verschollensein des Ehegatten, schwere psychische Erkrankung, Mönchsgelübde, Bischofsweihe, Behinderung des christlichen Ehelebens oder Abfall vom Christentum, Aussatz) unterschieden. Nicht mehr angewandt werden die Scheidungsgründe Heben des eigenen Kindes aus der Taufe (gezielte Einnahme der Patenstelle durch Eltern, um später die Scheidung zu ermöglichen) und Hochverrat (Konzession an staatliche Ehegesetzgebung im oströmischen Reich). In der griechisch-orthodoxen Kirche werden heute die zivil geschiedenen Ehen nahezu unbesehen einer weiteren kirchlichen Heirat zugeführt, was einer faktischen Abschaffung der anerkannten „Scheidungsgründe“ gleichkommt und der Schrift und der Tradition der Kirchenväter ebenso wie dem Kanonischen Recht widerspricht. Vor allem dieser eingerissene Missbrauch dürfte der Grund sein, weshalb immer wieder Stimmen die orthodoxe Praxis des Umgangs mit gescheiterten Ehen als nicht nachahmenswert bezeichnen. Ein Katalog relativ moderner Ehescheidungsgründe findet sich in der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche aus dem Jahr 2000 (X.3.), welche die „Erklärung über die Gründe zur Auflösung des von der Kirche gesegneten Ehebundes“ des Landeskonzils dieser Kirche aus dem Jahr 1918 als geltendes Recht ausweist. 9 Walter Kasper, Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg 2011, S. 237 nennt sie in Anlehnung an die Erklärung Dominus Jesus der römischen Kongregation für die Glaubenslehre v. 6. August 2000 „Kirchen in einem anderen Sinn“. Da die Unterschiede im Kirchenverständnis der einzelnen Konfessionen in dieser Untersuchung nicht relevant sind, wird folgend vereinfachend der Begriff Kirche für alle christlichen Glaubensgemeinschaften gebraucht. Ein Blick in die Ordnung der kirchlichen Trauung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zeigt, dass sich diese „Kirche“ bis heute nicht leicht tut, standesamtlich wiederverheiratete Geschiedene kirchlich zu trauen. Dort ist eine eingehende Prüfung der Situation verlangt, die eine Zustimmung zur Trauung keineswegs vorhersehen lässt. In § 7 der Trauordnung heißt es: „Wenn ein geschiedener Ehegatte wieder heiratet, kann aus besonderen seelsorgerlichen Gründen die kirchliche Trauung auf Wunsch beider Brautleute vom Dekanatamt genehmigt werden. Die Tatsache, dass ein Ehegatte oder beide geschieden sind, wird bei der Trauung nicht verschwiegen. […] Bei der Prüfung der Frage, ob besondere seelsorgerliche Gründe vorliegen, ist darauf zu achten, dass die Brautleute die Ehe als eine nach Gottes Schöpferwillen lebenslange Gemeinschaft anerkennen. Der geschiedene Ehegatte muss bereit sein, eigene Schuld zu bekennen, fremde Schuld zu vergeben und im Vertrauen auf Gottes Vergebung sich auf einen Neuanfang einzulassen. Für die Bejahung der besonderen
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das Erlöschen von Ehen durch eine Art moralischen Tod kennen, betrachten sie sich nicht als Instanzen, die selber Rechtsakte setzen oder sich formell ein Recht auf Scheidung und Wiederheirat zusprechen, sie agieren eher therapeutisch: Indem sie in der staatlichen Scheidung die äußere Bestätigung der durch menschliche Hindernisse in ihrer Entfaltungskraft blockierten göttlichen Gnade erblicken, wodurch die Partner selbst ihre Ehe zerstört haben, können sie Wiederverheiratete zu einer liturgischen Feier anlässlich der neuen Eheschließung mit einem anderen Partner zulassen, genauer gesagt: Sie betrachten staatliche Scheidung und Wiederheirat als durch die Macht der Sünde und der Endlichkeit allen menschlichen Vermögens bedingte Verstöße gegen Gottes Ordnung, dulden diese Schritte aber als unter gewissen Umständen hinzunehmende Notlösung, ja tolerieren sie sogar als „soteriologischen Weg für den Sünder“10, den die Kirche niemals fallen lassen darf. Orthodoxe, aber auch Lutheraner, Reformierte und Anglikaner können die absolute Unauflöslichkeit11 der Ehe als Rechtsnorm, wie sie das kanonische Recht für die sakramentale und vollzogene Ehe vertritt, nicht akzeptieren, weil diese die menschliche Freiheit, sich gegen Gottes Gebot und Willen zu entscheiden, die Hartherzigkeit des Menschen (Mk 10,5; Mt 19,8) nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt. In der ostkirchlichen Tradition hat sich deshalb neben dem Grundsatz der Akribeia, der strengen Befolgung der reinen Lehre, das Prinzip der Oikonomia12 herausgebildet, der Grundsatz der analog seelsorgerlichen Gründe ist erschwerend, wenn der frühere Ehegatte noch lebt, ohne wieder geheiratet zu haben. Eine besonders sorgfältige Prüfung ist erforderlich bei Eheleuten, die miteinander die frühere Ehe gebrochen haben, und desgleichen gegenüber dem Ehegatten, der durch Ehebruch zur Scheidung der früheren Ehe Anlass gegeben hat. Dies gilt ebenso gegenüber wiederholt Geschiedenen. Das Traugespräch sollte klären, ob die Trauung insofern seelsorgerlich begründet ist, als gerade durch sie eine notwendige Hilfe für die neue Ehe gegeben werden könnte.“ Martin Luther, Vom ehelichen Leben, WA 10/2, S. 278 f. u. S. 287 – 290 sah einen Grund zur Anerkennung der weltlichen Scheidung mit der Möglichkeit zur Wiederverheiratung bei sexueller Unfähigkeit und Unfruchtbarkeit eines Ehepartners, außerehelichem Geschlechtsverkehr, Nichterfüllung der ehelichen Pflichten und versagter Versorgung der eigenen Familie. Ohne Wiederverheiratungsmöglichkeit sollte nach ihm eine Scheidung aufgrund unheilbarer Zerrüttung bleiben (Martin Luther, Von Ehesachen, WA 30/3, S. 243). 10 Anastasios Kallis, Mysterium der Liebe. Ein Beitrag zum orthodoxen Eheverständnis, in: Hanns Engelhardt (Hrsg.), Die Kirchen und die Ehe, Frankfurt a.M. 1984, S. 44 – 55, hier S. 54; vgl. Matthäus Kaiser, „Eine rechtlich ungültige Ehe kann eine sehr glückliche sein …“, in: HK 40 (1986), S. 20 – 25, hier S. 22. 11 Zu den wesentlichen Entwicklungslinien der Unauflöslichkeitslehre und ihrer rechtlichen Handhabung vom neutestamentlichen Befund bis in die Gegenwart vgl. ausgiebig Tenholt, Unauflöslichkeit (Anm. 7), S. 17 – 206; bis zur Reformation vgl. ebenso Karl-Heinz Selge, Ehe als Lebensbund. Die Unauflöslichkeit der Ehe als Herausforderung für den Dialog zwischen katholischer und evangelisch-lutherischer Theologie (= AIC 12), Frankfurt a.M./ Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1999, S. 37 – 76. 12 Oikonomia ist die „heilschaffende Herablassung, die den Menschen, der gesündigt hat, rettet, indem sie eine haltende Hand ausstreckt, um die Gestrauchelten aufzurichten; Ökonomie ist eine Nachahmung der Liebe Gottes zu den Menschen“ – so Patriarch Nikolaos Mystikos von Konstantinopel (in: PG 111, 212 f.; zitiert nach Rudolf Prokschi, Pastoral für wiederverheiratete Geschiedene. Ist ein neuer Anfang nach dem Beispiel der orthodoxen Kirche
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der göttlichen Barmherzigkeit geübten Nachsicht mit der menschlichen Schwäche. Man gewährt dort in menschlicher Umsetzung der göttlichen Handlungsweise der Lehre der Kirchenväter Origenes13, Basilius des Großen14 und Gregor von Nazianz15 folgend den beiden miteinander gescheiterten Ehegatten, also auch dem am Zerbrechen der Ehe (hauptsächlich) schuldigen Partner, Versöhnung und Sakramentenempfang als rettende Planke des Heils.16 Diese Pastoral der Nachsicht schließt die Toleranz/Duldung der gesetzlichen Zweit- und Drittehe – nicht jedoch eine amtliche Erlaubnis oder gar Legitimierung – nicht nur nach dem physischen Tod eines Gatten, sondern auch nach einer Scheidung mit ein, „um Schlimmeres zu verhüten“. Scheidung und neue Ehe werden dann toleriert, wenn die rein rechtlich erzwungene Fortsetzung der Ehe und die negativen Folgen daraus das Seelenheil der Betroffenen mehr gefährden würden als der Neuanfang in einer anderen Beziehung. Die orthodoxe und evangelische Tradition verweigern deshalb auch die liturgische Begleitung Geschiedener nicht grundsätzlich, wobei sich die kirchliche Feier anlässlich der zweiten und dritten Eheschließung im orthodoxen Bereich zumindest nach den Vorschriften deutlich von der ersten und eigentlichen Trauung unterscheidet.17 Walter Kasper sieht „gute Gründe zu der Annahme, dass die ostkirchliche Praxis gegen den Rigorismus der Novatianer durch das Konzil von Nikaia (325) bestätigt wurde.“18 Die lateinische Kirche hingegen stützt sich in ihrer heutigen Disziplin19 möglich?, in: StdZ 221 [2003], S. 531 – 545, hier S. 536). Hamilcar S. Alivizatos, Die Oikonomia. Die Oikonomia nach dem kanonischen Recht der Orthodoxen Kirche, hrsg. mit einer Einleitung von Andréa Belliger, Frankfurt a.M. 1998, S. 86 bezeichnet die Oikonomia als „vorsichtige und kluge Bewertung der Umstände zur bestmöglichen Vermeidung eines Ärgernisses und des persönlichen Kummers der unmittelbar Betroffenen, aber hauptsächlich zur Vermeidung der Schaffung eines schlechten Präzedenzfalles, der, wenn er sich in irgendeiner Form etablieren würde, in der Kirche viel Unheil anrichten könnte.“ Das Zitat verrät, dass die heutige Umsetzung der Oikonomia in der pastoralen Praxis der orthodoxen Kirchen mehr Fragen hinsichtlich der Übertragbarkeit auf die Katholische Kirche aufwirft als die theologischen Unterschiede. 13 Origenes, Commentarium in evangelium secundum Matthaeum XIV, 23 hält eine pastorale Duldung der Wiederheirat zwar als schriftwidrig, jedoch zur Vermeidung noch größeren Übels für „nicht unvernünftig“; vgl. Eberhard Schockenhoff, Chancen zur Versöhnung? Die Kirche und die wiederverheirateten Geschiedenen, Freiburg 2011, S. 55 f. 14 Brief 188,4 u. 199,18; vgl. Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 58 – 60. 15 Rede 37,8. Zu nennen wäre auch Johannes Chrysostomos (Homilie 19, in: PG 61, 154 ff.). 16 Vgl. Konzil von Trient: DH 1542 u. 1672. 17 Bei einer zweiten oder dritten Eheschließung wird nach Sergius Heitz, Mysterium der Anbetung, III. Die Mysterienhandlungen der Orthodoxen Kirche und das tägliche Gebet der orthodoxen Gläubigen, Köln 1988, S. 182 f. „ohne Diskussion der Schuldfrage im Einzelnen […] im Verlobungsritus nach dem Tauschen der Ringe ein epikletisches Buß- und Absolutionsgebet des Priesters“ gesprochen; „eine vierte Eheschließung dagegen wird nicht mehr gekrönt.“ 18 Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 64. John Corbett/Andrew Hofer/Paul J. Keller/Dominic Langevin/Dominic Legge/Kurt Martens/Thomas Petri/Thomas J. White, Neue Vorschläge für die pastorale Sorge bezüglich der Geschiedenen und Wiederverheirateten: Eine theologi-
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auf die rigorosere Bibelauslegung des Hieronymus (um 347 – 419/20) und insbesondere auf die Ehelehre des Augustinus (354 – 430), vor allem seine Theorie vom Eheband. Sie kennt die Duldung von Zweit- und Drittehen nach dem Prinzip der Oikonomia in ihrer Lehre nicht; stattdessen hält sie akribisch an der Unauflöslichkeit der Ehe als Rechtssatz fest und praktiziert eine Wiederheirat zu Lebzeiten des früheren Gatten nur nach einer Auflösung der Vorehe. Diese handhabt sie rechtsgestaltend, d. h. durch amtliche Feststellung der vorliegenden Voraussetzungen; erst danach haben beide ehemaligen Gatten das Recht, mit einem neuen Partner eine Ehe einzugehen. Diese in unterschiedliche Richtung verlaufenden Entwicklungslinien haben sich jedoch erst im frühen Mittelalter herausgebildet, bis dahin dominierte eine Doppelstrategie den Umgang mit Scheidung und Wiederheirat in Ost und West. Vorherrschend war die Grundtendenz des biblischen Verbotes von Scheidung und Wiederheirat, die jedoch „in Grenzfällen aus Nachsicht mit der menschlichen Schwäche nach unter den gegebenen Umständen lebbaren Lösungen“20 suchte. In der Duldung flexibler Anpassungen ist eine schon im neutestamentlichen Gemeindeethos verankerte Entwicklung und mit Joseph Ratzinger eine zweite Linie des patristischen Überlieferungsbefundes festzumachen: „Unterhalb der Schwelle der klassischen Lehre, sozusagen unterhalb oder innerhalb dieser eigentlich die Kirche bestimmenden Hochform, hat es offensichtlich immer wieder in der konkreten Pastoral eine geschmeidigere Praxis gegeben, die zwar nicht als dem wirklichen Glauben der Kirche ganz konform angesehen, aber doch auch nicht schlechthin ausgeschlossen wurde.“21
Dies wird im lateinischen Westen gerne übersehen.
sche Bewertung (engl. Version angekündigt für Herbst 2014 in Nova et Vetera, dt. Version angekündigt in Forum Katholische Theologie), Übersetzung von Josef Spindelböck, S. 7 (Ms.) meinen, dass c. 8 von Nikaia I sich „auf den Irrtum der Novatianer über eine ,zweite‘ Ehe (bezieht), die für gewöhnlich als eine nach dem Tod eines Gatten verstanden wurde“ (Hervorhebung im Original). Diese Interpretation ist durch den Text (DH 127) nicht gedeckt. Die von Kardinal Kaspers Rede vor dem Konsistorium befeuerte Diskussion wird u. a. fortgeführt von Hermann Häring, Keine Christen zweiter Klasse! Wiederverheiratete Geschiedene – ein theologischer Zwischenruf, Freiburg 2014, der einzelne Überlegungen Kaspers als nicht weitgehend genug kritisiert. Das Ziel Härings ist aber die Weiterführung und Stärkung der Position Kaspers. 19 Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 61 vermutet aus dem Zeugnis des Hilarius von Poitiers (315 – 367) „für das 4. Jahrhundert zumindest in Teilen der westlichen Kirche eine ähnliche pastorale Notlösung, wie sie sich seit dieser Zeit in der Ostkirche auszubilden begann.“ 20 Ebd., S. 64. 21 Joseph Ratzinger, Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. Bemerkungen zum dogmengeschichtlichen Befund und zu seiner gegenwärtigen Bedeutung, in: Franz Henrich/ Volker Eid (Hrsg.), Ehe und Ehescheidung. Diskussion unter Christen (Münchner AkademieSchriften 59), München 1972, S. 35 – 56, hier S. 40 (Hervorhebungen im Original).
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IV. Was bedeutet Unauflöslichkeit? 1. Anthropologisch-theologisch Das Sprechen des II. Vatikanischen Konzils in seiner Konstitution „Gaudium et spes“ über die Unauflöslichkeit der Ehe ist eindeutig: Wiederholt wird die Ehe in GS 47 – 50 als unauflöslich bezeichnet, Hinweise auf Ausnahmen finden sich dort nicht. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist „ein verbindlicher Teil der Glaubenstradition der Kirche“ – sagt Walter Kasper –, und er fügt sofort die Warnung hinzu, dass man sie „nicht unter Berufung auf eine oberflächlich verstandene billige Barmherzigkeit aufheben oder aufweichen kann.“22 Anthropologisch gründet sie in der Einmaligkeit und Würde der beiden Personen, die sich frei zur Ehe miteinander entschieden haben und ihrer Liebe keine Grenzen setzen wollen. Die Unauflöslichkeit der Ehe als „unbegrenzte Bereitschaft zur gemeinsamen Zukunft“23 ist daher keine „normative Erwartung, die von außen an diese herangetragen würde; sie ist vielmehr eine Forderung, die die Ehepartner, indem sie ihrer Liebe vertrauen, an sich selbst stellen. […] Der eigentliche Grund, warum die Ehe eine auf das ganze Leben angelegte, ihrem Wesen nach unauflösliche Gemeinschaft ist, die eine unwiderrufliche Entschiedenheit der Partner füreinander verlangt, liegt darin, dass sie Ausdruck der personalen Wahrheit zweier Menschen ist, die sich gegenseitig in ihrem Personsein achten und anerkennen wollen. […] Weil der Mensch als Person auf endgültige Annahme hin angelegt ist und er in der Liebe um seiner selbst willen bejaht werden will, darf er nicht nur probeweise oder auf Zeit geliebt werden.“24 Die Unauflöslichkeit der Ehe entspricht also dem anthropologischen Grundbedürfnis nach Beständigkeit der Liebe, nach Solidarität ohne Bedingungen und Befristung und nach Tragfähigkeit in den Veränderungen des Lebens. Wer sie bejaht, eröffnet dem Partner und sich selbst mehr Lebensqualität allein schon in der Ermöglichung weiterer Realisierungschancen gemeinsamer Ziele. Insofern ist die Unauflöslichkeit der Ehe tatsächlich ein „Geschenk“25, das sich Mann und Frau mit ihrem Konsensaustausch selber machen und das Gott den Menschen entgegenkommend mit seiner Gnade begleitet. Theologisch gesehen erscheint die Unauflöslichkeit somit als eine „Gabe des Schöpfers“26, die in der göttlichen Schöpfungsintention gründet und sich in der personalen und unwiderruflichen Liebe der Gatten zueinander festmachen lässt. In den 22
Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 55. Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 81. 24 Ebd., S. 80 f. 25 „Relatio Synodi“ Nr. 14 (Schlussbericht der Außerordentlichen Bischofssynode zu Fragen der Ehe- und Familienpastoral) „Le sfide pastorali sulla famiglia nel contesto dell’evangelizzazione“ v. 18. 10. 2014, in: http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pub blico/2014/10/18/0770/03044.html [Stand: 07. 11. 2014), dt. in: Die Tagespost Nr. 127 / Nr. 43 ASZ v. 25. 10. 2014, Dokument S. 11 – 14, hier S. 12. In Nr. 21 ist jedoch formuliert, dass die Güter der Ehe – wozu die Unauflöslichkeit gehört – „als Verpflichtungen anzunehmen“ sind, „die durch die Hilfe der Gnade des Sakraments besser eingehalten werden können“ (S. 13). 26 Congr. DocFid, Epistola (Anm. 3), Nr. 10. 23
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zwei Schöpfungsberichten der ersten Kapitel des Buches Genesis, die programmatisch den Schöpfungsplan Gottes vor Augen stellen, erscheint die Gemeinschaft von Mann und Frau als res sacra, d. h. als eine natürliche Wirklichkeit, die zwei Menschen in eine Beziehung mit Gott bringt. Gott führt die Gatten zur ehelichen Gemeinschaft zusammen. Deshalb ist das Wesen der Ehe, ihre Natur menschlicher Verfügbarkeit entzogen. Diese besteht wesentlich in der Ausschließlichkeit (Einheit) und in der Vorbehaltlosigkeit. An vielen Stellen des Alten Testamentes wird die Ehe gerade deshalb als Zeichen für die unverbrüchliche Treue Gottes zu seinem Volk bzw. im Neuen Testament als Sinnbild der Einheit zwischen Christus und seiner Kirche27 gesehen. Doch schon in Genesis Kap. 3 folgt die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies als Folge der Aufkündigung des Bundes durch den Menschen. Es kommt zu vielerlei Entfremdungen und Zerwürfnissen unter den Menschen, zur Zerstörung von Beziehungen, so auch zur Untreue unter Ehegatten bis in den Stammbaum28 Jesu hinein und zur Ehescheidung. Letztere ist auch Metapher für das gestörte Verhältnis zwischen Jahwe und seinem Volk. Im Neuen Testament verwirft Jesus die zeitgenössische jüdische Scheidungspraxis29 und bringt die ursprüngliche Schöpfungsintention Gottes mit der Ehe30 neu zur Geltung. „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,9). Insbesondere der Mann hat nach Jesus – anders als in der Tora des Mose – kein Verfügungsrecht über das Bestehen seiner Ehe.31 Das Verbot der Ehescheidung wird vom Herrn im Kontext seiner Botschaft vom Anbruch des eschatologischen Gottesreiches thematisiert und kann als
27 Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 192: „Die christliche Ehe ist nicht deshalb unauflöslich, weil sie Sinnbild der Einheit zwischen Christus und der Kirche ist, sondern weil sie in sich unauflöslich ist, kann sie zum Sinnbild der in der Menschwerdung Gottes für immer verwirklichten Liebe Gottes zu den Menschen werden. Allerdings trifft diese Symbolfunktion nur auf die menschlich gelungene Ehe im vollen Sinn zu […]“ (Hervorhebungen im Original). Bernd J. Hilberath, Dogmatische Aspekte der Pastoral an wiederverheirateten Geschiedenen, in: Richard Puza/Stefan Ihli/Engelbert Frank (Hrsg.), Nach Scheidung im Recht. Die Rechtsstellung wiederverheirateter Geschiedener in der katholischen Kirche. Ein ortskirchlicher Entwurf, Tübingen 2001, S. 43 – 70, hier S. 56 ist zuzustimmen: „Wir sollten die Ehe nicht überfrachten und Gottes Liebe zu seinem Volk, die Liebe Christi zu seiner Kirche und die Liebe unter Menschen nicht ohne Differenzierung in einem Satz nennen.“ 28 Nach Mt 1,5 f. galten Tamar und die Frau des Urija als Sünderinnen. 29 Die Ehescheidung gehörte zur allgemeinen Rechtspraxis im Alten Orient. Mose hatte sie wegen der Hartherzigkeit des Menschen aus bestimmten Gründen erlaubt (Dtn 24,1 – 4), was sich allerdings im Laufe der Zeit sehr androzentrisch entwickelte mit großen Ungerechtigkeiten für die Frau. Kritik an der jüdischen Scheidungspraxis übten schon die Propheten, z. B. Mal 2,16: „Ich hasse die Scheidung, spricht der Herr, der Gott Israels. Darum nehmt euch in Acht in eurem Geist und brecht nicht die Treue.“ 30 „Relatio Synodi“ (Anm. 25), Nrn. 14 – 16. 31 Dazu Thomas Söding, In favorem fidei. Die Ehe und das Verbot der Ehescheidung in der Verkündigung Jesu, in: Markus Graulich/Martin Seidnader (Hrsg.), Zwischen Jesu Wort und Norm. Kirchliches Handeln angesichts von Scheidung und Wiederheirat (= QD 264), Freiburg/Basel/Wien 2014, S. 48 – 81, hier S. 54 – 59.
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authentisch gesichert32 gelten. Ist damit die Unauflöslichkeit der Ehe auch schon ein Rechtssatz, abgeleitet aus dem ius divinum positivum? In der Adaption der Weisung Jesu an die Herausforderungen der frühen Christengemeinden sehen wir erste neutestamentliche Hinweise auf die Möglichkeit der Trennung beider Gatten unter bestimmten Bedingungen. Für Markus und Lukas scheint das strenge Scheidungsverbot Jesu noch uneingeschränkt zu gelten. Aber bereits Matthäus konzediert die Scheidung, wenn die Frau Ehebruch begangen hatte (Mt 5,32). Dieser Evangelist versteht offensichtlich das Scheidungsverbot Jesu nicht als gesetzliche Weisung, die auf Biegen und Brechen durchzusetzen ist. War damit auch eine Wiederheirat eingeräumt? Auch wenn viele Exegeten dies v. a. mit dem Hinweis auf die Parallelstelle in Mt 19,9 nachvollziehbar bestreiten, kann doch nicht übergangen werden, dass Matthäus sich zu einer Abmilderung des jesuanischen Verbotes in einer bestimmten Situation befugt sieht. Und auch Paulus zitiert in 1 Kor 7,10 f. Jesu Weisung, dass es keine Scheidung geben soll, wendet dann aber in eigenem Namen das Jesuswort auf verschiedene Lebenssituationen an, die sich in der Großstadt Korinth für die Christinnen und Christen ergeben haben. Paulus sieht die Trennung dann als erlaubt an, wenn sie der Nichtchrist in seiner Ehe mit einem Getauften fordert und vollzieht. Dieses Zugeständnis ist seine nachsichtige Applikation des Herrengebotes an die oft undurchschaubare Lebenswirklichkeit und das Scheitern in Beziehungen, ist seine barmherzige Reaktion auf die menschliche Schwäche. Sie ist keinesfalls ein Ausfluss von Leichtfertigkeit des Völkerapostels oder gar der heimlichen Abschwächung des göttlichen Heilsplans einer unverbrüchlichen ehelichen Bindung33, die sich im jesuanischen Verbot der Ehescheidung manifestiert. Das unterscheidet sie von der „billigen Barmherzigkeit“: Echte Barmherzigkeit ist keine Verlegenheitslösung; sie dient vielmehr der Lebbarkeit des Jesuswortes in einer konkreten Notsituation durch die Schaffung einer Ausnahme von der theologisch geforderten Regel, mindert die extreme Belastung für gebrochene Menschen und wird so zum Motor eines veränderten Verhaltens. Dass Paulus in 1 Kor 7 auch die Möglichkeit einer Wiederheirat eingeräumt hat, lässt sich dem Text nicht direkt entnehmen. Unbestreitbar ist aber: Auch der Völkerapostel hat das Jesuswort zur Ehescheidung kreativ fortgeschrieben. Die Frage ist: Kann die Kirche unter der Führung des Gottesgeistes heute ähnliche Veränderungen vornehmen wie Matthäus oder Paulus? Der biblische Befund ergibt zusammengefasst folgendes Bild: Die Unauflöslichkeit der Ehe wird von Jesus schöpfungstheologisch begründet, daraus „folgen sowohl
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Die ursprüngliche Form der Aussage Jesu findet sich wohl in Mt 5,32 (ohne Unzuchtsklausel). 33 Paulus wiederholt zunächst in 1 Kor 7,10 im jesuanischen Sinn, dass sich die Eheleute nicht trennen sollen. Wenn aber eine Trennung erfolgt, erteilt er in Vers 11 die Weisung, unverheiratet zu bleiben oder sich wieder zu versöhnen. Das zeigt, dass Paulus das Scheidungsverbot Jesu ernst genommen hat.
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die ethische Maxime34 von Mk 10,9 par. Mt 19,6 […] als auch die eherechtliche Grundsatzbestimmung, die in verschiedenen Aggregatzuständen von Lk 16,18, Mt 5,31 f. und Mk 10,11 f. par. Mt 19,9 sowie 1 Kor 7,10 f. bezeugt wird. Die Aufgabe der Versöhnung bleibt bestehen, auch wenn die Ehe gebrochen worden ist; die Rückkehr in die erste Ehe ist das Ziel der Versöhnung, zu der auch diejenigen angehalten werden, denen Unrecht getan worden ist; christlich-heidnische Mischehen sind […] nicht um jeden Preis aufrechtzuerhalten, sondern mit dem Recht auf Wiederverheiratung zu scheiden, wenn sie wegen des heidnischen Partners oder der heidnischen Partnerin nicht im Glauben geführt werden können.“35 2. Was ist im Westen daraus geworden? Trotz des uneinheitlichen Praxisbefundes in der frühen Kirche setzte sich im kirchlichen Eheverständnis der schöpfungstheologisch verankerte und von Jesus bestätigte Anspruch der Unauflöslichkeit der Ehe durch und ist in der Tradition der christlichen Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften klar bezeugt. Katholischerseits wird mit dem Begriff „Wesenseigenschaft“ der Unauflöslichkeit eine Qualität zuerkannt, die für die Ehe so charakteristisch ist, dass die Unauflöslichkeit nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die bestehende Beziehung zwischen den Gatten nicht mehr als Ehe anzusehen wäre. Ihrem Wesen nach unauflöslich ist hier jede mit ausreichendem Ehewillen geschlossene Ehe, was sich schon an der fehlenden Spezifizierung im Hauptsatz der cc. 1056 CIC/1983 und 776 § 3 CCEO ablesen lässt. Dieser Befund deckt sich mit der Sicht des letzten Konzils. Jede Ehe, sofern sie eine ist, besitzt also nach theologischer und kanonistischer Lehre die Eigenschaft Unauflöslichkeit ihrer Natur nach. Im Hinblick auf die Ehe unter zwei Getauften unterstreichen dann beide Gesetzbücher im Nebensatz der genannten Normen, dass in der sakramentalen Ehe Einheit und Unauflöslichkeit „eine besondere Festigkeit“ erlangen. Begründet wird diese Aussage in der katholischen Doktrin damit, dass die christliche Ehe Abbild der liebenden Verbindung zwischen Christus und seiner Kirche ist.36 Hier stellt sich die 34 Einige Exegeten verstehen das jesuanische Scheidungsverbot ausschließlich als unverfügbare Rechtsnorm mit entsprechenden Konsequenzen. Häring, Keine Christen (Anm. 18), S. 169 stellt die „juridisch durchgesetzte Unauflöslichkeit der Ehe“ als unaufgebbaren Kern des Evangeliums massiv in Frage. Für ihn wird die Unauflöslichkeit bei einer gültigen Eheschließung „zur unbarmherzigen Falle, die die Scheidungswilligen nicht mehr freigibt“ (S. 125). 35 Söding, In favorem fidei (Anm. 31), S. 76 f. Es widerspricht einer soliden Schrifthermeneutik, den biblischen Befund von einer Einzelstelle her ermitteln zu wollen, wie dies z. B. im Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993, Nr. 1650 oder im Brief der römischen Glaubenskongregation v. 15. Oktober 1994 (Anm. 3) der Fall ist, leider auch in der „Relatio Synodi“ (Anm. 25), Nr. 14 (dort Mt 19,6). 36 Es darf nicht übersehen werden, dass das Verhältnis zwischen Unauflöslichkeit – Ehe und Jahwe – Israel bzw. Christus – Kirche bis über Augustinus hinaus als „motivierender, auf die ethischen Konsequenzen abzielender Vergleich“ verstanden wurde, erst später ist daraus
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Frage: Hat die Unauflöslichkeit unterschiedliche Qualität, je nachdem um welche Form einer Ehe es sich handelt? Ist sie steigerbar?37 Wie kann die Unauflöslichkeit, die grundsätzlich für jede gültige Ehe gilt, in der sakramentalen Ehe noch verstärkt werden? Von einer Abstufung der Unauflöslichkeit der Ehe liest man jedenfalls in den Texten des II. Vatikanischen Konzils nichts. Die genannte Aporie resultiert aus einer folgenschweren Umkehrung der augustinischen Argumentation, die lautete: Weil unauflöslich, deshalb Sakrament. Nur weil die Ehe unauflöslich ist, kann sie in der dogmatischen Tradition zum „sacramentum“ werden; weil sie in sich den Anspruch lebenslanger Treue enthält und als „Urform menschlicher Beziehungen eine besondere Weise ist, in welcher den Menschen Gnade und Heil zuteilwerden kann.“38 Obwohl die Ehe bereits ab dem 2. Konzil von Lyon (1276) zu den sieben Sakramenten gezählt wird, hat sich die Sakramentalität seit dem Tridentinum verselbständigt, „so dass jetzt der Begründungszusammenhang bei der Ehe zwischen Christen eher lautet: Weil Sakrament, deshalb unauflöslich.“39 Dass die Unauflöslichkeit dem kirchlichen Gesetzgeber vorpositiv vorgegeben ist, wird in c. 1134 CIC/1983 verdeutlicht: Demnach entsteht aus der gültigen Eheschließung zwischen den Gatten ein „vinculum matrimoniale“, das Eheband. Dieser von Augustinus40 her entwickelte Rechtsbegriff meint zunächst die Beziehung der Gatten miteinander, die die Ehe selbst ist. Diese wiederum geht aus dem frei getätigten Willen der Gatten hervor. Die Beziehung verlangt, will sie Ehe sein, die Zusage gegenseitiger Treue ein Leben lang, die in der Annahme als Mann und Frau, im Lieben, Achten und Ehren des Gatten um seiner selbst willen sich ausdrückt. Sie unterliegt einem menschlich hohen Anspruch und ist analog Gottes unverbrüchlicher Treuezusage zu den Eheleuten unwiderruflich. „Es ist Ermutigung und immer wieder neue Quelle der Kraft, inmitten der Wechselfälle des Lebens einander die Treue zu halten.“41 Der Begriff „Eheband“ schließt aber auch mit ein, dass Gott um die Partner ein Band in ihrer Eheschließung gelegt hat. Er segnet ihren Bund, bindet sich selber darin mit ein – und dennoch können die Menschen das Band zerreißen. In lateinischer Optik ist dieses Band freilich „natura sua perpetuum“, „seiner Natur nach lebenslang“42. Selbst wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht, dauert das vinculum matrimoniale rechtlich fort. Häring bezeichnet das als eine zwar „ju„eine ontologische und rechtliche Gegebenheit“ – so Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 2), S. 155 geworden. 37 Klaus Lüdicke, c. 1056, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: Juli 2006) verneint das und hält die Formulierung, dass die Unauflöslichkeit in der christlichen Ehe eine „Verstärkung“ erfahre, für problematisch. 38 Hilberath, Dogmatische Aspekte (Anm. 27), S. 55; Sabine Demel, Warum die Zulassung einer zweiten Ehe glaubwürdiger ist. Zum Problem der wiederverheirateten Geschiedenen, in: StdZ 136 (2011), S. 363 – 376, hier S. 367 f. 39 Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 2), S. 170. 40 De nuptiis et concupiscentia I,10,11; Sermo 392,2. 41 Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 38. 42 Klaus Lüdicke, c. 1134, in: MK CIC übersetzt „seiner Natur nach ewig“.
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ristisch praktikable, aber menschlich höchst simplifizierende Konstruktion“43. Der CCEO enthält bezeichnenderweise keine parallele Norm zu c. 1134 CIC/1983 – ein beredtes Schweigen zum problematischen Eheband? Bei einem Vergleich der Aussagen der cc. 1056 und 1134 CIC/1983 ist eine weitere Spannung nicht zu übersehen. In beiden Canones ist die Qualität der Unauflöslichkeit anders ausgesagt: In c. 1056 CIC/1983 wird der Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft der Ehe eine unterschiedliche Festigkeit zugeschrieben, je nachdem es sich um eine sakramentale Ehe oder um eine nichtsakramentale Ehe handelt. In c. 1134 CIC/1983 dagegen wird die Unauflöslichkeit von Natur aus und ohne Unterscheidung jeder Ehe in gleicher Weise44 zugesprochen. Schon dieser Unterschied lässt die Problematik der Theorie des Ehebandes samt der damit verbundenen verrechtlichten Unauflöslichkeit erahnen, ganz zu schweigen von den Zweifeln aus exegetischer und historischer Perspektive. Als historische Entwicklung zur Einordnung des kodikarischen Befundes ist zu bedenken: Die Lehre vom bestehenden Eheband setzte sich erst im 12. Jahrhundert durch Petrus Lombardus, Gratian und Papst Alexander III. endgültig durch. Davor steht z. B. das Zeugnis von Papst Gregor II. aus dem 8. Jahrhundert, der die Duldung einer Zweitehe in bestimmten Situationen als apostolische Lehre unterstreicht. Und ebenso ist nicht zu übersehen: Bei dieser Betrachtungsweise erscheint das Eheband sehr stark objektiviert und des personalen Bezugs enthoben. Beim Absterben der affektiven Liebe erleben es die gescheiterten Gatten als „eine Art metaphysische Hypostase“45 neben oder über ihrer erloschenen Liebe, als auferlegtes Joch und nicht als Lebenshilfe. Wohlgemerkt: Das Band drückt, nicht die Unauflöslichkeit an sich. In cc. 1085 § 1 CIC/1983 bzw. 802 § 1 CCEO wird das Eheband zur Rechtsfigur eines indispensablen Ehehindernisses. Ein Partner, dessen Lebensgemeinschaft mit dem ersten Partner zerbrochen ist, dessen Ehe in Konsequenz davon geschieden wurde, kann zu Lebzeiten seines früheren Partners nicht wieder heiraten, da er durch das Band der ersten Ehe gebunden bleibt. Dabei gerät u. a. die unterschiedliche normative Qualität von Aussagen der Bibel aus dem Blickfeld, wie sie heute von der Exegese als gesichert vertreten wird. Beinhalten Mk 10,9 und Mt 19,646 eine „moraltheologische Maxime, die allem Recht zugrunde liegt“47, oder ist das Logion Jesu zur 43
Häring, Keine Christen (Anm. 18), S. 72. Es ist eine Verniedlichung, wenn Müller, Zeugnis (Anm. 4), S. 8 davon spricht, dass die Ehe von Ungetauften lediglich auf die Unauflöslichkeit „hingeordnet“ sei – abgesehen vom inneren Widerspruch zur Begründung der Unauflöslichkeit in der Schöpfungsordnung im gleichen Artikel (dort Anm. 5). 45 Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 38. 46 „Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ 47 Söding, In favorem fidei (Anm. 31), S. 56; ähnlich bereits Gerhard Lohfink, Jesus und die Ehescheidung. Zur Gattung und Sprachintention von Mt 5,32, in: Helmut Merklein/Joachim Lange (Hrsg.), Biblische Randbemerkungen. Schülerfestschrift für Rudolf Schnackenburg zum 60. Geburtstag, Würzburg 1974, S. 207 – 217; Michael Theobald, Jesu Wort von der Ehescheidung. Gesetz oder Evangelium?, in: TThQ 175 (1995), S. 109 – 124, hier S. 114. 44
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Ehescheidung selber eine unverfügbare Rechtsnorm „kraft göttlichen (positiven) Rechts“48, aus der man entsprechende Konsequenzen ableitet?49
V. Auflösungsmöglichkeiten von Ehen im Recht des CIC/1983 und des CCEO Obwohl also die Unauflöslichkeit der Ehe dem Schöpfungswillen Gottes und der Lehre Jesu Christi entspricht, mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass es in beiden Gesetzbüchern der Katholischen Kirchen Bestimmungen zur Auflösung von Ehen gibt. Andererseits spiegelt sich darin der biblische Befund, dass eine Ehe nach Matthäus und Paulus nicht unter allen Umständen aufrechterhalten werden muss. Ein erster Hinweis auf eine Trennungsmöglichkeit findet sich bereits in den schon erwähnten cc. 1085 CIC/1983 bzw. 802 CCEO. Da wird zunächst geregelt, dass die bestehende Ehe ein trennendes Ehehindernis ist, so dass eine gültige Ehe nicht eingehen kann, wer durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist (§ 1). Dann aber wird hinzugefügt, dass die frühere Ehe aus irgendeinem Grund nichtig oder aufgelöst sein kann. In diesen Fällen ist eine neue Eheschließung erlaubt, wenn die Nichtigkeit bzw. die Auflösung der früheren Ehe rechtmäßig und sicher feststeht (§ 2). Hier ist zunächst zu beachten, dass beide Gesetzbücher unter der Überschrift „Trennung der Ehegatten“ einen eigenen Abschnitt „De dissolutione vinculi“50 kennen, dem dann jeweils ein weiterer folgt, überschrieben mit „De separatione manente vinculo“51. In letzterem finden sich cc. 1152 § 1 und 1153 § 1 CIC/1983 bzw. 863 § 1 und 864 § 1 CCEO, welche die Aufhebung der Lebensgemeinschaft der Ehegatten gegen den Willen des Partners durch Dekret des Ortsordinarius bzw. Ortshierarchen oder bei Gefahr sogar aus eigenmächtiger Entscheidung des unschuldigen Gatten erlauben. Hierzu muss eine „legitima causa“ vorliegen. Als solche werden ausdrück48 So im Kirchenrecht z. B. Norbert Ruf, Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonici für die Praxis erläutert, Freiburg/Basel/Wien 1983, S. 256. Für eine Interpretation als ethisches Gebot z. B. Wolfgang Trilling, Zum Thema: Ehe und Ehescheidung im Neuen Testament, in: ThG 74 (1984), S. 390 – 406 und Hans Heimerl/Helmuth Pree (in: Heimerl/Pree, Kirchenrecht [Anm. 2], S. 169). 49 Z. B. ergibt sich aus der Fortdauer des „vinculum matrimoniale“ die Folgerung, dass das Zusammenleben in einer nur zivilen Zweitehe ein objektiver, nicht lösbarer Widerspruch zur Lebensordnung der Kirche und damit eine schwere Sünde ist, die eo ipso den Ausschluss von den Sakramenten nach sich zieht; und der Geschlechtsverkehr mit dem neuen Partner nach einer Wiederheirat – auch in einer zivilrechtlich gültigen Zweitehe – wird amtlich als „dauernder, öffentlicher Ehebruch“ (KKK, Nr. 2384, S. 602) qualifiziert. Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 143 bezeichnet diese Sicht als „erratisches Relikt einer vergangenen Betrachtungsweise“, die der gegenwärtigen Ehetheologie nicht mehr entspreche (Stichwort Verantwortung der Partner vor ihrem Gewissen bis hin zur Gewissensverpflichtung als Motiv für die neue Heirat) und von den meisten Betroffenen als weltfremd abgelehnt werde. 50 Cc. 1141 – 1150 CIC/1983, 853 – 862 CCEO: „Lösung des Ehebandes“. 51 Cc. 1151 – 1155 CIC/1983, 863 – 866 CCEO: „Trennung unter Aufrechterhaltung des Ehebandes“.
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lich genannt nichtverziehener Ehebruch des Gatten, drohende schwere Gefahr für Seele oder Leib eines Ehegatten oder der Kinder durch die Person des anderen Gatten und auf andere Weise vom ehemaligen Ehepartner verschuldet herbeigeführte Unzumutbarkeit des Zusammenlebens. Diese Ursachen rechtfertigen die separatio der Eheleute selbst in einer sakramentalen Ehe, weil das Zusammenleben unter diesen Umständen „allzu hart“ geworden ist, begründen aber kein Recht auf Wiederverheiratung. Unauflöslichkeit bedeutet hier nicht die Unmöglichkeit der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern die Unmöglichkeit der Trennung der rechtlichen bzw. sakramentalen Bindung der Gatten aneinander. Die separatio ist in unseren Breiten seit der Einführung des Zerrüttungsprinzips im zivilrechtlichen Scheidungsverfahren aus der kirchlichen Praxis verschwunden. 1. „Lösung des Ehebandes“ durch den Tod eines Gatten? Dass durch den physischen Tod52 eines Gatten die Ehe aufgelöst wird, ist im geltenden Recht nur mehr beiläufig53 gesagt: Cc. 1141 CIC/1983 und 853 CCEO regeln, dass eine gültige und vollzogene Ehe unter Getauften „durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grund, außer durch den Tod, gelöst“ werden kann. Die Doktrin spricht von äußerer54 Unauflöslichkeit. Diese Aussage ist in der Logik eines primär vertragsrechtlichen Eheverständnisses plausibel, von dem das Gesetzbuch von 1917 geprägt war. Dann erscheint die Ehe als unauflöslicher Vertrag, zu Lebzeiten der Partner bleibt sie in Konsequenz davon ein eher „weltlich Ding“. Daran hat aber das II. Vatikanische Konzil deutliche Korrekturen angebracht, die in ihren zentralen Aspekten Eingang in den CIC/1983 und CCEO gefunden haben. Die Ehe wird nun im Bild des Bundes als ein komplexes Gebilde verstanden, das neben der weltlich-naturalen auch eine heilsgeschichtliche und -wirksame Dimension55 hat. Außerdem ist die frühere Sicht der Ehe anthropologisch nicht unproblematisch: Denn der Tod wandelt nach der Präfation der Totenmesse zwar das Leben und die Form der Verbundenheit von Mann und Frau, nimmt das „Lieben, Achten und Ehren“ des Gatten aber nicht weg oder hebt sie auf. Viele Ehegatten bezeugen das auch nach dem physischen Tod ihres Partners. Daher überrascht es keinesfalls, dass die Orthodoxe Kirche die 52 Vor der Zulassung zu einer neuen Eheschließung ist nach cc. 1701 CIC/1983 bzw. 1383 CCEO der Tod des früheren Gatten durch Vorlage einer authentischen Sterbeurkunde oder durch Todeserklärung nachzuweisen. Falls eine Todeserklärung irrtümlich ergeht, ist die daraufhin geschlossene neue Ehe wegen des trennenden Ehehindernisses eines bestehenden Ehebandes ungültig. 53 C. 1147 CIC/1917 hatte noch ausdrücklich bestimmt, dass eine erneute Heirat nach dem Tod des Gatten erlaubt und gültig ist, wenn es auch ehrenwerter wäre, verwitwet zu bleiben. Diese Aussage wurde nicht in den Codex von 1983 übernommen. 54 Die innere Unauflöslichkeit, die besagt, dass die Partner selbst ihre gültige Ehe nicht durch einen gegenteiligen Konsens wieder auflösen können, ist in Doktrin und Rechtsprechung unbestritten und kann hier vernachlässigt werden. 55 Dazu trefflich und knapp Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 2), S. 163 – 165.
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Ehe nicht mit dem Ableben56 eines Gatten als beendet ansieht, hört die Liebe nach 1 Kor 13,8 doch niemals auf. Letztlich ist dies aber auch eine Konsequenz aus der Tatsache, dass die Ehe als Sakrament nach orthodoxem Verständnis nicht allein durch die konsensuale Selbstbindung der Partner zustande kommt, sondern darauf aufbauend durch das unwiderrufliche Einbinden Gottes. Die Orthodoxie unterstreicht die eschatologische Dimension der Ehe. 2. Auflösung nichtvollzogener Ehen Der Begriff der äußeren Unauflöslichkeit wird freilich nicht auf jede Ehe angewendet, sondern nur auf die sakramentale und durch Geschlechtsverkehr vollzogene, das matrimonium ratum et consummatum. Bereits im Umkehrschluss folgt aus cc. 1141 CIC/1983 und 853 CCEO, dass eine nicht vollzogene Ehe und ebenso eine nichtsakramentale Ehe aus katholischer Sicht aufgelöst werden können. Dies ist bei der geschlechtlich nicht vollzogenen Ehe durch den Papst bei Vorliegen eines gerechten Grundes selbst dann möglich, wenn sie ein Sakrament ist und wenn der andere Partner dem widerspricht, wie cc. 1142 CIC/1983 bzw. 862 CCEO ausführen. Der Diözesanbischof erhebt dabei in einem gerichtlichen Verfahren57 den Nichtvollzug und übersendet die Akten zusammen mit seinem Votum und den Bemerkungen des Bandverteidigers einem „Verwaltungsamt bei der Römischen Rota“58, das über den Nichtvollzug der Ehe sowie über das Vorliegen eines gerechten Grundes ein eigenes Votum „pro vinculo solvendi“ an den Hl. Vater abgibt. In der Regel wird die unheilbare Zerrüttung einer Ehe, verbunden mit dem Wunsch nach einer neuen Heirat mit einem anderen Partner, als hinreichender Grund anerkannt. Wohlgemerkt: Durch päpstlichen Gnadenakt gelöst werden kann jede nichtvollzogene Ehe, selbst eine sakramentale, obwohl hier durch das Sakrament die Unauflöslichkeit einen „tieferen Sinn“59 erhalten hat. Diese schwierige Auflösungsmöglichkeit60 56 John Meyendorff, Die Ehe in orthodoxer Sicht, Gersau 1992, S. 22: Die orthodoxe Kirche ordnet die Ehe „dem Mysterium der Ewigkeit zu, wo die Grenzen zwischen Erde und Himmel aufgebrochen sind und menschliche Entscheidungen und Taten eine Ewigkeitsdimension erlangen.“ Der Priester spricht bei der Krönung des Paares: „Gott, unser Gott, […] hebe ihre Kronen in Deinem Reiche auf und bewahre Du sie frisch und tadellos und sicher vor Nachstellungen in die Äonen der Äonen.“ Bei allen Kirchenvätern des 2. und 3. Jhs. war die Wiederverheiratung nach dem Tod des Gatten verpönt, steht sie doch im Widerspruch zur geforderten Treue gegenüber dem verstorbenen Partner über dessen Ableben hinaus. Es handelte sich aber um ein sittliches Ideal für Verwitwete, nicht um eine Rechtsnorm. 57 Cc. 1697 – 1706 CIC/1983, CCEO: –. 58 Benedikt XVI., MP Quaerit semper v. 30. 08. 2011, in: AAS 103 (2011), S. 569 – 571. Zuvor war in Rom die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung zuständig. Zum MP vgl. Joaquín Llobell, Das Motu proprio Quaerit semper über die Gewährung der Dispens von einer nicht vollzogenen Ehe und die Weihenichtigkeitssachen, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 155 – 175. 59 Müller, Zeugnis (Anm. 4), S. 8. 60 Sie geht auf einen Kompromiss zurück, mit dem im 12. Jh. Papst Alexander III. den Streit zwischen den Kanonistenschulen von Paris und Bologna über das Zustandekommen der
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einer Ehe gibt es seit Papst Martin V. im 15. Jahrhundert.61 Schon seit dem 12. Jh. wurden freilich sakramentale nichtvollzogene Ehen durch die feierliche Ordensprofess eines Gatten gelöst. 3. Auflösung nichtsakramentaler Ehen Im Laufe der Kirchengeschichte lässt sich eine ständige Erweiterung der Eheauflösungen feststellen. Bei all diesen seit Ende des 12. Jhs. durch autoritative Entscheidung von Papst Innozenz III. ermöglichten Fällen handelt es sich um Auflösungen von Ehen zugunsten des Glaubens („in favorem fidei“). Dabei spricht im Gegensatz zur allgemeinen Regel des cc. 1060 CIC/1983 bzw. 779 CCEO die Rechtsgunst nicht für die Ehe, sondern für das Glaubensprivileg62, also für die Möglichkeit der Auflösung der Ehe. Der zu schützende Glaube hat hier Vorrang vor dem Eheband. a) Privilegium Paulinum Die von zwei ehemals Ungetauften geschlossene Ehe wird nach cc. 1143 CIC/1983 bzw. 854 CCEO zugunsten des Glaubens jenes Partners, der nach der Heirat die Taufe empfangen hat, dadurch aufgelöst, dass vom Getauften eine neue Ehe geschlossen wird. Gelöst wird die Ehe hier also nicht durch den Auflösungsbescheid einer kirchlichen Autorität, sondern von Rechts wegen durch die neue Heirat. Voraussetzung ist, dass der ungetaufte Partner sich trennt und der getaufte Partner nach dem Empfang der Taufe ihm nicht berechtigten Anlass zur Trennung gegeben hat. Das wird vermutet, wenn jener nicht mehr friedlich mit dem getauften Partner zusammenleben will. Diese Möglichkeit der Lösung einer Ehe wird auf den Apostel Paulus zurückgeführt, auch wenn sie durch 1 Kor 7,12 – 15 keineswegs voll abgedeckt ist. Die Ermöglichung einer neuen Heirat ist dort nicht expressis verbis enthalten und erscheint als kreative Fortschreibung der paulinischen Vorgabe durch den kirchlichen Gesetzgeber. Verlangt ist nicht, dass die Taufe in der katholischen Kirche erfolgte. Die Voraussetzungen sind durch die Befragung des ungetauften Partners zu eruieren und in einem ZulassungsdeEhe entschieden hat. In Paris wurde im Anschluss an das römische Recht die sog. Konsenstheorie vertreten, wonach die Ehe durch den Willensaustausch der Partner sakramental begründet wird, in Bologna dagegen unter dem Einfluss des germanischen Rechts die sog. Kopulatheorie, nach der die Ehe durch die geschlechtliche Vereinigung der Partner zustande kommt. Der Kompromiss Alexanders III. besagt, dass die Ehe zwar durch den Konsens der Partner gültig zustande kommt; sie kann aber noch aufgelöst werden, solange die geschlechtliche Vereinigung der Partner nicht vollzogen wurde. Ausgiebig dazu Nikolaus Schöch, Ist die Auflösung der nichtvollzogenen Ehe von Getauften noch zeitgemäß? Überlegungen zur Aktualität eines Verwaltungsverfahrens, in: Anna Egler/Wilhelm Rees (Hrsg.), Dienst an Glaube und Recht. Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag (= KStT 52), Berlin 2006, S. 561 – 595. 61 In der Optik der Eheschließung als Vertragsgeschehen wurde auf diese Weise v. a. das „ius in corpus perpetuum et exclusivum“ (c. 1081 § 2 CIC/1917) abgesichert. 62 Cc. 1150 CIC/1983, 861 CCEO.
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kret zu einer neuen Eheschließung durch den Ortsordinarius festzustellen.63 Wenn sie gegeben und amtlich festgestellt sind, hat der getaufte Partner das Recht, eine neue Ehe mit einem katholischen64 Partner einzugehen.65 b) Auflösung von Ehen Ungetaufter in Sonderfällen Der CIC/1917 hatte in c. 1125 die Geltung dreier Konstitutionen der Päpste Paul III., Pius V. und Gregor XIII., die diese im 16. Jh. für Missionsgebiete mit polygamen Kulturen erlassen hatten, auch auf andere Gegenden ausgedehnt, in denen ähnliche Verhältnisse herrschten. CIC von 1983 und CCEO von 1990 haben diese Sonderregelungen etwas modifiziert in den cc. 1148 – 1149 bzw. 859 – 860 aufgenommen. Im Einzelnen: Ein ungetaufter Ehepartner (Mann oder Frau), der zugleich mehrere ungetaufte Ehepartner hat, kann nach Empfang der Taufe in der katholischen Kirche, sofern es ihm schwerfällt, beim ersten Partner zu bleiben, mit dem er eine gültige Ehe eingegangen ist, einen anderen Partner als Gatten behalten, nachdem er die übrigen entlassen66 hat. Dem Ortsordinarius wird aufgetragen, unter Würdigung der örtlichen und persönlichen Verhältnisse dafür zu sorgen, dass der sozialen Absicherung der Entlassenen Rechnung getragen wird (jeweils § 3). Ein Ungetaufter, der nach Empfang der Taufe in der katholischen Kirche mit dem ungetauften Gatten wegen Gefangenschaft oder Verfolgung das Zusammenleben wieder aufzunehmen nicht in der Lage ist, kann eine andere Ehe eingehen, selbst wenn auch der andere Partner inzwischen die Taufe empfangen hat, die Ehe aber nach der Taufe beider Partner nicht mehr vollzogen wurde.67 c) Ausdehnung der Auflösung von Ehen „in favorem fidei“ Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein ist auch eine ständige Erweiterung68 der Auflösung nichtsakramentaler Ehen auf der Basis des sog. Privilegium Petrinum zu beobachten: ¢ Seit 1924 werden sog. halbchristliche Ehen aufgelöst, die zwischen ungetauften und nichtkatholisch getauften Partnern eingegangen worden waren.
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Cc. 1144 – 1145 CIC/1983, 855 – 856 CCEO. Der Ortsordinarius kann jedoch aus schwerwiegendem Grund zugestehen, dass der getaufte Partner eine neue Ehe mit einem nichtkatholischen Partner, selbst einem ungetauften, eingehen kann, wobei die Vorschriften über die „Mischehen“ zu beachten sind (cc. 1147 CIC/ 1983, 858 CCEO). 65 Cc. 1146 CIC/1983, 857 CCEO. 66 Cc. 1148 § 1 CIC/1983, 859 § 1 CCEO. 67 Cc. 1149 CIC/1983, 860 CCEO. 68 Dazu bes. Albert Hopfenbeck, Privilegium Petrinum (= MThStkan 35), St. Ottilien 1976. 64
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¢ Seit 1947 werden auch Ehen aufgelöst, die zwischen ungetauften und katholisch getauften Partnern geschlossen worden waren. ¢ Seit 1957 werden Ehen aufgelöst, die zwischen ungetauften Partnern eingegangen worden waren, von denen auch nach der Eheschließung keiner die Taufe empfangen hat oder auch nur empfangen wollte, von denen aber einer nach dem Scheitern seiner Ehe einen neuen katholischen Partner heiraten will. D. h., seither werden unter bestimmten Umständen alle Ehen als auflösbar betrachtet und auch dem Bande nach gelöst, „die nicht sowohl sakramental geschlossen als auch als solche dann sexuell vollzogen worden sind“69. In all diesen Fällen werden gültige Ehen aufgelöst, wenn zwei unerlässliche Voraussetzungen vorliegen: das Fehlen der Taufe bei wenigstens einem Ehepartner während der ganzen Dauer des ehelichen Lebens und der geschlechtliche Nichtvollzug nach der Taufe eines oder beider Partner. Die Katholische Kirche sieht sich nach kanonistischer Lehre aufgrund der dem Petrusnachfolger von Christus übertragenen Vollmacht zu dieser rechtsgestaltenden Auflösungspraxis in der Form eines päpstlichen Gnadenaktes berechtigt. Interessant ist die Beobachtung, dass das Konzil von Bologna noch ganz anders argumentiert hatte: Die Auflösung der Ehe ist bereits und gleichsam mit Wirkung für den inneren Bereich durch das Zerbrechen der Lebensgemeinschaft erfolgt; diese Wirklichkeit wird jetzt von der Kirche überprüft und festgestellt, was der schon erfolgten Lösung dann Wirkung für den äußeren Rechtsbereich verleiht. Immerhin stellte die Internationale Theologenkommission noch 1977 beide Theorien zur Auflösungsvollmacht nebeneinander.70 Am 6. Dezember 1973 erließ die Glaubenskongregation eine Instruktion zur Auflösung von Ehen zugunsten des Glaubens zusammen mit einer Verfahrensordnung, die freilich nicht amtlich publiziert, sondern nur den Diözesan-/Eparchialbischöfen und den ihnen rechtlich Gleichgestellten zugänglich gemacht wurde, die das Verfahren einzuleiten hatten. Gleiches gilt für die derzeit geltenden Normen von 2001.71 Für die Auflösung wird heute neben den beiden schon genannten Voraussetzungen Fehlen der Taufe wenigstens eines Gatten und Nichtvollzug der Ehe nach dem Empfang der Taufe beider ehemaligen Gatten im Falle einer Heirat mit einer ungetauften oder einer nicht katholisch getauften Person die schriftliche Bereitschaftserklärung des 69 Tenholt, Unauflöslichkeit (Anm. 7), S. 206. 1970 gewährte Papst Paul VI. die Auflösung von Ehen nach dem sog. Petrinischen Privileg nur noch, wenn der Bittsteller sich katholisch taufen ließ oder konvertierte. 70 Propositiones de quibusdam quaestionibus doctrinalibus ad matrimonium christianum pertinentibus, in: Gr 59 (1978), S. 453 – 464, hier S. 462. 71 Dass die Normen wie auch die beiden Instruktionen von 1934 und 1973 nicht amtlich publiziert wurden, zeigt das Interesse des kirchlichen Gesetzgebers an der Vermeidung der Gefahr, „dass die Kirche in den Medien als Befürworterin der Scheidung dargestellt würde“ (Congr. DocFid, Normae de conficiendo processu pro solutione vinculi matrimonialis in favorem fidei v. 30. April 2001, Vorrede, in: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010430_favor-fidei_ge.html [Stand: 07. 11. 2014]. Gleichwohl wurde die Instruktion von 1973 durch Veröffentlichungen bekannt.
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katholischen Partners verlangt, die Gefahren des Glaubensabfalls zu beseitigen. Vom Nichtkatholiken wird in diesem Fall die ebenfalls schriftliche Erklärung gefordert, dass er seinem katholischen Partner die Freiheit belässt, den eigenen Glauben zu bekennen sowie die Kinder katholisch zu taufen und zu erziehen.72
VI. Beurteilung von Recht und Praxis der katholischen Kirchen Wie ist der geschilderte Spagat zwischen Unauflöslichkeit der Ehe und praktizierten Auflösungsmöglichkeiten zu beurteilen? Klar ist: Der neutestamentliche Befund bindet die Kirche, die Unauflöslichkeit der Ehe zu schützen. Er zeigt aber auch gangbare Wege auf, falls das Gebot Jesu verletzt worden und die Ehe definitiv gescheitert ist. Begründete Ausnahmen vom Wiederverheiratungsverbot gab es offensichtlich auch in der spätantiken und frühmittelalterlichen Tradition der lateinischen Kirche.73 Von daher ist kritisch die Frage zu stellen, ob auf dem Hintergrund des neutestamentlichen Befundes, der nicht völlig geradlinigen eigenen Tradition74, die wie jede andere das Ergebnis eines historischen Prozesses darstellt, und der sehr unterschiedlichen Praxis der Kirchen, die sich alle auf dieselbe beständige und evangeliumsgemäße Lehre berufen, nicht das Auge geschärft werden muss, „dass in bestimmten Situationen die reale Möglichkeit der Ehescheidung und Wiederheirat eingeräumt wird, ohne dass dies grundsätzlich im Sinne einer Aufweichung und Lockerung der uneingeschränkten Forderung Jesu verstanden wird“75. Sind die katholischerseits praktizierten Auflösungen von Ehen tatsächlich begründete Ausnahmen von der Unauflöslichkeit der Ehe? Also Fälle, wo die Unauflöslichkeit nicht strikt eingefordert ist und die Kirche aus Barmherzigkeit zu Lebzeiten des ersten Gatten eine weitere Ehe dulden kann? Entspricht die Katholische Kirche so in ihrem pastoralen Handeln der unlösbaren Zusammengehörigkeit von Treue zum Schöpfungswillen Gottes und der im
72 Congr. DocFid, Normae (Anm. 71), Art. 5. Darüber hinaus ist für den Gnadenerweis der Auflösung der Ehe u. a. erforderlich, dass ¢ keine Möglichkeit zur Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft besteht (Normae, Art. 4,18), ¢ „die bittstellende Partei nicht ausschließlich oder überwiegend schuldhafte Ursache des Scheitern des Ehelebens war und auch der Partner, mit dem die neue Ehe geschlossen oder gültig gemacht werden soll, die Trennung der Ehegatten nicht durch seine Schuld herbeigeführt hat“ (Normae, Art. 4,28), ¢ die „bittstellende Partei ihre Verpflichtungen gegenüber dem früheren Ehepartner und eventuellen Nachkommen zu erfüllen gedenkt“ (Normae, Art. 9), ¢ die Auflösung kein Ärgernis hervorruft (ebd.). 73 Nachweise bei Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 49 – 70. 74 Bernd J. Hilberath, Sakramentalität und Unauflöslichkeit der Ehe aus dogmatischer Sicht, in: ThQ 175 (1995), S. 125 – 135. 75 Karl Lehmann, Gegenwart des Glaubens, Mainz 1974, S. 282.
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Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe ebenso geforderten barmherzigen Zuwendung zum Menschen? Bereits Matthäus Kaiser und Rudolf Weigand76 haben in rein rechtlicher Argumentation überzeugend dargelegt, dass die Praxis der Auflösung von Ehen durch den Papst, falls diese nicht vollzogen oder kein Sakrament sind, zwar mit dem traditionellen Konsensverständnis und dem kontraktualistischen Ehemodell des CIC/ 1917 harmoniert – Ehe primär als Rechtsverhältnis, Eheschließung als konsensualer Vertragsabschluss mit daraus entspringenden wechselseitigen Rechten und Pflichten, vor allem dem Recht und der Pflicht zu zeugungsoffenem Geschlechtsverkehr –, dass diese Praxis aber nicht mehr mit der Ehetheologie des letzten Konzils in GS 47 – 52 und dem daraus entspringenden geänderten Konsensverständnis in Einklang zu bringen ist.77 Dort wurde der Paradigmenwechsel vollzogen „von einem vertragsrechtlichen Eheverständnis hin zu einer personal-ganzheitlichen Vorstellung von der Ehe als Bund“78. In Umsetzung der Konzilsaussagen über die Ehe definieren cc. 1057 § 2 CIC/1983 bzw. 817 § 1 CCEO den Willensakt als – nach wie vor ehebegründende und damit Rechtscharakter aufweisende – „wechselseitige personale Anheimgabe zu einer ganzheitlichen Schicksalsgemeinschaft“79. Gewiss ist die „konziliare Neuausrichtung der Ehetheologie“80 noch nicht umfassend rezipiert, eine allzu stark legalistisch-normativ geprägte Sicht der Ehe wie der gesamten Problematik der wiederverheirateten Geschiedenen geht aber sicher „zu Lasten der pastoralen Sorge für die Betroffenen.“81 Wenn die Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft der Ehe dieser von Natur aus eigen ist – was für das II. Vatikanische Konzil so klar war, dass trotz der schwierigen 76
Vgl. Anm. 7. Zu den Konsequenzen aus der Konzilslehre über die Ehe vgl. bes. Klaus Lüdicke, Matrimonial Consent in Light of a Personalist Concept of Marriage. On the Council’s New Way of Thinking about Marriage, in: StudCan 33 (1999), S. 473 – 503; ders., In der Sackgasse? Das kirchliche Lehramt und die wieder verheirateten Geschiedenen, in: Ius Canonicum in Oriente et Occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Zapp/ Andreas Weiß/Stefan Korta (= AIC 25), Frankfurt a.M./Berlin/Bern/Bruxelles/New York/ Oxford/Wien 2003, S. 695 – 718; Norbert Lüdecke, Eheschließung als Bund. Genese und Exegese der Ehelehre der Konzilskonstitution ,Gaudium et spes‘ in kanonistischer Auswertung (= FzK 7), Würzburg 1989. 78 Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 146. 79 Lüdicke, In der Sackgasse? (Anm. 77), S. 716. C. 1057 § 2 CIC/1983 lautet: „Consensus matrimonialis est actus voluntatis, quo vir et mulier foedere irrevocabili sese mutuo tradunt et accipiunt ad constituendum matrimonium.“ C. 817 § 1 CCEO ersetzt nur das „sese“ durch ein einfaches „se“. 80 Schockenhoff, Chancen (Anm. 13), S. 147, der von einer allenfalls oberflächlichen Rezeption spricht und die Tendenz auszumachen glaubt, „das alte kanonistische Konstrukt von der Ehe als Vertrag […] unter Beibehaltung möglichst vieler Einzelbestimmungen […] zu retten.“ 81 Martin M. Lintner, Geschieden und wiederverheiratet. Zur Problematik aus theologischethischer Perspektive, in: Graulich/Seidnader, Zwischen Jesu Wort und Norm (Anm. 31), S. 193 – 215, hier S. 200. 77
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Auslegung der einschlägigen Bibelstellen und der Kontroverse in der Dogmatik um die Interpretation von cc. 5 und 7 der 24. Sitzung des Tridentinums darüber nicht diskutiert wurde –, dann gilt dies für jede gültig geschlossene Ehe, die nichtsakramentale wie die sakramentale Ehe und die nichtvollzogene wie die vollzogene. Die bisher gängige Auflösung von sogar sakramentalen Ehen ist von den Wurzeln des Privilegium Paulinum und des Kompromisses Alexanders III. her als Relikt des Vertragsmodells zwar erklärbar, ist aber in sich nicht konsistent und seit dem II. Vaticanum und dessen personal geprägten Verständnisses der Ehe als einem umfassendem und unwiderruflichem Schicksalsbund noch schwerer zu vermitteln. Wenn die Unauflöslichkeit eine Wesenseigenschaft der Ehe ist, die kraft der Schöpfungsordnung und Jesu bestätigender Weisung jeder gültigen Ehe eigen ist, kann es keine Auflösung von Ehen geben.82 Und umgekehrt gilt: Solange es Auflösungen gültiger Ehen gibt, wenn auch nur als pastorale Notlösung und in überschaubarem Umfang, kann die Unauflöslichkeit nicht überzeugend als Wesenseigenschaft der Ehe herausgestellt werden, die dieser von Natur aus zukommt. Die praktizierte Auflösung von Ehen zu Lebzeiten des ersten Partners relativiert vielmehr die Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft jeder gültigen Ehe. Tatsächlich hat die Praxis der Katholischen Kirche dazu geführt, in beiden geltenden Gesetzbüchern die Aussage über die Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft der Ehe zu modifizieren, dass nämlich die der sakramentalen Ehe fester83 sei als die der nichtsakramentalen Ehe. Kann aber eine Ehe unauflöslicher sein als unauflöslich? Ist die Auflösbarkeit von Ehen nicht ein rechtlicher Widerspruch?84 Genau besehen ist das, was in Recht und Praxis der Katholischen Kirchen als „Auflösung der Ehe“ bzw. „Auflösung des Ehebandes“ bezeichnet wird, bei den Gläubigen jedoch den Eindruck einer „Scheidung auf katholisch“ erweckt und nicht selten auch so genannt wird, in Wirklichkeit nichts anderes als das, was Nichtkatholische Kirchen und Kirchliche Gemeinschaften in einem weit größeren Umfang praktizieren: Nach dem Prinzip der göttlichen Barm82 Demel, Zulassung (Anm. 38), S. 367. Christian Huber, Ehe, in: Reinhild Ahlers/Libero Gerosa/Ludger Müller (Hrsg.), Ecclesia a sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992, S. 83 – 102 plädierte aus diesen Gründen schon früher für einen Verzicht auf Eheauflösungen; ebenso Kaiser, Können Ehen aufgelöst werden? (Anm. 7), S. 67. 83 Vgl. cc. 1056 CIC/1983 bzw. 776 § 3 CCEO. Dass es eine abgestufte Unauflöslichkeit und damit eine Lösbarkeit von Ehen geben könne, wird traditionell mit dem Hinweis auf die äußere Unauflöslichkeit begründet, die Ausnahmen zulasse, weshalb in bestimmten Fällen Ehen eben durch eine außenstehende, nämlich die oberste kirchliche Autorität aufgelöst werden. Zur Begründung dieses Tuns wird unter Berufung auf Mt 16,19 („was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“) auf die umfassende Gewalt des Papstes als Nachfolger Petri verwiesen. Gelegentlich wurde sogar die Ausdehnung der päpstlichen Vollmacht auf die Auflösung sakramentaler und vollzogener Ehen als Lösungsweg vorgeschlagen (Nachweise bei Tenholt, Unauflöslichkeit [Anm. 7], S. 258, Anm. 132), was Papst Johannes Paul II. in seiner Rotaansprache v. 21. Januar 2000, Nrn. 6 – 8 (in: AAS 92 [2000], S. 350 – 355, hier S. 353 f.; dt.: DPM 8/2 [2001], S. 359 – 364, hier S. 363 f.) jedoch definitiv ausgeschlossen hat. Dazu Piero A. Bonnet, Il diritto ecclesiale „in signo fidei“ e l’indissolubilità del matrimonio sacramento, in: PerRCan 102 (2013), S. 241 – 277. 84 Demel, Zulassung (Anm. 38), S. 368.
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herzigkeit dulden85 sie nach Tolerierung des vom staatlichen Richter ausgesprochenen Urteilsspruchs über das Scheitern einer Ehe in einem Verwaltungsvorgang nachsichtig das Hinzutreten von Geschiedenen zu einer neuen Eheschließung, „ohne sich damit ausdrücklich über die frühere Ehe zu äußern“86. Doch geht das überhaupt? Hier ist die Frage zu beantworten, was mit dem vinculum matrimoniale passiert, wenn die Ehegatten ihre Ehe als personale Lebens- und Liebesgemeinschaft zerstören. Das Eheband wird bisher in Theologie und Kanonistik zu stark als eine metaphysische, quasi dinghaft-juridische Wirkung des Konsensaustausches (res) gesehen, das zudem Zeichen der besonderen Heilszuwendung Gottes an die Gatten (sacramentum) ist. Dabei geraten freilich die Grenzen dieser Aussagen nicht selten aus dem Blick: Der Bund von Mann und Frau ist als Realsymbol zum einen nur Abbild für den in Jesus Christus ans Ziel gekommenen Bund Gottes mit den Menschen, nicht Urbild der in der Ehe durchscheinenden Liebe Gottes zur ganzen Schöpfung, aus der nach GS 48 die affektive Liebe zwischen den Gatten entspringt. Und das Zeichen (sacramentum tantum) kann andererseits durch menschliches Fehlverhalten der Gatten verdunkelt, behindert, ja sogar ganz verunmöglicht und zerstört werden. Trotz des Scheiterns einer Ehe bleibt die Zuwendung Gottes an die beiden Gatten als hinter dem Zeichen stehende Wirklichkeit (res sacramenti) freilich bestehen. Kann man aber sagen, dass das vinculum die Partner auch dann noch an die Ehe bindet – in der Optik der Betroffenen unter deren Joch zwingt –, wenn diese ihr Eheversprechen nicht mehr leben können? Wenn die Ehe irreversibel zerstört ist, die personale Lebensgemeinschaft der Gatten nicht mehr existiert und nach menschlichem Ermessen keine Hoffnung auf ihre Wiederaufnahme besteht, wozu kann das Sakrament dann noch befähigen? Zur Erinnerung an das Vergangene? Zum Gelingen des Alleinbleibens? Die Gnade des Ehesakramentes wird doch zum Tun dessen verliehen, was die Ehe erfordert und trägt. Muss man die Deutung der Ehe als Abbild der Beziehung von Christus und Kirche nicht in der Weise rezipieren, dass die Ehe diese Funktion nur im Hinblick auf die gegenseitige Liebe zwischen Mann und Frau wahrnehmen87 kann? Jochen Hilberath konstatiert m. E. mit Recht: „Unzerstörbar ist das Eheband nicht per se, sondern per participationem, durch Teilhabe an der unzerstörbaren Verbindung zwischen Christus und der Kirche. […] Auch das vinculum
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„Akzeptieren“ oder gar „zulassen“ wären zu starke Verben. Duldung/Toleranz bedeutet keine Abwertung der zweiten Verbindung als eheliche Wirklichkeit. 86 Kaiser, Können Ehen aufgelöst werden? (Anm. 7), S. 60. In diesem Sinn auch Andreas Weiß, Wie unauflöslich ist die Ehe? Nichtigkeit und Auflösung der Ehe in Recht und Praxis der Katholischen Kirche, in: Richard Puza/Abraham P. Kustermann (Hrsg.), Beginn und Ende der Ehe. Aktuelle Tendenzen in Kirchen- und Zivilrecht, Heidelberg 1994, S. 53 – 72, hier S. 71. 87 Gerd Häfner, Ehe und Familie im Zeugnis des Neuen Testaments, in: Konrad Hilpert/ Bernhard Laux (Hrsg.), Leitbild am Ende? Der Streit um Ehe und Familie, Freiburg/Basel/ Wien 2014, S. 59 – 72, hier S. 69.
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muss interpersonal gefasst werden, nicht als etwas automatisch sich beim Konsensaustausch bzw. dem nachfolgenden Beischlaf Ergebendes.“88
Führt hier nicht die Doktrin der Realidentität89 von Ehevertrag und Sakrament der cc. 1055 § 2 CIC/1983 bzw. 776 § 2 CCEO zu einem legalistischen90 Sakramentenverständnis, das die anthropologischen Voraussetzungen zu sehr ausblendet und so in die Gefahr gerät, zu einem Ritualismus mit magischen Komponenten zu degenerieren? „Wo der göttliche Mitteilungswille im Sakrament subjektiv auf keinen entsprechenden Aufnahmewillen trifft“91, ist die Ehe als Erfahrungsort göttlicher Begleitung der menschlichen Lebensgemeinschaft nur schwer vorstellbar.92 Welche Konsequenzen sind aus dem Gesagten zu ziehen?
VII. Ausweitung des Ehenichtigkeitsverfahrens als Standardlösung? Im Schreiben der römischen Kongregation für die Glaubenslehre vom 14. September 1994 an die Bischöfe der katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen heißt es im Hinblick auf die Vorehe in Nr. 9 (in deutscher Übersetzung): „Es ist unbedingt auf dem von der Kirche festgelegten Weg des äußeren Bereichs zu prüfen, ob es sich objektiv um eine ungültige Ehe handelt. Während die Disziplin der Kirche die ausschließliche Kompetenz der Ehegerichte bezüglich der Prüfung der Gültigkeit der Ehe von Katholiken bekräftigt, bietet sie auch neue Wege, um die Ungültigkeit einer vorausgehenden Verbindung zu beweisen.“
Aus 30-jähriger Erfahrung am Offizialat kann ich sagen: Sicher ist das Ehenichtigkeitsverfahren eine Möglichkeit, den von Scheidung Betroffenen in ihrem Wunsch nach einer neuen kirchlichen Eheschließung zu „helfen“; allerdings sind nur verhält88
Hilberath, Dogmatische Aspekte (Anm. 27), S. 60. Erinnert sei an die Jahrhunderte hindurch ebenfalls gängige gegenteilige Doktrin; vgl. dazu Hartmut Zapp, Zur „Realdistinktion“ von Ehevertrag und Sakrament, in: Andreas Weiß/ Stefan Ihli (Hrsg.), Flexibilitas iuris canonici. Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag (= AIC 28), Frankfurt a.M./Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2003, S. 341 – 367, bes. S. 347 ff. 90 Die gültig geschlossene Ehe unter zwei Getauften ist nach den genannten Normen „eo ipso“, d. h. aus sich selbst heraus Sakrament. Falls einer der beiden Eheschließenden katholisch ist, trifft diese Aussage freilich nur bei entsprechender Beachtung der kanonischen Eheschließungsform nach cc. 1108 § 1 CIC/1983 bzw. 828 § 1 CCEO zu. 91 Ralf Miggelbrink, Sakramentalität der Ehe – Was heißt das?, in: Hilpert/Laux, Leitbild (Anm. 87), S. 73 – 85, hier S. 76. 92 Die Zusage lebenslanger Treue im Angesichte Gottes beinhaltet auch die Begleitung des gemeinsamen Lebensweges in der Ehe durch den menschgewordenen Gott nicht willentlich auszuschlagen. Die Negierung der Wirksamkeit Gottes in der eigenen Ehe bedeutet eine Ablehnung der Sakramentalität derselben. 89
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nismäßig wenige Menschen bereit, einen Ehenichtigkeitsprozess auf sich zu nehmen. Das Annullierungsverfahren hat deutliche Grenzen. Viele betrachten ihre Ehe nicht als „nichtig“, sondern als gescheitert. Die Annullierung wird angesichts der differenzierten und vom kanonistischen Laien kaum zu durchschauenden Systematik des kirchlichen Eherechts oft als nicht ehrlich erfahren, sie ist ja auch nicht wirklich die Antwort auf das Ansuchen der Leute nach einer neuen Eheschließung. Das Aufrollen der Vergangenheit wird zudem als belastend empfunden, dadurch reißen bei den Partnern nicht selten schmerzhafte Wunden erneut auf. Mitunter meinen ehemalige Gatten und Zeugen, schmutzige Wäsche waschen zu müssen, was zu neuen Demütigungen führt. Manche fragen auch, ob durch die immer feiner ausdifferenzierten psychisch bedingten Nichtigkeitsgründe der cc. 1095 CIC/1983 bzw. 818 CCEO vice versa nicht der Korb für das Eingehen einer gültigen Ehe ins kaum Erreichbare hochgehängt und damit das Grundrecht auf Ehe ausgehöhlt wird? Auf evangelische und orthodoxe Mitchristen wirkt befremdlich, dass die Katholische Kirche ihnen im Verfahren als eine gänzlich juridische Institution gegenübertritt. Hinzu kommen Probleme aus der Begrenztheit des Rechts selbst. Nicht alle Antragsteller erhalten ein ihrem Wunsch entsprechendes „affirmatives“ Urteil.93 Die Erleichterung in der Beweisführung des neuen Eheprozessrechts, das den Parteierklärungen nun Beweiswert beimisst94, mildert diese Problematik zwar ab, führt aber letztlich nicht grundlegend weiter. Daran werden auch weitere Vereinfachungen im Prozessrecht nur bedingt etwas ändern, wie sie in letzter Zeit von vatikanischer Seite95 verstärkt propagiert 93 Es kann sein, dass z. B. kein Nichtigkeitsgrund vorliegt oder der Beweis für das Klagevorbringen nicht erbracht werden kann – aus welchen Gründen auch immer. Zu weiteren „Schwierigkeiten mit dem kirchlichen Ehenichtigkeitsprozess“ vgl. Markus Graulich, Die Ehe erfreut sich der Rechtsgunst. Kirchenrechtliche Anmerkungen zum Umgang der Kirche mit wiederverheiratet Geschiedenen, in: ders./Seidnader, Zwischen Jesu Wort und Norm (Anm. 31), S. 145 – 171, hier S. 155 – 157; Lintner, Geschieden (Anm. 81), S. 214. 94 Cc. 1536 § 2 i. V. m. 1679 CIC/1983, Art. 180 §§ 1 und 2 DC. Eine weitere Vereinfachung im Beweisrecht liegt beim Ein-Zeugen-Beweis nach c. 1573 CIC/1983 bzw. Art. 202 DC vor. 95 Vgl. Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 91. Kasper spricht sich gegen eine Ausweitung der Ehenichtigkeitsverfahren in bisheriger Form aus, von denen er meint, dass sie als „legalistische Verfahren nach dem Prinzip des Tutiorismus dem Heil und dem Wohl der Menschen und ihrer konkreten, oft sehr komplexen Lebenssituation nicht gerecht werden“ (S. 90 f.). Der PCLT prüft nach Aussage seines Präsidenten Francesco Coccopalmerio seit längerem die Einführung des Einzelrichters im ordentlichen Ehenichtigkeitsverfahren, die Einschaltung der II. Instanz nur im Falle einer Berufung gegen das ergangene affirmative Urteil – durch ein Reskript Benedikt XVI. v. 11. Februar 2012 wurde diese Regelung bereits für die Rota in Kraft gesetzt, um den dortigen Arbeitsberg abzubauen – und eine unmittelbare Eingriffsmöglichkeit des Päpstlichen Rates in die Verfahren – was man sich auch immer darunter vorzustellen hat (OssRom [dt.] Nr. 32/33 v. 8. August 2014, S. 2). Als weitere Reformideen kommen die weitere Öffnung des Richteramtes für Laien und eine Dezentralisierung der III. Instanz in Betracht. Die ersten beiden der vom PCLT ins Auge gefassten Reformaspekte wurden in den Normae concessae Conferentiae Episcopali Statuum Foederatorum Americae Septentrionalis (American Procedural Norms) v. 28. April 1970 (in: PRMCL 59 [1970], S. 594 – 598; The Jurist 30 [1970], S. 363 – 368) schon getestet, die vom damaligen Consilium pro publicis Ecclesiae negotiis der Bischofskonferenz
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werden, soll das Urteil weiterhin den in cc. 1608 CIC/1983 bzw. 1291 CCEO verankerten und in Art. 247 § 2 DC noch spezifizierten Wahrheits- und Gerechtigkeitsanspruch96 einlösen. Die Suche nach anderen außergerichtlichen Wegen97 ist angesagt.
VIII. Rechtliche Lösung auf dem Verwaltungsweg? – Bisherige Vorschläge Es ist unstrittig, dass auch die Katholische Kirche das Scheitern von Menschen in jenem existentiellen Lebensreich, den die Ehe von Mann und Frau zweifelsohne darstellt, stets anerkannt hat. Über die Jahrhunderte hinweg rang sie um Antworten, wenn die versprochene Liebe und Treue ihre Grundlage im Leben des Paares irreversibel verloren hatten. Heute kennt sie, wie unter Punkt V ausgeführt, neben der Annullierung der Ehe die amtliche Trennung der Gatten von Tisch und Bett, aus der aber kein Recht zur Wiederheirat entspringt, und die Auflösungen von Ehen aus unterschiedlichsten Gründen. Es dürfte aus den bisherigen Ausführungen klar geworden sein, dass es den Königsweg zur Lösung der aufgeworfenen Frage nicht gibt; er wäre längst beschritten worden. Bereits der neutestamentliche Befund zeigt die Spannung der USA gewährt wurden und vom 1. Juli 1970 bis zum 27. November 1983 dort in Rechtskraft waren. Dass die Abschaffung der zweitinstanzlichen Überprüfung des Urteils „sicher zu einem Qualitätsverlust beim Gerichtshof erster Instanz führen“ würde, wie Corbett/Hofer/Keller/Langevin/Legge/Martens/Petri/White, Neue Vorschläge (Anm. 18), S. 19 behaupten, ist eine nicht belegbare Unterstellung. Unter Vorsitz des Rotadekans Pio V. Pinto hat Papst Franciscus inzwischen eine Kommission zur Reform des Ehenichtigkeitsverfahrens eingesetzt mit dem Ziel, dessen Prozedur zu vereinfachen, dabei aber „das Prinzip der Unauflöslichkeit zu wahren“ (http://de.radiovaticana.va/news/2014/09/20/eheannullierungen:_papst_will_die_reform/ted-826330 [Stand: 23. 09. 2014]). 96 Diesen ignoriert Häring, Keine Christen (Anm. 18), S. 99 völlig, wenn er unterstellt, dass an die „Scheidungswilligen“ die „unausgesprochene oder offene Erwartung herangetragen“ wird, man solle sich „um des lieben Trennungsfriedens willen […] etwa massive Oberflächlichkeit, triebhafte Zwänge oder einen massiven seelischen Defekt anlasten lassen“. Andernorts wiederholt Häring seine Sicht in ähnlich unhaltbaren Formulierungen, wenn er z. B. sagt, dass durch den kirchlichen Richterspruch den Betroffenen „oft eine kostbare Vergangenheit geraubt wird“ (S. 100) – als ob das je ein Richter könnte. Die Fragestellung, ob die gescheiterte Ehe gültig war oder nicht, nennt er eine „simpel destruktive Alternative“ (S. 120) – was ist daran destruktiv? Auch indirekt scheint die problematische Sicht des Autors zum Ehenichtigkeitsverfahren vielerorts durch, wenn Häring z. B. Vorkehrungen verlangt, „dass die Betroffenen sich ihre Ziele nicht durch Schutzbehauptungen erschleichen“ (S. 121); oder dass das Nichtigkeitsmodell „angesichts der Sachprobleme […] nur die Möglichkeit zur Flucht (bietet), aber keine Anleitung zur Verarbeitung“ (S. 127; Hervorhebung im Original). 97 Das Instrumentum laboris der Außerordentlichen Bischofssynode „Die Pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung“, Vatikanstadt 2014, führt in Nr. 101 aufschlussreich aus: „Angesichts der Weite des pastoralen Problems der gescheiterten Ehen wird […] die Frage gestellt, ob das Problem einzig auf dem Weg des ordentlichen Gerichtsverfahrens angegangen werden kann. Es wird der Vorschlag gemacht, den Verwaltungsweg zu versuchen.“
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zwischen der Intention Jesu und deren Applikation auf konkrete Gemeindesituationen. Man sah sich offensichtlich in der frühen Kirche bei bestimmten Situationen zu Ausnahmen ermächtigt, die der schöpfungstheologisch verankerten Unauflöslichkeit der Ehe widersprachen. Ein Fingerzeig, dass auch bei neueren98 Lösungsansätzen mit Aporien gerechnet werden muss. 1. Vorschlag Güttlers: Dispens von den Rechtswirkungen des Ehebandes Die Katholische Kirche spricht sich zweifellos eine weitgehende Entscheidungsvollmacht hinsichtlich der Eheschließung zu.99 Ist diese Gestaltungsvollmacht – soweit die Ehe ein Rechtsverhältnis ist – auch für die Beendigung derselben nutzbar zu machen? Nach Güttler ist das möglich, wenn man unterscheidet „zwischen der sich aus dem Konsens ergebenden und deshalb sowohl für die Gatten als auch für die Kirche unverfügbaren Unauflöslichkeit der (konkreten) Ehe einerseits und der Beendbarkeit der rechtlichen Bindung der Ehegatten durch die Kirche andererseits.“100 Was ist gemeint? Ausgehend vom Hindernis des bestehenden Ehebandes nach cc. 1085 § 1 CIC/1983 bzw. 802 § 1 CCEO könnte nach Güttler eine neue Eheschließung dann möglich sein, wenn die Ehegatten vom daraus entspringenden Wiederverheiratungsverbot durch eine Dispens101 befreit würden. Dem steht freilich entgegen, dass nach geltender Lehre das Ehehindernis des bestehenden Ehebandes im ius divinum wurzelt, weshalb eine Dispens nicht möglich ist. In der Tat ist – wie ausgeführt – die Ehe naturrechtlich die lebenslange Bindung eines Mannes und einer Frau. Wenn die Gatten sich bei der Eheschließung gültig und damit bindend ihr Eheversprechen gegeben haben, führte dieses zu einer untrennbaren Gemeinschaft zwischen ihnen. Dann entstand aus dem Konsensaustausch jenes dauerhafte und exklusive Band, das c. 1134 CIC/1983 als eine Wirkung der Eheschließung beschreibt. Die Gatten versprachen sich gegenseitig die liebende Treue bis zum Tod. In der Einheit und in der Unauflöslichkeit der Ehe ist „der göttlichrechtliche Kern des Ehehindernisses“ des bestehenden Ehebandes zu sehen, „der 98
Nur um neuere Vorschläge soll es folgend gehen, die Überlegungen z. B. von Weigand und Kaiser sollen dadurch nicht übergangen werden; sie sind auch heute noch in vielen Punkten grundlegend. 99 Die Rechtsmacht der Kirche über die Ehe zeigt sich augenfällig z. B. in der Einführung der verbindlichen und mit Nichtigkeitssanktion versehenen Eheschließungsform auf dem Konzil von Trient. Das hat zur Konsequenz, dass ein bestimmter Personenkreis eine gültige bzw. sakramentale Ehe nur in der von der Kirche vorgeschriebenen Form schließen kann. 100 Güttler, Die Ehe ist unauflöslich (Anm. 7), S. 216; vgl. auch Basilio Petrà, Divorziati risposati e seconde nozze nella chiesa. Una via di soluzione, Assisi 2012, S. 69 – 187. 101 Die Dispens nach cc. 85 CIC/1983 bzw. 1536 § 1 CCEO ist eine Gesetzesbefreiung im Einzelfall; sie verkleinert den Verpflichtungsumfang eines Gesetzes, ohne dieses als allgemeinverbindliche Norm aufzuheben. Vgl. Hubert Socha, c. 85, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: April 1993).
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eine Dispens zumindest in dem Sinne unmöglich macht, dass das Eheband durchschnitten würde, dass Einheit und Unauflöslichkeit dieser Ehe aufgehoben würden.“102 Jede Ehe ist und bleibt, wenn sie einmal gültig zustande gekommen ist, ihrer Natur nach unauflöslich. Von diesem unantastbaren Kern des Ehehindernisses ist jedoch nach Güttler die positiv-rechtliche „Hülle der Unmöglichkeit einer Wiederheirat zu unterscheiden.“103 Man kann nach ihm aufgrund der Rechtsvollmacht der Kirche über die Ehe104 differenzieren zwischen der Unverfügbarkeit des Ehebandes und der Gestaltbarkeit der Rechtswirkungen aus einer gültigen Eheschließung. Wenn es der Kirche möglich ist, die Bedingungen festzulegen, unter denen das Ja-Wort der Partner seine Rechtsverbindlichkeit erhält und Rechtswirkungen hervorbringt, unter denen die Ehe als unauflöslich zu betrachten ist, dann könnte ihr ebenso die Feststellung möglich sein, dass die Ehe als Lebensgemeinschaft unwiderruflich zerbrochen ist und damit die Voraussetzungen zur Erfüllung der aus der Eheschließung sich ergebenden Rechte und Pflichten nicht mehr gegeben sind; dann könnte sie auch die Rechtsfolgen im Einzelfall als nicht mehr bindend105 erklären, ohne die Unauflöslichkeit der Ehe als unaufgebbare Glaubenstradition infrage zu stellen. Oder – so fragt Güttler – gibt es einen Unterschied in der Sache zwischen dem Tun der Kirche bei der Nichtigerklärung einer Ehe, die in seinen Augen nichts anderes ist als die Feststellung „der Nichtexistenz der rechtlichen Folgewirkungen“106, und ihrem Handeln bei der Feststellung der Nichtmehrbindung der Rechtswirkungen einer gültigen Eheschließung? An dieser Stelle liegt ein Haken in der Argumentation Güttlers, denn die Beseitigung des Rechtsscheins noch nie existenter Rechtswirkungen ist lediglich feststel102 Güttler, Die Ehe ist unauflöslich (Anm. 7), S. 217. Abgesehen davon, dass Unauflöslichkeit und Einheit der Ehe dem ius divinum zugerechnet werden und von ihnen schon deshalb nicht dispensiert werden kann, ist eine Dispens von den Wesenseigenschaften der Ehe auch wegen cc. 86 CIC/1983 bzw. 1537 CCEO nicht möglich. Demnach kann nicht von Gesetzen dispensiert werden, die Wesenselemente von Rechtsinstituten oder Rechtshandlungen festlegen. 103 Ebd., S. 218. 104 Besonders deutlich wird diese Rechtsvollmacht bei der Sanation nach cc. 1161 – 1165 CIC/1983 bzw. 848 – 852 CCEO. Wenn die Kirche eine ungültige Verbindung sanieren kann, was bedeutet, dass sie ex tunc, also im Nachhinein dem bei der Eheschließung ungültigen Rechtsakt die Rechtswirkung einer gültigen Eheschließung zuspricht, die der formale Rechtsakt damals gar nicht entfalten konnte, dann muss die Kirche auch das Umgekehrte vermögen, nämlich die Rechtswirkungen einer gültigen Eheschließung als nicht mehr bindend zu deklarieren – so Güttler. 105 Vorausgesetzt ist dabei stets, dass vom faktischen „Tod“ der Ehe auszugehen ist, wodurch diese die anthropologische Basis ihrer Existenz verloren hat. 106 Güttler, Die Ehe ist unauflöslich (Anm. 7), S. 218. In beiden Fällen bezieht sich das Handeln der Kirche auf die rechtlichen Wirkungen der Eheschließung, nicht auf die persönliche Lebensgemeinschaft der Partner. Letztere besteht unabhängig davon, ob die Eheschließung die normalerweise mit ihr verbundenen Rechtswirkungen zeitigte oder nicht, ob die Ehe gültig geschlossen wurde oder nicht.
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lend und folgt aus der Tatsache der Nichtexistenz einer gültigen Eheschließung. Die Erklärung der Nichtmehrbindung von Ehewirkungen aus einer gültigen Eheschließung freilich wäre ein gestaltendes Tun: Sie würde eine neue Rechtstatsache schaffen, indem sie aufgrund der hoheitlichen Vollmacht der Kirche befreit, an Ehewirkungen weiterhin gebunden zu sein, die aufgrund des Scheiterns der Ehe faktisch nicht mehr realisiert werden können. Die Katholische Kirche würde damit in ihrem Handeln weiter gehen als die Kirchen der Orthodoxie und die Kirchlichen Gemeinschaften aus der Reformation des 16. Jahrhunderts, die nachsichtig die neue „Ehe“ nur dulden. Ein zweiter Einwand betrifft die praktische Umsetzung und die Tragfähigkeit des Ansatzes. Die Unauflöslichkeit der Ehe bleibt bei diesem Lösungsversuch zwar theoretisch unangetastet, denn nur die Ehewirkungen würden aufgehoben und so eine erneute Eheschließung ermöglicht. Mag man darin auch keinen „radikalen Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe“107 sehen, so ist doch nicht zu bestreiten, dass durch die Dispens eine neue (und u. U. sogar sakramentale108 ?) Ehe rechtsgestaltend ermöglicht würde. Das ist ja das Ziel eines Dispensantrages. Gewiss, dieser Vorschlag würde die Inkonsequenzen im geltenden Eherecht der katholischen Kirchen beträchtlich mildern und die Spannung zwischen Wahrheit und Barmherzigkeit entschieden glaubwürdiger als die seitherige Praxis109 gestalten, allzu tragfähig erscheint er mir gerade wegen des erforderlichen rechtsgestaltenden Tuns der Kirche in der Dispensgewährung nicht. Kann man die Unauflöslichkeit überzeugend auf der Fahne hochhalten, wenn man von den Rechtsfolgen der Eheschließung in der Regel dispensiert? Denn dass die Befreiung von denselben eine Ausnahme110 bleiben könnte, die einer besonderen Situation Rechnung trägt, darf bezweifelt werden. Auch wenn es keinen Rechtsanspruch auf Dispens gibt, würde die Kirche doch Gefahr laufen, die Unauflöslichkeitslehre durch zu häufig erteilte Dispensen faktisch „zu untergraben und unvermittelbar zu machen“111. Dem könnte man nur durch eine strenge Prüfung des geforderten Dispensgrundes vorbeugen, was wiederum die Erfolgsaussichten auf Erlangung der Dispens schmälern und damit die pastorale Durchschlagskraft des Vorschlags mindern würde. Würde freilich die Lehre vom Eheband perso107 So aber Heribert Heinemann, Rezension zu Markus Güttler, Die Ehe ist unauflöslich, in: DPM 11 (2004), S. 296 – 303, hier S. 301. 108 Die Frage nach der Sakramentalität der Zweit- bzw. Drittehe wird in der orthodoxen Theologie nicht einheitlich beantwortet. Dies wird an der Frage festgemacht, ob eine Krönung der Brautleute bei Zweit- und Dritteheschließungen stattfindet oder nicht. Aber selbst wenn die Krönung vorschriftsgemäß unterbleibt, sehen einige Autoren die Sakramentalität als gegeben an, da diese ausschließlich von der Segnung des Paares durch den Priester abhänge und nicht von der Krönung. Eines wird hierbei deutlich: In der Orthodoxie spenden sich – anders als in der lateinischen Tradition – nicht die Brautleute das Ehesakrament selbst; Spender ist vielmehr der Priester, der die göttliche Gnade auf das Paar herabruft. 109 Demel, Zulassung (Anm. 38), S. 374, die diesen Vorschlag befürwortet. 110 Wie in der Frühen Kirche könnte die liturgische Feier dem Ausnahmecharakter der zweiten und dritten Eheschließung Ausdruck verleihen. 111 Güttler, Die Ehe ist unauflöslich (Anm. 7), S. 222.
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naler gesehen und entsprechend rechtlich gestaltet, könnte u. U. die Dispens vom trennenden Ehehindernis gar nicht mehr erforderlich sein. Ein utopischer Quantensprung? 2. Dissimulation als möglicher Ausweg? Weil die Unauflöslichkeit der Ehe im göttlichen Recht wurzelt, kann sie auch nicht im Namen der Barmherzigkeit durch die Anwendung von Epikie112 relativiert werden. Gibt es somit kein kirchenrechtliches Prinzip, das ähnlich der Oikonomia das Spannungsfeld zwischen dem bonum commune und der konkreten Lebensrealität abfedert113 und so die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet? Markus Graulich führt im Hinblick auf den Zugang von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten das Rechtsinstitut der Dissimulation114 als Ausdruck der Flexibilität des Kirchenrechts an. Sie meint das „bewusste, schweigende, aber nicht billigende Hinwegsehen der kirchlichen Autorität über Gesetzesverletzungen, wenn das Urgieren der Norm zu großen Schäden, Ärgernissen oder schweren Übeln führen würde. Die Dissimulation betrifft stets einen Einzelfall, währt nie endgültig, sondern nur solange die widrigen Verhältnisse andauern und nicht behebbar sind.“115 Lässt sich diese Möglichkeit auf die Zulassung zu einer neuen Eheschließung übertragen? Mir scheint das nicht möglich zu sein. Denn durch Dissimulation kann nur auf die Durchsetzung einer Rechtsnorm des ius mere ecclesiasticum, also des rein menschlichen Kirchenrechts verzichtet werden, nicht jedoch auf eine Norm des ius divinum. Die Unauflöslichkeit der Ehe gründet aber im göttlichen Recht und ist menschlicher Verfügungsgewalt entzogen, sie wäre wenigstens mittelbar von der Dissimulation betroffen. Die Gefahr der Verdunkelung dieser Wesenseigenschaft der Ehe wäre bei diesem Vorschlag daher größer als beim Lösungsansatz Güttlers. Der Vorschlag hat gegenüber dem von Güttler zwar den Vorteil, dass die kirchliche Autorität nicht rechtsgestaltend tätig würde; aber ihr bewusstes und nicht billigendes Hinwegsehen über eine Gesetzesverletzung kann man spätestens dann nicht mehr als Schweigen bewerten, wenn eine neue Trauung erfolgen soll. Hierzu muss sich die Autorität im Vorfeld positionieren. Eine nur stillschweigende 112
Die persönliche Selbstbefreiung von der prinzipiell anerkannten Verpflichtungskraft eines kirchlichen Gesetzes in bestimmten Fällen ist dem orthodoxen Kirchenrecht fremd. Ausgiebig dazu Andréa Belliger, Die wiederverheirateten Geschiedenen. Ein ökumenische Studie im Blick auf die römisch-katholische und die griechisch-orthodoxe (Rechts-)Tradition der Unauflöslichkeit der Ehe (= MK CIC. Beihefte 26), Essen 2000; ders., Die wiederverheirateten Geschiedenen: Versuch eines neuen kirchenrechtlichen Lösungsansatzes, in: Intams 7 (2001), S. 194 – 212. 113 Helmuth Pree, Le tecniche canoniche de flessibilizzazione del diritto, in: Ius Ecclesiae 12 (2000), S. 375 – 418. 114 Graulich, Die Ehe erfreut sich der Rechtsgunst (Anm. 93), S. 167. 115 Heinrich J.F. Reinhardt, Art. Dissimulation, in: LKStKR I, S. 460 (mit weit. Lit.); ähnlich Franz Pototschnig, Art. Dissimulation, in: LThK3 III, Sp. 270; ders., Art. Dissimulation, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, Sp. 204.
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Duldung der Wiederheirat entspräche weder dem biblischen Befund noch der kirchlichen Tradition. 3. „Geistliches Verfahren“? Walter Kasper spricht von „anderen mehr pastoralen und geistlichen Verfahren“ und bringt den vom Bischof beauftragten „geistlich und pastoral erfahrenen Priester als Pönitentiar oder Bischofsvikar“116 ins Spiel. Er entfaltet den Vorschlag jedoch nicht näher. Offensichtlich denkt er im Sinne der Barmherzigkeit an administrative Entscheidungen im Einzelfall, die er freilich weder den Paaren als Privatpersonen noch den Pfarrern überlassen will; die Verfahren sollen hoheitlich bei einem Bischöflichen Beauftragten auf der Ebene der Diözese angesiedelt werden, um allzu große Schwankungen in der Anwendung zu verhindern. Könnte eine Dispens als „hoheitliche Aufhebung der Verpflichtungskraft eines Gesetzes“117 in Betracht kommen? Richtig an diesen Überlegungen ist die Favorisierung einer Lösung außerhalb des forum internum. Die Eheschließung ist, weil die Gemeinschaft von Mann und Frau als Basis einer Familie nicht nur ein wichtiges Fundament der Gesellschaft darstellt, sondern als Sakrament ebenso ein Lebenselixier der Kirche, stets auch ein öffentlicher Akt und niemals nur privat. Über die Gültigkeit einer Ehe bzw. sogar eines Sakramentes muss daher hoheitlich und nach objektiven Kriterien geurteilt werden, was freilich andere Entscheidungsinstanzen in den Fällen nicht ausschließt, wenn das Erreichen des Ziels über das kirchliche Gericht versperrt ist. Der Pönitentiar scheint mir jedoch als hoheitlicher Entscheider nicht geeignet. Könnte er im Sinne Güttlers in 116 Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 59. Der „operative Änderungsvorschlag“ von Häring für ein „geistliches Verfahren“ will „die Problemlösung endgültig aus ihrer juristischen Verengung herausholen“ (Häring, Keine Christen [Anm. 18], S. 112). Er empfiehlt verpflichtende Gespräche mit einem Mediator/einer Mediatorin, die vom „Bistum“ dazu ernannt sind. Über den Inhalte der Gespräche und konkrete Folgerungen daraus soll strikte Vertraulichkeit zwischen den Gesprächspartnern herrschen. Über das positive Ergebnis wird der Pfarrer informiert, der die vollzogenen Schritte festhält und bestätigt, dass kein Grund mehr für den Ausschluss von den Sakramenten besteht. Das weitere Verhalten ist dann dem Gewissensentscheid des/der Betroffenen überlassen. Häring entfaltet detailliert die Vorgehensweise des Mediators/der Mediatorin. Diese Person muss vor ihrem positiven Votum an den Pfarrer anhand einer mit dem Diözesanbischof entwickelten Kriteriologie zunächst die Fälle ausschließen, in denen ein „geistliches Verfahren“ im Namen der Barmherzigkeit nicht ermöglicht werden kann. Häring will das „geistliche Verfahren“ nicht zulassen bei „auffällig grober, mit einseitigen egoistischen Motiven verbundener Schuld“ am Scheitern der Vorehe und Familie, öffentlichem Ärgernis in der Gemeinde aus dem Verhalten des/der Betroffenen, nicht eingelösten Verbindlichkeiten gegenüber dem Partner und den Kind(ern) aus der früheren Ehe, und bei einer zu „kurzen Zeitspanne seit dem Scheitern der Ehe, in der zugefügte Wunden noch nicht geheilt und die entstandenen Ärgernisse noch nicht verarbeitet sind“ (ebd., S. 115). Erst wenn diese Negativbedingungen ausgeschlossen sind, soll das „geistliche Verfahren“ nach Häring eröffnet werden. Es ist offensichtlich, dass diese Vorgehensweise auf die Zulassung zur Kommunion abzielt; für die Frage einer erneuten Eheschließung ist sie ungeeignet. 117 Heimerl/Pree, Kirchenrecht (Anm. 2), S. 209.
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foro interno extrasacramentali von der Verpflichtungskraft des Hindernisses dispensieren, wenn das Hindernis des bestehenden Ehebandes nicht beweisbar wäre? In den meisten Fällen wohl nicht, denn eine erfolgte Eheschließung ist (fast) an allen Orten dieser Welt dokumentarisch nachweisbar. Und in geheimen Fällen, wenn das Hindernis tatsächlich vorliegt, aber geheim ist und aller Voraussicht nach auch bleiben wird? Eine Entscheidung in foro interno sacramentali durch den Pönitentiar wäre auf jeden Fall äußerlich nicht beweisbar, da darüber weder schriftliche Aufzeichnungen aufbewahrt werden dürfen noch eine mündliche Aussage gemacht werden kann. Und hinsichtlich der Dispens ist das bei Güttler Ausgeführte zu beachten, was den Vorschlag Kaspers in die Nähe dieser Lösung rückt.118
IX. Den Königsweg gibt es nicht Das Bekenntnis zur Unauflöslichkeit der Ehe und die Botschaft von der grenzenlosen Barmherzigkeit Gottes lassen sich nicht völlig widerspruchsfrei in Einklang bringen. Das zeigt der Umgang mit gescheiterten Ehen und die daraus sich oft ergebende Frage der Zulassung zu einer neuen Ehe in den Kirchen des Ostens wie Westens. Die derzeitige Praxis der katholischen Kirche für sich besehen erscheint, das konnte gezeigt werden, nicht konsistent, von den Gläubigen wird sie überwiegend als unbefriedigend, ja sogar als unbarmherzig abgelehnt. Die Suche nach einer überzeugenderen Lösung gleicht freilich einer Gratwanderung, „die Barmherzigkeit nicht der Wahrheit zu opfern und ebenso wenig die Wahrheit der Barmherzigkeit. […] Echte Barmherzigkeit (ist) niemals von der Wahrheit zu trennen.“119 Was ge-
118 Beim liturgischen Mitwirken im Falle einer neuen Eheschließung sollte, um die Gefahr einer Verdunkelung der Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft der Ehe zu minimieren, eine Zeit der Buße analog der Praxis der Frühen Kirche vorgeschalten werden, die freilich heute nicht an Wartejahren zu messen ist, sondern mit Inhalten gefüllt werden muss. Vorschläge dazu unterbreitet Sigrid Müller, Nach Scheidung Wiederverheiratete, in: Hilpert/Laux, Leitbild (Anm. 87), S. 167 – 182, hier S. 179. Nach einer bis ins vierte Jahrhundert zurückreichenden Tradition legt die Orthodoxie bis heute geschiedenen wie verwitweten Wiederverheirateten einen bis zu zweijährigen Ausschluss von der Eucharistie bei Zweitehen und einen bis zu fünfjährigen Ausschluss im Falle einer dritten Ehe als Buße auf – nach c. 87 des Trullanischen Konzils von 691 betrug die Ableistung der vorgeschriebenen Buße noch sieben Jahre. Das Konzil von Trient hat bekanntlich die katholische Lehre und Disziplin gegenüber der reformatorischen Bestreitung als evangeliumsgemäß verteidigt, aber die auf dem Ökonomieprinzip basierende abweichende Tradition der Ostkirchen mit ihrer „aus Nachsicht“ ermöglichten liturgischen Feier auch bei Zweit- und Drittehen – wie das Konzil von Florenz – bewusst nicht verurteilt; vgl. Anargyros Anapliotis, Ehescheidung und Oikonomia im kanonischen Recht der Orthodoxen Kirche, in: Graulich/Seidnader, Zwischen Jesu Wort und Norm (Anm. 31), S. 127 – 144. 119 Bischöfliches Ordinariat Eichstätt – Hauptabteilung Seelsorge, Referat Ehe und Familie (Hrsg.), „… Das geknickte Rohr nicht brechen!“ Orientierungshilfen für die Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen, Eichstätt o. J., S. 3.
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sucht wird, ist ein Weg zwischen Rigorismus und Laxismus120, ist Oikonomia, verstanden im Wortsinn als das „rechte Haushalten“ mit dem Recht unter dem Vorzeichen der Liebe zum Menschen. Es gilt, die Wahrheit nicht nur mit Liebe zu sagen121, sondern sie in Liebe zu tun (Eph 4,15). Gefragt ist „eine Hermeneutik, die von der Liebe des Guten Hirten beseelt ist und die sieht, dass hinter jedem Vorgang, hinter jeder Causa Personen stehen, die Gerechtigkeit erwarten.“122 Es muss ein neuer Weg zwischen der stark juridischen Sicht der Ehe im katholischen Westen und der deutlicher die sakramentale Tiefendimension betonenden Perspektive der Orthodoxie gesucht werden. Dazu könnte katholischerseits von den zur Verfügung stehenden Instituten m. E. am ehesten die aequitas canonica beitragen, die als fundamentales Prinzip der Rechtsanwendung123 deutliche Parallelen zum Oikonomiaprinzip der Orthodoxie aufweist. Auch wenn ihr in beiden Gesetzbüchern der Katholischen Kirchen kein eigener Abschnitt gewidmet ist, wird sie doch an vielen Stellen ganz selbstverständlich eingefordert.124 Die kanonische Billigkeit als klassisch formulierte „iustitia dulcore misericordie temperata“125 ist dabei in ihrer Bezogenheit auf die salus animarum zu verstehen, mit der sie in c. 1752 CIC/1983 in einem Atemzug genannt wird. Kanonische Billigkeit walten zu lassen bedeutet in dieser Perspektive, bei allen Entscheidungen „unter besonderer Berücksichtigung der situativen Umstände eine zum Wohl des Betroffenen gerechte Lösung zu ermitteln.“126 Konkret könnte das bedeuten: Auf der Basis verwaltungsmäßig geprüfter Voraussetzungen127 und der aequitas canonica 120 Dazu neigt die gegenwärtige Praxis der Orthodoxie, welche die Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft der Ehe unter dem Vorzeichen der Barmherzigkeit zu einer weichgespülten Leerformel degeneriert. 121 „Relatio Synodi“ (Anm. 25), Nr. 28 (S. 13). 122 Kasper, Evangelium (Anm. 6), S. 60. 123 Thomas Schüller, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation in der Kirche im Dienste der salus animarum, Würzburg 1993, bes. S. 324 – 438. 124 Z. B. cc. 19 CIC/1983 bzw. 1501 CCEO, 221 § 2 CIC/1983 bzw. 24 § 2 CCEO, 271 § 3 CIC/1983 bzw. 362 § 1 CCEO, 686 § 3 CIC/1983 bzw. 490 CCEO, 702 § 2 CIC/1983 bzw. 503 § 2 CCEO, 1148 § 3 CIC/1983 bzw. 859 § 3 CCEO, 1752 CIC/1983 bzw. 1400 CCEO. 125 Heinrich von Segusia (Hostiensis), Summa, Lib. V, De dispensatione, Lyon 1537 (= Aalen 1962), S. 289. Als durch (christliche) Barmherzigkeit gemilderte Gerechtigkeit macht die kanonische Billigkeit die Normapplikation an einen Lebenssachverhalt elastisch und verleiht dadurch dem Kirchenrecht seinen pastoralen Charakter. 126 Thomas Schüller, Art. Aequitas canonica, in: LKRStKR I, S. 35 – 36, hier S. 36. Dabei geht es um mehr als die Erzielung einer höheren Gerechtigkeit, wie sie mit dem Institut der Billigkeit auch im weltlichen Rechtsbereich angestrebt wird; es geht um die misericordia als Spezifikum der kanonischen aequitas. Die salus animarum erfordert letztendlich die misericordia. Rigorismus als entgegengesetzte Haltung lässt die Kirche nicht nur als strenge Sittenwächterin und moralische Lehrmeisterin erscheinen, er konterkariert obendrein das Evangelium von der Barmherzigkeit Gottes. 127 Z. B. der Nachweis für die Unmöglichkeit sowohl einer Wiederherstellung der Vorehe wegen der nicht mehr vorhandenen personalen Bindung der Gatten aneinander als auch einer
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könnte analog zum orthodoxen Vorgehen die Kirche128 die Feststellung treffen, „dass eine Verpflichtung gegenüber dem Eheband nicht mehr besteht, da die Bedingungen durch das nicht wieder gutzumachende Scheitern der Ehe nicht mehr herstellbar sind, dass die Ehe in diesem Sinne ,tot‘ ist. […] Die Anwendung der aequitas canonica in Form der Gewährung einer Zweitehe unter Absehen von c. 1085 § 1 CIC/1983 aufgrund des festgestellten Scheiterns der Ehe würde nicht den Kerngehalt der Unauflöslichkeit der Ehe im Sinne des wesenhaften Merkmals der Ehe als Teilhabe an der Gnade des Reiches Gottes und der Einheit mit seiner Kirche verletzen“129. Hinsichtlich der Formulierung „Gewährung einer Zweitehe unter Absehen von c. 1085 § 1 CIC/1983“ gilt auch hier der Einwand, der bei Güttlers Vorschlag unter VIII. 1. gemacht wurde. Während Güttler ganz westlich-juridisch die Lösung sucht, kommt dem Ansatz von Belliger der Charme zu, die Ehelehre und -praxis der Kirche Jesu Christi in Ost und West ein Stück weit einander anzunähern und zu versöhnen. Dass die lateinische Kirche im Umgang mit Scheidung und Wiederheirat diesen Wege gehen könnte, lässt sich daran ablesen, dass sie die Oikonomialehre der orthodoxen Kirchen nie verworfen hat, die sich zwar auf einen anderen Strang der biblischen und patristischen Tradition stützt, aber gerade dadurch sich als eine ebenfalls mögliche Lösung ausweist. Was katholischerseits mit Recht kritisiert wird, ist die derzeitige teilweise sehr laxe Umsetzung des Prinzips, also die Praxis. Die Frage wird daher sein, ob die Kirche des Westens beim Umgang mit gescheiterten Ehen wirklich eine überzeugende(re) Lösung als ihre bisherige finden und bei der Zulassung zu einer neuen Eheschließung neue Wege gehen will.
X. Schluss Braucht man das Ehenichtigkeitsverfahren in Zukunft noch? Ja! Selbst wenn man den vertragsrechtlichen Aspekt der Eheschließung relativiert, kann doch nicht bestritten werden, dass der Konsens in allen kirchlichen Eherechtssystemen allein oder im Zusammenspiel mit dem Tun des Priesters bei der kirchlichen Trauung Wirkursache der Ehe ist. Es kann aber bekanntlich Mängel im Willen geben, die die Ungültigkeit der Eheschließung zur Folge haben. In katholischer Perspektive folgt daraus: Die ehemaligen Gatten haben nach cc. 1674,18 CIC/1983 bzw. 1360,18 CCEO kirchlichen Nichtigerklärung derselben, die Aufarbeitung der Schuld am Zerbrechen der ersten Ehe, die Klärung und Einhaltung der Verbindlichkeiten daraus gegenüber dem Partner und eventuell vorhandenen Kindern mit ihm, eine tragfähige menschliche und christliche Basis der neuen Beziehung und die Unmöglichkeit, die in der vielleicht schon zivilrechtlich geschlossenen neuen „Ehe“ eingegangenen Verpflichtungen nicht ohne neue Schuld aufgeben zu können. 128 Festzumachen in der Person des Diözesanbischofs oder einer von ihm beauftragten Person (z. B. Bischofsvikar) mit seinem Apparat, der ähnlich Kompetenzen aufweisen müsste wie das heutige Gerichtspersonal. Denkbar wäre auch, das Offizialat je nach dem beschrittenen Weg in zwei Abteilungen aufzuteilen. 129 Belliger, Wiederverheiratete Geschiedene (Anm. 112), S. 313 – 315.
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einen Rechtsanspruch auf Anfechtung ihrer Ehe und auf ein Urteil „servatis iuris praesriptis cum aequitate applicandis“130. Beim Scheitern einer Ehe sollte die Katholische Kirche deshalb selbst bei Eröffnung eines anderen Weges nicht auf die Möglichkeit zur Überprüfung der Gültigkeit der gescheiterten Ehe verzichten. Die Gerichte der I. Instanz sind zu stärken, ihr Dienst ist in bestimmten Situationen auch künftig hilfreich. Aber allein auf sie zu setzen, wird nicht genügen.
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Cc. 221 § 2 CIC/1983 bzw. 24 § 2 CCEO.
Staat und Kirche
Heiliger Stuhl und Vereinte Nationen Bedeutung und Tragweite der Ansprachen der Päpste vor der Generalversammlung Yves Kingata Als Papst Paul VI. (1963 – 1978) vor 50 Jahren, anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen, der Einladung ihres Generalsekretärs folgte und zugleich eine apostolische Reise in die USA unternahm, ging er als der Pontifex Romanus in die Geschichte ein, der als erster amerikanischen Boden betrat. Der Höhepunkt seines Aufenthaltes bleibt die am 4. Oktober 1965 vor der Generalversammlung der UNO gehaltene Ansprache. Damit steht Papst Paul VI. an der ersten Stelle einer Reihe von drei Päpsten, die alle zusammen im Namen der Kirche vier Ansprachen vor dem Hauptorgan dieser Organisation hielten. Während Johannes Paul II. (1978 – 2005) zweimal, 1979 und 1995, vor diesem Forum gesprochen hatte, standen Paul VI. (1963 – 1978) und Benedikt XVI. (2005 – 2013) jeweils einmal, und zwar 1965 und 2008, vor der Vollversammlung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Davon ausgehend stellen sich folgende Fragen: Warum soll die katholische Kirche bei den Vereinten Nationen mitreden? Was hat Diplomatie mit Christentum zu tun? Welche Interessen vertreten die Päpste? Welche Themen sind wichtig? Was beabsichtigt die Kirche? Welche Bedeutung und Tragweite hat diese vor den Vertretern der Vereinten Nationen verkündete Botschaft? Es kann und soll im Folgenden nicht um eine Analyse und Bewertung der gesamten Zusammenarbeit des Heiligen Stuhls mit den Vereinten Nationen gehen, sondern nur um die von den Päpsten vor der Generalversammlung gehaltenen Ansprachen. Der Versuch, eine Antwort auf diese Fragen zu geben, muss aus dem Blickwinkel folgender Pole angegangen werden: unter dem Aspekt des Anspruches, den die kirchliche Leitungsgewalt postuliert einerseits, und unter dem Aspekt des Anspruches, den die Vereinten Nationen erheben, andererseits.
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I. Heiliger Stuhl und Vereinte Nationen 1. Die Vereinten Nationen Als ein Beispiel eines universalen und generellen Zusammenschlusses der Völker nehmen die Vereinten Nationen innerhalb des Rechts der internationalen Organisationen aufgrund ihrer Universalität und ihres weiten Tätigkeitsfeldes eine hervorgehobene Stellung ein. Dies wird insbesondere dadurch verdeutlicht, dass nach dem Beitritt der Republik des Südsudans1 195 der 196 Staaten der Welt Mitglieder dieser internationalen Organisation sind. Sie wird deshalb auch als Weltorganisation bezeichnet.2 Ihre Entstehung geht auf das alte „ius gentium“ zurück und liegt dem Prinzip der Verantwortung zum Schutz der Regierten zugrunde, das als Grundlage für jede Handlung der Regierungen in Hinblick auf ihre Völker angesehen wurde. Diese Verantwortung sei ein Aspekt der natürlichen Ordnung, die von allen Völkern geteilt wird und das Ergebnis einer internationalen Regelung darstellt, wie der Dominikanermönch Francisco De Vitoria3, der als ein Vorreiter in Bezug auf die Idee der Vereinten Nationen gilt, in einer Zeit, in der das Konzept der souveränen Nationalstaaten zum ersten Mal entwickelt wurde, erklärte. Die Aufgabe dieser internationalen Ordnung bestand darin, die Beziehungen zwischen den Völkern zu regeln.4 Diese Idee eines Staatenbundes zur Sicherung des Friedens, die eigentlich bis in die Zeit des Kaisers Augustus und der „pax romana“ zurückverfolgt werden kann5, wurde nach dem Ersten Weltkrieg vom US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson (1856 – 1924)6 aufgegriffen. Ihre Konkretisierung erfolgte allerdings erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Unterzeichnung der UN-Charta am 26. Juni 1945. Die Unterzeichner verpflichteten sich, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal […] unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“7. Als Frankreich, die ehemalige Sowjetunion, das Vereinigte Königreich, die USA und viele andere Länder am 24. Oktober 1945 die Urkunde unterschrieben, wurde die Organisation der Vereinten Nationen offiziell ge-
1 Die Republik des Südsudans tritt der Organisation am 13. Juli 2011 bei. Vgl. UN Doc. S/ RES/1999 (2011) vom 13. Juli 2011. 2 Vgl. Knut Ipsen, Völkerrecht, München 2014, S. 234. 3 Der spanische Dominikanermönch und Philosoph Francisco de Vitoria (ca. 1483 – 1546) gilt als Begründer des Völkerrechtes. Er übt offen Kritik am unkontrollierten Morden der Konquistadoren in der neu entdeckten Welt. Vgl. Norbert M. Borengässer, Francisco de Vitoria, in: Friedrich Wilhelm Bautz/Traugott Bautz (Hrsg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 12, Herzberg 1997, Sp. 1525 – 1530. 4 Vgl. Benedikt XVI., Ad Delegatos Nationum Unitarum, in: AAS 100 (2008), S. 331 – 337, hier S. 333. 5 Vgl. Ipsen (Anm. 2), S. 234. 6 Vgl. ders., ebd., S. 235. 7 Art. 1 UN-Charta, in: BGBl. II 1980, S. 1252.
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gründet.8 Gemäß ihrer Präambel setzen sich die Staaten zum Ziel, den Weltfrieden zu sichern und die internationale Zusammenarbeit zu fördern.9 Dieser Staatenbund versteht sich als ein globales Forum für internationale Zusammenarbeit. Die Struktur der Vereinten Nationen setzt sich aus Haupt-, Neben- und Sekretariatsorganen zusammen. Zu den wichtigsten Organen gehören die Generalversammlung, der Sicherheitsrat, der Wirtschafts- sowie der Sozialrat.10 Die Breite ihrer Aufgaben reicht von der Sicherheitspolitik, deren Schwerpunkt die Erhaltung des Friedens bildet, über die Menschenrechtspolitik bis hin zur Entwicklungszusammenarbeit sowie der Nachhaltigkeit im Umgang mit der Umwelt. Alle ergriffenen Maßnahmen sollen den Zusammenhalt und den Fortschritt in der Weltgemeinschaft fördern. Dabei geht es nicht nur um die Sicherheit von Staaten, sondern auch um jene der in ihnen lebenden Menschen. Das heißt, der Einsatz für den Frieden soll an verschiedenen Fronten geführt werden. An der einen Front geht es um Sicherheit, an der anderen um wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Nur ein Sieg an beiden Fronten wird der Welt einen dauerhaften Frieden bescheren.11 So stellte sich diese Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg erstaunlich modern dar. Grundsätzlich bietet sie ihren Mitgliedsstaaten ein System aus Normen und Regeln an und erwartet deren Einhaltung. Diese Hoffnung wird jedoch nicht selten enttäuscht.12 Eine Hauptschwierigkeit der Vereinten Nationen besteht darin, dass unilaterales Vorgehen von großen und mächtigen Staaten bevorzugt wird, weil Multilateralismus ihre Handlungsmöglichkeiten beschneide.13 Dennoch hat sich die UNO nach dem Zweiten Weltkrieg als geeignetes Forum erwiesen, das es wagt sowie dem es manchmal gelang und gelingt, kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern. Es kann so als das Gremium betrachtet werden, das am ehesten in der Lage ist, die Hoffnung auf eine friedliche Weltgemeinschaft zu moderieren und voranzubringen. 2. Der Heilige Stuhl bei der UNO Schon während der Amtszeit Pius XII. (1939 – 1958) und Johannes XXIII. (1958 – 1963) wurde das gegenseitige Interesse des Heiligen Stuhls und der Vereinten Nationen für eine Zusammenarbeit deutlich, indem Ersterer bereits seine Beobachter vereinzelt zu Sitzungen der UN-Organe schickte und Letzterer sie teilnehmen ließ. 8
Vgl. Ipsen (Anm. 2), S. 237. Vgl. Art. 1 UN-Charta, in: BGBl. II 1980, S. 1252. 10 Vgl. Art. 7 UN-Charta, in: BGBl. II 1980, S. 1252; Yves Kingata, Das päpstliche Gesandtschaftswesen und die Nuntiatur in der Demokratischen Republik Kongo. Zugleich ein Beitrag zum Staat-Kirche-Verhältnis in der Demokratischen Republik Kongo, St. Ottilien 2013, S. 138. 11 Vgl. Ipsen (Anm. 2), S. 239. 12 Vgl. Andreas Sommeregger, Soft Power und Religion. Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen, Wiesbaden 2011, S. 261. 13 Vgl. Albrecht Horn, Die Vereinten Nationen und multilaterale Sicherheitspolitik. Ergebnisse und notwendige Reformen, Berlin 2005, S. 25; Sommeregger (Anm. 12), S. 261. 9
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Nicht zuletzt ist die Verzögerung der Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl darauf zurückzuführen, dass sich internationale Organisationen als politisch und völkerrechtlich bedeutsame Faktoren der internationalen Beziehungen relativ spät entwickelt haben. Ferner spielte die ablehnende Einstellung Italiens gegenüber einer Teilnahme des Heiligen Stuhls an den Friedenskonferenzen von Den Haag (1899/1922) und gegenüber einer Teilnahme an den Pariser Verhandlungen zum Völkerbund eine nicht unbedeutende Rolle.14 Papst Paul VI. (1963 – 1978) übernahm nach seiner Wahl bei der Einbeziehung des Heiligen Stuhls die tragende Rolle. Aufgrund seiner moralischen Rechtspersönlichkeit (vgl. c. 113 § 1) und der dem Heiligen Stuhl durch die Lateranverträge15 zugestandenen völkerrechtlichen Autorität nahm Paul VI. formelle Beziehungen zu den Vereinten Nationen auf. Gemäß c. 361 CIC ist unter der Bezeichnung „Apostolischer Stuhl“ oder „Heiliger Stuhl“ nicht nur der Papst zu verstehen, sondern auch, wenn nicht aus der Natur der Sache oder aus dem Kontext anderes offensichtlich ist, das Staatssekretariat, der Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche und andere Einrichtungen der Römischen Kurie. Den Organen der Römischen Kurie selbst kommen diese Stellung und Kompetenz nicht zu. Weil sich die Lateranverträge auf die Akkreditierung beim Heiligen Stuhl und nicht beim Staat der Vatikanstadt beziehen, werden diplomatische Beziehungen mit anderen Staaten nur durch den Heiligen Stuhl unterhalten. Es ist jedoch festzuhalten, dass die diplomatischen Vertreter des Heiligen Stuhls sowohl den Apostolischen Stuhl selbst als auch den Staat der Vatikanstadt vertreten. Die Völkerrechtssubjektivität des „Heiligen Stuhls“ bezieht sich aber nicht auf die weitgefasste Definition von c. 361 CIC, sondern nur auf den Papst. Mit Notenwechsel16 vom 21. März und 6. April 1964 zwischen dem Päpstlichen Staatssekretariat und dem damaligen Generalsekretär U Thant wurde die Stelle eines ständigen Beobachters des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen geschaffen.17 Unter Wahrung der Normen des internationalen Rechts lässt sich der Heilige Stuhl bei Staaten sowie anderen Organisationen durch seine Gesandten vertreten (vgl. c. 362 CIC). Die Partizipation des Heiligen Stuhls beruht dabei grundsätzlich auf einer Mischung aus institutionalisierten Zugängen – als Zeichen der Anerkennung 14 Vgl. Paul Mikat, Zum Verhältnis des Heiligen Stuhls zu internationalen Organisationen, in: Albrecht Dieter (Hrsg.), Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, Berlin 1983, S. 281 – 304, hier S. 281; Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen, Berlin 1975, S. 686; Kingata (Anm. 10), S. 127. 15 Vgl. AAS 21 (1929), S. 215; Art. 12 Abs. 1. Lateranverträge, in: Romuald H. Haule, Der Heilige Stuhl/ Vatikanstaat im Völkerrecht, Köln 2006, S. 373 – 382, hier S. 377; Kingata (Anm. 10), S. 53. 16 Vgl. Haule (Anm. 15), S. 297. 17 Alberto Giovannetti war der erste ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in New York. Das heißt: Er übte dieses Amt von 1964 bis 1973 aus. Vgl. AAS 57 (1965), S. 885; Annuario Pontificio 1965, S. 982, Annuario Pontificio 1972, S. 1061.
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seiner Leistungen als gesellschaftliche Kraft – und Entgegenkommen.18 So ergeben sich vier Rechtsformen der Teilnahme des Heiligen Stuhls an den internationalen Organisationen: Der Vertreter ist entweder Vollmitglied, Beobachter, ständiger Vertreter, der mitarbeitend tätig ist, oder ein Vertreter, der nur gelegentlich beteiligt ist.19
II. Das Interesse des Heiligen Stuhls 1. Kirche und Staat: Unabhängige und souveräne Gesellschaften Nach einer protokollarischen Begrüßung scheint den Päpsten wichtig auszudrücken, dass sie der Einladung des Generalsekretärs gefolgt sind sowie aufgrund der völkerrechtlichen Stellung des Heiligen Stuhls das Wort vor diesem bedeutenden Forum ergreifen. Insbesondere Paul VI. und Johannes Paul II. gehen in ihren Ansprachen vom 4. Oktober 1965 und 2. Oktober 1979 unmittelbar nach der protokollarischen Begrüßung auf das vom Zweiten Vatikanischen Konzil grundsätzlich veränderte Verhältnis der Kirche zum Staat ein.20 Zugunsten einer nicht polarisierten Verbindung von Kirche und Welt legt nämlich das Zweite Vatikanum fest: 18
Vgl. Sommeregger (Anm. 12), S. 128. Vgl. ders., ebd., S. 293; Köck, (Anm. 14), S. 753; ders., Die multilaterale Diplomatie des Heiligen Stuhls, in: ÖAKR 32 (1981), S. 204 – 226, hier S. 211; Kingata, (Anm. 10), S. 129. 20 Paul VI. bekräftigt es wie folgt: „Cette rencontre, vous en êtes tous bien conscients, revêt un double caractère: elle est empreinte à la fois de simplicité et de grandeur. De simplicité car celui qui vous parle est un homme comme vous; il est votre frère, et même un des plus petits parmi vous, qui représentez des Etats Souverains, puisqu’il n’est investi – s’il vous plaît de Nous considérer à ce point de vue – que d’une minuscule et quasi symbolique souveraineté temporelle: le minimum nécessaire pour être libre d’exercer sa mission spirituelle et assurer ceux qui traitent avec lui qu’il est indépendant de toute souveraineté de ce monde. Il n’a aucune puissance temporelle, aucune ambition d’entrer avec vous en compétition. De fait, Nous n’avons rien à demander, aucune question à soulever; tout au plus un désir à formuler, une permission à solliciter: celle de pouvoir vous servir dans ce qui est de Notre compétence, avec désintéressement, humilité et amour.“ Paul VI., Summi pontificis allocution consilio nationum unitarum, in: AAS 57 (1965), S. 877 – 885, hier S. 877; Johannes Paul II. drückt die gleiche Idee folgendermaßen aus: „The formal reason for my intervention today is, without any question, the special bond of cooperation that links the Apostolic See with the United Nations Organization, as is shown by the presence of the Holy See’s Permanent Observer to this Organization. The existence of this bond, which is held in high esteem by the Holy See, rests on the sovereignty with which the Apostolic See has been endowed for many centuries. The territorial extent of that sovereignty is limited to the small State of Vatican City, but the sovereignty itself is warranted by the need of the papacy to exercise its mission in full freedom, and to be able to deal with any interlocutor, whether a government or an international organization, without dependence on other sovereignties. Of course the nature and aims of the spiritual mission of the Apostolic See and the Church make their participation in the tasks and activities of the United Nations Organization very different from that of the States, which are communities in the political and temporal sense.“ Johannes Paul II., Palatium deinde adiit Nationum Unitarum: in quod ingressus, allocutionem habuit ad earundem Nationum Legatos, 19
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„Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen […]. Die Kirche aber, in der Liebe des Erlösers begründet, trägt dazu bei, dass sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten.“ (GS 76, 3)
Es ist auffallend, dass die Päpste schon am Anfang ihrer Reden für ein klares Staat-Kirche-Verhältnis sorgen. Paul VI. spricht von der Souveränität, die der Kirche und dem Apostolischen Stuhl seit vielen Jahrhunderten zusteht. Sie liegt der Zusammenarbeit mit der UNO zugrunde. Zwar handelt es sich dabei um ein kleines Territorium21 des Staates der Vatikanstadt, aber diese Souveränität ist für die Kirche und den Heiligen Stuhl notwendig, damit sie bei ihren innenkirchlichen sowie internationalen Angelegenheiten ihrer Sendung treu bleiben und das Evangelium unabhängig von jeder menschlichen Gewalt verkündigen können (vgl. c. 747 § 1 CIC). Wie Paul VI. geht auch Johannes Paul II. von dieser Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls aus und betont zugleich die besondere Art der Zusammenarbeit, die den Apostolischen Stuhl mit der Organisation der Vereinten Nationen verbindet. Diese Verbindung, der der Heilige Stuhl große Beachtung schenkt, hat ihren inneren Grund in der Souveränität, die den Apostolischen Stuhl seit vielen Jahrhunderten auszeichnet.22 Papst Johannes Paul II. unterstreicht das Wesen und die Ziele der besonderen geistlichen Mission des Apostolischen Stuhls sowie der Kirche. Diese bringen es mit sich, dass sich die Teilnahme des Apostolischen Stuhls an Aufgaben und Aktivitäten der UNO sowie sein Beitrag von denen anderer politisch-weltlicher Staaten stark unterscheiden.23 Papst Benedikt XVI. geht zwar nicht auf die Souveränität des Apostolischen Stuhls den anderen Staaten gegenüber ein, aber er erwähnt diesbezüglich seine Vorgänger Paul VI. sowie Johannes Paul II. und bekräftigt die besondere Stellung des in: AAS 71 (1979), S. 1144 – 1160, hier S. 1144; ders., Ansprache vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober 1979, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 13 (1979), S. 68 – 84, hier S. 68. 21 Paul VI. bezeichnet sein Territorium als minuscule et quasi symbolique souveraineté temporelle und stellt sich selbst wie folgt vor: „Celui qui vous parle est votre frère, et même un des plus petits parmi vous qui représentez des États souverains“, Paul VI. (Anm. 20), S. 877. 22 Vgl. Johannes Paul II. (Anm. 20), S. 1145. 23 In der am 5. Oktober 1995 gehaltene Ansprache vor der Generalversammlung heißt es: „Der Hl. Stuhl war aufgrund seiner ihm eigenen geistig-geistlichen Sendung, die ihn um das ganzheitliche Wohl jedes Menschen besorgt sein lässt, von Anfang an ein überzeugter Befürworter der Ideale und der Ziele der Organisation der Vereinten Nationen. Die jeweilige Zielsetzung und die Arbeitsweise sind natürlich verschieden, doch die gemeinsame Sorge um die Menschheitsfamilie eröffnet vor der Kirche und vor der UNO beständig weite Gebiete der Zusammenarbeit.“ Johannes Paul II., Die Menschheit braucht Mut zur Zukunft. Ansprache des Papstes in New York am 5. Oktober, in: Oss. dt. vom 13. Oktober 1995, S. 1 – 3.4, hier S. 1.
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Heilige Stuhls wie sie diese beiden betont haben.24 Seine Anwesenheit in der Vollversammlung der Vereinten Nationen drückt den Willen der katholischen Kirche aus, den ihr eigenen Beitrag beim Aufbau internationaler Beziehungen solcher Art zu leisten, die erlauben, dass jede Person und jedes Volk merkt, dass sie eine unersetzliche Rolle spielen.25 Aufgrund ihrer Erfahrung an „Humanität“, die sich im Lauf der Jahrhunderte geformt hat und gereift ist, ist die katholische Kirche stets darum bemüht, für das friedliche Zusammenleben unter den Nationen und für den Schutz der Menschenrechte der Weltgemeinschaft ihre Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Hierfür bleiben die Vereinten Nationen ein bevorzugter Ort.26
2. Originalität, Interesse und Notwendigkeit der UNO Die Ansprache Paul VI. vor der Generalversammlung der UNO umfasst sieben Abschnitte. Nach einer Einleitung stützt sich Papst Paul VI. in den Abschnitten 1 bis 4 auf die Charta der Vereinten Nationen, die er ausführlich kommentiert, um die Originalität sowie die Notwendigkeit dieser Organisation darzulegen. So stellt er 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Staatenbund als „l’ultime espoir de la concorde et de la paix“27 vor. Das heißt, bei der Hälfte seiner Botschaft handelt es sich fast nur um eine Zustimmung ohne jede Reserve zur Aufgabe der UNO, die Paul VI. als eine moralische und feierliche Bestätigung dieser Institution bezeichnet.28 Diese stelle den unumgänglichen Weg zur modernen Zivilisation und zum Weltfrieden dar.29 Außerdem markiert sie eine wichtige Etappe in der Entwicklung der Menschheit. Deshalb sei es notwendig, dass die Organisation allen Nationen ihre Türen öffnet. Sie soll dafür sorgen, dass alle Mitglieder gleichgestellt werden.30 Auch Johannes Paul II. unterstreicht in seiner ersten Ansprache vom 2. Oktober 1979 die Wertschätzung und die Zustimmung des Heiligen Stuhls zur historischen Bedeutung der Organisation der Vereinten Nationen. Er bezeichnet sie als das oberste Forum des internationalen Lebens der heutigen Menschheit.31 Daher soll sie aufgrund ihres universellen Charakters niemals aufhören, jene hohe Instanz zu sein, von der aus alle Probleme des Menschen im Geist der Wahrheit und der Gerechtigkeit gewertet werden.32 Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der UNO wiederholt Papst Johannes Paul II. am 5. Oktober 1995 vor der Generalversammlung das Interesse des Apostolischen Stuhls und der katholischen Kirche an der Arbeit dieser Organisation, 24
Vgl. Benedikt XVI. (Anm. 4), S. 337 – 338. Vgl. ebd., S. 338. 26 Vgl. ebd. 27 Paul VI. (Anm. 20), S. 879. 28 Vgl. ebd., S. 879. 29 Vgl. ebd., S. 880. 30 Vgl. ebd. 31 Vgl. Johannes Paul II., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1145. 32 Vgl. ebd., S. 1147. 25
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die von vielen als ein Zeichen der Hoffnung für eine bessere Zukunft für die Weltgemeinschaft betrachtet wird.33 Benedikt XVI., der das 60. Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (1948 – 2008) zum Anlass nahm, der Einladung des Generalsekretärs zu folgen, knüpft an seine Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. an. Er bekundet seine Anerkennung für die UNO, die immer mehr ein Symbol der Einheit und ein Instrument im Dienst der Weltgemeinschaft sein soll. Die Organisation bemüht sich darum, die Entfaltung des Lebens der Völker im Alltag nach verbindlichen internationalen Regeln und Strukturen zu harmonisieren.34 Deshalb schauen die Völker auf diese Einrichtung, damit sie, der Gründungsinspiration folgend, ein Zentrum für die Harmonisierung der Maßnahmen der Nationen für die Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele „des Friedens und der Entwicklung werde“35. 3. Weltfrieden und Menschenrechte Seit jeher hat sich die katholische Kirche in ihrer Sendung mit dem Dienst am Menschen identifiziert. Ab dem 20. Jahrhundert hat sich eine neue Dynamik entwickelt. Von Papst Leo XIII. (1878 – 1903)36 über Pius XI. (1922 – 1939)37 und Pius XII. (1939 – 1959)38 bis zu Johannes XXIII. (1959 – 1963)39 haben die Vorgänger Pauls VI. Vorstöße gemacht und sich in unterschiedlichster Weise für Belange eingesetzt, die mit Arbeiterfragen, demokratischen Bürgerrechten und Frieden unter den Menschen verknüpft waren.40 Bei den genannten Vorgängern Johannes XXIII. finden sich allerdings nur Annäherungen an die Idee der Menschenrechte, von denen er den entscheidenden Durchbruch in seiner Enzyklika „Pacem in terris“ vollzog. In diese Tradition ist auch die Rede Pauls VI. vor der Generalversammlung der UNO einzuordnen, wenn er unmissverständlich ruft: „Niemals wieder Krieg, niemals!“ Den Friedensappell, der zweifellos seine Ansprache vom 2. Oktober 1965 bei den Vereinten Nationen zu einer der bemerkenswerten Reden der 20. Jahrhunderts gemacht hat und in die Geschichte hat eingehen lassen, leitet Papst Paul VI. wie 33
Vgl. ders., Die Menschheit (Anm. 23), S. 1. Vgl. Benedikt (Anm. 4), S. 332. 35 Ebd., S. 331. 36 In den Enzykliken Immortale Dei vom 1. November 1885, vgl. Peter Hünemann, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationun de rebus fidei et morum, Wien 2005, Art. 3165 – 3178 und Rerum Novarum vom 15. Mai 1891, vgl. ders., ebd., Art. 3265 – 3271. 37 „Mit brennender Sorge“ vom 10. März 1937, in: AAS 29 (1937), S. 145 – 167. 38 Vgl. Pius XI., Divini redemptoris vom 19. März 1937, in: AAS 29 (1937), S. 65 – 106. 39 Vgl. Johannes XXIII., Pacem in Terris vom 11. April 1963, in: AAS 55 (1963), S. 257 – 301. 40 Vgl. Sebastian Schalk, Vatikanische Menschenrechtspolitik: Ziele, Prinzipien und Instrumente, in: Antonius Liedhegener/Ines-Jacqueline Werkner (Hrsg.), Religion, Menschenrechte und Menschenrechtspolitik, Wiesbaden 2010, S. 296 – 321, hier S. 300. 34
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folgt ein: „Nun erreicht meine Botschaft ihren Höhenpunkt […]. Es ist genau die Botschaft, die Sie von uns erwarten.“41 Dem Papst selbst sind die Ernsthaftigkeit sowie die Feierlichkeit seines Aufrufs bewusst: Nie wieder die einen gegen die anderen, nie wieder, nie wieder.42 Er nimmt Bezug auf die UN-Charta und unterstreicht, dass die Organisation für den Frieden und gegen den Krieg gegründet worden ist. Sie soll eine Schule sein, aus der Friedensarchitekten hervorgehen, die eine neue, wahre und friedliche Geschichte der Welt schreiben, die Gott Menschen guten Willens verheißen hat.43 Paul VI. greift die Enzyklika seines Vorgängers Johannes XXIII. „Pacem in terris“ auf und betont, dass die Vereinten Nationen sich für jene Grundrechte sowie Grundpflichten, die ihrer Würde und ihrer Freiheit zugrunde liegen, einsetzen. So scheint es ihm, dass die Botschaft Johannes XXIII. bei dieser Organisation eine ehrenwerte und erhebliche Resonanz gefunden hat. Im Unterschied zu Paul VI., der sich für sein Plädoyer für den Frieden sowie die Menschenrechte der UN-Charta bedient, geht Papst Johannes Paul II. von Anfang an auf die Allgemeine Erklärung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 ein. Er widmet den größten Teil (Abs. 3 – 17) seiner Ansprache vom 2. Oktober 1979 den Menschenrechten. Ausgehend vom Zweiten Vatikanischen Konzil, von päpstlichen Botschaften44 und Enzykliken sowie Dokumenten des katholischen Episkopates, die der UNO große Aufmerksamkeit geschenkt haben, erklärt er, dass die Existenzberechtigung dieser Organisation sowie darüber hinaus jeglicher Politik der Dienst am Menschen ist.45 Papst Johannes Paul II. bezeichnet die Allgemeine Erklärung über die Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 als „einen Meilenstein auf dem langen und schwierigen Weg der Menschheit“46. Vor dem Forum der Vereinten Nationen verhehlt er nicht, dass er als „Zeuge der Wahrheit“, „Zeuge für die Würde des Menschen“, „Zeuge für die Hoffnung“ und „ein Zeuge für den Glauben“ auftritt.47 In Anlehnung an das Zweite Vatikanische Konzil begründet er seine Verteidigung der Menschenrechte zum einen naturrechtlich, und zwar in Hinblick auf die Würde des Menschen, zum anderen theologisch, das heißt aufgrund der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.48 Er verlangt ausdrücklich, dass jede Form des Konzentrationslagers überall auf der Erde, jede Art von Tortur, physischer oder moralischer Unterdrückung, die 41
Paul VI. (Anm. 20), S. 881. Vgl. ebd. 43 Vgl. ebd. 44 Papst Johannes Paul II. erinnert ausführlich an die 14 Jahre vorher vor dem Forum der Vereinten Nationen von seinem Vorgänger Paul VI. gehaltene Ansprache und unterstreicht, dass auch er mit all seinen Kräften ihm darin nachfolgen und diesen seinen Dienst fortsetzen wolle. Vgl. Johannes Paul II., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1150. 45 Vgl. ebd, S. 1146 – 1147; ders., Ansprache (Anm. 20), S. 70 – 71. 46 Ders., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1149; ders., Ansprache (Anm. 20), S. 72 – 73. 47 Vgl. ders., Die Menschheit (Anm. 23), S. 4. 48 Vgl. ebd.; Schalk (Anm. 40), S. 300. 42
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durch irgendein System praktiziert wird, verschwindet.49 Er bekräftigt, dass der wahre Weg zur Einheit der UNO, der grundlegende Weg an keinem Menschen vorbeiführen kann.50 Auch Papst Benedikt XVI. sieht die universale Geltung der Menschenrechte im Naturrecht und in Gottes vernunftgemäßer Weltordnung verankert. Er bezeichnet sie als „die gemeinsame Sprache und das ethische Substrat der internationalen Beziehungen“51. Weil sie sich auf das natürliche Recht gründen, das im menschlichen Herzen angelegt und in den verschiedenen Kulturen sowie Zivilisationen gegenwärtig ist, dürfen sie nicht aus diesem Zusammenhang gelöst werden. Denn im Inland sowie auf internationaler Ebene zeigt das Leben der Gemeinschaft deutlich, dass die Achtung der Rechte und der Garantien, die aus ihnen folgen, Maßnahmen für das Gemeingut sind, die zur Beurteilung der Beziehungen zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Armut und Entwicklung, Sicherheit und Konflikt dienen.52 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle päpstlichen Ansprachen zweifellos fordern, an die Wurzeln des Friedens und des Krieges zu gehen und eine Dynamik anregen, durch die eine Inspiration für die zu ergreifenden Maßnahmen entstehen kann. a) Einsatz für die Abrüstung Man kann nicht mit Waffen in den Händen lieben. Die Botschaft Pauls VI. lautete: „Wenn ihr Brüder sein wollt, lasst die Waffen aus der Hand fallen“53. Moderne Waffen treiben schlechte Gefühle voran, schaffen Albträume sowie Argwohn, verderben sogar den Charakter, bevor sie Opfer und Ruin verursachen. Sie erfordern gewaltige Finanzausgaben. Sie zerstören Solidaritätsprojekte und nützliche Arbeit. Auch wenn Waffen weiterhin produziert werden können, sieht Paul VI. die Arbeit, den Mut sowie den Stellenwert der UNO darin, die Sicherheit der Weltgemeinschaft zu garantieren, ohne auf Waffen zurückzugreifen.54 Auch Johannes Paul II. geht auf die Entwicklung der Rüstungspolitik ein und hält eine ständige und sogar noch energischere Anstrengung für notwendig, die darauf abzielt, schon die Möglichkeit, einen Krieg zu provozieren, zu beseitigen, um solche Katastrophen wie die Kubakrise zukünftig unmöglich zu machen.55 Die Ansprache Benedikts XVI. weist zwar nicht direkt auf das Thema hin, regt aber an, die Anwen49 Vgl. Johannes Paul II., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1148; ders., Ansprache (Anm. 20), S. 72. 50 Vgl. ebd., S. 1152 – 1153; ders., Ansprache (Anm. 20), S. 76 – 77. 51 Benedikt XVI. (Anm. 4), S. 334. 52 Vgl. ebd. 53 Paul VI. (Anm. 20), S. 882. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. Johannes Paul II., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1151 – 1152; ders., Ansprache (Anm. 20), S. 75.
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dung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung und der technologischen Entwicklung zu hinterfragen. Er warnt davor, dass sie trotz der enormen Vorteile, die die Menschheit dadurch gewinnen kann, in einigen Fällen ein klarer Verstoß gegen die Ordnung der Schöpfung sind, und zwar bis zu dem Punkt, wo nicht nur dem heiligen Charakter des Lebens widersprochen wird, sondern auch die menschliche Person und Familie ihrer natürlichen Identität beraubt werden.56 Der Heilige Stuhl ging mit gutem Beispiel voran, als er sich an der Gründungskonferenz jener Unterorganisationen der Vereinten Nationen, wie der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearwaffen-Versuchen (CTBTO) und der Internationalen Atomenergieagentur57 (IAEA), beteiligte, die sich mit Angelegenheiten des Friedens und der Sicherheit beschäftigen und bei denen er automatisch den Status der Mitgliedschaft genießt. b) Die Zusammenarbeit zwischen den Völkern Die Vereinten Nationen sind nicht nur gegründet, um Konflikte zwischen den Staaten zu beseitigen. Paul VI. verlangt deshalb auch, den Entwicklungsländern einen Teil finanzieller Mittel zu widmen, die dank der Reduzierung der Rüstung verwirklicht werden können, und appelliert an einen konstitutiven Grundsatz der Vereinten Nationen.58 Es müsse darum gehen, die Staaten zu befähigen, füreinander zu arbeiten. Mehr als um eine einfache Koexistenz handelt es sich darum, eine brüderliche Zusammenarbeit der Völker zu organisieren und zu fördern. Johannes Paul II. bekräftigt diese Forderung wie folgt: „Auf der internationalen wirtschaftlichen Bühne muss sich eine Ethik der Solidarität durchsetzen, wenn man will, dass die Teilhabe, das wirtschaftliche Wachstum und eine gerechte Güterverteilung die Zukunft der Menschheit kennzeichnen sollen.“59
Es sei das Schönste am Auftrag der Vereinten Nationen und verleihe der UNO ihr authentischstes menschliches Gesicht. Paul VI. und Johannes Paul II. verwenden zwei nicht allzu weit auseinander liegende Konzepte, um die Zusammenarbeit zwischen den Völkern, den Weltfrieden und die Menschenrechte in den Fokus zu stellen. Denn Johannes Paul II. betont 56
Vgl. Benedikt XVI. (Anm. 4), S. 334. Vgl. Annuario Pontificio (2012), S. 1331; UNTS, Vol. 276 (1957), S. 360. 58 Vgl. Paul VI. (Anm. 20), S. 882 – 883. 59 Johannes Paul II., Die Menschheit (Anm. 23), S. 4. Papst Johannes Paul II. präzisiert nämlich, dass die internationale Zusammenarbeit, auf die sich die Charta der Vereinten Nationen beruft, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen (Art. 1, 3), nicht ausschließlich im Rahmen von Hilfe und Beistand oder gar auf Vorteile abzielend gedacht werden darf, die für die zur Verfügung gestellten Ressourcen zurückfließen […], sondern auch und vor allem unseren Einsatz für jene Solidarität verstärkten, die es anderen erlaubt, in den konkreten wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen jene Kreativität zu leben, die ein bezeichnendes Charakteristikum der menschlichen Person ist und die den Reichtum der Nationen ermöglicht. Vgl. ebd., S. 4. 57
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den Vorrang der spirituellen Werte als Basis des gerechten Friedens und macht aufmerksam auf Habgier sowie Gewinnsucht als Kriegsfaktoren. Er nennt zwei Gefahren, die die Menschenrechte im Rahmen der internationalen Beziehungen sowie innerhalb eines jedes Staates bedrohen. Die erste kommt von der oft ungerechten Ungleichheit in der Aneignung und dem Genuss der materiellen Güter. Die zweite Bedrohung kommt von verschiedenen Ungerechtigkeitsformen bei den Geistesgütern: „Die Gleichberechtigung bedeutet den Ausschluss der verschiedenen Formen von Privilegien für die einen und von Diskriminierungen für die anderen […]“60. Sowie sein Vorgänger Johannes Paul II. fordert auch Benedikt XVI. ausdrücklich, dass die Vereinten Nationen „ein moralisches Zentrum“ seien, in dem sich alle Nationen der Welt zu Hause fühlen und ein gemeinsames Selbstbewusstsein entwickeln, um sich als eine „Völkerfamilie“ zu verstehen.61 Denn Fragen der Sicherheits- und Entwicklungsziele, die Verringerung der lokalen und globalen Ungleichheit, der Schutz von Umwelt, Ressourcen und Klima verlangen tatsächlich, dass alle internationalen Führer gemeinsam handeln und dass sie ihre Bereitschaft zeigen, mit besten Absichten zur Achtung des Gesetzes und zur Förderung der Solidarität mit den schwächsten Regionen des Planeten arbeiten zu wollen.62 4. Religionsfreiheit Als Teil der Menschenrechte wird die Religionsfreiheit63 hervorgehoben, weil sie aktueller denn je einen grundlegenden Weg zum Aufbau des Friedens, zur Anerkennung der Menschenwürde sowie zum Schutz der Menschenrechte darstellt.64 Paul VI. lobt die Leistung der Vereinten Nationen, fordert die Einhaltung der Religionsfreiheit65 und betont in diesem Zusammenhang die Weisheit dieser Organisati60 Johannes Paul II., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1152; ders., Ansprache (Anm. 20), S. 75. 61 Vgl. Benedikt XVI. (Anm. 4), S. 331. 62 Vgl. ebd., S. 332. 63 Ein Bericht der katholischen Organisation Kirchen in Not, der den Zeitraum Oktober 2012 bis Juni 2014 umfasst, verzeichnet eine starke Verschlechterung der Religionsfreiheit. Die Wahrnehmung der Medien, dass Verfolgung und Ausgrenzung von Religionsgemeinschaften zunimmt, wird damit bestätigt. Dieser Bericht weist darauf hin, dass viele Amtsträger – staatliche und religiöse – sich nicht ausreichend für Religionsfreiheit eingesetzt haben, sodass dieses Recht missachtet wurde. Reihenweise Menschenrechtsverletzungen – von drohenden Massakern im Nahen Osten bis zu Diskriminierungen am Arbeitsplatz in westlichen Ländern – sind direkte Folgen der eingeschränkten Religionsfreiheit. Vgl. http:// microsite.kircheinnot.at/wp-content/uploads/2014/11/Jahresbericht_2014_Gesamt.pdf [Stand: 5. 11. 2014]. 64 Vgl. Dominique Mamberti, Intervention de Mgr. Dominique Mamberti vom 27. September 2011, in: http://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/2011/documents/rc_segst_20110927_mamberti-onu_fr.html [Stand: 12. 11. 2014]. 65 Es heißt nämlich in seiner Ansprache wie folgt: „Ce que vous proclamez ici, ce sont les droits et devoirs fondamentaux de l’homme, sa dignité, sa liberté, et avant tout la liberté religieuse. Nous sentons que vous êtes les interprètes de ce qu’il y a de plus haut dans la
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on, die sich für den Respekt vor religiöser Freiheit einsetzt.66 Darauf greift Johannes Paul II. zurück und unterstreicht in seiner Rede vom 2. Oktober 1979, dass die Bedrohung der Religionsfreiheit und aller anderen Menschenrechte, sei es im Bereich der materiellen, sei es im Bereich der geistigen Werte, gleich gefährlich für den Frieden ist, weil dieser sich immer auf den Menschen in seiner Ganzheit bezieht.67 Nicht nur durch einen verantwortungsvollen Einsatz auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene sollen die Gläubigen heute ebenso wie gestern die Freiheit haben, ihren Beitrag zur Förderung einer gerechten Ordnung im Rahmen der menschlichen Gegebenheiten anzubieten68, sondern auch durch das Zeugnis ihrer Liebe und ihres Glaubens.69 Bei seiner Rede zum 50-jährigen Jubiläum der UNO geht Johannes Paul II. erneut auf die Religionsfreiheit ein, die er für eine der wichtigsten Säulen hält, auf der die Menschenrechte basieren.70 Papst Benedikt XVI. macht sich stark für den interreligiösen Dialog, den er als essentiell bezeichnet und vorantreiben möchte. Wie seine Vorgänger bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen weist auch er darauf hin, dass die vollen Menschenrechte nur mit einem freien Glauben einhergehen. Es versteht sich von selbst, dass jedem Einzelnen alle Bürgerrechte, Rechte der Freiheit des Gewissens und der Religion, Rechte der Freiheit im Bereich des Bildungswesens und der Erziehung sowie im Gebrauch der Medien zustehen.71 Damit plädiert er für einen größeren Platz der Religion in der Öffentlichkeit. Deshalb sind wirksame Maßnahmen zum Schutz der religiösen Minderheiten dort zu ergreifen, wo sie bedroht sind, um zu gewährleisten, dass die Anhänger jedweder Glaubensrichtung sicher leben und weiterhin ihren Beitrag zur Gesellschaft, in der sie leben, leisten können.
sagesse humaine, Nous dirions presque: son caractère sacré. Car c’est, avant tout, de la vie de l’homme qu’il s’agit, et la vie de l’homme est sacrée: personne ne peut oser y attenter“. Paul VI. (Anm. 20), S. 883. 66 Vgl. ebd. 67 Vgl. Johannes Paul II. (Anm. 20), S. 1153. 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. ebd., S. 1155. 70 Papst Johannes Paul II. weist darauf hin, dass das Herz jeder Kultur ihr Streben sei, dem größten aller Geheimnisse, nämlich dem Geheimnis Gott, näherzukommen. „Darum hat unsere Achtung vor der Kultur der anderen ihre Wurzel in unserer Achtung vor dem Versuch, den jede Gemeinschaft macht, um Antwort auf das Problem des menschlichen Lebens zu geben. In diesem Zusammenhang ist es uns möglich festzustellen, wie wichtig es ist, das fundamentale Recht auf Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit als wesentliche Säule in der Struktur der Menschenrechte und Fundament jeder wirklich freien Gesellschaft zu erhalten. Niemandem ist es erlaubt, diese Rechte zu unterdrücken und durch Zwang eine Antwort auf das Geheimnis des Menschen aufzuerlegen.“ Johannes Paul II., Die Menschheit (Anm. 23), S. 2. 71 Vgl. Benedikt XVI. (Anm. 4), S. 336.
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5. Einsatz für Umweltschutz Zwischen Mensch und Umwelt besteht ein untrennbarer Bund. „Die Umwelt beeinflusst maßgeblich das Leben und die Entwicklung des Menschen, während letzterer durch seine kreative Tätigkeit die Umwelt vervollkommnet und adelt“72. Papst Paul VI. macht sich für dieses Bündnis stark, indem er seinen menschenrechtspolitischen Schwerpunkt in der Entwicklungspolitik setzt.73 Johannes Paul II. integriert in seinen Einsatz für Menschenrechte Umweltschutzgesichtspunkte und betont, dass die natürliche Umwelt sowie die menschliche Umwelt nicht zerstört werden dürfen. Denn sie erbringen einen besonderen Beitrag zum allgemeinen Gleichgewicht der Erde. Der Mensch soll die natürliche und moralische Struktur, mit der er ausgestattet wurde, respektieren.74 Papst Benedikt XVI. verknüpft die Ökologie der Natur mit einer Sozial- bzw. Humanökologie75 und weist darauf hin, dass internationale Maßnahmen zur Erhaltung der Umwelt und zum Schutz der verschiedenen Formen des Lebens auf der Erde nicht nur einen vernünftigen Einsatz von Technologie und Wissenschaft garantieren sollen, sondern auch die Wiederentdeckung des wahren Abbildes der Schöpfung. Es liegt also auf der Hand, dass die Frage des Umweltschutzes immer im Zusammenhang mit den anderen großen Fragen der heutigen Zeit, wie „Energie und Wirtschaft, Friede und Gerechtigkeit, nationalen Interessen und internationaler Solidarität“76, zu sehen ist. Daher sei es dringend erforderlich, „zu einer ökologischen Verantwortung zu erziehen“, und diese Erziehung müsse von der Tatsache ausgehen, „dass viele ethische Werte, die für die Entwicklung einer friedlichen Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sind, in direkter Verbindung zur Umweltfrage stehen“77.
III. Bedeutung und Tragweite der päpstlichen Ansprachen Es kann nicht bestritten werden, dass den Besuchen Pauls VI., Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. bei den Vereinten Nationen sowie ihren Reden vor der Generalversammlung dieser Organisation eine große symbolische Bedeutung zukommt. Als Oberhäupter des Staates der Vatikanstadt ergriffen sie das Wort, aber ihre Anspra72 Ceslestino Migliore, Intervento della Santa Sede alla 63è Sessione dell’Assemblea generale dell’O.N.U. sulla protezione e promozione die diritti dell’uomo. Discorso di S. E. Mons. Celestino Migliore, vom 28. Oktober 2008, in: http://www.vatican. va/roman_curia/secretariat_state/2008/documents/rc_seg-st_200810 28_60-human-rights-decl_it.html [Stand: 10. 11. 2014]. 73 Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio vom 27. März 1967, Art. 87, in: AAS 59 (1967), S. 257 – 299; ders., Palatium deinde (Anm. 20), S. 1155; Schalk (Anm. 40), S. 300. 74 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus vom 1. Mai 1991, Art. 38, in: AAS 83 (1991), S. 798 – 867. 75 Vgl. Schalk (Anm. 40), S. 300. 76 Migliore (Anm. 72). 77 Ebd.
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chen zielten nicht darauf ab, eine politische Botschaft zu verkünden. Vielmehr machten alle drei Päpste das weltweite Streben nach Frieden, Gerechtigkeit sowie Freiheit als „Maß der Würde und Größe des Menschen“ zum Leitfaden ihrer Ansprachen. Diese können in die Tradition jener feierlichen Reden78 der Päpste eingereiht werden, durch die sie sich an die ganze Welt richten und das Wort Gottes verkünden: „Ihre Lehrverkündigung aber richtet sich an alle Menschen und bezieht sich auf die sittliche Beurteilung zeitlicher Fragen jedweder Art. Diesen Anspruch macht die Kirche nicht zuletzt gegenüber weltlichen Autoritäten geltend, jedoch nur kraft der Autorität der Wahrheit, nicht mit einer nach außen gerichteten rechtlich verbindlichen Kompetenz.“79
Wie ein roter Faden zieht sich durch ihre Ansprachen eine Dynamik, die die Heilssendung der Kirche als Antriebskraft ihres apostolischen Wirkens in den Vordergrund stellt und unterstreicht. Unabhängig von jeder menschlichen Gewalt (vgl. c. 747 § 1 CIC) werden gemäß c. 747 § 2 CIC die sittlichen Grundsätze im Hinblick auf die soziale Ordnung verkündigt wie auch in Bezug auf menschliche Dinge jedweder Art, weil die Grundrechte der menschlichen Person oder das Seelenheil dies erfordern. Es handelt sich vor allem nicht um eine Botschaft, die eine systematische Analyse der internationalen Beziehungen und der Bedingungen des Friedens darstellt. Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. lieferten religiöse Motivation für Friedens-, Entspannungs- und Entwicklungsdiskussionen. Angesichts der Tatsache, dass die Vereinten Nationen die Staatengemeinschaft repräsentieren und zugleich – so wie Papst Johannes Paul II. es fordert – ein moralisches Zentrum darstellen sollen, kann der Verkündigung des Evangeliums vor der Generalversammlung dieser Organisation eine herausragende Bedeutung zugemessen werden. In ihrer Argumentation gehen die Päpste auch auf diejenigen ein, die weltanschaulich nicht auf christlichem Boden stehen. Sie verkünden den tiefen Sinn der Gegenwart und bringen die Bemühungen der Kirche um Frieden, Solidarität sowie Wohl jedes Einzelnen zum Ausdruck.
IV. Abschließende Bemerkungen Die päpstlichen Ansprachen fordern die Menschen heraus, neu über die für Christgläubige aus dem Sakrament der Taufe resultierenden Rechte und Pflichten (vgl. cc. 208 – 231 CIC) sowie über die für alle Menschen guten Willens aus dem Natur78 Es kann auf die feierlichen Ansprachen verwiesen werden, die dem Segen Urbi et orbi vorausgehen und durch die die Päpste ihre apostolische Mission wahrnehmen. In der Tat macht Johannes Paul II. in seiner Ansprache vom 5. Oktober 1995 vor der Generalversammlung fest: „Ich bin mir voll bewusst, dass ich, wenn ich mich an diese erlesene Versammlung wende, die Gelegenheit habe, mich in gewissem Sinn an die gesamte Völkerfamilie dieser Erde zu wenden“. Johannes Paul II., Die Menschheit (Anm. 23), S. 1. 79 Helmuth Pree, Die Autorität der Kirche in Fragen der zeitlichen Ordnung, in: Juan Ignacio Arrieta (Hrsg.), Il Ius divinum nella Vita della Chiesa. XIII Congresso Internationale di Diritto canonico, Venezia 17 – 21 Settembre 2008, Venezia 2010, S. 1115 – 1141, hier S. 1140.
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recht hervorgegangenen, unverletzlichen und unverzichtbaren Werte sowie die Menschenrechte nachzudenken. Vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen beanspruchen die katholischen Päpste keine weltliche Macht, sondern sie üben durch diese missionarische Sendung das Verkündigungsamt aus, das Christus der Herr dem Papst und dem Bischofskollegium vornehmlich und in erster Linie anvertraut hat (vgl. c. 756 § 1 CIC). Es darf nicht unterschätzt werden, dass die päpstlichen Ansprachen vor diesem bedeutendsten Forum der UNO auf Einladungen derer Generalsekretäre hin erfolgten. Damit wird eine Wertschätzung des religiösen sowie moralischen Beitrages der Kirche ausgedrückt, die sich über Jahrhunderte hinweg bewährt hat. So wie Sauerteige, die Verdaulichkeit, Geschmack und Haltbarkeit von Backwaren verbessern, bleibt es für die Kirche ihre Verpflichtung, durch ihre Botschaft hinsichtlich der erkannten Wahrheit (vgl. c. 748 § 1), den Weg der UNO bei der Veränderung der Beziehungen zwischen den Staaten sowie bei der Achtung von Menschenrechten, Frieden und Gerechtigkeit mitzugehen und dabei das Wort Gottes zu verkünden. Denn der Mensch ist der Weg der Kirche, der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen. Sie muss sich immer wieder neu die „Situationen“ des Menschen bewusst machen. Sie muss seine Möglichkeiten kennen, die eine immer neue Richtung nehmen und so zutage treten; zugleich aber muss die Kirche die Gefahren kennen, die Menschen bedrohen. Sie muss sich all dessen bewusst sein, was offenkundig dem Bemühen entgegensteht, das Leben der Menschen „immer humaner zu gestalten“, damit alle Bereiche dieses Lebens der wahren Würde des Menschen entsprechen. Diesen Gedanken bringt Papst Johannes Paul II. wie folgt auf den Punkt: Die Kirche muss alles kennen, was diesem Prozess entgegensteht.80 Deshalb ist es wichtig, dass in einer zerrissenen Welt, aber auch in einer Organisation, in der die Würde der Person für alle Menschen feierlich durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 anerkannt wurde, das Evangelium durch die Träger des Lehramtes in aller Klarheit und Eindringlichkeit verkündet wird.
80 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis vom 4. März 1979, Art. 14; in: AAS 71 (1979), S. 257 – 324.
Entweltlichung der Kirche – Anmerkungen zum Verhältnis von Kirche und Staat in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils Felix Bernard
I. Vorbemerkung Papst Benedikt XVI. sorgte zum Abschluss seines Deutschlandbesuchs im Jahre 2011 in Freiburg mit einer viel beachteten und kontrovers diskutierten Rede für Irritationen und Diskussionen. Der Papst sagte, die Kirche wird, um ihre Sendung zu verwirklichen, „auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen müssen, sich gewissermaßen ’ent-weltlichen’ […] Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben“1. Es liegt die Frage nahe, ob der Papst bei seinen Überlegungen zur „Entweltlichung der Kirche“ das Verhältnis von Staat und Kirche neu definieren wollte oder auf der Grundlage der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und im Licht des Evangeliums die Kirche in Deutschland ermutigen wollte, über ihre Strukturen kritisch und kreativ nachzudenken, damit sich ihre geistliche Sendung angemessen entfalten kann. Ein Blick in einige ausgewählte Konzilstexte, die für die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche relevant sind, kann eine Antwort geben. Diese Vorgehensweise bietet sich an, da das Zweite Vatikanische Konzil die Fragen einer zeitgerechten Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat in keinem der 16 Konzilsdokumente systematisch und im Zusammenhang behandelt. Das Konzil hat darauf verzichtet, zu dieser vielschichtigen Problematik ein eigenes Dokument zu verfassen. Vor allem in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“ 1
Benedikt XVI., In Gott ist unsere Zukunft. Ansprachen & Predigten während seines Besuchs in Deutschland, Leipzig 2011, S. 143 u. S. 147. Zur Diskussion über das Thema „Entweltlichung der Kirche“ vgl. z. B. Jürgen Erbacher (Hrsg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, Freiburg i. Br. 2012, und Jörg Alt (Hrsg.), Entweltlichung oder Einmischung – wie viel Kirche braucht Gesellschaft?, Würzburg 2013.
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und in der Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“ finden sich wertvolle Hinweise über die Zuordnung von Kirche und Staat.
II. Kirche als Heils- und Rechtsgemeinschaft In der Dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ wird die Kirche als eine „einzige komplexe Wirklichkeit“ angesehen, „die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“2. Die Kirche ist somit Glaubens-, Heils- und Rechtsgemeinschaft in untrennbarer Einheit. Das Konzil macht deutlich, dass die Kirche zugleich und wesentlich ebenso geheimnisvoller Leib Christi, geistgewirkte Gemeinschaft und pilgerndes Volk Gottes ist wie sichtbare, rechtlich und hierarchisch verfasste, gesellschaftliche Institution. Da die Kirche von Jesus Christus als „Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst“3 wurde, hat sie eine inkarnatorische Struktur, die ihr eine „unaufgebbare dialektische Spannung“4 zumutet. Die Kirche ist sowohl eine Liebes- wie auch eine Rechtskirche. Ihr Auftrag besteht darin, alle mit ihrer Liebe zu umgeben, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind. In den Armen und Leidenden erkennt die Kirche das Bild dessen, der sie gegründet und selbst ein Armer und Leidender war. Und deshalb wird in „Lumen Gentium“ betont: „So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten“5. In „Lumen Gentium“ ist es dem Konzil gelungen, das geistliche Wesen der Kirche und ihre göttliche Sendung mit dem diakonischen Wirken in einer „hierarchisch verfassten Gesellschaft“ zu verbinden. Die Kirche in der Nachfolge Jesu Christi ist nicht für sich selbst da, sondern für die anderen, besonders für die Armen, die Verfolgten und Leidenden6. Papst Johannes XXIII. und eine Gruppe von Konzilsvätern hatten den Ruf nach einer „Kirche der Armen“ auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorbereitet, der dann in der lateinamerikanischen Kirche zu dem Votum einer „Option für die Armen“7 und zur Entwicklung einer „Theologie der Befreiung“8 führte. In seinem Apostolischen Schreiben “Evangelii gaudium“ erläutert Papst Franziskus was er unter Option für die Armen versteht und welche Bedeutung diese Option für die Kirche hat. Und dabei macht er deutlich: „Für die Kirche ist die Option für die Armen in erster 2
VatII LG Art. 8 Abs. 1. Ebd. 4 Joseph Listl, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: HdbKathKR2, S. 1239 – 1255, hier S. 1239. 5 VatII LG Art. 8 Abs. 3. 6 Vgl. Walter Kardinal Kasper, Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg i. Br. 2011, S. 482. 7 Franz Weber, Option für die Armen, in: LThK3 VII, Sp. 1078. 8 Michael Sievernich, Theologie der Befreiung, in: StL7 V, Sp. 457 – 460. 3
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Linie eine theologische Kategorie und erst an zweiter Stelle eine kulturelle, soziologische, politische oder philosophische Frage“9.
III. Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat Das Zweite Vatikanische Konzil betont in seiner Pastoralkonstitution, dass die Kirche in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und ihrer Zuständigkeit mit dem Staat verwechselt werden dürfe und auch an kein politisches System gebunden sei.10 Es stellt das Verhältnis von Staat und Kirche in den Kontext einer pluralistischen Gesellschaft und unterscheidet zwischen dem, was die Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem Gewissen geleitet werden, und dem, was sie zusammen mit ihren Hirten tun.11 Die frühere Gleichsetzung bzw. Vermischung von kirchlichen und staatlichen Aufgaben wird abgelehnt12 und damit auch die Absicht, nach Möglichkeit einen katholischen Staat anzustreben13. Die Kirche wird nicht mehr als „societas perfecta“ beschrieben. In einer pluralistischen Gesellschaft ist die Kirche „zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“14. Dabei identifiziert die Kirche sich mit den Grundrechten der menschlichen Person. Wenngleich in den Augen des Konzils Kirche und Staat auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom sind, dienen beide derselben persönlichen und sozialen Berufung des Menschen. Aufgabe der Kirche ist es vor allem, Gerechtigkeit, Liebe, Freiheit und Verantwortung innerhalb und zwischen den Völkern weiter zu entfalten15. Die Sicht der Funktionen von Staat und Kirche haben auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine erhebliche Veränderung erfahren. Kirche und Staat werden nicht mehr als Institutionen der Herrschaft, sondern als Institutionen des Dienens betrachtet16, die sich um das Wohl der Menschen sorgen müssen. Die Pastoralkonstitution 9
Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ vom 24. November 2013, Nr. 198, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194, hrsg. v. Sekretariat der DBK, Bonn 2013, S. 141. 10 Vgl. VatII GS Art. 76 Abs. 2. 11 Vgl. ebd., Art. 76 Abs. 1. 12 Vgl. Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR2, S. 111 – 155, hier S. 138. 13 Vgl. Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 7), Berlin 1978, S. 206; Hans-Joachim Sander, Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, in: Peter Hünermann/Bernd Jochen Hilberath (Hrsg.), Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg i.Br. 2005 (Sonderausgabe 2009), S. 581 – 869, hier S. 801. 14 VatII GS Art. 76 Abs. 2. 15 Vgl. ebd., Art. 76 Abs. 3. 16 Vgl. Mikat, Verhältnis (Anm. 12), S. 139.
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scheut sich nicht, die Konsequenzen, die aus der Unabhängigkeit und Autonomie von Kirche und Staat entstehen können, zu benennen. Die Kirche, so heißt es, „setzt ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern. Immer und überall aber nimmt sie das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden […] und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen“17. Die Bereitschaft der Kirche zum Verzicht auf obsolet gewordene Privilegien und wohlerworbene Rechte zeigt, dass sie grundsätzlich bereit ist, „aus ihrem Bekenntnis zum Anderssein in der Nachfolge Christi in dieser Welt die Konsequenzen zu ziehen“18. Es werden aber keine konkreten Sonderrechte genannt, die die Kirche aufgeben könnte bzw. müsste.
IV. Staatlicher Schutz der Religionsfreiheit Die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“ brachte weitere bedeutsame Veränderungen in der kirchlichen Lehre zum Verhältnis von Kirche und Staat. Die Kirche bekennt sich in diesem Konzilsdokument zum Grund- und Menschenrecht der individuellen und korporativen Religionsfreiheit. In der Erklärung heißt es: „Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von dem Zwang sowohl vonseiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als Einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln.“19
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VatII GS Art. 76 Abs. 6. Mikat, Verhältnis (Anm. 12), S. 139. Das Konzil erwartet auch vom Staat die Bereitschaft, auf Privilegien zu verzichten und nennt dabei das Thema „Wahl und Ernennung von Bischöfen“. In dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus Dominus“ wird dazu ausgeführt: „Um daher die Freiheit der Kirche in rechter Weise zu schützen und das Wohl der Gläubigen besser und ungehinderter zu fördern, äußert das Heilige Konzil den Wunsch, dass in Zukunft staatlichen Obrigkeiten keine Rechte oder Privilegien mehr eingeräumt werden, Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen. Die staatlichen Obrigkeiten aber […] werden freundlichst gebeten, sie mögen auf die genannten Rechte und Privilegien, die sie gegenwärtig durch Vertrag oder Gewohnheit genießen, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl freiwillig verzichten“ (VatII CD Art. 20 Abs. 2). 19 VatII DH Art. 2 Abs. 1. Siehe zur Anerkennung der Menschenrechte innerhalb der katholischen Lehrtradition Roman A. Siebenrock, Theologischer Kommentar zur Erklärung über 18
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Nach dieser grundlegenden Proklamation wird weiter ausgeführt: „Die Freiheit als Freisein von Zwang in religiösen Dingen, die den Einzelnen zukommt, muss ihnen auch zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Denn die Sozialnatur des Menschen wie auch der Religion selbst verlangt religiöse Gemeinschaften.“20
Danach gehört zur Religionsfreiheit auch die Betätigungsfreiheit der Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften. Religionsfreiheit wird somit auch als „Verbandsgrundrecht“ verstanden21. Dieses Grundrecht ist in der sozialen Natur des Menschen und im Wesen der Religion selbst begründet22. Die Religionsfreiheit gehört zu den unverletzlichen Menschenrechten und muss vom Staat „durch gerechte Gesetze und durch andere geeignete Mittel“ 23 geschützt werden. Es gehört sogar zu den Aufgaben des Staates, „für die Förderung des religiösen Lebens günstige Bedingungen zu schaffen, damit die Bürger auch wirklich in der Lage sind, ihre religiösen Rechte auszuüben und die religiösen Pflichten zu erfüllen […]“24. Zu den Einzelelementen des Grundrechts der individuellen und korporativen Religionsfreiheit zählt das Konzil die verschiedenen Lebensvollzüge der Kirche. Dazu gehören z. B. die öffentlichen Religionsausübungen im Sinne der Kultusfreiheit, die Erteilung von Religionsunterricht in den Schulen, das Recht der Kirche, unabhängig von jeder staatlichen Einmischung ihre eigenen Amtsträger auszuwählen, auszubilden, zu ernennen und zu versetzen, mit religiösen Autoritäten und Gemeinschaften in anderen Teilen der Erde in Verbindung zu treten, religiöse Gebäude zu errichten und zweckentsprechende Güter zu erwerben und zu gebrauchen, das Recht zur Glaubensverkündigung, die Freiheit zur religiösen Erziehung und das Recht zur caritativen Betätigung. In der Erklärung über die christliche Erziehung „Gravissimum educationis“ fordert das Konzil – unter Ablehnung jedes staatlichen Schulmonopols – das Recht der Eltern, „in der Wahl der Schule wirklich frei“25 zu sein. Gleichzeitig spricht das Konzil an die Adresse des Staates die Erwartung aus, dass er die öffentlichen Mittel in der Weise ausgeben werde, „dass die Eltern für ihre Kinder die Schulen nach ihrem Gewissen wirklich frei wählen können“26. Die Verpflichtung des Staates, die individuelle und korporative Religionsfreiheit zu gewähren, ergibt sich nach Auffassung des Konzils aus der dem Staate obliegenden Aufgabe, für das Gemeinwohl zu sorgen. Das Gemeinwohl wird hier nicht als eine statische Größe angesehen, sondern als eine den konkreten Anforderungen unterliegende Aufgabe verstanden, an deren die religiöse Freiheit, in: Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4 (Anm. 13), S. 125 – 218, hier S. 148 – 152. 20 VatII DH Art. 4 Abs. 1. 21 Vgl. Listl, Lehre (Anm. 4), S. 1251. 22 Vgl. VatII DH Art. 4 Abs. 5. 23 VatII DH Art. 6 Abs. 2. 24 Ebd. 25 VatII GE Art. 6 Abs. 1. 26 Ebd.; vgl. Andreas J. Bordowski, Die katholische Schule im Recht der römisch-katholischen Kirche, Berlin 2008, S. 71 f.
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Bewältigung auch die Einzelnen, die Familien und verschiedenen Gruppen beteiligt sind27. Wenn nach den Aussagen des Konzils der Staat volle Religionsfreiheit gewähren muss, dann kann der Staat kein konfessioneller Staat sein, sondern ist gegenüber allen Menschen zur Gewähr religiöser Freiheit und damit zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Das Konzil verbindet diese religiöse Neutralität des Staates nicht mit einer religiösen Indifferenz des Staates, sondern macht darauf aufmerksam, dass die Religionsfreiheit besser garantiert werden kann, wenn die „auf dem Territorium des Staates bestehenden Religionsgemeinschaften unter Wahrung des Grundsatzes der religionsrechtlichen Parität durch den freiheitlichen und weltoffenen Staat“28 gefördert werden.
V. Kooperation zwischen Kirche und Staat So wie das Zweite Vatikanische Konzil den Anspruch auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten gegenüber dem Staat erhebt, so bringt die Kirche gleichermaßen ihre Bereitschaft zur Kooperation mit dem Staat zum Ausdruck. In aller Deutlichkeit wird das in der Pastoralkonstitution mit folgenden Worten formuliert: Kirche und Staat „dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen“29. Weiter wird darauf hingewiesen, dass das Irdische und das, was am konkreten Menschen diese Welt übersteigt, miteinander eng verbunden sind und dass die Kirche sich selbst des Zeitlichen bedient, soweit es ihre eigene Sendung erfordert30. Das Konzil bekundet die Bereitschaft zum rechten Zusammenwirken („sana cooperatio“) unabhängig von den in den einzelnen Staaten jeweils herrschenden politischen Systemen. Das ausschlaggebende Motiv für die Kirche ist dabei die Sorge um das Wohl der Menschen, die einerseits Bürgerinnen und Bürger des Staates und andererseits als Getaufte zugleich auch Glieder der Kirche sind. Indem das Konzil die Sinnhaftigkeit einer „sana cooperatio“, einer gesunden und vernünftigen Kooperation von Kirche und Staat begründet und befürwortet, spricht es sich gleichzeitig implizit gegen jede Form einer strikten Trennung von Staat und Kirche aus. Damit bleibt das Konzil auf der Linie der Päpste des 19. und 20. Jahrhunderts, die in einer engen, aber freiheitlichen Kooperation zwischen Kirche und Staat eine angemessene Verhältnisbestimmung der beiden Institutionen gesehen haben31. Gegen alle Trennungsforderun27
Vgl. VatII GS Art. 74 Abs. 1 u. Art. 78 Abs. 1; VatII DH Art. 6 Abs. 1. Listl, Lehre (Anm. 4), S. 1251. 29 VatII GS Art. 76 Abs. 3. 30 Ebd., Art. 76 Abs. 5. 31 Vgl. Listl, Lehre (Anm. 4), S. 1253; Mikat, Verhältnis (Anm. 12), S. 140.
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gen, wie sie im Zeitalter des Liberalismus, insbesondere zum Beispiel in den romanischen Ländern und in einer Reihe von Staaten Lateinamerikas, mit dem Ziel einer weitgehenden Ausschaltung der Kirche aus dem öffentlichen Leben erhoben wurden, haben bereits die Päpste Pius IX.32 und Leo XIII. eine enge Kooperation zwischen Staat und Kirche befürwortet. Sie waren davon überzeugt, dass dadurch am besten die beiderseitigen Interessen und das Wohl der Menschen realisiert werden können33. Die geistesgeschichtliche Bedeutung der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat besteht in der Absage an das bis in die Antike zurückgehende Postulat der Staatskirche und des mit einer Konfession verbundenen Staates. An dessen Stelle ist die Bereitschaft zu einer partnerschaftlichen und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Staat getreten34. In dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus Dominus“ erwartet das Konzil besonders von den Bischöfen ein loyales Zusammenwirken mit dem Staat bzw. den staatlichen Obrigkeiten35. Für die Kirche ist ein Zusammenwirken mit dem Staat wichtig, wenn sie ihre religiösen Aufgaben entweder in staatlichen Einrichtungen oder unter Zuhilfenahme staatlich übertragener Befugnisse wahrnehmen möchte. Ersteres ist der Fall zum Beispiel bei der Erteilung des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen, der Geltendmachung der konfessionellen Bezüge in öffentlichen Bekenntnisschulen, der Seelsorge in staatlichen Einrichtungen (z. B. Justizvollzugsanstalten, kommunale Krankenhäuser, Militärseelsorge) sowie der Vermittlung der Lehre an theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten. Letzteres trifft beispielsweise auf die Erhebung der Kirchensteuer zu36.
VI. Dialogische Weltzugewandtheit der Kirche Über eine gesunde und vernünftige Kooperation mit dem Staat hinaus sieht es das Zweite Vatikanische Konzil als eine wichtige Aufgabe der Kirche an, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer der jeweiligen Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fra-
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Pius IX. hat in These 55 des „Syllabus errorum“ die Auffassung verworfen, dass Kirche und Staat voneinander zu trennen seien (s. D 2955). 33 Vgl. Listl, Lehre (Anm. 4), S. 1253. 34 Vgl. ders., Kirche und Staat (Anm. 13), S. 234 f. 35 Vgl. VatII CD Art. 19 Abs. 2. 36 Vgl. Dirk Ehlers, Angelegenheiten, gemeinsame, in: LKStKR I, S. 103. Der Terminus „res mixtae“ (gemischte Angelegenheiten) scheint heutzutage nicht mehr angemessen zu sein (vgl. ders., Angelegenheiten, gemischte: ebd.). Zur Frage der Kirchensteuer und den sogenannten Staatsleistungen siehe Ansgar Hense, Grundlinien der Kirchenfinanzierung in Deutschland, in: Jürgen Erbacher (Hrsg.), Entweltlichung (Anm. 1), S. 240 – 258.
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gen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben“37. Das Konzil fordert bei aller Kritik an den sozialen und politischen Zuständen dieser Welt dazu auf, auch anzuerkennen, „was an Gutem in der heutigen gesellschaftlichen Dynamik vorhanden ist“38 und mit Achtung zu blicken „auf alles Wahre, Gute und Gerechte, das sich die Menschheit in verschiedenen Institutionen geschaffen hat und immer neu schafft“39. Diese Anerkennung lebt im und vom Dialog mit allen Menschen guten Willens. Und dabei geht es nicht um Anpassung an die Welt, sondern um die „Anerkennung aller rechtmäßigen Verschiedenheit, gegenseitige Hochachtung […]. Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe“40.
VII. Schlussbemerkung Die Rede von Papst Benedikt XVI. bezüglich einer Entweltlichung der Kirche basiert auf den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils über Kirche, Welt und Staat. Auch wenn manche fragen, ob der Begriff „Entweltlichung“ besonders glücklich ist41, enthält er eine klare Botschaft an die Kirche, die einer steten Reinigung und Erneuerung bedarf42. Das Verhältnis von Kirche und Staat steht hierbei nicht im Fokus. Dass Benedikt XVI. sich dialogisch der Welt und Politik zugewandt hat, hat er nicht zuletzt mit seiner Rede im Deutschen Bundestag am 22. September 2011 gezeigt, in der er für die Wirkmacht der Kirche in der Öffentlichkeit plädiert43. Für ihn steht fest, dass sich die Kirche nicht aus der Welt zurückziehen darf. Mit den Worten aus seiner Enzyklika „Deus caritas est“ sagt er:
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VatII GS Art. 4 Abs. 1. Ebd., Art. 42 Abs. 3. 39 Ebd., Art. 42 Abs. 5. 40 Ebd., Art. 92 Abs. 2. 41 Vgl. Walter Kardinal Kasper, Kirche – in der Welt, nicht von der Welt, in: Jürgen Erbacher (Hrsg.), Entweltlichung (Anm. 1), S. 34 – 37, hier S. 37. Eine positive Würdigung des Begriffs „Entweltlichung“ gibt Hans-Joachim Höhn in seinem Beitrag „Auf Distanz gehen!? Zur Identität der Kirche in der Welt von heute“, in: ebd., S. 103 – 114. 42 Vgl. VatII LG Art. 8 Abs. 3. 42 Vgl. ebd. 43 Vgl. Benedikt XVI., In Gott (Anm.1), S. 26 – 39. In seiner Rede erinnert der Papst an die Quellen der inneren Identität Europas und mahnt, die unantastbare Würde des Menschen zu verteidigen. Wörtlich heißt es: „Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas. Sie hat im Bewusstsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkennung der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen, Maßstäbe des Rechts gesetzt, die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist“ (ebd., S. 39). 38
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„Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst.“44
Der Liebesdienst, die Diakonie bzw. Caritas gehört neben Liturgie und Verkündigung zu den drei Wesensfunktionen der Kirche, die sich in der Welt bzw. in den Staaten frei entfalten können muss. Von daher ist für ihn eine Kooperation von Kirche und Staat selbstverständlich. Aus Anlass der Akkreditierung des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl hat Papst Benedikt XVI. die langjährigen und einvernehmlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl gewürdigt und dabei herausgestellt: „Es ist erfreulich, dass die katholische Kirche in Deutschland ausgezeichnete Möglichkeiten des Wirkens hat, dass sie das Evangelium frei verkünden und in zahlreichen sozialen und karitativen Einrichtungen bedürftigen Menschen helfen kann. Für die konkrete Unterstützung dieser Arbeit seitens des Bundes, der Länder und der Gemeinden bin ich wirklich dankbar. Unter den vielen Aspekten einer dankenswert positiven Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der katholischen Kirche will ich nur als Beispiel den Schutz des kirchlichen Arbeitsrechts durch das staatliche Recht anführen sowie des Weiteren die Unterstützung der katholischen Schulen wie auch der kirchlichen Einrichtungen im karitativen Bereich, deren Arbeit ja letztlich dem Wohl aller dient.“45
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seinen Texten sowohl die Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat beschrieben als auch gefordert, dass beide um des Gemeinwohls willen miteinander im Dialog stehen und auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten46 und das – soweit möglich – in einem Geist der Partnerschaft und Freundschaft47. Mit seinen Überlegungen zu einer „Entweltlichung der Kirche“ hat Papst Benedikt XVI. keine neue Lehre zum Verhältnis von Kirche und Staat vorgelegt, sondern den entsprechenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder Gehör verschafft und zu einer kritischen Selbstvergewisserung über die Sendung und Aufgaben der Kirche in der Welt von heute eingeladen. Und dabei entstehen dann auch die Fragen nach Macht, Besitz und Ehre in der Kirche48.
44 Ebd., S. 149. Vgl. Peter Neher, Für eine diakonische Kirche mitten unter den Menschen, in: Jürgen Erbacher (Hrsg.), Entweltlichung (Anm. 1), S. 47 – 60. 45 Ansprache von Papst Benedikt XVI. beim Empfang des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl am 7. November 2011, in: L’Osservatore Romano (dt. Ausg.) v. 11. November 2011 (Nr. 45), S. 9. 46 Von daher könnte auch von einer kooperativen Trennung von Kirche und Staat gesprochen werden. 47 Am Ende von Konkordaten und Staatskirchenverträgen findet sich die sog. Freundschaftsklausel, die die Vertragspartner Kirche und Staat auffordert, bei auftretenden Meinungsverschiedenheiten im gemeinsamen Einvernehmen eine freundschaftliche Lösung herbeizuführen (vgl. Alexander Hollerbach, Freundschaftsklausel, in: LKStKR I, S. 724 f.). 48 Vgl. Robert Zollitsch, In der Welt, aber nicht von der Welt, in: Jürgen Erbacher (Hrsg.), Entweltlichung (Anm. 1), S. 18 – 33.
Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche und die kirchlichen Dienstverhältnisse Anmerkungen zu einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Georg Bier
I. Problemaufriss Aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts1 darf die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland privatrechtliche Arbeitsverhältnisse2 gemäß eigenen religiösen Grundsätzen ausgestalten. Es steht ihr insbesondere frei, den Beschäftigten besondere Treuepflichten aufzuerlegen.3 Helmuth Pree hat diesbezüglich bereits 1986 geraten, für die „Dienstnehmer im allgemeinen kirchlichen Dienst […] das Erfordernis der Einhaltung der kirchlichen Grundpflichten auf das erforderliche Mindestmaß an Loyalität und Übereinstimmung im äußeren Verhalten mit den Grundsätzen der Kirche herabzusetzen.“4 Welche Loyalitätserwartungen im Rahmen eines solchen Mindestmaßes zu fordern sind, wird derzeit (wieder) diskutiert. Die 1994 von den deutschen Bischöfen in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse5 formulierten Loyalitätsobliegenheiten haben sich in der praktischen An1 Art. 140 GG i. V. m. Art 137 Abs. 3 WRV: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“ 2 Sie können außerdem öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse begründen, worauf hier jedoch nicht näher einzugehen ist, vgl. aber Dietrich Pirson, Das kircheneigene Dienstrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten, in: HdbStKirchR2 2, S. 845 – 875. 3 Vgl. BVerfGE 70, S. 138 – 173, hier S. 165. 4 Helmuth Pree, Die Stellung des kirchlichen Laiendienstnehmers im CIC/1983, in: Festg. Schwendenwein, S. 467 – 478, hier S. 475 (Hervorhebung i. Original). Zum allgemeinen kirchlichen Dienst rechnet Pree den Dienst des Laien als solchen gemäß cc. 224 – 231 CIC sowie vertragliche Dienstverhältnisse, die auch mit Nichtkatholiken oder Ungetauften eingegangen werden können, vgl. ebd., S. 467 f. 5 Die Grundordnung (GO) wurde am 22. 09. 1993 von der Deutschen Bischofskonferenz erlassen und von den Diözesanbischöfen durch Publikation in den diözesanen Amtsblättern promulgiert. Sie trat zum 01. 01. 1994 in allen deutschen Diözesen in Kraft. Eine von der Bischofskonferenz im Jahr 2011 beschlossene Änderung wurde wiederum flächendeckend in
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wendung als problematisch erwiesen; nicht immer werden sie konsequent eingefordert.6 Das führte in der jüngeren Vergangenheit zu einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung, bei der der Kläger, Chefarzt eines Krankenhauses in katholisch-kirchlicher Trägerschaft, mit seiner Kündigungsschutzklage in allen arbeitsgerichtlichen Instanzen erfolgreich war7 – zuletzt im September 2011 vor dem Bundesarbeitsgericht, dessen Urteil nach Ansicht mancher den Beginn einer „Kehrtwende“ gegenüber der bisherigen Rechtsprechung markierte.8 Im September 2012 richteten die deutschen Bischöfe eine Arbeitsgruppe zur Klärung einiger Fragen des kirchlichen Arbeitsrechts ein und kündigten an, das Arbeitsrecht im Hinblick auf veränderte Lebensformen fortzuschreiben.9 Ergebnisse wurden für den November 2014 erwartet.10 diözesanes Recht umgesetzt. Die derzeit maßgebliche Fassung der GO ist abgedruckt z. B. in: Sekretariat der DBK (Hrsg.), Kirchliches Arbeitsrecht (DDB 95), S. 20 – 28. 6 Vgl. exemplarisch Eva Müller, Gott hat hohe Nebenkosten. Was wirklich für die Kirchen zählt, Köln 2013, hier besonders S. 51 – 56. Die Gründe für die mangelnde Konsequenz sind vielfältig. Mitunter fehlt seitens der Dienstgeber die Bereitschaft, die GO anzuwenden, weil eine Loyalitätsobliegenheit im Allgemeinen („Wiederheirat nach Scheidung ist doch gar nicht so schlimm!“) oder im Besonderen als nicht bedeutsam angesehen wird („Ob die Krankenhausärztin in zweiter Ehe lebt oder nicht, ist dem Patienten egal – Hauptsache, sie hilft ihm!“), weil der Dienstgeber befürchtet, er werde auf dem Arbeitsmarkt keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden, die fachlich geeignet sind und zugleich die Kriterien der GO erfüllen, oder schlicht deshalb, weil man sich von einer geschätzten und kompetenten Mitarbeiterin nicht trennen möchte. Vgl. dazu auch Gregor Thüsing, Diskussionsbeitrag, in: EssGespr 46 (2012), S. 174 – 177, hier S. 176. 7 Erste Instanz: Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf, Urteil v. 30. 07. 2009, 6 Ca 2377/09, nur online publiziert: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/arbg_duesseldorf/j2009/6_ Ca_2377_09urteil20090730.html. Zweite Instanz: Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf, Urteil v. 01. 07. 2010, 5 Sa 996/09, ebenfalls nur online, z. B. http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2010/5_Sa_996_09urteil20100701.html. Dritte Instanz: Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil v. 08. 09. 2011, 2 AZR 543/10, in: Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAGE) 139, 144; das Urteil wird nachfolgend zitiert nach dem auf der Homepage des BAG zur Verfügung gestellten Volltext. Datum des letzten Zugriffs auf diese und alle weiteren in diesem Beitrag angegebenen Internetquellen: 22. 12. 2014. – Vgl. dazu aus kirchenrechtlicher Perspektive Georg Bier, Von Chefärzten, Kirchenmusikern und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Neuere Entwicklungen im kirchlichen Arbeitsrecht, in: Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (Hrsg.), Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. Ged.-Schr. Carl Gerold Fürst, Frankfurt/Main 2013, S. 119 – 143. 8 Vgl. Ulrich Hammer, Wiederverheiratete in kirchlichen Einrichtungen dürfen aufatmen, in: Legal Tribune Online v. 09. 09. 2011, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/chefarzt-kuen digung-im-katholischen-krankenhaus-wiederverheiratete-in-kirchlichen-einrichtungen-duerfenaufatmen. 9 Vgl. Erzbischof Robert Zollitsch, Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zum Abschluss der Herbst-Vollversammlung der DBK in Fulda am 28. September 2012, in: http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/ presse/ 2012 – 159-Herbst-VV-Fulda-Pressebericht.pdf, hier S. 8. Im September 2014 erklärte der inzwischen zum DBK-Vorsitzenden gewählte Kardinal Reinhard Marx, die deutschen Bischöfe seien für eine Liberalisierung des kirchlichen Arbeitsrechts offen: „Wir haben einmütig in der Bischofskonferenz festgehalten, dass die differenzierte Wahrnehmung der Lebenssituationen wichtig ist“. Bereits jetzt gebe es „keinen Kündigungsautomatismus“ für kirchliche Mitarbeiter, wenn sie etwa in homosexuellen Partnerschaften oder in einer zweiten Zivilehe lebten,
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Kurz zuvor jedoch hob der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts das Chefarzt-Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf.11 Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts seien darin nicht ausreichend berücksichtigt worden.12 Die Sache wurde an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.13 Daraufhin stellte der Ständige Rat der DBK eine Modifikation der Grundordnung zunächst zurück. Die „Antwort auf die Frage, ob über die ohnehin vorgesehenen Änderungen hinaus weitergehende Nachjustierungen geboten sind“ bedürfe „einer gründlichen Analyse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts“14. Die deutschen Diözesanbischöfe messen dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mithin weitreichende Bedeutung zu.15 Macht er eine Neubewertung der innerkirchlichen Rechtslage erforderlich?16 Könnte er in letzter Konsequenz die „ohnehin vorgesehenen Änderungen“ der Grundordnung überflüssig machen? zitiert nach: http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/kirche_2/140912_gespraechsfo rum_magdeburg.php. 10 Es wurde damit gerechnet, der Ständige Rat werde eine revidierte Fassung der Grundordnung bei seiner Sitzung am 24./25. 11. 2014 verabschieden. Von einer „seit Monaten“ geplanten Entscheidung spricht diesbezüglich Daniel Deckers, Auf der Suche nach einer neuen Grundordnung, faz.net v. 23. 11. 2014, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/katholische-kir che-auf-der-suche-nach-einer-neuen-grundordnung-13279239.html?printPagedArticle=true#pa geIndex_2. Der Bischof von Trier, Stefan Ackermann, erklärte in einem Interview mit dem Trierischen Volksfreund vom 18. 10. 2014, er gehe davon aus, die Bischofskonferenz werde hinsichtlich der „Anpassung“ der Grundordnung „noch in diesem Jahr zu einer Entscheidung kommen“, http://www.volksfreund.de/nachrichten/welt/themendestages/themenderzeit/Weite re-Themen-des-Tages-Volksfreund-Interview-mit-Bischof-Ackermann-Mir-ist-der-TriererDom-lieber-als-der-Koelner;art742,4026908. 11 BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014, 2 BvR 661/12. Der Beschluss ist bislang nur online publiziert und wird nachfolgend wiedergegeben nach http://www.bverfg.de/entscheidungen/ rs20141022_2bvr066112.html. Bekannt wurde der Beschluss durch die Pressemitteilung 103/ 2014 des BVerfG vom 20. 11. 2014 – wenige Tage vor der Sitzung des Ständigen Rates der DBK am 24./25. 11. 2014. 12 Vgl. BVerfG, Pressemitteilung 103/2014 (Anm. 11). 13 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Beschlusstenor. 14 DBK, Pressemeldung Nr. 199 v. 25. 11. 2014, http://www.dbk.de/presse/details/?pres seid=2684&cHash=ddf353334e1c6a061d6c7f47277acc97. An einer Überarbeitung der Grundordnung im Hinblick auf die Loyalitätserwartungen halten die deutschen Bischöfe derselben Meldung zufolge einstweilen fest. Die mit dem Thema befasste Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln) soll bis zum 27. 04. 2015 eine „abschließende Formulierung“ vorlegen. 15 In ihrer Pressemeldung v. 25. 11. 2014 (Anm. 14) sprechen die Bischöfe von einer „Bekräftigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts“. Ähnlich der DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx in einer ersten Stellungnahme, vgl. DBK, Pressemeldung Nr. 194 v. 20. 11. 2014, http://www.dbk.de/presse/details/?presseid=2679&cHash=094e53ba2e3168e612f5328 fda5d312d. 16 Dies schließen jedenfalls die Bischöfe Gregor Maria Hanke (Eichstätt) und Rudolf Voderholzer (Regensburg), nicht aus. Durch den BVerfG-Beschluss, den sie „mit Erleichterung“ zur Kenntnis genommen haben, sehen sie „die in der Grundordnung der katholischen Kirche festgelegten Loyalitätsverpflichtungen bestätigt“, vgl. Pressemeldung des Bistums
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II. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Mit seinem Beschluss vom 22. Oktober 2014 hat das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde entschieden. Zugrunde liegt ihr eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung zwischen einem katholischen Chefarzt und seinem Dienstgeber, dem kirchlichen Träger eines Düsseldorfer Krankenhauses. Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Krankenhausträger, eine zum Diözesan-Caritasverband Köln gehörende GmbH, gegenüber dem Chefarzt ausgesprochen hatte. Die Arbeitsgerichte entschieden in drei Instanzen zugunsten des Chefarztes. Der Krankenhausträger erhob dagegen Verfassungsbeschwerde. Er rügt Verletzungen des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirche gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV sowie des Rechts auf freie Religionsausübung gemäß Art. 4 Abs. 2 GG.17 1. Ausgangslage: Das Selbstbestimmungsrecht im arbeitsrechtlichen Kontext Die Frage, wie sich das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen auswirkt, wurde durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 grundsätzlich geklärt. Die damals formulierten Prinzipien sind bis heute maßgeblich; die arbeitsgerichtlichen Urteile in der Chefarzt-Sache und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde beziehen sich darauf. Danach gilt in von der Kirche begründeten privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen das staatliche Arbeitsrecht. Die Einbeziehung in das staatliche Arbeitsrecht darf jedoch die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes nicht in Frage stellen. Das Selbstbestimmungsrecht bleibt für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse wesentlich.18 Insbesondere darf die Kirche allen Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern – katholischen wie nicht-katholischen – besondere Loyalitätspflichten auferlegen19 und auf die Verletzung dieser Pflichten mit Sanktionen bis hin zur Eichstätt v. 20. 11. 2014, http://www.bistum-eichstaett.de/aktuell/aktuelle-meldungen-details/ news/bischoefe-von-regensburg-und-eichstaett-begruessen-urteil-zum-kirchlichen-arbeitsrecht. Hanke und Voderholzer plädieren dafür, vor einer Entscheidung über die Revision der Grundordnung die nunmehr anstehende Entscheidung des BAG abzuwarten. In ein „Dilemma“ sieht ein Kommentator die deutschen Bischöfe durch den BVerfG-Beschluss gestürzt. Sie müssten nun entscheiden, ob sie am katholischen Selbstverständnis freiwillig etwas ändern, obwohl ihnen das Bundesverfassungsgericht bescheinigt habe, dass das gar nicht erforderlich sei. Kaum hätten sich „die Bischöfe auf den Weg der Veränderung gemacht, schon sagt ihnen das Bundesverfassungsgericht, dass sie stehen bleiben können“; Matthias Kamann, Karlsruhe stürzt katholische Bischöfe ins Dilemma, http://www.welt.de/politik/deutschland/arti cle134601974/Karlsruhe-stuerzt-katholische-Bischoefe-ins-Dilemma.html. 17 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 38. 18 Vgl. BVerfGE 70 (Anm. 3), S. 165. 19 Vgl. ebd.
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Kündigung reagieren.20 Die staatlichen Arbeitsgerichte müssen im Streitfall die von der Kirche vorgegebenen Maßstäbe zugrunde legen. Es bleibt grundsätzlich der Kirche „überlassen, verbindlich zu bestimmen, was ,die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert‘, was ,spezifisch kirchliche Aufgaben‘ sind, was ,Nähe‘ zu ihnen bedeutet, welches die ,wesentlichen Grundsätze der Glaubensund Sittenlehre‘ sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine ,Abstufung‘ der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit“21. In arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen sind die Arbeitsgerichte daher in aller Regel an die kirchlichen Vorgaben gebunden. Die staatliche Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts stößt jedoch an ihre Grenzen, wo die Gerichte sich in Widerspruch begäben zu „Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in dem Begriff der ,guten Sitten‘ (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben.“22 Zudem müssen die geltend gemachten kirchlichen Vorgaben „den anerkannten Maßstäben der verfassten Kirche Rechnung tragen“23. Der kirchliche Dienstgeber ist nicht berechtigt, im Einzelfall Forderungen aufzustellen, die allgemeinen kirchlichen Grundsätzen oder lehramtlichen Vorgaben widersprechen. Im Zweifelsfall muss das Arbeitsgericht die einschlägigen Vorgaben durch Rückfragen bei der Kirchenbehörde oder durch kirchenrechtliche und theologische Sachverständige aufklären.24 In seinem Beschluss vom 22. Oktober 2014 referiert der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts diese Grundsätze.25 Darüber hinaus legt er dar, wie die Arbeitsgerichte bei der Klärung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten vorzugehen haben. Auf einer ersten Prüfungsstufe müssen sie klären, ob die Argumentation des Dienstgebers „auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der Kirche“ plausibel ist26: Handelt es sich um eine kirchliche Einrichtung im Sinne der Grundordnung? Ist die Loyalitätsverpflichtung Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes? Welches Gewicht hat die Pflichtverletzung nach kirchlichem Selbstverständnis?27 Entscheidend ist nicht, ob die Richter die Position der Kirche teilen oder sie für sinnvoll und vernünftig halten. Es geht ausschließlich darum, die Darlegungen des kirchlichen Dienstgebers auf ihre Plausibilität, das heißt auf ihre objektive Nachvollziehbarkeit hin zu überprü20
Vgl. ebd. S. 167. Ebd., S. 168. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Vgl. ebd. 25 Die einschlägigen Passagen des Beschlusses von 1985 werden zumeist wörtlich übernommen, vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnrn. 9, 41, 95, 108, 115, 118, 119. 26 Ebd., Rdnr. 113. 27 Vgl. ebd., Rdnrn. 114 – 119. 21
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fen.28 Auf einer zweiten Prüfungsstufe haben die staatlichen Gerichte eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen den Interessen der Kirche und den Interessen und Grundrechten der Dienstnehmer.29 „Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen“; die Arbeitsgerichte haben „die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Gewichtung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen“30. Die geforderte Abwägung setzt voraus, dass der Dienstnehmer sich der Loyalitätspflichten und der Sanktionsmöglichkeiten bewusst war oder hätte bewusst sein müssen. Davon ist regelmäßig auszugehen, nicht jedoch „wenn sich etwa Inhalt und Reichweite der einzuhaltenden Verhaltensregeln nur mithilfe detaillierter Kenntnisse des Kirchenrechts und der Glaubens- und Sittenlehre feststellen lassen, die vom Arbeitnehmer […] nicht verlangt werden können“31. Inwiefern sind diese Grundsätze durch die Chefarzt-Entscheidungen der Arbeitsgerichte verletzt worden? 2. Entscheidungsgründe der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteile Der katholische, damals in erster Ehe verheiratete Mediziner wurde zum 1. Januar 2000 als Chefarzt eingestellt.32 In seinem Arbeitsvertrag ist die Grundordnung als Vertragsgrundlage benannt, darüber hinaus werden Gründe aufgezählt, die zu einer Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB berechtigen: „ein grober Verstoß gegen kirchliche Grundsätze, z. B. […] Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft“. 2005 trennten sich der Chefarzt und seine Ehefrau, seit 2006 lebte er mit einer neuen Partnerin zusammen.33 Der Geschäftsführung des Krankenhauses wurde dies im Herbst 2006 bekannt. Nach der Scheidung seiner Ehe heiratete der Arzt im August 2008 standesamtlich die neue Partnerin. Die Krankenhausleitung erfuhr davon im November 2008. Sie hielt dem Arzt einen Loyalitätsverstoß vor; auch die Frage eines kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahrens wurde erörtert. Im Januar 2009 teilte der Arzt mit, er habe ein solches Verfahren beantragt. Im März 2009 sprach der Dienstgeber die ordentliche Kündigung zum 30. September 2009 aus. Als Kündigungsgrund machte er geltend, der Arzt habe eine im kirchenrechtlichen Sinne ungültige Ehe geschlossen und dadurch seine Loyalitätspflicht gravierend verletzt.
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Vgl. ebd., Rdnr. 116, sowie die weiteren Erläuterungen in den Rdnrn. 117 – 119. Vgl. ebd., Rdnr. 120. 30 Ebd., Rdnr. 125. 31 Ebd., Rdnr. 121. 32 Die Zusammenfassung des Sachverhalts folgt den Angaben in den Urteilen der Arbeitsgerichte (Anm. 7) sowie im Beschluss des BVerfG v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnrn. 13 – 19. 33 Die Partnerin arbeitete damals am selben Krankenhaus als Assistenzärztin, kündigte aber bereits 2007, vgl. LAG Düsseldorf, Urteil v. 01.07.02010 (Anm. 7), Rdnr. 52. 29
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Die Arbeitsgerichte betonen in ihren Urteilen die grundlegende Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts.34 Die Befugnis der katholischen Kirche, in der Grundordnung spezifische Loyalitätspflichten zu formulieren und deren Missachtung mit einer Kündigung zu sanktionieren, wird nicht in Frage gestellt.35 Alle drei Instanzen stimmen überein: Wer eine ungültige Ehe eingeht, missachtet eine Loyalitätspflicht, die von der Kirche durch Art. 5 Abs. 2 GO ausdrücklich festgelegt und mit plausiblen Gründen gefordert wird.36 Wegen seiner leitenden Tätigkeit galten die Loyalitätspflichten für den Chefarzt gemäß Art. 5 Abs. 3 GO in besonderer Weise. Insoweit führt die auf der ersten Prüfungsstufe geforderte Plausibilitätskontrolle in allen Instanzen zum Ergebnis, eine Kündigung sei grundsätzlich zulässig. Aus unterschiedlichen Gründen ist jede Instanz gleichwohl überzeugt, im konkreten Einzelfall sei die Kündigung nicht gerechtfertigt gewesen. a) Kein Loyalitätsverstoß!? Das erstinstanzliche Arbeitsgericht argumentiert, die neue Ehe des Arztes sei nicht eine ungültige Ehe. Zutreffend stellen die Richter fest, eine Ehe sei nach c. 1085 § 1 CIC nur ungültig, wenn einer der Gatten durch eine gültige Ehe gebunden sei. Dies lasse sich im vorliegenden Fall einstweilen aber nicht entscheiden. Ob die erste Ehe des Arztes gültig war oder nicht, stehe erst nach Abschluss des Ehenichtigkeitsverfahrens fest. Bis dahin befinde sich die zweite Ehe rechtlich in einem „Schwebezustand“37. Der Arzt habe daher nach c. 1085 § 2 nur unerlaubt, nicht aber ungültig geheiratet, ein Loyalitätsverstoß liege mithin nicht vor. Die Argumentation wäre stichhaltig, wenn sowohl der Arzt als auch seine neue Partnerin nicht katholisch wären.38 Für den katholischen Arzt hingegen gibt es einen weiteren – vom Arbeitsgericht nicht berücksichtigten – Grund, aus dem seine neue Ehe nicht eine gültige Ehe ist: Er hat die für Katholiken vorgeschriebenen Eheschließungsform nicht beachtet (c. 1108 CIC). Deshalb ist er nach kirchlichem Recht unabhängig vom Ausgang des Ehenichtigkeitsverfahrens nicht gültig verhei-
34 Vgl. ArbG Düsseldorf, Urteil v. 30. 07. 2009 (Anm. 7), Rdnr. 24; LAG Düsseldorf, Urteil v. 01. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnrn. 85 – 87; BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnrn. 22 – 24. 35 Vgl. ArbG Düsseldorf, Urteil v. 30. 07. 2009 (Anm. 7), Rdnr. 25; LAG Düsseldorf, Urteil v. 01. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnr. 84; BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnrn. 3, 19. 36 Vgl. ArbG Düsseldorf, Urteil v. 30. 07. 2009 (Anm. 7), Rdnr. 25; LAG Düsseldorf, Urteil v. 01. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnr. 82; BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnr. 24. 37 ArbG Düsseldorf, Urteil v. 30. 07. 2009 (Anm. 7), Rdnr. 36; zur Argumentation insgesamt vgl. Rdnrn. 31 – 39. 38 Selbst in diesem Fall wäre allerdings zu fragen, aus welchen Gründen der rechtliche „Schwebezustand“ zugunsten des Dienstnehmers zu gewichten wäre. Nach kanonischem Recht ist bis zum Beweis der Nichtigkeit einer Ehe von ihrer Gültigkeit auszugehen (c. 1060 CIC); bis zum Abschluss des Ehenichtigkeitsverfahrens ist mithin die Gültigkeit der ersten Ehe und folglich die Ungültigkeit einer nachfolgenden Ehe zu vermuten.
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ratet. In den nachfolgenden Instanzen spielt dieser Argumentationsstrang keine maßgebliche Rolle mehr.39 b) Missachtung des Gleichbehandlungssgrundsatzes Das Landesarbeitsgericht hält die Kündigung im Berufungsverfahren wegen einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes für unzulässig. Der Krankenhausträger habe vier anderen Chefärzten unter vergleichbaren Umständen nicht gekündigt. Entscheidungserheblich sei insbesondere die Behandlung von zwei nicht-katholischen Kollegen.40 Deren Arbeitsverträge seien genauso ausgestaltet wie jener des katholischen Chefarztes. Der eine Vertrag enthalte eine Aufzählung der Kündigungsgründe für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB, die wortgleich mit der entsprechenden Passage im Vertrag des katholischen Arztes übereinstimme, im anderen – älteren – Arbeitsvertrag werde als möglicher Kündigungsgrund „ein schwerer Verstoß gegen die Moralgesetze der katholischen Kirche genannt“41. Die Vertragsgestaltung bringe damit zum Ausdruck, „dass die Arbeitsverhältnisse mit den römisch-katholischen Chefärzten genauso gelebt werden sollen, wie die Arbeitsverhältnisse mit den Chefärzten, die nicht römisch-katholischer Konfession sind.“42 Alle drei befänden sich bezüglich ihrer Ehen in vergleichbaren Situationen. Durch die nur ihm ge-
39 Das LAG Düsseldorf vertrat die Auffassung, selbst wenn nur eine unerlaubt eingegangene Ehe vorliege, berechtige dies entgegen der Auffassung der ersten Instanz zur Kündigung. Auch eine unerlaubte, aber nicht ungültige Ehe erfülle den Tatbestand des Loyalitätsverstoßes, vgl. LAG Düsseldorf, Urteil v. 01. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnr. 91. Zum selben Ergebnis kommt BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnr. 19: „Das Verbot der Wiederverheiratung gilt nach der katholischen Glaubenslehre auch in der Zeit, in der ein eingeleitetes Ehenichtigkeitsverfahren noch nicht erfolgreich beendet ist. Im Streitfall lag daher zum Zeitpunkt der Kündigung ein Verstoß gegen c. 1085 § CIC vor“. Damit übernehmen beide Gerichte nicht nur die rechtsfehlerhafte Einschätzung der ersten Instanz, wonach die neue Ehe des Katholiken möglicherweise bloß unerlaubt sei, sondern ergänzen sie um die weder vom Wortlaut der GO noch von der mens legislatoris gedeckte Auffassung, eine (nur) verbotene Ehe verstoße gegen kirchliche Loyalitätserwartungen. Nach c. 1124 CIC ist z. B. die konfessionsverschiedene Ehe verboten. Würde sie ohne ausdrückliche Erlaubnis eingegangen, wäre sie unerlaubt, aber gültig. Nach der Logik des LAG und des BAG wäre damit eine Loyalitätspflicht verletzt. Es gibt indes keinen Grund zu der Annahme, die deutschen Bischöfe betrachteten solche Fälle als Loyalitätsverstöße und hätten lediglich vergessen, dies in der Grundordnung deutlich zu markieren. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat insoweit zutreffender erkannt, dass eine (nur) unerlaubte Ehe per se keinen Loyalitätsverstoß darstellt. 40 Von den katholischen Chefärzten war der eine vor Inkrafttreten der Grundordnung beschäftigt, der andere schied einen Monat nach Bekanntwerden der erneuten Eheschließung aus Altersgründen aus dem Dienst aus. Wie die Argumentation des LAG zeigt, sieht es den Gleichbehandlungsgrundsatz durch diese beiden Fälle nicht in gravierender Weise verletzt, vgl. LAG Düsseldorf, Urteil v. 01. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnrn. 95 – 97. 41 Ebd., Rdnr. 102. 42 Ebd., Rdnr. 103.
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genüber ausgesprochene Kündigung habe der Dienstgeber den katholischen Arzt ohne Angabe eines sachlichen Grundes und also ungerechtfertigt benachteiligt.43 c) Widersprüchliches Verhalten des Dienstgebers Das Landesarbeitsgericht hält die Kündigung überdies für unwirksam, weil der Dienstgeber gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen habe.44 Wie die Beweiserhebung des Landesarbeitsgerichts ergeben hat, wussten die Dienstgebervertreter seit Herbst 2006 vom eheähnlichen Zusammenleben des Arztes mit seiner neuen Partnerin.45 Der Dienstgeber sei der Sache jedoch nicht nachgegangen und habe das eheähnliche Zusammenleben über mehr als zwei Jahre toleriert.46 Gemäß dem Arbeitsvertrag sei das Leben in eheähnlicher Gemeinschaft ein ebenso wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung wie das Leben in kirchlich ungültiger Ehe. Deshalb habe der Arzt, nachdem ihm wegen der eheähnlichen Beziehung jahrelang nicht gekündigt worden sei, darauf vertrauen dürfen, der gleichwertige Kündigungsgrund der ungültigen Eheschließung werde ebenfalls nicht mit einer Kündigung sanktioniert.47 Der Dienstgeber könne sich nicht darauf berufen, durch die Eheschließung hätte sich die Entscheidungsgrundlage verändert. Zwar berechtige die Kenntnis über neue Umstände grundsätzlich zu einer Neubewertung des Kündigungssachverhalts. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um durch den Arbeitsvertrag als vollkommen gleichwertig ausgewiesene Kündigungsgründe, zwischen denen eine Abstufung – gleich welcher Art – nicht vorgesehen sei.48 d) Interessenabwägung zugunsten des Arztes Anders als das Landesarbeitsgericht sieht das Bundesarbeitsgericht den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Der Dienstgeber habe mit Rücksicht auf besondere Lebenslagen oder die Religionszugehörigkeit der Mitarbeiter davon absehen dürfen, die Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre gegenüber allen Chefärzten gleichermaßen streng durchzusetzen.49 Auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ist nicht der tragende Grund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, obwohl es die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz ohne erkennbare Distanzierung referiert.50
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Vgl. ebd., Rdnr. 104. Vgl. ebd., Rdnrn. 105 – 107 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BAG. 45 Vgl. ebd., Rdnr. 109. 46 Vgl. ebd., Rdnrn. 110 – 114. 47 Vgl. ebd., Rdnr. 118. 48 Vgl. ebd. 49 Vgl. BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnr. 42. 50 Vgl. ebd., Rdnr. 43.
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Die Unzulässigkeit der Kündigung ergibt sich für das Bundesarbeitsgericht als Ergebnis der Abwägung zwischen den beiderseitigen Interessen. Zwar sei die Schwere des Loyalitätsverstoßes unverkennbar.51 Dieser wiege jedoch weniger schwer als die Interessen des Arztes. Der Krankenhausträger habe nicht-katholische Chefärzte beschäftigt, er habe nicht allen Chefärzten in vergleichbarer Situation gekündigt, er habe das eheähnliche Zusammenleben des katholischen Chefarztes mit seiner Partnerin toleriert. Dies zeige: Der Dienstgeber sei nicht der Meinung, zur Wahrung seiner Glaubwürdigkeit müsse er seine sittlichen Ansprüche ausnahmslos durchsetzen.52 Er sehe das Ethos seiner Organisation durch eine differenzierte Handhabung von Loyalitätsverstößen nicht erschüttert.53 Der Arzt hingegen habe den grundrechtlich sowie durch Art. 8 und 12 EMRK geschützten Wunsch, mit seiner jetzigen Frau in einer nach bürgerlichem Recht geordneten Ehe zu leben.54 Auch ihr Recht auf eine solche Ehe verdiene Achtung. Zudem sei der Arzt an der Erfüllung seiner religiösen Pflicht in der Ehe aus Gründen gescheitert, „die den innersten Bezirk des Privatlebens“ betreffen, „jedoch nicht aus einer ablehnenden oder auch nur gleichgültigen Haltung heraus“. Die mit seiner Religionszugehörigkeit verbundenen ethischen Pflichten stelle er nicht in Abrede, ihre Geltung und Zweckmäßigkeit habe er niemals angezweifelt. Er versuche im Gegenteil, den „Weg zur kirchenrechtlichen Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten“55. In Anbetracht dieser Abwägung der beiderseitigen Interessen sei die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt.56 3. Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen alle drei Urteile. Aus Sicht der Beschwerdeführerin haben die Arbeitsgerichte die Tragweite des Selbstbestimmungsrechts verkannt und Loyalitätsverstöße eigenständig gewichtet.57 Das Bundesarbeitsgericht habe die kirchlichen Interessen nur oberflächlich gegen die Interessen des
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Vgl. ebd., Rdnr. 39. Vgl. ebd., Rdnr. 40 – 43. 53 Vgl. ebd., Rdnr. 42. 54 Der Hinweis auf Art. 8 und 12 EMRK deutet darauf hin, dass die Urteilsbegründung des BAG nicht zuletzt durch Entscheidungen des EGMR beeinflusst wurde, möglicherweise insbesondere durch das Urteil des EGMR vom 23. 09. 2010, Az. 1620/03 Schüth./.Deutschland, amtlicher französischer Text: http://hudoc.echr.coe.int/sites/fra/pages/search.aspx?i=001 – 100468. Es wäre lohnend, führt aber an dieser Stelle zu weit, darauf näher einzugehen; vgl. dazu Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Das kirchliche Arbeitsrecht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in: KuR 17 (2011), S. 55 – 70; Martin Plum, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten im Lichte der Rechtsprechung des EGMR, NZA 28 (2011), S. 1194 – 1200, sowie aus kanonistischer Sicht Bier, Von Chefärzten (Anm. 7), S. 138 – 139. 55 BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnr. 46, dort auch die vorangegangenen Zitate. 56 Vgl. ebd., Rdnr. 47. 57 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnrn. 39, 40. 52
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Klägers abgewogen und verstecke hinter seiner Abwägungsentscheidung die eigene Bewertung kirchenrechtlicher Maßstäbe, von denen es inhaltlich abweiche.58 Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nur in Bezug auf das BAG-Urteil zugelassen. Im Übrigen genüge die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.59 Soweit die Beschwerde zulässig sei, sei sie auch begründet.60 Die Verfassungsrichter machen im Wesentlichen61 geltend, die Interessenabwägung des Bundesarbeitsgerichts trage „dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung“62. Anders, als das Bundesarbeitsgericht angenommen habe, lasse sich das Interesse des Dienstgebers an der Auflösung von Arbeitsverhältnissen erstens nicht daran ablesen, ob in leitenden Positionen auch Nicht-Katholiken beschäftigt werden. Wenn ein kirchlicher Dienstgeber gemäß Art. 3 Abs. 2 GO ausnahmsweise auch nicht-katholische Personen in leitenden Positionen beschäftige, bedeute das nicht, bei ihrem Führungspersonal halte die Kirche ein Lebenszeugnis im Sinne der katholischen Sittenlehre für zweitrangig.63 Dass der kirchliche Dienstgeber zweitens Chefärzten in vermeintlich vergleichbarer Lebenssituation nicht gekündigt habe, erlaube ebenfalls keinen Rückschluss auf ein vermindertes Kündigungsinteresse des Dienstgebers. Das Selbstbestimmungsrecht berechtige den Dienstgeber dazu, die Loyalitätspflichten so abstufen, wie es ihm selbst sachgerecht erscheine, unabhängig davon, ob es sich um nicht-katholische oder katholische Dienstnehmer handele.64 Über den Maßstab der verfassten Kirche setze sich das Bundesarbeitsgericht drittens auch hinweg, „indem es das Leben in kirchlich ungültiger Ehe mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetzt und aus der vermeintlich bestehenden Gleichwertigkeit beider Tatbestände Rückschlüsse auf eine das Kündigungsinteresse der Beschwerdeführerin verringernde Inkonsistenz der arbeitsrechtlichen Gewichtung und Sanktionierung von Loyalitätsverstößen zieht“65. Das eheähnliche Zusammenleben mit einem Partner bei gleichzeitigem Fortbestand der Ehe mit einer dritten Person habe nach kirchlichem Verständnis eine andere Qualität als das Leben in einer nur zivil geschlossenen Ehe. Der Ehebruch außerhalb einer neuen 58
Vgl. ebd., Rdnrn. 42 – 44. Vgl. ebd., Rdnr. 79 unter Hinweis auf § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG. 60 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 80. 61 In den ausführlich entfalteten Entscheidungsgründen erörtert der Zweite Senat im Sinne einer lückenlosen Argumentation auch Aspekte, die im gegenständlichen Fall unstrittig sind und hier außer Acht gelassen werden können, etwa die Frage, ob der Dienstgeber am kirchlichen Selbstbestimmungsrecht teilhatte, vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnrn. 147 – 150, oder die Frage nach der Verfassungsgemäßheit von Loyalitätsobliegenheiten und der Sanktionierung von Pflichtverstößen, vgl. ebd., Rdnrn. 159 – 162. 62 Ebd., Rdnr. 145. 63 Vgl. ebd., Rdnrn. 164 – 166. 64 Vgl. ebd., Rdnrn. 167 – 171. 65 Ebd., Rdnr. 172. 59
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Ehe sei durch künftiges Unterlassen korrigierbar und lasse damit Raum für eine Wiederherstellung der ursprünglichen ehelichen Gemeinschaft. Die zivile Wiederheirat hingegen „schaffe […] einen kaum mehr änderbaren Dauerzustand“66. Zudem verletze „gerade der Bruch des sakramentalen Bandes durch eine neue Heirat einen ,wesentlichen Grundsatz der Glaubens- und Sittenlehre‘“67. Bei der Interessenabwägung hätte das Bundesarbeitsgericht von einem hohen Gewicht der Interessen des Dienstgebers ausgehen und prüfen müssen, ob Umstände vorliegen, die ausnahmsweise für ein noch gewichtigeres Interesse des Dienstnehmers sprechen. Stattdessen habe das Gericht aufgrund der genannten Umstände die Interessen des Dienstgebers so gering veranschlagt, dass sie hinter die Rechtsposition des Arztes zurückgefallen seien.68 Das Bundesarbeitsgericht habe damit seine eigene Einschätzung der Bedeutung von Loyalitätsobliegenheiten zugrunde gelegt, Pflichtverletzungen nach eigenen Maßstäben bewertet und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang beachtet.69
III. Offene Fragen Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts beantwortet verbindlich eine durch die Verfassungsbeschwerde klar umrissene Einzelfrage. Die Entscheidungsbegründung gibt gleichwohl Anlass zu Nachfragen. 1. Wiederheirat – gravierender als uneheliches Zusammenleben? Das Selbstbestimmungsrecht ermöglicht der Kirche, „den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln“70. Diesem Selbstverständnis müssen die Gerichte besonderes Gewicht beimessen71; eine Rechtsanwendung, bei der es „arbeitsrechtlich ohne Bedeutung bliebe, widerspräche dem verfassungsverbürgten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen“72. Der Staat darf daher das „glaubensdefinierte Selbstverständnis der Kirche nicht nur nicht unberücksichtigt lassen; er hat es vielmehr seinen Wertungen und Entscheidungen zugrunde zu legen“73.
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Ebd., Rdnr. 174. Ebd., Rdnr. 175. 68 Vgl. ebd., Rdnr. 163. 69 Vgl. ebd., Rdnrn. 145, 163. 70 So schon Leitsatz 1 des BVerfG-Beschlusses vom 4. Juni 1985 (Anm. 3). 71 Vgl. BVerfGE 70 (Anm. 3), S. 167 sowie BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnrn. 110, 125. 72 BVerfGE 70 (Anm.3), S. 167. 73 BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 118. 67
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Was vom kirchlichen Selbstverständnis her geboten ist und was nicht, legt allein die Kirche fest. Gleichwohl ist es ihr nicht frei gestellt, in arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen nach Belieben und Interessenlage zu entscheiden, ob eine bestimmte Verhaltensweise kirchliche Vorgaben verletzt oder nicht. „Kirchliches Selbstverständnis“ ist nicht eine Chiffre, die von der Kirche je nach strategischen Erfordernissen mit wechselnden Inhalten gefüllt werden darf. Als kirchliches Selbstverständnis darf von der Kirche nur geltend gemacht und folglich von staatlichen Gerichten nur berücksichtigt werden, was dem Selbstverständnis tatsächlich entspricht. Die Kirche widerspräche ansonsten ihrer Verpflichtung zu unbedingter Wahrhaftigkeit74, der Staat seiner Verpflichtung, das in der Verfassung verankerte Willkürverbot durchzusetzen.75 Was aber ist nach kirchlichem Selbstverständnis tatsächlich gefordert? Von leitenden katholischen Mitarbeitern wie dem Chefarzt des Ausgangsverfahrens ist „ein persönliches Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubensund Sittenlehre“ gefordert (Art. 4 Abs. 1 GO). Was das im Einzelnen bedeutet, verdeutlicht Art. 5 Abs. 2 GO. Dort werden Verletzungen der „Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre“ aufgezählt, die von der Kirche als schwerwiegende Loyalitätsverstöße angesehen werden. Die Aufzählung ist nicht abschließend76, das heißt: Neben den hier exemplarisch genannten Loyalitätsverstößen kann es andere schwerwiegende Verstöße geben; dass ein bestimmter Verstoß nicht aufgeführt wird, bedeutet nicht, er könne nicht schwerwiegend sein. Zu den in Art. 5 Abs. 2 GO genannten Beispielen für schwerwiegende Verstöße gehört der „Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe“. Eine solche Ehe verstößt in vielen Fällen nicht gegen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre.77 Sie werden aber zumindest 74 Diese Verpflichtung ist grundgelegt im Dekalog und damit für das kirchliche Selbstverständnis zentral, vgl. KKK 2464: „Das achte Gebot verbietet, in den Beziehungen zu anderen die Wahrheit zu verdrehen […] In Worten oder Taten gegen die Wahrheit zu verstoßen, bedeutet eine Weigerung, sich zur moralischen Redlichkeit zu verpflichten; es ist eine tiefgreifende Untreue gegenüber Gott“. 75 Vgl. Art. 3 Abs. 1 GG; das Willkürverbot ist eines jener verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, die eine Schranke für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bilden, vgl. BVerfGE 70 (Anm. 3), S. 168, und BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 118. 76 Art. 5 Abs. 2 Satz 1 GO: „Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Loyalitätsverpflichtungen an“ (Herv. v. Verf). Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 156: „In Form von Regelbeispielen benennt Art. 5 Abs. 2 GrO bestimmte Loyalitätsverstöße […] hierdurch werden zugleich die in Art. 4 GrO auferlegten Loyalitätsobliegenheiten – wenn auch nicht abschließend – konkretisiert.“ Es ist inkonsequent und unzutreffend, wenn der Zweite Senat bei den Entscheidungsgründen ausführt, die GO sehe „nur“ den Abschluss einer ungültigen Ehe als ausreichend schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an, vgl. ebd., Rdnr. 173. 77 Ungültig ist eine Ehe, wenn bei der Eheschließung aufseiten wenigstens eines Partners ein Ehehindernis vorliegt, vgl. cc. 1083 – 1094 CIC, oder wenn von wenigstens einem Partner ein Konsensmangel gesetzt wird, vgl. cc. 1095 – 1107 CIC, oder wenn bei Beteiligung eines Katholiken die Ehe nicht in der vorgeschriebenen Form eingegangen wird, vgl. cc. 1108 –
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bei jenen Ehen verletzt, die ungültig sind, weil sie trotz des Bandes einer gültigen Vorehe eingegangen wurden (c. 1085 § 1 CIC). Vor allem auf sie zielt der kirchliche Gesetzgeber mit Art. 5 Abs. 2 GO ab.78 Eine Wiederheirat nach Scheidung ist mit dem kirchlichen Selbstverständnis unvereinbar, weil es dabei in der Regel zum Ehebruch kommt. Ehebruch liegt vor, wenn „zwei Partner, von denen wenigstens einer verheiratet ist, miteinander eine, wenn auch nur vorübergehende geschlechtliche Beziehung eingehen“79 – so die Definition des Katechismus der katholischen Kirche, der das kirchliche Selbstverständnis verbindlich formuliert.80 Der Katechismus unterscheidet nicht zwischen tolerablen und weniger tolerablen Formen von Ehebruch. Ehebruch steht immer im Widerspruch zur katholischen Glaubens- und Sittenlehre, unabhängig davon, ob dadurch eine sakramentale oder eine nicht-sakramentale Ehe verletzt wird oder ob die Personen, die ihn begehen, miteinander in einer ungültigen Ehe zusammenleben oder nicht. Wer trotz bestehender Ehe eine vorübergehende geschlechtliche Beziehung mit einem Dritten eingeht, begeht Ehebruch. Wird aus der vorübergehenden geschlechtlichen Beziehung eine dauerhafte im Rahmen einer festen Partnerschaft, verstetigt das den Ehebruch. Das 1123 CIC. Ausweislich der Statistiken kirchlicher Gerichte sind Ehen nicht selten wegen eines Konsensmangels ungültig. Da sich die betroffenen Partner in der Regel der Ungültigkeit ihrer Ehe aber nicht bewusst sind und sich gültig verheiratet glauben, liegt eine Verletzung der Glaubens- und Sittenlehre und damit ein Loyalitätsverstoß in solchen Fällen regelmäßig nicht vor. Art. 5 Abs. 2 GO läuft diesbezüglich ins Leere, zielt aber – ungeachtet der Formulierung der Norm – auf solche Ehen auch gar nicht ab. 78 Außerdem hat er jene Ehen von Katholiken im Blick, die nur standesamtlich geschlossen werden und deshalb wegen Missachtung der Formpflicht ungültig sind, vgl. cc. 1108 – 1123 CIC. Bei einer Überarbeitung der Grundordnung sollte der kirchliche Gesetzgeber Art. 5 Abs. 2 umformulieren. Die derzeitige Formulierung schließt eine Vielzahl von Fällen ein, auf die der Gesetzgeber gar nicht abzielt (vgl. die vorhergehende Anm.). Es sollte stattdessen präziser angegeben werden, worum es wirklich geht: „Wiederheirat nach Scheidung ohne kirchenrechtlich gültige Eheschließung“ und ggf. unter einem weiteren Spiegelstrich: „partnerschaftliches Zusammenleben ohne kirchenrechtlich gültige Eheschließung“. 79 KKK 2380. – Verzichteten nach Scheidung wiederverheiratete Partner durchgängig darauf, in ihrer Beziehung geschlechtlich miteinander zu verkehren, wäre der Tatbestand des Ehebruchs nicht erfüllt. Deshalb wären die Partner in diesem Fall nach kirchlichem Selbstverständnis nicht am Empfang der Sakramente gehindert, vgl. Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris Consortio v. 22. 11. 1982, in: AAS 74 (1982) S. 81 – 191, hier S. 186, n. 84. Die GO stellt in Art. 5 Abs. 2 nicht auf den Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre ab, sondern auf den objektiv feststellbaren Sachverhalt „ungültige Ehe“. Könnte ein Dienstnehmer glaubhaft machen, es komme in seiner zweiten Ehe nicht zum Ehebruch, dürfte dies aber wohl einen besonderen Umstand des Einzelfalls darstellen, der nach Art. 5 Abs. 3 GO das Absehen von einer Kündigung als angemessen erscheinen ließe. Andernfalls würde gekündigt, obwohl die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nicht oder nur in minder schwerer Weise verletzt würden. Auch deshalb wäre eine präzisere Umschreibung der Loyalitätsverstöße wünschenswert (vgl. oben Anm. 78). 80 Nach Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Fidei Depositum v. 11. 10. 1992, in: AAS 86 (1994), S. 113 – 118, hier S. 117, ist der Katechismus der katholischen Kirche eine Darlegung des Glaubens der Kirche und der katholischen Lehre, eine sichere Norm für die Lehre des Glaubens (firma regula ad fidem docendam).
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Eingehen einer festen Beziehung verstärkt den durch die Trennung vom Ehepartner entstandenen Riss des Ehebandes.81 Der Ehebruch wird dauerhafter und öffentlicher.82 Das gilt allerdings unabhängig davon, ob er in einer eheähnlichen Partnerschaft stattfindet oder in einer standesamtlich geschlossenen Ehe.83 Die als Ehe ausgestaltete Verbindung mag in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen beweisbarer84 sein als eine eheähnliche Lebensgemeinschaft. In manchen Fällen wird der Dienstgeber überhaupt erst durch die Eheschließung und den entsprechenden Vermerk auf der Lohnsteuerkarte von der Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit erfahren. Das bedeutet aber nicht, es sei einem kirchlichen Dienstgeber aus lehramtlicher Perspektive freigestellt, eine eheähnliche Beziehung, von der er Kenntnis hat, als belanglos anzusehen. Er kann sich in diesem Fall nicht auf den Standpunkt zurückziehen, solange keine Ehe geschlos81 Vollkommen zerstörbar ist das bestehende Band einer gültigen Ehe – sei sie sakramental oder nicht-sakramental – nach katholischem Verständnis nicht, jedenfalls nicht von den Gatten und nicht durch eine zivilrechtliche Ehescheidung. Nur durch den Tod (c. 1141 CIC) und ausnahmsweise durch den Papst bzw. eine neue Eheschließung kann ein Eheband aufgelöst werden. 82 Vgl. KKK 2384. Die maßgebliche lateinische Textfassung lässt die Aussageabsicht besser erkennen als die deutsche Übersetzung: „Divortium gravis est contra legem naturalem offensa. Contractum simul usque ad mortem vivendi, libere a coniugibus initum, frangere conatur. Divortium iniuriam infert salutis Foederi, cuius sacramentale Matrimonium est signum. Novam contrahere unionem, etiamsi haec a lege civili agnoscatur, rupturae addit gravitatem: coniux iterum matrimonio iunctus tunc in statu versatur publici et permanentis adulterii“. Es ist mithin zu unterscheiden zwischen der ruptura, die durch eine neue Verbindung verstärkt wird, und dem adulterium, das durch eine neue Verbindung dauerhaft und öffentlich gemacht wird (im dt. KKK kann die Verwendung von „Bruch“ und „Ehebruch“ den Eindruck erwecken, es sei beide Male vom Ehebruch die Rede). Der lateinische Text stellt außerdem klar, dass die ruptura durch jede neue unio, selbst wenn sie vom weltlichen Recht anerkannt wäre, verstärkt wird; die dt. Übersetzung spricht hingegen unpräzise vom „Eingehen einer, wenn auch vom Zivilrecht anerkannten, neuen Verbindung“ und erweckt den Eindruck, es gehe an dieser Stelle ausschließlich um zivilrechtliche Ehen. 83 Die Beschwerdeführerin gibt die kirchliche Lehre in diesem Punkt nicht zuverlässig wieder, wenn sie nach Auskunft des Zweiten Senats „betont“, erst die „Wiederverheiratung schaffe zugleich einen kaum mehr änderbaren Dauerzustand, während der Ehebruch […] durch ein zukünftiges Unterlassen korrigierbar sei und daher noch die Möglichkeit bestehe, dass die eheliche Lebensgemeinschaft wieder hergestellt werde“, BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 174. Ob die Gegenüberstellung von Wiederheirat und Ehebruch auf die Beschwerdeführerin oder eine verkürzende Wiedergabe ihrer Position durch den Senat zurückzuführen ist, lässt sich nicht entscheiden. Sie ist jedenfalls nicht sachgerecht. Käme es nur auf das Unterlassen des Ehebruchs an, könnte sich der Dienstgeber auch damit zufrieden geben, dass die Partner nach einer Wiederheirat auf die geschlechtliche Vereinigung verzichten, vgl. oben Anm. 79. Befremdlich wirkt die Einschätzung, die Wiederheirat schaffe einen kaum mehr änderbaren Dauerzustand. Das trifft schon nach weltlichem Verständnis nicht zu: Eine Ehescheidung verursacht zwar Kosten, kann im Übrigen aber problemlos erreicht werden. Nach kirchlichem Verständnis – auf das es hier wegen des Selbstbestimmungsrechts ankommen muss – bleibt die zivile Wiederheirat innerkirchlich ohne Rechtsfolgen und entfaltet insbesondere keinerlei Bindewirkung. Der Wiederherstellung der ursprünglichen Lebensgemeinschaft steht sie in keiner Weise entgegen. 84 Vgl. Wolfgang Rüfner, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts, in: HdbStKirchR2 2, S. 901 – 925, hier S. 923.
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sen werde, handele es sich um einen weniger gravierenden Fall von Ehebruch beziehungsweise um einen weniger gravierenden Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre, und erst eine zivile Eheschließung lasse daraus einen schwerwiegenderen Verstoß werden. Die amtliche, auch für die deutschen Bischöfe verbindliche Lehre der Kirche lässt eine solche Bewertung nicht zu.85 Nach kirchlichem Selbstverständnis hat das ehelose Zusammenleben mit einem anderen Partner trotz fortbestehender Ehe keine andere Qualität als das Zusammenleben mit ihm in einer zivilen Ehe. Der Zweite Senat hält das „in der Grundordnung zum Ausdruck gebrachte und für die weltlichen Gerichte grundsätzlich bindende Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche, dass gerade der Bruch des sakramentalen Bandes durch eine erneute Heirat einen ,wesentlichen Grundsatz der Glaubens- und Sittenlehre‘ für die römisch-katholische Kirche verletzt und hierin ein besonders schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu erblicken ist“ für „plausibel“86. Dazu ist festzustellen: Was der Senat für plausibel hält, wird in der Grundordnung, auf die er sich bezieht, weder explizit formuliert noch implizit „zum Ausdruck gebracht“. Die Grundordnung kennt weder die Kategorie des „besonders schwerwiegenden“ Verstoßes noch die des „Ehebruchs“, sie bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme, der „Bruch des sakramentalen Bandes“ wiege schwerer als der Bruch einer nichtsakramentalen Ehe, und schon gar nicht unterscheidet sie mehrere Varianten des Ehebruchs, unter denen der „Ehebruch durch erneute Heirat“ eine Sonderstellung einnähme. Gerade weil der Zweite Senat großen Wert auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht legt, hätte er Anlass, bei der Interpretation der Grundordnung nicht über deren Wortlaut hinauszugehen.87 Die für plausibel gehalten Position ist nicht aus der Grundordnung ableitbar und entspricht auch nicht dem „Maßstab der verfassten römisch-katholischen Kirche“88. Dass die katholischen Diözesanbischöfe nach den Ausführungen des Zweiten Senats in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts entschieden haben sollen, dem Leben eines kirchenrechtlich gültig verheirateten Dienstnehmers in einer nicht85 Gleichwohl sind kirchliche Dienstgeber in der Praxis vielfach bereit, eine „nur“ eheähnliche Beziehung zu dulden, vgl. ebd. S. 923. Vgl. außerdem nochmals Müller, Gott (Anm. 6), S. 51 – 56. Das bedeutet nicht, die Kirche habe ihr Selbstverständnis geändert. Kirchliche Dienstgeber setzen sich bisweilen lediglich darüber hinweg – zum Schaden für die Glaubwürdigkeit der Kirche, die zu schützen ein wesentliches Anliegen der GO ist, vgl. z. B. Präambel und Art. 4 Abs. 4 GO. 86 BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 175. 87 Zur Entlastung des Zweiten Senats kann möglicherweise geltend gemacht werden, er folge lediglich den Ausführungen der Beschwerdeführerin. Dafür spricht die zusammenfassende Wiedergabe der Ausführungen der Beschwerdeführerin, vgl. ebd. Rdnrn. 48, 50. Indes haben die weltlichen Gerichte gemäß den Vorgaben des Senats die kirchliche Position einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen. Die entscheidenden Passagen der Grundordnung zitiert der Senat wörtlich, vgl. ebd. Rdnr. 11, warum die Diskrepanzen nicht aufgefallen sind, ist nicht nachvollziehbar. Indem der Senat die Position als „plausibel“ qualifiziert, erweckt er im Übrigen den Eindruck, er habe sich – ggf. durch kirchenrechtliche oder theologische Sachverständigengutachten, vgl. Rdnr. 116 – auch selbst von ihrer Stimmigkeit überzeugt. 88 Ebd., Rdnr. 174.
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ehelichen Lebensgemeinschaft mit Wirkung für das weltliche Arbeitsrecht nicht dasselbe Gewicht zuzumessen wie dem Leben in einer standesamtlichen Ehe89, nimmt der Kanonist mit Erstaunen zur Kenntnis. Eine solche Entscheidung wäre für viele geschiedene Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer eine Erleichterung. Sie müssten künftig lediglich auf eine zivile Eheschließung verzichten, könnten im Übrigen aber unangefochten in einer nichtehelichen Partnerschaft leben. Öffentlich bekannt geworden ist diese Entscheidung der Diözesanbischöfe bislang nicht. Das ist in Anbetracht ihrer arbeitsrechtlichen Bedeutung nicht leicht verständlich und weckt Zweifel an ihrer Existenz. Wann und wo hat welcher deutsche Diözesanbischof mit welcher Verbindlichkeit eine solche Entscheidung getroffen und mitgeteilt? Und bei welchen Bischöfen hat sich das Bundesverfassungsgericht danach erkundigt? 2. Wiederheirat – bei Nicht-Katholiken hinnehmbarer als bei Katholiken? Nicht nur die Ungleichbehandlung von eheähnlicher Partnerschaft und zivil geschlossener Ehe ist problematisch. Mit dem kirchlichen Selbstverständnis schwer zu vereinbaren ist auch die Bewertung des Ehebruchs von Nicht-Katholiken durch das Bundesverfassungsgericht. Nach Art. 4 Abs. 4 GO gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabhängig von Konfessions- oder Religionszugehörigkeit: Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht gefährden. Zwar gibt es Anforderungen an die persönliche Lebensführung, die nur Katholiken treffen oder durch die Katholiken stärker verpflichtet werden als Nicht-Katholiken.90 Die Verpflichtung, die Unauflöslichkeit der Ehe zu wahren, gehört nach kirchlichem Selbstverständnis nicht dazu. Nach kirchlicher Lehre sind alle Ehen unauflöslich. Sakramentale Ehen, das heißt gültige Ehen zwischen zwei (nicht notwendig katholischen) Getauften, sind besonders unauflöslich (c. 1056 CIC)91. Die Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehen ist nach katholischem Verständnis eine mit dem göttlichen Recht auf das Engste verbundene Lehre92 ; sie verpflichtet nach kirchlichem Selbstverständnis katholische und nicht-katholische Christen gleichermaßen. Auch die Unauflöslichkeit nicht-sakra89
Vgl. ebd. Das betrifft alle Anforderungen, die aus rein kirchlichen Vorgaben resultieren, z. B. die Pflicht, am Sonntag die Eucharistie mitzufeiern (c. 1247 CIC) oder die Pflicht, wenigstens einmal jährlich in der österlichen Zeit die Kommunion zu empfangen (c. 920 § 2 CIC). Vgl. auch KKK 2042 – 2043. 91 Auf die vom Gesetzgeber vorgegebene semantisch problematische Unterscheidung zwischen unauflöslichen und noch unauflöslicheren Ehen sowie auf die daraus resultierenden Fragen kann hier nicht eingegangen werden, vgl. dazu Klaus Lüdicke, c. 1056, Rdnrn. 7 – 9, in: MKCIC (Stand: Dezember 2013). 92 Vgl. Papst Johannes Paul II., Ansprache an die Rota Romana v. 21. 01. 2000, in: AAS 92 (2000), S. 350 – 355, hier S. 355, n. 8. 90
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mentaler Ehen ist nach kirchlichem Verständnis eine für alle Menschen verbindliche Lehre, wenngleich die katholische Kirche solche Ehen unter bestimmten Bedingungen auflöst. Folgerichtig wird Ehebruch nicht danach unterschieden, ob er von Katholiken oder Nicht-Katholiken begangen wird.93 Jeder Ehebruch, egal von welchen Mitarbeitern er begangen wird, und damit auch jede ehewidrige Partnerschaft, ob in eheähnlicher Form oder als zivile Ehe, ist geeignet, die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Einrichtungen zu gefährden. Es entspricht nicht dem kirchlichen Selbstverständnis und ist nicht im Sinne der katholischen Kirche, wenn der Eindruck entsteht, sie betrachte ehewidrige Partnerschaften von Nicht-Katholiken als minder anstößig. Zudem legt Art. 5 Abs. 3 GO in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 GO fest, eine nach der Rechtsordnung der Kirche ungültige Ehe schließe die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie von leitenden Mitarbeitern eingegangen werde. Zwar werden leitende Aufgaben in der Regel nur Katholiken übertragen (Art. 3 Abs. 2 GO). Daraus folgt jedoch nicht, Nicht-Katholiken, die ausnahmsweise eine leitende Tätigkeit erhalten, seien von der Geltung des Art. 5 Abs. 3 GO ausgenommen.94 Schon der Wortlaut der Bestimmung rechtfertigt diese Schlussfolgerung nicht: Art. 5 Abs. 3 GO differenziert nicht zwischen katholischen und nicht-katholischen leitenden Mitarbeitern.95 Die Auffassung des Zweiten Senats, eine Abstufung dieser spezifischen Loyalitätsobliegenheit nach der Konfession eines leitenden kirchlichen Mitarbeiters sei wegen des Selbstbestimmungsrechts der Kirche nicht zu beanstanden, steht vor diesem Hintergrund auf schwachen Füßen. Der kirchliche Gesetzgeber normiert in der Grundordnung für die Wiederheirat nach Scheidung keine abgestuften Loyalitätserwartungen; er kann dies nach seinem Selbstverständnis auch nicht tun. Der Dienstgeber des Ausgangsverfahrens hat katholische und nicht-katholische Chefärzte mit identischen Arbeitsverträgen ausgestattet. Darin manifestiert sich das kirchliche Selbstverständnis präziser und zuverlässiger als in dem Vortrag der Beschwerdeführerin, dem der Zweite Senat – offenbar ohne Plausibilitätskontrolle – folgt.96 93
Vgl. KKK 2380. Die – allerdings nicht entscheidungserhebliche – Feststellung im Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dem Chefarzt des Ausgangsverfahrens wäre nicht gekündigt worden, wenn er nicht katholisch wäre, vgl. BAG, Urteil v. 08. 09. 2011 (Anm. 7), Rdnr. 33, entbehrt schon deshalb einer belastbaren Grundlage. 95 Mithin gilt die Rechtsregel: Ubi lex non distinguit, nec nos distinguere debemus. 96 Dem BVerfG-Beschluss zufolge vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung: „Nur für den katholischen Mitarbeiter sei die Ehe ein Sakrament. Daher stelle sich bei diesem das Eingehen einer ungültigen Ehe als deutlich schwererer Loyalitätsverstoß dar“, vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 48. Vorausgesetzt, der Zweite Senat referiert korrekt, ist der Vortrag der Beschwerdeführerin abwegig. Jede gültige Ehe unter Getauften ist nach c. 1055 § 2 CIC ein Sakrament, nicht nur die Ehe von Katholiken. Da die Prämisse falsch ist, belegt sie nicht die daraus abgeleitete Folgerung, die auch im Übrigen dem kirchlichen Selbstverständnis nicht entspricht. Es überrascht, dass der Zweite Senat einen derart grundlegenden Fehler übersieht. Er übernimmt stattdessen die Ausführungen der Beschwerdeführerin und unterfüttert sie mit einer weiteren objektiv falschen – möglicherweise ebenfalls von der Beschwerdeführerin 94
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Ob die Positionen, die der Zweite Senat zu Unrecht als kirchliche Positionen in Sachen Wiederheirat angenommen hat, seinen Beschluss entscheidend beeinflusst haben, lässt sich nicht entscheiden. Immerhin machen die Verfassungsrichter darauf aufmerksam, bei der erneuten Behandlung der Angelegenheit seien die besonderen Regelungen des Arbeitsvertrags zu würdigen. Es sei zu prüfen, ob nicht der Dienstnehmer aufgrund der Vertragsgestaltung darauf vertrauen durfte, ihm werde wegen seiner zivilen Eheschließung nicht gekündigt.97 Dabei nimmt der Zweite Senat nur die Gleichbehandlung zweier aus seiner Sicht unterschiedlicher Verstöße – Leben in eheähnlicher Partnerschaft bzw. Leben in ziviler Ehe – in den Blick. Zu fragen bleibt, ob der Chefarzt nicht auch deshalb seine Weiterbeschäftigung erwarten durfte, weil ein mit einem identischen Arbeitsvertrag ausgestatteter nicht-katholischer leitender Chefarzt in vergleichbarer Situation unbehelligt blieb. Unabhängig davon verweist der Befund auf ein grundsätzliches Problem: Woher beziehen die Gerichte ihre Information über kirchliche Positionen? Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde ist nicht in allen Punkten die amtliche, auch für die deutschen Diözesanbischöfe verbindliche Lehre der Kirche dargelegt worden. In arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen ist die Dienstgeberseite regelmäßig an einem bestimmten Ergebnis interessiert; sie wird geneigt sein, vorzutragen, was ihren Interessen nützt. Von kirchlicher Seite ist nicht unbedingt eine objektive Darlegung der amtlichen Position zu erwarten. Oder wird eine Position schon dadurch zur kirchlichen, dass sie unter Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts von der Dienstgeberseite vorgetragen wird? Wer aber schützt in diesem Fall kirchliche Dienstnehmer vor einem arbeitsgerichtlichen Urteil, das maßgeblich auf Positionen beruht, die zwar als kirchliche qualifiziert werden, der amtlichen Lehre aber nicht entsprechen? Nach den Ausführungen des Zweiten Senats haben die Arbeitsgerichte zu berücksichtigen, ob für den Dienstnehmer klar erkennbar war, welche Verhaltensweisen welche Folgen nach sich ziehen. Diese Voraussetzung sei nicht mehr erfüllt, „wenn sich etwa Inhalt und Reichweite der einzuhaltenden Verhaltensregeln nur mithilfe detaillierter Kenntnisse des Kirchenrechts und der Glaubens- und Sittenlehre feststellen lassen, die vom Arbeitnehmer auch bei gesteigerten Erwartungen wegen der Konfession oder der konkreten Stellung nicht verlangt werden können“98. Damit ist im Duktus der Entscheidungsbegründung gemeint, Verbindlichkeit könnübernommenen – Begründung: Die Abstufung knüpfe an die differenzierte Bindungswirkung des kanonischen Rechts an, das nach c. 11 CIC ausschließlich für Katholiken gelte (vgl. ebd., Rdnr. 161). Der Zweite Senat übersieht, dass c. 11 nur in Bezug auf rein kirchliche Gesetze gilt. Das Verbot der Wiederheirat zu Lebzeiten des ersten Ehepartners ist indes nach kirchlichem Selbstverständnis eine Forderung des göttlichen Rechts, dessen Geltung nicht auf Katholiken oder Christen beschränkt ist. Vgl. außerdem ebd., Rdnr. 168. – Demgegenüber argumentiert das Landesarbeitsgericht im Ausgangsverfahren näher am kirchlichen Selbstverständnis, wenn es in der unterschiedlichen Behandlung des katholischen Chefarztes und seiner nicht-katholischen Kollegen einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sieht, vgl. LAG, Urteil v. 30. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnr. 104. 97 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 181. 98 Ebd., Rdnr. 121.
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ten nur jene Loyalitätserwartungen entfalten, die vom Dienstnehmer ohne Spezialkenntnisse als solche zu erkennen seien. Es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen Dienstnehmer gerade wegen ihrer genauen und präzisen Kenntnisse des kirchlichen Selbstverständnisses darum wissen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht schwerer wiegen als bestimmte andere. Kann es zulässig sein, ihnen zu kündigen, weil der Dienstgeber zu diesem Zweck sein Selbstbestimmungsrecht in für informierte Dienstnehmer undurchschaubarer, willkürlicher und dem kirchlichen Selbstverständnis nicht entsprechender Weise ausübt? 3. Selbstbestimmungsrecht und Willkürverbot Der Zweite Senat bekräftigt die bisherige Rechtsprechung zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Weiterhin soll es allein Sache der Kirche sein, im Rahmen ihres Selbstverständnisses zu bestimmen, welche Loyalitätsobliegenheiten den Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern auferlegt werden, wie diese Obliegenheiten je nach Konfessions- oder Religionszugehörigkeit und Tätigkeitsprofil der Mitarbeiter abgestuft werden und wie bei Verstößen verfahren wird. Den ihr verfassungsrechtlich zukommenden Freiraum hat die katholische Kirche in der Grundordnung gefüllt und ausgestaltet.99 Dabei hat der kirchliche Gesetzgeber allerdings wenig Wert auf Normierungen gelegt, die eine einheitliche und eindeutige Handhabung der kirchlichen Vorgaben begünstigen. Auf die nicht abschließende Aufzählung als „schwerwiegend“ einzustufender Loyalitätsverstöße in Art. 5 Abs. 2 GO wurde bereits hingewiesen. Welche Verhaltensweisen als weitere Verstöße in Betracht kommen, bleibt für die Beschäftigten ebenso offen wie deren etwaiger Schweregrad. Das macht Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer schutzlos gegen adhoc-Festlegungen von Verstößen durch den jeweiligen Dienstgeber. Kann der Dienstgeber plausibel machen, es liege ein gravierendes Fehlverhalten vor, das nach kirchlichem Selbstverständnis nicht akzeptabel und für die Beschäftigten als Fehlverhalten erkennbar gewesen sei, müssen die Arbeitsgerichte ihm folgen. Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer haben keine Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen, zumal auch die Unterscheidung zwischen schwerwiegenden und weniger schwerwiegenden Verstößen im Ermessen der kirchlichen Autorität liegt. Selbst wenn die Kirche nur ihr tatsächliches Selbstverständnis – und nicht, wie in der Verfassungsbeschwerde, dessen ergebnisorientierte Modifikation – zugrunde legt, bleibt viel Raum für eine Ermessensentscheidung des Dienstgebers. Dienstnehmer hingegen können weder verlässlich abschätzen, wie die Ermessensentscheidung des Dienstgebers im Einzelfall ausfallen wird, noch haben sie Anspruch auf eine Entscheidung zu ihren Gunsten. 99 Vgl. Wilhelm Dütz, Neue Grundlagen im Arbeitsrecht der katholischen Kirche, NJW 47 (1994), S. 1369 – 1375, hier S. 1369; Wolfgang Rüfner, Das kirchlich rezipierte und adaptierte Dienst- und Arbeitsrecht der übrigen kirchlichen Bediensteten, in; HdbStKirchR2 2, S. 877 – 900, hier S. 898 f.
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Die durch Art. 5 Abs. 2 GO – ausdrücklich oder einschlussweise – erfassten Loyalitätsverstöße schließen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn der Verstoß von pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begangen wird oder von solchen, die aufgrund einer missio canonica tätig sind. Ausnahmen sind möglich, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalls eine Kündigung als unangemessen erscheinen lassen (Art. 5 Abs. 3 GO). Ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß muss mithin nicht ausnahmslos zur Kündigung führen. Das ist erfreulich für jene, bei denen der Dienstgeber „schwerwiegende Gründe des Einzelfalls“ konstatiert und von einer Kündigung absieht. Wann solche Gründe vorliegen, entscheidet indes allein der Dienstgeber. Nach welchen Kriterien er entscheidet, ist nicht transparent und seinem Gutdünken überlassen. Dieses Gutdünken unterliegt dem Selbstbestimmungsrecht. In der Chefarzt-Sache entschied der Dienstgeber beispielsweise, die kurze Restarbeitszeit eines wiederverheiratet geschiedenen Arztes rechtfertige, ihn anders zu behandeln als jenen mit einer längeren Restarbeitszeit.100 Die Arbeitsgerichte haben dieser Einschätzung zu folgen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesen und ähnlichen Fällen nicht verletzt. Werden schwerwiegende Verstöße nicht von Angehörigen der durch Art. 5 Abs. 3 GO umschriebenen Dienstnehmergruppe begangen, hängt „die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab“ (Art. 5 Abs. 4). Der kirchliche Gesetzgeber benennt acht Aspekte101, die in diesem Zusammenhang „insbesondere“ zu beachten sind – was Raum lässt für die Berücksichtigung weiterer, nicht aufgelisteter Umstände. Jeder einzelne der aufgezählten Einzelfallumstände ist unscharf formuliert; nach welchen Kriterien beispielsweise die „Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft“ bemessen werden kann, ist nicht ersichtlich. Wiederum eröffnet die Grundordnung damit einen weiten Interpretationsspielraum. Wird er ausgeschöpft, könnte auf eine Kündigung meist verzichtet werden. Für die Entscheidung darüber ist jedoch allein ausschlaggebend, wie und nach welchem Maßstab der Dienstgeber die Einzelfallumstände bewertet und gewichtet.102 100
Vgl. LAG Düsseldorf, Urteil v. 30. 07. 2010 (Anm. 7), Rdnr. 71. Aufgeführt werden: das Ausmaß einer Gefährdung von Kirche und kirchlicher Einrichtung; die Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft; die Art der Einrichtung; der Charakter der übertragenen Aufgabe; deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag; die Stellung der Beschäftigten in der Einrichtung; Art und Gewicht der Obliegenheitsverletzung; der Umstand, ob der Mitarbeiter eine Lehre der Kirche bekämpft oder lediglich im konkreten Fall versagt. 102 Ohne praktische Bedeutung ist die Bestimmung des Art. 5 Abs. 5 GO, wonach eine Weiterbeschäftigung im Fall einer Wiederheirat nach Scheidung jedenfalls dann ausgeschlossen sei, wenn die neue Ehe „unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (z. B. nach böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern)“. Der Tatbestand dürfte derzeit im Geltungsbereich der Grundordnung kaum jemals erfüllt sein. Selbst unter Katholiken gilt vielfach nicht eine Wiederheirat nach Scheidung als problematisch, sondern der Umgang der katholischen Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen. Nicht die neue Eheschließung erregt Ärgernis, sondern die Verweigerung der kirchlichen Anerkennung für die neue Beziehung. 101
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen sich die Arbeitsgerichte nicht in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung wie dem allgemeinen Willkürverbot begeben.103 Es ist mithin unzulässig, wesentlich Gleiches ohne angemessenen Grund ungleich zu behandeln. Die Beachtung dieser Vorgabe kann nur überprüft werden, wenn unterschiedliche Sachverhalte als wesentlich gleich identifiziert werden können. Art. 5 GO schließt diese Möglichkeit für Loyalitätsverstöße nahezu aus. Ein Dienstgeber kann sich stets auf den Standpunkt zurückziehen, wegen besonderer Einzelfallumstände sei ein bestimmter Fall von allen vermeintlich gleichgelagerten Fällen zu unterscheiden. Der Gesetzgeber liefert eine Vielzahl von Kriterien, mit deren Hilfe die Singularität jedes Einzelfalls begründet werden kann. Ein Dienstgeber muss nicht übermäßig kreativ sein, um entsprechende Begründungen zu formulieren. Auf die objektive Plausibilität seiner Argumente kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist seine subjektive Perspektive. Kann er sein Handeln erklären, ist seine Erklärung wegen des verfassungsrechtlich gebotenen Verständnisses des Selbstbestimmungsrechts einer Beurteilung durch weltliche Gerichte entzogen. In seiner gegenwärtigen Gestalt bringt Art. 5 GO den Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern nicht Rechtssicherheit, sondern macht sie abhängig vom Gutdünken ihrer Dienstgeber. Selbst wenn in der Mehrzahl der Fälle wohlwollend zu Gunsten Betroffener entschieden würde, handelt es sich gleichwohl um eine Abhängigkeit von nicht nachprüfbaren Entscheidungen des Dienstgebers. Weil diese einer gerichtlichen Überprüfung durch weltliche Gerichte nicht zugänglich sind, gibt es für Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer im Konfliktfall regelmäßig keinen wirksamen Rechtsschutz. Aus staatlicher Perspektive ist das unproblematisch. Definiert die Kirche vermeintlich Gleiches als ungleich, nimmt der Staat diese Definition als Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses zur Kenntnis. Nach seinem Selbstverständnis ist das Willkürverbot in diesem Fall nicht verletzt, Abhilfe kann er nicht schaffen. Sofern sie als erforderlich angesehen wird, kann nur die Kirche selbst dafür sorgen.
IV. Fazit und Ausblick (1) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, das Bundesarbeitsgericht habe in einem konkreten Fall verfassungsmäßige Grundrechte der Kirche und insbesondere das Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend berücksichtigt. Zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht enthält der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in der Sache nichts Neues. Der Zweite Senat „bestätigt und konkretisiert […] seine bisherige Rechtsprechung“104. Sie kam den kirchlichen Anliegen schon bisher sehr weit entgegen. Daran hat sich durch den Beschluss vom Oktober 2014 nichts geändert. Insoweit wird die arbeitsrechtliche Position der 103 104
Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11), Rdnr. 168. BVerfG, Pressemitteilung 103/2014 (Anm. 11).
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Kirche durch den Beschluss weder gestärkt noch geschwächt, sondern lediglich in Erinnerung gerufen und gegen eine einzelne nicht verfassungskonforme Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Geltung gebracht. (2) Das Bundesverfassungsgericht hat nicht entschieden über die Rechtmäßigkeit der Kündigung, die ein kirchlicher Dienstgeber gegenüber einem nach Scheidung wiederverheirateten katholischen Chefarzt ausgesprochen hat. Ob sie im konkreten Fall sozial gerechtfertigt und wirksam war oder nicht, muss das Bundesarbeitsgericht erneut prüfen. Es könnte bei seinem nun zu fällenden Urteil zum selben Ergebnis kommen wie zuvor. Es müsste eine solche Entscheidung allerdings verfassungskonform begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss aufgezeigt, welche Aspekte dabei von Bedeutung sein könnten. (3) Inwieweit dabei die Unzulässigkeit der Ungleichbehandlung gleichartiger Fälle eine Rolle spielen wird, ist noch nicht abzusehen. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung vor allem mit diesem Argument begründet. Das Bundesverfassungsgericht hat sich wegen der eingeschränkten Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mit diesem Urteil nicht direkt befasst, macht aber deutlich: Ob im Einzelfall der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wurde oder nicht, hängt wesentlich von der Einschätzung des kirchlichen Dienstgebers ab. Beruft er sich bei vermeintlich gleichgelagerten Fällen auf Einzelfallumstände, die ihn zu unterschiedlichen Entscheidungen veranlasst haben, haben die staatlichen Gerichte seiner Einschätzung grundsätzlich zu folgen. (4) Ob dies auch gelten soll, wenn die vom Dienstgeber vorgetragene Position dem kirchlichen Selbstverständnis offenkundig widerspricht, erscheint mehr als zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht stellt entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung ab auf den „Maßstab der verfassten römisch-katholischen Kirche“, der den Ausschlag geben müsse. Weicht ein kirchlicher Dienstgeber in einer für die Arbeitsrichter erkennbaren Weise von diesem Maßstab ab, darf das Arbeitsgericht mithin der Einschätzung des Dienstgebers nicht folgen. (5) Mit seinem Beschluss macht das Bundesverfassungsgericht – trotz entsprechender Beifallsbekundungen von Seiten deutscher Bischöfe105 – keine Aussagen über Sinn und Nutzen der Loyalitätsobliegenheiten. Dazu ist das Gericht wegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auch nicht befugt. Das Zweite Senat bestätigt mit seinem Beschluss lediglich die aus dem Selbstbestimmungsrecht resultierende Befugnis der Kirchen, Loyalitätserwartungen zu formulieren, sie nach Konfession und Tätigkeitsprofil der Dienstnehmer abzustufen und Verstöße zu sanktionieren. Die Entscheidung darüber, welche Loyalitätserwartungen angemessen sind, wie sie sachgerecht abgestuft werden und mit welchen Sanktionen sie zu ahnden sind, liegt allein im Ermessen der zuständigen 105 Vgl. nochmals die Pressemeldung des Bistums Eichstätt v. 20. 11. 2014 (Anm. 16) und die „Erleichterung“, mit der die Diözesanbischöfe von Eichstätt und Regensburg zur Kenntnis nehmen, „dass das Bundesverfassungsgericht […] die in der Grundordnung der katholischen Kirche festgelegten Loyalitätsverpflichtungen bestätigt hat“.
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Gesetzgeber, das heißt der Diözesanbischöfe. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts liefert ihnen für eine Revision der Grundordnung und für eine etwa beabsichtigte Modifikation der Loyalitätsobliegenheiten keine Anhaltspunkte und erst recht keine Vorgaben. Von daher ist nicht zu erkennen, inwiefern der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Planungen der deutschen Bischöfe zur Revision der Grundordnung in Frage stellen könnte. Auch das anstehende Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird diesbezüglich keine zusätzlichen Erkenntnisse bringen. (6) Die Wiederheirat nach Scheidung, das Leben in eheähnlichen Beziehungen oder das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft sind nach derzeitigem kirchlichem Selbstverständnis mit der Lehre der Kirche unvereinbar. Ob sich daran, wie von manchen erwartet, künftig – etwa im Umfeld der Bischofssynode im Herbst 2015 – etwas ändert, bleibt abzuwarten. Gleichwohl könnten die Diözesanbischöfe die Erwartungen an die Loyalität kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter künftig reduzieren oder ihre Erfüllung nur noch von bestimmten, eindeutig definierten Gruppen von Dienstnehmern verlangen. Soweit nur bestimmte Verstöße geahndet werden sollen, gleichwertige andere jedoch nicht, sollte das in einer revierten Grundordnung unmissverständlich geregelt sein. Im Interesse der Rechtssicherheit ist zudem auf Formulierungen Wert zu legen, die nicht einseitig nur den Dienstgebern alle Entscheidungsmöglichkeiten offenhalten, sondern die auch für Dienstgeberinnen und Dienstgeber präziser als bisher erkennen lassen, welche Verhaltensweisen unter welchen Umständen, und mit welchen Folgen als Loyalitätsverstöße geahndet werden. (7) Schwer absehbar sind die Konsequenzen etwaiger Änderungen der Grundordnung. Der kirchenrechtliche Personenstand ist zwar kein Indikator für die berufliche Qualifikation. Aber was bedeutet ein Verzicht auf bestimmte Loyalitätsforderungen für die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Einrichtungen, die in der Grundordnung mehrfach betont wird (Präambel, Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 5 GO)? Kann die Kirche glaubhaft machen, dass sie an ihrer Lehre festhält, wenn sie die Ausrichtung an der Lehre der Kirche von kirchlichen Dienstnehmern nur noch eingeschränkt verlangt? Wie ist gegebenenfalls zu vermitteln, dass wiederverheiratet Geschiedene möglicherweise zwar hochrangige und verantwortungsvolle Positionen in kirchlichen Einrichtungen bekleiden können, zum Empfang der Eucharistie aber weiterhin nicht zugelassen werden? Und wie ist schließlich die „Kirchlichkeit“ von Einrichtungen zu gewährleisten, wenn das Personal der Einrichtung nach denselben Regeln zusammengestellt ist wie in jedem beliebigen Betrieb? Man darf gespannt sein, wie die deutschen Bischöfe den anstehenden Herausforderungen begegnen und welche Wege sie bei einer etwaigen Revision der Grundordnung beschreiten werden.
Taufbuchberichtigung durch staatliche Gerichtsurteile? Anmerkungen zum Urteil des Amtsgerichts Hagen, Az.: 10 C 187/12, vom 9. Juli 2012 Martin Rehak Es wäre wünschenswert, dass der vom Amtsgericht Hagen im Verfahren, Az.: 10 C 187/12,1 zu beurteilende Sachverhalt mit seinen teils kuriosen Zuspitzungen ein Einzelfall2 bliebe: Nach den Feststellungen des Gerichts hatte sich eine katholische 1
Vgl. dazu den Abdruck dieser Entscheidung in: AfkKR 181 (2012), S. 592 – 597; NJWRR 27 [2012], S. 1410 f.; das Urteil ist auch in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen sowie unter http://openjur.de/u/456014.html [Stand: 06. 03. 2014] im Internet veröffentlicht. Die Urteilsanmerkung von Heike Hennemann, Schadensersatzanspruch des Sorgeberechtigten auf Widerruf einer angeblichen Taufanzeige der Großmutter, in: Familienrecht und Familienverfahrensrecht [FamFR] 4 (2012), S. 428, befasst sich vorrangig mit der rechtspolitischen Problematik, dass der vorliegenden Fall trotz seines sorgerechtlichen Einschlags nicht als Familiensache behandelt werden konnte. 2 Allerdings scheint es durchaus hin und wieder vorzukommen, dass besorgte Großeltern ihren ungetauften Enkelkindern tatsächlich eine – je nach Lage des Einzelfalles gültige oder ungültige, erlaubte oder unerlaubte – Nottaufe spenden; vgl. dazu auch die bei Hans Paarhammer, Die Nottaufe als kirchenrechtliches und pastorales Problem. Kanonistische Anmerkungen zur Rolle des Spenders bzw. einer Spenderin „in casu necessitatis“, in: Georg Ritzer (Hrsg.), „Mit euch bin ich Mensch …“ Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages von Friedrich Schleinzer O.Cist., Innsbruck/Wien 2008, S. 503 – 528, hier S. 524 – 527, mitgeteilten Fallbeispiele. Ebenso war in jüngster Zeit zu beobachten, dass die staatlichen Gerichte angerufen werden, um eine gespendete Taufe annullieren zu lassen bzw. um gegen die Eintragung der eigenen Taufe in den kirchlichen Büchern vorzugehen, vgl. dazu VG Augsburg, Urteil vom 31. Mai 2011, im Internet veröffentlicht: https://openjur.de/u/491484.html [Stand: 06. 03. 2014]; BayVGH, Beschluss vom 16. Januar 2012, in: NJW 2012, S. 1162 f. = AfkKR 181 (2012), S. 269 – 271. In Frankreich hat unlängst der Fall des René Lebouvier Schlagzeilen gemacht, der das Bistum Coutances auf Schwärzung seines Taufbucheintrags verklagt und in erster Instanz obsiegt hatte; vom Berufungsgericht in Caen wurde die Klage jedoch abgewiesen, vgl. Religion : un „débaptisé“ débouté en justice, in: Le Figaro vom 10.09. 2013, auch im Internet publiziert: http://www.lefigaro.fr/[…] [Stand: 31. 03. 2014]. Das VG München, Urteil vom 19. Dezember 2013, Az.: M 22 K 12.106 (bislang unveröffentlicht), hat in einem gleichgelagerten Fall entschieden, dass Taufbucheinträge eine Annexhandlung zur Taufspendung seien, wie letztere eine rein innerkirchliche Angelegenheit, und folglich der staatlichen Gerichtsbarkeit generell entzogen. Ein Gerichtsurteil, das eine Kirche oder Religionsgemeinschaft zur Löschung bzw. Schwärzung eines Taufbucheintrags verpflichtet, stelle einen unzulässigen staatlichen Eingriff in deren Selbstverwaltungsrecht dar. Die Klage wurde daher als unzulässig abgewiesen. Das Münchener Gericht folgte damit in der Frage nach dem Umfang der staatlichen Justizgewährleistungspflicht bei Sachverhalten, welche das kirchliche
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Großmutter dergestalt in die religiöse Erziehung ihrer ungetauften Enkelin eingemischt, dass sie – zur Rechtfertigung der Teilnahme ihrer Enkelin am katholischen Erstkommunionunterricht, der misslicher Weise mit dem gerichtlich festgelegten Umgangsnachmittag der evangelischen Schwiegertochter kollidierte – gegenüber der Schwiegertochter sowie gegenüber dem zuständigen Pfarrer wahrheitswidrig eine von ihr (Großmutter) selbst durchgeführte Nottaufe des Kindes behauptet und in einer „Eidesstattlichen Erklärung“ versichert hatte; zur Überzeugung des Gerichts jedoch hatte eine solche Nottaufe tatsächlich nie stattgefunden und war von der Großmutter aufgrund ihres Interesses an einer katholischen Erziehung ihrer Enkelin frei erfunden worden. Zu den Besonderheiten des konkreten Falles zählt auch, dass die Klägerin zur Zeit der Geburt ihrer angeblich notgetauften Tochter ledig war und so gemäß § 1626 a BGB das alleinige Sorgerecht besaß. Später verehelichte sich die Klägerin mit dem katholischen Vater des Kindes, der so das gemeinsame Sorgerecht erwarb. Zur Zeit des vorliegenden Rechtsstreits waren die Eltern jedoch bereits wieder geschieden und in der Frage der religiösen Erziehung des Kindes unterschiedlicher Meinung. Das Amtsgericht Hagen hat die beklagte Großmutter antragsgemäß dazu verurteilt, künftig die Behauptung zu unterlassen, sie habe eine Nottaufe gespendet; und die hierüber abgegebene Eidesstattliche Versicherung gegenüber der Pfarrei und dem Pfarrer zu widerrufen. Obschon das Urteil des Gerichts dabei im Ergebnis zu überzeugen vermag, verdienen einige, das Urteil letztlich nicht tragende Ausführungen in den Entscheidungsgründen eine nähere Erörterung. Der nachfolgende Beitrag verfolgt in seinem ersten Teil daher das Anliegen, verschiedene Erwägungen juristischer und theologischer Natur, die das Amtsgericht Hagen zur Begründung seines Urteils herangezogen hat, zu vertiefen und kritisch zu hinterfragen. Außerhalb des Fragehorizonts des Amtsgerichts Hagen lag das Problem, wie kirchlicherseits auf das Urteil bzw. näherhin auf den Widerruf jener Erklärung, aufgrund welcher der Pfarrer die angebliche Nottaufe im Taufbuch seiner Pfarrei eingetragen hatte, zu reagieren ist. Diese Frage stellt sich indes unmittelbar mit Rechtskraft des vorliegenden Urteils, nachdem das Gericht am Ende der Urteilsbegründung erklärt hat: „Die Abgabe der widerrufen[d]en3 Erklärungen ist mit Rechtskraft vollzogen.“ Diese Bemerkung ist übrigens rechtlich in keiner Weise zu beanstanden, da es sich um eine schlichte, fallbezogen formulierte Paraphrase des § 894 Abs. 1 S. 1 ZPO handelt – welche Norm wiederum wohl ohne weiteres als ein allgemeines Gesetz i. S. d. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV anzusehen ist.
Selbstbestimmungsrecht berühren, der (bisherigen) Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Bundesverfassungsgerichts, vgl. dazu sogleich I.1.) mit Anm. 6 u. 7. Der VGH München, Beschluss vom 16. 02. 2015, Az.: 7 ZB 14.357, hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. 3 Nicht nur an dieser Stelle hätte – soweit sich sprachliche Mängel nicht Lesefehlern bei der wohl scanner-gestützten späteren Publikation verdanken – dem Urteil ein nochmaliges Korrekturlesen vor Ausfertigung gutgetan.
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Der zweite Teil des vorliegenden Beitrags geht daher der Frage nach, welche (partikularrechtlichen) Vorschriften der kirchliche Gesetzgeber betreffend die Berichtigung fehlerhafter Eintragungen in den kirchlichen Büchern erlassen hat. Dabei soll auch untersucht werden, unter welchen kirchenrechtlichen Voraussetzungen ein Taufbucheintrag als fehlerhaft und damit berichtigungsbedürftig anzusehen ist.
I. Zu einzelnen Problemen der Urteilsbegründung 1. Unzulässige Entscheidung einer kirchlicherseits zu klärenden Vorfrage?4 Das Mitgliedschaftsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften und damit näherhin die Spendung einer Taufe sind, im Sinne des gemäß Art. 140 GG in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland inkorporierten Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV, eigene Angelegenheiten der Kirche und Religionsgemeinschaften, und damit zweifellos in den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts einbezogen.5 Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang staatliche Gerichte über Sach4 Für die Anregung, auch diesen Gesichtspunkt in die vorliegende Urteilsbesprechung einzubeziehen, gilt ein herzlicher Dank Frau Daniela Schrader, Justiziarin des Erzbistums Köln. 5 Zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht im Allgemeinen vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985, in: BVerfGE 70, S. 138 – 173 = NJW 39 (1986), S. 367 – 370 = AfkKR 154 (1985), S. 253 – 276; Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI: Freiheitsrechte, Heidelberg 21989, S. 471 – 555, hier S. 534 – 538 (= § 138, Rz. 114 – 123); Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Berlin 21994 [= HdbStKirchR2 I], S. 521 – 559; Paul Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Ernst Benda u. a. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Berlin/New York 21995, S. 1425 – 1455, hier S. 1447 – 1451 (= Rz. 25 – 27); Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts. Kurzlehrbuch, Stuttgart u. a. 2000, S. 133 – 155; Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa, München 42006, S. 99 – 115; Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII: Freiheitsrechte, Heidelberg 32009, S. 711 – 789, hier S. 758 – 763 (= § 159, Rz. 80 – 84). Zum Mitgliedschaftsrecht als eigene Angelegenheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften vgl. Dietrich Pirson, Kirchliches Recht in der weltlichen Rechtsordnung, in: Heinz Brunotte u. a. (Hrsg.), Festschrift Erich Ruppel zum 65. Geburtstag am 25. Januar 1968, Berlin 1968, S. 277 – 311, hier S. 294 – 297; Josef Jurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, Berlin 1972, S. 92; Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit. Über die Frage nach der staatlichen Kompetenz zur Rechtsschutzgewährung im Wirkungsbereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften, Tübingen 1991, S. 35; Axel von Campenhausen, Die staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: HdbStKirchR2 I, S. 755 – 775, hier S. 756 – 758; Matthias Haß, Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangeli-
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verhalte mit Bezug zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften urteilen können; oder ob m. a. W. umgekehrt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht Ausnahmen von der staatlichen Justizgewährleistungspflicht zu begründen vermag, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach einer über Jahrzehnte gereiften und gefestigten Rechtsprechungstradition, die derzeit6 insbesondere von der Verwaltungsgerichtsbarkeit und wohl auch noch vom Bundesverfassungsgericht vertretenen wird, soll im Rahmen der eigenen Angelegenheiten im Sinne des Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zunächst zwischen „rein innerkirchlichen Angelegenheiten“ und solchen Angelegenheiten, die in den staatlichen Bereich übergreifen, zu unterscheiden sein („Bereichsscheidungslehre“). Die rein innerkirchlichen Angelegenheiten sollen in der Folge der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen sein.7 Nach der insbesondere vom Bundesgerichtshof vertretenen Gegen-
schem und katholischem Kirchenrecht. Eine Untersuchung der staatskirchenrechtlich, kirchenrechtlichen und rechtstheologischen Bezüge der Kirchenmitgliedschaft, Berlin 1997, S. 29 – 38; Jeand’Heur, Korioth, Grundzüge, S. 141; Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 149 – 162. 6 Erst nach Abschluss des Manuskripts ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. 2. 2014, Az.: 2 C 19.12, in: DVBl 129 (2014), S. 993 – 997 = NVwZ 33 (2014), S. 1101 – 1105, bekannt geworden, mit welchem das Gericht seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgibt und – angesichts der staatlichen Justizgewährleistungspflicht – den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten auch für Geistliche, die dienstrechtliche Maßnahmen gerichtlich überprüft wissen wollen, für eröffnet ansieht. Dabei – so das Bundesverwaltungsgericht in seinen Leitsätzen – seien die staatlichen Gerichte nur subsidiär, d. h. erst nach erfolgloser Anrufung kirchlicher Gerichte, zuständig und hätten dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften bei Umfang und Intensität der gerichtlichen Kontrolle Rechnung zu tragen. Die Kontrolle innerkirchlicher Verwaltungsentscheidungen und Urteile soll sich gegebenenfalls in der Feststellung erschöpfen, dass der zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Akt der Kirche bzw. Religionsgemeinschaft gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien – näherhin insbesondere der Grundsatz, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, sowie das Sozialstaatsprinzip – verstößt. 7 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 1965, in: BVerfGE 18, S. 385 – 388 = NJW 18 (1965), S. 961; Beschluss vom 21. September 1976, in: BVerfGE 42, S. 312 – 345 = NJW 29 (1976), S. 2123 – 2128; Beschluss vom 28. November 1978, in: NJW 33 (1980), S. 1041; Beschluss vom 9. Dezember 2008, in: NJW 62 (2009), S. 1195 – 1197; BVerwG, Urteil vom 28. April 1994, in: BVerwGE 95, S. 379 – 383 = NJW 47 (1994), S. 3367 f.; Urteil vom 30. Oktober 2002, in: BVerwGE 117, S. 145 – 149 = NJW 56 (2003), S. 2112 f.; zur älteren Rechtsprechung vgl. auch Joseph Listl, Staatliche und Kirchliche Gerichtsbarkeit, in: DÖV 42 (1989), S. 409 – 419. Aus der jüngeren Rechtsprechung der Instanzgerichte vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Oktober 2005, in: DÖV 59 (2006), S. 117 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. April 2010, in: NJW 63 (2010), S. 2679. BVerfG, Beschluss vom 18. September 1998, in: NJW 52 (1999), S. 349 f.; Beschlüsse vom 27. Januar 2004 (mit abweichender Meinung der Richterin Lübbe-Wolf), in: BVerfGE 111, S. 1 – 10 = NJW 57 (2004), S. 3099 f. = AfkKR 173 (2004), S. 231 – 235, ging insofern auf die nachdrückliche Kritik im Schrifttum ein, als die Justizgewährleistungspflicht des Staates zumindest angesprochen wurde, ohne jedoch die traditionelle Konzeption einer Bereichsausnahme in rein innerkirchlichen Angelegenheiten der Kirche zu verwerfen.
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auffassung entspricht dieser Ansatz nicht der staatlichen Justizgewährleistungspflicht und sind vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gedeckte Maßnahmen eingeschränkt justiziabel, so dass zwar keine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit erfolgen soll, wohl aber eine Prüfung, ob gegen Grundprinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung wie das allgemeine Willkürverbot, die guten Sitten oder den ordre public verstoßen wird.8 Für Martin Heckel, Die staatliche Gerichtsbarkeit in Sachen der Religionsgesellschaften, in: Peter Badura/Rupert Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München 1993, S. 213 – 237, hier S. 230 f., war zwar ein „Verzicht des Staates auf die Gewährung von Rechtsschutz […] in dem engen geistlichen Kernbereich zulässig und geboten, der […] sich mit rein geistlichen bzw. innerkirchlichen Gegenständen und Rechtsbeziehungen befaßt; Klagen sind insoweit als unzulässig abzuweisen“; zugleich erachtet er jedoch ebd., S. 222 mit Anm. 27, „Rechtsstreitigkeiten über eine unberechtigte Taufhandlung des nicht sorgeberechtigten Elternteils“ ausdrücklich für zulässig, so dass das Gericht in der Begründetheitsstation kirchliches Selbstbestimmungsrecht und staatlichen Schrankenzweck gegeneinander abzuwägen hat. 8 Vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2000, in: NJW 53 (2000), S. 1555 – 1557 = AfkKR 169 (2000), S. 216 – 221; Urteil vom 28. März 2003, in: BGHZ 154, S. 306 – 315 = NJW 56 (2003), S. 2097 – 2100; ferner BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002, in: NVwZ 21 (2001), S. 987 f. = AfkKR 171 (2002), S. 236 – 239; OVG Koblenz, Urteil vom 28. November 2008, in: NJW 62 (2009), S. 1223 – 1225; zustimmend Axel von Campenhausen, Neues zum staatlichen Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, in: ZevKR 45 (2000), S. 622 – 625; Karl-Hermann Kästner, Vergangenheit und Zukunft der Frage nach rechtsstaatlicher Judikatur in kirchlichen Angelegenheiten, in: ZevKR 48 (2003), S. 301 – 324, demzufolge nur staatliche Gerichte beurteilen können, ob die Kirchen und Religionsgemeinschaften die Schranke des allgemeinen Gesetzes beachten (vgl. ebd., S. 308); Michael Germann, Staatliche und Kirchliche Gerichtsbarkeit, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag, Berlin 2004, S. 627 – 656, hier S. 627 – 632 u. S. 642 f.; von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Anm. 5), S. 309 – 326. Germann (Anm. 8), S. 643, weist dazu die Erwägung zurück, dass die staatliche Justizgewährung ihrerseits einen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht darstelle, da der Staat die verfassungsmäßigen Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nachzeichnen dürfe: „Der Ort für den Ausgleich einer gegebenen bürgerlichen Rechtsposition mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ist die Prüfung der Begründetheit der Klage. Ein materiell-rechtlicher Vorrang der kirchlichen Selbstbestimmung vor dem von ihrer Entfaltung betroffenen Interesse führt zu einer Sachentscheidung, die die kirchliche Selbstbestimmung gegen das betroffene Interesse durchsetzt“; bei der Kontrolldichte in der Begründetheitsstation seien Unterschiede statthaft, vgl. ebd., S. 650 – 653. Die neue Linie des BGH wird dagegen scharf abgelehnt von Christian Hillgruber, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Jurisdiktionsgewalt des Staates, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 297 – 316, dem zufolge die Kirchen selbst den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten durch Wahl des staatlichen Rechts zur Gestaltung ihrer Angelegenheiten eröffnen müssten: „Kirchenrechtliche begründete Ansprüche unterliegen […] nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit“ (ebd., S. 304); die Gerichtspraxis zeige, „dass die Exemtion kirchlichen Wirkens von der staatlichen Justizgewährung die sicherste und wirksamste Gewähr der Selbstbestimmung ist, während bei Bejahung der Prüfungsbefugnis des staatlichen Gerichts stets und notwendig Fremdbestimmung stattfindet. Denn sofern der Staat in Gestalt seiner Gerichte gemäß der Abwägungslehre das Gewicht des gesetzlichen Schutzguts einerseits, die Bedeutung der Angelegenheit für die religiöse Freiheitsentfaltung der Kirche nach
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Vor diesem Hintergrund erhebt sich die davon zu unterscheidende, weitere Frage, wie seitens staatlicher Gerichte in Fällen vorzugehen ist, für deren Entscheidung zunächst kirchenrechtliche oder theologische Vorfragen zu klären sind. In solchen Fällen „wird der Staat und damit auch das staatliche Gericht grundsätzlich kirchliche Entscheidungen akzeptieren müssen, da ihm selbst religiös-theologische Beurteilungen nicht zustehen“9. Gemäß der insoweit wohl durchaus verallgemeinerungsfähigen Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bindung staatlicher Gerichte an Vorgaben des Kirchlichen (Individual-)Arbeitsrechts sind staatliche Gerichte daher gehalten, die Auffassung der zuständigen kirchlichen Stelle zu erheben.10 Obschon es somit den staatlichen Gerichten obliegt, sich bei der eigenen Beurteilung kirchlicher Maßnahmen zwecks Wahrung der kirchlichen Eigenständigkeit in Zurückhaltung zu üben, bleibt gleichwohl eine inzidente Kontrolle kirchlicher ihrem Selbstverständnis andererseits bemisst, übt er Definitionsmacht kraft Letztentscheidung und – soweit er die Bedeutung der Angelegenheit für die Kirche nach seiner (!) Einschätzung ihres Selbstverständnisses beurteilt – unweigerlich Fremdbestimmung aus“ (ebd., S. 314); ähnlich Bernd Grzeszick, Staatlicher Rechtsschutz und kirchliches Selbstbestimmungsrecht. Kollidierendes Verfassungsrecht als alleinige Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, in: Archiv des öffentlichen Rechts 129 (2004), S. 168 – 218, hier S. 204 f.: „Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wird damit in der Sache unter einen Abwägungsvorbehalt mit vom Staat beliebig selbst definierten Gemeinwohlbelangen gestellt.“ Bei den unterschiedlichen Positionierungen zur neuen BGH-Judikatur spielt vielleicht auch ein konfessionell geprägtes Vorverständnis von Wesen und Zweck kirchlicher Gerichtsbarkeit eine Rolle, vgl. dazu Hermann Weber, Kirchlicher Rechtsschutz und staatliche Gerichtsbarkeit, in: ZevKR 49 (2004), S. 385 – 404, hier S. 388 – 394. Zu der formelhaften Wendung von den „Grundprinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung wie das allgemeine Willkürverbot, die guten Sitten oder den ordre public“ vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985 (Anm. 5), BVerfGE 70, S. 168 = NJW 1986, S. 369 = AfkKR 154 (1985), S. 273. 9 Wolfgang Rüfner, Zuständigkeit staatlicher Gerichte in kirchlichen Angelegenheiten, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, Berlin 21995 [=HdbStKirchR2 II], S. 1081 – 1116, hier S. 1090. Rüfner lässt offen, ob und ggf. inwieweit die Kirchen und Religionsgemeinschaften im Einzelfall mit Blick auf das für alle geltende Gesetz Einschränkungen des so formulierten Grundsatzes hinnehmen müssen. Vgl. auch Hermann Weber, Streit über die richtige Theologie im Zivilprozess, in: Richard Bartlsperger u. a. (Hrsg.), Rechtsstaat – Kirche – Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer, München 1986, S. 263 – 272; Stefan Magen, Art. 140 GG, in: Dieter C. Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd. 2, Heidelberg 2002, S. 1613 – 1680, der im Anschluss an Heckel, Gerichtsbarkeit (wie Anm. 7), ausführt: „Das kirchliche Recht ist für [staatliche Gerichte] quasi-fremdes Recht. Über die religiösen Anteile des kirchlichen Rechts wie allgemein über religiöse Vorfragen dürfen die staatlichen Gerichte deswegen nicht selbst entscheiden, sondern können sie nur als Tatsachen ermitteln und ihre Entscheidung zugrunde legen. Weil sich aber Religion für den Gläubigen und für den neutralen Blick von außen ganz anders darstellt, ist die Gefahr groß, daß der religiöse Gehalt des kirchlichen Rechts vor staatlichen Gerichten verloren geht oder doch verfälscht wird“ (ebd., S. 1653 f. [Rz. 82]). 10 Vgl. zunächst BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985 (Anm. 5), BVerfGE 70, S. 168 = NJW 1986, S. 369 = AfkKR 154 (1985), S. 273; ferner Kästner, Justizhoheit (Anm. 5), S. 181 (§ 293 ZPO analog); Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 8), S. 1090 mit Anm. 42; Magen, Art. 140 GG (Anm. 9), S. 1654 (Rz. 82); Germann, Gerichtsbarkeit (Anm. 8), S. 654.
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Maßnahmen durchaus möglich:11 „Das gilt auch, wenn die Wirksamkeit eines kirchlichen Verwaltungsakts zweifelhaft ist.“12 Weitreichende Probleme für das gedeihliche Miteinander von Staat und Kirche könnte indes eine verallgemeinernde Auslegung jener Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 18. September 1998 nach sich ziehen, die nachstehend bewusst unter Auslassung des ausdrücklich genannten Kontextes – Fragen des kirchlichen Amtsrechts – zitiert sei: „Wenn und soweit die Kirchen die Möglichkeit geschaffen haben, Rechtsstreitigkeiten von einem kirchlichen Gericht beurteilen zu lassen, und somit die Gelegenheit besteht, die Streitigkeit im Einklang mit dem kirchlichen Selbstverständnis beizulegen, gebietet die verfassungsrechtlich geschuldete Rücksichtnahme gegenüber diesem Selbstverständnis den staatlichen Gerichten […] jedenfalls nicht vor Erschöpfung des insoweit gegebenen kirchlichen Rechtswegs zu entscheiden.“13
Es ist kaum anzunehmen bzw. wäre bedenklich, dass bzw. wenn diese Konzession des Bundesverfassungsgerichts zugleich Vorarbeit zu einer Magna Charta der religiös fundierten Paralleljustiz von Kirchen und Religionsgemeinschaften wäre, so dass die staatlichen Gerichte in Angelegenheiten mit religiösem Bezug14 letztlich auf die Funktion einer Rechtskontrolle unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunk-
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So bereits Ulrich Scheuner, Die Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte, in: ZevKR 3 (1953/54), S. 352 – 359, hier S. 357 – 359; Jurina, Rechtsstatus (Anm. 5), S. 144 f. mit Anm. 31. 12 Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 9), S. 1091; ausführlich zu diesem Problem Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 131 – 137. 13 BVerfG, Beschluss vom 18. September 1998, in: NJW 52 (1999) S. 349 f., hier S. 350; zustimmend Magen, Art. 140 GG (Anm. 9), S. 1654 (Rz. 82); Hillgruber, Selbstbestimmungsrecht (Anm. 8), S. 309 – 312: Vorrang der eigenen Gerichtsbarkeit der Kirche, sofern und solange diese strukturell und im Einzelfall rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt, unzulässig dagegen die Superrevision einzelner Fehlurteile; ebenso Germann, Gerichtsbarkeit (Anm. 8), S. 654 f.: „Die Pflicht des Staates, der Kirche zunächst Gelegenheit zur Selbstregulierung zu geben, führt prozeßrechtlich zu einer Vorschaltung des kirchlichen vor den staatlichen Rechtsweg. Die gleiche Rücksicht, aus der die Rechtsprechung zur Vereinsautonomie schon immer eine Inanspruchnahme staatlicher Gerichte vor der zumutbaren Ausschöpfung vereinsinterner Rechtsbehelfe abgelehnt hat, verdient ebenso die kirchliche Gerichtsbarkeit.“ Jedoch erscheint die Aussage des BVerfG, wenn man vom kanonischen (Verfahrens- und) Prozessrecht der katholischen Kirche ausgeht (vgl. c. 1400 CIC), als sehr weitgehend. Ablehnend daher Kästner, Rechtsstaatliche Judikatur (Anm. 8), S. 309 – 311, der in einem Verweis auf römische Instanzen sowie auf eine Appellation an den Papst gemäß c. 1417 § 1 CIC eine faktische Rechtsschutzverweigerung erblickt. In der Tat ist es eher unwahrscheinlich, dass das Amtsgericht Hagen seinen Prozess bis zu einer abschließenden römischen Entscheidung im hierarchischen Rekursverfahren ausgesetzt hätte. 14 Wobei weiter zu fragen wäre, ob schon die subjektive Behauptung eines religiösen Bezugs genügen soll.
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ten beschränkt würden.15 Plausibler ist demgegenüber die Deutung, dass das Bundesverfassungsgericht seine Aussage in der Tat auf bestimmte Typen16 von Rechtsstreiten wie etwa Fragen des kirchlichen Amtsrechts beschränkt wissen wollte; zumindest aber auf solche Fälle, in denen als Trägerin des Rechts aus Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV eine Kirche oder Religionsgemeinschaft auch tatsächlich selbst als Prozesspartei beteiligt ist. Inwieweit das Amtsgericht Hagen während des Prozesses versucht hat, die Rechtsauffassung der zuständigen kirchlichen Stellen einzuholen, geht aus der Urteilsbegründung nicht abschließend hervor.17 Es wird lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin selbst sich vor Klageerhebung zwecks einer außergerichtlichen Klärung der Angelegenheit an den Dekan des örtlichen Pastoralverbunds sowie an die örtliche Bistumsleitung gewandt hatte. Die von dort jeweils erhaltenen Antwortschreiben hat das Gericht in seine Entscheidungsfindung anscheinend einbezogen, ohne deren Inhalt explizit mitzuteilen.18 Darüber hinaus hat das Gericht anscheinend im Rahmen der Güteverhandlung den zuständigen Pfarrer informatorisch angehört.19 Unabhängig von den näheren Einlassungen kirchlicher Stellen erscheint es als fraglich, ob das Amtsgericht Hagen mit seiner Entscheidung einer innerkirchlichen Klärung der Angelegenheit unzulässigerweise vorgegriffen hat. Denn ob der eigentliche Streitgegenstand des Prozesses – eine aus klägerischer Sicht unwahre Tatsachenbehauptung – als solche überhaupt eine religiöse bzw. theologische Vorfrage impliziert, ist doch sehr zweifelhaft. Eindeutig wäre die Angelegenheit, wenn unstreitig eine Taufhandlung stattgefunden hätte und allein Gültigkeit oder Erlaubtheit dieser Handlung nach kanonischem Recht in Frage stünde. In diesem Fall hätte das Gericht unbedingt aus berufenem Munde die kirchliche Auffassung hierzu in Erfahrung bringen müssen. Hier jedoch ging es im Kern nicht um eine Taufhandlung an sich, sondern um die Behauptung einer solchen. Insoweit hätte das Gericht letztlich auch offen 15 Anderer Ansicht insoweit Hillgruber, Selbstbestimmungsrecht (Anm. 8), S. 315: Der ordre-public-Vorbehalt schließe die Gefahr eines sozialschädlichen Missbrauchs weitestgehend aus, ein Restrisiko sei um der Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften willen hinzunehmen. 16 Wobei die Typenbildung auf der Ebene des materiellen Rechts dann wohl auch mit einer abgegrenzten Zuständigkeit des kirchlichen Gerichts auf der prozessrechtlichen Ebene korrespondiert. 17 Nach Mitteilung von Herrn Michael Werneke, Leiter des Sekretariats Kirchenrecht im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn, hat das Gericht jedenfalls keinen Kontakt mit dem Erzbischöflichen Ordinariat Paderborn aufgenommen. 18 Es mag hier dahinstehen, ob das Gericht in Anbetracht dieser Schreiben eine weitere Rücksprache mit kirchlichen Stellen für entbehrlich halten durfte. Zu sehen ist jedenfalls, dass laut Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 9), S. 1091, eine staatliche Inzidentkontrolle insbesondere dann zulässig sein soll, „wenn eine endgültige und verbindliche Entscheidung im Bereich der Kirche mangels eines dafür vorgesehenen Verfahrens nicht möglich ist“. 19 Dieser Sinn scheint der Bemerkung: „Wie im Rahmen der Vergleichsverhandlungen unter Beisein des Dechanten angab, ist es ihm in seiner langjährigen Amtspraxis nicht untergekommen, nicht einmal von anderen Quellen her bekannt geworden, dass sich ein vergleichbarer Kasus eines solchen Geschehens jemals abgespielt hat.“ abzugewinnen zu sein.
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lassen können, welche religiösen und theologischen Weiterungen sich aus dem Inhalt der streitgegenständlichen Behauptung ergeben. Anstatt den soeben angesprochenen Punkt klar zu sehen, hat das Gericht jedoch über weite Strecken von der – seines Erachtens ganz unhaltbaren – Rechtslage her argumentiert, die bestünde, wenn die Taufhandlung doch stattgefunden hätte. Insoweit meinte das Gericht auch, seine Entscheidung auf mehrere Rechtsgründe stützen zu können. Tatsächlich jedoch bieten jene Passagen des Urteils, die sich mit der mittelbaren Wirkung der unwahren Tatsachenbehauptung – hier: Rechtsschein der Kirchenzugehörigkeit infolge des Taufbucheintrags – befassen, lediglich eine nähere Beschreibung der Rechtsgutverletzung aufseiten der Klägerin – hier: Missachtung des elterlichen Rechts zur religiösen Erziehung –; sofern man sie nicht von vorneherein als obiter dicta ansehen will. 2. Vorrang des elterlichen Sorgerechts vor kirchlichen Regelungen zur Nottaufe Jedenfalls problematisiert das Gericht in seiner Entscheidung ausführlich, dass eine (angebliche oder tatsächliche) Nottaufe, sofern sie ohne Zustimmung der Eltern bzw. des ggf. allein sorgeberechtigten Elternteils vorgenommen wird, einen unzulässigen Eingriff in das Recht der Religionsbestimmung des Kindes darstelle.20 Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Beklagte daher gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 6 GG sowie Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV21 schadensersatzpflichtig gemacht. Dabei legt sich das Gericht hinsichtlich der quaestio facti dahingehend fest, dass der Eingriff in geschützte Rechte der Klägerin, näherhin deren Recht der (im Zeitpunkt der angeblichen Nottaufe alleinigen) elterlichen Sorge, durch die unwahre Behauptung einer angeblichen Nottaufe erfolgt sei. Zu diesen Erwägungen ist zunächst mit Heike Hennemann daran zu erinnern, dass das Recht der elterlichen Sorge gemäß § 1626 BGB zu den sonstigen, gemäß § 823
20 Zum Elternrecht auf religiöse Kindererziehung als integrierender Bestandteil des allgemeinen Sorgerechts vgl. Staudinger/Peschel/Gutzeit, § 1626 BGB, Rz. 58; Palandt/Diederichsen, § 1626 BGB, Rz. 11; Münchener Kommentar [MüKo] – Huber, § 1626 BGB, Rz. 33. Die nähere gesetzliche Ausgestaltung erfolgt durch das als Bundesrecht fortgeltende Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung (RKEG) vom 15. Juli 1921, vgl. dazu eingehend die Kommentierung bei Staudinger/Salgo, Anhang zu § 1631 BGB: RKEG; MüKo–Huber, Anhang zu § 1631: RelKErzG; ferner Theodor Engelmann, Das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921, München u. a. 1922; Theodor Kipp, Die religiöse Kindererziehung nach Reichsrecht, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl zum Doktorjubiläum am 19. April 1923, Tübingen 1923, S. 1 – 50; zur rechtsgeschichtlichen Einordnung vgl. Stephanie Kammerloher-Lis, Die Entstehung des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung, Frankfurt a. M. 1999. 21 Art. 136 Abs. 4 WRV lautet: „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.“
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Abs. 1 BGB absolut geschützten Rechten zählt, so dass es eines Rückgriffs auf § 823 Abs. 2 BGB nicht bedurft hätte.22 Im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung kommt das Gericht nochmals auf die eben genannten Rechtsnormen zu sprechen und begründet die Notwendigkeit, schadensersatzrechtliche Naturalrestitution durch Widerruf der unwahren Behauptung einer angeblichen Nottaufe zu leisten, mit der Erwägung, dass andernfalls eine „Zwangsmitgliedschaft“ des (angeblich) getauften Kindes in der katholischen Kirche entstünde, die es rückgängig zu machen gelte. Das Gericht reflektiert dabei nicht mit letzter Konsequenz, dass der streitgegenständliche Sachverhalt äußerstenfalls eine scheinbare bzw. faktische, nicht jedoch eine rechtliche Zugehörigkeit zu Kirche begründen kann:23 Die Tauf-Behauptung sei deshalb rückgängig zu machen, weil das Kind bzw. seine Mutter keine andere Möglichkeit hätten,24 die widerrechtlich herbeigeführte Kirchengliedschaft zu beenden.25 Dabei ergibt sich für das Ge22 Vgl. Hennemann, Schadensersatzanspruch (Anm. 1), S. 428; ebenso Josef Jurina, Taufe eines gemeinsamen Kindes gegen den Willen eines Elternteils, in: Kirche und Recht 9 (2003) S. 179 – 186 [= Nr. 905, 5 – 12], hier S. 183 [9]; Staudinger/Hager, § 823 BGB, Rz. B 183 f.; Palandt/Heinrichs, § 823 BGB, Rz. 17/18; MüKo–Wagner, § 823 BGB, Rz. 233. Aus der Urteilspraxis der Gerichte vgl. LG Aachen, Urteil vom 18. November 1982, in: FamRZ 33 (1986), S. 713 f. Von daher erübrigt es sich zu diskutieren, ob Art. 136 Abs. 4 WRV ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt, welches den Einzelnen vor der Verletzung eines bestimmten Rechtsguts schützen soll, und ob die Beklagte als Verpflichtete aus einer ursprünglich an den Staat adressierten Norm angesehen werden kann; skeptisch zur Frage, ob die Kindertaufe in den Anwendungsbereich des Art. 136 Abs. 4 WRV fällt, bereits Alexander Hollerbach, Staatskirchenrechtliche Aspekte, in: Walter Kasper (Hrsg.), Christsein ohne Entscheidung oder Soll die Kirche Kinder taufen?, Mainz 1970, S. 225 – 241, hier S. 240. Es ist im Einzelnen strittig, ob und ggf. welche Normen des Verfassungsrechts zu den Schutzgesetzen i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zählen, vgl. Staudinger/Hager, § 823 BGB, Rz. G 9; Palandt/Heinrichs, § 823 BGB, Rz. 57; MüKo–Wagner, § 823 BGB, Rz. 394. Ebenso erübrigt es sich zu erörtern, ob bei einer schuldhaften Missachtung des Art. 136 Abs. 4 WRV die Klägerin die Verletzung eines eigenen Rechts (und nicht bloß in Prozessstandschaft die Verletzung eines Rechts ihrer Tochter) geltend machen konnte. 23 Allerdings ist dem Gericht zuzugestehen, dass der Taufbucheintrag kirchlicherseits als eine öffentliche kirchliche Urkunde im Sinne des c. 1540 § 1 CIC anzusehen ist, und als solche gemäß c. 1541 CIC einen – durch gegenteilige und eindeutige Argumente widerleglichen – Beweis für alles erbringt, was in ihr direkt und hauptsächlich bekundet wird – hier also die angebliche Nottaufe des Kindes. 24 An dieser Stelle spielt die weitere Besonderheit des Falles herein, dass der Kindesvater inzwischen gemeinsam mit der klagenden Mutter sorgeberechtigt ist und sich der Lösungsmöglichkeit einer Kirchenaustrittserklärung verweigert. Anzumerken ist insoweit, dass speziell im vorliegenden Fall einer nur erfundenen Taufe auch eine Kirchenaustrittserklärung freilich wiederum nur eine Schein-Lösung wäre, die dem wahren Sachverhalt, gemäß welchem das nur angeblich getaufte Kind gerade kein Kirchenmitglied geworden ist, nicht vollständig gerecht wird. 25 Das Gericht deutet diesbezüglich an, dass – ungeachtet der generellen, vom Gericht so möglicherweise gar nicht gesehenen Fragwürdigkeit einer Lösung per Kirchenaustrittserklärung, vgl. dazu Anm. 24 – ein Zuwarten bis zum Eintritt der Religionsmündigkeit des Kindes nicht in Betracht komme. Warum dies keine Option ist, wird vom Gericht nicht näher be-
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richt die Widerrechtlichkeit der Nottaufe aus der fehlenden Zustimmung der damals allein sorgeberechtigten Mutter. Die Erwägungen des Gerichts betreffen eine Konfliktsituation, in der die jeweils verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Eltern auf religiöse Erziehung sowie der Kirche auf Selbstbestimmung ihrer eigenen Angelegenheiten, darunter ihres Mitgliedschaftsrechts, aufeinander treffen. Diese Konfliktsituation ist spezifisch dadurch gekennzeichnet, dass die Taufspendung nicht dem Willen der Eltern bzw. Sorgeberechtigten entspricht. Seitens des kanonischen Rechts wird der skizzierte Konflikt durch die Bestimmung des c. 868 § 2 CIC angeheizt, der bei Todesgefahr des Kindes eine Taufspendung gegen den Willen sogar ungetaufter Eltern für erlaubt erklärt. Die Norm steht bereits innerhalb des Kodex in Spannung zu den Normen der cc. 748 § 2, 793 § 1 CIC, die jedweden Zwang bei der Glaubensverkündigung verbieten und das Elternrecht auf (religiöse) Erziehung betonen, und wird daher zu Recht unter Kanonisten in Zweifel gezogen.26 Zum richtigen Verständnis der Norm ist allerdings zu beachten, gründet. Dass es freilich im vorliegenden Fall auf die künftige religiöse Entwicklung und Erziehung des angeblich getauften Kindes in keiner Weise ankommen konnte, ergibt sich bereits aus dem Klagebegehren, über welches das Gericht zu entscheiden hatte: Die Klägerin hatte auf Widerruf einer unwahren Tatsachenbehauptung geklagt. Ob dieses Klagebegehren begründet ist oder nicht, entscheidet sich nicht in der Zukunft, sondern ergibt sich aus der Analyse von Vergangenheit und Gegenwart – näherhin daraus, ob die streitgegenständliche Behauptung der Wahrheit entspricht oder nicht. 26 Vgl. Alexander Hollerbach, Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht, in: ZevKR 29 (1984), S. 145 – 169, hier S. 157 – 159, der einen „Rückfall in objektivistisch-apersonales Denken, das man mit dem II. Vatikanischen Konzil für überwunden halten durfte“ (ebd., S. 159) moniert, durch welches das „Prinzip personaler Freiheit als notwendigem Gegenüber zum Heilshandeln Gottes“ (ebd., S. 158) verkannt werde; Alfred E. Hierold, Taufe und Firmung, in: Joseph Listl/Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 21999, S. 807 – 823, hier S. 815 f.; Aymans/Mörsdorf, KanR III, S. 197 – 199; MKCIC–Althaus, c. 868, Nr. 4; ebenso problembewusst wie verhalten im Urteil Mauro Rivella, Battezzare i bambini in pericolo di morte anche contro la volontà dei genitori (can. 868 § 2), in: Quaderni di Diritto Ecclesiale 9 (1996), S. 66 – 75; sehr kritisch Antonio Arza Arteaga/Pedro M. Garín Urionabarrenechea, Comentario al canon 868 § 2 del CIC, in: Estudios eclesiásticos 74 (1999), S. 639 – 660, die u. a. mit Thomas von Aquin und der Lehre des II. Vatikanums über die Religionsfreiheit argumentieren. Ein Beschluss der kirchenrechtlichen Kommission der kanadischen Bischofskonferenz vom 12. März. 1986, c. 868 § 2 CIC nur unter „particularly attenuating circumstances“ anzuwenden, wurde sowohl seitens der Kongregation für die Sakramente als auch der Kongregation für die Glaubenslehre mit Schreiben vom 27. März 1986 bzw. 27. August 1986 kritisiert, vgl. dazu Brendan Daly, Canoncial Requirements of Parents in Cases of Infant Baptism According to the 1983 Code, in: Studia Canonica 20 (1986), S. 409 – 438, hier S. 427: Die kanadische Regelung ermutige nicht zur Taufspendung in unproblematischen Fällen; es werde verunklart, dass das Recht des Kindes auf ewiges Heil Vorrang vor dem Willen der Eltern habe. Mit diesem Argument verteidigt auch María Blanco, c. 868, in: Á. Marzoa u. a. (Hrsg.), Comentario Exegético al Código de Derecho Canónico, Bd. III/1, Pamplona 32002, S. 487 – 489, hier S. 489, den besagten Kanon. Doch selbst wenn man ein entsprechendes Recht des Kindes bejaht, ist damit noch nicht die sich anschließende Frage geklärt, ob und ggf. warum ein x-beliebiger Dritter anstelle der naturrechtlich hierzu berufenen Eltern dieses Recht für das
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dass sich der Kanon ausdrücklich mit der Frage der Erlaubtheit einer etwaigen Taufspendung befasst und sich damit an den Taufspender als Normadressaten richtet: Ob potenzielle Taufspender in der in c. 868 § 2 CIC vorgestellten Situation zur Taufspendung schreiten, überlässt der Gesetzgeber letztlich der Gewissensentscheidung des Einzelnen. Die Norm stellt lediglich klar, dass es seitens der Kirche keine Sanktionen geben wird,27 falls ein Taufspender vor seinem Gewissen zu der Überzeugung gelangt, dass die Spendung der Taufe im Vergleich zum Elternrecht auf religiöse Erziehung und trotz der Ungewissheit, ob die Taufgnade durch nachfolgende religiöse Erziehung entfaltet werden kann, das höhere Gut sei.28
Kind einfordern kann. Zu der theologischen Problematik des Seelenheils ungetauft verstorbener Kinder vgl. auch Anm. 62. Zur Genese dieser Regelung vgl. Martin Rehak, Utrum parvuli sint invitis parentibus baptizandi? Eine Spurensuche nach den Wurzeln des can. 868 § 2 CIC, in: ZRG 132 KA 101 (2015), S. 258 – 316. Zur wechselvollen Textgeschichte während der Kodexreform vgl. z. B. Heribert Schmitz, Taufe, Firmung, Eucharistie. Die Sakramente der Initiation und ihre Rechtsfolgen in der Sicht des CIC von 1983, in: AfkKR 152 (1983), S. 369 – 407, hier S. 383 f.; Daly, S. 413 – 421; John P. Beal/James A Coriden/Thomas J. Green (Hrsg.), New Commentary on the Code of Canon Law, New York/Mahwah 2000, S. 1056 f.; MKCIC–Althaus, c. 868, Nr. 1c-d. Die parallele Regelung des c. 681 § 4 CCEO, die auf die Klausel „etiam invitis parentibus“ verzichtet, stellt gegenüber der Formulierung im CIC eine Verbesserung dar. 27 Seitens des staatlichen Rechts hingegen ist – wie sich nicht zuletzt angesichts des hier besprochenen Urteils andeutet – durchaus denkbar, dass sich ein Taufspender, der ein Kind gegen den Willen der Eltern bzw. Sorgeberechtigten tauft, schadensersatzpflichtig machen könnte. Insbesondere bei einem vermögenden Kind, das aufgrund weiterer Umstände zunächst daran gehindert ist, seinen Kirchenaustritt zu erklären (bzw. von seinen Sorgeberechtigten oder einem Vormund erklären zu lassen), kommt als Schaden, den das Kind vom Taufspender in Geld ersetzt verlangen könnte, die vom Kind zu zahlende Kirchensteuer in Betracht. Ob in einem solchen Fall die Sorgeberechtigten gehalten wären, zwecks Schadensminderung den Kirchenaustritt nach staatlichem Recht zu erklären, sei ausdrücklich dahingestellt. Ebenso mag hier auf sich beruhen, ob das geschädigte Kind gehalten ist, zunächst gegen Festsetzung und Einzug der Kirchensteuer den Rechtsweg zu beschreiten mit der Begründung, eine Zwangstaufe sei kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Kirchensteuerpflicht. Zur Frage eines Schmerzensgeldanspruchs bei Verletzung des Elternrechts vgl. Jurina, Taufe (Anm. 21), S. 184 f. [10 f.]; Hendrik Munsonius, Elterliches Sorgerecht und die Taufe religionsunmündiger Kinder, in: ZevKR 54 (2009) S. 83 – 88, hier S. 87 f. 28 Es wäre gemeinsam mit der Dogmatik und der Pastoraltheologie zu diskutieren, inwieweit diese Gewissensentscheidung durch die bisherige kirchliche Lehre und Disziplin (Stichworte: Heilsnotwendigkeit der Taufe; „volkskirchliche“ statt „elitäre“ Spendepraxis) in einer ganz einseitigen Weise präjudiziert wird, so als ob die Kirche von einem guten Katholiken nur dieses Urteil erwartet: sacramento nihil praeponatur (um die bekannte Maxime der Benediktsregel etwas abzuwandeln). Die Option für eine eher „volkskirchliche“ Sakramentenpastoral hat – ungeachtet ihrer zwangsläufigen Folgeprobleme, was den seelsorglichen und disziplinären Umgang mit abständigen Katholiken anbelangt – in jüngerer Zeit prominente Fürsprecher gefunden, vgl. Benedikt XVI., Begegnung mit Priestern, Diakonen und Seminaristen aus Südtirol am 6. August 2008, im Internet publiziert: http://www.vatican.va/holy_fa ther/benedict_xvi/speeches/ 2008/august/documents/hf_ben-xvi_spe_20080806_clero-bressano ne_ge.html = http://www.30giorni.it/articoli_id_21629_l5.htm [Stand: 10. 3. 2014]; Jorge
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Wie wäre daher ceteris paribus eine Abwandlung des Sachverhalts zu beurteilen, bei der die Nottaufe nicht nur angeblich, sondern tatsächlich entgegen dem Elternwillen gespendet worden wäre? Könnte eine solche Taufe staatskirchenrechtlich anerkannt werden? Oder müsste ein deutsches Gericht in einem solchen Fall gleichsam eine Rückgängigmachung der Taufe selbst bzw. eine – dann der objektiven Sach- und Rechtslage widersprechende – Tilgung des Eintrags der stattgehabten Taufe im Taufbuch verlangen? In einer solchen Situation greifen die bisherigen höchstrichterlichen Klärungen zur staatskirchenrechtlichen Unbedenklichkeit der Kindertaufe nicht: Das Bundesverwaltungs- wie auch das Bundesverfassungsgericht hatten zwischen 1965 und 1971 in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass staatskirchenrechtlich von der Freiwilligkeit des Kirchenbeitritts auszugehen sei, da (im Regelfall) keine Taufe ohne vorausgehende Taufbitte gespendet wird.29 Dabei sei unbedenklich, wenn im Falle der Kindertaufe die Taufbitte von den Erziehungsberechtigten bzw. den gesetzlichen Vertretern des Täuflings geäußert werde. Eine Verletzung von Grundrechten des Kindes durch die Entscheidung der Sorgeberechtigten sei nicht zu erkennen, zumal da es dem Kind freisteht, nach Erreichen der Religionsmündigkeit30 diese EntMario Bergoglio, Wir sind nicht Herr über die Gaben des Herrn, im Internet publiziert: http:// www.30giorni.it/articoli_id_21628_l5.htm [Stand: 10. 3. 2014]. 29 Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Oktober 1967, in: ZevKR 14 (1968/69), S. 390 – 395, nebst Rudolf Weber, Anmerkung, in: ebd., S. 396 f.; BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 1968 (unveröffentlicht); BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971, in: BVerfGE 30, S. 415 – 428, hier S. 423 – 425 = NJW 24 (1971), S. 931 f., hier S. 931; ebenso BayVerfGH, Entscheidung vom 12. März 1968, in: BayVerfGHE 21, S. 38 – 50 = ZevKR 14 (1968/69), S. 175 – 181; Entscheidung vom 25. Mai 1970, in: BayVerfGHE 23, S. 106 – 115; BFH, Urteil vom 4. Mai 1983, in: NJW 45 (1983), S. 2604 f. = AfkKR 152 (1983), S. 229 – 231; BVerfG, Beschluss vom 30. November 1983, in: NJW 37 (1984), S. 969 = AfkKR 153 (1984), S. 227 f.; FG München, Vorbescheid vom 15. September 1986, in: ZevKR 33 (1988), S. 330 – 333; BFH, Urteil vom 18. Januar 1995, in: NVwZ 15 (1996), S. 517 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 21. März 2006, in: NJW 59 (2006), S. 3158 – 3161; zusammenfassend von Campenhausen, Mitgliedschaftsrecht (Anm. 5), S. 769 f. 30 § 5 RKEG legt für das Erreichen der Religionsmündigkeit die Vollendung des 14. Lebensjahres fest; abweichend hiervon können sich Schülerinnen und Schüler in den Bundesländern Bayern und Saarland wegen Art. 125 Nr. 2 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 Bayerische Verfassung, Art. 29 Abs. 2 S. 2 Verfassung des Saarlandes erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres selbständig vom schulischen Religionsunterricht abmelden. Zur Frage, ob diese Altersgrenze bei einem Wohnsitz in diesen beiden Bundesländern – über den Wortlaut der jeweiligen Landesverfassung hinaus – nicht nur für die Abmeldung vom Religionsunterricht, sondern für die Religionsmündigkeit im Allgemeinen gilt, lassen sich unterschiedliche Ansichten vertreten, vgl. einerseits Axel von Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR2 I, S. 777 – 785, hier S. 779 mit Anm. 7: Betrifft Religionsmündigkeit insgesamt; andererseits Matthias Jestaedt, Das elterliche Erziehungsrecht in Hinblick auf Religion, in: HdbStKirchR2 II, S. 371 – 414, hier S. 405 – 409; Martin Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, Tübingen 2006, S. 367 – 370: Enge Auslegung, Landesrecht verdrängt § 5 S. 1 RKEG partiell, d. h. Divergenz zwischen religiösem Bekenntnis des Schülers und Pflicht zur Teilnahme am Religionsunterricht denkbar. Dagegen wird die Abänderung des RKEG durch die genannten
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scheidung seiner Sorgeberechtigten zu revidieren.31 In der Tat betreffen die eben genannten höchstrichterlichen Urteile letztlich in erster Linie die Abgrenzung zwischen den Grundrechten der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder gemäß Art. 6 Abs. 2 GG sowie auf Ausübung ihres Glaubens – hier: durch Taufe ihrer Kinder –32 gemäß Art. 4 Abs. 1 – 2 GG einerseits, dem Grundrecht des Kindes33 auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG andererseits. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. März 1971 ausdrücklich erklärt, dass es nicht mit Art. 4 GG vereinbar sei, „als Grundlage für die Kirchensteu-
Länderverfassungen generell bestritten von Dieter C. Umbach, Grundrechts- und Religionsmündigkeit im Spannungsfeld zwischen Kindes- und Elternrecht, in: Hans Joachim Faller u. a. (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmte Ordnung [FS Geiger], Tübingen 1989, S. 359 – 377, hier S. 368 – 371; Claudia Erwin, Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Schulfach Ethik/Philosophie, Berlin 2001, S. 89 – 91; Staudinger/Salgo, Anhang zu § 1631: § 5 RKEG, Rz. 7. Zur bayerischen Verwaltungspraxis vgl. einerseits Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Bekanntmachung vom 14. Juli 1976 über den Austritt aus einer Kirche, Religions- oder weltanschaulichen Gemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, Nr. 9 a), abgedruckt in: AfkKR 145 (1976), S. 598 – 606, hier S. 602; andererseits Art. 46 Abs. 4 BayEU; ferner Michael Benz, Religionsmündigkeit und elterliches Erziehungsrecht. Zum Geltungsbereich des Art. 137 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung, in: AfkKR 157 (1988), S. 108 – 121. Für Thomas Würtenberger, Religionsmündigkeit, in: Bartlsperger u. a. (Hrsg.), FS Obermayer (Anm. 9), S. 113 – 122, ist die Festlegung der vollständigen Religionsmündigkeit auf die Vollendung des 14. Lebensjahres aus entwicklungspsychologischer Sicht eindeutig zu niedrig angesetzt; sachgerecht dagegen die Regelung der partiellen Religionsmündigkeit (ab vollendetem 12. Lebensjahr), da Kinder dieses Alters ein Bedürfnis nach Orientierungssicherheit hätten. Laut Dieter Reutter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, Berlin 1968, S. 204, soll die Festlegung der Altersgrenzen des RKEG nach Anhörung von Psychologen erfolgt sein; laut Hildegard Krüger, Grundrechtsausübung durch Jugendliche (Grundrechtsmündigkeit) und elterliche Gewalt, in: FamRZ 3 (1956), S. 329 – 335, hier S. 330 mit Anm. 14, soll die Festlegung der partiellen Religionsmündigkeit in Anspielung an Lk 2,41 – 52 (der zwölfjährige Jesus im Tempel) erfolgt sein. Derlei ist der übrigen Kommentarliteratur zum RKEG (vgl. Anm. 20) allerdings gänzlich unbekannt. Von einer Konsultation der Gesetzesmaterialien zum RKEG wurde abgesehen. 31 Zustimmend Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 30), S. 674: „In der Tat wäre die Kindstaufe anders zu beurteilen, wenn der Täufling sich später nicht von dem Bekenntnis, das die Eltern für ihn gewählt haben, lösen könnte.“ 32 Zur Taufe eigener Kinder als grundrechtlicher geschützter Akt der Religionsausübung vgl. Hollerbach, Aspekte (Anm. 22), S. 233 – 237. 33 Zur Grundrechtsfähigkeit und -mündigkeit von Kindern im speziellen Kontext des Art. 4 GG bzw. § 5 RKEG vgl. Krüger, Grundrechtsausübung (Anm. 29), S. 330 u. S. 333; Reutter, Kindesgrundrechte (Anm. 29), S. 204 u. S. 206; Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 29), S. 361 – 337; allgemein zum Problem der Kollision von Grundrechten der Eltern und ihrer Kinder auch Wolfgang Roth, Die Grundrechte Minderjähriger im Spannungsfeld selbständiger Grundrechtsausübung, elterlichen Erziehungsrechts und staatlicher Grundrechtsbindung, Berlin 2003, S. 125 – 153.
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erpflicht eine Mitgliedschaftsregelung heranzuziehen, die eine Person einseitig, und ohne Rücksicht auf ihren Willen der Kirchengewalt unterwirft“34. Für die Lösung des hier zu diskutierenden Konflikts um die staatskirchenrechtliche Anerkennung einer Taufspendung gegen den Willen der Eltern bzw. Sorgeberechtigten sind folgende Gesichtspunkte bedeutsam: a) Alleinige Entscheidungsbefugnis der Eltern über die Taufspendung Zunächst muss, gleichsam als Vorfrage, gemeinsam mit Alexander Hollerbach „mit vollem Gewicht gefragt werden, wer [bei Kindern] über das Getauftwerden zu bestimmen hat“35? Dies sind grundsätzlich niemand anderes als die Eltern des Kindes. Gemäß § 1627 BGB haben die Eltern die elterliche Sorge einvernehmlich und zum Wohl des Kindes auszuüben. Für den Bereich der religiösen Kindererziehung wird dieser Grundsatz durch die §§ 1 – 3 RKEG näher präzisiert. In der Regel wird dabei die elterliche Sorge von beiden Eltern gemeinsam ausgeübt,36 jedoch in Fällen des § 1626 a Abs. 2 BGB allein von der Mutter und in Fällen des § 1628,
34 BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 (Anm. 28), BVerfGE 30, S. 423 = NJW 1971, S. 931; ferner Hanns Engelhardt, Einige Gedanken zur Kirchenmitgliedschaft im kirchlichen und staatlichen Recht, in: ZevKR 41 (1996), S. 142 – 158, hier S. 148, der aus diesem Hinweis folgert, dass die Kindertaufe nur deshalb verfassungsgemäß ist, weil sich die Eltern gemeinschaftlich hiermit einverstanden erklären. 35 Hollerbach, Aspekte (Anm. 22), S. 233. 36 Vgl. dazu Jurina, Taufe (Anm. 22); Engelhardt, Kirchenmitgliedschaft (Anm. 34), S. 148; Munsonius, Sorgerecht (Anm. 27), S. 85 f.; für Alexander Hollerbach, Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht, in: ZevKR 29 (1984), S. 145 – 169, hier S. 157, begegnet daher bereits die Regelung des c. 868 § 1 CIC, die den Taufwillen nur eines Elternteils genügen lässt, sowohl (wegen cc. 226 § 2, 1136 CIC) kanonistischen, vor allem aber auch staatskirchenrechtlichen Bedenken, denn „die Alleinentscheidung eines Elternteils könnte nur insoweit anerkannt werden, als sie nach staatlichem Recht überhaupt zulässig ist“. Ebenso macht Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 30), S. 672 mit Anm. 287, darauf aufmerksam, daß die auf die Taufbitte nur eines Elternteils gestützte Taufe „aus der Perspektive des staatlichen Rechts einen Eingriff in das Elternrecht des übergangenen Teils gem. Art. 6 Abs. 2 GG darstellt“. Dagegen meinte noch H[elmut (?)] Glässing, Kann der Vormundschaftsrichter die Erstbestimmung der Religion des Kindes vornehmen?, in: FamRZ 9 (1962), S. 350 – 352, hier S. 351: „Für die Voraussetzungen, unter denen eine Religionsgemeinschaft Amtshandlungen wie eine Taufe vornimmt, ist das jeweilige Kirchenrecht maßgebend. Das Prinzip des staatlichen Rechts der grundsätzlich gemeinsamen Ausübung der elterlichen Gewalt und gesetzlichen Vertretung findet hier keine Anwendung, soweit nicht das kirchliche Recht eine Mitwirkung auch des Ehegatten, der nicht der betreffenden Kirche angehört, vorsieht. […] Wenn ein Ehegatte sich auf Grund seiner religiösen Überzeugung verpflichtet fühlt, sein Kind gegen den Willen des anderen taufen zu lassen, so ist ein Eingreifen des [Vormundschaftsgerichts] daher weder erforderlich, um die Taufe zu ermöglichen, noch um sie […] zu verhindern“; dies allerdings nicht ohne den ergänzenden Hinweis, dass eine einseitige Konfessionsbestimmung unter Umständen einen Missbrauch des Sorgerechts i. S. d. § 1666 BGB darstellen könne, jedenfalls aber eine schwere Eheverfehlung (vgl. ebd.).
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§ 1671 und des § 1678 Abs. 2 BGB von dem vom Gericht bestimmten Elternteil.37 Das Elternrecht ist dabei nach Maßgabe des RKEG durch die dort geregelten Rechte des Kindes beschränkt.38 Wie bereits festgestellt, handelt es sich bei diesem Elternrecht um ein verfassungsrechtlich geschütztes, im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB absolutes Recht, das also von jedermann und nicht nur von bestimmten Personen zu beachten ist. Zwar können Fragen der religiösen Erziehung grundsätzlich zu den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 BGB zählen, so dass es bei nicht beilegbaren Meinungsverschiedenheiten der Eltern in Betracht kommt, dass das Familiengericht einen Elternteil bevollmächtigt, die Sachentscheidung alleine zu treffen.39 Allerdings ist, soweit ersichtlich, die – mit Rücksicht auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls nur bedingt verallgemeinerungsfähige – Urteilspraxis der Familiengerichte hierzu eher zurückhaltend: Dem Bundesgerichtshof zufolge kommen bei Meinungsverschiedenheiten über die religiöse Kindeserziehung zwar Einzelentscheidungen nach § 1628 BGB und Teilübertragungen des Sorgerechts in Betracht, aber nicht eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts;40 auch die Zugehörigkeit eines Elternteils zu den Zeugen Jehovas rechtfertigt nicht die Übertragung der alleinigen Sorge an den anderen Elternteil.41 Sofern (aus sonstigen Gründen) die elterliche Sorge auf einen Elternteil allein zu übertragen ist, soll hierfür ohne weiteres auch der Elternteil in Betracht kommen, der dem Kind keine religiöse Erziehung angedeihen lassen will.42 Bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern in religionsverschiedener Ehe – typische Konstellation: muslimischer Vater, christliche Mutter – wurde eine Übertragung des Sorgerechts an den einen Elternteil zwecks Taufe gegen den Willen des anderen Elternteils abgelehnt, da das Kind keinen Nachteil habe, wenn es bis zum 14. Lebensjahr nur als Katechumene in das kirchliche Leben integriert ist.43 37 In jenen Ausnahmefällen, in denen beide Eltern verstorben sind oder wegen Ruhens bzw. Entzugs des Sorgerechts die Elternsorge nicht ausüben können, hat der Vormund über eine etwaige Taufe zu bestimmen. Zur Problematik der von einem Vormund geäußerten Taufbitte vgl. Glässing, Vormundschaftsrichter (Anm. 36); Hollerbach, Aspekte (Anm. 22), S. 236 mit Anm. 55; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. April 2012, in: http://openjur.de/u/ 455087.html [Stand: 23. 4. 2014]. 38 Vgl. zu der durch das RKEG vorgenommenen Abwägung zwischen Rechten der Eltern und ihrer Kinder eingehend Hollerbach, Aspekte (wie Anm. 22), S. 237 – 240; zu den Regelungen des RKEG an sich vgl. die oben Anm. 20 genannte Kommentarliteratur. 39 Vgl. Palandt/Diederichsen, § 1628 BGB, Rz. 4. 40 Vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2005, in: NJW 58 (2005), S. 2080 f. = FamRZ 52 (2005), S. 1167 f. 41 Vgl. AG Helmstedt, Beschluss vom 21. März 2007, in: FamRZ 54 (2007), S. 1837. 42 Vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. März 2001, in: FamRZ 48 (2001), S. 1639. 43 Vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 8. Mai 2003, in: FamRZ 50 (2003), S. 1948 = AfkKR 172 (2003), S. 500 – 502, nebst Franz-Georg Ewers, Anmerkung, in: FamRZ 51 (2004), S. 394 f.; ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 2009, in: FamRZ 57 (2010), S. 1255 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 24. Juni 2014, in: FamRZ 61 (2014), S. 1712.
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b) Elterliches Erziehungsrecht als Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist bereits seitens des Verfassungsgebers nicht schrankenlos gewährleistet. Gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV kann es nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ausgeübt werden. Dabei ist Gegenstand staatskirchenrechtlicher Erörterungen, welche Gesetze im Sinne dieser Norm für alle gelten.44 Nach der so genannten Heckel’schen Formel wäre hierunter „ein Gesetz, das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muss; m. a. W. jedes für die Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz“45 zu verstehen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1956 hat der Bundesgerichtshof diese Formel aufgegriffen und folgendermaßen erläutert: „Das bedeutet, daß heute alle, aber auch nur diejenigen Normen, die sich als Ausprägungen und Regelungen grundsätzlicher, für unseren sozialen Rechtsstaat unabdingbarer Postulate darstellen, die kirchliche Autonomie ,einengen‘. Das sind aber Sätze, die entweder jedes Recht, auch das kirchliche Recht mit Notwendigkeit enthält, oder die vom kirchlichen Recht stillschweigend oder ausdrücklich bejaht und in Bezug genommen werden.“46
Dagegen fragt die vom Bundesverfassungsgericht zeitweilig favorisierte JedermannFormel danach, ob ein vermeintlich für alle geltendes Gesetz „für die Kirche dieselbe Bedeutung [hat] wie für Jedermann. Trifft das Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den normalen Adressaten, dann bildet es insoweit keine Schranke.“47 In der Anwendung des 44
Aus der umfangreichen Forschungsliteratur vgl. Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat. Verfassungs- und staatstheoretische Probleme der staatskirchenrechtlichen Lehre der Gegenwart, in: Der Staat 1 (1962), S. 289 – 320, hier S. 289 – 304; Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), S. 5 – 56, hier S. 42 – 44; Jurina, Rechtsstatus (Anm. 5), S. 151 – 162; Werner Weber, „Allgemeines Gesetz“ und „für alle geltendes Gesetz“, in: Ernst Forsthoff u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber, Göttingen 1973, S. 181 – 199; Wolfgang Bock, Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung am Beispiel des Amtsrechts der evangelischen Kirche, Tübingen 1996, hier besonders S. 139 – 156; S. 167 – 188; S. 207 – 210; Haß, Kirchenmitgliedschaft (Anm. 5), S. 38 – 58; Grzeszick, Selbstbestimmungsrecht (Anm. 8), S. 202 – 217; zusammenfassend Mückl, Grundlagen (Anm. 5), S. 761 – 763 (= Rz. 84). 45 Johannes Heckel, Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931, in: Verwaltungsarchiv 37 (1932), S. 280 – 299, hier S. 284; auch in: ders., Das blinde, undeutliche Wort ,Kirche‘. Gesammelte Aufsätze, Köln, Graz 1964, S. 593. 46 BGH, Urteil vom 17. Dezember 1956, in: BGHZ 22, S. 383 – 395, hier S. 387 f. = NJW 10 (1957), S. 542 f., hier S. 542. 47 BVerfG, Beschluss vom 21. September 1976 (Anm. 6), BVerfGE 42, S. 334 = NJW 1976, S. 2126; Beschluss vom 13. Dezember 1983, in: BVerfGE 66, S. 1 – 25, hier S. 20 = NJW 37 (1984), S. 2401 – 2403, hier S. 2402 = AfkKR 153 (1984), S. 228 – 233, hier S. 230.
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Art. 137 Abs. 2 WRV sei mithin darauf zu achten, „daß staatliche Gesetze nicht die den Kirchen wesentlichen eigenen Ordnungen beeinträchtigen und daß kirchliche Gesetze nicht die für den Staat unabdingbare Ordnung kränken werden“48. Weithin konsensfähig ist schließlich die Formel, dass ein für alle geltendes Gesetz jenes sei, „das zwingenden Erfordernissen für ein friedliches Zusammenleben in einem Staat entspricht, der religiös-weltanschaulich neutral ist und also die Freiheit der Religionsgemeinschaften respektiert.“49 Damit stellt sich schließlich die Frage, ob die Zuweisung des Rechts, über die Taufe ihrer Kinder zu bestimmen, an ausschließlich50 die Eltern ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV darstellt, das zwingenden rechtsstaatlichen Erfordernissen entspricht und welches von der Kirche genauso wie von allen übrigen Rechtsunterworfenen zu beachten ist? Diese Frage ist zunächst zu bejahen.51 Allerdings ist ergänzend zu berücksichtigten, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das friedliche Miteinander von Kirche und Staat in der Weise zu gewährleisten ist, dass sowohl das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als auch andere für das Gemeinwesen bedeutsame Rechtsgüter gleichermaßen zur Geltung kommen („Abwägungslehre“): „Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck ist durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dabei ist dem Selbstverständnis der Kirche ein besonderes Gewicht beizumessen.“52
In Anwendung dieser Konzeption lässt sich in der Urteilspraxis der Familiengerichte durchaus das Bestreben beobachten, sowohl dem elterlichen Willen wie auch 48
BVerfG, Beschluss vom 21. September 1976 (Anm. 7), BVerfGE 42, S. 340 = NJW 1976, S. 2127. 49 von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Anm. 5), S. 112; ähnlich Hollerbach, Grundlagen (Anm. 5), S. 536 (= Rz. 118); vgl. ferner Art. 9 Abs. 2 EMRK: „Die Religionsund Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.“ 50 In den oben Anm. 37 angedeuteten Sonderfällen anstelle der Eltern der Vormund. 51 Vgl. Jurina, Taufe (Anm. 22), S. 183 [9]; Munsonius, Sorgerecht (Anm. 27), S. 84. Zu weitgehend daher Hollerbach, Aspekte (Anm. 22), S. 228, der – wohl ohne die hier zu diskutierende Problemstellung vor Augen zu haben – erklärt: „[D]iese Schrankenklausel kommt aber […] hinsichtlich der durch die Taufe begründete Mitgliedschaft kraft Kirchenrechts nicht zum Zuge“; wie hier Weber, „für alle geltendes Gesetz“ (Anm. 44), S. 193: „Schlechthin das gesamte Zivilrecht gehört hierher“. 52 BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1983 (Anm. 47), in: BVerfGE 66, S. 22 = NJW 1984, S. 2402 = AfkKR 153 (1984), S. 231; ähnlich bereits BVerfG, Beschluss vom 25. März 1980, in: BVerfGE 53, S. 366 – 420, hier S. 401 = NJW 33 (1980), S. 1895 – 1900, hier S. 1896; ebenso BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985 (Anm. 5), BVerfGE 70, S. 167 = NJW 1986, S. 368 = AfkKR 154 (1985), S. 272; Beschluss vom 14. Mai 1986, in: BVerfGE 72, S. 278 – 295, hier S. 289 = NJW 40 (1987), S. 427 – 429, hier S. 427; Beschluss vom 18. September 1998, in: NJW 52 (1999), S. 349 f., hier S. 350.
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dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zur Geltung zu verhelfen. So hat im Jahre 2004 das Amtsgericht Kerpen entschieden, dass dem Willen der Eltern, ihrem ausgesetzten Kind eine bestimmte religiöse Erziehung angedeihen zu lassen, auch und gerade bei Findelkindern durch eine entsprechende Auswahl der Adoptiveltern Rechnung zu tragen sei.53 Umgekehrt hat das Oberlandesgericht Oldenburg die Forderung eines muslimischen Vaters zurückgewiesen, dass die katholische Mutter nach einer – angeblich gegen den Willen des Vaters erfolgten – Taufe des Kindes einer Kirchenaustrittserklärung zustimmt.54 Das Oberlandesgericht Düsseldorf hinwiederum hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, in welchem – nachdem den Eltern das Sorgerecht entzogen worden war – dem Jugendamt bzw. dem Vormund zunächst die Genehmigung erteilt worden war, das Kind in der katholischen Kirche taufen und an der Erstkommunion teilnehmen zu lassen.55 Hiergegen erhob ein Elternteil Beschwerde mit dem Einwand, es sei von ihm bereits vor Entzug des Sorgerechts eine anderweitige Bestimmung über die religiöse Erziehung – hier: christlich-freikirchlich – getroffen worden und die Maßnahmen des Vormunds daher gemäß § 3 Abs. 2 S. 6 RKEG56 rechtswidrig. Das Gericht widerrief daher die Genehmigung der noch ausstehenden Erstkommunion. Hinsichtlich der zwischenzeitlich bereits gespendeten Taufe entschied das Gericht jedoch, dass nach Vollzug des Genehmigungsbeschlusses die hiergegen gerichtete Beschwerde unzulässig geworden sei. Dabei ließ das Gericht ausdrücklich offen, ob die in Verkennung der anderweitigen Bestimmung über die religiöse Erziehung des Kindes gespendete Taufe „wirksam“, d. h. im staatlichen Rechtskreis anerkennungsfähig ist. In einem weiteren Fall, in dem die verschiedenen Verfassungsgüter aufgrund einer Taufspendung gegen den Willen eines Elternteils in Konflikt gerieten und folglich gegeneinander abzuwägen waren, ist das Verwaltungsgericht Augsburg in seinem Urteil vom 31. Mai 2011 zu dem Ergebnis gelangt, dass (im konkreten Fall) das kirchliche Selbstbestimmungsrecht höher zu gewichten sei als die Verletzung des elterlichen Erziehungsrechts:57 Da die Taufe nur auf Wunsch (nur) eines Elternteils nach innerkirchlichem Recht gemäß c. 868 § 1 Nr. 1 CIC nicht zu beanstanden sei,58 stelle die vom anderen Elternteil beantragte Nichtigerklärung der Taufe einen gravierenden Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht dar. Eine Nichtigerklärung komme daher nur dann in Betracht, wenn der übergangene Elternteil eine ähnlich gravierende eigene Rechtsverletzung geltend machen könne. Inso53 Vgl. AG Kerpen, Beschluss vom 17. März 2004, in: Familie Partnerschaft Recht (FPR) 10 (2004), S. 620 f. 54 Vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 9. Februar 2010, in: FamRZ 57 (2010), S. 1256; der Mutter zufolge hatte der Vater der Taufe mit der Maßgabe zustimmt, dass er selbst den (Tauf-)Namen des Kindes bestimmen durfte. 55 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. April 2012 (Anm. 37). 56 § 3 Abs. 2 S. 6 RKEG lautet: „Weder der Vormund noch der Pfleger können eine schon erfolgte Bestimmung über die religiöse Erziehung ändern.“ 57 Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 31. Mai 2011 (Anm. 2). 58 Vgl. zur Problematik auch Anm. 36.
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weit sei zunächst festzustellen, dass kein Verstoß gegen Grundprinzipien der Verfassung – das allgemeine Willkürverbot, die guten Sitten, der ordre public – vorliege. Das elterliche Erziehungsrecht sei zwar verfassungsrechtlich geschützt und im konkreten Fall verletzt; es sei jedoch nicht absolut bzw. kein Selbstzweck, sondern stünde den Eltern zu dem Zweck zu, ihren Kindern Schutz und Hilfe angedeihen zu lassen. Nachdem im konkreten Fall der klagende Elternteil selbst kein eigenes Interesse an einer bestimmten religiösen Erziehung des Kindes hatte, urteilte daher das Augsburger Gericht, dass die Gewährleistung des Kindeswohls eine Annullierung der Taufe nicht gebiete und folglich das Interesse der Klagepartei auf Wiedereinräumung einer formalen Rechtsposition – hier: Mitbestimmung über die etwaige Taufe des Kindes – hinter das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in eigenen Angelegenheit zurücktreten müsse.59 Der Fall des Amtsgerichts Hagen unterscheidet sich freilich von jenem des Verwaltungsgerichts Augsburg darin, dass letzteres über einen Anwendungsfall des c. 868 § 1 Nr. 1 CIC zu entscheiden hatte, bei dem also die Taufe auf den Wunsch des Elternteils, der an einer entsprechenden religiösen Erziehung interessiert war, gespendet wurde. Es erscheint daher als zweifelhaft, inwieweit sich das Augsburger Urteil, das die kirchliche Rechtsordnung im konkreten Fall ohne Wenn und Aber auch für den staatlichen Rechtskreis akzeptierte, auch auf Fälle einer Taufspendung gegen bzw. ohne den Willen beider Elternteile übertragen lässt. Zugleich ist zu sehen, dass die Norm des c. 868 § 2 CIC wohl kaum dem Kernbereich des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts zugerechnet werden kann.60 Überdies ließe sich die derzeitig maßgebliche Position des kirchlichen Lehramts zu der Frage problematisieren (vgl. dazu DH 781 einerseits, DH 1998 andererseits), ob einem Kind, das noch keinen eigenen Willen bilden kann, nicht – spiegelbildlich zur Zurechnung einer etwaigen Taufbitte seiner Eltern – auch umgekehrt ein von diesen Eltern gegen den Sakramenteempfang des Kindes gesetzter obex in der Weise zuge59 Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 31. Mai 2011 (Anm. 2): „Der Vortrag des Klägers ist somit reduziert auf die Verletzung seines Mitwirkungsrechts bei der Ausübung der elterlichen Sorge. Das elterliche Sorgerecht ist aber nicht absolut. Es findet seine Rechtfertigung letztlich allein in dem Bedürfnis des Kindes nach Schutz und Hilfe. […] Entscheidend ist somit auf das Wohl des Kindes abzustellen. Unter diesem Blickwinkel ist nicht erkennbar, welchen Vorteil die mittlerweile vierjährige Tochter des Klägers davon haben könnte, wenn ihre Taufe annulliert wird bzw. welche Nachteile sie erleidet, wenn sie weiterhin Angehörige der katholischen Kirche bleibt. Das Recht des Klägers, bei der religiösen Erziehung seines Kindes mitzuwirken, bleibt hiervon ohnehin unberührt. Zudem bietet die Rechtsordnung mit dem Weg zum Familiengericht und dadurch, dass die Tochter des Klägers ab dem 14. Lebensjahr selbst nach § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung entscheiden kann, ob sie weiterhin der katholischen Kirche angehören will, hinreichende Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung. Es verbleibt somit nur der Wunsch des Klägers, dass die Beeinträchtigung seines eigenen Rechts beseitigt wird. Das allein rechtfertigt jedoch den erheblichen Eingriff in die kirchliche Selbstverwaltung nicht.“ 60 Ein Indiz hierfür ist bereits das Ringen um die passende Formulierung im Zuge der Kodexreform, vgl. dazu Anm. 26.
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rechnet werden muss, dass er nicht nur den Empfang der Gnade des Sakraments, sondern den Empfang des Sakraments selbst verhindert.61 Daher könnte also die verfassungsrechtlich geforderte Güterabwägung zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und allgemeinem Gesetz – hier: dem gesetzlich verbürgten Elternrecht auf religiöse Erziehung – in künftigen staatlichen Gerichtsurteilen durchaus auch zuungunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ausfallen. Denn das elterliche Sorgerecht kollidiert dann zwar mit einer kodikarischen Norm des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, welches an sich dem Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zuzurechnen ist. Dabei widerspricht jedoch das staatliche Recht nicht dem kirchlichen Taufrecht im Großen und Ganzen, sondern versagt lediglich einer auch innerkirchlich unter Kanonisten als problematisch eingestuften Regelung eines Sonderfalls die staatskirchenrechtliche Anerkennung. Die Regelung des c. 868 § 2 CIC ist zur Bewahrung der kirchlichen Identität und des Selbstverständnisses der katholischen Kirche nicht unverzichtbar.62 Eine Preisgabe der elterlichen Rechte zum Zwecke einer – drastisch und aus laizistischer Perspektive formuliert – leichteren Beschaffung von Mitgliedern seitens der Kirchen und Religionsgemeinschaften hätte hingegen kaum absehbare Konsequenzen für die öffentliche Ordnung und das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft. c) Uneinheitliche Beurteilung nach staatlichem und kirchlichem Recht Mit den vorstehenden Erwägungen wäre zunächst lediglich festgestellt, dass die Rechtslage für die Beurteilung bzw. Anerkennung einer gegen den Willen der Eltern bzw. Sorgeberechtigten gespendeten Taufe nach kanonischem Recht und nach deutschem Staatskirchenrecht unterschiedlich ist.63 Während das kanonische Recht eine solche (gültige) Taufspendung für erlaubt erachtet, ist zumindest sehr zweifelhaft, ob (bzw. unter welchen spezifischen Umständen des Einzelfalls) sie auch nach staatlichem Recht als rechtmäßig angesehen werden kann. 61
Vgl. zu diesem Problem Rehak, Spurensuche (Anm. 26), passim. Das theologische Problem, wie sich im Falle ungetauft versterbender Kinder die Glaubenssätze über die Heilsnotwendigkeit der Taufe und den universalen Heilswillen Gottes zueinander verhalten und welcher jenseitige „Ort“ für diese Kinder zu erhoffen ist, war vor wenigen Jahren Gegenstand einer eingehenden Studie der Internationalen Theologenkommission, vgl. dazu Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) Internationale Theologenkommission: Die Hoffnung auf Rettung für ungetauft sterbende Kinder, Bonn 2008 (= Arbeitshilfen 224). Kritisch hierzu Manfred Hauke, Abschied vom Limbus? Zur neueren Diskussion um das Heil der ungetauft verstorbenen Kinder, in: Theologisches 37 (2007), S. 258 – 266; Johannes Maria Schwarz, Die bleibende Frage nach dem Heil ungetauft sterbender Kinder, in: Forum katholische Theologie 23 (2007), S. 263 – 288, hier S. 284 – 288. Vgl. allgemein zur Problematik auch Johannes Maria Schwarz, Zwischen Limbus und Gottesschau. Das Schicksal ungetauft sterbender Kinder in der theologischen Diskussion des zwanzigsten Jahrhunderts, Kisslegg 2006, sowie die in Anm. 26 referierten Diskussionen. 63 Vgl. Hollerbach, Bemerkungen (Anm. 26), S. 159; Engelhardt, Kirchenmitgliedschaft (Anm. 34), S. 148; Haß, Kirchenmitgliedschaft (Anm. 5), S. 138 u. S. 249 f. 62
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Damit ist freilich noch nicht weiter die Frage entschieden, ob und ggf. wie das staatliche Recht auf die innerkirchliche Rechtslage einwirken kann oder einzuwirken hat. Nach der hier vertretenen Ansicht würde der Staat – angesichts des dazu erforderlichen Eingriffs in die dogmatischen Lehren zur Gültigkeit einer Sakramentespendung – zu weit gehen, wenn er eine nach seiner Rechtsordnung widerrechtlich gespendete Taufe für ungültig erklären würde und/oder zwecks urkundsmäßiger Rückgängigmachung der Taufe eine vollständige Löschung des diesbezüglichen Taufbucheintrags verlangen wollte. Vielmehr wird man wohl hinnehmen müssen, dass ein und derselbe Lebenssachverhalt seitens der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung eine unterschiedliche Beurteilung erfährt. Eine staatliche Entscheidung, sofern sie nicht beizeiten von den Eltern bzw. Sorgeberechtigten betrieben wird, dürfte freilich auch erst dann in Betracht kommen, wenn der Täufling nach Erreichen der Religionsmündigkeit sich die Taufbitte des unbefugten Dritten nicht zu eigen macht; ein proaktives Tätigwerden des Staates hingegen wäre angesichts seiner Pflicht zu religiöser Neutralität problematisch. Sofern und soweit jedoch staatlicherseits die staatskirchenrechtliche Unwirksamkeit einer Taufe ausdrücklich festgestellt wird, erscheint es dann allerdings nicht nur als zweckmäßig, sondern als zur Sicherung und Klärung der Rechtsstellung des betroffenen Katholiken sogar geboten, wenn ein entsprechender ergänzender Vermerk im Taufbuch eingetragen wird.64 3. Fehlende Intention? Die Beklagte hatte sich laut Tatbestand des vorliegenden Urteils folgendermaßen zur Sache eingelassen: Sie habe die Enkelin getauft, indem sie den Kopf des Kindes mit Wasser benetzte und dazu sagte: „Ich taufe Dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Dies sei eine spontane Handlung gewesen, als sie nach der Geburt mit dem Kind alleine war, weil ihr beim Betrachten des Kindes deutlich geworden sei, wie schutzlos ein neugeborenes Kind sei; daher habe sie das Kind im Schutze Gottes und der Kirche wissen wollen. Außergerichtlich hatte die Beklagte darüber hinaus offenbar noch vorgebracht, dass bei der Geburt Komplikationen aufgetreten seien und das Neugeborene krank gewesen sei; hieran hielt die Beklagte indes im Prozess nicht fest und stellte unstreitig, dass das Kind gesund und munter gewesen sei. Zu Recht monierte daher das Gericht, dass schon die äußeren Umstände keinen Anlass zu Spendung einer Nottaufe gegeben hätten, d. h. dass kein Notfall im Sinne des c. 861 § 2 CIC vorgelegen habe.65 64 In der Praxis könnte ein solcher Vermerk unter Bezugnahme auf die staatliche Entscheidung m. E. in etwa so lauten: „Diese Taufspendung findet aufgrund […] staatlicherseits keine Anerkennung.“ 65 Nach dem Argumentationsduktus der Entscheidungsgründe hat das Gericht das Nichtvorliegen eines Notfalls lediglich als Indiz gegen die Glaubwürdigkeit der Beklagten gewertet,
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Sodann gestand das Gericht der Beklagten zu, dass sie als praktizierende Katholikin gewiss in der Lage gewesen sei, das äußere Zeichen des Sakraments (Taufhandlung, Taufformel) zu setzen, meldete aber zugleich unter dem Gesichtspunkt der rechten Intention der Beklagten Zweifel an der Gültigkeit der (angeblichen) Nottaufe an. Die Beklagte habe nämlich die „Feinheit“ aus Nr. 1284 des Katechismus’ der Katholischen Kirche nicht beachtet, wonach „der Taufende auch die Absicht haben muss, das zu tun, was die Kirche tut“. Hieran – so das Gericht – fehle es deshalb, weil die Beklagte „bei ihrer persönlichen Anhörung keineswegs eine solche Bekundung abgegeben, sondern nur ihre eigene Auffassung als Motiv […] geschildert“ habe. Hierzu ist ein Dreifaches anzumerken: (1) Die Vorgehensweise des Gerichts ist zwiespältig zu bewerten. Einerseits sei dem Gericht dafür Respekt gezollt, dass es sich überhaupt näher mit der katholischen Sakramentelehre befasst hat. Andererseits wäre das Gericht gut beraten gewesen, diese Frage – vor allem, wenn sie denn tatsächlich entscheidungserheblich gewesen wäre (wie nicht) – als religiös-theologische Vorfrage von kirchlicher Seite verbindlich klären zu lassen. (2) Man kommt nicht um die Feststellung herum, dass das Gericht die Lehre von der rechten Intention bei der Sakramentespendung anscheinend missverstanden hat. Richtig ist, dass die Setzung des äußeren Zeichens eines Sakraments nur dann sakramentale Wirkungen hervorbringt, wenn der Spender zugleich die Absicht hat, ein Sakrament zu spenden, d. h. dieses Zeichen „in dem Sinn vollzieht, den Christus und die Kirche diesem Handeln beimessen“66. Dabei „genügt die Absicht, eine unter Christen übliche religiöse Handlung zu vollziehen“67. Entscheidend ist also, dass der Spender sich Gedanken darüber macht, zu welchem Zweck er das äußere Zeichen des Sakraments setzt, d. h. die religiöse MittelZweck-Relation seines Handelns reflektiert.68 Das Gericht scheint nun diesbezüglich der Ansicht gewesen zu sein, dass nach katholischer Lehre der Spender als Motiv seines Handelns ausdrücklich den Gedanken fassen müsse: „Ich habe die Absicht, bei der Taufspendung das zu tun, ohne sich mit der weitergehenden Frage zu befassen, was hieraus hinsichtlich der (Un-)Gültigkeit der Taufhandlung folgt. Die Beschränkung der Privattaufe, d. h. der nicht durch Kleriker oder kirchlich beauftragte Laien gespendeten Taufe, auf Notfallsituationen ist eine bloße Ordnungsvorschrift, keine Gültigkeitsvoraussetzung; erfolgt eine private Taufspendung ohne dass ein Notfall vorliegt, so ist die Taufe gültig, aber unerlaubt. Vgl. dazu die einschlägigen Lehrentscheidungen bei DH 802; 1315; ferner Thomas von Aquin, S. th. III, q. 67, art. 4 ad 3: „[…] Si tamen mulier extra casum necessitatis baptizaret, non esset rebaptizandus, sicut et de laico dictum est. Peccaret tamen ipsa baptizans, […]“. 66 Gerhard Ludwig Müller, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg u. a. 92012, S. 640; vgl. ferner Ludwig Ott, Grundriß der katholischen Dogmatik, Freiburg u. a. 81970, S. 411 – 413; Matthias Premm, Katholische Glaubenskunde, Bd. III/1, Wien 1954, S. 96 – 106. 67 Ott, Grundriß (Anm. 66), S. 412. 68 Vgl. Premm, Glaubenskunde (Anm. 66), S. 96.
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was die Kirche tut“. Dies jedoch wäre eine überzogene Forderung; es genügt vielmehr, wenn der Spender sinngemäß den Gedanken bildet: „Ich spende die Taufe, damit das Taufkind der sakramentalen Wirkungen der Taufe (welche auch immer das im Einzelnen sein mögen) teilhaftig wird.“ Insoweit hätte – meines Erachtens – die Beklagte im geschilderten Fall die notwendigen Anforderungen in Bezug auf die erforderliche Intention des Spenders erfüllt; denn sie hätte die Taufhandlung als ein Mittel zu dem Zweck aufgefasst, das Neugeborene unter den Schutz Gottes und der Kirche zu stellen. Dies ist gewiss noch keine entfaltete Tauftheologie, in die Themen wie Sündenvergebung, Gnadenmitteilung und Eingliederung in die Kirche einzubeziehen wären (vgl. auch c. 849 CIC). Es kann indes kein Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte ihre (behauptete) Taufspendung zumindest als eine dezidiert religiöse Handlung verstanden und gewollt hätte. (3) Die Tatsache, dass das Gericht überhaupt die Frage der Gültigkeit der Taufe unter einem spezifisch theologischen Gesichtspunkt ins Auge gefasst hat, setzt logischerweise die Arbeitshypothese voraus, dass der Pfarrer anlässlich der von ihm vorgenommenen Taufbucheintragung der (angeblichen) Nottaufe die Frage nach der rechten und hinreichenden Intention der Beklagten entweder überhaupt nicht oder zumindest mit fehlerhaftem Ergebnis geprüft habe. Der so kaum verhohlene Argwohn gegenüber der persönlichen Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt sowie gegenüber den fachlich-theologischen Kompetenzen des betroffenen Pfarrers ist bedauerlich. 4. Verwirkung? Das Gericht begründet die Verurteilung der Beklagten zum Widerruf ihrer unwahren Behauptung einer Nottaufe unter anderem mit der Erwägung, dass die Beklagte das Recht verwirkt habe, sich auf ihre Taufspendung zu berufen.69 Eine Verwirkung soll sich dabei nicht nur aus § 242 BGB, sondern – ohne dass es darauf für das staatliche Urteil ankäme – auch aus dem kanonischen Recht ergeben. Nähere Erläuterungen, wie das Gericht zu dieser Beurteilung des Sachverhalts nach kanonischem Recht gelangt, sind dem Urteil nicht zu entnehmen.70 An den Erwägungen des Gerichts ist zunächst richtig, dass § 242 BGB den Grundsatz formuliert, dass jedermann bei Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben handeln muss; es handelt sich dabei nach allgemei-
69 Die Klägerin selbst hatte sich, dem Tatbestand des Urteils zufolge, nicht auf Verwirkung berufen. Rechtssystematisch ist die Verwirkung allerdings ein Einwand (keine Einrede), und daher von Amts wegen als Rechtshinderungsgrund in Betracht zu ziehen. 70 In Anbetracht der sonstigen Ausführungen in der Urteilsbegründung hatte das Gericht hier vielleicht die Bestimmungen der cc. 877 § 1, 878 CIC vor Augen, denen zufolge die Eintragung ins Taufbuch bzw. die vorausgehende Benachrichtigung des Pfarrers über eine erfolgte Nottaufe „sine ulla mora, unverzüglich“ zu erfolgen habe.
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ner Ansicht um einen Grundsatz, der das gesamte Rechtsleben beherrscht.71 Zugleich deutet jedoch die rechtssystematische Einordnung des § 242 BGB an, dass der originäre Ort dieses Grundsatzes das Recht der (kraft Gesetzes oder Vertrages begründeten) Schuldverhältnisse ist, in welchen ein Schuldner einem Gläubiger eine Leistung schuldet. Eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium), welches wiederum im Einwand der Verwirkung weiter konkretisiert wird.72 Damit ist zugleich gesagt, dass nur Ansprüche bzw. Rechte der Verwirkung unterliegen. Diese können – je nach den Umständen des Einzelfalls, eine schematische Betrachtung wie bei der Verjährung verbietet sich – dann verwirkt sein, wenn der Berechtigte eine längere Zeit hindurch untätig geblieben ist, obwohl er hätte handeln können (Zeitmoment), und darüber hinaus durch sein sonstiges Verhalten beim Schuldner das Vertrauen darauf geweckt hat, dass der Anspruch bzw. das Recht auch künftig nicht mehr geltend gemacht werde (Umstandsmoment); der Einwand der Verwirkung kann m. a. W. der Ausübung eines Rechts entgegengehalten werden, wenn diese Ausübung in illoyaler Weise verspätet erfolgt. In der Sache thematisiert das Gericht bezüglich der von ihm angenommenen Verwirkung, dass die Beklagte die (angebliche) Nottaufe während acht langer Jahre gegenüber allen übrigen Beteiligten (insbesondere Eltern, Pfarrer) nicht offen gelegt hat, obwohl mehrmals (nämlich bei der Aufnahme des Kindes in den Katholischen Kindergarten73 sowie bei der Einschulung in eine Bekenntnisschule) eine sich geradezu aufdrängende Gelegenheit hierzu bestanden hat.74 Damit hat das Gericht offenbar ein Zeit- wie auch ein Umstandsmoment als gegeben angesehen und daraus gefolgert, dass ein Fall der Verwirkung vorliege. Diese Erwägungen des Gerichts sind jedoch schon im Ansatz völlig verfehlt: Das Gericht übersieht zum einen, dass es sich bei den Mitteilungen der Beklagten zu einer (angeblichen oder tatsächlichen) Nottaufe nicht um die Ausübung eines
71
Vgl. dazu Palandt/Heinrichs, § 242 BGB, Rz. 1; ferner Bernhard Pfister, Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben im Zivilprozeß, Frankfurt a. M. 1998; reserviert Sven Müller-Grune, Der Grundsatz von Treu und Glauben im Allgemeinen Verwaltungsrecht. Eine Studie zu Herkunft, Anwendungsbereich und Geltungsgrund, Hamburg 2006, der den Anwendungsbereich des Rechtsgrundsatzes auf den Bereich verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse begrenzen und es im Übrigen bei einem Vorrang des gesetzlich niedergelegten Rechts vor nicht kodifizierten Rechtssätzen belassen möchte. 72 Vgl. näherhin zur Verwirkung Hans Wippermann, Die Verwirkung, ein neuer Rechtsbegriff auf der Grundlage von Treu und Glauben, Würzburg 1934; sehr ausführlich Staudinger/Schmidt, § 242 BGB, Rz. 516 – 577; Palandt-Heinrichs, § 242 BGB, Rz. 87; MüKo–Roth/ Schubert, § 242 BGB, Rz. 329 – 386. 73 Die Leiterin des Kindergartens war – um die Kuriositäten des vorliegenden Falles zu vervollständigen – niemand anders als die Beklagte selbst. 74 In der Argumentation des Gerichts bleibt einmal mehr unklar, ob das Gericht von dem hypothetischen Fall einer tatsächlich gespendeten Nottaufe her argumentiert, oder ob es strikt den zu beurteilenden Fall einer nur vorgeblich gespendeten Nottaufe vor Augen hat.
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Rechts, sondern um eine schlichte (falsche oder wahre) Wissensmitteilung handelt.75 Hieran ändert auch nichts der Umstand, dass sich die Wissensmitteilung auf eine (angebliche oder tatsächliche) Handlung bezieht, an die das kanonische wie auch das staatliche Recht Rechtswirkungen knüpfen. Zum anderen hat das Gericht verkannt, dass im vorliegenden Fall zwischen den Parteien hinsichtlich der Frage, ob und ggf. wann die Beklagte eine (angebliche oder tatsächliche) Nottaufe zu offenbaren hatte, keine schuldrechtliche Beziehung besteht. Das „Recht“, die Wahrheit zu sagen oder zu verheimlichen, besteht niemals allein in Bezug auf eine (oder mehrere) bestimmte andere Person(en), die dann ihrerseits aus Zeit- und Umstandsmomenten das Gegenrecht des Verwirkungseinwands geltend machen könnte(n). Hätte das Gericht ceteris paribus über einen Fall zu entscheiden gehabt, in dem die Nottaufe tatsächlich gespendet worden war, so hätte die Klägerin die Beklagte doch nicht dazu verpflichten können, dies nicht offenzulegen. Das Recht, die Wahrheit zu sagen, kann nicht durch illoyale Verspätung, d. h. wegen jahrelanger Verheimlichung trotz Gelegenheit zur Offenbarung, verwirkt werden. Dies gilt auch dann, wenn ein scheinbarer Sachverhalt, der mangels Offenlegung des wahren Sachverhalts von Dritten irrtümlich für wahr gehalten wird, für diese Dritten günstiger ist als der wahre Sachverhalt. Das Gericht hat somit letztlich auch verkannt, dass es sich bei der Frage, ob man die Wahrheit sagt oder sie verheimlicht, letzten Endes um eine ethische Frage handelt. Der Grundsatz von Treu und Glauben kann dabei nicht dazu dienen, es einem Menschen, der eine Zeitlang das moralisch (und ggf. auch rechtlich) Falsche getan hat, zu verwehren, zum moralisch Richtigen und zur eigenen Rechtstreue zurückzukehren. Das kanonische Recht, insbesondere jenes des CIC und CCEO, thematisiert den Grundsatz von Treu und Glauben nicht eigens. Dies dürfte seinen naheliegenden Grund darin haben, dass das kanonische Recht ganz überwiegend verfassungsund verwaltungsrechtlichen Charakter hat und hingegen keine Rechtsordnung zur näheren Regelung schuldrechtlicher Beziehungen zwischen Privatleuten bietet. Zu bedenken ist aber auch, dass der Grundsatz von Treu und Gauben, wenn auch in sehr allgemeiner Weise, die Einsicht rechtlich verpositiviert, dass jedes subjektive Recht bzw. jede Ausübung eines solchen unter den Vorbehalt gestellt ist, dass dies auch im konkreten Einzelfall moralisch richtig ist.76 Wenn und weil diese Einsicht als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt bzw. anzuerkennen ist, ist allerdings davon auszugehen, dass er nicht nur im deutschen (Zivil-)Recht, sondern in der Tat auch im kanonischen Recht vorhanden ist.77 75 Wie hier Hennemann, Schadensersatzanspruch (Anm. 1), S. 428: „In der Nichtanmeldung der angeblichen Taufe ist aber kein Recht der Großmutter zu sehen, welches sie nicht ausgeübt hat.“ 76 Vgl. dazu Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, Wien/New York 1983, S. 8 – 10; Palandt/Heinrichs, § 242 BGB, Rz. 1. 77 Vgl. dazu Ludger Müller, Der Rechtscharakter der kirchlichen Rechtsordnung. Überlegungen zur These vom analogen Wesen des Kirchenrechts, in: AfkKR 159 (1990), S. 3 – 18, hier S. 16 – 18.
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II. Berichtigung objektiv unrichtiger Eintragungen in kirchlichen Büchern 1. Kodikarische Spezialnormen? Gemäß c. 535 § 1 CIC sind die pfarrlichen Bücher „accurate, ordentlich“ zu führen. Die Eintragungen in das Taufbuch haben gemäß c. 877 § 1 CIC „sedulo, gewissenhaft“ zu erfolgen. Die Bestimmung des c. 535 § 4 CIC, wonach das Pfarrarchiv bei der Pfarrvisitation zu inspizieren ist, lässt erahnen, dass zumindest in vergangenen Zeiten die Qualität der Matrikenführung bisweilen wohl zu wünschen übrig ließ.78 Aus den cc. 875 – 878 CIC über die Dokumentation der Taufspendungen geht hervor, dass sich der Pfarrer regelmäßig auf die Erklärung eines einwandfreien Zeugen oder den Eid des Täuflings selbst, sofern er als Erwachsener die Taufe empfangen hat, verlassen kann (vgl. c. 876 CIC). Aus c. 877 § 2 CIC ergibt sich, dass (in Bezug auf die Namen lediger Eltern) nur solche Daten im Taufbuch einzutragen sind, die entweder durch öffentliche Urkunden oder durch schriftliche bzw. vor zwei Zeugen abgegebene Erklärung aus erster Hand feststehen; hingegen sind weder bloße Mutmaßungen zum Inhalt eines Taufeintrags zu machen, noch hat der Pfarrer insoweit einen Auftrag zu eigenen Nachforschungen.79 Der hier zu erörternde Fall, dass eine Taufbucheintragung irrtümlich fehlerhaft und deshalb zu berichtigen ist, bleibt damit im kodikarische Recht ersichtlich ungeregelt. Allerdings ist den prozessrechtlichen Normen des Kodex zu entnehmen, dass gegen das Zeugnis öffentlicher Urkunden, zu denen das Taufbuch zu zählen wäre, „contrariis et evidentibus argumentis, durch gegenteilige und eindeutige Argumente“ ein Gegenbeweis geführt werden kann (vgl. c. 1541 CIC). In diesem Zusammenhang sei klargestellt, dass die Berichtigung einer inhaltlich fehlerhaften Urkunde schwerlich als Fälschungsdelikt im Sinne des c. 1391 CIC gewertet werden
78
Can. 2383 CIC/1917 hatte Verstöße gegen die kirchenrechtlichen Bestimmungen zur Führung und Aufbewahrung der pfarrlichen Bücher ausdrücklich mit Strafe nach dem Ermessen des Ordinarius bedroht. Zu einschlägigen partikularrechtlichen Regelungen im Wandel der Zeiten vgl. exemplarisch Josef Ammer, Die Verordnungen des Bistums Regensburg zur Führung der Pfarrmatrikeln von 1777 bis in die heutige Zeit, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 39 (2005), S. 395 – 412. 79 Im Bistum Osnabrück wurde hierzu nach Inkrafttreten des CIC/1983 folgende Bestimmung erlassen, vgl. Abl Osnabrück 47 (1988/89), S. 216 (Art. 270): „Die schriftliche Erklärung des Vaters ist in einem gesonderten Ordner in namensalphabetischer Sortierung dauernd im Pfarrarchiv aufzubewahren. Im Taufbuch ist unter ,Bemerkung‘ ein Hinweis auf die Erklärung einzutragen. Zurückliegende nicht richtige Eintragungen in das Taufbuch sind zu berichtigen bzw. zu vervollständigen. Falls eine Erklärung des Vaters nicht vorgelegen hat bzw. nicht mehr erbracht werden kann, so ist der Name des Vaters im Taufbuch unter Hinweis auf diese Veröffentlichung zu streichen.“
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kann.80 Für die Berichtigung von – auch über „offensichtliche“ Schreibfehler hinausgehenden –81 Fehldarstellungen des Tatbestands von Urteilen kirchlicher Gerichte bestimmt c. 1616 § 1 CIC, dass etwaige Versehen in der Weise zu verbessern oder zu ergänzen sind, dass ein Dekret über die Berichtigung ausgestellt und allen Urteilsausfertigungen beigefügt wird.82 2. Partikularrechtliche Regelungen Soweit in der zweiten Hälfte der 1990er Jahr in verschiedenen diözesanen Erlassen eingeschärft wurde, bei Taufbucheinträgen wegen ihres Charakters als öffentliche Urkunden im Sinne des c. 1540 § 1 CIC unter keinen Umständen nachträgliche Änderungen oder Streichungen vorzunehmen, wurde damit ersichtlich auf sich häufende Anfragen reagiert, den Namen des seinerzeitigen Taufpaten – mit dem die Eltern rückblickend betrachtet offenbar einen Missgriff getätigt hatten – zu streichen und durch einen anderen Paten zu ersetzen.83 Das Problem einer inhaltlich unrichtigen Eintragung jedoch bleibt bei diesen Erlassen außer Betracht. In einem Erlass des Erzbistums Paderborn aus dem Jahre 1979 betreffend die Führung der Kirchenbücher in den missiones cum cura animarum für Ausländer finden sich im Abschnitt zum Taufbuch nähere Regelungen zur Eintragung von Nottaufen: „Unabdingbare Voraussetzung für die Eintragung einer Nottaufe ist die moralische Gewißheit, daß sie gültig gespendet worden ist.“84 Dabei meint „moralische Gewiss80
So jedenfalls für die Berichtigung offensichtlicher Schreibfehler Aymans/Mörsdorf/ Müller, KanR IV, S. 453. Zwar wird bei der Berichtigung eines Taufbucheintrags die Urkunde durchaus so bearbeitet, dass ihr Inhalt danach nicht mehr derselbe ist, so dass tatbestandlich der c. 1391 Nr. 1 CIC in der Tatbestandsvariante „ändern“ erfüllt wäre, vgl. MKCIC–Lüdicke, c. 1391, Nr. 3; wie man den Wegfall der Strafbarkeit rechtsdogmatisch richtig begründet – teleologische Reduktion auf Tatbestandsebene? „Berichtigungsvorsatz“ statt Fälschungsvorsatz? Höheres Rechtsgut der inhaltlich richtigen Urkunde als Rechtfertigungsgrund? – kann letztlich wohl dahinstehen. 81 Vgl. dazu Aymans/Mörsdorf/Müller, KanR IV, S. 489, mit ebd., S. 490. 82 Für nähere Einzelheiten vgl. MKCIC–Lüdicke, c. 1616. 83 Vgl. Abl Augsburg 107 (1997), S. 128; Abl Regensburg (1998), S. 37. Einen ähnlich gelagerten Sachverhalt betrifft die Notiz bei Heinrich J. F. Reinhardt, Die Führung der pfarrlichen Kirchenbücher im Bistum Essen. Eine kirchenrechtliche Handreichung, Essen 1983, wonach es „nicht zulässig [ist], bei Adoptionen, die nach der Taufe erfolgen, frühere Angaben im Taufbuch zu streichen.“ Zur Wahrung des Adoptionsgeheimnisses nach staatlichem deutschem Recht muss ein Sperrvermerk genügen, vgl. dazu die Partikularnorm der Deutschen Bischofskonferenz zu c. 877 § 3 CIC, abgedruckt u. a. in: AfkKR 164 (1995), S. 456 – 465, hier S. 460; sowie die von der Konferenz der Verwaltungskanonisten in den nord- und westdeutschen Generalvikariaten/Ordinariaten vorgeschlagenen Ausführungsbestimmungen zu dieser Partikularnorm, abgedruckt bei Heribert Schmitz, Franz Kalde, Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz. Text und Kommentar, Metten 1996, S. 98 – 105 (Rz. 200). Zur Eintragungspraxis in Österreich vgl. Österreichische Bischofskonferenz (Hrsg.), Wegweiser zur Führung der Pfarrmatriken [„Matrikenwegweiser“], Abschnitt „Taufe“, S. 6 u. S. 12. 84 Abl Paderborn 122 (1979), S. 176 – 179 (= Nr. 219), S. 177.
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heit“ jene Sicherheit im Urteil über die Wahrheit eines bestimmten Sachverhalts, die zwar nicht absolut sein muss und Raum für theoretische Zweifel lässt, bei denen aber jeder vernünftige Zweifel – also Argumente, die für die Wahrheit des Gegenteils streiten und die ein vernünftiger, kluger und besonnener Mensch für beachtenswert halten wird – ausgeschlossen sind.85 Lässt sich eine moralische Sicherheit weder hinsichtlich der Gültigkeit noch hinsichtlich der Ungültigkeit einer Nottaufe erzielen, ist die Taufe bedingungsweise zu wiederholen und im Taufbuch mit laufender Nummer – d. h. als eigene Amtshandlung des bedingt taufenden Pfarrers – mit dem Vermerk „Bedingungsweise wiederholte Nottaufe“ einzutragen. Nur eine sprachliche Nuance bietet die Handreichung für das Pfarrbüro des Bistums Speyer aus dem Jahre 2002, welche sich mit dem Problem heimlich gespendeter Taufen bei Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion befasst.86 Voraussetzung einer Taufanerkennung ist demnach „ein ausführliches Gespräch der oder des Getauften bzw. ihrer oder seiner Eltern mit einem Pfarrer, einer Pastoralteamleiterin oder einem Pastoralteamleiter, bei dem die Einzelheiten der Taufe – soweit dies noch möglich ist – geschildert, protokolliert und beeidet werden.“87 Aufgrund dieses Gesprächs muss der Pfarrer, die Pastoralteamleiterin oder der Pastoralteamleiter zu dem Urteil gelangen: „An Tatsache und Gültigkeit der Taufe von […] bestehen keine begründeten Zweifel“88, und dies in den Formularen zur Taufanerkennung mit Unterschrift und Pfarreisiegel beurkunden. Erfolgte die Taufspendung nicht durch
85 Im kodikarischen Recht begegnet der Rechtsbegriff der moralischen Gewissheit in c. 1608 § 1 CIC, der can. 1869 § 1 CIC/1917 wortwörtlich übernimmt; vgl. dazu Pius XII., Rota-Ansprache vom 1. Oktober 1942, in: AAS 34 (1942), S. 338 – 343, hier S. 339 f.: „Tra la certezza assoluta e la quasi-certezza o probabilità sta, come tra due estremi, quella certezza morale, della quale d’ordinario si tratta nelle questioni sottoposte al vostro foro, […]. Essa, nel lato positivo, è caratterizzata da ciò, che esclude ogni fondato o ragionevole dubbio e, così considerata, si distingue essenzialmente dalla menzionata quasi-certezza; dal lato poi negativo, lascia sussistere la possibilità assoluta del contrario, e con ciò si differenzia dall’assoluta certezza. La certezza, di cui ora parliamo, è necessaria e sufficiente per pronunziare una sentenza, […]“; Zenon Grocholewski, Die moralische Gewißheit als Schlüssel zum Verständnis der prozeßrechtlichen Normen, in: DPM 4 (1997), S. 11 – 44; Gero Weißhaupt, Die Parteiaussagen im Ehenichtigkeitsprozeß im Spiegel der moralischen Gewißheit. Die Natur der „anderen Elemente“ des can. 1536 § 2 in Verbindung mit can. 1679, Bonn 2007, S. 31 – 40; Richard Puza, Die Wahrheitsfindung im kanonischen Prozeß. Moralische Gewissheit und diakonisches Kirchenrecht, in: DPM 15/16 (2008/2009), S. 193 – 217, hier S. 193 – 210; Aymans/Mörsdorf/Müller, KanR IV, S. 480. Zur Anwendbarkeit der Kategorie der „moralischen Gewissheit“ im Bereich des kirchlichen Verwaltungsrechts vgl. auch Jorge Miras u. a., Compendio di diritto amministrativo canonico, Rom 2007, S. 188. 86 Vgl. zu dieser Thematik auch Abl Essen 34 (1991), S. 27; Abl Freiburg 1990, S. 512; 1991, S. 70; Abl Mainz 133 (1991), S. 44 f.; Berufsverband der Pfarrsekretärinnen, Bischöfliches Generalvikariat Osnabrück (Hrsg.), Handbuch für das Pfarrbüro. Verwaltungshinweise für das Pfarrbüro, Osnabrück o. J. (Stand: 09/2002), Kapitel 2, S. 12 f. 87 Bischöfliches Ordinariat Speyer (Hrsg.), Handreichung für das Pfarrbüro, Speyer 2002, Abschnitt T 1.1. 88 Ebd., Abschnitt T 1.2, T 1.3.
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einen katholischen Geistlichen, so ist die Taufanerkennung dem Bischöflichen Ordinariat vorbehalten.89 Bemerkenswerte handwerkliche Hinweise finden sich in den Bestimmungen über die Führung der Matrikel im Bereich der katholischen Militärseelsorge90, die zur rechten Vorgehensweise bei der Berichtigung von Verschreibungen in pfarrlichen Büchern folgendes notieren: „[…] Sind Berichtigungen in kirchlichen Urkunden vorzunehmen, dann ist folgendes unbedingt zu beachten: Die richtigen Angaben sind über die verschriebenen Angaben zu setzen. Die ursprünglichen Angaben sind lesbar zu streichen. Dahinter sind Ort, Datum und der Name dessen, der die Berichtigung vorgenommen hat, einzusetzen. Nicht zu vergessen ist der Abdruck des Dienstsiegels. Dieser Vorgang wiederholt sich auf allen Ausfertigungen einer Urkunde. Änderungen oder Einfügungen in kirchlichen Urkunden sind – analog wie auch bei einer Berichtigung – zu dokumentieren.“91
Die in verschiedenen deutschen Bistümern gebräuchlichen Handreichungen zur Seelsorgsverwaltung befassen sich – soweit ersichtlich – zumeist nicht mit dem Problem inhaltlich falscher Dokumentationen.92 Dagegen wird im österreichischen Matrikenwegweiser zunächst der allgemeine Grundsatz aufgestellt: „Eintragungen in Bücher und Scheine haben nur auf Grund vorgelegter Dokumente zu erfolgen –
89 Insoweit hat das Verfahren im Vergleich zu einer früheren Rechtslage eine Vereinfachung erfahren. Gemäß der älteren Broschüre Bischöfliches Ordinariat Speyer (Hrsg.), Die Führung der Kirchenbücher, o. O. o. J., S. 12, war in allen Fällen (also auch bei Taufspendung durch einen katholischen Geistlichen) die Niederschrift über die Erhebungen zu Tatsache und Gültigkeit der Taufe dem Ordinariat zur Prüfung vorzulegen, welches über die Notwendigkeit etwaiger Ergänzungen zu befinden hatte. Für den Fall, dass nach den Erhebungen Zweifel an der Spendung der Taufe oder deren Gültigkeit bestanden, war eine Entscheidung des Ordinarius herbeizuführen, vgl. ebd., S. 13. 90 Aktuelle Fassung vom 30. 03. 2000, in: Abl Militärbischof 36 (2000), S. 46 – 49 (= Nr. 21). 91 Ebd., S. 47 mit Anm. 9. Ähnlich Österreichische Bischofskonferenz (Hrsg.), Matrikenwegweiser (Anm. 83), Abschnitt „Allgemeine Richtlinien“, S. 4: „Streichungen bzw. Korrekturen sind so vorzunehmen, dass der bisherige Eintrag noch immer lesbar bleibt – KEIN ,Auslacken‘, Tintentod, Radieren usw.“ 92 Karl Knaupp (Bearb.), Ordnung der kirchlichen Dienste. Kirchliche und staatliche Bestimmungen für die Seelsorge- und Verwaltungsaufgaben in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Rottenburg 21980, S. 138, formuliert lediglich das positive Ideal: „Die pfarramtlichen Berichte und Äußerungen müssen zuverlässig der Wahrheit entsprechen. Angaben, welche nicht auf sicherer Kenntnis beruhen, müssen als solche kenntlich gemacht sein. Beschönigungen und ungerechtfertigte Vereinfachungen sind zu meiden“; ähnlich Bischöfliches Ordinariat Speyer (Hrsg.), Handreichung (Anm. 86), Abschnitt K 3.1: Die Kirchenbücher sind „lückenlos und wahrheitsgemäß“ zu führen; eine Fehlanzeige ist zu verzeichnen bei Reinhardt, Handreichung (Anm. 82); Berufsverband der Pfarrsekretärinnen u. a. (Hrsg.), Handbuch (Anm. 85), Kapitel 2, 11, erinnert an die einschlägigen Ausführungsbestimmungen zu c. 877 § 2 CIC, vgl. dazu Anm. 78.
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NICHT nur laut mündlicher Mitteilung“93, wobei „Daten aus vorgelegten staatlichen Dokumenten […] inhaltlich genau zu übernehmen [sind]“94. Bezüglich allfälliger Berichtigungen wird bestimmt: „Eine Beurkundung ist zu berichtigen, wenn sie bereits zur Zeit der Eintragung unrichtig gewesen ist, z. B. offenkundige Schreibfehler oder Angaben, deren Unrichtigkeit durch Dokumente nachgewiesen ist oder wird.“95 Konsequenterweise gilt daher auch für Taufbuchauszüge das Gebot wortgetreuer Erstellung: „Sämtliche Eintragungen samt Korrekturen, Zusätzen und Streichungen sind exakt wiederzugeben.“96 Im Osnabrücker Handbuch für das Pfarrbüro ist schließlich der Verbleib von Dokumenten, die z. B. Adoptionen oder Vaterschaftsanerkennungen beurkunden, geregelt: „Diese und die anderen Mitteilungen, auf die hin […] Eintragungen [im Taufbuch] erfolgen, werden dauernd im Pfarrarchiv aufbewahrt. Standesamtliche oder gerichtliche Unterlagen für die Eintragung bleiben ebenfalls im Pfarrarchiv.“97 3. Die Lehren der Allgemeinen Normen Wo immer spezielle Regelungen fehlen, kann in der Kanonistik eine Besinnung auf die Regelungen der Allgemeinen Normen im ersten Buch des CIC hilfreich sein. Dies gilt zumal angesichts jenes traditionell weiten Verständnisses des kirchlichen Verwaltungshandelns, das nahezu alle Amtshandlungen kirchlicher Amtsträger mit Außenwirkung – soweit es sich nicht um Akte der Gesetzgebung oder Rechtsprechung handelt – bei formalisierter Betrachtungsweise als Verwaltungsakte subsumiert.98 93 Österreichische Bischofskonferenz (Hrsg.), Matrikenwegweiser (Anm. 83), Abschnitt „Allgemeine Richtlinien“, 3. 94 Ebd. 95 Ebd., Abschnitt „Allgemeine Richtlinien“, 13. 96 Ebd., Abschnitt „Taufe“, 16. 97 Berufsverband der Pfarrsekretärinnen u. a. (Hrsg.), Handbuch (Anm. 86), Kapitel 2, 7. 98 Gerade in den Kernbereichen kirchlichen Handelns, dem Dienst der Verkündigung und der Heiligung, ist eine solche Betrachtungsweise jedoch fragwürdig. Vgl. hierzu einerseits Miras u. a., Compendio (Anm. 85), S. 34; andererseits Thomas A. Amann, Der Verwaltungsakt für Einzelfälle. Eine Untersuchung aufgrund des Codex iuris canonici, St. Ottilien 1997, der sowohl die Spendung eines Sakraments zwar als Rechtshandlung, aber nicht als Verwaltungsakt ansieht (vgl. ebd., S. 199 – 201); als auch die diesbezüglichen Beurkundungen (Taufbucheintragungen) als rein akzidentiellen Vorgang, der nicht Ausdruck einer hoheitlichen Entscheidung im Einzelfall ist (vgl. ebd., S. 208 f.); MKCIC–Socha, Einführung vor c. 35, Nr. 5; Aymans/Mörsdorf, KanR I, S. 229: „Die einschlägigen Bestimmungen der allgemeinen Normen betreffen also nicht das sakramentale Handeln als solches; sie beziehen sich nur auf ,bürokratische‘ Vorgänge“. Dessen ungeachtet war es im vorliegenden Fall unausweichlich, eine verwaltungsmäßige Entscheidung darüber zu treffen, welcher von beiden sich widersprechenden Erklärungen der Beklagten, d. h. entweder jener über die angebliche Spendung einer Nottaufe oder aber dem kraft gerichtlichem Urteil fingiertem Widerruf dieser Erklärung, man in der Führung der pfarrlichen Bücher folgt.
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Gemäß c. 50 CIC wären daher vor Erlass eines Verwaltungsdekrets die notwendigen Erkundigungen und Beweismittel einzuholen. Dazu wären alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte des Falls zu studieren, aber erforderlichenfalls auch entferntere Umstände in die Erwägungen miteinzubeziehen.99 Es gilt dabei, sich „mit Hilfe aller verfügbaren Informationsquellen sorgfältig über die rechtlichen, sachlichen und personalen Voraussetzungen, Umstände und Auswirkungen der zu treffenden Entscheidung Kenntnis [zu] verschaffen“100. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind „nach Möglichkeit in einer für den äußeren Bereich beweiskräftigen Form festzuhalten“101. Außerdem soll eine Anhörung derjenigen Personen erfolgen, deren Rechte verletzt werden könnten.102 Gemäß c. 51 CIC wäre ein Dekret schriftlich abzufassen und müsste zumindest summarisch begründet werden. Insoweit würde man im vorliegenden Fall eine eigene Beweiswürdigung des Pfarrers bzw. die Darlegung der Erwägungen, aufgrund derer der Pfarrer zu dem eigenen Urteil gelangt ist, dass der bisherige Taufbucheintrag objektiv fehlerhaft und korrekturbedürftig ist. In einer solchen summarischen Begründung wären wohl insbesondere jene Gesichtspunkte und Beweiselemente niederzulegen, die sich nicht schon aus ggf. in Bezug genommenen Dokumenten ergeben. C. 63 §§ 1 – 2 CIC legt die Rechtslage dar, die objektiv dann besteht, wenn ein Verwaltungsakt, der von der zuständigen Autorität nicht aus eigener Initiative erlassen wurde, durch Verschweigen wahrer Tatsachen oder durch Behauptung unwahrer Tatsachen erschlichen wurde.103 Falls das Verschweigen einen wesentlichen Gesichtspunkt betrifft oder sich die Entscheidung der Autorität maßgeblich auf die unwahre Behauptung stützt, so ist der auf diese Weise erschlichene Verwaltungsakt ungültig. Will man diese Regelung auf jene Fälle übertragen, in denen infolge einer fehlerhaften Mitteilung einer Privattaufe ein (fehlerhafter) Eintrag in einem Taufbuch Zu der im 19. Jh. bis zur Einführung des CIC/1917 üblichen groben Systematisierung des kirchlichen Rechtsstoffs in zwei Traktate über Verfassung und Verwaltung der Kirche vgl. Rudolf von Scherer, Handbuch des Kirchenrechts, Bd. 1, Graz 1886, VII; Bd. 2, Graz 1898, V; Isidor Silbernagl, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 41903, VII u. XI; Johann B. Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, Freiburg i. Br. 1925, Bd. 1/1, S. 19 f. 99 Vgl. Miras u. a., Compendio (Anm. 85), S. 188; S. 237. 100 MKCIC–Socha, c. 50, Nr. 2. 101 MKCIC–Socha, c. 50, Nr. 3. 102 Vgl. dazu auch Heimer/Pree, Kirchenrecht (Anm. 76), S. 61; MKCIC–Socha, c. 50, Nr. 4 – 5; Miras u. a., Compendio (Anm. 85), S. 238 f. Insoweit wäre im vorliegenden Fall in erster Linie an das betroffene Kind zu denken; dessen Anhörung wird aber wenig zur Sachaufklärung und zur Entscheidungsfindung im Übrigen beigetragen haben können. 103 Zur Vertiefung vgl. MKCIC–Socha, c. 63; Aymans/Mörsdorf, KanR I, S. 249 f.; Miras u. a., Compendio (Anm. 85), S. 267 f.; im decretum Gratiani war das Problem der weiteren Sachbehandlung fehlerhafter Urteile – insbesondere soweit sie per surreptionem (mit List) erschlichen waren – in C. 35 q. 9 erörtert worden.
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vorgenommen worden ist, so ergibt sich für die Frage, ob der Taufbucheintrag „gültig“ ist oder nicht, wenig Spielraum: Die wesentlichen104 Angaben sind aufgrund der Formulare für das Taufbuch bereits vorgegeben, und können – wenn es um die inhaltliche Richtigkeit eben dieses Taufbuchs selbst geht – jedenfalls nicht auf die demgegenüber etwas schlichteren Angaben in einem formularmäßigen Taufschein reduziert werden. 4. Zur praktischen Handhabung im konkreten Fall105 Der beteiligte Pfarrer hatte an der Gerichtsverhandlung teilgenommen und – wie auch das Gericht, nach dessen Eindruck „die Beklagte voller schlechten Gewissens war“ – erhebliche und durchgreifende eigene Zweifel an der Glaubwürdigkeit der ursprünglichen Erklärung der Beklagten bekommen. Aufgrund der so gewonnenen Überzeugung, dass die angebliche Taufspendung tatsächlich nicht stattgefunden hat, hat er die diesbezügliche Eintragung im Taufbuch nach Rechtskraft des Urteils gestrichen. Ein von ihm ausgestellter Taufschein wurde zurückgefordert und vernichtet.
III. Ergebnisse Das Urteil des Amtsgerichts Hagen stellt klar, dass bereits der Rechtsschein der Kirchengliedschaft, der aus einer nur angeblich und ohne Zustimmung der Eltern gespendeten Taufe resultiert, einen Eingriff in die Rechte der sorgeberechtigten Eltern bzw. des alleinsorgeberechtigten Elternteils darstellt und dementsprechend Schadensersatz durch Naturalrestitution zu leisten ist, d. h. Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vor dem rechtswidrigen Eingriff mittels Widerruf der unwahren Behauptung einer Taufspendung. In der Frage, ob die vorliegende Klage trotz ihres Bezugs zu einer eigenen Angelegenheit der Kirche überhaupt zulässig erhoben worden ist, folgte das Gericht – sofern es diese Problematik überhaupt gesehen hat – der Rechtsauffassung das Bundesgerichtshofs, wonach es die staatliche Justizgewährleistungspflicht gebiete, erforderlichenfalls auch rein innerkirchliche Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit Grundprinzipien der Verfassung hin zu überprüfen. Während das Verwaltungsgericht Augsburg in einem ähnlichen Fall entschieden hatte, dass eine Taufe, die auf Wunsch eines Elternteils und gegen den Willen des anderen Elternteils gespendet worden war, mit der staatlichen Rechtsordnung vereinbar sei, kam das Amtsgericht Hagen (in einem obiter dictum) zu dem Ergebnis, dass eine auf Betreiben Dritter, d. h. ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten gespendete 104
Unwesentlich wären etwa die genaue Uhrzeit der Taufspendung am Tauftage; oder nähere Ausführungen zu der Herkunft des verwendeten Wassers. 105 Für die erteilten Auskünfte gilt ein herzlicher Dank Herrn Michael Werneke, Leiter des Sekretariats Kirchenrecht im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn.
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Taufe eine Zwangsmitgliedschaft begründen würde, die mit den verfassungsmäßigen Rechten von Eltern und Kind unvereinbar wäre. In der Tat erscheint es als sehr fraglich, ob seitens des staatlichen Rechts im Konfliktfall die Güterabwägung zwischen kirchlicher Autonomie und allgemeinem Gesetz so ausfallen könnte, dass § 1626 BGB keine Schranke für kirchliche Aktivitäten darstellt und sich c. 868 § 2 CIC auch im staatlichen Rechtskreis gegen die vom staatlichen Recht geschützten Interessen der Eltern durchsetzt. Die (meines Erachtens im Ergebnis unzutreffenden) Erwägungen des Gerichts zu einer angeblich fehlenden „intentio faciendi quod facit Ecclesia“ unterstreichen die Notwendigkeit, als staatliches Gericht religiös-theologische Vorfragen nur im Benehmen mit den zuständigen kirchlichen Autoritäten zu beurteilen. Die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte lässt zu Recht keinen Zweifel daran zu, dass Taufspendungen ebenso wie deren Dokumentation im Taufbuch eigene Angelegenheiten der Kirche sind und aus diesem Grund staatlicherseits eine Streichung von Taufbucheinträgen grundsätzlich nicht verfügt werden kann. Der vorliegende Fall bietet die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel, was freilich allein darin begründet ist, dass es hier nicht um eine tatsächlich gespendete Taufe geht, sondern präzise um die Eintragung einer angeblich gespendeten Taufe und um den so irrtümlich bzw. (in der Sichtweise und Diktion des Amtsgerichts Hagen) widerrechtlich erzeugten Anschein einer Kirchengliedschaft. Über den Einzelfall hinaus stellte sich daher die Frage, was bei der Berichtigung von objektiv fehlerhaften Eintragungen in kirchlichen Büchern zu beachten ist. Soweit ersichtlich, fehlen bislang spezielle und detaillierte kanonische Regelungen dieser Problematik (wobei jedoch zumindest der österreichische Matrikenwegweiser auf die damit verbundenen Fragen eingeht). Aus der Zusammenschau verschiedener verstreuter Einzelnormen und ihrer Übertragung auf die vorliegende Fragestellung lassen sich jedoch die Konturen für die richtige Vorgehensweise in derartigen Fällen erheben. Im Einzelnen wäre demnach Folgendes zu beachten: ¢ Berichtigungen müssen auf einer moralischen Gewissheit beruhen, d. h. es müssen alle begründeten Zweifel daran, dass der bisherige Eintrag fehlerhaft und berichtigungsbedürftig ist, ausgeschlossen sein. Dazu sind insbesondere schriftliche Unterlagen, die den wahren Sachverhalt belegen, beizuziehen; die betroffenen Personen sind nach Möglichkeit anzuhören. ¢ Der bisherige, fehlerhafte Eintrag ist sauber zu streichen, so dass er lesbar bleibt. Darüber ist ggf. der neue, richtige Eintrag zu ergänzen. Wer eine Eintragung in pfarrlichen Büchern berichtigt, hat hierfür unter Angabe von Ort und Datum mit seiner Unterschrift die Verantwortung zu übernehmen; das Pfarrsiegel ist beizufügen. ¢ Soweit sich der Grund der Berichtigung nicht selbsterklärend aus dem berichtigenden Zusatzeintrag ergibt, ist er zumindest stichwortartig anzugeben. Ggf. ist auf schriftliche Unterlagen zu verweisen.
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¢ Schriftliche Unterlagen zu dem Vorgang sind im Pfarrarchiv aufzubewahren. ¢ Etwa ausgestellte Taufscheine etc. sind einzuziehen und ggf. in berichtigter Form neu auszustellen. Dabei ist auf eine originalgetreue Wiedergabe zu achten, so dass m. a. W. erkennbar bleibt, dass ein ursprünglich fehlerhafter Eintrag zwischenzeitlich berichtigt worden ist.
Die vereinsrechtliche Bestimmung des österreichischen Konkordates und das katholische Vereinswesen Hugo Schwendenwein In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein spielte in der katholischen Seelsorge das Vereinswesen eine nicht zu unterschätzende Rolle. So kommt der Vereinsbestimmung des Österreichischen Konkordates von 1933 (1934)1 Bedeutung zu.
I. Unzureichende Ausformung des früheren kirchlichen Vereinsrechtes Das kirchliche Gesetzbuch von 1917 hat 3 Arten kirchlicher Vereinigungen umschrieben und mit einem bestimmten rechtlichen Status versehen: die „Tertii Ordines“, die „Piae Uniones“ und die „Confraternitates“; man war bestrebt, vereinsmäßige Zusammenschlüsse2 in diese Kategorien einzuordnen, aber man kann nicht sagen, dass dieses Spektrum eine für alle Vereinigungen adäquate Möglichkeit bot.3 Jedenfalls ist in der Lehre auch noch eine vierte Form von Vereinigungen, die „sodalitia“ angeführt worden.4
1 Konkordat zwischen dem Hl. Stuhl und der Republik Österreich (BGBl. II Nr. 2/1934, AAS 26, 1934, 249 ff.). 2 Das kirchliche Recht (auch der CIC/1917) kennt auch Rechtsformen für ordens- und ordensähnliche Gemeinschaften (die letzteren figurierten im CIC 1917 unter dem Terminus „societates sive virorum sive mulierum in communi viventium sine votis“ (scilicet sine votis publicis). In diesen Ausführungen geht es nicht um Gemeinschaften des gemeinsamen Lebens sondern nur um Zusammenschlüsse mit Vereinscharakter. Angemerkt sei, dass die Rechtsform der Säkularinstitute in der Zeit der Promulgation des CIC/1917 und auch in der Zeit, in der sich die hier behandelten Vorgänge abspielten, noch nicht kodiziell geregelt war. 3 Die drei im CIC/1917 umschriebenen Rechtsformen des Vereinsrechtes, die wir oben genannt haben, bedurften angesichts der uns im 20. Jahrhundert begegnenden Vereinswirklichkeit einer Erweiterung, sie boten nicht für alle uns in der Praxis begegnenden katholischen Vereine die ideale Rechtsform. In der Folge des II. Vatikanums hat der CIC/1983 eine Ausweitung der Rechtsgrundlagen des kirchlichen Vereinswesens gebracht, die der uns heute begegnenden Vereinswirklichkeit Rechnung trägt. 4 Vgl. Arthur Vermeersch/Joseph Creusen, Epitome Iuris Canonici, t. 1, ed septima, Parisiis – Bruxellis 1949, S. 648.
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Im der Zeit vor Inkrafttreten des CIC/1917 hat man die Vereinigungen, die nicht „Drittorden“ waren, als „confraternitates“ bezeichnet, wobei man allerdings jene, die nicht der klassischen Form der „confraternitas“ entsprochen haben5, die nicht „confraternitates strictu sensu“ waren, auch unter der Bezeichnung „congregationes“ bzw. „sodalitates“ geführt hat.6 Eine Ausformung des Vereinsrechtes, die nicht nur die hauptsächlichen Vereinsarten der kirchlichen Tradition im Blick hat, hat erst die mit dem II. Vatikanischen Konzil verbundene Rechtsentwicklung gebracht.
II. Große Bedeutung der Vereinsseelsorge im 19. und 20. Jahrhundert Bei den seelsorglichen Bemühungen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war, insbesondere in den Städten, das katholische Vereinswesen höchst bedeutsam. Vielfach wurden solche Vereine nach staatlichem Vereinsrecht errichtet, der Klerus war in dieser Hinsicht auch initiativ tätig und war nicht selten an der Führung von Vereinen beteiligt.
III. Rückgriff auf staatliche Rechtsformen des Vereinsrechtes Abgesehen davon, dass das kanonische Vereinsrecht für neuere Vereinsformen nicht adäquat ausgeformte Modelle angeboten hat, sprach Manches dafür, Vereinsgründungen in der Rechtsform des staatlichen Vereinsrechtes7 vorzunehmen. Die auf diese Weise geschaffene Einrichtungen konnten im bürgerlichen Leben als staatlich anerkannte juristische Person handeln (z. B. bei Abschluss von Mietverträgen, bei Kauf eines Vereinshauses usw.). Natürlich war es auch möglich, parallel laufend 5 Vor 1917 war das kirchliche Vereinsrecht nur wenig ausgeformt. „Neben den immer kollegial organisierten Bruderschaften“ existierten „zahlreiche religiöse und kirchliche Vereine, deren Bestand völlig vom Belieben der Genossen“ abhängig war. „Die Bildung solcher Vereine“ war „durch kein Gesetz beschränkt“ (Rudolf Ritter von Scherer, Handbuch des Kirchenrechts, II. Bd., Graz-Leipzig 1898, S. 875/6). Scherer weist darauf hin, dass so wie die einzelnen Gläubigen auch deren Vereinigungen der Jurisdiktion der Ordinarien unterworfen sind (siehe ebd.: „Der Bischof kann die Bildung solcher Vereine genehmigen, er kann sie nach Lage der Dinge … verbieten. Nicht selten wird die Bildung solcher Vereine von kirchlicher Seite gewünscht, gefördert …“). Allerdings ist, wie Scherer (ebd., S. 876, Fußn. 17) ausführt, „die bischöfliche Genehmigung zur Errichtung eines religiösen oder sich katholisch nennenden Vereins einzuholen, durch keine Gesetz vorgeschrieben.“ 6 Arthur Vermeersch/Joseph Creusen, Epitome Iuris Canoncisi, t. I (Anm. 4), S. 649. 7 In den folgenden Ausführungen geht es vor allem um Vereinigungen im Sinne des staatlichen österreichischen Vereinsrechtes. Das Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 19. Mai 1883, Slg. 1770, nach welchem religiöse Bruderschaften nicht dem Vereinsgesetz unterliegen, bezieht sich nicht auf die Vereine, um die es in dieser Abhandlung geht.
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eine kirchliche Vereinigung (z. B. eine Bruderschaft) und einen staatlichen Verein zu begründen. Sehr häufig bestand jedoch nur ein nach staatlichem Recht errichteter Verein.
IV. Staatliche Anerkennung kirchlicher Vereine durch das Konkordat (1933/1934) Durch das Konkordat vom 5. Juni 1933 (Inkrafttreten am 1. Mai 1934) hat sich eine neue Situation ergeben. Kirchliche juristische Personen erlangen bei Meldung durch den zuständigen Diözesanbischof an die oberste staatliche Kultusverwaltung Rechtspersönlichkeit im staatlichen Bereich.8 Seitdem hängt es von der Diözesanleitung ab, ob einem kirchlichen Rechtsträger im staatlichen Bereich Personenqualität zukommt. Möglicherweise hätte man bei einigen katholischen Vereinen, die vor 1934 nach staatlichem Vereinsrecht errichtet wurden, den Weg der kirchlichen Errichtung und nachträglichen Meldung an das staatliche Kultusamt vorgezogen, wenn damals schon die durch das Konkordat von 1933 (1934) geschaffene Rechtslage bestanden hätte.
V. Konkordatarischer Schutz kirchlicher Vereine Das Konkordat enthielt auch eine eigene Bestimmung9, nach der „den kirchlichen Vereinigungen, die vornehmlich religiöse Zwecke verfolgen, einen Teil der katholischen Aktion bilden und als solche der Gewalt des Diözesanordinarius unterstehen, volle Freiheit hinsichtlich ihrer Organisation und Betätigung“ eingeräumt wird (Zusatzprotokoll zu Art. XIV, Absatz 1, 1. Satz).10 Die Konkordatsbestimmung betrifft kirchliche Vereinigungen; katholische Vereinigungen, die nur nach staatlichem Recht errichtet wurden, sind davon nicht erfasst, doch gewährleistete ihnen ja das staatliche Vereinsrecht ohnehin freie Entfaltungsmöglichkeit. Die im Zusatzprotokoll des Konkordates den kirchlichen Vereinigungen gegebene Garantie ergibt sich auch unabhängig von der konkordatarischen Erwähnung auf Grund der Autonomie der Kirche. Selbstverständlich genießt die katholische Kirche in Österreich freie Entfaltungsmöglichkeit. Dies wirkt sich natürlich auch auf die innerkirchlichen Organisationsstrukturen aus. Durch die zur Besprechung stehende Bestimmung des Zusatzprotokolls wurde der Kirche keine neue Vollmacht eingeräumt, es wurde nur etwas, was ohnedies gegeben war, auf völkerrechtlicher Ebene bestätigt. Offenbar wollte sich die Kirche, die sich in der Zeit des Konkordats8
Vgl. auch Art. XV, § 7, Konkordat. Zusatz zu Art. XIV Abs. 1, 1. Satz. Der erste Absatz des Zusatzes zu Art. XIV hatte nach § 30 Abs. 4 der Verfassung 1934 die Kraft einer Verfassungsbestimmung. Heute steht er auf einfachgesetzlicher Stufe. 10 Der 2. Satz des Abschnittes des zitierten Absatzes befasst sich mit Jugendorganisationen. 9
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abschlusses in anderen Ländern von Einschränkungen bedroht sah, noch zusätzlich absichern.11 Die Bestimmung des Zusatzprotokolls zu Art. XIV, 1. Absatz, 1. Satz, ist nach wie vor in Kraft und es ist auch heute so, dass die freie Entfaltungsmöglichkeit der Kirche und des Vereinslebens auch unabhängig von dieser Norm gewährleistet ist. Erwähnenswert scheint freilich, dass die im Konkordat eigens genannte Katholische Aktion etwas Neues war. Sie wurde in der Form, in der sie uns 1934 begegnet, erst unter Papst Pius XI. ins Leben gerufen. Und es ist verständlich, dass man im Konkordat zum Ausdruck brachte, dass auch in Bezug auf Einrichtungen der katholischen Aktion das, was auf Grund des Konkordates und überhaupt der staatskirchenrechtlichen Situation für kirchliche Einrichtungen gilt, Rechtens ist. Das Konkordat und auch die zitierte Bestimmung stehen bis heute in Geltung.
VI. Die katholische Aktion In der kirchenrechtlichen Diskussion war man sich nicht ganz klar, in welche Kategorie des kanonischen Vereinsrechtes man die „Katholische Aktion“ einordnen sollte12. Erwin Melichar13 hat seinerzeit die Meinung vertreten, dass es sich um eine „pia unio“ handelt. Nach Vermeersch–Creusen14 ist die KA, um ein anderes Beispiel zu nennen, nicht eine Laienvereinigung, sondern eine hierarchische Einrichtung, die von der Hierarchie eingerichtet wird, wobei die Hierarchie selbstverständlich die Möglichkeit hat, Teile der Katholischen Aktion mit Rechtspersönlichkeit auszustatten. Unter dem Aspekt des österreichischen Staatskirchenrechtes handelt es sich dabei um innerkirchliche Angelegenheiten, in die der Staat nicht ingeriert. Wenn die Kirche Teile oder Einrichtungen der Katholischen Aktion mit Rechtspersönlichkeit ausstattet und die vorgesehene Meldung an die staatliche Kultusverwaltung macht, so ist die Personenqualität auch im staatlichen Bereich anerkannt.
11 Deutlicher noch kommt das Bestreben um Absicherung bei den folgenden Konkordatsnormen zum Ausdruck, die speziell auf die Jugenderziehung eingehen (vgl. Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (= MK CIC, Beiheft 6), Essen 1992, S. 644). 12 Vgl. z. B. Arthur Vermeersch/Joseph Creusen, Epitome Iuris Canonici, t. I (Anm. 4), p. 649: „Associationes A. C. a variis associationum speciebus de quibus in c. 700 s. agitur, suis notis ita differt ut ad nullam ex illis speciatim pertinere possit. Non sunt enim neque Tertius Ordo, neque confraternitates neque piae Uniones.“ 13 Die rechtliche Stellung der katholischen Aktion, in: ÖAKR 5, 1954, S. 257 ff. 14 Arthur Vermeersch/Joseph Creusen, Epitome, t. I (Anm. 4), pp. 649/650: „A.C. esse partem integrantem hierarchiae ecclesiasticae …“
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VII. Bestrebungen, das kirchliche Vereinsleben in die Katholische Aktion einzubauen Bei der Katholischen Aktion handelt es sich um die Mitwirkung katholischer Laien am Apostolat der Hierarchie.15 Im österreichischen Episkopat neigte man der Auffassung zu, dass mit der „actio catholica“ in der von Papst Pius XI. inaugurierten Gestalt ein Instrumentarium geschaffen wurde, das geeignet ist, an die Stelle bisheriger Formen der Seelsorge und eben auch der seit dem 19. Jahrhundert so stark florierenden Vereinsseelsorge zu treten. Aus dem Bestreben, das kirchliche Vereinsleben in die Katholische Aktion einzubauen, hat man verschiedentlich versucht, katholische Vereine zum Eintritt in die Katholische Aktion zu bewegen. In der Literatur wird als Beispiel das Schreiben des (Graz-)Seckauer Fürstbischofs Dr. Ferdinand Stanislaus Pawlikowski vom 26. Juni 1936 an die Grazer C.V.16-Verbindungen angeführt17, in dem auf das im Mai 1934 in Kraft getretenen Konkordat, das eine Rechtesschutzgarantie für katholische Vereinigungen, die der Katholischen Aktion angehören, enthält (Art. XIV Zusatzprotokoll), hingewiesen wird, und es wird festgestellt, dass, um diesen Rechtsschutz zu genießen, die Zugehörigkeit zur Katholischen Aktion erforderlich ist. Im angeführten Schreiben wird auch ausgesprochen, dass, um der KA anzugehören, drei Bedingungen erfüllt werden müssen: (1) Die Kirchliche Genehmigung des gewählten Vorstandes, das heißt, dass dieser beim Bischof um Bestätigung seiner Wahl ansuchen muss. (2) Die Unterstellung der Vereine unter das kirchliche „Aufsichts- und Genehmigungsrecht, sowohl bezüglich der Vermögens- und Kassagebarung wie der übrigen Vereinstätigkeit durch Vorlage“ entsprechender Belege. (3) Das satzungsgemäße Bekenntnis zum katholischen Glauben, katholische Tatgesinnung sowie Verfolgung vornehmlich religiöser Ziele und Zwecke. Schreiben dieser Art sind auch an andere Vereinigungen ergangen. Im Laufe einiger Monate hat eine nicht unbeachtliche Zahl katholischer Organisationen (24) den Eintritt in die katholische Aktion vollzogen. Das Beispiel der steirischen CV-Verbindungen zeigt, dass bischöflicherseits die Beantwortung des Einladungsschreibens sogar urgiert wurde; erst daraufhin erfolgte die von den Senioren der vier Verbindungen unterschriebene Mitteilung (11. Dezember 1936), dass sie selbstverständlich wie 15
Arthur Vermeersch/Joseph Creusen, Epitome, t. I (Anm. 4), p. 649. Cartell-Verband der katholisch österreichischen Studentenverbindungen. 17 Maximilian Liebmann, „Heil Hitler“ – Pastoral bedingt. Vom Politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus, Wien – Köln – Weimar 2009, S. 62/63. Siehe auch ders., Katholische Aktion und Ständestaat, in: Pax et Iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag, Hrsg. Hans Walther Kaluza, Heribert Franz Köck, Hans R. Klecatsky und Johann Paarhammer, Berlin 1990, S. 601 – 622. 16
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bisher treu zur katholischen Kirche verbleiben, aber eine Änderung ihrer Organisationsform nicht vollziehen wollen, so dass also ein Beitritt zur katholischen Aktion nicht erfolgt. Es war nicht überall so, dass der Bischof katholische Vereinigungen in seiner Diözese angeschrieben und zum Eintritt in die Katholische Aktion eingeladen hat, aber es haben zahlreiche katholische Vereinigungen diesen Übertritt vollzogen. Beispielsweise hat der „Bund Neuland“ Erzbischof Kardinal Dr. Theodor Innitzer gebeten, ihn kollektiv in die Katholische Aktion aufzunehmen; der Kardinal hat diesem Wunsch hoch erfreut entsprochen. Bei den nach staatlichem Recht errichteten katholischen Vereinen, um die es in dieser Abhandlung geht, spielte das Laienelement18 eine sehr bedeutende Rolle, weshalb sich in diesen Ausführungen auch speziell auf Laien bezügliche konziliare und kodizielle Aussagen finden.
VIII. Grundlegende Entscheidungen der Vereinsorgane Die von den Vereinsorganen zu treffende Entscheidung über den KA-Eintritt war mit weitreichenden Folgen verbunden Es hat katholische Vereine gegeben, die der Einladung zum KA-Beitritt nicht gefolgt sind, die aber nach wie vor eine wichtige Stütze der Kirche darstellen. Damals ging es darum, ob die bisherige Organisationsform beibehalten wird, oder ob es zu tief greifenden Änderungen derselben kommt. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, dass es im Zusammenhang mit diesem Schritt auch zum endgültigen Erlöschen des Vereines kommen kann. So gesehen, war der Übertritt in die „actio catholica“ für die zuständigen Vereinsorgane eine Entscheidung grundlegender Art.
IX. Auflösung der katholischen Vereinigungen in der NS-Zeit Zu den kirchenpolitischen Maßnahmen des Nationalsozialismus zählte auch die Zerschlagung des katholischen Vereinswesens. Mit der Auflösung war regelmäßig der Entzug des Vereinsvermögens insbesondere der Immobilien19 verbunden. In der Ära des ,Dritten Reiches‘ sind die katholischen Vereinigungen nahezu ausnahmslos zerschlagen worden.20 Selbstverständlich sollte nach der Befreiung Österreichs (1945) dieses Unrecht wieder gutgemacht werden. Von den österreichischen Stellen wurde die Wiederer18
Vgl. auch Winfried Schulz, c. 327, Rdnr,12, in: MK CIC (Stand: Mai 1989). Z. B. eines im Eigentum des Vereins stehenden Vereinshauses. 20 Die Situation war nicht überall ganz gleich (beispielsweise konnte in der Grazer Diözese die Caritas, überleben). Aber im Großen gesehen, sind die katholischen Vereinigungen von den Nationalsozialisten zerschlagen worden. 19
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richtung der Vereine im staatlichen Rechtsbereich ermöglicht. So sind die CV-Verbindungen als Vereinigungen des staatlichen Vereinsrechtes reaktiviert worden. Auch konnte das Vereinsvermögen, soweit es noch vorhanden war, wiedererlangt werden. Allerdings sind nicht alle von den Nationalsozialisten aufgelöster katholischer Vereine reaktiviert worden. Nach wie vor ging das Bestreben des Episkopates dahin, an die Stelle der Vereinsseelsorge die Einbindung in die Katholische Aktion und in die Wirksamkeit derselben zu setzen. Dementsprechend kam es für zahlreiche Vereinigungen, die ursprünglich nach staatlichem Vereinsrecht errichtet waren, und in der Zeit nach dem Konkordatsabschluss in die Katholische Aktion eingetreten sind, nach 1945 nicht zur Wiedererrichtung.
X. Rückgabe von Vereinsvermögen an die Diözese In Graz wurde das von den Nationalsozialisten entzogenen Vermögen der in die KA übergetretenen Vereine nach der Wiederherstellung Österreichs von den staatlichen Stellen der Diözese gegeben und für von der Diözesanleitung bestimmte Zwecke dienstbar gemacht. Die Österreichische Bischofskonferenz hat sich bei ihrer Sitzung in Salzburg am 15. September 1945 dahingehend festgelegt, das Wiedererstehen katholischer Vereinigungen nicht zu begünstigen. Sie verhält „sich zur Errichtung der früheren Vereine ebenso ablehnend … wie zur Errichtung der früheren Jugendorganisationen. Wenn im Einzelfall eine Wiedererrichtung notwendig ist, um das frühere Vermögen wiedergewinnen zu können, so geschehe das bloß formell, ohne den Vereinsbetrieb zu aktivieren; die Auflösung des Vereines ist hernach ehestens einzuleiten.“21 Es wurde bereits erwähnt, dass man in der Grazer Diözese schon im Mai 1945 darangegangen ist, die von den Machthabern des „Dritten Reiches“ eingezogenen Güter der in die KA übergetretenen Vereine für die Diözese zu requirieren.22 Dabei erschien es nicht notwendig die Vereine zu reaktivieren, die Vermögenswerte wurden der Diözese übergeben. Bei den in die katholische Aktion übergetretenen Vereinen handelte es sich im Großen und Ganzen um nach staatlichem Recht errichtete Vereinigungen. An sich bestand nach Beendigung der nationalsozialistischen Ära die Möglichkeit, Vereinigungen im Wege der Antragstellung vor der staatlichen Vereinsbehörde zu reaktivie21 Diözesanarchiv Graz, BIKO, Protokolle und Niederschriften. Des Näheren siehe Maximilian Liebmann, Pastoral bedingt (Anm. 18), S. 125; Rudolf Zinnhobler, Die Anfänge der Katholischen Aktion mit besonderer Berücksichtigung des Bistums Linz, in: Ad Multos Annos. Festschrift zum 80. Geburtstag von Bischofsvikar Prälat Hofrat Dr. Josef Hörmandinger. Mitteilungen aus dem Pfarrarchiv Hartkirchen, Bd. 2, hrsg. vom Röm.-kath. Pfarramt Hartkirchen. Hartkirchen 2003, S. 59 – 102, insbes. S. 69. 22 Siehe auch Maximilian Liebmann, Pastoral bedingt (Anm. 18), S. 134/135. Vgl. auch ebd. S. 135, FN 180.
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ren, um das Vereinsleben in traditioneller Weise weiterzuführen. Auf diese Weise wurde beispielsweise die Grazer MKV23-Verbindung Markomannia-Eppenstein reaktiviert. Die Markomannia-Eppenstein hatte bei ihrer Auflösung kein in ihrem Eigentum stehendes Verbindungshaus. So kam es nicht zu Problemen wegen der Vermögensrückforderung.
XI. Die Situation der übergetretenen Vereine in der Katholischen Aktion Die nach staatlichem Recht errichteten Vereine, die im Sinne des oben Ausgeführten in die Katholische Aktion eingetreten sind, sind mit diesem Schritt als dem kirchlichen Rechtsbereich zugehörig zu betrachten. Wenn man sich die Forderungen des Einladungsschreibens (kirchliche Bestätigung der Vorstandswahl, Unterstellung der Kassagebarung und der Vereinstätigkeit unter das kirchliche Genehmigungsrecht) und den Umstand, dass es sich um den Eintritt in die Katholische Aktion handelt, vor Augen hält, kommt man nicht umhin, von einem Übertritt des Vereins aus dem staatlichen in den kirchlichen Rechtsbereich zu sprechen. Sowohl die zuständige kirchliche Autorität als auch die Vereinsorgane haben diesen Schritt ausdrücklich24 bejaht. Ob die übergetretenen Personenverbände Vereine oder juristische Personen im Sinn des damals geltenden kanonischen Rechtes (des CIC/1917) geworden sind, hängt von den konkreten kirchlichen Maßnahmen, die bezüglich der einzelnen Vereine getroffen worden sind, ab. Das kirchliche Vereinsschema war sehr eng und es fragt sich, ob die große Zahl der in den kirchlichen Bereich übergetretener staatlicher Vereine von der kirchlichen Autorität in dieses Schema eingeordnet worden ist. Der Übertritt erfolgte in die Katholische Aktion. Mit jedem dieser Vereine ist eine Personengruppe mit eigener Organisation und der Organisation zugehörigem Vermögen in die KA eingetreten. Obwohl ein derartiger Verband mit dem Eintritt in den kirchlichen Rechtsbereich als kirchlich anzusprechen ist, verkörperte nicht jeder dieser Vereine im Zeitpunkt des Übertrittes die Rechtsgestalt eines kirchlichen Vereines, einer kirchlichen juristische Person oder eine andere vom Kirchenrecht geregelte Organisationsform. Dies hing davon ab, ob die kirchliche Autorität das Organisationsgefüge des bisherigen Vereines mit einer kirchlichen Rechtsgestalt (z. B. Juristische Person, Verein) ausgestattet hat. Jedenfalls sind auf der Grundlage der Eintrittserklärung der Vereine in die KAVereinsmitglieder KA-Angehörige geworden.
23 Mittelschüler-Kartell-Verband der katholischen farbentragenden Studentenkorporationen Österreichs. 24 Die Bejahung dieses Schrittes durch die zuständige kirchliche Stelle und durch die Vereinsorgane erfolgte durch das weiter oben wiedergegebene Einladungsschreiben und durch die Annahme desselben.
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XII. Rechtlich mögliche Vorgangsweisen im kirchlichen Bereich Man kann nicht davon ausgehen, dass die Vorgangsweise der Diözesen bei sämtlichen in die KA übergetretenen Vereinen völlig gleich war. Wenn man sich das bekannt gewordene, weiter oben zitierte Einladungsschreiben vor Augen hält, scheint eine Vorgangsweise, bei der – zumindest, was den ersten Schritt betrifft –, der Verein bzw. die Vereinsorganisation im kirchlichen Bereich als Rechtsträger fungiert, im Blick gestanden zu sein. Das angesprochene Schreiben (vom 26. Juni 1936) fordert im Zusammenhang mit dem KA-Eintritt die Abhängigkeit der Wahl des Vorstandes von der bischöflichen Bestätigung sowie die Unterstellung der Vermögens- und Kassagebarung und der übrigen Vereinstätigkeit unter das kirchliche Aufsichts- und Genehmigungsrecht. Es hat also den Anschein, dass man bei Abfassung des Einladungsschreibens vom Fortbestand der Vereinsorganisation im Rahmen der Katholischen Aktion ausgegangen ist. Zur Ermöglichung des Fortbestandes der Vereinsorganisation bedarf es im kirchlichen Rechtsbereich einer kirchlichen Rechtsform, der Errichtung bisheriger staatlicher Vereine als kirchliche Vereine oder zumindest als kirchliche juristische Personen. Selbstverständlich hatte – auch nach der damaligen Rechtslage (CIC/1917) – der diözesane Autoritätsträger die Möglichkeit, die einzelnen Vereinigungen bei Eintritt in den kirchlichen Rechtsbereich zu kirchlichen juristischen Personen zu erheben oder mit kirchlichem Vereinsstatus auszustatten. Dieser Weg erschien geeignet, eine gute und solide Basis für die Eingliederung der Vereinsmitglieder in die KA-Organisation zu bieten. Dass diese Eingliederung und nicht die Förderung der Vereinstätigkeit das Ziel der Bemühungen der diözesanen Stellen war, erhellt aus dem oben zitierten Beschluss der Österreichischen Bischofskonferenz auf der Sitzung in Salzburg am 15. September 1945. Angemerkt sei, dass die Diözesanbischöfe nicht nur in der Lage waren, in den kirchlichen Rechtsbereich eingetretene Verbände mit kirchlicher Rechtspersönlichkeit oder mit kirchlichem Vereinscharakter auszustatten, sondern auch das Recht hatten, die Rechtspersönlichkeit bzw. den Vereinscharakter wieder aufzuheben und die Vermögenswerte dieser Verbände der diözesanen Verwendung, die freilich den in c. 1501 angeführten –Einschränkungen unterlagen, zuzuleiten. Wenn die juristische Personenqualität durch die Diözesanleitung aufgelöst wurde, fiel das Vermögen der untergehenden juristischen Person an den nächst höheren kirchlichen Rechtsträger (vgl. c. 1501 des CIC/1917), wobei, wie es im eben zitierten Canon heißt, der Stifterwille, wohlerworbene Rechte und besondere Regelungen, denen die moralische Person25 unterlegen ist, zu wahren sind.26 Als nächst höheren Rechtsträger wird 25
In der Ära des CIC/1917 wurde für ,juristische Person‘ auch der Ausdruck ,moralische Person‘ gebraucht. 26 Auch im CIC/1983 kommt die Rücksicht auf den Spenderwillen zum Tragen. Vgl. auch Winfried Schulz, c. 326, Rdnr. 2, in: MK CIC ( Stand Mai 1989).
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man auf Grund des Eintrittes in die KA die Diözese27 ansehen. Freilich kann die Verpflichtung zur Wahrung des Stifterwillens, wohlerworbener Rechte und allfälliger für den untergehenden Rechtsträger geltender Regelungen auch dazu führen, dass, wenn dem Recht entsprechend gehandelt wird, das Vermögen nicht an den nächst höheren Rechtsträger sondern an eine andere Stelle geht. Die österreichische Bischofskonferenz ging, wie die oben zitierte Empfehlung vom 15. September 1945 zeigt, offensichtlich davon aus, dass die in die KA eingetretenen Vereine, die von den Nationalsozialisten aufgelöst worden sind, keinen Vereinsstatus mehr, weder einen staatlichen noch einen kirchlichen, haben und empfahl, einen solchen nur bei Schwierigkeiten bezüglich der Erlangung des Vereinsvermögens anzustreben, und nach Erhalt des Vermögens wieder abzubauen. Die Ausstattung in die KA eingetretener staatlicher Vereine mit kirchlicher Vereinsqualität wurde, wie die eben erwähnte Aussage der Bischofskonferenz zeigt, von diözesaner Seite nicht begünstigt, wenngleich sie – wie ausgeführt – kirchenrechtlich möglich war. Kirchenrechtlich war auch die Vereinsauflösung28 möglich: nach c. 699 des Codex Iuris Canonici von 1917 konnte der Ortsordinarius einen Verein aus einem schwerwiegenden Grund auflösen,29 wobei aber der Vereinigung das Recht zukam, an den Apostolischen Stuhl zu rekurrieren (c. 699 §1: „Ob graves causas et salvo iure recursus ad Apostolicam Sedem potest loci Ordinarius supprimere …“). Man kann wohl davon ausgehen, dass die Ortsordinarien damals – angesichts der im österreichischen Episkopat vorherrschenden Tendenz – das Anliegen des Aufbaues der Katholischen Aktion als schwerwiegenden Grund betrachtet haben, der auch geeignet ist, eine Vereinsaufhebung zu rechtfertigen. Zur Frage, ob Rom dieser Auffassung im Falle eines Rekurses zugestimmt hätte, sei angemerkt, dass Rom damals am Ausbau der KA sehr interessiert war. In der kanonistischen Literatur finden sich auch Überlegungen, die Bestimmungen des Vermögensüberganges nach c. 1501 (CIC/1917) auch anzuwenden, wenn der betroffene Rechtsträger ein Verein30 ist.31
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Der Diözesanbischof hat natürlich auch die Möglichkeit, in der KA oder für die KA eine juristische Person zu errichten, die dann als der für diesen Bereich maßgebliche Rechtsträger betrachtet werden kann. 28 Meines Erachtens kann man davon ausgehen, dass die meisten der uns hier interessierenden Personengemeinschaften bei Ausstattung mit kirchlichem Vereinscharakter nicht jenen zugeordnet werden müssen, für deren Aufhebung der Bischof im CIC/1917 Verbotsnormen oder der Vorschrift der Einbeziehung anderer Autoritäten unterliegt. 29 Im CIC/1983 gelten unterschiedliche Bestimmungen für die Auflösung privater und öffentlicher Vereine. Die Zwangsauflösung privater Vereine ist sehr erschwert (des Näheren siehe weiter unten). 30 In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass sich im Vereinsrecht des CIC/1917 keine Aussage über das Schicksal des Vereinsvermögens im Falle der Auflösung eines Vereines findet. 31 Siehe auch Heribert Jone, Gesetzbuch des Kanonischen Rechtes. Erklärung der Kanones, 1. Bd., Paderborn 1939, S. 610.
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Nicht für alle in die KA eingetretenen Vereine gestaltete sich die Situation im neuen Umfeld in der gleichen Weise. Der Wege, der über die Ausstattung der Vereine mit Rechtspersönlichkeit bzw. mit kirchlichem Vereinscharakter führt, erscheint geeignet, den Übergang in eine neue Organisationsform kontinuierlich zu gestalten.
XIII. Die rechtlichen Möglichkeiten der Diözesanleitung im Bereich der Katholischen Aktion Was die Maßnahmen der kirchlichen Stellen mit den in die KA übergetretenen Organisationen betrifft, ist auch eine Vorgangsweise möglich, die die jurisdiktionelle Stellung des – um einen Ausdruck des Konkordates zu gebrauchen – Diözesanordinarius rücksichtlich der KA und der Diözesanorganisation deutlich akzentuiert. Dem Diözesanbischof kommen bezüglich der von ihm errichteten, im Rahmen der Diözesanorganisation bestehenden Katholischen Aktion weitgehende Eingriffsrechte und Möglichkeiten der Veränderung, auch bezüglich der Finanzgebarung und der Vermögenslage, zu. Er kann auch Teilen der KA – und um solche handelte es sich bei den in die KA eingetretenen Vereinen – eine veränderte Organisation geben und sie völlig den Strukturen der KA angleichen. Im Zuge dieser Maßnahmen kann es sich ergeben, dass bisherige Vereine in der Katholischen Aktion organisatorisch aufgehen und nicht mehr eine eigene Einrichtung innerhalb derselben bilden, so dass der Eindruck entsteht, dass die Vereinsorganisation erloschen ist. In den von uns hier behandelten Fällen muss die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die Erklärung des Eintrittes in die KA ein Verständnis der Einordnung und völligen Anpassung der Vereinsmitglieder an die KA-Organisation begünstigt hat. Die der KA beigetretenen Vereine waren bei ihrem Eintritt in den kirchlichen Rechtsbereich nicht juristische Personen des kirchlichen sondern des staatlichen Rechtes. Immerhin hatten sie ein Organisationsgefüge, dem auch die Trägerschaft des Vereinsvermögens zukam. Im CIC/1917 und auch im CIC/1983 findet sich keine Rechtsgestalt („figura iuridica“), die nur eine solche Vermögensträgerschaft vorsieht. Das kanonische Recht weist für die Vermögensträgerschaft keine eigene Rechtsgestalt auf, sie gehört zur juristischen Person, ist gleichsam mit der Rechtspersönlichkeit verbunden. An sich bedeutet der Eintritt in den kirchlichen Rechtsbereich und die im oben zitierten bischöflichen Schreiben vom 26. Juni 1936 geforderte Unterstellung des Vereinsvermögens unter die kirchliche Aufsicht nicht notwendigerweise, dass das Vermögen an den höheren kirchlichen Rechtsträger übergeht und von der Diözese darüber disponiert wird. Es gibt auch kirchliche Einrichtungen (z. B. Pfarren), die eigenes unter der bischöflichen Aufsicht stehendes Vermögen haben. Das Bestreben der kirchlichen Stellen ging damals, wie die von Maximilian Liebmann vorgelegten Untersuchungsergebnisse zeigen, auf den Ausbau der Katholischen Aktion anstelle des katholischen Vereinswesens und der auf dieses ausgerichteten Seelsorge. Von daher mag es erklärbar sein, wenn Vereine nach dem Übertritt in die KA mit keinem
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speziellen Rechtsstatus ausgestattet wurden und so gab es im Bereich dieser Vereine keine Träger des Vereinsvermögens. Wenn ein in die KA eintretender Verein keine spezielle kirchenrechtliche Rechtsform (kirchlicher Rechtspersönlichkeit, kirchlicher Verein) erhielt, dann war es nicht gesichert, dass seine Mitglieder eine eigene Gruppe in der Katholischen Aktion bildeten. Die Situation konnte sich dahingehend entwickeln, dass die Vereinsmitglieder so wie die anderen KA-Mitglieder in die KA eingeordnet waren. Es wurde bereits ausgeführt, dass der Verein, wenn er im kirchlichen Rechtsbereich keine Rechtsgestalt, die Träger des Vereinsvermögens sein kann, realisierte, auch nicht mehr Rechtsträger des Vereinsvermögens war. Dieses ist, wie gesagt, mit dem Eintritt des Vereins in die KA als kirchliches Vermögen betrachtet worden; es war im Organisationsgefüge der Katholischen Aktion. Wenn der bisherige Rechtsträger wegfiel, konnte der für die KA zuständige Rechtsträger auf den Plan treten. Für die KA war die Diözese zuständig.32 Man kann davon ausgehen, dass, wenn keine Ausstattung des staatlichen Vereins mit einer die kirchliche Personenqualität inkludierenden Rechtsgestalt erfolgt ist, die Vermögensträgerschaft im Zeitpunkt des Überganges des Vereins in den kirchlichen Bereich auf den in diesem maßgeblichen Rechtsträger (auf die Diözese) überging. Genau genommen ist dies ein abrupter Übergang. Im staatlichen Bereich war man damals bereit, innerkirchliche Vorgänge anzuerkennen und ihnen, soweit der staatliche Bereich berührt wird, Rechnung zu tragen. Es wäre natürlich möglich gewesen, im staatlichen Rechtsbereich Änderungen vorzunehmen und die staatliche entsprechend der innerkirchlichen Rechtslage zu gestalten. Doch hat man derartige Änderungen zunächst nicht, zumindest nicht in genereller Weise, vorgenommen. So blieben bei zahlreichen Vereinen bis zur Auflösung durch die nationalsozialistischen Machthabe die staatliche Vereinsqualität und die staatliche Rechtspersönlichkeit aufrecht und das Vereinsvermögen war gegenüber dem Staat Vermögen von staatlich noch existierenden Vereinen. In dieser Übergangszeit, in der die staatliche und die kirchliche Rechtslage nicht restlos identisch waren, hätte die Ausstattung der Vereine mit kirchlicher Personenqualität hilfreich sein können.33 Es mag auch sein, dass in dieser Zeit für die kirchlichen Stellen bezüglich des Überganges von Vereinen in die Organisation der Katholischen Aktion das schrittweise Vorgehen und das Abwarten, wie sich die Dinge bei den Betroffenen weiterentwickeln, eine Rolle spielte.
32 Wenn die Diözesanleitung von der Möglichkeit, eine eigene juristische Person für die KA zu errichten, Gebrauch gemacht hat, war diese Träger der im KA-Bereich befindlichen, keinem anderem Rechtsträger zugeordneten Vermögenswerte. 33 Es bestand auch die Möglichkeit der staatlichen Anerkennung der kirchlichen Rechtspersönlichkeit in staatlichen Rechtsbereich (durch Meldung an das staatliche Kultusamt).
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XIV. Die Wahrung des Geberwillens und die Respektierung wohlerworbener Rechte Bei durch freie Gabe oder Spende erlangten Vermögenswerten spielt natürlich die Wahrung des Geberwillens eine große Rolle. Die auf dem Vereinsvermögen lastenden Auflagen sind, auch wenn das Vermögen an einen anderen Rechtsträger übergeht und nicht mehr in der Hand des Vereines liegt, zu wahren. Wie sehr das Recht des CIC/1917 vom Gedanken der Wahrung des Geberwillens und wohlerworbener Rechte geprägt ist, erhellt aus dem bereits erwähnten c. 1500. Nach diesem dürfen bei einer Güterteilung wohlerworbene Rechte, sowie die Bestimmungen frommer Stifter nicht verletzt werden.34 Außerdem müssen auch, wenn für die betreffende moralische Person Sonderbestimmungen gelten, diese beobachtet werden. Und nach dem oben zitierten c. 1501 CIC/1917 gilt der dort vorgesehene Vermögensübergang auf einen anderen Rechtsträger nur, sofern nicht nach dem Stifter- und Gebewillen oder mit Rücksicht auf wohlerworbene Rechte oder besondere partikularrechtliche Bestimmungen etwas anderes vorgesehen ist („salvis semper fundatorum seu oblatorum voluntatibus, iuribus legitime quaesitis atque legibus peculiaribus quibus exstincta persona moralis regebatur“). Die Wahrung des Geberwillens und wohlerworbener Rechte ist, wie kirchliche Rechtstexte bezeugen, ein Anliegen des kirchlichen Gesetzgebers.35 Im erwähnten Gesetzestext ist ausgesprochen, was von der Natur der Sache her bei Vermögensübergängen geboten ist. Auch das kirchliche Gesetzbuch von 1983 folgt dieser Linie. In c. 1300 wird betont, dass die Willen der Gläubigen, die ihre Mittel zu frommen Zwecken geschenkt oder hinterlassen haben, auf das sorgfältigste zu erfüllen sind. C. 1300 bringt, wie Rüdiger Althaus sagt, „die Hochachtung vor dem Willen eines Gebers im kanonischen Recht … zum Ausdruck.“36 Ergänzend sei erwähnt, dass im Codex von 1983, der zwischen öffentlichen und privaten Vereinigungen unterscheidet, für den Fall des Erlöschens einer „consociatio privata“ bestimmt wird, dass die Güter der Vereinigung nach Maßgabe der Statuten unter Wahrung wohlerworbener Rechte und des Willens der Geber zu behandeln sind.37 Bei diesen Vereinigungen rechnet man damit, dass die Statuten eine entsprechende Regelung bieten. Vielfach enthalten diese eine Heimfallsklausel.38 Bei priva34 C. 1500: „… salvis piorum fundatorum seu oblatorum voluntatibus, iuribus legitime quaesitis, ac legibus peculiaribus, quibus persona moralis regebatur.“ 35 Vgl. z. B. Arthur Vermeersch/Josph Creusen, Epitome Iuris Canonici, t. II, ed. septima, Mechliniae-Romae-Parisiis-Bruxellis 1954, S. 576, n. 822; Eduard Eichmann/Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. I, 6. Aufl., S. 199. 36 Rüdiger Althaus, c. 1300, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: Mai 1998). 37 C. 326 §2: „Destinatio bonorum consociationis extinctae ad normam statutorum determinanda est, salvis iuribus quaesitis atque oblatorum voluntate.“ 38 Winfried Schulz, c. 326, Rdnr. 2, MK CIC (Stand: Mai 1989).
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ten Vereinigungen hängt sehr viel vom Willen der Gründer und derer, die zum Entstehen der Vereinigung beigetragen haben, ab. Über besondere Auflagen hinaus ist natürlich zu beachten, dass die Vermögenswerte für einen bestimmten Verein gegeben wurden und so das Vereinsvermögen, auch wenn es nicht mehr vom Verein selbst verwaltet wird und der Verein nicht mehr existiert, Zwecken, die denen des Vereins nahe kommen, dienen soll.
XV. Die Vorgangsweise der staatlichen Stellen Nach Beseitigung der nationalsozialistischen Herrschaft (1945) war den Besatzungsmächten und den österreichischen Stellen klar, dass das der Kirche und den katholischen Organisationen entzogene Vermögen wieder zurückgegeben werden muss. Wenn in einer Reihe von Fällen die bisherigen Eigentümer nach dem Eintritt in die Katholische Aktion nicht mehr in der bisherigen Form existierten, ging das kirchliche Bestreben dahin, das Vermögen für die für die Katholische Aktion zuständige kirchliche Stelle – und das war die Diözese – zu requirieren. Durch die Rückgabe an die Diözese wurde bewirkt, dass die Vermögenswerte weiterhin im Sinne katholischer Zielsetzungen verwendet werden können. Es wäre sicher ungerecht gewesen, solche Vermögen denen, denen sie die Machthaber des Dritten Reiches zugeteilt hatten (nationalsozialistische Organisationen oder Personen oder staatliche Einrichtung), zu belassen. Angemerkt sei, dass auch im Staatsvertrag von Wien (1955)39 das Anliegen der Wiedergutmachung zum Tragen kommt. In den hier behandelten Fällen ging es um Vermögenswerte katholischer Einrichtungen, wobei hinter den Rückgabeforderungen an die Diözese jeweils der Bischof bzw. sein Generalvikar stand. Das österreichische Konkordat gebraucht auch den Ausdruck „Diözesanordinarius“, womit das Leitungsorgan der Diözese (der Diözesanbischof bzw. der ihn repräsentierende Generalvikar) angesprochen ist. Und der Bischof bzw. der Diözesanordinarius fungiert, wie aus den Konkordatsbestimmungen erhellt, als Repräsentant der Kirche gegenüber dem Staat. Beispielsweise trifft den Diözesanordinarius die Verantwortung dafür, dass bei kirchliche Immobilien betreffenden Rechtsgeschäften eine kirchenamtliche Überprüfung und Bestätigung, dass die Angelegenheit kirchenrechtlich in Ordnung geht, erfolgt (Zusatz zu Art. XIII §2 Konkordat).40 Es sei noch kurz angemerkt, dass auch die ursprünglich nach staatlichem Recht errichteten Vereine, die in die Katholische Aktion eingetreten sind, von der oben beschriebenen Auflösung und Vermögenswegnahme durch die Nationalsozialisten be39 Staatsvertrag von Wien v. 15. Mai 1955, BGBl. Nr. 152, betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich. 40 Vgl. auch Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 12), S. 638.
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troffen waren und dass auch diese Vereine nach der Wiederherstellung Österreichs durch Antrag41 bei der Vereinsbehörde für den staatlichen Bereich reaktiviert werden konnten.42 Zuletzt seien noch im Zusammenhang mit den behandelten Fragen einige Anmerkungen angebracht.
XVI. Die Vereinsfreiheit in der damaligen staatlichen Rechtsordnung Nach der vorausgehend angeführten Konkordatsbestimmung43 räumt „der Bund … den Vereinigungen, die vornehmlich religiöse Zwecke verfolgen, einen Teil der Katholischen Aktion bilden und als solche der Gewalt des Diözesanordinarius unterstehen, volle Freiheit hinsichtlich ihrer Organisation und Betätigung“ ein. Auf diese zweifelsohne wertvolle Garantie wurde, wie aus dem Verordnungsblatt der Diözese Seckau erhellt, im Zusammenhang mit der an katholische Vereine gerichteten Einladung, der katholischen Aktion beizutreten, hingewiesen: „Um sich des Rechtsschutzes des Konkordates (Zusatzprotokoll zu Art. XIV) zu erfreuen, ist es aber notwendig, dass sich die einzelnen kirchlichen Organisationen der Katholischen Aktion einordnen …“44 Die Alternative zum Eintritt in die Katholische Aktion war für nach staatlichem Recht errichtete Vereine45 der Verbleib in der bisherigen unabhängigen Stellung und diese war nach dem damaligen österreichischen Vereinsrecht ebenfalls vor staatlichen Eingriffen abgesichert. Die Vereinsfreiheit wurde in Österreich durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 186746, Art. 12, garantiert; die Verfassung des Bundesstaates Österreich von 193447 hat diese Bestimmung dem Inhalt nach übernommen.48 41
Beispielsweise durch Antragstellung einiger früherer Mitglieder. Rein theoretisch hätten sich in solchen Fällen Probleme ergeben können, wenn sowohl der reaktivierte Verein als auch die Diözese vom Staat die Rückgabe der Vereinsgüter verlangt hätten. Die oben erwähnte MKV-Verbindung Markomannia-Eppenstein, die der Einladung, in die KA einzutreten, Folge geleistet hat und nach der Befreiung Österreichs durch Antrag einiger früherer Mitglieder bei der staatlichen Vereinsbehörde wieder errichtet wurde, hatte kein Immobilieneigentum und so gab es bei ihrer Wiedererrichtung keine derartige Rückforderung. 43 Zusatz zu Art. XIV Abs. 1. 44 Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Diözese Seckau (KVBl), 23. 01. 1936, I, S. 3. 45 Angemerkt sei, dass sich die in den obigen Ausführungen dargelegte Situation für Jugendorganisationen etwas differenzierter darstellt. 46 RGBl. Nr. 142. 47 BGBl. 1934, Nr. 1. 48 Artikel 24 der Verfassung von 1934 lautete: „Die Bundesbürger haben innerhalb der gesetzlichen Schranken das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden.“ Artikel 12 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 lautet: „Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die 42
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Allerdings zeichnete sich damals in Deutschland eine katastrophale Entwicklung ab und man konnte auch Maßnahme gegen Österreich nicht ausschließen. Möglicherweise spielte bei der Entscheidung über den KA-Eintritt bei einigen auch die Überlegung eine Rolle, dass, falls es politisch anders kommen sollte, der konkordatarische Schutz eine Hilfe für den Verein sein kann. In der folgenden Entwicklung war es allerdings so, dass, als es anders kam, das österreichische Konkordat nicht anerkannt wurde.
XVII. Anmerkung zur Erneuerung des kirchlichen Vereinsrechtes Das II. Vatikanische Konzil hat wichtige Weichenstellungen für den Weg der Kirche in die Zukunft gebracht, die auch bei der Neukodifizierung des Kirchenrechtes, bei den Arbeiten für den CIC/1983 maßgeblich gewesen sind. Das Wort des früheren Grazer Bischofs Josef Schoiswohl bei Heimkunft vom II. Vatikanum „Das Konzil sieht die Aufgabe der Laien ganz anders“49 weist darauf hin, dass Manches nunmehr in neuer Sicht gesehen wird. Sowohl die Sendung der Hierarchie, als auch das Charisma der einzelnen Gläubigen sind für die Gestaltung des kirchlichen Lebens von Bedeutung. Die Hervorhebung des Anliegens der Mitarbeit aller Gläubigen (vgl. auch Art. 15 und 16 AA) am Aufbau der Kirche und der Hinweis auf die charismatische Ausstattung der einzelnen Gläubigen lenken den Blick auf die Wirksamkeit der kirchliche Basis, auf die Impulse, die von ihr ausgehen und auf ihren Beitrag für die Gestaltung des kirchlichen Lebens. Das kirchliche Gesetzbuch von 1983 enthält ein für das gemeinsame Tun von Christlgläubigen offenes Vereinsrecht, das eigene Bestimmungen für „consociationes privatae“50 und auch Spezialnormen für Laienvereinigungen („Normae speciales de laicorum consociationibus“)51 aufweist. Wenn man die Vorschriften des kirchlichen Gesetzbuches für ,private Vereinigungen‘ in den Blick nimmt, so bestätigt sich, dass dieses Rechtsinstitut seine Ausgestaltung entsprechend den Vorstellungen des II. Vatikanums gefunden hat52 : „Der aufgrund freier Vereinbarung gebildete Zusammenschluss von Christgläubigen (vgl. § 209 § 1) genießt als private Vereinigung in der Kirche das Recht auf Selbstbestimmung,“ das seine „konkrete Ausprägung in der Selbstgestaltung der eigenen Ordnungen erfährt.“53
Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt.“ Siehe hiezu auch den Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, P. 3 (Gewährleistung der vollen Vereinsfreiheit). 49 Siehe hierzu Maximilian Liebmann, Lebenserinnerungen, Linz 2014, insbesondere S. 66. 50 Cc. 321 – 326. 51 Cc. 327 – 329. 52 Z. B. an Art. 19 und 24 AA. 53 Winfried Schulz, c. 321, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: Mai 1989).
Die vereinsrechtliche Bestimmung des österreichischen Konkordates
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Die Zwangsauflösung einer privaten kirchlichen Vereinigung durch die zuständige kirchliche Stelle ist nach dem CIC/1983 nur möglich, wenn ihre Tätigkeit zu schwerem Schaden für die kirchliche Lehre oder Disziplin oder wenn sie den Christgläubigen zum Ärgernis gereicht (c. 326 § 1)54 Die zwangsweise Auflösung durch die kirchliche Autorität ist also nur möglich, wenn dem Verein gravierende Negativa angelastet werden können. Nicht aber kann eine zwangsweise Auflösung durch die kirchliche Obrigkeit deshalb erfolgen, weil in der pastoralen Planung der Diözese andere Formen der Seelsorge favorisiert werden. In den Vorschriften über die „consociationes privatae“ zeigt sich ein hoher Respekt der Kirche gegenüber Initiativen, die von den Gläubigen ausgehen. Die Rechtsstrukturen der Kirche sind für den Ausbau des katholischen Vereinswesens offen.55 Selbstverständlich kommt es den Trägern der kirchlichen Autorität zu, Sorge zu tragen, dass sich das Charisma im kirchlichen Leben in rechter Weise entfaltet.
XVIII. Vereine mit kirchlicher und weltlicher Zielsetzung In dem oben angeführten Schreiben des Bischofs von Seckau vom 26. Juni 1936 wird unter den Bedingungen, unter denen ein Verein in die Katholische Aktion eingegliedert werden kann, auch die „Verfolgung vornehmlich religiöser Ziele und Zwecke“ genannt. Der CIC/1983 umschreibt die Zielsetzungen, auf deren Grundlage ein Verein als kirchlicher errichtet werden kann, folgendermaßen: „… ad perfectiorem vitam fovendam, aut ad cultum publicum vel doctrinam christianam promovendam, aut ad alia apostolatus opera, scilicet ad evangelizationis incepta, ad pietatis vel caritatis opera exercenda et ad ordinem temporalem christiano spiritu animandum“(c. 298 § 1). Damals wie heute spielt im kirchlichen Vereinswesen die Ausrichtung auf religiöse Ziele eine entscheidende Rolle. Unter den religiösen Zielsetzungen figuriert auch die Beseelung der zeitlichen Ordnung mit christlichem Geist. Das kirchliche Gesetzbuch von 1983 spricht im Caput „Normae speciales de laicorum consociationibus“ auch jene Vereinigungen, die die Ordnung der zeitlichen Verhältnisse mit christlichem Geist beleben wollen, an: „eas speciatim quae rerum temporalium ordinem spiritu christiano animare sibi proponunt atque hoc modo intimam inter fidem et vitam magnopere foveant unionem“ (c. 327). Die christliche Beseelung der zeitlichen Ordnung war ein wichtiges Anliegen des II. Vatikanischen Konzils (AA Art. 19 Abs. 1).56 54 „… supprimi etiam potest a competenti auctoritate, si eius actio in grave damnum cedit doctrinae vel disciplinae ecclesiasticae, aut scandalo est fidelium.“ 55 Wenn man sich das Dekret des II. Vatikanischen Konzils über das Apostolat der Laien „Apostolicam actuositatem“ (AAS 58, 1966, S. 837 – 864) und das Vereinsrecht des CIC/1983 vor Augen hält, so gewinnt man den Eindruck, dass die Kirche versucht, Initiativen, die von der Basis kommen, in ihr apostolisches Wirken einzubauen. 56 Vgl. auch AA, Art. 16 Abs. 5, wo der spezielle Beitrag der Laien als „cives huius mundi“ beim Aufbau und der Gestaltung der zeitlichen Ordnung angesprochen wird.
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Zweifelsohne konzentriert sich die Kirche auf ihr religiöses Kernanliegen, die Menschen zum Heil in Christus zu führen; und sie grenzt sich auch deutlich von der weltlichen Ordnung ab. Aber die einzelnen Christen, denen die Sorge der Kirche gilt, stehen in der Welt, in weltlichen Berufen, Aufgaben und Lebensbezügen. Für ihren Weg zum Heil ist christliches Handeln in diesen Bezügen entscheidend. Es gibt Zusammenschlüsse von Katholiken, die sich auf der Grundlage des katholischen Glaubens um von der Religion getragenes Handeln bemühen und auch eine gesellschaftspolitische Wirksamkeit anstreben. Dies können Vereinigungen sein, die sich mit kirchlichem Einverständnis „katholisch“ nennen und den Katholiken empfohlen sind, die aber nicht den kodiziellen Vorgaben einer kirchlichen Vereinigung entsprechen, weil sie die religiöse Zielsetzung mit einer gesellschaftspolitischen verbinden.57 Die katholischen Verbindungen haben seinerzeit – im Jahre 1936 – auch dies in ihrem Schreiben an den Fürstbischof von Seckau (11. Dezember 1936) angeführt, in dem sie ihre unverbrüchliche Treue zur Kirche bekundet, nicht aber den Eintritt in die Katholischen Aktion vollzogen haben. Es kann sich ergeben, dass das Anliegen der Beseelung der zeitlichen Ordnung und der politische Gestaltungswille eng miteinander verbunden sind. Jedenfalls aber figuriert die Beseelung der zeitlichen Ordnung unter den pastoralen Diensten. Im Bereich dieser Dienstleistungen kommt den Laien58 eine wichtige Aufgabe zu.59
57 Auch in Fällen, in denen wegen der starken Betonung der gesellschaftspolitischen Ausrichtung das Konzept einer kirchlichen Vereinigung nicht verwirklicht wird, kann die Bezeichnung „katholisch“ und die Empfehlung der Organisation durch die kirchliche Hierarchie gegeben sein. 58 Nach c. 225 § 2 CIC/1983 kommt es den Laien zu, die Ordnung der zeitlichen Dinge im Geist des Evangeliums zu gestalten und zu vervollkommnen‘ („ut rerum temporalium ordinem spiritu evangelico imbuant atque perficiant“). 59 Vgl. auch Matthäus Kaiser, § 17. Die Laien, in: HdbKathKR, S. 186 – 189, hier S. 187.
Zur Reformbedürftigkeit des Schweizer Staatskirchenrechts Martin Grichting Der folgende Beitrag zum Schweizer Staatskirchenrecht und zu dessen Reformbedürftigkeit gliedert sich in einen staatskirchenrechtlichen und einen theologischkirchenrechtlichen Teil. Beide Zugangswege konvergieren in einem einzigen Ergebnis: der Forderung nach umfassender Gewährleistung der Religionsfreiheit. Dies steht im Einklang mit der Erklärung „Dignitatis Humanae“ des II. Vatikanischen Konzils. Dieses hatte im Jahr 1965 gefordert, der Grundsatz der Religionsfreiheit dürfe nicht nur mit Worten proklamiert oder durch Gesetze festgelegt werden, sondern müsse auch ernstlich in die Praxis übergeführt werden. Sei dies der Fall, so stehe „die Freiheit der Kirche im Einklang mit jener religiösen Freiheit, die für alle Menschen und Gemeinschaften als ein Recht anzuerkennen und in der juristischen Ordnung zu verankern ist“1.
I. Staatskirchenrechtliche Perspektive Das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 6. Oktober 1976 i. S. Buchdruckerei Elgg AG2 ist nicht nur deshalb bedeutend, weil es bis zum heutigen Tag als Basis für die höchstrichterliche Rechtsprechung betreffend die Besteuerung der juristischen Personen durch staatskirchenrechtliche Körperschaften dient. Es ist vor allem deshalb aktuell bzw. wird immer aktueller, weil es sich mit den Grundfragen des typisch schweizerischen Wegs befasst hat, wie die Religionsgemeinschaften im staatlichen Recht verortet werden. Das Bundesgericht erinnerte nämlich an die historische Entwicklung der „Landeskirchen“ und Kirchgemeinden. Es legte dar, dass diese staatskirchenrechtlichen Körperschaften im 19. Jahrhundert aus einem Kirche und Staat umfassenden Gemeinwesen ausgegliedert wurden, aber dennoch die Züge des nunmehr demokratischen Staatswesens beibehielten: „Historisch gesehen haben sich die anerkannten Landeskirchen im Laufe des 19. Jahrhunderts aus der Gesamtorganisation des Staates herausgelöst und unter Wahrung gewisser ho1 II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis Humanae (7. Dezember 1965), in: Acta Apostolicae Sedis [AAS] 58 (1966), S. 929 – 941, hier Nr. 13; dt., Josef Höfer/Karl Rahner (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche [LThK], Freiburg i. Br. 1957 – 1967, 2. Aufl., Ergänzungsband II, S. 712 – 747, hier S. 743. 2 Vgl. Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts 102 Ia, S. 468 ff.
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heitlicher Befugnisse (Besteuerungsrecht) verselbständigt. […]. Mag auch im Laufe der Jahrzehnte das Bild der Kirchgemeinde sich im Bewusstsein breiter Schichten von dieser Konzeption der territorial begrenzten Gebietskörperschaft entfernt haben, so blieb doch in manchen Kantonen die rechtliche Struktur der Kirchgemeinde als Gebietskörperschaft weitgehend erhalten […].“3
An diesem Zustand hat sich auch bald vierzig Jahre nach dem wegweisenden Urteil des Bundesgerichts noch nichts geändert. Man erkennt die Herkunft staatskirchenrechtlicher Körperschaften nach wie vor nicht nur am Recht, physische und juristische Personen zu besteuern – wobei letztere Form der Besteuerung ganz besonders mit der Tatsache verbunden ist, dass staatskirchenrechtliche Gebilde wie der Staat selbst Gebietskörperschaften sind. Auch die Terminologie der von der Gemeinde abgeleiteten „Kirch-Gemeinde“ oder die Tatsache, dass die „Landeskirchen“ analog zu den jeweiligen Kantonen strukturiert sind und deren Legislativen meist im Ratssaal des politischen Parlaments tagen, deuten weiterhin auf die Herkunft aus der staatlichen Sphäre. Das Bundesgericht beließ es in der Folge nicht bei einer rechtsgeschichtlichen Rekapitulation, sondern kam auf die gegenüber dem 19. Jahrhundert veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse zu sprechen: „Die den strukturellen Hintergrund nicht beachtende, eine Kirchensteuerpflicht auf reiner Personalgrundlage postulierende Kritik an der Rechtsprechung dürfte einem gewandelten Verständnis der Kirchen entsprechen. Die anerkannten Landeskirchen bzw. ihre Kirchgemeinden werden wohl heute in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht mehr als Träger öffentlicher Aufgaben und hoheitlicher Befugnisse betrachtet, die in ihrem Bereich den politischen Gemeinden gleichzustellen wären, sondern eher als den privatrechtlichen Personenverbänden ähnliche Körperschaften auf rein personeller Grundlage.“4
Was bereits vor bald vierzig Jahren dem aufmerksamen Beobachter ins Auge gesprungen ist, nimmt heute eine breite Öffentlichkeit immer deutlicher wahr: Verglichen mit den weit gefächerten Aufgaben, welche Kantone und Gemeinden erfüllen, sind ihre staatskirchenrechtlichen Nachbildungen, die „Landeskirchen“ und die Kirchgemeinden, als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften zur Fiktion geworden.5 Nun kann man im privaten und im öffentlichen Leben zweifellos mit Fiktionen leben. Aber auf Dauer ist es wohl in beiden Fällen nicht ratsam, jedenfalls dann nicht, wenn die Diskrepanz zwischen Schein und Sein immer größer wird. Ein zunehmendes Auseinanderklaffen von Rechtslage und gesellschaftlicher Wirklichkeit kann man etwa am Beispiel des Kantons Zürich beobachten: Gehörten im Jahr 1970 noch 94.2 % der Wohnbevölkerung den reformierten oder katholischen staatskir3
Ebd., S. 474. Ebd., S. 474 f. 5 Darauf wies schon hin: Peter Saladin, Grundrechte im Wandel. Die Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts zu den Grundrechten in einer sich ändernden Umwelt, 3., unveränderte, durch ein ausführliches Vorwort ergänzte Aufl., Bern 1982, S. XX f. 4
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chenrechtlichen Gebietskörperschaften an6, waren es im Jahr 2013 59.6 %7. Dabei ist noch anzufügen, dass dieser Prozentsatz in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um rund einen Prozentpunkt pro Jahr gesunken ist8 und schon aus rein demographischen Gründen in den nächsten Jahren in diesem Maß weiter sinken wird. Auch wenn man sich mittlerweile etwa im Kanton Zürich damit beholfen hat, dass die staatskirchenrechtlichen Körperschaften im Sinne einer negativen Zweckbindung die aus der Besteuerung der juristischen Personen stammenden Mittel nur mehr für „nicht-kultische“ Aufgaben verwenden dürfen9, so ändert dies nichts daran, dass staatskirchenrechtliche Körperschaften nahezu 100 % der juristischen Personen für ihre Aktivitäten besteuern, obwohl sie inzwischen weniger als zwei Drittel der Bevölkerung repräsentieren. Zudem stellt sich durch das Modell der negativen Zweckbindung die Frage, weshalb nur staatskirchenrechtliche Körperschaften für ihre sozialen Aktivitäten das Steuerrecht in Anspruch nehmen dürfen, andere Anbieter im Sozialbereich jedoch nicht. Im angeführten Entscheid ging das Bundesgericht dann noch einen Schritt weiter: „Was sich gegen die Kirchgemeinden als Gebietskörperschaften und für Kirchen auf reiner Personalgrundlage vorbringen lässt, spricht wohl in letzter Konsequenz überhaupt gegen die privilegierende staatliche Anerkennung einzelner Kirchen und die Verleihung von Besteuerungsrechten.“10
Damit berührte das Bundesgericht bereits vor bald vier Jahrzehnten die Grundfrage nach der Förderungswürdigkeit von Religionsgemeinschaften aus gesamtgesellschaftlicher und staatspolitischer Sicht. Für die Vertreter der staatskirchenrechtlichen Gebietskörperschaften beider Konfessionen, die aus naheliegenden Gründen weiterhin an üppig fließenden steuerlichen Wohltaten interessiert sind, ist an dieser Stelle jeweils der Moment gekommen, das „Böckenförde-Diktum“ anzurufen. Dieses besagt bekanntlich, der heutige freiheitliche und säkularisierte Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht zu garantieren vermöge, und er bedürfe dafür (auch) der Religionsgemeinschaften11, die er 6 Vgl. Statistisches Amt des Kantons Zürich, Markanter Wandel in der Zürcher Religionslandschaft. Ergebnisse der Volkszählungen 1970 – 2000 für den Kanton Zürich, Zürich 2003, statistik.info 02/2003, S. 2. 7 Vgl. Römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich, Jahresbericht 2013, Zürich 2014, S. 76. 8 Gemäss Römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich, Jahresbericht 2002, Zürich 2003, S. 60, betrug der Anteil der katholischen und reformierten Mitglieder der staatskirchenrechtlichen Körperschaften an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2002 71.3 %. 9 Vgl. Kirchengesetz vom 9. Juli 2007, Zürcher Gesetzessammlung 180.1, § 25, Abs. 2. 10 Entscheidungen (Anm. 2), S. 475. 11 Erstmals vorgetragen in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Sergius Buve (Hrsg.), Säkularisation und Utopie. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 75 – 94; im Folgenden zitiert nach: ders., Religionsfreiheit. Die Kirche in der modernen Welt (= Schriften zu Staat – Gesellschaft – Kirche, Bd. 3), Freiburg i. Br./Basel/Wien 1990, S. 166; vgl. dazu Julia Palm, Berechtigung
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– so wird gefolgert – deshalb angemessen zu entschädigen habe. Auch wenn eine gewisse Hypertrophie betreffend die Verwendung dieser Argumentation nicht zu übersehen ist, erfreut sich das Böckenförde-Diktum breiter Zustimmung in Wissenschaft und Politik. Zu bedauern ist allerdings, dass Böckenförde allzu oft bewusst oder unbewusst zum Opfer eines Eklektizismus gemacht wird. Denn er sagt nicht nur, dass Religionsgemeinschaften eine Funktion im säkularisierten und religiös neutralen Staat haben. Er führt auch aus, wie sie diese Funktion wahrzunehmen hätten: nicht „als Statthalter oder Übermittler des ,Wertkonsenses‘ oder einer religion civile“. Vielmehr lautet die Antwort auf die Frage, wie die Religionsgemeinschaften ihre Funktion im Gemeinwesen wahrnehmen sollen: „Für die Kirche lässt sich die Antwort nur von ihrer Sendung und ihrem Auftrag her finden, den sie unverkürzt zu erfüllen hat“12. Dabei gelte es zu beachten: „Der Fundamentalkonsens einer pluralistischen Gesellschaft muss als solcher mehrheitsfähig sein und schliesst daher notwendigerweise Abstriche und Kompromisse ein. Die christliche Lehre, die die Kirche zu verkündigen und in die Gesellschaft hinein zu vermitteln hat, trägt demgegenüber einen sehr weitgehenden Anspruch vor. Dieser wird in der Praxis der säkularen Gesellschaft nur von einer kognitiven Minderheit getragen und akzeptiert, ist also als solcher gerade nicht mehrheitsfähig.“13
Wenn der Staat also, wie man staatsmännischen Beteuerungen immer wieder entnehmen kann, daran interessiert ist, dass Religionsgemeinschaften für ihn lebensnotwendige Voraussetzungen schaffen, die er selbst nicht zu garantieren vermöge, dann ist zu fragen: Schafft heute der Staat in der Schweiz für die Religionsgemeinschaften jene Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, ihre ureigene Sendung vollziehen zu können, so dass sie, wie Böckenförde sagt, als „faktische Auswirkung“ ihrer Tätigkeit Voraussetzungen schaffen, derer der Staat bedarf?14 Wenn man die Sache rein pekuniär betrachtet, ist angesichts der rund 2 Milliarden Franken, die den staatskirchenrechtlichen Körperschaften der evangelisch-reformierten und der katholischen Konfession in der Schweiz jährlich zufließen15, Klagen über das Staatskirchenrecht nicht angebracht. Dennoch erscheint es als sehr zweifelhaft, ob der Staat sich selbst und den betroffenen Religionsgemeinschaften mit seinem Religionsrecht heute wirklich einen Dienst erweist. Denn der Zuschnitt des staatskirchenrechtlichen Systems ist nicht nur, wie gezeigt, durch den gesellschaftlichen Wandel überholt worden. Die vom demokratischen Staat kopierte Struktur und Aktualität des Böckenförde-Diktums. Eine Überprüfung vor dem Hintergrund der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Möglichkeiten des Staates zur Pflege seiner Voraussetzungen durch Werterziehung in der öffentlichen Schule, Frankfurt/M. 2013, S. 17 – 24. 12 Böckenförde, Religionsfreiheit (Anm. 11), S. 166. 13 Ebd., S. 169. 14 Ebd., S. 169; vgl. dazu Palm, Berechtigung (Anm. 11), S. 21 f. 15 Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2007. Neuere Zahlen sind noch nicht verfügbar. Vgl. dazu Michael Marti/Eliane Kraft/Felix Walter, Dienstleistungen, Nutzen und Finanzierung von Religionsgemeinschaften in der Schweiz, Glarus/Chur 2010, S. 29 – 33.
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selbst ist problematisch, weil sie zur Folge hat, dass Religionsgemeinschaften gerade im Sinne Böckenfördes ihre Aufgaben nicht oder nur noch unzureichend wahrnehmen können. Dies hat seinen Grund darin, dass in der Demokratie alle Macht vom Volk ausgeht, in den Religionsgemeinschaften der Glaubensinhalt aber nicht im demokratischen Diskurs entstanden ist und auch nicht nach Mehrheitsmeinung geändert werden kann, weil er immer in irgend einer Weise „offenbart“ ist und damit in der Substanz dem einzelnen und auch der Mehrheitsmeinung unverfügbar bleibt. Das macht gerade, etwa im Gegensatz zu Parteiprogrammen, den Kern von Religion aus. Und folglich trifft es diese ins Mark, wenn wesentliche Inhalte, in Analogie zu einem Parteiprogramm, durch staatlich vorgeschriebene Strukturen demokratisch verfügbar gemacht werden, um sie je wieder auf gesellschaftspolitische Mehrheitsfähigkeit ausrichten zu können. Ein Beispiel für diese Problematik ist die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich. Deren Exekutive, der Kirchenrat, schrieb bereits im Jahr 1993: „Es ist zu befürchten, dass eine Trennung von Staat und Kirche, welche das Ziel verfolgt, aus den Kirchgemeinden Vereine zu machen, der Aufsplitterung der Kirchen in einzelne Zellen Vorschub leistet“16. Noch deutlicher wurde die Landeskirche in ihrer Broschüre zur Abstimmung über die kantonale Initiative für die Trennung von Staat und Kirche im Jahr 1995: „Bei der Umwandlung der Kirchgemeinden in private Vereine besteht zudem die Gefahr, dass sich reformierte Kirchgemeinden in unterschiedlich orientierte Gesinnungsgemeinden aufsplittern“17. Dies bedeutet im Klartext, dass das einende Element dieser Glaubensgemeinschaft, bedingt durch staatlich induzierte Demokratisierung und Pluralisierung, schon heute nicht mehr ein von allen geteiltes gemeinsames Glaubensbekenntnis ist. Sondern es ist der Staat selbst, der das Ganze durch die von ihm vorgegebenen Strukturen sowie die Finanzierung zusammenhält. Insofern stellt sich die Frage, wer hier von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht zu garantieren vermag. Zieht sich nämlich der Staat zurück, befürchtet die Landeskirche selbst, auseinanderzufallen in bereits jetzt bestehende Glaubensrichtungen bzw. Fraktionen. Es steht einem Katholiken nicht zu, das zu bewerten. Aber er darf es sehr wohl ablehnen, dass der Staat einen ähnlichen Prozess in der katholischen Kirche in Gang setzt durch die Vorgabe von staatskirchenrechtlichen Strukturen, die dem theologischen Selbstverständnis der Kirche widersprechen. Diese tendieren nämlich auch im Falle der katholischen Kirche dahin, nicht Mehrheitsfähiges abzuschleifen und die Kirche zum Träger einer mehrheitsfähigen religion civile zu machen. Nicht zu16 Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Kirche und Staat. Dokumentation einer Partnerschaft, Zürich 1993, S. 13. 17 Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Was auf dem Spiel steht… 11 Fragen und 11 Antworten zu Kirche und Staat, Zürich 1995, Nr. 11. Sekundiert wurde die Landeskirche vom Autoren Christoph Wehrli: „Die heutigen Kerngemeinden würden zu Inseln, vor allem im Protestantismus dürften sich bald verschiedene ,Bekenntnisse‘ und Formen entwickeln, verfestigen und auseinanderentwickeln“, Welche Kirchen will der liberale Staat?, in: Neue Zürcher Zeitung, 9./10. September 1995, S. 53.
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fällig hat der Generalsekretär der „Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz“ (RKZ; Zusammenschluss aller kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaften) kürzlich dargelegt, was die katholische Kirche und die reformierten Landeskirchen tun müssten, damit das staatskirchenrechtliche System erhalten bleibe und der Staat weiterhin finanzielle Mittel zur Verfügung stelle: „Sie müssen ein Interesse daran haben, extreme, intern und/oder nach aussen hin polarisierende, den Eindruck von Intoleranz erweckende Formen von religiösem Ausdruck und religiöser Präsenz in der Öffentlichkeit zurückzubinden und sich aktiv und möglichst gemeinsam für friedliche und friedensfördernde, den Zusammenhalt der Gesellschaft fördernde, für Nöte aller Art sensible und der Welt nicht absondern zugewandte Formen von Religion einzusetzen.“18
So unscheinbar dies klingen mag: Es ist letztlich die Forderung, das abzuschleifen, was die Mehrheitsfähigkeit der kirchlichen Botschaft in der heutigen säkularisierten Gesellschaft in Frage stellt. Übrig bleibt im Sinne der Selbstfunktionalisierung eine Zivilreligion, die immer mehr das Proprium des Christlichen in den Hintergrund treten lässt. Deutlich wird der diesbezügliche Druck des staatskirchenrechtlichen Systems wiederum am Beispiel des Kantons Zürich. Dieser bestimmt in seinem im Jahr 2010 in Kraft getretenen Kirchengesetz, dass die „Landeskirchen“ Beiträge aus allgemeinen Steuermitteln (etwa 50 Millionen Franken jährlich) erhalten für Leistungen „mit Bedeutung für die ganze Gesellschaft, insbesondere in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur“19. Die Römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich (die Zürcher „Landeskirche“) gliedert seither ihren jährlichen Tätigkeitsbericht in die Kapitel „Soziales/Diakonie“, „Bildung/Verkündigung“ und „Kultur/Liturgie“ und ordnet damit die genuin kirchlichen Vollzüge dem gesellschaftlich Nützlichen unter.20 Der Präsident des Synodalrats (= Exekutive) der Körperschaft hat dies kommentiert mit der Bemerkung: „In der vorliegenden Form eignet sich der Jahresbericht hervorragend als PR-Instrument, jedoch nur in zweiter Linie für die Kontrolle der Arbeit“21. In solchen Aussagen manifestiert sich das Spannungsfeld, in das Religionsgemeinschaften, die ein nicht mehrheitsfähiges Programm haben, geraten, wenn sie in Strukturen leben wollen oder müssen, die zwingend auf Mehrheitsfähigkeit ausgerichtet sind und die, wenn sie nicht definitiv zur Fiktion werden sollen, von einem möglichst großen Anteil der Gesellschaft durch Mitgliedschaft mitgetragen werden müssen. Im Falle der reformierten Landeskirchen ist der zu zahlende Preis der Ver-
18 Daniel Kosch, Die öffentliche Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz. Zahlen, Zusammenhänge und Zukunftsperspektiven, Zürich 2013, S. 42. 19 Kirchengesetz vom 9. Juli 2007 (Anm. 9), § 19, Abs. 2. 20 Römisch-katholische Kirche Körperschaft des Kantons Zürich, Jahresbericht 2012, S. 2 – 37; angehängt wird dem noch die „Gemeindebildung“ (S. 38 – 45). 21 Römisch-katholische Synode des Kantons Zürich, Protokoll der 8. Synoden-Sitzung vom 27. Juni 2013, S. 16.
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zicht auf ein verbindliches – und damit ausschließendes Bekenntnis.22 Im Falle der katholischen Kirche, wo eine Entwicklung in Richtung der Bekenntnisfreiheit aufgrund der weltkirchlichen Einbindung nicht möglich ist, resultieren Dauerkonflikte mit der Weltkirche, in der die Schweizer Katholiken zahlenmäßig gerade einmal 2.5 % ausmachen. Wenn solches das Ergebnis staatlicher Förderung von Religionsgemeinschaften ist, stellt sich die Frage, welchen Ertrag der Staat von ihnen noch erwarten kann. Denn es ist ihm letztlich weder mit Religionsgemeinschaften gedient, die ihr Programm stets auf Mehrheitsfähigkeit neu ausrichten und deshalb den gesellschaftlichen Wertewandel jeweils autonom nachvollziehen, noch mit Religionsgemeinschaften, die mit ihren vom Staat induzierten Dauerkonflikten in der Gesellschaft für Unruhe sorgen und damit fraglos auch weitere Religionsgemeinschaften in Mitleidenschaft ziehen. Früher oder später wird sich da die Kosten-Nutzen-Frage oder schlicht die Frage nach dem öffentlichen Interesse stellen. Denn Leistungen in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur können NGO günstiger erbringen, weil sie ohne einen teuren theologischen Überbau auskommen. Letztlich ist klar, worauf diese Überlegungen hinauslaufen: Es braucht in der Schweiz ein neues Religionsrecht, das darauf verzichtet, die Religionsfreiheit einzuschränken durch das Festhalten an der Fiktion, dass die Religionsgemeinschaften dem Staatswesen ähnliche Körperschaften seien, die territorial und demokratisch strukturiert sein müssten.23 Solches zersetzt die Bekenntnisgrundlagen und lähmt die betroffenen Religionsgemeinschaften, weil es interne Konflikte schürt. Es ist auch keine Basis, weitere Religionsgemeinschaften daran zu beteiligen, für den säkularen Staat Voraussetzungen zu schaffen, die er selbst nicht zu garantieren vermag. Was zum Beispiel geschehen könnte, wenn die Kantone versuchen sollten, islamische Glaubensgemeinschaften zu demokratisieren und deren Amtsträger von den eigenen Gläubigen (arbeits-)rechtlich und finanziell abhängig zu machen, möchte man sich lieber nicht vorstellen. Spätestens hier zeigt sich, was man schon im Falle der katholischen Kirche hätte erkennen können: Das Schweizer Staatskirchenrecht ist, insbesondere auf kantonaler Ebene, in vergangenen Zeiten aus der Symbiose des Staates mit einer das ganze Volk umfassenden reformierten Staatskirche entstan-
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Vgl. dazu Martin Grichting, Kirche oder Kirchenwesen? Zur Problematik des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Schweiz, dargestellt am Beispiel des Kantons Zürich, Fribourg 1997, S. 62 – 64 und S. 69 f. 23 Dass die Religionsgemeinschaften selbst teilweise nicht mehr an die Territorialität ihrer Körperschaften glauben, zeigt etwa der Vorentwurf für eine Totalrevision der Kirchenverfassung der Evangelisch-reformierten Landeskirche von Graubünden aus dem Jahr 2011. Darin wurde das Territorialitätsprinzip in Frage gestellt, wenn es in Art. 3, Abs. 2 hieß: „Jedes Mitglied gehört in der Regel zu der Kirchgemeinde, zu welcher seine politische Wohnsitzgemeinde zugehörig ist. Auf begründetes Begehren an den Vorstand seiner Wohnsitzkirchgemeinde ist jedes Mitglied berechtigt, einer anderen Kirchgemeinde als Mitglied beizutreten.“
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den.24 Und deshalb ist es der gesellschaftlichen Säkularisierung und dem religiösen Pluralismus unserer Tage nicht mehr gewachsen.
II. Theologisch-kirchenrechtliche Perspektive Wenn man das schweizerische Staatskirchenrecht aus der Optik des theologischen Selbstverständnisses der katholischen Kirche betrachtet, muss man zuerst mit dem von der Schweizer Bischofskonferenz im Jahr 2013 veröffentlichten „Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz“ festhalten, dass es nur eine katholische Kirche gibt mit nur einer Leitung.25 Leitung ist gemäß dem Selbstverständnis der katholischen Kirche an das Sakrament der Weihe gebunden. Während im Staat alle Macht vom Volk ausgeht, wird in der katholischen Kirche Leitungsvollmacht durch das Sakrament der Weihe und die Beauftragung seitens des Papstes bzw. des Bischofs verliehen. Das Volk Gottes kann sich deshalb nicht unabhängig vom Bischof als Körperschaft konstituieren und regieren. Und der Staat kann deshalb, falls er nicht die Religionsfreiheit einschränken will, die Gläubigen nicht als kirchliche Körperschaft konstituieren. Es kann aus theologischen Gründen und damit aus Gründen der Religionsfreiheit also nicht sein, dass der Staat mittels seines Rechts eine „organisatorische Verselbständigung der Kirchenangehörigen in der Form von Körperschaften“26 vornimmt, so dass dann diese Kirchenangehörigen dem Bischof als Souverän gegenüberstehen und mit ihm aushandeln möchten, wie die Kirche zu leiten ist, wie es derzeit in der Schweiz der Fall ist. Denn die Kirche ist nicht ein sich selber konstituierendes oder gar vom Staat konstituiertes Volk, sondern das Volk Gottes. Und das heißt: Gott leitet das Volk durch seine geweihten Amtsträger, wie das II. Vatikanische Konzil vor 50 Jahren neuerlich gelehrt hat.27 Einzelne Laien können zwar an der Leitung der Kirche mitwirken. Aber sie können das nicht im eigenen Namen tun, sich selbst beauftragen oder dazu vom Staat beauftragt werden. Sondern sie können es nur tun in der besonderen Sendung durch den Bischof, wie sie etwa in der „Missio canonica“ für die Laientheologinnen und Laientheologen zum Ausdruck kommt. Und sie können es tun innerhalb der synodalen Struktur der Kirche, wie sie etwa im diözesanen 24 Vgl. dazu für den Kanton Zürich: Grichting, Kirche oder Kirchenwesen? (Anm. 22), S. 11 – 22, S. 37, S. 44 – 52 und S. 62 – 70. 25 Schweizer Bischofskonferenz, Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz, Fribourg 2013, Nr. 1.4 und 2.3. 26 So charakterisiert das staatliche Handeln: Giusep Nay, Organisatorische Verselbständigung als Leitidee, in: Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz (Hrsg.), Weiterentwicklung des Staatskirchenrechts. Aktuelle Herausforderungen im Licht der Denkanstösse von Urs Josef Cavelti, Zürich 2008, S. 25. 27 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen Gentium (21. November 1964), in: AAS 57 (1965), S. 5 – 75, hier S. 14; dt., LThK (Anm. 1), Ergänzungsband I, S. 156 – 359, Nr. 10.
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oder pfarreilichen Seelsorgerat sichtbar wird. Dort sind die Laien nicht auf der Basis des staatlichen Rechts als souveränes Gegenüber zum Bischof verselbständigt, sondern sie wirken innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft an der Sendung der einen Kirche mit auf die ihnen spezifische Weise: auf der Basis von Taufe und Firmung. Dies gilt auch für den Bereich des Vermögensrechts. Die katholische Kirche versteht sich ¢ in Analogie zu Christus, der Gott und Mensch ist ¢ gemäß dem II. Vatikanischen Konzil als „eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“, so dass „die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche […] nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten“ sind.28 Dies bedeutet, dass in der Kirche Leitung nicht nur die geistliche Seite (Verkündigung, Sakramente, Seelsorge, etc.) umfasst, sondern immer auch die irdische, materielle Seite. Deshalb kann die Kirche die Verwaltung ihrer zeitlichen Güter, eben weil sie Teil der einen komplexen Wirklichkeit sind, nicht dem Staat oder der Privatautonomie von Gläubigen überlassen. Und wenn sie es getan hat bzw. tun musste, etwa im Eigenkirchenwesen des ersten Jahrtausends, so hat sie dieses als Missstand erkannt, bekämpft und dann auch wieder überwunden.29 Wenn auch mit anderer Begründung als der Staat will deshalb die Kirche ihr Vermögensrecht ¢ wenn man diese Analogie benützen darf ¢ in ihrem „öffentlichen“ Recht ordnen, so wie es auch keinem Staat in den Sinn käme, die Finanzierung des Gemeinwesens der Privatautonomie der Bürger zu überlassen. Konkret gesagt: Es ist undenkbar, dass Gemeinden und Kantone von Vereinen finanziert würden, zu denen sich Bürger freiwillig zusammenschließen könnten. Und noch undenkbarer wäre es, dass solche Vereine über die Art und Weise der Verwendung solcher Mittel beschließen könnten. In der katholischen Kirche ist die Finanzierung und finanzielle Steuerung der zu ihrer Verfassungsstruktur gehörenden Institutionen (Diözesen und Pfarreien) ebenfalls nicht der Privatautonomie der Gläubigen überlassen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat es so gesagt: „Es ist […] höchst angemessen, wenigstens in Gebieten, in denen die Entlohnung des Klerus ganz oder zum Teil von den Gaben der Gläubigen abhängt, dass die zu diesem Zweck gegebenen Gelder bei einer bestimmten Diözesanstelle gesammelt werden, deren Verwaltung der Bischof hat, unter Beiziehung einiger delegierter Priester und, wo es geraten erscheint, von wirtschaftlich sachverständigen Laien.“30
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Ebd., Nr. 8. Vgl. dazu Martin Grichting, Das Verfügungsrecht über das Kirchenvermögen auf den Ebenen von Diözese und Pfarrei (= MthStkan 62), 2. Aufl., St. Ottilien 2012, S. 7 – 69. 30 II. Vatikanisches Konzil, Dekret Presbyterorum Ordinis (7. Dezember 1965), in: AAS 58 (1966), S. 991 – 1024, hier S. 1021 f.; dt., LThK (Anm. 1), Ergänzungsband III, S. 142 – 239, Nr. 21. 29
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Und im Rechtsbuch der katholischen Kirche, im Codex Iuris Canonici von 198331, heißt es betreffend die Diözese: „Außer den Aufgaben, die ihm in Buch V Kirchenvermögen übertragen sind, hat der Vermögensverwaltungsrat jährlich nach den Weisungen des Diözesanbischofs einen Haushaltsplan über die Einnahmen und Ausgaben aufzustellen, die im kommenden Jahr für die gesamte Leitung der Diözese vorgesehen sind; nach Jahresablauf hat er die Haushaltsrechnung über Einnahmen und Ausgaben zu billigen.“ (c. 493)
Für die Pfarrei gilt: „Bei allen Rechtsgeschäften vertritt der Pfarrer die Pfarrei, und zwar nach Maßgabe des Rechts; er hat dafür zu sorgen, daß das Vermögen der Pfarrei nach Maßgabe der cann. 1281 – 1288 verwaltet wird.“ (c. 532)
Im Ergebnis kommt das schweizerische Staatskirchenrecht jedoch gerade dem gleich, dass die Finanzierung der zur Verfassungsstruktur der Kirche gehörenden Institutionen (Diözesen, Pfarreien) vom Staat der Privatautonomie von Gläubigen übertragen wird.32 Sie sind vom Staat zu Gebietskörperschaften verselbständigt, die dann unabhängig von der kirchlich legitimierten Leitung bestimmen, wie die finanziellen Mittel eingesetzt werden. Was dies für die Bischöfe und in ihrem Auftrag die Pfarrer bedeutet, die zwar für die Leitung der Kirche verantwortlich sind, denen jedoch die dafür erforderlichen Mittel nicht zu Gebote stehen, ist leicht nachvollziehbar. Am prägnantesten hat es wohl der frühere Bischof von Basel, Kurt Koch, ausgedrückt. Er komme sich als Diözesanbischof hin und wieder vor, so schrieb er im Jahr 2000, „wie eine kirchliche ,Queen Elisabeth‘, deren Haupttätigkeit nicht in der effektiven Leitung, sondern in der affektiven Repräsentation besteht“33. Ergebnis dieser staatlichen Intervention in das Innenleben der Kirche ist nicht nur eine unverhältnismäßige Einschränkung der Religionsfreiheit der katholischen Kirche, die sich, wie es bei systematischen Rechtsverletzungen üblich ist, in Dauerkonflikten äußert.34 Das System führt auch zu einer theologischen Verwirrung innerhalb 31
Codex Iuris Canonici. Auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatus, AAS 75 (1983), pars II; dt., Codex Iuris Canonici. Codex des kanonischen Rechts, Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis. Hrsg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz, der Erzbischöfe von Luxemburg und von Strassburg sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von Lüttich und von Metz, 5., neu gestaltete und verbesserte Aufl., Kevelaer 2001. 32 Vgl. Nay, Organisatorische Verselbständigung (Anm. 26), S. 23, der versucht, die staatskirchenrechtlichen Körperschaften theologisch mit dem Verweis auf die Existenz des kirchlichen Vereinsrechts zu legitimieren. 33 Kurt Koch, Der Bischof als erster Verkünder, Liturge und Leiter der Ortskirche, in: Schweizerische Kirchenzeitung 168 (2000), S. 178. 34 Genannt seien hier etwa die Konflikte im Bistum Chur in den Jahren 1990 bis 1997 sowie neuerdings wieder seit 2007. Auch im Bistum Basel kam es um den Pfarradministrator von Röschenz (Baselland) in den Jahren 2005 – 2007 zu einer schweren Auseinandersetzung, die nach der Altkatholizismuskrise im 19. Jahrhundert von neuem offenbarte, dass das staatskirchenrechtliche System in der Schweiz für die katholische Kirche stets potentiell
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der Kirche: Wenn die Laien vom Staat als selbständige Körperschaft konstituiert werden und dann mittels der Finanzen bedeutende Teile der kirchlichen Leitung faktisch übernehmen, wie es das System der sogenannten „Landeskirchen“ in der Schweiz mit sich bringt, dann nehmen diese Laien dadurch gewissermaßen priesterliche Aufgaben wahr, ohne freilich Kleriker zu sein. Indem die Laien zu den Hirten gezählt werden, werden sie klerikalisiert. Sie verlassen dadurch ihre genuine Sendung als Laien. Diese Sendung bestünde primär darin, gestärkt durch Taufe und Firmung, in Staat und Gesellschaft als Christen zu wirken. Und es stellt sich die Frage: Wenn die Laien ihre Aufgabe vor allem darin sehen, klerikalisiert faktisch als Teil der Kirchenleitung zu wirken: Wer wirkt dann in Staat und Gesellschaft? Hier liegt nicht nur die weitgehende gesellschaftspolitische Unfruchtbarkeit der Kirche begründet. Es stellt sich eben nochmals neu die Frage, was ein solcherart blockierter Riese für den Staat und die Gesellschaft im Sinne Böckenfördes noch zu leisten vermag, wenn im Innern der Kirche die wesentlichen Akteure stark damit beschäftigt sind, sich um das Steuer zu balgen. Da die die katholische Kirche lähmenden Binnenkonflikte durch einen staatlichen Eingriff induziert sind, steht es nicht einfach in der Macht der Kirche, hier für Abhilfe zu sorgen. Sie kann derzeit deshalb nicht mehr tun als zu versuchen, die negativen Auswirkungen der durch den Staat vorgenommenen Einschränkung der Religionsfreiheit zu mildern. Das „Vademecum“ der Schweizer Bischofskonferenz von 2013 dient diesem Zweck. Es bringt den Willen der Bischöfe zum Ausdruck, „dass das gegenwärtige staatskirchenrechtliche System so ausgerichtet bzw. reformiert werden soll, dass es dem Wesen und den Bedürfnissen der Kirche in der Schweiz auch mit Blick auf die Zukunft besser entspricht“. Es gelte deshalb, „Wege zu suchen, das staatskirchenrechtliche System in Theorie und Praxis so gut wie möglich dem Selbstverständnis der Kirche anzupassen und zu optimieren“35. Es muss sich nun im Gespräch mit den staatskirchenrechtlichen Körperschaften und den Kantonen zeigen, ob hier substantielle Verbesserungen erreicht werden können. Sollte das Ergebnis dieses Prozesses der Erweis der Reformunfähigkeit des Systems sein, wäre dies wohl ein weiterer Hinweis darauf, dass es nicht mehr realitätstauglich ist.
III. Umfassende Gewährleistung der Religionsfreiheit als Ziel der Reform Was hier aus staatskirchenrechtlicher und theologisch-kirchenrechtlicher Perspektive gesagt wurde, konvergiert in der Forderung nach dem, was eingangs aus der Erklärung „Dignitatis Humanae“ des II. Vatikanischen Konzils zitiert wurde: dass der Grundsatz der Religionsfreiheit nicht nur mit Worten proklamiert, sondern schismatischen Charakter hat. Zu nennen ist auch die im Jahr 2011 in den beiden Basler Halbkantonen lancierte „Kirchliche Gleichstellungsinitiative“ (http://www.kirchliche-gleich stellung.ch/ [Stand: 03. 07. 2014]). 35 Schweizer Bischofskonferenz, Vademecum (Anm. 25), Nr. 1.3.
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in die Praxis übergeführt werde. Nun ist es in der Schweiz nicht so, dass die Religionsfreiheit nicht mit Worten deklariert wäre. Zu nennen ist nicht nur Art. 15 der Bundesverfassung betreffend die individuelle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Auch das in der Schweiz notorische Defizit der Gewährleistung der korporativen Religionsfreiheit wäre an sich ausgeglichen durch das auch von der Eidgenossenschaft unterzeichnete Dokument des Wiener KSZE-Nachfolgetreffens von 1989: „Um die Freiheit des einzelnen zu gewährleisten, sich zu seiner Religion oder Überzeugung zu bekennen und diese auszuüben, werden die Teilnehmerstaaten unter anderem […] das Recht dieser religiösen Gemeinschaft achten, […] sich nach ihrer eigenen hierarchischen und institutionellen Struktur zu organisieren, und ihr Personal in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen Erfordernissen und Normen sowie mit etwaigen zwischen ihnen und ihrem Staat freiwillig vereinbarten Regelungen auszuwählen, zu ernennen und auszutauschen.“36
Die Realität sieht jedoch so aus, dass die vom theologischen Selbstverständnis der katholischen Kirchen ausgewiesenen Institutionen (Diözesen und Pfarreien) und Repräsentanten (Bischöfe und Pfarrer) von vielen Kantonen ignoriert werden.37 Stattdessen werden – wie dargelegt – die Gläubigen auf den Ebenen von Kantonen und Gemeinden in Gebietskörperschaften organisiert, die keinen kirchlichen Charakter haben und strukturell im Widerspruch zum kirchlichen Selbstverständnis stehen.38 Es ist offensichtlich, dass diese religionsrechtliche Konzeption zur Zwangsja36
http://www.osce.org/de/mc/40883 [Stand: 03. 07. 2014], Nr. 16. Besonders krass ist der Fall des Kantons Zürich. Dieser ignoriert in seinem Recht die kirchlichen Institutionen der katholischen Kirche: die Diözese Chur sowie die Zürcher Pfarreien. Ebenfalls ist im Zürcher Recht der Bischof von Chur als der Repräsentant der im Kanton Zürich lebenden Katholiken inexistent. Der Kanton Zürich kennt die eigentliche Kirche und ihren Repräsentanten nur dann, wenn er sie öffentlich kritisieren will. So äußerte sich am 31. Mai 2013 der für die Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften zuständige Direktor des Innern, Martin Graf, anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Schaffung der Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich folgendermaßen: „Besonders freut mich als Kirchenfürst die Tatsache, dass die Zürcher Katholiken seit geraumer Zeit engagiert für eine Modernisierung ihrer Kirche eintreten. Sie stehen mitten im Leben unserer Wirtschaftsmetropole, sie spüren die Alltagsprobleme dieser Zeit und setzen sich ein für eine offene Begegnung der Menschen in unserer pluralistischen Gesellschaft. Sie bewegen sich eben genau nicht ihr Leben lang in der geschützten Werkstatt von Chur oder Rom, wo offenbar die Zeit im späten Mittelalter stehen geblieben ist. Die Rückständigkeit und permanente Verweigerung, gesellschaftliche Realitäten anzuerkennen, hat bekanntlich der Katholischen Kirche weder in der Schweiz noch global viel Ruhm eingetragen. Und es ist für mich unverständlich, weshalb die Kirchenoberhäupter von Chur oder Rom meinen, weiterhin an verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten vorbei predigen zu können, welche für die gesamte Bevölkerung der Schweiz gesellschaftliche Richtschnur sind. Und erst recht verstehe ich nicht, warum die Churer Kirchenhierarchie anders als ihre Vorgänger 1963 den Segen staatskirchenrechtlicher Einrichtungen partout nicht sehen wollen“, vgl. http://www.zh.kath.ch/jubilaeum/ medien-1 [Stand: 04. 01. 2014]. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat sich von diesen Aussagen nicht distanziert. 38 „Vielmehr ist das theologische Urteil unumgänglich, dass sich die staatskirchenrechtlichen Systeme mit dem katholischen Kirchenverständnis reiben und strukturell mit der Ek37
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cke, einer inzwischen anachronistischen dazu, geworden ist. Deshalb ist es weder religionsfreiheitlich noch gesellschaftspolitisch, auch nicht vom Selbstverständnis der betroffenen Religionsgemeinschaften her länger begründbar, an diesem auslaufenden staatskirchenrechtlichen Geschäftsmodell festzuhalten. Hinzu kommt, dass es die „Volkskirche“, deren Basis dieses System einmal gewesen sein mag, nicht mehr gibt.39 Was die Religionsgemeinschaften stattdessen in Zukunft vom Staat benötigen, ist die rechtliche Anerkennung ihrer vom jeweiligen theologischen Selbstverständnis ausgewiesenen Institutionen und Repräsentanten und damit Bewegungsfreiheit ohne staatliche Gängelung. Mit anderen Worten: Es bedarf endlich der Gewährleistung der korporativen Religionsfreiheit seitens von Bund und Kantonen. Mittels Verträgen zwischen dem Staat – seien es der Bund oder die Kantone – und den einzelnen Religionsgemeinschaften kann dies erreicht werden. Auf diese Weise können mit der Zeit auch eher weitere Religionsgemeinschaften einbezogen werden. Hierbei spielt deren Größe keine Rolle mehr: Einen Vertrag kann man mit einer Religionsgemeinschaft abschließen, die eine Million oder auch nur wenige Tausend Mitglieder hat. Denn eine solche Religionsgemeinschaft muss nicht mehr den staatlichen Gebietskörperschaften ähnlich als Kirchgemeinde oder „Landeskirche“ strukturiert sein. Es genügt, ihren vom religiösen Selbstverständnis ausgewiesenen Rechtspersonen Rechtspersönlichkeit im staatlichen Recht zu verleihen. Auch was die konkrete politische Umsetzung der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften betrifft, ist eine Vertragslösung realistischer als der Versuch, ihnen das geltende staatskirchenrechtliche System überzustülpen. Denn zum einen müssen eben nicht mehr die staatsähnlichen Gebilde der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften geschaffen werden. Zum anderen ist zu bedenken, dass der Staat, wenn er in einem Gesetz Anerkennungskriterien definiert, für diese Religionsgemeinschaften bei formaler Erfüllung der Kriterien einen Rechtsanspruch auf Anerkennung schafft. Dies ist politisch eine hohe Hürde.40 Verweist der Staat die „neuen“ Religionsgemeinschaften in allgemein formulierter Form auf den Vertragsweg, klesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht in Übereinstimmung zu bringen sind“, Koch, Der Bischof als erster Verkünder (Anm. 33), S. 179. 39 Vgl. zu den neuesten Zahlen betreffend die katholische Kirche: Schweizerisches Pastoralsoziologisches Institut, Katholische Kirche in der Schweiz. Kirchenstatistik 2013. Zahlen, Fakten, Entwicklungen, St. Gallen, (edition SPI) 2013. 40 Zu erinnern ist an die gescheiterte Revision der Zürcher Kantonsverfassung vom 30. November 2003, vgl. Amtsblatt des Kantons Zürich 2003, S. 2010 ff. Damals sollte mit einem Art. 64, Abs. 2 und 3 KV die Rechtsgrundlage für die Integration weiterer Religionsgemeinschaften in das herrschende staatskirchenrechtliche System geschaffen werden: „Religionsgemeinschaften können staatlich anerkannt werden. Durch die Anerkennung werden die Religionsgemeinschaften zu Körperschaften des öffentlichen Rechts oder erlangen andere Rechte. Das Gesetz regelt die Voraussetzungen, Formen und Wirkungen der Anerkennung“. Ein Plakat rechtsbürgerlicher Kreise mit der Botschaft „Steuergelder für Koranschulen?“ genügte, damit die gesamte Vorlage an der Urne Schiffbruch erlitt.
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bleibt ihm ein viel größerer Ermessensspielraum und eine größere inhaltliche sowie zeitliche – und damit politische ¢ Flexibilität. Eine Vertragslösung ist auch für die bisherigen körperschaftlich und territorial organisierten Religionsgemeinschaften in Zukunft die angemessene Lösung. Denn die Vertragslösung macht sie unabhängig von der Problematik des Mitgliederschwunds. Dieser ist ja an erster Stelle verantwortlich dafür, dass kirchliche Territorialkörperschaften immer mehr zur Fiktion geworden sind. Denn wo die zahlenmäßige Übereinstimmung von Staatsbürgern und Kirchgemeindeangehörigen immer weniger gegeben ist, verliert das auf der Territorialität aufgebaute staatskirchenrechtliche System an Legitimität. So lange man in den bisherigen Bahnen weiterdenkt, gibt es für eine Veränderung des geltenden Systems dann auch nur eine Option: die Abschaffung, die sogenannte „Trennung von Staat und Kirche“, also die Aufhebung der Gebietskörperschaften und der Verweis der Religionsgemeinschaften ins Privatrecht (Vereine, Stiftungen). Wenn man diesen radikalen Schritt vermeiden will, der in der Gesellschaft auf immer größere Akzeptanz stößt, bietet sich als Alternative an, rechtzeitig auf ein Vertragssystem umzusteigen. Mittels Verträgen kann den Religionsgemeinschaften dann auch etwa im Sinne einer Mandatssteuer ermöglicht werden, im Umfang von 10 bis 15 Prozent dessen, was sie heute einnehmen, ihre Grundlasten zu tragen.41 Im Übrigen wird man die Religionsgemeinschaften aber an ihre Mitglieder verweisen müssen: Die katholische Kirche hat in 2000 Jahren und weltweit bewiesen, dass eine geistlich lebendige Kirche materiell über die Runden kommt. Denn die Gläubigen sind, wenn sie der Kirche aus den richtigen, das heißt aus religiösen Gründen anhangen, großzügig. Aber umgekehrt, und das zeigt das Beispiel der katholischen Kirche in der Schweiz deutlich, geht es nicht: Man kann mit allem Geld dieser Welt keine lebendige Kirche herbeizwingen, auch keine, die für den Staat Voraussetzungen schafft, die er selbst nicht zu garantieren vermag.
41 Vgl. dazu das im Jahr 1989 lancierte vertragsrechtliche Modell Italiens, das auch eine Mandatssteuer umfasst: Grichting, Kirche oder Kirchenwesen (Anm. 22), S. 281 – 328.
Der Jesuitenartikel in den Schweizer Bundesverfassungen von 1848 und 1874 – Ein rechtshistorischer Beitrag Adrian Loretan
I. Status quaestionis Art. 51 der alten Bundesverfassung von 1874 stellte die Behauptung der „Staatsgefährlichkeit“ der Jesuiten auf. Dieser konfessionelle Ausnahmeartikel stand fast 100 Jahre (bis 1973) in der Bundesverfassung. Er lautet: „1 Der Orden der Jesuiten und die ihm affiliierten Gesellschaften dürfen in keinem Teile der Schweiz Aufnahme finden, und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt. 2 Dieses Verbot kann durch Bundesbeschluss auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgefährlich [A.L.] ist oder den Frieden der Konfessionen stört.“
Der Jesuitenartikel verbot nicht die Niederlassung den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft Jesu und der affiliierten Gesellschaften. „Hingegen verunmöglichte er ihnen jede Wirksamkeit in Kirche und Schule.“1 Kontrovers war die Auslegung des Artikels. „Mit der Zeit wurde die extensive Interpretation durch eine mehr und mehr restriktive abgelöst, ,so sehr, dass in den neueren Entscheiden nicht einmal mehr jede Tätigkeit, die in den Bereich von Kirche und Schule fällt, als verboten angesehen wird‘. Zuletzt war die staatsrechtliche Situation die, dass der Artikel in manchen Sektoren mehr oder weniger bewusst nicht mehr angewandt wurde, in anderen jedoch, etwa auf dem Schulsektor, durchaus noch seine Wirkung hatte.“2 Das Gutachten zum Jesuiten- und Klosterartikel der Bundesverfassung von Prof. Dr. Werner Kägi (Universität Zürich) hält fest:
1 Josef Bruhin, Die beiden Vatikanischen Konzile und das Staatskirchenrecht der Schweizerischen Bundesverfassung. Theologische Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Staat (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 17), Freiburg 1975, S. 69. 2 Ebd., S. 70.
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„Da nicht nachgewiesen werden kann, dass die Klöster und Orden, und insbesondere auch der Jesuitenorden, heute unsere staatliche Ordnung gefährden und den konfessionellen Frieden stören, fehlt den Verbotsnormen der Art. 51 und 52 die Legitimität.“3
Der Begriff heute ist von Kägi selbst in einem Vorabdruck des III. Teils dieses Gutachtens kursiv gesetzt worden.4 D. h. heute (1973) fehlt die Legitimität des Jesuiten- und Klosterartikels. War der Jesuitenartikel im 19. Jahrhundert also berechtigt? Traf die These von der Staatsgefährlichkeit der Jesuiten damals zu? Wie immer man den Sonderbund und den Kulturkampf und damit „die Gerechtigkeit des Art. 58 der Bundesverfassung von 1848 und der Art. 51 und 52 der Bundesverfassung von 1874 heute – aus der Distanz und aufgrund der neueren Forschung – beurteilen mag, politisch gesehen war die Setzung jener Normen nach der Ansicht des damaligen Verfassungsgebers, d. h. der Mehrheit des Schweizervolkes (genauer: der Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Bürger!) und der Stände, eine Notwendigkeit.“5 Die Motion von Moos6 vom 24. Juni 1964 hat besonders die Art. 51 und 52 der BV als sachlich nicht gerechtfertigtes Ausnahmerecht bezeichnet.7 Sie hat den Bundesrat eingeladen, eine Vorlage auf Teilrevision der Bundesverfassung vorzulegen mit dem Antrag auf Aufhebung der Art. 51 und 52. Der Jesuitenartikel (Art. 51) wurde zusammen mit dem Klosterartikel (Art. 52) in der Volksabstimmung vom 20. Mai 1973 aufgehoben.8 Damit ist aber die Frage noch nicht geklärt, ob die These der Staatsfeindlichkeit der Jesuiten im 19. Jahrhundert berechtigt war. Um diese Frage, die das Gutachten von Prof. Kägi bewusst ausgeklammert hat, beantworten zu können, muss rechtshistorisch etwas ausgeholt werden. 3 Werner Kägi, Gutachten zum Jesuiten- und Klosterartikel der Bundesverfassung. III. Teil: Verfassungspolitische Folgerungen, Zürich, April 1973, S. 255. 4 Ders., Die Neuordnung anstelle der bisherigen Art. 51 und 52 BV, in: ders., Gutachten (Anm. 3), S. 3. 5 Ebd., S. 255 f. 6 Die Motion wurde vom Bundesrat in Form eines Postulates entgegengenommen mit dem Auftrag, über die Aufhebung der Art. 51 und 52 der BV Antrag zu stellen. 7 Das Gutachten von Kägi (Anm. 3) zählt S. 266 auch BV Art. 25bis zu den Ausnahmeartikeln (Schächtverbot). Der Bistumsartikel (Art. 50 Abs. 4 BV) wird hier noch nicht als Ausnahmeartikel bezeichnet. Der Luzerner Nationalrat Achermann, der eine entsprechende Eingabe zur Streichung des Bistumsartikels vorbereitete, wurde von kirchlicher Seite dazu aufgefordert, dies zu unterlassen. So jedenfalls erzählte es mir der liberale ehemalige Nationalrat. 8 Erwahrungsbeschluss vom 24. September 1973 – AS 1973 1455; BBL 1972 I 105.1973 I 1660. „Die konfessionellen Ausnahmeartikel sind Vorbehalte zum wichtigsten aller Grundrechte, zur Religionsfreiheit, und das fehlende Frauenstimmrecht schliesst mehr als die Hälfte der Bevölkerung vom grundlegenden politischen Recht auf Teilhabe an der Volkssouveränität […] aus“ (Kägi, Gutachten [Anm. 3], S. 269). Die Ausnahmeartikel waren neben dem Ausschluss der Schweizer Frau von der politischen Gleichberechtigung und einigen kantonalen Gesetzen die wichtigsten Widersprüche zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Schweiz dann 1974 ratifizieren konnte.
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II. Die päpstliche Aufhebung des Jesuitenordens 1773 Die Berufung der Jesuiten in die Schweiz hatte im Mangel an theologisch ausgebildeten Lehrpersonen der katholischen Orte ihren ersten Grund. Kardinal Carl Borromäus hatte nach seiner Visitationsreise durch die Schweiz im Anschluss an das Reformkonzil von Trient (1563) drei Dinge vorgeschlagen: (1) die Entsendung eines Nuntius; (2) die Errichtung eines Priesterseminars; (3) die Einführung der Jesuiten. Innerhalb eines Jahrhunderts waren sechs Zentren des Jesuitenordens entstanden: Luzern (1577), Freiburg (1580), Pruntrut (1591), [die kleinen Veltliner Kollegien Bormio und Ponte (nach 1620)], Solothurn (1648/68), und schliesslich die beiden Walliser Kollegien Brig (1668) und Sitten (1734).9 Die Aufhebung des Jesuitenordens erfolgte 1773 durch Papst Clemens XIV. auf Druck der Könige von Frankreich, Spanien und Portugal. An eine päpstliche Aufhebung dieses für die Eidgenossenschaft so wichtigen Schulordens wollte man in den katholischen Ständen zuerst nicht denken. In Rom hatten die Eidgenossen erreicht, dass die Aufhebung des Ordens im Schulbetrieb nichts ändern sollte. „Die bisherigen Jesuiten sollten als Ex-Jesuiten die Kollegien weiterführen dürfen, da man sonst vor dem Nichts gestanden hätte.“10 Z. B. kamen in Luzern nach der Aufhebung des Ordens (1774) am anderen Tag alle Ex-Jesuiten wieder zusammen, jetzt in Welt-Priesterkleidung. Der Statthalter gab ihnen den Schlüssel zurück, den er am Vortag von den gleichen Männern in Jesuitenkleidung erhalten hatte. Er beauftragte sie, die bisherigen Schulen weiterzuführen.11 In Brig wirkten die Ex-Jesuiten bis 1777 weiter, um dann das Kollegium den Piaristen zu übergeben. Der völlige Ruin dieser Schulen wurde also dadurch verhindert, dass sich die Ex-Jesuiten weiterhin zur Verfügung stellten, den Unterricht als Weltpriester weiterzuführen.
9 Bundesrat, Botschaft an die Bundesversammlung über die Aufhebung des Jesuiten- und Klosterartikels der Bundesverfassung (Art. 51 und 52) vom 23. Dezember 1971, S. 17. Es entstehen Zentren in Luzern, Freiburg, Pruntrut, Ernen und Siders (die in der Folge verlegt werden mussten, bis sie definitiv in Brig und Sitten einzogen), Solothurn und Feldkirch (1649) für die katholischen Bündner. 10 Ferdinand Strobel, Zur Jesuitenfrage in der Schweiz. Tatsachen und Überlegungen, Zürich 1948, S. 26. 11 Ebd.
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III. Die päpstliche Wiederherstellung des Jesuitenordens von 1814 Bereits Pius VII.12 restaurierte den Jesuitenorden wieder; zunächst für einzelne Länder, um ihn 1814 feierlich für die ganze Kirche wiederherzustellen.13 „In der Eidgenossenschaft gab es bald wieder Jesuitenkollegien, im Wallis schon seit 1805.“14 Das von den Franzosen besetzte und ausgebaute Kollegium war mit dem Ende „des ,Département du Simplon‘ frei geworden und kurzerhand den Jesuiten zur Errichtung eines Gymnasiums angeboten worden. Wiederum lag die Initiative bei der Regierung, vor allem beim Landeshauptmann der provisorischen Regierung, Kaspar Eugen von Stockalper. Jesuiten selbst hatten sich keineswegs um Brig beworben. Mit dem Kolleg eröffneten sie auch ihr erstes Noviziat.“15 Außer in Brig konnten die Jesuiten in Sitten, Freiburg (1818) und neu in Schwyz (1836) Fuß fassen. Die beiden Walliser Kollegien Brig und Sitten gewährten zahlreichen Ordensmitgliedern Zuflucht, die aus ihren Ländern vertrieben worden waren, insbesondere nach der Vertreibung aus Russland (1820) und erneut nach der französischen Julirevolution von 1830.
IV. Von der Wiederherstellung bis zur staatlichen Vertreibung (1814 – 1847) Die These von der Staatsgefährlichkeit der Jesuiten wird erst in der revidierten Bundesverfassung von 1874 festgeschrieben, der die Vertreibung der Jesuiten 1847 vorausgegangen ist. Was hatte nach dem kirchlichen Neustart von 1814 sechzig Jahre später dazu geführt, dass die Mehrheit von Bürgern und Ständen dieser These von der Staatsgefährlichkeit der Jesuiten gefolgt ist? Nach dem Sturz Napoleons leitet der Wiener Kongress (1815) eine konservative Gegenrevolution ein, die Restauration (1815 – 1830). Diese schlägt sich für die Schweiz im Bundesvertrag von 1815 nieder. In der Folge bleibt zwar die Rechtsgleichheit der neuen Kantone bestehen, jedoch erhalten die alten Patriziergeschlechter wieder die Oberhand. Die zum Zeitpunkt der beginnenden Restauration wiederhergestellte Gesellschaft Jesu (1814) begegnet dem Widerstand der liberalen Kräfte, insbesondere demjenigen von weitgehend kirchenfeindlichen Radikalen. Letztere sahen in der wiederhergestellten Gesellschaft Jesu ein Symbol der Reaktion. 12
Pius VII. war der Nachfolger von Papst Clemens XIV., der die Aufhebung unterschrieben hatte. 13 1801 führte Pius VII. den Orden in Russland, 1804 in Neapel offiziell wieder ein. Die förmliche Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu für die ganze Kirche aber erfolgte erst in der Zeit der beginnenden Restauration, am 7. August 1814, durch die Bulle „Sollicitudo omnium Ecclesiarum“. 14 Strobel, Jesuitenfrage (Anm. 10), S. 38. 15 Ders., Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates, Olten 1954, S. 7.
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Die französische Juli-Revolution von 1830 führt in einer Reihe von Kantonen zum Umsturz der bisherigen Ordnung. Bern, Luzern, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell–AR, St. Gallen, Aargau, Thurgau und Waadt geben sich liberale Verfassungen. Während der Regenerationszeit (1830 – 1848) wird eine Auseinandersetzung um das Verfassungsverständnis mit teilweise revolutionären Mitteln ausgetragen. Dies dauert an, bis schließlich die regenerierten Kantone die Mehrheit haben. 1. Das liberal-radikale Kirchenprogramm Spannungen ergeben sich vor allem im Umgang mit der Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat. Sieben regenerierte Kantone (Bern, Luzern, Solothurn, St. Gallen, Aargau, Thurgau und Baselland; später auch Zürich) beschliessen 1834 in Baden die vierzehn so genannten „Badener Artikel“. Ein Kernanliegen ist die Oberaufsicht des Staates über die Kirche: das obrigkeitliche Plazet für alle kirchlichen Erlasse und Kreisschreiben der Bischöfe, die Oberaufsicht über Priesterseminare und die staatliche Prüfung der Geistlichen. Luzern, Thurgau und vor allem der Aargau übersetzten die Badener Artikel in eigene Kirchengesetze. Die Initianten dieser Badener Konferenz sind der Luzerner Schultheiss Edward Pfyffer, der St. Galler Landammann G.J. Baumgartner und der junge Aargauer Augustin Keller – alles liberale Katholiken. Doch keiner verfolgte diese Ziele so hartnäckig wie der Aargauer Augustin Keller. „Von den Badener Artikeln über den Aargauer Klostersturm, zur Vertreibung der Jesuiten und dann zum Kampf gegen Bischof Lachat bis zur Verfassungsreform von 1874 und zur Gründung der altkatholischen Kirche der Schweiz: durch mehr als 40 Jahre ist er der Bannerträger und Vorkämpfer radikaler Politik gegen die Kirche, die schärfste und erfolgreichste Verkörperung des liberalen Staatskirchentums.“16 Dieses Vorgehen der radikalen Kantone gegen die Rechte der katholischen Kirche verschärfte die Spannung und Spaltung in der Eidgenossenschaft. 2. Die konservative direkte Demokratie als Antwort Die radikale Kirchenpolitik einer kleinen Intellektuellengruppe wird jedoch von einer Mehrheit der Bevölkerung nicht mitgetragen. Die Konservativen beider Konfessionen bilden eine Bewegung für eine direkte Demokratie, die das Programm der Volkssouveränität im vollen Sinne des Wortes verwirklichen will. Dies zeigt sich zum Beispiel 1839 in Zürich bei der Berufung des umstrittenen Theologen David Friedrich Strauss an die evangelische Theologische Fakultät der Universität Zürich. In diesem Wissenschaftler erblicken weite Teile der Bevölkerung eine Gefährdung der Kirche. Der „Züriputsch“ des kirchlich und politisch konservativen Zürcher Landvolkes hat den Sturz der liberal-radikalen Regierung zur Folge. An ihre Stelle 16 Schweizerischer Katholischer Volksverein (Hrsg.), Wie kam es zu den konfessionellen Ausnahmebestimmungen der Bundesverfassung?, in: Die konfessionellen Ausnahmeartikel der Bundesverfassung, 3. Faszikel, Luzern 1954, S. 13.
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treten liberal-konservativ Gesinnte. Diese Rückeroberung eines radikal-liberalen Standes durch die Konservativen ermutigte auch andere Kantone. Der Luzerner konservativ-katholische Bauernführer Josef Leu verlangt ebenfalls nach einer direkten Beteiligung des mehrheitlich katholischen Volkes an der Regierung, das die radikale Kirchenpolitik nicht mittragen wollte. Er kämpft für die Freiheit der Kirche. Seine politische Methode ist die direkte Demokratie. Diese steht im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie der Radikalen, „die nach 1830 die alte Patrizierherrschaft mit einer neuen Politikeraristokratie abgelöst“17 hatten. Leu verlangt 1839 bei der Revision der Kantonsverfassung den Austritt Luzerns aus dem radikalen Sonderbund des Siebner Konkordates, die Aufhebung der Badener Artikel, den Abschluss eines Konkordates mit Rom sowie die Übergabe der höheren Lehranstalt in Luzern an die Jesuiten zur Garantierung der katholischen Erziehung. Am 31. Januar 1841, also im Monat des Aargauer Klostersturmes, spricht sich das Volk mit 17.541 Ja gegen 1.679 Nein und 4.224 Enthaltungen für die Revision der Luzerner Verfassung aus. Damit kann das Reformprogramm Josef Leus, die Verbindung von christlich-kirchlicher Geisteshaltung mit den Formen neuzeitlicher demokratischer Staatsorganisation, angegangen werden. Fragen des Staatskirchenrechts bzw. des Religionsverfassungsrechts sind ins Zentrum der Auseinandersetzung um eine neue Verfassung gerückt. 3. Die eidgenössische Jesuitenfrage a) Die Luzerner Jesuitenberufung (1844) Die Ordensleitung des Jesuitenordens wehrt sich mit allen Kräften gegen eine Berufung. Noch 1844 bittet der Ordensgeneral P. Roothaan dringend, von einer Berufung abzusehen, bis die Zeiten günstiger würden. Anfangs Mai schreibt P. Roothaan: Ich habe vernommen, dass die Luzerner „beim Heiligen Vater einen Versuch unternehmen wollen, damit er uns die Annahme befehle. Ich hoffe aber sehr, dass der Heilige Vater vorerst auch unsere Gründe anhören werde.“18 1844 kommt der Vertrag zwischen dem Kanton Luzern und der Gesellschaft Jesu unter massivem Druck zu Stande. Im vertraulichen Protokoll des Provinzkonsultes stehen dazu die vielsagenden Worte: „Consensus importunis precibus extorsus fuit – man hat unsere Zustimmung mit aufdringlichen Bitten erpresst.“19 Auf die Jesuitenberufung in Luzern antworten die Radikalen mit zwei Freischarenzügen. Sie organisieren in Presse und Volksversammlungen eine wilde Hetze gegen diesen Schulorden. Weil die Jesuiten an der katholisch-protestantischen Kontroverse der Gegenreformation auf katholischer Seite beteiligt waren, konnte man sie politisch leicht instrumentalisieren gegen die protestantischen Konservativen. Eine eigentliche Jesuitenfrage gibt es aber noch nicht. Sogar die liberalen Regierungen 17
Ebd., S. 19. Ebd., S. 23. 19 Ebd., S. 23 f. 18
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von Freiburg (seit 1831) und vom Wallis (seit 1839) pflegen ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihren Jesuiten. „Die liberale Walliser Regierung erklärte 1843, die Erziehung der Jesuiten tue den demokratischen Grundsätzen keinen Eintrag und von Einmischung in das staatspolitische Gebiet sei ,mit einigen Ausnahmen‘ nichts zu bemerken. Eine eidgenössische Jesuitenfrage entsteht erst durch den Kampf des Radikalismus gegen die Luzerner Jesuitenberufung“20, so die eine These. b) Die Walliser Wirren (1844) Pater Ferdinand Strobel SJ verneint, dass die eidgenössische Jesuitenfrage der Radikalen erst mit der Luzerner Berufung entstanden ist. Denn diese Luzerner Berufung dauerte viel zu lange. In diese Stagnation platzen die blutigen Walliser Ereignisse vom 21. Mai 1844. Seit der Aargauer Klosteraufhebung von 1841 erstarkt auch im Wallis die konservative Seite, die sich gegen die radikale Kirchenpolitik wendet. Mit zermürbendem Terror und nicht zuletzt durch offenen Aufstand soll diese Entwicklung verhindert werden. „La Jeune Suisse“ („Junge Schweiz“) ist militärisch straff organisiert. Der schweizerische Radikalismus ist sich des Sieges im Wallis absolut sicher, da die Regierung den aufständischen Radikalen nur wenig entgegenzustellen hat. Offener Bürgerkrieg bricht aus. Aber man rechnet nicht mit den Wallisern. Diese sind in überwiegender Mehrheit gegen die radikale Kirchenpolitik. Vor der organisierten Selbstwehr der Ober- und Unterwalliser kann nach einem blutigen Gefecht am Trientbach zwischen Martigny und St-Maurice die radikale „Junge Schweiz“ nur die Flucht ergreifen. Nach dieser Niederlage hat der geflüchtete Führer, der Walliser Radikale Maurice Barman21, eine Flugschrift verfasst, um alle Schuld am Walliser Bürgerkrieg den Konservativen zu geben. In dieser Flugschrift klagt er den Weltklerus und die beiden Klöster von St-Maurice und vom Grossen St. Bernhard an. Aber auffälliger Weise gibt er keine bzw. nur geringe Schuld an den Ereignissen den Jesuiten. Barmans Schrift wird von Ludwig Snell22, einem geistigen Führer der Radikalen, ins Deutsche übersetzt. Erst in dieser Übersetzung erscheint der Walliser Bürgerkrieg plötzlich „als eine ,Jesuitentat‘, als eine ,fürchterliche Jesuitenexplosion‘. Von alldem hatte Barman, der als langjähriger Staatsrat die Walliser Jesuiten gut genug kannte, nichts gewusst.“23 Snell zieht aus dieser Übersetzungs-„Erfindung“ sofort den Schluss: „Der Jesuitenorden kann nicht länger in der Schweiz geduldet werden.“24 Damit liegt für P. Strobel der Auslöser für die eidgenössische Jesuitenfrage im Kanton Wallis. Genauer bei dieser deutschen Übersetzung des französischen Textes des Wallisers Barman. Der Übersetzer Snell hält sich kurz darauf in Aarau (Kan20
Ebd., S. 19. Maurice Barman, La contrerévolution en Valais au mois du Mai 1844, Vevey 1844. 22 Ludwig Snell, Die Ereignisse im Kanton Wallis, Zürich 1844. 23 Strobel, Jesuitenfrage (Anm. 10), S. 46. 24 Ebd.
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ton Aargau) bei seinem Freund Augustin Keller auf. Am 29. Mai 1844 stellt Augustin Keller im Grossen Rat den Antrag, „dass der Jesuitenorden in der Schweiz von Bundes wegen aufgehoben und ausgewiesen werde“25. Die Geburtsstunde der eidgenössischen Jesuitenfrage steht also nicht im Zusammenhang mit der Luzerner Berufung, sondern im Zusammenhang mit den Walliser Maiwirren von 1844. Von einer Jesuitenschuld weiss der französische Originaltext von alt Staatsrat Barman nichts, wohl aber die deutsche Übersetzung von Snell. c) Die Tagsatzungen Am 19. August 1844 stellt Augustin Keller denselben Antrag in der ordentlichen Tagsatzung in Luzern. Einzig der Kanton Baselland folgt dem Aargauer Antrag. Nicht lange nach diesem Antrag beschliesst am 24. Oktober 1844 der Kanton Luzern die Berufung der Jesuiten an ihre theologische Bildungsanstalt. Die Jesuiten treffen im Sommer und Herbst 1845 in Luzern ein. Diese Jesuitenberufung wird von den Radikalen geschickt ausgenutzt, um die protestantisch-konservativen Kreise auf ihre Seite zu bringen. Besonnene Köpfe des schweizerischen Protestantismus wie Jeremias Gotthelf, Jakob Burckhardt und andere distanzieren sich von den überbordenden radikalen Angriffen auf die Jesuiten. Im Dezember 1844 und März 1845 kommt es zu den revolutionären Freischarenzügen gegen Luzern. Diese verlaufen zwar für die Radikalen unglücklich. Dennoch hat ihre fortdauernde Agitation zur „Folge, dass sich immer mehr auch rechtsliberale konservative Kreise der radikalen Kampffront gegen die Jesuiten anschlossen. In den Jahren 1845 und 1846 vergrösserte sich deshalb in der Tagsatzung die Zahl der Stände, die sich zugunsten des Aargauer Antrages aussprachen, ohne dass es jedoch zu einer Mehrheit reichte. Zu dieser verhalfen den Radikalen erst ihre Siege in Genf (Oktober 1846) und St. Gallen (Mai 1847). Am 3. September 1847 kam der entscheidende Beschluss der Tagsatzung zustande, der zwölf ganze und zwei halbe Standesstimmen auf sich vereinigte. Er lautete wie folgt: (1) „Die Jesuitenangelegenheit ist von Bundes wegen zu behandeln. (2) Die Stände Luzern Schwyz Freiburg und Wallis werden demgemäss eingeladen, die Jesuiten aus ihrem Gebiet zu entfernen. (3) Jede künftige Aufnahme des Jesuitenordens in irgendeinem Kanton der Eidgenossenschaft ist von Bundes wegen untersagt.“26 Die beiden radikalen Freischarenzüge gegen das katholische Luzern (Dezember 1844 und März 1845) werden mit einem Schutzbündnis der mehrheitlich katholischen Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Freiburg und Wallis am 25 Augustin Kellers Rede in: Verhandlungsbereitblätter des Grossen Rates des Kantons Aargau, 1844, S. 236 f. 26 Bundesrat, Botschaft (Anm. 9), S. 29.
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11. Dezember 1845 beantwortet. Dieses Schutzbündnis wird jedoch von der Tagsatzung am 20. Juli 1847 als Sonderbund bezeichnet und militärisch aufgelöst. Am 16. August 1847 wird der Bundesvertrag von 1815 durch eine bundesstaatlich konzipierte Verfassung ersetzt. Die Verfassungskommission für die neue Bundesverfassung befasst sich mehrmals mit der Frage, ob es zweckmässig sei, ein Jesuitenverbot in der kommenden Bundesverfassung zu verankern. Von radikaler Seite, insbesondere von den Vertretern Berns und jetzt auch Luzerns, wird eine entsprechende Bestimmung befürwortet, während die gemässigten Liberalen, vor allem der Abgeordnete Solothurns, eine solche nicht als sehr notwendig erachten. Der Verfassungsentwurf enthält keine auf den Jesuitenorden bezugnehmende Bestimmung. Die Aufnahme eines Jesuitenartikels erfolgt durch die Tagsatzung vom 15. Mai 1848, die zur Beratung des Kommissionsentwurfs zusammengetreten ist. Vertreter von Ob- und Nidwalden, unterstützt durch Uri und Schwyz, bekämpfen den Zürcher Antrag der Aufnahme des Jesuitenverbots in die Bundesverfassung. In der Abstimmung sprachen sich 16 Kantone für den Zürcher Antrag aus. Damit fand das Jesuitenverbot in der Bundesverfassung vom 12. September 1848 Aufnahme. Art. 58 BV 1848 lautet wie folgt: „Der Orden der Jesuiten und die ihm affiliierten Gesellschaften dürfen in keinem Teile der Schweiz Aufnahme finden.“
Die Einführung der neuen Bundesverfassung durch Mehrheitsbeschluss der Tagsatzung vom 12. September 1848 ist formaljuristisch zu beanstanden. „Da die bisherige Verfassung des Staatenbundes nur auf dem übereinstimmenden Vertragswillen sämtlicher Kantone beruhte, so wäre rechtlich für eine Abänderung des Bundesvertrages [von 1815] die Zustimmung aller Kantone notwendig gewesen.“27 Kein Kanton ist rechtlich verpflichtet gewesen, die Minderung seiner Souveränitätsrechte durch bloßen Beschluss einer Tagsatzungsmehrheit anzuerkennen. Der formalrechtlich berechtigte Widerstand der katholischen, revisionsfeindlichen Kantone gegen die neue Bundesverfassung von 1848 wird in der Folgezeit stillschweigend fallen gelassen.28 Das Jesuitenverbot ist von den unterlegenen katholischen Kantonen als harte „Friedensbedingung“ der Sieger zu tragen, ohne es deswegen billigen zu können.
V. Die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 Die eigentliche Verschärfung des Jesuitenartikels mit dem Begriff „staatsgefährlich“ und die Aufnahme des Klosterartikels erfolgen erst durch die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874. Anlass der Totalrevision waren die Umgestaltung einer Reihe kantonaler Verfassungen im Sinne eines Übergangs von der repräsentativen zur direkten Demokratie, sowie eine Stärkung des Bundes. Für die Neufassung 27 28
Ulrich Lampert, Das Schweizerische Bundesstaatsrecht, Zürich 1918, S. 8. Ebd.
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des Jesuitenartikels sowie die zusätzliche Aufnahme des Klosterartikels trug der so genannte Kulturkampf bei. Der moderne Bundesstaat von 1848 und die römisch-katholische Kirche beantworteten die staatskirchenrechtliche Frage nach dem richtigen Verhältnis von Staat und Kirche verschieden. Der „Syllabus“29 von Papst Pius IX. (1864) und das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes des Ersten Vatikanischen Konzils30 (1870) rufen in nichtkatholischen Kreisen, aber auch bei Katholiken heftige Reaktionen hervor, die unter anderem zur Gründung der Altkatholischen Kirche31 führen. Syllabus und Unfehlbarkeitsdogma werden als schroffer Gegensatz zum freiheitlichen nationalstaatlichen Denken der Zeit verstanden. In dieser Zeit, in der die gegensätzlichen Vorstellungen des Verhältnisses von Kirche und Staat aufeinanderprallen, tritt die revidierte Bundesverfassung am 29. Mai 1874 in Kraft. 32 Sie enthält in Art. 51 ein gegenüber dem Art. 58 der Verfassung von 1848 verschärftes Jesuitenverbot. Dieser neue Art. 51 lautet wie folgt: „1 Der Orden der Jesuiten und die ihm affiliierten Gesellschaften dürfen in keinem Teile der Schweiz Aufnahme finden.33 Und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt.
29 Der päpstliche Syllabus verurteilt 80 Irrtümer der modernen Zeit. Er richtet sich u. a. gegen die Ideen der Aufklärung und gegen das nationalstaatliche Denken. 30 „Die päpstlichen Gesetzbücher [CIC und CCEO] rezipieren im Rahmen eines hierarchologischen Kirchenverständnisses die vom II. Vatikanum bekräftigte Unfehlbarkeitslehre des I. Vatikanums. Beide Codices stellen vor allem auf die Unfehlbarkeit in docendo, nicht aber auf eine grundlegende Unfehlbarkeit des Gottesvolkes in credendo ab. […] Als Gegenstand des Lehramts wird in gleicher Weise der Bereich des Glaubens wie der Bereich der Sitte verstanden (c. 747/CIC bzw. c. 595 CCEO).“ Norbert Lüdecke, Die Grundnormen des katholischen Lehrerechts in den päpstlichen Gesetzbüchern und neueren Äusserungen in päpstlicher Autorität (= Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, Bd. 28), Würzburg 1997, S. 534 – 535. 31 Urs von Arx, Ein ,Petrusamt‘ in der Communio der Kirchen. Erwägungen aus altkatholischer Perspektive, in: Internationale Kirchliche Zeitschrift 93 (2003), Heft 1, S. 1 – 42. 32 Der erste Verfassungsentwurf wird in der Volksabstimmung vom 12. Mai 1872 knapp verworfen. Der zweite Revisionsentwurf vom 31. Januar 1874 trägt den Bedenken der Föderalisten vermehrt Rechnung und führt damit zum Erfolg in der zweiten Volksabstimmung vom 19. April 1874. 33 Der kursiv gedruckte Text ist der bisherige Verfassungstext des Art. 58 der Verfassung von 1848. „Als affiliiert galten – bei stark divergierenden Meinungen der Staatsrechtler – Orden und Kongregationen, bei deren Gründung oder an deren (administrativen oder geistlichen) Leitung Jesuiten beteiligt sind. Von 1877 bis 1899 fielen in der Sicht des Bundesrates die Redemptoristen unter diese Kategorie. […] Was eine ,Ordensniederlassung‘ ist, wurde nicht nach katholischem Kirchenrecht, sondern nach staatlichem Recht festgelegt. Sie ist gegeben, ,wenn sich eine Mehrzahl von Ordensleuten zur Verfolgung ihres Ordenszweckes an einem gemeinsamen Ort niederlassen, gleichgültig in welcher Rechtsform dies geschieht‘. Den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft Jesu und der affiliierten Gesellschaften verbot Art. 51 die Niederlassung nicht. Hingegen verunmöglichte er ihnen jede Wirksamkeit in Kirche und Schule.“ Josef Bruhin, Vatikanische Konzile (Anm. 1), S. 69.
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Dieses Verbot kann durch Bundesbeschluss auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgefährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört.“
Wegen der engen Bindung des Jesuitenordens an den Papst werden aufgrund des Kulturkampfes Mitglieder „des Jesuitenordens in Kirche und Staat als eine Gefahr für die staatliche Rechtsordnung angesehen“34. Der bisherige Jesuitenartikel wird deshalb durch die Hinzufügung eines zweiten Absatzes erweitert. Dieser will das Verbot der Gesellschaft Jesu auch auf andere geistliche Orden ausdehnen, die staatsgefährlich sind oder den Frieden der Konfessionen stören. Diese Bestimmung impliziert, „dass auch der Jesuitenorden selbst staatsgefährlich ist und den religiösen Frieden stört. […] In den Verhandlungen [der eidgenössischen Räte] herrschte die Meinung vor, es müsse verunmöglicht werden, dass sich der Einfluss der Jesuiten auf dem Wege über andere Orden in der Schweiz geltend machen könne.“35
VI. Beurteilung aus heutiger Sicht und Ausblick Auf die staatlichen und kirchlichen Verbote im 18. Jahrhundert, die Jesuiten betreffend,36 folgte eine staatliche Verbotsreihe im 19. Jahrhundert. „In Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland sowie in den Staaten Süd- und Mittelamerikas wechselten Perioden des Verbots mit solchen der Duldung und der vollen Zulassung des Ordens ab.“37 In der Schweiz kam das Verbot des Jesuitenordens nach dem Sonderbundskrieg von 1847 in die Schweizer Bundesverfassung von 1848. Nach dem Kulturkampf zwischen dem demokratischen Staat und der katholischen Kirche des Ersten Vatikanums (1870) wurde bei der Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 das Jesuitenverbot noch verschärft. „Die Geschichtsschreibung ist sich heute darüber einig, dass nicht in erster Linie konfessionelle Gegensätze zur Aufnahme des Jesuiten- und später auch des Kloster34
Bundesrat, Botschaft (Anm. 9), S. 31. Ebd., S. 32. 36 Das Aufklärungsdenken hatte vor allem in den romanischen Ländern eine ausgeprägt kirchen- und klerusfeindliche Tendenz. Dieser antikirchliche Affekt richtete sich in besonderer Weise gegen die Jesuiten. Portugal verbot 1759 den Orden im Mutterland und allen Kolonialgebieten. Frankreich folgte dem Beispiel. Ein Urteil des ,Parlement de Paris‘ vom 6. August 1762 bezeichnete die Tätigkeit der Jesuiten als moralisch schlecht und als eine Gefahr für Kirche und Staat in Frankreich. Ludwig XV. löste am 1. Dezember 1764 in Bestätigung der Parlamentsbeschlüsse den Orden für das ganze Mutterland und alle Kolonien auf. In Spanien wurden die Jesuiten des Hochverrats bezichtigt. König Karl III. erließ am 27. Februar 1767 ein Gesetz, das die Verbannung aller Ordensmitglieder anordnete. Auf dem Gebiet des heutigen Italien wies das Königreich Neapel 1767 die Jesuiten aus. Parma folgte 1768 dem Drängen Karls III. mit einer gleichen Massnahme. Bundesrat, Botschaft (Anm. 9), S. 14 f. Die härteste Prüfung aber war die von Clemens XIV. verfügte Aufhebung der Gesellschaft Jesu durch das Breve „Dominus ac Redemptor noster“ vom 21. Juli 1773, das durch staatlichen Druck beeinflusst war. 37 Bundesrat, Botschaft (Anm. 9), S. 16. 35
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artikels geführt haben.“38 Die konfessionellen Ausnahmeartikel der Bundesverfassung stellen vielmehr die Folge eines politischen Ringens zur Zeit der Regeneration (1830 – 1848) dar, das zwischen einem politisch und kulturell revolutionären Radikalismus (Linksliberalismus) einerseits und einem beharrenden Konservatismus andererseits ausgetragen wurde, wobei die konfessionellen Fronten lange quer durch die Parteien verliefen. Im Sinne der Französischen Revolution wollten die Radikalen einen revolutionären Umsturz im Gegensatz zu den gemäßigten Liberalen und den konservativen Katholiken und Protestanten.39 Die Radikalen nahmen den Bruch des Bundesvertrages von 1815 in Kauf und wurden so zu Vorkämpfern eines Zusammenschlusses der Kantone in einem Bundesstaat, der seine Verwirklichung in der Verfassung von 1848 erhielt. Dazu benötigten sie aber auch die Stimmen der konservativen Protestanten in der Tagsatzung. Deshalb, so die These Ferdinand Strobels, bauschten die Radikalen die eidgenössische Jesuitenfrage auf, um die liberalen und konservativ-protestantischen Stimmen hinter sich zu vereinen.40 Die katholische Kirche und der Liberalismus in seiner radikalen Form standen sich ideologisch gegenüber. „Auf die Jesuiten schlug man, die Kirche jedoch meinte man“41, sagt der Historiker Edgar Bonjour zu diesen Vorgängen. Im Jesuitenorden erblickten die Radikalen die Exponenten der kirchentreuen Lehre. Die katholische Kirche antwortete auf den kulturkämpferischen Liberalismus der Verfassungen des 19. Jahrhunderts mit dem Weg ins so genannte katholische Ghetto, das das katholische Kirchenvolk vom Liberalismus und den Grundhaltungen der Aufklärung fernhalten sollte. Es kam zu einer Neuorganisation der Seelsorge, einer grundlegenden Reform der Priesterausbildung und deren Bindung an die neuscholastische Philosophie. Die päpstliche Lehrverkündigung verurteilte einerseits die Irrtümer des liberal-aufklärerischen Zeitgeistes (Enzyklika „Mirari vos“ von 1831; Syllabus von 1864). Andererseits entwickelte sie ein Gebäude eigener sozialer und politischer Ordnungsideen, die vielfach an vorrevolutionäre und vorindustrielle Ordnungsbilder anknüpfte.42 Dieses geschlossene Weltbild dauerte bis in die Tage des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 65). „Umso unvermittelter kam dann freilich der Einbruch der Aufklärungsideen in diese ,geschlossene‘ katholische Bewusstseins- und Lebenswelt. […] Man kann die These wagen, dass die Nichtbewältigung dieses Einbruchs einen wesentlichen Teil der heutigen Krise der katholischen Kirche 38
Ebd., S. 25. Anders als in Deutschland konnten sich in der Schweiz die Radikalen durchsetzen. Vgl. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, 1. Bd., München 42002, S. 79 – 130. 40 Vgl. Strobel, Jesuitenfrage (Anm. 10); ders., Jesuiten (Anm. 15). 41 Volksverein, Ausnahmebestimmungen (Anm. 16), S. 24 f. 42 Vgl. Ernst Wolfgang Böckenförde, Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt (Meinem Freund Robert Spaemann zum 50. Geburtstag am 5. 5. 1977), in: ders., Religionsfreiheit. Die Kirche in der modernen Welt, Freiburg im Breisgau 1990, S. 73 – 102, hier S. 95. 39
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ausmacht.“43 Von grösster Bedeutung ist die Anerkennung der Religionsfreiheit als äußeres Recht, das die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit zugelassen hat. „Mit dieser Anerkennung […] wurde nicht nur der Schritt vom Recht der Wahrheit zum Recht der Person getan; es wurden auch die Erwartungen an den Staat bezüglich seines Verhältnisses zu Religion wesentlich verändert.“44 Was vordergründig als Übergang von der Neuscholastik zur personalistischen Philosophie bezeichnet wird, das ist auch als „fundamentalster Paradigmenwechsel des gesamten Katholizismus gewertet“45 worden. Religiöse Wahrheit kann nicht mehr unabhängig von Freiheit institutionell gedacht werden. Dies garantieren der moderne Rechtsstaat und die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils mit der Religionsfreiheit. Der politische Katholizismus findet seinen sichtbaren Ausdruck schon in dem 1891 erfolgten Eintritt des ersten Vertreters der Katholisch-Konservativen Partei in den Bundesrat, die damit ihre Opposition gegen den Bundesstaat von 1848 aufgibt und sich zur Mitarbeit auf den Grundlagen der Verfassung von 1874 bereit erklärt. Die Erfahrung des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus verlangt nach einer staatlichen Rechtsgrundlage, die alle Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen anerkennen können.46 Gläubige verschiedener Religionen in einer pluralistischen Gesellschaft müssen „sich auf die Prämissen des Verfassungsstaates einlassen, die sich aus einer profanen Moral begründen. Ohne diesen Reflexionsschub entfalten die Monotheismen in rücksichtslos modernisierten Gesellschaften ein destruktives Potenzial. Das Wort ,Reflexionsschub‘ legt freilich die falsche Vorstellung eines einseitig vollzogenen und abgeschlossenen Prozesses nahe. Tatsächlich findet diese reflexive Arbeit bei jedem neu aufbrechenden Konflikt auf den Umschlageplätzen der demokratischen Öffentlichkeit eine Fortsetzung“47, so Jürgen Habermas. Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Josef Kardinal Ratzinger, hält anlässlich eines Vortrags und Gesprächsabends in der katholischen Akademie in München (am 19. Januar 2004) Folgendes fest: „Hinsichtlich der praktischen Konsequenzen finde ich mich in weitgehender Übereinstimmung mit dem, was Jürgen Habermas über eine postsäkulare Gesellschaft, über die Lernbereitschaft und die Selbstbegrenzung nach beiden Seiten hin ausgeführt hat.“48 43
Ebd., S. 96. Ernst Wolfgang Böckenförde, Staat – Gesellschaft – Kirche, in: Ders., Religionsfreiheit (Anm. 42), S. 113 – 211, hier S. 134. 45 Heinrich Schmidinger, Von der Substanz zur Person, in: Theologisch-praktische Quartalschrift 142 (1994), S. 383 – 394, hier S. 383. 46 Vgl. Adrian Loretan, Vorwort, in: Religionen im Kontext der Menschenrechte. Religionsrechtliche Studien, 1. Bd., Zürich 2010, S. 13 – 16, hier S. 13. 47 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt a. M. 2002, S. 7 – 31, hier S. 14; ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005. 48 Josef Kardinal Ratzinger, Was die Welt zusammenhält. Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates, in: ders., Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg i. Br. 2005, S. 28 – 40, hier S. 38. 44
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Seine eigene Sicht fasst der Kardinal in zwei Thesen zusammen: (1) Es gibt Pathologien in der Religion, „die es nötig machen, das göttliche Licht der Vernunft sozusagen als ein Kontrollorgan anzusehen, von dem her sich Religion immer wieder neu reinigen und ordnen lassen muss, was übrigens auch die Vorstellung der Kirchenväter war“49. (2) Es gibt auch Pathologien der Vernunft, „eine Hybris der Vernunft, die nicht minder gefährlich […] ist: Atombombe, Mensch als Produkt“50. Es geht dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation nicht „um eine ,Rückkehr zum Glauben‘, sondern darum, ,dass man sich von der epochalen Verblendung befreit, er (d. h. der Glaube) habe dem heutigen Menschen deswegen nichts mehr zu sagen, weil er seiner humanistischen Idee von Vernunft, Aufklärung und Freiheit widerspreche‘. Ich würde demgemäss von einer notwendigen Korrelation von Vernunft und Glaube, Vernunft und Religion sprechen, […] die sich gegenseitig brauchen und das gegenseitig anerkennen müssen.“51 Sein säkularer Gesprächspartner, Jürgen Habermas, formuliert dies in der NZZ 2012 wie folgt: „Daher muss der liberale Staat den säkularen Bürgern nicht nur zumuten, religiöse Mitbürger, die ihnen in der politischen Öffentlichkeit begegnen, als Personen ernst zu nehmen. Er darf von ihnen sogar erwarten, dass sie nicht ausschliessen, in den artikulierten Inhalten religiöser Stellungnahmen und Äusserungen gegebenenfalls eigene verdrängte Intuitionen wiederzuerkennen – also potentielle Wahrheitsgehalte.“52
Mit diesem gelingenden Dialog zwischen Theologie und Moderne, zwischen Ratzinger und Habermas, zwischen Kirche und liberalem Rechtsstaat, möchte ich meine Ausführungen bezüglich der „Staatsgefährlichkeit“ der Jesuiten schließen und mir nur noch folgende Bemerkung erlauben: Das Gewaltpotenzial einer pluralen Gesellschaft kann bei den Religionen liegen. Es kann aber auch, wie im vorliegenden Fall, bei den radikalen Säkularen gesucht werden, die die gemeinsame Rechtsordnung (Bundesvertrag von 1815) nicht mehr anerkennen.
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Ebd. Ebd., S. 39. 51 Ebd. Besser kann man kaum formulieren, was die Aufgabe heutiger Theologie ist. 52 Jürgen Habermas, Wie viel Religion verträgt der liberale Staat?, in: NZZ vom 4. August 2012, Nr. 179, S. 63 – 64, hier S. 64. 50
Bibliographie Helmuth Pree* I. Monographien 1. Die evolutive Interpretation der Rechtsnorm im kanonischen Recht (= Linzer Universitätsschriften. Monographien 6), Wien/New York 1980, 266 Seiten. 2. Die Rechtsnorm und ihre Anwendung in der Kanonistik der Periode von Gratian bis Thomas von Aquin, Rom 1981, IX + 87 Seiten. 3. Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft), Wien/New York 1983, XVIII + 301 Seiten (zusammen mit Hans Heimerl). 4. Österreichisches Staatskirchenrecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft), Wien/New York 1984, XII + 152 Seiten. 5. Einführung in die Rechtswissenschaft II. Österreichisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft), Wien/New York 1986, XVI + 221 Seiten. 6. Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, 944 Seiten (zusammen mit Hans Heimerl, unter Mitwirkung von Bruno Primetshofer). 7. Die St. Barbara-Gottesackerstiftung in Linz. Ihre rechtsgeschichtliche Entwicklung (= Neues Archiv für die Geschichte der Diözese Linz. Beiheft 8), Linz 2000, 65 Seiten. 8. Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Eine praktische Handreichung, Wien/New York 2007, 253 Seiten (zusammen mit Bruno Primetshofer). – Vgl. Nr. I.9 dieser Bibliographie. 9. Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Eine Handreichung für die Praxis, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Wien/New York 2010, 224 Seiten (zusammen mit Bruno Primetshofer). – Vgl. Nr. I.8 dieser Bibliographie. 10. Fernunterricht-Lehrbrief: Aufbaukurs-Lehrbrief 19 „Kirchenrecht“, Theologie im Fernkurs, Kath. Akademie Domschule, Würzburg 2013, 92 Seiten.
II. Kommentare 1. Cann. 96 – 128 CIC (Physische und juristische Personen, Rechtshandlungen), in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der * Stand: 3. Mai 2015. – Verwendete Siglen folgen dem Abkürzungsverzeichnis in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Zweite, grundlegend neubearbeitete Aufl. Hrsg. v. Joseph Listl/Heribert Schmitz, Regensburg 1999, S. XXIII–LII.
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Bibliographie Helmuth Pree
Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hrsg. v. Klaus Lüdicke, Essen 1984 ff. (Loseblattwerk). 2. Segreteria di Stato. Quinto Accordo Addizionale fra la Santa Sede e la Repubblica Austriaca alla Convenzione fra la Santa Sede e la Repubblica Austriaca per il Regolamento di Rapporti Patrimoniali del 23 giugno 1960, 21 dicembre 1995 (BGBl 609/1996), in: Ius Ecclesiae 10 (1997), S. 801 – 805.
III. Beiträge in Handbüchern und Sammelbänden 1. Die Zwecke des kanonischen Rechts im Lichte der Abgrenzung von Recht und Moral, in: Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik. Festschrift Hermann Eichler zum 70. Geburtstag am 10. Oktober 1977 dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern. Hrsg. v. Ursula Flossmann (= Linzer Universitätsschriften. Festschriften 1), Wien/New York 1977, S. 465 – 482. 2. Die Ausübung der Leitungsvollmacht, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. v. Joseph Listl/Hubert Müller/Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 131 – 141. – Vgl. Nr. III.17 und III.61 dieser Bibliographie. 3. Kirchenrektor und Seelsorger für besondere Gemeinschaften, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. v. Joseph Listl/Hubert Müller/Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 433 – 436. – Vgl. Nr. III.18 und III.65 dieser Bibliographie. 4. Gibt es ein dogmatisches Prinzip des österreichischen Staatskirchenrechts?, in: Im Dienst von Kirche und Staat. In memoriam Carl Holböck. Hrsg. v. Franz Pototschnig/Alfred Rinnerthaler (= Kirche und Recht 17), Wien 1985, S. 577 – 600. 5. Fragen des Vermögensrechts von Ordenspersonen und Weltpriestern, in: Ecclesia peregrinans. Josef Lenzenweger zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Karl Amon/Bruno Primetshofer/Karl Rehberger/Gerhard Winkler/Rudolf Zinnhobler, Wien 1986, S. 391 – 403. 6. Das Recht im Selbstvollzug der Kirche: Der Codex Iuris Canonici (CIC) 1983, in: Religion und sozialer Wandel. Hrsg. v. Hugo Bogensberger/Thomas M. Gannon/Klaus Zapotoczky, Linz/Passau 1986, S. 140 – 177. 7. Die Stellung des kirchlichen Laiendienstnehmers im CIC/1983, in: Recht im Dienste des Menschen. Eine Festgabe. Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder, Graz/Wien/Köln 1986, S. 467 – 478. 8. Die Meinungsäußerungsfreiheit als Grundrecht des Christen, in: Recht als Heilsdienst. Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden, Kollegen und Schülern. Hrsg. v. Winfried Schulz, Paderborn 1989, S. 42 – 85. 9. Priester ohne Amt. Probleme um die amissio status clericalis und ihre kirchenrechtlichen Rechtsfolgen, in: Scientia canonum. Festgabe für Franz Pototschnig zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler, München 1991, S. 233 – 273. – Vgl. Nr. IV.19 dieser Bibliographie. 10. Die Rechtsstellung des advocatus und des procurator im kanonischen Prozeßrecht, in: Iuri canonico promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Winfried Aymans/Karl-Theodor Geringer, Regensburg 1994, S. 303 – 339.
Bibliographie Helmuth Pree
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11. „Unio Irregularis“ – Der Sakramentenempfang von Geschiedenen, geschiedenen Wiederverheirateten, ehelos Zusammenlebenden und nur zivil verehelichten Katholiken nach kanonischem Recht, in: Neue Positionen des Kirchenrechts. Hrsg. v. Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter A. Binder, Graz 1994, S. 119 – 152. – Wiederabdruck von Nr. IV.20 dieser Bibliographie. 12. Zur Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit des Ius Divinum, in: Theologia et Jus Canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres. Hrsg. v. Heinrich J. F. Reinhardt, Essen 1995, S. 111 – 135. 13. Die Gemeinde als Trägerin der Liturgie in kanonistischer Sicht, in: Liturgia semper reformanda. Für Karl Schlemmer. Hrsg. v. Anselm Bilgri/Bernhard Kirchgessner, Freiburg/ Basel/Wien 1997, S. 12 – 33. 14. The Divine and the Human of the Ius Divinum, in: In diversitate unitas. Monsignor W. Onclin Chair 1997. Hrsg. v. Katholieke Universiteit Leuven. Faculteit Kerkelijk Recht, Leuven 1997, S. 23 – 41. 15. Consilium pastorale paroeciale: Anmerkungen zur Struktur pfarrlicher Mitverantwortung, in: Iustitia et modestia. Festschrift für Hubert Socha zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Hrsg. v. Peter Boekholt/Ilona Riedel-Spangenberger, München 1998, S. 75 – 101. 16. Pfarrei ohne Pfarrer – Leitung und Recht auf Eucharistie?, in: Sborník Katolické teologické fakulty. Vydany´ V Roce 650. Vy´rocˇí Zalozˇení Univerzity Karlovy, Praha 1998, S. 196 – 209. – Wiederabdruck von Nr. IV.25 dieser Bibliographie. 17. Die Ausübung der Leitungsvollmacht, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. v. Joseph Listl/Heribert Schmitz, Regensburg 21999, S. 156 – 175. – Vgl. Nr. III.2 und III.61 dieser Bibliographie. 18. Kirchenrektor und Seelsorger für besondere Gemeinschaften, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. v. Joseph Listl/Heribert Schmitz, Regensburg 21999, S. 539 – 544. – Vgl. Nr. III.3 und III.65 dieser Bibliographie. 19. Grundfragen kirchlichen Vermögensrechts, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. v. Joseph Listl/Heribert Schmitz, Regensburg 21999, S. 1041 – 1068. – Vgl. Nr. III.62 dieser Bibliographie. 20. Wurde das Rechtsinstitut der praesumptio iuris et de iure mit dem CIC/1983 aus dem geltenden Rechtsbestand eliminiert?, in: Winfried Schulz in memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskirchenrecht. Hrsg. v. Cesare Mirabelli/Giorgio Feliciani/Carl Gerold Fürst/Helmuth Pree (= AIC 8), Frankfurt a.M. u. a. 1999, S. 641 – 660. 21. Forum externum und forum internum. Zu Sinn und Tragweite einer Unterscheidung, in: Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Hrsg. v. Stephan Haering/Josef Kandler/ Raimund Sagmeister (= Schriftenreihe des Erzbischof-Rohracher-Studienfonds 5), Frankfurt a.M. u. a. 1999, S. 497 – 512. 22. Universales und partikulares Recht – die Mehrstufigkeit im kirchlichen Rechtssystem. Erster Diskussionsbeitrag, in: Universales und partikulares Recht in der Kirche. Konkurrierende oder integrierende Faktoren? Hrsg. v. Peter Krämer/Sabine Demel/Libero Gerosa/Ludger Müller, Paderborn 1999, S. 71 – 89.
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Bibliographie Helmuth Pree
23. Reichnisse – ein sterbendes Rechtsinstitut?, in: Dem Staate was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Josef Isensee/ Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 33), Berlin 1999, S. 623 – 643. 24. Kirche und Staat am Beginn des 3. Jahrtausends: Kanonistische Schlaglichter, in: Zum Aufbruch ermutigt. Kirche und Theologie in einer sich wandelnden Zeit. Für Franz Xaver Eder. Hrsg. v. Peter Fonk/Karl Schlemmer/Ludger Schwienhorst-Schönberger, Freiburg/Basel/ Wien 2000, S. 266 – 290. 25. Der Ehekonsens, in: El matrimonio y su expresiòn canónica ante el III milenio. X Congreso Internacional De Derecho Canónico. Hrsg. v. Pedro-Juan Viladrich/Javier Escrivá-Ivars/ Juan Ignacio Bañares/Jorge Mira, Pamplona 2000, S. 383 – 409. 26. Esercizio della potestà e diritti dei fedeli, in: I principi per la revisione del Codice di Diritto Canonico. La ricezione giuridica del Concilio Vaticano II. Hrsg. v. Javier Canosa, Mailand 2000, S. 305 – 346. – Wiederabdruck von Nr. IV.34 dieser Bibliographie. 27. Der Stellenwert der Tradition im kanonischen Recht. Die Auslegungsregel des c. 6 § 2 CIC/ 1983, in: Plenitudo legis dilectio. Ksie˛ga pamia˛tkowa dedykowana prof. dr. hab. Bronisławowi W. Zubertowi OFM z okazji 65. rocznicy urodzin [FS für Bronisław W. Zubert]. Hrsg. v. Antoni Debin´ski/Elzbieta Szczot, Lublin 2000, S. 543 – 570. – Erweitere deutschsprachige Fassung von Nr. IV.24 dieser Bibliographie. 28. Zur Frage nach dem Proprium kirchlicher Einrichtungen: Eine kanonistische Perspektive, in: Das Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Hrsg. v. Heiner Marré/Dieter Schümmelfelder/Burkhard Kämper (= EssGespr. 34), Münster 2000, S. 47 – 76. 29. Confoederatio consociationum, in: Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag. Hrsg. v. Wilhelm Rees/Konrad Breitsching (= KStuT 46), Berlin 2001, S. 175 – 189. 30. Der Exorzismus im geltenden kanonischen Recht, in: Communio in Ecclesiae mysterio. Festschrift für Winfried Aymans zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz, St. Ottilien 2001, S. 417 – 438. 31. Das kirchenrechtliche Kernprofil des hierarchischen Amtes, in: Mehr als nur Nichtkleriker: Laien in der katholischen Kirche. Hrsg. v. Sabine Demel (= Themen der Katholischen Akademie in Bayern), Regensburg 2001, S. 57 – 91. – Vgl. Nr. VI.8 dieser Bibliographie. 32. Die Koalitionsfreiheit im kirchlichen Dienst kanonistisch betrachtet, in: Iudicare inter fideles. Festschrift für Karl-Theodor Geringer zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Winfried Aymans/ Stephan Haering/Heribert Schmitz, St. Ottilien 2002, S. 319 – 349. 33. Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung, in: Territorialità e personalità nel Diritto Canonico ed Ecclesiastico. Il Diritto Canonico di fronte al terzo millennio. Atti dell’ XI Congresso Internazionale di Diritto Canonico e del XV Congresso Internazionale della Società per il Diritto delle Chiese Orientali (Budapest, 2 – 7 Settembre 2001). Hrsg. v. Péter Erdo˝ /Péter Szabó, Budapest 2002, S. 515 – 544. – Wiederabdruck von Nr. IV.37 dieser Bibliographie.
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34. Demokratie in der Kirche – Methodische Überlegungen, in: Die Kirche von morgen. Kirchlicher Strukturwandel aus kanonistischer Perspektive [FS für Klaus Lüdicke]. Hrsg. v. Reinhild Ahlers/Beatrix Laukemper-Isermann/Rosel Oehmen-Vieregge, Essen 2003, S. 5 – 16. 35. Kirchliche Sendung und weltliches Mandat. Zur Rechtsstellung geistlicher Personen in der zivilen Sphäre, in: Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag. Hrsg. v. Heinrich de Wall/Michael Germann, Tübingen 2003, S. 371 – 385. 36. Der Grundlagenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel (1993) im Kontext der neueren Konkordate, in: Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Stefan Muckel (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 42), Berlin 2003, S. 639 – 651. 37. Die Caritas im CIC und im CCEO, in: Ius Canonicum in Oriente et Occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Hartmut Zapp/Andreas Weiß/Stefan Korta (= AIC 25), Frankfurt a.M. 2003, S. 117 – 133. 38. Aufsicht über kirchliche Stiftungen, in: Flexibilitas Iuris Canonici. Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Andreas Weiß/Stefan Ihli (= AIC 28), Frankfurt a.M. u. a. 2003, S. 421 – 437. 39. Kommunikation und Meinungsäußerungsfreiheit – Eine kanonistische Problemskizze, in: Wissenschaft um der Menschen willen. Festschrift für Klaus Zapotoczky zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Christian Pracher/Herbert Strunz, Berlin 2003, S. 479 – 491. 40. Bonifaz VIII. (1294 – 1303) als kirchlicher Gesetzgeber, in: Recht – Bürge der Freiheit. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 80. Geburtstag. Hrsg. v. Konrad Breitsching/Wilhelm Rees (= KStuT 51), Berlin 2006, S. 453 – 479. 41. Verantwortete Elternschaft und Ausschluss der Nachkommenschaft. Thesen und Anfragen, in: Salus animarum suprema lex. Festschrift für Offizial Max Hopfner zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Ulrich Kaiser/Ronny Raith/Peter Stockmann (= AIC 38), Frankfurt a.M. u. a. 2006, S. 325 – 335. 42. La responsabilità giuridica dell’amministrazione ecclesiastica, in: La giustizia nell’attività amministrativa della chiesa. Il contenzioso amministrativo. Hrsg. v. Eduardo Baura (= Pontificia Università della Santa Croce. Monografie giuridiche 31), Mailand 2006, S. 59 – 97. 43. Kirchenrecht in der Ökumene, in: Dienst an Glaube und Recht. Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag. Hrsg. v. Anna Egler/Wilhelm Rees (= KStuT 52), Berlin 2006, S. 527 – 539. 44. Die Konversion als Rechtsakt, in: Kirchenrecht und Theologie im Leben der Kirche. Festschrift für Heinrich J. F. Reinhardt zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Hrsg. v. Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke/Matthias Pulte (= MK CIC. Beih. 50), Essen 2007, S. 347 – 353. 45. Le esperienze della Repubblica Federale Tedesca, in: Gli edifici di culto tra Stato e confessioni religiose. Hrsg. v. Daniele Persano, Mailand 2008, S. 301 – 309. 46. Interconfessional Relations, in: Système Juridique Canonique et Rapports entre les Ordonnancements Juridiques. XIIème Congrès International de Droit Canonique. Hrsg. v. Elie Raad, Beirut 2008, S. 255 – 265.
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Bibliographie Helmuth Pree
47. Cuestiones jurídicas acerca de convenios entre la Iglesia Católica y comunidades eclesiales no católicas, in: Iudex et Magister. Miscelánea en honor al Pbro. Nelson C. Dellaferrera, Bd. 2. Hrsg. v. Pontificia Universidad Católica Argentina, Buenos Aires 2008, S. 193 – 203. 48. Die Autorität der Kirche in Fragen der zeitlichen Ordnung, in: Ius divinum. Atti del XIII Congresso Internazionale di Diritto Canonico (Venezia 17 – 21 settembre 2008). Hrsg. v. Juan Ignacio Arrieta, Venedig 2010, S. 1115 – 1141. 49. Das Gewohnheitsrecht – ein Weg zur Etablierung von Laienämtern?, in: Gesendet in den Weinberg des Herrn. Laien in der Katholischen Kirche heute und morgen. Hrsg. v. Benedikt Kranemann/Myriam Wijlens (= Erfurter Theologische Schriften 35), Würzburg 2010, S. 121 – 140. – Vgl. Nr. IV.50 dieser Bibliographie. 50. Teoría del Derecho canónico como disciplina propia en el ámbito de las disciplinas fundamentales de Derecho canónico, in: Ius et iura. Escritos de derecho eclesiástico y de derecho canónico en honor del profesor Juan Fornés. Hrsg. v. María Blanco/Beatriz Castillo/José A. Fuentes/Miguel Sánchez-Lasheras, Granada 2010, S. 939 – 946. – Vgl. Nr. IV.52 dieser Bibliographie. 51. Die (fundamentale) Freiheit des Christen in weltlichen Angelegenheiten (can. 227 CIC/ 1983, can. 402 CCEO/1990), in: Religionsfreiheit im Kontext der Grundrechte. Religionsrechtliche Studien. Teil 2. Hrsg. v. Adrian Loretan, Zürich 2011, S. 361 – 376. 52. Eremitinnen und Eremiten im CIC/1983, in: Eine alte Lebensform in neuem Gewand. Der Canon 603 Codex Juris Canonici. Aufsätze und Vorträge. Eine Arbeitshilfe. Hrsg. v. Maria Anna Leenen (= Solus cum Solo 1), Nordhausen 2012, S. 80 – 98. – Vgl. Nr. IV.54 dieser Bibliographie. 53. Zur Anwendbarkeit des Unternehmensgesetzbuches (UGB) auf kirchliche Rechtsträger, in: In mandatis meditari. Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (= KStuT 58), Berlin 2012, S. 1067 – 1081. 54. Die Anwendung von Rechtsinstrumenten des weltlichen Rechts in der kirchlichen Verwaltung: Möglichkeiten und Grenzen, in: La funzione amministrativa nell’ordinamento canonico. XIV Congresso Internazionale di diritto canonico Varsavia, 14 – 18 Septembre 2011. Hrsg. v. Józef Wrocen´ski/Marek Stokłosa, Warschau 2012, S. 1065 – 1087. – Vgl. Nr. IV.60 dieser Bibliographie. 55. Die „Apostolische Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien“ und ihr rechtliches Verhältnis zur Römisch-Katholischen Kirche in Deutschland, in: Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst. Hrsg. v. Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (= AIC 50), Frankfurt a.M. u. a. 2013, S. 421 – 440. 56. Die Synoden im Recht der katholischen orientalischen Kirchen, in: Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen. Hrsg. v. Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg im Breisgau 2014, S. 246 – 263. 57. Zur Rechtsstellung der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche in Österreich, in: Recht – Religion – Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Brigitte Schinkele/René Kuppe/Stefan Schima/Eva M. Synek/Jürgen Wallner/Wolfgang Wieshaider, Wien 2014, S. 663 – 678.
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58. Impostazione giuridica del servizio della carità, in: Il Servizio della Carità, Corresponsabilità & Organizzazione. Atti della giornata di studio sul Motu Proprio Intima Ecclesiae Natura, 13 Dicembre 2013. Hrsg. v. Pontificium Consilium Cor Unum, Vatikanstadt 2014, S. 45 – 80. 59. Allocation of Damages – A Civil Law Perspective, in: Crime and Punishment. The Acts of the XV International Congress of Canon Law, Washington, D.C. – 17.–21. 09. 2014 (in Druck). – Vgl. Nr. IV.63 dieser Bibliographie. 60. Ivan Zˇuzˇek (1924 – 2004), in: Kirchenrecht im Portrait – Leben und Werk herausragender Kanonisten und Kirchenjuristen. Hrsg. v. Philipp Thull (in Druck). 61. Ausübung der Leitungsgewalt, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. Hrsg. v. Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (in Druck). – Vgl. Nr. III.2 und III.17 dieser Bibliographie. 62. Grundfragen kirchlichen Vermögensrechts, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. Hrsg. v. Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (in Druck). – Vgl. Nr. III.19 dieser Bibliographie. 63. Vermögenserwerb, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. Hrsg. v. Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (in Druck). 64. Theorie des kanonischen Rechts, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. Hrsg. v. Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (in Druck). 65. Kirchenrektor und Seelsorger für besondere Gemeinschaften, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. Hrsg. v. Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (in Druck). – Vgl. Nr. III.3 und III.18 dieser Bibliographie.
IV. Aufsätze in Fachzeitschriften 1. Die vermögensrechtliche Lage ausgeschiedener Religiosen nach kanonischem und staatlichem Recht unter Berücksichtigung der 29. ASVG-Novelle, in: ÖAKR 24 (1973), S. 303 – 327. – Vgl. Nr. IV.2 dieser Bibliographie. 2. Die 29. ASVG-Novelle im Hinblick auf ausgeschiedene Religiosen, in: Die Versicherungsrundschau 29 (1974), S. 80 – 99. – Leicht veränderte Fassung von Nr. IV.1 dieser Bibliographie. 3. Die Hintergründe der vermögensrechtlichen Sonderbehandlung von Klerikern und Ordensleuten im österreichischen bürgerlichen Recht, in: ÖAKR 26 (1975), S. 290 – 323. 4. Kirchliche Lehraufsicht und österreichisches Bundesverfassungsrecht. Überlegungen zu Art. V § 4 samt Zusatzprotokoll des österreichischen Konkordats 1933/34, in: ÖAKR 29 (1978), S. 82 – 115. 5. Die Ehe als Bezugswirklichkeit, Bemerkungen zur Individual- und Sozialdimension des kanonischen Eherechts, in: ÖAKR 33 (1982), S. 339 – 396. – Vgl. Nr. IV.8 dieser Bibliographie. 6. Mann und Frau im neuen Kirchenrecht, in: Diakonia 15 (1984), S. 107 – 112. 7. Priestermangel – Abhilfe durch das neue Kirchenrecht?, in: ThPQ 132 (1984), S. 372 – 378.
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8. Le mariage en tant que réalité relationnelle, in: RDC 35 (1985), S. 62 – 85. – Gekürzte französische Fassung von Nr. IV.5 dieser Bibliographie. 9. Bemerkungen zum Normenbegriff des CIC/1983, in: ÖAKR 35 (1985) (= Zwischen Tradition und Erneuerung. Ged.-Schr. für Willibald M. Plöchl), S. 25 – 61. 10. Die wichtigsten Neuerungen im katholischen Kirchenrecht unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen staatlichen Rechts, in: JurBl. 109 (1987), S. 20 – 25 und 90 – 97. 11. Imputabilitas – Erwägungen zum Schuldbegriff des kanonischen Strafrechts, in: ÖAKR 38 (1989) (= FS für Bruno Primetshofer zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Josef Lenzenwenger/ Gerhard Luf/Richard Potz/Helmuth Pree/Johann Reikerstorfer), S. 226 – 243. 12. Neuestes aus der Ehejudikatur der Rota Romana, in: AfkKR 159 (1990), S. 60 – 93. 13. Zum Stellenwert und zum Verbindlichkeitsanspruch des Rechts in Staat und Kirche, in: ÖAKR 39 (1990) (= FS für Inge Gampl), S. 1 – 22. 14. Sonntagsgottesdienste ohne Priester. Was ist kirchenrechtlich möglich?, in: ThPQ 139 (1991), S. 30 – 37. 15. Ehenichtigkeitsgründe, in: AnzSS 100 (1991), S. 352 – 362. 16. Zur Rechtsstellung der Katholischen Aktion in Österreich, in: ÖAKR 41 (1992) (= FS für Peter Leisching), S. 163 – 193. – Vgl. Nr. IV.17 dieser Bibliographie. 17. Die Rechtsstellung der Katholischen Aktion in Österreich, in: Actio Catholica, Heft 4 (1993), S. 14 – 32. – Leicht veränderte Fassung von Nr. IV.16 dieser Bibliographie. 18. Ist die Funktion des Dompropstes im Domkapitel an der Metropolitankirche in Wien als Kanzler der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Bestandteil des geltenden Rechts?, in: ÖAKR 42 (1993), S. 128 – 155. 19. Priester ohne Amt, in: ThPQ 11 (1993), S. 54 – 64. – Gekürzte Fassung von Nr. III.9 dieser Bibliographie. 20. „Unio Irregularis“. Der Sakramentenempfang von Geschiedenen, geschiedenen Wiederverheirateten, ehelos Zusammenlebenden und nur zivil verehelichten Katholiken nach kanonischem Recht, in: AnzSS 103 (1994), S. 145 – 158. – Vgl. Nr. III.11 dieser Bibliographie. 21. Aus der Rechtsprechung der Rota Romana. Ausgewählte Fragen der Gerichtsjahre 1989/ 90 – 1993/94, in: DPM 1 (1994), S. 95 – 125. 22. Das Recht auf die Heilsgüter (c. 213 CIC), in: Heiliger Dienst 48 (1994), S. 273 – 291. 23. Neuestes aus der Rota-Judikatur zu den Tatbeständen des c. 1095, 28 und 38 CIC, in: AfkKR 163 (1994), S. 365 – 405. 24. Traditio canonica. La norma de interpretación del c. 6 § 2 del CIC, in: IusCan 35 (1995), S. 423 – 446. – Vgl. Nr. III.27 dieser Bibliographie. 25. Pfarrei ohne Pfarrer – Leitung und Recht auf Eucharistie?, in: AnzSS 105 (1996), S. 18 – 24. – Vgl. Nr. III.16 dieser Bibliographie. 26. Ius Divinum between Normative Text, Normative Content, and Material Value Structure, in: Jurist 56 (1996), S. 41 – 67. 27. „Independenter a civili potestate“ (c. 1254 § 1 CIC). Zur Legitimität staatlich sanktionierter Kirchenfinanzierungssysteme, in: ZKTh 118 (1996), S. 151 – 168.
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28. Die Laieninstruktion 1997 – eine kanonistische Glosse, in: AnzSS 107 (1998), S. 62 – 66. – Vgl. Nr. IV.29 dieser Bibliographie. 29. La ,Instrucción‘ sobre algunas questiones acerca de la colaboración de los fieles laicos en el sagrado in ministerio de los sacerdotes de 15. 8. 1997. Observaciones canonísticas, in: Anuario Argentino de Derecho Canónico 5 (1998), S. 219 – 241. – Erheblich erweiterte spanische Fassung von Nr. IV.28 dieser Bibliographie. 30. On Juridic Acts and Liability in Canon Law, in: Jurist 58 (1998), S. 41 – 83 und 479 – 514. 31. Grundfragen des Rechts und der Verwaltung kirchlichen Vermögens, in: Folia Theologica 9 (1998), S. 49 – 70 und 10 (1999), S. 5 – 35. 32. Kompatibilität von Klagegründen im kirchlichen Ehenichtigkeitsprozeß, in: DPM 6 (1999), S. 71 – 91. 33. Schwangerschaftskonfliktberatung – kirchenrechtliche Gesichtspunkte, in: AfkKR 168 (1999), S. 134 – 139. – Vgl. Nr. VI.7 dieser Bibliographie. 34. Esercizio della potestà e diritti dei fedeli, in: Ius Ecclesiae 11 (1999), S. 7 – 39. – Vgl. Nr. III.26 dieser Bibliographie. 35. Forum externum und forum internum. Zur Relevanz des Gewissensurteils im kanonischen Recht, in: AfkKR 168 (1999), S. 25 – 50. 36. Le tecniche canoniche di flessibilizzazione del diritto: Possibilità e limiti ecclesiali di impiego, in: Ius Ecclesiae 12 (2000), S. 375 – 418. 37. Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung, in: Folia Canonica 4 (2001), S. 21 – 44. – Vgl. Nr. III.33 dieser Bibliographie. 38. Aufsicht über Einrichtungen der Caritas aus der Sicht des kanonischen Rechts, in: Kirche & Recht 7 (2001), S. 161 – 180 [= 390, S. 1 – 20]. 39. Das sog. „Familienwahlrecht“ bei PGR-Wahlen aus kanonistischer Sicht, in: DPM 8 (2001), I. Teilband (= FS für Kardinal Georg Sterzinski), S. 375 – 390. 40. „Lex divinitatis est, infima per media in suprema reduci“ (X vag. comm. 1,8,1). Überlegungen zum hierarchischen Amtsverständnis, in: ZRG 119. Kan. Abt. 88 (2002), S. 411 – 442. 41. Die politische und gewerkschaftliche Betätigung geistlicher Personen im CIC (1983) und im CCEO (1990), in: Folia Canonica 6 (2003), S. 7 – 40. 42. Generalia Iuris Principia im CIC/1983 und ihre Bedeutung für das Kanonische Recht, in: AfkKR 172 (2003), S. 38 – 57. 43. Das Gewissen vor dem Forum des Kirchenrechts, in: Folia Theologica 15 (2004), S. 95 – 107. 44. Aktuelle Fragen zur Ordensautonomie, in: OK 45 (2004), S. 153 – 170. 45. Der Rechtscharakter des kanonischen Rechts und seine Bedeutung für die Kirche, in: Folia Canonica 7 (2004), S. 49 – 70. 46. Libertad y responsabilidad del laico en los asuntos temporales. Visión canónica, in: Anuario Argentino de Derecho Canónico 12 (2005), S. 233 – 277. 47. El sostenimiento del culto en Alemania, in: Anuario Argentino de Derecho Canónico 12 (2005), S. 395 – 410.
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Bibliographie Helmuth Pree
48. Par cum pari. Rechtliche Implikationen des ökumenischen Dialogs, in: AfkKR 174 (2005), S. 353 – 379. 49. Der Umgang mit Ordensvermögen und sozialen Werken, in: OK 47 (2006), S. 440 – 452. 50. Diritto consuetudinario – un modo per creare uffici di laici?, in: AfkKR 177 (2008), S. 15 – 27. – Vgl. Nr. III.49 dieser Bibliographie. 51. Genehmigungspflichten in der pfarrlichen Vermögensverwaltung. Eine universalrechtliche Perspektive, in: AfkKR 177 (2008), S. 502 – 523. 52. Kirchenrechtstheorie als eigenständige kanonistische Grundlagendisziplin, in: AfkKR 178 (2009), S. 52 – 67. – Vgl. Nr. III.50 dieser Bibliographie. 53. Eine Kirche in vielen Völkern, Sprachen und Riten, in: AfkKR 178 (2009), S. 396 – 426. 54. Eremitinnen und Eremiten im CIC/1983, in: AfkKR 179 (2010), S. 353 – 379. – Vgl. Nr. III.52 dieser Bibliographie. 55. Religiosen und deutsches Zivilrecht – vermögensrechtliche Fragen, in: OK 52 (2011), S. 447 – 467. 56. Le assemblee dei Gerarchi delle diverse Chiese sui iuris in riferimento al can. 322 del CCEO, in: EIC 51 (2011), S. 303 – 320. 57. Staatskirchenrecht in Deutschland – überholt?, in: MThZ 63 (2012), S. 229 – 240. 58. Kirchliche Leitungsgewalt – Aspekte ihrer Reichweite und Anwendung, in: AfkKR 181 (2012), S. 39 – 56. 59. Das Motu proprio Intima Ecclesiae natura (IEN) über den Dienst der Liebe, in: AfkKR 181 (2012), S. 361 – 385. 60. El empleo de instrumentos jurídico-civiles en la administración eclesiástica. Posibilidades y límites, in: Anuario Argentino de Derecho Canónico 19 (2013), S. 153 – 177. – Vgl. Nr. III.54 dieser Bibliographie. 61. Der Diözesanökonom, sein rechtliches Verhältnis zum Diözesanbischof und seine Rechtsstellung in der Bischöflichen Kurie, in: AfkKR 182 (2013), S. 24 – 43. 62. Il ruolo dell’interpretazione dello ius commune nell’identificare lo spazio a disposizione delle legislazioni particolari: un CCEO rigido o flessibile?, in: Eastern Canon Law 2 (2013), S. 177 – 200. 63. Schadenersatz: Common Law und Civil Law im Vergleich, in: AfkKR 182 (2013), S. 353 – 385. – Leicht gekürzte, deutschsprachige Fassung von Nr. III.59 dieser Bibliographie. 64. Questioni interrituali e interecclesiali nell’amministrazione dei Sacramenti, in: Folia Theologica et Canonica III (2014), S. 213 – 230. 65. Die pleno iure inkorporierte Pfarre, in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion (in Druck).
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V. Lexikonartikel Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl. Hrsg. v. Walter Kasper u. a., 11 Bde., Freiburg u. a. 1993 – 2001 = LThK Lexikon des Kirchenrechts. Hrsg. v. Stephan Haering/Heribert Schmitz (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004 = LexKR Diccionario enciclopédico de Derecho Canónico. Hrsg. v. Stephan Haering/Heribert Schmitz/ Ignacio Pérez Heredia y Valle/José Luis Llaquet, Barcelona 2008 = DEDC 1. a. Anstalt, kirchenrechtlich, in: LThK I (1993), Sp. 717. b. Anstalt, in: LexKR, Sp. 50 f. c. Persona jurídica patrimonial, in: DEDC, S. 663. 2. a. Fassion, in: LThK III (1995), Sp. 1187. b. Fassion, in: LexKR, Sp. 285 f. 3. a. Juristische Person I. Rechtlich, II. Kirchenrechtlich, in: LThK V (1996), Sp. 1104 f. b. Juristische Person, in: LexKR, Sp. 445 – 447. c. Persona jurídica, in: DEDC, S. 661 – 663. 4. a. Kirchengemeinde, in: LThK V (1996), Sp. 1513 f. b. Kirchengemeinde, in: LexKR, Sp. 503 – 505. 5. Kirchengliedschaft I. Systematisch-theologisch, in: LThK VI (1997), Sp. 11 – 13. 6. a. Kirchenstiftung, in: LThK VI (1997), Sp. 67. b. Kirchenstiftung, in: LexKR, Sp. 540 f. 7. a. Kirchenvermögen, in: LThK VI (1997), Sp. 79 – 81. b. Kirchenvermögen, in: LexKR, Sp. 545 – 550. c. Bienes temporales de la Iglesia, in: DEDC, S. 89 – 92. 8. a. Kirchgemeinde, in: LThK VI (1997), Sp. 86. b. Kirchgemeinde, in: LexKR, Sp. 554 f. 9. Kirchlichkeit, in: LThK VI (1997), Sp. 101 f. 10. a. Lehrfreiheit, in: LThK VI (1997), Sp. 761. b. Lehrfreiheit, in: LexKR, Sp. 638 f. c. Libertad de enseñanza, in: DEDC, S. 531 – 533. 11. a. Leitner, Martin, in: LThK VI (1997), Sp. 803. b. Leitner, Martin, in: LexKR, Sp. 1114 f. c. Leitner, Martin, in: DEDC, S. 527. 12. Maiberger, Paul, in: LThK VI (1997), Sp. 1200. 13. a. Meinungsfreiheit III. kirchenrechtlich, in: LThK VII (1998), Sp. 71. b. Meinungsfreiheit, in: LexKR, Sp. 650 f. c. Libertad de opinión, in: DEDC, S. 534 f. 14. a. Notorietät, in: LThK VII (1998), Sp. 927. b. Notorietät, in: LexKR, Sp. 681 f. c. Notoriedad, in: DEDC, S. 586.
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Bibliographie Helmuth Pree
15. a. Ökonom II. Kirchenrecht, in: LThK VII (1998), Sp. 1014. b. Ökonom, in: LexKR, Sp. 687 f. c. Ecónomo, in: DEDC, S. 340 f. 16. a. Pfarrvermögen, in: LThK VIII (1999), Sp. 178 f. b. Pfarrvermögen, in: LexKR, Sp. 763 f. c. Bienes temporales de la parroquia, in: DEDC, S. 92. 17. a. Reichnisse, in: LThK VIII (1999), Sp. 986. b. Reichnisse, in: LexKR, Sp. 829 f. 18. a. Steuerfreiheit der Kirche, in: LThK IX (2000), Sp. 996. b. Steuerfreiheit der Kirche, in: LexKR, Sp. 916 f. c. Exención de impuestos para la Iglesia, in: DEDC, S. 382 f. 19. a. Testament II. Rechtlich/Kirchenrechtlich, in: LThK IX (2000), Sp. 1354 f. b. Testament, in: LexKR, Sp. 943 – 945. c. Testamento, in: DEDC, S. 799 f. 20. a. Tradition VI. Kirchenrechtlich, in: LThK X (2001), Sp. 157. b. Tradition, in: LexKR, Sp. 959 f. c. Tradición, in: DEDC, S. 809. 21. a. Umwandlung, in: LThK X (2001), Sp. 369 f. b. Umwandlung, in: LexKR, Sp. Sp. 964 – 966. c. Conmutación, in: DEDC, S. 221 f. 22. a. Vermächtnis, in: LThK X (2001), Sp. 695 f. b. Vermächtnis, in: LexKR, Sp. 981. c. Legado, in: DEDC, S. 523 f. Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht. Hrsg. v. Axel Frhr. v. Campenhausen/Ilona Riedel-Spangenberger/P. Reinhold Sebott SJ, 3 Bde., Paderborn u. a. 2000 – 2004 = LKStKR 23. Abgaben II. Kath., in: LKStKR I (2000), S. 8 f. 24. Abstimmung, in: LKStKR I (2000), S. 13. 25. Akklamation, in: LKStKR I (2000), S. 47. 26. Akribie, in: LKStKR I (2000), S. 49 f. 27. Allgemeine Normen, in: LKStKR I (2000), S. 56 – 58. 28. Alter, in: LKStKR I (2000), S. 62 – 65. 29. Anordnung, in: LKStKR I (2000), S. 113 f. 30. Baulast III. Kath., in: LKStKR I (2000), S. 199 – 201. 31. Besteuerungsrecht II. Kath., in: LKStKR I (2000), S. 245 – 247. 32. Diözese, in: LKStKR I (2000), S. 455 f. 33. Eigentum, in: LKStKR I (2000), S. 577 – 580. 34. Ermessen, in: LKStKR I (2000), S. 605 – 609. 35. Ersitzung, in: LKStKR I (2000), S. 613 – 616. 36. Erzbistum, in: LKStKR I (2000), S. 625 f.
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37. Favor iuris, in: LKStKR I (2000), S. 686 – 688. 38. Forschung, in: LKStKR I (2000), S. 704 – 706. 39. Forschungsfreiheit, in: LKStKR I (2000), S. 706 f. 40. Gesetzesbefehl, in: LKStKR II (2002), S. 108. 41. Gesetzesirrtum, in: LKStKR II (2002), S. 110. 42. Gesetzeslücke, in: LKStKR II (2002), S. 110 f. 43. Gesetzesschwebe, in: LKStKR II (2002), S. 112. 44. Gesetzeszweifel, in: LKStKR II (2002), S. 117. 45. Handlung, rechtsgeschäftliche, in: LKStKR II (2002), S. 208 f. 46. Handlung, widerrechtliche, in: LKStKR II (2002), S. 209 f. 47. Juristische Person, kirchliche II. Kath., in: LKStKR II (2002), S. 359 – 362. 48. Kirchengemeinderat II. Kath., in: LKStKR II (2002), S. 485 f. 49. Kollekte II. Kath., in: LKStKR II (2002), S. 597 f. 50. Kollisionsnorm, in: LKStKR II (2002), S. 598 f. 51. Meinungsäußerungsfreiheit, in: LKStKR II (2002), S. 770 – 774. 52. Meinungsfreiheit, in: LKStKR II (2002), S. 774 f. 53. Mens legislatoris, in: LKStKR II (2002), S. 777. 54. Ökonom, in: LKStKR III (2004), S. 63 – 65. 55. Ortskirchenvermögen II. Kath., in: LKStKR III (2004), S. 128 – 130. 56. Pachtwesen, kirchliches II. Kath., in: LKStKR III (2004), S. 135 f. 57. Pfarrverwaltungsrat, in: LKStKR III (2004), S. 232 f. 58. Rechnungslegung II. Kath., in: LKStKR III (2004), S. 333 f. 59. Rechnungsprüfung II. Kath., in: LKStKR III (2004), S. 334 f. 60. Veräußerungsverbot II. Kath., in: LKStKR III (2004), S. 744 – 746. 61. Vermögensrecht, in: LKStKR III (2004), S. 787 – 790. 62. Vertreter, in: LKStKR III (2004), S. 809 f. 63. Vertretung, rechtsgeschäftliche, in: LKStKR III (2004), S. 811 f. Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Hrsg. v. Hans Dieter Betz/Don S. Browning/ Bernd Jankowski/Eberhard Jüngel, 8 Bde., Tübingen 1998 – 2005 + 1 Reg.-Bd., Tübingen 2007 = RGG Religion Past & Present. Encyclopedia of Theology and Religion. Hrsg. v. Hans Dieter Betz/ Don S. Browning/Bernd Jankowski/Eberhard Jüngel, 13 Bde., Leiden/Boston 2007 – 2013 + 1 Reg.-Bd., Leiden/Boston 2013 = RPP 64. a. Diözese, in: RGG II (1999), Sp. 866 f. b. Diocese, in: RPP IV (2008), S. 71.
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Bibliographie Helmuth Pree
65. a. Josephsehe, in: RGG IV (2001), Sp. 585. b. Marriage of Joseph, in: RPP VIII (2010), S. 93. 66. a. Meßstipendium, in: RGG V (2002), Sp. 1162. b. Mass Stipend, in: RPP VIII (2010), S. 140. 67. a. Pfarrei I. Katholisch, in: RGG VI (2003), Sp. 1195 f. b. Parish I. Catholicism, in: RPP IX (2011), S. 545 f. 68. a. Pfarrgemeinderat, in: RGG VI (2003), Sp. 1227 f. b. Parish Council (Germany), in: RPP IX (2011), S. 547 f. 69. a. Plenarkonzil, in: RGG VI (2003), Sp. 1396. b. Plenary Councils, in: RPP X (2011), S. 169. 70. a. Pönitentiar, in: RGG VI (2003), Sp. 1488. b. Penitentiary, in: RPP IX (2011), S. 678. 71. a. Provinzialkonzil I. Allgemein, rechtlich, in: RGG VI (2003), Sp. 1747 f. b. Provincial Council of Churches, I. General, in: RPP X (2011), S. 481 f. 72. a. Regionaldekanat, in: RGG VII (2004), Sp. 198. b. Regional Deanery, in: RPP XI (2012), S. 6. 73. a. Rekonziliation, in: RGG VII (2004), Sp. 257. b. Reconciliation (in Canon Law), in: RPP X (2011), S. 663. 74. a. Remonstration, in: RGG VII (2004), Sp. 431. b. Remonstration, in: RPP XI (2012), S. 96. 75. a. Reskript, in: RGG VII (2004), Sp. 458. b. Rescript, in: RPP XI (2012), S. 126. 76. a. Sakrileg, in: RGG VII (2004), Sp. 771. b. Sacrilege, in: RPP XI (2012), S. 394. 77. a. Sanktion der Kirchengesetze, in: RGG VII (2004), Sp. 831 f. b. Sanction, Church Law, in: RPP XI (2012), S. 435. 78. a. Sedisvakanz, in: RGG VII (2004), Sp. 1088. b. See, Vacant, in: RPP XI (2012), S. 581. 79. a. Stellvertretung VI. Kirchenrechtlich 1. Katholisch, in: RGG VII (2004), Sp. 1713. b. Substitution VI. Ecclesiastical Law 1. Catholic, in: RPP XII (2012), S. 334. 80. a. Suspension, in: RGG VII (2004), Sp. 1910. b. Suspension, in: RPP XII (2012), S. 379. 81. a. Weihbischof, in: RGG VIII (2005), Sp. 1332. b. Episcopal Titles IV. Suffragan Bishop, in: RPP IV (2008), S. 507. Diccionario general de derecho canónico. Hrsg. v. Javier Otaduy/Antonio Viana/Joaquín Sedano, 7 Bde., Cizur Menor 2012 = DGDC 82. Acto jurídico, in: DGDC I, S. 169 – 179. 83. Documento, in: DGDC III, S. 455 – 458. 84. Legislador, in: DGDC IV, S. 1008 – 1012.
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85. Mens legislatoris, in: DGDC V, S. 360 – 363. 86. Responsabilidad de la administración eclesiástica, in: DGDC VI, S. 983 – 991. 87. Suscripción de documentos, in: DGDC VII, S. 502 – 505. 88. Tradición canónica, in: DGDC VII, S. 619 – 621. Weitere Nachschlagewerke 89. Schulz, Winfried, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23. Hrsg. v. Hans Günter Hockerts, Berlin 2007, S. 718 f. 90. Frei verfügbares Vermögen, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht. Hrsg. v. Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayr/Josef Kandler, St. Ottilien 2015, S. 186 – 188. 91. Haftung für Rechtsgeschäfte, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht. Hrsg. v. Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayr/Josef Kandler, St. Ottilien 2015, S. 209 – 214. 92. Veräußerung (Alienatio), in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht. Hrsg. v. Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayr/Josef Kandler, St. Ottilien 2015, S. 478 – 488.
VI. Kleinere Beiträge 1. Freie Meinungsäußerung – Recht und Pflicht des Christen, in: AnzSS 98 (1989), S. 3 f. und 35 f. 2. Haben Laientheologen(-innen) Zukunft in der Kirche? Statement aus der Sicht des kanonischen Rechts (CIC 1983), in: AnzSS 100 (1991), S. 146. 3. Ansprache [des Dekans der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau anlässlich der Ehrenpromotionen von Erzbischof Dr. Miloslav Vlk und Bischof Maximilian Aichern; Teilabdruck], in: AnzSS 102 (1993), S. 527 f. 4. „Rent a Priest“ – eine kirchenrechtliche Möglichkeit?, in: AnzSS 103 (1994), S. 320 f. 5. Kommunionfeier am Karfreitag: Mitbestimmungsrecht der Gemeinde als Trägerin der Liturgie?, in: AnzSS 104 (1995), S. 130 und 139 f. 6. Einzelne Konfliktfelder [in der Partnerschaft von Kirche und Staat], in: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 29 (1999), Nr. 5, S. 16. 7. Schwangerenkonfliktberatung – kirchenrechtliche Gesichtspunkte, in: AnzSS 109 (2000), S. 215 – 217. – Vgl. Nr. IV.33 dieser Bibliographie. 8. Das kirchenrechtliche Kernprofil des hierarchischen Amtes, in: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 31 (2001), Nr. 2, S. 7 – 9. – Vgl. Nr. III.31 dieser Bibliographie. 9. „Kruzifix“, in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion 49 (2002), S. 85 – 88 (Entscheidungsbesprechung). 10. Mehr Freiheit bei den Orden, in: Neue Caritas. Politik, Praxis, Forschung 105 (2004), H. 2, S. 15 – 18. 11. XII. Kanonistisches Symposium und Verleihung der Ehrendoktorwürde an Péter Kardinal Erdo˝ . Zur Einführung, in: AfkKR 176 (2007), S. 3 – 8.
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12. Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht – Einführung, in: Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht. Hrsg. v. Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (= QD 243), Freiburg/Basel/Wien 2011, S. 10 – 18. 13. C A S E. Corresponsabilità, Amministrazione e Sostegno Economico della Chiesa, in: AfkKR 180 (2011), S. 534 – 536.
VII. Laudationes und Nachrufe 1. Prälat Univ. Prof. Dr. theol. Dr. iur. can. Peter Gradauer zum Gedenken (1921 – 1991), in: AfkKR 160 (1991), S. 480 – 483. 2. Vorzeitig abberufen aus einem reichen Forscherleben. Prof. DDr. Paul Maiberger (1941 – 1992), in: AnzSS 103 (1994), S. 428 f. 3. In memoriam Winfried Schulz (1938 – 1995), in: AfkKR 164 (1995), S. 447 – 454. 4. Der Kanonist Hans Heimerl – sein Leben und wissenschaftliches Wirken, in: Gedenkschrift Hans Heimerl. Hrsg. v. Helmuth Pree, Tuchów 2000, S. IX–XIV. 5. Laudatio [zu Ehren Sr. Eminenz Zenon Kardinal Grocholewski aus Anlass der Verleihung der Würde eines Dr. theol. honoris causa. Passau, 8. Februar 2001], in: DPM 9 (2002), S. 19 – 24. 6. Laudatio für Péter Kardinal Erdo˝ [anlässlich der Verleihung der kanonistischen Ehrendoktorwürde der Ludwig-Maximilians-Universität München, 24. Mai 2007], in: AfkKR 176 (2007), S. 14 – 18. 7. Laudatio Professor Primetshofer zum 80. Geburtstag, in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion 56 (2009), S. 177 – 181. 8. Laudatio für Professor Heribert Schmitz zum 80. Geburtstag, in: AfkKR 178 (2009), S. 361 – 368. 9. In memoriam Bruno Primetshofer, in: AfkKR 183 (in Druck).
VIII. Buchbesprechungen 1. Heinz Mussinghoff, Theologische Fakultäten im Spannungsfeld von Staat und Kirche. Entstehung und Auslegung der Hochschulbestimmungen des Konkordats mit Preußen von 1929, dargelegt unter Berücksichtigung des Preußischen Statutenrechts und der Bestimmungen des Reichskonkordates (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Forschungen 27), Mainz 1979, in: AfkKR 149 (1980), S. 355 – 357. 2. Erik Wolf, Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens. Ausgewählte Schriften, Bd. 3. Hrsg. v. Alexander Hollerbach, Frankfurt a.M. 1982, in: AfkKR 151 (1982), S. 626 – 630. 3. Persona y Derecho, Revista de fundamentación de las instituciones juridicas y de Derechos Humanos, Bd. 6: Libertad de Ensenanza, Pamplona 1979, in: ÖAKR 33 (1982), S. 318 – 321. 4. Adam Zirkel/Meinrad Limbeck, Kirchliche Ehegerichtsbarkeit und biblisches Rechtsverständnis, Mainz 1981, in: ÖAKR 33 (1982), S. 323 – 326.
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5. Hugo Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht. Gesamtdarstellung, Graz/Wien/Köln 1983, in: ThPQ 132 (1984), S. 211. 6. Stephan Kotzula, Der Priesterrat. Ekklesiologische Prinzipien und kanonistische Verwirklichung (Eine rechtstheologische Studie) (= EThSt 48), Leipzig 1983, in: ThPQ 132 (1984), S. 328. 7. Johannes Gründel, Recht und Sittlichkeit (= Studien zur theologischen Ethik 10), Freiburg/ Schweiz 1982, in: ThPQ 132 (1984), S. 328 f. 8. Klaus Lüdicke, Eherecht. Canones 1055 – 1165 (Codex Iuris Canonici, Kommentar für Studium und Praxis), Essen 1983, in: ThPQ 132 (1984), S. 216. 9. Norbert Ruf, Das Recht der Katholischen Kirche nach dem neuen CIC – für die Praxis erläutert, Freiburg/Basel/Wien 1983, in: ThPQ 132 (1984), S. 216. 10. Josef Weber, „Erfüllungsvermögen“ in der Rechtsprechung der Sacra Romana Rota. Ursprung und Entwicklung eines neuen Ehenichtigkeitsgrundes in der katholischen Kirche (= ESt N.F. 17), Regensburg 1983, in: ThPQ 132 (1984), S. 327. 11. Bernard Franck, Vers un nouveau droit canonique? Présentation, Commentaire et critique du Code de droit canonique de l’Eglise catholique, Paris 1983, in: ÖAKR 37 (1986), S. 430. 12. Code – Community – Ministry. Selected Studies for the Parish Minister. Introducing the Revised Code of Canon Law. Hrsg. v. James Provost, Washington DC 1983, in: ÖAKR 37 (1986), S. 434. 13. Reinhold Sebott, Das neue kirchliche Eherecht, Frankfurt a.M. 1983, in: ÖAKR 37 (1986), S. 292. 14. Gaetano Lo Castro, Il soggetto e i suoi diritti nell’ordinamento canonico, Mailand 1985, in: AfkKR 157 (1988), S. 663 – 668. 15. Winfried Schulz, Der neue Codex und die kirchlichen Vereine, Paderborn 1986, in: ThPQ 136 (1988), S. 391 f. 16. Remigiusz Sobanski, Grundlagenproblematik des katholischen Kirchenrechts (= BöhlauStudien-Bücher. Grundlagen des Studiums), Wien/Köln 1987, in: ÖAKR 38 (1989), S. 356 – 367. 17. Javier Hervada, Escritos de Derecho Natural, Pamplona 1986, in: AfkKR 158 (1989), S. 343 f. 18. Lothar Wächter, Gesetz im kanonischen Recht. Eine rechtssprachliche und systematischnormative Untersuchung zu Grundproblemen der Erfassung des Gesetzes im katholischen Kirchenrecht (= MthStkan 43), St. Ottilien 1989, in: ThRv 87 (1991), Sp. 315 – 321. 19. Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 1985 – 1993: a. Erster Band, in: AfkKR 156 (1987), S. 669 f. b. Zweiter Band, in: AfkKR 156 (1987), S. 669 – 671. c. Dritter Band, in: AfkKR 157 (1988), S. 288 f. d. Vierter Band, in: AfkKR 157 (1988), S. 651 f. e. Fünfter Band, in: AfkKR 158 (1989), S. 661 f. f. Sechster und siebter Band, in: AfkKR 162 (1993), S. 672 – 674.
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20. Franz Kalde, Authentische Interpretationen zum Codex Iuris Canonici, Metten 1990, in: ThPQ 135 (1993), S. 95 f. 21. Partikularnormen der deutschsprachigen Bischofskonferenzen. Hrsg. v. Heribert Schmitz/ Franz Kalde (= Subsidia ad ius canonicum vigens applicandum 2), Metten 1990, in: ThPQ 135 (1993), S. 96. 22. Norbert Lüdecke, Eheschließung als Bund. Genese und Exegese der Ehelehre der Konzilskonstitution „Gaudium et Spes“ in kanonistischer Auswertung, 2 Bde. (= FzK 7), Würzburg 1989, in: ThPQ 141 (1993), S. 98 f. 23. Ilona Riedel-Spangenberger, Grundbegriffe des Kirchenrechts (= UTB 1618), Paderborn u. a. 1992, in: AfkKR 162 (1993), S. 639. 24. Gerhard Grethlein/Hartmut Böttcher/Werner Hofmann/Hans P. Hübner, Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, München 1994, in: AfkKR 163 (1994), S. 301 f. 25. Ludger Müller, Kirchenrecht – analoges Recht? Über den Rechtscharakter der kirchlichen Rechtsordnung (= Dissertationen. Kanonistische Reihe 6), St. Ottilien 1991, in: AfkKR 163 (1994), S. 281 – 285. 26. Karl H. Selge, Das seelsorgerische Amt im neuen Codex Iuris Canonici. Die Pfarrei als Ort neuer kirchlicher Ämter? (= Europäische Hochschulschriften XXIII 418), Frankfurt a.M. u. a. 1991, in: ThPQ 143 (1995), S. 201 – 204. 27. Nuovo Dizionario di Diritto Canonico. Hrsg. v. Carlos Corral Salvador/Velasio De Paolis/ Gianfranco Ghirlanda, Mailand 1993, in: DPM 2 (1995), S. 417 f. 28. Ilona Riedel-Spangenberger, Sendung in der Kirche. Die Entwicklung des Begriffes „missio canonica“ und seine Bedeutung in der kirchlichen Rechtssprache, Paderborn u. a. 1991, in: AfkKR 164 (1995), S. 624 – 632. 29. Severin J. Lederhilger, Das „ius divinum“ bei Hans Dombois (= Kirche und Recht 20), Wien 1994, in: ThPQ 144 (1996), S. 208 f. 30. Jean-Pierre Schouppe, Elementi di diritto patrimoniale canonico (= Pontificio Ateneo della Santa Croce. Trattati di diritto 4), Mailand 1997, in: AfkKR 166 (1997), S. 307 – 310. 31. Jürgen Olschewski, Das Recht auf Sakramentenempfang. Zur Entwicklung eines Fundamentalrechtes der Gläubigen vom Konzil von Trient bis zur Gegenwart (= AIC 6), Frankfurt a.M. u. a. 1998, in: DPM 6 (1998), S. 390 – 395. 32. Péter Erdo˝ , II Teologia del diritto canonico. Un approccio storico-istituzionale (con prefazione di Rinaldo Bertolino) (= Collana di studi di diritto canonico ed ecclesiastico. Sezione canonistica 17), Turin 1996, in: AfkKR 167 (1998), S. 298 – 301. 33. AA.VV., Errore e dolo nel consenso matrimoniale canonico (= Studi Giuridici XXXIX), Vatikanstadt 1995, in: DPM 6 (1999), S. 296 – 301. 34. Péter Erdo˝ , Theologie des kanonischen Rechts. Ein systematisch-historischer Versuch (= Kirchenrechtliche Bibliothek 1), Münster 1999, in: AfkKR 168 (1999), S. 288 f. 35. Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Das Kreuz im Klassenzimmer und Gerichtssaal (= Religionsrechtliche Studien 1), Freistadt 1996, in: AfkKR 168 (1999), S. 314 – 316. 36. Eduardo Baura, La dispensa canonica dalla legge (= Pontificia Università della Santa Croce. Monografie giuridiche 12), Mailand 1997, in: Ius Ecclesiae 11 (1999), S. 823 – 828.
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37. Joaquín Llobell/Enrique De León/Jesùs Navarrete, Il libro „De processibus“ nella codificazione del 1917. Studi e documenti. Vol. 1: Cenni storici sulla codificazione „De iudiciis in genere“. Il processo contenzioso ordinario e sommario. Il processo di nullità del matrimonio (= Pontificia Università della Santa Croce. Monografie giuridiche 15), Mailand 1999, in: ZRG 117. Kan. Abt. 86 (2000), S. 624 – 626. 38. Volontariato sociale e missione della Chiesa. Hrsg. v. Jesùs Miñambres, Rom 2002, in: Ius Ecclesiae (2002), S. 291 – 294. 39. Thomas A. Amann, Der Verwaltungsakt für Einzelfälle. Eine Untersuchung aufgrund des Codex Iuris Canonici (MthStkan 54), St. Ottilien 1997, in: AfkKR 172 (2003), S. 255 – 258. 40. Giovanna Maria Colombo, Sapiens aequitas. L’equità nella riflessione canonistica tra i due codici, in: AfkKR 172 (2003), S. 266 – 269. 41. Giuseppe Dossetti, La violenza nel matrimonio in diritto canonico, Mailand 1998 (Anastatischer Nachdruck der 1. Auflage 1943), in: AfkKR 172 (2003), S. 275 – 277. 42. Jorge Miras/Javier Canosa/Eduardo Baura, Compendio de derecho administrativo canónico, Pamplona 2001, in: AfkKR 172 (2003), S. 284 – 286. 43. Kirchliches Recht als Freiheitsordnung. Gedenkschrift für Hubert Müller (= FzK 27), Würzburg 1997, in: AfkKR 172 (2003), S. 286 f. 44. Pedro-Juan Viladrich, El consentimiento matrimonial. Técnicas de calificación y exégesis de las causas canónicas de nulidad (cc. 1095 a 1107 CIC), Pamplona 1998, in: AfkKR 172 (2003), S. 647 f. 45. Piero A. Bonnet, Annotazioni su la consuetudine canonica (= Collana di Studi di Diritto Canonico ed Ecclesiastico. Sezione Canonistica 33), Turin 2003, in: DPM 11 (2004), S. 177 – 181. 46. Piero A. Bonnet, Giudizio ecclesiale e pluralismo dell’Uomo. Studi sul processo canonico (= Collana di Studi di Diritto Canonico ed Ecclesiastico. Sezione Canonistica 22), Turin 1998, in: DPM 11 (2004), S. 181 – 183. 47. Karl H. Selge, Ehe als Lebensbund. Die Unauflöslichkeit der Ehe als Herausforderung für den Dialog zwischen katholischer und evangelisch-lutherischer Theologie (= AIC 12), Frankfurt a.M. 1999, in: DPM 11 (2005), S. 469 – 474. 48. Ariel Busso, La fidelidad del Apóstol. Visión canónica del ser y el obrar del clérigo, 2 Bde., Buenos Aires 2004, in: AfkKR 175 (2006), S. 628 f. 49. Congregazione per le Chiese Orientali, Ius Ecclesiarum – Vehiculum Caritas. Atti del Simposio Internationale per il decennale dell’entrata in vigore del Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, Città del Vaticano, 19 – 23 novembre 2001, Vatikanstadt 2004, in: AfkKR 175 (2006), S. 644 f. 50. Arnd Arntzen, Loyalität und Loyalitätsprobleme in kirchlichen Arbeitsverhältnissen. Eine Analyse des teilkirchlichen deutschen Arbeitsrechts und neuerer Leitungskonzepte im Caritasbereich, Bochum 2003, in: AfkKR 175 (2006), S. 645 – 648. 51. Religionsfreiheit als Leitbild. Staatskirchenrecht in Deutschland und Europa im Prozess der Reform. Hrsg. v. Hartmut Kreß (= Ethik Interdisziplinär 5), Münster 2004, in: AfkKR 175 (2006), S. 648 – 650.
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52. Dominique Le Tourneau, Les mots du christianisme. Catholicisme – Orthodoxie – Protestantisme, Paris 2005, in: AfkKR 176 (2007), S. 608 – 610. 53. Javier Hervada, Vetera et Nova. Cuestiones de Derecho Canónico y afines (1958 – 2004), Pamplona 22005, in: AfkKR 176 (2007), S. 616 f. 54. José T. Martin de Agar, A Handbook on Canon Law, Montréal 22007, in: AfkKR 176 (2007), S. 622 f. 55. Alejandro W. Bunge, Las claves del Código. Libro I del Código de Derecho Canónico, Buenos Aires 2006, in: AfkKR 176 (2007), S. 624 f. 56. Miguel Delgado Galindo, El domicilio canónico, Pamplona 2006, in: AfkKR 176 (2007), S. 625 – 627. 57. Jorge Miras, Fidèles dans le monde. La sécularité des laïcs chrétiens, Montréal 2007, in: AfkKR 176 (2007), S. 628. 58. Carlos Corral Salvador/Santiago Petschen, Tratados internacionales (1996 – 2003) de la Santa Sede con los Estados. Concordatos Vigentes, Tom. IV, Madrid 2004, in: AfkKR 176 (2007), S. 651 f. 59. Carlos Corral Salvador, Los concordatos en el pontificado de Juan Pablo II. Universalismo expansivo y sus principios y coordenadas (= Cadernos Forum Canonicum 4), Lissabon 2004, in: AfkKR 176 (2007), S. 652 f. 60. L’eredità giuridica di San Pio X. Hrsg. v. Arturo Cattaneo (= Istituto di Diritto Canonico San Pio X. Studi 3), Venedig 2006, in: AfkKR 177 (2008), S. 300 – 303. 61. José Martín de Agar/Luis Navarro, Legislazione delle Conferenze episcopali complementare al C.I.C. (= Testi legislativi 4), Rom 22009, in: AfkKR 177 (2008), S. 653 f. 62. La legge canonica nella vita della Chiesa. Indagine e prospettive nel segno del recente Magistero Pontificio. Atti del Convegno di Studio tenutosi nel XXVanniversario del Codice di Diritto Canonico. Hrsg. v. Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi, Vatikanstadt 2008, in: AfkKR 179 (2010), S. 270 f. 63. Heilige Kanones der heiligen und hochverehrten Apostel. Hrsg. v. Anargyros Anapliotis (= Liturgische Texte und Studien 6), St. Ottilien 2009, in: AfkKR 179 (2010), S. 273 f. 64. Elmar Maria Morein, Officium ecclesiasticum et universitas personarum. Bestimmung des Rechtsinstituts Amt (= Tübinger Kirchenrechtliche Studien 4), Berlin 2006, in: AfkKR 179 (2010), S. 292 – 297. 65. Markus Graulich, Unterwegs zu einer Theologie des Kirchenrechts. Die Grundlegung des Rechts bei Gottlieb Söhngen (1892 – 1971) und die Konzepte der neueren Kirchenrechtswissenschaft (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 6), Paderborn u. a. 2006, in: AfkKR 179 (2010), S. 289 – 292. 66. Piero A. Bonnet, Le presunzioni legali del consenso matrimoniale canonico in un occidente scristianizzato, Mailand 2006, in: AfkKR 181 (2012), S. 637 – 639. 67. Carlo Fantappiè, Chiesa romana e modernità giuridica, Mailand 2008, in: AfkKR 181 (2012), S. 655 – 657.
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68. Monica-Elena Herghelegiu, Reservatio Papalis. A Study on the Application of a Legal Prescription According to the 1983 Code of Canon Law (= Tübinger Kirchenrechtliche Studien 8), Münster 2008, in: AfkKR 181 (2012), S. 657 – 659. 69. Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? Ein begriffspolitischer Grundsatzstreit. Hrsg. v. Hans Michael Heinig/Christian Walter, Tübingen 2007, in: AfkKR 181 (2012), S. 665 – 667. 70. Eduardo Baura/Javier Canosa/Jorge Miras, Compendio di diritto amministrativo canonico (= Subsidia canonica 4), Rom 2007, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 450 f. 71. Giulio Dellavite, Munus pascendi: Autorità e autorevolezza. Leadership e tutela dei diritti dei fedeli nel procedimento di praparazione di un atto amministrativo (= Tesi Gregoriana. Serie diritto canonico 76), Rom 2007, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 470 – 474. 72. Velasio de Paolis/Andrea D’Auria, Le Norme Generali. Commento al Codice di Diritto Canonico. Libro Primo, Vatikanstadt 2008, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 475 f. 73. Javier Hervada, Lecciones propedéuticas de filosofía del derecho, Pamplona 2008, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 531 – 534. 74. Javier Hervada, Pensieri di un canonista nell’ora presente (= Monografie 2), Venedig 2007, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 534 – 536. 75. Internationale Römisch-Katholische – Altkatholische Dialogkommission, Kirche und Kirchengemeinschaft, Paderborn 2009, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 538 f. 76. Peter Platen, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des „Handelns durch andere“ im kanonischen Recht. Grundlage einer Teilhabe von Laien an der potestas regiminis? (= MK CIC. Beih. 48), Essen 2007, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 578 – 581. 77. Im Dienst von Kirche und Wissenschaft. Festschrift für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Hrsg. v. Wilhelm Rees/Sabine Demel/Ludger Müller (= KStuT 53), Berlin 2007, in: DPM 19/20 (2012/13), S. 589 f. 78. Francisco de Vitoria, Relectio de Potestate Civili. Estudios sobre su Filosofía Política, Madrid 2008, in: AfkKR (2013), S. 308 – 310. 79. El sostenimiento económico de la Iglesia católica en España. Nuevo modelo. Actas del VII Simposio Internacional del Instituto Martín de Azpilcueta. Hrsg. v. Jorge Otaduy/Diego Zalbidea, Pamplona 2008, in: AfkKR 182 (2013), S. 313 f. 80. Autorität und Synodalität. Eine interdisziplinäre und interkonfessionelle Umschau nach ökumenischen Chancen und ekklesiologischen Desideraten. Hrsg. v. Christoph Böttigheimer/Johannes Hofmann, Frankfurt a.M. 2008, in: Orthodoxes Forum 27 (2013), S. 238 – 241. 81. Gerald Gruber, Actu Formali ab Ecclesia Catholica Deficere. Zur Problematik des vor staatlicher Stelle vollzogenen Kirchenaustritts vor dem Hintergrund des Zirkularschreibens des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März 2006 und der Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt vom März 2007, Bonn 2009, in: AfkKR 182 (2013), S. 649 – 651. 82. Jean-Pierre Schouppe, Droit canonique des biens, Montreal 2008, in: AfkKR 182 (2013), S. 653 f. 83. Patriarchale Liturgiekommission der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (Hrsg.), Die Göttliche Liturgie unseres Heiligen Vaters Johannes Chrysostomus sowie:
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Die Göttliche Liturgie unseres Heiligen Vaters Basilius des Großen, München/Eichstätt/Paderborn 2013, in: AfkKR 182 (2013), S. 655 f.
IX. Herausgeberschaft 1.
ÖAKR 38 (1989) = FS für Bruno Primetshofer zum 60. Geburtstag (zusammen mit Josef Lenzenwenger/Gerhard Luf/Richard Potz/Johann Reikerstorfer).
2.
Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer (= KStuT 44), Berlin 1997 (zusammen mit Josef Kremsmair).
3.
Winfried Schulz in memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskirchenrecht (= AIC 8), Frankfurt a.M. u. a. 1999 (zusammen mit Cesare Mirabelli/Giorgio Feliciani/Carl Gerold Fürst).
4.
Theologie und Seelsorge in einer zukunftsfähigen Kirche. 1. Deutsch-Ungarischer Theologentag, Passau, 4. Juni 1999, Passau 2000 (zusammen mit Peter Fonk).
5.
Gedenkschrift Hans Heimerl, Tuchów 2000.
6.
Reihe: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, Bd. 32 ff., Würzburg 2001 ff. (zusammen mit Norbert Lüdecke).
7.
Zeitschrift: Archiv für katholisches Kirchenrecht 173 (2004) ff. (zusammen mit Elmar Güthoff/Stephan Haering).
8.
Zeitschrift: Münchener Theologische Zeitschrift 55 (2004) ff. (zusammen mit den anderen Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München).
9.
Reihe: Dissertationen. Kanonistische Reihe, Bd. 21 ff., St. Ottilien 2006 ff. (zusammen mit Elmar Güthoff/Stephan Haering).
10. Das Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1947 bis 2007, St. Ottilien 2007 (zusammen mit Elmar Güthoff/Stephan Haering). 11. Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht (= QD 243), Freiburg/Basel/ Wien 2011 (zusammen mit Elmar Güthoff/Stephan Haering). 12. Generalregister zum Archiv für katholisches Kirchenrecht für die Bände 151 (1982) bis 175 (2006), Paderborn u. a. 2011 (zusammen mit Elmar Güthoff/Stephan Haering).
X. Mitwirkung an Fachperiodika 1. Mitglied des Editorial Board der Zeitschrift Folia Canonica 3 (2000) bis 13/14 (2010/11). 2. Mitglied der Commissio Redactionis der Zeitschrift Folia Theologica 19 (2008) bis 22 (2011). 3. Mitglied des Advisory Board der Zeitschrift Ius Canonicum 50 (2010) ff. 4. Mitglied des Editorial and Advisory Board der Zeitschrift Eastern Canon Law 1 (2012) ff. 5. Mitglied des Editorial Board der Theologischen Sektion der Zeitschrift Folia Theologica et Canonica 1 (2012) ff. 6. Mitglied des Editorial Board der Kanonistischen Sektion der Zeitschrift Folia Theologica et Canonica 1 (2012) ff.
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7. Mitglied des Comitato Scientifico der Zeitschrift Ephemerides Iuris Canonici N.S. 53 (2013) ff.
XI. Betreute, abgeschlossene Dissertationen 1. Eder, Joachim, Tarifpartnerin Katholische Kirche? Der „Dritte Weg“ der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland aus kanonistischer Sicht (= Schriften der Universität Passau. Reihe Katholische Theologie 7), Passau 1991 [Dr. theol., Universität Passau, 1991]. 2. Pöschl, Hubert, Die unheilbare Urteilsnichtigkeit im kanonischen Prozess, Marburg 1992 [Dr. theol., Universität Passau, 1992]. 3. Stockmann, Peter, Außerordentliche Gemeindeleitung. Historischer Befund – Dogmatische Grundlegung – Kirchenrechtliche Analyse – Offene Positionen (= AIC 10), Frankfurt a.M. u. a. 1999 [Dr. theol., Universität Passau, 1998]. 4. Kingata, Yves, Das päpstliche Gesandtschaftswesen nach dem Motu Proprio Sollicitudo Omnium Ecclesiarum und dem CIC/1983, 2008 [Lic. iur. can., Ludwig-Maximilians-Universität München 2008; ungedrucktes Manuskript]. 5. Bauer, Manfred, Theologische Grundlagen und rechtliche Tragweite der Gleichheit gemäß can. 208 CIC/1983 bzw. can. 11 CCEO (= Dissertationen. Kanonistische Reihe 25), St. Ottilien 2013 [Lic. iur. can., Ludwig-Maximilians-Universität München 2009]. 6. Nagel, Cornelia, Der Pfarrer als pastor proprius, 2009 [Lic. iur. can., Ludwig-MaximiliansUniversität München 2009; ungedrucktes Manuskript]. 7. Reisinger, Philipp, Sanctae Ecclesiae Cardinales – Peculiaris Episcoporum Coetus. Neue kirchenrechtliche Perspektiven für die Kardinäle und das Kardinalskollegium im Hinblick auf deren Funktion und Stellung in der Universalkirche unter besonderer Berücksichtigung der ekklesiologischen Bedeutung des Bischofskollegiums (= Dissertationen. Kanonistische Reihe 22), St. Ottilien 2012 [Lic. iur. can., Ludwig-Maximilians-Universität München 2012]. 8. Kingata, Yves, Das päpstliche Gesandtschaftswesen und die Nuntiatur in der Demokratischen Republik Kongo. Zugleich ein Beitrag zum Staat-Kirche-Verhältnis in der Demokratischen Republik Kongo (= MthStkan 66), St. Ottilien 2013 [Dr. iur. can., Ludwig-Maximilians-Universität München 2013]. 9. Ortner, Max, Lückenschließung und ergänzende Rechtsfortbildung gemäß den cc. 19 CIC/ 1983 und 1501 CCEO/1990, 2014 [Lic. iur. can., Ludwig-Maximilians-Universität München 2014; ungedrucktes Manuskript]. 10. Schrader, Daniela, Vertretungsmacht bei Rechtsgeschäften über Kirchenvermögen – kirchenrechtliche Anforderungen und deren Relevanz im staatlichen Rechtskreis, 2015 [Lic. iur. can., Ludwig-Maximilians-Universität München 2015; ungedrucktes Manuskript].
Mitarbeiterverzeichnis Althaus, Rüdiger, Dr.theol.habil., Lic.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Paderborn, Lehrbeauftragter am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster, Vizeoffizial des Erzbistums Paderborn, Domkapitular. Amann, Thomas A., Dr.theol., Lic.iur.can., Privatdozent für Kirchenrecht am Klaus-MörsdorfStudium für Kanonistik der Universität München. Anapliotis, Anargyros, Dr.Dr.iur., LL.M., Dipl.-Theol., Akademischer Oberrat an der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie der Universität München. Anuth, Bernhard Sven, Dr.theol., Lic.iur.can., Juniorprofessor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, Richter am Offizialat Rottenburg, Ehebandverteidiger am Offizialat Fulda, Anwalt am Offizialat Köln. Arrieta, Juan Ignacio, Dr.iur., Dr.iur.can., Bischof, Sekretär des Rates für die Gesetzestexte, Professor em. für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität vom Heiligen Kreuz in Rom. Baura, Eduardo, Dr.iur., Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität vom Heiligen Kreuz in Rom. Berkmann, Burkhard Josef, Dr.iur., Dr.theol., Lic.iur.can., Mag.phil., a.o. Professor für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten, Referent im Rechtsund Liegenschaftsreferat der Diözese St. Pölten, Richter am Offizialat St. Pölten. Berlingò, Salvatore, Dr.iur., Dr.iur.can., Professor für Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Messina, Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Messina, Rektor der Universität Dante Alighieri in Reggio Calabria. Bernard, Felix, Dr.theol., Honorarprofessor für Kirchenrecht am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück/Vechta. Bier, Georg, Dr.theol., Lic.iur.can., Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau. Breitsching, Konrad, Dr.theol., Ass.-Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Bunge, Alejandro W., Dr.iur.can., Auditor der Römischen Rota, Professor em. für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Katholischen Universität von Buenos Aires. Coccopalmerio, Francesco Kardinal, Dr.iur.can., Dr.theol., Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Rom. Demel, Sabine, Dr.theol.habil., Professorin für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg. Errázuriz, Carlos José, Dr.iur., Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität vom Heiligen Kreuz in Rom.
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Mitarbeiterverzeichnis
Fantappiè, Carlo, Dr.iur., Professor für Kirchenrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Rom III. Feliciani, Giorgio, Dr.iur., Professor em. für Kirchenrecht an der Juristischen Fakultät der Katholischen Universität Mailand. Fonk, Peter, Dr.theol., Dr.phil., Professor für Theologische Ethik an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau. Fornés, Juan, Dr.iur., Dr.iur.can, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Fakultät für Rechtswissenschaft und an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität Navarra in Pamplona. Grichting, Martin, Dr.iur.can.habil., Dipl.-Theol., Generalvikar des Bistums Chur, Vizeoffizial des Bistums Chur, Richter am Offizialat Vaduz, Moderator Curiae, Residierender Domherr. Güthoff, Elmar, Dr.iur.can.habil., Dr.theol., Professor für Kirchenrecht, insbesondere für Ehe-, Prozess- und Strafrecht sowie Staatskirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München, Fachvertreter Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg, Richter am Konsistorium Augsburg. Haering, Stephan OSB, Dr.theol., Dr.iur.can.habil., M.A., Professor für Kirchenrecht, insbesondere für Verwaltungsrecht sowie Kirchliche Rechtsgeschichte am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München, Richter am Konsistorium und am Metropolitangericht München. Hahn, Judith, Dr.theol., Lic.iur.can., Juniorprofessorin für Kirchenrecht an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Bochum, Ehebandverteidigerin am Offizialat Köln. Hallermann, Heribert, Dr.theol.habil., Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Haunerland, Winfried, Dr.theol.habil., Professor für Liturgiewissenschaft an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität München. Ihli, Stefan, Dr.theol.habil., Privatdozent für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Leiter der Geschäftsstelle des Kirchlichen Arbeitsgerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Kalde, Franz, Dr.iur.can., Dipl.-Theol., M.A., Universitätsdozent für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, Offizialatsrat, Richter am Diözesan- und Metropolitangericht Paderborn, Beauftragter für Fälle sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Paderborn. Kaufhold, Hubert, Dr.iur., Dr.phil., Lic.iur.can., Mitglied der Forschungsstelle Christlicher Orient an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Honorarprofessor für Antike Rechtsgeschichte und Papyrusforschung an der Juristischen Fakultät der Universität München. Kingata, Yves, Dr.iur.can., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Knittel, Reinhard, Dr.theol., Dr.iur.can., Rektor und Professor für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten, Offizial des Bistums St. Pölten.
Mitarbeiterverzeichnis
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Lederhilger, Severin Johann O.Praem, Dr.iur., Dr.iur.can., Mag.theol., Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, Generalvikar des Bistums Linz, Vizeoffizial des Bistums Linz. Llobell, Joaquín, Dr.iur.can., Dr.iur., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität vom Heiligen Kreuz in Rom. Loretan, Adrian, Dr.iur.can., Lic.theol., Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, Co-Direktor des Zentrums für Religionsverfassungsrecht. Lüdecke, Norbert, Dr.theol.habil., Lic.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Bonn, Honorarprofessor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Frankfurt. Marx, Reinhard Kardinal, Dr.theol., Erzbischof von München und Freising, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Meier, Dominicus OSB, Dr.theol.habil., Lic.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, Offizial des Erzbistums Paderborn. Miñambres Jesús, Dr.iur., Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität vom Heiligen Kreuz in Rom. Mückl, Stefan, Dr.iur., apl. Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, Dozent für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität vom Heiligen Kreuz in Rom. Müller, Markus, Dr.iur.can.habil., Dipl.-Theol., Universitätsprivatprofessor für Kirchenrecht am Institut für Kanonisches Recht ad instar facultatis der Katholischen Universität Pázmány Péter in Budapest, Fachreferent für Kirchenrecht am Ordinariat München. Nelles, Marcus, Dr.iur.can., Lic.theol., Akademischer Rat am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Németh, Thomas Mark, Dr.theol., Dr.iur., Privatdozent für Theologie und Geschichte des christlichen Ostens an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Fachvertreter für Ostkirchengeschichte und Ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für Ostkirchengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Würzburg. Ohly, Christoph, Dr.theol.habil., Lic.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Trier. Otaduy, Javier, Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität Navarra. Pulte, Matthias, Dr.phil.habil., Lic.iur.can., Dipl.-Theol., Professor für Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz, Gastprofessor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule SVD St. Augustin, Richter an den Offizialaten Köln und Mainz. Raad, Elie, Dr.iur., Dekan und Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität La Sagesse in Beirut. Rees, Wilhelm, Dr.theol.habil., Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.
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Mitarbeiterverzeichnis
Rehak, Martin, Dr.iur.can., Dipl.-Theol., Ass.iur., Rechtsanwalt, München. Rhode, Ulrich SJ, Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität Gregoriana in Rom. Schöch, Nikolaus OFM, Dr.theol.habil., Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität Antonianum in Rom, Zweiter Kirchenanwalt am Höchsten Gericht der Apostolischen Signatur, Universitätsdozent für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, Konsultor an der Kongregation für den Klerus, Anwalt an der Römischen Rota. Schüller, Thomas, Dr.theol., Lic.iur.can., Professor für Kirchenrecht am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster. Schwendenwein, Hugo, Dr.iur., Dr.iur.can., Professor em. für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Graz. Schwienhorst-Schönberger, Ludger, Dr.theol.habil., Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Stockmann, Peter, Dr.theol., Lic.iur.can., Richter am Offizialat Eichstätt. Szabó, Péter, Dr.iur.can.orient., Professor für Kirchenrecht am Institut für Kanonisches Recht ad instar facultatis der Katholischen Universität Pázmány Péter in Budapest und an der Fakultät für Kanonisches Recht Hl. Pius X. am Studium Generale Marcianum in Venedig. Tanasiychuk, Andriy, Dr.iur.can., Dr.iur.can.orient., Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht Hl. Pius X. am Studium Generale Marcianum in Venedig. Viana, Antonio, Dr.iur., Dr.iur.can, Dekan und Professor für Kirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Universität Navarra. Weiß, Andreas, Dr.theol.habil., Dr.iur.can., Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Richter am Offizialat Rottenburg, Mitglied des Disziplinargerichts der Diözese RottenburgStuttgart, Kirchenanwalt am Offizialat Eichstätt. Wijlens, Myriam, Dr.iur.can., Lic.theol., Professorin für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Wollbold, Andreas, Dr.theol.habil., Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München.
Redaktion Camposarcuno, Giuseppina, Dott.ssa., Mitarbeiterin am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Graml, Sandra, Studentische Hilfskraft am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Lieb, Anja, Studentische Hilfskraft am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München. Müller, Birgit, Verlag Duncker & Humblot Berlin.