Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren: Eine historisch-rechtsvergleichende Studie zu den Grundlagen der Rechtsermittlung. Dissertationsschrift 9783161568329, 9783161568336, 316156832X

Iura novit curia. Das klingt poetisch. Tatsächlich handelt es sich um Redewendung, Wortspiel und Reim zugleich. Der schö

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German Pages 391 [414] Year 2019

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Erster Teil: Einleitung
A. Problemstellung
B. Prolegomena zu iura novit curia
I. Übersetzung
II. Begriffsgeschichte
III. Verhältnis zu da mihi facta, dabo tibi ius
IV. Begrifflicher Annäherungsversuch
V. Abschied von iura novit curia
C. Methodik
I. Erkenntnisinteresse
II. Ziel der Arbeit
III. Herangehensweise
1. Grund für Grundlagenarbeit
2. Rechtsgeschichte
3. Rechtsvergleichung
4. Schiedsverfahrensrecht
5. Umgang mit Sprache
Zweiter Teil
1. Kapitel: Rechtsgeschichte
A. Römischer Zivilprozess
I. Beweisbedürftigkeit von Recht
1. Iudex und Gerichtsmagistrat
2. Actiones
3. Förmlicher Rechtsbeweis
II. Richterliche Rechtskenntnis
1. Consilium
2. Provinzialprozess
3. Recitatio
4. Rescriptum
III. Rechtspraxis
IV. Zusammenfassende Würdigung
B. Gemeiner Zivilprozess
I. Beweisbedürftigkeit von Recht
1. Rechtsquellenproblem
2. Aktionendenken
3. Rechtsermittlungslehre
II. Richterliche Rechtskenntnis
1. Juristische Ausbildung und Richterberuf
2. Aktenversendung
III. Rechtspraxis
IV. Zusammenfassende Würdigung
C. Gesetzesstaatlicher Zivilprozess
I. Beweisbedürftigkeit von Recht
1. Ausweitung der Rechtsermittlungslehre
2. Kodifikation
3. Ende des aktionenrechtlichen Denkens
4. Fortwirken der Rechtsermittlungslehre
II. Richterliche Rechtskenntnis
1. Gesetzeskenntnis
2. Durchbruch des gelehrten Berufsrichtertums
3. Ende der Aktenversendung
III. Rechtspraxis
IV. Zusammenfassende Würdigung
D. Rechtsgeschichtliche Ergebnisse
2. Kapitel: Rechtsvergleichung
A. Deutschland
I. Beweisbedürftigkeit von Recht
1. Kein Rechtsbeweis
2. Januskopf § 293 ZPO
a) Ermittlungspflicht
b) Durchbrechungen
3. Begriffsjurisprudenz und Rechtsbeweis
4. Rechtsanwaltsperspektive
II. Richterliche Rechtskenntnis
1. Eigenständige Rechtskenntnis
a) Verfassungsrechtliches Leitbild
b) Juristenausbildung
c) Institutionelle Absicherung
2. Einbeziehung Dritter
III. Rechtspraxis
IV. Zusammenfassende Würdigung
B. Vereinigte Staaten
I. Beweisbedürftigkeit von Recht
1. Inländisches Recht
a) Rechtsentwicklung und judicial notice
b) Prozessuale Behandlung von Recht
c) Vortragsbedürftigkeit
d) Beweisbedürftiges Recht
2. Ausländisches Recht
a) Rechtsentwicklung und fact theory
b) Vortragsbedürftigkeit
c) Beweisbedürftigkeit
3. Rechtsanwaltsperspektive
II. Richterliche Rechtskenntnis
1. Eigenständige Rechtskenntnis
a) Verfassungsrechtliches Leitbild
b) Juristenausbildung
c) Institutioneller Rahmen
2. Einbeziehung Dritter
III. Rechtspraxis
IV. Zusammenfassende Würdigung
C. Vergleich
I. Gemeinsamkeiten
1. Richterliche Rechtsermittlungsbefugnis
2. Relativität des Rechtsbeweises
II. Unterschiede
1. Ausübung der Befugnis
2. Richterliche Pflicht
3. Rechtsvortrag
4. Rechtsbeweis
III. Ursachen
1. Rechtsentwicklung
2. Staatsverständnis
3. Effizienz
4. Richterliche Rechtskenntnis
5. Zugänglichkeit
D. Rechtsvergleichende Ergebnisse
3. Kapitel: Schiedsverfahren
A. Grundlegung
I. Recht und Tatsachen
II. Inländisches und ausländisches Recht
III. Rechtskenntnisvermutung
IV. Ersatzrecht
B. Normativer Rahmen
C. Schiedsrichter
I. Schiedsrichterliche Befugnis
1. Herleitung
a) Rechtsbeschaffung
b) Rechtseinbringung
c) Ausschluss der Befugnis
2. Schranken
a) Grundlegung
b) Unparteilichkeit
c) Schiedsvereinbarung und Mandat
d) Ne ultra petita
e) Rechtliches Gehör
aa) Eingeschränktes Gehör
bb) Umfassendes Gehör
cc) Schweizer Vermittlungsversuche
dd) Transnationaler Gehörsanspruch
3. Einbeziehung Dritter
a) Rechtssachverständige
b) Sekretäre
c) Gerichte und Behörden
d) Amicus curiae
4. Zusammenfassende Würdigung
II. Schiedsrichterliche Pflicht
1. Herleitung
a) Parteivereinbarung
aa) Schiedsvereinbarung
bb) Institutionelle Schiedsregeln
b) Lex arbitri
aa) Fehlende Pflicht
bb) Bestehende Pflicht
cc) Übergreifende Lehren
c) Vollstreckbarer Schiedsspruch
aa) Verfahrensvereinbarung
bb) Ordre public-Vorschriften
2. Reichweite
a) Allgemeine Zumutbarkeitsgesichtspunkte
b) Zusammensetzung des Schiedsgerichts
c) Kollision mit Parteivereinbarung
3. Durchsetzbarkeit
a) Aufhebung und Vollstreckungsversagung
b) Pflichtverletzung und Haftung
c) Reputation
4. Zusammenfassende Würdigung
III. Schiedsrichterliches Ermessen
1. Zweckmäßigkeit
a) Fehlanreize
b) Effizienz
c) Erwartungshorizont
aa) Juristisches Studium
bb) Kenntnis des anwendbaren Rechts
cc) Sonderwissen
dd) Mehrpersonenschiedsgericht
d) Institutionelle Belange
2. Ermessensverdichtung
a) Fehlerhafter Rechtsvortrag
b) Fehlender Rechtsvortrag
c) Sonderfälle
3. Rechtliches Gehör
a) Kein allumfassendes Rechtsgespräch
b) Hinweissituationen
aa) Rechtsordnungen und Gesetze
bb) Anspruchsgrundlagen
cc) Einwendungen
dd) Vertragsklauseln
c) Verzichtbare Hinweise
d) Hinweisart und Parteibeteiligung
4. Soft law-Instrumente
a) ILA-Prinzipien
aa) Endverantwortung
bb) Schwächen
cc) Orientierungsfunktion
b) Prager Regeln
5. Zusammenfassende Würdigung
D. Parteien
I. Rechtsbeweis
1. Rechtsvortragslast
2. Rechtsvortragsmaß
3. Rechtsvortragsmittel
II. Gestaltungsmöglichkeiten
1. Vereinbarung
2. Anwendbares Recht
3. Schiedsrichterbenennung
E. Schiedsverfahrensrechtliche Ergebnisse
Dritter Teil: Schlussfolgerungen, Thesen, Ausblick
A. Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren
B. Ausblick
C. Zehn Faustregeln für Schiedsrichter
D. Zehn Faustregeln für Parteien
E. Thesen
Literaturverzeichnis
Entscheidungsverzeichnis
Sonstige Quellen
Sachverzeichnis
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Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren: Eine historisch-rechtsvergleichende Studie zu den Grundlagen der Rechtsermittlung. Dissertationsschrift
 9783161568329, 9783161568336, 316156832X

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 416 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Björn Centner

Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren Eine historisch-rechtsvergleichende Studie zu den Grundlagen der Rechtsermittlung

Mohr Siebeck

Björn Centner, geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Jena, der Uni­versità Cattolica Mailand sowie der Universität Heidelberg; Rechtsreferendariat am LG Heidelberg; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht in Heidelberg; 2016 LL.M., University of Chicago Law School; 2016 New York State Bar Examination; seit 2017 Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.

ISBN  978-3-16-156832-9 / eISBN  978-3-16-156833-6 DOI 10.1628/978-3-16-156833-6 ISSN  0720-1141 / eISSN  2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Für Irene

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Im April 2019 wurde sie mit dem Serick-Preis der Rolf und Lucia Serick Stiftung ausgezeichnet. Für die Veröffentlichung konnten Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung bis einschließlich Februar 2019 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gebührt zunächst meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Herbert Kronke. Er hat mir nicht nur bei der Erstellung der Arbeit die erforderliche wissenschaftliche Freiheit eingeräumt, sondern mich über viele Jahre in vorbildlicher Weise unterstützt und uneingeschränkt gefördert. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Christian Baldus für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan) und Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann für die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe. Der Stiftung der Deutschen Wirtschaft danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der University of Chicago Law School sowie der Anwaltskanzlei Latham & Watkins LLP bin ich zu Dank für die umfassende finanzielle Förderung meines Post­ graduiertenstudiums in den Vereinigten Staaten von Amerika verpflichtet. Für die Einblicke in die US-amerikanische Prozesspraxis danke ich Herrn Frank H. Easterbrook, Herrn Richard Posner und Frau Diane Wood. Meine Teilnahme an der Hague Academy of International Law sowie der Austausch mit Herrn Prof. George A. Bermann wurden durch ein Royal-Dutch-Shell-Vollstipendium ermöglicht, wofür ich ebenfalls dankbar bin. Herrn Professor Dr. Thomas Duve und Herrn Prof. Dr. Stefan Vogenauer danke ich für die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes in der Bibliothek des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte. Bedanken möchte ich mich weiterhin bei den Direktoren des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht in Heidelberg. Besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer, der mich an seinem Lehrstuhl als Mitarbeiter aufnahm, akademisch prägte und in jederlei Hinsicht förderte. Herrn Prof. Dr. Marc-Philippe Weller danke ich für die Möglichkeit, an den regelmäßigen Gesprächsrunden seines Lehrstuhls teilzunehmen,

VIII

Vorwort

und Herrn Prof. Dr. Christoph Kern, LL.M. (Harvard) danke ich für den wissenschaftlichen Austausch. Neben den Direktoren bin ich zudem allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Heidelberger Instituts zu Dank verpflichtet. Die große Kollegialität, die akademischen Gespräche sowie die freundschaftliche Atmosphäre haben wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Besonders möchte ich Frau Tanja Stooß hervorheben, die das Manuskript vollständig durchgesehen hat. Von Herzen danken möchte ich meiner Familie, insbesondere meiner Großmutter, meinen Eltern sowie meiner Schwester. Mehr als Dank schulde ich zuletzt Irene, der diese Arbeit gewidmet ist. Frankfurt a. M., April 2019

Björn Centner

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Erster Teil: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 B. Prolegomena zu iura novit curia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 C. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Zweiter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Kapitel: Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Römischer Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Gemeiner Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 C. Gesetzesstaatlicher Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 D. Rechtsgeschichtliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

2. Kapitel: Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Vereinigte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 C. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 D. Rechtsvergleichende Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

3. Kapitel: Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 A. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 B. Normativer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 D. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 E. Schiedsverfahrensrechtliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . 328

X

Inhaltsübersicht

Dritter Teil: Schlussfolgerungen, Thesen, Ausblick . . . . . . . 331 A. Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren . . . . . . . . . 332 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 C. Zehn Faustregeln für Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 D. Zehn Faustregeln für Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 E. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Erster Teil: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 B. Prolegomena zu iura novit curia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 I. Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 II. Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 III. Verhältnis zu da mihi facta, dabo tibi ius . . . . . . . . . . . . . 12 IV. Begrifflicher Annäherungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . 13 V. Abschied von iura novit curia . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 C. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Grund für Grundlagenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5. Umgang mit Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Zweiter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Kapitel: Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Römischer Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Beweisbedürftigkeit von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Iudex und Gerichtsmagistrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Actiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Förmlicher Rechtsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

XII

Inhaltsverzeichnis

II. Richterliche Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Consilium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Provinzialprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Recitatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. Rescriptum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Gemeiner Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Beweisbedürftigkeit von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Rechtsquellenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Aktionendenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Rechtsermittlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Richterliche Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Juristische Ausbildung und Richterberuf . . . . . . . . . . . 55 2. Aktenversendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Gesetzesstaatlicher Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Beweisbedürftigkeit von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Ausweitung der Rechtsermittlungslehre . . . . . . . . . . . . 63 2. Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Ende des aktionenrechtlichen Denkens . . . . . . . . . . . . 68 4. Fortwirken der Rechtsermittlungslehre . . . . . . . . . . . . 70 II. Richterliche Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Gesetzeskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Durchbruch des gelehrten Berufsrichtertums . . . . . . . . . 75 3. Ende der Aktenversendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 D. Rechtsgeschichtliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

2. Kapitel: Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Beweisbedürftigkeit von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Kein Rechtsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Januskopf §  293 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Ermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Durchbrechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Begriffsjurisprudenz und Rechtsbeweis . . . . . . . . . . . . 97

Inhaltsverzeichnis

XIII

4. Rechtsanwaltsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Richterliche Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Eigenständige Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Verfassungsrechtliches Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Juristenausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Institutionelle Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 B. Vereinigte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. Beweisbedürftigkeit von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Inländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Rechtsentwicklung und judicial notice . . . . . . . . . . . 121 b) Prozessuale Behandlung von Recht . . . . . . . . . . . . . 123 c) Vortragsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 d) Beweisbedürftiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Rechtsentwicklung und fact theory . . . . . . . . . . . . . 134 b) Vortragsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Beweisbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Rechtsanwaltsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Richterliche Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Eigenständige Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Verfassungsrechtliches Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Juristenausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Institutioneller Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Richterliche Rechtsermittlungsbefugnis . . . . . . . . . . . . 161 2. Relativität des Rechtsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Ausübung der Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Richterliche Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Rechtsvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Rechtsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

XIV

Inhaltsverzeichnis

2. Staatsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Richterliche Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5. Zugänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 D. Rechtsvergleichende Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

3. Kapitel: Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 A. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I. Recht und Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Inländisches und ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Rechtskenntnisvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IV. Ersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 B. Normativer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Schiedsrichterliche Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Rechtsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Rechtseinbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Ausschluss der Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Schiedsvereinbarung und Mandat . . . . . . . . . . . . . 212 d) Ne ultra petita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 e) Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Eingeschränktes Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Umfassendes Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 cc) Schweizer Vermittlungsversuche . . . . . . . . . . . . 223 dd) Transnationaler Gehörsanspruch . . . . . . . . . . . . 225 3. Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Rechtssachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Sekretäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Gerichte und Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Amicus curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Schiedsrichterliche Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

Inhaltsverzeichnis

XV

bb) Institutionelle Schiedsregeln . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Lex arbitri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Fehlende Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Bestehende Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 cc) Übergreifende Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Vollstreckbarer Schiedsspruch . . . . . . . . . . . . . . . 249 aa) Verfahrensvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Ordre public-Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Allgemeine Zumutbarkeitsgesichtspunkte . . . . . . . . . 255 b) Zusammensetzung des Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . 257 c) Kollision mit Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Aufhebung und Vollstreckungsversagung . . . . . . . . . 261 b) Pflichtverletzung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Reputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Schiedsrichterliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Fehlanreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Erwartungshorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) Juristisches Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Kenntnis des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . 276 cc) Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 dd) Mehrpersonenschiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . 280 d) Institutionelle Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Ermessensverdichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Fehlerhafter Rechtsvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Fehlender Rechtsvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 c) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Kein allumfassendes Rechtsgespräch . . . . . . . . . . . . 292 b) Hinweissituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 aa) Rechtsordnungen und Gesetze . . . . . . . . . . . . . 294 bb) Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 cc) Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 dd) Vertragsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 c) Verzichtbare Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 d) Hinweisart und Parteibeteiligung . . . . . . . . . . . . . . 302

XVI

Inhaltsverzeichnis

4. Soft law-Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) ILA-Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Endverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 bb) Schwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 cc) Orientierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Prager Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 5. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . 314 D. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Rechtsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Rechtsvortragslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Rechtsvortragsmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. Rechtsvortragsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 II. Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Schiedsrichterbenennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 E. Schiedsverfahrensrechtliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . 328

Dritter Teil: Schlussfolgerungen, Thesen, Ausblick . . . . . . . 331 A. Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren . . . . . . . . . 332 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 C. Zehn Faustregeln für Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 D. Zehn Faustregeln für Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 E. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Abkürzungsverzeichnis a. E. am Ende a. F. alte Fassung AAA American Arbitration Association ABA American Bar Association ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AJS American Judicature Society Amend. Amendment to the Constitution of the United States of America Am. L. Rev. American Law Review Am. Rev. Int’l Arb. American Review of International Arbitration AnwBl Anwaltsblatt ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz Arb. Int’l Arbitration International Ariz. Ct. App. Arizona Court of Appeals Ariz. St. L.J. Arizona State Law Journal Ark. Arkansas Supreme Court Ark. Ct. App. Arkansas Court of Appeals Ark. L. Rev. Arkansas Law Review Art. Artikel / article ASA Association Suisse de l’Arbitrage Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BAG Bundesarbeitsgericht Baltic Y.B. Int’l L. Baltic Yearbook of International Law BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BB Der Betriebs-Berater Bearb. Bearbeiter Begr. Begründer BfJ Bundesamt für Justiz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGer Bundesgericht BGH Bundesgerichtshof BNotO Bundesnotarordnung BORA Berufsordnung der Rechtsanwälte BRAK Bundesrechtsanwaltskammer BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

BT-Drs. Bundestagsdrucksache Buff. L. Rev. Buffalo Law Review BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht B.Y.U. L. Rev. Brigham Young University Law Review CAM Camera Arbitrale di Milano C.D. Cal. Central District of California c.p.c. Code de procédure civile c.p.c. (Italien) Codice di procedura civile CA EVID California Evidence Code Cal. Supreme Court of California Cal. L. Rev. California Law Review Cass. Corte suprema di cassazione Cass. civ. Cour de cassation Chap. L. Rev. Chapman Law Review Chi.-Kent L. Rev. Chicago-Kent Law Review CIETAC China International Economic and Trade Arbitration Commission Cir. Circuit CISG United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods Cl. clause C.L.C. Commercial Law Cases Colum. L. Rev. Columbia Law Review Conn. L. Rev. Connecticut Law Review Cornell L. Rev. Cornell Law Review CPO Civilprozessordnung D. Ariz. District of Arizona D. Conn. District of Connecticut D. Guam District of Guam D. Mass. District of Massachusetts D. Pa. District of Pennsylvania D.D.C. District of Columbia DC Cir. United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit DJT Deutscher Juristentag DRiG Deutsches Richtergesetz Duke L.J. Duke Law Journal E.D. Pa. Eastern District of Pennsylvania E.D. Cal. Eastern District of California E.D. Mich. Eastern District of Michigan E.D.N.Y. Eastern District of New York EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGZPO Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung EL Ergänzungslieferung EMRK Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten EU Europäische Union

Abkürzungsverzeichnis EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Europäischer Gerichtshof EuR Europarecht EUR Euro EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht f. / ff. folgend / folgende FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fed. Cir. United States Court of Appeals for the Federal Circuit FGO Finanzgerichtsordnung Fn. Fußnote Fordham L. Rev. Fordham Law Review Fordham Urb. L.J. Fordham Urban Law Journal Fortges. fortgesetzt von FRAP Federal Rules of Appellate Procedure FRCP Federal Rules of Civil Procedure FRE Federal Rules of Evidence FS Festschrift / liber amicorum Ga. Supreme Court of Georgia gem. gemäß Geo. J. Legal Ethics Georgetown Journal of Legal Ethics GG Grundgesetz GKG Gerichtskostengesetz GRUR Gewerblicher Rechtsschutz u. Urheberrecht GVG Gerichtsverfassungsgesetz Harv. L. Rev. Harvard Law Review HGB Handelsgesetzbuch HKIAC Hong Kong International Arbitration Center Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz IBA International Bar Association ICC International Chamber of Commerce ICCA International Council for Commercial Arbitration ICDR International Center for Dispute Resolution I.C.L.Q. International & Comparative Law Quarterly ICSID International Centre for Settlement of Investment Disputes IDEA The Intellectual Property Law Review IJPL International Journal of Private Law ILA International Law Association ILCS Illinois Compiled Statutes Ill. App. Ct. Illinois Appellate Court Ind. Supreme Court of Indiana Int. A.L.R. International Arbitration Law Review Int’l Bus. Law. International Business Lawyer Iowa Iowa Supreme Court Iowa L. Rev. Iowa Law Review IPRax Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRG Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht

XIX

XX IPRspr

Abkürzungsverzeichnis

Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts JAPO Bayern Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen JAPrO BW Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung J. Empirical Legal Stud. Journal of Empirical Legal Studies J. Int’l Arb. Journal of International Arbitration J. Legal Stud. Journal of Legal Studies JR Juristische Rundschau JurBüro Das juristische Büro JuS Juristische Schulung JVEG Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz JZ Juristenzeitung KG Kammergericht KV Kostenverzeichnis La. L. Rev. Louisiana Law Review Law & Soc’y Rev. Law & Society Review l.e.c. (Spanien) Ley de Enjuiciamiento Civil LCIA London Court of International Arbitration lit. littera (Buchstabe) Lond. Rev. Int. Law London Review of International Law LRiStAG BW Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetz Mar. Law. The Maritime Lawyer M.D. Fla. Middle District of Florida MDR Monatsschrift für Deutsches Recht M.D. Tenn. Middle District of Tennessee Mich. L. Rev. Michigan Law Review Mich. YB Int. Legal Stud. Michigan Yearbook of International Legal Studies Minn. L. Rev. Minnesota Law Review Mass. Massachusetts m. w. N. mit weiteren Nachweisen N.J. Super. Ct. App. Div. New Jersey Superior Court, Appellate Division NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht No. number Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht Nw. U. L. Rev. Northwestern University Law Review NY Const. New York State Constitution NY CPLR New York Civil Practice Law and Rules NYCRR New York Codes, Rules and Regulations N.Y.U. L. Rev. New York University Law Review OGH Oberster Gerichtshof Ohio Supreme Court of Ohio OLG Oberlandesgericht ÖstZPO Österreichische Zivilprozessordnung Or. L. Rev. Oregon Law Review Pa.C.S.A. Consolidated Statutes of Pennsylvania PCC Polish Chamber of Commerce

Abkürzungsverzeichnis Penn St. L. Rev. PrALR ProdHaftG RabelsZ

XXI

Penn State Law Review Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte Rabels Zeitschrift für internationales und ausländisches Privatrecht Rev. Litig. Review of Litigation RG Reichsgericht Rn. Randnummer ROHG Reichsoberhandelsgericht Rom  I-VO Verordnung (EG) Nr.  593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rom  II-VO Verordnung (EG) Nr.  864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rpfleger Der Deutsche Rechtspfleger Rv. Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering RVG Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechts­ anwälte San Diego L. Rev. San Diego Law Review S. Ct. Supreme Court of the United States S.D. Fla. Southern District of Florida S.D. Texas Southern District of Texas S.D.N.Y. Southern District of New York SCC Stockholm Chamber of Commerce SchO Schiedsgerichtsordnung SchwZPO Schweizerische Zivilprozessordnung SGG Sozialgerichtsgesetz SIAC Singapore International Arbitration Center sic sīc erat scriptum Slg Sammlung SRIA Swiss Chambers’ Arbitration Institution Stan. J. Int’l L. Stanford Journal of International Law StGB Strafgesetzbuch St. Mary’s L.J. St. Mary’s Law Journal StVG Straßenverkehrsgesetz S. Tx. L. Rev. South Texas Law Review SZ Ger. Abt. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung SZ Rom. Abt. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung Temp. L. Rev. Temple Law Review Tul. Eur. & Civ. L.F. Tulane European and Civil Law Forum Tul. J. Int’l & Comp. L. Tulane Journal of International and Comparative Law TVG Tarifvertragsgesetz TX EVID Texas Rules of Evidence UCLA L. Rev. UCLA Law Review U. Chi. L. Rev. University of Chicago Law Review

XXII

Abkürzungsverzeichnis

U. Kan L. Rev. University of Kansas Law Review U. Miami L. Rev. University of Miami Law Review Unif. L. Rev. Uniform Law Review U. Pa. L. Rev. University of Pennsylvania Law Review U. Pitt. L. Rev. University of Pittsburgh Law Review U.S. United States U.S. Const. United States Constitution U.S.C. Code of Laws of the United States of America UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law USD US-Dollar v. versus Va. Supreme Court of Virginia Va. L. Rev. Virginia Law Review Vand. J. Transnat’l L. Vanderbilt Journal of Transnational Law Vand. L. Rev. Vanderbilt Law Review VIAC Vienna International Arbitration Center VJ The Vindobona Journal of International Commercial Law and Arbitration Vol. volume VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwV Verwaltungsvorschrift VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Wake Forest L. Rev. Wake Forest Law Review Wash. Washington Supreme Court Wash. & Lee L. Rev. Washington & Lee Law Review Wayne L. Rev. Wayne Law Review WM Wertpapier-Mitteilungen WuM Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wyo. L.J. Wyoming Law Review Yale J.L. & Human. Yale Journal of Law & the Humanities Yale L. J. Yale Law Journal ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung ZGS Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZZP Zeitschrift für Zivilprozess

Erster Teil: Einleitung Iura novit curia. Das klingt poetisch. Tatsächlich handelt es sich um Sprichwort, Wortspiel und Reim zugleich.1 Der schöne Klang verblasst jedoch rasch, wenn das Sprichwort im schiedsverfahrensrechtlichen Kontext ertönt.2 Dazu passend bringen mehrere schiedsverfahrensrechtliche Autoren iura novit curia mit Skylla und Charybdis in Verbindung.3 Der Legende nach war Skylla ein fürchterliches Ungeheuer und Charybdis eine tödliche Wassergöttin.4 Sogar für Odysseus war es unmöglich, die von Skylla und Charybdis bewachte Meerenge ohne Verluste zu durchqueren.5 Wie Skylla und Charybdis, so ist iura novit curia für viele Schiedspraktiker vornehmlich mit Gefahren behaftet.6 Schließlich droht die Auf­ hebung des Schiedsspruchs vermeintlich von zwei Seiten: einerseits wegen des Verstoßes gegen Verfahrensgrundsätze, andererseits weil zwingende materielle Vorschriften unbeachtet geblieben sind.7 Capone führt die Verbreitung von iura novit curia auf die Reimform zurück („effetto mnemonico della rima“), s. Capone, Iura novit curia (2010), S.  20. Die Worte curia und iura bestehen bis auf das am Anfang stehende „c“ aus denselben Buchstaben in ähnlicher Reihung, was an eine Paronomasie erinnert. Die Beliebtheit von rhythmischen Rechtssätzen hängt mit der Lehrmethode im Hochmittelalter zusammen, s. Liebs, JZ 1981, 160, 161. Vertiefend zur Rechtsparömiologie Wacke, Orbis Iuris Romani 4 (1998), 174–213. 2 Grundlegend Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 93: „Implementation of the ­maxim jura novit curia is singularly alien to the international arbitral process […] and may even be characterized as unethical if not as a serious procedural irregularity.“ 3 Zuerst Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92 sowie später Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89 (2008) und Carlevaris, 2 Les Cahiers de l’Arbitrage 433 (2010). 4  Furchterregend die Beschreibung von Skylla bei Homer, Odyssee, S.  144, 15. Gesang, Zeilen 85–95: „Siehe das Ungeheuer hat zwölf abscheuliche Klauen, und sechs Häls’ unglaub­ licher Läng’, auf jeglichem Halse einen gräßlichen Kopf, mit dreifachen Reihen gespitzter dichtgeschlossener Zähne voll schwarzes Todes bewaffnet.“ 5  Odysseus umfuhr zwar den Schlund der Charybdis, konnte aber den Angriff von Skylla nicht vermeiden und verlor insgesamt sechs Männer, s. Homer, Odyssee, S.  147, 15. Gesang, Zeilen 245–250. 6  Statt aller Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201 (2011). 7  Kalniņa schildert die ausweglose Situation, in der einerseits die Parteien dem Schieds­ gericht die Anwendung von europäischem Wettbewerbsrecht untersagen, andererseits aber die nationalen Gerichte die Beachtung des Wettbewerbsrechts für die Vollstreckbarkeit verlangen, s. Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 103 (2008). 1 

2

Erster Teil

Allerdings: Wo Gefahren sind, da ist auch Hoffnung.8 Die Legende lehrt, dass selbst Skylla und Charybdis ohne Verluste passiert werden konnten.9 Ziel der Ar­ beit ist deshalb, eine Segelkarte zu zeichnen, um die mit iura novit curia in inter­ nationalen Schiedsverfahren verbundenen Gefahren zu umschiffen.10 Diese Karte wird auf den Erfahrungen der Rechtsgeschichte und der Rechtsvergleichung auf­ bauen und die Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit berücksichtigen. Als erster Schritt wird die mit iura novit curia in Zusammenhang gebrachte schiedsverfahrensrechtliche Problemstellung erläutert. Danach soll es darum ge­ hen, den Begriffsinhalt von iura novit curia näher zu beleuchten und den metho­ dischen Ansatz der Arbeit zu entfalten.

A. Problemstellung Iura novit curia ist nicht nur ein Reim, sondern auch ein Rätsel. Dies lässt sich anhand des folgenden Falles verdeutlichen: K aus Italien kauft von V aus den Vereinigten Staaten eine Sammlung poetischer Rechtsbücher. Der Vertrag enthält eine ICC-Schiedsklausel sowie die Wahl deutschen Rechts. Es entsteht Streit und ein deutscher Einzelschiedsrichter nimmt die Arbeit auf. K trägt die Tatsachen vor und verzichtet auf Rechtsausführungen. Der Schiedsrichter droht mit Klageabweisung, weil er sich zur Ermittlung des deutschen Rechts nicht als verpflichtet ansieht. Zu Recht?11

Bei einem Blick in die ICC-Schiedsregeln sowie die dazugehörige Sekundärlite­ ratur reagiert der italienische Rechtsanwalt des Käufers überrascht, weil sich dort tatsächlich überzeugende Anhaltspunkte für die Rechtsmeinung des Schiedsrich­ ters finden.12 Ausdrücklich heißt es etwa im Secretariat’s Guide to ICC Arbitration unter der Überschrift iura novit curia: 8  Unter allen Schrecken befand sich in der Büchse der Pandora die Hoffnung, s. Hesiod, Werke und Tage, S.  89, Zeilen 90–105. 9  Dies gelang Jason und den Argonauten mit der Hilfe von Thetis und Hera, s. ausführlich Apollonios von Rhodos, Die Fahrt der Argonauten, Buch 4, Zeilen 922–926. 10  Als Odysseus und seine Männer Skylla und Charybdis entflohen waren, erreichten sie des Gottes herrliche Insel, s. Homer, Odyssee, S.  148, 15. Gesang, Zeilen 260–265. 11 Die ICC Expedited Procedure Rules sehen in Art.  30 sowie Art.  2 Abs.  1 Appendix VI ICC-Schiedsregeln bei einem Streitwert von unter zwei Millionen USD die Entscheidung durch einen Einzelschiedsrichter vor. 12  Art.  4.3 lit.  h) ICC-Schiedsregeln: „The Request shall contain the following information: […] all relevant particulars and any observations or proposals as to […] the applicable rules of law.“ Dazu passend Derains, Revue de l’Arbitrage 1998, 709, 711: „L’adage Jura novit curia n’a pas sa place en matière d’arbitrage, et surtout pas en matière d’arbitrage international.“ Es wird im Rahmen der Arbeit darauf einzugehen sein, inwiefern der amerikanische Schiedsrich­ ter „judicial notice“ des amerikanischen Rechts nehmen darf oder gar sollte.

Einleitung

3

„In some legal systems, the parties may rely on the judge’s knowledge of the law rather than setting out and explaining the law to the judge. This is usually not the case in international ar­ bitration, for which this approach is undesirable.“13

Der klägerische Rechtsanwalt bittet seinen Mandanten deshalb um Einbeziehung eines deutschen Kollegen. Obschon der Mandant grundsätzlich nicht einsieht, einem deutschen Schiedsrichter den Inhalt des deutschen Rechts erklären zu müssen, willigt er am Ende schweren Herzens ein. Bei genauer Betrachtung ist der Fall aber nicht damit gelöst, dass der Käufer nolens volens den Inhalt des deutschen Rechts vortragen lässt. Ersichtlich han­ delt es sich bei der geschilderten Meinungsverschiedenheit nur um die Spitze des Eisbergs.14 Ohne Umstände lassen sich zahlreiche Abwandlungen bilden: Wie verändert sich das Ergebnis, wenn der deutsche Einzelschiedsrichter über italie­ nisches Recht entscheiden soll? Oder ein amerikanischer Schiedsrichter über amerikanisches Recht?15 Welchen Einfluss hat es auf den Vorgang der Rechts­ ermittlung, wenn das Schiedsgericht mit mehreren Schiedsrichtern besetzt ist? Und wie wirkt es sich aus, wenn diese aus unterschiedlichen Ländern stammen? In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur findet sich bislang kein theoreti­ scher Ansatz, der zur Lösung dieser oder vergleichbarer Praxisfälle herangezo­ gen werden könnte.16 Vielmehr kreist die Diskussion bislang um Teilaspekte und 13  Fry/Greenberg/Mazza, The Secretariat’s Guide to ICC Arbitration (2012), S.  225, Rn.  3-­769. Weiter heißt es dort: „If an arbitral tribunal considers that certain relevant provisions of the rules of law governing the merits have not been presented to it, it is well advised to adopt one of two approaches. One is to ignore that point, even if it means rejecting a claim or a defense. The other is to invite the parties to make submissions on those potentially relevant provisions of law.“ Inhaltlich ähnlich für die DIS-Schiedsregeln Schmidt-Ahrendts, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO/DIS-SchO Praxiskommentar (2014), §  23 Dis-SchO, Rn.  59–62. 14  Kaufmann-Kohler berichtet von einem Fall, in dem ein kanadischer Schiedsrichter den Beweis des anwendbaren Rechts verlangte, Kaufmann-Kohler, ASA Special Series No.  26, S.  79. Ebenso für den Fall eines englischen Schiedsrichters Karrer, FS Elsing (2015), S.  211, 212 mit Fn.  1. Hierbei handelt es sich nicht um Einzelfälle, s. nun auch Art.  7.1 der Prager Regeln. 15  Aus Gründen der Lesbarkeit werden die Vereinigten Staaten von Amerika als „Vereinigte Staaten“, US-amerikanisches Recht als „amerikanisches Recht“ und die Bundesrepublik Deutsch­land als „Deutschland“ bezeichnet. Aufgrund der Eigenheiten des amerikanischen Rechts­marktes ist die Mandatierung eines amerikanischen Rechtsanwalts mit erheblichen ­Kosten verbunden, die zum Streitwert in einem gewissen Missverhältnis stehen können, s. aus­ führlich zu den Kostenproblemen im amerikanischen Prozessrecht Miller, 69 Minn. L. Rev. 1 (1984–1985). 16 An einer monographischen Aufbereitung der Fragestellung fehlt es bislang. Viegas de Freitas Monteiro beschreibt in ihrer Masterarbeit lediglich die aufgeworfenen Probleme, schlägt aber keine Lösungen vor, s. Viegas de Freitas Monteiro, Jura Novit Curia in Internatio­ nal Commercial Arbitration (2013), S.  80–84. Sandberg begnügt sich damit, die Geltung von iura novit curia in Schiedsverfahren mit Sitz in Schweden schlechthin zu verneinen, s. Sandberg, Jura novit arbiter? (2011), S.  2. Der Sammelband Ferrari/Cordero-Moss, Iura Novit

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Erster Teil

erschöpft sich darin, eine Vielzahl unterschiedlicher Fragen herauszuarbeiten.17 Diese lassen sich vier Sachgruppen zuordnen: Beweisbedürftigkeit von Recht, Rechtskenntnis des Schiedsrichters, prozessuale Behandlung von Rechtsfragen sowie rechtliches Gehör. Der erste Fragenkomplex betrifft die Beweisbedürftigkeit von Recht.18 Die Ausgangsfrage lautet: Müssen die Parteien das anwendbare Recht vortragen, nachweisen oder sogar beweisen?19 Gilt dies für die Existenz, die Geltung oder gar den Inhalt des Rechts?20 Welche Rolle kommt Rechtssachverständigen und Parteigutachten über Rechtsfragen zu?21 Was ist die Folge, wenn der Beweis nicht gelingt und die beweispflichtige Partei beweisfällig bleibt?22 Gibt es ein Ersatzrecht?23 Die zweite Gruppe von Fragen kreist um die schiedsrichterliche Rechtskennt­ nis. Sollte ein Schiedsrichter von seiner Rechtskenntnis Gebrauch machen, wenn und soweit er darüber verfügt?24 Muss er die rechtlichen Entscheidungsgrund­ lagen ermitteln, sofern sie ihm unbekannt sind?25 Ist hierbei zwischen verschie­ ­ uria in International Arbitration (2018) enthält eine Betrachtung ausgewählter Aspekte von C iura novit curia in Form einzelner Länderberichte, aber keine allgemeinen Lehren. 17  In der Studie der International Law Association zum Thema „Ascertaining the Contents of the Applicable Law in International Commercial Arbitration“ werden auf zwei Seiten ins­ gesamt sechzehn Fragen gestellt, International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 199–200 (2010). Weitere vierzehn Fragen zählt Waincymer zu Beginn seines Aufsatzes auf; diese Fragen überschneiden sich lediglich teilweise mit denen der International Law Association, s. Wain­ cymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 203 (2011). 18  Treffend der Aufsatztitel von Lew: „Proof of Applicable Law in International Commer­cial Arbitration“, s. Lew, FS Sandrock (2000), S.  581. Weiterführend Capper/Ljungström/­Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44–50 sowie Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003). Aus deut­ scher Sicht weist Oestmann zu Recht darauf hin, dass die Kombination der Worte „Be­weis­ bedürftigkeit“ und „Recht“ Unbehagen hervorruft, s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467. 19  Bisweilen ist in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur die Rede von einer „burden of education“, s. Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003). 20  Zwischen diesen unterschiedlichen Fragen wird in der schiedsverfahrensrechtlichen Lite­ ratur bislang nicht unterschieden, obwohl dies etwa bei Handelsbräuchen und Handelsgewohn­ heitsrecht durchaus naheläge, s. dazu exemplarisch Ebenroth, in: Boujong/Joost/Strohn/Joost, Handelsgesetzbuch, 3.  Aufl. 2015, §  346 HGB, Rn.  5. 21  Ausführlich dazu Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 45–50. 22  Kritisch zum Denken in derartigen Kategorien Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 21. 23  Dagegen etwa Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 222 (2011). 24  Öhlberger und Pinkston empfehlen Schiedsrichtern, ihre Rechtskenntnis aktiv in das Ver­ fahren einzubringen, s. Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 116–117. Grundlegend anders jedoch Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 197–219 (2012). 25  Kaufmann-Kohler bejaht eine Befugnis, verneint aber eine Pflicht, s. Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). Anders aber Wiegand, der grundsätzlich eine Pflicht bejaht, s. Wiegand, FS Kellerhals (2005), 127, 134.

Einleitung

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denen Rechtsquellen zu unterscheiden?26 Kann eine Rechtsermittlungspflicht überhaupt durchgesetzt werden?27 Ist es zulässig, einen Sekretär für Rechtsfra­ gen hinzuzuziehen?28 Oder sollten die Schiedsrichter ein Gutachten über Rechts­ fragen erheben?29 In welchem Verhältnis steht die schiedsrichterliche Rechts­ kenntnis zu der Beweisbedürftigkeit von Recht? Ganz grundsätzlich wird drittens aber auch über die prozessuale Behandlung von Recht in Schiedsverfahren diskutiert. Die Urfrage lautet: Darf das Schieds­ gericht die Rechtsausführungen der Parteien überschreiten oder entscheidet es ultra petita, wenn es neue rechtliche Erwägungen einführt?30 Umgekehrt gefragt: Können die Parteien das rechtliche Prüfprogramm des Schiedsgerichts verbind­ lich festlegen?31 Sind Rechtsfragen gar geständnisfähig?32 Kann dies auch dann gelten, wenn zwingende Rechtsvorschriften betroffen sind?33 Gibt es verspäteten Rechtsvortrag?34 Und schließlich: In welchem Verhältnis steht die eigenständige Rechtsanwendung zur Neutralität des Schiedsrichters?35 Zuletzt zum rechtlichen Gehör: Ist der Schiedsrichter verpflichtet, den Partei­ en in Rechtsfragen Gehör zu gewähren?36 Gilt eine solche Pflicht absolut oder nur für bestimmte Rechtsfragen?37 Müssen die Parteien in jedem Stadium des Verfahrens angehört werden?38 Wie hat die Anhörung zu erfolgen?39 26  Für eine Sonderbehandlung des Wettbewerbsrechts Geradin, TILEC Discussion Paper No.  2016-027, S.  1–28. 27 Zweifelnd statt aller Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2.  Aufl. 2007, S.  482. 28  Bejahend Art.  3 Abs.  2 lit.  e) Young ICCA Guide on Arbitral Secretaries. Differenzierend Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 42. 29 Dazu Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 287–288. 30 Grundlegend Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1. Zu einer Entscheidung infra petita s. Chainais, Revue de l’Arbitrage 2010, 3, 10. 31  Verneinend etwa Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 23–24 (2010), bejahend etwa Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 228 (2011). 32  Ganz grundlegend wird in diesem Zusammenhang über die Abgrenzung zwischen Recht und Tatsachen diskutiert, s. statt aller Kaufmann-Kohler, ASA Special Series No.  26, S.  79. 33  Ausführlich zu diesem Problem Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 102–103 (2008). 34  Dafür in Bezug auf Rechtsgutachten Karrer, FS Elsing (2015), S.  211, 214. 35  Kritisch etwa Dimolitsa, 27 ASA Bulletin 426, 437 (2009). 36  Bejahend bereits Kessedjian, Revue de l’Arbitrage 1995, 381, 404 sowie ausführlich statt aller Knuts, 28 Arb. Int’l 669 (2012). 37  Für eine absolute Pflicht Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 26 (2010). Dagegen jedoch Schlosser, der zwischen Einzelargumenten und Rechtsgedanken unterscheidet, s. Schlosser, in: Stein/­Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  203. 38  Grundsätzlich bejahend Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 241 (2011). Deutlich zurückhal­ tender Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 137–142. 39  Diese Frage wird bislang nur selten erörtert; einige Anmerkungen finden sich bei Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 225 (2011).

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Erster Teil

B. Prolegomena zu iura novit curia Schon Epiktet warnte davor, dass nicht die Dinge selbst die Menschen beunruhi­ gen, sondern die Meinungen und die Urteile über die Dinge.40 Ein wesentliches methodisches Problem der bisherigen schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion liegt darin, dass der Inhalt von iura novit curia nicht näher konkretisiert wird, sondern die Diskutanten ihr jeweiliges Vorverständnis zugrunde legen.41 Dabei fordert bereits die schiere Zahl der aufgeworfenen Fragen dazu heraus, den In­ halt von iura novit curia näher zu untersuchen. Eine gängige Übersetzung des Brocardicums lautet: „Der Richter kennt das Recht“.42 Auf den ersten Blick ist diese Aussage rein tatsächlich und beschreibt das Wissen des Richters.43 Unmittelbar begleitet wird diese Erkenntnis jedoch von einem zweiten Gedanken: Jedwedes Recht kann der Richter in Ansehung des begrenzten menschlichen Erkenntnisvermögens nicht kennen.44 Bereits in tat­ sächlicher Hinsicht ist die Formel somit lediglich eine Fiktion, die ohne Begren­ zung seltsam unwirklich erscheint.45 Auf der Suche nach einer weiteren Annähe­ rung wandert der Blick in den Duden, wo sich folgender Eintrag findet: „Alte, im deutschen Zivilprozess gültige Rechtsformel, die besagt, dass das geltende Recht dem Gericht von den streitenden Parteien nicht vorgetragen werden muss, es sei denn, dass es sich um dem Gericht unbekanntes fremdes (ausländisches) Recht handelt.“46

Das ist eine lange Erklärung für drei lateinische Worte. Offensichtlich steckt hin­ ter iura novit curia nicht nur eine Aussage über die richterliche Rechtskenntnis, sondern eine abgestufte Rechtsermittlungslehre. Diese Rechtsermittlungslehre Epiktet, Handbüchlein der stoischen Moral, Ziffer V. Lew, FS Sandrock (2000), S.  581 ff. einerseits und Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 722 andererseits. Grundlegend zum Vorverständnis Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), S.  289 sowie Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung (1970), S.  33. 42  Breidenstein, Verfahrensrechtsvergleichung (2012), S.  45; Kühne, Amicus Curiae (2015), S.  193; Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  185; Rittner, EuZW 2007, 745 sowie die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 26.04.2012, C-619/10, Rn.  92. Die andere gängige Variante lautet: „Das Gericht kennt das Recht“, so Hähnchen, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2016, S.  192; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201 mit Fn.  8; Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37. 43  Kralik, ZfRV 3 (1962), 75, 83 sowie vertiefend Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37–38. 44  Brooker, Bepress Legal Series Working Paper No.  845 (2005), S.  21–22. 45  Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 269; Broggini, AcP 155 (1956), 469, 475; Kralik, ZfRV 3 (1962), 75, 83. Zur Fiktion des angelus intellectualis s. Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  36. 46  Duden, Das Fremdwörterbuch, 9.  Aufl. 2007, Eintrag „jura novit curia“. 40 

41 Exemplarisch

Einleitung

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wirkt sich nicht nur auf das Gericht, sondern auch auf die Parteien aus. Deren Vortragspflichten hängen davon ab, ob das Gericht über Kenntnisse des anwend­ baren Rechts verfügt oder nicht. Letztlich wirft der Blick in den Duden aber mehr Fragen auf, als er beantwortet. Folglich ist geboten, der genauen Bedeu­ tung von iura novit curia auf den Grund zu gehen. Begonnen werden soll damit, die drei Wörter iura novit curia in die deutsche Sprache zu übersetzen. Danach wird nach dem historischen Ursprung der Formel gesucht und auf den verwandten Grundsatz da mihi facta, dabo tibi ius einge­ gangen. Nach Vollendung dieser Vorarbeiten geht es darum, den Inhalt von iura novit curia näher zu bestimmen. In einem letzten Schritt wird der grundlegenden Frage nachgegangen, inwiefern die Verwendung der Worte iura novit curia zur Lösung des Erkenntnisproblems etwas beitragen kann.

I. Übersetzung Iura novit curia.47 Der Richter kennt das Recht.48 Diese Gleichung erscheint be­ reits auf den ersten Blick ungleich.49 Schon die Übersetzung des ersten Wortes überrascht: Zwar bedeutet iūs zweifellos „Recht, Verordnung, Satzung“.50 Das Wort iūra steht aber nicht im Singular, sondern im Plural.51 Es sollte deshalb nicht mit „Recht“, sondern mit „Rechte“ übersetzt werden.52 Ebenfalls überzeu­ gend sind die Übersetzungsvorschläge „Das Gericht kennt die Rechtssätze“ oder „Das Gericht kennt die Gesetze“.53

Grundlegend zu dem Problem von Latein im Recht Hamann, NJW 2009, 727, 732. Diese Übersetzung findet sich etwa bei Breidenstein, Verfahrensrechtsvergleichung (2012), S.  45; Kühne, Amicus Curiae (2015), S.  193; Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  185; Rittner, EuZW 2007, 745. 49  Jeweils anders Benke/Meissel, Juristenlatein, 2.  Aufl. 2002, S.  174: „Die Kurie (das Ge­ richt) kennt das Recht“; Creifelds, Rechtswörterbuch, 22.  Aufl. 2017, S.  722: „[D]as Gericht kennt die Rechtssätze“; Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155: „Das Gericht kennt die Rechte“; Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Aufl. 2007, S.  116: „Das Recht ist dem Gericht bekannt“; Luggauer, Juristenlatein, 3. Aufl 1992, S.  127 „Die Kurie kennt ihr (das) Recht (kirchenrechtlicher Begriff)“. 50  Georges, Der neue Georges, Band  2 (2013), Eintrag „iūs“. Bei von Savigny findet sich tatsächlich noch die Formulierung „jus novit curia“, s. von Savigny, System des heutigen römi­ schen Rechts, Band  1 (1840), S.  187. 51  Wegen des Wortes „iūra“ weichen Creifelds, Rechtswörterbuch, 22.  Aufl. 2017, S.  722 und Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155 von der gängigen Übersetzung ab. 52  So ebenfalls Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155. 53  Creifelds, Rechtswörterbuch, 22.  Aufl. 2017, S.  722: „Rechtssätze“. Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201 mit Fn.  8: „Gesetze“. 47  48 

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Erster Teil

Zweifel an der Übersetzung „Der Richter kennt das Recht“ bestehen aber nicht nur bei dem Wort iūra, sondern auch bei dem Begriff cūria.54 In gängigen Latein­ wörterbüchern finden sich die Worte „Richter“ und „Gericht“ gerade nicht als Übersetzungsvorschläge für cūria.55 Stattdessen wird cūria mit „Kurie, Kurien­ gebäude, Senatsgebäude“ übersetzt.56 Vor diesem Hintergrund erscheint die Übersetzung von cūria mit dem Wort „Richter“ jedenfalls auf den ersten Blick begründungsbedürftig. Die Übersetzung von nōvit mit „kennt“ lässt sich hingegen inhaltlich nach­ vollziehen, ist sprachlich aber ungenau.57 Das Wort nōvit ist auf nōscere zurück­ zuführen. Nōscere bedeutet „erkennen, kennenlernen, erfahren“; nōvit ist der Indikativ Perfekt von nōscere mit präsentischer Bedeutung.58 Vorzugsweise ließe sich nōvit deshalb als Ergebnis eines Erkenntnisprozesses verstehen: „Die Kurie hat die Rechte erkannt“.59 Insgesamt hinterlässt der Blick in das Wörterbuch ebenso viele Fragen wie der Blick in den Duden.60 Eine eindeutige Übersetzung drängt sich nicht auf. Neben der Übersetzung „Der Richter kennt das Recht“ sind andere Übersetzungen denkbar oder sogar näherliegend. Nach allem überrascht es wenig, dass in acht juristischen Büchern acht unterschiedliche Übersetzungen angeboten werden.61 In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur schwankt die Übersetzung eben­ falls von Autor zu Autor.62 Insgesamt verdeutlicht die sprachliche Analyse von Hierzu s. Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  63, 68 mit Fn.  69. Georges, Der neue Georges, Band  1 (2013), Eintrag „curia“; Pons, Wörterbuch Latein-­ Deutsch (2012), Eintrag „curia“. Stowasser, Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch (2016), Ein­trag „curia“. 56  Zu zahlreichen weiteren Übersetzungen Pons, Wörterbuch Latein-Deutsch (2012), Ein­ trag „curia“. 57 Bei Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155 sowie bei Puchta, Das Gewohn­ heitsrecht, Band  1 (1828), S.  105 findet sich noch die Formulierung „[i]ura noscit curia“. Heu­ te übersetzen nahezu alle Autoren das Wort „nōvit“ mit „kennt“, s. statt aller Benke/Meissel, Juristenlatein, 2.  Aufl. 2002, S.  174. Anders allerdings Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Aufl. 2007, S.  116. 58  Georges, Der neue Georges, Band  2 (2013), Eintrag „nōsco“. 59  Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Aufl. 2007, S.  116 übersetzt „nōvit“ folgerichtig mit „ist bekannt“. 60  Die Relativität von Sprache zeigt sich besonders deutlich an dem Grundsatz dolo facit, qui petit quod redditurus est, der in der deutschen Rechtswissenschaft in mindestens 21 unter­ schiedlichen Schreibweisen vorkommt, Hamann, NJW 2009, 727, 732 m. w. N. 61  Benke/Meissel, Juristenlatein, 2.  Aufl. 2002, S.  174; Creifelds, Rechtswörterbuch, 22.  Aufl. 2017, S.  722; Hähnchen, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2016, S.  192; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201 mit Fn.  8; Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155; Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Aufl. 2007, S.  116; Luggauer, Juristenlatein, 3. Aufl 1992, S.  127; Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  254. 62  Kritisch dazu Isele, 13 Int. A.L.R. 14 (2010) m. w. N. 54  55 

Einleitung

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iura novit curia die begrifflichen Schwierigkeiten, die mit lateinischen Rechts­ sprichwörtern verbunden sein können.63

II. Begriffsgeschichte Der Übersetzungsvorgang fordert eine Beschäftigung mit den historischen Grundlagen förmlich heraus, weil sich allein aus der Sprache keine eindeutige Bedeutung von iura novit curia ableiten lässt.64 Bereits Hegel kleidete den Zu­ sammenhang zwischen Begriffen und ihrer Geschichte in seiner „Phänomenolo­ gie des Geistes“ in folgende Worte: „Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem Bewußtseyn vor­ stellt; deswegen erscheint der Geist nothwendig in der Zeit und er erscheint so lange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, d. h. nicht die Zeit tilgt.“65

Das Rechtssprichwort iura novit curia ist ein Produkt des menschlichen Verstan­ des, weshalb sich sein Inhalt nicht aus der Natur selbst ergibt, sondern nur unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte erschlossen werden kann.66 Auf der Suche nach Nachweisen zur Entstehungsgeschichte sowie An­näherungen an den Begriffsinhalt wandert der Blick unweigerlich in die juris­tische Fachlite­ ratur. In deutschen Lehrbüchern sind allerdings jegliche Verweise auf den Ur­ sprung der Maxime sowie ihren genauen Inhalt seit Jahrzehnten verschwunden.67 Offenbar wird beides als so selbstverständlich angesehen, dass Nach­weise ent­ behrlich erscheinen.68 63  Zum Beweis von Gewohnheitsrecht kam Rechtssprichwörtern ein untergeordneter Wert zu, weil sie „vieldeutig und dunkel“ waren, s. dazu Stobbe, Handbuch des deutschen Privat­ rechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  161. Überdies kann die Ungenauigkeit von lateinischen Rechts­regeln zu einem Missverstehen der Rechtslage führen, s. Bucher, ZEuP 2000, 394, 494 f. mit Beispielen für das Bereicherungsrecht. 64  Weiterführend zur Bedeutung der Geschichte für das Verständnis des Rechts von Savigny, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815, 1, 3–4. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm enthält keinen Eintrag zu „iura novit curia“. 65  Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), S.  604. 66 Nach Hegel ist die Aufbereitung der begrifflichen Entstehungsgeschichte der Vorgang des „Begreifens überhaupt“, weil ohne die Geschichte der Geist eines Begriffs nicht verstanden werden kann, s. ausführlich Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), S.  603–605. 67 Statt aller s. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 17.  Aufl. 2010, S.  399. Anders etwa noch Blomeyer, ZPO (1963), S.  84 mit Fn.  3 sowie Stein/Juncker, Grundriß des Zivilprozeß­ rechts, 2.  Aufl. 1924, S.  29–34. 68  Weiterführende Hinweise zur Entstehungsgeschichte finden sich allein in ausländischer Literatur, s. Broggini, Schweizerisches Handbuch für internationales Recht, Band  9 (1954), S.  105, 150–156; Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41–48; Capone, Iura novit curia (2010), S.  15–20.

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Erster Teil

Autoren von Monographien und Aufsätzen machen sich hingegen die Mühe und schlagen unterschiedlichste Zeitpunkte für die Entstehung von iura novit curia vor. Genannt werden: das antike Rom,69 die Zeit Justinians,70 verschiedene Dekretalen aus dem 12. und 13. Jahrhundert,71 die Reichskammergerichtsord­ nung von 1495/1555,72 der Jüngste Reichsabschied von 1654,73 eine Rechtsan­ wendungsklausel von 1713,74 das Ende des 18. Jahrhunderts75 sowie die Mitte des 19. Jahrhunderts76. Dieses disparate Meinungsgeflecht erzeugt Misstrauen. In Wahrheit ist unbekannt, wann die drei Wörter iura novit curia zuerst in dieser Kombination auftraten.77 Eine eindeutige Quelle fehlt bis heute.78 Es bleibt deshalb nur, iura novit curia in seine Teile zu zerlegen und die Be­ griffsgeschichte der Worte einzeln aufzubereiten. Bei der Übersetzung von iura wird in der Gegenwart schlicht über den Plural hinweggegangen.79 Im histori­ 69  Koch, правова держава 2016, 181; Scheidges, Curia novit jura (1874), S.  5; Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  166 sowie der Sache nach Stürner, FS Weber (2004), S.  589, 590. 70  Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212, 239. 71  Liebs verweist für iura novit curia auf da mihi facta, dabo tibi ius und in diesem Zusam­ menhang auf die Fundstelle 2, 1, 6 (Alexander III, 12. Jahrhundert), s. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Aufl. 2007, S.  60, 116. Blomeyer zitiert hingegen die Fundstelle C. 44 X de appell. 2.28, s. Blomeyer, ZPO (1963), S.  84 mit Fn.  3. Diese ist in den Dekretalen von Gregor IX enthalten (13. Jahrhundert). 72  Broggini, AcP 155 (1956), 469, 475; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 266. Oestmann sieht darin lediglich den Beginn der Verbreitung in Deutschland, s. Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 52. 73  Kaufmann, JZ 1964, 482, 487. Für das 17. Jahrhundert ebenfalls Capone, Iura novit curia (2010), S.  17 sowie Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 45. 74  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  677: „große[r] Schritt in Richtung einer umfassenden Geltung des iura novit curia-Grundsatzes.“ An anderer Stelle wird deutlich, dass er die Entwicklung von iura novit curia als Prozess begreift, der 1828 mit Puchtas Gewohn­ heitsrecht abgeschlossen gewesen sei, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  17. 75  Katsuta, Hitotsubashi Journal of Law and Politics 1985, S.  1, 18. 76  Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  180; Röhl/ Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, S.  386. 77 Ausdrücklich Katsuta, Hitotsubashi Journal of Law and Politics 1985, S.  1, 18 sowie Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 44 mit Fn.  14. 78 Ebenso Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  63, 83. Sogar bei von Savigny, System des heuti­ gen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  187 oder Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  167 finden sich keinerlei Hinweise zur Herkunft des Sprichwortes. Sapienza findet ebenfalls keinen Nachweis in den alten Quellen, s. Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 44 mit Fn.  14. Allerdings beruft er sich auf eine Stelle bei ­Vinnius (1588–1657), wonach ein Richter mit dem Ausspruch „Venite ad factum, curia novit ius“ ein langes Rechtsgespräch unter Anwälten beendete. Zur Entwicklung des Zitats von ­Vinnius s. Capone, Iura novit curia (2010), S.  17–20 m. w. N. 79  Statt aller Benke/Meissel, Juristenlatein, 2.  Aufl. 2002, S.  174.

Einleitung

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schen Kontext leuchtet die Verwendung der Pluralform hingegen unmittelbar ein. Vor Entstehung des Gesetzesstaates gab es kein allgemeines Gesetz und damit kein für alle Bürger einheitliches Recht.80 Die Verwendung des Wortes iura lässt sich folglich damit erklären, dass der Begriff iura im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Summe der für den Einzelnen wirkenden Rechte bezeichnete.81 Die Bedeutungsgeschichte des Wortes cūria ist komplex.82 In der Antike ver­ stand man unter cūria ursprünglich eine Abteilung der Patriziergeschlechter und dann den Versammlungsort des Senats.83 An diesem Versammlungsort wurde aber kein Recht gesprochen.84 Vielmehr war der Rechtsprechungsort nach dem Zwölftafelgesetz wahlweise das comitium oder das forum.85 In Rom lässt sich somit kein persönlicher oder örtlicher Sinnzusammenhang zwischen cūria und Rechtsprechung erkennen.86 Erst seit dem Mittelalter bezeichnete der Begriff den Hoftag, den Stadtrat oder den Gerichtshof.87 Sprachlich könnte der Grund­ satz neben der weltlichen Rechtsprechung aber auch dem kanonischen Recht entstammen.88 In dem Wort cūria lebt schließlich die alte Verbindungslinie zwi­ schen katholischer Kirche und Rechtsprechung fort.89 Vertiefend dazu Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  147–148. Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 45 mit Fn.  16. 82  Ausführlich zur Bedeutung Georges, Der neue Georges, Band  1 (2013), Eintrag „curia“. Heute ist die Assoziation von „cūria“ mit der Rechtsprechung so stark, dass der Europäische Gerichtshof dieses Wort in seinem Emblem trägt. In dieser Tradition EuG, Kommission v. ­Roodhuijzen, Urteil v. 05.10.2009, Az. T-58/08, Rn.  36, wonach iura novit curia für Unions­ recht anwendbar sein soll; verneinend für nationales Recht jedoch EuG, El Corte Inglés, SA v. Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt, Urteil v. 20.03.2013, Az. T-571/11, Rn.  35. 83  Zunächst tagte der römische Senat in der Curia Hostilia, später in der Curia Iulia. Weiter­ führend Georges, Der neue Georges, Band  1 (2013), Eintrag „curia“. 84  Der Senat war für die römische Rechtsprechung nicht zuständig. Bei den Richtern konn­ te es sich aber durchaus um Senatoren handeln, s. ausführlich zu den Zusammenhängen Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  44–51. 85 Zwölftafelgesetz, Tafel 1, Satz  7. 86 Treffend Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  63, 68 mit Fn.  69. Kaser und Hackl bezeichnen iura novit curia als „unrömisch“ und „anachronistisch“, s. Kaser/Hackl, Römisches Zivilpro­ zessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  119 mit Fn.  31. Ebenso Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsge­ schichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201 mit Fn.  8. Ausführlich zu da mihi facta, dabo tibi ius bereits Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  154. 87 Die Worte „Curia regis“ bezeichneten den „Hoftag“, Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  80 oder das „Königsgericht“, s. Benke/Meissel, Juristenlatein, 2.  Aufl. 2002, S.  86. Vertiefend Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  236. 88  So auch Luggauer, Juristenlatein, 3. Aufl 1992, S.  127; Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155 sowie Blomeyer, ZPO (1963), S.  84 mit Fn.  3. 89  Diese Verbindung erklärt die Übersetzung von Luggauer, Juristenlatein, 3. Aufl 1992, S.  127: „Die Kurie kennt ihr (das) Recht (kirchenrechtlicher Begriff)“. Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  155 führt den Satz auf die kirchenrechtliche Quelle C. 44 X de appell. 2.28 zurück. 80  81 

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Erster Teil

Insgesamt spricht nach der Begriffsgeschichte viel dafür, dass es sich bei iura novit curia um eine nachklassische Formulierung handelt.90 Eine gesicherte Ant­ wort auf den Entstehungszeitpunkt lässt sich jedoch nicht geben.

III. Verhältnis zu da mihi facta, dabo tibi ius Mit Grimm fällt es leicht zu glauben, dass Recht und Poesie „miteinander aus einem Bette aufgestanden waren“.91 Wo iura novit curia ist, da bleiben andere Rechtssprichwörter ebenfalls nicht fern.92 Tatsächlich wird die Formel da mihi facta, dabo tibi ius in steter Regelmäßigkeit mit iura novit curia in Verbindung gebracht.93 Die gängige Übersetzung von da mihi facta, dabo tibi ius lautet: „Gib mir die Tatsachen, ich werde dir das Recht geben.“94 Die Abgrenzungslinie zwischen iura novit curia und da mihi facta, dabo tibi ius ist verschwommen.95 In ihrem Zusammenspiel setzen beide Parömien die prozessuale Unterteilung des Prozessstoffes in Tatsachen- und Rechtsfragen ­voraus.96 Sprachlich betont iura novit curia die Kompetenz des Gerichts in Rechtsfragen, wohingegen der Schwerpunkt von da mihi facta, dabo tibi ius in der Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien liegt.97 Die Rechtssprich­ wörter sind aber auch ansonsten nicht deckungsgleich.98 Schon begrifflich gilt da 90 Ebenso Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  119 mit Fn.  31 so­ wie Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201 mit Fn.  8. 91  Grimm, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1816, 25, 27–28 formulierte weiter: „Was aber aus einer Quelle springt, das ist sich jederzeit auch selbst verwandt und greift in einander; die Poesie wird folglich das Recht enthalten wie das Gesetz die Poesie in sich schließen“. 92  Immer wieder gesellen sich mit da mihi facta, dabo tibi ius und ne eat iudex ultra petita auch andere Rechtssprichwörter zu iura novit curia, s. dazu statt aller Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 128–131. 93  Statt aller Meier, Iura novit curia (1975), S.  3. 94  Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37. Jeweils anders aber erneut Benke/Meissel, Juristenlatein, 2.  Aufl. 2002, S.  87; Creifelds, Rechtswörterbuch, 22.  Aufl. 2014, S.  284; Lieberwirth, Latein im Recht, 5.  Aufl. 2007, S.  82 sowie Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Aufl. 2007, S.  60. 95  Teils wird nur einer, teils werden beide Sätze genannt, nur selten jedoch finden sich Aus­ führungen zur Abgrenzung. Blomeyer meint, iura novit curia stelle die Alleinverantwortlich­ keit des Gerichts für Rechtsfragen heraus, wohingegen da mihi facta zeige, dass Anwälte keine Rechtsausführungen machen müssten, s. Blomeyer, ZPO (1963), S.  84. Schellhammer hält die Regelungen hingegen offenbar für inhaltsgleich, s. Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  166. Weiterführend zur Abgrenzung Kühne, Amicus Curiae (2015), S.  194. 96  Dazu s. Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 8–20; Nierwetberg, JZ 1983, 237, 238–240; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11.  Aufl. 2012, S.  74–78. 97 Ähnlich Blomeyer, ZPO (1963), S.  84 sowie Kühne, Amicus Curiae (2015), S.  194. 98 Anders Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO, Rn.  2.

Einleitung

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mihi facta, dabo tibi ius nur in Verfahren mit Beibringungsgrundsatz, wohin­ gegen iura novit curia in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz Anwendung finden kann.99 Die richterliche Rechtskenntnis sagt letztlich nichts darüber aus, wer die Tatsachen ermittelt. Ist iura novit curia also ohne da mihi facta, dabo tibi ius denkbar, so gilt dies umgekehrt gerade nicht.100 Dabo tibi ius ist ein Versprechen, das ohne iura novit curia uneinlösbar erscheint.101 Kennt das Gericht das Recht nicht, so kann es auch nicht auf den Rechtsvortrag der Parteien verzichten.102 Insoweit ist die An­ erkennung von iura novit curia die Bedingung der Möglichkeit einer Geltung von da mihi facta, dabo tibi ius. Letztlich lassen sich die beiden Rechtssprich­ wörter nicht gänzlich entwirren.103

IV. Begrifflicher Annäherungsversuch Übersetzung, Begriffsgeschichte sowie die systematische Auslegung unter Be­ rücksichtigung von da mihi facta, dabo tibi ius legen offen, wie anspruchsvoll die inhaltliche Begriffsbestimmung von iura novit curia im Ergebnis ist.104 Es bleibt deshalb nur, die juristische Spezialliteratur auf den genauen Inhalt des Sprichworts hin zu befragen. In einem Festschriftbeitrag führt Baur aus: „Der Satz ‚iura novit curia‘ […] besagt nichts anderes – und er ist früher auch nie anders ver­ standen worden – als daß Rechtssätze keines Beweises bedürfen.“105

Nach dieser zutreffenden Inhaltsbestimmung ist iura novit curia eine Beweis­ regel, die das Erfordernis eines Rechtsbeweises jedenfalls in bestimmten Berei­ chen entfallen lässt.106 Die dadurch entstehende Lücke wird normativ gefüllt: Der Kühne, Amicus Curiae (2015), S.  194 mit Fn.  20. Santini, Iura novit curia (2012), S.  5 spricht von einem „dialektischen“ Verhältnis. 101  In diese Richtung auch Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 129. 102  Capone, Iura novit curia (2010), S.  15–17. Zur Rechtskenntnis als Teil der Rechtsanwen­ dung s. Baer, Rechtssoziologie, 3.  Aufl. 2017, S.  220–222. 103  Santini bezeichnet iura novit curia als Antwort auf die von da mihi facta, dabo tibi ius aufgeworfene Erkenntnisfrage, s. Santini, Iura novit curia (2012), S.  6. Einige Anmerkungen finden sich außerdem bei Rosenberg, ZZP 49 (1925), 38, 39. 104  Ausführlich zu diesem Problem Brooker, Bepress Legal Series Working Paper No.  845 (2005), S.  7 ff. 105  Baur, FS Bötticher (1969), S.  1, 4 mit Fn.  13. In diesem Sinne auch Giaro, FS Kupiszew­ ski (2011), S.  215, 218, der die Rechtsregel als „facta sunt probanda, iura novit curia“ wiedergibt. 106 Ebenso Capone, Iura novit curia (2010), S.  15–17; Santini, Iura novit curia (2012), S.  6 mit Fn.  3; Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467–468 sowie für den schiedsverfahrensrechtlichen Kontext Alberti, FS Bergsten (2011), S.  5; Chainais, Revue de l’Arbitrage 2010, 3, 10–11; Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 637 (2005); Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003);­ Viegas de Freitas Monteiro, Jura Novit Curia in International Commercial Arbitration (2013), S.  3; von Wobeser, ICCA Congress Series 2010, S.  207. 99 

100 

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Erster Teil

Richter soll das Recht kennen und von Amts wegen anwenden.107 Rechtssachver­ ständiger ist der Richter selbst, weitere Rechtsgutachter sind nicht erforderlich.108 In Rechtsfragen gibt es folglich weder eine Beweislast noch ein non liquet.109 Die beweisrechtliche Seite von iura novit curia beschreibt den Grundsatz aber keineswegs erschöpfend.110 Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem rechtlichen Gehör.111 Unter Geltung von iura novit curia muss der Richter die Parteien nicht über seine Rechtsauffassung informieren und ist auch nicht zu einem Rechts­ gespräch verpflichtet.112 Das rechtliche Gehör in Rechtsfragen ist deshalb erheb­ lich eingeschränkt.113 Der Grund liegt im Verständnis der Richteraufgabe: Die rechtliche Würdigung wird gedanklich als eine Subsumtion von Tatsachen unter rechtliche Sollenssätze begriffen.114 Der Richter darf und muss frei entscheiden, wie er die Tatsachen rechtlich einordnet.115 Dementsprechend können die Par­ teien den Richter unter Geltung von iura novit curia nicht an ihre Rechtsauf­ fassung binden.116 Über die Reichweite einer richterlichen Rechtskenntnisvermutung sagt iura novit curia nicht zwingend etwas aus. In seiner weitest möglichen Ausprägung 107 Grundlegend Kralik, ZfRV 3 (1962), 75, 83. Würthwein beschreibt die Aufgabe des Richters als „Beschaffung der rechtlichen Urteilsgrundlagen“, s. Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozess (1977), S.  61. 108  So bereits Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl. 1878, S.  528. 109  Zum deutschen Recht Kühne, Amicus Curiae, S.  195 mit Fn.  124. 110 Weiterführend Damaška, The Faces of Justice and State Authority (1986), S.  116 sowie 140. 111  Ausführlich zu dieser Seite von iura novit curia Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 405–411 sowie zum österreichischen Recht Sprung/König, Juristische Blätter 98 (1976), 1–7. 112  Statt aller Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 137–143 m. w. N. 113  Dies ist eine wesentliche Ursache für die kritische Grundhaltung gegenüber iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren, s. exemplarisch Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 93. 114  Die Rechtsanwendung ist ein Kernproblem der Methodenlehre, das hier nur in groben Zügen beschrieben werden kann, s. vertiefend Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9.  Aufl. 2016, S.  394 ff. m. w. N. Der Gesetzestext allein ist noch nicht die Rechtsnorm, weshalb in dieser Arbeit nach Möglichkeit die Begriffe „Rechtsvorschrift“ oder „Rechtsquelle“ verwendet werden, s. zum Ganzen Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2.  Aufl. 1994, S.  147 ff. 115 Vertiefend Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  1 (1828), S.  105–108. Dazu rechts­ vergleichend Stürner, FS Schütze (1999), S.  913, 929–930 unter Hinweis auf Frankreich, wo Rechtsausführungen Teil der identité de cause sein können. Zur „dénaturation“ s. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  204. 116  Wortgewaltig bereits Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  167: „Niemals darf, wenn uns der Begriff des Richters nicht gänzlich zerrinnen soll, der vordringende, bestim­ mende Einfluß der Parteien und die Passivität und receptive Stellung des Richters sich auf die Rechtssätze erstrecken“.

Einleitung

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sollte der Richter jede weltweit geltende Rechtsvorschrift kennen und von Amts wegen anwenden.117 Ebenso ist aber denkbar, den Anwendungsbereich von iura novit curia abzuschwächen, indem die Pflicht zur Rechtsanwendung sich in be­ grenzten Rechtsbereichen zur bloßen Befugnis wandelt oder den Parteien die Pflicht zum Rechtsvortrag auferlegt wird.118 Überdies lässt sich die Reichweite des Grundsatzes einschränken, wenn Rechtsvorschriften vom Begriff des Rechts ausgenommen werden.119

V. Abschied von iura novit curia Insgesamt lassen sich aus iura novit curia also zahlreiche unterschiedliche Aus­ sagen ableiten.120 Der Inhalt und die Reichweite sind abstrakt nicht abschließend bestimmbar, da der zeitliche Wandel und die Verwurzelung in unterschiedlichen Rechtstraditionen zu unterschiedlichen Ausprägungen führen.121 Bei genauem Hinsehen wachsen diese begrifflichen Unsicherheiten immer weiter. Schon in­ nerhalb einzelner Länder ist der Inhalt von iura novit curia kaum einheitlich beschreibbar.122 In Deutschland bejaht beispielsweise die Hälfte des Schrifttums die Geltung von iura novit curia für ausländisches Recht, wohingegen die ande­ re Hälfte insoweit gerade eine Ausnahme machen will.123 117 

596.

So beschreibt Lew tatsächlich das deutsche Recht, s. Lew, FS Sandrock (2000), S.  581,

118  Bereits die Definition von iura novit curia im Duden deutet darauf hin, dass der Vortrag von unbekanntem Recht erforderlich sein könnte, s. Duden, Das Fremdwörterbuch, 9.  Aufl. 2007, Eintrag „jura novit curia“. 119  Die Anwendung von Recht ist ein hermeneutischer Vorgang, der auf Tatsachen beruht und ihnen nicht entwunden werden kann. Treffend Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  180: „Daß nun das Dasein eines Rechtssatzes eine Tatsache ist, liegt auf der Hand“. Zustimmend Kralik, ZfRV 3 (1962), 75, 76. Anders aber Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten (2014), S.  81. 120  Zu dem „mehrfachen“ Inhalt von iura novit curia bereits Puchta, Das Gewohnheits­ recht, Band  2 (1837), S.  167. Ausführlich Brooker, Bepress Legal Series Working Paper No.  845 (2005), S.  4–7 m. w. N. 121  Kühne, Amicus Curiae (2015), S.  194 sowie vertiefend Zweiter Teil, 1. und 2. Kapitel. 122  Allein für das französische Recht identifiziert Brooker, Bepress Legal Series Working Paper No.  845 (2005), S.  7 ff. sechs unterschiedliche Bedeutungen von iura novit curia. 123 Bejahend Broggini, AcP 155 (1956), 469, 478; Fastrich, ZZP 97 (1984), 423, 425; Hess/ Hübner, NJW 2009, 3132, 3135; Jacobs/Frieling, ZZP 127 (2014), 137, 138; Luther, RabelsZ 37 (1973), 660, 661; Müller, NJW 1981, 481, 483; Otto, IPRax 1995, 299, 302; Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 285; Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559, 568; Schilken, FS Schumann (2001), S.  373, 379. Die Geltung von iura novit curia verneinend Dölle, FS Nikisch (1958), S.  185, 188; Geisler, ZZP 91 (1978), 176, 180; Hausmann, The European Legal Forum 2008, 1, 7; Kralik, ZfRV 3 (1962), 75, 85; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 269; Trautmann, ZEuP 2006, 283, 296; Wagner, ZEuP 1999, 6, 17. Teils wird die gerichtliche Ermittlungspflicht für

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Erster Teil

Darüber hinaus liegt es auf der Hand, dass Verallgemeinerungen für alle kon­ tinentaleuropäischen oder gar alle civil law-Rechtsordnungen die Verständigung nicht vereinfachen.124 So weist etwa Schlosser zu Recht darauf hin, dass die wei­ teste Ausprägung von iura novit curia in Frankreich in einem offenen Span­ nungsfeld zum principe de la contradiction steht.125 Gleichzeitig lässt sich für common law-Rechtsordnungen nicht zwingend etwas daraus ableiten, dass iura novit curia als Rechtssprichwort dort ungebräuchlich war und ist.126 Besonders deutlich zeigt sich das babylonische Sprachgewirr um iura novit curia in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur.127 So finden sich bereits in dem Inhaltsverzeichnis des 2018 von Franco Ferrari und Guiditta Cordero-Moss herausgegebenen Sammelbandes „Iura Novit Curia in International Arbitration“ mehrere unterschiedliche Schreibweisen der Parömie. Nicht ohne Grund sahen die Herausgeber es zudem als erforderlich an, den Inhalt von iura novit curia in einem ausführlichen Fragebogen näher zu bestimmen.128 Bei allen vier in diesem Fragebogen identifizierten Teilaspekten geht es allerdings lediglich um die Exis­ tenz einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungsbefugnis sowie ihre Reich­ weite, nicht aber um eine korrespondierende Pflicht oder Leitlinien zur Ausübung eines schiedsrichterlichen Ermessens.129 ausländisches Recht sogar aus iura novit curia selbst abgeleitet, s. etwa Fastrich, ZZP 97 (1984), 423, 425. Dabei handelt es sich aber um einen Zirkelschluss, weil die richterliche Rechtsermittlung gerade ein Kerninhalt von iura novit curia ist. 124  Siegert, AcP 155 (1956), 22, 44 bejahte die weltweite Geltung von iura novit curia. Zum unterschiedlichen Verständnis in der Schweiz einerseits und in Frankreich andererseits s. nur BGer, Urteil v. 19.04.1994 = BGE 120 II 172 und Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 112. Kritisch zu den Kategorien civil law und common law in der Prozessrechtsvergleichung Zekoll, The Oxford Handbook of Com­ parative Law (2006), S.  1327, 1329 sowie 1333 f. 125  Zu diesem Prinzip s. Art.  16 c.p.c. sowie ausführlich Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 408. Ebenso Brooker, Bepress Legal Series Working Paper No.  845 (2005), S.  8. 126  Bouvier, Law dictionary, Vol.  1, 8.  Aufl. 1914 und Osborn, Concise law dictionary, 8.  Aufl. 1993 enthalten jeweils keinen Eintrag zu iura novit curia. In Jowitt, Dictionary of English Law, Band  1, 2.  Aufl. 1977 findet sich ein kurzer Eintrag unter den Stichworten „jura notiv curia“ (sic). In den jüngeren Auflagen des Black’s Law Dictionary ist der Eintrag zu „iura novit curia“ verschwunden, s. zuletzt Black’s Law Dictionary, 10.  Aufl. 2014. Anders aber noch die fünfte Auflage von 1979, in der sich ein kurzer Hinweis findet. Prägnant Mann, 93 T.L.Q.R. 367, 369 (1977). 127  Zum Problem der Definition von iura novit curia im schiedsverfahrensrechtlichen Kon­ text s. Alberti, FS Bergsten (2011), S.  5; Isele, 13 Int. A.L.R. 14 (2010); Gómez-Iglesias Rosón, Revista de Arbitraje Comercial y de Inversiones 2016, 45–46 sowie Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 318. 128  Ferrari/Cordero-Moss, Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  481–487. 129  Zu den einzelnen Fragen s. Ferrari/Cordero-Moss, Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  481–482.

Einleitung

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Diese Einordnung stimmt mit dem Verständnis zahlreicher Schiedspraktiker überein, die in dem Sprichwort ebenfalls vor allem eine Befugnis zur selbsttäti­ gen Rechtsermittlung erkennen wollen.130 Zumeist wird diese Befugnis dahin­ gehend konkretisiert, dass das Gericht über die Rechtsausführungen der Parteien hinausgehen dürfe.131 Gerade im civil law geschulte Autoren stellen neben die Befugnis aber bisweilen auch eine Pflicht des Gerichts, das Recht von Amts ­wegen anzuwenden.132 Wieder andere meinen, der Schwerpunkt von iura novit curia liege vor allem darin, den Inhalt des Rechts nicht beweisen zu müssen.133 Rechtsvergleichend orientierte Autoren heben hingegen darauf ab, dass es unter­ schiedlich starke Ausprägungen von iura novit curia gebe und dass es sich bei der Geltung des Grundsatzes letztlich um ein Stufenverhältnis handele.134 Man­ che begnügen sich sogar damit, den Inhalt von iura novit curia begrifflich schlicht nicht zu bestimmen.135 Erschwert wird eine Verständigung schließlich dadurch, dass mit iura novit arbiter136, iura novit tribunus137 oder iura novit ad130  Wahab, FS El-Kosheri (2015), S.  3; Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32; Jones, 78 Arbitration 102, 110–111 (2012); Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 91 (2008); Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 670 (2012); Lew, Legal Studies Research Paper No.  72/2010, S.  3–4; Malinvaud, FS Tercier (2008), S.  863; Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490 (2014); Park, 1 Journal of International Dispute Settlement 25, 44 (2010) sowie Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 102 mit Fn.  4. 131  Prägnant statt aller Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 91: „Jura novit curia, which means that in any event the judge is the ultimate high priest of the law and that, as a consequence, party control does not extend to the law to be applied“. 132  Diesen Begriffsinhalt von iura novit curia erkennen jedenfalls grundsätzlich an: Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 509; Cordero-Moss, Stockholm International Arbitra­ tion Review (3) 2006, 1, 16; Ramina de Lucca, Revista Brasileira de Arbitragem 2016, 54, 56; Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 496; Isele, 13 Int. A.L.R. 14 (2010); Karrer, FS ­Elsing (2015), S.  211; Kellerhals/Berger, FS Wiegand (2005), S.  387, 393; Koch, правова держава 2016, 181; Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 488; Sandberg, Jura novit arbiter? (2011), S.  16; Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit bei antezipiertem Legalanerkenntnis des Schiedsspruchs (2010), S.  286; Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 128–129. 133  Alberti, FS Bergsten (2011), S.  5; Chainais, Revue de l’Arbitrage 2010, 3, 10–11; Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 637 (2005); Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003); Viegas de Freitas Monteiro, Jura Novit Curia in International Commercial Arbitration (2013), S.  3; von Wobeser, ICCA Congress Series 2010, S.  207. 134  Dimolitsa, 27 ASA Bulletin 426, 431 (2009); Gómez-Iglesias Rosón, Revista de Arbitra­ je Comercial y de Inversiones 2016, 45, 46; Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 61–64 (2015); Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 318–320; Schwenzer/Ali, 18 VJ 93, 105–108 (2014); Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 204 (2011). 135  So etwa Geradin, TILEC Discussion Paper No.  2016-027, S.  1–28; Schütze, FS Böck­ stiegel (2001), S.  715, 721; Taniguchi, 4th ICC Dossier (2006), S.  79, 90. 136  Wohl zuerst Kaufmann-Kohler, FS Hirsch (2004), S.  71 ff. 137  Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1 (2015).

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Erster Teil

vocatus138 lateinisch anmutende Abwandlungen von iura novit curia für Schieds­ verfahren vorgeschlagen werden. Nach allem kann die Verwendung der schillernden Worte iura novit curia nur ein Diskussionseinstieg sein, sie darf aber den Blick auf die konkreten Sachfra­ gen nicht verstellen. Sobald das Erkenntnisinteresse, das Ziel und der Gang der Arbeit herausgearbeitet worden sind, wird an dem Brocardicum iura novit curia im Hauptteil der Arbeit nicht weiter festgehalten.139 Stattdessen ist es vorzugs­ würdig, begrifflich eine terra nova zu beschreiten.140

C. Methodik Bereits in der Einleitung klang der poetische Charakter von iura novit curia an. Ähnlich poetisch formulierte Oliver Wendell Holmes in seinem Aufsatz „The Path of the Law“: „When you get the dragon out of his cave on to the plain and in the daylight, you can count his teeth and claws, and see just what is his strength. But to get him out is only the first step. The next is either to kill him, or to tame him and make him a useful animal.“141

Anders als der Titel der Arbeit vermuten lässt, soll es nicht um die Geltung von iura novit curia in Schiedsverfahren gehen. Vielmehr werden die Rollen vertauscht: Iura novit curia selbst tritt in den Hintergrund, weil die dahinter stehenden Sach­ fragen in den Vordergrund rücken. Nur auf diesem Weg besteht Hoffnung, iura novit curia zu einem useful animal in der Schiedsgerichtsbarkeit zu machen und die Frage nach der Verantwortung für die Rechtsermittlung zu beantworten.142 Zuerst wird das Erkenntnisinteresse definiert, dann das Ziel der Untersuchung festgelegt und schließlich eine Herangehensweise entworfen, mithilfe derer das Ziel der Arbeit erreicht werden soll.

Kellerhals/Berger, FS Wiegand (2005), S.  387, 405: „iura novit curia – et advocatus“. Dies dient nicht zuletzt der Vermeidung von Missverständnissen. Zur wünschenswerten Loslösung von nationalen Systembegriffen in der Rechtsvergleichung grundlegend Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 1996, S.  33. 140 Ebenfalls von der Notwendigkeit einer terra nova sprechend Wahab, FS El-Kosheri (2015), S.  3, 6. Ähnlich Dimolitsa, 11th ICC Dossier (2014), S.  22. 141  Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 469 (1897). 142 Treffend Epiktet, Handbüchlein der stoischen Moral, Ziffer XXXI, 2: „Anders aber kann dieß gar nicht geschehen, als bis du die Begriffe Gut oder Uebel von denjenigen Dingen lostrennst, welche nicht in unserer Gewalt sind, und sie ausschließlich in dasjenige verlegst, was in unserer Gewalt ist.“ 138  139 

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I. Erkenntnisinteresse Der Kern der Arbeit betrifft das epistemologische Problem, wie mit fehlender Rechtskenntnis in Schiedsverfahren umzugehen ist.143 Es geht also nicht im en­ geren Sinne darum, wie das Schiedsgericht den Inhalt des anwendbaren Rechts festlegt, sondern vielmehr darum, wie die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen ermittelt werden. Sowohl die Parteien als auch das Schiedsgericht könnten hier­ für jeweils oder gemeinsam die Verantwortung tragen. Ausdruck dieses Zusam­ menspiels sind zwei Kernfragen, die miteinander in normativer und tatsächlicher Hinsicht verwoben sind: 1. Müssen die Parteien dem Schiedsgericht die rechtlichen Entscheidungsgrund­ lagen vortragen, nachweisen oder gar beweisen? (Beweisbedürftigkeit von Recht) 2. Inwieweit darf oder sollte das Schiedsgericht die rechtlichen Entscheidungs­ grundlagen selbst ermitteln und welche Rolle spielt die schiedsrichterliche Rechtskenntnis für die Beweisbedürftigkeit von Recht? (Richter­liche Rechts­ kenntnis)144 Darüber hinaus sollen die unmittelbaren Bezüge zur prozessualen Behandlung von Rechtsausführungen sowie zum rechtlichen Gehör hergestellt werden.

II. Ziel der Arbeit Die Arbeit zielt darauf, das Erkenntnisinteresse in seinen rechtsgeschichtlichen, rechtsvergleichenden und schiedsverfahrensrechtlichen Kontext zu setzen.145 Es wird versucht, Antworten auf die soeben dargestellten Fragen zur Beweisbedürftigkeit von Recht und zur richterlichen Rechtskenntnis zu finden. Dabei wird auf die Vor- und Nachteile eingegangen, die in der Praxis für oder gegen einzelne Lösungsmöglich­ keiten streiten. Am Ende der Arbeit soll ein theoretischer Ansatz vorgeschlagen wer­ den, der zur Lösung konkreter Praxisprobleme herangezogen werden kann.146 143 

In internationalen Schiedsverfahren treffen Schiedsrichter, Rechtsanwälte und Parteien aus unterschiedlichen Rechtsordnungen zusammen. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Beteiligten über Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügen. Vielmehr kann der Fall eintreten, dass keiner der Beteiligten das anwendbare Recht kennt. Eindrücklich zum Ganzen Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631 (2005). 144  Diese beiden Fragen überschneiden sich lediglich teilweise mit dem Fragebogen, der für die Erstellung des Sammelbandes Ferrari/Cordero-Moss, Iura Novit Curia in International Ar­ bitration (2018), S.  481–487 verwendet wurde. 145  Grundlegend zur Vereinigung von Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und iura novit curia in Schiedsverfahren Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127. 146  Dieser Ansatz versteht sich bewusst nicht als soft law. Weiterführend zu den Nachteilen

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Erster Teil

Mit einer Patentlösung, die für jedes internationale Schiedsverfahren die rich­ tige oder überzeugende Lösung bereithält, kann diese Arbeit hingegen nicht auf­ warten.147 Angesichts der begrifflichen Weite, die mit iura novit curia verbunden ist, führt bereits die Frage nach der Geltung des Grundsatzes in die Irre.148 Außer­ dem sind die Beweisbedürftigkeit von Recht, die Rechtskenntnis des Schieds­ richters, die prozessuale Behandlung von Recht sowie das rechtliche Gehör je­ weils ineinander verschachtelte Themen, die ihrerseits Grundfragen eines jeden Verfahrensrechts betreffen.149 Es kommt hinzu, dass in internationalen Schieds­ verfahren unzählige Kombinationsmöglichkeiten aus Schiedsklausel, Vertrags­ text, Schiedsrichtern, Recht des Schiedsorts, Recht der Vollstreckungsorte sowie anwendbarem Sachrecht bestehen.150 Die Vereinheitlichung dieser Kombina­ tionsmöglichkeiten wäre eine unzulässige Vereinfachung. Insgesamt versteht die Arbeit sich als eine Grundlagenuntersuchung. Es sollen die argumentativen Bausteine freigelegt werden, um einen informierten Diskurs über die Rechtsermittlung in internationalen Schiedsverfahren zu ermöglichen. Auf diesem Weg besteht Hoffnung, die Ursachen für die unterschiedlichen Mei­ nungen zu iura novit curia in Schiedsverfahren zu erkennen und dauerhaft besser zu verstehen.151

III. Herangehensweise Die Rechtsgeschichte und die Rechtsvergleichung dienen als Fundgrube für die Bausteine, aus denen eine Brücke über die Probleme in der internationalen Schieds­ gerichtsbarkeit gebaut werden kann. Die Untersuchung der Rechtsgeschichte schärft dabei nicht nur das Verständnis für das geltende Recht, sondern vor allem für die Gründe, die hinter den heutigen Regelungsentscheidungen stehen. Die Rechtsver­ von soft law in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit s. Schneider, FS Lazareff (2011), S.  563, 564. 147 Treffend Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 161: „Den ‚besten‘ Zivilprozess gibt es nicht, es gibt nur Verfahren, die für eine bestimmte Gesellschaftskultur in einer bestimmten historischen Epoche ein gewisses Optimum zu realisieren vermögen.“ Grundlegend zur Bescheidenheit in der Rechtsvergleichung Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  32–35. 148  Ausführlich Erster Teil, B. 149 Im deutschen Zivilprozess wird iura novit curia gar als „Leitmotiv“ bezeichnet, s. ­Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  186. 150  Gautier, 32 ASA Bulletin 508, 512 (2014) formuliert: „[C]haque tribunal a sa propre religion et statue au cas par cas“. Die Anzahl der Kombinationsmöglichkeiten von Schiedsklau­ sel, Vertragstext, Schiedsrichtern, Recht des Schiedsorts, Recht der Vollstreckungsorte sowie Sachrecht erscheint unbegrenzt, s. dazu vertiefend Girsberger/Voser, International Arbitration: Comparative and Swiss Perspectives, 3.  Aufl. 2016, S.  7. 151  Weiterführend zum theoretischen Hintergrund Epiktet, Handbüchlein der stoischen Mo­ ral, Ziffer V.

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gleichung fügt eine weitere Dimension hinzu. Im Schiedsverfahren laufen die Fäden zusammen. Der Blick wandert dabei immer wieder zwischen der Rechtsgeschichte, der Rechtsvergleichung und der Schiedsgerichtsbarkeit hin und her. In einem ersten Schritt geht es darum, die Relevanz der Rechtsgeschichte und der Rechtsvergleichung für die Lösung des schiedsverfahrensrechtlichen Erkennt­ nisproblems aufzuzeigen. Sodann erfolgen Erläuterungen zur rechtsgeschicht­ lichen, rechtsvergleichenden und schiedsverfahrensrechtlichen Methode, die ihrer­ seits durch einige Bemerkungen zum Umgang mit Sprache abgerundet werden. 1. Grund für Grundlagenarbeit Die Rechtsgeschichte dient als Erfahrungsschatz für den Vorgang der Rechts­ ermittlung: In der Vergangenheit waren Rechtsvielfalt, Rechtsunsicherheit sowie richterliche Rechtsgewinnung alltägliche Probleme.152 Treffend sind in diesem Zusammenhang die letzten Zeilen der Habilitationsschrift von Oestmann: „In einer Zeit, in der die Staatsgewalt mehr und mehr in größeren Zusammenschlüssen aufgeht und das staatliche Gesetz zunehmend von internationalen Normsetzungen überlagert wird, wird Rechtsvielfalt erneut zum Problem. An dieser Stelle kann der Blick in die Vergangenheit zeigen, wie frühere Zeiten ähnliche Herausforderungen bewältigt haben. Die Geschichte hält reiches Anschauungsmaterial bereit. Daraus zu lernen, ist Aufgabe der Gegenwart.“153

Im Alten Reich stritten Kaufleute über ius commune, Reichsrecht, Landrecht, Stadtrecht, kirchliches Recht sowie Gewohnheitsrecht.154 Die Richter genossen ein weites Ermessen in der Entscheidungsfindung und ‑begründung.155 Quellen­ vielfalt und richterliche Freiheit machten es für Anwälte zur Herausforderung, den Rechtserkenntnisprozess des Gerichts vorherzusehen.156 Diese Umstände erinnern an die Herausforderungen der Schiedsgerichtsbarkeit.157 Heute streiten globale Konzerne vor Schiedsgerichten über die Geltung von nationalem Recht, supranationalem Recht, internationalem Recht, transnationalem Recht sowie Puchta kam es noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts „täglich“ vor, dass dem Richter die Existenz von Rechtssätzen unbekannt war, s. Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  170. Die Verbindungslinie zwischen transnationaler Rechtsentwicklung und Rechtsgeschichte arbeiten Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  687 sowie Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  476 ff. heraus. 153  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  687. 154  Dies ist nur ein Auszug der Rechtsquellen; Planck, Lehrbuch des deutschen Civilprozess­ rechts, Band  1(1887), S.  444 identifizierte zehn unterschiedliche Rechtsquellen, die er einander gegenüberstellte. Vertiefend Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  85 ff. m. w. N. 155  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  683. 156  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  685. 157  Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  40. Zur Bedeutung der Vergangen­ heit für die Gegenwart von Savigny, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815, 1, 2–5. 152 Nach

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Erster Teil

Han­delsbräuchen.158 Trotz oder gerade wegen dieser Komplexität werden Schieds­ ­sprüche nur unter ausgesprochen engen Voraussetzungen aufgehoben.159 Folg­ lich genießen Schiedsrichter ebenfalls eine große Freiheit in der Rechtsermitt­ lung.160 Vor diesem Hintergrund erscheint es als geboten, die Verbindungs­linien zwischen historischer Entwicklung der Rechtsermittlung und der Rechtsermitt­ lung in internationalen Schiedsverfahren herauszuarbeiten.161 Neben der Rechtsgeschichte kommt der Rechtsvergleichung eine ebenso tra­ gende Rolle für die Lösung des Erkenntnisproblems zu.162 Es wäre verkürzt, die schiedsverfahrensrechtlichen Regelungsmodelle als losgelöst von den staat­lichen Rechtsordnungen zu betrachten und auf eine rechtsvergleichende Untersuchung zu verzichten.163 Vielmehr bauen die Regelungsstrukturen in Schiedsverfahren auf dem jeweiligen nationalen Prozessverständnis auf.164 Dementsprechend sind die Rechtsvergleichung und das Schiedsverfahrensrecht eng ver­woben.165 Jeder der Beteiligten beantwortet die aufgeworfenen Sachfragen unter Rückgriff auf sein rechtskulturelles Vorverständnis.166 In steter Regelmäßigkeit werden Schieds­ richter mit staatlichen Richtern verglichen.167 Die Rolle des Richters ist in unter­ den unterschiedlichen Quellen des transnationalen Rechts Goode/Kronke/McKend­ rick, Transnational Commercial Law, 2.  Aufl. 2015, S.  22 ff. 159  Eine Aufhebung kommt lediglich bei Verstößen gegen gewisse Verfahrensprinzipien oder den ordre public in Betracht, s. Art. V New York Convention. Eine révision au fond ist ausgeschlossen. 160  Statt aller Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 192–193 (2012). 161  Freilich kann dabei nicht die Geschichte der Rechtsermittlung in der Schiedsgerichtsbar­ keit selbst aufgearbeitet werden; ansonsten würde aus einer geltendrechtlichen eine historische Abhandlung werden. Grundsätzlich kritisch zum Fehlen der historischen Dimension in der Schiedsgerichtsbarkeit Risse, FS Elsing (2015), S.  453, 455. Ausführlich zuletzt zu der Ge­ schichte der Schiedsgerichtsbarkeit Krause in einem Aufsatz aus der Zeit der Weimarer Repu­ blik, s. Krause, Jahrbuch für Schiedsgerichtswesen, Band  3 (1931), S.  220, 231. Zum Verhält­ nis von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsrichterstellung s. Broggini, Iudex arbiterve (1957). 162 Grundlegend zur Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Schiedsgerichtsbarkeit ­Lowenfeld, 7 Mich. YB Int. Legal Stud. 163, 184 (1985). 163  So aber ausdrücklich Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 3 (2015) sowie Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 104: „irrele­ vant“. Die Verfasser der ILA-Prinzipien betonen ebenfalls die geringe Relevanz von nationalen Regelungsansätzen, s. International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 205 (2010). 164  Crivellaro, ICCA Congress Series 2010, S.  9, 13 ff.; Gaillard, ICCA Congress Series 1989, S.  283, 287; Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631 (2005); Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31. 165  In den Worten von Lowenfeld, 7 Mich. YB Int. Legal Stud. 163, 184 (1985): „[I]nterna­ tional arbitration is not a mirror image of any given court or source of law, but a series of im­ perfect reflections and adaptations.“ 166  Lowenfeld, 7 Mich. YB Int. Legal Stud. 163, 184 (1985) sowie Berger, 25 Arb. Int’l 217 ff. (2009) m. w. N. 167  Statt aller Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 184 (2012). 158  Zu

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schiedlichen Rechtsordnungen aber durchaus verschieden, weswegen mit einem anderen Bezugspunkt auch eine andere Konzeption des Schiedsrichters einher­ geht.168 Gleichzeitig ist die Beweisbedürftigkeit von Recht ebenso mit der Rolle des Richters verbunden wie der Erlass des Rechtsbeweises auf richterlicher Rechtskenntnis beruht. Die rechtsgeschichtlichen Ergebnisse müssen deshalb um rechtsvergleichende Wertungen angereichert werden. 2. Rechtsgeschichte In einem ersten Schritt soll es darum gehen, die Rechtsermittlung im römischen Prozessrecht in der gebotenen Kürze aufzubereiten. Diese Untersuchung erfolgt erstens, weil das europäische Prozessdenken auf dem römischen Prozess beruht, und zweitens, weil iura novit curia teils auf den römischen Prozess zurückge­ führt wird.169 Innerhalb der römisch-rechtlichen Untersuchungen liegt der Fokus auf dem Legisaktionen- und dem Formularverfahren, da diese Entwicklungsstu­ fen für die weitere Prozessrechtsentwicklung besonderes bedeutsam waren.170 Sodann soll auf den gemeinen Prozess eingegangen werden, wobei der Schwer­ punkt auf der Rechtsermittlungslehre innerhalb der deutschen Territorien liegt.171 Der Grund für diese Wahl beruht einerseits darauf, dass iura novit curia regel­ mäßig mit dem gemeinen Prozess in Verbindung gebracht wird.172 Andererseits zeichnete das Alte Reich sich durch eine umfassende Rechtsvielfalt aus: Gerade in den deutschen Territorien traten Rechtszersplitterung, schwach ausgeprägte Zentralgewalt sowie Rechtsunsicherheit deutlich hervor; darin liegt eine Paralle­ lität der Probleme zu internationalen Schiedsverfahren.173 In einem letzten Schritt 168  Ausführlich zur Rolle des Richters im Verfahren Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 148 so­ wie für die Schiedsgerichtsbarkeit Schwenzer/Ali, 18 VJ 93, 105 f. (2014). 169  Scheidges, Curia novit jura (1874), S.  5; Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  166; Stürner, FS Weber (2004), S.  589, 590. 170  Auf das Kognitionsverfahren wird insbesondere im Zusammenhang mit der Reskripten­ praxis eingegangen. Zur grundlegenden Bedeutung des Formularverfahrens für die Rechtsent­ wicklung s. Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  76. 171  Zum Begriff des gemeinen Prozesses s. statt aller Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 17.  Aufl. 2010, S.  19–22. 172  Neben die römischen Quellen traten auch neuartige Erwägungen, die vornehmlich auf den Einfluss des Kirchenrechts zurückzuführen waren, s. ausführlich dazu Meder, Rechts­ geschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  147–169. Zum Verhältnis zwischen iura novit curia und Kirchen­ recht s. Luggauer, Juristenlatein, 3. Aufl 1992, S.  127 und Blomeyer, ZPO (1963), S.  84. 173  Folge der Rezeption war die Entstehung eines neuen zivilprozessualen Denkens, das für das Verständnis des kontinentaleuropäischen Prozessrechts nach wie vor grundlegend ist. Aus­ führlich zu den Einzelheiten van Caenegem, History of European Civil Procedure (1975), in: International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XVI: Civil Procedure, Chapter 2, S.  55–76.

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wird auf die Fortentwicklungen des Zivilprozessrechts unter Berücksichtigung des entstehenden Gesetzesstaats eingegangen. Auf diesem Wege lassen sich die historischen Problemlösungsstrategien freilegen, die unser Rechtsdenken noch heute prägen und deshalb auch für die Beurteilung von schiedsverfahrensrecht­ lichen Fragestellungen grundlegend sind.174 Allerdings gilt: Nicht alle Rechtsgeschichten können erzählt werden.175 Unter­ sucht wird ein Zeitraum, der nicht Jahrhunderte, sondern Jahrtausende umspannt und vom Legisaktionenverfahren bis hin zu staatlich kodifizierten Prozessord­ nungen reicht.176 Eine klare Differenzierung zwischen deutlich umgrenzten Zeit­ räumen oder gar Territorien kann dementsprechend nicht erfolgen.177 Vielmehr geht es darum, die historischen Wirkungszusammenhänge herauszuarbeiten und die besonders prägenden Veränderungen in der Beweisbedürftigkeit von Recht und der richterlichen Rechtskenntnis aufzuzeigen. Eine Vertiefung erfolgt nur, sofern sie für die Darstellung der Entwicklungslinien unverzichtbar ist. Die Kehrseite der Schwerpunktsetzung auf den römischen, den gemeinen und den gesetzesstaatlichen Prozess ist, dass auf andere Rechtsentwicklungen nicht ein­ gegangen werden kann.178 Zudem muss die historische Entwicklung der Schieds­ gerichtsbarkeit, insbesondere im römischen Prozessrecht, ausgeklammert wer­ den.179 174 

§  293 ZPO ist kodifizierte Rechtsgeschichte. Der Wortlaut wurde seit Erlass der Civil­ prozeßordnung nicht angetastet. §  265 CPO basierte auf §  255 des Entwurfs der Civilprozeß­ ordnung; zu der sprachlich identischen Entwurfsfassung s. Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band  2, Civilprozeßordnung (1880), S.  34. 175  Die Geschichte zeigt „einen sich immer wiederholenden Kampf zwischen […] Partei­ herrschaft und Richtermacht“, Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 17.  Aufl. 2010, S.  16. 176  Die richterliche Rechtsanwendung ist ein Kernproblem der Rezeptionsgeschichte und kann hier nicht in allen Details dargestellt werden. Unterschiedliche Aspekte beleuchten die Habilitationsschriften von Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002) und Falk, Consilia, Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (2006). 177  Die Eigenheiten einzelner Territorien zeigte zuerst Oestmann auf; in seiner Habilitations­ schrift verglich er Frankfurt („Schrittmacher der Rezeption“) und Lübeck („deutschrechtlicher Traditionalist“), s. zum Ganzen vertiefend Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  22 ff. Erheblich sind auch die Besonderheiten auf den einzelnen Entwicklungsstufen des ­römischen Zivilprozesses, s. Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212 ff. 178  Zum Beispiel waren nach Lanni die Parteien im antiken Griechenland dafür verantwort­ lich, die einschlägigen Rechtsvorschriften vorzutragen, s. Lanni, 24 Yale J.L. & Human. 119, 121 (2014). Ebenso Santini, Iura novit curia (2012), S.  8: „Il diritto greco infatti equiparava la legge ad uno strumento di prova.“ Verzichteten die Parteien auf Rechtsvortrag, entschied die Volksversammlung nach ihrem Ermessen, s. Lanni, 24 Yale J.L. & Human. 119, 121 ff. (2014). Zum antiken Recht s. Stolfi, Introduzione allo studio dei diritti greci (2006). 179  Der Grund dafür liegt in fehlenden einschlägigen Vorarbeiten auf dem Feld der Ge-

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3. Rechtsvergleichung Im rechtsvergleichenden Teil der Arbeit werden das deutsche und das amerikani­ sche Recht gegenübergestellt. Die Wahl fiel auf Deutschland und die Vereinigten Staaten, um so je ein Land des civil law-Rechtskreises und eines des common law-Rechtskreises zu vergleichen.180 Das deutsche Recht wird als Repräsentant für ein Rechtssystem mit einer starken Stellung des Richters herangezogen, wo­ hingegen das amerikanische Recht sich nach wie vor an der sporting theory of justice orientiert.181 Im Unterschied zum Vereinigten Königreich waren die Ver­ einigten Staaten nie Mitglied der Europäischen Union; das Prozessrecht konnte sich deshalb unabhängig von europäischem Verfahrensrecht und der Europäi­ schen Menschenrechtskonvention entwickeln.182 Mit Deutschland und den Vereinigten Staaten stehen sich zwei Rechtsordnungen gegenüber, die in der schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion immer wieder als Vertreter von unterschiedlichen Auffassungen zur Beweisbedürftigkeit von Recht genannt werden.183 Es heißt, in Deutschland sei Recht ganz grundsätzlich nicht beweisbedürftig, weil der Richter jede Rechtsvorschrift kennen müsse.184 In den Vereinigten Staaten hingegen kenne man den Grundsatz iura novit curia nicht.185

schichte der Schiedsgerichtsbarkeit. Zwar gab es im romanischen Sprachraum jüngst Publika­ tionen auf dem Gebiet der Geschichte der Schiedsgerichtsbarkeit, jedoch enthalten diese keine Ausführungen zu der Frage nach dem Ablauf des Rechtsermittlungsvorgangs, s. etwa Paricio, Los arbitrajes privados en la Roma clásica (2014). Bei dem Zusammenspiel von Schieds- und Prozessrecht handelt es sich um ein Grundlagenproblem des römischen Rechts, dessen Be­ handlung den Schwerpunkt der Arbeit in eine andere Richtung verschieben würde. Grundle­ gend s. Broggini, Iudex arbiterve (1957) sowie zuletzt Paricio, a. a. O. 180  Zur Ungenauigkeit und den Gefahren, die mit dieser Einteilung verbunden sind, s. Z ­ ekoll, The Oxford Handbook of Comparative Law (2006), S.  1327, 1329 sowie 1333 f. 181  Ausführlich zu den Unterschieden Stürner, FS Stiefel (1987), S.  763–784. Zum amerika­ nischen Recht grundlegend Pound, 40 Am. L. Rev. 729, 738 (1906) sowie zuletzt Sherman, 48 S. Tx. L. Rev. 983, 1001 (2007): „Pound’s critique […] still [has] relevance and bite today.“ 182  Zum Einfluss des europäischen Rechts und der EMRK auf den englischen Zivilprozess Mance, Das Common Law und Europa, in: Kronke/Baldus, Juristen für Europa (2016), S.  29, 33–39. Die Unterschiede zwischen dem englischem und dem amerikanischem Recht bezeich­ nete Pound als „American exaggerations of the common-law contentious procedure“, s. Pound, 40 Am. L. Rev. 729, 738 (1906). 183  Statt aller Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 7–9. 184  So etwa Lew, FS Sandrock (2000), S.  581, 596 oder Öhlberger/Pinkston, Austrian Year­ book on International Arbitration 2016, S.  101, 105. 185  Kellerhals/Berger, FS Wiegand (2005), S.  387, 393 mit Fn.  10; Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490, 491 mit Fn.  6 (2014). Allgemein für das common law Mann, 93 T.L.Q.R. 367, 369 (1977).

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Daher habe der Richter auch keine Pflicht, ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln.186 In methodischer Hinsicht beschränkt die Arbeit sich nicht auf einen Mikrover­ gleich zwischen den einschlägigen Rechtsermittlungsvorschriften, sondern folgt einem funktionalen Ansatz.187 Anders als in der bisherigen schiedsverfahrens­ rechtlichen Diskussion wird dabei nicht nur auf die Behandlung von ausländi­ schem Recht eingegangen, sondern der Vorgang der Rechtsermittlung umfassend gewürdigt.188 Dies schließt die prozessuale Behandlung von inländischem Recht notwendig mit ein.189 Schließlich spricht viel dafür, dass bereits die Ermittlung des inländischen Rechts keineswegs einheitlich abläuft.190 Nachdem die Strategien der einzelnen Rechtsordnungen zur Ermittlung der rechtlichen Urteilsgrundlagen dargestellt wurden, erfolgt in einem zweiten Schritt der Rechtsvergleich.191 In diesem Abschnitt werden die gefundenen Er­ gebnisse einander gegenübergestellt. Neben der Herausstellung der Gemeinsam­ keiten und Unterschiede geht es dabei vor allem darum, die Gründe für letztere herauszuarbeiten.192 Die Kenntnis dieser Gründe ist für die Beurteilung der 186  Statt aller Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 9. Anders aber Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 319, die offenbar von einer Rechtsermittlungspflicht des Gerichts aus­ gehen. 187 Grundlegend zur rechtsvergleichenden Fragestellung Zweigert/Kötz, Rechtsverglei­ chung, 3.  Aufl. 1996, S.  33 ff. Zur funktionalen Methode zuletzt Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  179 ff. Ein Mikrovergleich der zivilprozessualen Vorschriften zur Behandlung von ausländischem Recht birgt erhebliche Gefahren, s. etwa Hartley, 45 I.C.L.Q. 271, 291–292 (1996). Dennoch werden in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur zumeist schlicht mehre­ re Rechtsordnungen darauf untersucht, ob iura novit curia gilt oder nicht, s. etwa Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 509–510; Heidinger/Hof, SchiedsVZ 2008, 174, 177; Isele, 13 Int. A.L.R. 14–16 (2010). 188  Bislang wird in der schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion ausschließlich auf auslän­ disches Recht eingegangen, s. statt aller International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 201 (2010). 189 Anders als Alberti meint, kann die Diskussion um die prozessuale Behandlung von Recht nicht mit einem schlichten Verweis auf das amerikanische Konzept der judicial notice beendet werden, s. Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 7. 190  Für einen ersten Überblick s. Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on Ame­ rican Law (1961), S.  31, 32. Innerhalb des amerikanischen Rechts ist eine Konzentration auf die federal rules geboten; einzelstaatliche Regelungen können nur exemplarisch herangezogen werden. 191  Zu dieser Urmethode der Rechtsvergleichung s. Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  165. 192  In der schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion findet sich bislang keine Antwort auf die Frage, warum der Vorgang der Rechtsermittlung in unterschiedlichen Rechtsordnungen unter­ schiedlich abläuft, s. statt aller International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 201–205 (2010).

Einleitung

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schiedsverfahrensrechtlichen Problemstellungen unerlässlich, weil nur auf die­ sem Wege das rechtskulturelle Vorverständnis der Diskutanten nachvollzogen werden kann.193 Die Kehrseite der Konzentration auf lediglich zwei Rechtsordnungen liegt da­ rin, dass zahllose andere Rechtsordnungen außer Betracht bleiben müssen.194 Letztendlich wäre aber nicht viel gewonnen, wenn zahlreiche Rechtsordnungen auf nur wenigen Seiten oberflächlich untersucht würden.195 Außerdem liegen die äußeren Grenzen der Rechtsvergleichung stets in der beschränkten Sprach- und Rechtskenntnis des Rechtsvergleichers selbst. 4. Schiedsverfahrensrecht In einem letzten Schritt sollen die historischen und rechtsvergleichenden Ergeb­ nisse in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit fruchtbar gemacht werden.196 Dafür ist zunächst erforderlich, sich mit einigen Grundfragen der Schiedsge­ richtsbarkeit auseinanderzusetzen. Insbesondere geht es darum, die Übertragbar­ keit der Unterscheidung von Recht und Tatsachen sowie von inländischem und ausländischem Recht auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu prüfen und sich allge­ mein mit der Existenz von Rechtskenntnisvermutungen auseinanderzusetzen.197 Sodann wird der Vorgang der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung näher be­ schrieben. Die Beweisbedürftigkeit von Recht hängt hierbei von der schieds­ richterlichen Rechtskenntnis ab.198 Anders als in der Rechtsgeschichte und der 193 Zum Vorverständnis in der Rechtsvergleichung Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  198–199. 194  Für die Ermittlung ausländischen Rechts liegen einige umfassende Studien vor, s. Esplugues/Iglesias/Palao, Application of Foreign Law (2011), S.  34; Schweizer Institut für Rechtsvergleichung, JLS/2009/JCIV/PR/0005/E4; Jänterä-Jareborg, Recueil des cours 304 (2003), S.  181. Jedenfalls in der deutschen Sprache fehlt es aber an umfassenden Studien, wie die Er­ mittlung inländischen Rechts in anderen Rechtsordnungen im Einzelnen abläuft. 195  In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur werden zumeist mehrere Rechtsordnungen darauf untersucht, ob iura novit curia gilt oder nicht. Alberti vergleicht etwa Deutschland, die Schweiz, das Vereinigte Königreich (sic), die Vereinigten Staaten sowie Frankreich auf insge­ samt fünf Seiten, s. Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 7–12, Sandberg stellt schwedisches, englisches, französisches und schweizerisches Recht auf sieben Seiten vor, Sandberg, Jura ­novit arbiter? (2011), S.  17–24. 196 Die Idee hinter diesem methodischen Ansatz stammt von Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127. 197  Bereits auf den ersten Blick erscheint es verkürzt, die Existenz von Rechtskenntnis­ vermutungen in der Schiedsgerichtsbarkeit pauschal abzulehnen, so aber statt aller Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 494 (2003). 198  Bislang wird auf die Sicht der Parteien in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur zumeist nicht vertiefend eingegangen, s. statt aller Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 341–343. Anders allein Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003).

28

Erster Teil

Rechtsvergleichung lassen sich für das internationale Schiedsverfahren aber nur schwerlich allgemeine Aussagen darüber treffen, ob die Parteien den Inhalt des Rechts beweisen müssen. In Schiedsverfahren fehlt es nämlich gerade an einem Beweisrecht, das für alle Schiedsverfahren gleichermaßen verbindlich wäre.199 Es erscheint deshalb zweckmäßig, den Vorgang der Rechtsermittlung zunächst aus der Sicht des Schiedsrichters zu beleuchten und dann auf die Sicht der Par­ teien einzugehen.200 Eine Einschränkung des Erkenntnisinteresses ergibt sich daraus, dass lediglich die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit untersucht wird.201 Damit geht eine Vernachlässigung anderer Formen der Schiedsgerichtsbarkeit einher. Dies gilt insbesondere für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit sowie die zwischen­ staatliche Schiedsgerichtsbarkeit.202 5. Umgang mit Sprache Nach Gadamer ist jedes Sein, das verstanden werden kann, Sprache.203 Gleich­ zeitig ist Sprache das Vehikel, in dem Recht transportiert wird. Jede Zeit und jede Kultur bringt ihre eigenen Begriffe hervor, um rechtliche Vorgänge zu beschrei­ ben.204 Begriffe sind ohne ihre Geschichte nicht zu verstehen.205 So unterscheidet sich der germanische Urteiler vom deutschen Richter nicht nur durch seine Tä­ tigkeit, sondern vor allem über das herrschende Rechtsverständnis. Im rechts­ geschichtlichen und rechtsvergleichenden Diskurs sind zahlreiche Missverständ­ nisse und Ungenauigkeiten die Folge.206 Bereits an den Worten iura novit curia wurde deutlich, wie groß die Probleme im Einzelfall sein können. Es ist deshalb geboten, methodische Leitlinien für den Umgang mit Sprache aufzustellen. Baum, FS Böckstiegel (2001), S.  21, 25. Die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration enthalten keine Regel zum Vorgang der Rechtsermitt­ lung. 200  Im schiedsverfahrensrechtlichen Teil werden die Fragen des Erkenntnisinteresses des­ halb in umgekehrter Reihenfolge untersucht. In diese Richtung auch Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 341–343. 201  Im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit stellen sich Sonderfragen, was zuletzt der EuGH in seiner Achmea-Entscheidung deutlich machte, EuGH, Slowakische Republik v. Achmea B.V., Urteil v. 06.03.2018, Rs.  284-16, Rn.  54–55. 202  Ausführlich zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolu­ tion Journal 1 (2015). 203  Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), S.  478. 204  Grundlegend zum Ganzen Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5. 205  Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), S.  604. 206  Zahlreiche Nachweise zur Rechtsvergleichung bei Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  188–200. Die Rechtsgeschichte ist letztlich ebenfalls eine Form der Rechtsvergleichung, weil gedanklich geltendes mit vergangenem Recht verglichen wird. 199 Weiterführend

Einleitung

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Im Ausgangspunkt trifft es zu, dass die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt bedeuten.207 Dementsprechend mutet es seltsam an, in Deutschland von einem Rechtsbeweis zu sprechen.208 Das „Recht“ muss schließlich im deut­ schen Zivilprozess grundsätzlich gerade nicht „bewiesen“ werden.209 Auch er­ scheint es in der deutschen Sprache als ungenau, den Begriff „Rechtsvortrag“ zu verwenden, weil sich der „Vortrag“ auf Tatsachen beschränkt.210 In den Vereinig­ ten Staaten ist es hingegen nach wie vor selbstverständlich, bei pleadings oder motions den Rechtsvortrag mitzudenken oder die Formulierung proof of law zu gebrauchen.211 Schwierigkeiten ergeben sich aber nicht nur aus dem Vorverständ­ nis der Begriffe, sondern auch aus der Übersetzung selbst.212 Ist im amerikani­ schen Recht von einem pleading, einer motion oder judicial notice die Rede, so können diese Begriffe nur ungenau in die deutsche Sprache übertragen werden. Umgekehrt fällt es schwer, die Worte „Rechtsstaatsprinzip“, „Rechtsbeugung“ oder „Rechtsfortbildung“ trennscharf in die englische Sprache zu übersetzen.213 In sprachlicher Hinsicht ergeben sich aus diesem Befund drei Folgerungen. Erstens soll versucht werden, die sprachlichen Unterschiede herauszuarbeiten. Die Konzepte werden deshalb zuerst beschrieben und erst dann behutsam funk­ tional übersetzt.214 Zweitens erfolgt eine Übersetzung nur dann, wenn es über­ haupt ein funktionales Äquivalent in der deutschen Sprache gibt. Lässt sich hin­ gegen kein passendes Konzept finden, so bleibt es bei der Benennung in der Originalsprache.215 Drittens geht es darum, aus der Vergleichung zu lernen und Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus (1922), S.  86 mit Ziffer 5.6. Oestmann weist zu Recht darauf hin, dass bereits die Kombination der Worte „Beweis“ und „Recht“ in der deutschen Sprache für Unbehagen sorgt, Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467. 209  Zu den Besonderheiten des §  293 ZPO s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467. 210  Zu den Zusammenhängen statt aller Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  172– 173. 211  Kritisch zu den Anforderungen an die pleadings statt aller Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 331–347 (2013). 212 Ebenso Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  188–190. 213  Beispielsweise denken deutsche Juristen bei einer „Berufung“ einerseits an eine Über­ prüfung in tatsächlicher Hinsicht und andererseits an die zweite Instanz, auf die im Wege der „Revision“ eine dritte Instanz folgen kann. Sieht eine Rechtsordnung von vornherein nur zwei Instanzen vor und handelt es sich bei der zweiten Instanz um eine reine Rechtsprüfung, so er­ scheint es schief, einen „appeal“ mit einer „Berufung“ gleichzusetzen. Dennoch wird das Wort „appeal“ gängigerweise mit „Berufung“ übersetzt, s. statt aller Pons, Wörterbuch Deutsch-Eng­ lisch (2014). 214  Kischel weist zu Recht darauf hin, dass die Gefahren für den Rechtsvergleicher „in der Tiefe des juristischen Bewußtseins“ liegen, s. Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  193. Auf diese Gefahren soll reagiert werden, indem nach Möglichkeit begriffliche Klarheit hergestellt wird. 215  Begriffe wie „pleading“, „motion“, „judicial notice“ oder „sister-state law“ lassen sich 207  208 

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Erster Teil

den Vorgang selbst zu beschreiben.216 Das deutsche Begriffsdenken muss also aufgebrochen und erweitert werden.217 Aus diesem Grund werden etwa die Be­ griffe „Rechtsbeweis“ und „Rechtsvortrag“ verwendet, obwohl sie dem deut­ schen Rechtsdenken an sich fremd sind.

nicht sinnvoll in die deutsche Sprache übertragen. Ähnlich Kischel, der den Begriff „rule of law“ nicht übersetzen möchte, Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  191. 216 Ausführlich Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 1996, S.  33–35. 217 Mit Zweigert und Kötz liegt in einem solchen Vorgehen die „Phantasie der Rechtsver­ gleichung“, s. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 1996, S.  35.

Zweiter Teil Die Einleitung hat offengelegt, dass in iura novit curia drei Fäden zusammen­ laufen: die Rechtsgeschichte, die Rechtsvergleichung und die internationale Schieds­gerichtsbarkeit. Rechtsgeschichtlich waren der Inhalt und die Reichweite des Rechtssprichworts einem stetigen Wandel unterworfen. Rechtsvergleichend erfolgt die Ermittlung der rechtlichen Urteilsgrundlagen in unterschiedlichen Ländern auf unterschiedlichem Wege. Und in Schiedsverfahren schließlich tref­ fen Juristen mit unterschiedlichem rechtskulturellem Hintergrund aufeinander, um gemeinsam grenzüberschreitende Streitigkeiten beizulegen. Vergleichspunkte im Hauptteil werden immer wieder die Frage nach der Be­ weisbedürftigkeit von Recht einerseits und der richterlichen Rechtskenntnis an­ dererseits sein. Im ersten Kapitel soll es darum gehen, die Antworten der Rechts­ geschichte auf diese beiden Fragenkomplexe herauszuarbeiten. Der Gegenstand des zweiten Kapitels ist die Rechtsvergleichung. In diesem Abschnitt wird unter­ sucht und verglichen, wie die rechtlichen Urteilsgrundlagen im deutschen und amerikanischen Recht ermittelt werden. Gemeinsam bilden die Ergebnisse aus Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung das Fundament, auf dem eine schieds­ verfahrensrechtliche Rechtsermittlungslehre im dritten Kapitel aufgebaut wird. Diese Rechtsermittlungslehre soll eine Hilfestellung bieten, um Antworten auf die mit iura novit curia in Zusammenhang gebrachten Sachfragen im Schieds­ verfahren zu finden.

1. Kapitel

Rechtsgeschichte Obschon das lateinische Brocardicum iura novit curia eine geschichtliche Unter­ suchung geradezu herausfordert, begnügen sich schiedsverfahrensrechtliche Au­ toren mit lediglich einer Fußnote oder verzichten sogar gänzlich auf Ausführun­ gen.1 Die darin zum Ausdruck kommende Geschichtsvergessenheit führt dazu, dass Missverständnisse die heutige Diskussion um iura novit curia in Schieds­ verfahren prägen.2 Vor derartigen Problemen warnte bereits von Savigny, der zur Gründung der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft ausführte: „[N]icht jedes Zeitalter [bringt] für sich und willkührlich seine Welt hervor, sondern es thut dieses in unauflöslicher Gemeinschaft mit der ganzen Vergangenheit. […] Die Geschichte ist dann nicht mehr blos Beyspielsammlung, sondern der einzige Weg zur wahren Erkenntniß unsers eigenen Zustandes.“3

Diese Worte gelten uneingeschränkt noch heute.4 Um den deutschen, amerikani­ schen und schiedsverfahrensrechtlichen Rechtsermittlungsvorgang besser zu verstehen, ist eine Auseinandersetzung mit den Methoden unerlässlich, die in der Rechtsgeschichte zur Ermittlung der rechtlichen Urteilsgrundlagen entwickelt wurden. Begonnen wird mit dem römischen Zivilprozess. Darauf folgt eine Analyse der Rechtsermittlung im gemeinen Zivilprozess sowie in der Zeit der Gesetzes­ staatswerdung. Zuletzt werden die Ergebnisse zusammengefasst und bewertet. 1 Selbst in längeren Abhandlungen sucht man vergebens, s. etwa Capper/Ljungström/ Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31–59; Cordero-Moss, Stockholm International Arbitra­ tion Review (3) 2006, 1–31; Sandberg, Jura novit arbiter? (2011), S.  1–73; Viegas de Freitas Monteiro, Jura Novit Curia in International Commercial Arbitration (2013), S.  1–84. Jeweils eine Fußnote findet sich bei Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3 mit Fn.  2; Kurkela, 21 ASA Bul­ letin 486 (2003) mit Fn.  3; Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490 mit Fn.  1 (2014); Öhlberger/ Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 102. Anders allein ­Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127–144. 2  Ausführlich zu den unterschiedlichen Meinungen in der Schiedsgerichtsbarkeit Zweiter Teil, 3. Kapitel. 3  Von Savigny, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815, 1, 3–4. 4  Zur bedauerlichen Geschichtsvergessenheit in der Schiedsgerichtsbarkeit Risse, FS Elsing (2015), S.  453, 455.

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

A. Römischer Zivilprozess Der römische Zivilprozess schuf den Rechtsboden, aus dem das moderne Pro­ zessverständnis erwuchs.5 Ewig und erhaben ist deshalb das Argument, bereits in Rom habe iura novit curia gegolten und Recht nicht bewiesen werden müssen.6 Bei genauem Hinsehen stehen die Aussagen der Gelehrten zum römischen Recht allerdings in einem Spannungsverhältnis zueinander. So führt Hackl in dem von Kaser begründeten Lehrbuch zum römischen Zivilprozessrecht aus: „Der Richter leistet einen Eid, gemäß der Wahrheit und den Gesetzen zu verfahren. Er ist an das Recht, namentlich die Gesetze, gebunden. Die Kenntnis des Rechts wird von ihm erwartet, so daß es ihm die Parteien nicht zu beweisen brauchen.“7

Umgekehrt schreibt Wacke in der Zeitschrift Orbis Iuris Romani: „Der lateinische Satz: ‚Da mihi facta, dabo tibi ius‘ war dem antiken Prozessrecht dagegen unbekannt; er richtet sich vermutlich spitz gegen des römische Recht. […] Noch kein römi­ sches Recht enhält auch der inhaltlich verwandte Satz iura novit curia.“8

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass wegen der begrifflichen Schwierigkeiten auch im Zusammenhang mit dem römischen Zivilprozess nicht an den Worten iura novit curia festgehalten werden sollte.9 Vielmehr muss es funktional darum gehen, die Beweisbedürftigkeit von Recht sowie die richterliche Rechtskenntnis im römischen Zivilprozess genauer in den Blick zu nehmen. Hierbei ist hervor­ zuheben, dass sich über die Jahrhunderte im römischen Staatswesen im Allge­ meinen und im Zivilprozess im Besonderen Veränderungen vollzogen, die auch die Aufgabenverteilung zwischen den Parteien und dem Richter nicht unberührt ließen.10 Zudem lädt das römische Recht zu modern inspirierten Fehleinschät­ s. D’Ors, Elementos de derecho privado romano, 4.  Aufl. 2010, S.  21 sowie Pugliese/Sitzia/Vacca, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 2012, S.  2–3. 6  Scheidges, Curia novit jura (1874), S.  5; Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  166; Stürner, FS Weber (2004), S.  589, 590 sowie Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozess­ recht, 2.  Aufl. 1996, S.  358 mit Fn.  36 sowie S.  597. 7  Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  358 zum Formularverfahren. In Fn.  36 wird inhaltlich auf iura novit curia Bezug genommen, wobei die Formulierung selbst als „unrömisch“ bezeichnet wird. Weiter heißt es a. a. O. auf S.  597 zum nachklassischen Ver­ fahren: „Das anzuwendende Recht brauchen die Parteien dem Richter ebensowenig nachzu­ weisen wie in den vergangenen Perioden.“ 8  Wacke, Orbis Iuris Romani 3 (1997), 68, 86–87. Ähnlich Baldus, Orbis Iuris Romani 5 (1999), 20, 24–25: „Der Satz iura novit curia galt nur eingeschränkt, die noch weitergehende Parömie da mihi facta, dabo tibi ius gar nicht“. 9  Der Unterschied zwischen den beiden Aussagen ist womöglich nur ein scheinbarer; tat­ sächlich bezieht sich Wacke an anderer Stelle ausdrücklich auf die oben zitierte Aussage von Hackl, ohne dieser entgegenzutreten, s. Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  63, 83–84. 10 Statt aller s. die Ausführungen bei Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 5 Hierzu

A. Römischer Zivilprozess

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zungen ein, weil unser heutiges Vorverständnis Funktionsweisen des Rechtssys­ tems voraussetzt, die bisweilen mit den Grundstrukturen des römischen Rechts nicht in Einklang stehen.11 Es gilt, diese Besonderheiten bei der Untersuchung des Rechtsermittlungsvorganges zu berücksichtigen.

I. Beweisbedürftigkeit von Recht Einleitend ist auf einen grundlegenden Aspekt hinzuweisen: Das Informations­ problem hinter der Beweisbedürftigkeit von Recht stellte sich im Zusammen­ hang mit dem römischen Rechtsquellensystem anders als im modernen Geset­ zesstaat.12 In Übereinstimmung mit den Prolegomena zu iura novit curia wird ein Nachweis oder Beweis von Recht erforderlich, wenn dem Rechtsanwender der Inhalt des anzuwendenden Rechts unbekannt ist.13 Die Ursache dafür liegt im gewaltenteiligen Gesetzesstaat vor allem darin, dass das Recht von einem Gesetzgeber verkündet wird, der personenverschieden von dem Richter als Mit­ glied der Judikative ist.14 Daraus resultiert ein Informationsproblem, weil dem Richter die Existenz oder der Inhalt von Rechtsquellen, die er nicht selbst gesetzt hat, nicht zwingend bekannt ist.15 Fehlt es nun an einem gewaltenteiligen Gesetzesstaat, so besteht das Informa­ tionsproblem nicht unter diesem Vorzeichen.16 Im Privatrecht des antiken Roms waren die leges nämlich nicht die primäre Rechtsquelle.17 Vielmehr entwickelte sich das Recht aus der Religion heraus hin zu einer Wissenschaft, deren Inhalt von den Juristen selbst bestimmt wurde.18 Die Juristen waren folglich die Exper­

14.  Aufl. 2005, S.  123–171. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt deshalb auf dem Legi­ saktionen- sowie dem Formularverfahren, s. Erster Teil, C. III. 2. 11  Zu den Herausforderungen im Umgang mit dem römischen Recht s. Bretone, Geschich­ te des römischen Rechts (1992), S.  15–34. 12  Methodisch empfiehlt Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Erster Abschnitt (1988), S.  287 gar, moderne Begriffe wie „Recht“, „Gesetz“ und „Rechtsordnung“ im Zusammenhang mit dem antiken Rom nach Möglichkeit zu vermeiden, um Missverständnissen vorzubeugen. 13  Hierzu s. Erster Teil, B. sowie zum epistemologischen Problem Erster Teil, C. I. 14  Zum Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes s. statt aller Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009). 15  Ausführlich zum Gesetzesstaat s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. 16 Grundlegend zum Begriffspaar ius und lex s. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Erster Abschnitt (1988), S.  267–287. 17  Statt aller Santucci, SDHI 80 (2014), 373–393. Für eine stärkere Bedeutung der leges allerdings Mantovani, Legum multitudo (2018). 18 Zu der religiösen Komponente s. Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  81–87.

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

ten für das, was sie selbst schufen.19 Dazu passend nahmen die Gutachten der Juristen eine entscheidende Rolle im römischen Rechtsquellensystem ein.20 Allein deshalb lässt sich aber nicht sagen, dass der Vortrag von Recht in Rom von vornherein überflüssig gewesen wäre. Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang, dass die Entscheidungsgewalt des Richters über lange Zeit nicht in den Händen einer Person gebündelt, sondern zweigeteilt war. Zudem sind die actiones von besonderer Bedeutung, um die prozessuale Stellung der Parteien zu verstehen sowie eine Antwort auf die Frage nach der Erforderlichkeit des Rechtsbeweises zu geben. 1. Iudex und Gerichtsmagistrat Die Existenz einer rechtskundigen Juristenklasse darf nicht dazu verleiten, die römischen iudices mit den Richtern im heutigen Gesetzesstaat gleichzusetzen. Schließlich gab es über lange Zeit in Rom keinen einheitlichen Richter, sondern mehrere Entscheider.21 Das Verfahren bestand aus einem ersten Abschnitt in iure vor einem Gerichtsmagistrat und einem zweiten Abschnitt apud iudicem vor einem Richer, der die Bezeichnung iudex trug.22 Charakteristisch war dabei sowohl für das Legisaktionen- als auch für das Formularverfahren, dass der iudex lediglich auf Grundlage des rechtlichen Prüf­ programms entschied, welches zuvor von dem Gerichtsmagistrat festgelegt wor­ den war.23 Die Tätigkeit des Gerichtsmagistrats konzentrierte sich also auf die rechtliche Arbeit, wohingegen der iudex für das Beweisverfahren und damit die Feststellung der Tatsachen zuständig war.24 Gleichzeitig führte die Zweiteilung aber auch zu einem wechselseitigen Abbau von Komplexität: Der Gerichtsma­ gistrat wurde von der Tatsachenfeststellung entlastet, der iudex von der Rechts­ feststellung.25 In dieser Zweiteilung des Verfahrens liegt eine wesentliche Ursa­ che für die heute selbstverständliche Trennung zwischen Recht und Tatsachen; 19  Vertiefend zu diesem Ansatz Schiavone, Ius. L’invezione del diritto in Occidente (2005), S.  29–38. 20  Zur besonderen Bedeutung der auctoritas s. Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  116–117. 21  Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  63–64. Lediglich in einer ersten Entwicklungsstufe war das Verfahren noch einheitlich, s. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Pri­ vatrecht, 21.  Aufl. 2017, S.  443. 22 Wegweisend Lenel, SZ Rom. Abt.  15 (1894), 374–392. Zu Einzelheiten Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1–50. 23  Statt aller Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  82. 24 Vertiefend Giaro, FS Kupiszewski (2011), S.  215, 217. 25  Tatsächlich wird ein Grund für die Zweiteilung des Verfahrens in einer Entlastung des Prätors gesehen, s. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  47 mit Fn.  12.

A. Römischer Zivilprozess

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hierbei ist aber stets zu berücksichtigen, dass der Inhalt des Rechtsbegriffs nicht mit unserem heutigen Verständnis übereinstimmt.26 Aus diesem Zusammenspiel der beiden Verfahrensstufen folgt, dass die Partei­ en jedenfalls dem iudex das römische Recht strukturell nicht vortragen und nach­ weisen mussten. Schließlich kannte der iudex das rechtliche Prüfprogramm be­ reits wegen der vorherigen Festlegung seitens des Gerichtsmagistrats. Der Vor­ gang der Rechtsermittlung konzentrierte sich deshalb auf den Abschnitt in iure. 2. Actiones Auf den römischen Zivilprozess gemünzt lautet die Frage nach der Beweisbe­ dürftigkeit von Recht folglich, ob und in welcher Form die Parteien dem Ge­ richtsmagistrat das rechtliche Prüfprogramm vorgeben und nachweisen mussten. Anders als im heutigen Recht ist bei einem solchen Nachweis nicht an ausführli­ che Schriftsätze mit umfassenden Hinweisen zur Auslegung staatlicher Gesetze zu denken.27 Vielmehr rücken in diesem Zusammenhang die Eigenheiten des römischen Prozessrechts und insbesondere die legis actiones in den Vordergrund. Bei den legis actiones handelte es sich um förmliche Spruchformeln, mit de­ nen der Kläger dem Gerichtsmagistrat sein Begehren vortrug.28 Die Spruch­ formeln wurden mit strengem Formalismus gehandhabt; bereits geringe Abwei­ chungen im Wortlaut führten zum Prozessverlust.29 Umgekehrt oblag es dem Beklagten, ihm günstige exceptiones in das Verfahren einzuführen.30 Mit dieser Pflicht zum rechtlichen Vortrag ging im Legisaktionenverfahren ein Zwang zur rechtlichen Qualifizierung des Tatsachenstoffes einher.31

bei Giaro, FS Kupiszewski (2011), S.  215, 218–222. Katsuta meint hingegen, das römische Recht unterscheide Recht und Tatsache nicht unmittelbar, s. Katsuta, Hitotsubashi Journal of Law and Politics 1985, S.  1, 7. 27  Zum Grundsatz der Mündlichkeit im Zusammenhang mit dem responsum s. Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  140. 28 Nach Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  109 lehnte sich der Wortlaut eng an die Zwölftafeln und einige spätere Volksgesetze an. Zur Strenge der Auslegung s. Waldstein/Rainer/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, 11.  Aufl. 2014, S.  135 sowie Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8.  Aufl. 1997, S.  494. 29  Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  63 weist darauf hin, dass ur­ sprünglich sogar gewisse Bewegungsabläufe korrekt durchgeführt werden mussten. Zum For­ malismus s. auch Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  35 mit Fn.  4. 30 Die exceptio bezeichnete eine Erweiterung der Spruchformel durch eine „Einrede“ des Beklagten, s. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, 21.  Aufl. 2017, S.  445. Weiterfüh­ rend Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  363 mit Fn.  17. 31 Wohl deshalb wurden die Parteien bei dem Prozess rechtlich beraten, s. dazu Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  63. 26  Quellennachweise

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

Die Formenstrenge des Legisaktionenverfahrens erfuhr im Laufe der Zeit und mit Übergang zum Formularverfahren gewisse Erleichterungen.32 Trotz dieser Entwicklung lebte aber der Grundgedanke, den Prozessstoff rechtlich über eine vordefinierte Formel zu strukturieren, weiter fort.33 Hierbei war es zunächst Aufgabe des Klägers, die aus seiner Sicht anwendbare Formel zu identifizie­ ren.34 Diese editio actionis diente dazu, den Beklagten mit dem klägerischen Begehren vertraut zu machen.35 Der Beklagte hatte dann die Möglichkeit, mit dem Kläger zu interagieren, sich zu dem Inhalt der Formel zu äußern und ex­ ceptiones vorzubringen.36 Gegenüber dem Gerichtsmagistrat wurde sodann im Wege der postulatio actionis die Erteilung der Formel beantragt.37 Daraufhin folgte die eigentliche Verhandlung in iure, die mit der Festlegung des Formelin­ halts durch den Gerichtsmagistrat ihr Ende fand.38 Anders als im Legisaktionen­ verfahren war die Bindung des Gerichtsmagistrats an die postulierte Formel al­ lerdings gelockert, weshalb dieser bei der Festlegung des Formelinhalts Pragma­ tismus walten lassen konnte, aber nicht musste.39 Insgesamt fällt im Unterschied zum deutschen Zivilverfahren ins Auge, dass die Parteien eine erhebliche Verantwortung für die rechtliche Strukturierung des Verfah­ rensstoffes trugen.40 Schon zu Beginn des Verfahrens mussten sie sich über die pas­ sende Formel sowie exceptiones Gedanken machen. Für den weiteren Prozessver­ lauf kam der rechtlichen Einkleidung erhebliche Bedeutung zu, und in dem Verfah­ Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1–50. Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  76–77. Nach Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1, 49 waren die Formeln „ohne juristischen Beistand kaum zu handhaben“. Instruktiv zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozess­ recht, 2.  Aufl. 1996, S.  152. 34  Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  78: „L’attore indicava all’avver­ sario la formula dell’azione che intendeva promuovere facendo riferimento all’albo pretorio“. Ebenso Pugliese/Sitzia/Vacca, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 2012, S.  199; Fernández/ Paricio, Fundamentos de derecho privado romano, 9.  Aufl. 2016, S.  79 sowie Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  232 mit Fn.  5. 35  Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1, 6. 36  Zur konsensualen Streitbeilegung Fernández/Paricio, Fundamentos de derecho privado romano, 9.  Aufl. 2016, S.  82–84 und Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1, 20–22 sowie zur exceptio Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  88. 37  D’Ors, Elementos de derecho privado romano, 4.  Aufl. 2010, S.  71; Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  78 sowie Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  232 mit Fn.  6. 38  Bezeichnet als datio actionis oder iudicium, s. Fernández/Paricio, Fundamentos de de­ recho privado romano, 9.  Aufl. 2016, S.  85; Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  80; Pugliese/Sitzia/Vacca, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 2012, S.  205. 39  Hierzu s. Baldus, Orbis Iuris Romani 5 (1999), 20, 25. Zu den Folgen einer Festlegung auf eine unvorteilhafte Formel s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, A. III. 40 Ebenso Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  65, 86–87. 32 Ausführlich 33 

A. Römischer Zivilprozess

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ren apud iudicem war der iudex an das rechtlich festgelegte Streitprogramm sogar gebunden.41 Kurz gesagt: In der Festlegung auf eine bestimmte actio lag ein Ele­ ment, das dem heutigen deutschen Modell des Zivilprozesses zutiefst fremd ist.42 3. Förmlicher Rechtsbeweis Waren die Parteien also bereits in den Vorgang der Formelfestlegung eingebun­ den, so fragt sich, ob daneben der förmliche Beweis von Recht eine Rolle spielen konnte.43 Anders als im modernen deutschen Rechtsdenken war die prozessuale Möglichkeit eines förmlichen Rechtsbeweises nämlich nicht prinzipiell ausge­ schlossen.44 Darauf weist Paulus in den Digesten ausdrücklich hin: „Ab ea parte, quae dicit adversarium suum ab aliquo iure prohibitum esse specialiter lege vel constitutione, id probari oportere.“45

Die grundsätzliche Möglichkeit des Rechtsbeweises wird von Cicero und Quintilian ebenfalls erwähnt.46 Lehne weist zudem darauf hin, dass Juristen durchaus auch als Zeugen für Rechtsaussagen auftraten.47 Bindungswirkung wurde über ein hoheitliches Dekret verfügt, s. statt aller Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  293. 42  So ausdrücklich Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1, 44. 43 Hierzu s. Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  9–10 und 180. Vertiefend Triggiano, Le prove giudiziarie nel mondo antico: tra retorica e diritto (2017). 44  Auf die Möglichkeit der Beweisbedürftigkeit von Recht weisen auch Capone, Iura novit curia (2010), S.  17; Kaufmann, JZ 1964, 482, 483; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsge­ schichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201 mit Fn.  8; Santini, Iura novit curia (2012), S.  9–10; Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 45 sowie Stein/Juncker, Grund­ riß des Zivilprozeßrechts, 2.  Aufl. 1924, S.  30 hin. 45  Paul. 9 resp. D. 22.3.5. pr. Behrends übersetzt die Stelle wie folgt: „Wenn eine Partei behauptet, ihr Gegner sei an der Geltendmachung irgendeines Rechts in besonderer Weise durch ein Volks- oder Kaisergesetz gehindert, muss sie das beweisen“, s. Knütel/Kupisch/­ Seiler/Behrends, Corpus Iuris Civilis, Band  4 (2005), S.  110–111. 46  Cicero, De oratore, Liber II, XXVII 116 zählt folgende Quellen als beweisbedürftige Tatsachen auf: „tabulae, testimonia, pacta conventa, quaestiones, leges, senatus consulta, res iudicatae, decreta, response“. Kühner übersetzt die gesamte Stelle wie folgt: „Zur Beweisfüh­ rung aber steht dem Redner ein zweifacher Stoff von Sachen zu Gebote: erstlich von solchen, die nicht von dem Redner ausgedacht, sondern, auf Tatsachen beruhend, zweckmäßig behan­ delt werden, wie Urkunden, Zeugnisse, Verträge, Übereinkünfte, peinliche Untersuchungen, Senatsbeschlüsse, richterliche Entscheidungen, obrigkeitliche Verordnungen, Rechtsgutachten und was sonst noch von dem Redner nicht erzeugt, sondern dem Redner durch die Sache selbst und von dem Beteiligten dargeboten wird.“ Ähnlich Quintilian, Institutio Oratoria, Liber V, 5, 1 sowie ausführlich zu Gerichtsentscheidungen unter 5, 2. Auf die Schwierigkeit, Senatsbeschlüs­ se zu widerlegen, geht Quintilian ebenfalls kurz ein, 5, 2 a. E. Zu der Auflistung von Cicero und Quintilian s. auch Pugliese/Sitzia/Vacca, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 2012, S.  210. 47 Ausführlich Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 262–271. 41  Die

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Allein aus der Möglichkeit des Rechtsbeweises kann aber nicht auf seine grundsätzliche Erforderlichkeit geschlossen werden.48 Vielmehr ist zu berück­ sichtigen, dass der Beweis im Legisaktionenverfahren und im Formularverfah­ ren im Zusammenhang mit dem Verfahren apud iudicem zu sehen ist. In diesem Verfahrensabschnitt war die eigentliche Rechtsprüfung durch vorherige Festle­ gung des rechtlichen Prüfprogramms bereits abgeschlossen.49 Überdies erschei­ nen die von Paulus, Cicero und Quintilian aufgezählten Rechtsquellen aus römi­ scher Sicht für den Zivilprozess als weniger bedeutend, weil sie die zentralen actiones und Formeln gerade nicht umfassen.50 Methodisch ist zudem begrün­ dungsbedürftig, welches Gewicht die bei Cicero und Quintilian aufgeführten Aussagen für Zivilverfahren tatsächlich hatten.51 Nach allem würde es deshalb zu weit führen, die Verantwortlichkeit für die Beibringung und den Beweis aller rechtlichen Grundlagen allein bei den Parteien zu verorten.52 Vielmehr ist die Beweisbedürftigkeit von Recht zunächst zu der richterlichen Rechtskenntnis ins Verhältnis zu setzen, um die Aufgabenverteilung zwischen den Parteien und dem „Gericht“ näher zu entfalten.

II. Richterliche Rechtskenntnis Nach deutschem Vorverständnis besteht eine natürliche Verbindungslinie zwi­ schen Richterstellung und Rechtskenntnis.53 Diese Linie reicht jedoch nicht bis zum römischen Prozessrecht zurück. Weder der iudex noch der Gerichtsmagi­ strat waren zwingend rechtskundig. Im Gegenteil verfügten die iudices regelmä­

48  In der Sache wie hier Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  358 mit Fn.  36 und S.  597; Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  65, 84; Stürner, FS Weber (2004), S.  589, 590. 49  Dies erkennt auch Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 268 indirekt an, indem er da­ rauf hinweist, dass Rechtsfragen zuvor im Verfahren in iure von den Parteien angegeben wer­ den mussten. 50  Zur Bedeutung des aktionenrechtlichen Denkens Baldus, Orbis Iuris Romani 5 (1999), 20, 24–25. 51  Es ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Cicero und Quintilian nicht um Juristen im engeren Sinne handelte, weshalb ihre Schriften jedenfalls nicht ohne weitere Begründung her­ angezogen werden können. 52  So aber Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  201: „Nach einer in der Antike zu allen Zeiten verbreiteten Übung war es Sache der Anwälte, dem Richter die für ihre Parteien günstigen Rechtsnormen nachzuweisen.“ Inhaltlich ebenso Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 267–268. Wie hier der Sache nach Baldus, Orbis Iuris Romani 5 (1999), 20, 24–25 sowie Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  358 mit Fn.  36 und S.  597; Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  65, 84; Stürner, FS Weber (2004), S.  589, 590. 53  Vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, A.

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ßig gerade nicht über Rechtskenntnisse.54 Sogar bei den Gerichtsmagistraten, die für das Verfahren in iure zuständig waren, handelte es sich grundsätzlich nicht um rechtskundige Juristen.55 Auf den ersten Blick erscheint eine rationale Rechtsanwendung von Amts we­ gen folglich schon aus fachlichen Gründen als undurchführbar. Ohne novit kann es kein iura novit curia geben. Diese Aussage bedarf freilich der Präzisierung: Für den iudex als Tatsachenrichter war die Rechtsanwendung strukturell auf die Anwendung der actio oder der Formel beschränkt.56 Insoweit ist das Wirkungs­ verhältnis umgekehrt: Die vorherige Festlegung des rechtlichen Prüfungspro­ gramms erlaubte es, auf Rechtskenntnisse bei dem iudex selbst zu verzichten.57 Dieser Ausweg blieb in Bezug auf den Gerichtsmagistrat jedoch versperrt. In Ermangelung eigener Rechtskenntnisse konnte er das anwendbare Recht nicht ohne Weiteres selbst ermitteln und zur Anwendung bringen. Im Regelfall wurden seine fehlenden Rechtskenntnisse deshalb durch einen juristischen Beraterstab, der die Bezeichnung consilium trug, hergestellt. Aufgeworfen ist hiermit aber unmittelbar die Frage, wie die Rechtslage ohne die Einbeziehung von juristi­ schen Beratern in provinzialen Prozessen ermittelt werden konnte. Hingewiesen werden soll in diesem Zusammenhang vor allem auf das Institut der recitatio sowie die Reskriptenpraxis. 1. Consilium Im römischen Zivilprozess kamen zuerst die Juristen, dann der Prozess und zu­ letzt das Recht.58 In den Worten von Schiavone: „I giuristi a Roma non furono dunque solo dei sapienti, o degli scienziati del diritto. Per gran parte della loro storia, ne furono anche i più importanti costruttori e produttori: un ceto de esperti al lavoro per decine de generazioni, lungo un itinerario fino ad allora mai percorso.“59

Prozessuales Einfallstor für die von Schiavone in Bezug genommene juristische Expertise war die Respondierpraxis, der eine zentrale Rolle im römischen Pro­ zess zukam. Die Rechtsgelehrten erteilten Auskunft über die Klageformulare und erstellten Gutachten über die Rechtslage.60 Obschon die Feststellung der 54  Statt aller Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  60 (Legisaktionen­ verfahren) und S.  197 (Formularverfahren). 55  Daran bestand nach Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  44 jeden­ falls für das Legisaktionenverfahren „kein Zweifel“; ebenso S.  183 für das Formularverfahren. 56  Zu den Zusammenhängen s. Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  63, 84–85. 57 Treffend Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1, 44. 58  Diese Formulierung geht zurück auf Christian Baldus. Vertiefend zur Rolle der Juristen in Rom Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  111–146. 59  Schiavone, Ius. L’invezione del diritto in Occidente (2005), S.  29. 60  Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  115.

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Rechtslage durchaus kompliziert sein konnte, haben wir keine Hinweise darauf, dass römische Juristen das Recht nicht kannten. Im Gegenteil: Noch heute wer­ den ihre Schriften als Meisterstück der Rechtsgelehrsamkeit angesehen.61 Die Lösung für die fehlende Rechtskenntnis des Gerichtsmagistrats lag also in der Einbeziehung von externer Expertise.62 Die richtige Anwendung des Rechts wurde über die Präsenz von Juristen im consilium des Gerichtsmagistrats gesi­ chert.63 Daneben trugen die Parteien durch die Beauftragung von Juristen zum Prozess der Rechtsermittlung bei.64 Für das antike Rom lässt sich deshalb sagen: iura novit conditque iuris peritus. 2. Provinzialprozess Lässt sich das Erkenntnisproblem für Rom selbst über die Einbeziehung rechts­ gelehrter Juristen lösen, so gilt dies für die Provinzen nicht gleichermaßen. Hier besteht allerdings ein Quellenproblem. Lediglich für Ägypten gibt es gewisse Hinweise aus Papyri, wohingegen das Bild für andere Provinzen gänzlich un­ sicher und lückenhaft erscheint.65 Aber auch für Ägypten ist die Informations­ lage undeutlich.66 Immerhin darf als gesichert gelten, dass die Feststellung der im Einzelfall an­ wendbaren Rechtslage im Provinzialprozess mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war.67 So ist nicht positiv bekannt, dass Provinzialrichter auf ein rechtskundiges consilium hätten zurückgreifen können, wie es ihren römischen Kollegen möglich war. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass es für die Par­ teien von erheblicher Bedeutung war, den provinzialen Richter über die Rechts­ lage zu informieren.68 Tatsächlich lassen sich den Papyri Hinweise darauf ent­ nehmen, dass die Rechtssuchenden Kommentare sowie Präzedenzfälle der höch­ Statt aller Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  45–51. Rechtsentscheidung wurde faktisch vielfach von externen Juristen und nicht von dem Gerichtsmagistrat oder gar dem iudex selbst getroffen, s. Kaser/Hackl, Römisches Zivil­ prozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  163. 63  Statt aller D’Ors, Elementos de derecho privado romano, 4.  Aufl. 2010, S.  68 sowie ver­ tiefend Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 271–290. 64 Im Grundsatz war der Mandatsvertrag in Rom ein unentgeltliches Geschäft; dieser Grundsatz wurde allerdings umgangen, s. Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 259–260 mit Fn.  203. Daher führt Liebs, SZ Rom. Abt.  123 (2006), 1, 17–18 die Unbeliebtheit von Juristen in römischer Zeit auf die Honorare von Juristen zurück. 65  Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  167–168. 66  Insgesamt sind lediglich 80 antike Zeugnisse bekannt, die Auskunft über den iuridicus Aegypti et Alexandreae liefern, s. Haensch, Der iuridicus Aegypti et Alexandreae, in: Recht haben und Recht bekommen im Imperium Romanum (2016), S.  165. 67  Ausführlich zu diesem Problem Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212, 213. 68  Zu anderen antiken Rechtsordnungen, in denen die Parteien ebenfalls Nachweise zum 61 

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sten Autoritäten vor Ort zitierten.69 Derartiger Rechtsvortrag wird mit hohen Kosten verbunden gewesen sein, die gleichzeitig als Grund dafür angeführt wer­ den, warum heute nur wenige Protokolle über ägyptische Provinzialgerichtsver­ fahren erhalten sind.70 Insgesamt kommt Weiß in seinem auch heute noch grund­ legenden Aufsatz zum Provinzialprozess deshalb zu folgendem Ergebnis: „[F]ür eine große Anzahl von Fällen hat man mit richterlicher Rechtsunkenntnis zu rechnen, so daß die anderwärts aufgestellte Behauptung, […] im römischen Provinzialprozeß habe der Satz iura novit curia keine Stätte gehabt, erwiesen wird.“71

3. Recitatio In dieses Gesamtbild fügt sich das prozessuale Rechtsinstitut der recitatio naht­ los ein. Außerhalb von Rom war der Zugriff auf Auskünfte von Mitgliedern des römischen Juristenzirkels sowie die Einsichtnahme in deren Schriften nur einge­ schränkt möglich.72 Im Unterschied zu der heutigen Zeit gab es keinen Buch­ druck und sogar das Urkundenwesen befand sich noch in der Entwicklung.73 Waren die Juristenschriften am Gerichtsort nun schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorhanden, so musste das Gericht sich Rechtskenntnis auf anderem Wege beschaffen. Dazu diente die recitatio: Juristenschriften und sonstige Rechtsquel­ len wurden dem Provinzialrichter von den Parteien oder ihren advocati vorge­ lesen, um diese in den Prozess einzuführen.74 Es waren in diesem Zusammen­ hang die Parteien oder ihre Rechtsvertreter, die für die Ermittlung der erforder­ lichen Rechtsquellen Verantwortung trugen.75 Recht vorbringen mussten, s. Lanni, 24 Yale J.L. & Human. 119, 121 (2014) sowie Santini, Iura novit curia (2012), S.  8. 69  Haensch, Der iuridicus Aegypti et Alexandreae, in: Recht haben und Recht bekommen im Imperium Romanum (2016), S.  165, 174. 70  Haensch, Die Protokolle der Statthaltergerichte der spätantiken Privinzen Ägyptens, in: Recht haben und Recht bekommen im Imperium Romanum (2016), S.  299, 308–309. 71  Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212, 239. 72  Erschwert wurde die Verfestigung des Rechts dadurch, dass das responsum in der Praxis jedenfalls ursprünglich nicht schriftlich abgefasst, sondern mündlich erteilt wurde, s. Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  140. Kunkel und Schermaier schreiben, dass in der nachklassischen Periode die Quellen nur „in höchst unvollkommenem Maße zugänglich“ ge­ wesen seien, s. Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  200. 73  Zur fehlenden Verfügbarkeit von Originalen Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsge­ schichte, 14.  Aufl. 2005, S.  192 sowie zur Entwicklung des Urkundenwesens im Zusammen­ hang mit dem Kognitionsverfahren s. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  491–492. 74 Grundlegend Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212, 223–224. Weitere Nachweise finden sich bei Marotta, FS Franciosi, Band  3 (2007), S.  1643, 1666–1669 sowie bei Ruggiero, Ricerche sulle Pauli Sententiae (2017). 75 Treffend Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  243.

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Aber nicht nur in den Provinzen, sondern auch in Rom selbst hatte die recitatio mit zunehmendem Verfall der Rechtswissenschaft ihren Platz.76 Anders als bis­ lang war der Zugriff auf juristische Sachkunde im Kognitionsverfahren der Kai­ serzeit nicht mehr in gleichem Maße gewährleistet wie zu Zeiten des klassischen Formularverfahrens.77 Grund dafür war insbesondere, dass der Einfluss des un­ abhängigen Juristenzirkels nach und nach schwand.78 Die zuvor von den Juris­ ten ausgehende Rechtsermittlungsfunktion ließ sich zudem nicht über eigenstän­ dige Rechtskenntnisse der kaiserlichen Richter ersetzen.79 Auch insoweit konn­ te die recitatio also von Vorteil sein. Allerdings gingen mit der recitatio erhebliche Risiken im Rechtsermittlungs­ prozess einher. So konnte eine Partei auf die Verlesung für sie ungünstiger Rechtsquellen verzichten oder sich in mißbräuchlicher Weise auf die Meinungen der klassischen Juristen beziehen.80 Zudem war die verbreitete Fälschung von Rechtsquellen ein praktisches Risiko.81 Sofern ein Richter nicht über Rechts­ kenntnisse verfügte, vermochte er nicht aus eigener Kraft festzustellen, ob es sich bei den rezitierten Rechtsquellen um die richtigen handelte und ob sie mit diesem Inhalt überhaupt existierten.82 4. Rescriptum In diesem Zusammenhang ist dann auch die Reskriptenpraxis zu sehen. In der Kaiserzeit bestand die Möglichkeit, einen kaiserlich ermächtigten Rechtskundi­ gen oder den Kaiser selbst um eine gutachterliche Stellungnahme zu ersuchen.83 Diese Stellungnahme wurde dem Gericht nach Erteilung vorgelegt und entfaltete 76  Bisweilen mag die recitatio schon zu klassischer Zeit eine Rolle gespielt haben, s. Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 237. 77  D’Ors, Elementos de derecho privado romano, 4.  Aufl. 2010, S.  58. Im Zusammenhang mit dem Kognitionsverfahren weisen Fernández/Paricio, Fundamentos de derecho privado ­romano, 9.  Aufl. 2016, S.  117 auf die recitatio ausdrücklich hin. 78  Zum Verfall der Rechtswissenschaft s. Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  186: „Rechtswissenschaft [versinkt] in das Dunkel“. Ebenfalls kritisch ­Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  102: „Lotteriespiel“. 79  Zur Bedeutung der Reskriptenpraxis s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, A. II. 4. 80  Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  243. 81  D’Ors, Elementos de derecho privado romano, 4.  Aufl. 2010, S.  58. Die Fälschung von Urkunden wurde mit Strafe bedroht, s. Pugliese/Sitzia/Vacca, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 2012, S.  210. Zu dem Problem der Fälschung ebenfalls Quintilian, Institutio Oratoria, Liber V, 5, 5. 82  Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  102: „Die Richter aber sind schlecht ausge­ bildet, sie geraten in Schwierigkeiten, wenn sich streitende Parteivertreter auf jeweils abwei­ chende Juristenmeinungen berufen.“ 83  Zum Ganzen s. Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212, 233 ff. sowie Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  188.

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in rechtlicher Hinsicht Bindungswirkung.84 Im Laufe der Zeit gewann dieses als rescriptum bezeichnete Rechtsinstitut zunehmend an Bedeutung und führte zur Ausbildung der Reskriptenpraxis. Ohne Nachteile war die Reskriptenpraxis für die Parteien jedoch ebenfalls nicht. Die Erteilung einer kaiserlichen Stellungnahme konnte einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verursachen. Außerdem war es schwierig, den Inhalt der Stellungnahme zu beeinflussen.85 Aus institutioneller Perspektive führte die Reskriptenpraxis überdies zu einer Schwächung der klassischen Rechtswissen­ schaft insgesamt. Schließlich verlor die freie Gutachtentätigkeit der Juristen vor dem Hintergrund kaiserlicher Stellungnahmen an Bedeutung.86 Konnten oder wollten die Parteien sich auf die Reskriptenpraxis nicht einlassen, blieb ihnen deshalb letztlich nur der Rückgriff auf die recitatio.87

III. Rechtspraxis Nach allem kann die Vorstellung, der „Richter“ habe das Recht bereits in Rom von Amts wegen selbsttätig ermittelt, nur ein Produkt des Pandektismus sein.88 Auch wenn der „Richter“ unter Einbeziehung seiner juristischen Ratgeber in Ein­ zelfällen auf die Abänderung der Formel hinwies oder sogar neue Formeln schuf, darf nicht übersehen werden, dass das römische Zivilverfahren den Parteien deut­ lich mehr Rechtskenntnisse zumutete, als es heute in Deutschland üblich ist.89 Nicht nur die actiones und die Formeln, sondern das römische Recht insge­ samt verfügten über eine erhebliche Komplexität.90 Waren der Kläger oder der 84  Die Bindungswirkung stand freilich unter dem Vorbehalt, dass der Sachverhalt in der Anfrage richtig vorgetragen wurde: si preces veritate nituntur. Zur Reskriptenpraxis Weiß, SZ Rom. Abt.  33 (1912), 212, 233 ff. 85  Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  614 halten es bereits für fraglich, ob „den Parteien die Teilnahme an der Verhandlung über die Sache gestattet wurde“. 86 Plastisch die Formulierung bei Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  188: „Die Entfaltung der kaiserlichen Reskriptenpraxis, vor allem unter den severischen Kaisern, erstickte allmählich die freie Gutachtertätigkeit der Juristen und zerstörte damit die Hauptgrundlage einer selbständigen Jurisprudenz.“ 87  Nicht zuletzt deshalb standen das Zitiergesetz sowie die justinianische Kodifikation mit der recitatio in Zusammenhang: Auf diesem Wege sollte Klarheit über die existierenden Rechtsquellen hergestellt werden, um Missbrauch zu vermeiden, s. Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  243–244. 88  S. statt aller Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  1 (1828), S.  110–112. Kritisch bereits Langenbeck, Die Beweisführung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Band  1 (1858), S.  91 mit Fn. b) sowie ausführlich zur historischen Rechtsschule zuletzt Haferkamp, Die Historische Rechtsschule (2018). 89  Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  65, 86–87. 90 Eindrücklich Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  105.

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Beklagte selbst nicht rechtskundig, konnten sie die Rechtslage auch nicht ohne die Einbeziehung von Juristen ermitteln.91 Gleichzeitig konnte eine nachlässige Prozessführung zu einschneidenden Nachteilen führen.92 Sowohl die editio actionis als auch die postulatio actionis erforderten in der Praxis, die zutreffende Formel aus einer Formelsammlung herauszusuchen.93 Umgekehrt musste der Beklagte die exceptiones kennen, um ihre kunstgerechte Einführung in das Ver­ fahren sicherzustellen.94 Die praktische Strenge des Systems zeigt sich daran, dass bei einer Zuvielforderung grundsätzlich nicht auf den geschuldeten geringe­ ren Betrag verurteilt werden durfte, sondern die Klage abgewiesen werden muss­ te.95 Außerdem konnte der Gerichtsmagistrat dem Kläger die Berufung auf eine dem Wortlaut nach anwendbare Prozessformel im Wege des denegare actionem versagen, wenn deren Anwendung ihm unbillig erschien.96 Fehler in dem Verfahren in iure konnten aber nicht nur zu einem sofortigen Prozessverlust führen, sondern auch das Verfahren apud iudicem in unvorteilhaf­ te Bahnen lenken.97 Schließlich war der iudex an die Formel gebunden und durf­ te der Klage nicht auf Grundlage einer anderen Formel stattgeben.98 Folgerichtig Ähnlich Bretone, Geschichte des römischen Rechts (1992), S.  116, der das Recht „mit seinen Schichtungen und Komplikationen“ als „alles andere als ein offenes Buch“ beschreibt. Letzt­ lich gibt es in der Grundanlage des römischen Rechts damit Ähnlichkeiten zum common law, s. dazu 2. Teil, 2. Kapitel, B. 91 Laut Liebs, SZ Rom. Abt.  123 (2006), 1, 17–18 nutzten Juristen diesen Umstand auch schon in der Antike zu ihrem Vorteil aus. 92  Beispiele finden sich bei Wacke, FS Zlinszky (1998), S.  63, 86–89. Insbesondere kam es auf die Auswahl der richtigen actio oder Formel an, s. statt aller Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 237. 93  Marrone, Istituzioni di diritto romano, 2.  Aufl. 1994, S.  76 sowie treffend Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 236. Weitere Nachweise zu Formelsammlungen finden sich bei Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2.  Aufl. 1996, S.  237. 94  Darauf konnte der Kläger wiederum mit einer replicatio erwidern, s. Fernández/Paricio, Fundamentos de derecho privado romano, 9.  Aufl. 2016, S.  90. 95  Die Regel ne eat iudex ultra petita partium war anders als heute dahingehend zu verste­ hen, dass nicht in weniger verurteilt werden durfte, s. Wacke, Orbis Iuris Romani 3 (1997), 68, 85. 96  Zu dieser Möglichkeit s. Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  115. 97  Advocati trugen zu einer präziseren Fassung der Formel bei und halfen so, Überraschun­ gen in dem Verfahren vor dem iudex zu verhindern, s. Bürge, SZ Rom. Abt.  112 (1995), 1, 48–49. 98  Ein Beispiel findet sich bei Wacke, Orbis Iuris Romani 3 (1997), 68, 86 mit Fn.  81. Der Sache nach ebenso Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 14.  Aufl. 2005, S.  115– 116 sowie Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, 21.  Aufl. 2017, S.  458. Zu den sehr beschränkten Möglichkeiten der Klageänderung s. Baldus, Orbis Iuris Romani 5 (1999), 20, 26–30. Diokletian war es, der die Bindung der Richter an den rechtlichen Parteivortrag aufzu­ lösen versuchte; seine Richter waren in ihrer Entscheidungsfindung nicht auf die von den Par­

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konnte aus Sicht der Pareien vielfach auf die Einbeziehung von advocati nicht verzichtet werden.99 Umso mehr galt dies für die Provinzen und die späteren Entwicklungsstufen des römischen Prozessrechts, in denen die Parteien sich nicht auf die Rechtskenntnis des Gerichts und seiner Rechtsberater verlassen konnten, sondern die recitatio und die Reskriptenpraxis in den Vordergrund traten.

IV. Zusammenfassende Würdigung Wie eine rote Linie zieht sich ein Zusammenhang zwischen der Beweisbedürf­ tigkeit von Recht und der richterlichen Rechtskenntnis durch den römischen ­Zivilprozess. Es treten Grundstrukturen hervor, wie mit dem Problem fehlender Rechtskenntnisse umgegangen werden kann. Einerseits lässt sich die Informa­ tionsbeschaffung auf juristische oder hoheitliche Gerichtsberater verlagern und andererseits den Parteien auferlegen. In diesem Sinne erfüllte das consilium über lange Zeit die Funktion, eine sach­ gerechte Rechtsermittlung innerhalb Roms sicherzustellen. Den Rechtsgelehrten musste nicht die Existenz von actiones und Formeln bewiesen werden, weil sie diese nicht nur kannten, sondern stetig auch selbst fortentwickelten. Gleichzeitig wurden die Parteien über das aktionenrechtliche Denken in den Vorgang der rechtlichen Strukturierung des Streitstoffes einbezogen. Der förmliche Rechts­ beweis spielte hingegen jedenfalls im klassischen Rom zunächst eine funktional zu vernachlässigende Rolle. Erst mit dem Verfall der klassischen Rechtswissenschaft erlangte der Nach­ weis von Rechtsquellen über die recitatio in Rom selbst an Bedeutung. In Pro­ vinzialprozessen wird dies hingegen bereits vorher der Fall gewesen sein, da hier nicht in gleichem Maße auf die Auskünfte eines juristisch vorgebildeten Berater­ stabes zurückgegriffen werden konnte. Insgesamt lässt sich festhalten, dass der römische Prozess eine richterliche Rechtsanwendung von Amts wegen im modernen Sinne nicht kannte. Die Grün­ de dafür sind vielfältig: Der iudex ermittelte das Recht nicht selbst, sondern es wurde ihm vorgegeben. Für den Gerichtsmagistrat galt dies ebenfalls, weil er sich in der Regel auf das consilium verließ. Zudem ist die Bindungswirkung der Spruchformel mit dem Grundgedanken unvereinbar, dass der Richter den Streit­ gegenstand in jeder Hinsicht rechtlich würdigt. Stellte die Formel sich im Ver­ teien vorgetragenen Rechtsgrundlagen beschränkt, Codex, Buch 2, Titel X, Nr.  1. In Codex, Buch 1, Titel XXII, Nr.  1 findet sich ein Hinweis darauf, dass über den Parteivortrag hinaus entschieden werden durfte. 99 Treffend Lehne, SZ Rom. Abt.  131 (2014), 216, 230, der einen Verzicht auf Rechts­ gelehrte insbesondere auf Fälle bezieht, in denen die Parteien selbst über Rechtskenntnisse verfügten.

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fahren apud iudicem als unpassend heraus, musste die Klage abgewiesen wer­ den. Letztlich waren die Parteien deshalb gut beraten, sich nicht alleine auf die Rechtskenntnisse des Gerichtsmagistrats und seiner Berater zu verlassen, son­ dern gemeinsam mit ihren jeweiligen advocati eine Prozessstrategie zu ent­ wickeln, um die Fallstricke des römischen Prozessrechts zu übersteigen. Zusam­ mengefasst fehlte es für eine moderne Rechtsanwendung von Amts wegen an der Grundvoraussetzung: der richterlichen Rechtskenntnis. Das Argument, schon in Rom habe iura novit curia gegolten, geht deshalb ins Leere. Vielmehr ist es kein Zufall, dass sich die Formulierung iura novit curia in den römischen Quellen nicht findet – sondern lediglich der letzte Beleg dafür, dass der Grundsatz nach­ klassisch sein muss.

B. Gemeiner Zivilprozess Die Untersuchung des römischen Zivilprozesses hat gezeigt, dass der Verzicht auf den Nachweis von Recht nicht in allen Zeiten vorausgesetzt werden konnte. Gleiches gilt für eine umfassende richterliche Rechtskenntnis. Als nächster Schritt ist der Vorgang der Rechtsermittlung im gemeinen Prozess zu untersuchen. In der Rezeptionszeit kam es zu einer juristischen Zeitenwende, die ihrerseits An­ lass bietet, die Beweisbedürftigkeit von Recht sowie die richterliche Rechts­ kenntnis erneut auf den Prüfstand zu stellen. Zuerst richtet sich der Blick auch in diesem Zusammenhang auf die Beweis­ bedürftigkeit von Recht. Anschließend geht es darum, die richterliche Rechts­ kenntnis zu untersuchen. Sodann erfolgt eine Darstellung der Rechtspraxis und schließlich werden die Ergebnisse in ihrem Zusammenspiel eingeordnet und be­ wertet.

I. Beweisbedürftigkeit von Recht Von Beginn an sahen die Rezeptionsjuristen sich mit einem Grundproblem ­konfrontiert: Die Rechtsvielfalt erschwerte die sachgemäße Lösung von Rechts­ fragen.100 Die Auswahl der entscheidungserheblichen Rechtsquelle war für einen Rechtsstreit ebenso wegweisend wie der Weg zu ihr verworren war.101 Die Be­ Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 471–476. Der Grund für die Schwierigkeiten lag in der unübersehbaren Rechtsvielfalt, s. Meder, Ius non scriptum, 2. Aufl 2009, S.  188–189. Inhalt und Wertung der einzelnen Rechtsquellen unterschieden sich teils erheblich, weshalb die Entscheidung des Rechtsstreits von der Aus­ wahlentscheidung abhing, Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  111. 100 

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weisbedürftigkeit von Recht wurde deshalb zu einem Kernproblem der Rezep­ tionszeit.102 Zur Behebung dieses Problems wurde eine vielschichtige Rechts­ ermittlungslehre entwickelt, die sich am römischen Recht orientierte, aber vor allem eigene gemeinrechtliche Erwägungen umfasste und auf dem gemeinrecht­ lichen Rechtsbegriff beruhte.103 1. Rechtsquellenproblem Ausgelöst wurde das Rechtsquellenproblem von der Zersplitterung der Hoheits­ gewalt. Mit dem Fehlen eines Staates ging das Fehlen eines einheitlichen Gesetz­ gebers einher.104 Die Macht war entbündelt und auf unterschiedliche Herrscher verteilt.105 Wie die Herrscher, so waren auch die Rechtsquellen zahlreich.106 An der Allgemeinheit des Gesetzes fehlte es.107 Das Recht war nicht für alle gleich, sondern konnte sich von Person zu Person unterscheiden.108 Für unterschiedliche Stände und Bevölkerungsgruppen galten folglich unterschiedliche Regeln; die ungleiche Behandlung von Adeligen, Klerikern und Bauern war selbstverständ­ lich.109 Weiterhin existierten zahlreiche Einzelfallgesetze, die als Privilegien be­ zeichnet wurden.110

Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  669–685. Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  9–11. 104  Der Kaiser durfte ohne Mitwirkung der Stände keine Reichsgesetze erlassen, s. Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  186. In der globalisierten Welt ist die Hoheitsgewalt eben­ falls nicht in den Händen eines einheitlichen internationalen Gesetzgebers gebündelt, s. weiter­ führend dazu Teubner, Rechtshistorisches Journal 15, 1996, 255, 256 sowie Calliess/Zumbansen, Rough Consensus and Running Code (2010), S.  11–16 und S.  274–275. 105  Kaiser und Könige, Fürsten und Herzöge, Päpste und Kardinäle sowie Bischöfe und Äbte rangen um die Hoheitsgewalt und verfügten über eigene Gerichtsbarkeiten. Kirchliche Gerichte urteilten vielfach auch in weltlichen Angelegenheiten, s. Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  147–169. 106  Eine ausführliche Darstellung der Rechtsquellen findet sich bei Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  85–126. 107  Kirchhof spricht gar von einer „Negation“ der räumlichen und personalen Allgemeinheit des Rechts, s. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  96 sowie S.  100. 108  Deshalb bezeichnete der Begriff „iura“ nicht das objektive Recht, sondern das subjektive Recht des Einzelnen, s. Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 45 mit Fn.  16. Zum Rechtsbegriff Schröder, Recht als Wissenschaft, 2.  Aufl. 2012, S.  9–10. 109  Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  96. Mitglieder verschiedener Be­ rufsgruppen ordneten überdies die Rechtsbeziehungen ihrer Angehörigen selbst. Zu der Funk­ tion der Zunftverfassung als Handwerksrecht s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  202. 110  Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  89–90; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  115. 102 Vertiefend 103 

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Anders als im heutigen Rechtsdenken war es außerdem nicht ohne Umstände möglich, die Existenz des im Einzelfall anwendbaren Rechts festzustellen.111 So war lokales Recht vielfach nicht niedergeschrieben, sondern nur mündlich über­ liefert.112 Abgesehen davon mussten die Gerichte über Kenntnisse der tatsächli­ chen Übung verfügen, um die Geltung von Partikularrecht bejahen zu können.113 Letztlich ist die Beweisbedürftigkeit von Recht ersichtlich eng mit dem Rechtsbegriff selbst verwoben.114 Im gemeinen Recht orientierte sich der Rechts­ begriff an der Rechtsüberzeugung der Bevölkerung.115 Diese Rechtsüberzeugung stand in einem Wechselspiel zur tatsächlichen Übung und ermöglichte es dem Volk, sich sein eigenes Privatrecht zu schaffen.116 Folgerichtig diente die Übung als Quelle der Befugnis, Partikularrechtstatuten schriftlich niederzulegen.117 Gleichzeitig konnten Statuten außer Kraft treten, wenn sie nicht befolgt wur­ den.118 Das Vorliegen der Rechtsgeltungsvoraussetzungen war also selbst bei schriftlichem Recht keineswegs selbstverständlich.119 111  Was heute begrifflich „Recht“ ist, war im gemeinen Recht beweisrechtlich noch eine „Tatsache“, weil die tatsächliche Übung eine Geltungsvoraussetzung für Partikularrecht war, Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 474. 112  Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 49. Zu Ausnahmen, wie etwa dem Sachsenspiegel, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  106–108. 113  Die tatsächliche Übung beschreibt die Anerkennung einer rechtlichen Regelung inner­ halb der Bevölkerung. Noch Ende des 19. Jahrhundert führte Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  154–162 ausführlich zum Beweis des Gewohnheits­ rechts aus. 114  Nicht nur in Rom, sondern auch im gemeinen Recht folgte dieser einer eigenen Denk­ struktur. Weiterführend Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 45 mit Fn.  16 sowie Schröder, Recht als Wissenschaft, 2.  Aufl. 2012, S.  9–10. 115  Zur Bildung des Partikularrechts Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 474–475. Beson­ ders deutlich zeigten sich die tatsächlichen Bezüge des Rechtsbegriffs an Sitte, Tradition und Brauchtum, die unter dem Oberbegriff consuetudo zusammengefasst werden können, s. zu dieser Systematisierung Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  108–110. 116  Ohne Befolgung in der Bevölkerung konnte Partikularrecht grundsätzlich nicht entste­ hen, s. Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 114–115 sowie weiterführend Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  105. Deshalb wurden auch die Schöffenrichter aus dem Volk selbst rekrutiert, Lent, AcP 150 (1949), 193, 196. 117  Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  105 führt zur Begründung ein argumentum a fortiori an. 118  Dieser Vorgang wurde als desuetudo umschrieben. Bereits zehnjährige Nichtanwendung konnte zur Unwirksamkeit führen, s. Coing, Europäische Privatrecht, Band  1 (1985), S.  105 mit Fn.  3. Eine desuetudo kam sogar dann in Betracht, wenn Statuten öffentlich bekannt ge­ macht worden waren, s. zu einem Beispiel noch Stobbe, Geschichte der deutschen Rechts­ quellen, Band  2 (1864), S.  311. 119  Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 474; Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  132–133.

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2. Aktionendenken In dieser Gemengelage zwischen Recht und Tatsachen war es mühsam, die Rechtslage festzustellen. Einen ersten Lösungsansatz zur Bewältigung der Quel­ lenvielfalt fanden die Rezeptionsjuristen im römischen Recht.120 Aus dem Legis­ aktionen- und Formularverfahren wurde das aktionenrechtliche Denken zur Strukturierung des Streitstoffes übernommen.121 Aufgabe des Klägers war es somit erneut, neben den Tatsachen auch den rechtlichen Klagegrund vorzutra­ gen.122 Dieser Vortrag sollte klar und deutlich erfolgen.123 Die Erstverantwortung dafür, die Tatsachen einer juristisch passenden actio zuzuordnen, lag also in den Händen des Klägers.124 Der Rechtsvortrag diente aber nicht nur dazu, das Gericht von der Suche nach einer Anspruchsgrundlage zu entlasten.125 Vielmehr konzentrierte der Kläger den Streitstoff mit der Wahl der actio nicht nur in tatsächlicher, sondern auch und gerade in rechtlicher Hinsicht. Wie bereits im römischen Zivilprozess war das Gericht auf das vom Kläger mit der actio vorgegebene Prüfprogramm be­ schränkt.126 Hatte der Kläger sich für eine actio entschieden, so konnte er diese Kaufmann, JZ 1964, 482, 484–487. Aus der Literatur vertiefend C. Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung (2011), S.  88 sowie Kaufmann, JZ 1964, 482, 487 m. w. N. 122  In den ständischen Vorstellungen der damaligen Zeit sollte nicht „jeder Bauer“ eine Kla­ geschrift aufsetzen können, s. ausdrücklich Schmidt, Klagänderung (1888), S.  46. Weiterfüh­ rend Kaufmann, JZ 1964, 482, 486. Abweichende Ansicht aber bei Wieacker, Privatrechts­ geschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  187 mit Fn.  49, der allerdings anders als Kaufmann und Schmidt keine detaillierten Nachweise vorträgt. Zum römischen Recht s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, A. I. 2. 123  Der Beklagte hatte ein Recht auf Belehrung über den Rechtsvortrag, s. Schmidt, Klag­ änderung (1888), S.  46–47 mit zahlreiche Nachweisen zu den Quellen. 124  Kaufmann, JZ 1964, 482, 486. Die Fortwirkungen macht das Beispiel Frankreich deut­ lich: Noch heute ist Streitgegenstand im Haftungsrecht nur die vorgebrachte Haftungsnorm, s. Stürner, FS Schütze (1999), S.  913, 929 m. w. N. 125  Seinen Ausdruck fand dieses Prozessrechtssystem in einem umfangreichen aktionen­ rechtlichen Schrifttum. Bereits der von Brant herausgegebene Clagspiegel unterschied im ­Ersten Teyl mehrere verschiedene actiones. Kaufmann, JZ 1964, 482, 487 hebt überdies die Bedeutung des Tengler’schen Laienspiegels für die Entwicklung des aktionenrechtlichen Den­ kens hervor. Das aktionenrechtliche Schrifttum war so umfassend und bedeutsam, das sich mit dem Wort „Libellliteratur“ ein eigener Begriff für seine Bezeichnung einbürgerte. 126  Kaufmann, JZ 1964, 482, 486 bezeichnet die Ablehnung der Sätze iura novit curia und da mihi factum, dabo tibi ius als „deutlich“. Dem folgt C. Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung (2011), S.  88. Die Formulierung bei Diokletian „Non dubitandum est iudici, si quid a litigatoribus vel ab his qui negotiis adsistunt minus fuerit dictum, id supplere et pro­ ferre, quod sciat legibus et iuri publico convenire.“ in Codex, Buch 2, Titel X, Nr.  1 zeigt zwar eine richterliche Befugnis zur Ergänzung des Rechtsvortrages der Parteien, darf aber nicht in­ haltlich mit da mihi factum, dabo tibi ius gleichgesetzt werden. 120  121 

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nach Ansicht des einflussreichen Glossatoren Azo ohne Zustimmung des Beklag­ ten nicht mehr ändern.127 3. Rechtsermittlungslehre Sowohl der römische als auch der gemeine Prozess sahen Rechtsvortrag folglich als erforderlich an.128 Darüber hinaus spalteten die Rezeptionsjuristen die Rechts­ ordnung erstmals systematisch in zwei Teile und unterschieden ausdrücklich zwischen von Amts wegen anzuwendenden und beweisbedürftigen Rechtsquel­ len.129 Ihre Rechtsermittlungslehre ruhte auf drei Säulen: 1.  Vorrang des spezielleren vor dem allgemeineren Recht; 2.  Vortrags- und Beweisbedürftigkeit des Partikularrechts; 3.  Anwendung des ius commune von Amts wegen als Ersatzrecht.130 Obschon das Wort „Ersatzrecht“ es nicht nahelegt, kam dem ius commune die zentrale Rolle in dieser Rechtsermittlungslehre zu.131 Im Unterschied zum Parti­ kularrecht musste es nicht bewiesen werden.132 Vielmehr wurden Existenz und Geltung des ius commune vermutet.133 Schon aus diesem Grund genügte es, Azos Lehre wurde in der Folge sogar für einige Zeit herrschend, s. ausführlich Schmidt, Klagänderung (1888), S.  49 und 54–64. 128  Die Verbindung von prozessualer Durchsetzung und materiellem Anspruch beherrschte das Rechtsdenken über Jahrhunderte und fand erst im 19. Jahrhundert ihr Ende, s. dazu Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts (1856), S.  221–232. Bis heute wirkt das aktionenrechtliche Denken fort, s. Wieacker, Privatrechtsge­ schichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  187. 129 In der rechtshistorischen Forschung wird diese Rechtsanwendungslehre zumeist als „Statutentheorie“ bezeichnet, so etwa Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  192–193; Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 50–53; H. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3.  Aufl. 2017, S.  81–83; Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 98–100 sowie Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  138–139. Diese Rechtsanwendungslehre ist nicht mit der „Statutentheorie“ aus dem Internationalen Privatrecht zu verwechseln; um Missverständnisse zu vermeiden, wird der Be­ griff deshalb vermieden. Kritisch zum Begriff der „Statutentheorie“ ebenfalls Wiegand, FS Krause (1975), S.  126, 163 mit Fn.  122. 130 Zusammenfassend Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 52–53. 131  Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  8–9 sowie ­Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  192–196. Die amtswegige Anwendung des ius commune schaffte eine einheitliche Rechtsordnung, wo es keine einheitliche Rechtsordnung gab, s. Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  193–194. 132  Zum Verhältnis der Vermutung zur Rechtsanwendungslehre Wiegand, FS Krause (1975), S.  126–133. 133  Die Wurzeln dieser Vermutung reichen bis weit in das Mittelalter hinein, Wiegand, FS Krause (1975), S.  126, 128. Zur weiteren Entwicklung Oestmann, Die Grenzen richterlicher 127 

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wenn eine dem ius commune entnommene actio lediglich vorgetragen und nicht bewiesen wurde.134 Anders war dies im Bereich des Partikularrechts, das als beweisbedürftige Tat­ sache galt.135 Partikularrechte waren sogar dann vorzutragen und zu beweisen, wenn sie bereits schriftlich niedergelegt waren.136 Nicht nur die Existenz, sondern auch die lokale Befolgung einer Regel war Gegenstand des Beweises.137 Miss­ lang dieser Beweis, so wurde der Rechtsstreit nach ius commune entschieden.138 Das Gericht durfte das Partikularrecht nicht anwenden, wenn die Parteien es nicht vorgetragen und bewiesen hatten.139 Die Bedeutung des ius commune wurde da­ durch weiter bestätigt, dass die Partikularrechte eng auszulegen waren.140 Mit der Schaffung des Reichskammergerichts wurde die gemeinrechtliche Rechtsermittlungslehre positiviert. Die Urteiler beeideten:

Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 67–70. Diese Vermutung wurde for­ melhaft in den Worten fundata intentio zusammengefasst, s. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2.  Aufl. 2012, S.  9–10. Wiegand spricht von habere fundatam intentionem, Wiegand, FS Krause (1975), S.  126, 127. Ursprünglich wurde sogar der Geltungsgrund des ius commune kaum dis­ kutiert; erst später kamen Erklärungsversuche wie die Reichsidee, die translatio imperii oder die Lotharische Legende auf, s. zum Ganzen Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  138–141, 206, 228. 134  Die Klaglibelle waren dem Gericht aus den Klagspiegeln und der Libellliteratur vertraut; eine dogmatisch klare Unterscheidung zwischen römisch-rechtlichen und gemeinrechtlichen Klaglibellen war insoweit nicht erforderlich. Vertiefend Wiegand, FS Krause (1975), S.  126, 128. 135  Bündig zusammengefasst als statutum est facti, s. Wiegand, Studien zur Rechtsanwen­ dungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  153. Auf die seltsame Hybridnatur von Partikular­ recht als Tatsache und Recht zugleich geht Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 473 ein. 136  Faktisch verlor lokales Recht seine Geltung, wenn es nicht bewiesen werden konnte, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  139. Trotz Verkündung kam es deshalb häufig vor, dass Statuten unangewendet blieben, Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  105. Erst später wurde die Kenntnis von bestimmten Statuten vom Gericht erwartet, s. Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  81. Die Einzelheiten sind schwierig und insbesondere mit Blick auf das ius commune in loco um­ stritten, s. Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 58 m. w. N. 137  Gewohnheiten und Statuten kam nur dann Rechtsqualität zu, wenn sie auch befolgt wur­ den, s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 474. Zwei Beispiele finden sich bei Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 40–41. 138 Im Zweifel war das ius commune anzuwenden, s. Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. (2014), S.  187–188. 139  Prägend war der Satz iudex ex officio potest supplere in iure non in facto hoc dicit, s. Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  76 m. w. N. 140  Coing, SZ Rom. Abt.  56 (1936), 264, 269 sowie Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  83, 138.

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„nach des Reichs gemainen Rechten, auch nach redlichen, erbern und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewonhaiten der Fürstenthumb, Herrschaften und Gericht, die für sy pracht wer­ den, dem Hohen und dem Nidern nach seinem besten Verstentnus gleich zu richten“.141

Diese Positivierung diente in der Folge territorialen Gesetzgebern als Vorbild und verfestigte die gemeinrechtliche Rechtsermittlungslehre nachhaltig.142 Das Ergebnis war in doppelter Hinsicht revolutionär; einerseits wurde die Rechtsan­ wendung des ius commune in die Verantwortung der Richter überführt, anderer­ seits die Rechtsquellen zweigeteilt.143 Die Notwendigkeit des Partikularrechts­ beweises steht in deutlichem Gegensatz zu dem heute in Deutschland vorherr­ schenden Gedanken, Recht müsste nicht bewiesen werden. Umgekehrt findet sich in der Rechtsanwendung des ius commune von Amts wegen aber auch ein Gedanke, der sich in dieser Form im römischen Zivilprozess noch nicht erkennen ließ.144 Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum die Parömie da mihi factum, dabo tibi ius nicht im modernen Sinne, sondern ausdrücklich als Abgrenzung zwischen dem nicht zu beweisendem ius commune und dem beweisbedürftigen Partikularrecht verstanden wurde.145

II. Richterliche Rechtskenntnis Die Entwicklung der Rechtsermittlungslehre war für das Bedürfnis an richter­ licher Rechtskenntnis ein Wendepunkt.146 Konnte in Rom noch auf Rechtskennt­ nisse des iudex verzichtet werden, so musste die Pflicht zur amtswegigen An­ wendung des ius commune über richterliche Rechtskenntnis abgesichert wer­ 141  §  3 Reichskammergerichtsordnung (1495). Für lange Zeit war diese Regelung ein be­ deutendes Motiv, Recht zu verschriftlichen, s. zu den Zusammenhängen Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 471–476. 142  Oestmann beschreibt diese Vorschrift als „wegweisend“ für die weitere Rechtsentwick­ lung, s. Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 52–53. Ebenfalls Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  195. 143  Das lokale Recht wurde zum Recht zweiter Klasse, s. Wiegand, Studien zur Rechtsan­ wendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  89. Differenzierend Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  670–671. 144 Hierzu Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 52–53. Mit Bindung an das ius commune tritt eine andere Erkenntnis klar hervor: Die Bindung an die Wissenschaft ist nicht mit einer Bindung an das Gesetz zu verwechseln. Die Bindung an das Gesetz setzte sich erst im späten 18. Jahrhundert durch, s. Wieacker, Privat­ rechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  184. 145  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  139. 146 Zur Bedeutung der Universitäten s. Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte (2015), S.  115. In Heidelberg standen die Pandekten 1498 das erste Mal auf dem Lehrplan, s. Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  235. Der Wissenschaftsgeist war der Schlüssel zur Überwindung von Nichtschriftlichkeit und Aberglauben. Dieser Prozess

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den.147 Die Anwendungspflicht des ius commune löste in der Folge einen Prozess aus, der sich über Jahrhunderte erstrecken sollte. Mit der Gründung und Ausbreitung von Universitäten ging die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Juristenausbildung sowie die Entstehung des Richter­ berufs einher. Rechtskundige Richter waren aber keineswegs immer verfügbar, weshalb die Einbeziehung sachkundiger Dritter unerlässlich war. 1. Juristische Ausbildung und Richterberuf Über lange Zeit übten juristisch nicht gebildete Privatpersonen Rechtsprechungs­ tätigkeiten aus.148 Die Schöffen kannten die Gewohnheiten und Partikularrechte und wurden aus der Mitte des Volkes gewählt.149 Die Bevölkerung hatte deshalb großes Vertrauen in die Rechtsfindung durch Laien.150 Dieses Rechtsprechungs­ system missfiel den Herrschern. Einerseits wollten sie mit dem ius commune eine einheitliche Privatrechtsordnung an die Stelle der uneinheitlichen Partikular­ rechte setzen, andererseits aber auch schlichtweg ihre eigene Macht ausweiten und die Schöffen sowie das Partikularrecht zurückdrängen.151 Diesem Zweck diente die Rechtsermittlungslehre, indem sie dem ius commune zur praktischen Wirksamkeit verhalf.152 dauerte lange, noch im 18. Jahrhundert fanden sich in den ersten Kodifikationen Zauberei­ delikte, s. dazu 1. Teil, 7. Kapitel, §  7 Codex Juris Bavarici Criminalis. Kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts gab es noch eine Diskussion darüber, ob Rechtssprichwörter die Existenz von Gewohnheitsrecht beweisen können oder nicht, s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privat­ rechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  161. 147  Die Rechtsermittlungslehre verschaffte den im gemeinen Recht ausgebildeten Juristen Exklusivität: Das in Latein abgefasste, wissenschaftliche Recht konnten nur sie verstehen, s. Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4.  Aufl. 1985, S.  84; Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 106. Die Kehrseite war, dass Juristen in der Bevölkerung unbeliebt waren, weshalb Goethe, Götz von Berlichingen (1749), S.  12 Olearius sagen lässt: „[D]er Pö­ bel hätte mich fast gesteinigt, wie er hörte, ich sei ein Jurist.“ 148  Karl der Grosse führte das Schöffenwesen ein; es ersetzte die Entscheidung durch die gesamte Gemeinde, s. dazu Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  235 sowie Lent, AcP 150 (1949), 193, 195. 149  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  189. 150 Ausführlich Lent, AcP 150 (1949), 193, 195. 151  Zu den Hintergründen s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  94 sowie Lent, AcP 150 (1949), 193, 197. 152  Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  9. An den Universitäten wurde das ius commune gelehrt, die Partikularrechte waren nicht Gegenstand des Unterrichts, s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 474. Zur späten Sammlung der Gewohn­ heitsrechte Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  114–115. Lediglich besonders entwickelte Rechtstexte wie der Sachsenspiegel wurden kommentiert, s. Wieacker, Privat­ rechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  122 f.

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Das hinter iura novit curia stehende Problem zeigte sich damit aus einer ande­ ren Perspektive als heute. Da die Gewalten noch nicht geteilt waren, konnten die Herrscher den Inhalt des ius commune selbst festlegen. Vor diesem Hintergrund tritt die obrigkeitliche Seite des Sprichworts iura novit curia in Erscheinung.153 Je stärker das Recht in die Hände der zumeist adeligen Richterschaft überführt wurde, desto mehr Macht hatten die Herrscher und desto weniger konnten die Schöffen und damit die Bevölkerung selbst zur Entscheidung von Rechtsstreitig­ keiten beitragen.154 Die fachlichen Anforderungen, die die Pflicht zur Anwendung des ius commune an die richterliche Rechtskenntnis stellte, konnten die obrigkeitlichen Richter freilich vielfach nicht erfüllen.155 Die geringe Anzahl der gelehrten Juristen er­ laubte es nicht, die Gerichte umfassend mit ihnen zu besetzen.156 Vielmehr zogen gelehrte Juristen erst mit der Zeit in die Gerichte ein.157 Richterstellen waren käuflich und wurden sogar an höchsten Gerichten an Nichtjuristen vererbt.158 Noch im 17. und 18. Jahrhundert verfügten zahlreichen Richter an Orts-, Stadt153  Mit der Hoheitsgewalt übernahmen die Herrscher nach und nach die Rechtsprechung und sahen sich selbst als höchste Richter an. Prägend war die omnis iurisdictio in den ronkalischen Gesetzen, Oestmann, SZ Ger. Abt.  127 (2010), 51 mit Fn.  1. Solange die Herrscher ihr Recht selbst sprachen, kannten sie notwendig auch seinen Inhalt, weil sie ihn selbst mit ihrem Rich­ terspruch festlegten. Dies änderte sich erst mit Einführung der Gewaltenteilung grundlegend. 154  Die Auswahl dieser Richter lag nicht beim Volk, sondern wurde von der Obrigkeit selbst vorgenommen, s. dazu Lent, AcP 150 (1949), 193, 197. Dementsprechend waren die Richter nicht unabhängig, sondern unterlagen ihrerseits der Urteilsgewalt des Herrschers. Berühmt ist der Fall des Müllers Arnold, dessen Richter von Friedrich II. von Preußen strafrechtlich ver­ urteilt wurden, s. ausführlich Wesel, Geschichte des Rechts, 4.  Aufl. 2014, S.  401–402. Bis ins 18. Jahrhundert hinein vertraten Richter ständische Interessen, s. Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  46. 155  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  685–687. 156  Insgesamt blieb die Zahl der Jurastudenten über lange Zeit sehr niedrig, s. Köbler, JZ 1971, 768, 769 m. w. N. Ausführlich zur Verbreitung des gelehrten Richtertums Döhring, Ge­ schichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  50–64 sowie Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  243–259. 157 Sogar am Reichskammergericht war ein Jurastudium keine Voraussetzung für eine Richterstelle, weil die Richter zu einer Hälfte Ritter und zur anderen rechtsgelehrt sein sollten, §  1 S.  1 Reichskammergerichtsordnung (1495). Ausführlich Stölzel, Die Entwicklung des ge­ lehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  597–599. Außerdem waren nicht alle Richter haupt­ beruflich tätig; vielmehr konnte der nebenamtliche Charakter des Richterberufs sich noch lange erhalten, Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  37 mit Fn.  4a. 158  Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts erhielten Söhne von Reichskammerrichtern dort Stellen, ohne über eine juristische Ausbildung zu verfügen, s. Döhring, Geschichte der deut­ schen Rechtspflege (1953), S.  55. Nicht verwundern kann es deshalb, wenn Goethe, Faust I (1808), S.  27 Mephistopheles sagen lässt: „Es erben sich Gesetz’ und Rechte wie eine ew’ge Krankheit fort; sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, und rücken sacht von Ort zu Ort.“

B. Gemeiner Zivilprozess

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und Landgerichten nur über unzureichende Rechtskenntnisse.159 Erst im Laufe des 18. Jahrhundert verdrängten juristisch ausgebildete Richter nichtjuristische Laien in großem Umfang.160 Wie die Verbreitung der rechtsgelehrten Richter, so vollzog sich auch die Entwicklung des Richterberufs nicht als Umbruch, sondern erstreckte sich über einen langen Zeitraum.161 2. Aktenversendung Das Problem fehlender Rechtskenntnis versuchten die Gerichte über die Einbe­ ziehung fachkundiger Dritter zu lösen.162 Die Wurzel dieser Tradition lässt sich bis in den römischen Prozess zurückverfolgen. Das consilium gab Auskunft zu Rechtsfragen, Rechtsgelehrte erteilten responsa und zitierten Rechtsquellen im Wege der recitatio und in der Kaiserzeit entwickelte sich die Reskriptenpraxis.163 Zugleich war die Einholung rechtlicher Stellungnahmen aber auch bereits Teil der germanischen Rechtsüberzeugung, weil Oberhöfe Auskunft zum lokalen Recht erteilten.164 Mit dem Vordringen des römischen Rechts trat die aus Oberitalien stammende Konsilienpraxis hinzu.165 Die Herrscher, die zugleich als Richter amtierten, hol­ ten überdies Rechtsrat von ihren juristisch besetzten Hofkanzleien ein.166 Beson­ dere Bedeutung erlangte schließlich die Aktenversendung: Gerichte konnten die Gerichtsakten an juristische Fakultäten versenden und um juristische Beurtei­ lung des Sachverhaltes bitten.167 159  Falk, Consilia, Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (2006), S.  149. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts waren Ansehen und Besoldung der „Unterrichter“ schlecht („Dummköpfe“), s. Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  86. 160  Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  37 sowie Stölzel, Die Ent­ wick­lung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  595–596. Eigene juristische Seminar­ gebäude wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet, Köbler, JZ 1971, 768, 772. 161  Schleichend verschwanden zuerst die Oberhöfe, in denen die Schöffen nur das Partiku­ larrecht kannten, s. Klugkist, JZ 1967, 155. 162 Die Dritten verfügten nicht immer über ausreichende Rechtskenntnisse. Vernichtend etwa das Urteil von Fichard in der Solmser Gerichtsordnung 1571: „[D]ie Oberhöfe [haben] der Sachen gleich so wenig oder noch weniger Verstand […] als die Untergerichte“, zitiert nach Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  222. 163  Ausführlich zu diesen Parallelen Lange, JZ 1969, 157, 159–160 sowie Zweiter Teil, 1. Kapitel, A. 164  Klugkist, JZ 1967, 155; Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  187–188. 165  Zum Einfluss der Konsiliatoren Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  88 ff. 166  Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  5. 167  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  181 m. w. N.

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

Die fortschreitende Verbreitung des gelehrten Rechts führte dazu, dass derar­ tige Gutachten der Rechtsfakultäten zunehmend an Bedeutung gewannen.168 Die in der Rechtsermittlungslehre enthaltene amtswegige Anwendungspflicht des ius commune zwang Laienrichter praktisch dazu, sich des Instituts der Aktenversen­ dung zu bedienen.169 Aber auch juristisch vorgebildete Richter griffen gerne auf die Aktenversendung zurück. Dementsprechend war die Gutachtentätigkeit weit verbreitet, alle Juristenfakultäten beteiligten sich daran und richteten sogar eige­ ne Spruchfakultäten ein.170 In der Folge machten Gerichte aller Instanzen von der Aktenversendung regen Gebrauch.171 Die Gründe hierfür waren die fehlende Sachkompetenz der Gerichte einerseits sowie das große Ansehen und die Unabhängigkeit der Fakultäten andererseits.172 Zunehmend waren die von den Fakultäten erstatteten Rechtsgutachten für die Gerichte verbindlich.173 Der Wissenschaftsglaube der Zeit fand seine Krönung schließlich darin, dass die Fakultäten die Urteile selbst verfassten, wohingegen die Gerichte sich auf die Verkündung beschränkten.174 Vor diesem Hintergrund Klugkist, JZ 1967, 155. „Unkunde“ des Rechts Sartorius, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 14 (1840), 219, 222. Die Aktenversendung wurde gesetzlich geregelt: §  219 Constitutio Criminalis Caro­ lina (1532) nennt nicht nur die Oberhöfe, sondern auch die Einholung von Rat bei Rechtsver­ ständigen („rechtuerstendigen“). Im Anschluss sahen zahlreiche Reichs- und Landesgesetze die Aktenversendung ebenfalls vor, Lange, JZ 1969, 157, 162. Kehrseite dieser Entwicklung war das Verschwinden der Oberhöfe: Sie verfügten nicht über die erforderliche Fachkunde im ius commune, s. Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  222 m. w. N. Überdies lag es im Interesse der örtlichen Herrscher, den Einfluss der Oberhöfe zu unterbinden, s. Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  5 sowie Lange, JZ 1969, 157, 162. 170  Allein die Tübinger Fakultät beurteilte zwischen 1602 und 1879 20.000 Fälle, s. Klugkist, JZ 1967, 155, 157. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  181. 171  Darin gründet die Bezeichnung von Fakultäten als „Urteilsfabriken“, s. von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814), S.  128. Anfang des 18. Jahrhunderts „stand die Versendung ‚zum Spruch‘ absolut im Vordergrund“, s. Klugkist, JZ 1967, 155. Anders jedoch Lange, JZ 1969, 157, 163, der den Höhepunkt etwa um 1700 als überschritten ansah. 172  Ausführlich zu den Ursachen Sartorius, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 14 (1840), 219, 221–222. 173  Zu möglichen Ausnahmen und Nichtigkeitsgründen Klugkist, JZ 1967, 155. 174  Sartorius, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 14 (1840), 219, 239–240; Klugkist, JZ 1967, 155; Lange, JZ 1969, 157, 162 sowie Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richter­ tums, Band  1 (1872), S.  225–228. Gerade gelehrte Juristen verfügten über eine ausgeprägte Wissenschaftsgläubigkeit: Sie fühlten sich an Lehrmeinungen gebunden und wollten nach Möglichkeit die wissenschaftlich richtigen Ergebnisse zur Anwendung bringen. Der Wissen­ schaftsglaube war Ausfluss des Humanismus, Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  164–166 sowie 182. Van Caenegem spricht von der ultima ratio des Juristen, s. van Caenegem, History of European Civil Procedure (1975), in: International Encyclopedia 168 

169  Zur

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war an eine moderne richterliche Rechtsanwendung von Amts wegen nicht zu denken.

III. Rechtspraxis Die Verbreitung der Aktenversendung macht deutlich, dass die Praxis sich bei der Rechtsanwendung erheblichen Problemen ausgesetzt sah. Für die amtswegi­ ge Anwendung des ius commune fehlte es den Richtern an der erforderlichen Rechtskenntnis. Trotz der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre gelang es letztlich nicht, Ordnung in die verschiedenen Rechtsmassen zu bringen.175 Auf die Suche nach Prinzipien sowie rechtlichen Systematisierungen wurde verzichtet.176 Vielfach blieb unklar, ob eine Rechtsquelle dem ius commune oder dem Partikularrecht angehörte.177 Die Qualität der Ausbildung ermöglichte es außerdem in vielen Fällen nicht, die Quellen sprachlich und inhaltlich zu erfassen.178 Die rasant zu­ nehmende Verschriftlichung der Rechtsquellen trieb die Überforderung schließ­ lich auf die Spitze.179 Obschon die Gerichte in der Theorie zur amtswegigen Anwendung des gemei­ nen Rechts verpflichtet waren, reagierten die Parteien auf die Rechtsvielfalt mit umfassendem Rechtsvortrag, der auch das ius commune umfasste.180 Das lokale Recht war vor Gericht selten bekannt und konnte in der Praxis nur schwerlich bewiesen werden.181 Für die Parteivertreter war nicht vorhersehbar, auf welche

of Comparative Law, Volume XVI: Civil Procedure, Chapter 2, S.  11. Dies zeigte sich nicht zuletzt an der Rechtsregel quidquid non agnoscit glossa, non agnoscit curia, die den Glossen Gesetzeskraft zukommen ließ, s. zu dieser widerlegten Ansicht Osenbrügge, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 15 (1841), 172, 175–176 mit Fn.  1. 175  Oestmann wertet zahlreiche Akten aus und kommt zu dem Ergebnis, dass eine hierarchi­ sche Ordnung der Rechtsquellen allenfalls in Ansätzen existierte, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  673. 176  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  673. 177  Verwischungen traten nicht zuletzt dadurch ein, dass das gemeine Recht „eingedeutscht“ wurde, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  137–138 sowie zum Ganzen Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  673. 178 Weiterführend Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  86 sowie Falk, Consilia, Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (2006), S.  149. 179  Montesquieu, Persische Briefe (1721), S.  175: „Der Überfluß dieser angenommenen oder naturalisirten Gesetze nun ist so groß, daß sie die Gerechtigkeit sowohl, als die Richter zu Boden drücken.“ Ähnlich Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  681: „Kaum vor­ stellbarer Rechtspluralismus“. 180  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  673. 181  Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 115 mit Fn.  78 sowie das Beispiel bei Oestmann, Die

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

Rechtsquelle das Gericht sein Urteil stützen würde.182 Die Einbeziehung orts­ fremder Spruchfakultäten trug zum Gefühl der Rechtsunsicherheit bei.183 Überall spürbar wurde das Fehlen eines vereinheitlichenden Gesetzgebers, der für mehr Rechtssicherheit hätte sorgen können.184 Diese Autoritätslücke füllten die Richter und die Spruchfakultäten selbst aus: Was sich für die Anwälte als kaum vorhersehbare Rechtsanwendung darstellte, war für die Entscheider ein Reich der Freiheit, das in Entscheidungswillkür und Begründungsvielfalt seinen Ausdruck fand.185

IV. Zusammenfassende Würdigung Ließ sich für den römischen Zivilprozess noch zeigen, dass der „Richter“ das „Recht“ nicht im modernen Sinne von Amts wegen anwendete, so fällt der Be­ fund für den gemeinen Prozess in dieser Hinsicht weniger deutlich aus. Als ge­ sichert darf gelten, dass die gemeinrechtliche Rechtsermittlungslehre dem Ge­ danken der richterlichen Pflicht zur selbsttätigen Rechtsanwendung den Boden bereitete. Schließlich waren die Richter grundsätzlich verpflichtet, den Inhalt des ius commune selbsttätig zu ermitteln und zur Anwendung zu bringen. Allerdings erblühte diese Ermittlungspflicht nicht in der erhofften Pracht, son­ dern war zahllosen Einschränkungen unterworfen, die in den Schlagworten Ak­ tionendenken, Partikularrechtsbeweis und Aktenversendung ihre Zusammenfas­ sung finden. Von den Richtern wurde nicht verlangt, den Inhalt des Partikular­ rechts zu kennen. Vielmehr mussten die Parteien wie selbstverständlich einen Partikularrechtsbeweis erbringen. Dies ist deshalb besonders beachtlich, weil das Partikularrecht gegenüber dem ius commune speziell und vorrangig war. Da­ rüber hinaus war aber selbst im Bereich des ius commune an vielen Gerichten keine Rechtskenntnis zu erwarten. Der Entscheidungsprozess des Gerichts war folglich kaum vorherzusehen. Den Parteien blieb in der Praxis deshalb nur, auf die Unsicherheit mit umfassenden Rechtsausführungen zu reagieren. Es lässt sich daher sagen, dass sogar der Satz ius commune novit curia nicht galt. Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 59. Empirische Nachweise finden sich bei Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  601. 182  Die Anwaltsaufgabe war unter diesen Umständen sehr anspruchsvoll, da die Kenntnis zahlreicher Rechtsquellen erforderlich war, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  683. 183 Kritisch Lange, JZ 1969, 157, 164. 184  Als der Nationalstaat sich ausbildete, verschwand das Institut der Aktenversendung, s. zu diesem Zusammenhang von Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Band  1 (1801), S.  76. 185  Zum Ganzen Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  685–686.

C. Gesetzesstaatlicher Zivilprozess

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Stießen die Richter an ihre Grenzen, so bedienten sie sich regelmäßig der Hil­ fe Dritter. Insbesondere versandten die Richter ihre Akten an Spruchfakultäten und begaben sich damit ihrer Rechtsfeststellungsaufgabe. Diese Ohnmacht war durch eine Kombination aus fehlender juristischer Ausbildung, Unübersichtlich­ keit der Rechtsquellen und eines noch nicht ausgebildeten Berufsrichtertums be­ dingt. Insgesamt sind die Parallelen zwischen dem römischen und dem gemeinen Zivilprozess klar erkennbar. In beiden Prozessrechtssystemen trugen die Parteien eine erhebliche Verantwortung für den Rechtsermittlungsvorgang. Zahlreiche Rechtsquellen mussten vorgetragen und bewiesen werden, ansonsten drohte Kla­ geabweisung. Die „Richter“ benötigten zudem auch weiterhin externe Hilfe, um das Recht sachgerecht ermitteln zu können; ideengeschichtlich wird eine Verbin­ dungslinie zwischen dem consilium und der Aktenversendung deutlich. Damit belegt die Untersuchung des gemeinen Prozessrechts erneut den Zusammenhang zwischen der richterlichen Rechtskenntnis und der Beweisbedürftigkeit von Recht.

C. Gesetzesstaatlicher Zivilprozess Die bisherige Untersuchung hat die Unterschiede zwischen dem römischem und dem gemeinem Prozessrecht auf der einen und dem modernem Zivilprozess auf der anderen Seite klar hervortreten lassen.186 Um die prozessuale Kluft zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu überbrücken, waren Kriege und Revo­ lutionen erforderlich, die ihrerseits die Beweisbedürftigkeit von Recht und die richterliche Rechtskenntnis nicht unberührt ließen.187 Erst mit Einführung der Ge­ waltenteilung entwickelte der Grundsatz iura novit curia sein modernes Antlitz.188 Wenger, FS zur Jahrhundertfeier des ABGB, Band  1 (1911), S.  479, 493: „Erst das Ge­ setz ist stark genug, die Richterwillkür zu überwinden.“ Grundlegend für eine ausgeprägte Gesetzesbindung Montesquieu, De l’esprit des lois (1751), S.  159. Relativierend von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814), S.  129–130, der wie­ der für mehr richterliche Freiheit eintrat. 187  Als Trennlinie zwischen der Zeit des gemeinen Zivilprozesses und der Zeit der Staats­ werdung wird hier der Westfälische Frieden von 1648 herangezogen, weil mit ihm Kaiserreich und Kirche empfindlich geschwächt wurden und damit dem Vordringen der Territorien der Weg geebnet wurde, s. H. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3.  Aufl. 2017, S.  157 sowie 203–253. Für die Entwicklung des allgemeinen Rechtsgedankens waren die Revolutio­ nen von 1776 und 1789 eine „Epochenwende“, s. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  125. 188  Kritisch zur geltenden Rechtslage im 18. Jahrhundert Montesquieu, Persische Briefe (1721), S.  158: „Dieses Recht, wie es heut zu Tage beschaffen ist, heißt eine Wissenschaft, 186 

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

Mit dem Aufstieg des Gesetzesstaats veränderte sich die Stellung des Richters: Er entwickelte sich vom Diener des Fürsten zum Diener des Rechts.189 Begleitet wurde der Prozess der Staatswerdung von der Aufklärung, die ihrer­ seits für das heutige Verständnis der Rolle des Richters konstitutiv war und ist.190 Der Rechtsstaat, die Gesetzesbindung, die Gewaltenteilung und das unabhängige Berufsrichtertum sind Schlagworte, die mit dem modernen Gesetzesstaat einher­ gehen.191 Es war ein wesentliches Anliegen von Aufklärung, Reform und Revo­ lution, die Macht der Richter einzuhegen.192 Die richterliche Aufgabe der Geset­ zesbefolgung erforderte Rechtskenntnis: Nur juristisch ausgebildete Berufsrich­ ter erfüllten die Anforderungen, die der aufgeklärte Gesetzesstaat an sie stellte.193 Eingangs wird erneut die Beweisbedürftigkeit von Recht analysiert. Sodann geht es darum, die Veränderungen in der Konzeption des Richterbildes nachzu­ vollziehen. Ein Blick auf die Rechtspraxis rundet die Untersuchung ab. Am Ende erfolgt eine zusammenfassende Darstellung der gefundenen Ergebnisse.

I. Beweisbedürftigkeit von Recht Die Entwicklung hin zum Verzicht auf die Beweisbedürftigkeit von Partikular­ recht fand in der Zeit des usus modernus ihren Anfang, wurde durch die ersten Kodifikationen vertieft und schließlich mit Entstehung der modernen Gesetzes­ welche die Fürsten unterweiset, wie sie die Gerechtigkeit, unbeschadet ihres Vortheils, noth­ züchtigen sollen.“ Jeder Herrscher kannte notwendigerweise sein eigenes Recht, weil er seinen Inhalt beim Fällen des Richterspruchs letztlich selbst festlegte; eine eigenständige „Ermitt­ lung“ der „Rechtslage“ ist hingegen nur dann denkbar, wenn der objektivierbare Inhalt einer für alle gültigen Rechtsquelle in Rede steht, s. zum Einfluss Kants auf die Entwicklung der Allge­ meinheit des Gesetzes Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  138–140. 189  Mit der Veränderung der Richterrolle ging eine Veränderung der Sprache einher: Der „Urteiler“ wurde zum „Richter“, das „Schöffengericht“ zum „Amtsgericht“, der „Rechtshan­ del“ zur „Gerichtsverhandlung“. Das Wort „Richter“ ist ein in den alten germanischen Dialek­ ten seltenes Wort. Zur Entstehung s. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Band  8 (1893), Eintrag „Richter“. Ursprünglich wurden die Rechtsprecher als „Urtei­ ler“ und gerade nicht als „Richter“ bezeichnet, s. Döhring, Geschichte der deutschen Rechts­ pflege (1953), S.  35. Weiterführend Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  235–237 sowie Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Band  8 (1893), Eintrag „Rechtshandel“. 190  Zu den Zusammenhängen, die hier nur angedeutet werden können, ausführlich Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  541–614. 191  Zahlreiche weitere Nachweise bei Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  174–180. 192 Eindrucksvoll zu den Ausschreitungen des Richterstandes Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  228–240. Zum Ganzen Hattenhauer, Europäische Rechts­ geschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  429–614 m. w. N. 193  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  189.

C. Gesetzesstaatlicher Zivilprozess

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staaten vollendet.194 Der Begriff der Staatswerdung bezeichnet diesen Zeitraum ungenau, trägt aber einen für die richterliche Rechtskenntnis wesentlichen Ge­ danken in sich: die Beseitigung von Rechtsvielfalt durch die Konzentration von Hoheitsgewalt in den Händen des Gesetzgebers.195 Die Untersuchung des gemeinen Rechts hat offengelegt, wie stark die Beweis­ bedürftigkeit des Rechts vom Rechtsbegriff selbst abhängt.196 Ist der Rechtsbe­ griff im Tatsächlichen verwurzelt, so kann den Parteien der Rechtsbeweis über­ antwortet werden.197 Wird das Recht jedoch allgemeiner, verständlicher und zu­ gänglicher, so verliert es seine Einzelfallbezogenheit mehr und mehr.198 Dadurch wird die Trennlinie zwischen beweisbedürftigem Recht und nicht zu beweisen­ dem Recht verschoben.199 Was vorher Tatsache war, erstarkt nun zum Recht. Was vorher Statut war, wird nun zum Gesetz. Was vorher vorgetragen und bewiesen werden musste, ermittelt der Richter nun von Amts wegen. Der erste Schritt auf dem Weg zur prozessualen Herrschaft des Gesetzes war die Ausweitung der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre. Mit dem Auf­ kommen der Kodifikationen ersetzte das Gesetzesrecht allmählich das ius commune, und das aktionenrechtliche Denken fand sein Ende. Trotz tiefgreifender gesellschaftlicher und rechtlicher Umbrüche wirkten die Grundgedanken der tradierten Rechtsermittlungslehre jedoch weiterhin fort. 1. Ausweitung der Rechtsermittlungslehre Die Trennung der Rechtsmassen in Partikularrecht und ius commune brachte eine Reihe von Nachteilen mit sich. Das römische Recht war in lateinischer Spra­ che abgefasst und für die Bevölkerung unverständlich.200 Die lokalen Rechte 194 

Insoweit findet die Rechtsgeschichte mit der Gegenwart ihre Verknüpfung; §  293 ZPO spricht den Beweis von Recht sowie die richterliche Rechtskenntnis ausdrücklich an, s. Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  196 sowie Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 468. 195  Ausführlich zur Entwicklung Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  96–100. 196  Zum Ganzen Schröder, Recht als Wissenschaft, 2.  Aufl. 2012, S.  99–112 m. w. N. 197  Zweiter Teil, 1. Kapitel, B. I. 1. und 3. 198  Die Veränderung des Rechtsdenkens verschob den Schwerpunkt des Rechtsbegriffs vom gemeinrechtlichen hin zu einem positiven Rechtsbegriff, s. zum Dualismus des Rechtsbegriffs zwischen Positivismus und Naturrecht Schröder, Recht als Wissenschaft, 2.  Aufl. 2012, S.  99– 102. 199  Mit den Kodifikationen und gesellschaftlichen Umwerfungen ging eine flächendecken­ de Verdrängung des Partikularrechts einher, s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  14–15. 200  Die von Brand angedachte Übersetzung des Corpus Iuris Civilis scheiterte, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  173. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts erschien eine von Otto, Schilling und Sintenis herausgegebene Übersetzung in deutscher Spra­ che, die allerdings noch nicht auf den Quellen von Mommsen basierte. Noch heute sind die

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wurden missachtet und die Rechtserwartungen der Bevölkerung enttäuscht.201 Insgesamt erinnerte das ius commune an die Gesetze des Dionysos, die dieser so hoch hatte aufhängen lassen, dass seine Untertanen sie nicht hatten lesen kön­ nen.202 Die gemeinrechtliche Rechtsermittlungslehre musste deshalb modifiziert werden.203 Dies geschah zunächst nicht über systematische Kodifikationsprojekte oder die Veränderung der einzelnen Stufen der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungs­ lehre, sondern vornehmlich über die Begriffe „ius commune“ und „Statut“.204 Immer mehr Rechtsquellen wurden im Laufe der Zeit dem ius commune ange­ nähert und ihm schließlich zugeordnet.205 Waren zunächst nur die römischen Quellen umfasst, traten später partikulare Rechtsquellen hinzu.206 Dieser Prozess bereitete der amtswegigen Anwendung des Partikularrechts den Boden.207 Seinen Anfang nahm diese Entwicklung mit der Verschriftlichung der Statu­ ten.208 Mit der Zeit setzte sich die Überzeugung durch, dass schriftlich nieder­ Arbeiten an einer modernen Übersetzung des Corpus Iuris Civilis nicht abgeschlossen; s. zu­ letzt Knütel/Kupisch/Rüfner/Krampe, Corpus Iuris Civilis, Band  5 (2012), Digesten 28–34. 201  Exemplarisch das Gespräch bei Goethe, Götz von Berlichingen (1749), S.  13, im Zuge dessen Olearius beklagt: „Sie halten den Juristen so arg, als einen Verwirrer des Staats, einen Beutelschneider, und sind wie rasend, wenn einer dort sich niederzulassen gedenkt.“ Zur Aus­ schaltung des Gewohnheitsrechts, Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 111. 202  Dieser Vergleich findet sich bei Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1833), S.  278. 203  Abgesehen davon war es für lokale Herrscher eine unerträgliche Vorstellung, dass die von ihnen selbst erlassenen Statuten nicht zur Anwendung kommen sollten. In Zeiten des Ab­ solutismus durfte die Geltung eines Statuts deshalb nicht mehr von der Befolgung seitens der Bevölkerung abhängen, s. ausführlich Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 477. 204  Der Begriff des ius commune gehörte zu den „schillerndsten und wandelbarsten der Rechtsquellendoktrin“, s. Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  12. Der Statutenbegriff brachte es auf „447 Lemmata […] in Zedlers Universallexi­ kon“, s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 479 mit Fn.  41. 205  Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  196–198. 206  Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  175 m. w. N. Differenzierend Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academi­ ca (1999), S.  37, 58. 207  Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  12. Seit dem Jüngsten Reichsabschied 1654 wurde die amtswegige Rechtsanwendung des Partikular­ rechts zur Praxis des Reichskammergerichts, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  602. Ab 1692 konnte das Reichskammergericht die lokalen Herrscher zur Mitteilung von Partikularrecht verpflichten; diese Aufforderung wurde jedoch häufig missachtet, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  672 zu den Einzelheiten. 208  Obschon Statuten und consuetudines konzeptionell gleichgestellt waren, bildeten sich dennoch für die Statuten zuerst Privilegierungen heraus, s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 474–483 m. w. N. Zu den Unterschieden in der Rechtsanwendung s. Coing, Europäisches Pri­ vatrecht, Band  1 (1985), S.  132. Der Grund dafür lag in der Verschriftlichung der Statuten: So

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gelegte Statuten über die Vorlage des Statutarbuchs bewiesen werden konnten.209 Anders als ursprünglich war folglich nur noch die Existenz, nicht aber die tat­ sächliche Befolgung Gegenstand des Beweises.210 Sofern ein Gericht ein Statut bereits kannte, konnte es zum notorischen Statut erstarken.211 Es musste dann von den Parteien nicht mehr bewiesen werden, sondern durfte von dem Gericht von Amts wegen angewandt werden.212 Je mehr Statuten bei einem Gericht be­ kannt waren, desto geringer wurde die Bedeutung des Partikularrechtsbewei­ ses.213 Die Bekanntheit von Statuten hing mit der lokalen Verwurzelung zusam­ men, weshalb an jedem Gerichtsort unterschiedliche Statuten notorisch waren.214 Am Ende stand eine umfassende Umwidmung des Statutenbegriffs: Reichsgeset­ ze, Landrechte und Stadtrechte waren zunächst Statuten, wanderten aber immer mehr in den Bereich des ius commune ab.215 Zusammengefasst lässt sich damit sagen, dass die Vorrangstelle des als elitär empfundenen ius commune zurückgedrängt wurde, wohingegen Sitte, Tradition konnte die Öffentlichkeit die Stadtrechte seit Ende des 17. Jahrhunderts einsehen, Frensdorff, SZ Ger. Abt.  29 (1908), 1, 35 sowie 38. 209 Weiterführend Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Aca­ demica (1999), S.  37, 56. Die Veränderungsprozesse spiegelten sich in der Reichskammerge­ richtsordnung wider: Die Partikularrechte wurden gestärkt, seit 1713 sollte das Reichskammer­ gericht alle ihm bekannten Statuten von Amts wegen anwenden. Hierin sieht Oestmann einen „großen Schritt“ hin zu einer umfassenden Geltung von iura novit curia, Oestmann, Rechts­ vielfalt vor Gericht (2002), S.  677. 210  Riccius, der selbst eine der ersten umfassenden Stadtrechtssammlungen herausgab (Er­ scheinungsjahr: 1740), setzte Statuten mit Gesetzen gleich und hielt die tatsächliche Befolgung deshalb für irrelevant, s. das Zitat bei Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 477. 211 Entscheidungssammlungen waren besonders bedeutsam für die richterliche Rechts­ kenntnis, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  652. Noch im 19. Jahrhundert wurde der Satz iura novit curia als Ausprägung des Satzes notoria non egent probatione be­ zeichnet, s. Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  4 mit Fn.  10. 212  Dies wurde ursprünglich noch bezweifelt, setzte sich aber mit der Zeit mehr und mehr durch, s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 480–481 m. w. N. 213  Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 480. 214  Zu der aus heutiger Sicht fragwürdigen Konsequenz, dass das Obergericht weniger Sta­ tuten als das Untergericht kennen musste s. Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  132 mit Fn.  4. 215  Notorische Statuten wurden teils als ius commune in loco bezeichnet oder gar in ihrem örtlichen Geltungsbereich direkt zum ius commune erhoben. Ausführlich zu den in den Einzel­ heiten umstrittenen Fragen Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 57–59. Coing trennt zwischen lokalen und auswärtigen Statuten, s. Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  137. Im 19. Jahrhundert war das ius commune dreigeteilt in „römisches Recht“, „kanonisches Recht“ und „Recht deutschen Ursprungs“, s. Dernburg, Pandekten, Band  1/1, 6.  Aufl. 1900, S.  4 sowie zum Ganzen Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 479.

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und Brauchtum wieder verstärkt rechtliche Bedeutung zukam.216 Diese Grund­ lagen des Zusammenlebens entwickelten sich zu prozessual tatsächlich bedeut­ samen Rechtsquellen, die seit dieser Zeit die Bezeichnung „Gewohnheitsrecht“ tragen. Anders als der alte Begriff der consuetudo stellt der Begriff des „Ge­ wohnheits-Rechts“ die Beziehung zwischen „Gewohnheit“ und „Recht“ unmiss­ verständlich klar.217 Die prozessuale Bedeutungszunahme ging Hand in Hand mit der Verschriftlichung von Gewohnheitsrechten, die den Nachweis im Prozess ermöglichten und vereinfachten.218 Gleichzeitig konnte Gewohnheitsrecht als notorisch gelten, wenn es dem Gericht bekannt war.219 Ein Nachweis war dann nicht mehr erforderlich und die Gewohnheit gänzlich dem Recht gleichgestellt. 2. Kodifikation Die Verschriftlichung des Partikularrechts war ein Meilenstein auf dem Weg zur Kodifikation und zugleich ein meilenweiter Schritt hin zum Verzicht auf den Rechtsbeweis.220 Waren geltende Statuten gesammelt und Gewohnheitsrechte niedergeschrieben, so konnte mit der Systematisierung begonnen werden.221 Am 216  Über die Einzelheiten wurde noch im 19. Jahrhundert gestritten, s. einerseits Beseler, Volksrecht und Juristenrecht (1843) sowie andererseits Puchta, Kritik von Georg Beseler’s Volksrecht und Juristenrecht (1844). 217  Zur Entstehung Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Band  4, I, 3 (1911), Eintrag „Gewohnheitsrecht“ sowie Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 481–482. 218  Der Beweis von Gewohnheitsrecht war auch bei schriftlicher Niederlegung mit Schwie­ rigkeiten verbunden, s. ausführlich Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 113–115. Zur Aufbereitung des Gewohnheitsrechts in Sammlungen s. Oestmann, FS Sellert (2000), S.  498 mit Fn.  119. 219  Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  108 sowie 132. Ebenfalls Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 113 mit Fn.  62. Es war nicht geklärt, ob notorisches Gewohnheitsrecht von Amts wegen anzuwenden war, s. Trusen, FS Lange (1970), S.  97, 113 mit Fn.  65 m. w. N. Noch im 19. Jahrhundert war der Begriff der Notorietät mit Problemen belastet, Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  160 220  Begleitet wurde die Positivierung des Rechts von einem Austausch der Geltungsgrund­ lage: Das Gesetz war zu befolgen, weil es staatlich gesetzt war. Noch naturrechtlich gedacht war Kapitel 1, §  2 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis: „Unter Gerechtigkeit wird allhier nur die Uebereinstimmung der Handlung mit dem Recht verstanden“ sowie §  3 und 4 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. Später trat dann der Gedanke des Positivismus deutlicher hervor, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  326 ff. sowie 339 ff. Vertiefend zum Positivismus Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9.  Aufl. 2016, S.  296–314 sowie Bucher, ZEuP 2000, 394, 421 ff. Letztlich ermöglichte die Aufklärung es, den Willen des Gesetzgebers mit dem Willen des Volkes gleichzusetzen, s. weiterführend Kirchhof, Die Allge­ meinheit des Gesetzes (2009), S.  138–140 unter Verweis auf Kant. Zum Ganzen Schröder, Recht als Wissenschaft, 2.  Aufl. 2012, S.  99–112. 221 Aufklärung und Vernunftrecht machten es sich zur Aufgabe, den überlieferten Rechts­ stoff begrifflich zu ordnen, sprachlich zu vereinheitlichen und inhaltlich zu überprüfen. Zu den Vorarbeiten von Thomasius und Wolff s. vertiefend Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neu­

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Ende sollte mit der Kodifikation eine Rechtsquelle zur Verfügung stehen, die eine Epochenwende einläutete: Gab es früher partikulare Statuten für spezifische Sachfragen, so verhalf die Kodifikation der Allgemeinheit des Gesetzes zum Durchbruch.222 Mit der Kodifikation des Rechts schrumpfte die Rechtsvielfalt zur Rechtsein­ heit.223 Es war selbstverständlich, dass der Richter das kodifizierte Recht von Amts wegen anzuwenden hatte.224 Mussten die Bürger das kodifizierte Recht kennen und befolgen, so war dies von den Richtern erst recht zu erwarten.225 Dies war nicht zuletzt Ausdruck des allgemeinen Geltungsanspruchs des Geset­ zes.226 Der Vortrag oder der Beweis des kodifizierten Rechts erübrigten sich des­ halb.227 Die Kodifikationen waren es dann auch, die große Teile der alten Rechts­ ermittlungslehre ersetzten und überflüssig machten.228 Innerhalb ihres Geltungs­ bereichs regelten sie ihre Rechtsermittlungslehre selbst.229 Es war der Kernge­ danke, das Privatrecht abschließend zu kodifizieren.230 Zugleich sollten die mit zeit, 2.  Aufl. 1967, S.  312–322. Die einzelnen Kodifikationsschritte können hier nicht detail­ liert aufgeschlüsselt werden, s. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  564–571 sowie Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  322–347 für die naturrechtlichen Kodifikationen und S.  468–513 für die pandektistischen Kodifikationen. 222  Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  147–148. In ihrer umfassenden, systematisierenden Form waren die Kodifikationen neu und ohne historisches Vorbild, s. ­Bucher, ZEuP 2000, 394, 421. Trotz der Bemühungen von Bentham konnte sich der Kodifika­ tionsgedanke bis heute in den Ländern des common law nicht durchsetzen, s. Meder, Rechts­ geschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  272–273. 223  Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  565: „Kodifikationen wa­ ren […] große Bereinigungen des kontinentaleuropäischen Rechts.“ 224  Kapitel 4, §  7 Abs.  6 Codex Iuris Bavarici Iudiciarii: „Hat der Richter alles, was der Klag ihrer Eigenschaft nach anhängig ist, allein von Amts wegen zu ersetzen […]“. 225  Kapitel 1, §  1 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis: „Die Rechtsgelehrsamkeit oder Jurisprudenz besteht nicht nur in gründlicher Kenntniß der Rechte, sondern auch in richtiger Anwendung derselben auf die vorkommenden Fälle“ sowie Kapitel 1, §  6 Codex Maximilia­ neus Bavaricus Civilis. 226 Ausführlich zu den Grundlagen Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  119–121 227  Exemplarisch Kapitel 4, §  7 Abs.  6 Codex Iuris Bavarici Iudiciarii. 228  Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica (1999), S.  37, 64. Die erwachsende Rechtsklarheit ließ auch die Trennung zwischen Sein und Sollen stärker als je zuvor hervortreten, s. geistesgeschichtlich grundlegend Hume, A Treatise of Hu­ man Nature (1739), S.  244–245. 229  Exemplarisch Kapitel 1 des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis sowie Kapitel 4 des Codex Iuris Bavarici Iudiciarii. Zu den bayerischen Kodifikationen in der Mitte des 18. Jahr­ hunderts s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  326. 230  Bentham, A General View of a Complete Code of Laws, in: Collected Works, Part IX (1839): „Whatever is not in the code of laws, ought not to be law“.

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dem ius commune einhergehenden Streitfragen gesetzlich entschieden werden.231 Die zunehmende Kodifizierung des Rechts schwächte das ius commune, bis es schließlich nach und nach an eigenständiger Bedeutung verlor.232 Im Ergebnis hatte damit die amtswegige Anwendung des Gesetzesrechts die amtswegige An­ wendung des ius commune überlagert.233 3. Ende des aktionenrechtlichen Denkens Das Nebenprodukt der Verschriftlichung, der Ordnung und der Kodifizierung des Rechts war in den deutschen Territorien das Verschwinden des aktionenrecht­ lichen Denkens. Nach und nach wurde die Grundidee ausgehöhlt, bis das Aktio­ nendenken im 19. Jahrhundert mit der Durchsetzung des gelehrten Richtertums und der klaren Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht sein Ende fand.234 Die entscheidende Weichenstellung lag darin, dass der Kläger bei Klagerhe­ bung keinen bestimmten Rechtssatz mehr auswählen und vortragen musste.235 Sogar wenn die Begründetheit einer Klage aus einem Statut folgte, konnte der Vortrag des Statuts entbehrlich sein.236 Diese Grundsatzentscheidung löste einen Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  326. Ganz verschwunden ist das ius commune allerdings nie; vielmehr lebt es in den heutigen Kodifikationen fort, s. ausführlich zu den Zusammenhängen Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  377 ff. sowie 426. Wurde eine Rechtsfrage von ius commune und Kodifikation behandelt, so ging die kodifizierte Regelung einer abweichenden Regelung des ius commune vor; der Ausdruck „gemeines Recht“ passte deshalb nicht mehr, s. vertiefend Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  13–14. Insbesondere die historische Rechtsschule bemühte sich um die Erhaltung des ius commune, konnte sich aber letztlich nicht gegen die Kodifikationsanhänger durchsetzen. 233  Einleitung, §  6 PrALR: „Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden.“ Diese Aus­ sage wird aber dadurch relativiert, dass die Kodifikationen selbst verschriftlichte Wissenschaft waren, s. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  416. 234 Ausführlich Kaufmann, JZ 1964, 482 ff. Die Kodifikation des Rechts muss freilich nicht zwingend zu einem Verschwinden des aktionenrechtlichen Denkens führen, weil auch die ein­ zelnen actiones kodifiziert werden können. Ein solches Vorgehen wurde allerdings in den deut­ schen Territorien nicht in Erwägung gezogen. 235  Kapitel 4, §  8 Codex Iuris Bavarici Iudiciarii: „Den eigentlichen Namen der Klag, zu Latein: Genus actionis ist der Kläger anzugeben nicht schuldig“. Sapienza verortet die Geburts­ stunde von iura novit curia in das 17. Jahrhundert, Sapienza, Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile 15 (1961), 41, 45. Kaufmann beruft sich auf den Jüngsten Reichsabschied von 1654, Kaufmann, JZ 1964, 482, 487. Oestmann zeichnet die wesentlichen Änderungen der Reichskammergerichtsordnung nach, s. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  677. 236  Das Reichskammergericht sollte seit 1713 alle ihm bekannten Statuten von Amts wegen anwenden, Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  677. 231  232 

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Prozess aus, der das Günstigkeitsprinzip des usus modernus hervorbrachte.237 Gab der Kläger einen bestimmten Klagegrund an, so war diese rechtliche Quali­ fikation für das Gericht unbeachtlich.238 Von diesem Zeitpunkt an genügte der klägerische Tatsachenvortrag, weil das Gericht die für den Kläger passende actio ohnehin selbst auswählte.239 Prozessual liegt darin die Geburtsstunde der moder­ nen Rechtsanwendung von Amts wegen. Folgerichtig trennten bereits die wegweisenden bayerischen Kodifikationen das Prozessrecht vom materiellen Recht.240 Diesem Beispiel folgten Preußen, Frankreich und Österreich, die jeweils eigenständige Kodifikationen für Prozess­ recht und materielles Recht erließen.241 Dazu passend teilte von Savigny die Rechtsordnung ebenfalls in prozessuales und materielles Recht.242 Er ging je­ doch noch davon aus, dass die actio aus der Verletzung des materiellen Rechts hervorgehe.243 Erst Windscheid war es dann, der den Zusammenhang zwischen actio und materiellem Recht verwarf und damit das aktionenrechtliche Denken endgültig zum Erliegen brachte.244 Damit war die theoretische Grundlage gelegt, um einen weiteren Teil der rechtlichen Parteiaufgabe in den Hoheitsbereich des Gerichts zu verschieben. 4. Fortwirken der Rechtsermittlungslehre Die gemeinrechtliche Rechtsermittlungslehre war zwar empfindlich geschwächt, aber noch nicht verschwunden.245 Trotz der Vereinheitlichung des Rechts gab es 237  Zur Libellliteratur des ausgehenden 18. Jahrhunderts s. Kaufmann, JZ 1964, 482, 487– 488 mit Fn.  83 und 84. 238 Prägnant Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  170: „[D]er Richter kann, ohne aufzuhören dieses zu seyn, nie unter die Direction der Parteien in Absicht auf das anzu­ wendende Recht gestellt werden.“ 239  Für die praktische Umsetzung dieser theoretischen Ausgangskonzeption bedurfte es je­ doch noch der Verbreitung des gelehrten Berufsrichtertums, s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. II. 2. Eine Ausnahme konnte bestehen, wenn die Klage auf dem Gericht unbekannten Partikularrech­ ten beruhte, s. etwa Kapitel 4, §  11 Codex Iuris Bavarici Iudiciarii. 240  Für das Prozessrecht der Codex Iuris Bavarici Iudiciarii von 1753 und für das materielle Recht der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756, s. Wieacker, Privatrechtsge­ schichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  326. 241  Zu diesen Kodifikationen Kaufmann, JZ 1964, 482, 487 m. w. N. 242  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  5 (1841), S.  1–3. 243  Dies bezeichnete von Savigny als „Metamorphose“, s. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  5 (1841), S.  3. 244  Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts (1858), S.  231: „[V]erweisen wir die Actionen aus unseren Darstellungen des heutigen Rechts, und stellen wir sie dahin, wohin sie gehören, in die Rechtsgeschichte.“ 245  Im Fall der fortgeltenden Statuten und Gewohnheiten galt weiterhin der Satz, der sich bereits zuvor durchgesetzt hatte: Wenn der Richter die fortgeltenden Statuten und Gewohn­

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immer noch geltende Statuten und Privilegien.246 Von der Idee des Gewohnheits­ rechts wollte man sich ebenfalls nicht trennen.247 Vor allem aber riss die Schwä­ chung des zuvor überall einheitlich geltenden ius commune eine Lücke, die durch „ausländisches Recht“ gefüllt werden konnte und sollte.248 Im Zusammenhang mit dem Gewohnheitsrecht zeigte sich das Fortwirken der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre daran, dass die Parteien es weiterhin grundsätzlich vortragen und beweisen mussten.249 Eine Veränderung vollzog sich aber aus der Sicht des Gerichts: War das Gewohnheitsrecht dem Gericht bekannt, so durfte und musste es dieses anwenden.250 Im Unterschied zu Tatsachen konn­ te Gewohnheitsrecht außerdem zu jedem Zeitpunkt in das Verfahren eingebracht werden.251 Zur Ermittlung von Gewohnheitsrecht durfte das Gericht sich des Frei­ beweises bedienen und war nicht auf die Initiative der Parteien beschränkt.252 Gleichzeitig war das Gericht aber weiterhin nicht verpflichtet, Gewohnheitsrecht von Amts wegen zu ermitteln.253 heitsrechte nicht kannte, mussten diese ihm von den Parteien vorgetragen werden, s. Kapitel 9, §  3 Codex Iuris Bavarici Iudiciarii: „Soll man nur die Geschicht, nicht aber das Recht selbst beweisen, Particular-Statuta, und Gewohnheiten ausgenommen, welche, wenn sie nicht offent­ lich kundbar seynd, ebenfalls dargethan werden müssen.“ Kapitel 14, §  8 Codex Iuris Bavarici Iudiciarii: „[D]er Richter [soll] in Jure aber nach denen in hiesigen Chur-Landen vorgeschrie­ benen Rechten, Statuten, Freyheiten, und jedes Orts hergebrachten löblichen Gewohnheiten richten, und urtheilen“. Noch heute findet sich ein Rudiment in §  293 ZPO, Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  196. 246  Illustrativ für das Jahr 1888 s. RG, Urteil v. 25.05.1888, Az. III 17/88, RGZ 21, 175. 247  Mit Bedauern stellte Sartorius den Rückgang des Gewohnheitsrechts fest, s. Sartorius, AcP 27 (1844), 81, 101. Im 19. Jahrhundert stand das Gewohnheitsrecht im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses, weil es Anlass zur Diskussion um Volksrecht oder Juristenrecht war. S. insbesondere Puchta und Beseler, vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  411, sowie zuletzt Haferkamp, Die Historische Rechtsschule (2018). 248  Zur Geschichte der kollisionsrechtlichen „Statutenlehre“ Coing, Europäisches Privat­ recht, Band  1 (1985), S.  137–141. Zahlreiche Hinweise zur in Deutschland rezipierten Literatur bei von Wächter, AcP 24 (1841), 230, 231–235. 249  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190: „Hierin also liegt die unverkennbare praktische Ähnlichkeit zwischen dem Gewohnheitsrecht und den eigentlichen wahren Thatsachen; denn auch diese müssen allegirt und bewiesen werden.“ An­ ders aber Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  1 (1828), S.  108–109. 250  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. 251  Endemann, Die Beweislehre des Civilprozesses (1860), S.  42: „[V]öllige Freiheit“. Ebenso von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. 252  Planck, Die Lehre von dem Beweisurtheil (1848), S.  256 mit Fn.  1 sowie von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. 253  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190: „Das ge­ setzliche und wissenschaftliche Recht kann [der Richter] kennen, und er verletzt seine Amts­ pflicht, wenn er aus Unkenntniß desselben unrichtig urtheilt; mit dem Gewohnheitsrecht steht es für ihn nicht also.“ Puchta wollte das Gewohnheitsrecht der Rechtsanwendung von Amts

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Was ausländisches Recht betraf, so wurde es prozessual wie Gewohnheits­ recht behandelt.254 Zugleich wurden die Begriffe „ausländisches Recht“ und „ausländische Statuten“ vielfach synonym verwandt.255 Ausländisches Recht sollte ebenfalls grundsätzlich vorgetragen und bewiesen werden.256 Eine gericht­ liche Kenntnis wurde insoweit nicht vorausgesetzt.257 Das Gericht hatte auslän­ dische Vorschriften aber anzuwenden, wenn sie ihm bekannt waren.258 Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte sich die Ansicht durch, Gewohn­ heitsrecht und ausländisches Recht als Recht zu behandeln.259 Obgleich es an einer formellen Verkündung im Inland fehlte, war hierfür bei ausländischem wegen unterstellen, sofern es im Gerichtsbezirk bereits aufgezeichnet vorlag, s. Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  1 (1828), S.  107–108 sowie Band  2 (1837), S.  170. Ähnlich Stobbe, der zwischen unterschiedlichen Gerichtsbezirken trennte, s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  159. 254  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  191 sowie ­Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  206. Diese Gleichstel­ lung wurde in §  265 CPO (heute §  293 ZPO) übernommen. 255  Zur Veränderung des Sprachgebrauchs von Wächter, AcP 24 (1841), 230, 256–257 so­ wie zur geschichtlichen und heutigen Verwendung des Begriffs „Statut“ im Internationalen Privatrecht s. Kropholler, Internationales Privatrecht, 6.  Aufl. 2006, S.  14. 256  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  191: „Ihre Kenntniß wird von dem Richter nicht gefordert, und die Partey muß sie angeben und beweisen, ganz wie es hier von dem Gewohnheitsrecht bemerkt worden ist, also auch ohne daß sie da­ durch mit eigentlichen Thatsachen völlig auf gleiche Linie tritt.“ Mittermaier, AcP 18 (1835), 67, 75 hielt ein Geständnis des ausländischen Rechts für möglich und behandelte es wie eine Tatsache. Kritisch dazu Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  172 mit Fn.  20. Ein­ deutig in Richtung Tatsache ebenfalls Langenbeck, AcP 41 (1858), 129, 130. 257  Langenbeck, AcP 41 (1858), 129, 130: „Eine bekannte processualistische Regel lautet: ‚facta probantur; jura novit curia‘; so richtig dieselbe an und für sich auch sein mag, so steht sie in Ansehung des einheimischen Rechts gleichwohl schon nicht ausnahmslos, und für das frem­ de Recht kann man sie überall nicht anerkennen.“ Ähnlich von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  191 und Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl. 1878, S.  178–179. 258  Von Savigny stellte Gewohnheitsrecht und ausländisches Recht gleich, s. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190–191. Anders aber Langenbeck, AcP 41 (1858), 129, 132–134, der nur für „notorisches“ Auslandsrecht den Beweis erlassen wollte. 259  Die vollständige Gleichstellung der Begriffe „Gewohnheitsrecht“ und „Tatsache“ be­ zeichnet von Savigny im Jahr 1840 noch als „verbreitet“, s. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  189. Erst seit Puchta setzte sich die Gleichstellung von Gewohnheitsrecht mit Recht nach und nach durch, s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privat­ rechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  159–160 sowie Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (1977), S.  180. Ebenso für ausländisches Recht Schellack, Selbstermittlung oder ausländische Auskunft unter dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen (1998), S.  72–73 sowie Brauksiepe, Die Anwendung ausländischen Rechts im Zivilprozeß (1965), S.  32–33. Ausführlich Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 483–508.

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Recht die comitas gentium der Grund.260 Schließlich ging es nicht zuletzt um die Gesetze anderer deutscher Territorien; innerhalb des Deutschen Bundes wäre es unpassend gewesen, wenn Sachsen ein Gesetz Preußens als bloße Tatsache be­ handelt hätte.261 Nach damaliger Vorstellung hätte dies dem Volksgeist wider­ sprochen.262 Mit dem Verschwinden der kollisionsrechtlichen „Statutenlehre“ verschwand schließlich auch die Bezeichnung als ausländisches Statut im ur­ sprünglichen Sinne.263 Trotz der endgültigen Erhebung von ausländischem Recht und Gewohnheiten auf die Stufe des Rechts wurde den Richtern die Kenntnis dieser Rechtsbereiche dennoch weiterhin nicht zugemutet.264 Dazu passend gab es keine Pflicht des Richters, ihm unbekanntes ausländisches Recht zu erforschen.265 Die Span­ nungslage war folglich für Gewohnheitsrecht und ausländisches Recht identisch. Der Sache nach war beides für die Parteien weiterhin eine Tatsache, für das Ge­ richt aber Recht. Auch heute noch lassen sich zahlreiche Probleme auf diese Spaltung zurückführen; insoweit schlägt die Rechtsgeschichte die Brücke zur Gegenwart.266 die fehlende Verkündung stellte etwa Mittermaier, AcP 18 (1835), 67, 68 ab. Zur comitas gentium s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  200. 261  Zu einem Beispielsfall zwischen Bayern und Baden Mittermaier, AcP 18 (1835), 67. 262  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  8 (1849), S.  14: „Um den Zusammenhang zu erkennen, wodurch eine Person mit einem bestimmten positiven Recht durch die Angehörigkeit an dasselbe verknüpft wird, müssen wir uns daran erinnern, daß das positive Recht selbst seinen Sitz in dem Volk als einem großen Naturganzen [hat].“ Zum Ver­ hältnis der Staaten Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1833), S.  430. 263  Die Verwerfung der kollisionsrechtlichen „Statutenlehre“ enthielt für die prozessuale Seite der Rechtsermittlungslehre keine klare Aussage. Die Kritik an der kollisionsrechtlichen „Statutenlehre“ war vernichtend: von Wächter bezeichnete sie als „Willkühr und Unsicher­ heit“, s. von Wächter, AcP 24 (1841), 230, 270 und von Savigny als „völlig ungenügend“, s. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  8 (1849), S.  123. Anders jedoch Stobbe, der die Grundidee als „im wesentlichen richtig“ bewertete, s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  204. Überwunden wurde die kollisionsrechtliche „Statu­ tenlehre“ letztlich durch das Verschwinden der Statuten selbst; im Gesetzesstaat haben sie kei­ nen Platz mehr, s. Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  190–191 mit Fn.  15. 264  So ausdrücklich Planck, Die Lehre von dem Beweisurtheil (1848), S.  255 sowie Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  170–171. Stobbe wollte dem Richter die Kenntnis von fremdem Gewohnheitsrecht nicht zumuten und verwendete für Gewohnheitsrecht und aus­ ländisches Recht die Kategorie des „Beweises“, s. Stobbe, Handbuch des deutschen Privat­ rechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  159 ff.; 206–207. Ebenfalls Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl. 1878, S.  178–179. 265  Eindeutig ROHG, Urteil v. 28.04.1879, Az. III 407/79, ROHG 25, 53, 57 sowie Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  179. Anders aber Oestmann, FS Sellert (2000), S.  510–512. 266  Noch 1998 forderte Kindl, ausländisches Recht prozessual wieder als Tatsache zu behan­ deln, sofern der Beibringungssatz anwendbar sei, s. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 203. 260  Auf

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II. Richterliche Rechtskenntnis Der Aufstieg des Richters vom Diener des Fürsten zum Diener des Rechts führte über den Weg der Rechtskenntnis.267 Die Allgemeinheit des Gesetzes brachte die Aufgabe mit sich, das Recht in gleichen Fällen gleich anzuwenden.268 Um diese Aufgabe zu erfüllen, mussten die Richter die Gesetze kennen und verstehen.269 Nur so konnte ständische Willkür dem Willen des Gesetzes weichen.270 Mit der Veränderung der Rechtsordnung entwickelte sich also auch die Aufgabe der Richter und damit die Anforderungen an die richterliche Rechtskenntnis fort.271 Letztlich wird das heute als selbstverständlich empfundene Erkenntnisproblem hinter iura novit curia in seiner modernen Form durch die Gewaltenteilung also erst in seinem vollen Ausmaß geschaffen. Kannten die römischen Juristen wie selbstverständlich noch das von ihnen selbst entwickelte und fortgebildete Recht und legten die Juristen im gemeinen Zivilprozess den Inhalt des nur ihnen be­ kannten ius commune selbst fest, führte die Trennung von Rechtssetzung und Rechtssprechung dazu, dass die Richter den Willen eines gerichtsexternen Ge­ setzgebers kennen und nachvollziehen mussten. Diese Trennung erforderte ihrer­ seits eine Schulung und Ausbildung der Richterschaft, die diesen eine rationale Rechtsanwendung im gewaltenteiligen Gesetzesstaat überhaupt erst ermöglichte. Normativer Ausgangspunkt war die Bindung des Richters an das staatliche Gesetz, die auf richterlicher Gesetzeskenntnis beruhte. In der Folge gelangte das 267 Letztlich sollte die Willkür vieler Richter der Weisheit eines Gesetzgebers weichen, s. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  109: „Es ist leichter, wenige weise Ge­ setzgeber zu finden, als zahlreiche weise Richter.“ Zur Entwicklung von Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), S.  41–48 sowie zu den unterschiedlichen Spielarten des Positivismus ­Flume, Richter und Recht, in: Verhandlungen des 46. DJT, Band  2 (1966), S.  12–17. 268  Das Richterideal beschreibt Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 13.  Aufl. 1980, S.  179–181. Zur territorialen Allgemeinheit s. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  164–165. 269  Die Kodifikationen erhöhten nicht nur die Verständlichkeit des Rechts, sondern erleich­ terten den Richtern auch den Vorgang der Rechtsermittlung. Zu Beginn der ersten Kodifikatio­ nen fand sich stets eine umfangreiche Rechtsquellen- und Rechtsanwendungslehre, s. etwa 1. Teil, Kapitel 1–3 des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis sowie die Einleitung des PrALR. 270  Der „Wille des Gesetzes“ war zunächst noch der Wille der Herrschenden und wurde später durch den Willen des Volkes ersetzt, s. zu den Zusammenhängen Lent, AcP 150 (1949), 193, 198–200. Nur eine gelehrte Richterschaft konnte den Anforderungen genügen, die im Zuge der Gesetzesbindung an sie gestellt wurden, s. von Savigny, System des heutigen römi­ schen Rechts, Band  1 (1840), S.  189. 271  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  189: „Unser Rechtszustand ist ein künstlicher geworden; wir fordern von dem Richter ein wissenschaftli­ ches Rechtsstudium [und] dadurch wird seine Stellung eine ganz andere als die der alten Schöf­ fen war.“

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

gelehrte Richtertum zum Durchbruch. Mit dem Ende des ius commune ver­ schwand schließlich auch das Institut der Aktenversendung. 1. Gesetzeskenntnis Als der Richter und Staatstheoretiker Montesquieu in seinen „Persischen Brie­ fen“ Willkür und Käuflichkeit der Richterschaft ankreidete, traf er damit den Geist der Zeit.272 Für die Bevölkerung waren die auf ius commune beruhenden Entscheidungen der Richter nicht nachvollziehbar.273 Mit der umfassenden rich­ terlichen Entscheidungsfreiheit stand die geringe Vorhersehbarkeit seitens der Rechtsunterworfenen in einer Wechselbeziehung.274 Ging ein Rechtsstreit verlo­ ren, so lag der Verdacht von fehlender Rechtskenntnis, Willkür und Korruption nahe.275 Das ständische Auftreten der Richterschaft wurde von der Bevölkerung nicht mehr hingenommen und schließlich auch von den Herrschern selbst be­ kämpft.276 Die Lösung lag darin, die richterliche Entscheidungsfreiheit durch eine Bindung an das Gesetz zu begrenzen.277 Wenngleich hinter unterschiedlichen Kodifikationsprojekten unterschiedliche Motive standen, so ist eine wesentliche Idee stets die Erhöhung von Rechts­ sicherheit gewesen.278 Die Bedingung für Rechtssicherheit erschöpft sich aber nicht in der Niederschrift des Gesetzes, sondern setzt auch die gleichförmige Anwendung des Gesetzes im Einzelfall voraus.279 Die vorausschauende Ent­ 272  Montesquieu, Persische Briefe (1721), S.  99–100 (Brief 41); S.  127–129 (Brief 51); S.  145–147 (Brief 59); S.  158–159 (Brief 65); S.  173–175 (Brief 71). 273  Im Absolutismus benahmen sich die Richter teils „tyrannisch“ und gestalteten die Ge­ richtstermine „oft willkürlich nach ihrer Laune“, s. Döhring, Geschichte der deutschen Rechts­ pflege (1953), S.  236. 274  Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  602 sowie 685–686. 275 Ausführlich zur Bestechlichkeit der Justiz mit zahlreichen Beispielen Döhring, Ge­ schichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  98–105. 276 In Preußen war der Skandal um den Müller Arnold Ausdruck der Justizkrise, s. H. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3.  Aufl. 2017, S.  217. Besonders deutlich war §  47 PrALR: „Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteyen zu benennen, seine Zweifel der Gesetzcommißion an­ zeigen, und auf deren Beurtheilung antragen.“ 277  Wenger, FS zur Jahrhundertfeier des ABGB, Band  1 (1911), S.  479, 493. 278  Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1833), S.  279 bezeichnete ein geordne­ tes und bestimmtes Gesetzbuch als „großen Akt der Gerechtigkeit“. Ähnlich Meder, Rechtsge­ schichte, 5.  Aufl. 2014, S.  277 sowie von Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozes­ ses, Band  1 (1801), S.  76. Die Niederschrift, Sammlung und Ordnung des Rechts sollten nicht nur die Verständlichkeit für den Bürger erhöhen, sondern gerade auch die richterliche Rechts­ kenntnis stärken. Aus diesem Grund enthielten die Kodifikationen lehrbuchhafte Ausführun­ gen, s. exemplarisch Kapitel 1 des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. 279  Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  555: „War das Gesetz ein

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scheidung von Streitfragen durch den Gesetzgeber konnte nur dann in die Wirk­ lichkeit übersetzt werden, wenn die Richter das Gesetz kannten, verstanden und die Entscheidungen des Gesetzgebers in ihren eigenen Urteilen nachvollzogen.280 Die Kenntnis des Gesetzes war die Grundlage der richterlichen Pflicht, die Allgemeinheit des Gesetzes zur praktischen Entfaltung zu bringen.281 Um zu ge­ währleisten, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich waren, sollte der Richter das Gesetz genau kennen und streng an seine Vorschriften gebunden sein.282 In glei­ chen Fällen musste gleich entschieden werden.283 Insgesamt entwickelte sich eine Berufsethik, wonach der Richter eine rechtlich richtige Entscheidung zu treffen hatte.284 2. Durchbruch des gelehrten Berufsrichtertums Versuchte man ursprünglich das Ziel der richterlichen Gesetzeskenntnis noch über möglichst ausführliche Gesetze zu erreichen, so setzte sich schon bald die Überzeugung durch, dass zusätzlich bei der richterlichen Ausbildung angesetzt werden musste.285 Anders als im gemeinen Recht, wo die Rechtsermittlungs­ pflicht des ius commune wegen der fehlenden Richterbildung oft leerlief, sollten die Richter nun auch in der Breite studierte Juristen sein.286 ‚stummer Richter/lex iudex mutuus‘ und der Richter das ‚redende Gesetz/iudex lex loquens‘, so musste das Gesetz verständlich sein, um durch den Richter zur Sprache kommen zu können.“ 280  Das PrALR verfügte über 19194 Paragraphen und sollte alle denkbaren Rechtsfragen regeln, s. Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  281. Zur Stellung des Gesetzes s. von Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), S.  2. 281  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. 282 Ausführlich Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  437–438 so­ wie 475 zum BGB. 283  Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  163. Erstmals musste die Entscheidung am Maßstab des Gesetzes begründet werden. Weder im Kameralpro­ zess noch vor den Oberhöfen gab es zuvor Urteilsbegründungen; erst im 19. Jahrhundert gin­ gen deutsche Gerichte dazu über, ihre Begründungen offenzulegen, Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte (2015), S.  102 sowie 175. 284  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  433 ff. 285  Zur Geschichte der Juristenausbildung Rüfner, Historischer Überblick: Studium, Prü­ fungen, Berufszugang der Juristen in der geschichtlichen Entwicklung, in: Bologna und das Rechtsstudium (2011), S.  3, 26–31 sowie Köbler, JZ 1971, 768 und Hattenhauer, JuS 1989, 513 und zuletzt ausführlich zu dem „Gelehrten auf dem Richterstuhl“ Haferkamp, Die Histori­ sche Rechtsschule (2018), S.  269–330. 286  Zum Wechsel von Schöffengerichtsbarkeit zu Berufsrichtertum von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  189–190. Der mit Prestige und guten Verdienst­ möglichkeiten versehene Juristenstand machte die Aufnahme der Juristenausbildung immer beliebter. Der Richterdienst lockte allerdings zunächst nicht mit besonders hohen Verdienstaus­ sichten; bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war die Besoldung von Richtern gering, s. dazu ausführlich von Bar, Recht und Beweis im Civilprocesse (1867), S.  230–241 m. w. N.

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Zugang zum Richteramt hatte nur derjenige, der seine Qualifikation durch das Bestehen von staatlichen Prüfungen belegen konnte.287 An der Universität und insbesondere in der praktischen Ausbildung wurde die rechtlich richtige Lösung von juristischen Fällen gelehrt und eingeübt.288 Der Weg zum Richteramt war anspruchsvoll und für alle gleich.289 Mit der Zeit setzte sich das Prinzip der Bes­ tenauslese für die Richterschaft durch.290 Nicht nur der Kauf und das Erben von Richterstellen, sondern auch die Laiengerichtsbarkeit fanden damit ihr Ende.291 Zusammengefasst trägt die sprachliche Verwandtschaft zwischen Rechtsan­ wendung von Amts wegen und Richteramt eine gewisse Wahrheit in sich.292 Erst die Durchdringung der Gerichte mit studierten Juristen gewährleistete, dass so­ gar an Amtsgerichten das Gesetzesrecht bekannt und deshalb von Amts wegen angewandt werden konnte.293 3. Ende der Aktenversendung Das Fortschreiten der gelehrten Rechtsprechung ging mit einer anderen Entwick­ lung einher: Das Institut der Aktenversendung verschwand.294 Weitere Nachweise bei Hattenhauer, JuS 1989, 513, 516–517. Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  177. In der „praktischen Rechtsbildung“ standen die Richter für Sartorius auf der „höchste[n] Stufe“; in der „wissenschaftlichen Rechts­ bildung“ hielt er deshalb die Aktenversendung weiterhin für zweckmäßig, s. Sartorius, Zeit­ schrift für Civilrecht und Proceß 14 (1840), 219, 235. Zum Ende der Aktenversendung Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. II. 3. Vor einer Überschätzung der Universität warnt Hattenhauer, JuS 1989, 513, 517. Zum Ganzen Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  438. 289  Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  580 m. w. N. Bis in das 18. Jahrhundert hinein war es gängige Praxis, Richterstellen zu kaufen, Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  53. Dagegen ging Preußen seit Ende des 18. Jahrhun­ derts vor, s. Hattenhauer, JuS 1989, 513, 516. 290  Zunächst war die Verwaltung der Anlaufpunkt für die besten Juristen, Hattenhauer, JuS 1989, 513, 516. Sachsen begann damit, die besten Juristen für das Richteramt zu gewinnen; endgültig durchsetzen konnte sich dieser Ansatz jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts, s. Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  63–64 m. w. N. 291  Staatliche Prüfungen fanden sich seit dem 18. Jahrhundert, seit dem 19. Jahrhundert setzten sie sich als Voraussetzung für das Richteramt durch, Köbler, JZ 1971, 768, 773 m. w. N. Zugleich wurden die Laien im Laufe des 18. Jahrhunderts verdrängt, Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege (1953), S.  37. Weitere Nachweise finden sich bei Stölzel, Die Entwick­ lung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  595–596. 292  Die Weiterentwicklung ist die noch heute gängige Formulierung „von Rechts wegen“. Zu den sprachlichen Zusammenhängen Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums, Band  1 (1872), S.  241 mit Fn.  11. 293  Der Gedanke, eine Rechtsquelle von Amts wegen anzuwenden, war jedoch älter und ließ sich bereits der ursprünglichen Rechtsanwendungslehre entnehmen, s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, B. I. 3. 294  Dies geschah unterschiedlich schnell, aber endgültig mit Inkrafttreten der CPO 1879, 287  288 

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Bereits im 18. Jahrhundert waren die Argumente gegen die Aktenversendung vielfältig.295 Immer wieder wurde über die Prozessverschleppung, die Belastung der Fakultäten, die Bevorteilung der zahlungskräftigeren Partei sowie die Be­ stechlichkeit von Gutachtern geklagt.296 Besonders unerwünscht war die Ver­ nachlässigung des lokalen Rechts: Es kam vor, dass nicht-preußische Spruch­ fakultäten die auf preußisches Recht gestützten Urteile preußischer Gerichte aufhoben.297 Die Aktenversendung untergrub also nicht nur die Autorität des Richters, sondern vor allem die des Herrschers selbst.298 Entscheidend für das endgültige Verschwinden der Aktenversendung war aber letztlich, dass sie schlicht überflüssig wurde.299 Der juristisch ausgebildete Richter konnte die Rechtslage selbst feststellen.300 Abgesehen davon erschien die Aktenversendung immer mehr wie ein störendes Geheimelement im ansonsten freiheitlicher wer­ denden Zivilprozess.301 Unter Berücksichtigung dieser Aspekte entschieden sich immer mehr Territo­ rien dafür, die Aktenversendung zu untersagen.302 Diese Entwicklung fand darin welche die Aktenversendung nicht mehr vorsah, s. von Bülow, AcP 65 (1882), 1, 4, Klugkist, JZ 1967, 155, 156 sowie Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  137. 295  Lange, JZ 1969, 157, 162–163. 296  Zur Belastung der Fakultäten von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814), S.  128–129 sowie zum Ganzen Lange, JZ 1969, 157, 162–163. 297  Zu diesem Vorgang Lange, JZ 1969, 157, 163 mit Fn.  67. Ausführlich zu Problemen bei Aktenversendungen Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  590–591 sowie 602: „un­ zureichende […] Partikularrechtskenntnisse der ortsfremden Professoren“. 298  Prägnant formuliert Sartorius, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 14 (1840), 219, 234: „So erscheint denn die Zulassung von juristischen Sachverständigen, um über das Recht eine Belehrung zu ertheilen, als eine Handlung, die für den Richter ungeeignet ist, und ihn sogar compromittirt, indem er dadurch zu erkennen gibt, daß er dasjenige, was seines Amtes und Berufes ist, nicht gehörig versteht.“ 299 Nach Sartorius, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 14 (1840), 219, 234 sollte „jeder Richter […] in juristischen Dingen selbst der beste Sachverständige sein“. Der Belehrung durch eine Spruchfakultät bedurfte es deshalb nicht, s. Puchta, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 3 (1830), 31, 57. 300  Der Sachverständige ist seitdem nur Gehilfe des Gerichts, dem in Rechtsfragen keine Autorität zukommt, s. grundlegend Puchta, Zeitschrift für Civilrecht und Proceß 3 (1830), 31, 56–57. 301  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  464. 302  In Preußen 1746, in Bayern bereits 1626, s. Lange, JZ 1969, 157, 163 mit Fn.  68. Anläss­ lich der Auflösung des Reichskammergerichts wurde die Aktenversendung Anfang des 19. Jahr­ hunderts dennoch wiederbelebt. Zu diesem Zeitpunkt fehlte es an einer Instanz, die für eine einheitliche Rechtsprechung im Deutschen Bund hätte sorgen können, s. Braun, Zivilprozess­ recht (2014), S.  137. Für von Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Band  1 (1801), S.  78 war die Aktenversendung gar ein „Palladium der deutschen Freiheit“ und deshalb generell zulässig. Die Aktenversendung konnte aber nicht an alte Erfolge anknüpfen. Vertie­ fend zum Ganzen von Bülow, AcP 65 (1882), 1, 30–31.

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ihren Schlussstein, dass die Reichsjustizgesetze die Aktenversendung schlicht­ weg nicht mehr vorsahen; für die Rechtsprechung waren nun ausschließlich die Richter zuständig.303 Der Aufstieg der Berufsrichter verursachte den Abstieg der Aktenversendung.304 In den Worten von Stein: „Die Auslegung als Denkthätigkeit rein juristischer Art muss jeder durch die beiden Prüfungen gegangene Jurist selbst üben können. Die Aufhebung des Aktenversendungsrechtes zeigt, dass unsere Gesetzgebung diese Aufgabe als die allereigenste des Richters ansieht.“305

III. Rechtspraxis Nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis vollzog sich eine Epochen­ wende.306 Erstmals gelang es, den Rechtsbeweis für große Teile der Rechtsquel­ len zu erlassen. Die praktische Wirksamkeit dieser Regel wurde untermauert, indem der Gesetzgeber die tatsächlichen Voraussetzungen für eine flächende­ ckende richterliche Rechtskenntnis schuf. Diese Rechtskenntnis war es, die eine Rechtsanwendung von Amts wegen in der Praxis vom leeren Versprechen zur gelebten Rechtswirklichkeit werden ließ.307 Mit der Zeit bildeten die Universitäten genügend Juristen aus, um die Gerich­ te mit gelehrten Richtern zu besetzen. Das in deutscher Sprache abgefasste Ge­ setz war lehr- und lernbar.308 In rechtlichen Zweifelsfragen konnten die Richter in Lehrbüchern, vertiefenden Handbüchern und umfänglichen Kommentaren nachschlagen.309 Im Unterschied zum römischen und gemeinen Prozess waren die rechtlichen Urteilsgrundlagen einschließlich der Auslegungshilfen damit nicht nur in deutscher Sprache verstehbar, sondern auch in der Praxis für eine breite Masse ausgebildeter Juristen verfügbar.310 Ihre Rechtskenntnis erlaubte es den Richtern, auf die Einbeziehung gerichts­ fremder Dritter zu verzichten. Eindrücklich legt das Verschwinden der Aktenver­

Lange, JZ 1969, 157, 163. Klugkist, JZ 1967, 155, 156. 305  Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  186. 306  Eindrücklich die Zahlen zur Juristenausbildung bei Köbler, JZ 1971, 768, 769. 307  Hähnchen, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2016, S.  192. 308  Anders war dies noch während des usus modernus, weil die in lateinischer Sprache ab­ gefassten Texte des usus modernus von der historischen Rechtsschule nicht rezipiert wurden, s. Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  257. 309  Zu den ersten bayerischen Kodifikationen wurden offizielle Kommentare von Kreittmayr herausgegeben; spätere Publikationen von Stobbe, von Savigny oder Windscheid gelten noch heute als vorbildlich in ihrer Gedankenführung und klaren Sprache. 310  Eine Übersetzung der Digesten in die deutsche Sprache erfolgte erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde von Otto, Schilling und Sintenis herausgegeben. 303  304 

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sendung Zeugnis über die Leistungsfähigkeit der Praxis ab; sie war nun in der Lage, das kodifizierte Gesetzesrecht selbsttätig zu ermitteln und anzuwenden.

IV. Zusammenfassende Würdigung Am Ende des 19. Jahrhunderts fasste Sohm die Veränderung des Rechtsdenkens wie folgt zusammen: „Das Recht von Heute ruht nicht im Corpus Iuris, noch in der Wissenschaft, noch in den Ge­ wohnheiten der Nation, sondern in den Falten des Mantels unserer Gesetzgeber.“311

Erschien die Rechtsanwendung von Amts wegen zuvor noch als fahler Strahl, so leuchtete sie mit Vollendung des Gesetzesstaates in gleißendem Licht. Das Ge­ setzesrecht hatte die Stelle des nicht kodifizierten ius commune eingenommen und war wie selbstverständlich von Amts wegen anzuwenden. Die Rechtsvielfalt war der Rechtseinheit, die Rechtsunklarheit der Rechtsklarheit gewichen. Die gründliche Gesetzeskenntnis war nicht nur möglich, sondern zur Bedingung für die Ausübung des Richteramts erstarkt. Mit der Verschriftlichung, Ordnung und schließlich Kodifikation des Gesetzes verschoben sich die Grenzen zwischen beweisbedürftigem Recht und Rechts­ anwendung von Amts wegen. Da das kodifizierte Gesetz abschließend war, ­regelte es innerhalb seines Territoriums grundsätzlich alle Rechtsfragen. Ausnah­ men ergaben sich lediglich für ausländisches Recht, fortgeltende Statuten und Gewohnheitsrecht. Nur in ihnen und für sie lebte die gemeinrechtliche Rechts­ ermittlungslehre fort. Es war die Aufklärung, die zu der Einführung der Gewaltenteilung führte und dadurch das Informationsproblem hinter dem modern verstandenen Grundsatz iura novit curia deutlich hervortreten ließ. Die von dem Gesetzgeber geschaffe­ nen Gesetze mussten den Richtern nicht zwingend bekannt sein. Auf dieses Pro­ blem fand die Aufklärung dann aber gleichzeitig eine Lösung, die unser heutiges Denken noch heute beherrscht. Die Richter sollten dem Willen des Gesetzgebers zur Wirksamkeit verhelfen. Die unabdingbare Voraussetzung dafür war eine ra­ tionale, juristisch ausgebildete Richterschaft, die den Inhalt das Rechts kannte oder jedenfalls ermitteln konnte. Letztlich steht hinter iura novit curia damit nicht nur die Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien, sondern auch die Frage nach der Machtverteilung zwischen einzelnen Staats­ gewalten. Es liegt auf der Hand, dass der Aktenversendung im aufgeklärten Gesetzes­ staat kein Platz mehr zukommen durfte. Zur Feststellung der Rechtslage waren 311 

Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht (1880), S.  80.

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nun gelehrte Berufsjuristen berufen. Ihnen die Rechtsgrundlagen vorzutragen war schlicht nicht mehr erforderlich. Vor diesem Hintergrund fand das aktionen­ rechtliche Denken sein Ende. Der Durchbruch der richterlichen Rechtskenntnis hatte damit endgültig einem anderen Grundsatz zur Geltung verholfen: Auf den Beweis inländischen Gesetzesrechts konnte verzichtet werden.

D. Rechtsgeschichtliche Ergebnisse Der Weg in die Zukunft führt über die Vergangenheit. Nicht nur in internatio­ nalen Schiedsverfahren, sondern auch im Prozess vor ordentlichen Gerichten vergangener Epochen war die Ermittlung der rechtlichen Urteilsgrundlagen ein Alltagsproblem. Sind in internationalen Schiedsverfahren die Gesetze, Verord­ nungen und Gerichtsentscheidungen der anwendbaren Rechtsordnung den Schiedsrichtern nicht bekannt, so stellte sich dieses Problem in der Vergangen­ heit in vergleichbarer Weise. Die fehlende Schriftlichkeit von Recht sowie die Vielzahl der in Betracht kommenden Rechtsquellen machte es damals wie heute für die Rechtspraxis unerlässlich, Lösungen für den Umgang mit lückenhafter Rechtskenntnis des Streitentscheiders zu entwickeln. Heute erscheint die fehlende Beweisbedürftigkeit von Recht in Deutschland wie eine Tatsache, die des Beweises nicht bedarf. Bereits die Vorstellung des Rechtsbeweises erzeugt Unbehagen, einen Beweis von Recht soll es nicht geben. Die Beweisbedürftigkeit von Tatsachen ist ebenso selbstverständlich, wie dies umgekehrt für Recht gerade nicht der Fall ist. Anders als das lateinische Sprich­ wort iura novit curia suggeriert, ist dieses Zusammenspiel jedoch historisch kei­ ne unverrückbare Gegebenheit. Das Gegenteil ist richtig: Bereits die römischen Juristen waren gezwungen, für das Problem fehlender richterlicher Rechtskenntnis Lösungen zu finden. Schließ­ lich war es in der Vergangenheit regelmäßig der Fall, dass die Streitentscheider nicht über eigene Rechtskenntnisse verfügten. Der Schwerpunkt lag vielmehr auf der Einbeziehung juristischer Berater, der Strukturierung des Prozesstoffes durch das Aktionendenken, der Einbindung der Parteien über die recitatio sowie der Reskriptenpraxis. Diese römischen Traditionen lebten im gemeinen Recht in ähnlicher, wenngleich nicht identischer Form fort. Auch dort fanden sich juris­ tische Berater und das Aktionendenken trat erneut hervor. Das Institut der Akten­ versendung erinnert zudem in gewisser Hinsicht an die römische Respondier­ praxis. Letztlich waren die Parteien in Rom über Jahrhunderte stark in den Vorgang der Rechtsermittlung eingebunden, im gemeinen Prozess musste das gesamte Partikularrecht vorgetragen und bewiesen werden. Ein Kernbestandteil von iura

D. Rechtsgeschichtliche Ergebnisse

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novit curia, wonach der Richter das Recht selbsttätig von Amts wegen ermittelt, galt in dieser Allgemeinheit folglich nicht. Zudem steht die Bindung des Gerichts an das Konzept von actio und exceptio, die zudem zuvor von Kläger und Beklag­ ten ausgewählt werden mussten, in klarem Widerspruch zu dem Grundsatz der freien und umfassenden richterlichen Rechtsanwendung. Zuletzt ist aber auch das Auseinanderfallen von Richterstellung und rechtlicher Entscheidungsfin­ dung nicht mit dem modernen Konzept der Rechtsanwendung von Amts wegen vereinbar. Erst die Entstehung des modernen Gesetzesstaats erlaubte es, den Parteien den Nachweis des inländischen Gesetzes zu erlassen. Der Verzicht auf den Nachweis von Recht ist deshalb eine jüngere Entwicklung, die erst seit dem 19. Jahrhundert zur praktischen Entfaltung kam. Dahinter steckt aber nicht nur die Kodifizierung des Rechts sowie eine bessere ausgebildete Richterschaft, sondern vor allem auch ein Grundgedanke der Aufklärung, der in der Gewaltenteilung wurzelt: die Allgemeinheit des Gesetzes. Die Aufklärung war es dann auch, die das alte Informationsproblem der feh­ lenden richterlichen Rechtskenntnis in neuem Licht erschienen ließ. Im Zuge der Aufklärung setzte sich die Gewaltenteilung durch. Konzeptionell trennte die Ge­ waltenteilung den Prozess von Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Das Rechts­ kenntnisproblem wurde dadurch verändert und in gewisser Hinsicht vergrößert. Die Juristen sahen sich strukturell der Herausforderung gegenüber, nicht nur das von ihnen selbst geschaffene, sondern auch das von gerichtsexternen Dritten ge­ setzte Recht zu kennen und zu verstehen. Die Lösung für dieses Informationsproblem hätte weiterhin darin liegen kön­ nen, den Parteien erhebliche Anstrengungen bei der Ermittlung der Rechtslage aufzuerlegen. Ein solches Vorgehen entsprach aber nicht dem aufklärerischen Gedanken, wonach die demokratisch gesetzten Gesetze in gleicher Form für alle Bürger gleich gelten sollten. Die umfassende und sorgfältige Ausbildung und Auswahl von Richtern war vor diesem Hintergrund die erfolgsversprechende Lösung, um der Allgemeinheit des Gesetzes zum Durchbruch zu helfen. Daran zeigt sich nicht zuletzt, dass iura novit curia nicht nur eine zivilprozessuale, sondern auch eine staatstheoretische Komponente in sich trägt. Es ist also kein eherner oder gar ewiger Grundsatz, die Abgrenzung zwischen Recht und Tatsachen vornehmlich auf die Beweisbedürftigkeit zu beziehen. Dies wird nicht zuletzt am Rechtsbegriff selbst deutlich, weil erst der Gesetzesstaat dem positiven Rechtsbegriff zum Durchbruch verhalf. Als Recht galt nun primär das, was vom Gesetzgeber als Recht verkündet wurde. Die vorherige Verbindungs­ linie zwischen dem Recht und den Tatsachen, die sich an der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre noch deutlich zeigte, trat durch diese Entwicklung in den Hintergrund.

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Zweiter Teil – 1. Kapitel: Rechtsgeschichte

Und zuletzt: Zu jeder Zeit spielte der Gedanke der Zumutbarkeit eine zentrale Rolle im Prozess der Rechtsermittlung. Kannte der Richter die Rechtslage nicht und konnte er sie auch nicht selbst ermitteln, so durfte er sich der Hilfe der Par­ teien oder gerichtsexterner Dritter bedienen. Erst die Kodifikation und der Durchbruch des Berufsrichtertums erlaubten eine umfassende Rechtsanwendung von Amts wegen, die als Kehrseite Aktionendenken und Aktenversendung zum Erliegen brachte. Alle Rechtsquellen musste die Richterschaft allerdings zu kei­ ner Zeit kennen. Zu offensichtlich ist die Grenze des menschlichen Erkenntnis­ vermögens auch die Grenze der richterlichen Rechtskenntnis. Der Beweis einer Rechtsquelle konnte den Parteien historisch nur dann erlassen werden, wenn die Richter von ihrer persönlichen Befähigung und tatsächlichen Ausstattung her in der Lage waren, die Rechtslage eigenständig zu ermitteln. Noch heute finden das römische Recht, die gemeinrechtliche Rechtsermittlungslehre, die Entwicklun­ gen in der Zeit des Gesetzesstaates und das geltendes Recht in dem Wortlaut von §  293 Satz  1 ZPO ihre Vereinigung: „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind.“

2. Kapitel

Rechtsvergleichung Der Weg führt von der Rechtsgeschichte in die Rechtsvergleichung. Wortgewal­ tig führte bereits Puchta zur Stellung des Richters aus: „[D]er Richter kann, ohne aufzuhören dieses zu seyn, nie unter die Direction der Parteien in Absicht auf das anzuwendende Recht gestellt werden.“1

Radbruch beschrieb den Richter metaphorisch als „Fleischwerdung des Rechts“.2 Ähnlich prägnant formulierte Dicey für das common law: „The primary duty of a judge is to act in accordance with the strict rules of law.“3

Und auf der anderen Seite des Atlantiks wurden über die Tore des amerikani­ schen Supreme Court die Worte „Equal justice under law“ in großen Lettern eingraviert, um dem 14. Verfassungszusatz von 1868 ein Denkmal zu setzen. So groß die Übereinstimmungen auf den ersten Blick auch sein mögen, so unterschiedlich sind die Ansichten, die hinter diesen Aussagen stehen.4 Bereits über den Gehalt der Formel equal justice under law besteht nur scheinbar Einig­ keit: Grob umrissen geht es im deutschen Rechtsdenken um eine gleiche Anwen­ dung des Gesetzes in gleichen Fällen, wohingegen die anglo-amerikanische Konzeption die prozessuale Waffengleichheit in den Vordergrund rückt. In die­ sem Sinne schreibt Puchta weiter: „In der That würde auch kaum mehr von einem Recht die Rede syn können, wenn der Richter hier von demjenigen abhängig gemacht würde, was die Parteien zur rechtlichen Begründung ihrer Ansprüche anführen […]; das Recht würde dadurch zu etwas lediglich conventionellem werden, und jeder Proceß hätte sein eigenes Recht.“5

Zu dieser Aussage stehen die Worte von Chief Justice Roberts in direktem Wi­ derspruch: Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  2 (1837), S.  170. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 13.  Aufl. 1980, S.  170: „Das Recht will nicht nur wertende Norm, sondern auch wirkende Macht sein, und eine Hauptpforte, durch die es aus dem Reiche der Idee in das Reich der Wirklichkeit eingeht, die Lebensverhältnisse zu meistern, ist der Richter. In ihm vollzieht sich die Fleischwerdung des Rechts.“ 3  Dicey, Introduction to the study of the law of the constitution, 8.  Aufl. 1915, S. LVII. 4  Zur Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien Kötz, FS Zajtay (1982), S.  277. 5  Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  1 (1828), S.  105. 1  2 

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

„Judges are like umpires. […] Nobody ever went to a ball game to see the umpire. […] I will fully and fairly analyze the legal arguments that are presented. […] And I will remember that it’s my job to call balls and strikes and not to pitch or bat.“6

Ein gerechtes Ergebnis soll nach amerikanischer Lesart im freien Wettstreit zwi­ schen den Parteien erzielt und nicht von einem „inquisitorischen“ Richter hoheit­ lich angeordnet werden.7 Die Anwälte, und nicht etwa die Richter, stehen im Mittelpunkt des Verfahrens.8 Anders ist dies in Deutschland, wo der Richter als Zentralgestalt des Geschehens für die Feststellung der Rechtslage verantwortlich ist und alle einschlägigen Gesetze von Amts wegen in das Verfahren einzuführen hat.9 Diese durchaus unterschiedliche Grundkonzeption ist Anlass, die beiden Rechtsordnungen genauer in den Blick zu nehmen. Schließlich ist das unter­ schiedliche Vorverständnis gerade der Grund für das Aufkommen der Frage, ob und inwieweit das Schiedsgericht in internationalen Schiedsverfahren das Recht selbst ermitteln darf oder gar soll.10 In einem ersten Schritt geht es darum, die Beweisbedürftigkeit von Recht und die richterliche Rechtskenntnis in Deutschland und den Vereinigten Staaten zu untersuchen. In einem zweiten Schritt werden die mithilfe der Länderberichte gefundenen Erkenntnisse verglichen, bewertet und zusammengefasst.

A. Deutschland In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur steht Deutschland für das Postulat der unumschränkten richterlichen Rechtskenntnis.11 Besonders treffend kleidet der englische Schiedspraktiker Lew diese Vorstellung in folgende Worte: „The court is deemed to know the law, whether domestic or foreign.“12 6  Roberts, Confirmation Hearing, Serial No. J–109–37, Opening Statement (2005), S.  68. Für England und Wales Neuberger, Role of the Judge (2016), S.  2–4 m. w. N. Kritisch zur ­sporting theory of justice bereits Pound, 40 Am. L. Rev. 729 (1906). 7 Grundlegend Mentschikoff, 61 Colum. L. Rev. 846, 847–848 (1961). Zweifelnd zur Be­ zeichnung des deutschen Richters als „inquisitorial“ etwa Cappelletti/Garth, Introduction – ­Policies, Trends and Ideas (1986), in: International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XVI: Civil Procedure, Chapter 1, S.  31–32. 8  Zu England und Wales s. Mann, 93 T.L.Q.R. 367, 368–370 (1977). 9  Stürner/Stadler, Aktive Rolle des Richters, in: Gilles, Anwaltsberuf und Richterberuf in der heutigen Gesellschaft (1991), S.  173, 190–192. 10  Schwenzer/Ali, 18 VJ 93, 105–106 (2014); Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56 (2015) sowie Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1 (2015). 11 Statt aller Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 105. 12  Lew, FS Sandrock (2000), S.  581, 596.

A. Deutschland

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Die Vorstellung, der deutsche Richter müsse alle Rechtsordnungen der Welt ken­ nen, scheint zu den Deutschen besonders gut zu passen.13 Nicht nur der Blick in die Geschichte, sondern auch der Blick in das Gesetz zeigt allerdings, dass der deutsche Richter nicht alle Rechtsordnungen der Welt kennen muss.14 So heißt es in §  293 Satz  1 ZPO ausdrücklich: „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind.“15

Damit war und ist es den Gerichten erlaubt, das in einem anderen Staate geltende Recht, Gewohnheitsrecht und Statuten prozessual der Welt des Beweises zuzu­ weisen.16 Gleichzeitig ist §  293 ZPO noch heute Dreh- und Angelpunkt der pro­ zessualen Rechtsermittlungslehre und stellt eine direkte Verbindungslehre zur Rechtsgeschichte her.17 Es wäre jedoch verkürzt, allein auf diese Vorschrift ein­ zugehen; vielmehr ist die Rechtsermittlungslehre funktional in ihrer Verwurze­ lung in der Gesamtrechtsordnung zu beleuchten.18 Gerade die richterliche Rechts­ kenntnis wird nicht nur zivilprozessual vorausgesetzt, sondern verfassungsrecht­ lich auch verlangt und über ein institutionelles Normengefüge abgesichert. Eingegangen wird zuerst auf die Beweisbedürftigkeit von Recht, dann auf die richterliche Rechtskenntnis und schließlich auf die Rechtspraxis. Am Ende er­ folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

I. Beweisbedürftigkeit von Recht Wenn es um die Beweisbedürftigkeit von Recht geht, so finden sich schnell grundsätzliche Aussagen.19 Der Ausgangspunkt lautet: Einen Beweis von Recht Lew, FS Sandrock (2000), S.  581, 596. heutige Konzeption der Beweisbedürftigkeit von Recht sowie der richterlichen Rechtskenntnis baut auf der Geschichte des gesetzesstaatlichen Zivilprozesses auf. Die wesent­ lichen Grundlagen für das Verständnis dieser beiden verschränkten Bereiche wurden im 19. Jahr­ hundert gelegt; in diesem Zusammenhang waren sie bereits Gegenstand der Untersuchung, s. Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. 15  Der Wortlaut von §  265 CPO lautet: „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht un­ bekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.“ Diese Re­ gel gilt heute wortgleich als §  293 ZPO fort. 16  Bisweilen wird diesen Rechtsquellen sogar ausdrücklich Tatsachencharakter zugeschrie­ ben, s. exemplarisch BGH, Urteil v. 19.03.1958, Az. IV ZR 148/57, JZ 1959, 411, 412 sowie zuletzt BVerwG, Urteil v. 19.07.2012, Az.  10 C 2/12, Rn.  16, BVerwGE 143, 369. 17 Weiterführend Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467. 18  Zum funktionalen Ansatz s. zuletzt Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  92–95. 19  Nach dem Grundgesetz sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich, s. Art.  3 Abs.  1 GG. 13 Exemplarisch 14 Die

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

gibt es nicht.20 Dieser Grundsatz wird von der Verfassung selbst untermauert, weil tatsächlich gleich gelagerte Fälle rechtlich gleich entschieden werden sol­ len.21 Dementsprechend ist die richtige Rechtsfeststellung allein Aufgabe des Richters.22 Bei Erfüllung dieser Aufgabe soll und darf es nicht darauf ankom­ men, ob die Parteien zur Rechtslage vorgetragen haben oder nicht.23 Dies gilt auch für das in einem anderen Staat geltende Recht, das Gewohnheitsrecht und die Statuten.24 Die Aufgabe der Parteien beschränkt sich folglich darauf, den Tatsachenstoff vorzutragen und zu beweisen.25 Bei genauer Betrachtung fängt dieses System jedoch seltsam an zu bröckeln.26 Der Spalt, der sich durch die Rechtsordnung zieht, findet in §  293 ZPO seine normative Entsprechung: Die richterliche Rechtskenntnis kennt Ausnahmen, nicht schlechthin alle Rechtsvorschriften sind der Welt des Beweises entzogen.27 Diese Gleichheit meint nicht nur eine Gleichheit in den verfahrensrechtlichen Ausgangsposi­ tionen, sondern eine Gleichbehandlung vor dem Gesetz, ganz unabhängig von der Vermögens­ lage, s. BVerfG, Beschluss v. 14.10.2008, Az.  1 BvR 2310/06, Rn.  30, BVerfGE 122, 39, 48– 49; BVerfG, Beschluss v. 22.01.1959, Az.  1 BvR 154/55, Rn.  23, BVerfGE 9, 124, 131. Insge­ samt bildet Art.  3 GG gemeinsam mit dem Rechtsstaatsprinzip in Art.  20 Abs.  3 GG und dem Sozialstaatsprinzip in Art.  20 Abs.  2 GG ein Wertesystem, in das sich der Zivilprozess einzu­ fügen hat. Zur objektiven Werteordnung s. BVerfG, Urteil v. 15.01.1958, Az.  1 BvR 400/51, Rn.  26–27, BVerfGE 7, 198, 205. 20  Die Geltung von iura novit curia bestätigend BVerfG, Beschluss v. 15.12.2008, Az.  1 BvR 69/08, Rn.  10, NJW-RR 2009, 1141; BVerfG, Beschluss v. 14.10.1998, Az.  2 BvR 205/91, Rn.  9, WuM 1999, 383; BVerfG, Beschluss v. 25.06.1992, Az.  1 BvR 600/92, Rn.  12, NJW-RR 1993, 383; BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  7, NJW 2016, 957, 958; BAG, Urteil v. 13.02.1975, Az.  3 AZR 211/74, Rn.  11, AP ZPO §  308 Nr.  2. Zu unterscheiden ist der Beweis von Recht von Rechtsausführungen, s. dazu etwa §§  23 Abs.  1 S.  2 HS 1, 92 BVerfGG. 21  BVerfG, Beschluss v. 11.06.1980, Az.  1 PBvU 1/79, Rn.  48, BVerfGE 54, 277, 291: „[D]ie Einheit der Rechtsordnung ist im Kern bedroht, wenn gleiches Recht ungleich gesprochen wird.“ Nach Art.  97 Abs.  1 GG sind die Richter dem Gesetz unterworfen. 22  BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  7, NJW 2016, 957, 958. Formulie­ rung in Anlehnung an Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  163. 23  Dazu bereits Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Band  1 (1828), S.  105. 24  Statt aller Dölle, FS Nikisch (1958), S.  185, 188–189 sowie der Wortlaut von §  293 ZPO. Anders allerdings noch von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190–191, der für Gewohnheitsrecht und ausländisches Recht die Vortrags- und Beweis­ bedürftigkeit bejahte. 25  BGH, Urteil v. 12.07.1984, Az. VII ZR 123/83, Rn.  12, NJW 1984, 2888, 2889; BAG, Urteil v. 13.02.1975, Az.  3 AZR 211/74, Rn.  11, AP ZPO §  308 Nr.  2. 26  Kritisch zu ausländischem Recht BVerwG, Urteil v. 19.07.2012, Az.  10 C 2/12, Rn.  16, BVerwGE 143, 369 sowie BGH, Urteil v. 19.03.1958, Az. IV ZR 148/57, JZ 1959, 411, 412. In rechtsvergleichenden Studien wird für Deutschland bisweilen die funktionale Geltung von iura novit curia für die Ermittlung ausländischen Rechts bezweifelt, s. Esplugues/Iglesias/Palao, Application of Foreign Law (2011), S.  34; A. Mann, JLS/2009/JCIV/PR/0005/E4, S.  190. 27  Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 468–471 m. w. N.

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Vergleichbar mit der alten Rechtsermittlungslehre entzweit auch die Zivilprozes­ sordnung die Rechtsmassen, weil dem Gericht unbekannte Rechtsvorschriften eine Sonderbehandlung erfahren.28 Noch heute wird Recht folglich zivilprozes­ sual nicht überall gleichbehandelt. Im Folgenden wird zuerst die genannte Grundregel in den Blick genommen, dann auf §  293 ZPO sowie weitere Durchbrechungen eingegangen und schließ­ lich werden einige Besonderheiten bei der Einbeziehung von Rechtsanwälten vorgestellt. 1. Kein Rechtsbeweis Wenngleich es an einer ausdrücklichen Vorschrift fehlt, so lässt sich dem System der Zivilprozessordnung doch entnehmen, dass der Inhalt von Rechtssätzen nicht bewiesen werden muss.29 Entscheidend für dieses Verständnis ist ein Umkehr­ schluss: Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind.30 Ist ein Rechtssatz dem Gericht hingegen bekannt oder gehört er nicht einer dieser drei Gruppen an, so ist eine Beweiserhebung über den Inhalt des Rechts weder zulässig noch geboten.31 Folgerichtig sind nur Tatsachen Gegen­ stand eines Beweisbeschlusses, nicht aber Rechtsfragen.32 Gleichzeitig ist ein non liquet in Rechtsfragen ausgeschlossen.33 Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4.  Aufl. 1985, S.  85. ROHG, Urteil v. 28.04.1879, Az. III 407/79, ROHG 25, 53, 57 sowie Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  163: „[D]er Zivilrichter misst menschliches Verhalten am Recht […]. Die Rechtsnormen findet er im Gesetz; sie richtig anzuwenden ist sein Beruf.“ Weitere Nachweise bei Broggini, AcP 155 (1956), 469, 479 mit Fn.  39. Deutlich die Regel in der Schweiz, Art.  57 SchwZPO: „Das Gericht wendet das Recht von Amts wegen an.“ Zu vergleichbaren Regelungen s. Art.  12 Abs.  1 c.p.c. (Frankreich), Art.  113 Abs.  1 c.p.c. (Italien), Art.  218 Abs.  1 Satz  3 l.e.c. (Spanien). 30  Wortlaut von §  293 S.  1 ZPO sowie bereits Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  177. 31  Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  186: „[Nicht] jeder Amtsrichter [soll] die Mitglieder des Reichsgerichts oder berühmte Gelehrte zum Gutachten in seinen Prozessen [zwingen können]“. Gleichzeitig schilderte Stein einen Fall aus dem ausgehenden 19. Jahrhun­ dert, in dem Stobbe tatsächlich vor dem Amtsgericht Leipzig ein Gutachten zum deutschen Recht erstatten musste. 32  Das lässt sich §  359 Nr.  1 ZPO entnehmen. Anders jedoch für den Fall des §  293 ZPO; hier ist ein Beweisbeschluss möglich, s. BGH, Urteil v. 15.06.1994, Az. VIII ZR 237/93, Rn.  24, NJW 1994, 2959, 2960. Die schwierige Frage, ob die Existenz eines inländischen Rechtssatzes Gegenstand des Beweises sein kann, bejahte noch Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  183–184. Heute wird zwischen Existenz und Inhalt eines Rechtssatzes nicht mehr deutlich getrennt. 33  BVerfG, Beschluss v. 14.05.1968, Az.  2 BvR 544/63, Rn.  118, BVerfGE 23, 288, 319. 28 

29 Grundlegend

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Weiterer Ausfluss dieser Grundstruktur ist es, dass zum Recht nicht vorgetra­ gen werden muss.34 Die Klageschrift hat lediglich einen bestimmten Antrag so­ wie eine bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs zu enthalten.35 Anders als im Aktionenrecht ist eine Nennung der rechtlichen Anspruchsgrundlage folglich gerade nicht erforderlich.36 Die Kehr­ seite dieser Konzeption liegt darin, dass Rechtsfragen nicht Teil des Streitgegen­ standes sind.37 Ein Versäumnisurteil kann deshalb auch dann ergehen, wenn die Klageschrift keinerlei Rechtsausführungen enthält.38 Außerdem erwächst die Entscheidung von Rechtsfragen nicht in Rechtskraft.39 Die beweisrechtliche Trennung von Recht und Tatsachen spiegelt sich weiter­ hin darin, dass die Parteien jederzeit rechtlich vortragen dürfen; verspäteten Rechtsvortrag gibt es nicht.40 Eine Änderung der rechtlichen Begründung ist keine Klageänderung.41 Zugleich steht es dem Richter frei, in seinem Urteil den BGH, Urteil v. 25.10.2012, Az. IX ZR 207/11, Rn.  16, NJW 2013, 540, 542; Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  296 ZPO, Rn.  46: „Die Parteien müssen keine Rechtsausführungen machen, denn: jura novit curia.“ Anders aber für Rechtsanwälte BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958. 35  Der Begriff des Antrags ist prozessual zu verstehen und der Grund umschreibt den Le­ benssachverhalt, s. den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff des §  253 Abs.  2 Nr.  2 ZPO sowie BGH, Urteil v. 19.12.1991, Az. IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1. Nach §  130 Nr.  3 ZPO ist zur Begründung der Anträge lediglich die Nennung der „tatsächlichen Verhältnisse“ erforder­ lich. Immer dann, wenn materiellrechtliche Fragen zum Streitgegenstand gezogen werden, zeigt sich das Fortleben des Aktionendenkens. Zur Definition des „Gegenstands“ als „Rechts­ behauptung“ etwa Habscheid, Streitgegenstand (1956), S.  132–133 m. w. N. 36  OLG Frankfurt, Urteil v. 14.02.2008, Az.  15 U 5/07, Rn.  46, ZGS 2008, 315, 320 für einen Fall, in dem der Kläger Schadensersatz gefordert, das Gericht aber Nacherfüllungskosten zusprach. In diese Richtung auch OLG Koblenz, Urteil v. 21.03.2002, Az.  5 U 908/01, Rn.  28, BB 2002, 2089, 2090. 37  BGH, Beschluss v. 03.03.2016, Az. IX ZB 33/14, Rn.  27, NJW 2016, 1818, 1821. Zu den unterschiedlichen in der Literatur vertretenen Varianten s. statt aller Habscheid, Streitge­ genstand (1956), S.  132–152. 38  Das Gericht muss sogar darauf hinweisen, wenn der Vortrag unschlüssig ist, s. BGH, Beschluss v. 12.03.2008, Az. IV ZR 330/06, Rn.  5, NJW-RR 2008, 1649, 1650. 39  BGH, Urteil v. 22.10.2013, Az. XI ZR 42/12, Rn.  15, BGHZ 198, 294, 298–299 sowie Stürner, FS Schütze (1999), S.  913, 917. Die Gründe nehmen an der Rechtskraft nicht teil, BGH, Urteil v. 30.01.1985, Az. IVb ZR 67/83, Rn.  21, BGHZ 93, 330, 334. Eine Ausnahme ergibt sich bei (Zwischen-)Feststellungsklagen, s. zu den damit verbundenen Fragen BGH, Urteil v. 30.11.1989, Az. III ZR 215/88, Rn.  14–20, BGHZ 109, 275, 278–281; BGH, Be­ schluss v. 26.09.2002, Az. IX ZB 180/02, Rn.  11, BGHZ 152, 166, 171. Anders zuletzt Foerste, ZZP 108 (1995), 167, 176–179. 40  BGH, Urteil v. 09.10.2003, Az. VII ZR 335/02, Rn.  17, NJW-RR 2004, 167, 168. 41  BGH, Urteil v. 20.03.2000, Az. II ZR 250/99, Rn.  9, NJW 2000, 1958; BGH, Urteil v. 09.10.1991, Az. VIII ZR 88/90, Rn.  13–21, BGHZ 115, 286, 289–291 sowie die Klarstellung in §  264 Nr.  1 Var. 2 ZPO. 34 

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Anspruch auf die von ihm als einschlägig befundene Rechtsgrundlage zu stüt­ zen.42 Auf den rechtlichen Vortrag der Parteien ist er hierbei gerade nicht be­ schränkt.43 Vielmehr ist das Gericht an die Rechtsauffassungen der Parteien nicht gebunden, sondern kann und muss die Tatsachen eigenständig rechtlich beurteilen.44 Dies gilt auch dann, wenn die Parteien sich über die Rechtslage einig sind.45 Ganz grundsätzlich zeigt sich die geringe Bedeutung von parteilichen Rechts­ ausführungen in einem abgeschwächten Recht auf rechtliches Gehör in Rechts­ fragen.46 Im Ausgangspunkt ist zwar anerkannt, dass die Gerichte auf neue rechtliche Gesichtspunkte hinweisen und die Parteien nicht überraschen soll­ ten.47 Das bedeutet aber nicht, dass den Parteien die Rechtsauffassung des Ge­ BGH, Urteil v. 13.12.1968, Az. V ZR 80/67, Rn.  16, MDR 1969, 468, 469 sowie Rosenberg, ZZP 49 (1925), 38, 40. Zur Stellung des Richters BVerfG, Beschluss v. 08.02.1967, Az.  2 BvR 235/64, Rn.  21, BVerfGE 21, 139, 145–146. 43 RG, Urteil v. 12.03.1904, Az. V 36/04, RGZ 57, 187, 188. OLG Köln, Beschluss v. 18.02.2011, Az.  18 U 139/10, Rn.  9, BeckRS 2012, 19548; OLG Köln, Urteil v. 21.09.1983, Az.  2 U 33/83, MDR 1984, 151: Wechsel von Vertrag auf Bereicherungsrecht. 44  BGH, Urteil v. 13.12.1968, Az. V ZR 80/67, Rn.  16, MDR 1969, 468, 469; BGH, Urteil v. 29.09.1958, Az. II ZR 343/56, NJW 1958, 1968. Anders noch RG, Urteil v. 29.04.1915, Az. VI 668/14, RGZ 86, 377, 378–379. Vertiefend Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteiein­ flusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozess (1977), S.  83–88 m. w. N. 45  BGH, Urteil v. 29.09.1958, Az. II ZR 343/56, NJW 1958, 1968. Anders nur dann, wenn ein Geständnis über eine „juristische Tatsache“ vorliegt, s. dazu BGH, Urteil v. 09.07.1999, Az. V ZR 12/98, Rn.  12, NJW 1999, 3481–3482; BGH, Urteil v. 02.06.1995, Az. V ZR 304/93, Rn.  7, MDR 1996, 578. Kritisch zur Ablehnung einer „Ausschaltungsbefugnis“ durch die Rechtsprechung Rosenberg, ZZP 49 (1925), 38 ff. sowie Baur, FS Bötticher (1969), S.  1, 5–6; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl. 1974, S.  21–23; Schlosser, Einverständli­ ches Parteihandeln im Zivilprozess (1968), S.  33–35 und Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozess (1977), S.  83 jeweils m. w. N. Aus­ führlich zuletzt Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  80–83. 46  Grundlegend BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  35–39, BVerfGE 86, 133, 144–146 zur Auslegung von Art.  103 Abs.  1 GG und §  139 ZPO. Ausführlich zum rechtlichen Gehör bereits Baur, AcP 153 (1954), 393, 402–404 sowie zur Abgrenzung Zuck, AnwBl. 2006, 773–779. Das Gericht muss Rechtsausführungen zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, BVerfG, Beschluss v. 04.07.2016, Az.  2 BvR 1552/14, Rn.  7, AnwBl 2016, 852; BVerfG, Beschluss v. 07.10.2003, Az.  1 BvR 10/99, Rn.  14, BVerfGE 108, 341, 345–346; BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  39, BVerfGE 86, 133, 145–146. 47  Das Gericht hat deshalb grundsätzlich einen Hinweis zu erteilen, wenn ein gewissenhaf­ ter und kundiger Prozessbeteiligter mit der gerichtlichen Rechtsauffassung nicht rechnen muss­ te, s. dazu §  139 Abs.  1 und 2 ZPO. Die Parteien sollen erkennen können, auf welche recht­ lichen Gesichtspunkte es dem Gericht für die Entscheidung ankommt, s. zu einigen Beispielen BVerfG, Beschluss v. 03.07.2001, Az.  1 BvR 1043/00, Rn.  15, NJW-RR 2002, 69, 70 (Recht­ sprechungsänderung); BGH, Urteil v. 21.03.1986, Az. V ZR 23/85, Rn.  18, BGHZ 97, 264, 268–269 (Abweichen von übereinstimmender Rechtsaufassung der Parteien); BGH, Urteil v. 19.12.1975, Az. I ZR 99/74, Rn.  40, NJW 1976, 474 (Anwendung ausländischen Rechts). 42 

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richts vor Ergehen der Entscheidung zwingend mitgeteilt werden müsste.48 Statt­ dessen besteht ausdrücklich kein Anspruch auf ein Rechtsgespräch.49 Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbe­ teiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen.50 2. Januskopf §  293 ZPO Das Urproblem des §  293 ZPO war und ist ein begriffliches: einerseits sollten ausländisches Recht, Gewohnheitsrecht und Statuten dem Recht gleichgestellt werden, andererseits konnte und wollte der Gesetzgeber diesen Schritt in Anse­ hung der Beschränktheit des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht zu Ende gehen.51 Der Wortlaut der Vorschrift zeigt dies eindrücklich: Der Gesetzgeber entschied sich für und nicht gegen die Möglichkeit einer Beweiserhebung.52 Der Beweis ist jedoch gerade für Tatsachen reserviert, weshalb das Entweder-Oder zwischen Recht und Tatsachen durch die Beweisbarkeit von ausgewählten Rechtsvorschriften durchbrochen wird.53 Zwischen Recht und Tatsachen erhebt 48  Grundlegend BVerfG, Beschluss v. 25.01.1984, Az.  1 BvR 272/81, Rn.  77, BVerfGE 66, 116, 147 sowie bestätigend BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  36, BVerfGE 86, 133, 145–146. 49  BVerfG, Beschluss v. 27.07.1971, Az.  2 BvR 443/70, Rn.  13, BVerfGE 31, 364, 370. 50  So ausdrücklich die Formulierung in BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  36, BVerfGE 86, 133, 144–145. 51  Bei ihrer Einführung sollte die Vorschrift die „rationellen Grundsätze, welche die neuere deutsche Doktrin und Praxis entwickelt hat“ in Gesetzesform gießen, s. Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band  2, Civilprozeßordnung (1880), S.  279. Der In­ halt dieser Grundsätze wurde jedoch nicht näher präzisiert. Im Gesetzgebungsverfahren kam es zu keiner Debatte; entsprechend kurz sind die Materialien, s. zum Ganzen ausführlich Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 486–508. Bis heute dauern die Diskussionen um das Verständ­ nis der Vorschrift an, s. zuletzt BGH, Urteil v. 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, NJW 2014, 1244 sowie Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 432–433. 52  Die sprachliche Schwierigkeit, dieses Phänomen in Worte zu fassen, wird dann auch in §  293 ZPO selbst deutlich: §  293 Satz  1 ZPO spricht von einem „Beweis“, obschon Satz  2 das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten als „Rechtsnor­ men“ charakterisiert. Gleichzeitig passt die Vorschrift nicht in das sonstige Begriffssystem, weshalb sie als „verunglückt“ oder „Fremdkörper“ bezeichnet wird, s. etwa Otto, IPRax 1995, 299, 300 oder Kindl, ZZP 111 (1998), 177. Weiterführend Schlesinger, RabelsZ 27 (1962), 54, 70–72 sowie Kralik, ZfRV 3 (1962), 75–81. 53  Das Bundesverwaltungsgericht behandelt die Feststellung ausländischen Rechts in stän­ diger Rechtsprechung „wie eine Tatsachenfeststellung“, s. BVerwG, Urteil v. 19.07.2012, Az.  10 C 2/12, Rn.  16, BVerwGE 143, 369. Zur Rechtsprechung im Zivilrecht s. BGH, Urteil v. 10.07.1975, Az. II ZR 174/74, Rn.  8, NJW 1975, 2142, 2143. Die Möglichkeit eines Rechts­ beweises bestätigt der Wortlaut „Beweis“, die Stellung von §  293 ZPO inmitten von beweis­ rechtlichen Vorschriften sowie die Entstehungsgeschichte. Weiterführend Schlesinger, RabelsZ

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sich damit eine dritte Kategorie, die als beweisbare Rechtsfrage oder abge­ schwächter Rechtsbeweis beschrieben werden kann.54 Die eine Seite des Janus­ kopfes blickt in die Welt der Tatsachen, die andere in die des Rechts; als Tor zwischen beiden gehört §  293 ZPO selbst einer Zwischenwelt an.55 Zuerst wird die richterliche Ermittlungspflicht beleuchtet und dann auf die Durchbrechungen dieser Regel eingegangen. a) Ermittlungspflicht Das Gericht ist bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf seine eigene Rechtskenntnis beschränkt, sondern darf Beweis erheben sowie das „Erforder­ liche“ anordnen.56 Der Inhalt dieser Kompetenz ist bis heute nicht abschließend geklärt.57 Fest steht jedoch: Die Frage, ob aus dieser Ermittlungsbefugnis auch eine richterliche Ermittlungspflicht folgt, wird allgemein bejaht.58 Das Ermes­ 27 (1962), 54, 70–72. Anders allerdings Schilken, FS Schumann (2001), S.  373, 375–376 sowie Geisler, ZZP 91 (1978), 176, 182 mit Fn.  30. 54 Prägnant Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band  1, 6.  Aufl. 1887, S.  51. Ähn­ lich Zajtay, Die Ermittlung ausländischen Rechts, in: Festveranstaltung 40 Jahre MPI (1968), 193, 201 sowie Schlesinger, RabelsZ 27 (1962), 54, 70–72. Rechtspolitisch kritisch zu §  293 ZPO Gruber, ZRP 1992, 6, 7. 55  Broggini sieht den Januskopf zwischen der Befugnis des Richters und der Pflicht zur Rechtsanwendung, s. Broggini, AcP 155 (1956), 469, 478. Folgte man dieser Ansicht, so hätte der Januskopf vier Gesichter. 56  Zum Verhältnis von Ermessensausübung und Parteimitwirkung s. BGH, Urteil v. 30.03.­ 1976, Az. VI ZR 143/74, Rn.  31, NJW 1976, 1581, 1583; BGH, Urteil v. 03.12.1992, Az. IX ZR 229/91, Rn.  19, BGHZ 120, 334, 341–342. 57 Vertiefend Lindacher, FS Schumann (2001), S.  283–294; Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 631–632. 58  BGH, Urteil v. 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, Rn.  15, NJW 2014, 1244, 1245; BGH, Urteil v. 20.03.1980, Az. III ZR 151/79, Rn.  28, BGHZ 77, 32, 38; BGH, Urteil v. 21.02.1962, Az. V ZR 144/60, Rn.  12, BGHZ 36, 348, 352–353; RG, Urteil v. 14.11.1929, Az. IV 665/28, RGZ 126, 196, 202. Aus der Literatur statt aller Broggini, AcP 155 (1956), 469, 477–479. Im 19. Jahrhundert wurde die Frage nach einer Ermittlungspflicht noch verneint, s. grundlegend von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. Mit Bedauern führte Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  179 aus: „Leider hat die C. P. O. in §  265 diesen allein des modernen Richterstandes würdigen Satz nicht aufgestellt. […] Das Gericht kann also, mindestens dem Wortlaute nach, unthätig zusehen und abwarten, was die Partei-Initiative herausbringt. Es [besteht] keine prozessuale Forschungspflicht des Gerichts.“ ROHG, Urteil v. 28.04.1879, Az. III 407/79, ROHG 25, 53, 57: „Je höher der Richter die Eh­ renpflichten seines Berufs erfaßt, desto energischer wird er jene Befugniß bethätigen. Eine absolute Amtspflicht besteht für ihn in dieser Beziehung begrifflich nicht.“ Ähnlich RG, Urteil v. 07.03.1882, Az. II 475/81, RGZ 6, 372, 374. Eine Ermittlungspflicht ebenfalls ablehnend Gaupp, Civilprozeßordnung, Band  1, 2.  Aufl. 1890, S.  538, §  265 CPO Rn.  3; Planck, Lehr­ buch des deutschen Civilprozessrechts, Band  1 (1887), S.  444–445 mit Fn.  10; Struckmann/ Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 2.  Aufl. 1879, S.  225, §  265 CPO Rn.  3;

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sen des Richters beschränkt sich deshalb auf das „Wie“ der Rechtsermittlung; das „Ob“ ist pflichtgebunden.59 Daraus folgt, dass die Parteien keine prozessua­ le Beweisführungslast trifft.60 In der Tat soll es bereits unpassend sein, überhaupt von einem Beweis ausländischen Rechts zu sprechen.61 Die Verant­wortung für die Ermittlung ausländischen Rechts liegt daher in den Händen des Gerichts.62 Dabei ist es auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise ausdrücklich nicht beschränkt, sondern darf auch andere Erkenntnisquellen heranziehen.63 Gleichzeitig findet die Ermittlungspflicht in der ersten Instanz nicht ihr Ende, sondern besteht in der Berufungsinstanz fort.64 Ein fakultatives Kollisionsrecht gibt es gerade nicht.65 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band  1, 6.  Aufl. 1887, S.  42 mit Fn.  3 und 4. Anders jedoch bereits Endemann, Der deutsche Civilprozess, Band  2 (1879), S.  84, §  265 CPO Rn.  3. 59  BGH, Urteil v. 23.06.2003, Az. II ZR 305/01, Rn.  9, NJW 2003, 2685, 2686. Diese Aus­ legung steht im Widerspruch zu der Entstehungsgeschichte und zum Wortlaut; im Gesetz steht „befugt“ und nicht „verpflichtet“, s. dazu Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  179; Kralik, ZfRV 3 (1962), 75, 86; Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 179. Der wesentliche Schritt hin zur Entwicklung einer richterlichen Pflicht lag in dem Gedanken des Richteramtes und dem damit verbundenen Amtsethos. Plastisch Broggini, AcP 155 (1956), 469, 478: „Iura novit curia ist ein Januskopf, dessen beide Gesichter (Befugnis–Aufgabe) nur zusammen lebensfähig sind.“ Eindrücklich Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  179: „Der Richter würde aber den Beruf seines Amtes schlecht verstehen, wenn er von seinem gesetzlichen Rechte nicht Gebrauch machte, so oft er einen Erfolg davon für möglich hält.“ Ähnlich RG, Urteil v. 25.05.1888, Az. III 17/88, RGZ 21, 175, 176–177. 60  BGH, Beschluss v. 21.12.2011, Az. I ZR 144/09, Rn.  11, IPRspr 2011, Nr.  3, 1, 2. 61  Statt aller Broggini, AcP 155 (1956), 469, 478–481. 62  Zur ständigen Rechtsprechung s. BGH, Urteil v. 23.06.2003, Az. II ZR 305/01, Rn.  9, NJW 2003, 2685, 2686. Lediglich in Ausnahmefällen wird der Rückgriff auf ein Ersatzrecht notwendig, s. dazu BGH, Beschluss v. 26.10.1977, Az. IV ZB 7/77, Rn.  19–20, BGHZ 69, 387, 393–394. Der Grund für die Existenz des Ersatzrechts liegt in der Prozesswirtschaftlichkeit, s. BGH, Beschluss v. 26.10.1977, Az. IV ZB 7/77, Rn.  19–20, BGHZ 69, 387, 393–394; BGH, Urteil v. 23.12.1981, Az. IVb ZR 643/80, Rn.  20–21, NJW 1982, 1215, 1216; OLG Köln, Urteil v. 08.07.2016, Az.  1 U 36/13, Rn.  33, BeckRS 2016, 12872. Wären ausländisches Recht, Gewohnheitsrecht und Statuten tatsächlich dem Recht gleichgestellt, so dürfte es ein Ersatzrecht nicht geben. Bildlich Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4.  Aufl. 2013, §  293 ZPO, Rn.  50: „Rollstuhl, wenn die Krücken nicht mehr tragen“. Zur Heranziehung deutschen Rechts durch die Rechtsprechung s. zuletzt ausdrück­ lich OLG Köln, Urteil v. 06.02.2014, Az.  18 U 89/08, Rn.  112, IPRspr 2014, Nr.  238, 610, 618; BGH, Urteil v. 23.12.1981, Az. IVb ZR 643/80, Rn.  20–21, NJW 1982, 1215, 1216; BGH, Be­ schluss v. 26.10.1977, Az. IV ZB 7/77, Rn.  19–20, BGHZ 69, 387, 393–394. 63  Das Gericht kann die genannten Rechtsquelle jederzeit selbst in das Verfahren einführen, s. bereits Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  160; von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. 64  Lediglich in der Revisionsinstanz bestehen gewisse Besonderheiten, s. dazu BGH, Be­ schluss v. 04.07.2013, Az. V ZB 197/12, Rn.  18–20, BGHZ 198, 14, 19–20. 65  Grundlegend zur Konzeption eines solchen Flessner, RabelsZ 34 (1970) sowie zuletzt Wagner, ZEuP 1999, 6.

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Was bei ausländischem Recht, Gewohnheitsrecht oder Statuten zur Ermittlung „erforderlich“ ist, hängt vom Einzelfall ab.66 Grundsätzlich sollten die Parteien dem Gericht bei seiner Ermittlungstätigkeit helfen.67 Dabei handelt es sich rechtstechnisch aber nicht um eine Pflicht, weil eine fehlende Mitwirkung das Gericht nicht von seiner eigenen Ermittlungspflicht entbindet.68 Das Gericht muss die ausländische Rechtslage deshalb letztlich unabhängig von den Rechts­ ausführungen der Parteien ermitteln.69 Folglich haben die Parteien nur scheinbar eine Wahl: Entweder sie tragen zum Recht vor und das Gericht erhebt ein Sach­ verständigengutachten oder sie tragen nicht zum Recht vor und das Gericht er­ hebt auch dann ein Sachverständigengutachten.70 Der Grund dafür liegt in den strengen Ermittlungsanforderungen, die von der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung an die Instanzgerichte gestellt werden; in der Regel führt nur die Erhebung

66  Ausführlich

BGH, Urteil v. 30. 04.1992, Az. IX ZR 233/90, Rn.  28–29, BGHZ 118, 151, 163–164. 67 BGH, Urteil v. 30.03.1976, Az. VI ZR 143/74, Rn.  30–31, NJW 1976, 1581, 1583. Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 631–632: „Mitwirkungspflicht“; Lindacher, FS Schumann (2001), S.  283, 287: „konditionierte Mitwirkungspflicht“; Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 289: „Pflicht zur Mitwirkung“; Sommerlad/Schrey, NJW 1991, 1377, 1380: „besondere Prozeß­ förderungspflicht“. Sofern die ausländischen Rechtsquellen für die Parteien ohne besondere Schwierigkeiten zugänglich sind, wird von ihnen sogar eine konkrete Darstellung des Frem­ drechts erwartet, s. BGH, Urteil v. 30.04.1992, Az. IX ZR 233/90, Rn.  29, BGHZ 118, 151, 164. Dazu kann gehören, ausländische Gesetzestexte und Urteile in Übersetzung vorzulegen oder das ausländische Schrifttum nachzuweisen, Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 632. Es genügt nicht, wenn eine Partei nur das Aktenzeichen eines ausländischen Urteils, nicht aber das Urteil selbst vorlegt, BGH, Urteil v. 30.03.1976, Az. VI ZR 143/74, Rn.  31, NJW 1976, 1581, 1583. Ergibt sich eine besondere Rechtsfolge aus dem ausländischen Recht, so soll diese sub­ stantiiert darzulegen sein, BGH, Urteil v. 30.04.1992, Az. IX ZR 233/90, Rn.  29–32, BGHZ 118, 151, 164–166; BGH, Urteil v. 24.11.1960, Az. II ZR 9/60, Rn.  3, NJW 1961, 410, 411. Das Gericht kann die Parteien überdies mit einem Auflagenbeschluss an der Ermittlung der Rechts­ lage beteiligen, s. OLG Frankfurt, Beschluss v. 13.12.1982, Az.  17 W 62/82, MDR 1983, 410. Vertiefend Huzel, IPRax 1990, 77, 80. Dieser Auflagenbeschluss darf sogar die Beibringung eines privaten Rechtsgutachtens umfassen, OLG Frankfurt, Beschluss v. 13.12.1982, Az.  17 W 62/82, MDR 1983, 410. Zu den Folgen Mankowski, MDR 2001, 194–199. Ablehnend zu diesen Ausnahmen jedoch statt aller Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO, Rn.  53. 68  Kritisch zum Begriff der „Pflicht“ Schilken, FS Schumann (2001), S.  373, 379 sowie Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559, 571 jeweils m. w. N. 69  Zu übereinstimmenden Rechtsausführungen s. BGH, Urteil v. 30. 04.1992, Az. IX ZR 233/90, Rn.  29, BGHZ 118, 151, 164 sowie Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 2. b). 70  Für dieses Gutachten müssen die Parteien dann bezahlen, s. Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 437–439 m. w. N. Überdies kann sich die fehlende Mitwirkung einer Partei nachteilig auf die Kostenlast auswirken, s. Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 290 sowie Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 632.

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eines Sachverständigengutachtens sicher zur Revisionsfestigkeit, weil dadurch eine fehlerhafte Ermessensausübung vermieden wird.71 b) Durchbrechungen Es greift aber zu kurz, aus dieser richterlichen Rechtsermittlungspflicht ganz all­ gemein auf die fehlende Vortrags- und Beweisbedürftigkeit von ausländischem Recht zu schließen.72 Die Fortwirkungen der gemeinrechtlichen Rechtsermitt­ lungslehre zeigen sich schließlich schon daran, dass die Richter den Rechtsinhalt regelmäßig nicht selbst ermitteln, sondern die Unterstützung eines Sachverstän­ digen in Anspruch nehmen.73 Daneben gibt es in der Praxis aber noch weitere Fälle, in denen sich die strenge Rechtsermittlungspflicht nicht durchhalten lässt. Schon im Ausgangspunkt weckt der Umgang der Rechtsprechung mit „un­ streitigen“ Rechtsausführungen Misstrauen.74 So wird etwa angenommen, dass 71 

Nach der Rechtsprechung muss die Ermittlungstätigkeit die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis umfassen und darf sich nicht auf die Rechtsquellen beschränken, s. BGH, Urteil v. 21.01.1991, Az. II ZR 49/90, Rn.  5–11, IPRax 1992, 324, 325; BGH, Urteil v. 23.06.2003, Az. II ZR 305/01, Rn.  9, NJW 2003, 2685, 2686. Das Recht ist deshalb so zu ermitteln, wie es sich in Rechtsprechung und Lehre des Auslands entwickelt hat, BGH, Urteil v. 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, Rn.  15, NJW 2014, 1244, 1245. Ansonsten droht die Aufhebung des Urteils, s. BGH, Urteil v. 12.10.1993, Az. X ZR 25/92, Rn.  20, IPRax 1995, 38, 39. 72  In Ansehung der praktischen Bedürfnisse kreist das wissenschaftliche Interesse vornehm­ lich um das „ausländische“ Recht, obwohl dieses Wort in §  293 ZPO nicht vorkommt. Zu den schwierigen Fragen, die mit der Anwendung ausländischen Rechts verbunden sind s. Kegel, Die Ermittlung ausländischen Rechts, in: Festveranstaltung 40 Jahre MPI (1968), S.  157 ff.; Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3, 8–18 und Schall, ZZP 122 (2009), 293, 313–320. Ur­ sprünglich hing der Begriff des in „einem anderen Staat geltenden Rechts“ nach der Gesetzes­ begründung von dem Gerichtsbezirk des entscheidenden Richters ab: Ein sächsischer Richter durfte sich zur Ermittlung des preußischen Rechts auf die Vorschrift berufen, ein Reichsrichter jedoch nicht. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wurde also mit steigender Instanz kleiner, s. Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band  2, Civilprozeßord­ nung (1880), S.  279–280; Gaupp, Civilprozeßordnung, Band  1, 2.  Aufl. 1890, S.  537, §  265 CPO Rn.  1 sowie Struckmann/Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 2.  Aufl. 1879, S.  225, §  265 CPO Rn.  2. Anders aber bereits Endemann, Der deutsche Civilprozess, Band  2 (1879), S.  83–84, §  265 CPO Rn.  1. Noch 1962 machte der BGH sich diese Ansicht zu eigen, s. BGH, Urteil v. 21.02.1962, Az. V ZR 144/60, Rn.  12, BGHZ 36, 348, 352–353. Die Ansicht wurde bis ins 21. Jahrhundert vertreten, s. noch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 60.  Aufl. 2002, §  293, Rn.  1. und erst vor einigen Jah­ ren endgültig aufgegeben, s. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilpro­ zessordnung, 61.  Aufl. 2003, §  293, Rn.  1. 73  Bisweilen ist bei §  293 ZPO gar von einem „Refugium“ der gemeinrechtlichen Akten­ versendung die Rede, s. etwa Spickhoff, FS Heldrich (2005), S.  419. 74 Die Einzelheiten sind bis heute ungeklärt. Grundlegend war die Entscheidung BAG, Urteil v. 10.04.1975, Az.  2 AZR 128/74, Rn.  40, BAGE 27, 99, 109–110. Ähnlich BGH, Urteil

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im Fall des übereinstimmenden Rechtsvortrags eine starke Vermutung für dessen Richtigkeit spreche.75 Daher gesteht die Rechtsprechung sich selbst zu, weitere eigenständige Nachforschungen zu unterlassen.76 Im Bereich des Schuldrechts gehen die Gerichte sogar unter Umständen von einer konkludenten Rechtswahl aus, wenn beide Parteien zu demselben Recht vortragen.77 Obschon diese Recht­ sprechung vielfach in der Literatur als Heimwärtsstreben abgelehnt wird, weist sie Rechtsausführungen in der Praxis doch eine gewisse Bedeutung zu.78 Daneben zeigt sich der Wert von Rechtsausführungen in besonderen Verfah­ rensarten. In Säumnisverfahren prüfen manche Gerichte den Vortrag von auslän­ dischem Recht nicht nach, sondern werten den Rechtsinhalt schlicht als zuge­ standen.79 Gleichzeitig spricht die Rechtsprechung in Eilrechtsverfahren offen aus, ausländisches Recht müsse „glaubhaft“ gemacht werden.80 Scheitert der Antragsteller daran, kommt die Zurückweisung des Antrags durchaus vor.81 Aus v. 30.04.1992, Az. IX ZR 233/90, Rn.  29, BGHZ 118, 151, 164. Zweifelnd allerdings BVerwG, Urteil v. 19.07.2012, Az.  10 C 2/12, Rn.  14–15, BVerwGE 143, 369. Ausdrücklich aber zuletzt wieder KG Berlin, Beschluss v. 17.03.2014, Az.  20 U 254/12, Rn.  17, NJW 2014, 2737. ­Kritisch zur Linie der Rechtsprechung große Teile der Literatur, s. statt aller Schilken, FS Schu­ mann (2001), S.  373, 380. 75  BAG, Urteil v. 10.04.1975, Az.  2 AZR 128/74, Rn.  40, BAGE 27, 99, 109–110; Sommerlad/Schrey, NJW 1991, 1377, 1381. 76  BAG, Urteil v. 10.04.1975, Az.  2 AZR 128/74, Rn.  40, BAGE 27, 99, 109–110; BGH, Urteil v. 30.04.1992, Az. IX ZR 233/90, Rn.  29, BGHZ 118, 151, 164; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  293 ZPO, Rn.  34; Geimer, in: Zöller, ZPO, 32.  Aufl. 2018, §  293 ZPO, Rn.  17. Diese Ansicht stößt jedoch in der Literatur nicht auf Beifall, s. Schilken, FS Schumann (2001), S.  373, 380. Bedenklich und zirkulär ist überdies, wenn die Gerichte ausländisches Recht nicht ermitteln, weil sie einen ordre public-Verstoß befürchten, s. BGH, Beschluss v. 17.09.1968, Az. IV ZB 501/68, Rn.  17, BGHZ 50, 370, 378; OLG Celle, Urteil v. 04.12.1990, Az.  18 UF 111/89, IPRspr 1990, Nr.  116, 214. 77  BGH, Urteil v. 30.10.2008, Az. I ZR 12/06, Rn.  19, NJW 2009, 1205, 1209; BGH, Urteil v. 12.12.1990, Az. VIII ZR 332/89, Rn.  20, NJW 1991, 1292, 1293. Die Einzelheiten sind um­ stritten und ungeklärt, s. vertiefend zu Art.  3 Rom  I-VO die ausführliche Kommentierung von Spickhoff, in: Bamberger/Roth, BGB, 45. Edition, 01.11.2017, Art.  3 Rom  I-VO, Rn.  28. 78  Zum Ganzen vertiefend Schack, NJW 1984, 2736. 79  OLG München, Urteil v. 23.10.1975, Az.  1 U 2564/75, NJW 1976, 489. Anders aber OLG Koblenz, Urteil v. 28.03.2002, Az.  5 U 1425/01, Rn.  13, IPRspr 2002, Nr.  1, 1, 2 sowie die gesamte Literatur. Statt aller zuletzt Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 632 m. w. N. 80  OLG Frankfurt, Urteil v. 07.11.1968, Az.  6 U 78/68, NJW 1969, 991; OLG Koblenz, Urteil v. 28.01.1993, Az.  5 U 1633/92, Rn.  14, IPRax 1995, 171; OLG Köln, Urteil v. 19.01.­ 2007, Az.  6 U 163/06, Rn.  3, IPRspr 2007, Nr.  169, 473, 474. Anders allerdings erneut die Litera­tur, s. statt aller Sommerlad/Schrey, NJW 1991, 1377, 1381. Im praktischen Ergebnis gibt es letztlich im Eilrechtsschutz gerade keine volle Rechtsprüfung, s. Kropholler, Internationales Privatrecht, 6.  Aufl. 2006, S.  220. 81 So etwa Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 7.  Aufl. 2013, S.  557. Grundsätzlich sollte im Eilrechtsverfahren ein Ersatzrecht Anwendung finden, wenn das aus­

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einer Vielzahl von Gründen ist eine Rechtsfehlerkorrektur in der Revisions­ instanz außerdem nur eingeschränkt möglich.82 Das Revisionsgericht berück­ sichtigt grundsätzlich keinen neuen Rechtsvortrag zum ausländischen Recht und entscheidet auch nicht, ob eine ausländische Rechtsvorschrift richtig oder falsch ausgelegt wurde.83 Diese Sonderfälle dürfen aber nicht den Blick darauf verstellen, dass deutsche Richter den Inhalt des ausländischen Rechts in der Regel ermitteln sollen, müs­ sen und werden.84 Die Durchbrechungen dienen lediglich dem Prinzip der Zu­ ländische Recht nicht ermittelt werden kann, s. OLG Köln, Urteil v. 03.12.1993, Az.  6 U 247/93, GRUR 1994, 646. Dies ist aber ein schwacher Trost, wenn der Anspruch sich nur aus dem ausländischen Recht ableiten lässt. Vertiefend Kreuzer, NJW 1983, 1943, 1944 mit Fn.  21 und Kropholler, Internationales Privatrecht, 6.  Aufl. 2006, S.  219–221. Letztlich geht die Er­ mittlungspflicht des Gerichts nicht über die sogleich heranziehbaren Erkenntnisquellen hinaus, OLG Frankfurt, Urteil v. 07.11.1968, Az.  6 U 78/68, NJW 1969, 991; OLG Koblenz, Urteil v. 28.01.1993, Az.  5 U 1633/92, Rn.  14, IPRax 1995, 171; OLG Köln, Urteil v. 19.01.2007, Az.  6 U 163/06, Rn.  3, IPRspr 2007, Nr.  169, 473, 474. Der gängige Ratschlag lautet deshalb, dem Antrag von Beginn an ein Gutachten über die ausländische Rechtslage beizulegen, s. Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4.  Aufl. 2013, §  293 ZPO, Rn.  15 sowie Sommerlad/Schrey, NJW 1991, 1377, 1381–1382. 82  Besonders anschaulich wird die Tatsachennähe von ausländischem Recht in der Revi­ sionsinstanz belegt, s. BGH, Beschluss v. 04.07.2013, Az. V ZB 197/12, Rn.  18–20, BGHZ 198, 14, 19–20 sowie Sturm, JZ 2011, 74–78. Grundlegend bereits BGH, Urteil v. 19.03.1958, Az. IV ZR 148/57, JZ 1959, 411, 412. Unter „Recht“ im Sinne von §§  560 ZPO, 72 Abs.  1 S.  1 FamFG ist nach der Rechtsprechung in der Revision nur „inländisches Recht“ zu verstehen, BGH, Beschluss v. 04.07.2013, Az. V ZB 197/12, Rn.  19, BGHZ 198, 14, 19. Diese Auslegung wird vielfach in der Literatur abgelehnt, s. etwa Riehm, JZ 2014, 73, 78 sowie ausführlich zum Ganzen Jacobs/Frieling, ZZP 127 (2014), 137–168. 83  Grundlegend BGH, Urteil v. 08.11.1951, Az. IV ZR 10/51, Rn.  11–12, BGHZ 3, 343, 345–347 sowie BGH, Urteil v. 29.06.1987, Az. II ZR 6/87, Rn.  11, NJW 1988, 647. Anders kann dies beim Nachweis eines Verfahrensfehlers sein, s. dazu Fastrich, ZZP 97 (1984), 423, 443–445. Zur Abgrenzung zwischen irreversibler Rechtsanwendung und revisiblem Verfah­ rensverstoß Pfeiffer, NJW 2002, 3306–3308. Grundsätzlich ist das Revisionsgericht nur an die Feststellung von Existenz und Inhalt des ausländischen Rechts gebunden, s. §  560 ZPO sowie BGH, Beschluss v. 04.07.2013, Az. V ZB 197/12, Rn.  13, BGHZ 198, 14, 18. Selbst bei ermes­ sensfehlerhafter Ermittlung darf das Revisionsgericht den Inhalt des ausländischen Rechts aber nicht selbst feststellen, sondern muss an das Tatgericht zurückverweisen, BGH, Urteil v. 19.03.­ 1958, Az. IV ZR 148/57, JZ 1959, 411, 412. Eine Rechtsfortbildung von ausländischem Recht durch das Revisionsgericht kann und soll es gerade nicht geben, BGH, Beschluss v. 04.07.2013, Az. V ZB 197/12, Rn.  21, BGHZ 198, 14, 20–21. Anders vor Klärung durch den BGH noch Hess/Hübner, NJW 2009, 3132, 3135. Kritisch insgesamt Jacobs/Frieling, ZZP 127 (2014), 156–157. Scheitert das Tatgericht ermessensfehlerfrei an der Ermittlung des ausländischen Rechts und wendet deutsches Recht an, so kann dieses Verhalten mit der Revision ebenfalls nicht angegriffen werden, Sommerlad/Schrey, NJW 1991, 1377, 1383. 84  Weitere Nachweise bei Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten (2014), S.  413. Obschon eine formelle Beweisbedürftigkeit nicht besteht, haben die Parteien für Sach­

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mutbarkeit, weil von der deutschen Richterschaft nicht verlangt werden kann, das ausländische so gut wie das inländische Recht zu kennen.85 3. Begriffsjurisprudenz und Rechtsbeweis Neben dem direkten Anwendungsbereich von §  293 ZPO lassen sich weitere Ausnahmefälle finden, in denen die Zivilprozessordnung die Beweisbedürftig­ keit von Recht bei funktionaler Betrachtung zulässt.86 Grundsätzlich hängt die Beweisbedürftigkeit von der Zuordnung zu den Kategorien „Tatsachen“, „Recht“ sowie „ausländisches Recht“, „Gewohnheitsrecht“ und „Statuten“ ab.87 Wird eine Rechtsquelle innerhalb dieser Stufenordnung verschoben, so verändert sich dadurch die Beweisbedürftigkeit; bisweilen gilt „Recht“ als „Tatsache“ oder in­ ländisches Gesetzes- und Verordnungsrecht wird dem Anwendungsbereich des §  293 ZPO zugewiesen.88 Die zunehmende Ausdifferenzierung, die Spezialisierung und die Internatio­ nalisierung der Rechtsordnung führen letztlich dazu, dass der Anwendungsbe­ reich von §  293 ZPO gewisse Erweiterungen erfährt.89 Dementsprechend lässt die ständige Rechtsprechung die Anwendung von §  293 ZPO zur Klärung steu­ errechtlicher Fragen zu.90 Herangezogen wird die Vorschrift überdies für nicht verständigengutachten zu bezahlen, s. Kindl, ZZP 111 (1998), 177, 184. Aus diesem Grund kann es nicht überraschen, wenn ausländischem Recht, Gewohnheitsrecht oder Statuten eine gewisse Tatsachennähe attestiert wird, s. ausdrücklich noch BGH, Urteil v. 19.03.1958, Az. IV ZR 148/57, JZ 1959, 411, 412 sowie zuletzt BVerwG, Urteil v. 19.07.2012, Az.  10 C 2/12, Rn.  16, BVerwGE 143, 369, 375. Ebenso Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess (2015), S.  29 sowie Pfeiffer, NJW 2002, 3306, 3308. 85  Kindl, ZZP 111 (1998), 177–179; Mankowski, MDR 2001, 194. Besonders deutlich zeigt sich dies an dem berühmten Fall des venezolanischen Schiffspfandrechts, in dem insgesamt acht Rechtsgutachten erhoben wurden, s. BGH, Urteil v. 21.01.1991, Az. II ZR 49/90, Rn.  5–11, IPRax 1992, 324, 325 sowie Sommerlad, RIW 1991, 856. 86  Es ist erforderlich, sich funktional von den Systembegriffen der deutschen Rechtsord­ nung zu lösen, um diese Fallgruppen aufzudecken, s. zu diesem Ansatz Kischel, Rechtsverglei­ chung (2015), S.  91. 87  Zu den Problemen Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 8–20; Nierwetberg, JZ 1983, 237, 238–240. 88 Gleichzeitig hat die Rechtsgeschichte gezeigt, wie sich die Zuordnung zu derartigen Stufen verschieben lässt, s. exemplarisch Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. I. 1. 89  Zum Beispiel ist nicht gesichert, ob die Parteien transnationales Recht oder die lex merca­ toria beweisen müssen oder ob §  293 ZPO Anwendung findet. Zu Fragen des transnationalen Rechts s. Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  112–117; 189–190 m. w. N. 90  BGH, Urteil v. 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, Rn.  7, BGHZ 140, 111, 113; BGH, Urteil v. 11.11.1987, Az. IVa ZR 143/86, Rn.  13, BGHR ZPO §  293 Steuerrecht 1. Die Wissenschaft bekämpft diese Rechtsprechung, s. etwa Nickl, NJW 1989, 2091, 2093–2094 sowie Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 269.

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mehr geltendes Recht; in diesem Bereich wird der Rechtsinhalt mit rechtshisto­ rischen Gutachten belegt.91 Außerdem weist die Rechtsprechung dem Begriff „Statuten“ mit Tarifverträgen und bestimmten öffentlich-rechtlichen Satzungen heute zusätzliche Rechtsmaterien zu.92 Ist eine bestimmte Rechtslage im Ausland eine Tatbestandsvoraussetzung, so muss der Kläger die ausländische Rechtslage als Tatsache vortragen und bewei­ sen.93 Für die Anknüpfungstatsachen gilt das ebenfalls; sonst bleibt der interna­ tionale Bezug des Falles dem Gericht verborgen.94 Überdies können die Parteien die Existenz von Anknüpfungstatsachen unstreitig stellen und dadurch das inter­ nationale Gepräge des Streitfalls beeinflussen.95 Im Bereich der Datumtheorie werden ausländische Rechtsvorschriften ebenfalls nur als Tatsachen berücksich­ tigt, obschon das nicht in das Gesamtsystem passen will.96 Gesichert ist die Beweisbedürftigkeit außerdem bei Handelsbräuchen.97 Auf den ersten Blick könnten Handelsbräuche ein besonders praxisrelevantes Bei­ 91  Zu ebenbürtigen Ehen OLG Stuttgart, Beschluss v. 21.11.2001, Az.  8 W 643/00, Rn.  9, FamRZ 2002, 1365, 1366. Durch Zeitablauf kann Recht deshalb praktisch beweisbedürftig werden; es ist eine Vereinfachung für die Richterschaft, wenn Gutachten über nicht mehr gelten­ des Recht erhoben werden dürfen. Insgesamt kritisch Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 269–271. 92  Meder geht davon aus, der ursprüngliche Begriffsinhalt von „Statut“ sei in Vergessenheit geraten, s. Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  186–187 sowie vertiefend Feurer, ZZP 123 (2010), 427, 428–430. Mit der Staatswerdung verschwanden Statuten nach und nach, im modernen Gesetzesstaat sind sie ihrer klassischen Bedeutung enthoben, s. Oestmann, FS Sel­ lert (2000), S.  467, 469–470 m. w. N. Dennoch ist der Begriff nicht entfallen; vielmehr wurde schlichtweg sein Inhalt ausgetauscht, s. Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  189–190. Obschon Tarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz ausdrücklich Rechtsnormen sind, gelten für sie zivilprozessual die besonderen Anforderungen des §  293 ZPO, s. BAG, Urteil v. 29.03.1957, Az.  1 AZR 208/55, Rn.  6, BAGE 4, 37, 39 sowie zur Rechtsnatur §  1 Abs.  1 TVG. Ähnlich verhält es sich bei Satzungen, die öffentlich-rechtliche Körperschaften im Rahmen ihrer Selbstverwaltung erlassen, s. zur Rechtsqualität etwa BVerfG, Urteil v. 14.07.1959, Az.  2 BvF 1/58, Rn.  140, BVerfGE 10, 20, 50. Dennoch sollen sie nach §  293 ZPO beweisbar und unter Umständen auch beweisbedürftig sein, s. zu den umstrittenen Einzelheiten Feurer, ZZP 123 (2010), 427, 428 mit Fn.  10. 93  BGH, Urteil v. 09.05.1985, Az. I ZR 99/83, Rn.  30–39, NJW 1985, 2895, 2896; BGH, Urteil v. 22.06.1989, Az. I ZR 126/87, Rn.  29–30, NJW-RR 1989, 1383, 1384; Sommerlad/ Schrey, NJW 1991, 1377. 94 Ausführlich zu der Beweislast Seibl, Die Beweislast bei Kollisionsnormen (2009), S.  339–346. 95  Trautmann, ZEuP 2006, 283, 289; Wagner, ZEuP 1999, 6, 21–24. 96  Vgl. der Wortlaut von Art.  17 Rom  II-VO: „faktisch […] zu berücksichtigen“ sowie KOM(2003) 427, S.  28. Zu den Schwierigkeiten Junker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom  II-VO, Rn.  22–23, 32. Zur Datumtheorie demnächst Harms, Neu­ auflage der Datumtheorie (2019) sowie grundlegend für Europa Jayme, GS Ehrenzweig (1976), S.  37–49. 97  Insgesamt kritisch Oestmann, JZ 2003, 285–290. Die Kammer für Handelssachen ent­

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spiel des Gewohnheitsrechts sein.98 Ähnlich wie das Gewohnheitsrecht erfordern Handelsbräuche eine dauerhafte tatsächliche Übung sowie den Willen der ver­ bindlichen Geltung.99 Dennoch werden Handelsbräuche als Tatsachen behandelt und müssen deshalb von den Parteien vorgetragen und bewiesen werden.100 Zuletzt ist bemerkenswert, dass es sich bei vertraglichen Bestimmungen pro­ zessual nicht um Recht, sondern um beweisbedürftige Tatsachen handelt.101 Be­ grifflich ist der Vertrag ein Rechtsgeschäft, das eine Rechtsbeziehung zwischen den Parteien rechtlich begründet und regelt.102 Zahlreiche Ansprüche folgen un­ mittelbar aus Verträgen.103 Obschon es sich also um subjektives Recht zwischen den Parteien handelt, müssen die Parteien diese Art von Recht vortragen und beweisen.104 Selbst wenn ein Vertrag als Anlage vorgelegt wird, hat das Gericht die darin enthaltenen Anspruchsgrundlagen deshalb grundsätzlich nur zu berück­ scheidet über ihre Existenz auf Grund eigener Sachkunde und Wissenschaft, s. §  114 GVG sowie zuletzt BGH, Urteil v. 20.02.2003, Az. III ZR 184/02, Rn.  11, NJW-RR 2003, 699, 700. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass Handelsbräuche als Verkehrssitte des Handels we­ gen §  346 HGB in den betreffenden Kreisen als Recht „gelten“. 98  Die Bildung von Gewohnheitsrecht erfordert nach wie vor tatsächliche Übung der betei­ ligten Verkehrskreise; die Parallele zum gemeinen Recht könnte nicht deutlicher sein. Zur De­ finition des Gewohnheitsrechts s. BVerfG, Beschluss v. 28.06.1967, Az.  2 BvR 143/61, Rn.  25, BVerfGE 22, 114, 121 sowie zu einigen Anwendungsfällen BGH, Urteil v. 21.04.2016, Az. I ZR 198/13, Rn.  84–86, BGHZ 210, 77, 104–105; BGH, Beschluss v. 04.09.2013, Az. XII ZB 526/12, Rn.  16, NJW 2014, 387, 388; BGH, Urteil v. 19.03.2013, Az. VI ZR 56/12, Rn.  29, BGHZ 197, 1, 13. 99 Zum Begriff des Handelsbrauchs s. BGH, Urteil v. 25.11.1993, Az. VII ZR 17/93, Rn.  10, NJW 1994, 659, 660. 100  BGH, Urteil v. 11.11.2001, Az. V ZR 492/99, Rn.  11, NJW 2001, 2464, 2465. In der Literatur wird versucht, zwischen Handelsbräuchen und Handelsgewohnheitsrecht zu unter­ scheiden; die Abgrenzung erzeugt aber „große Schwierigkeiten“, s. Ebenroth, in: Boujong/ Joost/Strohn/Joost, Handelsgesetzbuch, 3.  Aufl. 2015, §  346 HGB, Rn.  5. Die Trennlinie zwi­ schen Handelsbrauch und Handelsgewohnheitsrecht entscheidet im Zivilprozess darüber, ob §  293 ZPO Anwendung findet oder nicht. Letztlich handelt es sich bei der Einordnung von Handelsbräuchen als Tatsachen um eine pragmatische Erleichterung, weil Richtern die Kennt­ nis von Handelsbräuchen nicht zugemutet werden soll. Kritisch Oestmann, JZ 2003, 285, 290, der stets §  293 ZPO anwenden möchte. 101  Sogar der Vertragsschluss selbst kann eine geständnisfähige Tatsache sein, s. BGH, Ur­ teil v. 29.10.1979, Az. VIII ZR 293/78, Rn.  15, WM 1980, 193, 194. 102  Verträge gestalten die Rechtsverhältnisse des Einzelnen nach seinem Willen, s. BVerfG, Beschluss v. 19.10.1993, Az.  1 BvR 567/89, Rn.  51, BVerfGE 89, 214, 231. Grundlegend zur Autonomie als Rechtsquelle neben den staatlichen Gesetzen bereits Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  1, 2.  Aufl. 1882, S.  129–134. 103  Zum Begriff des Anspruchs §  194 Abs.  1 BGB. Bis heute ist streitig, ob die Rechtsmacht aus dem Vertrag selbst oder aus der objektiven Rechtsordnung fließt, s. dazu bereits Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band  1, 6.  Aufl. 1887, S.  97–101 104  Kritisch zu dieser Unterscheidung Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  223–227. Überdies gelten selbst weit verbreitete Allgemeine Geschäftsbedingungen sowie Satzungen

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sichtigen, wenn der Kläger sie in seiner Klageschrift in Bezug genommen hat.105 Ein Anspruch aus Vertrag steht also beweisrechtlich schlechter als ein Anspruch aus Gesetz.106 Aus diesen Beispielen lassen sich zwei Beobachtungen ableiten. Erstens ist auch für einen deutschen Richter nicht jedwedes Recht bekannt oder gar ermit­ telbar.107 Zweitens handelt es sich bei den Durchbrechungen lediglich um Aus­ nahmen, deren Existenz die Geltung der allgemeinen Regel bestätigt, wonach Recht nicht zu beweisen ist. Nach Möglichkeit sollen und müssen deutsche Rich­ ter die Allgemeinheit des Gesetzes zur Entfaltung bringen und gleiches Recht in gleichen Fällen gleich anwenden.108 4. Rechtsanwaltsperspektive Nach allem steht fest, dass die Schriftsätze von Naturalparteien im praktischen Regelfall keine Rechtsausführungen enthalten müssen.109 Anders ist dies bei der Einbeziehung von Rechtsanwälten, die nach Ansicht der Rechtsprechung zum Rechtsvortrag verpflichtet sein sollen.110 Diese anwaltliche Rechtsvortragspflicht ist mit dem Anwaltszwang funktional verknüpft.111 Der Anwaltszwang dient dazu, von großen Gesellschaften nicht als Recht, sondern als Tatsachen, s. Feurer, ZZP 123 (2010), 427, 428–429. 105  Der Beklagte soll der Klageschrift selbst entnehmen können, worauf die Klage gestützt wird und das Gericht soll sich den Sachverhalt nicht aus den beigefügten Unterlagen „zusam­ mensuchen“ müssen, s. Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  253 ZPO, Rn.  32 sowie zu den schwierigen Einzelheiten BGH, Urteil v. 17.07.2003, Az. I ZR 295/00, Rn.  16, NJW-RR 2004, 639, 640. Arbeitet sich der Richter dennoch in einen umfang­ reichen Vertragstext ein, so wird jedenfalls an einen Hinweis nach §  139 ZPO zu denken sein. 106  Den Anspruch aus Gesetz ermittelt der Richter ganz unabhängig von der Bezugnahme in der Klageschrift selbst, s. dazu Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  175–177. 107  Für sich selbst spricht die Rechtsprechung des BVerwG, Beschluss v. 21.07.1998, Az.  6 B 44/98, NVwZ 1999, 187, wonach das Gericht zur Bewertung von Prüfungsleistungen im Zweiten Juristischen Staatsexamen ein Sachverständigengutachten einholen darf, wenn es mit dem abgeprüften Rechtsgebiet nicht vertraut ist. Zahlreiche weitere aktuelle Beispiele bei ­Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  189–190 mit Fn.  13. 108  BVerfG, Beschluss v. 12.02.1992, Az.  1 BvL 1/89, Rn.  28, BVerfGE 85, 337, 345; ­BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135. 109  Statt aller Blomeyer, ZPO (1963), S.  84. 110  BGH, Urteil v. 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, Rn.  14, NJW 2009, 987, 988 leitet aus §  137 Abs.  2 Hs.  2 ZPO sowie seiner Stellung im Verfahren eine Pflicht des Rechtsanwalts zum Rechtsvortrag ab. Bestätigend BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958. Die gegenteilige Einschätzung von Kötz, FS Zajtay (1982), S.  277, 283–284 ist heute überholt. Kritisch dazu Medicus, AnwBl. 2004, 257 sowie zuletzt Borgmann, NJW 2016, 957, 959. 111  Vor den Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof müssen die Parteien sich anwaltlich vertreten lassen, §  78 ZPO. Vor dem Bundesgerichtshof ist sogar die

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die Zusammenarbeit von Gerichten und Anwaltschaft zu stärken und damit zu ei­ ner geordneten Rechtspflege beizutragen; anwaltliche Rechtsausführungen sind Kernbestandteil dieser Zusammenarbeit.112 Gleichzeitig ergibt sich die anwalt­ liche Rechtsvortragspflicht aber auch unmittelbar aus dem Mandatsvertrag.113 Schon aus diesem Grund muss der Rechtsanwalt nach Kräften darauf hinwirken, rechtliche Irrtümer und Versehen des Gerichts zu verhindern bzw. auszuräumen.114 Verletzt der Rechtsanwalt seine Rechtsvortragspflicht, so droht eine scharfe Haftung.115 Diese Haftung greift sogar dann ein, wenn das Gericht selbst die Rechtslage verkannt hat.116 Der Grund dafür liegt darin, dass Rechtsanwälte sich auf die richterliche Rechtskenntnis gerade nicht verlassen dürfen.117 Dieser Me­ Vertretung durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt erforderlich, §  78 Abs.  1 S.  3 ZPO. Ausnahmen vom Anwaltszwang können sich aus §  10 Abs.  1 FamFG ergeben. Lediglich in den wirtschaftlich wenig bedeutsamen Verfahren vor den Amtsgerichten besteht grundsätzlich kein Anwaltszwang; s. aber §  114 Abs.  1 FamFG. 112  BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958; BGH, Urteil v. 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, Rn.  8, NJW 2009, 987 sowie BVerfG, Beschluss v. 12.05.1993, Az.  1 BvR 582/93, Rn.  2, NJW 1993, 3192; BGH, Beschluss v. 11.05.2005, Az. XII ZB 242/03, Rn.  10, NJW-RR 2005, 1237–1238. 113  Grundlegend BGH, Urteil v. 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, Rn.  8 sowie 14, NJW 2009, 987–988. Erwartet werden kann der Vortrag zu Gesetzen, Rechtsverordnungen, der höchstrich­ terlichen Rechtsprechung sowie durchaus auch zu Spezialfragen; in diesen Bereichen wird anwaltliche Rechtskenntnis oder jedenfalls Einarbeitung verlangt. Zu den Einzelheiten BGH, Urteil v. 03.04.2013, Az. IV ZR 239/11, Rn.  18, NJW 2013, 2121, 2122; BGH, Urteil v. 22.09.2005, Az. IX ZR 23/04, Rn.  10, NJW 2006, 501, 502; BGH, Urteil v. 29.03.1983, Az. VI ZR 172/81, Rn.  16, NJW 1983, 1665. Eine Fortbildungspflicht regelt §  43a Abs.  6 BORA. 114  BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958; BGH, Urteil v. 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, Rn.  8, NJW 2009, 987. Voraussetzung für anwaltliche Rechts­ausführungen ist die Rechtskenntnis des Rechtsanwalts, BGH, Urteil v. 22.09.2005, Az. IX ZR 23/04, Rn.  10, NJW 2006, 501, 502, die ihrerseits verlangt werden kann, weil der Zu­ gang zum Beruf des Rechtsanwalts die Befähigung zum Richteramt erfordert, §  4 BRAO. Es ist eine anwaltliche Pflicht, „das Rechtsdickicht zu lichten“, BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958. 115  Borgmann, NJW 2016, 957, 959 bezeichnet diese Haftung gar als „unbeherrschbar“. Eingeschränkt wird die Pflicht des Rechtsanwalts lediglich dadurch, dass er für seinen Man­ danten nachteilige Rechtsausführungen nicht vortragen muss, weil er nur die Interessen seines Mandanten zu vertreten hat, s. BGH, Urteil v. 11.02.1999, Az. IX ZR 14/98, Rn.  9, NJW 1999, 1391. §  138 Abs.  1 ZPO erfasst nur eine Wahrheitspflicht über Tatsachen. Der wahrheitswidrige Rechtsvortrag ist folglich nicht strafbar, s. OLG Koblenz, Beschluss v. 25.01.2001, Az.  2 Ws 30/01, Rn.  4, NJW 2001, 1364. Umgekehrt besteht aber selbstredend keine Pflicht, falsche Rechtsausführungen zu machen. 116  Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde mittlerweile von BVerfG, Beschluss v. 22.04.2009, Az.  1 BvR 386/09, Rn.  16, NJW 2009, 2945, 2946 bestätigt. Kritisch noch ­BVerfG, Beschluss v. 12.08.2002, Az.  1 BvR 399/02, Rn.  13–14, NJW 2002, 2937, 2938. 117  BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958; BGH, Urteil v. 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, Rn.  14, NJW 2009, 987, 988.

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chanismus führt im Ergebnis dazu, dass Rechtsausführungen auch und gerade zur Vermeidung einer Anwaltshaftung funktional geboten sind.118 Zu unterscheiden von der anwaltlichen Haftung sind aber die Folgen bei un­ terbliebenem Rechtsvortrag.119 Anders als im aktionenrechtlichen Denken trifft die Parteien kein prozessualer Nachteil, wenn der Rechtsanwalt rechtlich nicht oder fehlerhaft vorträgt.120 Vielmehr droht allein das Risiko eines Rechtsirrtums des Gerichts, der jedoch durch den Instanzenzug ausgeräumt werden kann.121 Letztlich ist und bleibt das Aktionendenken damit abgeschafft.122

II. Richterliche Rechtskenntnis Wie gesehen unterscheidet der Gesetzgeber zwischen den Rechtsquellen, die das Gericht kennen muss und denjenigen, bei deren Ermittlung ihm besondere Be­

Medicus, AnwBl. 2004, 257, 260–263. Die Kosten für die Einbindung von Rechtsanwälten tragen die Parteien, nicht die Staats­ kasse, §  91 Abs.  2 ZPO. Funktionale Ausnahmen können sich im Bereich der Prozesskostenhil­ fe ergeben, §  121 ZPO. Allerdings können die Anwaltskosten trotz Prozesskostenhilfe von der Gegenseite eingetrieben werden, §  126 ZPO. Überdies müssen die Anwaltskosten der Gegen­ seite nach §  123 ZPO im Falle des Unterliegens übernommen werden. Eine Kostentragung seitens der unterlegenen Partei umfasst nach §  91 Abs.  2 ZPO außerdem nur die gesetzlichen Gebühren und Auslagen für Rechtsanwälte, nicht aber höhere Sätze, s. OLG Dresden, Be­ schluss v. 14.07.2005, Az.  1 AR 120/04, Rn.  11, Rpfleger 2006, 44; offen gelassen von BGH, Beschluss v. 13.11.2014, Az. VII ZB 46/12, Rn.  18, NJW 2015, 633, 634 m. w. N. 120  Die Schlüssigkeit der Klage ist von den Rechtsausführungen unabhängig, Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  166 und 172–173. Ausdrücklich angeordnet und erforder­ lich kann Rechtsvortrag vor den höchsten Gerichten sein. Für eine zulässige Revision vor dem Bundesgerichtshof müssen die Revisionsgründe vorgetragen werden. Die alte Fassung von §  554 Abs.  3 Nr.  3 a) ZPO verlangte ausdrücklich die Bezeichnung der „verletzten Rechts­ norm“. Der neue §  551 Abs.  3 Nr.  2 ZPO entspricht „im Wesentlichen“ der alten Vorschrift und soll insbesondere „die Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung der Rechtsverlet­ zung“ konkretisieren, BT-Drs. 14/4722, S.  107. Nach der Rechtsprechung muss der Rechtsfeh­ ler in einer Weise verdeutlicht werden, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt, BAG, Urteil v. 17.07.2007, Az.  9 AZR 819/06, Rn.  31, NJW 2007, 3739, 3741. Zu den Einzelheiten BGH, Beschluss v. 26.06.2003, Az. III ZB 71/02, Rn.  9, NJW 2003, 2532, 2533 sowie Görisch/Hartmann, NVwZ 2007, 1007–1012. Ähnlich verhält es sich mit der Ver­ fassungsbeschwerde, die nur zulässig erhoben werden kann, wenn Rechtsvortrag zu den Grundrechtsverletzungen erfolgt, s. §§  23 Abs.  1 S.  2; 92 BVerfGG sowie BVerfG, Beschluss v. 07.12.2011, Az.  2 BvR 2500/09, Rn.  96, BVerfGE 130, 1, 21; BVerfG, Beschluss v. 15.06.1988, Az.  1 BvR 1301/86, Rn.  31, BVerfGE 78, 320, 329. 121  Die Behebung von Rechtsirrtümern ist gerade der Sinn der Rechtsmittel, Hahn, Die ge­ sammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band  2, Civilprozeßordnung (1880), S.  139–140. 122  Vertiefend Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. I. 3. 118 Ausführlich

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fugnisse zukommen.123 Vorausgesetzt wird die Kenntnis aller Rechtsquellen, bei denen es sich nicht um ausländisches Recht, Gewohnheitsrecht oder Statuten handelt. Die Erwartungen, die der Gesetzgeber an die Rechtskenntnis seiner Richter stellt, sind dementsprechend hoch. Treffend fasste Stein bereits 1893 zu­ sammen: „Bezüglich des inländischen Gesetzesrechts besteht nun für den Civilrichter eine absolute, durch Nichts eingeschränkte Wissenspflicht über Dasein und Inhalt […]. [D]er Richter [muss] in jedem Prozesse, wo er irgend welchen Zweifel hat, seine Gesetzsammlung bis in die ältesten Zeiten zurück durchforschen […], ob er einen auf seinen Fall zutreffenden geltenden Rechts­ satz findet.“124

Ist die Grundkonzeption unverändert geblieben, so haben sich doch die äußeren Umstände für die richterliche Rechtskenntnis gewandelt. Im Laufe der Zeit hat der Erlass von neuen Rechtsvorschriften immer weiter zugenommen.125 Derzeit sind in Deutschland Tausende Gesetze und Verordnungen mit Abertausenden Einzelvorschriften in Kraft.126 Immer wieder wird über das Anschwellen der Re­ gulierung geklagt; Schlagworte wie „Gesetzesflut“ oder „Übernormierung“ ge­ ben Zeugnis dieser Entwicklung.127 Dies führt zu einer neuen Rechtsvielfalt, die an die Zeiten des gemeinen Rechts erinnert.128 Bislang hatte der Gesetzgeber aber kein Erbarmen, sondern hält weiter an der ehernen Regel der richterlichen Gesetzeskenntnis fest.129 Es stellt sich deshalb die Frage, welche Methoden der Gesetzgeber zur Absicherung der Rechtskenntnis seiner Richterschaft wählt. Eingegangen wird zuerst auf die eigenständige Rechtskenntnis des Richters und anschließend auf die Einbeziehung Dritter. 123  §  293 Satz  1 ZPO: „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind.“ 124  Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  177–178. 125  Eine detaillierte Darstellung findet sich bei Vogel, JZ 1979, 321–322. 126  Krebs/Jung, BB 2014, 3081, 3082 mit genauen Zahlen. Die Datenbank juris umfasst fast zwei Millionen Gesetzes- und Verordnungsvorschriften. 127  Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  607 sowie Krebs/Jung, BB 2014, 3081. 128  Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  40. Zuletzt wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob der moderne Staat überhaupt noch allgemeine Gesetze aufstelle, s. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  609: „Höchste Richter übersehen bei der Falllösung einschlägige Normen.“ Teilweise wird sogar die Forderung der Begrenzung des juristischen Wissens auf den Schönfelder gefordert, s. für die Rechtskenntnis des Rechtsanwalts Medicus, AnwBl. 2004, 257, 262. Sehr kritisch zu Einschränkungsversuchen Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 268. 129  Dies entspricht auch der herrschenden Meinung in der Literatur, die sonst einen Damm­ bruch befürchtet, s. etwa Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4.  Aufl. 2013, §  293 ZPO, Rn.  9; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 268–269; Nickl, NJW 1989, 2091, 2093. Anders für entlegene Rechtsvorschriften Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  293 ZPO, Rn.  17.

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1. Eigenständige Rechtskenntnis Der Grundsatz lautet: Der Richter kennt das Recht.130 Anders als diese Formel nahelegt, muss der Richter jedoch nicht jedwedes Recht kennen.131 Erwartet wird aber immerhin die Kenntnis des inländischen Gesetzes- und Verordnungsrechts einschließlich des Internationalen Privatrechts, des anwendbaren Europarechts sowie des transformierten Völkerrechts.132 Enttäuscht der Richter diese hohe Er­ wartung, so hat er das Recht selbstständig zu ermitteln.133 Bereits bei Erlass der Reichsjustizgesetze ließ sich erkennen, wie der Gesetz­ geber die beträchtlichen Anforderungen an die richterliche Rechtsermittlungs­ kompetenz mit einem studierten Berufsrichtertum abzusichern versuchte.134 Ob­ schon die Zivilprozessordnung seither vielmals reformiert wurde, entfaltet die Grundeinstellung zur richterlichen Rechtskenntnis noch heute Wirksamkeit.135 Allerdings beruht das Leitbild der richterlichen Gesetzeskenntnis nicht mehr ­allein auf der Zivilprozessordnung, sondern auch und gerade auf dem Grund­ gesetz.136 Schließlich dient die richterliche Rechtskenntnis einer gleichförmigen Anwendung des Rechts und damit der Herstellung von Gleichheit vor dem Ge­ setz.137 130 

BVerfG, Beschluss v. 15.12.2008, Az.  1 BvR 69/08, Rn.  10, NJW-RR 2009, 1141; ­ VerfG, Beschluss v. 14.10.1998, Az.  2 BvR 205/91, Rn.  9, WuM 1999, 383; BVerfG, Be­ B schluss v. 25.06.1992, Az.  1 BvR 600/92, Rn.  12, NJW-RR 1993, 383; BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  7, NJW 2016, 957, 958; BAG, Urteil v. 13.02.1975, Az.  3 AZR 211/74, Rn.  11, AP ZPO §  308 Nr.  2 jeweils m. w. N. 131  Statt aller Wagner, ZEuP 1999, 6, 17. 132  Zum Internationalen Privatrecht, welches dem Europarecht oder transformierten Völker­ recht entstammt s. BGH, Urteil v. 15.07. 2008, Az. VI ZR 105/07, Rn.  8, BGHZ 177, 237, 239; BGH, Urteil v. 25.09.1997, Az. II ZR 113/96, Rn.  8, NJW 1998, 1321; BGH, Urteil v. 29.06.1987, Az. II ZR 6/87, Rn.  8, NJW 1988, 647. Zum Völkerrecht BVerfG, Beschluss v. 14.05.1968, Az.  2 BvR 544/63, Rn.  118, BVerfGE 23, 288, 319. Zurückhaltend zum Europa­ recht noch OLG München, Beschluss v. 22.06.1988, Az.  15 U 6478/87, EuR 1988, 409. 133  RG, Urteil v. 24.09.1880, Az. III 414/80, RGZ 2, 63, 65. Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  186: „Die Auslegung als Denkthätigkeit rein juristischer Art muss jeder durch die beiden Prüfungen gegangene Jurist selbst üben können. Die Aufhebung des Akten­ versendungsrechtes zeigt, dass unsere Gesetzgebung diese Aufgabe als die allereigenste des Richters ansieht.“ 134  Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. II. 2. 135  Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  175–190; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 266–269. 136  Gaier, NJW 2013, 2871. 137  Zuletzt ausführlich zur Stellung des Richters BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, BVerfGE 139, 64. Insgesamt sind gesetzeskonforme Entscheidungen das Leitbild, um der Allgemeinheit des Gesetzes zum Durchbruch zu verhelfen. Treffend Rennert, JZ 2013, 297, 298: „Der gute Richter entscheidet den Streit nicht nach seiner Willkür, sondern nach einem Rechtssatz“.

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Die Grundlagen für die erforderliche Rechtsermittlungsfähigkeit werden von der Verfassung vorausgesetzt, in der Juristenausbildung gelegt und über institu­ tionelle, prozessuale und gerichtsorganisatorische Mechanismen nachhaltig ab­ gesichert. a) Verfassungsrechtliches Leitbild Der Gesetzesstaat schuf mit seinen systematischen Kodifikationen die Voraus­ setzungen für richterliche Rechtskenntnis, die vom Verfassungsstaat überformt, abgesichert und weiter ausgebaut worden sind. Seit Erlass der Reichsjustizgeset­ ze hat sich das Zivilverfahrensrecht von dem liberalen Ausgangsmodell in Rich­ tung eines wertenden Gesamtsystems entwickelt.138 Mit der Zeit ist der Schutz der Rechte des Individuums stärker in den Vordergrund getreten.139 Zugleich wurde die prozessuale Stellung des Richters weiter gestärkt.140 Im Rechtsstaat trägt er die Verantwortung für die umfassende rechtliche Prüfung des Streit­ gegenstandes.141 Mit dieser ausgeprägten Verantwortung gehen hohe Anforde­ rungen an die richterliche Rechtskenntnis einher.142 Die hervorgehobene richterliche Stellung ist im allgemeinen Justizgewäh­ rungsanspruch verankert, der seinerseits auf dem Rechtsstaatsprinzip beruht.143 Neben dem Zugang zu den Gerichten dürfen die Bürger eine eingehende und sorgfältige rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes erwarten.144 Der Richter darf sich nicht allein auf die Rechtsausführungen der Parteien verlassen, sondern muss darüber hinaus seiner prozessualen Fürsorgepflicht gerecht werden.145 Aus­ fluss dieser Fürsorgepflicht ist eine Hinweispflicht gerade auch in rechtlicher 138  Ausgangspunkt war BVerfG, Urteil v. 15.01.1958, Az.  1 BvR 400/51, Rn.  26–27, ­BVerfGE 7, 198, 205. 139  Gaier, NJW 2013, 2871. 140  Vorläufiger Schlussstein dieser Entwicklung ist §  139 ZPO, s. ausführlich BT-Drs. 14/4722, S.  77–78. 141  BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135; BT-Drs. 14/4722, S.  77. 142  Das Bundesverfassungsgericht setzt vertiefte richterliche Rechtskenntnisse voraus, s. dazu BVerfG, Beschluss v. 15.12.2008, Az.  1 BvR 69/08, Rn.  10, NJW-RR 2009, 1141; ­BVerfG, Beschluss v. 14.10.1998, Az.  2 BvR 205/91, Rn.  9, WuM 1999, 383; BVerfG, Be­ schluss v. 25.06.1992, Az.  1 BvR 600/92, Rn.  12, NJW-RR 1993, 383. 143  Dieser Anspruch geht über Art.  19 Abs.  4 GG hinaus, s. BVerfG, Beschluss v. 18.03.2003, Az.  2 BvB 1/01, Rn.  120–121, BVerfGE 107, 339 sowie BVerfG, Beschluss v. 02.03.1993, Az.  1 BvR 249/92, Rn.  21, BVerfGE 88, 118, 123–124. 144  BVerfG, Beschluss v. 12.02.1992, Az.  1 BvL 1/89, Rn.  28, BVerfGE 85, 337, 345; ­BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135. 145  BVerfG, Beschluss v. 05.05.1987, Az.  1 BvR 903/85, Rn.  29, BVerfGE 75, 302, 312–313. Zur Bündelung der materiellen Prozessleitungspflichten des Gerichts in §  139 ZPO BT-Drs. 14/4722, S.  77–78.

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Hinsicht.146 Ganz grundsätzlich dient das Verfahrensrecht der Herbeiführung richtiger und gesetzmäßiger Entscheidungen.147 Der Richter soll schließlich in seiner Entscheidung feststellen, was rechtens ist und dadurch das materielle Recht durchsetzen.148 Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte fußt auf sachlicher und persön­ licher Unabhängigkeit.149 Dabei spiegelt der hauptamtlich und planmäßig ange­ stellte Richter auf Lebenszeit die Regelvorstellung des Grundgesetzes wider.150 Die richterliche Alimentation dient nicht nur dem Lebensunterhalt, sondern hat auch eine qualitätssichernde Funktion und soll überdurchschnittlich qualifizierte Juristen anziehen.151 Damit ist das Prinzip der Bestenlese auch von Verfassungs wegen geboten.152 Der Bürger erwartet von seinem Richter, dass er das Recht kennt.153 Die richterliche Rechtskenntnis ebnet also den Weg von der rein forma­ len prozessualen Gleichheit hin zu der materiellen Gleichheit vor dem Gesetz.154 b) Juristenausbildung Das Ziel der Juristenausbildung lautet: „Volljurist“.155 Von jedem Juristen werden umfassende Fähigkeiten und Kenntnisse im Öffentlichen Recht, Strafrecht und Zivilrecht erwartet, die zur Aufnahme aller juristischen Berufe befähigen sollen.156 146  BVerfG, Beschluss v. 14.04.1987, Az.  1 BvR 162/84, Rn.  18–20, BVerfGE 75, 183, 189–191. 147  BVerfG, Beschluss v. 24.03.1976, Az.  2 BvR 804/75, Rn.  26, BVerfGE 42, 64 sowie KG Berlin, Urteil v. 20.02.1975, Az.  22 U 2196/74, Rn.  29, OLGZ 1977, 479, 480–481. 148  BVerfG, Urteil v. 28.11.1957, Az.  2 BvL 11/56, Rn.  24, BVerfGE 7, 183, 188–189; BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135. Zu den Gren­ zen Stürner/Stadler, Aktive Rolle des Richters, in: Gilles, Anwaltsberuf und Richterberuf in der heutigen Gesellschaft (1991), S.  173, 177–178. 149  BVerfG, Beschluss v. 09.11.1955, Az.  1 BvL 13/52, Rn.  46–49, BVerfGE 4, 331, 344–345. 150  BVerfG, Beschluss v. 08.07.1992, Az.  2 BvL 27/91, Rn.  56, BVerfGE 87, 68, 85. Neben Berufsrichtern ist aber auch der Einsatz von Laienrichtern zulässig, BVerfG, Beschluss v. 09.05.1962, Az.  2 BvL 13/60, Rn.  56, BVerfGE 14, 56, 73. 151  BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  114, BVerfGE 139, 64, 119–120. 152  Im 19. Jahrhundert zog es die „besten Juristen“ noch in die Verwaltung, s. Hattenhauer, JuS 1989, 513, 516. Heute steht das Richteramt im Vordergrund, s. dazu eindrücklich BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  118–121, BVerfGE 139, 64, 121–122. 153  Prägnant die Formulierungen bei Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 268–269. 154 Zum Verhältnis von richterlicher Aktivität und Verfassungsrecht Gaier, NJW 2013, 2871, 2872. 155  §§  5 Abs.  1 DRiG (Richter); 122 Abs.  1 DRiG (Staatsanwalt); 4 BRAO (Rechtsanwalt); 5 BNotO (Notar). 156  §§  5a Abs.  2 S.  2 DRiG; 3 Abs.  1 JAPrO BW in Verbindung mit den umfassenden Stoff­ katalogen in §§  8, 51 JAPrO BW. In den Pflichtfächern wird „Einzelwissen“ vorausgesetzt; das ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu §§  8 Abs.  5; 51 Abs.  4 JAPrO BW. Der enorme Um­

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Insgesamt dauert die Juristenausbildung bei zügiger Erledigung regelmäßig min­ destens sieben Jahre.157 Nach Abschluss des universitären Ausbildungsabschnitts geht es in einer zweiwöchigen Staatsprüfung darum, Streitfälle in Gutachtenform kunstgerecht einer überzeugenden rechtlichen Lösung zuzuführen.158 Außer Gesetzestexten stehen keine Hilfsmittel zur Verfügung.159 Neben vertieften Rechtskenntnissen sind es insbesondere Rechtsermittlungsfähigkeiten, die über Erfolg oder Miss­ erfolg entscheiden.160 Im Anschluss an den universitären Ausbildungsabschnitt erfolgt ein verpflichtender zweijähriger Vorbereitungsdienst an einem Gericht.161 In verschiedenen Stationen lernen die Rechtsreferendare die praktische Anwen­ dung des Rechts kennen.162 Abgeschlossen wird die Juristenausbildung mit einer fang des Pflichtstoffs ruft immer wieder Kritik hervor, s. zuletzt Wissenschaftsrat, Drs. 255812, S.  57 mit Fn.  43. Zur Bedeutung der Dogmatik für die Ausbildung Stürner, JZ 2012, 10, 15. 157  Die Regelstudienzeit beträgt neun Semester, s. §  3 Abs.  6 JAPrO BW. §  5a Abs.  1 DRiG sieht eine Studienzeit von vier Jahren vor, der Pflichtfachstoff soll in viereinhalb Jahren erlernt werden können, §  5b Abs.  2 S.  1 DRiG. Die tatsächlichen Studienzeiten sind im Durchschnitt länger, s. Wissenschaftsrat, Drs. 2558-12, S.  111. Der Vorbereitungsdienst dauert zwei weitere Jahre, vertiefend Wissenschaftsrat, Drs. 2558-12, S.  111. Auslandsaufenthalte, Wechsel des Studienortes oder die Anfertigung einer Doktorarbeit können zu einer Verlängerung auf über zehn Jahre führen. Insgesamt promovieren etwa 15 % eines Jahrgangs im Fach Rechtswissen­ schaft, Wissenschaftsrat, Drs. 2558-12, S.  103–104. 158  Zu den Inhalten des Studiums §§  3, 8 JAPrO BW sowie zu den Auswirkungen Wissenschaftsrat, Drs. 2558-12, S.  57. Weiterführend Weber-Grellet, ZRP 2016, 170–171 sowie zur Geschichte Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  438. Kritisch Derleder, NJW 2005, 2834–2837. Zur Notwendigkeit der Universitätsausbildung §  5a Abs.  1 S.  2 DRiG sowie Bull, JZ 2002, 977–983. Rechtsvergleichend Reimann, RabelsZ 78 (2014), 1, 2–7. 159  §  13 Abs.  4 JAPrO BW in Verbindung mit der VwV über die Hilfsmittel in den juristi­ schen Staatsprüfungen (Baden-Württemberg), 25.04.2012, Die Justiz 2012, S.  289. Die Vorbe­ reitung auf die Staatsprüfung erfolgt entweder in einjährigen universitären Examensvorberei­ tungskursen oder in außeruniversitären Repetitorien, in denen der Pflichtstoff schlichtweg „eingepaukt“ wird, s. für Nachweise und Zahlen Wissenschaftsrat, Drs. 2558-12, S.  19 mit Fn.  12. Zur Tradition der Repetitorien Hattenhauer, JuS 1989, 513, 517–519. Kritisch Bull, JZ 2002, 977, 982. 160  Die Juristenausbildungsgesetze geben keine ausdrückliche Antwort auf die Frage nach dem Ziel der Ausbildung, Kenntnisse im positiven Recht sind aber Kernbestandteil, Weber-­ Grellet, ZRP 2016, 170–171. Weiterführend Bull, JZ 2002, 977, 982. Abgerundet wird die Universitätsausbildung von einem wissenschaftlich orientierten Schwerpunktbereich, dem al­ lerdings in der Gesamtausbildung eine vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt. Derzeit entfallen 30 % der Gesamtnote in der ersten Staatsprüfung auf den Schwerpunktbereich, §  5d Abs.  2 Satz  4 Hs.  1 DRiG. In Zukunft ist geplant, diesen Anteil zu verringern, s. zuletzt Be­ schluss der Justizministerkonferenz, 17.11.2016, Top I.8. 161  §§  5b Abs.  1 DRiG; 41 Abs.  1 JAPrO BW. 162  Pflichtstationen erfolgen bei einem ordentlichen Gericht in Zivilsachen, einer Staats­ anwaltschaft oder einem Gericht in Strafsachen, einer Verwaltungsbehörde und einem Rechts­ anwalt, §  5b Abs.  2 DRiG. Das Ausbildungsziel liegt darin, die Rechtsreferendare mit den Auf­

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zweiten Staatsprüfung, in der die Rechtsermittlungskenntnisse erneut sorgfältig geprüft werden.163 Insgesamt ist der Richterberuf nach wie vor das Leitbild der Ausbildung.164 Ausschlaggebend für die Aufnahme in den Richterdienst sind die Leistungen des Kandidaten in den beiden Staatsprüfungen.165 Diejenigen Kandidaten, die über die besten Rechtskenntnisse verfügen, werden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu Richtern ernannt.166 Nachgerade spiegelbildlich entspricht die Juristenausbil­ dung mit ihren Staatsprüfungen damit dem Ideal, das von einem deutschen Rich­ ter verlangt wird: Entweder soll er das Recht kennen oder es zumindest mit Hilfe des Gesetzes selbst ermitteln können.167 c) Institutionelle Absicherung Trotz der langen und mühevollen Juristenausbildung gibt es für jeden Richter Rechtsvorschriften, die er nicht kennt oder deren Inhalt er nicht ermitteln kann.168 Um dennoch eine richtige Rechtsanwendung zu gewährleisten, hat der Gesetz­ geber unterschiedliche Mechanismen zur Stärkung der Rechtsermittlungsqualität gaben der Rechtspflege, der Anwaltschaft und der Verwaltung vertraut zu machen und so zu fördern, dass sie die inneren Zusammenhänge der Rechtsordnung erkennen und das Recht mit Verständnis für wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Fragen anwenden können, s. §  40 Abs.  1 JAPrO BW. 163  Zu den Einzelheiten §§  5d Abs.  3 DRiG; §  48–59a JAPrO BW. Insgesamt besteht die Prüfung aus bis zu elf fünfstündigen Klausuren, s. etwa §  62 Abs.  1 JAPO Bayern. 164  Wissenschaftsrat, Drs. 2558-12, S.  20. 165  So ausdrücklich BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  117, BVerfGE 139, 64, 121. Andere Arbeitgeber richten ihre Einstellungspolitik ebenfalls an diesen Ergebnissen aus, weil sie als „sehr zuverlässig“ gelten, s. Hattenhauer, JuS 1989, 513, 516. Vom ersten Tag der Juristenausbildung an steht es deshalb im Vordergrund, in den Staatsprüfungen überdurch­ schnittlich abzuschneiden. Sehr kritisch zu den Auswirkungen auf das Studierverhalten Böcken­förde, JZ 1997, 317, 319–320. 166  Durchschnittlich erfüllen die besten 10 % der Kandidaten die Notenanforderungen für eine Anstellung im höheren Justizdienst, BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  152, BVerfGE 139, 64, 134. 167  Zusammenfassend ist das Ziel der Juristenausbildung darauf gerichtet, vertiefte richter­ liche Rechtskenntnisse sowie Rechtsermittlungskompetenzen zu garantieren, s. treffend schon Scheidges, Curia novit jura (1874), S.  4. Die Ausbildung spiegelt damit zugleich die Grundidee des Positivismus wider, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  438. Schlussendlich ist die „Reconstrustruction des dem Gesetze inwohnenden Gedankens“ das Ziel der Auslegung und damit auch der Juristenausbildung, s. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  213 sowie 216. 168  Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Noten der Staatsprüfungen; die höchste Notenstufe „sehr gut“ wird dort praktisch nicht vergeben, für den Beruf des Richters genügt das Erreichen der Note „vollbefriedigend“. Die Ausbildungsstatistik findet sich unter BfJ, Ausbildungsstatis­ tik 2014 vom 09.03.2016, S.  1, 7.

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geschaffen.169 Diese Mechanismen finden ihre Ausprägung in der Richteraus­ bildung, der Gerichtsorganisation, dem Instanzenzug und dem Tatbestand der Rechtsbeugung. Der Eintritt in den Justizdienst erfolgt üblicherweise unmittelbar im Anschluss an die Juristenausbildung.170 Zunächst dienen Richter für drei bis fünf Jahre als Richter auf Probe und werden daraufhin auf Lebenszeit ernannt.171 Neben der Unabhängigkeit steht dabei der Aufbau eines Erfahrungsschatzes im Vorder­ grund, der zu einer Steigerung der Rechtskenntnis beitragen soll.172 Erfolg und Misserfolg der Richterkarriere hängen darüber hinaus von der richtigen Anwen­ dung des Rechts ab.173 Schließlich entscheiden fachliche Beurteilungen über die Qualität der richterlichen Arbeit sowie das berufliche Fortkommen.174 Voraus­ 169  BVerfG, Beschluss v. 03.11.1992, Az.  1 BvR 1243/88, Rn.  19, BVerfGE 87, 273, 279. Vertiefend sowie mit weiteren Vorschlägen für die Zukunft Bargen, NJW 2006, 2531–2536. Reformen der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes zielen überdies regel­ mäßig darauf ab, die rechtliche Qualität der Urteile weiter zu steigern, s. zuletzt ausführlich Calliess, Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Gutachten A (2014), S.  7, 94–96, 103 sowie die Begründung zur Reform des Zivilprozesses BT-Drs. 14/4722, S.  1. 170  Das Lebenszeitprinzip ist ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, Art.  33 Abs.  5 GG. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen BVerfG, Beschluss v. 25.11.1980, Az.  2 BvL 7/76, Rn.  109, BVerfGE 55, 207, 240–241. Ein Mindestalter für den Richterberuf gibt es nicht. Lediglich für Richter am Bundesgerichtshof gilt ein Mindestalter von fünfunddreißig und am Bundesverfassungsgericht von vierzig Lebensjahren, §§  125 Abs.  2 GVG; 3 Abs.  1 BVerfGG. 171  §§  10 und 12 DRiG. In Baden-Württemberg beträgt die Probezeit derzeit durchschnitt­ lich vier Jahre, Baden-Württemberg LT-Drs. 15/655, S.  2. 172  So bereits Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  180. Der Grundgedanke ist, die richterliche Rechtskenntnis durch die richterliche Tätigkeit selbst auszubauen und zu ver­ tiefen. Spätere Wechsel von der Anwaltschaft sind selten und kommen ab einem Alter von vierzig Jahren praktisch nicht mehr vor. Ehedem geltende Höchstgrenzen für den Eintritt in die Justiz sind jedoch aufgehoben. Zu der Verfassungswidrigkeit der Einstellungshöchstaltersgren­ ze von vierzig Jahren für Lehrer s. BVerfG, Beschluss v. 21.04.2015, Az.  2 BvR 1322/12, Rn.  76, BVerfGE 139, 19, 55–56. 173  Das entspricht dem Leistungsprinzip des Art.  33 Abs.  2 GG. Eine Beurteilung der Rich­ ter ist zulässig und verletzt nicht ihre Unabhängigkeit, BVerwG, Urteil v. 02.04.1981, Az.  2 C 34/79, Rn.  17, BVerwGE 62, 135, 138. Richter sind aber nicht an vorherrschende Meinungen oder Entscheidungen höherer Gerichte gebunden, BVerfG, Beschluss v. 03.11.1992, Az.  1 BvR 1243/88, Rn.  15, BVerfGE 87, 273, 278. 174  Beurteilt werden Eignung, Befähigung und fachliche Leistungen der Richter, §  15 Abs.  3 LRiStAG BW. Als Berichterstatter werden Urteilsentwürfe oder Rechtsgutachten verfasst, die vom Vorsitzenden überprüft werden. Es ist üblich, sich für die Position des Vorsitzenden Rich­ ters am Landgericht über eine Station am Oberlandesgericht oder am Bundesgerichtshof zu empfehlen. Im Anschluss an diese Station erfolgt eine Anlassbeurteilung, §  15 Abs.  2 Nr.  2 LRiStAG BW. Beurteilungsmaßstab ist das angestrebte Statusamt, Nr.  3.4. der VwV über die Beurteilung von Richterinnen und Richtern (Baden-Württemberg), 11.09.2015, Die Justiz

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setzung für positive Beurteilungen ist neben umfassenden Rechtskenntnissen vor allem die Fähigkeit zur eigenständigen Rechtsermittlung.175 Bereits am Anfang ihrer Karriere entscheiden sich Richter für einen speziali­ sierten Gerichtszweig. Zur Auswahl stehen die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Sozialgerichtsbarkeit, die Arbeitsgerichtsbarkeit oder die Finanzgerichtsbarkeit.176 Nach einer Probezeit erfolgt innerhalb der or­ dentlichen Gerichtsbarkeit eine weitere Spezialisierung auf die Zivil- oder Straf­ rechtspflege. Über die Zuweisung von Sachgebieten im Geschäftsverteilungs­ plan können fachliche Kompetenzen noch weiter gebündelt werden.177 Insge­ samt ist die Spezialisierung ein Kerngedanke, um richterlicher Rechtskenntnis zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen.178 Der Instanzenzug lässt zwei weitere Gedanken zur Steigerung der richterli­ chen Rechtskenntnis hervortreten: das Mehraugenprinzip sowie die zunehmende Bedenkzeit pro Rechtssache.179 Grundsätzlich umfasst der Instanzenzug drei In­ stanzen; mit Ansteigen der Instanz erhöht sich die Anzahl der entscheidenden Richter.180 Am Bundesgerichtshof werden die Richter überdies von wissenschaft­ 2015, S.  255. Dieser Ausbildungsabschnitt wird umgangssprachlich als „dritte Staatsprüfung“ bezeichnet. 175  Die „Leistung“ eines Richters ist naturgemäß schwer zu beurteilen; weitere Konkretisie­ rungen finden sich in der VwV über die Beurteilung von Richterinnen und Richtern (Baden-­ Württemberg), 11.09.2015, Die Justiz 2015, S.  255. 176  Art.  95 Abs.  1 GG in Verbindung mit §§  12 GVG; 2 VwGO; 1 ArbGG; 2 SGG; 2 FGO. Das Grundgesetz sieht diese fünf Gerichtszweige als gleichwertig, gleichrangig und gleich­ bedeutsam an, BVerfG, Beschluss v. 09.05.1961, Az.  2 BvR 49/60, Rn.  22, BVerfGE 12, 326, 333. 177  §  21e GVG. Am Bundesgerichtshof und an den Oberlandesgerichten stehen hochspezia­ lisierte Senate zur Verfügung. Es liegt aber im Ermessen des Präsidiums, ob eine Einteilung nach Sachgebieten erfolgt, BGH, Urteil v. 25.09.1975, Az.  1 StR 199/75, Rn.  25, NJW 1976, 60. 178  Die Tendenz geht dahin, sogar an den Landgerichten vermehrt Spezialkammern einzu­ richten, s. Calliess, Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Gutachten A (2014), S.  96–­97. §  348 Abs.  1 Nr.  2 ZPO sieht bereits zahlreiche Spezialkammern vor. Teils wird Spe­ zialisierung sogar als „Rechtsprinzip“ im deutschen Zivilverfahrensrecht angesehen, so etwa Ehricke, NJW 1996, 812, 817. Diese Ansicht konnte sich allerdings bisher in dieser Allgemein­ heit nicht durchsetzen. 179  Der Instanzenzug soll zur Korrektur von Rechtsirrtümern beitragen sowie der Rechts­ fortbildung dienen, s. bereits Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band  2, Civilprozeßordnung (1880), S.  139–140. 180  §§  511, 542 ZPO in Verbindung mit §§  23, 71, 119, 133 GVG. Bei einem Streitwert un­ ter 20.000 EUR kann die Revision wegen §  26 Nr.  8 EGZPO versperrt sein; diese Vorschrift wurde zuletzt bis zum 31.12.2019 verlängert. An Land- und Oberlandesgerichten entscheiden über die Berufung grundsätzlich drei Richter, §§  72 Abs.  1 S.  1; 75; 116 Abs.  1 S.  1; 122 Abs.  1 GVG. Ausnahmen können sich lediglich aus §  526 ZPO ergeben. Der Bundesgerichtshof ent­ scheidet in der Besetzung von fünf Mitgliedern, §§  130 Abs.  1 S.  1; 139 Abs.  1 GVG. Ein Ins­

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lichen Mitarbeitern unterstützt.181 Je höher die Instanz, desto mehr Zeit steht den Richtern für die Entscheidung eines Falles zur Verfügung.182 Dies ermöglicht es, die Rechtsfragen eigenständig und unter Einbeziehung der rechtswissenschaft­ lichen Literatur zu beantworten.183 Abgesichert wird eine ordnungsgemäße richterliche Rechtsermittlung schließ­ lich durch den Straftatbestand der Rechtsbeugung.184 Die Rechtsbeugung soll die Herrschaft des Rechts und die Geltung der Rechtsordnung garantieren.185 Der Straftatbestand ist ein Verbrechen; die Verwirklichung löst eine Beendigung des Richterverhältnisses aus.186 Schon aus diesem Grund ist Richtern nur zu raten, die Rechtslage sorgfältig selbst zu ermitteln.187 2. Einbeziehung Dritter In Ergänzung der eigenständigen Rechtskenntnis kommt als Informationsquelle die Einbeziehung Dritter in Betracht. Der Ausgangspunkt ist dabei eindeutig: Eine Befugnis zur Einholung von Rechtsgutachten steht dem Richter grundsätz­ lich nicht zu.188 Vielmehr gehört die Feststellung des Rechts zum Leistungsspek­ tanzenzug ist allerdings nicht von Verfassungs wegen geboten, s. BVerfG, Beschluss v. 21.10.1954, Az.  1 BvL 9/51, Rn.  78, BVerfGE 4, 74, 94–95. 181  Hierbei handelt es sich um Richter, die für einen Zeitraum von drei Jahren abgeordnet werden. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind im Gesetz kaum geregelt, eine Nennung findet sich allein in §  193 Abs.  1 GVG. Weitere Nachweise dazu bei Zimmermann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  124 GVG, Rn.  2 mit Fn.  1. 182  Zum Verhältnis von Eingängen und Bearbeitungszeit sowie den Belastungsquotienten s. BfJ, Geschäftsentwicklung der Zivilsachen (2014), S.  1–5 m. w. N. 183  Hierzu bereits ROHG, Urteil v. 28.04.1879, Az. III 407/79, ROHG 25, 53, 57. 184  §  339 StGB sowie grundlegend Radbruch, SJZ 1946, 105, 107–108. Obschon die Beu­ gung von Recht bereits lange verpönt war, bildete sich die Rechtsbeugung als spezifisches Delikt erst im 19. Jahrhundert heraus. Ausführlich Kuhlen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5.  Aufl. 2017, § 339 Rn.  1–3. Die Kodifikationsgeschichte wirkt also auch insoweit noch heute fort. 185  Uebele, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2.  Aufl. 2014, § 339 StGB, Rn.  1 mit Fn.  3. Eine Rechtsbeugung liegt vor, wenn der Richter sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt, BGH, Urteil v. 27.01.2016, Az.  5 StR 328/15, Rn.  24, NStZ 2016, 351, 353; BGH, Urteil v. 13.05.2015, Az.  3 StR 498/14, Rn.  12, NStZ 2015, 651, 652. 186  §  24 Nr.  1 DRiG; §§  339, 12 Abs.  1 StGB sowie BGH, Urteil v. 13.05.2015, Az.  3 StR 498/14, Rn.  12, NStZ 2015, 651, 652. 187  Geschützt ist das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtspflege, s. BGH, Urteil v. 15.09.1995, Az.  5 StR 713/94, Rn.  8, BGHSt 41, 247, 248; BGH, Urteil v. 06.10.1994, Az.  4 StR 23/94, Rn.  15, NJW 1995, 64, 65. 188  RG, Urteil v. 18.01.1893, Az. I 417/92, RGZ 30, 79, 80; Ahrens, Der Beweis im Zivil­ prozess (2015), S.  29 und 459. Von diesem Grundsatz macht §  293 ZPO eine Ausnahme; eine weitere Eingrenzung lässt die Rechtsprechung im Bereich des Steuerrechts zu, BGH, Urteil v.

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trum des Gerichts, für das die Parteien mit Einzahlung der Gerichtskosten bezah­ len.189 Folgerichtig sind die Kosten für Parteigutachten zur Rechtslage im Regel­ fall nicht erforderlich und deshalb auch nicht erstattungsfähig.190 Anders stellt sich die prozessuale Grundstruktur im Bereich des ausländischen Rechts dar.191 Bei der Ermittlung des Rechtsinhalts muss der Richter alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen.192 Eine praktisch besonders be­ deutende Erkenntnisquelle ist in diesem Zusammenhang das Sachverständigen­ gutachten.193 Schließlich besteht gerade bei Erhebung eines Sachverständigen­ gutachtens Hoffnung, das Urteil revisionsfest zu machen.194 Entscheidet das Gericht sich für ein Sachverständigengutachten, so finden die Vorschriften über den Sachverständigenbeweis Anwendung.195 Die Besonderheit des Sachverstän­ 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, Rn.  7, BGHZ 140, 111, 113; BGH, Urteil v. 11.11.1987, Az. IVa ZR 143/86, Rn.  13, BGHR ZPO §  293 Steuerrecht 1. 189  Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 269–271. Wie gesehen hindert das die Gerichte jedoch nicht daran, Rechtsgutachten im Bereich des Steuerrechts zu erheben, s. BGH, Urteil v. 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, Rn.  7, BGHZ 140, 111, 113; BGH, Urteil v. 11.11.1987, Az. IVa ZR 143/86, Rn.  13, BGHR ZPO §  293 Steuerrecht 1. 190  BVerfG, Beschluss v. 25.05.1993, Az.  1 BvR 397/87, Rn.  4–5, BVerfGE 88, 382, 383. Dies gilt auch für Kopien von Urteilen, OLG Koblenz, Beschluss v. 04.06.2007, Az.  14 W 303/07, Rn.  9, NJW-RR 2008, 375, 376. Anders nur dann, wenn eine außerordentlich schwie­ rige Frage vorliegt, s. BVerfG, Beschluss v. 25.05.1993, Az.  1 BvR 397/87, Rn.  5, BVerfGE 88, 382, 383; OLG München, Beschluss v. 09.11.1990, Az.  11 W 2106/90, Rn.  7, IPRspr 1990, Nr.  234, 505; OLG Koblenz, Beschluss v. 28.08.1987, Az.  14 W 612/87, Rn.  13, JurBüro 1988, 1026. 191  Der Sachverständigenbeweis ist hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel, s. Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 626; Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 284; Mankowski, MDR 2001, 194, 196: „Normalfall“. 192  BGH, Urteil v. 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, Rn.  15, NJW 2014, 1244, 1245 m. w. N. Die Ermittlungstätigkeit muss die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis umfassen und darf sich nicht auf die Rechtsquellen beschränken, s. BGH, Urteil v. 21.01.1991, Az. II ZR 49/90, Rn.  5–11, IPRax 1992, 324, 325; BGH, Urteil v. 23.06.2003, Az. II ZR 305/01, Rn.  9, NJW 2003, 2685, 2686. Das Recht muss deshalb so ermittelt werden, wie es sich in Rechtsprechung und Lehre des Auslands entwickelt hat, BGH, Urteil v. 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, Rn.  15, NJW 2014, 1244, 1245. 193  In Ermangelung von anderen Alternativen greift die Praxis auf diese Erkenntnisquelle regelmäßig zurück. An genauen Zahlen fehlt es. Nachweise zur gängigen Praxis finden sich jedoch bei Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 626; Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 284; Mankowski, MDR 2001, 194, 196 sowie Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 436–437. 194  In Einzelfällen können sogar insgesamt acht Sachverständigengutachten nicht genügen, um die Rechtslage ermessensfehlerfrei zu ermitteln, s. BGH, Urteil v. 21.01.1991, Az. II ZR 49/90, Rn.  5–11, IPRax 1992, 324, 325. Statt aller kritisch dazu Sommerlad, RIW 1991, 856 und Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 436. 195  BGH, Urteil v. 10.07.1975, Az. II ZR 174/74, Rn.  8, NJW 1975, 2142, 2143. Dazu ­Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 294–297 sowie kritisch Schilken, FS Schumann (2001), S.  373, 378.

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digenbeweises liegt darin, dass die Rechtsermittlung insoweit nun nicht mehr von der Gerichtsgebühr umfasst ist.196 Für das Sachverständigengutachten be­ zahlen die Parteien und nicht die Staatskasse.197 In der Praxis ist dafür von der beweisbelasteten Partei ein Vorschuss zu leisten.198 Insgesamt kann deshalb nicht überraschen, wenn von einem „Refugium“ der gemeinrechtlichen Aktenversen­ dung die Rede ist.199 Neben diesen Fällen der Einbeziehung von Sachverständigen kennt das Ge­ setz aber auch Entlastungen, wenn es um die Kenntnis von und den Umgang mit höherrangigem Recht geht. Unter Umständen darf der Richter sich Informatio­ nen von höheren Gerichten beschaffen. So sind die deutschen Gerichte im Be­ reich des Europarechts berechtigt und bisweilen sogar verpflichtet, eine Vorab­ entscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen.200 Die Verfassungsmä­ ßigkeit eines Gesetzes müssen die Instanzgerichte ebenfalls nicht selbst prüfen, sondern müssen im Wege der Normenkontrolle das Bundesverfassungsgericht anrufen.201 Außerdem soll das Bundesverfassungsgericht befragt werden, inwie­ fern eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt.202 Die Gemeinsamkeit von Steuerrecht, Internationalem Privatrecht, Europa­ recht oder auch besonderen Fragen des Völkerrechts ist letztlich, dass vertiefte Rechtskenntnisse in diesen Bereichen von Instanzrichtern nicht erwartet werden. Wie bereits im gemeinen Prozessrecht liegt es deshalb trotz aller institutionellen Mühen in begrenzten Ausnahmefällen nahe, die Akten zu versenden.

Kritisch aus verfassungsrechtlicher Perspektive Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 437–463. §  413 ZPO verweist auf das JVEG; diese Kosten sind nach §  3 Abs.  2 GKG sowie Nr.  9005 KV GKG Teil der Gerichtskosten, s. zu den Einzelheiten Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 437–439. Obschon es sich bei Internationalem Privatrecht um inländisches Gesetzesrecht oder europäisches Verordnungsrecht handelt, umfasst der Gutachtenauftrag in der Praxis regelmäßig auch die Feststellung des anwendbaren Rechts. Die Folge ist, dass die Parteien auch für die Ermittlung des Internationalen Privatrechts bezahlen. Kritisch dazu Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 271 mit Fn.  32. Gutachter sollten deshalb das Gericht auf die Problematik hinweisen, be­ vor sie eine solche Prüfung vornehmen. 198 Kritisch Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4.  Aufl. 2013, §  293 ZPO, Rn.  37; Sommer­lad/Schrey, NJW 1991, 1377, 1379 m. w. N. 199  Spickhoff, FS Heldrich (2005), S.  419. 200  Art.  267 AEUV sowie EuGH, Intermodal Transports BV v. Staatssecretaris van Financiën, Urteil v. 15.09.2005, Rs. C-495/03, Rn.  29, 38. Zu Ausnahmen EuGH, C.I.L.F.I.T. v. ­Lanificio di Gavardo S.p.A., Urteil v. 06.10.1982, Rs. C-283/81. Das Vorlageermessen der In­ stanzgerichte kann sich zur Vorlagepflicht verdichten, s. dazu EuGH, International Air Transport Association v. Department for Transport, Urteil v. 10.01.2006, Rs. C-344/04, Rn.  30–31. 201  Art.  100 Abs.  1 GG. 202  Art.  100 Abs.  2 GG. 196  197 

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III. Rechtspraxis Nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis ist es der Anspruch der Ge­ richte, Urteile im Einklang mit der materiellen Rechtslage zu fällen. Die Leitidee geht dahin, die Waffengleichheit zwischen den Parteien trotz Unterschieden in der Qualität der rechtlichen Beratung herzustellen.203 Einkommensschwache Parteien können überdies staatliche Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen.204 Außerdem ermöglichen Rechtsschutzversicherungen in vielen Fällen die Beteili­ gung von Rechtsanwälten.205 Obschon Rechtsausführungen im Rahmen der vorbereitenden Schriftsätze grundsätzlich zivilprozessual geboten und zur Vermeidung einer Anwaltshaftung ratsam sind, erfolgen diese in sehr unterschiedlichem Maße.206 Je nach wirt­ schaftlicher Bedeutung der Sache vertrauen Rechtsanwälte in der Praxis durch­ aus auf die richterliche Rechtsermittlung.207 Gerade bei Streitigkeiten mit gerin­ gem Streitwert oder in rechtlich einfach gelagerten Verfahren erschöpfen sich die schriftsätzlichen Ausführungen sogar nicht selten in bloßem Tatsachenvortrag.208 203  Abgeleitet

wird der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit aus dem Gleichheits­ satz und dem Rechtsstaatsprinzip, s. BVerfG, Beschluss v. 25.07.1979, Az.  2 BvR 878/74, Rn.  68–72, BVerfGE 52, 131, 144–145. 204  Es ist dem Gericht sogar möglich, der Naturalpartei einen Rechtsanwalt beizuordnen, §  121 Abs.  2 ZPO. 205  Die Bedeutung von Rechtsschutzversicherungen in der Prozesswirklichkeit zeigt sich etwa daran, dass jedes Jahr die aktuellen Entwicklungen in der Neuen Juristischen Wochenschrift zusammengefasst werden, s. zuletzt Bauer, NJW 2016, 1490. 206 Vertiefend Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  41. In Fällen mit Anwalts­ beteiligung müssen vorbereitende Schriftsätze eingereicht werden, §  129 Abs.  1 ZPO. 207  Art, Umfang und Qualität der Rechtsausführungen hängen auch in Deutschland davon ab, wieviel der Mandant für seinen Rechtsanwalt zu zahlen bereit ist. Von dem gesetzlichen Regelmodell, die Vergütung von Rechtsanwälten lediglich nach dem Streitwert auszugestalten, kann privatautonom nach oben abgewichen werden; die Einzelheiten regelt §  3a RVG. Rechts­ vortrag ist damit ein wirtschaftliches Gut, das käuflich ist. Die Praxis macht jedenfalls in kom­ plexen Fällen von Stundenhonoraren Gebrauch, Saenger/Uphoff, NJW 2014, 1412. Ausführ­ liche Kritik bei Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481–1492. 208  Für Einzelanwälte ist es wirtschaftlich nicht möglich, jeden Fall rechtlich umfassend auszuleuchten. Dies gilt insbesondere, wenn die Bezahlung nach dem Rechtsanwaltsvergü­ tungsgesetz erfolgt, s. Kilian, AnwBl. 2013, 882–888. Umgekehrt kann die Einschaltung von Fachanwälten oder Großkanzleien aber auch dazu führen, dass der Streitfall rechtlich in allen Facetten begutachtet wird. In Extremfällen kann dies zu schriftsätzlichen Rechtsausführungen führen, die sich in ihrer Gesamtheit über mehrere Aktenordner erstrecken. Schließlich sind weder Umfang noch Anzahl der Schriftsätze nach der Zivilprozessordnung beschränkt, da §  296 ZPO auf Rechtsvortrag keine Anwendung findet, s. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  296 ZPO, Rn.  46 mit Fn.  107. In besonders aufwendigen Verfahren werden sogar Gutachten von Hochschullehrern zu Rechtsfragen beigelegt; die Kosten hierfür sind aber grundsätzlich nicht erstattungsfähig, BayVerfGH, Entscheidung vom 19.03.1993, Az.

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Die Nachteile, die durch fehlende oder fehlerhafte anwaltliche Vertretung ent­ stehen, versuchen die Gerichte zudem über ihre Hinweispflicht auszugleichen.209 Hiervon wird großzügig Gebrauch gemacht.210 Besonders hilfsbereit sind die Gerichte bei Naturalparteien.211 Insgesamt ist entscheidend, dass Richter sich nicht auf die Rechtsausführungen der Parteien verlassen dürfen.212 Fehlt der Rechtsvortrag oder ist er unbrauchbar, so obliegt es den Richtern, die Rechtslage eigenständig zu ermitteln. Auch in der Praxis wird damit im Normalfall gewähr­ leistet, dass anwaltlich schlecht oder gar nicht vertretene Parteien sachrichtige Ergebnisse erwarten können.

IV. Zusammenfassende Würdigung Auf den ersten Blick ist es eine kleine Enttäuschung. Der hehre Grundsatz, einen Beweis von Recht nie zu fordern, wird nicht durchgehalten. Gleichsam als Kehr­ seite und im Widerspruch zu „der Richter kennt das Recht“, kennt das Gesetz Einschränkungen der allumfassenden richterlichen Rechtskenntnis. Dieser Befund darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass der Beweis von Recht die Ausnahme darstellt. Im Regelfall sind die Parteien nicht gehalten, die anwendbaren Rechtsvorschriften zu beweisen oder gar nachzuweisen. Abge­ sichert wird diese Regel von der richterlichen Rechtskenntnis. Von den Richtern wird erwartet, das gesamte inländische Gesetzes- und Verordnungsrecht zu ken­ Vf. 6-VI-91, Rn.  30, NJW 1993, 2794–2795. Zu Privatgutachten über ausländisches Recht Mankowski, MDR 2001, 194–199. 209  §  139 ZPO dient nicht zuletzt der prozessualen Waffengleichheit. Streitig ist, ob die Hinweispflicht bei Verfahren unter Beteiligung von Rechtsanwälten abgeschwächt gilt, s. grundlegend BGH, Urteil v. 09.11.1983, Az. VIII ZR 349/82, Rn.  15, NJW 1984, 310 sowie weiterführend BGH, Urteil v. 27.11.1996, Az. VIII ZR 311/95, Rn.  11, NJW-RR 1997, 441. Jedenfalls ist es dem Gericht verwehrt, sich zum rechtlichen Berater lediglich einer Seite auf­ zuschwingen; Hinweise müssen sich an dem Vorbringen der Parteien orientieren, BT-Drs. 14/4722, S.  77. 210  Ein Hinweis ist nur dann nicht möglich, wenn er die Neutralität des Gerichts in Frage stellt, BGH, Beschluss v. 02.10.2003, Az. V ZB 22/03, Rn.  5, BGHZ 156, 269, 270–271; BGH, Urteil v. 16.07.1999, Az. V ZR 56/98, Rn.  17, NJW 1999, 2890, 2892. 211  Der Anwaltszwang führt dazu, dass in wirtschaftlich bedeutsamen Streitigkeiten stets Rechtsanwälte am Verfahren beteiligt sind, §  78 ZPO. 212 Abgesehen davon ist ein ausführlicher Rechtsvortrag nach dem deutschen Richter­ verständnis Fluch und Segen zugleich. Einerseits erleichtert er die Arbeit, weil umfängliche Recherchetätigkeiten von den Rechtsanwälten erledigt werden. Andererseits erhöht er aber die Arbeitslast, weil Rechtsausführungen zur Kenntnis genommen werden müssen und nicht im­ mer hilfreich und teils sogar irreführend sein können. Vertiefend zur Berücksichtigungspflicht BVerfG, Beschluss v. 04.07.2016, Az.  2 BvR 1552/14, Rn.  7, AnwBl 2016, 852; BVerfG, Be­ schluss v. 07.10.2003, Az.  1 BvR 10/99, Rn.  14, BVerfGE 108, 341, 345–346; BVerfG, Be­ schluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  39, BVerfGE 86, 133, 145–146.

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nen. Diese umfassende Rechtskenntnis kann vorausgesetzt werden, weil die Richter eine langjährige und gründliche Rechtsausbildung durchlaufen haben. Zahl­reiche institutionelle Mechanismen zielen überdies darauf ab, eine richtige und gleichförmige Rechtsanwendung zu gewährleisten. Das ist nicht zuletzt von Verfassungs wegen geboten. Gleiches Recht soll und muss auch gleich gespro­ chen werden. Die Entscheidung eines Rechtsstreits darf in rechtlicher Hinsicht nicht von dem Vortrag der Parteien abhängen. Hinter der richterlichen Rechts­ kenntnis steht deshalb heute ein rechtsstaatliches und soziales Prinzip. Gefordert ist materielle Gleichbehandlung vor dem Gesetz, ganz unabhängig von der Ver­ mögenslage. Eine Sonderstellung nehmen das ausländische Recht, die Gewohnheitsrechte und die Statuten ein. In diesen Bereichen wird die richterliche Rechtskenntnis nicht schlechthin vorausgesetzt. Vielmehr verfügt die Richterschaft über beson­ dere Ermittlungsbefugnisse. Zu diesen Befugnissen gehört es insbesondere, ein Sachverständigengutachten zu erheben. Das Gericht selbst entscheidet also über die Beweisbedürftigkeit von ausländischem Recht, Gewohnheitsrecht und Statu­ ten. Gerade im Bereich des ausländischen Rechts lebt die gemeinrechtliche Ak­ tenversendung damit letztlich fort. Erneut zeigt sich die Verklammerung der Beweisbedürftigkeit von Recht mit der richterlichen Rechtskenntnis. Der Rechtsbeweis kann nur dann erlassen wer­ den, wenn die richterliche Rechtskenntnis aus einer anderen Quelle fließt. Ob­ schon die Erstverantwortung für die Rechtsermittlung bei dem Gericht liegt, gibt es nach wie vor Randbereiche, in denen die Parteien für einen Sachverständigen­ beweis von Recht bezahlen müssen. Die gemeinrechtliche Spaltung der Rechts­ ordnung in Vorschriften, die das Gericht kennen muss und solchen, an deren Er­ mittlung die Parteien beteiligt werden, besteht also weiterhin fort. Insgesamt werden die rechtlichen Urteilsgrundlagen in einem vielschichtigen und facetten­ reichen Verfahren ermittelt, das nicht auf einen einfachen Merksatz reduziert werden kann.

B. Vereinigte Staaten Bis zum heutigen Tag konnte der Merksatz iura novit curia in das amerikanische Rechtsdenken keinen Eingang finden.213 Das hängt mit der nahezu unübersehba­ ren Rechtsvielfalt zusammen. Vor den Augen der Richter erstreckt sich ein Meer Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 569–570 (2007). In der aktuellen Ausgabe des Black’s Law Dictionary, 10.  Aufl. 2014, findet sich kein Eintrag. Für das englische common law Mann, 93 T.L.Q.R. 367, 369 (1977). 213 

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von Entscheidungen, durchzogen von gesetzgeberischen Landmassen.214 Bereits im theoretischen Ausgangspunkt ist die Kenntnis des amerikanischen Rechts deshalb für jeden Richter eine große Herausforderung.215 Rechtssicherheit wird ganz grundsätzlich als Illusion angesehen.216 Ein einheitliches Privatrecht gibt es bis heute nicht.217 Vielmehr verfügt jeder der fünfzig Staaten über seine eigene Privatrechtsordnung, die von Gerichtsentscheidungen, Gesetzen, restatements und uniform laws geprägt ist.218 Allein aus der uferlos anmutenden Rechtsvielfalt lässt sich jedoch nicht ablei­ ten, dass amerikanische Richter das Recht nicht kennen müssten oder sollten.219 Vielmehr liegt bereits auf den ersten Blick ein Teil der Lösung im adversary system. Die Rechtsanwälte stellen dem Gericht die Rechtslage aus ihrer Sicht vor, der Richter entscheidet die Rechtsfragen.220 Gleichzeitig werden aktive Richter, die sua sponte in die Hauptverhandlung eingreifen, kritisch beurteilt.221 Es wäre jedoch voreilig, aus der konzeptionell passiven Rolle des Richters die grundsätzliche Beweisbedürftigkeit von Recht abzuleiten. Vielmehr geht es auch und gerade für den common law-Richter darum, vergleichbaren Fällen auch je­

214  Eine ähnliche Metapher verwendet Learned Hand, 35 Harv. L. Rev. 479 (1922). Das Fallrecht besteht aus Gerichtsentscheidungen, die vom 21. Jahrhundert über die Kolonialzeit bis hin in die früheste Zeit Englands zurückverfolgbar sind, s. Shartel, Our Legal System and How It Operates (1951), S.  388; Pound, 4 U. Chi. L. Rev. 176, 178–179 (1936). 215  Prägnant der Titel der Aufsatzserie von Frank, 80 U. Pa. L. Rev. 17 sowie 233 (1931): „Are Judges Human?“. 216 Grundlegend Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 465 (1897): „But certainty generally is illu­ sion, and repose is not the destiny of man.“ Weiterführend Coleman/Leiter, 142 U. Pa. L. Rev. 549, 579 (1993). Kritisch zur Rechtsunsicherheit in den Vereinigten Staaten Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541 (2007). 217  Zur Rechtsvielfalt Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2.  Aufl. 2004, S.  1–3 sowie Kischel, Rechtsvergleichung (2015), S.  32–35. 218  Zu den Rechtsquellen von Mehren, Law in the United States (1988), S.  13–22. Obschon im letzten Jahrhundert der Einfluss der Gesetzgebung zugenommen hat, sind weite Teile der Rechtsordnung nach wie vor nicht kodifiziert, sondern beruhen auf Fallrecht, s. Friedman, American Law in the Twentieth Century (2002), S.  588–608. Zu den Grundlagen s. Pound, 4 U. Chi. L. Rev. 176 (1936) sowie differenzierend Calabresi, A Common Law for the Age of Statutes (1982), S.  163–166. 219  Dazu prägnant Morgan, 57 Harv. L. Rev. 269, 270 (1944). 220  Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  31, 32; Currie, 58 Colum. L. Rev. 964, 984 (1958). 221  Milani und Smith bezeichnen sua sponte-Entscheidungen als „playing God“, s. Milani/ Smith, 69 Tenn. L. Rev. 245 (2002). Die Definition von sua sponte lautet nach Black’s Law Dictionary, 10.  Aufl. 2014, Eintrag „sua sponte“: „Without prompting or suggestion; on its own motion ‚the court took notice sua sponte that it lacked jurisdiction over the case‘“.

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weils vergleichbare Lösungen zuzuführen.222 Auch amerikanische Richter haben den Anspruch, Rechtsstreitigkeiten gerecht zu entscheiden.223 Es bedarf deshalb der umfassenden Untersuchung, inwieweit die Parteien Recht in den Vereinigten Staaten vortragen, nachweisen oder gar beweisen müs­ sen. Außerdem wird zu hinterfragen sein, wie amerikanische Richter die recht­ lichen Entscheidungsgrundlagen ermitteln und welche Rolle die richterliche Rechtskenntnis für die Beweisbedürftigkeit von Recht spielt. Auf die Rechtsent­ wicklung und die Rechtspraxis wird dabei im gebotenen Umfang eingegangen, weil die Rechtslage sich anders nicht verstehen lässt.

I. Beweisbedürftigkeit von Recht Recht ist nicht gleich law.224 Wenn es um die Beweisbedürftigkeit von Recht geht, ist deshalb zunächst eine Annäherung daran zu versuchen, was unter law in den Vereinigten Staaten überhaupt verstanden wird.225 Die Definitionsgewalt da­ rüber kommt nach der Entscheidung Marbury v. Madison ausdrücklich den Ge­ richten zu.226 In den Worten von Chief Justice Marshall: „It is emphatically the province and duty of the judicial department to say what the law is“.227

Der Prozess der Rechtsfeststellung wurde in der Folge vielfach kunstfertig be­ schrieben.228 Besonders eindrücklich ist eine Formulierung, die aus der Feder von Learned Hand stammt: „The pretension of [a] judge is [that] he declares pre-existing law, of which he is only the mouthpiece; his judgment is the conclusion of a syllogism in which the major is to be found among fixed and ascertainable rules. […] Yet the whole structure of the common law is an ob­ vious denial of this theory; it stands as a monument slowly raised, like a coral reef, from the

W. Miller, The Data of Jurisprudence (1903), S.  335: „If a group of cases involves the same point, the parties expect the same decision. It would be a gross injustice to decide alterna­ te cases on opposite principles.“ 223  Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 465 (1897). 224  Der Unterschied tritt bereits in der Sprache selbst hervor: In der englischen Sprache wird das Wort „Recht“ mit law übersetzt; das Wort „Recht“ erinnert an das „Richtige“ oder „Rech­ te“, wohingegen law nach Radbruch stärker positivrechtlich orientiert ist, s. Radbruch, Der Geist des englischen Rechts, 2.  Aufl. 1947, S.  30. 225 Zum Rechtsbegriff ausführlich Llewellyn, The Bramble Bush (1930), S.  1–16. Das Rechts­denken erfolgt grundsätzlich induktiv und nicht deduktiv, Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), S.  22–23. 226  Marbury v. Madison, 5 U.S.  137 (1803). 227  Marbury v. Madison, 5 U.S.  137, 177 (1803). 228  Statt aller Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921). 222 

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minute accretions of past individuals, of whom each built upon the relics which his predeces­ sors left, and in his turn left a foundation upon which his successors might work.“229

Es ist ein Grundgedanke des amerikanischen Rechts, dass jeder Fall sein eigenes Recht, ja seine eigene Gerechtigkeit in sich trägt.230 Gleichzeitig ordnet sich je­ der Fall in eine lange Reihe bereits zuvor entschiedener Fälle ein.231 Kann ein vorhergehender Präzedenzfall nicht distinguished werden, so ist das Gericht an ihn gebunden.232 Diese Bindungswirkung setzt gedanklich voraus, dass die Ge­ richte vergleichbare Präzedenzfälle kennen und ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen.233 Für die Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien lässt sich daraus aber nicht per se ein Ergebnis ableiten, weil sich die richterliche Rechtsermittlung stets in einem Spannungsfeld zu dem due process-Gedanken einerseits und dem Prinzip der Parteiverantwortung andererseits bewegt.234 Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, wie die rechtlichen Urteilsgrund­ lagen in das Verfahren Einzug finden. Dabei ist zwischen inländischem und aus­ ländischem Recht zu unterscheiden.235 Für einen langen Zeitraum wurde auslän­ disches Recht in Übereinstimmung mit der klassischen common law-Konzeption begrifflich nicht als Recht, sondern als Tatsache eingeordnet.236 Noch heute wirkt diese Spaltung der Rechtsordnung fort und findet ihren Ausdruck in einer prozes­ sualen Sonderbehandlung ausländischen Rechts.237 Zuerst wird auf die Beweisbedürftigkeit von inländischem und dann von aus­ ländischem Recht eingegangen. Danach sollen noch einige Besonderheiten aus der Sicht von Rechtsanwälten herausgearbeitet werden. Learned Hand, 35 Harv. L. Rev. 479 (1922). Dazu passt die idiomatische Formulierung „to judge each case on its own merits“. Ver­ tiefend Stone, 50 Harv. L. Rev. 4, 5–6 (1936) sowie Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), S.  19–23. 231  Zur Methode Pound, 4 U. Chi. L. Rev. 176, 187 (1936). Das Fallrecht ist deshalb kein abgeschlossener Komplex, sondern ständig in Fortentwicklung begriffen, s. Eisenberg, The Nature of the Common Law (1988), S.  43–49. Prägnant Smith, Jurisprudence (1909), S.  21: „[The] method of the lawfinding experts has always been experimental. The rules and princip­ les of case law have never been treated as final truths, but as working hypotheses, continually retested in those great laboratories of the law, the courts of justice.“ 232  Payne v. Tennessee, 501 U.S.  808, 849 (1991): „[This] Court has never departed from precedent without ‚special justification.‘“ 233  Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), S.  20: „Stare decisis is at least the everyday working rule of our law. […] It is a process of search, comparison, and little more.“ 234  Ausführlich zuletzt Minzner, 2010 B.Y.U. L. Rev. 597 (2010) sowie Barrett, 74 U. Colo. L. Rev. 1011 (2003). 235  Zu der prozessualen Sonderrolle des ausländischen Rechts s. Miller, 65 Mich. L. Rev. 613 (1966/1967) sowie grundlegend Story, Conflict of Laws, 3.  Aufl. 1846, S.  1021–1042. 236  Black Diamond S. S. Corp. v. Robert Stewart & Sons, 336 U.S.  386, 396–397 (1949). 237  So zuletzt Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 226–228 (2014). 229 

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1. Inländisches Recht Die Frage nach der Beweisbedürftigkeit von Recht ist mit der prozessualen Rol­ lenverteilung eng verwoben. Beteiligte des amerikanischen trials sind die Partei­ en, der Richter und die jury.238 Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen die Par­ teien, zumeist vertreten durch ihre Rechtsanwälte.239 Kern des Verfahrens ist eine Hauptverhandlung, in der beide Seiten im Wechselspiel ihre Sicht auf den Streitstand vorstellen.240 Was sich tatsächlich zugetragen hat, entscheidet die jury am Ende der Hauptverhandlung als fact finder.241 Dem Richter kommt eine pas­ sive Rolle zu; er wacht über den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf und belehrt die jury über das anwendbare Recht.242 In seiner Abhandlung über das adversary system beschrieb Fuller die richterliche Stellung daher wie folgt: „[B]efore a judge can gauge the full force of an argument, it must be presented to him with partisan zeal by one not subject to the constraints of the judicial office. The judge cannot know how strong an argument is until he has heard it from the lips of one who has dedicated all the powers of his mind to its formulation.“243

Konzeptionell ist es deshalb Aufgabe der Parteien, dem Richter die einschlägi­ gen rechtlichen Argumente vorzustellen.244 Aus dem adversary system selbst er­ gibt sich jedoch nicht, welche Auswirkungen fehlender oder fehlerhafter Rechts­ vortrag der Parteien nach sich zieht. Bis heute sieht das Gesetzesrecht keine­ klare Antwort auf diese Frage vor.245 Vielmehr ist die prozessuale Behand­lung des Rechtsermittlungsvorgangs nach wie vor durch das common law ge­ Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  30–43. 239  Pound, 40 Am. L. Rev. 729, 738 (1906); Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277, 298 (2002) sowie zuletzt Sherman, 48 S. Tx. L. Rev. 983, 984–986 (2007). 240  Sherman, 48 S. Tx. L. Rev. 983, 988–989 (2007). Heute verschiebt sich der Schwer­ punkt des Verfahrens allerdings immer mehr in die pre trial-Phase, s. Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 309 (2013). Kritisch Galanter, 1 J. Empirical Legal Stud. 459 (2004). 241 Die jury wird als fact finder bezeichnet, weil sie über die Feststellung des streitgegen­ ständlichen Sachverhalts zu befinden hat, s. FRCP 38 sowie U.S. Const. Art. III, §  2, Cl. 3, U.S. Const. Amend. VII. 242  FRCP 51(b) sowie Frankel, 123 U. Pa. L. Rev. 1031 (1975). Kritisch in Anbetracht von managerial judges Sherman, 48 S. Tx. L. Rev. 983, 991 (2007). 243  Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  30, 32. 244  Eriline Co. S.A. v. Johnson, 440 F.3d 648, 655 (4th Cir. 2006); Currie, 58 Colum. L. Rev. 964, 984 (1958). Anders allerdings in einigen Einzelstaaten, s. dazu Schlesinger, 59 Cornell L. Rev. 1, 20–21 (1973–1974) sowie vertiefend den Appendix bei Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 236 (2014). 245  FRE 201 regelt lediglich die judicial notice von Tatsachen und klammert Recht aus, s. Advisory Committee Note on FRE 201, 56 F.R.D. 183, 207 (1972). Die Federal Rules of Civil Procedure enthalten ebenfalls keine allgemeine Regel zur richterlichen Rechtsfeststellung. 238 Weiterführend

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prägt.246 Im Laufe der Zeit durchlief das common law eine mehrstufige Entwick­ lung; es ist folglich geboten, den Rechtsermittlungsvorgang auch historisch zu entfalten. Als erster Schritt ist die Entwicklung der judicial notice nachzuzeichnen. ­Danach wird näher auf die prozessuale Behandlung von Recht eingegangen. ­Sodann geht es darum, sich mit der Vortragsbedürftigkeit von Recht auseinan­ derzusetzen sowie das Zusammenspiel von Rechtsbeweis und judicial notice näher in den Blick zu nehmen. a) Rechtsentwicklung und judicial notice Historisch war es selbstverständlich, die Parteien zu Rechtsausführungen zu ver­ pflichten.247 Das Prozessrecht war von den cause of actions beherrscht, die sich aus dem klassischen writ-System entwickelt hatten.248 Der Grundgedanke der cause of actions lag darin, dem Kläger nicht nur den Vortrag der Tatsachen, son­ dern auch des Rechts aufzuerlegen.249 Wie im aktionenrechtlichen Denken war das Gericht an die cause of action gebunden und durfte die anspruchsbegründen­ de legal theory des Klägers nicht austauschen.250 Auch inländisches Recht konn­ te im Streitfall durchaus beweisbedürftig sein.251 Die grundlegende Weichenstellung für eine Zeitenwende wurde in dem Fall Marbury v. Madison gelegt.252 Im Jahr 1803 entschied der Supreme Court, dass die Gerichte judicial notice von der amerikanischen Verfassung nehmen durften und unter Umständen auch mussten.253 Judicial notice ist ein Konzept, das zur Feststellung von gerichtsbekannten Tatsachen entwickelt wurde.254 Es handelt 246  Ausführlich zum Konzept der judicial notice zuletzt Getty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312, 320–335 (10th Cir. 2004). 247  Mescall v. Tully, 91 Ind. 96, 99 (Ind. 1883). Kritisch bereits Whitter, 8 Colum. L. Rev. 523 (1908). 248  Ausführlich zu den Veränderungen im 19. Jahrhundert Friedman, History of American Law (1973), S.  340–358. 249 Weiterführend Whitter, 8 Colum. L. Rev. 523, 524–525 (1908). 250  Der Grund dafür wurde in dem Schutz der Gegenseite gesehen, Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1219 mit Fn.  4. 251  Jaffray v. Dennis, 13 F.Cas. 285 (Circuit Court, D. Pennsylvania, 1803): „In an action in the federal circuit court sitting in one state, to prove the rate of interest allowed in another state, the law of the latter state must be produced.“ 252  Marbury v. Madison, 5 U.S.  137, 177, 179–180 (1803). 253  Marbury v. Madison, 5 U.S.  137, 177, 179–180 (1803): „Why otherwise does it direct the judges to take an oath to support it? This oath certainly applies, in an especial manner, to their conduct in their official character. How immoral to impose it on them, if they were to be used as the instruments, and the knowing instruments, for violating what they swear to support?“. 254  Graham, Fed. Prac. & Proc. Evid., 2.  Aufl. 2016, §  5102.1 mit Fn.  61. Nach wie vor be­ dienen sich zahlreiche Gerichte sowie nahezu alle einzelstaatlichen Gesetze dieser Kategorie,

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sich um ein beweisrechtliches Institut, das an die gemeinrechtliche Notorietäts­ lehre erinnert.255 Bemerkenswert war die Entscheidung Marbury v. Madison in doppelter Hinsicht. Erstens war entschieden, dass die Vorschriften der Verfas­ sung nicht zwingend vorgetragen werden mussten. Zweitens stellte das höchste Gericht klar, dass der Inhalt der Verfassung nicht zu beweisen war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts folgte dann eine Vielzahl von weiteren Ent­ scheidungen, in denen der Supreme Court die Konturen der Rechtsermittlungs­ lehre für die federal courts weiter konkretisierte. Als erster Schritt stellte der Supreme Court fest, dass die Gerichte judicial notice von den federal laws neh­ men durften.256 Gleichzeitig war es ihnen freigestellt, über das Dasein und die Geltung eines inländischen Gesetzes unabhängig von dem Vortrag der Parteien zu entscheiden.257 Die Existenz von völkerrechtlichen Verträgen der Vereinigten Staaten durften die Gerichte ebenfalls ohne Beweis anerkennen.258 Überdies er­ hob der Supreme Court es zur Befugnis und Pflicht der federal courts, judicial notice von den Gesetzen und Gerichtsentscheidungen der Einzelstaaten zu neh­ men.259 Den Schlussstein dieser Entwicklung setzte das höchste Gericht der Ver­ einigten Staaten schließlich in dem Fall Lamar v. Micou.260 Noch heute wird die in diesem Fall geprägte Formel von den Gerichten zitiert: „The law of any state of the Union, whether depending upon statutes or upon judicial opinions, is a matter of which the courts of the United States are bound to take judicial notice, without plea or proof.“261

Nach und nach wurde die vom Supreme Court entwickelte Rechtsermittlungs­ lehre teilweise in Gesetzesform gegossen.262 Mit Erlass der Federal Rules of s. exemplarisch NY CPLR § R4511 (2012) (New York) oder 735 ILCS 5/8-1003 (Illinois). Der neuere Trend unter federal courts geht dahin, die Worte judicial notice nicht mehr zu verwenden, s. zu einer ausführlichen Diskussion U.S. v. Dedman, 527 F.3d 577, 586–589 (6th Cir. 2008). Die Federal Rules of Evidence haben sich ebenfalls dafür entschieden, Recht nicht mehr der judi­cial notice zu unterstellen, Advisory Committee Note on FRE 201, 56 F.R.D. 183, 207 (1972). 255  Die Argumentationsmuster sind sehr ähnlich, s. statt aller Getty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312, 320–335 (10th Cir. 2004). 256  U.S. v. Tingey, 30 U.S.  115, 126–127 (1831). 257  Gardner v. Collector of Customs, 73 U.S.  499, 511 (1867). 258  U.S. v. Reynes, 50 U.S.  127, 147–148 (1850). 259  Owings v. Hull, 34 U.S.  607, 625 (1835). 260  Lamar v. Micou, 114 U.S.  218, 223 (1885) unter Verweis auf Pennington v. Gibson, 57 U.S.  65, 81 (1853) sowie Covington Drawbridge Co. v. Shepherd, 61 U.S.  227, 231 (1857). 261  Lamar v. Micou, 114 U.S.  218, 223 (1885). Zuletzt zitiert von Kovaly v. Wal-Mart Stores Texas, LLC, 157 F.Supp.3d 666, 674 (S.D. Tex. 2016). 262  Nach dem Rules Enabling Act ist es der Supreme Court selbst, der die Federal Rules of Civil Procedure entwickelt und vorgeschlagen hat, 28 U.S.C. §  2072(a). Auf einzelstaatlicher Ebene hatten der Uniform Judicial Notice of Foreign Law Act von 1936 und der Uniform Inter­

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Civil Procedure im Jahre 1938 fand das Konzept der cause of action sein formel­ les Ende.263 Das traditionelle code pleading, bei dem die Rechtsgrundlage vorge­ tragen werden musste, war nun auf föderaler Ebene durch das notice pleading ersetzt.264 Bei ihrer Einführung 1975 sahen die Federal Rules of Evidence einen Beweis von Recht nicht vor.265 Konzeptionell hatte sich deshalb in Rechtspre­ chung und föderaler Gesetzgebung die Regel durchgesetzt, auf einen Beweis von Recht verzichten zu wollen.266 b) Prozessuale Behandlung von Recht Die Gerichte sind also befugt, ihnen bekannte Rechtsquellen in das Verfahren einzuführen sowie die Rechtslage eigenständig zu ermitteln.267 Die Beurteilung des Rechts soll das Gericht selbst vornehmen; Parteisachverständige in Bezug auf inländisches Recht sind grundsätzlich unzulässig.268 Überdies wird von den Parteien nicht mehr zwingend verlangt, in den Schriftsätzen eine bestimmte rechtliche Theorie vorzutragen.269 Die Klageschrift muss lediglich einen claim,

state and International Procedure Act von 1962 großen Einfluss, Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 223–226 (2014). 263  Johnson v. City of Shelby, Miss., 135 S.Ct. 346 (2014); Vincent v. City Colleges of Chicago, 485 F.3d 919, 924 (7th Cir. 2007) sowie grundlegend Conley v. Gibson, 355 U.S.  41, 47 (1957). 264  Nach FRCP 2 gibt es nur noch eine „form of action“ und nach FRCP 8(a)(2) muss das „pleading“ lediglich ein „short and plain statement of the claim“ enthalten. Der Begriff „plea­ ding“ bezeichnet den verfahrenseinleitenden Schriftsatz. 265  Advisory Committee Note on FRE 201, 56 F.R.D. 183, 207 (1972). 266  Graham, Fed. Prac. & Proc. Evid., 2.  Aufl. 2016, §  5102.1. 267  Auf einzelstaatlicher Ebene finden sich Besonderheiten und Abwandlungen; letztlich verfügt jeder der fünfzig Staaten über seine eigenen Grundsätze zur Beweisbedürftigkeit von Recht, s. Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 223–226 (2014). So sehen die Gerichte einiger Einzel­ staaten das Recht anderer Einzelstaaten nach wie vor als Tatsache an, s. etwa EFCO Corp. v. Norman Highway Constructors, Inc., 606 N.W.2d 297, 300–301 (Iowa 2000). 268  Burkhart v. Washington Metropolitan Area Transit Authority, 112 F.3d 1207, 1212 (DC Cir. 1997): „Each courtroom comes equipped with a ‚legal expert,‘ called a judge“. Ebenso U.S. v. Caputo, 517 F.3d 935, 942 (7th Cir. 2008) sowie Southern Pine Helicopters, Inc. v. Phoenix Aviation Managers, Inc., 320 F.3d 839 (8th Cir. 2003); Owen v. Kerr-McGee Corp., 698 F.2d 236, 239–240 (5th Cir. 1983); Note, 97 Harv. L. Rev. 797 mit Fn.  10 (1984). Aller­ dings wird dieser Grundsatz in der Literatur mehr und mehr bezweifelt, s. etwa Friedland, 37 U. Miami L. Rev. 451, 455 (1981); Pollack, 32 IDEA 361 (1992); Chinaris, 36 St. Mary’s L.J. 825, 859 (2005). 269  Johnson v. City of Shelby, Miss., 135 S.Ct. 346 (2014); Skinner v. Switzer, 562 U.S.  521, 530 (2011). Wegweisend für diese Entwicklung war der Field Code in New York, der zur Ab­ schaffung der forms of action führte, s. Friedman, History of American Law (1973), S.  340– 341.

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nicht aber eine cause of action enthalten.270 Die Begründetheit der Klage ist folg­ lich von der rechtlichen Theorie des Klägers unabhängig.271 Aus diesem Grund darf ein Anspruch auch dann zugesprochen werden, wenn fälschlicherweise eine nicht einschlägige rechtliche Theorie vorgetragen wurde.272 Weil Rechtsausführungen nicht wie Tatsachen zugestanden werden können, ist das Gericht überdies an den rechtlichen Parteivortrag zum inländischen Recht nicht gebunden.273 Ein Versäumnisurteil ergeht daher auch nur dann, wenn die Klage rechtlich schlüssig ist; die Rechtsausführungen des Klägers gesteht der Beklagte nicht zu.274 Passend dazu lässt sich eine motion to dismiss konzeptionell nicht darauf stützen, dass zum Recht nicht oder fehlerhaft vorgetragen wurde.275 Grundsätzlich ist es dem Kläger außerdem möglich, im Laufe des Verfahrens seine rechtliche Theorie anzupassen.276 Eine Veränderung der rechtlichen Theo­ rie ist aber eine Klageänderung, deren Zulassung im Ermessen des Gerichts liegt.277 Insbesondere darf ein Wechsel der rechtlichen Theorie nicht dazu führen, dass die Gegenseite überrascht oder in ihrer Verteidigungsstrategie beeinträchtigt 270  Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S.  544, 575 (2007); Alvarez v. Hill, 518 F.3d 1152, 1157–1159 (9th Cir. 2008); Runnion ex rel. Runnion v. Girl Scouts of Greater Chicago and Northwest Indiana, 786 F.3d 510, 517 (7th Cir. 2014). 271 Ansatzpunkt dafür ist FRCP 54(c). Ein Gericht darf daher etwa einen Anspruch aus Vertrag zusprechen, obwohl nur Delikt plädiert wurde, s. Thomas v. Pick Hotels Corp., 224 F.2d 664, 666 (10th Cir. 1955). Weitere Nachweise bei Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1219 mit Fn.  8. 272  Ehrichs v. Kearney, 730 F.2d 1170, 1174–1175 (8th Cir. 1984) sowie Clark, 12 Wyo. L.J. 177, 192 (1957–1958). Vergisst der Kläger etwa, ausdrücklich auf 42 USCA §  1983 hinzuwei­ sen, so kann seine Klage dennoch begründet sein. 273  Ehrichs v. Kearney, 730 F.2d 1170, 1174–1175 (8th Cir. 1984); Clark, 12 Wyo. L.J. 177, 192 (1957–1958). 274  Black v. Lane, 22 F.3d 1395, 1399–1407 (7th Cir. 1994); Kane, Fed. Prac. & Proc. Civ., 4.  Aufl. 2016, §  2688.1. 275 Eine motion to dismiss dient dazu, die Klage bereits vor Eröffnung der Hauptverhand­ lung zu Fall zu bringen. Die grundsätzliche Möglichkeit einer motion to dismiss folgt aus 12(b) (6) FRCP. Zur Unzulässigkeit in diesem Zusammenhang s. Fresquez v. Minks, 567 Fed. Appx. 662, 664–665 (10th Cir. 2014); Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1219 mit Fn.  13. Das mit der Verwirkung verwandte Konzept des estoppel findet auf rechtli­ chen Vortrag keine Anwendung, s. Town of South Ottawa v. Perkins, 94 U.S.  260, 267 (1876). 276  James, 14 Vand. L. Rev. 899, 911 (1960–1961). Grundsätzlich soll der Prozesserfolg nicht deshalb vereitelt werden, weil der Rechtsanwalt rechtlich falsch vorgetragen hat, Webb v. Hiykel, 713 F.2d 405, 408 (8th Cir. 1983). Die Einzelheiten im Umgang mit der Klageänderung können hier nur angedeutet werden; vertiefend s. Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §§  1471 bis 1510. 277  Sherman v. Hallbauer, 455 F.2d 1236, 1242 (5th Cir. 1972); Mateza v. Walker, 469 F.Supp.  1276, 1277–1278 (D. Mass. 1979) sowie Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1474 mit Fn.  10. Im Grundsatz ist das Gericht befugt, zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens eigenständige Rechtserwägungen einzubringen, s. Berrios-Romero v. Estado Libre

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wird.278 Die späte Einführung einer anderen rechtlichen Theorie ist ferner dann ausgeschlossen, wenn ansonsten Ressourcen des Gerichts oder der Gegenseite verschwendet würden.279 Die Möglichkeit, nach Einreichung der Klageschrift Rechtsvortrag nachzuschieben, ist daher begrenzt.280 c) Vortragsbedürftigkeit Die Ausführungen zur Klageänderung machen deutlich, wie gewissenhaft der Kläger mit Rechtsausführungen umgehen sollte.281 Tatsächlich folgt aus dem Konzept der judicial notice gerade nicht, dass auf Rechtsausführungen verzichtet werden könnte.282 Das Gegenteil ist richtig: Das amerikanische Recht begründet einen funktionalen Rechtsvortragszwang auch für inländisches Recht.283 Der Grundgedanke der judicial notice wurzelt darin, dass die Gerichte die Exis­ tenz, die Geltung und den Inhalt des von den Parteien vorgetragenen Rechts selbst­ tätig prüfen.284 Die Betonung liegt dabei auf „von den Parteien vorgetragen“. Dem­ entsprechend lässt das Konzept der judicial notice die klassische Aufgabenvertei­ lung zwischen dem Gericht und den Parteien ausdrücklich unberührt.285 In Asociado de Puerto Rico, 641 F.3d 24, 27 (1st Cir. 2011); U.S. v. Clements, 588 F.2d 1030, 1037 (5th Cir. 1979). 278  Zokari v. Gates, 561 F.3d 1076, 1087 (10th Cir. 2009); Evans v. McDonald’s Corp., 936 F.2d 1087, 1090–1091 (10th Cir. 1991); Webb v. Hiykel, 713 F.2d 405, 408 (8th Cir. 1983). Insgesamt erinnert dieser Test an die traditionelle common law-Konzeption, s. James, 14 Vand. L. Rev. 899, 911 (1960–1961). 279  Evans v. McDonald’s Corp., 936 F.2d 1087, 1090–1091 (10th Cir. 1991); Armstrong Cork Co. v. Lyons, 366 F.2d 206, 209 (8th Cir. 1966). 280  Armstrong Cork Co. v. Lyons, 366 F.2d 206, 209 (8th Cir. 1966). Allerdings kann das Gericht nach FRCP 54(3) den relief auch ohne Klageänderung auf Grundlage einer anderen rechtlichen Theorie zusprechen, Garland v. Garland, 165 F.2d 131, 133 (10th Cir. 1947); ­Minyard Enterprises, Inc. v. Southeastern Chemical & Solvent Co., 184 F.3d 373, 385–386 (4th Cir. 1999) sowie ausführlich Kane, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  2664 m. w. N. 281  Zu den Einschränkungen Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286 (2013) sowie Maxeiner, 114 Penn St. L. Rev. 1257 (2009) jeweils m. w. N. 282  Kritisch zur Kategorie der judicial notice Getty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312, 320–322 (10th Cir. 2004); Patterson v. United Parcel Service, Inc., 102 Ark. App.  378 (Ark. Ct. App.  2008); Graham, Fed. Prac. & Proc. Evid., 2.  Aufl. 2016, §  5102.1 mit Fn.  62. 283  Dies zeigt sich auch daran, dass Naturalparteien einen außerordentlich schweren Stand vor Gericht haben, s. kritisch Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987 (1999) sowie Rosenbloom, 30 Fordham Urb. L.J. 305 (2002). 284  In diese Richtung etwa Gardner v. Collector of Customs, 73 U.S.  499, 511 (1867). In Übereinstimmung mit dem adversary system wird in den Vereinigten Staaten der Rechtsvortrag der Parteien stets mitgedacht, s. dazu Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  30, 32. 285  Die Auswirkungen des adversary system zeigt ein Zitat von Currie, 58 Colum. L. Rev.

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Übereinstimmung mit ihrer traditionell passiven Stellung machen zahlreiche Ge­ richte von ihrer Rechtsermittlungsbefugnis bewusst keinen Gebrauch.286 Tatsäch­ lich sehen die Richter es nicht als ihre Aufgabe an, die Rechtslage für die Parteien zu recherchieren.287 Ebenso werden sie die Parteien während des Verfahrens grundsätzlich nicht über die Rechtslage aufklären.288 Umgekehrt ist es kein selte­ nes Phänomen, wenn Richter in Anbetracht ihrer Arbeitsbelastung einschlägige Entscheidungen oder Gesetze übersehen.289 Der Fehler liegt dann aber nicht bei dem Gericht, sondern bei den Parteien. Wurde ein Rechtssatz des anwendbaren Rechts dem Instanzgericht von den Parteien nicht zur Kenntnis gebracht, so kann die Nichtanwendung dieses Rechtssatzes in der Berufung grundsätzlich nicht mehr gerügt werden.290 Besonders bedeutsam für die Vortragsbedürftigkeit von Recht ist zudem die pleading-Doktrin.291 In den epochalen Entscheidungen Bell Atlantic Corp. v. Twombly aus dem Jahr 2007 und Ashcroft v. Iqbal aus dem Jahr 2009 hat der Supreme Court das notice pleading durch ein plausibility pleading ersetzt.292 Ist der tatsächliche Vortrag nicht plausibel, so kann die Gegenseite über eine motion to dismiss das Verfahren in einem frühen Stadium und lange vor Beginn der Hauptverhandlung zu Ende bringen.293 Die Plausibilität der Klageschrift hängt ihrerseits von der Erfüllung der Voraussetzungen einer rechtlichen Theorie ab; ohne die Kenntnis der einschlägigen Rechtsfragen ist es deshalb von vornherein 964, 984 (1958): „Even on questions of domestic law, American courts justifiably expect coun­ sel to undertake at least the basic responsibility for research, and to present arguments and ­authorities.“ 286  Zahlreiche Beispiele bei Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987, 2011–2021 (1999). 287  Continental Technical Services, Inc. v. Rockwell Intern. Corp., 927 F.2d 1198, 1199 (11th Cir. 1991) sowie Graham, Fed. Prac. & Proc. Evid., 2.  Aufl. 2016, §  5102.1 mit Fn.  74. 288  Dies ist sogar dann der Fall, wenn die Parteien nicht von Rechtsanwälten vertreten sind, Mazur v. Com. of Pa., Dept. of Transp., 507 F. Supp.  3, 4 (E.D. Pa. 1980). Kritisch Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987, 2011–2021 (1999). 289  Grundlegend Note, 30 Yale L. J. 855 (1921). Zur Arbeitsbelastung der Richter und den daraus resultierenden Nachteilen Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987, 1988–1989 (1999). 290  Bothwell v. Buckbee-Mears Co., 275 U.S.  274, 279 (1927): „But the Maryland statute was not set up in the state courts, and, as they did not take judicial notice of it, it will not be noticed here.“ Freeman v. Continental Gin Co., 381 F.2d 459, 469 (5th Cir. 1967). Ähnlich zuletzt Johnson v. City of Shelby, Miss., 743 F.3d 59, 62 (5th Cir. 2013). Diese Entscheidung wurde jedoch aufgehoben, Johnson v. City of Shelby, Miss., 135 S.Ct. 346 (2014). 291 Ausführlich Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 331–346 (2013) sowie zur Entwicklung Spencer, 108 Mich. L. Rev. 1 (2010) und James, 14 Vand. L. Rev. 899, 911 (1960–1961). 292  Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S.  544 (2007); Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S.  662 (2009) sowie zu den Konsequenzen Miller, 60 Duke L.J. 1 (2010). 293  Damit wurde die Entscheidung Conley v. Gibson, 355 U.S.  41 (1957) aufgegeben. In der Literatur wird darin eine Rückkehr zur alten demurrer-Praxis des common law gesehen, s. Miller, 60 Duke L.J. 1, 21 (2010).

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ausgesprochen schwer, überhaupt eine plausible Klageschrift abzufassen.294 Selbst wenn die motion to dismiss überstanden wird, bleibt die motion for summary judgment ein weiteres Risiko.295 Die Rechtsprechung des Supreme Court geht letztlich in der Sache dahin, die common law-Technizität des pleadings wie­ der aufleben zu lassen.296 Insgesamt gilt deshalb: Wird zum Recht nicht vorgetra­ gen, so ist das Risiko eines Prozessverlusts in der Praxis sehr real.297 Abgesehen von diesen Besonderheiten beim klägerischen pleading kann Rechtsvortrag aber auch an anderer Stelle erforderlich werden. Vergisst der Be­ klagte, in seiner Antwort auf die gegnerische Klageschrift eine affirmative defense zu erheben, dann liegt darin ein Verzicht.298 Wird etwa auf fehlende consideration, die Nichteinhaltung der Form, Mitverschulden oder einen vertraglichen Haftungsausschluss nicht hingewiesen, so berücksichtigt das Gericht diese defenses nicht.299 Dies wirkt deshalb besonders schwer, weil der Beklagte regelmä­ ßig nur 21 Tage Zeit hat, um auf die Klageschrift zu antworten.300 294  Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1219: „[It] seems to be virtually impossible to draft a pleading without having formulated some legal characterization of the facts […].“ Zu den hochkomplexen pleading-Anforderungen in den einzelnen Rechts­ gebieten s. Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §§  1227–1251. 295 Eine motion for summary judgment dient dazu, den Richter noch vor Abschluss der Hauptverhandlung über den Rechtsstreit entscheiden zu lassen. Die Reichweite der motion for summary judgment wurde in der Celotex-Trilogie des Supreme Court erheblich ausgedehnt, s. Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S.  317, 325 (1986); Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S.  242, 257 (1986); Matsushita Elec. Indus. Co. v. Zenith Radio Corp., 475 U.S.  574, 597 (1986). Sehr kritisch Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 310–312 (2013). 296  Hutchison v. Metropolitan Government of Nashville and Davidson, County, 685 F.Supp.2d 747, 750 (M.D. Tenn. 2010) sowie Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1216 mit Fn.  107.1. Dazu passt es, wenn manche Gerichte den Vortrag einer rechtlichen Theorie in der Klageschrift sogar ausdrücklich verlangen, Polk v. Beard, 2014 WL 4765611 (C.D. Cal. 2014); Kizzee v. Walmart, Inc., 2010 WL 1511554 (D. Ariz. 2010). 297  Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 367 (2013): „The capacity to enter the courthouse only [to be] crucified once inside on a pleading motion is hardly meaningful access.“ 298  Der Begriff der affirmative defense erinnert funktional an die deutsche Einrede; aller­ dings versteht das amerikanische Recht zahlreiche Rechtsinstitute als affirmative defenses, die im deutschen Recht als Einwendungen eingeordnet werden. Diese „Einwendungen“ wenden amerikanische Gerichte gerade nicht von Amts wegen an, s. FRCP 8(b)(1)(A) sowie FRCP (8)(c) für eine nicht abschließende Liste von 19 affirmative defenses, die erhoben werden müssen. Zur Rechtsprechung des Supreme Court s. Wood v. Milyard, 132 S.Ct. 1826, 1832 (2012). Zur Fra­ ge, ob Gerichte dennoch sua sponte vorgehen dürfen s. Macfarlane, 91 Or. L. Rev. 177, 187– 189 (2012). 299  Consideration: Seaboard Sur. Co. v. Harbison, 304 F.2d 247, 251 (7th Cir. 1962). Waiver: Glass Containers Corp. v. Miller Brewing Co., 643 F.2d 308, 312 (5th Cir. 1981). Statute of frauds: Wineberg v. Park, 321 F.2d 214, 218 (9th Cir. 1963). Contributory negligence: Alton Memorial Hosp. v. Metropolitan Life Ins. Co., 656 F.2d 245, 250 (7th Cir. 1981). 300  FRCP 12(a)(1)(A)(i). Ob die erhöhten Anforderungen der Twombly-Iqbal-Rechtspre­

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Überdies kann es für die Zulässigkeit von motions erforderlich sein, ein memorandum of law einzureichen.301 Ganz unabhängig von pleadings, defenses und motions ist es Gerichten erlaubt, die Parteien zu Rechtsausführungen aufzufor­ dern.302 Kommt es zur Hauptverhandlung, so müssen die Parteien jede Missach­ tung der Rules of Evidence unter Angabe des rechtlichen Grundes rügen.303 Neben der bereits aufgezeigten Erforderlichkeit von Rechtsvortrag in Klage­ schrift, Klageerwiderung und motions ist die richterliche Sanktionsmöglichkeit von besonderer Bedeutung.304 Mit der Einreichung eines prozessualen Schrift­ stücks garantiert die Partei, dass für die Geltendmachung von allen Ansprüchen, defenses sowie motions eine stimmige rechtliche Grundlage besteht.305 Mit die­ ser Garantie geht die Verpflichtung einher, die Rechtslage einer den Umständen angemessenen Prüfung zu unterziehen.306 Wird die Rechtslage nicht angemessen ermittelt, so drohen nicht nur prozessuale Nachteile, sondern auch Sanktionen.307 Die Sanktionen sind eine Form der prozessualen Strafe, die sich an den Rechts­ anwalt, seine Anwaltskanzlei oder die Partei selbst richten können.308 Gegen­ stand der Sanktion kann vor allem eine Strafzahlung direkt an das Gericht oder die Auferlegung der Anwaltskosten der Gegenseite sein.309 Der Zweck der Sank­

chung auch auf affirmative defenses Anwendung finden, ist streitig, s. Tardif v. City of New York, 302 F.R.D. 31, 34 (S.D.N.Y. 2014). 301 Ein memorandum of law ist ein Schriftsatz, in dem ausführlich zur Rechtslage ausge­ führt wird. Anknüpfungspunkte dafür sind FRCP 7(b)(1)(B) sowie FRCP 83. Zur Rechtspre­ chung s. Belz v. Morgan Stanley Smith Barney, LLC, 2014 WL 897048 (M.D. Fla. 2014); Mpala v. City of New Haven, 2014 WL 883906 (D. Conn. 2014). Zu local rules s. Miller/Kane/ Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1192 mit Fn.  17. 302  Feliciano v. DuBois, 846 F.Supp.  1033, 1047 (D. Mass. 1994); Sherman, 48 S. Tex. L. Rev. 983, 996 (2007); Gitlin, 99 Ill. B.J. 537 (2011). 303  FRE 103(a)(1)(A) sowie zum allgemeinen Zweck der Federal Rules of Evidence s. FRE 102. 304  Die Sanktionsvorschrift findet sich in FRCP 11(c). 305  FRCP 11(b)(2). 306  Berwick Grain Co., Inc. v. Illinois Dept. of Agriculture, 217 F.3d 502, 504 (7th Cir. 2000): „[F]or Rule 11 purposes a frivolous argument is simply one that is baseless or made without a reasonable and competent inquiry“. Weiterführend Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1335 mit Fn.  6–8. 307  Sanktionen sind verfassungskonform und kommen sogar dann in Betracht, wenn vor dem falschen Gericht geklagt wurde, Willy v. Coastal Corp., 503 U.S.  131, 135–136 (1992). 308  Eine anwaltlich vertretene Partei wird nur zurückhaltend für Fehler ihres Rechtsanwalts sanktioniert, U.S. v. Milam, 855 F.2d 739, 743 (11th Cir. 1988). 309  Daneben kommen auch weitere Sanktionsformen in Betracht, s. Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1336.3. Die Sanktion liegt im gerichtlichen Ermessen und berücksichtigt die Umstände des Einzelfalles, s. Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1336 und §  1336.1.

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tion liegt darin, eine sorgfältige Ermittlung der Rechtslage in Zukunft zu garan­ tieren.310 Zwingend sind Rechtsausführungen außerdem vor den Courts of Appeals.311 Als Vorbereitung für die Schriftsätze wird eine sorgfältige rechtliche Recherche erwartet.312 Die Schriftsätze werden als briefs bezeichnet und müssen eine Viel­ zahl von formellen Anforderungen erfüllen und unter anderem die rechtlichen Fehler des Instanzgerichts herausarbeiten.313 Es genügt nicht, diese Fehler nur generell zu behaupten oder oberflächlich zu begründen.314 Vielmehr ist erforder­ lich, umfassend und genau zum Recht vorzutragen.315 Die Gesetzesvorschriften müssen im Wortlaut in den Schriftsatz eingefügt werden.316 Außerdem ist eine Übersicht aller verwendeten Rechtsquellen voranzustellen.317 Abgesehen davon können local rules die Anforderungen an Schriftsätze noch weiter verschärfen.318 Wird ein rechtliches Argument nicht zur Zufriedenheit des Court of Appeals vor­ getragen, so liegt darin regelmäßig ein Verzicht.319 Das Gericht sieht es nicht als 310  International Shipping Co., S.A. v. Hydra Offshore, Inc., 875 F.2d 388, 393 (2nd Cir. 1989): „The quality of Justice depends upon our ability to control the flood of litigation. Rule 11 requires that members of the bar avoid haphazard, superficial research.“ 311  Die Anforderungen für den appellant sind ausführlich in FRAP 28(a) und für den appellee in FRAP 28(b) geregelt. Sie sind zwingend, Sioson v. Knights of Columbus, 303 F.3d 458, 459 (2nd Cir. 2002). Das gilt auch für Naturalparteien, Mathis v. New York Life Ins. Co., 133 F.3d 546, 548 (7th Cir. 1998). Die Gerichte sind aber bei Naturalparteien etwas großzügiger als bei anwaltlich vertretenen Parteien, Haase v. Countrywide Home Loans, Inc., 748 F.3d 624, 629 (5th Cir. 2014). 312 Ausführlich zu den Anforderungen Magnuson/Herr, Federal Appeals Jurisdiction and Practice (2016), §  1:5. 313 Die issues müssen nicht nur identifiziert, sondern auch argumentiert werden, Reedy v. Werholtz, 660 F.3d 1270, 1274 (10th Cir. 2011). Das statement of the issues presented for review wird von FRAP 28(a)(5) verlangt. 314  Cole v. C.I.R., 637 F.3d 767, 772–773 (7th Cir. 2011); Kach v. Hose, 589 F.3d 626, 642 (3rd Cir. 2009). 315  Payne v. District of Columbia Government, 722 F.3d 345, 354 (DC Cir. 2013). Die Nen­ nung von drei Gerichtsentscheidungen im opening brief genügt nicht, MacArthur v. San Juan County, 495 F.3d 1157, 1160–1161 (10th Cir. 2007). Insbesondere Schlüsselargumente müssen mit Autoritäten unterlegt werden, Adams v. Raintree Vacation Exchange, LLC, 702 F.3d 436, 439 (7th Cir. 2012). 316  Das gilt nach FRAP 28(f) für alle relevanten statutes, rules und regulations. 317  Umfasst sein müssen alle verwendeten Gerichtsentscheidungen, Gesetzesvorschriften sowie sonstige rechtliche Autoritäten, FRAP 28(a)(3). 318  Beispielsweise beschränkt der United States Court of Appeals for the Seventh Circuit die Schriftsatzlänge auf 14.000 Wörter und verlangt umfangreiche Anhänge, die auch Gerichtsent­ scheidungen umfassen, s. 7th Circuit Rules 30 sowie 32. 319  Mathis v. New York Life Ins. Co., 133 F.3d 546, 548 (7th Cir. 1998); Medina-Rivera v. MVM, Inc., 713 F.3d 132, 140–141 (1st Cir. 2013). Vertiefend Magnuson/Herr, Federal Ap­ peals Jurisdiction and Practice (2016), §  9:2.

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seine Aufgabe an, das rechtliche Argument für die Parteien zu formulieren oder gar entsprechende Recherchen zu erledigen.320 Kurz gesagt: „Judges are not like pigs, hunting for truffles buried in briefs.“321

Nach allem erscheint es aus Parteisicht kaum praktikabel, auf eigene Rechtsaus­ führungen zu verzichten und sich stattdessen auf die gerichtliche Recherche der einschlägigen Rechtsgrundlagen zu verlassen.322 d) Beweisbedürftiges Recht Funktional lässt die judicial notice-Doktrin also nur die Beweisbedürftigkeit von Recht entfallen, wohingegen die Vortragsbedürftigkeit unberührt bleibt. Abgese­ hen davon umfasst das Konzept der judicial notice aber auch keineswegs jedwe­ des Recht. Insbesondere darf nicht übersehen werden, welche Rolle die Existenz der jury für die Beweisbedürftigkeit von Recht spielt.323 Schon im Ausgangspunkt wird der Tatsachenbegriff von den Gerichten über­ aus weit verstanden, um die jury als fact finder nicht zu entmachten.324 Es ist unstreitig Aufgabe der Geschworenen, über mixed questions of law and fact zu entscheiden.325 Gleichzeitig beschränkt sich die richterliche Belehrung darauf, die jury über den anwendbaren rechtlichen Test in Kenntnis zu setzen.326 Ob die

320  Deutlich die Formulierung von Scalia in Carducci v. Regan, 714 F.2d 171, 177 (DC Cir. 1983): „The premise of our adversarial system is that appellate courts do not sit as self-directed boards of legal inquiry and research, but essentially as arbiters of legal questions presented and argued by the parties before them.“ Medina-Rivera v. MVM, Inc., 713 F.3d 132, 140–141 (1st Cir. 2013): „[D]eveloping a sustained argument out of … legal precedents is appellant’s job, not ours.“ 321  U.S. v. Dunkel, 927 F.2d 955 (7th Cir. 1991). 322  Rosenbloom, 30 Fordham Urb. L.J. 305, 309 (2002): „The reality is that an overburde­ ned court does not always have the time and patience to fully weigh each allegation and to re­ view every claim no matter how meritorious.“ 323  Obschon in zahlreichen Fällen eine Entscheidung ohne Einbeziehung einer jury ergeht, wirkt sich die bloße Existenz dieses Rechtsinstituts dennoch erheblich auf den Vorgang der Rechtsanwendung aus. Zum praktischen Verschwinden des trials s. statt aller Galanter, 1 J. Empirical Legal Stud. 459 (2004). Grundlegend zur Abgrenzung von Recht und Tatsachen Morris, 55 Harv. L. Rev. 1303 (1942). 324  U.S. v. Gaudin, 515 U.S.  506, 514 (1995); Hana Financial, Inc. v. Hana Bank, 135 S.Ct. 907, 911 (2015). Ausführlich Morris, 55 Harv. L. Rev. 1303 (1942) sowie Thayer, 3 Harv. L. Rev. 285 (1890). 325  Hana Financial, Inc. v. Hana Bank, 135 S.Ct. 907, 911 (2015). 326  Thayer, 3 Harv. L. Rev. 285 (1890): „Where the courts or statutes have fixed the legal standard […], the determination of whether any given behavior conforms to it or not is a mere question of fact.“

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Tatbestandsmerkmale des Tests dann erfüllt sind, entscheiden die Geschworenen selbst.327 In den Worten des Supreme Court: „[T]he jury’s constitutional responsibility is not merely to determine the facts, but to apply the law to those facts and draw the ultimate conclusion“.328

Daraus folgt für die Parteien unmittelbar, dass sie den Inhalt von mixed questions of facts and law erläutern, nachweisen und unter Umständen sogar beweisen, um die Geschworenen bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen.329 Teil dieser Unterstützung ist es immer wieder, Parteisachverständige zur Auslegung von einzelnen Tatbestandsmerkmalen zu befragen.330 So dürfen Parteisachverständi­ ge etwa dazu ausführen, ob eine Handlung den standard of care der negligence verletzt oder nicht.331 Ebenfalls ist es üblich, dass Parteisachverständige über die Art und Weise der Schadensberechnung Auskunft geben.332 Ganz grundsätzlich ist die Einbeziehung von Rechtssachverständigen in wirtschafts-, steuer-, patentoder wertpapierrechtlichen Streitigkeiten keine Seltenheit.333 Auf die Spitze wird 327  Morris, 55 Harv. L. Rev. 1303, 1312–1313 (1942) unter Bezugnahme auf das Institut der negligence. 328  Hana Financial, Inc. v. Hana Bank, 135 S.Ct. 907, 911 (2015). In Abgrenzung dazu beschränkt sich die Rolle des Richters darauf, für ein geordnetes Verfahren zu sorgen, die strei­ tigen Rechtsfragen zu entscheiden und der jury das anwendbare Recht zu erklären, s. U.S. v. Gaudin, 515 U.S.  506, 513 (1995); Bollenbach v. U.S., 326 U.S.  607, 612 (1946); Quercia v. U.S., 289 U.S.  466, 469 (1933). 329  Es gibt deshalb ganze Rechtsgebiete, in denen Parteisachverständige über inländisches Recht an der Tagesordnung sind, s. Chinaris, 36 St. Mary’s L.J. 825, 859 (2005); Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 (2000); Pollack, 32 IDEA 361 (1992). Kritisch Baker, 40 U. Kan L. Rev. 325 (1992). 330  Zum Beispiel, ob ein Produkt „unreasonably dangerous beyond the expectation of the average user“ ist oder nicht, Karns v. Emerson Elec. Co., 817 F.2d 1452, 1459 (10th Cir. 1987). Ähnlich die Sachverständigenaussage eines Arztes, eine medizinische Behandlung sei „illegi­ timate“, U.S. v. McIver, 470 F.3d 550, 562 (4th Cir. 2006). Es ist auch zulässig, wenn ein Buchhalter Auskunft gibt, ob Gelder „unsachgemäß“ verwendet wurden, U.S. v. Logan, 641 F.2d 860, 863 (10th Cir. 1981). Kündigt eine Seite die Bestellung eines Parteisachverständigen an, so wird die andere Seite im Regelfall einen Gegensachverständigen beibringen müssen. 331 Mountainbiking: Milne v. USA Cycling Inc., 575 F.3d 1120, 1133 (10th Cir. 2009); Jour­ nalist: Parsi v. Daioleslam, 852 F.Supp.2d 82, 88–89 (D.D.C. 2012); Krankenschwester: ­Redmond v. United States, 2016 WL 3667954, 8 (E.D. Mich. 2016). Weiterführend Morris, 55 Harv. L. Rev. 1303, 1312–1313 (1942). 332  Exemplarisch Harris v. Koenig, 815 F.Supp.2d 6 (D.D.C. 2011) sowie Fishman/McKenna, Jones on Evidence, 7.  Aufl. 2016, §  46:21. 333 Krankenversicherungsrecht: U.S. v. Davis, 471 F.3d 783, 789 (7th Cir. 2006); Steuer­ recht: U.S. v. Toushin, 899 F.2d 617, 620–621 mit Fn.  4 (7th Cir. 1990); Corporate Governance: Cary Oil Co., Inc. v. MG Refining & Marketing, Inc., 2003 WL 1878246, 5 (S.D.N.Y. 2003). Weiterführend Pollack, 32 IDEA 361 (1992); Chinaris, 36 St. Mary’s L.J. 825 (2005); Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 (2000) sowie Mueller/Kirkpatrick, Federal Evidence, 4.  Aufl.

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die Erstattung von Rechtsgutachten getrieben, wenn Rechtssachverständige der jury in legal malpractice claims erklären, ob die Rechtsberatung fehlerhaft war oder nicht.334 Letztlich reicht das Konzept der judicial notice notwendigerweise nur so weit, wie die Gerichte die äußeren Grenzen seines Anwendungsbereiches ziehen. So sehen zahlreiche Richter sich gerade nicht als verpflichtet an, judicial notice von municipal ordinances oder local statutes zu nehmen.335 Dies gilt insbesondere dann, wenn eine dieser Rechtsquellen nicht leicht verfügbar ist; jedenfalls in diesem Fall sollten die Parteien ihre Geltung deshalb nachweisen.336 Ein prakti­ sches Beweisbedürfnis entsteht außerdem im Zusammenhang mit administrative regulations.337 Private statutes, die in den Vereinigten Staaten nicht selten sind, müssen ebenfalls vorgetragen und bewiesen werden.338 Im Bereich der Gewohn­ heiten gilt: Selbst wenn eine Gewohnheit über einen langen Zeitraum als bindend angesehen wurde, kann auf einen Rechtsbeweis nicht verzichtet werden.339 Bei Handelsbräuchen ist dies gleichermaßen die Regel.340 Werden diese Fallgruppen zusammen betrachtet, so ist in zahlreichen Fällen nicht nur Rechtsvortrag, sondern auch der Beweis des Rechtsinhalts über die 2016, §  7:12. Sehr kritisch zu dieser Praxis RLJCS Enterprises, Inc. v. Professional Ben. Trust Multiple Employer Welfare Ben. Plan and Trust, 487 F.3d 494, 498 (7th Cir. 2007). 334  Weber v. Sanborn, 526 F.Supp.2d 135, 146 (D. Mass. 2007) sowie ausführlich zum Pro­ blem Ambrosio/McLaughlin, 61 Temp. L. Rev. 1351 (1988); Chinaris, 36 St. Mary’s L.J. 825 (2005); Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 (2000). 335 Paradigmatisch Childers v. Richmond County, 266 Ga. 276 (Ga. 1996). Differenzierend Getty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312, 320–335 (10th Cir. 2004). Weitere Nachweise bei Bryant v. Liberty Mut. Ins. Co., 407 F.2d 576 mit Fn.  2 (4th Cir. 1969) sowie Fishman/McKenna, Jones on Evidence, 7.  Aufl. 2016, §  2:81. 336  Eine einheitliche Handhabe hat sich bislang nicht durchgesetzt; jedenfalls wenden Ge­ richte municipal ordinances nicht an, wenn sie nicht leicht verfügbar sind, s. exemplarisch Getty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312, 326 (10th Cir. 2004): „[W]here documents are neither readily available – as is still often the case with such materials – nor actually submitted, a court need not take judicial notice of something that it cannot obtain.“ 337  Sehr zurückhaltend zu judicial notice U.S. v. Judge, 846 F.2d 274, 276 (5th Cir. 1988); Mhoon v. State, 369 Ark. 134, 140–142 (Ark. 2007); Arkansas Appraiser Licensing and Certification Bd. v. Fletcher, 326 Ark. 628, 636 (Ark. 1996). 338  Zum Beispiel die Sicherheitsregeln der National Fire Protection Association Town, G ­ etty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312, 320–335 (10th Cir. 2004). Grundlegend zu private statutes die Entscheidung des Supreme Court in Unity v. Burrage, 103 U.S.  447 (1880). 339  Dahly Tool Co. v. Vermont Tap and Die Co., a Div. of Vermont American Corp., 742 F.2d 311, 314 (7th Cir. 1984) sowie Oriental Lumber Co. v. Blades Lumber Co., 103 Va. 730 (Va. 1905). 340  Dem Gericht kann aber erlaubt sein, auf judicial notice zurückzugreifen, Brown v. Piper, 91 U.S.  37, 42 (1875).

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Vorlage von Dokumenten oder die Einbeziehung von Rechtssachverständigen geboten.341 2. Ausländisches Recht In den Vereinigten Staaten erinnert ausländisches Recht aus deutscher Sicht an eine contradictio in adiecto: einerseits soll seine Feststellung wie eine Rechts­ frage behandelt werden, andererseits ist die Feststellung selbst aber durch Partei­ verantwortlichkeit und Beweisbedürftigkeit geprägt.342 Dementsprechend führte kein Geringerer als Judge Richard Posner in der Entscheidung Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc. lakonisch aus: „[O]ur linguistic provincialism does not excuse intellectual provincialism. It does not justify our judges in relying on paid witnesses to spoon feed them foreign law that can be found well explained in English-language treatises and articles. I do not criticize the district judge in this case, because he was following the common practice. But it is a bad practice, followed like so many legal practices out of habit rather than reflection.“343

Die Einzelheiten dieser von Posner kritisierten Praxis sind ohne einen Blick in die Entwicklung des common law nicht zu verstehen.344 Die Grundkonzeption zur prozessualen Behandlung von ausländischem Recht wurde von den Gerich­ ten Englands geprägt und sodann vom Supreme Court fortentwickelt.345 Mit der Zeit vereinheitlichten und modernisierten gesetzgeberische Reformen die Linien der Rechtsprechung.346 An einer kodifikatorischen Regelung der Materie fehlt es aber bis heute.347 Stattdessen ist der Umgang mit ausländischem Recht nach wie vor durch ausgeprägte Rechtsvielfalt gezeichnet.348 Es soll aber dennoch der Ver­ such angestellt werden, die Kerngedanken der Ermittlung von ausländischem Recht herauszuarbeiten.349 Zuerst wird auf die Rechtsentwicklung eingegangen und anschließend die Be­ weisbedürftigkeit im heutigen Zivilprozess untersucht. liegt ein für das amerikanische Recht typisches Auseinanderfallen von law in the books und law in action vor, s. dazu allgemein Pound, 44 Am. L. Rev. 12 (1910). 342 Vertiefend Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 223–226 (2014); Sass, 29 Am. J. Comp. L. 97, 98 (1981); Michalski, 59 Buff. L. Rev. 1207, 1211 (2011). 343  Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624, 633 (7th Cir. 2010). 344 Grundlegend Story, Conflict of Laws, 3.  Aufl. 1846, S.  1021–1042. 345  Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 617–632 (1966/1967); Sass, 16 Am. J. Comp. L. 332 (1968). Vertiefend zur Bedeutung des englischen Rechts für das Verständnis des amerikani­ schen Rechts Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 465 (1897). 346 Dazu Stern, 45 Cal. L. Rev. 23 (1957); Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018 (1941). 347  Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 214–215, 223–231 (2014). 348  Eine tabellarische Übersicht über die Rechtslage in den Einzelstaaten findet sich bei Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 236 (2014). 349  Vertiefend statt aller Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213 (2014). 341  Es

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a) Rechtsentwicklung und fact theory Im historischen Ausgangspunkt war es in den Vereinigten Staaten selbstverständ­ lich, dass die Parteien ausländisches Recht vortragen und beweisen mussten.350 Dementsprechend erläuterte der Supreme Court in einer seiner ersten Entschei­ dungen: „That the laws of a foreign nation, designed only for the direction of its own affairs, are not to be noticed by the courts of other countries, unless proved as facts, and that this court, with res­ pect to facts, is limited to the statement made in the court below, cannot be questioned.“351

Als fact finder lag die Zuständigkeit für Feststellungen zum ausländischen Recht bei der jury.352 Schlug der Beweis fehl, so hatte ausländisches Recht unberück­ sichtigt zu bleiben.353 Anders als in England wurde die dadurch gerissene Lücke jedoch nicht automatisch mit inländischem Recht gefüllt, weil sich in den Verei­ nigten Staaten eine Identitätsvermutung zwischen inländischem und ausländi­

350 Grundlegend Talbot v. Seeman, 5 U.S.  1, 38 (1801) sowie zuletzt ausdrücklich Black Diamond S. S. Corp. v. Robert Stewart & Sons, 336 U.S.  386, 396–397 (1949). Als Teil des common law übernahmen die Vereinigten Staaten den englischen fact approach für die Behand­ lung ausländischen Rechts, s. ausführlich zur Entwicklung Stern, 45 Cal. L. Rev. 23 (1957). Die Wurzel für die Rechtsermittlungslehre ist folglich in England zu suchen, s. Sass, 16 Am. J. Comp. L. 332, 340 mit Fn.  19 (1968); Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 617–632 (1966/1967). Im historischen Ausgangspunkt wurde es in England als Verstoß gegen das Souveränitätsprinzip angesehen, ausländisches Recht anzuwenden, s. Note, 72 Harv. L. Rev. 318 (1958). Noch bis in das 17. Jahrhundert hinein war es deshalb für englische Gerichte selbstverständlich, nicht über ausländisches Recht zu entscheiden, sondern sich für unzuständig zu erklären, s. Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 618 mit Fn.  10 (1966/1967). Bis heute lehnt das englische Recht die Vorstel­ lung ab, das Recht aller Nationen sei gleichwertig, s. Fentiman, 108 T.L.Q.R. 142, 143 (1992). Ausländisches Recht ist daher nach wie vor den Tatsachen gleich­gestellt und muss vorgetragen und bewiesen werden, s. grundlegend Fremoult v Dedire (1718), 24 E.R. 458 sowie Dicey/ Morris/Collins, The Conflict of Laws, Band  1, 15.  Aufl. 2012, S.  318 mit Fn.  4. 351  Talbot v. Seeman, 5 U.S.  1, 38 (1801). 352  Kritisch bereits Story, Conflict of Laws, 3.  Aufl. 1846, S.  1037–1038. Die klassische Konzeption wurde vor Erlass der FRCP aufgegeben, s. Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018, 1019 mit Fn.  9 (1941). In der zweiten Instanz waren die Obergerichte überdies an die Feststellungen der Instanzgerichte gebunden und durften den Inhalt des ausländischen Rechts nicht de novo nach­ prüfen, sondern mussten den clearly erroneous-Standard anwenden, s. Remington Rand Inc. v. Societe Internationale Pour Participations Industrielles et Commerciales, S.A., 188 F.2d 1011, 1013 (DC Cir. 1951) sowie Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 618 mit Fn.  297 (1966/1967). 353  Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S.  473, 479 (1912). Der Weg über judicial notice war verschlossen, s. Dainese v. Hale, 91 U.S.  13, 14–20 (1875). Gleichzeitig durften die Gerichte ausländisches Recht nicht selbsttätig in das Verfahren einführen, s. Armstrong v. Lear, 33 U.S.  52, 53 (1834). Eine Ausnahme wurde lediglich dann anerkannt, wenn es um das Recht eines Territoriums ging, das später von den Vereinigten Staaten annektiert wurde, U.S. v. Turner, 52 U.S.  663 (1850).

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schem Recht nicht allgemein durchsetzen konnte.354 Folglich griff inländisches Recht nur dann ein, wenn zwischen der ausländischen Rechtsordnung und dem Recht der Vereinigten Staaten eine nachvollziehbare Ähnlichkeit bestand.355 War dies nicht der Fall, so musste die Klage abgewiesen werden.356 Die zunehmende Vernetzung der Wirtschaftsbeziehungen legte die Probleme dieser Rechtsanwendungskonzeption offen.357 Kritik entzündete sich insbeson­ dere daran, dass die jury zur Entscheidung über ausländisches Recht berufen war.358 Die Gerichte gingen deshalb mit der Zeit dazu über, die Feststellungen zum ausländischen Recht selbst vorzunehmen.359 Das formale Ende der traditio­ nellen fact doctrine wurde dann von FRCP 44.1. besiegelt.360 Diese Vorschrift lautet: Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S.  473, 479 (1912); Walton v. Arabian Am. Oil Co., 233 F.2d 541, 544 (2nd Cir. 1956). Weiterführend Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018, 1035–1038 (1941). Zur heutigen Reichweite der Vermutung s. Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 220 (2014). 355  In den Worten des Berichterstatters Holmes in Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S.  473, 479 (1912): „There is no general presumption that [the law of Cuba] is the same as the common law. We properly may say that we all know the fact to be otherwise. […] Therefore the presumption should be limited to cases in which it reasonably may be believed to express the fact.“ 356  Häufig versuchten die Gerichte, sich auf anderem Wege zu helfen, um diese Konsequenz zu vermeiden, s. Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018, 1036 Fn.  109 (1941). 357 Wegweisend Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018 (1941) sowie Keeffe/Landis/Shaad, 2 Stan. L. Rev. 664 (1950). Der Veränderungsprozess wurde von Problemen im Umgang mit einzelstaat­ lichem Recht angestoßen, s. Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 224–226 (2014). Der Grund dafür lag darin, dass auch sister-state law als ausländisches Recht galt und deshalb vorzutragen und zu beweisen war, s. bereits Jaffray v. Dennis, 13 F.Cas. 285 (D. Pa. 1803). In einem zusammen­ wachsenden Föderalstaat konnte dies auf Dauer nicht überzeugen, weshalb den einzelstaatli­ chen Gesetzgebern im Jahre 1936 der Uniform Judicial Notice of Foreign Law Act zur Verfü­ gung gestellt wurde, s. Uniform Judicial Notice of Foreign Law Act, 23 A.L.R.2d 1437 (1952). Noch heute orientiert sich das Recht bedeutender Staaten an den Vorschriften dieses uniform act, so etwa NY CPLR § R4511 (2012) (New York) oder 735 ILCS 5/8-1007 (Illinois). In Kaliforni­ en ist es aber nach wie vor nicht verpflichtend, judicial notice von dem Recht anderer Staaten zu nehmen, CA EVID §  452. Vertiefend zum Ganzen Leflar, 17 Ark. L. Rev. 118, 123 (1963/1964). 358  Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018, 1019 mit Fn.  9 (1941) sowie weiterführend Stern, 45 Cal. L. Rev. 23, 27 (1957); Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 683–684 (1966/1967). Dieses Problem bemängelte bereits Story, Conflict of Laws, 3.  Aufl. 1846, S.  1037–1038. 359  Jansson v. Swedish Am. Line, 185 F.2d 212 (1st Cir. 1950); Liechti v. Roche, 198 F.2d 174, 177 (5th Cir. 1952). Mehrere Court of Appeals sahen es überdies als ihre Verantwortung an, die ausländische Rechtslage im Berufungsverfahren de novo nachzuprüfen, s. etwa Wood & Selick v. Compagnie Generale Transatlantique, 43 F.2d 941, 943 (2nd Cir. 1930) sowie Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 689 mit Fn.  293 (1966/1967). 360  Für die Federal Rules of Civil Procedure tritt der Supreme Court als Gesetzgeber auf, in dem er Neuerungen verkündet, die dann lediglich vom United States Congress kassiert werden können, 28 U.S.C. §§  2072–2074. Erstmals ordnete der Uniform Interstate and International Procedure Act im Jahre 1962 ausländisches Recht nicht mehr ausdrücklich als Tatsache ein, 354 Grundlegend

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„A party who intends to raise an issue about a foreign country’s law must give notice by a pleading or other writing. In determining foreign law, the court may consider any relevant material or source, including testimony, whether or not submitted by a party or admissible un­ der the Federal Rules of Evidence. The court’s determination must be treated as a ruling on a question of law.“361

Jedenfalls auf den ersten Blick war ausländisches Recht damit nicht mehr be­ weisbedürftig.362 Bei genauem Hinsehen führte aber auch FRCP 44.1. keine Zei­ tenwende herbei.363 Die Vorschrift ordnet lediglich an, dass die gerichtliche Fest­ stellung ausländischen Rechts „wie“ eine Entscheidung über eine Rechtsfrage „behandelt“ werden muss.364 Daraus folgt jedoch schon sprachlich keine Gleich­ stellung von inländischem und ausländischem Recht.365 Stattdessen steht auslän­ disches Recht nach wie vor den Tatsachen nah, was sich auf seine Vortrags- und Beweisbedürftigkeit auswirkt.366 s. Leflar, 17 Ark. L. Rev. 118, 123 (1963/1964). Nur vier Jahre später übertrug der föderale Gesetzgeber dieses Konzept dann auf die Federal Rules of Civil Procedure und führte 44.1. FRCP ein. 44.1. FRCP war und ist nahezu identisch mit dem Wortlaut von Art. IV §  4.03 Uni­ form Judicial Notice of Foreign Law Act, s. Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 119 (1966). 361  Der Wortlaut wurde seit Einführung kaum verändert; es wurde lediglich ein Hinweis auf die Federal Rules of Evidence im Jahre 1972 aufgenommen. 362 Weiterführend Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 117 (1966). Seit Erlass der Federal Rules of Civil Procedure sahen es einige Gerichte nicht mehr als erfor­ derlich an, einen ausführlichen Vortrag zum ausländischen Recht bereits im pleading zu verlan­ gen, s. Siegelman v. Cunard White Star Limited, 221 F.2d 189 (2nd Cir. 1955) sowie Pedersen v. U.S. of America, 191 F.Supp.  95, 98 (D. Guam 1961). Anders allerdings trotz der Einführung von FRCP 8(a)(2) die Entscheidung Harrison v. United Fruit Co, 143 F.Supp.  598 (S.D.N.Y. 1956). 363  Ahn, 89 N.Y.U. L. Rev. 1343 (2014): „[L]ike the regime that preceded it, it has become a procedural minefield for those wishing to rely on foreign law“. Hoffnungsvoll beschrieb Miller, 65 Mich. L. Rev. 613, 622–623 (1966/1967) FRCP 44.1. hingegen noch als „death knell“ für die fact doctrine. Weiterführend Sass, 29 Am. J. Comp. L. 97, 98 (1981). 364  Die Tatsachennähe zeigt sich etwa nach wie vor daran, dass Entscheidungen zum auslän­ dischen Recht grundsätzlich keine Präzedenzwirkung zukommt, s. Sprankling/Lanyi, 19 Stan. J. Int’l L. 3, 63 (1983); Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 227 (2014) sowie grundlegend Nussbaum, 50 Yale L. J. 1018, 1034–1035 (1941). 365  Die Zwischenstellung von ausländischem Recht betonen Sass, 29 Am. J. Comp. L. 97, 98 (1981); Michalski, 59 Buff. L. Rev. 1207, 1211 (2011); Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 227 (2014) sowie rechtsvergleichend bereits Sass, 16 Am. J. Comp. L. 332, 333 (1968). 366  Die moderne Konzeption von 44.1. FRCP darf nicht den Blick darauf verstellen, dass ausländisches Recht auch heute noch in einigen Einzelstaaten ausdrücklich als beweisbedürfti­ ge Tatsache behandelt wird. Das Zivilprozessrecht von Illinois regelt in 735 ILCS 5/8-1007: „The law of a jurisdiction other than those referred to in Section 8-1003 of this Act shall be an issue for the court, but shall not be subject to the foregoing provisions concerning judicial notice.“ Hierzu hat der Appellate Court of Illinois in Bianchi v. Savino Del Bene Intern. Freight Forwarders, Inc., 329 Ill.App.3d 908 (Ill. App. Ct. 2002) entschieden: „[A]n Illinois court cannot take judicial notice of the laws of foreign countries […], and the laws of foreign coun­

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b) Vortragsbedürftigkeit In Ansehung der Ergebnisse zur Ermittlung inländischen Rechts gilt: Wo schon inländisches Recht faktisch vorgetragen werden muss, kann für ausländisches Rechts nichts anderes gelten.367 Die Parteien tragen also nach wie vor die Verant­ wortung dafür, das ausländische Recht vorzutragen.368 Tatsächlich würde es mit der passiven richterlichen Stellung nicht harmonie­ ren, wenn die Richter das ausländische Recht selbsttätig für die Parteien ermit­ teln müssten.369 Eine derartige Pflicht wurde vom Advisory Committee der Federal Rules of Civil Procedure daher ausdrücklich abgelehnt.370 Wenig überra­ schend stimmen die Gerichte mit dieser Entscheidung überein und sind in ihrer Ermittlungstätigkeit höchst zurückhaltend.371 Und wirklich haben amerikanische Richter „quite a few things to do besides decoding the Codigo Civil“.372 tries must be pled and proven as any other fact.“ Ähnlich Doan Thi Hoang Anh v. Nelson, 245 N.W.2d 511, 516 (Iowa 1976). Sogar manche federal courts folgen bisweilen noch dieser tra­ ditionellen Lehre, s. exemplarisch Abdille v. Ashcroft, 242 F.3d 477, 489–490 (3rd Cir. 2001). 367  Passend der Titel von Brown, 9 Mar. Law. 179 (1984): „44.1. Ways to Prove Foreign Law“. 368  Weiterführend zum Grundsatz der Parteiverantwortung Bel-Ray Co., Inc. v. Chemrite (Pty) Ltd., 181 F.3d 435, 440–441 (3rd Cir. 1999) sowie Second Restatement of Conflict of Laws §  136 (1971), Comment f) Burden of proof. Bei fehlender notice s. Whirlpool Financial Corp. v. Sevaux, 96 F.3d 216, 221 (7th Cir. 1996). 369  Zurückhaltend bereits Bartsch v. Metro-Goldwyn-Mayer, Inc., 391 F.2d 150, 155 mit Fn.  3 (2nd Cir. 1968). Für weitere Nachweise zur Rechtsprechung Carey v. Bahama Cruise Lines, 864 F.2d 201, 205–207 (1st Cir. 1989). Sehr weitgehend Bianchi v. Savino Del Bene Intern. Freight Forwarders, Inc., 329 Ill.App.3d 908, 926 (Ill. App. Ct. 2002): „[O]ur adversa­ rial system would not permit the trial court to conduct its own investigation into the facts and Italian law relevant to the enforceability of the Italian judgment“. Bis heute wurde das richter­ liche Ermessen von dem Supreme Court nicht näher konkretisiert; soweit ersichtlich ist die letzte ausführlichere Entscheidung Black Diamond S. S. Corp. v. Robert Stewart & Sons, 336 U.S.  386, 396–397 (1949). Zum Einfluss des adversary system Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 234–235 (2014) sowie zur Erwartungshaltung seitens der Richter Pollack, 26 Am. J. Comp. L. 470, 471 (1978). 370  Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 119 (1966). Ebenso ­Mutual Service Ins. Co. v. Frit Industries, Inc., 358 F.3d 1312, 1321 (11th Cir. 2004) sowie ausführlich Carey v. Bahama Cruise Lines, 864 F.2d 201, 205–207 (1st Cir. 1989). Aus der Literatur Miller, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  2444 mit Fn.  19. Kritisch allerdings Miner, 43 Am. J. Comp. L. 581, 584 (1995). 371 Weiterführend Sass, 29 Am. J. Comp. L. 97, 110 (1981); Miller, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  2444. Genügt dem Richter der rechtliche Vortrag nicht, so darf er den Parteien außerdem Arbeitsanweisungen zur weiteren Ermittlung des ausländischen Rechts erteilen, s. etwa Twohy v. First Nat. Bank of Chicago, 758 F.2d 1185, 1193 (7th Cir. 1985). 372  Pollack, 26 Am. J. Comp. L. 470, 471 (1978). Neben der Arbeitsbelastung wird betont, dass amerikanische Richter nur im inländischen, nicht aber im ausländischen Recht ausgebildet seien, s. statt aller Wilson, 46 Wake Forest L. Rev. 887, 890–891 (2011). Außerdem wird ange­ führt, wie schwierig die Beschaffung von einschlägigem Material in manchen Rechtsordnun­

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

Die Partei, die sich auf ausländisches Recht beruft, muss eine schriftliche notice abgeben.373 Anders als sich auf den ersten Blick vermuten ließe, folgt aus dem Wort notice jedoch nicht, dass ein bloßer Hinweis auf die Anwendbarkeit ausländischen Rechts genügte.374 Vielmehr hängen die Anforderungen an die in­ haltliche Tiefe vom Einzelfall ab und werden von den Gerichten unterschiedlich streng gehandhabt.375 In diesem Zusammenhang spielt es eine nicht unerhebliche Rolle, dass auf die Anwendung von ausländischem Recht verzichtet werden kann.376 Ein solcher Verzicht ist für das Gericht bindend; ausländisches Recht darf ohne notice nicht angewandt werden.377 Erfolgt die notice zu spät oder ist sie inhaltlich unzureichend, so ist sie regelmäßig wirkungslos und ausländisches Recht bleibt außer Betracht.378 Es erscheint deshalb im Zweifel als geboten, be­ reits frühzeitig Ausführungen zum Inhalt des ausländischen Rechts in die Schrift­ sätze aufzunehmen, um einen ungewollten Verzicht zu vermeiden.379 Der Zusammenhang zwischen Parteiverantwortlichkeit und ausländischem Recht zeigt sich überdies auch an der forum non conveniens-Doktrin.380 Beurteilt der Beklagte das vom Kläger ausgesuchte Gericht als ungeeignetes Forum für

gen sei; bereits die Ermittlung des Rechts von Puerto Rico verursachte erhebliche praktische Schwierigkeiten, s. exemplarisch Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624, 640 (7th Cir. 2010). Zum Ganzen Merryman, 19 Stan. J. Int’l L. 151 (1983). 373  FRCP 44.1. Satz  2. Zu einzelstaatlichem Recht Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 225 (2014). 374  Miller/Kane/Spencer, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  1253: „A notice merely announcing that ‚counsel intends to raise an issue concerning the law of a foreign country‘ obviously would be insufficient“. 375 See In re Magnetic Audiotape Antitrust Litig., 334 F.3d 204, 209 (2nd Cir. 2003); DP Aviation v. Smiths Indus. Aerospace & Def. Sys. Ltd., 268 F.3d 829, 846–848 (9th Cir. 2001) sowie zum Ganzen ausführlich Michalski, 59 Buff. L. Rev. 1207, 1220–1232 (2011). 376  Die Kehrseite dieser Grundkonzeption ist der fakultative Charakter des Kollisionsrechts, s. grundlegend Currie, 58 Colum. L. Rev. 964, 1026–1027 (1958) sowie Carey v. Bahama Cruise Lines, 864 F.2d 201, 205–206 (1st Cir. 1988); Whirlpool Financial Corp. v. Sevaux, 96 F.3d 216, 221 (7th Cir. 1996); Russian Entertainment Wholesale, Inc. v. Close-Up Intern., Inc., 767 F.Supp.2d 392 (E.D.N.Y. 2011). 377  Ruff v. St. Paul Mercury Ins. Co., 393 F.2d 500 (2nd Cir. 1968); Sass, 29 Am. J. Comp. L. 97, 106 (1981). 378  Rationis Enters. Inc. of Panama v. Hyundai Mipo Dockyard Co., 426 F.3d 580, 585 (2nd Cir. 2005); Whirlpool Financial Corp. v. Sevaux, 96 F.3d 216, 221 (7th Cir. 1996) 379  Der Zweck des Hinweises liegt darin, die andere Seite auf das ausländische Recht auf­ merksam zu machen, s. Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 117–118 (1966). Dies ermöglicht es der Gegenseite, sich auf die verknüpften Sachfragen einzustellen und ihre Prozessstrategie entsprechend anzupassen, s. dazu Northrop Grumman Ship Systems, Inc. v. Ministry of Defense of Republic of Venezuela, 575 F.3d 491, 496–497 (5th Cir. 2009). 380  Second Restatement of Conflict of Laws §  84 (1971) sowie Heiser, 51 Wayne L. Rev. 1161 (2005).

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den Rechtsstreit, so kann er einen Antrag auf forum non conveniens stellen.381 Ab diesem Zeitpunkt liegt es im Ermessen des Richters, sich für unzuständig zu erklären und die Klage abzuweisen.382 Ein bedeutender Faktor, den der Richter bei dieser Entscheidung berücksichtigt, ist die Anwendbarkeit ausländischen Rechts.383 Es liegt auf der Hand, dass unzureichender Vortrag zum ausländischen Recht die richterliche Ermessensausübung beeinflusst; schließlich tritt in einem solchen Fall die fehlende convenience der Austragung des Rechtsstreits in dem angegangenen Forum besonders offen zu Tage.384 c) Beweisbedürftigkeit Ausländisches Recht ist nicht nur vortragsbedürftig, sondern nach wie vor auch beweisbedürftig.385 Tatsächlich wird der Vorgang der Inhaltsfeststellung auch heute noch unter der Überschrift „proof of foreign law“ behandelt.386 Darin lebt die ursprüngliche Einordnung als Tatsache im Denken fort. Immer wieder geht es um den Beweis ausländischen Rechts, die Beweislast oder die Frage nach den Folgen einer Beweisfälligkeit.387 Folgerichtig dürfen die Gerichte darauf behar­ ren, sich das ausländische Recht vollumfänglich präsentieren zu lassen.388 In Übereinstimmung mit dieser Grundkonzeption ist es nach dem Gesetzes­ wortlaut ausdrücklich zulässig, Zeugenaussagen über den Inhalt ausländischen

381  Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S.  501 (1947); Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S.  235 (1981). Zum seltenen Fall einer Klageabweisung ohne Antrag (sua sponte) s. Corporacion ­Mexicana de Servicios Maritimos, S.A. de C.V. v. M/T Respect, 89 F.3d 650, 656 (9th Cir. 1996). 382  Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S.  235, 268 (1981). 383  Palacios v. The Coca-Cola Co., 757 F. Supp.  2d 347, 355–356 (S.D.N.Y. 2010); In re Air Crash near Peixoto de Azeveda, Brazil, 574 F. Supp.  2d 272, 287 (S.D.N.Y. 2008) sowie zahl­ reiche weitere Nachweise bei Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S.  235, 268 mit Fn.  29 (1981). Außerdem wird das Interesse in die Analyse eingestellt, einen Gleichlauf von Forum und an­ wendbarem Recht zu erzielen, s. Murray v. British Broadcasting Corp., 81 F.3d 287, 294 (2nd Cir. 1996); Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S.  501, 508 (1947). 384  Insgesamt ist eine Abweisung aus forum non conveniens-Gründen deshalb ein Risiko, das bei Vortrag von ausländischem Recht stets bedacht werden sollte. Ausführlich zu diesem und weiteren Problemen Derr, 93 Cornell L. Rev. 819, 826–834 (2008). 385  Treffend statt aller Pollack, 26 Am. J. Comp. L. 470, 471 (1978). 386  Pollack, 26 Am. J. Comp. L. 470, 471 (1978); Michalski, 59 Buff. L. Rev. 1207 (2011); Brown, 9 Mar. Law. 179 (1984) sowie Miller, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  2444. 387  Mzamane v. Winfrey, 693 F.Supp.2d 442, 469 (E.D. Pa., 2010): „[T]he parties [carry] the burden of adequately proving foreign law“. Deutlich ebenfalls Pollack, 26 Am. J. Comp. L. 470, 471 (1978): „Proof of Foreign Law“ sowie Michalski, 59 Buff. L. Rev. 1207 (2011): „Plead­ing and Proving Foreign Law“. 388  Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 118 (1966) sowie Nicor Intern. Corp. v. El Paso Corp., 292 F.Supp.2d 1357, 1366 mit Fn.  6 (S.D. Fla. 2003).

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Rechts einzuholen.389 Ein in der Praxis besonders beliebter Zeuge ist der expert witness, der als Parteisachverständiger über den Inhalt ausländischen Rechts Auskunft gibt.390 Üblicherweise verfügt jede der Parteien über einen eigenen Sachverständigen, der sich dann in der Hauptverhandlung der cross-examination durch den Rechtsanwalt der Gegenseite stellt.391 Es sind die Parteien, die diese Sachverständigen auswählen und für sie bezahlen.392 Erläutern die Parteien das ausländische Recht nicht zur Zufriedenheit des Ge­ richts, so bleibt es regelmäßig unangewendet.393 Vor diesem Hintergrund wird bei ausländischem Recht unumwunden die Existenz einer Beweislast aner­ kannt.394 Darin liegt das notwendige Korrelat der fehlenden gerichtlichen Pflicht, das ausländische Recht selbsttätig zu ermitteln.395 Die Gerichte machen schließ­ lich nahezu nie von ihrer Befugnis Gebrauch, einen gerichtlichen Sachverständi­ gen zu bestellen.396 Der Grund dafür wurzelt im adversary system: Bei Bestel­ lung eines gerichtlichen Sachverständigen befürchten die Gerichte, in eine Ab­ hängigkeitsbeziehung zu dem von ihnen selbst bestellten Sachverständigen zu geraten.397 44.1. sowie Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 118 (1966). 390  Kritisch zu dieser gängigen Praxis die Richter Easterbrook und Posner in der Entschei­ dung Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624 (7th Cir. 2010). 391 Eine cross-examination ist der praktische Regelfall, aber nicht in jedem Fall zwingend, s. dazu Kalmich v. Bruno, 553 F.2d 549, 555 mit Fn.  4 (7th Cir. 1977). 392  Die Parteien müssen auch dann für den Sachverständigen bezahlen, wenn er von dem Gericht ausgewählt wurde, FRE 706(c)(2). Weiterführend Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 228– 229 (2014). 393  Sweepstakes Patent Co., LLC v. Burns, 610 Fed.Appx. 1006, 1009 (Fed. Cir. 2015): „FRCP 44.1 squarely places the burden on the party wishing to have the court apply foreign law, not on the court.“ Schlägt der Beweis fehl, so liegt die letzte Hoffnung für den Kläger in der Anwendung eines Ersatzrechts, s. dazu Miller, Fed. Prac. & Proc. Civ., 3.  Aufl. 2016, §  2447 mit Fn.  2 und 3. Die Frage nach einem Ersatzrecht konnte vom Supreme Court in den Federal Rules of Civil Procedure aus Kompetenzgründen nicht geregelt werden, s. Schlesinger, 59 Cornell L. Rev. 1, 19 mit Fn.  101 (1973–1974). In der Praxis kommt Ersatzrecht vor allem über eine stillschweigende Rechtswahl, die Ablehnung einer rechtzeitigen notice oder über eine Identitätsvermutung zur Anwendung, s. Whirlpool Financial Corp. v. Sevaux, 96 F.3d 216, 221 (7th Cir. 1996); Bel-Ray Co., Inc. v. Chemrite (Pty) Ltd.,181 F.3d 435, 440–441 (3rd Cir. 1999); In re Parmalat, 383 F.Supp.2d 587, 595 mit Fn.  41 (S.D.N.Y. 2005) sowie Second Restatement of Conflict of Laws §  136 Comment f) Failure to provide information (1971). 394  McGee v. Arkel Intern., LLC, 671 F.3d 539, 546 (5th Cir. 2012); Mzamane v. Winfrey, 693 F.Supp.2d 442, 469 (E.D. Penn, 2010); Lyddon v. Rocha-Albertsen, 2006 WL 3086951, 35 (E.D. Cal. 2006). 395  Bel-Ray Co., Inc. v. Chemrite (Pty) Ltd., 181 F.3d 435, 440–441 (3rd Cir. 1999). 396  Kritisch dazu bereits Merryman, 19 Stan. J. Int’l L. 151, 162–166 (1983). Vertiefend Wilson, 46 Wake Forest L. Rev. 887, 909–911 (2011). 397  Committee on International Commercial Dispute Resolution, Proof of Foreign Law after 389  FRCP

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Zusammenfassend betrachtet ähnelt ausländisches Recht folglich nach wie vor mehr einer beweisbedürftigen Tatsache als einer feststellungspflichtigen Rechtsfrage.398 In der Praxis ist der sorgfältige Vortrag, Nachweis und Beweis letztlich der einzige Weg, um ausländisches Recht zur Anwendung zu bringen. Die traditionelle common law-Lesart, nach der ausländisches Recht zu plädieren und zu beweisen war, kehrt dadurch über die Hintertür zurück.399 Wie so oft zeigt sich damit in der Behandlung ausländischen Rechts das typische Muster des common law, sich von tradierten Konzepten nicht lösen zu können.400 In Anleh­ nung an Maitlands Worte ließe sich sagen: „The proof of law we have buried, but it still rules us from its grave.“401

3. Rechtsanwaltsperspektive Nach allem ist es in Übereinstimmung mit dem adversary system grundsätzlich Aufgabe der Parteien, die rechtlichen Urteilsgrundlagen zu ermitteln und vorzu­ tragen.402 Entscheidet sich eine Partei gegen einen Rechtsanwalt, so ist sie für die Konsequenzen selbst verantwortlich.403 Deshalb ist auch die anwaltlich nicht

Four Decades, 61 The Record of the Association of the Bar of the City of New York 49, 54 (2006). Aus diesem Grund ist es ebenfalls selten, dass Gerichte einen special master bestellen, um bei der Ermittlung des ausländischen Rechts zu helfen; den Ausnahmecharakter eines der­ artigen Vorgehens betont etwa Corporacion Salvadorena de Calzado, S.A. v. Injection Foot­ wear Corp., 533 F. Supp.  290, 293 (S.D. Fla. 1982). Der special master ist ein Gehilfe des Gerichts, FRCP 53. Grundlegend zum special master La Buy v. Howes Leather Company, 352 U.S.  249 (1957). 398  Bemerkenswert ist, dass eine ganze Reihe von Einzelstaaten die Anwendung von auslän­ dischem Recht vor inländischen Gerichten verbietet, s. Nersessian, 44 Ariz. St. L.J. 1647 (2012); Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 233–234 (2014). Derartige blocking statutes bestätigen die zurückhaltende Haltung gegenüber ausländischem Recht in den Vereinigten Staaten. Diese Haltung hat Tradition: Es war Rechtsanwälten bereits in den frühen Jahren der Staatswerdung verboten, englische Gerichtsentscheidungen von vor 1776 zu zitieren, s. Nersessian, 44 Ariz. St. L.J. 1647, 1654 mit Fn.  27 (2012). 399  In der Sache ebenso Michalski, 59 Buff. L. Rev. 1207, 1236 (2011) sowie Ahn, 89 N.Y.U. L. Rev. 1343 (2014). 400  Maitland, The Forms of Action at Common Law (1909), S.  2 sowie Holmes, 5 A. L. R. 1 (1870). 401  Das Originalzitat von Maitland, The Forms of Action at Common Law (1909), S.  2 zu den writs im englischen Recht lautet: „The forms of action we have buried, but they still rule us from their graves.“ 402  Eriline Co. S.A. v. Johnson, 440 F.3d 648, 655 (4th Cir. 2006): „[T]he parties are obliged to present facts and legal arguments before a neutral and relatively passive decision-maker.“ 403 Vertiefend Rosenbloom, 30 Fordham Urb. L.J. 305 (2002) sowie Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987 (1999).

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vertretene Partei verpflichtet, sich über die Rechtslage zu informieren und ihr Prozessverhalten daran auszurichten.404 Neben dieser prozessualen Pflicht, die Parteien und Rechtsanwälte gleicher­ maßen trifft, sieht sich der Rechtsanwalt aber noch mit weiteren Pflichten kon­ frontiert.405 Insbesondere ist der Rechtsanwalt nach den Rules of Professional Conduct gehalten, nur rechtlich vertretbare Ausführungen zu machen.406 Außer­ dem ist es seine Pflicht, wissentliche Falschaussagen zur Rechtslage zu vermei­ den.407 Diese Pflicht umfasst auch, auf Entscheidungen oder Rechtsvorschriften hinzuweisen, die den Interessen der Mandantschaft zuwiderlaufen.408 Erkennt der Rechtsanwalt im Laufe des Verfahrens einen rechtlichen Fehler, so hat er diesen zu korrigieren.409 Ein Verstoß gegen diese berufsrechtlichen Pflichten kann von der einzelstaatlichen Rechtsanwaltskammer geahndet werden.410 Abgesehen von prozessualen und berufsrechtlichen Sanktionen droht dem Rechtsanwalt bei unterbliebenen oder fehlerhaften Rechtsausführungen aber vor allem die Anwaltshaftung.411 Diese Haftung folgt nicht nur aus Vertrag, sondern 404  FRCP

11(b)(2): „By presenting to the court a pleading, written motion, or other paper […] an attorney or unrepresented party certifies that to the best of the person’s knowledge, in­ formation, and belief, formed after an inquiry reasonable under the circumstances: the claims, defenses, and other legal contentions are warranted by existing law or by a nonfrivolous argu­ ment for extending, modifying, or reversing existing law or for establishing new law“. 405  Die ethischen Regeln für Rechtsanwälte sind in den Vereinigten Staaten so komplex, dass hierüber Sachverständige vor Gericht aussagen, s. dazu Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 (2000). 406  Diese Regeln richten sich nach einzelstaatlichem Recht, beruhen aber auf den ABA Mo­ del Rules of Professional Conduct, die in nahezu allen Staaten übernommen wurden. Rule 3.1 Model Rules of Professional Conduct lautet: „A lawyer shall not bring or defend a proceeding, or assert or controvert an issue therein, unless there is a basis in law and fact for doing so that is not frivolous, which includes a good faith argument for an extension, modification or reversal of existing law.“ 407  Die offizielle Erläuterung Nr.  4 zu Rule 3.3 Model Rules of Professional Conduct lautet: „Legal argument based on a knowingly false representation of law constitutes dishonesty to­ ward the tribunal. A lawyer is not required to make a disinterested exposition of the law, but must recognize the existence of pertinent legal authorities.“ 408  Rule 3.3(a)(2) Model Rules of Professional Conduct. Der Zweck dieser Regelung liegt darin, die rechtliche Grundlage für die Entscheidung festzustellen, Erläuterung Nr.  4 zu Rule 3.3 Model Rules of Professional Conduct. Es kann Sanktionen auslösen, wenn auf für die Ge­ genseite günstige Autoritäten nicht hingewiesen wird, s. Gross v. Town of Cicero, Ill., 619 F.3d 697, 703 (7th Cir. 2010). Die Sanktionsmöglichkeit folgt aus FRAP 38; in den letzten Jahrzehn­ ten hat sich die Häufigkeit von Sanktionen erheblich erhöht, Magnuson/Herr, Federal Appeals Jurisdiction and Practice (2016), §  6:3. 409  Rule 3.3(a)(1) Model Rules of Professional Conduct. 410  Rule 8.5 Model Rules of Professional Conduct. 411 Ausführlich Ambrosio/McLaughlin, 61 Temp. L. Rev. 1351 (1988).

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auch aus Delikt.412 Voraussetzung für einen Haftungsfall ist eine Verletzung des standard of care.413 Die Reichweite und der Inhalt dieses Maßstabs sind vom Einzelfall abhängig und eine Frage für die jury.414 Erwartet werden dürfen der Einsatz anwaltlicher Fähigkeiten sowie der gewöhnlichen Sorgfalt.415 Dazu ge­ hört es, die Rechtslage zu recherchieren und entsprechend vorzutragen.416 Es liegt auf der Hand, dass amerikanische Rechtsanwälte über die Einhaltung dieser Pflicht nur ungern mit einer jury diskutieren wollen und schon aus diesem Grund stets zum Recht vortragen werden.417

II. Richterliche Rechtskenntnis Der amerikanische Richter ist kein law enforcement officer, sondern ein Schieds­ richter zwischen den Parteien.418 Es ist nicht seine Aufgabe, die Rechtsordnung auf alle einschlägigen Rechtsvorschriften zu durchforsten und diese dann selbst­ tätig zur Anwendung zu bringen.419 Vielmehr soll er sich auf den Rechtsvortrag der Parteien konzentrieren und die auf diesem Wege aufgeworfenen Rechts­

ergibt sich die Haftung aus Vertrag und Delikt zugleich, Neel v. Magana, Olney, Levy, Cathcart & Gelfand, 6 Cal.3d 176, 181 mit Fn.  6 (Cal. 1971). Allerdings kann die Haftung auch allein aus negligence abgeleitet werden, Gautam v. De Luca, 215 N.J.Super. 388, 396 (N.J. Super. Ct. App. Div. 1987). 413  Geiserman v. MacDonald, 893 F.2d 787, 793–794 (5th Cir. 1990). Die Einzelheiten hän­ gen von dem jeweiligen Staat und Gericht ab, s. ausführlich Ambrosio/McLaughlin, 61 Temp. L. Rev. 1351, 1357–1370 (1988). 414  Daraus folgt auch, dass der standard of care zugestanden werden kann, Nettleton v. Stogsdill, 387 Ill.App.3d 743, 757 (Ill. App. Ct. 2008). Zu den Fragen im Zusammenhang mit rechtlichen Sachverständigengutachten Chinaris, 36 St. Mary’s L.J. 825 (2005); Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 (2000). 415  Hizey v. Carpenter, 119 Wash.2d 251, 261 (Wash. 1992): „To comply with duty of care, attorney must exercise degree of care, skill, diligence, and knowledge commonly possessed and exercised by reasonable, careful, and prudent lawyer in practice of law in attorney’s juris­ diction.“ 416  Baird v. Pace, 156 Ariz. 418, 420 (Ariz. Ct. App.  1987); Smith v. Lewis, 13 Cal.3d 349, 360 (Cal. 1975). 417  Zu den Effekten der Anwaltshaftung Wilkins, 105 Harv. L. Rev. 799, 881 (1992). Immer­ hin wird Rechtsanwälten zugestanden, in rechtlich schwierigen oder nicht gesicherten Fragen Fehler zu begehen, s. Ambrosio/McLaughlin, 61 Temp. L. Rev. 1351, 1367 (1988). 418  Lakewood v. Krebs, 150 Ohio Misc.2d 1, 7 (Ohio 2008): „A judge is not a law-enforce­ ment officer. […] The responsibility of a judge is to decide matters that have been submitted to the court by the parties.“ 419  Henderson ex rel. Henderson v. Shinseki, 562 U.S.  428, 434 (2011): „Courts do not usually raise claims or arguments on their own.“ Ausführlich Macfarlane, 91 Or. L. Rev. 177 (2012) sowie Milani/Smith, 69 Tenn. L. Rev. 245 (2002). 412  Regelmäßig

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fragen entscheiden.420 Hierzu formulierte Supreme Court Justice Scalia in der Entscheidung U.S. v. Burke: „The rule that points not argued will not be considered is more than just a prudential rule of convenience; its observance, at least in the vast majority of cases, distinguishes our adversary system of justice from the inquisitorial one.“421

Aus dieser passiven Grundhaltung darf jedoch nicht geschlossen werden, dass Richter nicht über Rechtskenntnisse verfügen müssten. Auch ein Schiedsrichter muss die Regeln des Spiels beherrschen und streitige Rechtsfragen entscheiden können.422 Deutlich zeigt sich dies an der judicial notice-Doktrin, die Kenntnisse im inländischen Recht voraussetzt.423 Allerdings kann aus dieser Doktrin nicht gefolgert werden, dass eigenständige Rechtskenntnisse stets vorhanden wären.424 Insbesondere im Umgang mit schwierigen inländischen Rechtsgebieten sowie bei der Entscheidung über ausländisches Recht kommt den Rechtsanwälten so­ wie Parteisachverständigen deshalb eine tragende Bedeutung zu.425 1. Eigenständige Rechtskenntnis Die amerikanische Richterschaft ist durch Vielfalt geprägt.426 Einerseits ent­ scheiden nicht studierte Richter in justice courts über wirtschaftlich unbedeuten­ de Streitigkeiten, andererseits sitzt der mit höchsten Auszeichnungen dekorierte ehemalige Chefredakteur des Harvard Law Review in einem Federal Court of Appeals auf der Richterbank.427 Einheitliche Aussagen zur Rechtskenntnis lassen sich deshalb nur schwerlich treffen, zumal jeder der Einzelstaaten über Beson­ 420  Eriline Co. S.A. v. Johnson, 440 F.3d 648, 655 (4th Cir. 2006): „[In our adversary sys­ tem] the parties are obliged to present facts and legal arguments before a neutral and relatively passive decision-maker.“ 421  U.S. v. Burke, 504 U.S.  229, 246 (1992). 422  Richter dienen als Sachverständige für aufgeworfene rechtliche Fragen, s. Sunstar, Inc. v. Alberto-Culver Co., 586 F.3d 487, 496 (7th Cir. 2009). 423  Lamar v. Micou, 114 U.S.  218, 223 (1885) sowie treffend Fishman/McKenna, Jones on Evidence, 7.  Aufl. 2016, §  2:72: „The law of the jurisdiction is peculiarly a matter of judicial cognizance. Indeed, there can be orderly judicial proceedings only if a court is aware of, and applies, applicable law.“ Weiterführend Graham, Fed. Prac. & Proc. Evid., 2.  Aufl. 2016, §  5102.1 mit Fn.  62. 424  Peters, 43 U. Pitt. L. Rev. 995, 998 (1982): „[Courts] frequently miss a statute that is directly [on] point and rarely venture in search of statutes that are indirectly applicable.“ 425  Dazu bereits Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. c) sowie 2. b). 426  Eine empirische Studie zu den federal courts findet sich bei Choi/Gulati/Posner, 44 J. Legal Stud. 107 (2015). 427  Angespielt wird auf Richard Posner, der Richter am Court of Appeals for the Seventh Circuit war und bei dem es sich nach einer Studie um den meistzitierten Juristen des 20. Jahr­ hunderts handelt, s. Shapiro, 29 J. Legal Stud. 409, 424 (2000).

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derheiten in der Richterauswahl verfügt.428 Verklammert werden alle Staaten al­ lerdings von der amerikanischen Verfassung, die ihrerseits ein Leitbild der Stel­ lung der Rechtsprechung im Staatsgefüge zeichnet.429 Von diesem rechtskultu­ rellen Leitbild hängen die Anforderungen ab, die an Richterzahl, Ausstattung und richterliche Rechtskenntnis gestellt werden.430 Die Untersuchung nimmt zunächst die amerikanische Verfassung in den Blick. Sodann rückt die Juristenausbildung in den Vordergrund und schließlich wird herausgearbeitet, welche institutionellen Absicherungen der richterlichen Rechts­ kenntnis vorgesehen sind. a) Verfassungsrechtliches Leitbild Die amerikanische Verfassung verfügt nicht über eine Leistungsdimension, wo­ nach der Staat eine umfassende richterliche Rechtskenntnis zur Herstellung von materieller Gleichheit im Zivilprozess gewährleisten müsste.431 Stattdessen be­ steht ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber dem Staat im Allgemeinen und hoheitlichen Richtern im Besonderen.432 Dementsprechend beschreibt der Hoch­ schullehrer Freedman den Rechtsermittlungsvorgang mit folgenden Worten: „Even if it were not the best method for determining the truth, however, the adversary system is an expression of some of our most precious rights. In a negative sense, it serves as a limita­ tion on bureaucratic control. In a positive sense, it serves as a safeguard of personal autonomy and respect for each person’s particular circumstances.“433

Dieser staatskritischen Grundhaltung entspricht es, dass die amerikanische Ver­ fassung keinen allgemeinen Gleichheitssatz kennt, sondern sich an dem Konzept des due process orientiert.434 Due process ist nicht dahin zu verstehen, dass der Für einen Überblick AJS, Judicial Selection in the States (2013), S.  2. Dieses Leitbild ergibt sich nicht direkt aus U.S. Const. Art. III, sondern fließt vielmehr aus der Staatsvorstellung, die der Verfassung und Gesellschaft insgesamt innewohnt, s. rechts­ vergleichend Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277 (2002) sowie ausführlich Lipset, American Exceptionalism (1996). 430  Die Bereitstellung von gut ausgebildeten Richtern ist eine Leistung des Staates, die wie alle staatlichen Leistungen gewissen Sachzwängen unterliegt. 2016 gab es in den Vereinigten Staaten lediglich 860 federal judges, s. United States Courts, Authorized Judgeships (2016), S.  8. Zur Gesamtzahl der Richter s. United States Department of Labor, National Occupational Employment and Wage Estimates (2015), Kennzahl 23-1023. 431  Zur Werteordnung in den Vereinigten Staaten s. statt aller Lipset, American Exceptiona­ lism (1996), S.  19–33. 432  Ausführlich zu den Gründen für einen jury trial Duncan v. State of La., 391 U.S.  145, 156–157 (1968): „inestimable safeguard against […] the compliant, biased, or eccentric judge.“ 433  Freedman, 1 Chap. L. Rev. 57, 90 (1998). 434  In den Worten von Frankfurter in der Entscheidung Malinski v. New York, 324 U.S.  401, 414 (1945): „The history of American freedom is, in no small measure, the history of procedu­ 428  429 

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Staat gleiche Ausgangspositionen oder gar gleiche Ergebnisse unabhängig von der Vermögenslage schaffen müsste.435 Der Supreme Court betont in ständiger Rechtsprechung vielmehr, dass der Gesetzgeber das Recht auf eine Gerichts­ verhandlung durch Zugangshindernisse beschränken darf.436 Deshalb ist verfas­ sungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn weniger vermögende Personen durch Kosten und Gebühren von Klagen abgehalten werden.437 Überdies steht selbst einer ausgesprochen bedürftigen Partei in der Regel kein Anspruch auf einen Rechtsanwalt zu.438 Der Grundsatz lautet nämlich, dass jede der Parteien stets für ihre eigenen Anwaltskosten selbst aufzukommen hat.439 Auslagen für Gutachter, die in vielen Fällen unerlässlich sind, müssen ebenfalls nur in sehr begrenzter Weise von der unterlegenen Seite getragen werden.440 re.“ Bis heute beschränkt sich der staatliche Gleichheitsgedanke in Zivilverfahrens deshalb auf Minimalstandards, s. kritisch Galanter, 9 Law & Soc’y Rev. 95 (1974–1975) sowie zuletzt Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286 (2013) und Resnik, 162 U. Pa. L. Rev. 1793 (2014). 435  Traditionell und dem Wortlaut entsprechend wird due process prozessual verstanden und umfasst insbesondere das Recht auf eine Gerichtsverhandlung vor einem neutralen Richter, s. Marshall v. Jerrico, Inc., 446 U.S.  238, 242 (1980); Dohany v. Rogers, 281 U.S.  362, 369 (1930). Neben dieser prozessualen Konzeption hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts in Ansätzen eine materielle Seite der due process-Garantie herausgebildet, die als substantive due process bezeichnet wird. Diese materielle Ausprägung wirkt sich allerdings auf Zivilverfahren nahezu nicht aus und kam bislang im Zivilrecht vor allem in der Beschränkung von außer Kon­ trolle geratenen Strafschadensersatzurteilen zum Tragen, s. BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S.  559 (1996) sowie State Farm Mut. Auto. Ins. Co. v. Campbell, 538 U.S.  408 (2003). Vertiefend zum Ganzen Williams, 120 Yale L.J. 408 (2010). 436  U.S. v. Kras, 409 U.S.  434, 446–450 (1973); Ortwein v. Schwab, 410 U.S.  656, 658–661 (1973). 437  Ortwein v. Schwab, 410 U.S.  656, 658–661 (1973); State ex rel. Harris v. Horvath, 105 Ohio St.3d 185, 186 (Ohio 2005). Die Grenze wird erst dann gezogen, wenn die Zugangs­ schranken ganz offensichtlich keinem anderen Zweck dienen, als bedürftigen Klägern den Zu­ gang zu Gericht gänzlich zu verwehren, Lindsey v. Normet, 405 U.S.  56 (1972). In beschränk­ ten Fällen können Zugangsschranken unzulässig sein, wenn ohne ein Gerichtsverfahren ein verfassungsrechtliches Recht nicht ausgeübt werden kann; s. Boddie v. Connecticut, 401 U.S.  371 (1971) für einen Fall, in dem bedürftige Ehepartner durch Gerichtsgebühren in unzu­ lässiger Weise von einer Scheidung abgehalten wurden. 438  Dies ist selbst dann der Fall, wenn bedürftige Eltern mit dem Staat über das Sorgerecht streiten. Anders nur, sofern im Falle der Prozessniederlage eine Beeinträchtigung der körper­ lichen Freiheit droht, Lassiter v. Department of Social Services of Durham County, N. C., 452 U.S.  18, 26–27 (1981). 439  Zu weiteren Einzelheiten s. Sheppard, 62 Am. J. Comp. L. 241, 268–269 (2014). Eine gegenteilige Gebührenverteilung wäre aber ebenfalls verfassungskonform, Life & Cas. Ins. Co. of Tenn. v. McCray, 291 U.S.  566, 569 (1934). 440  Crawford Fitting Co. v. J. T. Gibbons, Inc., 482 U.S.  437 (1987), wonach regelmäßig nur Anfahrtskosten und 40 USD pro Prozesstag in Betracht kommen. Insoweit leiten 28 U.S.C. §§  1821, 1920 das Ermessen der Gerichte nach FRCP 54(d).

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Das Zusammenspiel zwischen Minimalstaatsdenken und Zugang zu Gericht zeigt sich ferner daran, dass der Gesetzgeber in der Ausgestaltung von Rechts­ mitteln überaus frei ist.441 So ist es verfassungsrechtlich zulässig, wenn die Bür­ ger über drohende Strafzahlungen von der Rechtsmitteleinlegung abgehalten werden.442 Außerdem sind die Anforderungen an einen zulässigen und begrün­ deten appeal für Naturalparteien identisch mit denen für anwaltlich vertretene Parteien.443 Es passt zu dieser individualistischen Gesamtkonzeption, dass ein allgemeiner Anwaltszwang verfassungswidrig ist.444 Die Zurückhaltung gegenüber einer starken Richterstellung findet ihren Aus­ druck weiterhin darin, dass der letztlich entscheidende Richter nach der Grund­ konzeption der amerikanischen Verfassung kein Berufsrichter, sondern eine aus Laien zusammengesetzte jury ist.445 Die demokratische Legitimation der Richter wird für die federal courts zudem dadurch abgesichert, dass die Richterauswahl auf Vorschlag des Präsidenten und durch Bestätigung des Senats erfolgt.446 Die Einzelstaaten erzielen diesen Effekt regelmäßig noch direkter, weil die Bevölke­ rung die Richter selbst wählt.447 Neben den Rechtskenntnissen spielt dabei stets 441  Cobbledick v. U.S., 309 U.S.  323, 325 (1940): „[T]he right to a judgment from more than one court is a matter of grace and not a necessary ingredient of justice“. Ebenso Abney v. U.S., 431 U.S.  651, 656 (1977). Ein Recht auf Berufung oder Revision sieht die amerikanische Ver­ fassung folglich nicht vor. 442  Zum Beispiel war ein Gesetz zulässig, das im Falle der erfolglosen Berufungseinlegung eine Strafzahlung von 15 % der Klagesumme vorsah, s. Bankers Life and Casualty Company v. Crenshaw, 486 U.S.  71, 80–85 (1988). Die Grenze ist auch hier erst dann erreicht, wenn die Zulassungsanforderungen bedürftige Kläger willkürlich ausschließen, Lindsey v. Normet, 405 U.S.  56 (1972). 443  Coppedge v. U.S., 369 U.S.  438, 447 (1962): „The point of equating the test for allowing a pauper’s appeal to the test for dismissing paid cases, is to assure equality of consideration for all litigants.“ 444  Grundlegend für den Strafprozess Faretta v. California, 422 U.S.  806 (1975). Im Zivil­ prozess ist ein Anwaltszwang hingegen verfassungsrechtlich zulässig; es gibt aber eine lange Tradition, self-representation auch in Zivilverfahren zuzulassen, U.S. v. Klat, 180 F.3d 264 (5th Cir. 1999). 445  U.S. Const. Art. III, §  2, Cl. 3 sowie U.S. Const. Amend. VII: „In Suits at common law, where the value in controversy shall exceed twenty dollars, the right of trial by jury shall be preserved, and no fact tried by a jury, shall be otherwise reexamined in any court of the United States, than according to the rules of the common law.“ Zur Abgrenzung zwischen law und equity ausführlich Wooddell v. International Broth. of Elec. Workers, Local 71, 502 U.S.  93 (1991). Die verfassungsrechtliche Aufgabe der jury liegt darin, über das Vorliegen der Tatsa­ chen zu entscheiden und das Recht dann auf diesen Sachverhalt anzuwenden, s. Hana Finan­ cial, Inc. v. Hana Bank, 135 S.Ct. 907, 911 (2015). 446  U.S. Const. Art. II, §  2, Cl. 2. 447  AJS, Judicial Selection in the States (2013), S.  2; Olszewski, 109 Penn St. L. Rev. 1, 6 (2004).

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und vor allem eine Rolle, ob der Kandidat politisch akzeptabel ist; ansonsten wird er nicht für ein Richteramt vorgeschlagen oder gewählt.448 Abgesehen davon zeigt sich das Misstrauen gegenüber staatlicher Einmischung in einer weitgreifenden Zulässigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit.449 Die Einzel­ staaten dürfen das Recht auf Schiedsverfahren nicht über den Federal Arbitration Act hinaus einschränken.450 Der Federal Arbitration Act und der Supreme Court erlauben Schiedsklauseln in Standardverträgen zwischen Verbrauchern und Un­ ternehmen.451 Das gilt sogar dann, wenn die Schiedsklausel den Verbraucher der sonst bestehenden Möglichkeit einer Sammelklage beraubt.452 Schiedsklauseln zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern stehen ebenfalls im Einklang mit der Verfassung.453 Abgerundet wird das Bild dadurch, dass sogar arbeitsrechtliche Diskriminierungsklagen vor Schiedsgerichten verhandelt und auf diesem Wege zulässigerweise der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen werden.454 Zusammenfassend kann das rechtkulturelle Leitbild der Vereinigten Staaten nach Lipset in fünf Schlagworten beschrieben werden: Freiheit, Individualismus, Populismus, Egalitarismus und laissez-faire.455 In Übereinstimmung mit diesen Prinzipien soll der Staat sich in den prozessualen Wettstreit der Parteien gerade nicht einmischen und auch nicht für gleiche Ergebnisse sorgen.456 Der Supreme Court stellt es den Parteien daher anheim, über Prozessstrategie, Rechtsanwalt sowie Schiedsgerichtsbarkeit selbst zu entscheiden und lässt sie als Kehrseite die Konsequenzen ihrer Entscheidung selbst tragen.

448 Ausführlich zur Richterwahl Pozen, 108 Colum. L. Rev. 265 (2008) sowie kritisch ­ roley, 62 U. Chi. L. Rev. 689 (1995). Zu den Qualifikationen Choi/Gulati/Posner, 44 J. Legal C Stud. 107 (2015). 449 Kritisch Resnik, 162 U. Pa. L. Rev. 1793 (2014) sowie Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 322–331 (2013). 450  Southland Corp. v. Keating, 465 U.S.  1, 10 (1984). 451  Eine empirische Studie findet sich bei Eisenberg/Miller/Sherwin, 41 U. Mich. J.L. Re­ form 871 (2008). 452  AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S.  333 (2011). Nach der Entscheidung American Exp. Co. v. Italian Colors Restaurant, 133 S.Ct. 2304, 2309–2310 (2013) gilt dies auch im kartellrechtlichen Kontext. 453  Circuit City Stores, Inc. v. Adams, 532 U.S.  105 (2001). 454  14 Penn Plaza LLC v. Pyett, 556 U.S.  247 (2009). Allerdings ist die Equal Employment Opportunity Commission an die Schiedsklausel im Arbeitsvertrag nicht gebunden und kann deshalb zugunsten des Arbeitnehmers in bestimmten Einzelfällen klagen, EEOC v. Waffle House, Inc., 534 U.S.  279 (2002). 455  Egalitarismus bedeutet laut Lipset im amerikanischen Kontext „equality of opportunity and respect, not of result or condition“, s. Lipset, American Exceptionalism (1996), S.  19. 456  Zum Ganzen Lipset, American Exceptionalism (1996), S.  19 ff.

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b) Juristenausbildung Schon im 19. Jahrhundert formulierte Oliver Wendell Holmes den Leitgedanken, der noch heute für die amerikanische Juristenausbildung prägend ist: „For the rational study of the law the black-letter man may be the man of the present, but the man of the future is the man of statistics and the master of economics.“457

Die Juristenausbildung in den Vereinigten Staaten zielt nicht darauf ab, Volljuris­ ten mit umfassenden Rechtskenntnissen auszubilden.458 Es geht auch nicht dar­ um, junge Juristen an staatlichen Universitäten auf den Richterdienst vorzuberei­ ten.459 Stattdessen ist die Juristenausbildung in Übereinstimmung mit grund­ legenden amerikanischen Werten durch Freiheit, Individualismus und Staatsferne gekennzeichnet.460 Grundsätzlich hängt der Inhalt des Jurastudiums stark von der akademischen Tradition der besuchten law school sowie den Wünschen der Studierenden ab.461 Im Regelfall dient das erste Jahr dazu, einen Überblick über die Säulen der Rechtsordnung zu vermitteln.462 Das zweite und dritte Jahr lassen dann umfas­ send Freiraum für eine individuelle Studiengestaltung und Spezialisierung.463 Verpflichtend ist allein die Teilnahme an einer clinic oder einem externship; in Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 469 (1897). Die Juristenausbildung ruht auf den Säulen Collegestudium, Jurastudium und bar exam, s. ausführlich Cavers, Legal Education in the United States, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  193–207. Das Collegestudium führt in die Welt des akademischen Arbeitens ein, dauert vier Jahre und ist inhaltlich regelmäßig nicht juristisch ausgestaltet. Am Ende des Studiums wird ein Bachelorabschluss erworben, der zur Aufnahme des Jurastudiums an einer law school befähigt. Lediglich in Ausnahmefällen dürfen law schools Absolventen ohne Col­ legeabschluss ausbilden, 502(c) ABA Standards for Approval of Law Schools sowie vertiefend zu den Einzelheiten National Conference of Bar Examiners, Bar Admission Requirements (2017), S. vii sowie Chart 3, S.  8–11. 459  Nach Ableistung des bar exam beginnen lediglich einige besonders qualifizierte Absol­ venten ihre Karriere mit einem clerkship bei einem Richter und unterstützen diesen über ein Jahr bei seiner Tätigkeit, s. ABA, Law Graduate Employment Data (2015), S.  1. 460  Weiterführend zum Ganzen von Mehren, Law in the United States (1988), S.  23–31; Llewellyn, The Bramble Bush (1930), S.  92–108 sowie zuletzt Spencer, 69 Wash. & Lee L. Rev. 1949 (2012). 461  Statt aller Meltzer, 70 U. Chi. L. Rev. 233 (2003). 462  Üblicherweise stehen Vertragsrecht, Deliktsrecht, Sachenrecht, Strafrecht und Zivilpro­ zessrecht im ersten Jahr auf dem Stundenplan, Spencer, 69 Wash. & Lee L. Rev. 1949, 2020 mit Fn.  297 (2012). Das erste Jahr ist dafür bekannt, besonders herausfordernd zu sein, s. Cavers, Legal Eduction in the United States, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  193, 196. 463  Im Normalfall erstreckt sich die Ausbildung an der law school über drei Jahre; accelerat­ ed JD-Programme werden nur selten angeboten und dauern zwei Jahre, s. für einen Überblick Spencer, 69 Wash. & Lee L. Rev. 1949, 2020 mit Fn.  296 (2012). 457  458 

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diesen Veranstaltungsformaten geht es um die Beratung von Mandanten sowie den Erwerb von praktischen Fertigkeiten.464 Amerikanische law schools wollen die Fähigkeit vermitteln, Rechtsprobleme argumentativ lösen zu können.465 Diese Fähigkeit wird anhand der Lektüre und Diskussion von ausgewählten Gerichtsentscheidungen geschult.466 Die Ausle­ gung und Anwendung von Gesetzen spielt im Verhältnis dazu eine untergeordne­ te Rolle.467 Im Vordergrund steht auch nicht der Erwerb von Einzelfallwissen oder die dogmatische und systematische Aufbereitung von Tatbestandsmerkma­ len, sondern die Auseinandersetzung mit policy-Erwägungen.468 Fächer wie law and economics, public choice oder corporate finance haben deshalb einen zen­ tralen Platz im Vorlesungsangebot, wohingegen Veranstaltungen wie Baurecht, Immobiliarsachenrecht, Internationales Privatrecht oder Zwangsvollstreckungs­ recht oft gar nicht angeboten werden.469 Eine Vielzahl von Kandidaten beschäftigt sich somit erstmals in der dreimona­ tigen Vorbereitungszeit auf das bar exam vertieft mit dem black letter law.470 Nach Ablegen des bar exam nimmt ein Großteil der Absolventen die Tätigkeit

erhöhte Praxisbezug ist insbesondere auf Sullivan/Colby/Wegner/Bond/Shulman, Educating Lawyers: Preparation for the Profession of Law (2007) zurückzuführen („Carnegie Report“). Daneben ist lediglich die Teilnahme an einem Kurs in legal ethics oder professional responsibility nachzuweisen, 303(a)(1) ABA Standards for Approval of Law Schools. 465  Prägend für die amerikanische Juristenausbildung war Langdell, s. ausführlich zur Ent­ wicklung Chase, 23 Am. J. Legal Hist. 329 (1979). 466 Die case method wurde zuerst an der Harvard Law School eingeführt, Chase, 23 Am. J. Legal Hist. 329 (1979). 467  Zu den Gründen Spencer, 69 Wash. & Lee L. Rev. 1949, 1990 (2012). 468  Gerade die bekannten law schools konzentrieren sich nicht auf das black letter law, s. etwa die Beschreibung von Meltzer, 70 U. Chi. L. Rev. 233, 241 (2003). Da präsente Rechts­ kenntnisse eine weniger bedeutende Rolle spielen, dürfen bei Prüfungen regelmäßig alle Ma­ terialien mitgeführt werden; teils ist sogar der Einsatz des Internets gestattet, s. zur Prüfungs­ kultur von Mehren, Law in the United States (1988), S.  28. 469 Verfassungsrecht gehört beispielsweise regelmäßig nicht zum Pflichtstoff im ersten Jahr, s. Spencer, 69 Wash. & Lee L. Rev. 1949, 2020 mit Fn.  297 (2012). 470 Das Uniform Bar Exam der National Conference of Bar Examiners erstreckt sich über zwei Tage und umfasst derzeit 200 Multiple-Choice-Fragen, zwei Rechtsgutachten sowie sechs Essays, s. vertiefend National Conference of Bar Examiners, Bar Admission Requirements (2017), Chart 6 (S.  20–22), Chart 8 (S.  26–29), Chart 9 (S.  30–32). Die Vorbereitung auf das bar exam erfolgt regelmäßig nicht an der law school, sondern über einen privaten Anbieter, s. von Mehren, Law in the United States (1988), S.  29. Im Vordergrund steht dabei, die wesentli­ chen Linien der Rechtsprechung zu erlernen, s. kritisch Spencer, 69 Wash. & Lee L. Rev. 1949, 2061 (2012). Für die spätere Karriere spielt die im bar exam erreichte Punktzahl keine Rolle; entscheidend sind vielmehr die besuchte law school, die dort erzielten Noten sowie Mitglied­ schaften in Vereinigungen, s. vertiefend Choi/Gulati/Posner, 44 J. Legal Stud. 107 (2015). 464 Der

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als Rechtsanwalt auf.471 Ein Richteramt kommt hingegen regelmäßig erst dann in Betracht, wenn ein Jurist zuvor zahlreiche Jahre Berufserfahrung gesammelt hat.472 Der Erwerb von praktischen Rechtskenntnissen erfolgt also zunächst nicht im Richterberuf selbst, sondern im Rahmen von anderen juristischen Tätig­ keiten.473 c) Institutioneller Rahmen Die Gerichtsorganisation unterscheidet sich zwischen federal und state courts sowie innerhalb der state courts von Staat zu Staat.474 Einheitlich ist, dass in erster Instanz nur ein Richter tätig wird und es sich bei Richtern grundsätzlich um Generalisten handelt.475 Es besteht jedoch keine Einigkeit darüber, über wel­ che Fähigkeiten und Kenntnisse Richter verfügen sollten und wie der Instanzen­ zug auszugestalten ist; insbesondere gibt es keinen allgemeinen Grundsatz, wo­ nach Richter über ein rechtswissenschaftliches Studium verfügen müssten.476 Im Ausgangspunkt ist zu sehen, dass die Mehrzahl der Fälle nicht von den ­federal courts, sondern von den state courts entschieden wird.477 Obschon es an den state courts durchaus hochqualifizierte Richter gibt, ist hier das Leistungs­ 471  Über 40 % der Absolventen im Jahre 2015 begannen ihre Karriere in einer Anwaltskanz­ lei, etwa 15 % in einem Unternehmen, etwa 12 % in Regierung oder Verwaltung und weniger als 10 % als law clerks, s. ABA, Law Graduate Employment Data (2015), S.  1. 472  Ein Mindestalter ist theoretisch keine zwingende verfassungsrechtliche Voraussetzung für eine Ernennung als federal judge, wird aber vom Präsidenten und dem Senat regelmäßig erwartet; die American Bar Association empfiehlt eine Berufserfahrung von mindestens zwölf Jahren, ABA, Standing Committee on the Federal Judiciary (2009), S.  3. 473  Von Mehren, Law in the United States (1988), S.  30. 474  Für einen Überblick AJS, Judicial Selection in the States (2013). 475 Zum trial-Modell von Mehren, Law in the United States (1988), S.  76–79 sowie exem­ plarisch für die federal courts 28 U.S.C. §  132(c). Kritisch zur fehlenden Spezialisierung Langbein, 52 U. Chi. L. Rev. 823, 852 mit Fn.  104 (1985). Allerdings gibt es durchaus spezialisierte surrogates’ courts oder family courts, s. etwa Uniform Rules for Trial Courts (22 NYCRR) §  205 und §  207. 476  In diesem Grundsatz spiegeln sich erneut die Werte Freiheit, Individualität, Populismus und laissez-faire, s. dazu grundlegend Lipset, American Exceptionalism (1996), S.  19–33. Fak­ tisch ist ein Jurastudium heute aber in der Regel Voraussetzung für ein Richteramt an höheren Gerichten; der letzte Supreme Court Justice, der über keinen Juraabschluss verfügte, war Reed. 477 Die federal courts sind nur zur Entscheidung berufen, wenn eine federal-question oder diversity jurisdiction vorliegt, U.S. Const. Art. III, §  2, Cl. 1. Die federal-question jurisdiction greift nur ein, wenn die Streitigkeit sich um federal law, die Verfassung oder einen völkerrecht­ lichen Vertrag dreht, 28 U.S.C. §  1331. Diversity jurisdiction ist hingegen für Fälle mit einem Streitwert von über 75.000 USD reserviert, die zudem das Territorium mehrerer Einzelstaaten berühren, 28 U.S.C. §  1332. Zahlreiche Statistiken zur Anzahl der Prozesse finden sich bei Galanter, 1 J. Empirical Legal Stud. 459 (2004).

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spektrum besonders breit.478 Dies zeigt sich insbesondere daran, dass Nicht­ juristen in zahllosen Fällen mit geringen Streitwerten urteilen.479 Im Bundesstaat New York überstieg die Zahl aller nichtjuristischen Richter an town und village courts sogar bereits die Marke von 70 %.480 Werden die Richter gewählt, so steht die richterliche Qualifikation ebenfalls nicht im Vordergrund.481 Manche Staaten sehen überdies aus Kostengründen keine echte zweite Instanz vor, sondern ver­ fügen nur über district courts und einen Supreme Court.482 Da ein Richteramt an einem federal court regelmäßig mit mehr Prestige, Ein­ fluss und Gehalt als an einem gleichrangigen state court verbunden ist, finden sich vor allem an federal courts Juristen mit Abschlüssen von elitären law schools.483 Schon auf Ebene der Courts of Appeals verfügen die Richter über eine große Expertise und können durchaus landesweit bekannt sein.484 Vor­ nehmlich an den federal courts werden die Richter zudem von law clerks unter­ stützt, wobei die renommiertesten Richter die besten Absolventen des Landes anziehen.485 Allein: Was den Supreme Court betrifft, so ist dieser keine Revi­ sionsinstanz und nimmt pro Jahr lediglich 70 bis 80 Fälle überhaupt zur Ent­ scheidung an.486 Die Courts of Appeals sind außerdem keine Tatsachengerichte

478  Für einen empirisch angelegten Vergleich s. Choi/Gulati/Posner, Olin Working Paper No.  405 (2008). 479  Beispielsweise müssen magisterial district judges in Pennsylvania ebenso wenig über einen Juraabschluss verfügen wie ihre Kollegen in New York an town und village courts, s. einerseits 42 Pa.C.S.A. §  3112 sowie andererseits NY Const., Art. VI, §§  17(a), 20(a). Der Einsatz von nichtjuristischen Richter verstößt nicht gegen die Verfassung, North v. Russell, 427 U.S.  328, 338 (1976). Weiterführend dazu Ryan/Guterman, 60 Judicature 272 (1977). 480  Im Jahr 2006 waren es 72 %, Kaye/Lippmann, Action Plan for Justice Courts (2006), S.  10 mit Fn.  16. In einer Antwort auf den von Kaye und Lippmann präsentierten Action Plan wurden zwar einige Lösungen für das Problem präsentiert, die Zahl der juristisch geschulten Richter aber nicht erhöht, s. Marks/Younkins, Action Plan for Justice Courts, Two Year Update (2008). 481 Insbesondere wird moniert, dass der Wahlkampf sehr teuer und zeitintensiv sei und deshalb einen Kreis von qualifizierten Kandidaten ausschließe, ausführlich Pozen, 108 Colum. L. Rev. 265 (2008). 482  Für eine Liste s. AJS, Judicial Selection in the States (2013). 483  Die Bezahlung für einen federal district judge richtet sich nach 28 U.S.C. §  135 in Ver­ bindung mit dem Federal Salary Act und beträgt derzeit über 200.000 USD pro Jahr, s. für eine Übersicht United States Courts, Judicial Compensation (2017). Zu den Unterschieden zwi­ schen federal und state courts grundlegend Neuborne, 90 Harv. L. Rev. 1105 (1977). 484 Ausführlich Klein/Morrisroe, 28 J. Legal Stud. 371 (1999). 485  Von Mehren, Law in the United States (1988), S.  29. 486  In den letzten Jahren hat der Supreme Court etwa 1 % der über 7000 jährlich anfallen­ den writs of certiorari zugelassen, Magnuson/Herr, Federal Appeals Jurisdiction and Practice (2016), §  15:2.

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und dienen lediglich der Korrektur von Rechtsfehlern sowie der Fortbildung und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung.487 Letztlich durchzieht der Gedanke der Effizienz die Gerichtsorganisation wie ein roter Faden.488 Die kurzen Instanzenzüge sowie die hohen Anwaltskosten führen insgesamt dazu, dass die meisten Fälle nur in die Hände eines Richters gelangen.489 Ist die wirtschaftliche oder politische Bedeutung einer Streitigkeit gering, so werden geringe Anforderungen an die Qualifikation der Richter ge­ stellt. Geht es hingegen um wichtigere Fragen, die für eine Vielzahl von Bürgern von Bedeutung sein können, so wird die richterliche Rechtskenntnis über die Qualifikation und Anzahl der Richter sowie law clerks abgesichert.490 2. Einbeziehung Dritter Neben dem Rechtsvortrag der Parteien ruht die richterliche Rechtskenntnis auch auf der Einbeziehung Dritter.491 Insbesondere Parteisachverständige geben Aus­ kunft über ausländisches Recht sowie schwierige Fragen des inländischen Rechts.492 Zudem steht den federal courts das Institut der certification zur Verfü­ gung. Gerade an höheren Gerichten ist es ferner üblich, dass amicus curiae-­ Schriftsätze eingereicht werden.493 Obschon über inländisches Recht theoretisch keine Gutachten eingeholt wer­ den sollten, kann diese Regel in der Praxis von geschickten Rechtsanwälten um­

487 Der Court of Appeals stützt seine Entscheidung auf die Akte und erhebt keine neuen Beweise, FRAP 10(a). Lediglich Rechtsfragen werden de novo überprüft, für Fehler in der Tatsachenfeststellung gilt der clearly erroneous-Standard, Horton v. Reliance Standard Life Ins. Co., 141 F.3d 1038, 1040 (11th Cir. 1998). Entschieden wird in einer Besetzung mit drei Richtern, 28 U.S.C. §  46(b). Ausnahmsweise können aber im Wege eines en banc hearings alle circuit-Richter zusammen über einen Fall entscheiden, 28 U.S.C. §  46(c). Der Gang vor den Court of Appeals ist stets mit dem Risiko einer Sanktion nach 38 FRAP verbunden, s. Magnuson/Herr, Federal Appeals Jurisdiction and Practice (2016), §  6:3. 488 Vertiefend Yeazell, 1 J. Empirical Legal Stud. 943 (2004). Sogar die optimalen Gehälter für Richter werden in Anlehnung an Effizienzkriterien ausgerechnet, s. beispielsweise Anderson/Helland, 64 Stan. L. Rev. 1277 (2012). 489 Kritisch Galanter, 57 Stan. L. Rev. 1255 (2005) sowie Langbein, 122 Yale L.J. 522 (2012). 490  Auch am federal court system wurde gespart, s. George, 25 Rev. Litig. 1 (2006). 491 Die Entscheidung soll auf Grundlage der bestmöglichen Informationslage ergehen, s. Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  30, 40: „The arguments of counsel hold the case, as it were, in suspension between two opposing interpreta­ tions of it. While the proper classification of the case is thus kept unresolved, there is time to explore all of its peculiarities and nuances.“ 492  Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. d) sowie 2. c). 493  Grundlegend zu amicus curiae-Schriftsätzen Krislov, 72 Yale L. J. 694 (1963).

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gangen werden.494 Je komplizierter eine Rechtsfrage ist, desto wahrscheinlicher ist die Einbeziehung von Parteisachverständigen.495 Bei ausländischem Recht ist ein Auftreten von expert witnesses ohnehin die Regel.496 Allerdings sind diese Sachverständigen keine neutralen Gutachter, sondern vielmehr Teil der Prozess­ strategie des Auftraggebers.497 Die Informationsbeschaffung des Gerichts erfolgt dann unter Berücksichtigung von zwei entgegengesetzten Experten­meinungen.498 Auch wenn die Nützlichkeit dieser Praxis teils von Richtern bezweifelt wird, ist sie dennoch der praktische Regelfall.499 Besteht Unklarheit über die Rechtslage in einem Bundesstaat, so darf der zur Streitentscheidung berufene federal court ein Gericht des betroffenen Bundes­ staats ferner im Wege der certification um Hilfe bitten.500 Das einzelstaatliche Gericht erteilt dann eine Rechtsmeinung, die zur Lösung der Rechtsfrage heran­ zuziehen ist.501 Schließlich ist es nicht Aufgabe der federal courts, das einzel­ staatliche Recht weiterzuentwickeln.502 Einen ähnlichen Mechanismus gibt es überdies in der Behandlung des Rechts von New South Wales; dank einer ent­ 494 Vertiefend Note, 97 Harv. L. Rev. 797 (1984); Friedland, 37 U. Miami L. Rev. 451 (1983) sowie Lawson, 86 Nw. U. L. Rev. 859 (1992). 495 Weiterführend Friedland, 37 U. Miami L. Rev. 451 (1983). 496  Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624, 633 (7th Cir. 2010). 497  Erklären sie vor Gericht den Geschworenen eine mixed question of law and fact, so liegt darin letztlich verlängerter Parteivortrag, s. vertiefend Hana Financial, Inc. v. Hana Bank, 135 S.Ct. 907, 911 (2015) sowie bereits Holmes, The Common Law (1881), S.  110. Die Kritik entzündet sich daran, dass die jury unfair beeinflusst und die Parteisachverständigen die Rolle des Richters übernehmen könnten, s. Marx & Co., Inc. v. Diners’ Club Inc., 550 F.2d 505, 512 (2nd Cir. 1977). 498  Teils können durchaus noch mehr expert witnesses aussagen; zum Beispiel wurden in dem Fall Tyco Laboratories, Inc. v. Connelly, 473 F.Supp.  1157, 1158 mit Fn.  2 (D. Mass. 1979) insgesamt elf Parteisachverständige zu Rechtsfragen angehört. 499 Kritisch Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624, 633 (7th Cir. 2010). 500  In der Entscheidung Erie Railroad Co. v. Tompkins hat der Supreme Court festgestellt, dass die federal courts das einzelstaatliche Recht ihres Sitzstaates anzuwenden haben, s. Erie R. Co. v. Tompkins, 304 U.S.  64 (1938). Es ist aber nicht immer eindeutig, wie eine bestimmte Rechtsfrage im einzelstaatlichen Recht zu beantworten ist, s. grundlegend zu diesem Problem Lehman Bros. v. Schein, 416 U.S.  386, 390 mit Fn.  8 (1974). Abgesehen von einer certification kann ein federal court sich ausnahmsweise weigern, schwierige Fragen des einzelstaatlichen Rechts zu beantworten; das wird als abstention bezeichnet, Burford v. Sun Oil Co., 319 U.S.  315, 332–333 (1943). Vertiefend zum Ganzen Yonover, 38 DePaul L. Rev. 1 (1988). 501  Voraussetzung ist ein entsprechendes einzelstaatliches Gesetz, s. Planned Parenthood Ass’n of Kansas City, Mo., Inc. v. Ashcroft, 462 U.S.  476, 493 mit Fn.  21 (1983). In Illinois wird das certification-Verfahren in ILCS S. Ct. Rule 20 und in New York in NY Const., Art. VI, §  3(9); 22 NYCRR 500.27 geregelt. 502  Die grundlegende Idee der Erie-Doktrin lag darin, den Einzelstaaten die Gewalt über ihr common law zurückzugeben und gleichzeitig forum shopping zu verhindern, Erie R. Co. v. Tompkins, 304 U.S.  64, 78 (1938). Dabei ist es eine überaus umstrittene theoretische Frage, ob

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sprechenden Vereinbarung dürfen New Yorker Richter ihre australischen Kolle­ gen um Unterstützung bei der Lösung von Fällen ersuchen.503 Gewinnt ein Fall in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht besondere Be­ deutung, so fühlen sich zahlreiche Akteure berufen, als amici curiae Stellung zu beziehen.504 Zu diesen Akteuren zählen Anwaltskanzleien, Juraprofessoren, Nichtregierungsorganisationen sowie legal clinics.505 Die amici sind nicht Par­ teien des Verfahrens, sondern dienen ausschließlich der Informationsbeschaf­ fung.506 Mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten versuchen sie, die Ge­ richtsentscheidung in ihrem Sinne zu beeinflussen.507 Die Zahl der Stellungnah­ men kann bereits am Court of Appeals zweistellig sein und steigt am Supreme Court bisweilen in dreistellige Höhen.508

III. Rechtspraxis Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet das amerikanische Prozessrecht mit etwas Abstand, so könnten Mephistopheles Worte nicht zutreffender sein: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum.“509

Zwischen bisweilen formulierten Gerechtigkeitsidealen und der Rechtspraxis klafft im amerikanischen Prozessrecht ein tiefer Spalt.510 Im praktischen Regel­ fall liegt es nahezu ausschließlich in den Händen der Parteien, sich ihr Recht die federal courts ein federal common law entwickeln oder nicht, s. dazu Posner/Landes, 9 J. Legal Stud. 367 (1980). 503  Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 223 mit Fn.  46 (2014). 504  Die Beteiligung von amici richtet sich vor den Courts of Appeals nach FRAP 29 und vor dem Supreme Court nach Supreme Court Rule 37. Die federal disctrict courts können amicus curiae-Schriftsätze nach ihrem Ermessen zulassen, Jin v. Ministry of State Security, 557 F.Supp.2d 131, 136 (D.D.C. 2008). 505  Der Zweck liegt zumeist entweder darin, die Entscheidung im Sinne der unbeteiligten Mandantschaft zu beeinflussen oder selbst Renommee aufzubauen, s. ausführlich Krislov, 72 Yale L. J. 694 (1963). 506  Es handelt sich um keine intervention of right nach FRCP 24(a)(2), Utahns for Better Transp. v. U.S. Dept. of Transp., 295 F.3d 1111, 1115 (10th Cir. 2002). Issues, die von amici vorgetragen wurden, sind grundsätzlich nicht Gegenstand des appeal, Tides v. The Boeing Co., 644 F.3d 809, 814 mit Fn.  6 (9th Cir. 2011). 507  Zu dem Einfluss von amicus curiae-Schriftsätzen s. Kearney/Merrill, 148 U. Pa. L. Rev. 743 (2000). 508  Bislang liegt der Rekord bei 148 amicus curiae-Schriftsätzen in dem Fall Obergefell v. Hodges, 135 S.Ct. 2584 (2015). 509  Goethe, Faust I (1808), S.  39. 510 Weiterführend Galanter, 57 Stan. L. Rev. 1255 (2005); Langbein, 122 Yale L.J. 522 (2012); Resnik, 162 U. Pa. L. Rev. 1793 (2014).

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selbst zu erstreiten; auf die Hilfe des staatlichen Richters können sie sich dabei nicht verlassen.511 Bereits im Ausgangspunkt ist in zahllosen Fällen der Weg zu Gericht durch eine Schiedsklausel versperrt.512 Liegt ausnahmsweise keine derartige Klausel vor, so stehen zwischen dem Kläger und einem Urteil häufig prohibitiv hohe Verfahrenskosten.513 Eine Klage kommt somit lediglich in Betracht, wenn der Streitwert hoch und die Sache des Klägers aussichtsreich ist.514 In diesem Fall kann die Hilfe eines Rechtsanwalts über ein Erfolgshonorar in Anspruch genom­ men werden.515 Selbst dann ergeht aber mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Ur­ teil, weil die Parteien sich zuvor vergleichen oder die Klage mit einer motion zu Fall gebracht wird.516 Spricht der Richter dennoch entgegen aller Wahrschein­ lichkeit ein Urteil, so geschieht dies regelmäßig unter Beteiligung einer jury.517 Da die Entscheidung somit nur in sehr wenigen Fällen überhaupt durch den Richter selbst getroffen wird, steigt die Bedeutung der Parteien und ihrer Rechts­ anwälte weiter an.518 Rein praktisch geht es aus Sicht der Parteien aufgrund der stetig tickenden Kostenuhr zumeist darum, das Verfahren möglichst schnell zum Abschluss zu bringen.519 Die Folge ist, dass in über 99 % aller gerichtlich anhängigen Fälle

511 Dies stimmt mit grundlegenden amerikanischen Werten überein, s. dazu allgemein ­ ipset, American Exceptionalism (1996), S.  33. Kritisch hingegen Galanter, 9 Law & Soc’y L Rev. 95 (1974–1975). 512  Schiedsklauseln sind in 99,9 % aller Mobilfunkverträge, 85 % aller privaten Studienkre­ dite und 53 % aller Kreditkartenverträge enthalten, s. Consumer Financial Protection Bureau, Arbitration Study (2015), Section 2, S.  8. 513 Dies ist insbesondere auf hohe Rechtsanwaltskosten, Sachverhaltsaufklärungskosten sowie Kosten für expert witnesses zurückzuführen, Langbein, 122 Yale L.J. 522, 551 mit Fn.  138 (2012). 514  Ansonsten wird der Rechtsanwalt sich regelmäßig dagegen entscheiden, den Rechtsstreit zu führen, s. ausführlich zu relevanten Faktoren Klein/Morrisroe, 28 J. Legal Stud. 371 (1999). 515  Die meisten Bürger könnten es sich ohne Erfolgshonorare nicht leisten, einen Rechts­ streit zu führen, s. Anderson, 4 Fed. Cts. L. Rev. 99, 110 mit Fn.  47 (2010). 516  Dieses Phänomen wird als „vanishing trial“ beschrieben, so wohl zuerst Gross/Syverud, 44 UCLA L. Rev. 1, 51 (1996) sowie prägend Galanter, 1 J. Empirical Legal Stud. 459 (2004). Ebenfalls Langbein, 122 Yale L.J. 522, 524 (2012). 517  In etwa zwei Drittel der Fälle entscheidet die jury, in dem verbleibenden Drittel der Richter allein, Galanter, 1 J. Empirical Legal Stud. 459, 464 mit Übersicht 1 (2004). 518 Richter sehen sich zumeist mit einer extremen Arbeitsbelastung konfrontiert; dieses Problem wird unter den Schlagworten „crowded docket“ behandelt, s. grundlegend Carrington, 82 Harv. L. Rev. 542 (1969). In den letzten Jahren haben sich die Schwierigkeiten durch Sparzwänge sowie aufwendige discovery-Verfahren weiter verschärft, Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 359 (2013) sowie George, 25 Rev. Litig. 1 (2006). 519  Kritisch gegenüber Vergleichsschlüssen Fiss, 93 Yale L.J. 1073 (1983–1984).

B. Vereinigte Staaten

157

kein streitiges Urteil ergeht.520 Da also von vornherein nicht mit einer Entschei­ dung am Maßstab des Rechts gerechnet werden kann, verwandeln sich Rechts­ fragen in schlichte Wahrscheinlichkeiten, die ihrerseits in der Kosten-Nut­ zen-Rechnung bei der Vergleichsverhandlung Berücksichtigung finden.521 Vor diesem Hintergrund wurde die berühmte Formulierung „bargaining in the shadow of the law“ geprägt.522 Im Schatten des Rechts kann besser verhandelt werden, wenn einer Partei das anwendbare Recht sowie die einschlägigen Präze­ denzfälle bekannt sind.523 Nicht zuletzt deshalb enthalten Anwaltsschriftsätze Rechtsausführungen, um prozessuale Nachteile zu vermeiden und Verhand­ lungspositionen zu stärken.524 Insgesamt ist der Rechtsvortrag damit letztlich ein wesentlicher Faktor, der sich entscheidend auf den Erfolg oder Misserfolg einer Klage auswirkt.

IV. Zusammenfassende Würdigung Es klang bereits an, dass die Worte „Equal justice under law“ die Vorderseite des Supreme Court-Gebäudes schmücken. Verlässt man das Gebäude auf der ande­ ren Seite, so ziert dort die Formel „Justice the Guardian of Liberty“ den Aus­ gang. Es könnte nicht passender sein: Die Gerechtigkeit dient dem Schutz der Freiheit. Zugleich weist die Freiheit aber auch den Weg zur Gerechtigkeit. Es liegt deshalb in den Händen der Bürger, sich ihr Recht selbst zu erkämpfen. Hier­ bei können sie nicht darauf vertrauen, dass die Bewacher der Freiheit im selben Moment auch die Hüter der Gleichheit sind. Der traditionelle Dreh- und Angelpunkt für die Beweisbedürftigkeit von Recht ist das Konzept der judicial notice. Danach sind die Gerichte befugt, den Inhalt des inländischen Rechts festzustellen. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Partei­ en sich in der Ermittlung der Rechtslage auf das Gericht verlassen könnten. Das Gegenteil ist der Fall: In Übereinstimmung mit ihrer passiven Stellung sehen Richter es nicht als ihre Aufgabe an, das Recht für die Parteien zu recherchieren oder gar Hinweise zur Rechtslage zu erteilen. Dies gilt auch im Umgang mit anwaltlich nicht vertretenen Parteien. Langbein, 122 Yale L.J. 522, 524 (2012). stimmt nach amerikanischer Denkart mit dem Coase Theorem überein, wonach sich ohnehin effiziente Lösungen durchsetzen, Coase, 3 J. Law Econ 1, 12–13 (1960). Zu den Auswirkungen auf die Juristenausbildung s. Sullivan/Colby/Wegner/Bond/Shulman, Educating Lawyers: Preparation for the Profession of Law (2007). 522  So der Titel des Aufsatzes von Mnookin/Kornhausert, 88 Yale L. J. 950 (1979). 523  Daraus resultiert ein Vorteil für diejenigen, die regelmäßig Rechtsstreitigkeiten führen („repeat players“), Galanter, 9 Law & Soc’y Rev. 95 (1974–1975). 524  Dies ist nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen Gründen geboten, s. Zweiter Teil, 2. Kapi­ tel, B. I. 3. 520 

521  Dies

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

Es bleibt somit den Parteien selbst überlassen, die Rechtslage zu ermitteln und entsprechend vorzutragen. Wird darauf verzichtet, so droht mit hoher Wahr­ scheinlichkeit der Prozessverlust oder gar eine gerichtliche Sanktion. Dies be­ trifft den Kläger und den Beklagten gleichermaßen. Der Rechtsinhalt ist allerdings nicht nur vorzutragen, sondern unter Umstän­ den auch zu beweisen. Da der Rechtsbegriff eng gezogen wird, entscheidet die jury über rechtlich anmutende Fragen. Außerdem ist es über eine geschickte For­ mulierung des Beweisgegenstandes möglich, Rechtssachverständige an der Er­ mittlung inländischen Rechts zu beteiligen. Davon wird in komplizierten und weniger alltäglichen Rechtsgebieten regelmäßig Gebrauch gemacht. Was ausländisches Recht betrifft, so kommt es nur dann zur Anwendung, wenn eine Partei dies rechtzeitig und wirksam verlangt. Das Gericht trifft aus­ drücklich keine Pflicht, den Inhalt des ausländischen Rechts selbst zu ermitteln. Es liegt also in der Verantwortung der Parteien, den Rechtsinhalt zur Zufrieden­ heit des Gerichts nachzuweisen. Hierbei bedienen sie sich der Hilfe von Partei­ sachverständigen. Gelingt der Nachweis nicht, so bleibt ausländisches Recht unangewendet. Noch heute ist deshalb ganz selbstverständlich von einem proof of foreign law sowie einer burden of proof die Rede. Betrachtet man inländisches und ausländisches Recht gemeinsam, so zeigt sich ein vielschichtiges Bild. Auf den ersten Blick liegt die Gemeinsamkeit in der Stilrichtung und der Unterschied in der Farbe. Einerseits wird Rechtsvortrag zu inländischem und ausländischem Recht erwartet, andererseits ist aber nur der Beweis von ausländischem Recht konzeptionell erforderlich. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass es weitere Abstufungen gibt. Ganz allgemein gilt die Regel: Je schwieriger und je weniger alltäglich eine Rechtsfrage ist, desto detaillierter müssen die Parteien zum Recht vortragen und desto wahrschein­ licher wird die Notwendigkeit von Nachweisen und Beweisen. Seine Kehrseite findet diese beweisrechtliche Konzeption in der Rolle des Richters. Amerikanische Richter sind sehr unterschiedlich qualifiziert. Verallge­ meinernde Aussagen zur Rechtskenntnis verbieten sich deshalb. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass die Rechtsanwendung für nicht akademisch ausgebildete oder gewählte Richter mit beachtlichen Schwierigkeiten verbunden sein kann. Die fehlende Spezialisierung innerhalb der Richterschaft, der kurze Instanzen­ zug sowie die hohen Fallzahlen erschweren es überdies, einen Fall umfassend und in allen rechtlichen Facetten selbsttätig zu lösen. Wichtiger als die Rechts­ kenntnis ist aber das verfassungsrechtliche Leitbild, das hinter der Arbeitsteilung zwischen Gericht und Parteien steht. Selbst wenn ein Richter von seiner Rechts­ kenntnis her in der Lage wäre, einen Fall rechtlich selbst zu lösen, so begibt er

C. Vergleich

159

sich dennoch nur ungern hinab zu den Parteien in die Arena. Schließlich sollen die Augen der Gerechtigkeit nicht vom Staub des Kampfes geblendet werden.525

C. Vergleich Schon im Jahre 51 vor Christus träumte Cicero in seiner Schrift De re publica: „[N]ec erit alia lex Romae alia Athenis, alia nunc alia posthac, sed et omnes gentes et omni tempore una lex et sempiterna et inmutabilis continebit“.526

Dieser Traum ist heute ausgeträumt.527 Auch zwei Jahrtausende später ist die Menschheit von einem einheitlichen Rechtsverständnis weit entfernt. Die Län­ derberichte zur Beweisbedürftigkeit von Recht zeigen, dass zwischen Deutsch­ land und den Vereinigten Staaten nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern vor allem ausgeprägte Unterschiede in der Rechtsermittlung bestehen.528 Diese Unter­ schiede betreffen sowohl das inländische als auch das ausländische Recht.529 Die Gründe dafür lassen sich nicht nur auf voneinander abweichende prozessuale Regeln zurückführen, sondern wurzeln weit tiefer. Darin spiegelt sich erneut die rechtshistorische Erkenntnis, das hinter iura novit curia auch staatstheoretische Wertungen stehen. Für die Entwicklung einer schiedsverfahrensrechtlichen Rechtsermittlungs­ lehre ist es geboten, zunächst die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Rechts­ ordnungen aufzuzeigen.530 Diese vermögen in der Schiedsgerichtsbarkeit als Orientierungspunkte zu dienen. Anschließend ist auf die Unterschiede in der Be­ weisbedürftigkeit von Recht einzugehen. Als besonderer Referenzpunkt sind in Die Formulierung ist angelehnt an den Ausspruch von Lord Greene in dem englischen Fall Yuill v Yuill, [1945] P. 15, 20. 526  Cicero, De re publica, Liber III, 22. Büchners Übersetzung der Stelle lautet: „[N]och wird in Rom ein anderes Gesetz sein, ein anderes in Athen, ein anderes jetzt, ein anderes später, sondern alle Völker und zu aller Zeit wird ein einziges, ewiges und unveränderliches Gesetz beherrschen“. 527  Nach der Konzeption Ciceros sollte Gott es sein, der den Inhalt dieses einheitlichen Rechts bestimmt, s. Cicero, De re publica, Liber III, 22. 528  Ausführlich zum Vergleich der Zivilprozessrechtssysteme Langbein, 52 U. Chi. L. Rev. 823 (1985); Gross, 85 Mich. L. Rev. 734 (1987); Allen/Köck/Riecherberg/Rosen, 82 Nw. U. L. Rev. 705 (1988); Langbein, 82 Nw. U. L. Rev. 763 (1988); Allen, 82 Nw. U. L. Rev. 785 (1988) sowie Bohlander, 13 Tul. Eur. & Civ. L.F. 25 (1998). 529  Vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 1. sowie B. I. 1. 530  Daraus lassen sich aber keine allgemeingültigen Aussagen für weitere, nicht untersuch­ te Rechtsordnungen ableiten, s. für weitere Rechtsordnungen die Studien Esplugues/Iglesias/ Palao, Application of Foreign Law (2011), S.  34; Schweizer Institut für Rechtsvergleichung, JLS/2009/JCIV/PR/0005/E4; Jänterä-Jareborg, Recueil des cours 304 (2003), S.  181. 525 

160

Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

diesem Vergleichsvorgang die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure heranzuziehen.531 Diese wurden für transnationale Zivilverfahren ge­ schaffen und sind wegen ihrer brückenbildenden Funktion vorliegend von be­ sonderer Relevanz.532 Im konzeptionellen Ausgangspunkt befassen sie sich nicht nur mit dem Vorgang der Rechtsermittlung, sondern sind weit umfassender kon­ zipiert.533 Es finden sich allerdings in Nr.  22.1 und 22.2 zwei Prinzipien mit meh­ reren Unterprinzipien, die den Rechtsermittlungsvorgang aufgreifen. Auf diese Prinzipien wird an den gebotenen Stellen eingegangen. Sobald die Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifiziert wurden, wird in einem letzten Schritt versucht, die Gründe für die hinter den Unterschieden ste­ henden Weichenstellungen herauszuarbeiten. Manche dieser Gründe mögen auf die Schiedsgerichtsbarkeit übertragbar sein, andere nicht.

I. Gemeinsamkeiten Über das Ziel besteht Einigkeit: Gerechtigkeit ist es, die in Gerichtshäusern wal­ ten soll.534 Wahrhaftig könnten die Worte von Justice Bradley in der Entschei­ dung Town of South Ottawa v. Perkins ebenfalls aus der Feder des Bundesverfas­ sungsgerichts stammen: „That which purports to be a law of a State is a law, or it is not a law, according as the truth of the fact may be, and not according to the shifting circumstances of parties. It would be an into­ lerable state of things if a document purporting to be an act of the legislature could thus be a law in one case and for one party, and not a law in another case and for another party; a law today, and not a law tomorrow; a law in one place, and not a law in another in the same State.“535

Im Grundsatz sind die Gerichte in beiden Rechtsordnungen befugt, den Inhalt des anwendbaren Rechts selbst zu ermitteln. Es steht in ihrer Macht, eigenstän­ 531  ALI/UNIDROIT, 9 Unif. L. Rev. 758–809 (2004) sowie im Folgenden bezeichnet als „ALI/UNIDROIT-Prinzipien“. 532  Für Schiedsverfahren sollten die ALI/UNIDROIT-Prinzipien für die hier zu behandeln­ de Frage nicht unmittelbar als verbindliche Leitschnur herangezogen werden, weil sie in Bezug darauf keine Aussagekraft haben. Insoweit ist die Kommentaraussage in ALI/UNIDROIT, 9 Unif. L. Rev. 758, 760 (2004), Comment P-E dahingehend zu verstehen, dass eine Inkompati­ bilität vorliegt. 533  Geregelt werden etwa die Zuständigkeit, allgemeine Verfahrensgrundsätze, die Verfah­ renssprache, die Kosten sowie mögliche Rechtsmittel. Insgesamt bestehen die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure aus 31 Prinzipien, die sich jeweils in mehrere Unteraussagen aufgliedern, s. ALI/UNIDROIT, 9 Unif. L. Rev. 758–809 (2004). 534  BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135 einer­ seits sowie Cooper v. Aaron, 358 U.S.  1, 19 (1958) andererseits. Siegert, AcP 155 (1956), 28, 39 ordnete das Gerechtigkeitsstreben als allgemeinen Verfahrensgrundsatz ein. 535  Town of South Ottawa v. Perkins, 94 U.S.  260, 267 (1876).

C. Vergleich

161

dig Recherchen anzustellen und die Parteien unter Umständen auf übersehene Rechtsquellen hinzuweisen.536 Gleichzeitig stimmen beide Rechtsordnungen aber auch darin überein, dass die richterliche Rechtskenntnis nicht in allen Fällen genügt, um eine sachgerechte Entscheidung herbeizuführen.537 Die Relativität der Rechtskenntnis führt deshalb zu einer Relativität des Rechtsbeweises. 1. Richterliche Rechtsermittlungsbefugnis Es ist den Richtern beider Länder gestattet, den tatsächlichen Vortrag der Partei­ en eigenständig rechtlich einzuordnen.538 Kennt der Richter einen einschlägigen Fall oder ein passendes Gesetz, so darf er diesen oder jenes zur Anwendung bringen.539 Außerdem ist der Richter befugt, die Rechtslage selbsttätig zu recher­ chieren.540 Bei dieser Recherche ist er nicht an die Regeln des Beweisrechts ge­ bunden, sondern darf jegliche Informationsquellen frei befragen.541 Darin spie­ gelt sich die Idee, eine rechtlich überzeugende Entscheidung zu erlassen.542 536  Die Hinweispflicht ergibt sich in Deutschland direkt aus §  139 Abs.  1 Var. 2 ZPO. In den Vereinigten Staaten ist der Hinweis die Kehrseite der Rechtsermittlungsbefugnis, weil ohne Hinweis eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in Betracht kommt, s. exemplarisch Clorox Co. Puerto Rico v. Proctor & Gamble Commercial Co., 228 F.3d 24, 30 (1st Cir. 2000). 537  Die Einschaltung von Dritten in der Ermittlung von ausländischem Recht begründet man in beiden Rechtsordnungen mit der insoweit fehlenden Richterausbildung, einem Mangel an Sprachkenntnissen sowie der schwierigen Zugänglichkeit der Rechtsquellen, s. statt aller Schlesinger, RabelsZ 27 (1962), 60, 71. Bei inländischem Recht wird auf die zunehmende Spezialisierung und Komplexität der Rechtsordnung sowie die fehlende Expertise der Richter in spezifischen Bereichen hingewiesen, s. zu dieser Argumentation vertiefend Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 268 sowie Friedland, 37 U. Miami L. Rev. 451, 464–466 (1983). 538  Town of South Ottawa v. Perkins, 94 U.S.  260, 267 (1876); RG, Urteil v. 12.03.1904, Az. V 36/04, RGZ 57, 187, 188. 539  Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), S.  20: „Their notion of their duty is to match the colors of the case at hand against the colors of many sample cases spread out upon their desk.“ Kritisch Stevens in Central Bank of Denver, N.A. v. First Interstate Bank of Denver, N.A., 511 U.S.  164, 195 mit Fn.  4 (1994). 540  Stein, Das private Wissen des Richters (1893), S.  177–178 sowie Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), S.  20. Deutlich zurückhaltender das englische Recht, s. Andrews, 7 C.J.Q. 125 (1988). 541 Dazu gehört es, Urteile, Gesetzgebungsmaterialien, Monographien, Kommentare, Hand­bücher sowie Aufsätze zu lesen sowie mit Kollegen über die Rechtsprobleme zu spre­ chen; in Deutschland ist dies für alle aufgezählten Beispiele selbstverständlich, im amerikani­ schen Recht können sich Besonderheiten bei Gesetzgebungsmaterialien ergeben, s. Oneida Indian Nation of New York v. State of N.Y., 691 F.2d 1070, 1086 (2nd Cir. 1982). Bei Gerichts­ entscheidungen ist judicial notice jedenfalls dann zulässig, wenn keine Zweifel an der Echtheit der Entscheidung bestehen, Lee v. City of Los Angeles, 250 F.3d 668, 690 (9th Cir. 2001). Ins­ gesamt unterscheiden sich beide Rechtsordnungen vom englischen Recht, s. zu den Auswir­ kungen der „ignorance of foreign law“ Fentiman, 108 T.L.Q.R. 142, 145–149 (1992). 542  Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 465 (1897): „I once heard a very eminent judge say that

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

Die Kehrseite der umfassenden richterlichen Befugnis liegt in der abge­ schwächten Bindungskraft der parteilichen Rechtsausführungen.543 Sind die Parteien sich über das Verständnis eines Präzedenzfalls oder die Auslegung einer Rechtsvorschrift einig, so ist dies für den Richter nicht bindend.544 Das Gericht entscheidet vielmehr selbst, welchen Inhalt das Recht hat und wie seine Norm­ sätze zu verstehen sind.545 Schließlich soll der Richter das Recht nicht deshalb falsch anwenden müssen, weil die Parteien es falsch verstehen.546 Folglich verfügen Richter beider Länder im Umgang mit Rechtsausführungen über einen umfassenden Spielraum.547 Hat der Kläger seine Klage auf die fal­ sche rechtliche Theorie gestützt, kann das Gericht auf Grundlage der richtigen Theorie zusprechen.548 Bezeichnet der Beklagte eine Einwendung oder affirmative defense mit einem unpassenden rechtlichen Begriff, so ist das Gericht an diesen Fehler nicht gebunden.549 Halten beide Seiten fälschlicherweise eine Rechtsvorschrift für einschlägig, darf das Gericht gleichwohl die passende Vor­ schrift anwenden.550 In Bezug auf ausländisches Recht ist das Gericht überdies he never let a decision go until he was absolutely sure that it was right.“ Für das englische Recht Jolowicz, FS Lipstein (1980), S.  79, 84. 543  Rechtsvergleichend betrachtet haben sich bislang keine allgemeinen Grundsätze her­ ausgebildet, s. zu ausgewählten europäischen Rechtsordnungen Stürner, FS Weber (2004), S.  589, 593–599. 544  BGH, Urteil v. 13.12.1968, Az. V ZR 80/67, Rn.  16, MDR 1969, 468, 469; Town of South Ottawa v. Perkins, 94 U.S.  260, 267 (1876). 545  Das Gericht ist an die Rechtsausführungen der Parteien nicht gebunden. Anders als der Streitgegenstand in Deutschland umfassen die amerikanischen issues aber grundsätzlich auch Rechtsfragen, weshalb eine Klageänderung unter Umständen nicht mehr zulässig sein kann, s. dazu Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. b). Das französische Recht ist insgesamt noch strenger als das amerikanische Recht, wenn es um die Bindung an vorgetragene rechtliche Theorien geht, s. dazu Stürner, FS Schütze (1999), S.  913, 929. 546  Webb v. Hiykel, 713 F.2d 405, 408 (8th Cir. 1983); BVerfG, Beschluss v. 11.06.1980, Az.  1 PBvU 1/79, Rn.  48, BVerfGE 54, 277, 291–292. 547  Der Umgang mit 54(c) FRCP ist weitherzig; die eingeklagte Schadensforderung darf sogar der Höhe nach überschritten werden, s. Stineman v. Fontbonne College, 664 F.2d 1082, 1088 (8th Cir. 1981). 548  Ehrichs v. Kearney, 730 F.2d 1170, 1174–1175 (8th Cir. 1984); RG, Urteil v. 12.03.1904, Az. V 36/04, RGZ 57, 187, 188. 549  Im deutschen Recht werden Einwendungen von Amts wegen angewandt; zu trennen ist dies von Gestaltungsrechten, deren Geltendmachung als Willenserklärung der Auslegung un­ terliegt und unter Umständen nicht gegen den Wortlaut erfolgen kann, s. zu den Risiken BGH, Urteil v. 04.06.1996, Az. IX ZR 51/95, Rn.  24–26, NJW 1996, 2648, 2650. In den Vereinigten Staaten kann sich eine Einschränkung ergeben, wenn die Gegenseite durch die Falschbezeich­ nung einen prozessualen Nachteil erlitten hat, Home Ins. Co. v. Matthews, 998 F.2d 305, 309 (5th Cir. 1993). 550  Minyard Enterprises, Inc. v. Southeastern Chemical & Solvent Co., 184 F.3d 373, 385– 386 (4th Cir. 1999); Ehrichs v. Kearney, 730 F.2d 1170, 1174–1175 (8th Cir. 1984); Garland v.

C. Vergleich

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zu eigenständigen Recherchen befugt, wenn zumindest eine Seite auf eine ent­ sprechende Anwendbarkeit hingewiesen hat.551 Zu dieser Analyse passt es, dass die ALI/UNIDROIT-Prinzipien in Prinzip Nr.  22.2.3 unter der Überschrift Responsibility for Determinations of Fact and Law zur richterlichen Rechtsermittlungsbefugnis ebenfalls eine klare Position beziehen: „The court may, while affording the parties opportunity to respond, rely upon a legal theory or an interpretation of the facts or of the evidence that has not been advanced by a party.“

Gleichzeitig räumen die ALI/UNIDROIT-Prinzipien dem Richter die Befugnis ein, Sachverständige bei der Feststellung ausländischen Rechts zu befragen so­ wie die Parteien in den Prozess der Kenntnisbeschaffung einzubinden.552 In ALI/ UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.1 wird zudem festgestellt, dass das Gericht für die richtige Anwendung des Rechts verantwortlich sei.553 Letztlich lassen also auch die ALI/UNIDROIT-Prinzipien in rechtsvergleichender Perspektive keinen Zweifel, dass Richter zu eigenständigen Rechtsermittlungen befugt sind. 2. Relativität des Rechtsbeweises In der Theorie stimmen die deutsche und die amerikanische Rechtsordnung darin überein, dass die Parteien die Existenz, die Geltung und den Inhalt des inlän­ dischen Rechts nicht beweisen müssen.554 Ebenfalls besteht Einigkeit darüber, dass Sachverständige eigentlich nicht zum inländischen Recht befragt werden dürfen.555 Eine wesentliche Gemeinsamkeit liegt nun darin, dass beide Rechtsordnungen Durchbrechungen dieser Regeln zulassen.556 Dabei hängt die Beweisbedürftig­ Garland, 165 F.2d 131, 133 (10th Cir. 1947) sowie BGH, Urteil v. 13.12.1968, Az. V ZR 80/67, Rn.  16, MDR 1969, 468, 469. 551 Anders als in Deutschland kann ein Gericht in den Vereinigten Staaten ausländisches Recht nach dem ausdrücklichen Wortlaut von 44.1. FRCP nicht ohne den Willen der Parteien anwenden, Ruff v. St. Paul Mercury Ins. Co., 393 F.2d 500 (2nd Cir. 1968). 552  ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.4 sowie ALI/UNIDROIT, 9 Unif. L. Rev. 758, 798 (2004), Comment P22-B. 553  ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.1: „The court is responsible for considering all relevant facts and evidence and for determining the correct legal basis for its decisions, including mat­ ters determined on the basis of foreign law.“ 554  Lamar v. Micou, 114 U.S.  218, 223 (1885); ROHG, Urteil v. 28.04.1879, Az. III 407/79, ROHG 25, 53, 57. 555  RG, Urteil v. 18.01.1893, Az. I 417/92, RGZ 30, 79, 80; Southern Pine Helicopters, Inc. v. Phoenix Aviation Managers, Inc., 320 F.3d 839 (8th Cir. 2003). 556  Der Zusammenhang zwischen Beweisbedürftigkeit von Recht und zumutbarer richter­ licher Rechtskenntnis ist in beiden Rechtsordnungen der Sache nach anerkannt, s. rechtsver­ gleichend für ausländisches Recht Sass, 16 Am. J. Comp. L. 332 (1968).

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

keit von Recht von seiner Geltungsquelle ab. Ist das Recht auf eine private Quel­ le zurückzuführen, so ist die Beweisbedürftigkeit im Vergleich zu staatlich ge­ setzten Rechtsquellen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu bejahen. Dementspre­ chend sollten deutsche Parteien das Gewohnheitsrecht sowie die Statuten und amerikanische municipal ordinances, local statutes und administrative regulations vortragen und unter Umständen auch nachweisen.557 Gleichzeitig hängt die Beweisbedürftigkeit von ausländischem Recht in Deutschland an der Entschei­ dung des Richters, einen Sachverständigen zu benennen; im amerikanischen Recht bringen die Parteien ohnehin expert witnesses bei.558 Letztlich erscheint es für den Gesetzgeber im Bereich der nicht von ihm selbst gesetzten Rechtsquellen weniger bedeutsam, die allgemeine Geltung sicherzustellen sowie die Deu­ tungshoheit über den Rechtsinhalt auszuüben. Insgesamt ist folglich anerkannt, dass zwischen unterschiedlichen Rechtsquel­ len zu trennen sein kann. Diese Unterscheidung setzt ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.4 ebenfalls voraus und erlaubt es dem Gericht, sich zur Ermittlung auslän­ dischen Rechts der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen. Recht ist also auch insoweit nicht gleich Recht.559 So kann ausländisches Recht anders als inländi­ sches, lokales anders als nationales und privates anders als staatliches Recht be­ handelt werden. Darin zeigt sich erneut der Zusammenhang zwischen Beweisbe­ dürftigkeit von Recht und richterlicher Rechtskenntnis: Sind Kenntnis und Er­ mittlung einer Rechtsquelle für den Richter unzumutbar, so müssen die Parteien oder Dritte helfen.560 §  293 S.  1 ZPO sowie Bryant v. Liberty Mut. Ins. Co., 407 F.2d 576 mit Fn.  2 (4th Cir. 1969). Außerdem besteht in besonders komplizierten Rechtsgebieten unter Umständen die Möglichkeit, sachverständige Hilfe beizuholen: Sowohl das deutsche als auch das amerikani­ sche Recht erlauben den Sachverständigenbeweis von inländischem Steuerrecht, s. BGH, Ur­ teil v. 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, Rn.  7, BGHZ 140, 111, 113 sowie U.S. v. Toushin, 899 F.2d 617, 620–621 mit Fn.  4 (7th Cir. 1990). 558  Weiterführend BGH, Urteil v. 10.07.1975, Az. II ZR 174/74, Rn.  8, NJW 1975, 2142, 2143 sowie Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624, 631–633 (7th Cir. 2010). In beiden Fällen ist die Inhaltsfeststellung von Recht nicht mehr von den Gerichtskosten gedeckt, sondern muss von den Parteien selbst getragen werden, s. §§  413 ZPO, 3 Abs.  2 GKG in Ver­ bindung mit Nr.  9005 KV GKG sowie FRE 706(c)(2). 559  Einigkeit besteht nur darüber, dass zwischen unterschiedlichen Rechtsquellen zu tren­ nen sein kann, nicht aber über die Einzelheiten der Abstufung, s. dazu Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. sowie B. I. 560  Rechtsanwälte sind in beiden Ländern grundsätzlich gehalten, das Gericht mit Rechts­ ausführungen zu unterstützen, BGH, Urteil v. 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, Rn.  8, NJW 2016, 957, 958 sowie zum amerikanischen Recht ausführlich unter Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 3. Abgesichert wird diese anwaltliche Vertragspflicht von einer Anwaltshaftung, die bei unterblie­ benem oder fehlerhaftem Rechtsvortrag eingreifen kann, s. BGH, Urteil v. 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, Rn.  14, NJW 2009, 987, 988 sowie Geiserman v. MacDonald, 893 F.2d 787, 793– 557 

C. Vergleich

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II. Unterschiede Die genannten Gemeinsamkeiten dürfen den Blick auf die tiefgreifenden Un­ terschiede jedoch nicht verstellen.561 Tatsächlich kann die soeben zitierte For­ mulierung von Justice Bradley nur im Kontext des amerikanischen Prozess­ rechtsdenkens verstanden werden, das Roscoe Pound wie folgt zusammenfasst: „[In] America we take it as a matter of course that a judge should be a mere umpire, to pass upon objections and hold counsel to the rules of the game, and that the parties should fight out their own game in their own way without judicial interference. We resent such interference as unfair, even when in the interests of justice. […] It leads the most conscientious judge to feel that he is merely to decide the contest, as counsel present it, according to the rules of the game, not to search independently for truth and justice. […] The inquiry is not, what do substantive law and justice require? Instead, the inquiry is, have the rules of the game been carried out strictly?“562

Umgekehrt ist es in Deutschland gerade Aufgabe der Richter, unabhängig nach der Wahrheit zu suchen und die materielle Rechtslage objektiv festzustellen.563 In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Die Rechtsprechung hat im rechtsstaatlichen Gefüge des Grundgesetzes vor allem die Aufga­ be, einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und so zur Verwirklichung materieller Gerechtigkeit beizutragen. Durch die umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung eines Streitgegenstandes in einem geregelten Verfahren und die sich daran anschließende verbind­ liche Entscheidung durch eine unparteiische Instanz kann das Recht durchgesetzt und Rechts­ frieden hergestellt werden.“564

Diese unterschiedlichen Grundkonzeptionen wirken sich in allen Abstufungen der Beweisbedürftigkeit von Recht aus.565 Demzufolge reicht schon die richter­ 794 (5th Cir. 1990). Außerdem können in beiden Ländern unter Umständen andere Gerichte zur Rechtslage befragt werden; s. in Deutschland zum Europarecht der Gerichtshof der Europäi­ schen Union nach Art.  267 AEUV und zum Völkerrecht das Bundesverfassungsgericht nach Art.  100 Abs.  2 GG sowie in den Vereinigten Staaten über das Institut der certification, s. Lehman Bros. v. Schein, 416 U.S.  386, 390 mit Fn.  8 (1974). 561 Vertiefend Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5; Stürner, FS Stiefel (1987), S.  763 sowie differenzierend Rabel, Private laws of Western civilization (1950), S.  41–48. 562  Pound, 40 Am. L. Rev. 729, 738–389 (1906). 563  Bereits in Kapitel 1, §  6 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis wurde die Möglichkeit einer richtigen Rechtsanwendung als selbstverständlich vorausgesetzt; noch heute zielt der Zi­ vilprozess auf die Erkenntnis richtiger und gesetzmäßiger Entscheidungen, BVerfG, Beschluss v. 24.03.1976, Az.  2 BvR 804/75, Rn.  26, BVerfGE 42, 64. 564  BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135. 565 Weiterführend Cappelletti/Garth, Introduction – Policies, Trends and Ideas (1986), in: International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XVI: Civil Procedure, Chapter 1, S.  23–32. Ausführlich zum deutschen Recht Stürner/Stadler, Aktive Rolle des Richters, in: Gilles, Anwaltsberuf und Richterberuf in der heutigen Gesellschaft (1991), S.  173. Für eine Gegenüberstellung von deutschem und englischem Zivilprozess Kötz, FS Zajtay (1982), S.  277.

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

liche Befugnis, das Recht selbsttätig und unabhängig vom Rechtsvortrag der Par­ teien zu ermitteln, unterschiedlich weit.566 Die Pflicht des Richters zur Rechtsan­ wendung ist ebenfalls keineswegs einheitlich ausgestaltet.567 Dies gilt für Rechts­ ausführungen gleichermaßen, weil deren Erforderlichkeit davon abhängt, ob das Gericht zur Ermittlung der Rechtslage verpflichtet ist oder nicht.568 Letztlich besteht deshalb zwischen beiden Rechtsordnungen über die Notwendigkeit so­ wie die Art und Weise des Nachweises bzw. Beweises von Rechtssätzen keine Einigkeit.569 Verglichen werden der Umgang mit der Rechtsermittlungsbefugnis, das Be­ stehen einer entsprechenden Pflicht, die Rechtsvortragspflicht der Parteien sowie die Erforderlichkeit eines Rechtsbeweises. 1. Ausübung der Befugnis Einigkeit herrscht lediglich über die Existenz einer richterlichen Befugnis zur eigenständigen Rechtsermittlung, nicht aber über die Art und Weise ihrer Aus­ übung.570 Es genügt gerade nicht, das Recht theoretisch ermitteln zu dürfen; auf den Rechtsstreit wirkt sich vielmehr nur aus, wenn der Richter auch tatsächlich Recherchen vornimmt und seine Ergebnisse anschließend in das Verfahren ein­ führt.571 In Deutschland verhalten sich die Richter insoweit großzügig, wohinge­ gen in den Vereinigten Staaten grundlegende rechtliche und kulturelle Schranken erkennbar sind.572 Weiterführend Staughton, 5 Arb. Int’l 351 (1989) einerseits und Reymond, 5 Arb. Int’l 357 (1989) andererseits. 566  Aus schiedsverfahrensrechtlicher Perspektive s. Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201 (2011). 567 In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur wird ebenfalls über die Existenz einer Rechtsermittlungspflicht diskutiert, s. statt aller Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 24–28. 568  Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003) geht für Schiedsverfahren davon aus, dass die Parteien eine „burden of education“ treffe. 569  Spiegelbildlich der Aufsatztitel von Lew, FS Sandrock (2000), S.  581: „Proof of Appli­ cable Law in International Commercial Arbitration“. 570  Vertiefend zum deutschen Prozess Stürner, ZZP 123 (2010), 147 sowie zum amerikani­ schen Denken B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253, 1290–1301 (2002). Diese Unterschiede werden in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur besonders deutlich, s. statt aller Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201 (2011). 571  Darin liegt ein aktives Tätigwerden des Gerichts, das ins Verhältnis zum Beibringungs­ grundsatz sowie zur richterlichen Neutralität zu setzen ist, BVerfG, Beschluss v. 25.07.1979, Az.  2 BvR 878/74, Rn.  93–95, BVerfGE 52, 131, 153–155. 572 Über die Grenze zwischen unzulässiger Hilfe und eigenständiger Rechtsermittlung wird in Deutschland vornehmlich im Kontext von §  139 ZPO und in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit den due process-Garantien in U.S. Const. Amend. V und XIV disku­ tiert. Zur Entwicklung in Deutschland Bohlander, 13 Tul. Eur. & Civ. L.F. 25, 33–35 (1998).

C. Vergleich

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Der Ur-Unterschied ergibt sich aus der Rolle des Richters selbst.573 Im deut­ schen Zivilprozess wird ein Hinweis auf einschlägige Rechtsvorschriften oder Gerichtsurteile als gewünscht angesehen und kann deshalb nicht als proble­ matisch im Hinblick auf die Neutralität des Richters gelten.574 Anders ist dies in den Vereinigten Staaten: Es wird als Neutralitätskonflikt beschrieben, wenn Richter bislang nicht vorgetragene rechtliche Argumente in das Verfahren ein­ führen.575 In Übereinstimmung mit seiner traditionell passiven Stellung soll der Richter gerade nicht aktiv in den Wettstreit der Parteien eingreifen.576 Besonders deutlich tritt diese unterschiedliche Aufgabenverteilung in der Aus­ gestaltung des rechtlichen Gehörs hervor.577 In Deutschland ist der Gehörs­ 573 Rechtsvergleichend zur richterlichen Neutralität Damaška, The Faces of Justice and State Authority (1986), S.  111–114. Die Adjektive „aktiv“ und „passiv“ beschreiben den Rich­ ter stets unvollständig; so kann ein Richter als managerial judge aktiv bei der Sachverhalts­ ermittlung helfen, gleichzeitig aber in anderer Hinsicht passiv sein; differenzierend Emerson, 48 Vand. J. Transnat’l L. 707, 710 mit Fn.  3 (2015). Entscheidend kommt es funktional darauf an, welche Aufgaben der Richter in der Sache übernimmt und welche Aufgaben die Parteien tragen müssen, s. zur rechtsvergleichenden Frage Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 1996, S.  33. 574  Zuletzt OLG München, Beschluss v. 19.05.2003, Az.  13 U 2149/03, MDR 2004, 52 sowie grundlegend BVerfG, Beschluss v. 24.03.1976, Az.  2 BvR 804/75, Rn.  39–40, BVerfGE 42, 64, 78. Es liegt im Kern der materiellen Prozessleitung nach §  139 Abs.  1 ZPO, dass der Richter rechtliche Hinweise geben darf und muss; insoweit wird nur der Verhandlungsgrund­ satz durch ein „Gebot richterlicher Hilfestellung“ modifiziert, s. Stadler, in: Musielak/Voit, 15.  Aufl. 2018, §  139 ZPO, Rn.  1. Ein Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz ist erst gegeben, wenn das Gericht sich zum Rechtsanwalt aufschwingt und einer Seite dazu rät, ein völlig neues Prozessziel zu verfolgen. Der Maßstab ist großzügig; selbst der richterliche Hinweis auf eine Einrede im Zuge von Vergleichsverhandlungen begründet keine Befangenheit, BGH, Be­ schluss v. 12.11.1997, Az. IV ZR 214/96, NJW-RR 1998, 1425. 575  In den Vereinigten Staaten haben sich bislang keine einheitlichen Maßstäbe zum Um­ gang mit sua sponte-Entscheidungen herausgebildet; letztlich hängt dies auch von dem strei­ tentscheidenden Richter ab, s. ausführlich Macfarlane, 91 Or. L. Rev. 177 (2012); B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253, 1290–1301 (2002); Milani/Smith, 69 Tenn. L. Rev. 245 (2002). Die Existenz von sua sponte-Entscheidungen zeigt eindrücklich, dass Richter das Recht in Ausnah­ mefällen selbst ermitteln. Insgesamt dient der Neutralitätsaspekt deshalb lediglich als weiteres Argument, um in Übereinstimmung mit der traditionellen Aufgabenverteilung auf Rechts­ ermittlungen zu verzichten, s. Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987, 2011–2021 (1999). 576  Burdett v. Miller, 957 F.2d 1375, 1380 (7th Cir. 1992): „Our busy district judges do not have the time to play the ‚proactive‘ role of a Continental European judge.“ In jedem Fall soll­ ten amerikanische Gerichte bei Einbringung von neuen rechtlichen Theorien darauf achten, keine Ressourcen der Gegenseite oder des Gerichts zu verschwenden, s. Evans v. McDonald’s Corp., 936 F.2d 1087, 1090–1091 (10th Cir. 1991); Armstrong Cork Co. v. Lyons, 366 F.2d 206, 209 (8th Cir. 1966). Vertiefend zum adversary system s. Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  30–43. 577  Das rechtliche Gehör ist regelmäßig der Anknüpfungspunkt für Diskussionen über iura novit curia in Schiedsverfahren, s. statt aller Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 187 mit Fn.  31 und 32

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

anspruch erst dann verletzt, wenn eine Überraschungsentscheidung ergeht.578 Dafür ist erforderlich, dass ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter mit der gerichtlichen Rechtsauffassung nicht rechnen musste.579 Dieser Maßstab ist überaus großzügig; das Gericht ist grundsätzlich nicht zu einem Rechts­ gespräch verpflichtet.580 In den Vereinigten Staaten kommt dem Recht auf recht­ liches Gehör hingegen auch in Rechtsfragen eine herausragende Bedeutung zu, die auf den streng kontradiktorischen Charakter des Verfahrens zurückzuführen ist.581 Haben die Parteien eine Rechtsvorschrift oder eine Entscheidung nicht vorgetragen, so darf das Gericht sein Urteil darauf nur stützen, wenn es zuvor beiden Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.582 Diese Zusam­ menhänge lassen die Ausübung der Rechtsermittlungsbefugnis nicht unberührt: (2012). Der Begriff des „rechtlichen Gehörs“ ist ebenso mit einem Vorverständnis belegt wie der des „Verhandlungsgrundsatzes“ oder der „richterlichen Neutralität“; alle Konzepte sind mit der Stellung des Richters im Verfahren verwoben, s. für Deutschland Art.  103 Abs.  1 GG und für die Vereinigten Staaten die Garantie des due process. 578  BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  35–39, BVerfGE 86, 133, 144–­ 146. Due process verfügt in den Vereinigten Staaten als kontradiktorisches Grundprinzip über eine lange Tradition, wohingegen ein entsprechendes Recht in Deutschland erst 1945 in die Verfassung aufgenommen wurde, s. zur Geschichte Remmert, in: Maunz/Dürig, 78. EL Sep­ tem­ber 2016, Art.  103 GG, Rn.  8 mit Fn.  6. 579  BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  36, BVerfGE 86, 133, 144–145. 580  BVerfG, Beschluss v. 27.07.1971, Az.  2 BvR 443/70, Rn.  13, BVerfGE 31, 364, 370 (kein Rechtsgespräch); BVerfG, Beschluss v. 25.01.1984, Az.  1 BvR 272/81, Rn.  77, BVerfGE 66, 116, 147 (kein Hinweis auf eigene Rechtsauffassung). Nicht jede Verletzung des §  139 Abs.  2 S.  1 ZPO zieht außerdem einen Gehörsverstoß nach sich; vielmehr muss das Urteil auf dem Verstoß gegen §  139 beruhen, s. dazu BGH, Beschluss v. 21.07.2016, Az. IX ZB 88/15, Rn.  10–13, NJW-RR 2016, 1267, 1268. Konzeptionell steht dahinter der deutsche Rechts­ begriff: Hat das deutsche Gericht die objektive Rechtslage recherchiert und erkannt, so muss es die Parteien dazu nicht mehr anhören. Das richtige Ergebnis steht schon fest, weshalb es auf Rechtsausführungen der Parteien nicht mehr ankommen kann. 581 Die notice und das right to be heard sind der Kern des due process-Grundsatzes, s. LaChance v. Erickson, 522 U.S.  262, 266 (1998). Bezeichnend die Worte von Posner in Hope Clinic v. Ryan, 195 F.3d 857, 876 (7th Cir. 1999): „We are taking a leap into the unknown with­ out any input from the parties.“ Weiterführend zur Bedeutung des rechtlichen Gehörs Gonzales v. U.S., 348 U.S.  407, 413–414 (1955) sowie Federal Communications Commission v. WJR, The Goodwill Station, 337 U.S.  265 (1949). 582  Trest v. Cain, 522 U.S.  87, 92 (1997): „We do not say that a court must always ask for further briefing when it disposes of a case on a basis not previously argued. But often, as here, that somewhat longer (and often fairer) way ‘round is the shortest way home.“ Vertiefend Ginsburg, 37 U. Fla. L. Rev. 205 (1985). Die Gelegenheit zur Stellungnahme wird in der Praxis regelmäßig über ein Schriftsatzrecht gewährleistet, s. B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253, 1297 (2002). Hatten die Parteien hingegen keine Gelegenheit zur Äußerung, so sehen amerika­ nische Richter die Qualität der Rechtsermittlung als beeinträchtigt an, s. Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 508 U.S.  520, 572 (1993): „[R]ule announced sua sponte is entitled to less deference than one addressed on full briefing and argument.“ Stare decisis gilt

C. Vergleich

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Ergeht wegen der passiven Stellung des Richters bereits kein Hinweis, so fehlt es am rechtlichen Gehör; fehlt es am rechtlichen Gehör, so darf der Richter eine nicht diskutierte Rechtsquelle der Entscheidung nicht zu Grunde legen.583 In Bezug auf das rechtliche Gehör zeigen die ALI/UNIDROIT-Prinzipien im ersten Zugriff eine gewisse Sympathie für das amerikanische Ausgangsmodell. Schließlich wird in ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.2.3 ausdrücklich festge­ schrieben, dass Gerichte sich nur dann auf eine von den Parteien nicht vorgetra­ gene legal theory stützen sollen, wenn sie diesen zuvor eine opportunity to respond gewähren. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Begriff der legal theory unbestimmt ist und die Art und Weise des rechtlichen Gehörs in diesem Zusammenhang nicht näher beschrieben wird. Der dadurch entstehende Interpre­ tationsspielraum ermöglicht es, die rechtsvergleichenden Unterschiede in die Praxis des jeweiligen Rechtsanwenders zu übersetzen. Uneinheitlichkeiten in der Reichweite der richterlichen Rechtsermittlungs­ befugnis zeigen sich zuletzt auch im Umgang mit ausländischem Recht.584 Der deutsche Richter hat ausländisches Recht sogar dann in das Verfahren einzu­ führen, wenn keine der Parteien sich auf seine Anwendbarkeit beruft.585 Anders ist dies in den Vereinigten Staaten, wo die Befugnis zur Anwendung von aus­ ländischem Recht durch das Verhalten der Parteien bedingt wird.586 So darf der Richter erst dann tätig werden, wenn rechtzeitig und zumutbar von einer der Parteien auf ausländisches Recht hingewiesen wurde.587 Entscheiden sich die Parteien gegen ausländisches Recht, so ist der Richter an diese Entscheidung gebunden.588

deshalb nur eingeschränkt, wenn eine Rechtsfrage von den Parteien nicht schriftlich und münd­ lich argumentiert wurde, s. dazu Hohn v. U.S., 524 U.S.  236, 251 (1998). 583  Konzeptionell steht dahinter der Rechtsbegriff in den Vereinigten Staaten: Erst wenn die Parteien Gelegenheit hatten, eine anwendbare Vorschrift oder Entscheidung zu diskutieren, sollte das Gericht über die überzeugende Auslegung im Einzelfall entscheiden, s. etwa Hope Clinic v. Ryan, 195 F.3d 857, 876 (7th Cir. 1999). Das Recht erwächst folglich aus dem Wider­ spiel von Rechtsausführungen der Parteien, s. B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253, 1297 (2002). Der höhere Zeitaufwand, der mit der Anhörung der Parteien verbunden ist, wird hin­ genommen, Saltzburg, 64 Va. L. Rev. 1, 57 mit Fn.  237 (1978). Dennoch kann der Richter sua sponte tätig werden; er muss lediglich seine inneren Hemmnisse überwinden, einen Hinweis erteilen und rechtliches Gehör gewähren, s. B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253 (2002). 584 Dazu Jänterä-Jareborg, Recueil des cours 304 (2003), S.  181, 272–273 sowie 282–284. 585  Das richterliche Ermessen ist pflichtgebunden, BGH, Urteil v. 23.06.2003, Az. II ZR 305/01, Rn.  9, NJW 2003, 2685, 2686. 586  FRCP 44.1. Satz  2 sowie Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 225 (2014). Dazu vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 2. b) und c). 587  Ruff v. St. Paul Mercury Ins. Co., 393 F.2d 500 (2nd Cir. 1968). 588  Das gilt auch, wenn ausländisches Recht schlicht übersehen wurde, s. zu einem Verzicht

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

2. Richterliche Pflicht Aus einer Rechtsermittlungsbefugnis kann nicht auf eine Rechtsermittlungs­ pflicht geschlossen werden.589 Das Pflichtenprofil deutscher und amerikanischer Richter unterscheidet sich diametral.590 Dies gilt für inländisches und ausländi­ sches Recht gleichermaßen.591 Die Pflicht, das Recht selbsttätig zu ermitteln, ist in Deutschland unbestritte­ ner Kern des Richteramts. Zu Beginn einer jeden Klage nimmt das Gericht eine Schlüssigkeitsprüfung vor, die eine reine Rechtsprüfung ist. Es ist die richter­ liche Aufgabe, die materielle Rechtslage unabhängig von der Qualität des Partei­ vortrages zu erkennen und durchzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, kommt Richtern eine weitgreifende Hinweispflicht zu, die im Gesetz ausdrücklich ver­ ankert ist.592 Teil dieser Pflicht ist es, die Parteien auf einschlägige Gesetze sowie Entscheidungen aufmerksam zu machen.593 Insgesamt liegt die Primärverant­ wortung für die rechtliche Lösung des Falles eindeutig bei den Richtern. In den Vereinigten Staaten gilt das hingegen nicht.594 Hier sind die Parteien dafür verantwortlich, die zu entscheidenden Rechtsfragen herauszuarbeiten. Es ist gerade nicht vorgesehen, von Amts wegen eine Schlüssigkeitsprüfung vorzu­ nehmen.595 Der Richter ist folglich sogar bei inländischem Recht nicht ver­

Whirlpool Financial Corp. v. Sevaux, 96 F.3d 216, 221 (7th Cir. 1996). Anders ist dies in eini­ gen Einzelstaaten, s. etwa in New York, NY CPLR § R4511 (2012). 589  Historisch hat sich die richterliche Ermittlungspflicht ausländischen Rechts in Deutsch­ land aus der Befugnis entwickelt, Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. a). 590 Rechtsvergleichend Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 569–570 (2007). Bemer­ kenswert auch der von Maxeiner formulierte Aufsatztitel „Imagining Judges That Apply Law“, Maxeiner, 114 Penn St. L. Rev. 469 (2009). 591 Anders Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 7. 592  §  139 ZPO ist eine „zentrale Norm“ der Zivilprozessordnung, BT-Drs. 14/4722, S.  77. 593  Sogar eine anwaltlich vertretene Partei ist auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit hinzu­ weisen, BGH, Urteil v. 07.12.2000, Az. I ZR 179/98, Rn.  38, NJW 2001, 2548, 2549. 594  Paradigmatisch die Worte von Posner in Hartmann v. Prudential Ins. Co. of America, 9 F.3d 1207, 1214 (7th Cir. 1993): „Our system unlike that of the Continent is not geared to having judges take over the function of lawyers, even when the result would be to rescue clients from their lawyers’ mistakes.“ 595  Im Gegenteil ist es in der Praxis das Ziel, die Rechtsanwendung zu vermeiden; s. etwa Subrin, 135 U. Pa. L. Rev. 909, 989 (1987): „[The] system leads to a solution where the highest goal is for courts not to apply law to facts.“ Zur Reformbedürftigkeit Steinberg, 2016 B.Y.U. L. Rev. 899, 906 (2016) sowie rechtsvergleichend zur Schlüssigkeit Stürner, FS Stiefel (1987), S.  763, 764. Die deutsche Relationstechnik konnte sich im amerikanischen Rechtsdenken nicht durchsetzen, s. dazu Maxeiner, 114 Penn St. L. Rev. 469, 481–483 (2009).

C. Vergleich

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pflichtet, die rechtlichen Recherchen für die Parteien zu übernehmen.596 Erst recht trifft ihn keine entsprechende Hinweispflicht.597 Besonders klar tritt die Uneinigkeit im Bereich des ausländischen Rechts her­ vor: Deutsche Richter sind ausdrücklich verpflichtet, das ausländische Recht auch ohne Vortrag der Parteien zu ermitteln und anzuwenden, wohingegen dies in den Vereinigten Staaten gerade nicht der Fall ist.598 Zu diesem Befund passt es, dass die ALI/UNIDROIT-Prinzipien keine eindeu­ tige Aussage zu einer Rechtsermittlungspflicht enthalten. In ALI/UNID­ ROIT-Prinzip Nr.  22.1. heißt es lediglich, das Gericht sei verantwortlich, die richtigen Rechtsvorschriften anzuwenden.599 Diese Verantwortlichkeit wird aber auch auf die Feststellung der relevanten Tatsachen sowie Beweisstücke er­ streckt. Ob die relevanten Tatsachen dem Gericht aber überhaupt bekannt sind, liegt nach dem Beibringungsgrundsatz in der Verantwortung der Parteien.600 Al­ lein aus ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.1. kann also keine abschließende Aussa­ ge zu der Aufgabenverteilung zwischen den Parteien und dem Gericht abgeleitet werden. Zudem ist der Begriff der Verantwortlichkeit weit. Auf die Verwendung einer eindeutigen Formulierung wie „Pflicht“, „Verpflichtung“, „ermitteln sol­ len“ oder „verpflichten“ wurde verzichtet. Folglich lässt ALI/UNIDROIT-Prin­ 596  Continental Technical Services, Inc. v. Rockwell Intern. Corp., 927 F.2d 1198, 1199 (11th Cir. 1991); Medina-Rivera v. MVM, Inc., 713 F.3d 132, 140–141 (1st Cir. 2013); Carducci v. Regan, 714 F.2d 171, 177 (DC Cir. 1983) sowie Currie, 58 Colum. L. Rev. 964, 984 (1958). Die Aufgabe des Richters beschränkt sich konzeptionell darauf, die vorgebrachten Rechts­ probleme zu entscheiden, s. Fuller, The Adversary System, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  30–43. 597  Burdett v. Miller, 957 F.2d 1375, 1380 (7th Cir. 1992). Das Fehlen einer Pflicht ändert nichts an der Existenz einer entsprechenden Befugnis, Burdett v. Miller, 957 F.2d 1375, 1380 (7th Cir. 1992). Kritisch zur passiven Haltung der Richter Engler, 67 Fordham L. Rev. 1987, 2023–2024 (1999). Um extreme Härten auszugleichen, kann der Richter unter Umständen in begrenzten Fällen zu gewissen Erklärungen angehalten sein, s. dazu die Nachweise bei Bacharach/Entzeroth, 42 Ind. L. Rev. 19, 26–27 (2009). 598  Einerseits BGH, Urteil v. 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, Rn.  15, NJW 2014, 1244, 1245 sowie andererseits Advisory Committee Note to Federal Rule 44.1, 39 F.R.D. 69, 119 (1966); Carey v. Bahama Cruise Lines, 864 F.2d 201, 205–207 (1st Cir. 1989). Die Ermittlungsarbeit wird der amerikanische Richter bei ausländischem Recht erst recht nicht für die Parteien erle­ digen, s. Second Restatement of Conflict of Laws §  136 (1971), Comment h) sowie Mutual Service Ins. Co. v. Frit Industries, Inc., 358 F.3d 1312, 1321 (11th Cir. 2004). Gelingt es den Parteien nicht, dem Richter den Inhalt des ausländischen Rechts nachzuweisen, so bleibt es unangewendet, s. Sweepstakes Patent Co., LLC v. Burns, 610 Fed.Appx. 1006, 1009 (Fed. Cir. 2015). Die Kehrseite der fehlenden Pflicht zur Rechtsermittlung liegt in einem fakultativen Kollisionsrecht, s. Carey v. Bahama Cruise Lines, 864 F.2d 201, 205–206 (1st Cir. 1988). 599  ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  22.1: „[R]esponsible for considering all relevant facts and evidence and for determining the correct legal basis“. 600  Zur Beweislast s. etwa ALI/UNIDROIT-Prinzip Nr.  21.1.

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

zip Nr.  22.1. im Ergebnis einen Auslegungs- und Anwendungsspielraum, der sich mit beiden Rechtstraditionen vereinbaren lässt. Eine unbedingte Pflicht zur Rechtsermittlung lässt sich nach allem also auch den ALI/UNIDROIT-Prinzipien nicht entnehmen. 3. Rechtsvortrag Mit der richterlichen Pflichtenstellung verschiebt sich als Kehrseite die partei­ liche Pflicht zu Rechtsausführungen.601 Je stärker die Richter das Recht selbst­ tätig ermitteln, desto weniger kommt es auf Rechtsausführungen der Parteien an.602 Umgekehrt kann auf eine richterliche Pflicht zur Rechtsermittlung nur dann verzichtet werden, wenn die entstehende Lücke durch Rechtsausführungen der Parteien gefüllt wird.603 Folgerichtig wird im deutschen Rechtsdenken nicht vorausgesetzt, dass die Parteien zur Rechtslage vortragen müssten. Es bleibt daher vielmals ungesühnt, wenn eine Partei rechtlich gar nicht oder fehlerhaft vorträgt. Schließlich korri­ giert der Richter unzureichenden Rechtsvortrag von Amts wegen.604 Dem ame­ rikanischen Rechtsdenken ist dieser Ansatz fremd: Der Richter darf hier sogar einschneidende Sanktionen verhängen, wenn die Parteien die Rechtslage nicht

601  Zu diesem Zusammenhang führt Steinberg, 2016 B.Y.U. L. Rev. 899, 904 (2016) aus: „In a domino-like effect, when parties lack skill and cannot harness the norm of party control to develop or present their claims, the passive judging model no longer functions as an effec­tive corollary.“ Weiterführend zum Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht Stürner, ZZP 123 (2010), 147. 602  Dies hat sich bereits in der Geschichte des gemeinen Prozesses gezeigt, s. dazu Zweiter Teil, 1. Kapitel, B. IV. Rein tatsächlich hängt die Ernsthaftigkeit einer Pflicht immer davon ab, was im Falle einer Pflichtverletzung geschieht, s. grundlegend Baer, Rechtssoziologie, 3.  Aufl. 2017, S.  219–236. 603  An dieser Stelle entsteht in den Vereinigten Staaten das Strukturproblem, wie mit an­ waltlich nicht vertretenen Parteien umzugehen ist; bislang ist dieses Problem noch weit von einer Lösung entfernt und wird mitunter als „adversary breakdown“ bezeichnet, Steinberg, 2016 B.Y.U. L. Rev. 899 (2016). 604  Obschon §  139 Abs.  1 ZPO für anwaltlich vertretene und Naturalparteien nach der Rechtsprechung gleichermaßen gilt, wird in der Literatur teils für eine zurückhaltendere An­ wendung bei Beteiligung von Anwälten plädiert, weil §  139 ZPO „anwaltlicher Nachlässigkeit keinen Vorschub leisten“ solle, Stadler, in: Musielak/Voit, 15.  Aufl. 2018, §  139 ZPO, Rn.  6. Zum Ganzen Fritsche, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  139 ZPO, Rn.  5–6. Unabhängig davon gleichen deutsche Richter Rechtsvortragsfehler über Hinweise oder eine Auslegung des Vortrages grundsätzlich aus; das Rechtsschutzbegehren wird danach ausgelegt, wie es der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht, s. BGH, Urteil v. 30.03.2011, Az. VIII ZR 94/10, Rn.  13, NJW 2011, 2874, 2875.

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recherchieren und entsprechend vortragen.605 Abgesehen davon kann selbst ein kleiner Rechtsvortragsfehler zum Prozessverlust führen.606 Offenkundig sind die Unterschiede ferner im Bereich des ausländischen Rechts: In den Vereinigten Staaten muss ausländisches Recht vorgetragen wer­ den, wohingegen die Parteien in Deutschland gerade keine derartige Last trifft.607 4. Rechtsbeweis Im amerikanischen Prozess ist die Beweisbedürftigkeit von Recht eine Tatsache, die nicht zu beweisen ist, wohingegen das deutsche Prozessrecht weithin auf den Beweis von Recht verzichtet.608 Diese unterschiedlichen Ausgangspunkte spie­ geln sich im Rechtsbegriff selbst wider: Der Begriff „law“ wird in den Vereinig­ ten Staaten weit enger verstanden als das Wort „Recht“ in Deutschland.609 Das ist 605 Exemplarisch International Shipping Co., S.A. v. Hydra Offshore, Inc., 875 F.2d 388, 393 (2nd Cir. 1989) sowie FRCP 11(b)(2). Zwischen Naturalparteien und anwaltlich vertrete­ nen Parteien wird in den Vereinigten Staaten grundsätzlich nicht unterschieden, s. King v. Atiyeh, 814 F.2d 565, 467 (9th Cir. 1984): „Pro se litigants must follow the same rules of pro­ cedure that govern other litigants.“ Das pleading wird aber unter Umständen „liberaler“ ausge­ legt, Ogden v. San Juan County, 32 F.3d 452, 455 (10th Cir. 1994). Grundlegend Coppedge v. U.S., 369 U.S.  438, 447 (1962). 606 Dazu Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 366–370 (2013) sowie vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, und B. I. 1. c) und d). Selbst Naturalparteien müssen in den Vereinigten Staaten die Rechtslage recherchieren und entsprechend vortragen; äußerst kritisch deshalb Steinberg, 2016 B.Y.U. L. Rev. 899 (2016). Dies gilt nicht nur für die briefs vor den Courts of Appeals nach FRAP 28, sondern bereits in den pleadings und motions vor dem trial judge, s. die unzulässige Klage bei Spencer, 60 UCLA L. Rev. 1710, 1739 (2013) sowie den Beispielsfall von Steinberg, 2016 B.Y.U. L. Rev. 899, 902–906 (2016). Anders als in Deutschland ist das Risiko einer An­ waltshaftung höher, weil Richter in den Vereinigten Staaten Fehler der Rechtsanwälte gerade nicht ausgleichen. Fälle der Anwaltshaftung treten folglich regelmäßig auf, s. Ambrosio/ McLaughlin, 61 Temp. L. Rev. 1351 mit Fn.  1 (1988). Abgesehen davon tragen Rechtsanwälte auch schon deshalb rechtlich vor, um ein sonst drohendes Verfahren wegen Anwaltshaftung zu vermeiden. Schließlich liegt es nicht im anwaltlichen Interesse, eine Entscheidung der jury über die Reichweite der eigenen duty of care herbeizuführen, s. Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 mit Fn.  1 (2000). Außerdem sind Rechtsanwälte berufsrechtlich sogar verpflichtet, auf für die Mandantschaft ungünstige Entscheidungen hinzuweisen, Rule 3.3(a)(2) Model ­Rules of Professional Conduct. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 3. 607 Dazu bereits Schlesinger, RabelsZ 27 (1962), 60, 71 sowie zuletzt ausführlich zum amerikanischen Recht aus deutscher Sicht Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213 (2014). In Deutschland folgt die fehlende Rechtsvortragspflicht aus der richterlichen Ermittlungspflicht, s. zum Gan­ zen Broggini, AcP 155 (1956), 469, 478–479. 608  Im amerikanischen Recht ist der Beweis von inländischem Recht schon so weit verbrei­ tet, dass offen für seine Zulässigkeit plädiert wird, s. etwa Friedland, 37 U. Miami L. Rev. 451 (1983). 609  Die richterliche Verantwortung hängt stets von der Trennlinie zwischen Recht und Tat­

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nicht zuletzt auf die Existenz der jury zurückzuführen und äußert sich etwa darin, dass im amerikanischen Recht die Geschworenen über die Auslegung von Rechtspflichten entscheiden.610 Daher ist das amerikanische Recht einem Beweis von Recht weniger feindlich gegenüber eingestellt als das deutsche.611 Die Re­ gel, wonach Recht nicht Gegenstand des Beweises sein kann, gilt in den Verei­ nigten Staaten bei funktionaler Betrachtung nicht.612 Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn Rechtssachverständige den Geschworenen in Anwaltshaftungs­ fällen erklären, ob die Rechtsberatung fehlerhaft war oder nicht.613 Bei ausländi­ schem Recht ist sogar offen von einem Rechtsbeweis sowie einer Beweislast die Rede.614 Anders ist die Lage im deutschen Zivilprozess, weil inländisches Recht dort nur in höchst seltenen Fällen Gegenstand des Beweises sein kann und das Gericht auch ausländisches Recht grundsätzlich selbst ermittelt.615 Abgesehen von der Reichweite des Rechtsbeweises unterscheidet sich auch die Art und Weise der Inhaltsermittlung grundlegend.616 In Übereinstimmung sachen ab, s. statt aller B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253, 1290–1301 (2002) sowie zum Rechtsbegriff Radbruch, Der Geist des englischen Rechts, 2.  Aufl. 1947, S.  30. Diese unter­ schiedliche Grundhaltung wirkt sich ihrerseits konzeptionell auf alle weiteren Fragen aus, weil der Richter im Bereich der Tatsachen ohnehin nicht zu eigenständigen Ermittlungen verpflich­ tet ist. 610  Milne v. USA Cycling Inc., 575 F.3d 1120, 1133 (10th Cir. 2009); Morris, 55 Harv. L. Rev. 1303, 1312–1313 (1942). In Deutschland ist es hingegen selbstverständlich, dass der Richter die Reichweite von Rechtspflichten festlegt, s. statt aller Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  163. 611  Es ist immer wieder Gegenstand von Gerichtsentscheidungen, ob Rechtssachverständi­ ge für inländisches Recht zugelassen werden sollen oder nicht, s. etwa befürwortend U.S. v. Davis, 471 F.3d 783, 789 (7th Cir. 2006) und ablehnend F.H. Krear & Co. v. Nineteen Named Trustees, 810 F.2d 1250, 1258 (2nd Cir. 1987). 612  Zahlreiche Nachweise bei Baker, 40 U. Kan L. Rev. 325, 353–356 (1992). 613  Weber v. Sanborn, 526 F.Supp.2d 135, 146 (D. Mass. 2007) sowie ausführlich zum Problem Ambrosio/McLaughlin, 61 Temp. L. Rev. 1351 (1988); Chinaris, 36 St. Mary’s L.J. 825 (2005); Selinger, 13 Geo. J. Legal Ethics 405 (2000). 614 Exemplarisch Bel-Ray Co., Inc. v. Chemrite (Pty) Ltd., 181 F.3d 435, 440–441 (3rd Cir. 1999). 615  Zu seltenen Ausnahmen s. BAG, Urteil v. 29.03.1957, Az.  1 AZR 208/55, Rn.  6, BAGE 4, 37, 39 einerseits und BGH, Urteil v. 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, Rn.  7, BGHZ 140, 111, 113 andererseits. Ausländisches Recht wird regelmäßig im Wege des Sachverständigenbewei­ ses ermittelt; es gibt aber auch hier Fälle, in denen das Gericht darauf nicht angewiesen ist. Zum Grundsatz Becker, FS Martiny (2014), S.  619, 626; Mankowski, MDR 2001, 194, 196. In der Sache müssen sowohl im deutschen als auch im amerikanischen Recht die Parteien für die Ermittlung ausländischen Rechts bezahlen, sofern Gutachter eingeschaltet werden. Darin liegt in Deutschland ein gewisser Bruch mit der richterlichen Pflicht zur Rechtsermittlung, s. des­ halb kritisch („verfassungswidrig“) Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 453. 616 Vergleichend Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283. In Deutschland erhält der Sachver­ ständige Akteneinsicht und der Richter formuliert konkrete Rechtsfragen, die in einem schrift­

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mit der richterlichen Rechtsermittlungspflicht steuern deutsche Richter den Sachverständigenbeweis selbst, wohingegen im amerikanischen Recht die Ver­ antwortung in den Händen der Parteien liegt.

III. Ursachen Die herausgearbeiteten Unterschiede sind auf eine Vielzahl von Ursachen zu­ rückzuführen, die sich gegenseitig bedingen und voneinander abhängen.617 Nach wie vor treffend sind in diesem Zusammenhang die Worte von Constantinesco: „Um ein ausländisches Rechtsinstitut wirklich zu verstehen, muß der Rechtsvergleicher immer die determinierenden Elemente kennen, die die betreffende Rechtsordnung beherrschen. […] Er muß nach den sozialen und menschlichen, moralischen und religiösen, historischen und politi­ schen, wirtschaftlichen und ideologischen Gründen der betreffenden Rechtsordnung fragen.“618

Die beweisrechtlichen Weichenstellungen wurzeln neben der Entwicklungsge­ schichte vor allem in dem Staatsverständnis, das in unterschiedlichen verfas­ sungsrechtlichen Leitbildern seinen Ausdruck findet.619 Ausfluss dieses Staats­ verständnisses sind entgegengesetzte Grundkonzeptionen zum Effizienzbegriff, der richterlichen Rechtskenntnis und sogar der Zugänglichkeit des Rechts selbst. 1. Rechtsentwicklung „[L]aw is often in very truth a government of the living by the dead“, schrieb Pound bereits 1906.620 In der Tat spielen cause of actions, judicial notice und fact theory im amerikanischen Recht nach wie vor eine Rolle. Im Unterschied dazu ist das deutsche Denken durch die Allgemeinheit des Gesetzes, die gemeinrecht­ liche Rechtsermittlungslehre sowie das Institut der Aktenversendung geprägt. lichen Gutachten beantwortet werden sollen, s. zur Abfassung des Beweisbeschlusses Bendref, MDR 1983, 892. Im amerikanischen Zivilprozess sind es hingegen die Parteien, die ihre Sach­ verständigen selbst aussuchen, s. Hay, 62 Am. J. Comp. L. 213, 228–229 (2014). 617 Vertiefend Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277 (2002); Stürner, FS Stiefel (1987), S.  763; Stürner, 1 IJPL 50 (2011) sowie grundlegend Damaška, The Faces of Justice and State Autho­ rity (1986), Lipset, American Exceptionalism (1996) und Stürner, Markt und Wettbewerb über alles? (2007). 618  Constantinesco, Rechtsvergleichung, Band  2 (1972), S.  233. 619  Teil dieses Leitbildes ist die unterschiedliche Bedeutung des Gleichheitssatzes, der in Deutschland (auch) als Teilhaberecht und in den Vereinigten Staaten als Chancengleichheit begriffen wird, Stürner, 1 IJPL 50, 57 (2011). Ausführlich zur amerikanischen competitive ­society Stürner, Markt und Wettbewerb über alles? (2007), S.  33–45. Zur rechtsvergleichenden Methode Constantinesco, Rechtsvergleichung, Band  2 (1972), S.  233: „Jede allein auf die Kenntnis des positiven Rechts oder auch des tatsächlichen Rechts beschränkte vergleichende Untersuchung läuft Gefahr, teilweise ungenau oder sogar falsch zu sein.“ 620  Pound, 40 Am. L. Rev. 729, 734 (1906).

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Das amerikanische und das deutsche Recht gingen mit dem Erbe des römi­ schen Aktionendenkens uneinheitlich um. Die Auswahl und Beschränkung auf eine actio wurde im deutschen Recht bereits vor mehreren Jahrhunderten aufge­ geben, wohingegen die cause of actions in den Vereinigten Staaten erst Mitte des 20. Jahrhunderts ihr vermeintliches Ende fanden.621 Es kann deshalb nicht ver­ wundern, wenn ein kunstgerechtes pleading im amerikanischen Recht noch heu­ te von herausgehobener Bedeutung ist.622 Schließlich ist die Erinnerung an die cause of actions noch lebendig und das code pleading noch nicht verblasst.623 Die Idee der Rechtsanwendung von Amts wegen ist in Deutschland schon seit Geltung der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre gefestigt.624 In den Ver­ einigten Staaten konnte sich dieser Gedanke hingegen bis heute nicht durchset­ zen.625 Nach wie vor wirkt die common law-Tradition fort, wonach sich Richter vollumfänglich auf die Parteien verlassen.626 Das Zusammenspiel zwischen der Rechtsgeschichte und der Rechtswirklichkeit zeigt sich überdies auch an der Ak­ tenversendung; anders als im deutschen Recht ist dieses Institut in den Vereinig­ ten Staaten unbekannt.627 Die Akten werden daher von amerikanischen Richtern einerseits Kaufmann, JZ 1964, 482 und andererseits Subrin, 135 U. Pa. L. Rev. 909 (1987). In einigen Einzelstaaten wurden die cause of actions in den Vereinigten Staaten bereits früher abgeschafft, s. Friedman, History of American Law (1973), S.  340–341. 622  Fairman, 45 Ariz. L. Rev. 987, 1007 (2003): „Despite the intended break with the past, code pleading lives“. Weiterführend Spencer, 60 UCLA L. Rev. 1710 (2013) sowie Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 331–347 (2013). 623  Mit der Einführung des plausibility pleading hat der Supreme Court sogar zuletzt einen Schritt zurück zum traditionellen Rechtsdenken gemacht. Passend dann auch der dissent von Stevens in Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S.  544, 589 (2007): „The Court’s dichotomy between factual allegations and ‚legal conclusions‘ is the stuff of a bygone era“. 624  Ausdrücklich §  3 Reichskammergerichtsordnung (1495). Vertiefend Meder, Ius non scriptum, 2.  Aufl. 2009, S.  193 sowie Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002). Bereits in der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre musste das ius commune von den Richtern ­ermittelt und angewandt werden, s. Coing, Europäisches Privatrecht, Band  1 (1985), S.  132 sowie Oestmann, FS Sellert (2000), S.  467, 473. 625 Dazu Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 569–570 (2007). Es sollen nur die von den Parteien ausgewählten issues entschieden werden, s. zuletzt etwa Henderson ex rel. Henderson v. Shinseki, 562 U.S.  428, 434 (2011) und Eriline Co. S.A. v. Johnson, 440 F.3d 648, 655 (4th Cir. 2006). 626  Zur Entwicklung Friedman, American Law in the Twentieth Century (2002), S.  588– 608. In England wird die Maxime da mihi factum, dabo tibi ius als „civil law principle“ be­ zeichnet, Andrews, 7 C.J.Q. 125, 130 (1988). Der passive common law-Richter sah und sieht sich schließlich gerade nicht als verpflichtet an, die Rechtslage für die Parteien zu ermitteln. Nach einer berühmten Formulierung von Scalia sind Gerichte keine „self-directed boards of legal inquiry“, Carducci v. Regan, 714 F.2d 171, 177 (DC Cir. 1983). 627  Merryman, 19 Stan. J. Int’l L. 151, 161–162 (1983). 1983. Treffend Rabel, Private laws of Western civilization (1950), S.  43: „Common law learning, said Sir Frederick Pollock, is forensic in its origin, civilian learning is scholastic. Indeed, our heroes, such as Sir Edward 621  Dazu

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von vornherein nicht versandt.628 Vielmehr überlassen die Richter es den Partei­ en, expert witnesses auszuwählen.629 Abgesehen von diesen besonderen Aspekten spielt vor allem die Kodifika­ tionsgeschichte eine prägende Rolle für die Beweisbedürftigkeit von Recht.630 In Deutschland wurde mit der Kodifikation des Rechts bereits vor Jahrhunderten begonnen. Ein wesentlicher Gedanke der Kodifikation lag in der Allgemeinheit des Gesetzes, wonach ein Gesetz für alle Rechtsunterworfenen gleichermaßen anwendbar sein sollte.631 Die traditionelle Aufgabe des deutschen Richters war und ist es deshalb, der Allgemeinheit des Gesetzes zu dienen.632 Im amerikani­ schen Recht setzten Kodifikationsbemühungen hingegen erst deutlich später ein und sind bis heute keineswegs abgeschlossen.633 Dies ist darauf zurückzuführen, dass es als Vorzug des amerikanischen Rechts gesehen wird, den Richtern Frei­ heit bei der Rechtsanwendung zu gewähren.634 Die Kehrseite dieser Freiheit liegt darin, dass die Ermittlung der Rechtslage kompliziert und das Recht teils schwer Coke, Lord Chancellor Hardwicke, Lord Mansfield, or Chief Justice Marshall, Story, and Hol­ mes, were judges, and Azo, Bartolus, Donellus, Dumoulin, Savigny, and Jhering were pro­ fessors.“ Nach wie vor ist der in den Vereinigten Staaten verbesserungswürdige Austausch zwischen Literatur und Wissenschaft Gegenstand von zahlreichen Veröffentlichungen, s. statt aller Wood, 124 Yale L.J. 2592 (2015). 628  Der amerikanische Richter sieht es nicht als seine Aufgabe an, einen Sachverständigen ausfindig zu machen, zu kontaktieren und dann mit ihm wohlmöglich noch über ein Honorar zu verhandeln, s. zu den Einzelheiten Merryman, 19 Stan. J. Int’l L. 151, 165–166 (1983). 629  Die Auswahl von Sachverständigen durch das Gericht wird gar als Antithese zum adversary system beschrieben, s. Ginsburg, 60 Case W. Res. L. Rev. 303, 314 (2010). Ihr Wissen über den Streitfall erhalten die Parteisachverständigen nicht aus der Akte, sondern von den Parteien selbst. Der Nachteil dieses Vorgehens liegt in einer Abhängigkeit der Sachverständi­ gen von den Parteien, weshalb diese teils abfällig als „parteiisch“ bezeichnet werden, s. statt aller Miner, 43 Am. J. Comp. L. 581, 586 (1995). Rechtsvergleichend zum Ganzen Merryman, 19 Stan. J. Int’l L. 151, 160–162 (1983). 630  Zu den Auswirkungen Stürner, 1 IJPL 50, 56–57 (2011). 631  Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  147–148; Bucher, ZEuP 2000, 394, 421; Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  272–273. 632  Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  213 und 216 sowie zur Rechtsprechung BVerfG, Beschluss v. 11.06.1980, Az.  1 PBvU 1/79, Rn.  48, ­BVerfGE 54, 277, 291–292. Gleichzeitig soll die Rechtslage dank der Kodifikation für alle er­ kennbar sein. Aus amerikanischer Sicht wird kritisiert, dass Kodifikationen letztlich für Juris­ ten und nicht für Laien geschrieben werden, Holmes, 5 A. L. R. 1, 2 (1870). 633  Bentham versuchte zwar bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Vereinigten Staaten von Kodifikationen zu überzeugen, scheiterte damit jedoch, s. ausführlich Morriss, 74 Chi.Kent L. Rev. 355 mit Fn.  1 (1999). Typisch für das Nebeneinander von Gesetz und Fallrecht ist etwa 501 FRE, der zu Zeugnisverweigerungsrechten schlicht auf das common law verweist. 634  Holmes, 5 A. L. R. 1 (1870): „It is the merit of the common law that it decides the case first and determines the principle afterwards.“

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zugänglich sein kann.635 Bei der Bewältigung dieser Herausforderung müssen die Parteien das Gericht anleiten; insoweit schlägt die Rechtsgeschichte die ­Brücke zum Staatsverständnis.636 2. Staatsverständnis Das Staatsverständnis ist Ausdruck und Ergebnis der geschichtlichen Entwick­ lung und lässt seinerseits die Beweisbedürftigkeit von Recht nicht unberührt.637 Die amerikanische Verfassung und das deutsche Grundgesetz sind Rechts­ geschichte und geltendes Recht zugleich.638 In ihnen spiegelt sich der für jede Rechtsordnung grundlegende Wettstreit zwischen Freiheit und Gleichheit, Indi­ vidualismus und Kollektivismus.639 Dieses Spannungsfeld wirkt sich auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger aus und findet sein notwendiges Korrelat in der Aufgabenverteilung zwischen dem Richter und den Parteien.640 Das Leitbild der amerikanischen Verfassung beruht auf Freiheit, Individualis­ mus und Skepsis gegenüber einem interventionistischen Staat.641 In der passiven Stellung des Richters zeigt sich die Zurückhaltung gegenüber staatlicher Be­ vormundung.642 Richterliche Hinweise und Hilfestellungen werden als büro­kra­ti­sche Einmischung empfunden.643 Einen sozialen Zweck verfolgt der Zivil­ prozess ausdrücklich nicht.644 Zu Gunsten der Freiheit wird der Verlust an Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 603 (2007). zu den Unterschieden Saltzburg, 64 Va. L. Rev. 1, 13–19 (1978) sowie ausführlich zum Ganzen Damaška, The Faces of Justice and State Authority (1986), S.  29–46. 637  Weiterführend zur Methode Constantinesco, Rechtsvergleichung, Band  2 (1972), S.  233. Zum american exceptionalism Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277 (2002) sowie zur Rolle der Rechtskultur Stürner, 1 IJPL 50, 56–58 (2011). 638  Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang in der amerikanischen Denkrich­ tung des originalism, der eine dynamische Verfassungsauslegung ablehnt, s. exemplarisch den dissent von Scalia in Morrison v. Olson, 487 U.S.  654, 697–734 (1988). 639  Cappelletti/Garth, Introduction – Policies, Trends and Ideas (1986), in: International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XVI: Civil Procedure, Chapter 1, S.  14. 640  Zu den Auswirkungen auf die Rolle des Richters Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277, 296– 299 (2002). 641 Ausführlich zu den grundlegenden Werten Lipset, American Exceptionalism (1996), S.  33. 642  Dies zeigt sich auch an der Existenz der jury, die ein gewisses Misstrauen gegenüber staatlichen Berufsrichtern widerspiegelt, Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5, 21. 643  Die kritische Einstellung gegenüber bürokratischer Einmischung wird als „cornersto­ ne“ des amerikanischen Prozessrechts bezeichnet, Saltzburg, 64 Va. L. Rev. 1, 19 (1978) sowie Freedman, 1 Chap. L. Rev. 57, 85 (1998). 644  Im Gegenteil wird ein fürsorgender und helfender Richter als unfair empfunden, Saltzburg, 64 Va. L. Rev. 1, 15–16 mit Fn.  59 und 60 (1978). 635 

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Gleichheit hingenommen, der mit ungleichen Prozessergebnissen einhergeht.645 Ausdruck dieses Freiheitsverständnisses ist es, wenn die anwaltlich besser ver­ tretene Seite das Verfahren gewinnt.646 Theoretisch kann sich schließlich jeder seinen Rechtsanwalt selbst aussuchen.647 Auf finanzielle Unterstützung durch den Staat dürfen bedürftige Parteien nicht hoffen.648 Der Staat sorgt also weder für gleiche Ausgangsbedingungen noch für gleiche Ergebnisse.649 Dieser individualistischen Grundkonzeption folgt das Grundgesetz nicht.650 Die deutsche Rechtsordnung ist durch die Menschenwürde, den Rechtsstaat und das Sozialstaatsprinzip geprägt.651 Diese Grundideen strahlen auf den Zivilpro­ zess aus.652 Ohne Zweifel verfügt die Rechtsanwendung von Amts wegen über eine ausgeprägte soziale Komponente.653 Schließlich schützt sie schlecht oder 645  Dies wird einerseits als das kleinere Übel im Vergleich zu interventionistischen Rich­ tern und andererseits als notwendiger Ausfluss einer kapitalistischen Gesellschaft angesehen, Freedman, 1 Chap. L. Rev. 57, 88–89 (1998). 646  Kritisch allerdings Langbein, 52 U. Chi. L. Rev. 823, 843 (1985) sowie bereits Galanter, 9 Law & Soc’y Rev. 95 (1974–1975). 647  Das Problem, das bedürftige Parteien in diesem System haben, ist bislang nicht gelöst, s. dazu Rosenbloom, 30 Fordham Urb. L.J. 305 (2002) sowie zuletzt Steinberg, 2016 B.Y.U. L. Rev. 899 (2016). 648  Eine staatliche Prozesskostenhilfe ist wenig ausgebaut und entwickelt sich sogar eher zurück, s. die Nachweise bei Steinberg, 47 Conn. L. Rev. 741, 770–771 (2015). Diese Lücke kann durch Pro-bono-Rechtsberatung nicht geschlossen werden, s. Pearce, 73 Fordham L. Rev. 969 (2004). Außerdem lassen sich die Rechtsberatungskosten auch im Falle des Obsiegens nicht auf die Gegenseite abwälzen, s. grundlegend Alyeska Pipeline Service Co. v. Wilderness Society, 421 U.S.  240 (1975). 649  Lipset, American Exceptionalism (1996), S.  19. 650  Anders als in den Vereinigten Staaten wird der Gleichheitssatz auch als Teilhaberecht und nicht nur als „gleiche Chance zur Verwirklichung eigenen Glücksstrebens“ begriffen, Stürner, 1 IJPL 50, 57 (2011). 651  Unmittelbar an seine Spitze stellt das Grundgesetz die Menschenwürde in Art.  1 Abs.  1 GG; Rechts- und Sozialstaatsprinzip lassen sich Art.  20 GG entnehmen. Art.  1 und 20 GG sind von einer derart herausragenden Bedeutung, dass sie nach Art.  79 Abs.  3 GG einer „Ewigkeits­ garantie“ unterliegen. Gesichert ist damit etwa die Existenz derjenigen materiellen Vorausset­ zungen, die für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind, s. BVerfG, Urteil v. 09.02.2010, Az.  1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175. Das Sozialstaatsprinzip gilt für das Zivilverfahrensrecht ebenfalls, s. ausführlich Meyer, JR 2004, 1. 652  Gaier, NJW 2013, 2871: „Freiheit im Sinne unserer Verfassungsordnung kann nur gleiche Freiheit bedeuten.“ Der Zivilprozess selbst wurde deshalb bereits als sozialer Prozess bezeich­ net, s. grundlegend Wassermann, Der soziale Zivilprozess (1978). 653 Treffend Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrund­ lagen im Zivilprozess (1977), S.  83: „Insoweit dient der Satz ‚iura novit curia‘ den Interessen der Parteien; mit diesem – sozialen – Inhalt war und ist er unumstritten.“ In der Sache ähnlich Müller, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 91 (1955), 41, 57–58.

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gar nicht vertretene Parteien vor unrichtigen Ergebnissen.654 Abgesehen davon stellt der Staat weniger finanzstarken Bürgern über die Prozesskostenhilfe einen Rechtsanwalt an die Seite.655 Dazu passt es, wenn sprichwörtlich derjenige, der Recht hat, am Ende auch Recht bekommt.656 Insgesamt hat die Rechtsanwendung von Amts wegen deshalb zwei Seiten. Wird der Schwächere gestärkt, so wird damit gleichzeitig der Stärkere ge­ schwächt. Was aus einer Sicht wie die Umsetzung der ohnehin geltenden Rechts­ lage erscheint, ist aus der anderen Perspektive staatliche Einmischung. Die Gleichheit im Ergebnis kann zu einer Ungleichheit im Verfahren führen, weil der Richter einer Seite mit Hinweisen oder Recherchen hilft. Je nach Standpunkt kann die eigenständige richterliche Recherche als Ausdruck der oder Verstoß gegen die Neutralität aufgefasst werden. Jede einzelne Entscheidung über die Beweisbedürftigkeit von Recht ist also letztlich eine Abwägung zwischen Frei­ heit in der Verfahrensführung und Gleichheit im Ergebnis. 3. Effizienz Ausfluss des rechtskulturellen Verständnisses sind unterschiedliche Meinungen darüber, welche Rolle Effizienz in der Streitbeilegung spielt.657 Insbesondere herrscht Uneinigkeit darüber, in welchem Umfang der Staat gerichtlichen 654  Übersieht eine Seite eine einschlägige Rechtsvorschrift oder Gerichtsentscheidung, so ist der Richter verpflichtet, diesen Fehler auszugleichen. Der Richter prüft die Schlüssigkeit von Amts wegen und unabhängig von den Rechtsausführungen der Parteien, s. Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  172–173. Der Zweck von §  139 ZPO ist darauf gerichtet, rich­ tige Entscheidungen herbeizuführen, Fritsche, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  139 ZPO, Rn.  1. Abgesehen davon werden Defizite im Parteivortrag nicht nur über richterliche Hinweise ausgeglichen, sondern auch dadurch, dass schon aus prinzipiellen Grün­ den zum Recht nicht vorgetragen werden muss und der Richter in seiner Rechtsprüfung in den Grenzen des Streitgegenstandes frei ist; insoweit tragen die hochqualifizierten Richter zur Ver­ wirklichung materieller Gerechtigkeit bei, s. dazu BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135. Rechtsvergleichend Damaška, The Faces of Justice and State Authority (1986), S.  177–178. 655  Die Existenz einer Prozesskostenhilfe ist von Verfassungs wegen geboten, BVerfG, Be­ schluss v. 13.03.1990, Az.  2 BvR 94/88, Rn.  23–24, BVerfGE 81, 347, 356–357. Zahlreiche Bürger verfügen außerdem über eine Rechtsschutzversicherung, um von den Gerichten auch faktisch Gebrauch machen zu können, s. rechtsvergleichend Breyer, Kostenorientierte Steue­ rung des Zivilprozesses (2006), S.  167–172. 656  Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozess (1977), S.  159; BVerfG, Urteil v. 28.11.1957, Az.  2 BvL 11/56, Rn.  24, BVerfGE 7, 183, 188–189. 657  Zur Ineffizienz von deutschen Verfahren aus amerikanischer Sicht zuletzt Halberstam, 48 Conn. L. Rev. 817, 863–872 (2016). Langbein 122 Yale L.J. 522, 526–530 (2012) und Gross, 85 Mich. L. Rev. 734, 738 (1987) erkennen die Effizienz des deutschen Ansatzes an; Gross hält diese Art der Effizienz aber nicht für begehrenswert und weist auf die Effizienz­

C. Vergleich

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Rechtsschutz vorhalten sollte und in welchem Verhältnis der Grundsatz der Pro­ zessökonomie zu sachrichtigen Gerichtsentscheidungen steht. Das Verhältnis von Effizienz und Zivilverfahrensrecht ist gleichzeitig Teil der größeren Debatte über die Sinnhaftigkeit einer ökonomischen Analyse des Rechts.658 In Übereinstimmung mit dem allgemeinen Staatsverständnis gilt es in den Vereinigten Staaten als effizient, wenn die Parteien die Gerichte von vornherein nicht aufsuchen und ihre Probleme ohne den Staat lösen.659 Dadurch kann rich­ terliche Arbeitszeit und damit letztlich Steuergeld gespart werden.660 Diesem Grundgedanken entsprechend sollen die Parteien die einschlägigen rechtlichen Argumente selbst vortragen.661 Dem Zweck der staatlichen Aufwandsersparnis dient es außerdem, beide Seiten die Kosten für ihre Rechtsberatung selbst tragen zu lassen.662 In der Tat begünstigt eine ständig tickende Kostenuhr eine frühzei­ tige Beilegung des Rechtsstreits.663 Nicht zuletzt deshalb ergeht in weniger als 1 % aller Verfahren überhaupt ein streitiges Urteil.664 gewinne durch Justizvermeidung hin, s. Gross, 85 Mich. L. Rev. 734, 753 (1987). Aus deut­ scher Sicht s. Breyer, Kostenorientierte Steuerung des Zivilprozesses (2006). 658 Dazu Rauscher, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, Einleitung, Rn.  16 mit Fn.  43. Die Notwendigkeit nicht streitiger Konfliktlösung wird mit der Begrenztheit staat­ licher Ressourcen und der Arbeitsbelastung der Gerichte gerechtfertigt, s. statt aller Musielak, in: Musielak/Voit, 15.  Aufl. 2018, Einleitung, Rn.  21. Dieser Zusammenhang ist sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten anerkannt; die Gewichtung von Effizienzas­ pekten in der Ausgestaltung des Verfahrensrechts unterscheidet sich aber erheblich, s. ausführ­ lich für die amerikanische Sicht Yeazell, 1 J. Empirical Legal Stud. 943 (2004) sowie aus deut­ scher Perspektive Stürner, ZZP 123 (2010), 147. 659  Yeazell, 1 J. Empirical Legal Stud. 943, 948 (2004); Gross/Syverud, 44 UCLA L. Rev. 1, 2–3 (1996) sowie Stürner, 1 IJPL 50–51 (2011). 660  Ein passiver Richter, der keine Recherchearbeiten für die Parteien unternimmt, hat mehr Zeit für anderweitige Tätigkeiten. Insbesondere soll der Richter seine Zeit auf ein judi­cial case management verwenden; hierbei geht es darum, streitige Fälle schnellstmöglich zu erledigen, Langbein 122 Yale L.J. 522, 559 (2012). Allerdings wird das Konzept des managerial judge immer mehr kritisiert, weil die Türen der Gerichtssäle als verschlossen erscheinen, s. etwa Resnik, 162 U. Pa. L. Rev. 1793 (2014) sowie Miller, 43 Tex. Tech L. Rev. 587 (2011). 661  Dies führe zu einer „superior accuracy“ der Entscheidung, Gross, 85 Mich. L. Rev. 734, 742–744 (1987). Schon seit vielen Jahren wird jedoch vonseiten der Wissenschaft bezweifelt, inwiefern das adversary system tatsächlich effizient ist, s. statt aller bereits Miller, 69 Minn. L. Rev. 1 (1984–1985). 662  Ausgehend von dieser Grundkonzeption bemessen sich amerikanische Gerichtskosten auch nicht nach dem Streitwert, s. Breyer, Kostenorientierte Steuerung des Zivilprozesses (2006), S.  77. 663  Dies ist auf die Bezahlung nach Stundensätzen sowie die discovery zurückzuführen; ausführlich Langbein, 122 Yale L.J. 522, 551–553 (2012) sowie Miller, 69 Minn. L. Rev. 1, 18 (1984–1985). Kritisch Galanter, 9 Law & Soc’y Rev. 95, 121 (1974–1975). Emerson meint, häufig gewinne die Seite mit den größeren Ressourcen, s. Emerson, 48 Vand. J. Transnat’l L. 707, 711 (2015). 664  Dazu ausführlich Langbein, 122 Yale L.J. 522, 553–561 (2012).

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

In Deutschland wird es hingegen als effizient angesehen, wenn das Recht s­ icher, vorhersehbar und einklagbar ist.665 Der konstitutionalisierte Zivilprozess ist von dem Gedanken der Sachrichtigkeit geprägt.666 Die Prozessökonomie ist stets im Spiegel des Rechtsstaatsprinzips zu sehen und darf die inhaltliche Rich­ tigkeit der Entscheidung nicht gefährden.667 Gleichzeitig entspricht es dem all­ gemeinen Justizgewährungsanspruch, dass die Verantwortung für die richtige Entscheidung über die Rechtslage in den Händen des Staates liegt.668 Die ge­ samten Kosten des Verfahrens trägt die Seite, die im Unrecht war.669 Im theore­ tischen Ausgangspunkt kostet es also nichts, sich sein Recht vor Gericht zu er­ streiten.670 Diese konzeptionellen Unterschiede werden empirisch durch die Anzahl der Richter und Rechtsanwälte belegt.671 In Übereinstimmung mit der aktiven Richterstellung kommen in Deutschland etwa dreimal mehr Richter auf einen Bürger als in den Vereinigten Staaten.672 Umgekehrt führt die bedeutende Stel­ lung der Rechtsanwälte im amerikanischen Verfahren dazu, dass auf einen ame­ rikanischen Richter dreimal mehr Rechtsanwälte entfallen als auf seinen deut­ schen Kollegen.673 Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 553–556 (2007). Weiterführend BVerfG, Beschluss v. 11.06.1980, Az.  1 PBvU 1/79, Rn.  49, BVerfGE 54, 277, 292–293. 667  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess (2014), S.  156. 668  Der Richter muss den Streitstand umfassend rechtlich durchleuchten, BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, Rn.  154, BVerfGE 139, 64, 135 sowie BT-Drs. 14/4722, S.  77. Weiterführend zum Justizgewährungsanspruch BVerfG, Beschluss v. 18.03.2003, Az.  2 BvB 1/01, Rn.  120–121, BVerfGE 107, 339, 379, 380. 669  Dieses Prinzip wird in Deutschland als Ausdruck der „Kostengerechtigkeit“ verstanden und ist in §  91 ZPO niedergelegt, s. Schulz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  91 ZPO, Rn.  1. 670 Es sind nur die gesetzlichen Gebühren und Auslagen für Rechtsanwälte, nicht aber ­höhere Sätze erfasst, s. OLG Dresden, Beschluss v. 14.07.2005, Az.  1 AR 120/04, Rn.  11, Rpfleger 2006, 44. 671  Zusammengefasst als „fewer court cases cost less to handle“, Gross, 85 Mich. L. Rev. 734, 752 (1987). 672  Nach der offiziellen Statistik gab es in den Vereinigten Staaten im Jahre 2015 29.020 Richter, magistrates und magistrate judges, United States Department of Labor, National Oc­ cupational Employment and Wage Estimates (2015), Kennzahl 23-1023. Ein Richter ist für etwa 11.000 Bürger zuständig. In Deutschland waren es hingegen 20.300 Richter, BfJ, Richter­ statistik (2014), was etwa einem Richter pro 4.000 Bürgern entspricht. 673  In Deutschland waren im Jahre 2015 164.855 und in den Vereinigten Staaten 609.930 Rechtsanwälte zugelassen, s. BRAK, Große Mitgliederstatistik (2015) sowie United States Department of ­Labor, National Occupational Employment and Wage Estimates (2015), Kennzahl 23-1011. Damit kommt in beiden Ländern auf etwa 500 Bürger ein praktizierender Rechtsan­ 665 Rechtsvergleichend 666 

C. Vergleich

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Insgesamt tritt das Zusammenspiel von Staatsverständnis, Effizienz und Sach­ richtigkeit deutlich hervor: In Deutschland investiert der Staat in eine Vielzahl von rechtskundigen Richtern, wohingegen die Parteien in den Vereinigten Staa­ ten für privat ausgebildete Rechtsanwälte bezahlen, die sich nach Möglichkeit noch vor Einlegung einer Klage vergleichen. 4. Richterliche Rechtskenntnis Die Anforderungen, die an die Rechtskenntnis von Richtern gestellt werden, hängen ihrerseits von der jeweils vorherrschenden Rechtskultur ab.674 Es ist eine bewusste gesellschaftspolitische Entscheidung, wie Richter ausgebildet, ausge­ wählt und ausgestattet werden und wie viel Steuergeld in die Justiz fließt.675 Zu­ gleich verändern sich mit den Aufgaben des Richters auch die Anforderungen an geeignete Richterkandidaten.676 In Übereinstimmung mit dem Wertesystem des Grundgesetzes ist die deutsche Juristenausbildung idealtypisch darauf ausgerichtet, vertiefte Rechtskenntnisse in der Richterschaft herbeizuführen.677 Richterliche Rechtskenntnisse sind nach deutschem Verständnis die Voraussetzung, um die Allgemeinheit des Gesetzes praktisch durchzusetzen. In den Vereinigten Staaten ist es hingegen von vorn­ herein nicht das Ziel der Ausbildung, „Volljuristen“ auf eine Tätigkeit als Richter vorzubereiten. Dementsprechend erstreckt sich die Ausbildung an der law school über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum und konzentriert sich nicht auf den Erwerb von Kenntnissen im black letter law. walt. Die Annahme, die Rechtsanwaltsdichte in den Vereinigten Staaten sei deutlich höher als in Deutschland, trifft nicht mehr zu. Dies ist auf die hohen Studienkosten, die vielfältigen Beschäftigungs­möglichkeiten von Juristen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik sowie die zahlreichen im Ausland tätigen Rechtsanwälte zurückzuführen, s. dazu ausführlich Sheppard, 62 Am. J. Comp. L. 241, 243–245 (2014). Aus diesen Gründen weicht die Rechtsanwaltszahl in der National Lawyer Population Survey von der offiziellen Zahl des United States Department of Labor ab, s. ABA, National Lawyer Population Survey (2017). 674 Treffend bereits Radbruch, Feuerbach-Gedenkrede (1952), S.  33: „[Die] Gestaltwer­ dung des Rechts vollzieht sich im Richterstande.“ Vertiefend einerseits BVerfG, Urteil v. 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, BVerfGE 139, 64 und andererseits Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277, 296–299 (2002). 675  Damit ist die Justiz Glied und Ausdruck des Staatsverständnisses; s. die vertiefenden Beispiele bei Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277, 299 (2002). 676  Reitz sieht in den unterschiedlichen Aufgabenprofilen ein wesentliches Hindernis dafür, einige Aspekte des deutschen Zivilprozessrechts in den Vereinigten Staaten zu übernehmen, s. Reitz, 75 Iowa L. Rev. 987, 992–995 (1990). 677 Zum Ausbildungsideal Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  438. Die Dauer der rein juristischen Ausbildung kann einschließlich einer Promotion über zehn Jahre betragen, s. vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. II. 1. b).

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

Die unterschiedliche Bedeutung der richterlichen Rechtskenntnis zeigt sich aber nicht nur in der Juristenausbildung, sondern vor allem auch in der Richter­ auswahl.678 In Deutschland erfolgt diese Auswahl nach den Leistungen in den beiden Staatsprüfungen, die ihrerseits Rechtskenntnisse belegen. Anders ist dies in den Vereinigten Staaten: Neben den Rechtskenntnissen spielt hier vor allem eine Rolle, ob der Kandidat politisch akzeptabel ist; ansonsten wird er nicht für ein Richteramt vorgeschlagen oder gewählt.679 In der Gesamtschau zielt das deutsche Rechtssystem darauf ab, dass Richter das Recht kennen und von Amts wegen ohne Hilfe der Parteien anwenden kön­ nen.680 Eine derart umfassende Rechtskenntnis ist im amerikanischen Recht nicht erforderlich, weil Richter sich auf die Hilfe der Parteien verlassen sol­ len.681 Letztlich muss der deutsche Richter somit über präsentere Rechtskennt­ nisse verfügen als sein amerikanischer Kollege; ansonsten verfehlt er seine Auf­ gabe und enttäuscht die an ihn gestellten Erwartungen.682 5. Zugänglichkeit Kennt der Richter das Recht nicht, so muss er es ermitteln; diese Ermittlung kann unterschiedlich schwierig sein.683 Die Zugänglichkeit des Rechts wird dabei von zahlreichen Faktoren beeinflusst, von denen die Gesetzgebung und die rechts­ 678  Die

Grundskepsis gegenüber nicht studierten Richtern ist in den Vereinigten Staaten kleiner, weil mit der jury nach wie vor Laien über juristische Sachverhalte entscheiden; darin spiegelt sich die Skepsis gegenüber staatlicher Einmischung, s. dazu Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5, 21. Nach Chase ist die Wahl von Richtern Ausdruck des amerikanischen Populismus, der seinerseits im egalitären Ideal wurzelt, s. Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277, 282 (2002). 679  Dawson, The Functions of the Judge, in: Berman, Talks on American Law (1961), S.  19, 28: „The use of popular elections in most of our states has led in some places to the choice of persons whose quality is mediocre or who are receptive to political influences. Even the ap­ pointive process is no guarantee that the ablest and most impartial will be chosen.“ Ausführlich zur Richterwahl Pozen, 108 Colum. L. Rev. 265 (2008) sowie kritisch Croley, 62 U. Chi. L. Rev. 689 (1995). Zu den Qualifikationen Choi/Gulati/Posner, 44 J. Legal Stud. 107 (2015). 680 Treffend Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 269: „Der […] durch eine hohe Examensnote qualifizierte Volljurist, der als Richter eingestellt worden ist, muß nach dem Anspruch eines rechtswissenschaftlichen Studiums in der Lage sein, sich in auch für ihn fremde Rechtsgebiete einzuarbeiten.“ 681  Chase, 50 Am. J. Comp. L. 277, 296 mit Fn.  109 (2002): „[A]n American judge ‚is sworn to sit down, shut up, and listen‘.“ 682  Mit Reitz ließe sich sagen, umfassende und spezialisierte Rechtskenntnisse seien schlicht nicht Teil der „job description“ amerikanischer Richter, s. Reitz, 75 Iowa L. Rev. 987, 992–995 (1990). 683 Rechtsvergleichend Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 601–607 (2007). Richter­ liche Rechtskenntnis wird ihrerseits durch die Zugänglichkeit des Rechts bedingt, s. vertiefend Stürner, JZ 2012, 10, 11 sowie McGrath/Koziol, RabelsZ 78 (2014), 710.

C. Vergleich

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wissenschaftliche Forschung eine besondere Rolle spielen.684 In Übereinstim­ mung mit dem Gedanken der Allgemeinheit des Gesetzes wird es in Deutschland als wesentliche Aufgabe von Gesetzgebung und Wissenschaft angesehen, die Zugänglichkeit des Rechts zu erhöhen; in den Vereinigten Staaten gilt dies nicht gleichermaßen.685 Es ist nach wie vor das Ideal der deutschen Gesetzgebung, die Gesetze ver­ ständlich, systematisch und umfassend zu gestalten.686 Seit jeher werden diese Ziele von der Rechtswissenschaft über eine ausgefeilte Dogmatik gefördert.687 Die rechtswissenschaftliche Literatur ist grundsätzlich darauf gerichtet, eine Hilfe­stellung bei der Arbeit mit dem Recht zu geben.688 Auslegungsrelevante Aspekte und Argumente müssen deshalb in vielen Fällen nicht mühsam von dem Richter selbst ermittelt werden, sondern finden sich bereits in Kommentierun­ gen, Lehrbüchern sowie Fachaufsätzen.689 zu den Bemühungen in Deutschland Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 553–574 (2007). Die Zugänglichkeit des Rechts ist ein weiter Begriff, der den durch­ schnittlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand bei der Ermittlung der Rechtslage beschreibt; soziologisch zu den formalen Qualitäten des Rechts Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1922), S.  502–509. 685  Selbst in einfach gelagerten Fällen kann die Rechtsfindung in den Vereinigten Staaten überaus kostenintensiv sein, s. Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 603 (2007). Weiter­ führend zu der dogmatischen Aufgabe der deutschen Rechtswissenschaft Stürner, JZ 2012, 10–24. 686 Nach Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes (2009), S.  607, 610 findet sich dieser Gedanke bereits bei Thomas von Aquin, wird aber durch die „Normenflut“ und die „Europäi­ sierung“ gefährdet. Nach Möglichkeit soll sich die Rechtslage aus dem Gesetz selbst ergeben, s. dazu McGrath/Koziol, RabelsZ 78 (2014), 710, 723 mit Fn.  79 unter Verweis auf Markesinis. In Zweifelsfällen kann auf ausführliche Gesetzesbegründungen zurückgegriffen werden; s. zur Bedeutung der historischen Auslegung Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9.  Aufl. 2016, S.  477–483. Zum Einfluss der Aufklärung auf die Kodifikation s. Wieacker, Privatrechts­ geschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  312–322 sowie vertiefend zum Ganzen Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. I. 2. 687  Die Pandektenwissenschaft und die historische Rechtswissenschaft sind das Fundament, auf dem die deutschen Kodifikationen ruhen, s. Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  337–­349. Zur Bedeutung der Dogmatik s. auch McGrath/Koziol, RabelsZ 78 (2014), 710, 714. 688 Der „Gebrauchsdogmatik“ kommt eine „Entlastungsfunktion“ für die konkrete Fall­ lösung zu, Stürner, JZ 2012, 10, 11. 689  Gleichzeitig gibt es aber selbstredend auch zahlreiche Fälle, in denen die Rechtsanwen­ dung den Richter vor erhebliche Herausforderungen stellt, Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 1996, S.  262–263. Die Tradition des Gesetzeskommentars ist bis auf die Zwölftafel­ gesetze zurückverfolgbar, Meder, Rechtsgeschichte, 5.  Aufl. 2014, S.  70. Weiterführend zu den „Rechtsbüchern“ Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1922), S.  459–460. Nachweise zu Unter­ schieden bei Lehrbüchern finden sich bei Stürner, JZ 2012, 10, 11. Diese Wissenschaftsorien­ tierung findet ihren Ausdruck weiterhin in zahllosen Dissertationen und Habilitationsschriften, die sich monographisch mit Rechtsproblemen auseinandersetzen. Zur Bedeutung der Mono­ 684  Ausführlich

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

In den Vereinigten Staaten zielt die Gesetzgebung hingegen nicht darauf ab, das Recht für den Bürger verständlich, systematisch und umfassend niederzu­ legen.690 Vielmehr gibt es nach wie vor zahllose Gesetzgebungslücken, die durch das common law gefüllt werden müssen.691 Die rechtswissenschaftliche For­ schung sieht es überdies nicht als ihre Aufgabe an, in kleinteiliger dogmatischer Arbeit am Tatbestandsmerkmal die Zugänglichkeit des Rechts zu erhöhen.692 Im Vordergrund steht vielmehr, grundsätzliche Beziehungen zwischen Recht und anderen Disziplinen aufzuzeigen sowie empirische Forschungen zu betreiben.693 Die Komplexität der Entscheidungsfindung wird dadurch aber nicht verringert, sondern vielmals sogar erhöht.694

D. Rechtsvergleichende Ergebnisse Nach allem kann es nicht überzeugen, wenn Alberti seinen Ausführungen zur Geltung von iura novit curia in Schiedsverfahren folgende Feststellung zu Grun­ de legt: „Both law systems have in common that the courts do not burden the parties to educate them with regard to domestic law. In civil law jurisdictions the parties have merely to prove the facts of a case with the understanding that the court knows the substantive law. In common law juris­ dictions the courts take judicial notice of its law.“695 graphie für die deutsche Rechtswissenschaft s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  623–625. 690 Kritisch Maxeiner, 15 Tul. J. Int’l & Comp. L. 541, 602–603 (2007): „Usually, the ac­ tual drafting is not done by professionals with subject-matter competency, but by individual legislators who are frequently acting at the requests of lobbyists.“ 691 Die Federal Rules of Civil Procedure enthalten lediglich 86 Regeln, in den Federal Rules of Evidence wird teils direkt auf das common law verwiesen, s. etwa 501 FRE. In anderen Bereichen kann die Gesetzgebung aber durchaus sehr ausführlich sein, s. McGrath/Koziol, ­RabelsZ 78 (2014), 710, 717–719. 692 Zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Gerichten Wood, 124 Yale L.J. 2592 (2015). Nach Stürner, JZ 2012, 10, 12 fehlt es an „Feinsystematik“. 693  Wood, 124 Yale L.J. 2592, 2605 (2015): „No matter how well-reasoned a theoretical piece may be, or how compelling the empirical evidence, or how wise another country’s solu­ tion may appear, it is the task of U.S. judges to apply and interpret U.S. law.“ Die Ergebnisse dieser Forschung erlauben es aber, policy-Erwägungen bei der Beurteilung von grundlegenden Rechtsfragen sachrichtig einzuordnen und können bei dem Abfassen von Gesetzen helfen; in der Offenheit für „policy-driven arguments“ sieht Reimann deshalb einen wesentlichen Vorteil der amerikanischen Rechtswissenschaft, Reimann, RabelsZ 78 (2014), 1, 25–26. 694  Gerade für trial courts und Court of Appeals sind die Arbeitsergebnisse der Rechtswis­ senschaft in der Praxis zumeist nicht übertragbar und fügen Komplexität hinzu, Wood, 124 Yale L.J. 2592, 2604–2605 (2015). 695  Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 7.

D. Rechtsvergleichende Ergebnisse

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Das Gegenteil ist richtig, weil jedenfalls in den Vereinigten Staaten bereits in­ ländisches Recht vorgetragen und durchaus auch bewiesen werden muss. Gleich­ zeitig ist die These, wonach die Ermittlung ausländischen Rechts in den Ver­ einigten Staaten einem „Mittelweg“ zwischen Deutschland und England folge, schlicht unrichtig. Die Unterschiede zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten begin­ nen bereits bei der richterlichen Rechtsermittlungsbefugnis und wirken sich in der Folge auf allen Stufen der Beweisbedürftigkeit von Recht aus. Die Gründe dafür wurzeln in der Rechtsgeschichte und sind auf ein anderes Staatsverständnis sowie unterschiedliche Vorstellungen zum Verhältnis von Freiheit und Gleich­ heit zurückzuführen. Letztlich ist die Rechtsermittlung von Amts wegen ein soziales Konzept, das der Allgemeinheit des Gesetzes dient. Die einzelnen Bausteine greifen dabei in­ einander: Im Ausgangspunkt ist der Richter nicht nur zur eigenständigen Rechts­ ermittlung befugt, sondern auch verpflichtet. Die Erfüllung dieser Pflicht soll gerade nicht durch ein umfassendes rechtliches Gehör oder eine falsch verstan­ dene richterliche Neutralität verwässert werden. Schließlich dient die richterli­ che Rechtsermittlung konzeptionell dazu, eine einheitliche Rechtsanwendung herbeizuführen. Die Rechtsanwendung von Amts wegen ist also Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips und ebnet den prozessualen Weg zur Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Ausfluss dieses Gesamtkonzepts ist es, dass die Bürger sich auf die richterliche Rechtsanwendung verlassen können und deshalb nicht selbst zum Recht vortragen müssen. Allerdings können gleiche Ergebnisse letztlich nur dadurch erzielt werden, dass der Staat in das Verfahren eingreift und der schwächeren Seite im Zweifels­ fall hilft. Mit diesem Eingriff ist stets eine Benachteiligung der stärkeren Seite verbunden, die in dem Eingriff eine staatliche Bevormundung sieht. Nach ame­ rikanischem Denken ist es daher nur folgerichtig, eine Rechtsanwendung von Amts wegen abzulehnen. Eine starke Richterstellung entspricht gerade nicht der amerikanischen Freiheitsvorstellung. Stattdessen sollen die Parteien ihr Schick­ sal selbst in die Hand nehmen und ihre Probleme nach Möglichkeit ohne Einbe­ ziehung des Staates lösen. Seinen besonderen Ausdruck findet dieses unterschiedliche Staatsverständnis in der Rechtskenntnis der Richter. In Übereinstimmung mit dem Wertesystem des Grundgesetzes ist die deutsche Juristenausbildung idealtypisch darauf ausgerichtet, vertiefte Rechtskenntnisse in der Richterschaft herbeizuführen. Eine derart umfas­ sende Rechtskenntnis ist im amerikanischen Rechtsdenken hingegen von vornhe­ rein nicht erforderlich, weil Richter sich auf die Hilfe der Parteien verlassen sollen. Nach allem besteht der Unterschied deshalb mit Epiktet vornehmlich nicht in den Begriffen, sondern in den Wertungen, die hinter diesen Begriffen stehen. In

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Zweiter Teil – 2. Kapitel: Rechtsvergleichung

den Vereinigten Staaten sind diese Werte Freiheit, Individualismus, Populismus sowie Misstrauen gegenüber dem Staat, wohingegen der deutsche Zivilprozess durch die Menschenwürde, den Rechtsstaat und das Sozialstaatsprinzip geprägt wird. Tatsächlich ist das Recht in der Demokratie nur die Spiegelung der Men­ schen, die sich dafür entscheiden. In den Worten von Schiller: „Recht hat jeder eigene Charakter, der übereinstimmt mit sich selbst.“696

696 

Schiller, Wallensteins Tod (1799), Erster Aufzug, Siebenter Auftritt.

3. Kapitel

Schiedsverfahren In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist iura novit curia ein Problem. Zahlreiche Autoren und Praktiker stehen dem Prinzip mit Misstrauen oder gar offener Abneigung gegenüber.1 Der schwedische Jurist Wetter brachte dieses Gefühl wie folgt auf den Punkt: „Implementation of the maxim jura novit curia is singularly alien to the international arbitral process […] and may even be characterized as unethical if not as a serious procedural irregula­ rity.“2

Tatsächlich kann der Rechtsermittlungsvorgang Schwierigkeiten hervorrufen, die mit den Besonderheiten des Schiedsverfahrensrechts zusammenhängen. Die­ se äußern sich nicht nur in der Vollstreckungsphase, sondern wirken sich bereits bei der Ausgestaltung des Verfahrens aus. Schließlich beeinflussen nationale Richter den Ablauf von Schiedsverfahren über Aufhebungs- und Vollstreckungs­ entscheidungen.3 Der Wurzelgrund für die Praxisprobleme liegt im rechts­­kul­ turellen Vorverständnis der Schiedsverfahrensbeteiligten. Wie gesehen, weicht dieses Vorverständnis in Deutschland und den Vereinigten Staaten erheblich von­ einander ab.4 Insbesondere herrscht Uneinigkeit darüber, inwieweit der Richter das Recht selbst ermitteln sollte oder sogar muss und inwieweit die Parteien umgekehrt zum Rechtsvortrag oder gar Rechtsbeweis verpflichtet sein sollen. Es geht deshalb darum, den Rechtsermittlungsvorgang in Schiedsverfahren näher zu untersuchen, um sodann Vorschläge für im Einzelfall zweckmäßige Verhal­ tensweisen zu unterbreiten. Kritisch zu da mihi factum, dabo tibi ius Kessedjian, Revue de l’Arbitrage 1995, 381, 404. Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 93. 3 Das Schweizer Bundesgericht verlangt von Schiedsgerichten eine Rechtsanwendung von Amts wegen, BGer, Urteil v. 02.03.2001, Az.  4P.260/2000, Urteilsziffer 5 c). Die Cour d’appel de Paris hob hingegen einen Schiedsspruch auf, weil das Schiedsgericht von den Par­ teien nicht vorgetragene Vorschriften des einschlägigen ägyptischen Rechts anwandte, Cour d’appel de Paris, Gouvernement de la République arabe d’Egypte v. Société Malicorp Ltd, 19.06.2008, Revue de l’Arbitrage 2010, 108. 4 Die unterschiedlichen Verständnisse konvergieren nicht deshalb, weil ausführliche Rechtsausführungen in internationalen Schiedsverfahren „common practice“ sind; anders aber Schwenzer/Ali, 18 VJ 93, 107 (2014). Die Uneinigkeiten erstrecken sich auf inländisches und ausländisches Recht gleichermaßen, Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 1  2 

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Zu Beginn der Untersuchung steht eine Grundlegung. Darauf folgen Erläute­ rungen zum normativen Rahmen, Ausführungen zum Vorgang der Rechtsermitt­ lung aus Schiedsrichter- und Parteisicht sowie eine Zusammenfassung der Er­ gebnisse.

A. Grundlegung Obschon Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung für die Schiedsgerichtsbar­ keit tragend sind, lässt sich nicht jedes für die ordentlichen Gerichte herausge­ arbeitete Ergebnis unbesehen auf die Schiedsgerichtsbarkeit übertragen. In den Worten von Lowenfeld: „[I]nternational arbitration is not a mirror image of any given court or source of law, but a ­series of imperfect reflections and adaptations.“5

Die Gemeinsamkeiten, die zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bestehen, bilden in der Schiedsgerichtsbarkeit die Grundlage für Übereinstim­ mungen sowie einen gemeinsamen Ausgangspunkt.6 Es handelt sich um Er­ kenntnisse, die in zwei ansonsten verschiedenen Rechtsordnungen gleicherma­ ßen überzeugen.7 Neben den Gemeinsamkeiten legt die Rechtsvergleichung aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Rechtsordnungen offen. Diese Un­ terschiede lehren Bescheidenheit und warnen zugleich vor lauernden Gefahren. In Ansehung der entgegengesetzten nationalen Modelle wird in Schiedsver­ fahren keine einseitige Lösung auf allseitige Zustimmung stoßen. Vielmehr sind nicht nur die nationalstaatlichen Eigenheiten auszublenden, sondern vor allem die Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit einzublenden.8 Gewicht erlan­ gen dabei die Flexibilität internationaler Schiedsverfahren, die Finalität von Schiedssprüchen, die Effizienz der Schiedsgerichtsbarkeit als Streitbeilegungs­ mechanismus sowie der Vertraulichkeitsgrundsatz.9 In jedem Fall wird die be­ deutende Stellung der Parteiautonomie zu bedenken sein, weil die Autorität der Lowenfeld, 7 Mich. YB Int. Legal Stud. 163, 184 (1985). Bedeutung von Gemeinsamkeiten als Verständnisgrundlage betont auch Lowenfeld, 7 Mich. YB Int. Legal Stud. 163, 184 (1985). 7  Zu dieser Grundidee s. differenzierend Gaillard, ICCA Congress Series 1989, S.  283, 289. 8 Insbesondere das Staatsverständnis sowie die politische Grundhaltung sollte bei der Ermittlung von einer schiedsverfahrensrechtlichen Lösung außer Betracht bleiben, weil es sich hierbei um eine Kernursache für die Unterschiede zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten handelt, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. III. 2. 9  Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vermeintlichen Strukturprinzi­ pien der Schiedsgerichtsbarkeit von den anwendbaren Regeln abhängen, s. zu diesen ausführ­ lich Zweiter Teil, 3. Kapitel, B. 5 

6  Die

A. Grundlegung

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Schiedsrichter nicht auf einem staatlichen Richteramt, sondern auf Parteiwillen beruht.10 In einem ersten Schritt ist das Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zu ihren verfahrensrechtlichen Grundlagen zu beleuchten.11 Dabei geht es um Weichen­ stellungen, die für Schiedsrichter und Parteien gleichermaßen wegweisend sind. Aufgeworfen sind Kernfragen wie die Trennung zwischen Recht und Tatsachen, inländischem und ausländischem Recht, die Vermutung richterlicher Rechts­ kenntnis sowie der Umgang mit einem Ersatzrecht. Auch insoweit werden ­„reflections and adaptations“ erforderlich sein, um eine Übertragbarkeit auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu ermöglichen.

I. Recht und Tatsachen Sowohl im deutschen als auch im amerikanischen Prozessrecht ist die Unter­ scheidung zwischen Recht und Tatsachen ein grundlegendes Strukturprinzip. In dem bedeutenden Werk „Fouchard Gaillard Goldman on International Commer­ cial Arbitration“ schreiben die Autoren Gaillard und Savage allerdings für inter­ nationale Schiedsverfahren: „As an arbitral tribunal has no forum, it should consider all laws to be foreign laws, the content of which should be established as though it were an element of fact. The idea that foreign laws should be treated as issues of fact is well established in both common law and civil law systems and should apply in international arbitral practice.“12

Im Grundsatz trifft es zu, dass der Rechtsbegriff in unterschiedlichen Rechtsord­ nungen nicht deckungsgleich ist. Was in Deutschland „Recht“ ist, muss in den Vereinigten Staaten nicht law sein.13 In internationalen Schiedsverfahren werden diese Abgrenzungsprobleme weiter verstärkt, weil sich Beteiligte aus unter­ schiedlichen Rechtskreisen begegnen. Trotz dieser Schwierigkeiten wäre es ein geistesgeschichtlicher Rückschritt um Jahrhunderte, die Trennung zwischen Recht und Tatsachen einzuebnen.14 Ge­ 10  Schon aus diesem Grund wird iura novit curia in der Schiedsgerichtsbarkeit teils nicht für anwendbar gehalten, s. etwa Jones, 78 Arbitration 102, 112–113 (2012). Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Parteiautonomie auf der gesetzlichen Befugnis beruht, die staat­ liche Gerichtsbarkeit abzuwählen. Zu dem theoretischen Streit, ob sich inzwischen ein eigen­ ständiges transnationales Rechtssystem entwickelt hat, s. ausführlich Paulsson, LSE Law, ­Society and Economy Working Papers 2/2010, S.  1–34. 11  Gerade im Bereich der Grundlagen bestehen besonders viele Unstimmigkeiten in der Schiedsgerichtsbarkeit, s. ausführlich und kritisch Michaels, 1 Lond. Rev. Int. Law 35 (2013). 12  Gaillard/Savage, Fouchard Gaillard Goldman on International Commercial Arbitration (1999), S.  692. 13  Vergleichend zu den Rechtsbegriffen Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. III. 2. 14  Geistesgeschichtlich grundlegend Hume, A Treatise of Human Nature (1739), S.  244–

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

nau dazu führt aber die Aussage von Gaillard und Savage, weil das Sachrecht nach dieser Ansicht immer als Tatsache bewiesen werden müsste.15 Auch in Schiedsverfahren liegt der prozessuale Kernunterschied zwischen Recht und Tat­ sachen aber gerade darin, dass die Mitglieder des Schiedsgerichts die Tatsachen nicht miterlebt haben und diese nun vergangen sind. Recht ist hingegen als Sol­ lensanordnung niedergelegt; sein Inhalt lässt sich unabhängig vom konkreten Fall feststellen.16 Folglich setzen institutionelle Schiedsregeln und nationale Schiedsverfahrens­ gesetze die Trennung zwischen Recht und Tatsachen voraus und sehen die Ver­ antwortung für die Beibringung von Tatsachen regelmäßig bei den Parteien.17 Die Beweislast für Tatsachen trifft denjenigen, der sich auf diese beruft.18 In Rechtsfragen lassen sich derart klare Aussagen hingegen gerade nicht treffen.19 Anders als bei Tatsachen folgt aus der Zuordnung zu der Kategorie „Recht“ kei­ ne natürliche Aufgabenverteilung zwischen Parteien und Schiedsgericht. Entge­ gen der Ansicht von Wiegand besteht deshalb keine „untrennbare“ Verknüpfung zwischen Rechtsermittlungs- und Rechtsanwendungspflicht.20 Vielmehr lassen sich hier durchaus Unterscheidungen erkennen, die auf voneinander abweichen­ 245. Nach Kaufmann-Kohler, ASA Special Series No.  26, S.  79, 85 handelt es sich bei der Trennung zwischen Recht und Tatsachen um eine „transnational rule“. 15  Die Unterscheidung zwischen „Recht“ und „Tatsachen“ wäre nicht vollständig aufge­ hoben, weil Gaillard und Savage Verfahrensrecht weiterhin als Recht ansehen wollen, s. dazu Gaillard/Savage, Fouchard Gaillard Goldman on International Commercial Arbitration (1999), S.  644. Jedenfalls erscheint es als wenig überzeugend, die Einordnung von ausländischem Recht als Tatsache als „well established in both common law and civil law“ zu bezeichnen, s. dagegen etwa die Rechtslage in Deutschland unter Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 2. sowie in den Vereinigten Staaten Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 2. Wenig überzeugend deshalb Art.  7.1 der Prager Regeln. 16  Daran ändern die prozessualen Erleichterungen nichts, die im Zusammenhang mit un­ bekanntem Recht bestehen; vielmehr gibt es zu diesen im Bereich der Tatfrage gerade keine Parallele, s. Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  88. 17  Exemplarisch für die Klageschrift Art.  23 Abs.  1 S.  1 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1046 Abs.  1 S.  1 ZPO; Art.  5.2. lit.  v) DIS-Schiedsregeln; Art.  2.3. lit.  e) ICDR-Schiedsre­ geln. Der Beibringungsgrundsatz ist in Schiedsverfahren gelockert, weil das Schiedsgericht den Nachweis von Tatsachen verlangen darf, Art.  20.4. ICDR-Schiedsregeln; Art.  25 Abs.  5 ICC-Schiedsregeln. Im deutschen Zivilprozessrecht wurde der beschränkte Untersuchungs­ grundsatz in §  1034 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. mit der Reform gestrichen. Das ändert jedoch nichts daran, dass noch heute Streit um das Aufgabenprofil der Schiedsrichter besteht, s. statt aller Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1042 ZPO, Rn.  108 und 115. 18  Zu den komplexen Einzelheiten der Beweislast in Schiedsverfahren Kreindler, FS Elsing (2015), S.  277–291. 19  Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  88. Der Ansatz in Art.  7.1 der Prager Regeln geht deshalb schon im Ansatz fehl. 20  Zur Untrennbarkeitsthese Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 134.

A. Grundlegung

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de rechtskulturelle Ausgangspositionen zurückzuführen sind.21 Insgesamt kommt der begrifflichen Trennung zwischen Recht und Tatsachen folglich eine Wei­ chenstellungsfunktion zu, mit der sich in Schiedsverfahren die gedankliche Prü­ fung ebenfalls sinnvoll vorstrukturieren lässt.22

II. Inländisches und ausländisches Recht Gaillard und Savage möchten nicht nur alle Rechtsfragen dem Beweis zuweisen, sondern auch die Unterscheidung zwischen inländischem und ausländischem Recht aufgeben.23 Diesem Ansinnen tritt der deutsche Rechtsanwalt und Schieds­ richter Schütze entschieden entgegen: „Teilweise wird die Meinung vertreten, das Schiedsverfahren unterscheide nicht zwischen ­eigenem und fremdem Recht. Diese Ansicht geht von der Prämisse aus, dass das Schiedsver­ fahren keine lex fori kenne. […] Diese Prämisse ist unrichtig. Die lex fori wird nach deutschem Schiedsverfahrensrecht durch den Schiedsort bestimmt. Ausländisches Recht ist damit das Recht, das nicht mit dem Recht am Schiedsort übereinstimmt.“24

Diese Worte sind im Zusammenhang mit der Diskussion um eine „Delokalisie­ rung“ der Schiedsgerichtsbarkeit zu sehen.25 Anders als die Protagonisten dieser Irrlehre meinen, ist in Schiedsverfahren, worauf Schütze zu Recht hinweist, zwi­ schen der prozessualen lex arbitri und dem anwendbaren materiellen Sachrecht zu unterscheiden. Als Teil der Zivilprozessordnung möchte Schütze die Regelung in §  293 ZPO aber nicht tale quale auf Schiedsverfahren übertragen.26 Vielmehr weist er zu­ treffend darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen „inländischem“ und „aus­ ländischem“ Recht für den nationalstaatlichen Kontext geschaffen wurde.27 Für Staaten ist es naheliegend, höhere Anforderungen an Kenntnis und Ermittlung von inländischen Rechtsquellen zu stellen.28 Die Richter haben das inländische 21  Zwar

steht es Richtern sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten frei, die Rechtslage selbst und auf eigenen Antrieb zu ermitteln. Hierzu sind sie aber nur in Deutsch­ land und nicht in den Vereinigten Staaten verpflichtet, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 2. 22  So ebenfalls Kaufmann-Kohler, ASA Special Series No.  26, S.  79, 85. 23  Zu diesem Zitat s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, A. I. sowie Gaillard/Savage, Fouchard Gail­ lard Goldman on International Commercial Arbitration (1999), S.  692. 24  Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 722. Inhaltlich ebenso Schütze, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, 4.  Aufl. 2013, §  293 ZPO, Rn.  42. 25 Dazu s. Goode/Kronke/McKendrick, Transnational Commercial Law, 2.  Aufl. 2015, Rn.  19.78 ff. 26  Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4.  Aufl. 2013, §  293 ZPO, Rn.  45. 27 Ablehnend zur Übertragbarkeit auf Schiedsverfahren Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 512. 28 Treffend Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 268–269. Abgesehen davon ist die Auslegung

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Recht studiert, beherrschen die Sprache und verstehen die kulturellen Wertun­ gen. Anders als im nationalstaatlichen Kontext sind diese Voraussetzungen in internationalen Schiedsverfahren aber gerade nicht per se erfüllt. Es ist eine Ver­ mischung von Kategorien, die Wahl eines Schiedsortes mit der Wahl eines inlän­ dischen Rechts gleichzusetzen.29 Die Parteien wählen den Schiedsort wegen seiner lex arbitri und nicht, weil sie die amtswegige Anwendung seines materiel­ len Rechts wünschen.30 Es ist deshalb überzeugend, die Trennung zwischen inländischem und auslän­ dischem Recht für Schiedsverfahren aufzugeben und stattdessen von anwendba­ rem materiellem Recht zu sprechen.31 Es führt aber nicht weiter, die Kategorie des anwendbaren Rechts dann ihrerseits mit derjenigen des ausländischen Rechts gleichzusetzen.32 Ansonsten erhöbe man die Ausnahme des nationalen Verfah­ rensrechts in Schiedsverfahren zur Regel. Darüber hinaus wird bei der Kategorie des ausländischen Rechts die Existenz eines inländischen Rechts als mögliches Rückfallrecht stets mitgedacht. Inländisches und ausländisches Recht sind somit zwei Gegenbegriffe, die nur zusammen lebensfähig sind. Abgesehen davon weicht die Behandlung von ausländischem Recht in unterschiedlichen Rechts­ ordnungen erheblich voneinander ab, weshalb die Gleichsetzung von anwendba­ rem Recht mit ausländischem Recht letztlich mehr Fragen aufwirft als sie beant­ wortet. Insgesamt bietet es sich also an, sich von dem Begriffspaar „inländisch/ ausländisch“ vollständig zu lösen, und anstatt dessen in internationalen Schieds­ verfahren von „anwendbarem Recht“ zu sprechen.33 und Fortentwicklung des nationalen Rechts eine Ausübung von Hoheitsgewalt, die von Rich­ tern als Gliedern des Staates betrieben wird, s. zu den historischen Zusammenhängen Zweiter Teil, 1. Kapitel, B. II. 29 Deutlich Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 512: „La sede della procedura arbitrale non appare neanche lontanamente paragonabile al foro del giudice“. 30  Es ist deshalb überzeugend, die Existenz einer lex fori in Schiedsverfahren abzulehnen. So ebenfalls Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 512; Kaufmann-Kohler, ASA Special Series No.  26, S.  79, 80; Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 60 (2015); von Wobeser, ICCA Congress Series 2010, S.  207. 31  Dies entspricht der herrschenden Lehre, s. etwa Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolu­tion Journal 1, 4 (2015). 32 Ebenso Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1 (2015); Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 512; Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32; Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 497; Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 16 (2010); Kaufmann-Kohler, ASA Special Series No.  26, S.  79, 80; von Wobeser, ICCA Congress Series 2010, S.  207. Anders allerdings Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 60 (2015). 33  In diesen Kategorien schwingt stets ein nationalstaatliches Vorverständnis mit, das sich in der Folge auch auf die Beantwortung von Sachfragen im Schiedsverfahren auswirkt. Zur Notwendigkeit von neutralen Begriffen s. Goode/Kronke/McKendrick, Transnational Commer­ cial Law, 2.  Aufl. 2015, S.  202, Rn.  7.28 ff.

A. Grundlegung

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III. Rechtskenntnisvermutung Die Unterscheidung zwischen „inländischem“ und „ausländischem“ Recht be­ gründet bestimmte Rechtskenntnisvermutungen, die sich in staatlichen Gerichts­ verfahren auf die Beweisbedürftigkeit von Recht auswirken. So folgt aus der Rechtskenntnisvermutung im deutschen Recht, dass der Richter zur Ermittlung des inländischen Rechts bedingungslos verpflichtet ist. Hinter dieser Rechts­ kenntnisvermutung steckt ein Gedanke, der in Schiedsverfahren ebenfalls frucht­ bar gemacht werden kann. Schließlich kann ein bestimmtes materielles Recht für einen Schiedsrichter bekannt und damit eher „inländisch“ und für einen anderen unbekannt und damit eher „ausländisch“ sein.34 Es ist aber auch zu sehen, dass es in Schiedsverfahren gerade keine allgemeine Vermutung geben kann, wonach ein Schiedsrichter den Inhalt des anwendbaren Rechts kennen muss.35 Im praktischen Regelfall besteht nämlich nicht per se ein Gleichlauf zwischen der Rechtskenntnis der Entscheider und dem anwend­barem Recht. Stattdessen kann es durchaus vorkommen, dass die Schiedsrichter schon die Sprache des anwendbaren Rechts nicht verstehen. Zudem ist es in komplexen Verfahren nicht unüblich, Rechtsvorschriften aus mehreren unter­ schiedlichen Rechtsordnungen anzuwenden.36 Ad absurdum wird eine Rechts­ kenntnisvermutung geführt, wenn das Schiedsgericht ausschließlich mit juristi­ schen Laien besetzt ist.37 Aus der Ablehnung einer allgemeinen Rechtskenntnisvermutung folgt aber keineswegs der umgekehrte Schluss, wonach die Schiedsrichter über keine Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügten.38 Stattdessen ist es ein Kernvor­ teil der Schiedsgerichtsbarkeit, dass die Parteien das Schiedsgericht mit aner­ kannten Rechtsexperten besetzen können.39 Die Rechtskenntnis der Schiedsrich­ ter ist deshalb im Prozess der Schiedsrichterbenennung regelmäßig ein beson­ Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 512. Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 92 (2008); Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 723. 36  Zahlreiche Nachweise bei Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32–38. 37  Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 492 (2003); Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 220 (2011); Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 21 (2010). 38 Laut Schütze verfügen Schiedsrichter im internationalen Kontext häufiger als staatliche Richter über Kenntnisse im anwendbaren Recht, s. Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 722. In Schiedsverfahren ist es deshalb weniger überzeugend als im staatlichen Kontext, wenn ein Schiedsrichter die Anwendung des von den Parteien gewählten Rechts unter Bezugnahme auf seinen „ausländischen“ Charakter verweigert, von Wobeser, ICCA Congress Series 2010, S.  207, 209. Für eine negative Vermutung aber Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 45. 39  Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 38–39. 34 Treffend 35 

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

ders bedeutsamer Faktor.40 Es existieren deshalb zahlreiche Schiedsverfahren, in denen ein Schiedsrichter oder sogar mehrere Mitglieder des Schiedsgerichts durchaus über vertiefte Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügen. Insgesamt ist es folglich verfehlt, eine positive oder negative Rechtskenntnis­ vermutung an den Begriff des „anwendbaren Rechts“ zu knüpfen. Auseinander­ fallen oder Gleichlauf von schiedsrichterlicher Rechtskenntnis und anwendba­ rem Recht hängen vielmehr von der Zusammensetzung des Schiedsgerichts ab. So lässt sich etwa vermuten, dass ein im deutschen Recht geschulter Volljurist über Kenntnisse im deutschen Recht verfügt. Umgekehrt wird von einem ameri­ kanischen Juristen grundsätzlich nicht zu verlangen sein, dass er den Inhalt des deutschen Rechts kennt. Eine überzeugende Rechtskenntnisvermutung hängt deshalb letztlich von der Ausbildung, den Erfahrungen sowie dem Sonderwissen eines Schiedsrichters ab. Anders als im deutschen Kontext folgt aus einer schiedsrichterlichen Rechtskenntnisvermutung in Schiedsverfahren nicht per se eine Aussage zu Pflichten der Schiedsrichter, weil Schiedsrichterpflichten sich aus dem jeweils anwendbaren Verfahrensrecht ergeben.

IV. Ersatzrecht Die fehlende Übertragbarkeit der Unterscheidung zwischen inländischem und ausländischem Recht sowie die Besonderheiten im Umgang mit Rechtskenntnis­ vermutungen wirken sich unmittelbar auf das Institut des Ersatzrechts aus.41 Im nationalstaatlichen Kontext geht mit dem Begriffspaar „inländisch/ausländisch“ notwendig einher, dass die Richter jedenfalls das inländische Recht grundsätz­ lich kennen.42 Scheitern sie mit der Ermittlung des ausländischen Rechts, so steht deshalb im Notfall das inländische Recht als Notlösung zur Verfügung.43 Diese Lösung steht in internationalen Schiedsverfahren jedoch nicht bereit. Schiedsrichter können sich gerade nicht auf ein inländisches Recht zurückzie­ 40 Kenntnisse im anwendbaren Recht sind für 70  % der Umfrageteilnehmer besonders wichtig bei der Auswahl eines Schiedsrichters, Queen Mary Survey 2006, S.  16. Nach einer Folgeumfrage im Jahre 2010 wählten immer noch 51 % der Teilnehmer dieses Kriterium als besonders wichtig aus, Queen Mary Survey 2010, S.  16. 41 In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur wird dieser Umstand bislang nur selten aufgegriffen, s. aber ILA-Prinzip Nr.  4 Satz  2. Ausführlich zu den ILA-Prinzipien s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 4. a). 42  Es ist unzutreffend, das anwendbare Recht in Schiedsverfahren lediglich mit „auslän­ dischem“ Recht zu vergleichen; s. zu diesem methodischen Ansatz aber statt aller Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 7–12. 43  Die Gerichte in Deutschland und den Vereinigten Staaten neigen in mehr oder weniger begrenzten Fällen zu einem Heimwärtsstreben, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 2. b) sowie B. I. 2. c) und d).

A. Grundlegung

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hen, weil es im Schiedsverfahren kein inländisches Recht gibt. Schon aus diesem Grund kann es in Schiedsverfahren keine Vermutung geben, wonach das an­ wendbare Recht mit dem inländischen Recht identisch wäre.44 Anders als in staatlichen Gerichtsverfahren ist die schiedsrichterliche Rechtskenntnis außer­ dem nicht zwingend einheitlich verteilt. Ein Recht, das einem Schiedsrichter be­ kannt ist, kann für einen anderen Schiedsrichter unbekannt sein.45 Daraus folgt jedoch nicht, dass Schiedsrichter die Klage schlichtweg abwei­sen oder nach Billigkeit entscheiden dürften.46 Nach dem Willen der Parteien sind sie vielmehr in jedem Fall zu einer Entscheidung unter Anwendung von recht­li­chen Regeln berufen.47 Überdies dürfen sich Schiedsrichter der Anwen­ dung unbekannten Rechts gerade nicht über eine forum non conveniens-Doktrin entziehen. Stattdessen sind sie gerade das forum conveniens für den Umgang mit Fremdrechtsfragen. Demzufolge ist es grundsätzlich die Aufgabe des Schieds­ gerichts, ein im Einzelfall passendes Ersatzrecht zu finden. Dieses Ersatzrecht sollte nicht das­jenige sein, welches der berichterstattende Schiedsrichter am bes­ ten kennt.48 Schließlich passt das bekannte Recht nicht notwendig zu dem Rechtsstreit.49 Nach allem zeigt sich auch im Umgang mit dem Ersatzrecht, dass Schieds­ verfahren kein Spiegelbild staatlicher Gerichtsverfahren sind.50 Die Wahl des Ersatzrechts ist letztlich Ausdruck und Fortsetzung der Internationalität von 44  Ebenso ILA-Prinzip Nr.  4 Satz  2. Wenig überzeugend insoweit die Entscheidung Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1256–1258. 45  Der Grund dafür liegt darin, dass der Vorsitzende aus Neutralitätsgründen nicht selten über eine andere Nationalität als die parteibenannten Schiedsrichter verfügt, s. dazu Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283. 46  Art.  28 Abs.  1 und 3 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  1 und 3 ZPO; Art.  24.2 und 24.4. DIS-Schiedsregeln; Art.  31 Abs.  1 S.  1 und Abs.  3 ICDR-Schiedsregeln. Obschon Schiedsrichter theoretisch in gewissen Fällen ihr Mandat niederlegen können, sind sie nach dem Schiedsrichtervertrag grundsätzlich zur Streitentscheidung durch Erlass eines Schieds­ spruchs verpflichtet, s. Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2008–2011 m. w. N. Folglich gilt auch für Schiedsgerichte das Rechtsverweigerungsverbot. 47 Weiterführend Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1997–1999 sowie B. Berger, 31 ASA Bulletin 244, 254–255 (2013). 48  Treffend ILA-Prinzip Nr.  4 Satz  2. Allerdings finden sich in ILA-Prinzip Nr.  15 keine Hinweise, wie ein Ersatzrecht im Einzelfall ermittelt werden soll. 49  Diese Kritik wird im nationalen Kontext ebenfalls geäußert, weshalb auch dort durchaus unterschiedliche Ansätze vorgeschlagen werden, s. statt aller Kreuzer, NJW 1983, 1943. 50  In Übereinstimmung mit dem Ansatz von Kreuzer kann es in Schiedsverfahren eben­ falls sinnvoll sein, ein allen Beteiligten bekanntes Einheitsrecht anzuwenden, s. zu dieser Grundidee Kreuzer, NJW 1983, 1947–1949. Auch ein Einheitsrecht ist aber nicht unbedingt ein funktionales Äquivalent zu einem nationalen Recht, weil es vielmals an einheitlicher Recht­ sprechung zu einzelnen Streitfragen fehlt.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Schiedsverfahren.51 Es bleibt deshalb nur, die Besonderheiten im Umgang mit „inländischem“ und „ausländischem“ Recht, den Rechtskenntnisvermutungen sowie dem Ersatzrecht bei der Rechtsermittlung in Schiedsverfahren stets mitzu­ denken und das eigene Vorverständnis bei jeder Sachfrage kritisch mit Blick auf die Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit zu hinterfragen.

B. Normativer Rahmen Nicht nur die Rechtskenntnis der Schiedsrichter, sondern auch die anwendbaren rechtlichen Verfahrensregeln sind in der Schiedsgerichtsbarkeit relativ.52 Sie hängen von einem vielschichtigen Zusammenspiel von völkerrechtlichen Verträ­ gen, nationalem Schiedsverfahrensrecht sowie vertraglichen Regelungen der Parteien ab. Zugleich folgt aus der Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten, dass die Frage nach der Beweisbedürftigkeit von Recht nicht abstrakt und allgemein­ verbindlich für alle Schiedsverfahren zugleich beantwortet werden kann; die ein­ zelstaatliche Rechtsprechung zu Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungs­ gründen ist im Zusammenhang mit der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung nicht einheitlich.53 Im Ausgangspunkt sprechen weder die New York Convention noch das ­UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration den schieds­ richterlichen Rechtsermittlungsvorgang ausdrücklich an.54 Stattdessen fehlt es in Übereinstimmung mit dem schiedsverfahrensrechtlichen Flexibilitätsgrundsatz fast vollständig an beweisrechtlichen Vorschriften.55 Es liegt deshalb in den Händen der Parteien und Schiedsrichter, das Verfahren nach den Umständen des Besonders deutlich zeigt sich dies an „international choice of law rules“, s. Born, Interna­ tional Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2651–2652. 52 Grundlegend Paulsson, LSE Law, Society and Economy Working Papers 2/2010, S.  1–­ 34. 53  Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 514–518 sowie Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 493–497. 54 Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, New York, 10. Juni 1958, United Nations, Treaty Series, vol.  330, S.  3, BGBl. II 1961, S.  121 sowie UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, General Assembly resolu­ tion 40/72 (1985) einschließlich der Ergänzungen von 2006, s. dazu General Assembly resolu­ tion 61/33 (2006). Zum Fehlen einer ausdrücklichen Regelung statt aller Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 207 (2011). 55  Ansätze finden sich lediglich in Art.  26 und 27 UNCITRAL-Modellgesetz, die allerdings bei einer entgegenstehenden Parteivereinbarung nach Art.  19 Abs.  1 UNCITRAL-­Modellgesetz zurücktreten, s. dazu die Begründung in Explanatory Note by the UNCITRAL Secretariat on the 1985 Model Law on International Commercial Arbitration as amended in 2006, S.  32–33 mit Rn.  34–36. 51 

C. Schiedsrichter

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Einzelfalles zu gestalten.56 Lediglich aus den Regelungen über die Rechtsanwen­ dung sowie die Schriftsatzgestaltung lassen sich gewisse Hinweise zur schieds­ richterlichen Rechtsermittlung ableiten. Diese Hinweise genügen aber regelmä­ ßig nicht, um eine klare Lösung aus dem anwendbaren Recht selbst abzulesen. In Ermangelung einer eindeutigen gesetzlichen Regelung wandert der Blick unweigerlich in die Schiedsregeln der bekannten Schiedsinstitutionen. Aller­ dings finden sich auch dort regelmäßig keine klaren Aussagen.57 An einer trans­ nationalen oder gar einheitlichen Schiedspraxis fehlt es ebenfalls.58 Einschlägi­ ge soft law-Instrumente sind schon ihrer Natur nach unverbindlich.59 Insgesamt ist die Frage der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung im praktischen Regelfall nicht ausdrücklich geregelt. Es wäre aber verkürzt, die bestehende Lücke allein unter Hinweis auf das all­ gemeine schiedsrichterliche Ermessen zu füllen. Vielmehr ist geboten, das Zu­ sammenspiel der anwendbaren Verfahrensvorschriften vor dem Hintergrund der jeweiligen Aufgaben von Parteien und Schiedsrichtern zu entfalten. Schließlich verschwindet die schiedsrichterliche Rechtsermittlung nicht in einem regulatori­ schen Vakuum, sondern bewegt sich ihrerseits innerhalb eines normativen Rah­ mens, weil die Schiedsgerichtsbarkeit ihre Legitimität aus der staatlichen Aner­ kennung ihrer Ergebnisse bezieht.60

C. Schiedsrichter Trotz aller Relativität steht eines fest: Am Ende müssen die Schiedsrichter den Rechtsstreit entscheiden.61 Obschon es arbitration heißt, sollte diese Entschei­ 56  Ein Ermessen des Schiedsgerichts besteht nach Art.  19 Abs.  2 UNCITRAL-Modell­gesetz nur dann, wenn es an einer ausdrücklichen Parteivereinbarung fehlt. Einigen die Parteien sich auf eine Haltung zur schiedsrichterlichen Rechtsermittlung, ist eine Lösung für das Problem gefunden, s. Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 228 (2011). 57  Eine immer wieder zitierte Ausnahme stellt Art.  22.1 lit.  iii) LCIA-Schiedsregeln dar, der sich aber lediglich mit der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungsbefugnis befasst. Ähnli­ che Ansätze finden sich inzwischen auch in Art.  6 Abs.  2 PCC-Schiedsregeln sowie Art.  27 lit.  m) SIAC-Schiedsregeln. Weiterführend Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 58  Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 506; Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 635 (2005); Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 94 (2008). 59  Namhafte Autoren meinen sogar, soft law erhöhe die Unsicherheit in diesem Zusam­ menhang noch zusätzlich, s. etwa Kessedjian, Revue de l’Arbitrage 1995, 381, 404. 60 Grundlegend Gaillard, Recueil des cours 329 (2007), S.  49, 91. 61  Das Rechtsverweigerungsverbot ergibt sich in Schiedsverfahren aus dem Mandat des Schiedsgerichts, s. Gaillard/Savage, Fouchard Gaillard Goldman on International Commercial Arbitration (1999), S.  12–14.

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dung nicht arbitrary sein.62 Das Schiedsgericht hat die Streitigkeit vielmehr un­ zweifelhaft in Übereinstimmung mit den anwendbaren Rechtsvorschriften zu beurteilen.63 Dennoch sind die Positionen verhärtet, wenn es um die Ermittlung des Inhalts dieser Rechtsvorschriften geht.64 Der Schweizer Schiedsrichter und Rechtshistoriker Wiegand meint etwa: „[Es] ist selbstverständlich, dass das Gericht berechtigt und verpflichtet ist, jede Grundlage zu prüfen, aus der sich der geltend gemachte Leistungsanspruch ableiten lässt. […] [Dieser Grundsatz findet] auf das Verfahren vor Schiedsgerichten grundsätzlich in unveränderter Weise Anwendung.“65

Dagegen sieht die ebenfalls aus der Schweiz stammende Schiedsrichterin Kaufmann-Kohler folgende Regel als überzeugend an: „The Parties shall establish the contents of the law applicable to the merits. The Arbitral Tri­ bunal shall have the power, but not the obligation, to make its own inquiries to establish such contents.“66

Diese beiden Auffassungen überschneiden sich mit den Ergebnissen des rechts­ vergleichenden Teils. In Deutschland handelt es sich bei der Rechtsermittlung um die Aufgabe des Gerichts, in den Vereinigten Staaten liegt die Verantwortung für die Beibringung von Recht hingegen bei den Parteien.67 Dahinter stecken unterschiedliche Vorverständnisse, die sich auf den Vorgang der Rechtsermitt­ lung in Schiedsverfahren ebenfalls auswirken.68 62  Haben die Parteien das Schiedsgericht nicht zur Entscheidung als amiable compositeur ermächtigt, so muss es den Schiedsspruch in Übereinstimmung mit dem anwendbaren Recht fällen, Art.  28 Abs.  3 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  3 ZPO; Art.  24.4. DIS-Schieds­ regeln; Art.  31 Abs.  3 ICDR-Schiedsregeln. 63  Art.  28 Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  1 ZPO; Art.  31 Abs.  1 S.  1 ICDR-Schiedsregeln. Die Änderungen in Art.  24 DIS-Schiedsregeln sind vornehmlich redakti­ oneller Art; allerdings ist die neue Regelung sprachlich weniger eindeutig als die Vorlage aus dem Modellgesetz. Mit der Modernisierung sollte jedoch nicht die Rechtsbindung des Schieds­ gerichts beseitigt werden. Für einen ersten Überblick zu den Änderungen in Art.  24 DIS-Schiedsregeln s. Das Gupta, SchiedsVZ-Beilage 2018, 44, 65. 64 Grundlegend Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87. 65  Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 134. 66  Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). 67  In der Tat möchte Kaufmann-Kohler sich für Schiedsverfahren ausdrücklich am amerika­ nischen Ansatz orientieren, s. Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). Ausführlich zu den Unterschieden Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 68 Zur Bedeutung des Vorverständnisses in Schiedsverfahren Berger, 25 Arb. Int’l 217 (2009). Besonders klar prallten die Vorverständnisse in der neu eingefügten Anlage 3 zu den DIS-Schiedsregeln aufeinander: Die Mitteilung der vorläufigen Einschätzung des Schieds­ gerichts zur Sach- und Rechtslage wurde auf ausdrückliches Verlangen der internationalen Mit­ glieder der Arbeitsgruppe auf den Fall begrenzt, in dem alle Parteien einwilligen.

C. Schiedsrichter

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Der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht gedanklich vorausgesetzt ist eine entsprechende Befugnis. Schon die Einzelheiten dieser Befugnis berüh­ ren verschiedene Grundfragen des Schiedsverfahrens und rufen eine Reihe von Rechtsproblemen hervor. Zugleich begrenzt die Befugnis ihrerseits die Reich­ weite einer etwaigen Pflicht. Sollten die Schiedsrichter zur Rechtsermittlung nicht verpflichtet sein, kommt schiedsrichterliches Ermessen in Betracht. Für diesen Fall ist herauszuarbeiten, in welchem Verhältnis Ermessen und Befugnis zueinander stehen und welche Gesichtspunkte die Schiedsrichter bei ihrer Er­ messensausübung beachten sollten.

I. Schiedsrichterliche Befugnis In der schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion herrscht keine Einigkeit darüber, was unter iura novit curia zu verstehen ist. Von zahlreichen Autoren wird der Kern darin gesehen, dass Richter die Rechtsausführungen der Parteien in ihrer Entscheidung überschreiten dürfen.69 Diese Definition sorgt auf den ersten Blick für Verwirrung, weil amerikanische Richter grundsätzlich ebenso zur eigenstän­ digen Rechtsermittlung befugt sind wie ihre deutschen Kollegen.70 Hierbei sind sie nach der Rechtsprechung des Supreme Court nicht an die Rechtsausführun­ gen der Parteien gebunden.71 Gleichzeitig soll der Grundsatz iura novit curia in den Vereinigten Staaten aber gerade unbekannt und unanwendbar sein.72 Die begriffliche Unsicherheit wird durch derartige Aussagen allerdings nur gesteigert. Entscheidend ist, dass die Auseinandersetzung um die schiedsrichter­ liche Rechtsermittlungsbefugnis in unterschiedlichen Einschätzungen zur Machtverteilung zwischen den Parteien und dem Schiedsgericht wurzelt. Der rechtsvergleichende Hintergrund der voneinander abweichenden Vorverständ­ nisse zeigt sich am Vergleich zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. In Deutschland ist die richterliche Rechtsermittlungsbefugnis des staatlichen Richters fast unumgrenzt, wohingegen in den Vereinigten Staaten insbesondere 69  Eindeutig die Definition bei Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 670 mit Fn.  1 (2012). Ebenso Wahab, FS El-Kosheri (2015), S.  3; Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32; Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490, 491 (2014). Unklar Capper/Ljungström/ Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32 sowie 40. 70  Vertiefend zu den Gemeinsamkeiten Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. I. 71  Johnson v. City of Shelby, Miss., 135 S.Ct. 346 (2014); Town of South Ottawa v. Perkins, 94 U.S.  260, 267 (1876). 72 So für alle „common law jurisdictions“ Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490, 491 (2014). Allerdings weisen Meier und McGough ausdrücklich auf Ausnahmen in England hin. Vielmals wird die Position der Vereinigten Staaten jedenfalls in Bezug auf ausländisches Recht als Mittelweg oder „hybrid approach“ bezeichnet, s. statt aller Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 41.

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das adversary system, das rechtliche Gehör sowie die richterliche Neutralität als Schranken fungieren. Vor diesem Hintergrund geht es zunächst darum, die Existenz einer schieds­ richterlichen Rechtsermittlungsbefugnis herzuleiten sowie ihre einzelnen Strän­ ge zu entbündeln. Gerade wenn es um die Reichweite der Befugnis geht, treffen die unterschiedlichen rechtskulturellen Vorverständnisse aufeinander. Die Kern­ schwierigkeit liegt darin, die Schranken der schiedsrichterlichen Befugnis ge­ nauer auszuloten und mit den normativen Rahmenbedingungen der Schiedsge­ richtsbarkeit in Einklang zu bringen. Dabei entfalten nicht nur die Vollstreckungs­ versagungsgründe der New York Convention, sondern auch die Vorschriften der lex arbitri sowie getroffene Parteivereinbarungen ihre jeweils eigene Relevanz. Zuerst wird auf die Herleitung der Rechtsermittlungsbefugnis, dann auf ihre Schranken und abschließend auf die Möglichkeit der Einbeziehung Dritter ein­ gegangen. 1. Herleitung Die Befugnisse des Schiedsgerichts zur Entfaltung von Rechtsprechungstätig­ keiten wurzeln im staatlichen Gesetz.73 Ohne eine staatliche Vollstreckungsmög­ lichkeit wäre ein Schiedsspruch nur ein Stapel Papier. Schon deshalb kann die französische Auffassung von der „Delokalisierung“ der Schiedsgerichtsbarkeit nicht überzeugen.74 In zahlreichen Rechtsordnungen gestatten die New York Convention sowie die lex arbitri es den Parteien erst, die staatliche Gerichts­ barkeit zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit abzubedingen.75 Zugleich werden Schiedssprüche wie Urteile anerkannt.76 §  1055 Abs.  1 ZPO stellt dementspre­ chend für Deutschland fest, dass die Befugnis zur Rechtsprechung bei Abschluss einer Schiedsvereinbarung nicht mehr bei den staatlichen Gerichten, sondern bei einem Schiedsgericht liegt.

73 Zu

dem theoretischen Streit, ob sich inzwischen ein eigenständiges transnationales Rechtssystem entwickelt hat, s. ausführlich Paulsson, LSE Law, Society and Economy Work­ ing Papers 2/2010, S.  1–34. 74  Vertiefend zu den theoretischen Grundlagen Kronke, Quaderni dell’Arbitrato 3 (2011), S.  18. 75 In der New York Convention liegt der Urgrund für den Erfolg der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, s. statt aller Radicati di Brozolo, ICCA Congress Series 2012, S.  74, 77. 76  Schiedssprüche sind sogar vielmals leichter grenzüberschreitend vollstreckbar als staat­ liche Urteile, Paulsson, The Idea of Arbitration (2013), S.  16. Die Kernvorschriften zur Aner­ kennung von Schiedsvereinbarungen sowie zur Vollstreckung des Schiedsspruchs finden sich in Art. II und Art. V der New York Convention.

C. Schiedsrichter

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Näher ausgeformt wird die schiedsrichterliche Rechtsprechungsbefugnis von einem Zusammenspiel zwischen lex arbitri und Parteivereinbarungen.77 Das an­ wendbare Schiedsverfahrensgesetz gewährt den Parteien regelmäßig ausgepräg­ te Freiheit bei der Gestaltung des Verfahrens.78 Sie dürfen die Befugnisse des Schiedsgerichts in der Schiedsvereinbarung selbst oder aber über die Einbezie­ hung von institutionellen Schiedsregeln konkretisieren.79 Die parteiautonomen Regelungen verdrängen die dispositiven Vorschriften der lex arbitri. Aus der allgemeinen schiedsrichterlichen Befugnis zur Streitentscheidung lässt sich nicht per se eine Befugnis zur selbsttätigen Rechtsermittlung ableiten. Vielmehr bedarf eine solche Befugnis der eigenständigen Begründung.80 Sei­ nerseits lässt sich der Vorgang der Rechtsermittlung in zwei gedankliche Schritte aufgliedern: einerseits die Beschaffung der rechtlichen Urteilsgrundlagen und andererseits die Einbringung schiedsrichterlicher Rechtskenntnis.81 Beide Tä­ tigkeiten müssen dem Schiedsgericht nach der lex arbitri sowie den einschlägi­ gen Parteivereinbarungen gestattet sein, damit es in seiner Rechtsanwendung über die Rechtsausführungen der Parteien hinaus tätig werden darf.82 Einzugehen ist zuerst auf die Beschaffung der rechtlichen Urteilsgrundlagen, dann auf ihre Einbringung und schließlich auf den Ausschluss der Befugnis. a) Rechtsbeschaffung Die eigenständige Beschaffung der rechtlichen Urteilsgrundlagen ist im nationa­ len Zivilprozessrecht eine Frage des Beweisrechts, die sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten dahingehend beantwortet wird, dass die Richter

77  Vertiefend zu den Einzelheiten Gaillard/Savage, Fouchard Gaillard Goldman on Inter­ national Commercial Arbitration (1999), S.  632–652. 78  Der Grundsatz der Parteiautonomie wird immer wieder als „corner stone“ der interna­ tionalen Schiedsgerichtsbarkeit bezeichnet, s. statt aller Rubino-Sammartano, International Arbitration, Law and Practice, 3.  Aufl. 2014, S.  1557 sowie exemplarisch Art.  19 Abs.  1 ­UNCITRAL-Modellgesetz und §  1042 Abs.  3 ZPO. 79 Tatsächlich verringern institutionelle Schiedsregeln die Parteiautonomie der Parteien faktisch dadurch, dass die Parteien selten von den vorgefertigten Lösungen abweichen, s. Gaillard/Savage, Fouchard Gaillard Goldman on International Commercial Arbitration (1999), S.  32–34. 80  Ausführlich zur Herleitung Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 17–20 (2010). 81  Diese gedankliche Trennung findet sich bei Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 496 (2003) sowie bei Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 129. 82 Ansonsten droht die Aufhebung oder Vollstreckungsversagung, s. Art.  34 Abs.  2 lit.  a) iii) Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz sowie Art. V Abs.  1 lit.  c) New York Convention.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

in ihrer Ermittlungstätigkeit frei sind.83 Die Regeln des Beweisrechts finden auf richterliche Rechtsrecherchen folglich gerade keine Anwendung.84 Die erste Verwirrung um die Befugnis von Schiedsrichtern wurzelt bereits da­ rin, dass Recht in Schiedsverfahren bisweilen als Tatsache und das anwendbare Recht generell mit ausländischem Recht gleichgesetzt wird.85 In Übereinstim­ mung mit der Grundidee des englischen Rechts wären dann ausschließlich die Parteien zum Rechtsvortrag berufen und die Schiedsrichter schon nicht zu Re­ cherchen befugt.86 Dieser Ansatz verdient jedoch keine Zustimmung. Schiedsrichter sind viel­ mehr im Gleichlauf mit dem deutschen und amerikanischen Verständnis befugt, sich eigenständig Rechtskenntnis zu beschaffen. Teils ist dies in institutionellen Schieds­­ verfahrensregeln ausdrücklich geregelt, teils ergibt es sich aus dem schiedsrichterlichen Ermessen zur Verfahrensgestaltung.87 Es darf keinen Un­ terschied machen, ob ein Schiedsrichter zufällig eine Rechtsvorschrift oder eine einschlägige Entscheidung kennt oder nicht. Gerade der Schiedsrichter, der bis­ lang noch nicht über einschlägiges Wissen verfügt, muss sich eigenständige Kenntnis verschaffen dürfen. Ansonsten wäre eine Partei benachteiligt, deren parteibenannter Schiedsrichter das anwendbare Recht zu Beginn des Verfahrens nicht kennt. Letztlich ist die Befugnis zur Kenntnisbeschaffung Kernbestandteil der schiedsrichterlichen Neutralität und gleichzeitig Ausdruck der gleichgewich­ tigen Entscheidungsautorität innerhalb des Schiedsgerichts.88 In Ermangelung einer entgegenstehenden Parteivereinbarung ist der Inhalt dieser eigenständigen Rechtsbeschaffungsbefugnis denkbar weit.89 Grundsätz­ 83  Ausführlich

Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. 1. Konzept der judicial notice s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. sowie für den Rechtsbeweis in Deutschland Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 1. Die Einschränkung, die in den Vereinigten Staaten besteht, bezieht sich auf die Einbringung ausländischen Rechts, nicht auf dessen Recherche, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 2. 85 So Gaillard/Savage, Fouchard Gaillard Goldman on International Commercial Arbitra­ tion (1999), S.  691. 86 Deutlich Fentiman, 108 T.L.Q.R. 142, 147 (1992): „It prevents a judge from conducting personal research into foreign law and commits the parties to proving foreign law just as they would other facts.“ 87  Ausdrücklich Art.  22.1 lit.  iii) LCIA-Schiedsregeln; Art.  6 Abs.  2 PCC-Schiedsregeln; Art.  27 lit.  m) SIAC-Schiedsregeln. Zum Ermessen s. etwa Art.  19 Abs.  2 UNCITRAL-Modell­ gesetz; §  1042 Abs.  4 ZPO. Obschon eine Vielzahl an unterschiedlichen institutionellen Schiedsregeln und Schiedsverfahrensgesetzen existiert, ist keine Regel bekannt, in denen Schiedsrichtern eine eigenständige Rechtsrecherche verboten wäre. 88  Schütze spricht von einer „Waffengleichheit“ zwischen den Schiedsrichtern, s. Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 723. 89 Die Parteien können der schiedsrichterlichen Rechtsbeschaffung aus Kostengründen entgegentreten, s. dazu Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 219–220 (2011). Allerdings lässt sich 84 Zum

C. Schiedsrichter

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lich darf der Schiedsrichter auf alle Materialien zurückgreifen, die ihm bei dem Verständnis des anwendbaren Rechts helfen.90 Davon ist umfasst, Rechtsvor­ schriften, Gerichtsentscheidungen, Gesetzgebungsmaterialien und juristische Fachliteratur zu studieren. Ebenso ist es einem Schiedsrichter gestattet, Über­ setzungen von Gesetzesvorschriften oder Gerichtsentscheidungen anfertigen zu lassen.91 Innerhalb des Schiedsgerichts sind die Schiedsrichter überdies befugt, mit anderen Mitgliedern des Schiedsgerichts über rechtliche Fragen zu sprechen. Unter Beachtung der schiedsverfahrensrechtlichen Vertraulichkeit erscheint es außerdem unbedenklich, wenn Schiedsrichter mit Fachkollegen über abstrakte Rechtsfragen diskutieren oder sich allgemein nach aktueller Rechtsprechung er­ kundigen. b) Rechtseinbringung Ihre praktische Verwirklichung erlangen die Rechtskenntnisse des Schiedsge­ richts dadurch, dass sie im Schiedsverfahren angewandt sowie dem Schieds­ spruch zugrunde gelegt werden. Die Kernfrage lautet dabei, ob die Schieds­richter in ihrer Rechtsanwendungstätigkeit über die Rechtsausführungen der Parteien hinausgehen dürfen.92 Der Grund für diese Frage ist erneut in der Rechtsverglei­ chung zu suchen. So dürfen staatliche Gerichte ausländisches Recht in den Ver­ einigten Staaten nur anwenden, wenn eine der Parteien sich auf entsprechende Vorschriften im Verfahren beruft.93 Englische Gerichte sind darüber hinaus in Übereinstimmung mit der fact theory sogar an die Rechtsausführungen der Par­ teien zu ausländischem Recht gebunden.94 Anders als die genannten nationalen Gerichte unterliegen Schiedsgerichte je­ doch keiner entsprechenden Bindung.95 Sogar nach dem englischen Schieds­ verfahrensrecht sind Schiedsrichter ausdrücklich befugt, die Initiative bei der Feststellung des Rechtsinhalts zu übernehmen.96 Eine Reihe von institutionel­ len Schiedsregeln sieht eine gleichlaufende Ermächtigung der Schiedsrichter einem Schiedsrichter in der Praxis kaum wirkungsvoll verbieten, eigenständige Recherchen anzustellen; es wird sich kaum je nachweisen lassen, woher ein Schiedsrichter sein Wissen hat. 90 Weiterführend Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 723. 91  Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 724. 92  Statt aller Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1–31. 93  FRCP 44.1. sowie Ruff v. St. Paul Mercury Ins. Co., 393 F.2d 500 (2nd Cir. 1968). Aus­ führlich Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 2. sowie C. II. 1. 94 Grundlegend Earl of Nelson v Lord Bridport (1845), 50 E.R. 207. Zu den Einzelheiten sowie Einschränkungen s. Fentiman, 108 T.L.Q.R. 142, 147–148 (1992). 95 Hieran zeigt sich erneut, dass die Unterscheidung zwischen in- und ausländischem Recht in Schiedsverfahren in die Irre führt, s. dazu Zweiter Teil, 3. Kapitel, A. II. 96  Section 34(2)(g) Arbitration Act 1996: „It shall be for the tribunal to decide […] whether and to what extent the tribunal should itself take the initiative in ascertaining the facts and the

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ebenfalls vor. Dies ist etwa in den Schiedsregeln des London Court of Interna­ tional Arbitration, der polnischen Handelskammer sowie des Singapore International Arbitration Centre der Fall.97 Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, dann fließt die Rechtseinbrin­ gungsbefugnis aus der allgemeinen schiedsrichterlichen Befugnis zur Verfah­ rensgestaltung.98 Grundsätzlich sind die Schiedsrichter in zahlreichen instituti­ onellen Schiedsregeln befugt, den Sachverhalt selbst zu ermitteln.99 Wenn sie den Sachverhalt selbst ermitteln dürfen, so muss dies a maiore ad minus für das Recht ebenfalls gelten. Außerdem dürfen die Schiedsrichter nicht allein deshalb zur fehlerhaften Rechtsanwendung gezwungen sein, weil die Parteien das Recht falsch verstanden haben.100 Aus diesen Gründen erkennen staatliche Gerichte die Existenz einer schieds­ richterlichen Rechtseinbringungsbefugnis ebenfalls einvernehmlich an.101 Im Ergebnis besteht deshalb Einigkeit sowohl bezüglich der Existenz einer Befugnis zur Rechtsbeschaffung als auch einer Befugnis zur Rechtseinbringung. Diese beiden Befugnisse fügen sich zu einer allgemeinen Rechtsermittlungsbefugnis zusammen.102 law.“ Speziellere Rechtsermittlungsbefugnisse sehen Art.  1044 Rv. (Niederlande) sowie Art.  27 Abs.  2 Voldgiftsloven (Dänemark) vor. 97  Art.  22.1 lit.  iii) LCIA-Schiedsregeln; Art.  6 Abs.  2 PCC-Schiedsregeln; Art.  27 lit.  m) SIAC-Schiedsregeln. In diese Richtung auch Art.  35 Abs.  3 CIETAC-Schiedsregeln. 98 Ebenso Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 519; Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 108. 99  Art.  28.2. Satz  1 DIS-Schiedsregeln; Art.  29 Abs.  1 Satz  1 VIAC-Schiedsregeln. Ähnlich Art.  25 CAM-Schiedsregeln; Art.  25 Abs.  1 ICC-Schiedsregeln. Die neu eingefügte Anlage  3 zu den DIS-Schiedsregeln sieht sogar vor, dass das Schiedsgericht mit Einwilligung der Partei­ en eine vorläufige Einschätzung zur Sach- und Rechtslage abgeben darf. Eine solche Einschät­ zung kann das Schiedsgericht anlässlich einer Verfahrenskonferenz nur sinnvoll abgeben, wenn es sich zuvor auf eigenen Antrieb mit der Schlüssigkeit der Klage beschäftigt hat. Eine solche Beschäftigung setzt die Existenz einer Rechtsermittlungsbefugnis voraus. 100 Die Schiedsrichter dürfen nicht wegen einer falsch verstandenen Bindung dazu ge­ zwungen sein, einen gegen den ordre public verstoßenden Schiedsspruch zu erlassen, s. Art. V Abs.  2 lit.  b) New York Convention. 101  BGH, Urteil v. 12.07.1990, Az. III ZR 174/89, Rn.  9, NJW 1990, 3210, 3211; BGH, Urteil v. 08.10.1959, Az. VII ZR 87/58, BGHZ 31, 43; Ministry of Defense of the Islamic Republic of Iran v. Gould, Inc., 969 F.2d 764, 771 (9th Cir. 1991). Weitere Rechtsprechungsnach­ weise bei Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 4–5 (2015). Ebenso ILA-Prinzip Nr.  7. Anders aber Art.  7.2. der Prager Regeln. Ausführlich zu diesen soft law-Instrumenten s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 4. 102 Treffend Mentschikoff, 61 Colum. L. Rev. 846, 847 mit Fn.  1 (1961): „Yet we all know that courts can and do decide cases on the basis of issues other than those presented by the parties […] and that the courts can and do supplement or disregard the arguments that have been made by the parties.“

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c) Ausschluss der Befugnis In Übereinstimmung mit der konsensualen Rechtsnatur der Schiedsgerichtsbar­ keit liegt es in den Händen der Parteien, den Schiedsrichtern diese allgemeine Rechtsermittlungsbefugnis zu nehmen.103 Ein derartiger Ausschluss der Befug­ nis kann in der Schiedsklausel selbst erfolgen.104 Allerdings ergibt sich insoweit ein eindeutiges Spannungsfeld mit dem Mandat des Schiedsrichters.105 Für die­ sen ist es nachgerade unzumutbar, den Inhalt des Rechts nicht selbst recherchie­ ren zu dürfen. Es sind deshalb keine Praxisfälle bekannt, in denen die Parteien sich auf einen ausdrücklichen Ausschluss geeinigt hätten. In Ermangelung einer ausdrücklichen Parteivereinbarung ließe sich erwägen, einen konkludenten Ausschluss der schiedsrichterlichen Befugnis zuzulassen.106 Auf den ersten Blick könnten die Parteien einer entsprechenden Befugnis insbe­ sondere dann kritisch gegenüber eingestellt sein, wenn das Schiedsgericht mit Nichtjuristen besetzt ist.107 Der Grund für ihre Benennung liegt schließlich nicht in ihrer Rechtskenntnis, sondern in einem vertieften Verständnis von tatsächli­ chen Zusammenhängen. Ähnliche Ansätze ließen sich überdies dann andenken, wenn einem Schiedsrichter der Inhalt des anwendbaren Rechts gänzlich fremd ist. Allein: Es entstünden nicht handhabbare Abgrenzungsprobleme, wenn man einen lediglich konkludenten Ausschluss der Rechtsermittlungsbefugnis zulie­ ße.108 Dies würde die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs erheblich gefährden. Die Unterschiede in der Rechtskenntnis dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Schiedsrichter gleichermaßen gehalten sind, den Rechtsstreit in Über­ einstimmung mit den Vorschriften des anwendbaren Rechts zu entscheiden.109 Wollen die Parteien die Rechtsbindung des Schiedsgerichts aufheben, so müssen 103 

Dies ergibt sich aus der Befugnis der Parteien, über das Verfahren selbst zu bestimmen, s. Art.  19 Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz. Ebenso Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 238 (2011). Grundlegend anders jedoch Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 25 (2010), die einen Ausschluss der Befugnis als unzulässig ansieht. 104  Alternativ kommt eine Vereinbarung zwischen Schiedsgericht und Parteien in Betracht, s. zu diesem Vorschlag Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 238 (2011). 105  Ausführlich zu diesem Problem Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 2. c). 106  In diese Richtung die englische Entscheidung Pacol Ltd v Joint Stock Co Rossakhar, [2000] C.L.C. 315, 323. 107  Beispielsweise können enorme Kosten bei der Ermittlung des Rechtsinhalts anlaufen, s. Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 221 (2011). 108  So kann ein erfahrener Nichtjurist, der an zahlreichen Schiedsverfahren im Bausektor teilgenommen hat, über profunde Rechtskenntnisse in diesem Bereich verfügen. Es ist dann schon undeutlich, woran bei den Rechtskenntnissen genau angeknüpft werden soll. Vertiefend zu den Abgrenzungsschwierigkeiten Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 1. c). 109  Art.  28 Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  1 ZPO; Art.  24.1. und 24.2. DIS-Schiedsregeln; Art.  31 Abs.  1 S.  1 ICDR-Schiedsregeln.

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sie dem Schiedsgericht die Befugnis zur Entscheidung ex aequo et bono aus­ drücklich einräumen.110 Dies muss für die Aberkennung der Rechtsermittlungs­ befugnis ebenfalls gelten. Abgesehen davon wird es bei einem konkludenten Ausschluss in aller Regel schon an einem entsprechenden Erklärungsbewusst­ sein der Parteien fehlen. 2. Schranken Mit der Anerkennung einer Befugnis zur Rechtsermittlung ist über ihre Schran­ ken noch nichts gesagt.111 Diese geben den äußeren Rahmen für die Ausübung der Befugnis vor.112 Gleichzeitig bilden sie den praktischen Anknüpfungspunkt für die Diskussion um iura novit curia in Schiedsverfahren. Die begrifflichen Anknüpfungspunkte für die Schranken der schiedsrichterli­ chen Rechtsermittlung sind in der internationalen Gesamtschau nicht einheitlich geregelt.113 Dies ist auf die nach wie vor voneinander abweichenden Formulie­ rungen der Aufhebungsgründe in nationalen Gesetzen zurückzuführen.114 Den­ noch wird der Versuch unternommen, einheitliche Grundsätze herauszuarbeiten und auf Gefahren im Zusammenhang mit der Ausübung der Befugnis zur Rechts­ ermittlung hinzuweisen. In der schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion werden die unterschiedlichen nationalstaatlichen Konzepte dabei unter den Topoi „ne ultra petita“ sowie „rechtliches Gehör“ zusammengefasst. Daneben kommen aber auch Schranken in Betracht, die sich aus der Reichweite der Schiedsverein­ 110  Art.  28 Abs.  3 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  3 ZPO; Art.  24.4. DIS-Schieds­ regeln; Art.  31 Abs.  3 ICDR-Schiedsregeln. 111  Die zurückgenommene Kontrolle seitens des Staates wirkt sich so aus, dass Gerichts­ entscheidungen grundsätzlich nur im Rahmen von Aufhebungs- sowie Vollstreckungsversa­ gungsverfahren ergehen, s. ausführlich Knuts, 28 Arb. Int’l 669 (2012). In Ermangelung von publizierten Handelsschiedssprüchen kommt Entscheidungen des ICSID annulment committee außerdem für die Praxis eine gewisse Leitbildfunktion zu. Zu dem annulment committee s. Art.  52 der Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States, 18.03.1965, United Nations, Treaty Series, vol.  575, S.  159, BGBl. II 1969, S.  369. Diese Entscheidungen sind auf die Handelsschiedsgerichtsbarkeit aber nicht direkt übertragbar, s. Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 4 (2015). Die Investitions­ schiedsgerichtsbarkeit ist durch Eigenheiten geprägt, die nicht Gegenstand der Arbeit sein kön­ nen, s. Erster Teil, C. III. 4. 112  Bei der Nichtausübung der Befugnis können sich Probleme ergeben, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 113  In internationalen Schiedsverfahren sind stets die Vorschriften der lex arbitri zu prüfen, s. zu den Unterschieden in der Rechtsprechung etwa Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 109–111. 114  Das Modellgesetz wurde an für die Schiedsgerichtsbarkeit besonders wichtigen Stand­ orten nicht übernommen, s. weiterführend Pavic, in: Knahr/Koller/Rechberger/Reinisch, In­ vestment and Commercial Arbitration – Similarities and Divergences (2010), S.  131, 133.

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barung sowie der Person des Schiedsrichters selbst ergeben. So ist vorstellbar, dass die eigenständige Einbringung von Rechtsquellen in Konflikt mit der Un­ parteilichkeit des Schiedsrichters tritt. Bevor auf diese vier Themenkomplexe eingegangen werden kann, müssen die Aufhebungsgründe aber ihrerseits in ih­ ren schiedsverfahrensrechtlichen Kontext gesetzt werden. Zu beginnen ist mit einer Grundlegung. Danach wird auf die Reichweite der Schiedsvereinbarung, die schiedsrichterliche Unparteilichkeit, den Grundsatz ne ultra petita sowie das rechtliche Gehör eingegangen. a) Grundlegung Wie bereits bemerkt, wurde die Anwendung von iura novit curia in der schieds­ verfahrensrechtlichen Diskussion bisweilen als „serious procedural irregularity“ bezeichnet.115 In Übereinstimmung damit führte der französische Schiedsrichter Derains aus: „L’adage Jura novit curia n’a pas sa place en matière d’arbitrage, et surtout pas en matière d’arbitrage international. Pour qu’un véritable débat contradictoire s’instaure, il est donc in­ dispensable que l’arbitre invite les parties à s’exprimer sur les conséquences des règles de droit qu’il entend appliquer dans toutes les hypothèses où elles ne l’ont pas fait spontanément.“116

Dieser Ratschlag klingt zwingend. Zugleich führt er aber zu einer Konsequenz, die Derains wohl nicht direkt beabsichtigt hat. Anders als in früheren Zeiten nehmen Parteien Schiedssprüche heutzutage nicht mehr schlicht hin, sondern versuchen im Falle des Unterliegens die Aufhebung des Schiedsspruchs zu errei­ chen.117 Wegen des Verbots der révision au fond kommen dabei insbesondere Verfahrensfehler in Betracht.118 In diesem Zusammenhang ist die Überschreitung der Grenze von iura novit curia ein stetig an Beliebtheit gewinnender Anknüp­ fungspunkt in staatlichen Aufhebungsverfahren.119 Die Hoffnung auf eine Aufhebung wird dadurch befeuert, dass in der schieds­ verfahrensrechtlichen Diskussion unaufhörlich die Risiken von iura novit curia betont werden.120 Dabei verschwimmt regelmäßig die Grenze zwischen tatsäch­ Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 93. Derains, Revue de l’Arbitrage 1998, 709, 711. 117  Zu diesem Trend statt aller Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 670 (2012). 118  Nach Art.  34 Abs.  2 lit.  b) ii) UNCITRAL-Modellgesetz, Art. V Abs.  2 lit.  b) New York Convention sowie §  1059 Abs.  2 Nr.  2 lit.  b) kommt die Aufhebung eines Schiedsspruchs we­ gen inhaltlicher Fehler regelmäßig nicht in Betracht, s. zum deutschen Recht BGH, Beschluss v. 08.11.2007, Az. III ZB 95/06, Rn.  18, NJW-RR 2008, 659, 660. 119  Inzwischen ist die Rechtsprechung in der Schweiz zu iura novit curia so umfassend, dass ihre Zusammenfassung Gegenstand eigener Aufsätze ist, s. Meier/McGough, 32 ASA Bul­ letin 490 (2014). 120 Deutlich Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 671 (2012): „[T]he tribunal should never apply the 115  116 

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

lichen Gefahren und schlichten Empfehlungen.121 So legt die Bezeichnung als „serious procedural irregularity“ nahe, dass Schiedssprüche bei Anwendung von iura novit curia stets angreifbar wären.122 Dies ist deshalb besonders gefährlich, weil die begrifflichen Konturen von iura novit curia im internationalen Kontext nicht fassbar sind. Trotz aller Einwände gegen iura novit curia darf nicht vergessen werden, dass in Schiedsverfahren gerade keine Berufung oder Revision vor nationalen Gerich­ ten zur Verfügung steht.123 Dies entspricht dem schiedsverfahrensrechtlichen Finalitätsgrundsatz. Letztlich besteht daher wenig Hoffnung, einen Schieds­ spruch nur wegen iura novit curia zu Fall zu bringen.124 Staatliche Gerichte sind in ihrer Aufhebungsrechtsprechung insoweit zu Recht zurückhaltend.125 Den­ noch ist es geboten, die Ablehnungs- und Aufhebungsgründe der lex arbitri so­ wie die Vollstreckungsversagungsgründe der New York Convention bei der Aus­ gestaltung des Verfahrens stets im Blick zu behalten. b) Unparteilichkeit Der Begriff der Unparteilichkeit wird einerseits im Zusammenhang mit der Ab­ lehnung eines Schiedsrichters und andererseits in Aufhebungsverfahren rele­ vant.126 Gleichzeitig erscheint die Unparteilichkeit auf den ersten Blick stets dann betroffen, wenn das Schiedsgericht eigens recherchierte Rechtsquellen in das Verfahren einbringt und damit einer Seite eine gewisse Hilfestellung ge­ währt.127 Dies erinnert an die Vereinigten Staaten, wo die richterliche Neutralität regelmäßig als Grund für die passive Richterstellung angeführt wird. principle of jura novit curia without first ascertaining that this does not jeopardize the finality of the award.“ 121  Diese Empfehlungen sind letztlich lediglich Meinungen darüber, wie das Verfahren nach dem Ermessen des Schiedsgerichts ausgestaltet werden sollte, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 122  Die Formulierung deutet auf einen offenen und schwerwiegenden Mangel des Verfah­ rens hin und legt deshalb einen Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nahe, s. allgemein zu dem Maßstab BGH, Beschluss v. 30.10.2008, Az. III ZB 17/08, Rn.  5, IPRax 2009, 519. 123 Treffend Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 497. 124 Ebenso Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 31–32. 125 Rechtsvergleichend Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 31–32. Zum deutschen Recht Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 405–407 sowie zum Schweizer Recht Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490, 507 (2014). 126  Exemplarisch Art.  12 Abs.  1 Satz  1; 34 Abs.  2 lit.  a) iv) UNCITRAL-Modellgesetz; §§  1036 Abs.  2; 1059 Abs.  2 Nr.  1 lit.  d) ZPO. In den Vereinigten Staaten kommt grundsätzlich nur die Aufhebung nach 9 U.S.C. §  10(a)(3) in Betracht, weil der arbitration act keine Ableh­ nung vorsieht. 127  In der Tat wird in der Diskussion immer wieder auf das „Problem“ der Parteilichkeit hingewiesen, s. etwa Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 15.

C. Schiedsrichter

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Obwohl das rechtskulturelle Vorverständnis den Begriff der Unparteilichkeit durchwebt, ist die Schranke der Parteilichkeit bei der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung leicht zu überwinden. Daher ist bislang kein Fall bekannt, in dem ein Schiedsrichter allein wegen eines rechtlichen Hinweises während des Verfahrens abgelehnt worden wäre.128 Ebenso gibt es keine Aufhebungs- oder Vollstreckungsversagungsentscheidung, die sich auf eine parteiliche schiedsrich­ terliche Rechtsermittlung stützen würde.129 Dies ist auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen. So stellt sich von vornherein kein Neutralitätsproblem, wenn der rechtliche Hinweis von einem Mehrpersonenschiedsgericht geschlossen erteilt wird. Dies gilt ebenso für den praktisch besonders bedeutsamen Fall, in dem sich die Mehrheit der Schiedsrich­ ter in dem Schiedsspruch einer bestimmten rechtlichen Theorie anschließt. Grundsätzlich wird der unabhängige Hinweis auf die Rechtslage in zahlreichen Rechtsordnungen schon nicht als Parteilichkeitsproblem, sondern vielmehr als Ausdruck der Unparteilichkeit eingeordnet.130 Überdies bevorteilt die schlichte Kenntnis einer Rechtsquelle eine Seite nicht per se, weil die Existenz der Rechts­ quelle von ihrer Anwendbarkeit im Einzelfall getrennt werden muss.131 Zuletzt und zusammengefasst: Die schiedsrichterliche Rechtsprechungstätigkeit darf nicht dadurch behindert werden, dass bei rechtlichen Hinweisen oder Fragen Ab­ lehnungsgesuche gestellt werden. Eine eng gezogene Ausnahme besteht lediglich dann, wenn sich ein Schieds­ richter zum Rechtsberater einer Seite aufschwingt. Hierbei ist aber zu berück­ sichtigen, dass eine gewisse Nähebeziehung in der Struktur der Schiedsgerichts­ barkeit selbst begründet ist, sofern jede Seite einen Schiedsrichter benennt. Den­ 128 Ausführlich UNCITRAL, Digest of Case Law on the Model Law on International Com­ mercial Arbitration (2012), S.  65–67. Dies steht in einem gewissen Widerspruch dazu, dass in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur immer wieder auf den Grundsatz der Unabhängig­ keit abgehoben wird, s. statt aller Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 226 (2011). 129 Ablehnend Klöckner v. Republic of Cameroon, ICSID Case No. ARB/81/2, Ad Hoc Committee, 03.05.1985, Rn.  93–110. Die Existenz eines Ablehnungsgrundes reicht noch nicht allein aus, um einen Schiedsspruch über Art. V Abs.  1 lit.  d) New York Convention anzugrei­ fen, Nacimiento, in: Kronke/Nacimiento/Otto/Port, Art. V Abs.  1 lit.  d), S.  292–293. Die Be­ hauptung von Unparteilichkeit genügt außerdem nicht; vielmehr ist ein positiver Beweis erfor­ derlich, s. zu den hohen Anforderungen Otto/Elwan, in: Kronke/Nacimiento/Otto/Port, Art. V Abs.  2, S.  369–372. 130 Ebenso Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 24 (2010); Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 95. Beispielhaft OLG München, Beschluss v. 07.05.2008, Az.  34 Sch 26/07, Rn.  56, NJOZ 2008, 4808, 4813. 131  Der bloße Hinweis ist keine Entscheidung, sondern lediglich Teil der Entscheidungsfin­ dung. Zu den Grundlagen Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 139–140. Die Befangenheits­ ablehnung ist gerade kein Instrument zur Fehlerkontrolle, s. exemplarisch OLG Köln, Be­ schluss v. 28.06.2011, Az.  19 Sch 11/10, Rn.  74, SchiedsVZ 2012, 161.

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noch sollten parteibenannte Schiedsrichter nicht zum verlängerten anwaltlichen Arm inmitten des Schiedsgerichts werden.132 Es erscheint deshalb zweifelhaft, wenn ein Schiedsrichter auf rechtliche Quellen nicht nur hinweist, sondern nach­ drücklich, wiederholt und ausschließlich zugunsten einer Seite argumentiert oder auf rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten aufmerksam macht.133 Insgesamt darf diese Ausnahme aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die Unparteilichkeit sich nach einer treffenden Formulierung von Landolt nur „in the rarest of circumstances“ zu einer echten Schranke für die eigenständige schiedsrichterliche Rechtsermittlung erhebt.134 c) Schiedsvereinbarung und Mandat In den Worten des Supreme Court ist ein Schiedsverfahren eine „creature of con­ tract“.135 Tatsächlich darf die schiedsrichterliche Rechtsermittlung die Grenzen der Schiedsvereinbarung nicht überschreiten.136 Die Zuständigkeit des Schieds­ gerichts fußt schließlich auf der Schiedsvereinbarung; ohne Einverständnis der Parteien gibt es schon kein schiedsrichterliches Mandat. Den Parteien steht es in der Schiedsvereinbarung frei, die Rechtsprüfung des Schiedsgerichts auf bestimmte Anspruchsgrundlagen zu beschränken. So ist es möglich, nur vertragliche Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht auszutragen, deliktische aber auszunehmen. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu deut­ schen und amerikanischen Gerichtsverfahren, wo Richter in ihrer Prüfung nicht auf die Anwendung bestimmter rechtlicher Theorien beschränkt werden kön­ nen.137 Unabhängig von diesem theoretischen Ausgangspunkt ist eine ausdrück­ liche Begrenzung der Schiedsvereinbarung in der Praxis jedoch höchst selten, 132 Dies

kann etwa im Sinne einer schädlichen Vorfestlegung gedeutet werden, s. dazu allgemein OLG München, Beschluss v. 24.11.2015, Az.  34 SchH 5/15, Rn.  36, NJW 2016, 881, 882–883. 133  In Deutschland genügt es beispielsweise noch nicht, eine Seite des Prozessbetruges zu bezichtigen, s. OLG Köln, Beschluss v. 28.06.2011, Az.  19 Sch 11/10, Rn.  74, SchiedsVZ 2012, 161. Nach dem OLG Frankfurt, Beschluss v. 28.03.2011, Az.  26 SchH 2/11, Rn.  40, SchiedsVZ 2011, 342, 344 sind vielmehr „unsachliche, abfällige, höhnische oder ironische Äußerungen“ erforderlich. 134  Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 190 (2012). 135  United Steelworkers of America v. American Manufacturing Co., 363 U.S.  564, 571 (1960). 136  Ansonsten kommt nach Art.  34 Abs.  2 lit.  a) iii) UNCITRAL-Modellgesetz die Auf­ hebung des Schiedsspruchs in Betracht. Ebenso §  1059 Abs.  2 Nr.  1 lit.  c) Satz  1 ZPO sowie 9 U.S.C. §  10(a)(4). 137  Tatsächlich wird dieser Unterschied in der Diskussion um die „Ausschaltungsbefugnis“ im zivilprozessualen Kontext in Deutschland aufgegriffen, s. Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozess (1977), S.  89 mit Fn.  42.

C. Schiedsrichter

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weil Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen staatlichen Gerichten und Schieds­ gerichten vermieden werden sollen.138 Allerdings kann die Schiedsvereinbarung nach Beginn des Verfahrens noch angepasst werden, weshalb die Parteien den schiedsrichterlichen Prüfungsmaß­ stab grundsätzlich jederzeit eingrenzen können.139 Von dieser Einschränkungs­ möglichkeit darf aber keinesfalls vorschnell auf ihre Ausübung geschlossen ­werden.140 Tragen etwa beide Seiten lediglich zu einer nicht einschlägigen An­ spruchsgrundlage vor, so wird dies im praktischen Regelfall auf einen Rechts­ anwendungsfehler einer Seite zurückzuführen sein. Dies gilt auch dann, wenn beide Parteien in ihren Schriftsätzen davon ausgehen, dass die Voraussetzungen einer bestimmten gesetzlichen Vorschrift nicht erfüllt sind. Derartige Ausle­ gungsvorschläge sind für das Schiedsgericht nicht bindend.141 In übereinstim­ mendem Rechtsvortrag liegt gerade kein Parteiwille, die Reichweite der Schieds­ vereinbarung oder das schiedsrichterliche Mandat einzuschränken. Ansonsten bestünde stets das Risiko, dass in dieser Lücke die staatliche Gerichtsbarkeit wieder auflebt. Ferner wird sich die obsiegende Partei im Rahmen eines Aufhe­ bungsverfahrens darauf berufen, insoweit gerade keinen Rechtsbindungswillen gehabt zu haben.142 Abgesehen davon darf es keine mögliche Strategie sein, das Recht bewusst falsch auszulegen, um die schlecht beratene Seite in die Falle laufen zu lassen.143

138  Die Standardschiedsvereinbarungen sind daher stets möglichst weit formuliert, s. statt aller die Musterklausel von UNCITRAL in den UNCITRAL-Schiedsregeln (2013), S.  31. 139  Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 10 (2015). Die dogmatische Frage, ob es sich bei der einvernehmlichen Umgrenzung des Prüfungsmaßstabs um eine Veränderung der Reichweite der Schiedsvereinbarung im konkreten Fall oder eine Verfahrensvereinbarung der Parteien handelt, ist bislang nicht geklärt. In dem UNCITRAL-Digest wird insoweit be­ grifflich nicht getrennt, sondern schlicht auf das schiedsrichterliche Mandat abgehoben, s. ­UNCITRAL, Digest of Case Law on the Model Law on International Commercial Arbitration (2012), S.  153. Der Bundesgerichtshof neigt einer Qualifikation als Verfahrensvereinbarung zu, BGH, Urteil v. 26.09.1985, Az. III ZR 16/84, Rn.  23, BGHZ 96, 40, 45 (Rn. in BGHZ nicht vollständig abgedruckt). 140  Bei Änderungen einer schriftlichen Schiedsklausel kann das Formerfordernis in Art.  7 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1031 Abs.  1 ZPO; 9 U.S.C. §  2 relevant werden. 141  UNCITRAL, Digest of Case Law on the Model Law on International Commercial Arbi­ tration (2012), S.  153 mit Fn.  774. 142  Die Partei, die eine Aufhebung des Schiedsspruchs begehrt, trägt die Beweislast für einen derartigen Parteiwillen, s. Art.  34 Abs.  2 lit.  a) UNCITRAL-Modellgesetz. §  1059 Abs.  2 Nr.  1 ZPO spricht von einer „begründeten“ Geltendmachung. 143  Abgesehen davon sollte die Partei, die ausführlich zum Recht vorträgt, nicht schlechter stehen als die Partei, die auf umfassende Ausführungen verzichtet. Wohl anders Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 212 (2012).

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Selbst wenn die Parteien sich ausdrücklich und unmissverständlich auf eine Auslegung oder den Inhalt einer Rechtsvorschrift festlegen, muss die Missach­ tung dieser Entscheidung nicht zu einer Aufhebung führen.144 Stattdessen sehen nationale Gerichte eine entsprechende Argumentation regelmäßig als Versuch an, eine révision au fond über die Hintertür herbeizuführen. Werden einzelne Rechtsvorschriften oder rechtliche Theorien von dem Schiedsgericht fehlerhaft angewandt, führt dies in der Praxis deshalb regelmäßig nicht zu einer Aufhebung des Schiedsspruchs.145 d) Ne ultra petita Der Umgang mit ne eat iudex ultra petita partium erinnert an iura novit curia. Immer wieder wird die Formel in der schiedsverfahrensrechtlichen Diskussion bemüht, aber nur selten erfolgt eine nähere begriffliche Entfaltung.146 Beide For­ meln haben gemeinsam, das ihr Verständnis in unterschiedlichen Rechtsordnun­ gen nicht einheitlich ist, sondern von nationalen Eigenheiten abhängt.147 Schon aus begrifflichen Gründen führt es deshalb in die Irre, in einem Verstoß gegen ne eat iudex ultra petita partium automatisch einen Vollstreckungsversagungsgrund zu erkennen. Dies brachte der United States Court of Appeals for the Ninth ­Circuit in bemerkenswerter Klarheit auf den Punkt: „Under the New York Convention, we examine whether the award exceeds the scope of the [arbitration agreement], not whether the award exceeds the scope of the parties’ pleadings.“148

Trotz dieser Ausgangslage spielt es in der Rechtsprechung nationaler Gerichte eine Rolle, ob die Schiedsrichter in ihrem Schiedsspruch den Schiedsgegenstand überschreiten oder nicht.149 Dabei ist eine klare Tendenz zu erkennen, den Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  278. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn das Schiedsgericht Vorschriften einer von den Parteien nicht gewählten Rechtsordnung anwendet, s. etwa BGH, Urteil v. 26.09.1985, Az. III ZR 16/84, Rn.  23, BGHZ 96, 40, 45 (Rn. in BGHZ nicht vollständig abgedruckt). Weite­ re Nachweise bei Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3303– 3304. 146  Zu der naheliegenden Gefahr eines Zirkelschlusses Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 226–227 (2011). Es ist darauf hinzuweisen, dass ne ultra petita in Rom keineswegs wie im modernen Prozess verstanden wurde, s. Wacke, Orbis Iuris Romani 3 (1997), 68, 85. 147 Die Studie der International Law Association zu Ascertaining the Contents of the ­Applicable Law in International Commercial Arbitration nimmt die Reichweite von ne ultra petita deshalb aus ihrer Untersuchung aus, s. International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 196 (2010). 148  Ministry of Defense of the Islamic Republic of Iran v. Gould, Inc., 969 F.2d 764, 771 (9th Cir. 1991). 149  Dies ist nicht zuletzt auf den Wortlaut nationaler Aufhebungsgründe zurückzuführen, s. etwa 190 Abs.  1 lit.  c) IPRG. Zur französischen Rechtsprechung s. Cuniberti/Bordian, Jura 144 Dazu

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Schiedsgegenstand auf die Anträge und streitgegenständlichen Tatsachen zu be­ schränken.150 Von den Anträgen sind die Rechtsausführungen der Parteien hinge­ gen zu trennen; letztere sind für das Schiedsgericht nicht bindend.151 Folgerichtig stellen nationale Gerichtsentscheidungen sowie das ICSID annulment committee immer wieder darauf ab, dass Schiedsgerichte den Antragsgrundsatz mit eigen­ ständigen Rechtsausführungen gerade nicht überschreiten.152 Umgekehrt ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Schiedsspruch allein wegen der Zugrundelegung eines neuen rechtlichen Arguments aufgehoben wor­ den wäre.153 Darin liegt die Kehrseite der schiedsrichterlichen Rechtsanwen­ dungsbefugnis. Abgesehen davon betonen die Gerichte, dass die Aufhebung von Schiedssprüchen für Extremfälle vorbehalten ist.154 Ein solcher Extremfall ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Schiedsgericht eigene Rechtsausführungen Novit Arbiter in France, in: Ferrari/Cordero-Moss: Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  169, 170–171 sowie weitere Nachweise zur Rechtsprechung bei Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 10–14 (2015). 150  Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 13 m. w. N. 151 Grundlegend Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 135. In der Sache ebenso Wahab, FS El-Kosheri (2015), S.  3, 18–19; Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 18–19; Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 13; Dimolitsa, 27 ASA Bulletin 426, 438 (2009); Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 501–503; Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 192 (2012); Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 74–75 (2015). 152  Exemplarisch Korkein oikeus, Werfen Austria GmbH v. Polar Electro Europe B.V., Ur­ teil v. 02.07.2008, Az.  2008:77. Vertiefend die Hinweise auf die Rechtsprechung in der Schweiz bei Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 135–136. Zur Rechtsprechung in Spanien und Uganda s. UNCITRAL, Digest of Case Law on the Model Law on International Commercial Arbitration (2012), S.  153 mit Fn.  774. Für den Bundesgerichtshof ist dies so selbstverständ­ lich, dass die Frage nicht angesprochen wird, s. grundlegend BGH, Urteil v. 08.10.1959, Az. VII ZR 87/58, BGHZ 31, 43. Eindeutig ebenfalls Klöckner v. Republic of Cameroon, ICSID Case No. ARB/81/2, Ad Hoc Committee, 03.05.1985, Rn.  91 sowie Caratube v. Republic of Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/08/12, Decision on the Annulment Application, 21.02.2014, Rn.  93. 153  In dem kanadischen Fall Superior Court of Québec, Louis Dreyfus v. Holding Tusculum, Judgment v. 08.12.2008, 2008 QCCS 5903 wurde die Aufhebung auf insgesamt fünf unter­ schiedliche Gründe gestützt, von denen die Überschreitung der Parteianträge lediglich einer und nicht der entscheidende war. Andere Aufhebungen wurden sogar ausschließlich auf das rechtliche Gehör gestützt, s. etwa BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008 sowie OAO Northern Shipping Company v Remol Cadores De Marin SL, [2007] EWHC 1821 (Comm), Rn.  22. Auch in der bei Cuniberti/Bordian, Jura Novit Arbiter in France, in: Ferrari/Cordero­ Moss: Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  169, 171 mit Fn.  12 in Bezug genommenen Entscheidung war der Aufhebungsgrund in Wahrheit eine Verletzung des recht­ lichen Gehörs, s. dazu vertiefend Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. e. bb). 154 Treffend Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 12: „These remedies are generally interpreted so restrictively, that they are as a rule considered not relevant to questions relating to the application of the law.“

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

vornimmt.155 Ansonsten würde man die Finalität von internationalen Schieds­ sprüchen ganz grundsätzlich in Frage stellen. Eigenständige Rechtsgedanken des Streitentscheiders sind der Normalfall der Rechtsanwendung selbst. Und schließ­ lich: Die Rechtsvergleichung hat gezeigt, dass deutsche und amerikanische Ge­ richte gleichermaßen über einen Spielraum im Umgang mit Rechtsausführungen verfügen. Trotz aller Unterschiede ist es in beiden Rechtsordnungen erlaubt, die Klage auf Grundlage einer nicht vorgetragenen rechtlichen Theorie zuzuspre­ chen. Der bisweilen behauptete Konflikt zwischen iura novit curia und ne ultra ­petita ist deshalb ein Scheinproblem.156 Richtig verstanden gibt der Antrags­ grundsatz lediglich den äußeren Rahmen für die Rechtsanwendung des Schieds­ gerichts vor.157 Über die Art und Weise der Rechtsanwendung innerhalb dieses Rahmens ist damit noch nichts gesagt. In Wirklichkeit geht es somit in der Dis­ kussion um iura novit curia nicht um ne ultra petita, sondern um das rechtliche Gehör.158 e) Rechtliches Gehör Wo iura novit curia und ne ultra petita sind, da ist auch audiatur at altera pars nicht fern.159 Im Ausgangspunkt besteht keinerlei Streit, dass Schiedssprüche bei einem Verstoß gegen den Grundsatz audiatur at altera pars aufgehoben werden können.160 Die Schwierigkeiten im Umgang mit schiedsrichterlichen Rechtser­ mittlungen erwachsen vielmehr daraus, dass die Reichweite dieses Grundsatzes im internationalen Vergleich nicht einheitlich bestimmt wird.161 155  Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3291 mit Fn.  715; Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 24 (2010). 156  So zuerst Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 135. Zu diesem Ergebnis kommt der Sache nach auch die von Cordero-Moss und Ferrari angestoßene Studie zu iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren, s. Cordero-Moss, General Report on Jura Novit Arbiter, in: Ferrari/Cordero-Moss, Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  463, 476–477. 157 Treffend Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 11 (2015). 158  Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 136. Dazu passend behandeln Meier und ­McGough den Grundsatz ne ultra petita in ihrem Aufsatz zur Rechtsprechung in der Schweiz nicht, sondern stützen sich ausschließlich auf das rechtliche Gehör, s. Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490 (2014). Ähnlich Knuts, 28 Arb. Int’l 669 (2012) sowie der Sache nach Gómez-­ Iglesias Rosón, Revista de Arbitraje Comercial y de Inversiones 2016, 45, 48–49. 159 Grundlegend zu diesem Phänomen Grimm, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswis­ senschaft 1816, 25, 27–28. 160 Teils wird das rechtliche Gehör sogar als Prinzip der natural justice beschrieben, s. exemplarisch Société Franco-tunisienne D’armement-tunis v Government of Ceylon, [1959] 1 W.L.R. 787, 804. 161  Einen Überblick bieten Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 405–411; Wiegand,

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Tatsächlich ist audiatur at altera pars inhaltlich ebenso schwer zu fassen wie iura novit curia. In den nationalen Schiedsverfahrensgesetzen herrscht demge­ mäß schon sprachlich keine Einigkeit über die Übersetzung in die jeweiligen Landessprachen. So wird in Deutschland, der Schweiz und Österreich von „rechtlichem Gehör“ gesprochen.162 Die französische Zivilprozessordnung sieht einen Aufhebungsgrund hingegen dann vor, wenn das „principe de la contradic­ tion“ missachtet wurde.163 In England muss das Schiedsgericht jeder Seite „a reasonable opportunity of putting his case“ gewähren.164 Und in der Rechtspre­ chung amerikanischer Gerichte ist von „due process“ und „notice“ die Rede.165 Diese sprachlichen Unterschiede spiegeln sich im Rechtsverständnis wider. Die Begriffe „rechtliches Gehör“, „principe de la contradiction“ und „due pro­ cess“ sind nicht deckungsgleich, sondern wurzeln tief in den rechtskulturellen Besonderheiten der genannten Rechtsordnungen. In Bezug auf eigenständige Rechtsgedanken des Schiedsgerichts sind die Abweichungen in der Reichweite des rechtlichen Gehörs so ausgeprägt, dass sie die eigentliche Ursache für den Streit um iura novit curia in Schiedsverfahren waren und sind.166 Passend dazu verwendet Wetter die Formulierungen „unethical“ und „serious procedural irre­ gularity“ ausdrücklich im Zusammenhang mit fehlendem Gehör in Rechts­ fragen.167 Die Rechtsprechung nationaler Gerichte lässt sich überblicksartig in drei Gruppen unterteilen: eingeschränktes Gehör, umfassendes Gehör sowie den Schweizer Sonderweg. Nachdem die Unterschiede aufbereitet wurden, ist die Existenz einer sich entwickelnden transnationalen Regel zu untersuchen.

FS Kellerhals (2005), S.  127, 137–144; Knuts, 28 Arb. Int’l 669 (2012); Arroyo, in: Müller/ Rigozzi, New Developments in International Commercial Arbitration 2010, S.  27, 37–54; Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 493–497. 162  In Übereinstimmung mit dem UNCITRAL-Modellgesetz regeln Deutschland und Öster­ reich das rechtliche Gehör nicht ausdrücklich als Aufhebungsgrund, sondern beziehen es als Verfahrensvereinbarung in die Aufhebung ein, s. §  1042 Abs.  1 S.  2 ZPO; §  594 Abs.  2 S.  2 ÖstZPO. In der Schweiz sieht Art.  190 Abs.  1 lit.  c) IPRG ausdrücklich einen Aufhebungsgrund vor. 163  Art.  1520 Nr.  4 c.p.c. 164  Section 34(1)(a) Arbitration Act 1996. 165  Statt aller Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Societe Generale, 508 F.2d 969, 975 (2nd Cir. 1974). 166  In der Sache ebenso Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 137 sowie Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 671 (2012). 167  Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 93. Wiegand meint hingegen, rechtliches Gehör in Rechtsfragen sei mit dem „Grundgedanken“ von iura novit curia „unvereinbar“, s. Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 138

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aa) Eingeschränktes Gehör In der deutschen Rechtstradition ist Recht etwas Feststehendes, das gefunden werden kann.168 Die Kenntnis der Rechtslage wird nicht nur bei den Richtern, sondern bei allen Bürgern als Axiom vorausgesetzt.169 Ausfluss dieser Grundan­ nahme ist die bereits bei Paulus formulierte Idee des „iuris quidem ignorantiam cuique nocere“.170 Die gerichtliche Rechtsanwendung kann die Parteien deshalb schon denklogisch nicht überraschen.171 Gleichzeitig ist rechtlicher Vortrag der Parteien konzeptionell kaum bedeutsam, weil er für die Rechtsentscheidung des Gerichts lediglich eine Hilfestellung bietet.172 Hat das Gericht die richtige Rechtslage festgestellt, darf es auf rechtliche Auslegungsvorschläge der Parteien nicht mehr ankommen.173 Angesichts dieser Ausgangslage überrascht es nicht, dass deutsche Gerichte eine entschiedene Position zum rechtlichen Gehör in Rechtsfragen einneh­ men.174 Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könnte kaum deutlicher sein: „Das Schiedsgericht ist im Rahmen seiner Anhörungspflicht nicht gehalten, den Parteien seine Rechtsansicht mitzuteilen und sie zur Äußerung hierzu aufzufordern.“175

Diese Aussage stützt der Bundesgerichtshof seit jeher auf das Argument, dass Schiedsgerichte unter Umständen mit Laien besetzt seien und man Laien nicht zu einem Rechtsgespräch zwingen könne.176 Anders als staatliche Zivilrichter sind 168  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  104. Zum rechtlichen Gehör jetzt auch Hess/Kahl, Jura Novit Curia in International Commercial Arbitration – The German Perspective, in: Ferrari/Cordero-Moss, Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  187–223. 169  Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 139. 170 Paul. D. 22.6.9 pr. Behrends übersetzt die Stelle wie folgt: „Es gilt die Regel, daß Rechtsunkenntnis jedem schadet, Tatsachenunkenntnis dagegen unschädlich ist.“, s. Knütel/ Kupisch/Seiler/Behrends, Corpus Iuris Civilis, Band  4 (2005), S.  132. 171  Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 25 (2010). 172  Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 139: „Ausführungen der Parteien zu solchen Rechts­fragen können, richtig verstanden, nur als Vorschläge und Anregungen aufgefasst wer­ den.“ 173 Vertiefend Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 25 mit Fn.  111 (2010). 174  Zur Kritik Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 406–407. 175  Grundlegend BGH, Urteil v. 08.10.1959, Az. VII ZR 87/58, BGHZ 31, 43. Bestätigt in BGH, Urteil v. 12.07.1990, Az. III ZR 174/89, Rn.  9, NJW 1990, 3210, 3211. Zuletzt OLG München, Beschluss v. 17.11.2016, Az.  34 SchH 13/16, Rn.  36, BeckRS 2016, 20169: „Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt zudem weder einen Anspruch darauf, vorab die Rechts­ auffassung des Gerichts kennen zu lernen, noch einen Anspruch auf ein Rechtsgespräch.“ 176  BGH, Urteil v. 08.10.1959, Az. VII ZR 87/58, BGHZ 31, 43. Auf die neuere Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts zum rechtlichen Gehör wurde von dem Bundesgerichts­

C. Schiedsrichter

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Schiedsrichter außerdem ausdrücklich nicht zu Hinweisen auf die Rechtslage verpflichtet.177 Im Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör wird zu Recht im­ mer wieder betont, dass deutsche Gerichte Schiedssprüche nur unter größter Zu­ rückhaltung aufheben.178 Die Vollstreckungsfestigkeit wird dadurch weiter ge­ stärkt, dass zwischen der ohnehin kaum zu begründenden Gehörsverletzung und dem vermeintlich fehlerhaften Inhalt des Schiedsspruchs ein Kausalitätsverhält­ nis bestehen muss.179 Insgesamt ist es deshalb eine zutreffende Beschreibung seitens der deutschen Rechtsprechung, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in Schiedsverfahren hinter dem Standard in ordentlichen Gerichtsverfahren zu­ rückbleibt.180 Ein vergleichbar strenger Standpunkt wird vom Obersten Gerichtshof in Ös­ terreich eingenommen.181 Danach ist ein Schiedsspruch nur dann anfechtbar, wenn einer Partei das rechtliche Gehör überhaupt nicht gewährt wurde.182 Eine mangelhafte Erörterung rechtserheblicher Tatsachen erfüllt den Aufhebungs­

hof bislang nicht eingegangen, s. grundlegend BVerfG, Beschluss v. 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, Rn.  35–39, BVerfGE 86, 133, 144–146. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls nicht allgemein auf die Schiedsgerichtsbarkeit übertragen, s. etwa OLG München, Beschluss v. 09.11.2015, Az.  34 Sch 27/14, Rn.  32, SchiedsVZ 2015, 303, 304. Für eine Übertragung der Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts sprechen sich aber zahlreiche Stimmen in der Literatur aus, s. statt aller Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3.  Aufl. 2008, S.  329–330. 177  Ausdrücklich etwa BGH, Urteil v. 11.11.1982, Az. III ZR 77/81, Rn.  13, BGHZ 85, 288, 291–292. Eine eng gezogene Ausnahme greift lediglich dann, wenn „ein Schiedsgericht von einer vorher mitgeteilten Rechtsansicht stillschweigend abweicht und die Parteien dadurch am Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln gehindert werden“, BGH, Urteil v. 11.11.­ 1982, Az. III ZR 77/81, Rn.  16, BGHZ 85, 288, 293 sowie zuletzt OLG München, Beschluss v. 04.07.2016, Az.  34 Sch 29/15, Rn.  48, SchiedsVZ 2017, 40. Bislang führte dieser sehr groß­ zügige Standard erst in einem Extremfall zu einer teilweisen Aufhebung eines Schiedsspruchs, s. dazu OLG Frankfurt, Beschluss v. 30.03.2006, Az.  26 Sch 12/05, Rn.  42, BeckRS 2014, 00372. 178  Weitere Nachweise bei BGH, Urteil v. 12.07.1990, Az. III ZR 174/89, Rn.  8 und 9, NJW 1990, 3210, 3211. 179  BGH, Urteil v. 18.01.1990, Az. III ZR 269/88, Rn.  21, NJW 1990, 2199, 2200: „Werden sie verletzt, ist einem Schiedsspruch jedenfalls dann die Anerkennung zu versagen, wenn die Entscheidung des Schiedsgerichts auf dieser Verletzung beruhen kann.“ 180  Ausdrücklich klarstellend OLG München, Beschluss v. 14.11.2011, Az.  34 Sch 10/11, Rn.  41, IPRspr 2011, Nr.  305, 817, 819. 181  Grundlegend OGH, Urteil v. 12.05.1961, Az.  2 Ob 199/61 sowie zuletzt OGH, Urteil v. 10.10.2014, Az.  18 OCg 2/14i, S.  18 mit Urteilsziffer 3.1. Lesenswert zur österreichischen Rechtsprechung Auernig/Oberhammer, Jura Novit Arbiter in Austria, in: Ferrari/Cordero-­ Moss: Iura Novit Curia in International Arbitration (2018), S.  17–46. 182  Diese Formel entstammt der ständigen Rechtsprechung, s. OGH, Urteil v. 10.10.2014, Az.  18 OCg 2/14i, S.  18, Urteilsziffer 3.1 m. w. N.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

grund gerade nicht.183 Stattdessen ist regelmäßig schon dann ausreichend Gehör gewährt, wenn die Parteien zur Rechtslage in Schriftsätzen vortragen durften.184 In Übereinstimmung mit dieser deutsch-österreichischen Rechtsprechungs­ linie entschied der finnische Korkein oikeus dann auch den Fall Werfen Austria GmbH v. Polar Electro Europe B.V.185 Obschon keine der Parteien auf Art.  36 des finnischen Vertragsrechts hingewiesen hatte, wendete das Schiedsgericht diese Vorschrift in Ausübung seiner Rechtsermittlungsbefugnis an.186 Die Folge war eine Vertragsanpassung anstelle der vom Kläger geltend gemachten Ver­ tragsnichtigkeit.187 Nach Ansicht des Korkein oikeus war eine Vertragsanpas­ sung von der klägerischen Begehr umfasst; zugleich verletzte die von keiner Seite vorhergesehene rechtliche Qualifikation das rechtliche Gehör der Parteien gerade nicht.188 Eine ähnliche Rechtsprechung verfolgt der Högsta domstolen in Schweden.189 bb) Umfassendes Gehör In Frankreich wird es seit der französischen Revolution höchst kritisch beurteilt, wenn sich Richter in den kontradiktorischen Wettstreit der Parteien einmi­ schen.190 Es liegt deshalb konzeptionell in den Händen der Parteien, Rechts­ ansichten in das Verfahren einzuführen.191 Gleichzeitig sind Richter in Über­ einstimmung mit dem „principe de la contradiction“ nicht zur Anwendung von eigenständigen Rechtsansichten befugt, sofern den Parteien zuvor keine Gele­ genheit zur Stellungnahme gegeben wurde.192 Dieses Prinzip wurzelt in Frank­ 183 

OGH, Urteil v. 24.04.2013, Az.  9 Ob 27/12d, S.  17 mit Urteilsziffer 2. Beispielhaft OGH, Urteil v. 24.04.2013, Az.  9 Ob 27/12d, S.  17–19. 185  Korkein oikeus, Werfen Austria GmbH v. Polar Electro Europe B.V., Urteil v. 02.07.­ 2008, Az.  2008:77. 186  Ausführlich zu dem Fall s. Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 677 (2012). 187  Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 677 (2012). 188  Kritisch deshalb statt aller Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 329–330. Tatsächlich war die Entscheidung des Korkein oikeus nicht einvernehmlich, sondern erfolgte mit zwei Gegenstimmen, s. dazu Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 677 mit Fn.  15 (2012). 189  Vertiefend die Hinweise bei Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 489 mit Fn.  15 (2003). Es gibt aber auch Gerichtsentscheidungen, die auf das Element der Überraschung abheben, s. zu einem Fall Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 14 mit Fn.  56 (2015). 190 Grundlegend Montesquieu, Persische Briefe (1721), S.  99–100 (Brief 41); S.  127–129 (Brief 51); S.  145–147 (Brief 59); S.  158–159 (Brief 65); S.  173–175 (Brief 71). 191  Zu dem theoretischen Ausgangspunkt s. Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 407–408. Allerdings sind französische Richter befugt und auch verpflichtet, das Recht unab­ hängig von den Rechtsausführungen der Parteien zu ermitteln, s. Art.  12 Abs.  1 und 2 c.p.c. 192  Art.  16 Abs.  3 c.p.c.: „Il ne peut fonder sa décision sur les moyens de droit qu’il a rele­ vés d’office sans avoir au préalable invité les parties à présenter leurs observations.“ 184 

C. Schiedsrichter

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reich so tief, dass in einer Abweichung ein verfassungswidriger Verstoß gegen die Menschenrechte liegt.193 Vor diesem Hintergrund verlangen französische Gerichte ausdrücklich auch von Schiedsrichtern, die Parteien zu neuen rechtlichen Gesichtspunkten anzuhö­ ren.194 Ansonsten erfolgt die Aufhebung des Schiedsspruchs wegen eines Ver­ stoßes gegen das „principe de la contradiction“.195 Dementsprechend hob die Cour d’appel de Paris bereits 1995 einen Schiedsspruch in einer Grundsatzent­ scheidung teilweise auf, weil das Schiedsgericht den Zinsanspruch unter dem Wiener Kaufrecht nach dem international üblichen LIBOR-Zinssatz berechnet hatte.196 Die Berechnung der Zinsen ist im Wiener Kaufrecht aber eine offene Rechtsfrage und der Kläger hatte seine Argumentation nicht ausdrücklich auf den LIBOR-Zinssatz gestützt.197 Der Verstoß gegen das „principe de la contra­ diction“ lag darin, dass das Schiedsgericht die eigenständige Anwendung des LIBOR-Zinssatzes zuvor nicht mit den Parteien diskutiert hatte.198 Diese aufhebungsfreundliche Rechtsprechung baute die Cour d’appel de ­Paris über die Jahre immer weiter aus.199 So wurde der Schiedsspruch in dem Verfahren Société VRV v. Pharmachim aufgehoben, weil das Schiedsgericht den Anspruch auf eine „base extracontractuelle“ anstelle der von den Parteien disku­ tierten vertraglichen Grundlage stützte.200 In einem anderen Verfahren lag der Aufhebungsgrund darin, dass die Schiedsrichter eine Vorschrift des gewählten ägyptischen Vertragsrechts anwandten, die von den Parteien nicht ausdrücklich vorgetragen worden war.201 In diese ständige Rechtsprechungslinie fügt sich die Schlosser ist Art.  16 Abs.  3 c.p.c. Ausfluss der Rechtsprechung des Conseil d’État, der eine darüber hinausgehende Befugnis des Richters ausdrücklich für verfassungswidrig er­ klärte, s. Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 408. 194  Wegweisend Kessedjian, Revue de l’Arbitrage 1995, 381. Im Zusammenhang mit dieser französischen Rechtsprechungslinie ist das Zitat von Derains entstanden, wonach iura novit curia kein „place en matière d’arbitrage“ zukomme, Derains, Revue de l’Arbitrage 1998, 709, 711. 195 Vertiefend zur Rechtsprechung in Frankreich Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 407–410. 196 Cour d’appel de Paris, Société Thyssen Stahlunion v. Société Maaden, 06.04.1995, ­Revue de l’Arbitrage 1995, 466. 197  Weitere Nachweise bei Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 409. 198  Schlosser weist zu Recht auf die Härte dieser Entscheidung hin, weil für den Zinsan­ spruch allein gewiss kein neues Schiedsverfahren angestrengt wurde, s. Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 409. 199  Zur Entwicklung Chainais, Revue de l’Arbitrage 2010, 3 sowie zum Einfluss der fran­ zösischen Rechtsprechung auf die ICC Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 494–495. 200  Cour d’appel de Paris, Société VRV v. Pharmachim, 25.11.1997, Revue de l’Arbitrage 1998, 684 sowie ausführlich zu der Entscheidung Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 409–410. 201  Cour d’appel de Paris, Gouvernement de la République arabe d’Egypte v. Société Ma193 Nach

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Entscheidung Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade nahtlos ein.202 In diesem Fall hob die Cour d’appel de Paris den Schiedsspruch auf, weil das Schiedsgericht das österreichische Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäfts­ grundlage angewandt hatte.203 Der Kläger hatte seinen Anspruch schließlich ­lediglich auf die Nichtigkeit des Vertrages gestützt und sich nicht auf einen Weg­ fall der Geschäftsgrundlage berufen.204 Gerichtsentscheidungen aus England, Hongkong, Kanada und Singapur unter­ streichen den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens ebenfalls und geste­ hen den Parteien grundsätzlich ein Recht der Stellungnahme zu eigenen Rechts­ auffassungen des Schiedsgerichts zu.205 Allerdings wird dabei neben dem recht­ lichen Gehör auch die Flexibilität der Schiedsgerichtsbarkeit sowie die Finalität von Schiedssprüchen betont.206 So stellte der Singapore Court of Appeal aus­ drücklich fest, dass „arid, technical or procedural objections that do not prejudice any party“ gerade keine Verletzungen des rechtlichen Gehörs darstellen.207 Folglich dürfen die Schiedsrichter den Schaden unabhängig von dem Rechtsvor­ trag der Parteien selbst berechnen.208 In dieses Bild fügt sich ein, dass der engli­ licorp Ltd, 19.06.2008, Revue de l’Arbitrage 2010, 108. Die Anwendung ägyptischen Rechts entsprach der Rechtswahl, aber keine der Parteien hatte sich spezifisch auf die vom Schieds­ gericht angewandte Vorschrift berufen. 202  Cour d’appel de Paris, Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 112. Dieser aufhebungsfreundlichen Rechtsprechung der Cour d’appel de Paris folgt die Cour de cassation, s. zuletzt Cass. civ. 1re, Arrêt n° 785 v. 29.06.2011, Az.  10-23.321. 203  Zu der Entscheidung Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 15–16 (2015). 204  Zum Ganzen Chainais, Revue de l’Arbitrage 2010, 3, 33–37. 205  Grundlegend die englische Entscheidung Société Franco-tunisienne D’armement-tunis v Government of Ceylon, [1959] 1 W.L.R. 787. Dem folgend Superior Court of Québec, Louis Dreyfus v. Holding Tusculum, Judgment v. 08.12.2008, 2008 QCCS 5903, Rn.  76–88; High Court of the Hong Kong Administrative Region, Brunswick Bowling Billiards Corporation v Shanghai Zhonglu Industrial Co Ltd and Chen Rong, Judgment v. 10.02.2009, HCCT 66/2007, Rn.  68–72 sowie Singapore Court of Appeal, Judgment v. 09.05.2007, Az. CA 100/2006 = CLOUT Case 743. 206  Statt aller OAO Northern Shipping Company v Remol Cadores De Marin SL, [2007] EWHC 1821 (Comm), Rn.  18. 207  Singapore Court of Appeal, Judgment v. 09.05.2007, Az. CA 100/2006 = CLOUT Case 743 sowie UNCITRAL, Digest of Case Law on the Model Law on International Commercial Arbitration (2012), S.  149–150. 208  Dabei betont der Singapore Court of Appeal, dass Schiedsrichter regelmäßig von Par­ teien gerade wegen ihrer rechtlichen Expertise bestellt werden, s. Singapore Court of Appeal, Judgment v. 09.05.2007, Az. CA 100/2006 = CLOUT Case 743. In der Sache ebenso High Court of the Hong Kong Administrative Region, Brunswick Bowling Billiards Corporation v Shanghai Zhonglu Industrial Co Ltd and Chen Rong, Judgment v. 10.02.2009, HCCT 66/2007, Rn.  50–53.

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sche High Court eine „serious irregularity“ sowie „substantial injustice“ ver­ langt, um einen Gehörsverstoß in Rechtsfragen zu bejahen.209 In den Worten von Justice Gloster: „[W]hilst it is not necessary for the tribunal to refer back to the parties each and every legal inference which it intends to draw from the primary facts on the issues placed before it, the tribunal must give the parties a fair opportunity to address its arguments on all of the essential building blocks in the tribunal’s conclusion.“210

Diese Abgrenzung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im praktischen Regelfall rechtliches Gehör gewährt werden muss.211 Ansonsten droht dem Schieds­ spruch die Aufhebung oder die Zurückverweisung an das Schiedsgericht.212 cc) Schweizer Vermittlungsversuche Eine Sonderrolle zwischen diesen beiden Extrempositionen nimmt das Schwei­ zer Bundesgericht ein.213 Im Laufe der Jahre hatte es Gelegenheit, eine umfas­ sende und ausdifferenzierte Rechtsprechungslinie zum rechtlichen Gehör in Rechtsfragen zu entwickeln.214 Dabei ging es stets von dem Ausgangspunkt aus, dass die Schiedsrichter zur eigenständigen Rechtsermittlung nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet seien.215 Umgekehrt folgt daraus für das Bundesge­ richt, dass rechtliches Gehör in Rechtsfragen nur eingeschränkt gewährt werden müsse: „Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch der Parteien, zur rechtlichen Würdigung der durch sie in den Prozess eingeführten Tatsachen noch ABB AG v Hochtief Airport GmbH, [2006] EWHC 388 (Comm), Rn.  81. OAO Northern Shipping Company v Remol Cadores De Marin SL, [2007] EWHC 1821 (Comm), Rn.  22. 211  Zu der ständigen Rechtsprechung in England s. Zermalt Holdings SA v Nu-Life Up­ holstery Repairs Ltd, [1985] 2 E.G.L.R. 14; Pacol Ltd v Joint Stock Co Rossakhar, [2000] C.L.C. 315; Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243; Bottiglieri di Navigazione SpA v Cosco Qingdao Ocean, [2005] EWHC 244 (Comm); Vee Networks Ltd v Econet Wireless International Ltd, [2004] EWHC 2909 (Comm). 212  Nach englischem Recht kann der Schiedsspruch gem. Section 68(3)(a) Arbitration Act 1996 an das Schiedsgericht zurückverwiesen werden; diese weniger gravierende Konsequenz mag ein Grund dafür sein, warum die Gerichte bisweilen eine „serious irregularity“ bejahen. 213 Ausführlich Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127; Kellerhals/Berger, FS Wiegand (2005), S.  387; Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490 (2014). 214  Diese Rechtsprechung war Anlass für zahlreiche Stellungnahmen, s. Arroyo, in: Müller/ Rigozzi, New Developments in International Commercial Arbitration 2010, S.  27–54 m. w. N. 215  Erstmals BGer, Urteil v. 19.04.1994 = BGE 120 II 172, 176: „Cependant, en vertu du principe ‚jura novit curia‘, dès l’instant où une conclusion est motivée de manière suffisante, le juge quel qu’il soit est tenu d’appliquer le droit d’office, sans se limiter aux motifs avancés par les parties.“ 209  210 

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besonders angehört zu werden. […] Eine Ausnahme besteht namentlich dann, wenn ein Gericht seinen Entscheid mit einem Rechtsgrund zu begründen beabsichtigt, auf den sich die beteilig­ ten Parteien nicht berufen haben und mit dessen Erheblichkeit sie vernünftigerweise nicht rech­ nen mussten.“216

Es ist also möglich, dass eine Entscheidung trotz materieller Richtigkeit wegen eines formellen Rechtsanhörungsfehlers aufzuheben ist.217 Dieser caveat wird jedoch äußerst restriktiv gehandhabt.218 Das Bundesgericht sah sich bislang le­ diglich in Urquijo Goitia v. da Silva Muniz genötigt, einen Schiedsspruch tat­ sächlich aufzuheben.219 In diesem Fall erklärte das Schiedsgericht eine vertrag­ liche Exklusivitätsvereinbarung zwischen einem brasilianischen Fußballspieler und einem spanischen Spielervertreter wegen eines Verstoßes gegen eine Ver­ botsvorschrift des Schweizer Rechts für nichtig.220 Allerdings war diese Vor­ schrift beiden Parteien nicht bekannt und abgesehen davon auch inhaltlich nicht anwendbar.221 In allen anderen Fällen wurde das Argument eines Gehörsver­ stoßes im Zusammenhang mit eigenständigen Rechtsausführungen des Schieds­ gerichts hingegen verworfen.222 Das Bundesgericht rechtfertigt seinen eingeschränkten Ansatz zum Gehör in Rechtsfragen mit zwei Kernargumenten. Erstens dürfe die Gehörsverletzung nicht zu einer versteckten Kontrolle der materiellen Rechtsanwendung seitens staatlicher Gerichte verkommen.223 Die Parteien hätten sich schließlich bewusst für die Finalität der Schiedsgerichtsbarkeit entschieden.224 Zweitens stellt das Bundesgericht auf die Besonderheiten der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit 216  Grundlegend BGer, Urteil v. 02.03.2001, Az.  4P.260/2000, Urteilsziffer 6 a) sowie zu­ letzt BGer, Urteil v. 16.10.2014, Az.  4A_324/2014, Urteilsziffer 4.1. 217  Anders der traditionelle Ansatz in Deutschland, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. e) aa) sowie Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 139. 218  Statt aller Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 497. 219  BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008, Urteilsziffer 3.2. 220 Ausführlich Arroyo, in: Müller/Rigozzi, New Developments in International Commer­ cial Arbitration 2010, S.  27, 47–48. 221  Zur Unanwendbarkeit BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008, Urteilsziffer 3.2. 222 Zahlreiche Nachweise bei Arroyo, in: Arbitration in Switzerland: The Practitioner’s Guide (2013), Art.  190 IPRG, S.  239–241. Neben BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008 ist BGer, Urteil v. 30.09.2003, Az.  4P.100/2003 der einzige andere bekannte Aufhebungsfall. In diesem Verfahren stützte das Schiedsgericht die Nichtigkeit des Vertrages auf eine vertragliche Vorschrift, die von den Parteien nicht gesehen und diskutiert worden war; weil es sich aber nicht um die überraschende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift handelt, wird der Fall nicht in einem Atemzug mit iura novit curia genannt, s. Levy, Jura Novit Curia? The Arbitra­ tor’s Discretion in the Application of the Governing Law, Anmerkung v. 20.09.2009, Kluwer Arbitration Blog. 223  Ausführlich zu den Gründen BGer, Urteil v. 30.09.2003, Az.  4P.100/2003, Urteilsziffer 5. 224  BGer, Urteil v. 16.12.2009, Az.  4A_240/2009, Urteilsziffer 3.2 sowie grundlegend BGer, Urteil v. 30.09.2003, Az.  4P.100/2003, Urteilsziffer 5.

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ab; dort könne es aufgrund der rechtskulturellen Gemengelage besonders häufig zu Überraschungen kommen, weshalb man über Überraschungen letztlich nicht überrascht sein könne.225 Beide Erwägungen sind uneingeschränkt überzeugend. dd) Transnationaler Gehörsanspruch Immer wieder werden in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur Versuche ­angestellt, die Rechtsprechungslinien der nationalen Gerichte auf einen einheit­ lichen Nenner zu bringen.226 Als Anknüpfungspunkt für einen transnational­rechtlich begründeten Gehörsanspruch wird der Gesichtspunkt der Überra­ schungsentscheidung genannt.227 Jedenfalls dann, wenn eine Überraschung we­ gen eigenständiger rechtlicher Argumente des Schiedsgerichts drohe, müsse den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt werden.228 Mit dem Begriff der Überraschungsentscheidung ist in der Sache aber nichts gewonnen.229 Überraschungen hängen stets mit Erwartungen zusammen, und Erwartungen speisen sich aus vorher gemachten Erfahrungen. In Ansehung der tiefgreifenden rechtskulturellen Unterschiede sind die Erwartungen zu Stellung­ nahmemöglichkeiten in Rechtsfragen in Schiedsverfahren keineswegs einheit­ lich ausgeformt. Ist ein Richter von vornherein passiv und ermittelt die Rechts­ lage nicht von sich aus, dann ist für die Parteien ein abweichendes Verhalten re­ gelmäßig überraschend. Handelt es sich hingegen um einen aktiven Richter, dann werden die Parteien mit eigenständigen rechtlichen Erwägungen seitens des Gerichts rechnen. Die Wertung hinter dem Begriff der Überraschung ist des­ halb nur die Kehrseite der Stellung des Richters im Verfahren und damit letztlich Ausfluss des Staatsverständnisses. 225 

BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008, Urteilsziffer 3.1. Sehr kritisch zu diesem Argument Arroyo, in: Arbitration in Switzerland: The Practitioner’s Guide (2013), Art.  190 IPRG, S.  241–242 mit Rn.  157. 226  Statt aller Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 680–688 (2012). 227  So etwa Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3249– 3255. Jones meint gar, Schiedsgerichte seien allgemein „verpflichtet“, die Parteien vor Erlass des Schiedsspruchs über eigenständige rechtliche Gedanken zu informieren, Jones, 78 Arbitra­ tion 102, 121 (2012). 228 Zahlreiche Vorhersehbarkeitskriterien entwickelt Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 682–686 (2012). Nach Wiegand muss es darauf ankommen, ob den Parteien durch die eigenständige Rechtsmeinung des Gerichts Tatsachenvortrag abgeschnitten wurde, s. Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 142. 229 Nach Lörcher und Bauerschmidt handelt es sich „allenfalls“ um den „kleinsten gemein­ samen Nenner“, s. Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 332. Selbst das ist in An­ sehung der derzeitigen Rechtsprechung in Deutschland und Österreich aber zweifelhaft, weil eigene rechtliche Argumente gerade nicht überraschen können. Kritisch ebenfalls Dimolitsa, 11th ICC Dossier (2014), S.  22, 25.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Mit diesem Befund stimmt es überein, dass die Rechtsprechung zur Gewäh­ rung von rechtlichem Gehör in Rechtsfragen nicht einheitlich ist.230 Die Recht­ sprechungslinien sind inzwischen derart gefestigt, dass in absehbarer Zeit keine Änderung zu erwarten ist.231 Es gibt aber Hinweise in der Rechtsprechung deut­ scher, österreichischer und schwedischer Gerichte, die eine Annäherung an den Ansatz in der Schweiz erkennen lassen.232 Dieser Ansatz darf allerdings nicht mit einem umfassenden Gehörsanspruch gleichgesetzt werden, sondern beschränkt sich auf eine sehr zurückhaltende Kontrolle.233 Es gilt deshalb die Regel, dass ein und derselbe Schiedsspruch in einer Rechts­ ordnung problemlos vollstreckbar ist, wohingegen in einer anderen daran nicht zu denken wäre.234 In der Tat sah das Bundesgericht in einem jüngeren Urteil gerade kein Problem darin, als ein Schiedsgericht selbstständig und ohne Partei­ hinweis auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurückgriff.235 Dies steht im direkten Widerspruch zu der Rechtsprechung der Cour d’appel de Paris in dem Fall Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade.236 In der Praxis liegt es daher in der Verantwortung der Schiedsrichter, sich über die jeweiligen Anforderungen an den Gehörsanspruch am Sitzort sowie in potentiellen Vollstre­ ckungsdestinationen zu vergewissern. 3. Einbeziehung Dritter Der schiedsrichterlichen Befugnis zur eigenständigen Rechtsermittlung wird also vor allem durch das rechtliche Gehör eine Schranke gezogen. Daneben be­ stehen aber auch Eigenheiten und Hindernisse im Zusammenhang mit der Einbe­ 230  Arroyo spricht von „diametrically opposed views“, s. Arroyo, in: Müller/Rigozzi, New Developments in International Commercial Arbitration 2010, S.  27, 49. 231  In der Schweiz hält das Bundesgericht trotz der Kritik seitens der Literatur an seiner Linie fest, s. zuletzt ausdrücklich BGer, Urteil v. 16.10.2014, Az.  4A_324/2014, Urteilsziffer 4.1. 232  In diese Richtung OLG München, Beschluss v. 04.07.2016, Az.  34 Sch 29/15, Rn.  48, SchiedsVZ 2017, 40, 43 sowie OLG Köln, Beschluss v. 28.06.2011, Az.  19 Sch 11/10, Rn.  61, SchiedsVZ 2012, 161, 166. Der Oberste Gerichtshof ließ es zuletzt offen, ob an der strengen Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör in Ansehung der aus der Literatur geäußerten Kritik festgehalten werden kann, OGH, Urteil v. 10.10.2014, Az.  18 OCg 2/14i, S.  18–19, Urteilszif­ fer 3.2. 233  Eine denkbare Konvergenz der Ansätze steckt also bestenfalls noch in den Kinderschu­ hen, weshalb Schwenzer und Ali das rechtliche Gehör im Zusammenhang mit iura novit curia aus ihrer Konvergenzthese ausdrücklich ausnehmen, s. Schwenzer/Ali, 18 VJ 93, 107 (2014). 234  Es spricht viel dafür, dass der Schiedsspruch aus dem LIBOR-Fall der Cour d’appel de Paris, Société Thyssen Stahlunion v. Société Maaden, 06.04.1995, Revue de l’Arbitrage 1995, 466 in Deutschland oder der Schweiz problemlos hätte vollstreckt werden können. 235  BGer, Urteil v. 20.02.2013, Az.  4A_407/2012, Urteilsziffern 5.1–5.3. 236  Cour d’appel de Paris, Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 112.

C. Schiedsrichter

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ziehung Dritter.237 Grundsätzlich bleibt es den Schiedsrichtern selbst überlassen, wie sie sich ihre Rechtskenntnis beschaffen. Dies ist Ausfluss ihres umfassenden Ermessens. Die Einbeziehung Dritter ist jedoch nicht per se von dieser Rechts­ ermittlungsbefugnis umfasst; vielmehr ergeben sich insoweit Grenzen aus dem anwendbaren Verfahrensrecht sowie der Rechtsnatur des Schiedsverfahrens. Es ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, ob das Schiedsgericht Rechtssachverstän­dige bestellen, einen Sekretär benennen, Gerichte befragen oder amici zulassen darf.238 Bei dieser Prüfung kommt dem Willen der Parteien, den Eigenheiten des schiedsrichterlichen Mandats sowie der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens eine tragende Bedeutung zu. Außerdem ist zu beachten, dass Schiedsgerichte nicht Teil des Staatsapparats sind und deshalb über keine Hoheitsgewalt verfü­ gen. Dennoch bleibt dem Schiedsgericht unter Berücksichtigung dieser Beson­ derheiten eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten, um Dritte an der Rechts­ ermittlung zu beteiligen. a) Rechtssachverständige Im nationalen Recht wird bei Rechtssachverständigen grundsätzlich zwischen inländischem und ausländischem Recht getrennt. Dies ist auf die Rechtskenntnis der Richter zurückzuführen: Im Bereich des inländischen Rechts erscheinen Rechtssachverständige als verzichtbar, im Bereich des ausländischen Rechts hin­ gegen nicht. Gleichzeitig können nationale Richter zur Ermittlung des ausländi­ schen Rechts verpflichtet sein. In Erfüllung dieser Pflicht müssen deutsche Rich­ ter Rechtssachverständige deshalb selbst dann bestellen, wenn die Parteien damit nicht einverstanden sind.239 Die Grundregel in internationalen Schiedsverfahren lautet hingegen, dass die Parteien das letzte Wort über die formelle Einbeziehung von Rechtssachverstän­ digen haben.240 Sowohl das Modellgesetz als auch zahlreiche institutionelle Schiedsregeln sehen zwar eine schiedsgerichtliche Befugnis vor, nach eigenem Ermessen Sachverständige zu benennen.241 Diese Befugnis hängt allerdings ih­ 237 Aus praktischer Perspektive Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 43–49. 238  Hierbei kommt es auf den Wortlaut der Schiedsvereinbarung, den Inhalt der lex arbitri sowie die Auslegung der New York Convention am Vollstreckungsort an; s. zu den einzelnen Regelungsebenen Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32–37. 239  Zu der möglichen Verfassungswidrigkeit dieser Regelung Seibl, ZZP 128 (2015), 431, 453. 240  Ausführlich zu den Hintergründen Baum, FS Böckstiegel (2001), S.  21, 27–29. 241  Art.  26 Abs.  1 lit.  a) UNCITRAL-Modellgesetz; §  1049 Abs.  1 ZPO; Art.  28.2. Satz  1 DIS-Schiedsregeln. Nach Art.  28.3. Satz  1 DIS-Schiedsregeln hat das Schiedsgericht die Par­

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

rerseits vom Willen der Parteien ab, weil sie für das Schiedsverfahren und die Sachverständigen bezahlen. In der Praxis ist die schiedsrichterliche Befugnis zur Benennung jedoch viel­ mals nicht beschränkt, weil beide Parteien der Einbeziehung eines Rechtssach­ verständigen übereinstimmend entgegentreten müssen und dies nicht tun.242 Fehlt es an einer entsprechenden Entscheidung der Parteien, so könnte die Be­ fugnis des Schiedsgerichts zur Bestellung von Rechtssachverständigen dennoch in bestimmten Fällen ausgeschlossen sein. Die Begutachtung inländischen Rechts ist jedenfalls in Deutschland und den Vereinigten Staaten grundsätzlich unzulässig.243 Wie in staatlichen Gerichten, so kommt es auch in internationalen Schiedsverfahren auf die Rechtskenntnis der Entscheidungsträger an. Schon auf den ersten Blick ist zweifelhaft, ob ein homogen mit studierten Juristen besetztes Schiedsgericht einen Rechtssachverständigen zum anwendbaren Recht bestellen darf, dessen Inhalt allen Schiedsrichtern bekannt ist. Es kann aber für alle Betei­ ligten sachgerecht und effizient sein, wenn das Schiedsgericht sich Hilfe zu einer spezifischen Rechtsfrage beschafft.244 Anders als in staatlichen Gerichtsverfah­ ren für die Ermittlung inländischen Rechts sollte es in Schiedsverfahren keine Fallgruppe geben, in denen die Einbeziehung von Rechtssachverständigen per se als unzulässig eingeordnet wird. Die Existenz der Befugnis ist schließlich nicht mit der Angemessenheit ihrer Ausübung zu verwechseln.245 Die Einbeziehung von Rechtssachverständigen kann überdies Probleme auf­ werfen, wenn die Parteien bei der Anhörung des Sachverständigen nicht anwe­ send sind.246 In dem englischen Fall Hussmann Ltd v. Al Ameen Development befragte das Schiedsgericht den Sachverständigen und informierte die Parteien nicht darüber; die Existenz des Treffens kam erst bei einer späteren cross-examination ans Licht.247 Dennoch entschied sich der heutige Lord Chief Justice Thoteien vor Bestellung des Sachverständigen anhören. Inhaltlich entspricht diese Regelung Art.  25 Abs.  1 ICDR–Schiedsregeln. 242 Weiterführend zu Gründen für die schiedsrichterliche Rechtssachverständigenbenen­ nung Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 287–288. 243  Zu den Einzelheiten und Ausnahmen s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. II. 2. sowie B. II. 2. 244  Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 723 hält die Gutachtenerhebung über „inländi­ sches Recht“ ebenfalls für zulässig. 245  Hierzu gibt es zahllose unterschiedliche Empfehlungen, s. etwa Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283; Kim/Bang, ICCA Congress Series 2007, S.  779 sowie Karrer, FS Elsing (2015) S.  211. 246  In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, sich an der Rechtsprechung des Bun­ desgerichtshofs zum Umgang mit Sachverständigen im Bereich des ausländischen Rechts zu orientieren, s. dazu BGH, Urteil v. 10.07.1975, Az. II ZR 174/74, Rn.  8, NJW 1975, 2142, 2143 sowie ausführlich Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 2. b) und II. 2. 247  Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1256–1258.

C. Schiedsrichter

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mas, den Schiedsspruch nicht wegen einer serious irregularity aufzuheben.248 In der Praxis sollte aber höchste Vorsicht walten, um die Parteirechte im Umgang mit bestellten Rechtssachverständigen nicht zu missachten.249 Von dem Umgang mit einem bestellten Sachverständigen ist der Fall zu schei­ den, in dem ein Schiedsrichter sich auf eigenen Antrieb und eigene Kosten Kenntnisse zu einer Rechtsordnung beschaffen möchte.250 Dies kann erforder­ lich werden, wenn die anderen Schiedsrichter oder die Parteien der Bestellung eines Sachverständigen entgegentreten.251 In jedem Fall muss der Schiedsrichter bei seinen Erkundigungen dann die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens ach­ ten, darf keine Akteneinsicht gewähren und keine Hinweise zum konkreten Sachverhalt geben.252 Es erscheint aber noch als von seinem Ermessen umfasst, lediglich abstrakte Erkundigungen zu Rechtsfragen anzustellen.253 b) Sekretäre Eine Besonderheit der Schiedsgerichtsbarkeit liegt darin, dass die Schiedsrichter sich in ihrer Arbeit von Sekretären unterstützen lassen können.254 Dies ist Aus­ fluss der Parteiautonomie: Schlägt das Schiedsgericht die Einbeziehung eines Sekretärs vor, so werden die Parteien diesem Vorgehen regelmäßig zustimmen, wenn dadurch die Gesamtkosten des Verfahrens sinken.255 Ein Sekretär kann nicht nur verwaltend tätig werden, sondern auch bei der rechtlichen Informationsbeschaffung eine Rolle spielen.256 Das Schiedsgericht 248  Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1261. 249  Dieser Gedanke steckt hinter BGH, Urteil v. 10.07.1975, Az. II ZR 174/74, Rn.  8, NJW 1975, 2142, 2143; in internationalen Schiedsverfahren droht die Verletzung des rechtlichen Gehörs, s. ausführlich zu den Problemen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. e). 250  Dieser Fall wird in der Praxis nur selten vorkommen, weil Schiedsrichter regelmäßig ihr Schiedsrichterhonorar nicht für eigene Rechtsgutachten ausgeben werden, sondern sich auf die Parteien verlassen, s. Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44. 251  Zu diesem Problem Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 724. 252 Ausführlich zur Vertraulichkeit in Schiedsverfahren Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2779–2831. 253  Ein Aufhebungsgrund wird in einem solchen Verhalten grundsätzlich nicht liegen, weil der Schiedsrichter sich auch eigenständig Bücher kaufen darf, s. Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 724. 254  Grundlegend nun Jensen, Tribunal Secretaries in International Arbitration (2019) sowie bereits Partasides, 18 Arb. Int’l 147 (2002). 255  In der Praxis ist die Einschaltung von Sekretären verbreitet und beliebt, s. ausführlich die empirischen Befunde in ICCA, Young ICCA Guide on Arbitral Secretaries (2014), S.  39– 88. 256  „Researching questions of law“ ist nach Art.  3 Abs.  2 lit.  e) Young ICCA Guide on Ar­ bitral Secretaries eine typische und zulässige Tätigkeit für Sekretäre. Bislang gibt es noch we­

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

darf dem Sekretär also auftragen, Gesetze, Gerichtsentscheidungen oder sonsti­ge Rechtsquellen zu recherchieren.257 Außerdem ist der Sekretär befugt, das Schiedsgericht mit rechtswissenschaftlicher Literatur zu versorgen.258 Im Zu­ sammenhang mit der Ermittlung der Rechtslage darf das Schiedsgericht überdies mit dem Sekretär über Rechtsfragen sprechen und diesen zu seiner Meinung be­ fragen.259 Außerdem ist der Sekretär berechtigt, an den Beratungen des Schieds­ gerichts teilzunehmen.260 Insgesamt erinnern die Sekretäre deshalb an amerika­ nische law clerks oder wissenschaftliche Mitarbeiter deutscher Gerichte.261 Vorsicht ist jedoch dann geboten, wenn der Sekretär nicht nur in die Informa­ tionsbeschaffung, sondern auch in den Prozess der Entscheidungsfindung einbe­ zogen wird.262 Schließlich ist die Entscheidungsfindung unveräußerlicher Kern­ bestandteil des schiedsrichterlichen Mandats und darf nicht delegiert werden.263 Es ist folglich nicht mehr von der schiedsrichterlichen Befugnis umfasst, den Sekretär mit der Abfassung des materiell-rechtlichen Teils des Schiedsspruchs zu betrauen.264 Vollständige Schiedsspruchentwürfe sollten ebenfalls nicht in Auf­ trag gegeben werden.265 Es steht dem Schiedsgericht aber grundsätzlich frei, die Hilfe des Sekretärs bei dem prozessualen Teil des Schiedsspruchs in Anspruch zu nehmen.266

nig Rechtsprechung zur Verwendung von Sekretären in Schiedsverfahren, s. aber zuletzt BGer, Urteil v. 21.05.2015, Az.  4A_709/2014, Urteilsziffer 3 sowie P v Q, [2017] EWHC 194 (Comm). 257 Ausführlich Partasides, 18 Arb. Int’l 147, 157–158 (2002). 258 Weitere Nachweise zur Praxis bei Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 43. 259 Die Kenntnis der Akte sollte grundsätzlich nicht auf den Sekretär delegiert werden, BGer, Urteil v. 21.05.2015, Az.  4A_709/2014, Urteilsziffer 3.2.2. 260  Art.  3 Abs.  2 lit.  i) Young ICCA Guide on Arbitral Secretaries Großzügig sowie aus­ drücklich BGer, Urteil v. 21.05.2015, Az.  4A_709/2014: „Elles n’excluent pas une certaine assistance dans la rédaction de la sentence, sous le contrôle et conformément aux directives du tribunal arbitral ou, s’il n’est pas unanime, des arbitres majoritaires, ce qui suppose que le secrétaire assiste aux audiences et aux délibérations du tribunal arbitral.“ 261  Zu den Parallelen Partasides, 18 Arb. Int’l 147, 152–156 (2002). 262  Sehr ausführlich zuletzt die Entscheidung von Justice Popplewell, P v Q, [2017] EWHC 194 (Comm). 263  Grundlegend Cass., Urteil v. 07.06.1989, Nr.  2765 = Yearbook Commercial Arbitration, Volume 16 (1989), S.  156. 264  Diese Frage wurde von Rechtbank Den Haag, Urteil v. 20.04.2016, Az. C/09/477160 nicht entschieden, weil die Yukos-Schiedssprüche schon aus anderen Gründen aufzuheben waren. Es ist aber überaus fraglich, ob der Beschäftigungsumfang des Sekretärs in den Yukos-Fällen noch zulässig war. 265  Partasides, 18 Arb. Int’l 147, 158 (2002). 266  In diese Richtung BGer, Urteil v. 21.05.2015, Az.  4A_709/2014, Urteilsziffer 3.2.2.

C. Schiedsrichter

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c) Gerichte und Behörden Anders als staatliche Gerichte sind Schiedsgerichte nicht Teil des Staatsapparats und verfügen nicht über Hoheitsgewalt.267 Die Frage nach der Einbeziehung von Behörden und Gerichten ist deshalb eine doppelte: einerseits muss das Schieds­ gericht zu einem derartigen Schritt befugt, andererseits die staatlichen Einrich­ tungen mit ihrer Einbeziehung einverstanden sein.268 Im Ausgangspunkt darf das Schiedsgericht eine Rechtsfrage weder einem staatlichen Gericht noch einer Behörde zur Entscheidung vorlegen.269 Die Partei­ en haben die Einbeziehung von staatlichen Institutionen mit ihrer Schieds­abrede bewusst auf ein Minimum beschränkt und gleichzeitig den Schiedsrich­ tern ein exklusives Mandat zur Entscheidung des Rechtsstreits erteilt.270 Das Schiedsgericht ist deshalb lediglich in Übereinstimmung mit dem Willen der Parteien befugt, staatliche Gerichte oder Behörden um eine Rechtsauskunft zu bitten.271 Diese Befugnis ist ihrerseits Ausfluss der Parteiautonomie. Es liegt in den Händen der Parteien, ihren Verzicht auf die staatliche Gerichtsbarkeit partiell zurücknehmen und unterstützende Auskunftshandlungen zuzulassen.272 Umgekehrt ist damit über die Reaktion von Gerichten und Behörden aber nichts gesagt.273 Grundsätzlich üben staatliche Institutionen Zurückhaltung dar­ 267  9 U.S.C. §  7, wonach Schiedsrichter Dritte per subpoena vor das Schiedsgericht zwin­ gen können, ist im internationalen Vergleich eine absolute Ausnahme und wird von amerikani­ schen Gerichten sehr restriktiv ausgelegt, s. Baum, FS Böckstiegel (2001), S.  21, 23 mit Fn.  9. 268 Vertiefend Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44. 269  Dies ist Ausfluss der schiedsverfahrensrechtlichen Exklusivität, s. Born, International Commercial Arbitration, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  1274–1275. Dazu passend lässt Art.  27 UN­ CITRAL-Modellgesetz staatliche Unterstützung nach seinem Wortlaut nur bei Beweisfragen und nicht bei Rechtsfragen zu. 270  Die Entscheidung des Rechtsstreits ist unveräußerlicher Teil des Mandats; bei Missach­ tung dieser Aufgabe kommt die Aufhebung des Schiedsspruchs in Betracht, s. Cass., Urteil v. 07.06.1989, Nr.  2765 = Yearbook Commercial Arbitration, Volume 16 (1989), S.  156; BGer, Urteil v. 21.05.2015, Az.  4A_709/2014, Urteilsziffer 3. 271  So ausdrücklich Section 45(2)(b)(i) Arbitration Act 1996. Nach dieser Vorschrift kön­ nen Gerichte unter engen Voraussetzungen in die Entscheidung von Rechtsfragen einbezogen werden. Weitere Nachweise bei Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44. 272  Dazu Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 1. c). Dies zeigt sich an Section 45(4) Arbitration Act 1996, der eine Fortsetzung des schiedsgerichtlichen Verfahrens unter den Vorbehalt der Partei­ zustimmung stellt. §  1050 ZPO wird in Deutschland dahin verstanden, dass die Schiedsrichter über diesen Weg Auskunft zu Rechtsfragen einholen können, s. Münch, in: Münchener Kom­ mentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1050 ZPO, Rn.  9 und 11. 273 Anders als manche common law-Rechtsordnungen kennt die deutsche Rechtsordnung eine inhaltliche Einbindung von staatlichen Gerichten zur Entscheidung von Rechtsfragen ge­ rade nicht, s. zum Ganzen Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

in, Schiedsgerichten bei der Ermittlung des Rechts zu helfen.274 Die Schieds­ gerichtsbarkeit wird gerade auch deshalb zugelassen, um den Staat von Auf­gaben und Ausgaben zu entlasten.275 Die Parteien müssen folgerichtig Gerichtsgebüh­ ren entrichten, wenn sie staatliche Gerichte über den Umweg der Schieds­ gerichtsbarkeit um Hilfe bei der Feststellung der Rechtslage bitten.276 Zugleich geht der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Schiedsgerichte nicht zur Vorlage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfah­ rens befugt sind.277 Das amerikanische Verfahren der certification steht ebenfalls nicht zur Verfügung.278 Im praktischen Regelfall bleibt es Schiedsgerichten deshalb vielfach nur, Staatsdiener in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen im Schiedsverfahren als Sachverständige zu beteiligen.279 d) Amicus curiae Im amerikanischen Recht tragen amicus curiae-Schriftsätze zur richterlichen Rechtsfindung bei.280 Diese Hilfestellung lässt sich in Schiedsverfahren jedoch nicht in gleichem Maße fruchtbar machen.281 Anders als bei staatlichen Gerichts­ Behörden reagieren nicht direkt auf Anfragen von Schiedsgerichten nach dem Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht von 1968, sondern müs­ sen über Gerichte nach §  1050 ZPO einbezogen werden, s. Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1050 ZPO, Rn.  9. In den Niederlanden kann das Schiedsgericht staat­ liche Gerichte ausdrücklich darum bitten, insoweit Auskunft einzuholen, Art.  1044 Rv. (Nie­ derlande). 275  In Deutschland wäre deshalb bereits das Rechtsschutzbedürfnis bei der Feststellungs­ klage fraglich; §  1050 ZPO spricht überdies lediglich von einer „Unterstützung“. 276  Für Unterstützungshandlungen nach §  1050 ZPO fällt eine Gerichtsgebühr nach GKG KV 1625 an. 277 EuGH, Nordsee Deutsche Hochseefischerei GmbH v. Reederei Mond Hochseefischerei Nordstern AG & Co. KG, Urteil v. 23.03.1982, Rs.  102/81. Staatliche Gerichte können aber möglicherweise als „Vorlagebote“ dienen, s. Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1050 ZPO, Rn.  11. In diese Richtung Art.  27 Abs.  2 Voldgiftsloven (Dänemark). 278  In Illinois ist das certification-Verfahren nach ILCS S. Ct. Rule 20 auf staatliche Gerich­ te beschränkt; dies gilt in New York nach NY Const., Art. VI, §  3(9); 22 NYCRR 500.27 eben­ falls. 279  Für Zwangsmaßnahmen gegen Zeugen sind Schiedsgerichte wiederum auf die Unter­ stützung staatlicher Gerichte angewiesen, s. Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1050 ZPO, Rn.  6. 280 Grundlegend nun Wiik, Amicus Curiae Before International Courts and Tribunals (2018). Ausführlich Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. II. 2. 281 Dies gilt im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nicht gleichermaßen, s. grundlegend Methanex Corp. v. United States, Decision of the Tribunal on Petitions from Third Persons to Intervene as „Amici Curiae“, 15.01.2001 anlässlich eines NAFTA-Schiedsverfah­ rens nach den UNCITRAL-Schiedsregeln. 274 

C. Schiedsrichter

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verfahren ist zu sehen, dass amici in der Praxis bereits von der Existenz eines Schiedsverfahrens oft keine Kenntnis erlangen werden. Abgesehen davon haben amici an alltäglichen Handelsschiedsverfahren aber auch von vornherein weni­ ger Interesse als an Schiedsverfahren im Bereich des Investitionsschutzes.282 Schließlich geht es in Handelsschiedsverfahren im Normalfall nicht um die po­ litischen Fragen, auf deren Entscheidung viele amici Einfluss nehmen wollen.283 Die Initiative zur Einbeziehung muss deshalb von dem Schiedsgericht selbst ausgehen. Hierbei ist zunächst zu sehen, dass die Information von amici unter Umständen zu Problemen mit der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens führen kann.284 Aus Sicht des Schiedsgerichts erscheint es vor diesem Hintergrund als empfehlenswert, sich mit den Parteien abzustimmen, bevor amici einbezogen werden. Gerade in bedeutenden Schiedsverfahren kann sich die Beteiligung von amici aber durchaus bezahlt machen. So können amicus curiae-Schriftsätze nicht nur bei der Rechtsermittlung helfen, sondern auch die Legitimität des Schiedsspruchs steigern.285 Umgekehrt entbinden amici die Schiedsrichter aber nicht von ihrer Aufgabe, den Rechtsstreit eigenständig zu entscheiden.286 4. Zusammenfassende Würdigung Schiedsrichter sind zur eigenständigen und unabhängigen Ermittlung der Rechts­ lage befugt. Diese Befugnis ruht auf zwei Säulen: erstens ist sie Teil des schieds­ richterlichen Verfahrensermessens und zweitens unveräußerlicher Ausdruck des schiedsrichterlichen Mandats. Die Schiedsrichter dürfen sich die rechtlichen ­Urteilsgrundlagen selbst beschaffen und ihre Rechtskenntnis in das Verfahren einbringen. An die Rechtsausführungen der Parteien sind sie dabei grundsätzlich Dieser Ansatz lässt sich bislang nicht belegen, weil amici keine Kenntnis von Handels­ schiedsverfahren erhalten und deshalb über ihre eigene Teilnahme nicht entscheiden können, s. zu möglichen zukünftigen Entwicklungen Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2815–2823. 283  Zu den Anforderungen an die Zulassung von amici in der Investitionsschiedsgerichts­ barkeit Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona, S.A., and Vivendi Universal S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/19, Order in Response to a Petition by Five Non-Governmental Organizations for Permission to make an amicus curiae Submission, 12.02.2007. 284  Zur Vertraulichkeit etwa Art.  44 Abs.  1 DIS-Schiedsregeln; Art.  37 ICDR-Schiedsre­ geln. Nach Art.  26 Abs.  3 S.  2 ICC-Schiedsregeln dürfen Dritte ohne Zustimmung der Parteien und der Schiedsrichter nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Ähnlich Art.  19.4 LCIA-Schiedsregeln; Art.  26 Abs.  6 ICDR-Schiedsregeln; Art.  25 Abs.  6 SRIA-Schiedsregeln. 285  Dies ist insbesondere in Investitionsschiedsverfahren nicht unüblich, s. Methanex Corp. v. United States, Decision of the Tribunal on Petitions from Third Persons to Intervene as „Ami­ ci Curiae“, 15.01.2001. 286  Dazu BGer, Urteil v. 21.05.2015, Az.  4A_709/2014, Urteilsziffer 3. 282 

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

nicht gebunden. Überdies begründet ein Hinweis auf eine bislang nicht disku­ tierte Rechtsquelle regelmäßig keine Zweifel an der Neutralität eines Schieds­ richters. Die schiedsrichterliche Befugnis zur Ermittlung der Rechtslage ist aber nicht unbegrenzt. Schranken für die Rechtsermittlung können sich aus der Reichweite der Schiedsvereinbarung, dem Schiedsgegenstand sowie dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs ergeben. Dabei ist zu sehen, dass die Finalität des Schieds­ spruchs von höchster Bedeutung ist. Die genannten Rechtsermittlungsschranken dürfen nicht als Einfallstor für eine Rechtskontrolle von Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte dienen. In Ausübung ihrer Parteiautonomie können die Parteien die Reichweite der Schiedsvereinbarung nicht nur gestalten und begrenzen, sondern auch Art und Inhalt des anwendbaren Rechts festlegen. Es liegt in ihren Händen, das Schieds­ gericht in seiner Rechtsermittlung zu binden. Dieser Befund sollte Schiedsrichter jedoch nicht darin hindern, von übereinstimmendem Rechtsvortrag der Parteien abzuweichen. Die Parteien sind sich der Komplexität internationaler Schiedsver­ fahren sowie der Fehleranfälligkeit ihrer eigenen Rechtsausführungen durchaus bewusst. Aus diesem Grund enthalten bloße Rechtsausführungen gerade keinen Bindungswillen der Parteien, die Rechtsprüfung des Schiedsgerichts zu be­ schränken. Ansonsten würde eine fehlerhafte Rechtsprämissenbildung stets das Risiko des konkludenten Rechtsverzichts in sich tragen. Der Grundsatz ne ultra petita hindert das Schiedsgericht überdies nicht, die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen eigenständig rechtlich zu qualifizieren und die Rechtslage zu ermitteln. Die Rechtsausführungen sind nicht Teil des Antrags und daher auch nicht Teil des Schiedsgegenstandes. Folglich kann ne ultra petita in Aufhebungsverfahren nicht dazu missbraucht werden, die Strenge des aktionenrechtlichen Denkens wieder aufleben zu lassen. Die Hauptschranke für die schiedsrichterliche Rechtsermittlung kann also nur im rechtlichen Gehör liegen. Das rechtliche Gehör ist mit dem Grundsatz iura novit curia eng verwoben und der eigentliche Auslöser für den Streit um iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren. So gibt es Rechtsordnungen, in denen Schiedsrichter den Parteien ihre Rechtsansicht nicht mitteilen müssen und auch nicht zu einem Rechtsgespräch verpflichtet sind. In anderen Rechtsordnun­ gen wird das Verschweigen von eigenen Rechtsansichten hingegen als derart gra­ vierender Verfahrensfehler angesehen, dass die Aufhebung des Schiedsspruchs als einzige Lösung erscheint. Ein transnationaler Mittelweg zwischen diesen bei­ den Polen konnte sich bislang nicht durchsetzen. Insbesondere leistet der Begriff der Überraschungsentscheidung keine Hilfestellung, weil Überraschungen stets von Erwartungen abhängen. Diese Erwartungen sind in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht einheitlich. In der Praxis bleibt deshalb nur, die An­

C. Schiedsrichter

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forderungen an den Gehörsanspruch am Sitzort sowie an möglichen Vollstre­ ckungsorten zu prüfen, um die Aufhebungsfestigkeit des Schiedsspruchs abzu­ sichern. Von schiedsrichterlichen Recherchen ist die Einbeziehung Dritter zu trennen. Potentielle Informationsquellen sind Rechtssachverständige, Sekretäre, Gerichte und Behörden sowie amici curiae. Letztlich bleiben die Möglichkeiten von Schiedsgerichten insoweit allerdings hinter denjenigen staatlicher Gerichte zu­ rück.

II. Schiedsrichterliche Pflicht Nach der klassischen Definition von Kant ist eine Pflicht „die Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“.287 Bei der Beurteilung einer schieds­ richterlichen Rechtsermittlungspflicht geht es nicht darum, ob eine solche Pflicht nun rechtspolitisch wünschenswert ist oder nicht.288 Vielmehr handelt es sich um eine prozessuale Rechtsfrage, die unter Rückgriff auf die anwendbaren Rechts­ vorschriften beantwortet werden kann und muss.289 Dennoch lehnen zahlreiche schiedsverfahrensrechtliche Autoren eine Rechts­ ermittlungspflicht von vornherein und ohne nähere Rechtsprüfung ab.290 Andere Autoren klammern die Existenz einer derartigen Pflicht von vornherein aus ihrer Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1786, S.  14. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass dem Begriff des „Gesetzes“ bei Kant eine eigene Bedeutung zu­ kommt. 288  In der Tat stellt Kant ausdrücklich klar, dass es bei der Befolgung von „Gesetzen“ gerade nicht auf die Neigung der Gesetzesunterworfenen ankommt, s. Kant, Grundlegung zur Meta­ physik der Sitten, 2.  Aufl. 1786, S.  15: „Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung, und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als objectiv, das Gesetz, und subjectiv reine Achtung für dieses practische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze, selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen, Folge zu leisten.“ Dieser strenge Pflichtbegriff wurde freilich der Sa­ che nach spätestens seit Radbruch relativiert, ist aber nach wie vor der gedankliche Ausgangs­ punkt für die Existenz von Rechtspflichten, s. zur Radbruch’schen Formel Radbruch, SJZ 1946, 105, 107 sowie BVerfG, Beschluss v. 24.10.1996, Az.  2 BvR 1851/94, Rn.  140, BVerfGE 95, 96, 134–135. 289 Ebenso Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 5–9 (2015); Carlevaris, ­Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 514–518; Dimolitsa, 27 ASA Bulletin 426, 430–431 (2009); Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 499–501; Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 17–18 (2010); Lew, Legal Studies Research Paper No.  72/2010, S.  11; Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 334–343; Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 135–137. 290 In diese Richtung Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 43; Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 68 (2015); Jones, 78 Arbitration 102, 113 (2012); Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 92 (2008); Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005); Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 671–672 (2012); Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 492–496 (2003); 287 

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Untersuchung aus.291 Beide Ansätze greifen indes zu kurz, weil die Ermessens­ ausübung untrennbar mit der Existenz einer Pflicht zusammenhängt.292 Schließ­ lich kann ein Ermessen schon begrifflich bei Vorliegen einer Pflicht nicht beste­ hen.293 Im Unterschied zum Ermessen liegt das Wesen einer Pflicht nämlich ge­ rade darin, dass sich das Können auf eine Handlungsmöglichkeit verdichtet.294 Gleichzeitig ist ein Sollensbefehl aber nur dann rechtlich zwingend, wenn bei Nichtbeachtung des Befehls eine nachteilige Konsequenz droht.295 Neben der Herleitung einer Pflicht ist deshalb auch die Möglichkeit ihrer Durchsetzung in den Blick zu nehmen. Gerade an der Durchsetzbarkeit zeigt sich nun das Zusammenspiel von Pflicht und Ermessen. Die Rechtsermittlungspflicht verblasst nicht schon deshalb, weil sie rechtlich als nicht durchsetzbar erscheint.296 Stattdessen verwandelt die Rechtspflicht sich in eine moralische Pflicht, die ihrerseits im Ermessen Berück­ sichtigung findet. Die Durchsetzbarkeit dient daher als verbindende Brücke zwi­ schen Rechtspflicht und empfehlenswerter Ermessensausübung. Ohne eine Aus­ einandersetzung mit einer Pflicht kann also nur eine unvollständige Empfehlung zur Ermessensausübung gegeben werden.297 Zuerst ist auf mögliche Quellen einer schiedsrichterlichen Pflicht, dann auf ihre Reichweite und schließlich auf ihre Durchsetzbarkeit einzugehen.

Schmidt-Ahrendts, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO/DIS-SchO Praxiskommentar (2014), §  23 Dis-SchO, Rn.  59–62; Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 222 (2011). 291  Ausdrücklich Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 102 mit Fn.  4. 292  Der Grund für das Missverständnis liegt bereits in der Begriffsbildung, sofern unter iura novit curia teils nur eine Befugnis verstanden wird, s. exemplarisch Capper/Ljungström/ Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32 sowie Jones, 78 Arbitration 102, 110–111 (2012). 293  Grundlegend zum Ermessen für das deutsche Recht BVerfG, Beschluss v. 12.11.1958, Az.  2 BvL 4/56, Rn.  194 und 198, BVerfGE 8, 274, 325–326. 294  Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9.  Aufl. 2018, §  40 ­VwVfG, Rn.  12–13. 295 Ausführlich zu dem Zusammenhang zwischen Macht und Rechtsgeltung Radbruch, Rechtsphilosophie, 2.  Aufl. 2003, S.  83. 296  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1786, S.  18: „Nun ist es doch etwas ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu seyn, als aus Besorgniß der nachtheiligen Folgen“. 297  Eine nicht durchsetzbare Pflicht wird folglich im Rahmen der Zweckmäßigkeit rele­ vant, die ihrerseits den Kern der Ermessensausübung ausmacht, s. zum Verhältnis von Ermes­ sen und Zweckmäßigkeit Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9.  Aufl. 2018, §  40 VwVfG, Rn.  12–13.

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1. Herleitung Schiedsrichter sind keine Staatsdiener. Ihre Pflichten ergeben sich somit nicht aus einem Dienstverhältnis.298 Stattdessen sind Schiedsrichter Privatpersonen, denen von den Parteien ein schiedsrichterliches Mandat übertragen wurde. Die­ ses Mandat begründet die prozessualen Pflichten der Schiedsrichter. Gleichzeitig wird der Inhalt des schiedsrichterlichen Mandats durch die anwendbaren prozes­ sualen Regeln bestimmt. Die Parteien wählen diese Regeln selbst. Es liegt mithin zuvörderst an ihnen, die Pflichten der Schiedsrichter näher auszugestalten. Die Ausübung dieser Parteiautonomie kann entweder im Rahmen der Schieds­ vereinbarung selbst oder aber über die Einbeziehung von institutionellen Schiedsregeln erfolgen. Dabei dient die lex arbitri als Rückfallrecht, sofern die Schiedsvereinbarung oder die institutionellen Schiedsregeln keine Antwort auf die Frage nach einer Rechtsermittlungspflicht enthalten.299 Aus den lex arbitri-Regelungen über die Aufhebung von Schiedssprüchen so­ wie den Vollstreckungsversagungsgründen in der New York Convention erwach­ sen hingegen keine direkten Schiedsrichterpflichten, weil sich diese an staatliche Gerichte richten. Dennoch ist die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs für die Entfaltung des schiedsrichterlichen Pflichtengefüges von grundlegender prakti­ scher Bedeutung. Die Bemühungen des Schiedsgerichts sind schließlich regel­ mäßig auf einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu richten.300 Zuerst wird die Parteivereinbarung, dann die lex arbitri und zuletzt das Voll­ streckungsregime auf eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht hin un­ tersucht. a) Parteivereinbarung Da das schiedsrichterliche Mandat auf einer Parteivereinbarung beruht, sind de­ ren Bestimmungen als erstes in den Blick zu nehmen. Es existieren durchaus Schiedsklauseln, aus denen sich Aussagen zu Art und Umfang der schiedsrichter­ lichen Rechtsermittlungspflichten ableiten lassen. Neben der Schiedsvereinba­ rung ergeben sich schiedsrichterliche Pflichten in der Praxis aber vor allem aus 298  Mit dem Dienstverhältnis geht ein Richtereid einher, s. etwa §  38 Abs.  1 DRiG. In Deutschland hat sich die Pflicht zur Anwendung des ausländischen Rechts aus einer richter­ lichen Ehrenpflicht entwickelt, s. dazu ausführlich Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 2. a). 299  Außerdem gewinnt die lex arbitri an Bedeutung, wenn die Parteien sich für ein Ad-hoc-­ Schiedsverfahren entschieden haben. Gerade bei Ad-hoc-Schiedsverfahren können aber auch die UNCITRAL-Schiedsregeln zum Einsatz kommen, s. Präambel, 8. Erwägungsgrund, UNCITRAL-Schiedsregeln sowie vertiefend Born, International Commercial Arbitra­ ­ tion, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  170–171. 300  Statt aller s. die Ausführungen bei Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 227–228 (2011). Anders aber Karrer, FS Briner (2005), S.  429.

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der Einbeziehung von institutionellen Schiedsregeln. Die Regelung der schieds­ richterlichen Rechtsermittlung kann dabei ausdrücklich oder in systematischer Auslegung deutlich werden. aa) Schiedsvereinbarung Im Normalfall wird sich in der Schiedsvereinbarung keine Regelung finden, die sich ausdrücklich mit den Pflichten des Schiedsgerichts oder gar mit einer Pflicht zur eigenständigen Rechtsermittlung auseinandersetzt. Dieser Befund darf Schieds­richter jedoch nicht davon abhalten, die Schiedsvereinbarung sorgfältig auszulegen. Entscheiden die Parteien sich für eine Standardschiedsvereinbarung, so lässt sich daraus für eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht in der Regel nichts ableiten.301 Anders ist dies allerdings dann, wenn die Schiedsvereinba­ rung über die Minimalanforderungen hinausgeht und Einblicke in die von den Parteien gewünschte Verfahrensgestaltung ermöglicht. So gibt es Schiedsklau­ seln, in denen die Parteien die analoge Geltung der prozessualen Regelungen einer Rechtsordnung für das Schiedsverfahren vorsehen.302 Gerade in älteren deutschen Schiedsklauseln ist regelmäßig vorgesehen, dass die Schiedsrichter die gesamte Zivilprozessordnung bei der Durchführung des Schiedsverfahrens beachten sollen.303 Umgekehrt ist aber ebenso denkbar, dass die Parteien ihr Schiedsverfahren an den Federal Rules of Civil Procedure oder anderen nationa­ len Bestimmungen ausrichten wollen. Gestalten die Parteien ihr Schiedsverfahren ausdrücklich in Anlehnung an eine bestimmte Rechtsordnung, so gelten für die Schiedsrichter grundsätzlich eben­ jene Pflichten in Bezug auf die Rechtsermittlung, die auch für nationale Richter gelten. An diesem Punkt gewinnt die Rechtsvergleichung an Bedeutung: Bei ei­ nem Verweis auf die Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung werden die Schiedsrichter grundsätzlich zur Rechtsermittlung verpflichtet sein, bei einem Verweis auf die Federal Rules of Civil Procedure hingegen nicht.304 Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 210 (2011). Standardschiedsvereinbarungen enthalten regelmäßig nur Hinweise auf die Anzahl der Schiedsrichter, den Schiedsort sowie die Verfahrenssprache, s. die Musterklausel von UNCITRAL in den UNCITRAL-Schiedsregeln (2013), S.  31. Zum mittelbaren Einfluss der Sitzwahl auf die Ausgestaltung des Schiedsver­ fahrens s. Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2059–2060. Zu der Herleitung einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht aus der lex arbitri selbst s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. b). 302  Trittmann, FS Elsing (2015), S.  571, 584. 303  Eine typische Formulierung findet sich bei Trittmann, FS Elsing (2015), S.  571, 584 mit Fn.  72. 304  In Deutschland gilt die Rechtsermittlungspflicht für in- und ausländisches Recht glei­ 301 Ebenso

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Bisweilen finden sich überdies Schiedsvereinbarungen, nach denen das Schieds­verfahren „kontinental-europäischen Zivilprozessregeln“ folgen solle.305 Durch eine solche Formulierung werden die Auslegungsschwierigkeiten erhöht, weil auch in kontinental-europäischen Rechtsordnungen erhebliche Unterschie­ de bestehen, wenn es um die richterlichen Rechtsermittlungspflichten geht.306 Wenig eindeutig ist auch eine Klausel, die eine Verfahrensgestaltung in Überein­ stimmung mit den Prinzipien des „common law“ anordnet. Auf die Spitze lassen sich die Auslegungsschwierigkeiten treiben, wenn die Parteien in ihrer Schiedsklausel die Geltung von iura novit curia vereinbaren.307 In unterschiedlichen Rechtskulturen herrschen schließlich unterschiedliche Mei­ nungen darüber, ob iura novit curia eine Pflicht zur Rechtsermittlung umfasst oder nicht.308 Bei der Auslegung einer solchen Klausel ist deshalb auf das rechts­ kulturelle Vorverständnis sowie den Parteiwillen zu achten. Letztlich zeigen diese Beispiele, dass der Wortlaut der Klausel im Einzelfall sorgfältig auszulegen ist; pauschale Aussagen zu dem Bestehen oder dem Nicht­ bestehen einer Rechtsermittlungspflicht verbieten sich. bb) Institutionelle Schiedsregeln Die Parteien beziehen den Inhalt institutioneller Schiedsregeln regelmäßig in ihre Schiedsvereinbarung ein.309 Aus dieser Wahl lässt sich aber gerade nicht ableiten, dass diesen Schiedsregeln nahestehende nationale Prozessvorschriften zur Lückenfüllung herangezogen werden sollten.310 Wählen die Parteien etwa die DIS-Schiedsregeln, so erklären sie damit nicht konkludent die Vorschriften chermaßen, wohingegen in den Vereinigten Staaten weder für in- noch für ausländisches Recht eine Recherchepflicht besteht, s. vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 2. Daran ändern bei der Übertragung auf die Schiedsgerichtsbarkeit die unterschiedlichen Rechtsermittlungsmög­ lichkeiten nichts, weil dieses Spannungsfeld über die Reichweite der Verpflichtung aufgelöst werden kann, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 2. 305  So ausdrücklich der Gestaltungsvorschlag von Trittmann, FS Elsing (2015), S.  571, 589. 306 Zu den ausgeprägten Unterschieden innerhalb von Kontinentaleuropa s. statt aller Schweizer Institut für Rechtsvergleichung, JLS/2009/JCIV/PR/0005/E4. 307 Zur schwierigen Begriffsbestimmung bereits Erster Teil, B. Insgesamt erscheint die Vereinbarung einer derartigen Klausel als keine gute Idee, weil iura novit curia mit zu vielen unterschiedlichen Bedeutungen und Vorverständnissen aufgeladen ist, s. Brooker, Bepress Le­ gal Series Working Paper No.  845 (2005). 308  Aus diesem Grund verstehen zahlreiche schiedsverfahrensrechtliche Autoren unter iura novit curia lediglich eine Befugnis, s. etwa Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 32. 309 Etwa 80  % aller Handelsschiedsverfahren laufen unter Einbeziehung einer Schieds­ institution ab, s. Queen Mary Survey 2010, S.  17. 310  Fehlt es an der Wahl eines Sitzes, so kann dies in Schiedsregeln durchaus zur standard­ mäßigen Festlegung des Heimatsitzes führen, s. etwa Art.  14 Abs.  1 PCC-Schiedsregeln.

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der Zivilprozessordnung für anwendbar.311 Vielmehr ist stets im Einzelfall zu analysieren, ob sich aus den Schiedsregeln selbst eine Pflicht des Schiedsgerichts zur eigenständigen Rechtsermittlung herleiten lässt und wie etwaige Lücken zu füllen sind. Im Normalfall setzen sich institutionelle Regeln nicht ausdrücklich mit der Art und Weise der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung auseinander. Nur aus­ nahmsweise findet sich eine Vorschrift, die sich mit dem Vorgang der Rechts­ ermittlung befasst.312 So erlauben es einige institutionelle Schiedsregeln den Mitgliedern des Schiedsgerichts, das Recht über die Rechtsausführungen der Parteien hinaus zu ermitteln.313 Die Ausübung dieser Befugnis liegt dabei im Ermessen des Schiedsgerichts.314 Im Umkehrschluss fehlt es dann gerade an ei­ ner Rechtsermittlungspflicht. Ansonsten hätte der institutionelle Regelgeber von vornherein keine Befugnis, sondern eine Pflicht vorgesehen. Greifen die institutionellen Schiedsregeln die Frage nach der schiedsrichterli­ chen Rechtsermittlung hingegen nicht ausdrücklich auf, so kann daraus nicht unbesehen auf das Fehlen einer entsprechenden Pflicht geschlossen werden.315 Vielmehr ist zu untersuchen, ob die Lücke in Übereinstimmung mit den Vor­ schriften der jeweils anwendbaren institutionellen Schiedsregeln geschlossen werden kann.316 Besonders relevant sind in diesem Zusammenhang die Rege­ 311  In den DIS-Schiedsregeln 1998 wurde sogar ausdrücklich klargestellt, dass bei Wahl eines deutschen Sitzes lediglich die „§§  1025 ff. ZPO“ Anwendung finden sollen, s. DIS-­ Schiedsregeln 1998, S.  2 mit Fn.  7. Diese Fußnote wurde bei der Überarbeitung gestrichen; in der Sache ergibt sich daraus aber keine Änderung. 312  Der Trend geht dahin, die Frage in Schiedsregeln aufzugreifen. In den neuen Regeln der polnischen Handelskammer wurde etwa in Art.  6 Abs.  2 PCC-Schiedsregeln ausdrücklich eine Vorschrift eingefügt. Diesem Trend folgen die überarbeiteten DIS-Schiedsregeln jedoch nicht; dort ist weiterhin keine Vorschrift zum Vorgang der Rechtsermittlung enthalten. 313  Exemplarisch Art.  6 Abs.  2 PCC-Schiedsregeln: „An award may not be based on legal grounds different from those relied on by either of the parties, unless the Arbitral Tribunal no­ tifies the parties in advance and gives them an opportunity to be heard concerning such legal grounds.“ Inhaltlich vergleichbar Art.  22.1 lit.  iii) LCIA-Schiedsregeln; Art.  27 lit.  m) SIAC-­ Schiedsregeln. 314  Art.  22.1 LCIA-Schiedsregeln verwendet ausdrücklich das Wort „may“. In Art.  27 SIAC-­Schiedsregeln heißt es „the Tribunal shall have the power to“. 315  In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur werden institutionelle Schiedsregeln re­ gelmäßig nicht systematisch auf die Existenz einer derartigen Pflicht hin untersucht. Allein Mantakou weist zu Recht darauf hin, dass die Parteien in den ICC-Schiedsregeln das Recht ursprünglich gerade nicht vortragen mussten, s. Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 489. Dies wurde aber mit Einführung der neuen ICC-Schiedsregeln geändert, s. dazu Art.  4.3 lit.  h) ICC-Schiedsregeln. 316  Nur wenn sich über die Auslegung keine Regelung erkennen lässt, lebt das allgemeine schiedsrichterliche Ermessen nach Art.  19 Abs.  2 UNCITRAL-Modellgesetz sowie §  1042 Abs.  4 ZPO auf.

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lungen zum anwendbaren Recht sowie zum Inhalt von Schiedsklage und Klage­ erwiderung. In Anlehnung an das Modellgesetz enthalten institutionelle Schiedsregeln re­ gelmäßig eine Regelung, die sich mit dem anwendbaren Recht auseinandersetzt. Danach hat das Schiedsgericht die Streitigkeit in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften zu entscheiden, die von den Parteien als auf den Inhalt des Rechtsstreits anwendbar bezeichnet worden sind.317 Umgekehrt darf die Rechts­ anwendung nur ex aequo et bono erfolgen, wenn die Parteien das Schiedsgericht hierzu ausdrücklich ermächtigt haben.318 Muss das Schiedsgericht nun das Recht anwenden, so könnte daraus auf eine Pflicht zur eigenständigen Rechtser­ mittlung geschlossen werden. Dieser Schluss geht aber fehl: Die Rechtsanwen­ dungsvorschrift hat lediglich internationalprivatrechtlichen Gehalt, trifft aber über die Aufgabenverteilung zwischen Schiedsgericht und Parteien keine ab­ schließende Aussage. Mit der Pflicht zur Entscheidung nach Rechtsregeln geht keine Pflicht einher, die einschlägigen Rechtsregeln selbst zu ermitteln.319 Die Schiedsrichter können das Recht schließlich auch auf Grundlage der von den Parteien vorgetragenen Vorschriften anwenden, ohne dabei eine Entscheidung nach Billigkeit zu treffen. Direkt angesprochen wird die Aufgabenverteilung von den Vorschriften über den Inhalt von Schiedsklage und Klageerwiderung. Eine Reihe von institutionel­ len Schiedsregeln verlangt vom Kläger, seine Schiedsklage im Rahmen eines statement of claim mit Rechtsausführungen zu untermauern.320 Zugleich ist der Beklagte gehalten, auf die rechtlichen Argumente seinerseits mit Rechtsausfüh­ rungen zu reagieren.321 Es existieren aber ebenso Schiedsregeln, die weder dem Kläger noch vom Beklagten Rechtsausführungen verlangen, sondern Tatsachen­ 317  Art.  31 Abs.  1 S.  1 ICDR-Schiedsregeln; 31.1. SIAC-Schiedsregeln; Art.  33 Abs.  1 SRIA-Schiedsregeln. Ähnlich Art.  21 Abs.  1 ICC-Schiedsregeln. Die sprachliche Regelung in Art.  24.1. und 24.2. DIS-Schiedsregeln ist weniger deutlich; allerdings kann auch hier kein Zweifel bestehen, dass das Schiedsgericht den Streit nach den anwendbaren Rechtsvorschriften und nicht nach Billigkeit entscheiden soll, Art.  24.4. DIS-Schiedsregeln. 318  Statt aller Art.  24.4. DIS-Schiedsregeln. 319  Ebenso der Sache nach Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 209–210 (2011) sowie Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 16–17. 320  Exemplarisch Art.  4.3 lit.  h) ICC-Schiedsregeln: „The Request shall contain the follow­ ing information: […] all relevant particulars and any observations or proposals as to […] the applicable rules of law.“ Ähnlich Art.  3.1. lit.  i) SRIA-Schiedsregeln; Art.  16.2. lit.  d) ­HKIAC-Schiedsregeln sowie Art.  29.1. lit.  ii) SCC-Schiedsregeln. Unter den ICDR-Schieds­ regeln muss lediglich der relief sowie das remedy angegeben werden, s. Art.  3.3. lit.  f) ICDR-­ Schiedsregeln. 321  Art.  5.1 lit.  f) ICC-Schiedsregeln; 17.2. lit.  d) HKIAC-Schiedsregeln; Art.  29.2. lit.  iii) SCC-Schiedsregeln.

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vortrag genügen lassen.322 Im Regelfall entsprechen die Anforderungen an die Rechtsausführungen dabei den Rechtstraditionen, die mit den jeweiligen institu­ tionellen Schiedsregeln verbunden werden können.323 Auf den ersten Blick ließe sich hieraus nun ableiten, die Rechtsermittlungs­ pflichten des Schiedsgerichts ebenfalls an diesen Rechtstraditionen zu orientie­ ren. Eine Pflicht des Schiedsrichters zur Rechtsermittlung wäre danach zu ver­ neinen, wenn der Kläger und der Beklagte ihrerseits zu Rechtsausführungen verpflichtet wären. Allerdings ist der systematische Schluss von den Pflichten der Parteien auf die Pflichten des Schiedsgerichts nicht zwingend. Selbst wenn die Parteien zu Rechtsausführungen verpflichtet sind, müssen die Schiedsrichter nicht automatisch von der eigenständigen Rechtsermittlung entbunden sein. Vielmehr erscheint es als möglich, dass sowohl die Parteien als auch das Schieds­ gericht zur eigenständigen Rechtsermittlung verpflichtet sind, um die Richtigkeit des Schiedsspruchs sicherzustellen.324 Dennoch kommt etwa der Secretariat’s Guide to ICC Arbitration zu dem Ergebnis, dass die Schiedsrichter unter Geltung der ICC-Schiedsregeln nicht dazu verpflichtet seien, das Recht über die Ausfüh­ rungen der Parteien hinaus zu ermitteln.325 Der Grund dafür liegt einerseits in der strengen Rechtsprechung der französischen Gerichte zum rechtlichen Gehör in Rechtsfragen und andererseits in der Entstehungsgeschichte der ICC-Schieds­ regeln, in denen das Erfordernis von Rechtsvortrag im Jahre 2012 hinzugefügt wurde.326 Verpflichten die Schiedsregeln die Parteien nicht zu Rechtsausführungen, so ließe sich hieraus eine Pflicht des Schiedsgerichts zur eigenständigen Rechtser­

322  Art.  5.2. und 7.1. DIS-Schiedsregeln; Art.  18.2. SRIA-Schiedsregeln; Art.  12.1. CIETAC-­ Schiedsregeln; Art.  7.3. VIAC-Schiedsregeln sowie Art.  9 Abs.  2 CAM-Schiedsregeln. Die Formulierung „Angaben zu den in der Sache anzuwendenden Rechtsregeln“ ist sprachlich ­etwas unscharf und erklärt sich daraus, dass nicht nur die Wahl von staatlichen Rechtsvor­ schriften, sondern auch von nichtstaatlichen Rechtsregeln möglich sein soll, vgl. Das Gupta, SchiedsVZ-Beilage 2018, 44, 65. Es genügt ein Hinweis auf das anwendbare Recht, um die Anforderung von Art.  5.2. DIS-Schiedsregeln zu erfüllen. Die Benennung konkret einschlägi­ ger Anspruchsgrundlagen ist hingegen nicht erforderlich. 323  Die Parallele zwischen Art.  5.2. DIS-Schiedsregeln und §  253 Abs.  2 ZPO besteht wei­ terhin fort, war aber in Art.  6.2. DIS-Schiedsregeln 1998 noch deutlicher, weil vor der Überar­ beitung der DIS-Schiedsregeln sogar die Benennung des anwendbaren Rechts nicht zwingend erforderlich war. 324  In diese Richtung der Gedankengang bei Waincymer, wonach es gegen Schiedssprüche gerade keine Berufung gibt, s. Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 221 (2011). 325  Fry/Greenberg/Mazza, The Secretariat’s Guide to ICC Arbitration (2012), S.  225, Rn.  3–769. Ebenso für die DIS-Schiedsregeln Schmidt-Ahrendts, in: Nedden/Herzberg, ICCSchO/DIS-SchO Praxiskommentar (2014), §  23 Dis-SchO, Rn.  59–62. 326  Zum Ganzen s. Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 496.

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mittlung konstruieren.327 Zum Schwur kommt es immer dann, wenn die Parteien in Übereinstimmung mit den institutionellen Schiedsregeln lediglich die Tatsa­ chen vortragen. Es erscheint grob unbillig, eine Schiedsklage nur deshalb abzu­ weisen, weil der Kläger zum Recht nicht vorgetragen hat, obschon er dazu nach den Schiedsregeln gar nicht verpflichtet war. Andererseits darf man von Schieds­ richtern aber auch nichts Unmögliches verlangen. Im Unterschied zum nationa­ len Kontext kann das Schiedsgericht gegen den Willen der Parteien gerade kei­ nen Rechtssachverständigen bestellen. Überdies ist unklar, wie ein mit juristi­ schen Laien besetztes Schiedsgericht seiner etwaigen Pflicht in einem solchen Fall nachkommen soll.328 Insgesamt bestehen erhebliche Unsicherheiten, ob sich den Regelungen über die Schriftsatzgestaltung eine Aussage über die schiedsrichterliche Rechtsermitt­ lungspflicht entnehmen lässt oder nicht. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es letztlich stets auf die Auslegung der jeweils einschlägigen institutio­ nellen Schiedsregeln an, die trotz Übereinstimmungen im Wortlaut zu unter­ schiedlichen Ergebnissen führen kann. Im Zweifelsfalle spricht grundsätzlich mehr dafür, eine Rechtsermittlungspflicht zu verneinen.329 In Anbetracht der Vielzahl an unterschiedlichen Besetzungsmöglichkeiten sollte dieser sensible Bereich vielmehr der Parteiautonomie sowie dem Ermessen des Schiedsgerichts überantwortet werden. Schließlich ist es regelmäßig ein Anliegen von institutio­ nellen Schiedsregeln, die Flexibilität der Schiedsgerichtsbarkeit zu wahren. b) Lex arbitri Die Untersuchung der Parteivereinbarung hat gezeigt, dass eine ausdrückliche und zweifelsfreie Regelung der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht nur selten besteht. Es ist die jeweils einschlägige lex arbitri, die vor diesem Hin­ tergrund zur Lückenfüllung sowie zur Beseitigung von Auslegungszweifeln her­ angezogen werden kann.330 327  Dieser Gedanke spielt bei der Herleitung einer Pflicht im deutschen Recht neben §  293 ZPO eine entscheidende Rolle, s. zu den Grundlagen Rosenberg, ZZP 49 (1925), 38–44. 328  Wohl deshalb sahen die DIS-Schiedsregeln 1998 die Beteiligung von einem Juristen in §  2.2. vor. In Übereinstimmung mit der internationalen Entwicklung wurde diese Regelung allerdings mit der Überarbeitung gestrichen. In der Sache ergibt sich daraus aber keine Ände­ rung, weil die Parteien diese Vorschrift ohnehin auch unter Geltung der DIS-Schiedsregeln 1998 abbedingen konnten. 329  Aus den Ausführungen von Mantakou im Zusammenhang mit der inhaltlich identischen Regelung im UNCITRAL-Modellgesetz könnte man schließen, dass sie zu einem anderen Er­ gebnis kommen würde, s. Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 489. Vielfach wird es sich bei den Vorschriften über die Schriftsatzgestaltung aber um bloße Ordnungsvorschriften handeln. 330 Die lex arbitri ist selbst zumeist dispositiv und wird deshalb von Parteivereinbarungen überlagert; die lex arbitri lebt aber auf, wenn es an Parteivereinbarungen fehlt, s. ausführlich zu

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Die Frage nach den Anforderungen an die Rechtsermittlung ist allerdings schon für staatliche Richter weder im deutschen noch im amerikanischen Recht ausdrücklich geregelt.331 Die Zivilprozessordnung enthält nur eine Vorschrift, die eine Beweiserhebung in besonderen Rechtsbereichen gestattet und die Verei­ nigten Staaten sehen lediglich Regelungen vor, die sich mit judicial notice befas­ sen.332 Setzen sich die für den staatlichen Richter geschaffenen Rechtsvorschrif­ ten nicht ausdrücklich mit der Existenz einer Rechtsermittlungspflicht auseinan­ der, dann ist die Suche nach einer entsprechenden Regelung für Schiedsrichter erst recht beschwerlich. Diese Beschwerlichkeit sollte jedoch nicht daran hindern, das jeweils ein­ schlägige Schiedsverfahrensrecht auf die Frage nach einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht zu untersuchen.333 Im Regelfall ist es dabei erforder­ lich, die einzelstaatlichen Vorschriften im Lichte der Rechtsprechung zu lesen. Die Frage nach einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht ist schließ­ lich in mehreren Rechtsordnungen bereits obergerichtlich geklärt.334 Hierbei ist zu beachten, dass nationale Richter sich regelmäßig an ihrem eigenen nationalen Vorverständnis orientieren. Selbst eine wortlautidentische Regelung kann des­ halb in zwei unterschiedlichen Rechtsordnungen anders zu verstehen sein. Zunächst wird auf das englische Schiedsverfahrensgesetz eingegangen, weil sich diesem eine ausdrückliche Aussage zur Nichtexistenz einer schiedsrichterli­ chen Rechtsermittlungspflicht entnehmen lässt. In einem zweiten Schritt richtet sich der Blick dann auf Rechtsordnungen, in denen die Rechtsprechung das Be­ stehen einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht bejaht hat. Danach soll es darum gehen, übergreifende Lehren zu entwickeln.

den Grundlagen Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1576– 1595. Aus der bloßen Bestimmung eines Sitzes lässt sich kein zwingender Schluss auf eine etwaige schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht ziehen, weil die Entscheidung für eine lex arbitri regelmäßig keine Entscheidung für oder gegen die nicht schiedsverfahrensrechtlichen Vorschriften einer Rechtsordnung umfasst, s. statt aller Born, International Commercial Ar­ bitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2059–2060. 331  Ausführlich zu den Einzelheiten Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 2. 332  FRE 201 regelt in den Vereinigten Staaten lediglich judicial notice von Tatsachen und klammert Recht aus, Advisory Committee Note on FRE 201, 56 F.R.D. 183, 207 (1972). Für Deutschland s. §  293 ZPO. 333  In diese Richtung ebenfalls Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 5–10 (2015) sowie Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 499–501. 334  Für einen Überblick s. Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 499–501.

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aa) Fehlende Pflicht Allein der englische Arbitration Act 1996 enthält in Section 34(2)(g) eine gesetz­ liche Regelung zum Vorgang der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung: „It shall be for the tribunal to decide […] whether and to what extent the tribunal should itself take the initiative in ascertaining the facts and the law.“335

Diese gesetzgeberische Entscheidung für ein Rechtsermittlungsermessen ist mit der Annahme einer allgemeinen Rechtsermittlungspflicht nicht zu vereinba­ ren.336 Aus dem Rechtsermittlungsermessen ergibt sich schließlich eindeutig, dass die Schiedsrichter das Recht nicht in jedem Fall selbst ermitteln müssen. Zugleich kennt aber auch der Arbitration Act 1996 eine Pflicht, wonach die Schiedsrichter den Rechtsstreit in Übereinstimmung mit dem von den Parteien gewählten Recht zu entscheiden.337 Diese Regelung steht ihrerseits in einem ge­ wissen Widerspruch zu Section 34(2)(g) Arbitration Act 1996, weil die Rechts­ anwendung nicht Ermessen und Pflicht zugleich sein kann. Es war Lord Chief Justice Thomas, der das Spannungsfeld zwischen Rechts­ ermittlungsermessen und Rechtsanwendungspflicht in der Entscheidung Hussmann Ltd v. Al Ameen Development für das englische Recht erstmals aufzulösen versuchte: „If there is no suggestion by the parties that there is an issue under the applicable system of law which is different from the law of England and Wales, or the tribunal does not itself raise a specific issue, then the tribunal is free to decide the matter on the basis of the presumption that the applicable system of law is the same as the law of England and Wales.“338

Mit dieser Formel unterstrich Lord Chief Justice Thomas, dass Schiedsrichter den Inhalt „ausländischen“ Rechts nicht selbsttätig ermitteln müssen.339 Ob für das Recht von England und Wales eine Ermittlungspflicht besteht, blieb hinge­

335 

Section 34(2)(g) Arbitration Act 1996. Diese Vorschrift ist von Art.  1044 Rv. (Niederlande) sowie Art.  27 Abs.  2 Voldgifts­ loven (Dänemark) zu trennen. In diesen Vorschriften erhält das Schiedsgericht lediglich eine zusätzliche Befugnis, nationale Gerichte oder Behörden bei der Ermittlung der Rechtslage ein­ zuschalten; über die Arbeitsverteilung zwischen Schiedsgericht und Parteien ist damit aber nichts gesagt. Anders Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 335. 337  Section 46(1)(a) Arbitration Act 1996: „The arbitral tribunal shall decide the dispute […] in accordance with the law chosen by the parties as applicable to the substance of the dis­ pute“. 338  Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1257. 339  Diese Position überschneidet sich mit der englischen fact theory, s. Fentiman, 108 T.L. Q.R. 142, 143 (1992). 336 

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gen offen.340 In Übereinstimmung mit den Grundgedanken des adversary system dürfte dies jedoch abzulehnen sein.341 Es liegt auf der Hand, dass diese Rechtsprechung viele Fragen offenlässt. Mit den Leitideen der Schiedsgerichtsbarkeit ist sie nur schwer zu vereinbaren. Es kann deshalb nicht überraschen, dass außerhalb von England und Wales keine einzige Gesetzesvorschrift oder Gerichtsentscheidung bekannt geworden ist, in der eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht in ähnlicher Klarheit abge­ lehnt worden wäre.342 bb) Bestehende Pflicht Anders als in England ist in Deutschland eine schiedsrichterliche Pflicht zur selbsttätigen Rechtsermittlung anerkannt.343 Bereits 1954 stellte der Bundesge­ richtshof zur Aufgabe des Schiedsrichters unmissverständlich fest: „Der Schiedsrichter soll gleich dem staatlichen Richter einen Rechtsstreit entscheiden, also das Recht durch Unterordnung des Tatbestandes unter die Rechtssätze finden.“344

Diese Rechtsprechung gilt auch unter dem 10. Buch der Zivilprozessordnung fort.345 Damit entscheidet die deutsche Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der alten römisch-rechtlichen Tradition, wonach Schiedsrichter ebenjene Pflich­ ten wie staatliche Richter treffen.346 Passend dazu wird in der Literatur davon Lord Chief Justice Thomas geht offenbar davon aus, dass durch die Ermittlung eng­ lischen Rechts keine zusätzlichen Kosten verursacht würden, Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1257. Das ist bei einem international besetzten Schiedsgericht aber gerade zweifelhaft. Kritisch zu dieser Entscheidung auch International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 209 (2010). 341 Ausführlich zu den Einzelheiten im Kontext der richterlichen Rechtsermittlung Jolowicz, FS Lipstein (1980), S.  79. 342  Lediglich im Kontext der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gibt es einige wenige Ent­ scheidungen, die einer Pflicht kritisch gegenüberstehen, s. Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Reso­ lution Journal 1, 7 mit Fn.  22–24 (2015). Die neueren Entscheidungen des Schweizer Bundes­ gerichts beziehen sich hingegen nicht auf die Existenz einer Pflicht, sondern vielmehr auf ihre erschwerte Durchsetzbarkeit im Rahmen des Aufhebungsverfahrens, s. zuletzt BGer, Urteil v. 05.02.2014, Az.  4A_446/2013, Urteilsziffer 6.2.2.3. 343 Exemplarisch Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1046 ZPO, Rn.  4 und 6 sowie Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  203. 344  BGH, Urteil v. 06.10.1954, Az. II ZR 149/53, Rn.  6, BGHZ 15, 12, 14–15. 345  Ausdrücklich zuletzt OLG München, Beschluss v. 22.06.2005, Az.  34 Sch 10/05, Rn.  20–21, SchiedsVZ 2005, 308, 309: „Das Schiedsgericht war nicht befugt, eine Billigkeits­ entscheidung zu treffen. Grundsätzlich ist ein Schiedsgericht zu einer Rechtsentscheidung gem. der nach §  1051 Abs.  1 und Abs.  2 ZPO zu ermittelnden Rechtsordnung verpflichtet, ebenso wie wenn der staatliche Richter zu entscheiden hätte.“ 346  Paul. 2 ed. D. 4.8.1.: „Compromissum ad similitudinem iudiciorum redigitur et ad fini­ 340 

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ausgegangen, dass Schiedsrichter unter Geltung der Zivilprozessordnung zur ei­ genständigen Rechtsermittlung verpflichtet sind.347 Neben Deutschland ist die Existenz einer Rechtsermittlungspflicht für Schieds­ richter in Frankreich ebenfalls anerkannt. So führte die Cour d’appel de Paris in der Entscheidung Société VRV v. Pharmachim aus: „[L]es arbitres qui devaient statuer ‚conformément aux règles de droit substantiel français‘ avaient l’obligation, de rechercher, pour lui appliquer la règle de droit adéquate, la véritable nature juridique de la convention dont ils avaient à apprécier les conditions d’exécution“.348

Es liegt also in der Verantwortung der Schiedsrichter, den Inhalt des anwendba­ ren Rechts selbst zu recherchieren.349 Diese Grundhaltung stimmt mit der Rechts­ lage für staatliche Zivilverfahren im Code de procédure civile überein.350 In dieses Gesamtbild fügt sich die Rechtslage in der Schweiz nahtlos ein.351 Das Schweizer Bundesgericht stellt in ständiger Rechtsprechung ausdrücklich fest, dass Schiedsrichter zur Ermittlung der Rechtslage verpflichtet seien.352 Wie staatliche Richter müssten sie in Übereinstimmung mit den anwendbaren Rechts­ vorschriften entscheiden.353 Allerdings stehe es im Ermessen des Schiedsge­ richts, den Parteien den Nachweis ausländischen Rechts zu überbinden, sofern es endas lites pertinet.“ Schiemann übersetzt die Stelle wie folgt: „Der Schiedsvertrag wird nach dem Muster des ordentlichen Zivilprozesses durchgeführt und hat den Zweck, Rechtsstreitig­ keiten zu beenden“, s. Knütel/Kupisch/Seiler/Behrends, Corpus Iuris Civilis, Band  2 (1995), S.  110–111. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert wurde diese Digestenstelle zur rechtlichen Ein­ ordnung der Schiedsgerichtsbarkeit herangezogen, s. dazu Krause, Jahrbuch für Schiedsge­ richtswesen, Band  3 (1931), S.  220, 231. 347  So meint Schlosser, der Grundsatz iura novit curia gelte mit der Maßgabe, dass der Schiedsrichter wichtige Rechtsgedanken mit den Parteien erörtern müsse, Schlosser, in: Stein/ Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  203. Nach Münch ist die Rechtsfindung „ureigene gerichtliche Aufgabe“ und der Kläger lediglich zum Tatsachenvortrag verpflichtet; es gelte der Grundsatz „da mihi factum, dabo tibi ius“, s. Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1046 ZPO, Rn.  4 und 6. Anders wohl Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 343–344. 348  Cour d’appel de Paris, Société VRV v. Pharmachim, 25.11.1997, Revue de l’Arbitrage 1998, 684, 687. 349  Es ist bislang nicht geklärt, inwiefern dies auch bei Wahl von nicht französischem Recht der Fall sein soll, s. allgemein zur Behandlung ausländischen Rechts in Frankreich Schweizer Institut für Rechtsvergleichung, JLS/2009/JCIV/PR/0005/E4, S.  165–181. 350  Art.  12 Abs.  1 und 2 c.p.c.: „Le juge tranche le litige conformément aux règles de droit qui lui sont applicables. Il doit donner ou restituer leur exacte qualification aux faits et actes litigieux sans s’arrêter à la dénomination que les parties en auraient proposée.“ 351  Wiegand weist nach, dass die Rechtsprechung letztlich die historischen Grundlagen aufgreift und auf die Schiedsgerichtsbarkeit überträgt, s. Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 135–137. 352  Grundlegend BGer, Urteil v. 19.04.1994 = BGE 120 II 172, 176. 353  Weitere Nachweise bei BGer, Urteil v. 02.03.2001, Az.  4P.260/2000, Urteilsziffer 5 c).

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sich um vermögensrechtliche Ansprüche handelt.354 Dies befreit das Schieds­ gericht jedoch nicht davon, den Inhalt des Rechts selbst festzustellen und eine Entscheidung zu fällen.355 Letztlich folgt die Rechtsermittlung vor Schieds­ gerichten auch in der Schweiz dem nationalen Vorverständnis; sowohl Regel als auch Ausnahme finden sich wortgleich im Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht.356 cc) Übergreifende Lehren Die Rechtsprechung nationaler Gerichte zu einer schiedsrichterlichen Rechts­ ermittlungspflicht ist nicht einheitlich.357 Es lässt sich derzeit kein allgemeiner Trend oder gar eine Entwicklung in eine bestimmte Richtung erkennen.358 Jeden­ falls sind staatliche Richter zurückhaltend, Schiedsrichter gänzlich von ihrer Rechtsermittlungsverantwortung zu entbinden.359 Sogar in England und Wales erscheinen die Anforderungen bei „inländischem“ Recht höher als bei „ausländi­ schem“ Recht.360 Überall spürbar ist der Grundgedanke, die Qualität schiedsgerichtlichen Rechts­schutzes nicht hinter staatlichem zurückstehen zu lassen. Ausfluss dieses Grundgedankens ist es, dass nationale Gerichte sich von ihrem Vorverständnis sowie der sonst üblichen Aufgabenverteilung zwischen Richtern und Parteien leiten lassen. Dies spiegelt die tiefe Verwurzelung der rechtskulturellen Werte­ 354  BGer, Urteil v. 05.02.2014, Az.  4A_446/2013, Urteilsziffer 6.2.2.3.; BGer, Urteil v. 27.04.2005, Az.  4P.242/2004, Urteilsziffer 7.3. 355  Recherchiert das Schiedsgericht das anwendbare Recht nicht, so liegt darin allerdings nicht automatisch ein Verstoß gegen den ordre public, BGer, Urteil v. 27.04.2005, Az.  4P.242/­2004, Urteilsziffer 7.3. Diese Frage betrifft aber nicht die Existenz einer Pflicht, sondern vielmehr ihre Durchsetzbarkeit; wohl anders jedoch Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Re­ solution Journal 1, 6–7 (2015). 356  Art.  16 Abs.  1 IPRG: „Der Inhalt des anzuwendenden ausländischen Rechts ist von Am­ tes wegen festzustellen. Dazu kann die Mitwirkung der Parteien verlangt werden. Bei vermö­ gensrechtlichen Ansprüchen kann der Nachweis den Parteien überbunden werden.“ 357 Anders Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 499–501, die eine allgemeine Recht­ sprechungslinie hin zu einer Rechtsermittlungspflicht erkennen will. 358  Insbesondere kann bei dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung keine Aussage ge­ troffen werden, dass „die meisten Rechtsordnungen“ eine Rechtsermittlungspflicht ablehnen würden, so aber unter Hinweis auf die englische Rechtsprechung Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 6 (2015). 359  Neben den deutschen, französischen und Schweizer Gerichten gibt es auch Rechtspre­ chung in Belgien in diese Richtung, s. dazu Giovannini, FS Cremades (2010), S.  495, 501 mit Fn.  1287. 360  In der Sache übereinstimmend International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 209 (2010). Weiterführend die Ausführungen in Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1256–1257.

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vorstellungen wider, die bereits als Gründe für die rechtsvergleichenden Unter­ schiede in der Beweisbedürftigkeit von Recht hervorgetreten sind. Dementspre­ chend ist die Allgemeinheit des Gesetzes für einen deutschen, französischen oder Schweizer Richter auch vor Schiedsgerichten unantastbar, wohingegen ein eng­ lischer Richter insoweit pragmatische Erleichterungen zulassen wird. Gleichzeitig zeigt sich der grundlegende Einfluss, den die Rechtsgeschichte auf das Denken von Juristen im Allgemeinen und staatlichen Richtern im Beson­ deren ausübt. So lässt die Tradition der richterlichen Rechtsermittlung es in Deutschland als fernliegend erscheinen, Schiedsrichter von einer Rechtsermitt­ lungspflicht zu entbinden. Umgekehrt erleichtert die fact theory es Engländern, die Rechtsbindung in Schiedsverfahren einzuschränken. c) Vollstreckbarer Schiedsspruch Neben den bereits angesprochenen Quellen lässt sich eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht vor allem aus der allgemeinen Schiedsrichterpflicht ab­ leiten, einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu erlassen.361 Diese Pflicht wurzelt im schiedsrichterlichen Mandat und stellt sicher, dass die Anstrengungen des schiedsgerichtlichen Verfahrens nicht umsonst sind.362 Es ist der Kernbereich der schiedsrichterlichen Tätigkeit, den Rechtsstreit mit einer vollstreckbaren Ent­ scheidung zum Abschluss zu bringen.363 In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur wird immer wieder über die ­Risiken von eigenständigen schiedsrichterlichen Rechtsermittlungen diskutiert. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs auch und vor allem dann gefährdet ist, wenn die Schiedsrichter das Recht nicht selbst ermitteln. In den Worten von Born: „There is an often-overlooked, but essential, aspect of the arbitrator’s adjudicative status. […] The arbitrator’s mandate is not simply to apply the terms of the parties’ contract, or even the law chosen by the parties, but instead to apply the applicable law, including any relevant provi­ sions of mandatory law, in order to resolve the parties’ dispute in accordance with the law.“364

Darin liegt die wahre Skylla-und-Charybdis-Situation in internationalen Schieds­ verfahren. Auf der einen Seite dürfen die Schiedsrichter die Grenzen ihrer Grundlegend zu diesem Gedanken Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92. Exemplarisch Art.  42 ICC-Schiedsregeln: „[T]he arbitral tribunal […] shall make every effort to make sure that the award is enforceable at law.“ Weiterführend Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1993. 363  Horvath, 18 J. Int’l Arb. 135 (2001): „When one speaks of an arbitrator’s duties, ­perhaps none is more important than the duty to render an enforceable award.“ Anders aber Karrer, FS Briner (2005), S.  429. 364  Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1997–1998. 361  362 

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schiedsrichterlichen Rechtsermittlungsbefugnis nicht überschreiten, auf der an­ deren Seite sind sie aber jedenfalls in bestimmten Fällen aus Vollstreckbarkeits­ gründen zur Rechtsanwendung verpflichtet.365 Eine Verletzung der schiedsrichterlichen Pflicht kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Schiedsrichter mit ihrem Schiedsspruch gegen eine verfah­ rensrechtliche Parteivereinbarung verstoßen. Dies wird insbesondere im Zusam­ menhang mit Rechtsanwendungsfragen relevant, weil die Schiedsrichter ihre Entscheidung in Übereinstimmung mit den Vorschriften des anwendbaren Rechts und nicht nach Billigkeit treffen müssen. Abgesehen davon sollte der Schieds­ spruch aber vor allem nicht gegen den ordre public des Vollstreckungsortes ver­ stoßen; ansonsten greift ebenfalls ein Aufhebungs- oder Vollstreckungsversa­ gungsgrund. In einem ersten Schritt wird daher auf die vollstreckungsrechtlichen Implika­ tionen der verfahrensrechtlichen Parteivereinbarungen und in einem zweiten auf ordre public-Gesichtspunkte eingegangen. aa) Verfahrensvereinbarung Dem Schiedsspruch droht die Aufhebung oder Vollstreckungsversagung, wenn Schiedsrichter eine Verfahrensvereinbarung missachten.366 Verpflichten die Par­ teien das Schiedsgericht ausdrücklich auf eine eigentätige Rechtsermittlung und kommt es dieser Verpflichtung in der Folge bewusst und nach außen erkennbar nicht nach, dann können und werden staatliche Gerichte die Vollstreckung des Schiedsspruchs ablehnen.367 Ein derart offener Eklat wird sich aber nur selten zutragen, weil sich die schiedsrichterliche Rechtsermittlungsverweigerung re­ gelmäßig weder aus dem Wortlaut des Schiedsspruchs noch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt.368 Die Gefahr für den Schiedsspruch ist allerdings mit diesem Befund noch nicht gebannt. Im Gegenteil kann eine Reihe von institutionellen Schiedsregeln sowie 365 Treffend Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92. Anders Kalniņa, die das eigent­ liche Dilemma zwischen Parteiautonomie und Kontrolle durch staatliche Gerichte sieht, s. ­Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 103 (2008). 366  Art. V Abs.  1 lit.  d) New York Convention sowie Art.  34 Abs.  2 lit.  a) iv) UNCITRAL­Modellgesetz. 367  Die Schiedsrichter missachten eine Parteivereinbarung, wenn sie sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder im Schiedsspruch ausdrücklich weigern, eigenständige Recher­ chen vorzunehmen, s. zu ausdrücklichen Parteivereinbarungen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. a) und b). 368  In diese Richtung ebenfalls Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 210 (2011). Anders kann dies hingegen in staatlichen Urteilen sein, in denen Richter teils offen eingestehen, keine Re­ cherchen vorzunehmen, s. etwa Carducci v. Regan, 714 F.2d 171, 177 (DC Cir. 1983).

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nationalen Schiedsverfahrensgesetzen von staatlichen Gerichten durchaus dahin­ gehend verstanden werden, dass Schiedsgerichte zur eigenständigen Rechts­ ermittlung verpflichtet sind.369 Deutsche Gerichte haben sogar schon Schieds­ sprüche aufgehoben, weil diese nach Billigkeit und nicht nach rechtlichen Maß­ stäben ergangen sind.370 Vor Gerichten anderer Staaten wird ebenfalls immer wieder darum gerungen, ob Schiedsrichter nun ihrer verfahrensrechtlichen Rechts­ermittlungspflicht nachgekommen sind oder nicht.371 Letztlich ist aber zu sehen, dass nicht in jedem fehlerhaften Schiedsspruch ein Verstoß gegen eine etwaige schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht liegen kann. Jeder Fehler des Schiedsgerichts ist entweder auf fehlende Rechtskenntnis oder unterbliebene Recherchen zurückzuführen. Es ist aber gerade der Kern­ gedanke der schiedsverfahrensrechtlichen Finalität, dass materiell-rechtliche Rechtsanwendungsfehler die Vollstreckbarkeit nicht gefährden. Diese Erwägung darf nicht über eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht verwischt wer­ den.372 Ansonsten begründete die lediglich konkludente Vereinbarung einer ent­ sprechenden Pflicht in vielen Fällen eine révision au fond durch die Hintertür.373 Dies würde die Finalität von Schiedssprüchen erheblich gefährden. Eine verwandte Frage ist, ob die Schiedsrichter die verfahrensrechtliche Partei­ vereinbarung überschreiten, wenn sie die falsche Rechtsordnung auf den Rechts­ streit anwenden.374 Der Bundesgerichtshof hat dies in einem Fall bejaht.375 Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland sind deshalb gut beraten, zum Beispiel das Wiener Kaufrecht in ihrem Schiedsspruch zu berücksichtigen.376 Neben dem Wiener Kaufrecht taucht die Frage nach der Schiedsrichterpflicht aber auch im 369 Für Deutschland s. in diese Richtung Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2013, §  1046 ZPO, Rn.  4 und 6 sowie ausführlich zu den Leitlinien der Auslegung Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. a) und b). 370  OLG München, Beschluss v. 22.06.2005, Az.  34 Sch 10/05, Rn.  21–23, SchiedsVZ 2005, 308, 309 sowie grundlegend zum Maßstab BGH, Urteil v. 26.09.1985, Az. III ZR 16/84, Rn.  19, BGHZ 96, 40, 44–45. 371  Ausdrücklich in diese Richtung die Rügen in BGer, Urteil v. 27.04.2005, Az.  4P.242/2004, Urteilsziffer 7.3 sowie BGer, Urteil v. 05.02.2014, Az.  4A_446/2013, Urteilsziffer 6.2.2.3. In beiden Entscheidungen hat das Bundesgericht die Aufhebung des Schiedsspruchs abgelehnt. 372  Grundlegend BGer, Urteil v. 27.04.2005, Az.  4P.242/2004, Urteilsziffer 7. 373  Auf dieses Risiko weist BGer, Urteil v. 27.04.2005, Az.  4P.242/2004, Urteilsziffer 7.1. ebenfalls hin. 374  Dieses Problem ist mit dem rechtlichen Gehör sowie dem Grundsatz ne ultra petita durchaus verwandt, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. d) und e). 375  BGH, Urteil v. 26.09.1985, Az. III ZR 16/84, Rn.  19, BGHZ 96, 40, 44–45. Ausdrück­ lich anders Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3303–3304. 376  Ausführlich zu den mit dem Wiener Kaufrecht verbundenen Fragestellungen Spagnolo, Iura novit curia and the CISG, in: Schwenzer/Spagnolo, Towards Uniformity: the 2nd Annual MAA Schlechtriem CISG Conference (2011), S.  181.

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Zusammenhang mit den europäischen Rom-Verordnungen auf. Eine Reihe von Autoren sieht Schiedsgerichte als verpflichtet an, die Rom-Verordnungen anzu­ wenden, wenn der Sitz des Schiedsgerichts innerhalb der Europäischen Union liegt.377 Obschon das Übersehen der Rom-Verordnungen im Ergebnis wohl kei­ nen Vollstreckungsversagungsgrund begründen dürfte, zeigt die Diskussion um diese Fragestellungen deutlich, mit welcher Aufmerksamkeit Schiedsrichter sich der Frage nach eigenen Rechtsermittlungspflichten nähern sollten.378 bb) Ordre public-Vorschriften Die Schiedsrichter dürfen sich aber auch dann nicht gänzlich auf die Parteien verlassen, wenn weder nach den institutionellen Schiedsregeln noch nach der lex arbitri eine Rechtsermittlungspflicht besteht.379 Dies gilt selbst dann, wenn die institutionellen Schiedsregeln ausdrücklich lediglich ein schiedsrichterliches Er­ messen einräumen, weil sich dieses Ermessen im Lichte von ordre public-Vor­ schriften zu einer Pflicht verdichtet.380 In Übereinstimmung mit ihrem schiedsrichterlichen Mandat sind die Schieds­ richter letztlich stets gehalten, den Schiedsspruch in Übereinstimmung mit den ordre public-Vorschriften zu erlassen.381 Gleichzeitig hängt die ordre public-­ Widrigkeit nicht davon ab, ob die Parteien dem Schiedsgericht eine bestimmte Vorschrift vorgetragen haben oder nicht.382 Vielmehr muss das Schiedsgericht Statt aller Mankowski, FS Schütze (2014), S.  369, 384–385. den Rom-Verordnungen handelt es nicht um eine Parteivereinbarung, sondern um supranationales Recht. Die Nichtanwendung kann deshalb nicht zu einer Überschreitung der Parteivereinbarung führen. Vielmehr kommt lediglich eine fehlerhafte Anwendung des Interna­ tionalen Privatrechts in Betracht. Weiterführend Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1059 ZPO, Rn.  48 mit Fn.  258. Dazu nun ausführlich und mit zahlreichen wei­ terführenden Gedanken Gößling, Europäisches Kollisionsrecht und internationale Schieds­ gerichtsbarkeit (2019). Gößling bejaht in seiner Abhandlung eine Pflicht von Schiedsrichtern, die Rom-Verordnungen anzuwenden, wenn das Schiedsgericht seinen Sitz in einem Mitglied­ staat der Europäischen Union hat. 379  Born beschreibt dies als „International Arbitrator’s Obligation to Apply Law“, s. aus­ führlich Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1997–1999. Ebenso B. Berger, 31 ASA Bulletin 244, 254–255 (2013). 380  Der Begriff der ordre public-Vorschrift bezeichnet die in Art. V Abs.  2 lit.  b) New York Convention sowie Art.  34 Abs.  2 lit.  b) ii) UNCITRAL-Modellgesetz angesprochenen Bestim­ mungen. Es ist selbst nach der englischen Rechtsprechung unzutreffend, eine Rechtsermitt­ lungspflicht pauschal abzulehnen, weil Schiedsrichter sich auch in England und Wales an zwin­ gende ordre public-Vorschriften halten müssen, s. zu Geldwäschevorschriften Born, Internatio­ nal Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998 mit Fn.  223. 381 Treffend Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92. 382 Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die zwingende Vorschrift Drittinteressen schützt. Lediglich in den verbleibenden Fällen lässt sich über einen Verzicht nachdenken, wenn 377 

378  Bei

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die Übereinstimmung mit dem ordre public selbst und auf eigenen Antrieb her­ stellen.383 Die staatliche Vollstreckungsgewalt setzt folglich stets ein Minimum an eigenständiger schiedsrichterlicher Rechtsermittlung voraus.384 Der Grund dafür liegt in der Unverzichtbarkeit der ordre public-Vorschriften, deren Einhal­ tung zwingend ist. Letztlich besteht also eine schiedsrichterliche Pflicht, die je­ weils zu beachtenden ordre public-Vorschriften zu ermitteln und gegebenenfalls anzuwenden.385 Welche zwingenden Vorschriften nun zum ordre public gehören und welche nicht, ist eine vom Einzelfall abhängige Rechtsfrage.386 Jedenfalls strafrechtli­ che Vorschriften muss das Schiedsgericht auf eigenen Antrieb recherchieren und anwenden.387 Ansonsten riskieren die Schiedsrichter nicht nur einen Verstoß ge­ gen den ordre public, sondern auch die eigene Strafbarkeit.388 Insoweit ist die schiedsrichterliche Pflicht lediglich spezieller Ausdruck der allgemeinen Bürger­ pflicht.389 Abgesehen davon darf der Inhalt des Schiedsspruchs keine fundamen­ talen Grundrechtsverletzungen herbeiführen.390 In der Europäischen Union wird die Parteien eine bestimmte ordre public-Vorschrift nicht vorgetragen haben, s. dazu sehr weit­ gehend Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3333–3334. Bis­ lang sind nationale Gerichte überaus zurückhaltend bei der Annahme eines Verzichts, s. etwa Cour d’appel de Paris, Linde AG v. sté Halyvourgiki, 22.10.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 124. 383  Der Inhalt des ordre public unterscheidet sich je nach Vollstreckungsstaat, s. ausführlich zu den internationalprivatrechtlichen Fragen Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3316–3318. Bermann möchte die Ermittlungspflicht von Schiedsrich­ tern dort enden lassen, wo zwingende Vorschriften von Drittstaaten nicht vorgetragen wurden, Bermann, 18 Am. Rev. Int’l Arb. 1, 15 (2007). 384  Die Grenzen dieser Pflicht hängen ihrerseits von der Reichweite des jeweiligen ordre public ab und können deshalb nicht allgemeinverbindlich aufgezeigt werden; s. vertiefend zu den zahllosen verknüpften Problemen Bermann, 18 Am. Rev. Int’l Arb. 1 (2007). 385  Diese Analyse setzt gedanklich voraus, dass ein Schiedsrichter bestimmte einschlägige Rechtsvorschriften überhaupt kennt; die Voraussetzung für diese Analyse ist eine vorhergehen­ de Recherche, sofern es insoweit an Rechtskenntnis fehlt. Erst in einem zweiten Schritt kann dann beantwortet werden, ob die Vorschrift tatsächlich zwingend ist oder nicht. In diesem Zu­ sammenhang trifft es zu, dass der Vorgang der Rechtsanwendung von dem Vorgang der Rechts­ ermittlung nicht abgetrennt werden kann, s. Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 134. 386  Zu der schwierigen Frage, wann eine Vorschrift „zwingend“ ist, s. Bermann, 18 Am. Rev. Int’l Arb. 1, 5–7 (2007) sowie Otto/Elwan, in: Kronke/Nacimiento/Otto/Port, Art. V Abs.  2, S.  345–414 m. w. N. 387  Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998. 388 Weiterführend Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998 mit Fn.  224. 389 Ebenso Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998. 390  In diese Richtung etwa BGH, Beschluss v. 30.10.2008, Az. III ZB 17/08, Rn.  5, IPRax 2009, 519: „[D]er Schiedsspruch muss […] die elementaren Grundlagen der Rechtsordnung verletzen.“

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überdies von Schiedsrichtern erwartet, die Vorschriften des Kartellrechts zu be­ achten.391 2. Reichweite Nach allem gibt es also durchaus Fälle, in denen sich eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht herleiten lässt. Mit der Feststellung einer Pflicht ist aber über ihre Reichweite noch nichts gesagt. In Übereinstimmung mit den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung ist letztlich jede Rechtsermittlungspflicht not­ wendig durch das Prinzip der Zumutbarkeit begrenzt. Anders als im national­ staatlichen Kontext hilft die Weichenstellung zwischen in- und ausländischem Recht jedoch nicht weiter, um den Maßstab der Zumutbarkeit zu entfalten. Viel­ mehr prägen eigenständige schiedsverfahrensrechtliche Zumutbarkeitskriterien die Schranken einer etwaigen Rechtsermittlungspflicht.392 Neben allgemein be­ deutsamen Faktoren wie Sprache, Zugänglichkeit und Zeit spielt dabei insbeson­ dere – dies ist ein Gesichtspunkt, der sich wie ein roter Faden durch die Untersu­ chung zieht – die Zusammensetzung des Schiedsgerichts eine Rolle. Schließlich können einem Professor für Rechtsvergleichung andere Anstrengungen in der Rechtsermittlung zugemutet werden als einem juristischen Laien. Gleichzeitig hängt die Reichweite der Pflicht notwendig mit ihrer Quelle zu­ sammen. So ist die schiedsrichterliche Pflicht, ordre public-Vorschriften zu er­ mitteln, auch nur auf diese Vorschriften begrenzt und umfasst keine weiteren Vorschriften. Wird die Pflicht hingegen aus der Parteivereinbarung oder der lex arbitri abgeleitet, ist ihre Reichweite im Wege der Auslegung näher zu be­ stimmen. Dabei wäre es schon auf den ersten Blick unrealistisch, von Schieds­ richtern die selbsttätige Ermittlung jeder weltweit geltenden Rechtsvorschrift zu verlangen. Vor diesem Hintergrund werden zuerst allgemeine Zumutbarkeitsgesichts­ punkte für die Schiedsgerichtsbarkeit herausgearbeitet. In einem nächsten Schritt geht es darum, die Bedeutung der Schiedsgerichtszusammensetzung darzustel­ len. Danach wird der Sonderfall beleuchtet, in dem die schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht mit der Parteiautonomie in Konflikt gerät. Grundlegend EuGH, Eco Swiss China Time Ltd v. Benetton International NV., Urteil v. 01.06.1999, Rs. C-126/97, Rn.  41. Abgeschwächt ebenfalls in diese Richtung Mitsubishi ­Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S.  614, 638 (1985). 392  Diese Zumutbarkeitskriterien tragen eine tiefere Wahrheit in sich und wurden bereits in Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung deutlich; so war die Rechtsanwendung von Amts wegen etwa im gemeinen Recht aus tatsächlichen Gründen nicht immer möglich und die Er­ mittlung des ausländischen Rechts ist ebenfalls stets beschränkt, s. rechtsvergleichend Jänterä-­ Jareborg, Recueil des cours 304 (2003), S.  181–376. 391 

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a) Allgemeine Zumutbarkeitsgesichtspunkte Die Zumutbarkeit der Rechtsermittlung hängt von einer Vielzahl unterschied­ licher Faktoren ab. Schon im ersten Zugriff spielt dabei die Sprache eine Rolle, in der die zu ermittelnden Rechtsquellen abgefasst sind. Stimmt diese Sprache mit der von den Parteien festgelegten Verfahrenssprache überein, so ergeben sich aus der Sprache selbst keine Einschränkungen für den Zumutbarkeitsmaßstab. Die Beherrschung der Verfahrenssprache darf von den Mitgliedern des Schieds­ gerichts erwartet werden. Umgekehrt lässt sich aber nicht voraussetzen, dass die Schiedsrichter die Sprache der lex arbitri oder gar des anwendbaren materiellen Rechts auf dem Niveau der Verfahrenssprache verstehen. Insoweit kommt es vielmehr auf die Besetzung des Schiedsgerichts und die individuellen Sprach­ kenntnisse der Schiedsrichter an. In der Regel können von internationalen Schiedsrichtern aber umfassendere Fremdsprachenkenntnisse als von staatlichen Richtern verlangt werden.393 Neben der Sprache wird die Reichweite der Schiedsrichterpflicht vor allem durch die Zugänglichkeit der zu ermittelnden Rechtsquellen bedingt. Die insge­ samt gute Zugänglichkeit des inländischen Rechts trägt etwa in Deutschland dazu bei, dass die Ermittlung entlegener Rechtsquellen bis auf wenige Ausnah­ men erwartet wird.394 Dieser Zustand lässt sich in der internationalen Schieds­ gerichtsbarkeit nicht voraussetzen. Die Rechtsermittlung ist also nur dann zu­ mutbar, wenn der Schiedsrichter den Inhalt der streitgegenständlichen Rechts­ quellen bei objektivierter Betrachtung ohne die Einbeziehung von externen Sachverständigen selbst ermitteln kann.395 Hierbei sind an Schiedsrichter allge­ mein höhere Anforderungen als an ihre staatlichen Kollegen zu stellen.396 Es ist 393 

Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Schiedsverfahren zumeist in Englisch durchgeführt werden, die Schiedsrichter aber über eine andere Muttersprache verfügen; zu wei­ teren Gründen für die unterschiedliche Herkunft von Schiedsrichtern s. Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1684. 394  Die Rechtsermittlungspflicht und die Zugänglichkeit des Rechts stehen in einem Wech­ selwirkungsverhältnis; in Deutschland ist die Literatur zum ausländischen Recht etwa in Teil­ bereichen bereits so umfassend, dass spezialisierte staatliche Richter bisweilen auf Sachverstän­ digengutachten verzichten, s. Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten (2014), S.  413. 395  Im nationalstaatlichen Kontext endet die Zumutbarkeit ebenfalls immer dort, wo juris­ tische Sachverständige beigezogen werden müssen; dies zeigt sich besonders deutlich am Bei­ spiel des deutschen Rechts im Zusammenhang mit steuerrechtlichen Gutachten, s. dazu BGH, Urteil v. 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, Rn.  7, BGHZ 140, 111, 113. 396 Anders als staatliche Richter verfügen internationale Schiedsrichter regelmäßig über Zugriff auf Kanzlei- oder Institutsbibliotheken, die über Literatur aus unterschiedlichen Rechtsordnungen verfügen. Dies spiegelt die hohe Bedeutung wider, die Parteien der Qualität der Rechtsanwendung in internationalen Schiedsverfahren beimessen, s. Queen Mary Survey

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gerade der Beruf des internationalen Schiedsrichters, seine Entscheidung auf Grundlage von ihm unbekannten Rechtsquellen zu treffen.397 Außerdem ist die internationale Schiedsgerichtsbarkeit das natürliche Forum für die grenzüber­ schreitende Streitbeilegung. Anders als ein staatliches Gericht kann ein Schieds­ gericht nie forum non conveniens für eine internationale Streitigkeit sein. Abgesehen von den Faktoren Sprache und Zugänglichkeit ist in internationa­ len Schiedsverfahren zu sehen, dass die Streitentscheidung regelmäßig in einem vorgegebenen Zeitfenster erfolgen sollte.398 Je weniger Zeit für schiedsrichter­ liche Recherchen bleibt, desto weniger gründlich sind die zu erwartenden Ar­ beitsergebnisse. Anders als ein staatlicher Richter kann ein Schiedsrichter über die Annahme eines Schiedsrichtermandats aber selbst entscheiden und sein Ar­ beitspensum entsprechend planen. Schon in Anbetracht der Arbeitslast von staat­ lichen Richtern ist nicht davon auszugehen, dass Schiedsrichtern die eigenstän­ dige Rechtsermittlung aus Zeitgründen weniger zumutbar wäre als ihren staat­ lichen Kollegen.399 Insgesamt erscheint es deshalb geboten, eine etwaige schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht nicht schon dann als unzumutbar anzusehen, wenn dem Schiedsrichter das Recht fremd ist. Die Parteien entscheiden sich regelmäßig gerade wegen der Fähigkeiten im Umgang mit unbekannten Rechtsvorschriften für internationale Schiedsrichter.400 Zugleich dienen die Fähigkeiten der Schieds­ richter aber auch als Schranken für die Rechtsermittlung. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung ist folglich die Zusam­ mensetzung des Schiedsgerichts von ausschlaggebender Bedeutung.

2010, S.  26 mit Chart 19. Gerade in Verfahren mit größerem Streitwert ist die Bezahlung von Schiedsrichtern außerdem besser als von staatlichen Richtern, s. dazu kritisch Silberman, 13 Am. Rev. Int’l Arb. 9 (2002): „The arbitrators’ fees can be quite substantial and there is the additional reimbursement of the arbitrators’ expenses for travel, hotel, and what I understand are some very fine meals.“ 397 Ebenso Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 526. Die Aufzählung bei Kaufmann-­ Kohler macht deutlich, dass Schiedsrichter durchaus auch mit ihrer Erfahrung in unterschied­ lichen Rechtsordnungen werben, s. Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631 (2005). 398  Kritisch zum Zeitvorteil der Schiedsgerichtsbarkeit zuletzt Berger/Jensen, 32 Arb. Int’l 415–416 (2016). 399  Zur Überlastung staatlicher Richter s. etwa Carrington, 82 Harv. L. Rev. 542 (1969) oder Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 359 (2013). 400  Empirisch wird „experience of different legal cultures“ immer wieder als Faktor ge­ nannt, der für die Auswahl von Schiedsrichtern wesentlich ist, Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19.

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b) Zusammensetzung des Schiedsgerichts Im Ausgangspunkt ist sinnfällig, dass juristischen Laien die eigenständige Rechtsermittlung nicht in gleichem Maße zugemutet werden kann wie akade­ misch ausgebildeten Juristen. Ist ein Schiedsgericht homogen mit Nichtjuristen besetzt, so sind regelmäßig nur rudimentäre Anstrengungen zu verlangen.401 Handelt es sich bei den Nichtjuristen allerdings um Spezialisten in einem be­ stimmten Fachbereich, so werden sie üblicherweise mit den gängigen techni­ schen Regelwerken vertraut sein.402 Innerhalb dieses Fachbereichs ist dann durch­aus zu erwarten, dass auch Nichtjuristen einschlägige Regeln nachschla­ gen, sofern sie zur Rechtsermittlung verpflichtet sind. Bei Juristen ist zwischen allgemeinen juristischen Fähigkeiten und besonde­ ren Kenntnissen einer Rechtsordnung zu trennen. Grundsätzlich verfügen Juris­ ten nach einem abgeschlossenen Hochschulstudium über die Fähigkeit, unbe­ kannte Rechtsprobleme innerhalb der von ihnen studierten Rechtsordnung zu bewältigen. Es ist nicht ersichtlich, warum einem Juristen mit Befähigung zum deutschen Richteramt die Feststellung des deutschen Rechts in einem Schieds­ verfahren weniger zumutbar sein sollte als in einem staatlichen Gerichtsverfah­ ren. Auch ist von einem Juris Doctor die Kenntnis der Grundstrukturen des ame­ rikanischen Rechts zu erwarten.403 Überdies kann die berechtigte Erwartungshaltung gegenüber Schiedsrichtern dadurch weiter gesteigert werden, dass sie über besondere fachliche Expertise in einem Rechtsbereich oder vertiefte methodische Fähigkeiten verfügen. Bestellt eine Partei einen ausgewiesenen Kenner des Energierechts oder des Gesell­ schaftsrechts als Schiedsrichter, so ist diesem die Anwendung seiner Kenntnisse und Recherchefähigkeiten gewiss zumutbar. Gleichzeitig ist es naheliegend, dass ein besonders erfahrener Schiedsrichter ihm bekannte Rechtsvorschriften, Urtei­ le und Schiedssprüche in das Verfahren einbringt. Neben den Rechtskenntnissen sind aber auch die Sprachkenntnisse eines Schiedsrichters zu berücksichtigen. Handelt es sich bei der Sprache des anwend­ Auch Nichtjuristen müssen darauf achten, nicht gegen ordre public-Vorschriften zu ver­ stoßen; jedenfalls die rechtlichen Bürgerpflichten gelten für sie gleichermaßen, s. allgemein zu diesem Grundsatz Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998. 402  Beispielsweise kann von einem Ingenieur im internationalen Kontext erwartet werden, sich mit den FIDIC-Regeln auszukennen, s. zu diesem Regelwerk Born, International Com­ mercial Arbitration, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  281 mit Fn.  275. 403  Gerade in den Vereinigten Staaten fließt aus der Rechtskenntnis aber keine Rechtser­ mittlungspflicht, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 2. Besteht eine schiedsverfahrensrechtliche Rechtsermittlungspflicht, so müssen auch amerikanische Juristen das amerikanische Recht er­ mitteln. In einem solchen Fall geht die Rechtsermittlungspflicht aus schiedsverfahrensrecht­ lichen Gründen über die entsprechende Pflicht staatlicher Richter hinaus. 401 

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baren Rechts um die Muttersprache des Schiedsrichters, dann ist dieser Umstand für die Zumutbarkeit der Rechtsermittlung von Bedeutung. Verfügt ein Schieds­ richter hingegen nicht über Kenntnisse in der Sprache der anwendbaren Rechts­ ordnung, so wirkt sich dies ebenfalls auf die Zumutbarkeit der Rechtsermittlung aus. Ohne eine Übersetzung ist einem Schiedsrichter der eigenständige Zugang zu dem anwendbaren Recht schließlich von vornherein versperrt. Jeder Schiedsrichter verfügt über andere Rechtskenntnisse und Fähigkeiten, weshalb die Zumutbarkeit der Rechtsermittlung im Einzelfall bestimmt werden muss. Darin spiegelt sich der Wille der Parteien wider, weil sie die Schiedsrichter aus bestimmten Gründen in das Schiedsgericht wählen. Im Ergebnis setzt sich die Flexibilität der Schiedsgerichtsbarkeit deshalb im Vorgang der zumutbaren Rechtsermittlung fort. c) Kollision mit Parteivereinbarung Im Grundsatz gilt die Regel: Die Reichweite der Schiedsvereinbarung ist gleich­ zeitig die äußere Grenze der schiedsrichterlichen Rechtsanwendung. Entschei­ den die Parteien sich für die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften, so muss das Schiedsgericht diesem Wunsch nachkommen.404 Umgekehrt darf es grund­ sätzlich solche Vorschriften nicht anwenden, die von den Parteien einvernehm­ lich vom Prüfungsmaßstab ausgenommen wurden.405 Erlässt das Schiedsgericht einen Schiedsspruch unter Außerachtlassung einer ordre public-Vorschrift, die von den Parteien ausdrücklich ausgeschlossen wur­ de, so kann dem Schiedsspruch wegen Verstoßes gegen den ordre public die Aufhebung drohen.406 Hätte es die Vorschrift hingegen berücksichtigt, so läge darin auf den ersten Blick eine Überschreitung der Schiedsvereinbarung.407 We­ gen der von beiden Seiten lauernden Gefahren wurde diese Situation als Skylla und Charybdis der Schiedsgerichtsbarkeit beschrieben.408 Für diese Sorge be­ steht jedoch kein Anlass. Eine Parteivereinbarung, die ordre public-Vorschriften

404  Art.  28 Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  1 ZPO; Art.  31 Abs.  1 S.  1 ICDR-Schiedsregeln. Die Formulierung in Art.  24.1 DIS-Schiedsregeln ist weniger eindeutig als in Art.  23.1. DIS-Schiedsregeln 1998. Aus einem Umkehrschluss zu Art.  24.2. DIS-Schieds­ regeln sowie der Entstehungsgeschichte von Art.  24.1 DIS-Schiedsregeln lässt sich jedoch ab­ leiten, dass die Schiedsrichter das von den Parteien vereinbarte Recht anwenden sollten. 405  Statt aller Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 102–103 (2008). 406  Die Anwendung von ordre public-Vorschriften ist zwingend, weil sie vom Willen der Parteien unabhängig ist, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. c) bb). 407  Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 102–103 (2008). 408  So insbesondere Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 103 (2008).

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abzudingen versucht, ist unbeachtlich.409 Schließlich ist die Autonomie der Par­ teien auch in Schiedsverfahren begrenzt.410 Dementsprechend ist es vom Mandat des Schiedsrichters augenfällig nicht umfasst, den Parteien bei strafbaren Handlungen als Gehilfe zu dienen. Eine Par­ teivereinbarung, wonach strafrechtlich relevante Verbotsvorschriften unange­ wendet bleiben müssen, bindet das Schiedsgericht gerade nicht.411 Die Parteien können die Schiedsrichter überdies nicht zwingen, elementare Menschenrechte bei ihrer Rechtsanwendung zu missachten.412 Ansonsten wäre das Schiedsgericht unter Umständen gezwungen, einen nicht vollstreckbaren Schiedsspruch zu er­ lassen; eine solche Pflicht wäre ein Widerspruch in sich selbst. Abgesehen von diesen beiden besonders deutlichen Fällen gibt es aber auch weitere ordre ­public-Vorschriften, die mit der Parteiautonomie in Widerspruch treten können. Schließen etwa zwei Kartellanten die Anwendbarkeit von sämtlichen kartell­ rechtlichen Vorschriften aus, so dürfen und müssen die Schiedsrichter sich über eine derartige Vereinbarung hinwegsetzen.413 Insgesamt bedarf es letztlich der sorgfältigen Prüfung im Einzelfall, ob der Ausschluss einer zwingenden Vorschrift tatsächlich zu einem ordre public-Ver­ stoß führt. Die Maßstäbe hierfür sind weltweit nicht einheitlich geregelt. Es hängt deshalb mit dem anwendbaren Recht des Schieds- und Vollstreckungsortes zusammen, ob die Parteivereinbarung ausnahmsweise zugunsten der Durchset­ zung von ordre public-Vorschriften missachtet werden darf. Im Regelfall sollte das Schiedsgericht dabei Zurückhaltung walten lassen.414 3. Durchsetzbarkeit Lässt sich eine schiedsrichterliche Pflicht zur eigenständigen Rechtsermittlung aus dem anwendbaren Recht herleiten, so ist damit über die Kontrolle ihrer Ein­ haltung noch nichts gesagt.415 Anders als staatliche Richter sind Schiedsrichter Cordero-Moss, Recueil des cours 372 (2015), S.  181, 310–312. zu der Beschränkung der Parteiautonomie in internationalen Schiedsver­ fahren Cordero-Moss, Recueil des cours 372 (2015), S.  181–326. 411  Verspürt ein Schiedsrichter den Verdacht einer Straftat, so kann auch eine Strafanzeige vor nationalen Strafverfolgungsbehörden in Betracht kommen, s. Born, International Commer­ cial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998 mit Fn.  224. 412  Zu der öffentlichen Ordnung in Deutschland s. BGH, Beschluss v. 30.10.2008, Az. III ZB 17/08, Rn.  5, IPRax 2009, 519. 413  Zu den Hintergründen Cordero-Moss, Recueil des cours 372 (2015), S.  181, 183–185. 414 Zu diesem Grundsatz Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1998. 415  Die Durchsetzbarkeit wird in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur regelmäßig als Anknüpfungspunkt herangezogen, um eine Pflicht abzulehnen, s. statt aller Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2.  Aufl. 2007, S.  482. 409 

410 Ausführlich

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gerade nicht in eine Staatsorganisation eingebunden. Sie schwören keinen Dien­ steid, haben keine Amtspflichten und werden auch nicht von vorgesetzten Rich­ tern oder Staatsorganen bei Beförderungsentscheidungen beurteilt. Die Kehr­ seite der Vertraulichkeit von Schiedsverfahren liegt überdies daran, dass die Schiedssprüche jedenfalls in der Regel der Fachöffentlichkeit vorenthalten blei­ ben. Im Unterschied zu staatlichen Urteilen fehlt es insofern an einer kritischen Auseinandersetzung sowie einer fachlichen Fehlerkontrolle.416 Zugleich beendet der Schiedsspruch den Rechtsstreit im Regelfall, weshalb höhere Instanzen an­ ders als im staatlichen Kontext keine Gelegenheit zur Urteilsschelte erhalten. Es liegt somit zunächst nahe, in einer etwaigen schiedsrichterlichen Rechts­ ermittlungspflicht eine Ehrenpflicht und keine durchsetzbare Rechtspflicht zu erkennen. Im Grundsatz stehen als verfahrensrechtliche Sanktionsmöglichkeiten lediglich die Aufhebung und die Vollstreckungsversagung zur Verfügung.417 Über diese Verfahrensarten kann aber nur die Einhaltung von ordre public-Vor­ schriften und verfahrensrechtlichen Parteivereinbarungen abgesichert werden. Die inhaltliche Richtigkeitskontrolle ist deshalb erheblich eingeschränkt.418 Letztlich beruht die Durchsetzbarkeit einer schiedsrichterlichen Rechtsermitt­ lungspflicht also vor allem auf dem Konzept schiedsrichterlicher Reputation. Schließlich sind Schiedsrichter regelmäßig darauf bedacht, einen Schiedsspruch mit einer möglichst hohen rechtlichen Qualität zu erlassen, um erneut zur Ent­ scheidung von Schiedsverfahren berufen zu werden.419 Vor diesem Hintergrund sind die Aufhebung und Vollstreckbarkeit, die Haf­ tung der Schiedsrichter sowie die schiedsrichterliche Reputation zu untersuchen.

416  Die fehlende zweite Instanz wird durchaus als ein bedeutendes Argument gegen die Verwendung der Schiedsgerichtsbarkeit eingestuft, s. etwa Silberman, 13 Am. Rev. Int’l Arb. 9, 11–12 (2002) sowie weiterführend Born, International Commercial Arbitration, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  83. Bis heute gibt es deshalb im englischen Schiedsverfahrensrecht einen ­„appeal on point of law“, Section 69 Arbitration Act 1996. 417  Eine eingeschränkte Fehlerkontrolle kann sich allenfalls aus internen Mechanismen wie dem scrutiny-Verfahren ergeben, s. exemplarisch Art.  34 ICC-Schiedsregeln. Kritisch deshalb Silberman, 13 Am. Rev. Int’l Arb. 9, 11–12 (2002). 418  Exemplarisch BGH, Beschluss v. 30.10.2008, Az. III ZB 17/08, Rn.  5, IPRax 2009, 519: „Nicht jeder Widerspruch der Entscheidung des Schiedsgerichts zu zwingenden Vorschrif­ ten des deutschen Rechts stellt danach einen Verstoß gegen den ordre public dar.“ Daraus darf nicht gefolgert werden, sie seien schlechthin nicht an Gesetze gebunden; kritisch zu derartigen „anarcho-kapitalistischen“ Phantasien Reisman/Richardson, ICCA Congress Series 2012, S.  17, 18. 419 Zur erheblichen Bedeutung der Rechtsanwendungsqualität für die Beurteilung der Schiedsrichterleistung s. Queen Mary Survey 2010, 26 mit Chart 20.

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a) Aufhebung und Vollstreckungsversagung Prozessual betrachtet liegt die Kehrseite einer fehlenden révision au fond darin, dass die Einhaltung einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht oft nur schwer überprüft werden kann.420 Ein Schiedsspruch ist grundsätzlich nicht auf­ hebbar und die Vollstreckbarkeit nicht gefährdet, wenn das Schiedsgericht ein­ schlägige Rechtsvorschriften oder Gerichtsentscheidungen übersieht.421 Außer­ dem geben die Schiedsrichter in den Vorgang ihrer Rechtsanwendung im Nor­ malfall keinen Einblick, weshalb sich fehlende oder gänzlich unzureichende Rechtsermittlungen in der Praxis nicht nachweisen lassen. Dies ist nicht zuletzt auf das Beratungsgeheimnis des Schiedsgerichts zurückzuführen.422 In der Auf­ hebungs- und Vollstreckbarkeitsperspektive tritt die Richtigkeit des Schieds­ spruchs folglich hinter seine Finalität zurück. Es wäre jedoch ein Fehlschluss, aus diesen Gründen eine Durchsetzbarkeit der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht in allen Fällen zu verneinen. Die abgeschwächte Durchsetzbarkeit einer Rechtsermittlungspflicht ist vielmehr der besondere Ausdruck des allgemeinen Prinzips, wonach die Rechtsgeltung in Schiedsverfahren anders als in staatlichen Verfahren funktioniert. Abgesehen da­ von gibt es durchaus Situationen, in denen unterlassene Rechtsermittlungen die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs in Zweifel ziehen können. Haben die Par­ teien die Schiedsrichter beispielsweise auf eine Ermittlung des Rechts verpflich­ tet und kommen die Schiedsrichter dieser Pflicht nicht nach, so kann dies zur Aufhebung oder Vollstreckungsversagung führen.423 Dies gilt vor allem dann, wenn die Schiedsrichter in der mündlichen Verhandlung oder im Schiedsspruch selbst Hinweise auf ihre unterlassenen Rechtsermittlungen geben.424 Überdies liegt es stets in der Verantwortung der Schiedsrichter, die Einhaltung der ein­ schlägigen ordre public-Vorschriften sicherzustellen. Bei zwingenden Rechts­ vorschriften wird in fehlendem Rechtsvortrag regelmäßig kein wirksamer Ver­ zicht liegen.425 Jedenfalls in diesem Zusammenhang dürfen die Schiedsrichter sich gerade nicht blind auf die Rechtsausführungen der Parteien verlassen, son­ Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 193 (2012). Dazu etwa BGH, Beschluss v. 30.10.2008, Az. III ZB 17/08, Rn.  5, IPRax 2009, 519, 520; BGer, Urteil v. 27.04.2005, Az.  4P.242/2004, Urteilsziffer 7.3 oder BGer, Urteil v. 05.02.2014, Az.  4A_446/2013, Urteilsziffer 6.2.2.3. 422 Grundlegend für das deutsche Recht BGH, Urteil v. 23.01.1957, Az. V ZR 132/55, Rn.  52, WM 1957, 404, 406. 423  In diese Richtung für die Schweiz Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 194–195 (2012). 424  Das Schweizer Bundesgericht hob einen Schiedsspruch auf, weil die Schiedsrichter den Inhalt des Kartellrechts nicht ermitteln wollten, BGer, Urteil v. 28.04.1992 = BGE 118 II 193. 425  S. etwa Cour d’appel de Paris, Linde AG v. sté Halyvourgiki, 22.10.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 124. 420 Treffend 421 

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dern haben die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs auf eigenen Antrieb zu ge­ währleisten. In der Gesamtschau ist es eine Wertungsfrage, wie groß die Vollstreckbarkeits­ risiken im Einzelfall ausfallen. Im Zweifel sollten Schiedsrichter in Anbetracht der gravierenden Konsequenzen einer Aufhebung insoweit vorsichtig vorgehen. Es verwundert, warum darauf im Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör immer wieder hingewiesen wird, bei der eigenständigen Ermittlung des Rechts aber nicht. Jedenfalls steht fest, dass unterlassene Rechtsermittlungen die Quali­ tät sowie die Vollstreckungsfestigkeit eines Schiedsspruchs nicht erhöhen. b) Pflichtverletzung und Haftung Im Unterschied zu staatlichen Richtern sind Schiedsrichter mit den Parteien über einen Schiedsrichtervertrag verbunden, der einen Rückgriff auf das Leistungs­ störungsrecht ermöglicht.426 Es ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, welche ver­ traglichen Pflichten die Schiedsrichter konkret treffen.427 Unterliegt der Schieds­ richtervertrag deutschem Recht, so muss der Schiedsrichter nach besten Kräften am Verfahren mitwirken und den Streitfall nach Maßgabe des Schiedsvertrages in einem rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Verfahren einer alsbaldi­ gen Erledigung zuführen.428 Daraus ergibt sich nach Lachmann eine schiedsrich­ terliche Pflicht, „die relevanten Fragen herauszuarbeiten und sie unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung sowie der maßgeblichen Literaturmeinungen zu beantworten“.429

Schon auf den ersten Blick ist allerdings zweifelhaft, inwieweit eine derartige Pflicht zur Rechtsermittlung überhaupt haftungsbewehrt sein soll. Es steht im 426  Zur Herleitung des Schiedsrichtervertrages BGH, Urteil v. 29.11.1952, Az. II ZR 23/52, Rn.  10, NJW 1953, 303. Rechtsvergleichend s. die Ausführungen bei Born, International Com­ mercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1975–1986. 427  Die Pflichten hängen von dem Schiedsrichtervertragsstatut sowie der Parteivereinba­ rung ab, s. grundlegend von Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1970) sowie für einen Überblick Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1986–2010. 428  BGH, Urteil v. 05.05.1986, Az. III ZR 233/84, Rn.  14, BGHZ 98, 32, 34–35. 429  Zitat nach Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3.  Aufl. 2008, S.  923. Ebenso Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, Vorbemerkung zu den §§  1034 ff., Rn.  19 sowie Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  1035 ZPO, Rn.  24. Allgemein in diese Richtung auch Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1997–1999 sowie B. Berger, 31 ASA Bulletin 244, 254–255 (2013). Diese Formel ist aber nicht ohne Nachteile, weil eine solche Pflicht nicht in jeder Rechtsordnung vorausgesetzt werden kann, was wiederum zu unterschiedlichen schiedsvertraglichen Pflichten innerhalb des Schiedsgerichts führt.

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Widerspruch zur schiedsrichterlichen Entscheidungstätigkeit, jeden Fehler in der Rechtsermittlung als Pflichtverletzung einzuordnen.430 Nicht zuletzt aus diesem Grund treffen die Vertragsparteien im Regelfall eine vertragliche Regelung, mit der sie die schiedsrichterliche Haftung begrenzen.431 So sehen die ICC-Schieds­ regeln einen vollständigen Haftungsausschluss vor, die DIS-Schiedsregeln be­ schränken die Haftung in der Entscheidungstätigkeit auf Vorsatz und die SCC-­ Schiedsregeln verlangen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit.432 Obschon in man­ chen Rechtsordnungen Zweifel an Wirksamkeit und Reichweite derartiger Haftungsbeschränkungsklauseln angemeldet werden, schließen sie einen An­ spruch gegen die Schiedsrichter für Rechtsanwendungsfehler in der Praxis – je­ denfalls bislang – regelmäßig aus.433 Staatliche Gerichte lassen daher höchste Zurückhaltung walten, wenn die Haftung von Schiedsrichtern in Rede steht.434 Selbst wenn eine Pflichtverletzung bejaht würde, müsste der Kläger außerdem für einen erfolgreichen Haftungsanspruch die Kausalität zwischen Pflichtverlet­ zung und Schaden nachweisen. Gerade in Schiedsgerichten mit drei Mitgliedern erscheint dies schon wegen des Beratungsgeheimnisses als mit Problemen behaf­ tet.435 In der Regel wird sich nicht zeigen lassen, welcher der Schiedsrichter für den Rechtsermittlungsfehler verantwortlich war. Letztendlich ist es deshalb we­ nig aussichtsreich, eine Verletzung der Rechtsermittlungspflicht über das Leis­ tungsstörungsrecht zu sanktionieren.

Gal ist die Rechtsprechung bei der Bejahung von Schadensersatzansprüchen des­ halb extrem zurückhaltend, s. Gal, Die Haftung des Schiedsrichters in der internationalen Han­ delsschiedsgerichtsbarkeit (2009), S.  298. 431 Weitere Nachweise bei Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, Vorbemerkung zu den §§  1034 ff., Rn.  29. 432  Art.  41 ICC-Schiedsregeln; Art.  45.1. DIS-Schiedsregeln; Art.  52 SCC-Schiedsregeln. Die Schiedsregeln des amerikanischen International Center for Dispute Resolution beschrän­ ken die Haftung in Art.  38 ebenfalls auf Vorsatz. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der UNCITRAL Arbitration Rules von 1976 bis hin zu 2013: Mitunter ist auch dort in Art.  16 ein weit reichender Haftungsausschluss vorgesehen. Daran lassen sich auch ge­ wisse Änderungen in der Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt erkennen. 433 Treffend Gal, Die Haftung des Schiedsrichters in der internationalen Handelsschieds­ gerichtsbarkeit (2009), S.  298. 434  In Deutschland geht die Rechtsprechung davon aus, dass Schiedsrichter den staatlichen Richtern in der Haftung gleichstehen, s. BGH, Urteil v. 06.10.1954, Az. II ZR 149/53, Rn.  6, BGHZ 15, 12, 14–15. Vertiefend zum Ganzen Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2012–2013. 435  Zum Beispiel verhindert das Beratungsgeheimnis es praktisch, Schiedsrichter als Zeu­ gen zu benennen, s. dazu BGH, Urteil v. 23.01.1957, Az. V ZR 132/55, Rn.  52, WM 1957, 404, 406. 430 Nach

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

c) Reputation Die Schiedsgerichtsbarkeit ist ein Markt, dessen Währung in Reputation no­ tiert.436 Ein wesentlicher Weg zur Durchsetzung einer schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht führt deshalb über die Reputation der Schiedsrichter.437 Seine Reputation kann ein Schiedsrichter insbesondere dadurch erhalten oder steigern, dass er sachkundige und rechtlich überzeugende Schiedssprüche er­ lässt.438 Gleichzeitig liegt es auf der Hand, dass schlecht begründete Schieds­ sprüche die unterlegene Seite unzufrieden zurücklassen. Im Regelfall wird die Frage nach einer eigenständigen schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht in der Praxis bedeutsam, wenn eine Partei in ihren Rechts­ausführungen eine streitentscheidende Rechtsvorschrift oder Gerichtsent­ scheidung übersieht. Diesen Rechtsanwendungsfehler korrigiert das Schiedsge­ richt dann in Übereinstimmung mit seiner eigenständigen Pflicht. Dadurch erhal­ ten die Schiedsrichter Gelegenheit, die Parteien von der eigenen Rechtskenntnis zu überzeugen und gleichzeitig die Qualität des Schiedsspruchs zu erhöhen.439 Kommt das Schiedsgericht seiner Rechtsermittlungspflicht hingegen nicht nach, so hat dies auf den ersten Blick für die Reputation der Schiedsrichter keine nachteiligen Folgen. Wird der Schiedsspruch nicht veröffentlicht, erlangt die Fachöffentlichkeit von seinem Inhalt keine Kenntnis.440 Außerdem wird der Rechtsfehler der unterlegenen Seite zunächst nicht auffallen; ansonsten wäre er ihr von Beginn an nicht unterlaufen. Da staatliche Gerichte den Schiedsspruch in der Sache nicht nachprüfen, werden diese etwaige Rechtsanwendungsfehler des Schiedsgerichts ebenfalls nicht bemängeln. Bei genauem Hinsehen fällt jedoch auf, dass Rechtsfehler in Schiedssprüchen durchaus in interessierten Kreisen verbreitet werden können. Selbst wenn das Schiedsgericht sowie die unterlegene Seite übereinstimmend eine einschlägige Rechtsquelle übersehen, muss dies für die Anwälte der obsiegenden Gegenseite keineswegs gleichermaßen der Fall sein.441 Dies gilt vor allem dann, wenn die 436 Zur herausragenden Stellung der Reputation als Auswahlfaktor von Schiedsrichtern Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19 sowie Queen Mary Survey 2013, S.  22. 437  Der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Schiedsrichter ist eine klassische Sanktion, die in der Schiedsgerichtsbarkeit seit jeher eine bedeutende Rolle spielte, s. weiterführend Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte (2015), S.  287. 438  Eindrücklich zur Wichtigkeit von Rechtskenntnissen Queen Mary Survey 2013, S.  22. 439  Wetter meint, derartige Eingriffe in den Wettstreit der Parteien dürften nicht überhand­ nehmen und zu einem „besser Wissen“ der Schiedsrichter führen, s. Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 91. 440  Soweit ersichtlich konnte bislang keine Initiative diesen Grundsatz ernsthaft aufwei­ chen, s. Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  2815–2823 m. w. N. Kritisch bereits Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169. 441 Anders als im amerikanischen Recht werden sie sich regelmäßig nicht aus ethischen

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Qualität der Rechtsberatung zwischen den beiden Parteien unausgeglichen ist.442 Daneben bemerken aber auch die anderen Schiedsrichter, welche eigenständigen Anstrengungen ein Schiedsrichter bei der Ermittlung des Rechts unternimmt und über welche Rechtskenntnisse er verfügt.443 Außerdem gelangt der fertige Schiedsspruch nicht selten in die Hände der einbezogenen Schiedsinstitution und wird von dieser teils sogar auf Rechtsfehler nachgeprüft.444 Abgesehen davon wird es anlässlich eines Aufhebungs- oder Vollstreckungsverfahrens in der Pra­ xis nicht selten zu einem Anwaltswechsel kommen. Die neuen Anwälte werden den Schiedsspruch auf seine Qualität hin durchleuchten, um eine Angriffsfläche im Zusammenhang mit ordre public-Vorschriften zu finden. Letztlich ist Schiedsrichtern deshalb aus Gründen der eigenen Reputation da­ ran gelegen, das Recht möglichst sachgerecht anzuwenden.445 Zwingend ist die­ ser Mechanismus indes nicht, weil ein Schiedsrichter selbst entscheidet, welche Handlungsweisen für seinen Ruf dienlich oder schädlich sind. Insgesamt schlägt der Reputationsmechanismus deshalb die Brücke zwischen Ehrenpflicht, durch­ setzbarer Rechtspflicht und Ermessen. 4. Zusammenfassende Würdigung Nach allem wirkt die Aussage, wonach eine schiedsrichterliche Rechtsermitt­ lungspflicht generell abzulehnen sei, seltsam unwirklich. Diese von internationa­ len Schiedsrichtern bislang vielfach vertretene Ansicht scheint auf einen natür­ lichen Interessenkonflikt zurückzuführen zu sein. Ersichtlich sind Schiedsrichter gerade nicht geneigt, sich selbst Pflichten aufzuerlegen. In den Worten des Unit­ ed States Court of Appeals for the Fifth Circuit: Gründen als verpflichtet ansehen, die andere Seite und das Schiedsgericht auf einen Fehler aufmerksam zu machen. Vertiefend zum amerikanischen Recht Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 3. 442  Insbesondere kann dies der Fall sein, wenn die Rechtsanwälte der obsiegenden Seite in der anwendbaren Rechtsordnung zu Hause sind. Ausführlich zu qualitätsbildenden Faktoren Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 498 (2003). 443  Eine nicht überzeugende Rechtsanwendung löst unter Umständen eine dissenting opinion aus, s. ausführlich Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3053–3061. 444  Exemplarisch Art.  34 ICC-Schiedsregeln. Missachtet ein Schiedsrichter seine eigen­ ständige Pflicht zur Rechtsermittlung, kann dies der Organisation auffallen und bei zukünftigen Schiedsrichterbestellungen Berücksichtigung finden. Dies ist für Schiedsrichter höchst bedeut­ sam, weil zahlreiche Institutionen jedenfalls die Benennung des Vorsitzenden vornehmen, s. etwa Art.  12 Abs.  4 ICC-Schiedsregeln. 445 Treffend Arroyo, in: Arbitration in Switzerland: The Practitioner’s Guide (2013), Art.  190 IPRG, S.  242: „Since arbitrators conducting commercial arbitrations […] are usually lawyers, and good lawyers apply good law, they should certainly base their award on laws that are in force.“

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„It cannot therefore be left to the fox, who is the potential arbitrator, to guard the arbitration henhouse“.446

Schiedsrichter sind nach der Parteivereinbarung und in Übereinstimmung mit ihrem Mandat gehalten, einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu erlassen. Ein Schiedsspruch ist aber nur umstandslos vollstreckbar, wenn das Schiedsgericht die einschlägigen ordre public-Vorschriften beachtet. Hierbei darf es sich nicht auf den rechtlichen Parteivortrag verlassen. Insbesondere bei Missachtung von strafrechtlichen Vorschriften ist ansonsten nicht nur der Schiedsspruch, sondern unter Umständen auch die Freiheit des Schiedsrichters selbst gefährdet. Über diesen Standard hinaus fällt es jedoch schwer, allgemeingültige Aussa­ gen über eine etwaige Rechtsermittlungspflicht zu treffen. Es liegt an den Partei­ en, die Pflichten der Schiedsrichter im Wege der Parteivereinbarung zu bestim­ men. In der Praxis erfolgt dies regelmäßig über die Einbeziehung von institutio­ nellen Schiedsregeln sowie die Wahl einer lex arbitri. Hierin wird die Art und Weise der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung zwar zumeist nicht ausdrück­ lich geregelt. Dem anwendbaren Recht lassen sich aber Hinweise für oder gegen das Vorliegen einer Pflicht im Wege der Auslegung entnehmen. Bei dieser Aus­ legung werden staatliche Gerichte von ihrem nationalen Vorverständnis beein­ flusst. Wird in einer Rechtsordnung die Pflicht staatlicher Richter zur selbsttäti­ gen Rechtsermittlung bejaht, so neigen staatliche Gerichte dazu, Schiedsrichter nicht mit weniger strengen Pflichten zu belegen als sie für staatliche Gerichte ohnehin Geltung beanspruchen. Sieht die Parteivereinbarung im Wege der Auslegung eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht vor, dann ist damit über ihre Reichweite sowie ihre Durchsetzbarkeit noch nichts gesagt. Ganz grundsätzlich ist eine derartige Pflicht jedenfalls nicht uferlos, sondern wird vielmehr in ihrer Reichweite von schieds­ verfahrensrechtlichen Zumutbarkeitskriterien beschränkt. Die Rechts- und Sprachkenntnis eines Schiedsrichters wirken sich unmittelbar auf seine Rechts­ ermittlungsmöglichkeiten aus. Anders als bei staatlichen Gerichten handelt es sich bei Schiedsverfahren um das natürliche Forum für die Fremdrechtsanwen­ dung, weshalb von Schiedsrichtern im Umgang mit fremdem Recht regelmäßig mehr erwartet werden darf als von ihren staatlichen Kollegen. Unabhängig von den Schwierigkeiten in der Herleitung sowie bei der Bestim­ mung der Reichweite ist nicht zu übersehen, dass sich eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht in der Praxis nicht immer durchsetzen lässt. Insbeson­ dere droht den Schiedsrichtern bei unterlassenen oder unzureichenden eigenstän­ digen Recherchen grundsätzlich keine Haftung. Außerdem darf die Finalität von 446  Positive Software Solutions, Inc. v. New Century Mortg. Corp., 476 F.3d 278, 293 (5th Cir. 2007).

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Schiedssprüchen nicht über eine umfassende Kontrolle einer etwaigen Rechts­ ermittlungspflicht ausgehebelt werden. Dennoch würde es zu weit greifen, die Existenz einer Pflicht wegen der ver­ meintlich fehlenden Durchsetzbarkeit zu verneinen. Die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs ist ebenso gefährdet, wenn die Schiedsrichter ordre public-Vor­ schriften verkennen oder die Parteivereinbarungen missachten. Außerdem liegt es im besten Interesse der Schiedsrichter, in ihrem Schiedsspruch eine hohe Rechtsanwendungsqualität sicherzustellen. Die Durchsetzbarkeit einer Rechtser­ mittlungspflicht hängt deshalb wie die Rechtsgeltung in Schiedsverfahren insge­ samt vor allem an der Reputation der Schiedsrichter. Dies schlägt den Bogen zum schiedsrichterlichen Ermessen.

III. Schiedsrichterliches Ermessen Das schiedsrichterliche Ermessen ist ein Heiligtum der Schiedsgerichtsbarkeit.447 Der amerikanische Rechtslehrer und Schiedsrichter Park beschreibt es so: „To many in the arbitration community, any suggestion that arbitral discretion should be cur­ tailed may be as welcome as ants at a picnic. The flexibility inherent in arbitrator discretion not only constitutes a pillar of orthodoxy, but rests on deeply entrenched practical considera­tions.“448

Jeder Schiedsrichter verfügt über eine andere Ausbildung, einen anderen rechts­ kulturellen Hintergrund und eine andere Persönlichkeit. Die Meinungen dazu, wie mit der Rechtsermittlungsbefugnis in Schiedsverfahren umgegangen werden sollte, gehen deshalb naturgemäß auseinander. So schreibt der australische Schiedsrichter Jones: „The private and consensual nature of arbitration means that the policy aims promoted through the iura novit curia principle, such as equality before the law and consistent outcomes for like cases, are not pressing reasons for the application of the principle to international arbitration.“449

Damit akzeptiert Jones, dass die Allgemeinheit des Gesetzes aus prozessualen Gründen aufgehoben werden kann. Gänzlich anders klingen dagegen die Aus­ führungen des französischen Rechtslehrers und Schiedsrichters Mayer: 447  Obschon nach dem bislang Gesagten im Einzelfall durchaus eine Rechtsermittlungs­ pflicht bestehen kann, tritt diese nicht in Widerspruch zu schiedsrichterlichem Ermessen. Schließlich steht das Ermessen unter dem Vorbehalt von entgegenstehenden Parteivereinba­ rungen, s. zu diesem Grundsatz Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 210 (2011). Ausführlich zur Ermessensausübung im Zusammenhang mit eigenständigen Rechtsermittlungen s. einerseits Landolt, 28 Arb. Int’l 173 (2012) und andererseits Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101. 448  Park, 19 Arb. Int’l 279, 284–285 (2003). 449  Jones, 78 Arbitration 102, 113 (2012).

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

„[J]e considère [que] la mission de rendre une sentence juste l’emporte. C’est ce désir de justice qui pousse l’arbitre à intervenir, et non pas le désir de favoriser une partie. Le risque que son intervention soit mal interprétée ne doit pas, à mon sens, l’arrêter.“450

Gerade die Haltung zu Grundfragen von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit spielt demzufolge eine ausschlaggebende Rolle dabei, wie ein Schiedsrichter über sein Verhältnis zur eigenständigen Rechtsermittlung befindet.451 Dazu pas­ send ist es von vornherein nicht angezeigt, strikte Richtlinien für die Ermessens­ ausübung vorzugeben. Vielmehr sollten die Schiedsrichter im Einzelfall darüber entscheiden, welche Vorgehensweise für die Bewältigung der streitgegenständli­ chen Probleme geboten ist. Folglich verbleibt den Schiedsrichtern im Regelfall ein weiter Raum für die Ermessensausübung. Die Weite dieses Ermessens darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Ermessensausübung sich nicht in einem rechtlichen Vakuum bewegt. Schließ­ lich vermögen sowohl die Ausübung als auch die Nichtausübung der Rechts­ ermittlungsbefugnis die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs zu gefährden. ­Außerdem steht die Art und Weise der Rechtsermittlung mit der Qualität des Schiedsspruchs in einem Wechselwirkungsverhältnis und beeinflusst ihrerseits unmittelbar die Reputation eines Schiedsrichters. Vor diesem Hintergrund kann und muss das Rechtsermittlungsermessen strukturiert werden. Hierbei lassen sich die Kategorien der Zweckmäßigkeit, der Pflichtengebundenheit, der Er­ messensreduktion sowie der Ermessensfehler heranziehen. Ermessensfehler sind dabei letztlich gleichbedeutend mit einer Überschreitung der Rechtsermittlungs­ befugnis. Die Zweckmäßigkeit der Ermessensausübung steht in Zusammenhang mit den Erwartungen der Parteien und Schiedsinstitutionen. Daneben existieren Sonder­ situationen, in denen eine Ermessensverdichtung in Frage kommt. Entscheidet das Schiedsgericht sich für die Ausübung seiner Rechtsermittlungsbefugnis, so sind ferner Leitlinien für den Umgang mit dem rechtlichen Gehör herauszuarbei­ ten. In einem weiteren Schritt wird auf die Bedeutung und Praxistauglichkeit von soft law-Instrumenten im Zusammenhang mit der schiedsrichterlichen Rechts­ ermittlung eingegangen. Darauf folgt eine zusammenfassende Würdigung der schiedsrichterlichen Ermessensausübung.

Mayer, Revue de l’Arbitrage 2013, 339, 354–355. setzen sich die in der Rechtsvergleichung hervorgetretenen Unterschiede in der Schiedsgerichtsbarkeit fort: Das Verhältnis zwischen Staat und Schiedsgerichten, die Re­ gelbindung von Schiedsrichtern und schließlich die eigenständige schiedsrichterliche Rechts­ ermittlung sind Ausdruck von Wertungsfragen, die vom rechtskulturellen Vorverständnis ab­ hängen, s. statt aller zum Ganzen Park, 19 Arb. Int’l 279, 287–288 (2003). 450 

451  Insoweit

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1. Zweckmäßigkeit Es sind die Schiedsrichter selbst, die am Ende über ihre Ermessensausübung befinden müssen. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Entscheidungsfin­ dung und gleichzeitig eine schiedsrichterliche Kunst. Die Zweckmäßigkeit lässt sich dabei nicht strikt nach rechtlichen Maßstäben überprüfen.452 Die hier disku­ tierten Zweckmäßigkeitserwägungen verstehen sich deshalb nicht als Patent­ lösung, sondern vielmehr lediglich als Bausteine, die jeder Schiedsrichter bei der eigenen Entscheidung in Betracht ziehen kann. Dennoch sind die Schiedsrichter gut beraten, ihr Kunsthandwerk lege artis auszuüben. Ansonsten werden die Er­ wartungen aller Beteiligten enttäuscht. In jedem Fall sollten Schiedsrichter es von vornherein vermeiden, ökonomi­ schen Fehlanreizen aufzusitzen. Derartige Fehlanreize sind ein sich ständig ver­ schärfendes Grundproblem der Schiedsgerichtsbarkeit, das sich auch im Zusam­ menhang mit der Rechtsermittlung deutlich zeigt.453 Im vorliegenden Zusam­ menhang ist vor allem relevant, dass eine weitgehend fehlende Rechtskontrolle durch staatliche Gerichte zu einem moral hazard führen kann, weil Schiedsrich­ ter nur abgeschwächte Sanktionen bei fehlerhaften Schiedssprüchen befürchten müssen.454 Es wäre aber trügerisch, eigenständige Recherchen allein wegen der damit verbundenen Mühen zu unterlassen. Vielmehr muss die Frage nach der Erforder­ lichkeit von Rechtsermittlungen im Einzelfall und unter Berücksichtigung der grundlegenden Faktoren Qualität, Kosten und Zeit beantwortet werden. Dabei sollten Schiedsrichter ihre besonderen Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten fruchtbar machen. Außerdem erscheint es geboten, das Zusammenspiel zwischen Schiedsgerichtsbarkeit, Rechtsstaatlichkeit und Integrität der Schiedsrichter bei der Entscheidung über die Ermessensausübung zu berücksichtigen. In einem ersten Schritt werden potentielle Fehlanreize identifiziert. Sodann geht es darum, das Zusammenspiel zwischen Ermessensausübung und Arbeits­ 452  Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn das Schiedsgericht einen aufhebbaren oder nicht vollstreckbaren Schiedsspruch erlässt, s. Art.  34 UNCITRAL-Modellgesetz sowie Art. V New York Convention. 453  Die Folgen, die sich aus ökonomischen Fehlanreizstrukturen für die deontologischen Grundlagen der Schiedsgerichtsbarkeit ergeben, werden bislang nur unterkomplex in der Lite­ ratur reflektiert. So ist es etwa ein bekanntes Phänomen, dass Schiedsrichter mit ihrer Entschei­ dung alle Parteien glücklich machen wollen („splitting the baby“) oder einem „inherent bias“ zugunsten der benennenden Partei unterliegen, s. exemplarisch Queen Mary Survey 2012, S.  38. In Zeiten einer Industrialisierung der Schiedsgerichtsbarkeit steht für umsatzgetriebene Schiedsverfahrensbeteiligte bisweilen nicht die Qualität des Schiedsspruchs, sondern das nächste Mandat im Vordergrund. 454  Kritisch zu fehlenden Rechtsmitteln etwa Silberman, 13 Am. Rev. Int’l Arb. 9, 12–13 (2002): „[A]rbitration [is] substantially divorced from substantive legal norms“.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

verteilung näher zu beleuchten. Außerdem wird auf den Einfluss von besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen eingegangen sowie die Bedeutung schiedsrichter­ licher Integrität beleuchtet. a) Fehlanreize In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur wird immer wieder vor den Gefah­ ren im Umgang mit iura novit curia gewarnt. Dementsprechend geben die Auto­ ren Capper, Ljungström und Dépinay schlichtweg folgende Praxisempfehlung: „Given the risks of the award being challenged in cases where the arbitrators do apply the iura novit curia approach, it is often advisable for the arbitrators to lay the main burden of research­ ing and arguing the content of the applicable law on the parties.“455

Dieser Ratschlag ist bequem. Tatsächlich können Schiedsrichter sich im theore­ tischen Ausgangspunkt zunächst zurücklehnen und auf eigenständige Rechtser­ mittlungen verzichten.456 Dem Schiedsspruch droht im Regelfall nicht schon dann die Aufhebung, wenn das Recht schlichtweg falsch angewendet wurde. Dazu passt dann auch die Argumentation, wonach es grundsätzlich keine Pflicht zu eigenständigen Rechtsermittlungen in internationalen Schiedsverfahren ge­ ben könne. Gerade bei einer Vergütung nach Streitwert besteht für Schiedsrichter außerdem auf den ersten Blick kein ökonomischer Anreiz, das Recht selbst zu recherchieren. Durch zusätzliche eigene Recherchen sinkt letztlich nur der Stun­ denlohn des Schiedsrichters. Derartige Gedankengänge führen aber letztlich dazu, dass Schiedsrichter sich leichtsinnig verhalten und unter Umständen sogar die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs gefährden. Die Parteien wünschen sich keinen rechtsfreien Raum, sondern eine Entscheidung am Maßstab des Rechts.457 Gerade bei der Anwendung von zwingenden ordre public-Vorschriften dürfen die Schiedsrich­ ter sich nicht auf die Rechtsausführungen der Parteien verlassen. Abgesehen da­ von wirken sich fehlende Anstrengungen des Schiedsgerichts mitunter nachteilig auf die Qualität des Schiedsspruchs aus. Eine nicht überzeugend oder schlicht fehlerhaft begründete Entscheidung liegt offensichtlich nicht im Interesse der Parteien, zumal die unterliegende Partei nur eine eingeschränkte Rechtsprüfung vor staatlichen Gerichten in Anspruch nehmen kann. Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 43. Capper, Ljungström und Dépinay weisen darauf hin, dass Schiedsrichter sich dennoch „aktiv“ verhalten dürften; die angeratene Passivität erstreckt sich also insbesondere auf den Vorgang der Rechtsermittlung, s. Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 43. 457  , Art.  28 Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1051 Abs.  1 ZPO; Art.  24 DIS-Schieds­ regeln; Art.  31 Abs.  1 S.  1 ICDR-Schiedsregeln. 455  456 

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Vor diesem Hintergrund ist es gefährlich, eigenständige Recherchen grund­ sätzlich zu unterlassen.458 Dies gilt nicht nur für die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs, sondern auch für die Reputation der Schiedsrichter. Insgesamt sollten Schiedsrichter sich deshalb nicht von der Erwägung verführen lassen, dass staatliche Gerichte Schiedssprüche nur zurückhaltend aufheben. Risiken be­ stehen also sowohl im Zusammenhang mit der Ausübung als auch mit der Nichtausübung des Rechtsermittlungsermessens. b) Effizienz Im Grundsatz erwarten die Parteien von ihren Schiedsrichtern eine effiziente Verfahrensgestaltung.459 Dies beinhaltet neben möglichst geringen Kosten eine rasche Entscheidung bei höchstmöglicher Qualität. Dabei wirken sich geringe Kosten sowie wenig Zeit ihrerseits nachteilig auf die Entscheidungsqualität aus; umgekehrt ist eine höhere Entscheidungsqualität regelmäßig mit steigenden Kosten und einem größeren Zeitaufwand verbunden.460 Daran zeigt sich ein grundlegendes Dilemma: Ein nicht überzeugend begründeter Schiedsspruch ver­ ärgert die Parteien ebenso wie hohe Verfahrenskosten oder eine ausufernde Ver­ fahrensdauer. In der Schiedsgerichtsbarkeit spielt also das Urproblem der Beur­ teilung und Gewichtung von Qualität, Zeit und Kosten ebenso wie im allgemei­ nen Zivilprozess eine ausschlaggebende Rolle. Die Rechtsvergleichung hat gezeigt, wie unterschiedlich das Effizienzver­ ständnis in verschiedenen Rechtsordnungen sein kann. Passend dazu werden in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur voneinander abweichende Meinun­ gen vertreten, ob und wie Schiedsrichter ihr Rechtsermittlungsermessen ausüben sollten.461 Auf der einen Seite gibt es Autoren, die eigenständigen Rechtsermitt­ lungen aus Effizienzgründen grundsätzlich kritisch gegenüber stehen, weil es stets Zusatzkosten verursache, wenn Schiedsrichter auf eigenen Antrieb tätig würden.462 Auf der anderen Seite finden sich aber ebenso Schiedspraktiker, die Treffend bereits Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92–93. Darin liegt ein traditioneller Grund, warum Parteien sich von vornherein für die Schieds­ gerichtsbarkeit entscheiden, s. vertiefend Born, International Commercial Arbitration, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  86–89. Weitere Nachweise zur gewünschten Entscheidungsdauer bei Queen Mary Survey 2012, S.  39 mit Chart 41. Bei der Überarbeitung der DIS-Schiedsregeln wurde der Effizienzgedanken in Art.  27 ausdrücklich niedergelegt. 460  Vertiefend zur Antinomie zwischen Rechtsschutzgewährleistung und Effizienz Bruns, ZZP 124 (2011), 29–31. 461 Treffend Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 14: „[T]here does not seem to be a generally acknowledged understanding of how active role the tribunal may assume: commentators range from the encouragement of an active role for the arbitral tribunal, to scepticism towards such a role and nearly exclusion thereof.“ 462  So schreibt etwa Landolt, dass Parteivertreter sich auf einen rechtlichen Hinweis des 458  459 

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in eigenständigen Rechtsermittlungen gerade eine Methode zur Steigerung der Verfahrenseffizienz sehen, weil dies überflüssige Rechtsgutachten, Rechtsaus­ führungen und Beweisaufnahmen verhindere.463 Zwischen diesen Extremposi­ tionen existiert überdies eine Vielzahl von vermittelnden Einschätzungen und Vorschlägen.464 Trotz aller Unterschiede im Detail steht jedenfalls fest, dass schiedsrichter­ liche Rechtsermittlungen die Qualität des Schiedsspruchs erhöhen, sofern die Parteien zum Recht unvollständig oder fehlerhaft ausgeführt haben.465 Hieraus ergibt sich jedoch nicht automatisch, dass die Parteien von den Schiedsrichtern umfassende Rechtsermittlungen erwarteten.466 Aus Sicht der Parteien kommt es vielmehr darauf an, die betroffenen wirtschaftlichen Interessen zu gewichten. Anders als in staatlichen Gerichtsverfahren müssen die Parteien in Schiedsver­ fahren für alle anfallenden Kosten selbst aufkommen, weshalb sie letztlich selbst über Effizienzfragen entscheiden sollten.467 Die Methode der Rechtsermittlung kann folglich nicht in allen Schiedsverfah­ ren identisch sein. Art und Umfang der schiedsrichterlichen Rechercheanstren­ gungen stehen vielmehr in einem Wechselwirkungsverhältnis mit dem Streit­ wert.468 Im Ausgangspunkt steht dabei fest, dass die Parteien sich auch in Ver­ fahren mit niedrigem Streitwert eine überzeugende Entscheidung wünschen. Schiedsgerichts regelmäßig veranlasst sehen, zu der schiedsgerichtlichen Rechtsmeinung Stel­ lung zu beziehen. Das Verfahren werde demgemäß durch eine schiedsrichterliche Rechtsmei­ nung nur in die Länge gezogen, wodurch die Gesamtkosten stiegen, s. ausführlich Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 202–204 (2012). In diese Richtung ebenfalls Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 222 (2011). 463  In steter Regelmäßigkeit weisen deutsche Rechtswissenschaftler darauf hin, wie effizi­ ent der Einsatz der Relationstechnik in Schiedsverfahren sein könnte, s. statt aller zuletzt Bietz, SchiedsVZ 2014, 121 sowie Elsing, SchiedsVZ 2011, 114, 117. Weiterführend und mit zahlrei­ chen Nachweisen Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101. 464  Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 14 mit Fn.  45– 47. 465  Teils wird vertreten, dass sich Parteien von vornherein keine „richtige“ Entscheidung wünschten, s. ausführlich Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 204–208 (2012). Dem ist jedoch entge­ genzuhalten, dass die Parteien sich im Regelfall gerade für Schiedsrichter mit ausgeprägten Rechtskenntnissen sowie Expertise in bestimmten Branchen entscheiden, s. empirisch Queen Mary Survey 2013, S.  22. 466  Zahlreiche Argumente gegen eine Rechtsermittlung finden sich bei Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 197–214 (2012). 467 Treffend Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 204 (2012). 468  In Deutschland würde sich ein solcher Ansatz aus rechtsstaatlichen Gründen im staat­ lichen Zivilprozess verbieten, weil die Qualität der Rechtsprechung grundsätzlich vom Streit­ wert unabhängig sein sollte; dennoch gibt es in der Rechtspraxis gewisse Durchbrechungen dieses Prinzips, Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. III.

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Ansonsten hätten sie von vornherein auf die Anrufung eines rechtlich determi­ nierten Schiedsgerichts verzichten können oder eine Entscheidung eines amiable compositeur gewünscht. Allerdings können praktische Sachzwänge bei kleineren Streitwerten dazu führen, dass weniger Ressourcen in die Rechtsermittlung in­ vestiert werden können.469 Geht es hingegen um erhebliche wirtschaftliche Be­ lange, müssen die Faktoren Zeit und Kosten hinter der Entscheidungsqualität regelmäßig zurückstehen. Rein tatsächlich hängt der Effizienzbegriff außerdem mit der Art und Weise der Schiedsrichtervergütung zusammen. Erfolgt die Be­ zahlung nach Streitwert, so verursachen schiedsrichterliche Rechtsermittlungen jedenfalls nicht per se Zusatzkosten; bei einer Bezahlung nach Stundensätzen ist dies anders. Insgesamt ist es eine Wertungsfrage, wie aktiv ein Schiedsrichter das Recht selbst ermitteln sollte.470 In Ansehung der rechtskulturellen Unterschiede wird sich insoweit keine Einigkeit oder ewige Wahrheit erzielen lassen. Eine pauscha­ le Erwartungshaltung, wonach Parteien sich aktive oder passive Schiedsrichter wünschen, gibt es nicht. c) Erwartungshorizont Aus dem Begriff der Effizienz lässt sich folglich nicht allgemein ableiten, ob Schiedsrichter eigenständige rechtliche Recherchen anstellen sollten oder nicht.471 Anders kann dies aber dann sein, wenn Parteien oder Schiedsinstitutionen sich für einen Schiedsrichter aus bestimmten Gründen entschieden haben.472 Im Aus­ gangspunkt steht fest, dass Schiedsrichter gerade keine typischen Dienstleister sind. Ihre Rechtsprechungstätigkeit sollte unabhängig und ungebunden erfolgen und darf nicht durch Weisungen der Parteien beeinflusst werden. 469  Dieser Zusammenhang zeigt sich besonders deutlich an den neu eingeführten ICC Expedited Procedure Rules, die unter einem Streitwert von zwei Millionen USD die Entscheidung durch einen Einzelschiedsrichter vorsehen, Art.  30 sowie Art.  2 Abs.  1 Appendix VI ICC-­ Schiedsregeln. 470 Bislang fehlt es weitgehend an empirischen Nachweisen, welche Art und Weise der Verfahrensgestaltung tatsächlich effizienter ist. Allerdings deutet eine Studie der Queen Mary University darauf hin, dass passive Schiedsrichter der Verfahrenseffizienz grundsätzlich weni­ ger zuträglich sein könnten, Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 20. 471  Es ist verfehlt, Parteien aus Effizienzgründen die primäre Rechtsermittlungslast aufzu­ bürden. Anders aber der allgemeine Trend in der Schiedsgerichtsbarkeit, s. statt aller Lörcher/ Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 343–344. Kritisch ebenfalls Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495. 472  Empirisch zu den Gründen hinter Auswahlentscheidungen Queen Mary Survey 2013, S.  22; Queen Mary Survey 2012, S.  5–9; Queen Mary Survey 2010, S.  25–28; Queen Mary Survey 2006, S.  16–17. Weiterführend zu diesem Gedanken Öhlberger/Pinkston, Austrian ­Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 115–116.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Die schiedsrichterliche Unabhängigkeit wäre jedoch falsch verstanden, wenn sie zu einer Abkoppelung von Verfahrensgestaltung und Benennungserwartun­ gen führte.473 Vielmehr ist es für Schiedsrichter nachdrücklich empfehlenswert, sich bei der Gestaltung des Verfahrens an den berechtigten Erwartungen von Parteien und Schiedsinstitutionen zu orientieren. Die Zuteilung von Schiedsrich­ tern zu einem bestimmten Schiedsverfahren erfolgt schließlich nicht auf Grund­ lage eines Geschäftsverteilungsplanes, sondern ist regelmäßig das Ergebnis ei­ nes sorgfältigen Auswahlverfahrens.474 Gegenstand dieses Verfahrens ist es, die für den streitgegenständlichen Rechtsstreit passenden Schiedsrichter auszusu­ chen. In der Tat kommt es in der Praxis immer wieder zu pre-appointment interviews, deren Inhalt zu der Erwartungshaltung der benennenden Partei beitragen.475 Die erste Weichenstellung für die Ermessensausübung liegt darin, ob die Aus­ wahlentscheidung auf einen Juristen oder einen Nichtjuristen fällt.476 An einen Nichtjuristen können nicht die gleichen Rechtsermittlungsanforderungen gestellt werden wie an einen Berufsjuristen. Selbst wenn ein juristisches Studium absol­ viert wurde, ist damit über die Kenntnisse des anwendbaren Rechts aber noch nichts gesagt. Bei der Entscheidung über den Schiedsrichter achten Parteien und Schiedsinstitutionen nicht nur auf allgemeine juristische Fähigkeiten, sondern insbesondere auch auf Kenntnisse im anwendbaren Recht.477 Überdies kommt es oftmals vor, dass Schiedsrichter gerade wegen ihres Sonderwissens in ein Schiedsgericht berufen werden.478

473 

Nach Canon (I)(B)(3) AAA/ABA Code of Ethics sollten Schiedsrichter ihre Bestellung nur annehmen, wenn sie über die erforderliche Kompetenz für die Entscheidung des Rechts­ streits verfügen. 474  Die Schiedsrichterauswahl wird anhand bestimmter Kriterien getroffen, die sich zu ei­ ner Erwartungshaltung verdichten und deren Erfüllung bei zukünftigen Schiedsrichterbenen­ nungen erneut eine Rolle spielen wird. Dazu passend äußerten 75 % aller Befragten in einer Umfrage der Queen Mary University den Wunsch, Schiedsrichter nach Abschluss des Schieds­ verfahrens bewerten zu dürfen, Queen Mary Survey 2010, S.  28 mit Chart 23. Besonders be­ deutende Auswahlfaktoren sind die Erfahrung des Schiedsrichters, die Qualität des Schieds­ spruchs sowie Kenntnisse im anwendbaren Recht, s. Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19. 475  Empirische Nachweise bei Queen Mary Survey 2012, S.  6 mit Chart 3. 476  Die Benennung von Nichtjuristen kommt in der Praxis aus verschiedenen Gründen äu­ ßerst selten vor, s. Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1753– 1755 m. w. N. 477 Eindrücklich Queen Mary Survey 2013, S.  22, wonach Kenntnisse im anwendbaren Recht in 62 % der Fälle ein sehr wichtiger Faktor bei der Auswahl eines Schiedsrichters sind. Weitere 30 % der Befragten gaben die Bedeutung mit „somewhat important“ an. Insgesamt legten also nahezu alle Befragten Wert auf Rechtskenntnisse. 478  Queen Mary Survey 2013, S.  22 sowie Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19.

C. Schiedsrichter

275

Vor diesem Hintergrund ist zunächst die Bedeutung eines juristischen Stu­ diums zu untersuchen und dann auf Kenntnisse des anwendbaren Rechts, das Sonderwissen sowie die Besonderheiten in Mehrpersonenschiedsgerichten ein­ zugehen. aa) Juristisches Studium Eulen müssen auch in der Schiedsgerichtsbarkeit nicht nach Athen getragen wer­ den.479 Die Parteien wählen einen Juristen gerade deshalb in ein Schiedsgericht, weil sie die Subsumtionstechnik, die Grundsätze der Vertragsauslegung, die Be­ deutung der Auslegungskriterien sowie die allgemeine Funktionsweise von Rechtsvorschriften nicht erläutern wollen. Gleichzeitig sollen überflüssiger Rechtsvortrag sowie ausufernde Rechtsbeweise nach Möglichkeit vermieden und die Kosten des Verfahrens unter Kontrolle gehalten werden. Ein juristisch ausgebildeter Schiedsrichter ist schließlich ein Sachverständiger im Umgang mit Rechtstexten, der nicht über jede juristische Grundfrage belehrt werden muss. Die Benennung eines studierten Juristen geht also mit einer gewissen Erwar­ tungshaltung einher. Diese Erwartung reicht jedoch nicht so weit, dass von Juris­ ten im Regelfall die Recherche der Rechtslage verlangt würde.480 Anders als in nationalen Gerichtsverfahren kann aus einem juristischen Studium in internatio­ nalen Schiedsverfahren nämlich regelmäßig kein Schluss auf die Kenntnis des anwendbaren Rechts abgeleitet werden. Außerdem ist eine allgemeine Rechts­ ermittlungspflicht im internationalen Vergleich keineswegs anerkannt. Insgesamt folgt aus dem Vorliegen eines rechtswissenschaftlichen Studiums also lediglich, dass von einem Juristen eine grundlegende Methodenkompetenz sowie Sicher­ heit im Umgang mit juristischen Fragestellungen erwartet werden darf. Allerdings sollte nicht nur die Entscheidung für einen Juristen, sondern auch die Entscheidung gegen einen Juristen in die Beurteilung der Ermessensaus­ übung einfließen. In diesem Zusammenhang begründet ein fehlendes juristisches Studium eine Vermutung, wonach von einem Nichtjuristen keine eigenständigen Rechtsermittlungen verlangt werden sollten. Insoweit erhebt sich erneut die Ver­ bindungslinie zwischen schiedsrichterlicher Rechtskenntnis und Beweisbedürf­ tigkeit von Recht.

479  Zum Ganzen passend Goethe, Faust I (1808), S.  27 (Mephistopheles): „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, […] und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben, er müßte doch zugrunde gehn!“ 480  Zu Recht weist Waincymer darauf hin, dass sich eine solche Annahme schon aus Kos­ tengründen verbietet, s. Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 220 (2011).

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

bb) Kenntnis des anwendbaren Rechts Ein Schiedsrichter sollte seine fachlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kennt­ nisse im Rahmen des Schiedsverfahrens zur Entfaltung bringen.481 Über die for­ malen Qualifikationen hinaus ist dabei vor allem entscheidend, ob und inwieweit ein Schiedsrichter tatsächlich über Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügt. Schon historisch beruht der Erfolg der Schiedsgerichtsbarkeit vornehmlich da­ rauf, dass den Schiedsrichtern die anwendbaren Regeln bekannt waren.482 So entschieden sich Parteien bereits im 19. Jahrhundert für die Schiedsgerichtsbar­ keit, weil sie bei Schiedsrichtern Kenntnisse der einschlägigen Handelsbräuche voraussetzten.483 Dadurch sparten sie sich den darauf gerichteten Vortrag vor staatlichen Richtern und gewannen gleichzeitig Transaktionssicherheit. Diese Tradition setzt sich in der Schiedsgerichtsbarkeit noch heute fort. Dem­ zufolge benennen nach wie vor zahllose Parteien bewusst einen Schiedsrichter, weil dieser über Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügt.484 Mit einer derar­ tigen Entscheidung geht eine offensichtliche Erwartungshaltung einher.485 Aus dieser Erwartung folgt nicht nur, dass zwischen den von den Parteien vorgetrage­ nen Rechtspositionen entschieden werden muss.486 Ist einem Schiedsrichter eine einschlägige Rechtsvorschrift oder eine passende Entscheidung bekannt, so soll­ te er diese vielmehr so früh wie möglich in das Verfahren einbringen.487 Dadurch wird nicht nur die Qualität des Schiedsspruchs gestärkt, sondern auch die Kosten 481  Art.  2.2. IBA-Ethikregeln: „A prospective arbitrator shall accept an appointment only if he is fully satisfied that he is competent to determine the issues in dispute“. Ebenso Canon (I) (B)(3) AAA/ABA Code of Ethics. 482 Weiterführend Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte (2015), S.  287. Zur Geschichte der Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland s. Krause, Jahrbuch für Schiedsgerichtswesen, Band  3 (1931), S.  220. 483  Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4.  Aufl. 2004, S.  811. 484  In mehreren Umfragen der Queen Mary University wurde immer wieder bestätigt, dass Kenntnisse im anwendbaren Recht ein besonders bedeutender Faktor für die Auswahl eines Schiedsrichters sind, s. Queen Mary Survey 2006, S.  16 (70 % der Umfrageteilnehmer); Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19 (51 % der Umfrageteilnehmer); Queen Mary Survey 2013, S.  22 (62 % der Umfrageteilnehmer „very important“ sowie weitere 30 % „somewhat important“). 485  50 % aller Beklagten sind mit der Leistung von Schiedsrichtern unzufrieden; Haupt­ gründe dafür sind fehlende Rechtskenntnis, schlechte Entscheidungen sowie eine wenig über­ zeugende Begründung des Schiedsspruchs, s. Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 20. 486  Anders allerdings Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 200 (2012). Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass Parteien sich gerade wegen der Spezialisierung und Expertise für die Schiedsge­ richtsbarkeit im Allgemeinen und einen Schiedsrichter im Besonderen entscheiden, s. Born, International Commercial Arbitration, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  80–83. 487  In diese Richtung auch Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbi­ tration 2016, S.  101, 116.

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des Verfahrens werden gesenkt. Schließlich ist im Fall der positiven Kenntnis keine weitere schiedsrichterliche Recherche erforderlich. Überdies kann der Par­ teivortrag von Beginn an auf die Erwartungen des Schiedsgerichts abgestimmt werden, wodurch sich überflüssige tatsächliche und rechtliche Ausführungen vermeiden lassen. Insgesamt ist es deshalb zweckmäßig, positive Rechtskennt­ nisse in das Verfahren einzuführen.488 Von der positiven Rechtskenntnis ist der Fall zu scheiden, in dem ein Schieds­ richter zwar über ein Studium im anwendbaren Recht verfügt, sich aber mit den im Streitfall aufgerufenen Rechtsfragen nicht auskennt. In einer derartigen Situ­ ation hängt die Empfehlung in Bezug auf eigenständige Recherchen von dem rechtskulturellen Hintergrund des Schiedsrichters sowie dem jeweils streitge­ genständlichen Sachrecht ab. Schon auf den ersten Blick wäre es wenig überzeu­ gend, wenn ein deutscher Schiedsrichter grundsätzlich auf Recherchen im deut­ schen Recht verzichtete. Insoweit laufen die Zumutbarkeit bei der Rechtsermitt­ lungspflicht und die Empfehlung zur Ermessensausübung in Ermangelung einer Pflicht nebeneinander her. Aus deutscher Sicht ist es gerade ein Vorteil der hiesi­ gen Juristenausbildung, die Relationstechnik bei der Entscheidungsfindung her­ anzuziehen. Überdies wandert der Blick des deutschen Juristen nahezu automa­ tisch zwischen Gesetz und Sachverhalt hin und her.489 Aus diesen Gründen wür­ de es bei der benennenden Partei für wenig Freude sorgen, wenn ein deutscher Schiedsrichter sich weigerte, den Inhalt des deutschen Rechts zu ermitteln.490 Umgekehrt gilt dies für einen amerikanischen Schiedsrichter aber nicht glei­ chermaßen. Anders als deutsche Juristen werden amerikanische Juristen gerade nicht darauf geschult, relevante von irrelevanten Fragen im Wege der Relations­ technik zu scheiden.491 Vielmehr ist die richterliche Stellung auch in Bezug auf inländisches Recht von Passivität geprägt. In Übereinstimmung mit diesem rechtskulturellen Leitbild ist von einem amerikanischen Schiedsrichter grund­ sätzlich nicht zu erwarten, dass er den Inhalt des amerikanischen Rechts eigen­

488  Zur Unterscheidung zwischen positiver und fehlender Rechtskenntnis s. grundlegend von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band  1 (1840), S.  190. Treffend die For­ mulierung bei Müller, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 91 (1955), 41, 57–58: „Die mündlichen Parteivorträge treffen oft auf ein richterlicheres Ohr, das schon von inner her erfüllt ist, d. h. von der im Kopfe seines Trägers gewachsenen Meinung.“ 489  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9.  Aufl. 2016, S.  404–407. 490  Dazu passend geht die deutsche Rechtsprechung davon aus, dass Schiedsrichter grund­ sätzlich die gleichen Rechtsermittlungspflichten wie staatliche Richter treffe, s. exemplarisch BGH, Urteil v. 06.10.1954, Az. II ZR 149/53, Rn.  6, BGHZ 15, 12, 14–15 sowie ausführlich Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. b) cc). 491  Schon aus diesem Grund ist der Begriff der „Relevanz“ deutlich weiter als in Deutsch­ land, s. zu diesem Unterschied Bietz, SchiedsVZ 2014, 121, 132.

278

Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

ständig ermittelt.492 Demzufolge kann es keine Partei oder Schiedsinstitution überraschen, wenn derartige Recherchen unterbleiben. Von dem Gleichlauf zwischen juristischer Ausbildung und anwendbarem Recht ist der Fall zu trennen, in dem ein Schiedsrichter über ein ihm unbekanntes Recht entscheiden muss. Auch hier liegt es nahe, sich an den nationalstaatlichen Ausgangspositionen sowie dem Maßstab der Zumutbarkeit zu orientieren.493 Die Parteien werden von einem deutschen Schiedsrichter in Übereinstimmung mit seiner juristischen Prägung eher erwarten, auch unbekannte Fragen zu re­ cherchieren.494 Bei der Auswahl eines amerikanischen Schiedsrichters rechnen sie hingegen grundsätzlich nicht damit, dass dieser vertiefte eigenständige Re­ cherchen zu ihm unbekannten Rechtsordnungen vornimmt.495 cc) Sonderwissen Bei der Auswahl von Schiedsrichtern wird nicht nur Wert auf Kenntnisse im an­ wendbaren Recht, sondern durchaus auch auf spezifisches Sonderwissen ge­ legt.496 So analysieren die Parteivertreter unter Umständen das wissenschaftliche Œuvre eines Schiedsrichters, bevor sie sich für die Benennung entscheiden.497 Ferner sind telefonische Befragungen üblich, in denen mit dem Schiedsrichter über Erfahrungen in einer bestimmten Branche sowie mit einschlägigen Rechts­

492  In diese Richtung für das common law Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 220 (2011). Letztlich spiegelt sich darin die alte Idee wider, wonach Schiedsrichter grundsätzlich mit Rich­ tern der jeweiligen Rechtsordnungen gedanklich verglichen werden, s. dazu Paul. 2 ed. D. 4.8.1. Folgerichtig stehen gerade common law-Schiedsrichter eigenständigen Recherchen kri­ tisch gegenüber, s. statt aller Jones, 78 Arbitration 102, 113 (2012). 493  Die Zumutbarkeit ist mit der Ermessensausübung nicht deckungsgleich, weil die Zu­ mutbarkeit nur bei Existenz einer Pflicht relevant wird; nicht jedes Verhalten, das Schiedsrich­ tern zumutbar ist, ist zwingend bei der Ermessensausübung auch zu empfehlen, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 2. a) und b). 494  Dies lässt sich nicht nur unter Hinweis auf die umfassende deutschsprachige Literatur zu ausländischen Rechtsordnungen, sondern auch mit der dahinterstehenden Rechtstradition begründen, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 1. und 2. 495  Zutreffend weist Waincymer darauf hin, dass dies zu erheblichen Kosten führen würde, Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 220 (2011). 496  In einer Befragung der Queen Mary University wurde immer wieder die Bedeutung von „commercial understanding of your industry sector“ für die Schiedsrichterauswahl betont, Queen Mary Survey 2013, S.  22. 497 Bei der Entscheidung, ob ein Schiedsverfahren überhaupt angestrengt wird, ist die Überzeugungskraft der rechtlichen Position stets der ausschlaggebende Faktor, s. Queen Mary Survey 2013, S.  17. Aus diesem Grund wünscht der Kläger sich einen Schiedsrichter, der diese Position voraussichtlich anerkennt, wohingegen der Beklagte eine umgekehrte Analyse durch­ führt.

C. Schiedsrichter

279

bereichen diskutiert wird.498 Diesen Aufwand betreiben die Parteien nicht ohne Grund. Ein Schiedsrichter, der über rechtliches Sonderwissen verfügt, verringert im Normalfall die Kosten der Streitbeilegung und erhöht gleichzeitig die Vorher­ sehbarkeit des Ergebnisses einschließlich der Chance, im Unterliegensfall eine der eigenen Position günstige dissenting opinion vorgelegt zu bekommen.499 Es ist deshalb ein allgemeiner Trend, sich für spezialisierte Schiedsrichter zu ent­ scheiden.500 Benennt eine Partei nun einen Schiedsrichter, der über vertiefte Kenntnisse in einem Rechtsbereich verfügt, sollte dieser Schiedsrichter sein Sonderwissen in das Verfahren einbringen.501 Gerade für einen Experten ist es unzumutbar, recht­ liche Fehler beider Parteien schlicht hinzunehmen. Außerdem geht es einem mit Sonderwissen ausgestatteten Schiedsrichter nicht zuletzt auch um die eigene Re­ putation.502 Am Ende ist es der Schiedsrichter selbst, der die Verantwortung für die rechtliche Qualität des Schiedsspruchs trägt. Ein renommierter Schiedsrich­ ter ist daher schlecht beraten, sich bei Erlass eines Schiedsspruchs ausschließlich auf die Rechtsausführungen der Parteien zu verlassen. Es erscheint aus seiner Sicht vielmehr als empfehlenswert, frühzeitig über Hinweise auf einen rechtlich überzeugenden Schiedsspruch hinzuwirken.503 Die Überzeugungskraft dieses Ansatzes zeigt sich weiterhin daran, dass die Parteien im Regelfall erfahrene Schiedsrichter auswählen.504 Ein erfahrener Schiedsrichter ist nicht nur mit den Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit vertraut, sondern verfügt auch über Erkenntnisse aus vorhergehenden Schieds­ verfahren. Dies ist in der Schiedsgerichtsbarkeit überaus wertvoll, weil es an ei­ Queen Mary Survey 2012, S.  7 mit Chart 4. dissenting opinion in Schiedsverfahren demnächst Escher, Die ‚dissenting opinion‘ in Schiedsverfahren. 500  Ausdrücklich bereits Queen Mary Survey 2006, S.  17. 501 Treffend International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 213 (2010): „[I]f it is evident that the arbitrators (or some of them) have been appointed particularly in consideration of their knowledge of the applicable law, and counsel for the parties are not equally well versed in it, the arbitrators may feel that a more pro-active attitude towards the determination of the con­ tents of the applicable law may be justified.“ Ähnlich Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 217 (2012). 502 Ebenso Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 336. Trotz der Vertraulichkeit von Schiedsverfahren ist es in der Praxis aus zahlreichen Gründen naheliegend, dass der Inhalt rechtlich fehlerhafter Schiedssprüche sich in interessierten Kreisen verbreitet, s. ausführlich Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 3. c). 503  In der Sache ebenso Elsing, SchiedsVZ 2011, 114, 117. Der schiedsrichterliche Neutra­ litätsgrundsatz steht dem nicht entgegen, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. b) m. w. N. Vorsich­ tiger Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 337. 504  Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19 (58 % der Umfrageteilnehmer); Queen Mary Survey 2013, S.  22 (60 % der Umfrageteilnehmer „very important“ sowie weitere 35 % „somewhat important“). 498 

499 Zur

280

Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

nem Corpus veröffentlichter Rechtsprechung weithin fehlt. Die Parteien erwar­ ten deshalb, dass ein erfahrener Schiedsrichter seine Rechtsprechungskenntnisse fruchtbar macht. Gerade erfahrene Schiedsrichter sind also gut beraten, den Vor­ teil ihrer Erfahrung in Schiedsverfahren auszuspielen. Davon ist auch und gerade umfasst, die Erwägungen aus den Parteien unbekannten Schiedssprüchen in das Verfahren einzuführen. Neben Sonderkenntnissen in bestimmten Rechtsbereichen können Schieds­ richter außerdem über außergewöhnliche Methodenkenntnisse und rechtsver­ gleichende Kenntnisse verfügen. In staatlichen Gerichtsverfahren werden Rechts­sachverständige bestellt, weil Richter sich mit ausländischen Rechtsord­ nungen oder Rechtsvergleichung üblicherweise nicht auskennen.505 Im Unter­ schied dazu lassen sich die Kosten für Rechtssachverständige in Schiedsverfah­ ren dadurch verringern oder sogar vermeiden, dass es sich bei den Schiedsrich­ tern selbst um Sachverständige für bestimmte nationale Rechtsordnungen und Rechtsvergleichung handelt. Dieser Strukturvorteil der Schiedsgerichtsbarkeit sollte nicht dadurch ausgehebelt werden, dass sich ein Professor für Rechtsver­ gleichung von einem anderen Professor für Rechtsvergleichung die Grundsätze eines bekannten Vertragsrechts erklären lässt.506 Grundsätzlich ist es aus Partei­ sicht deshalb naheliegend, dass ein rechtsvergleichend gebildeter Schiedsrichter größere Anstrengungen bei der Ermittlung unbekannten Rechts anstellt als ein staatlicher Richter. dd) Mehrpersonenschiedsgericht Die Relativität der schiedsrichterlichen Rechtskenntnis führt zu relativen Emp­ fehlungen für die schiedsrichterliche Rechtsermittlung. Bei einem Einzelschieds­ richter begründet dies keine weiteren Wertungsprobleme.507 Schwierigkeiten verursacht dieser Ansatz hingegen auf den ersten Blick dann, wenn ein Mehrper­ sonenschiedsgericht zur Entscheidung berufen ist. Schließlich kann ein Schieds­ richter über Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügen, wohingegen es den anderen Schiedsrichtern an entsprechenden Einblicken gerade fehlt. Daraus kön­ nen gewisse Ungleichgewichte innerhalb des Schiedsgerichts erwachsen.508 505 

Statt aller Pollack, 26 Am. J. Comp. L. 470, 471 (1978). kritisch zu Rechtssachverständigen Karrer, FS Elsing (2015) S.  211, 213–

506 Allgemein

215.

sind Dreierschiedsgerichte in der Praxis der Regelfall, s. Queen Mary Survey 2010, S.  25. Die zunehmende Kostensensibilität lässt es aber als wahrscheinlich erscheinen, dass Einzelschiedsrichter in Zukunft häufiger auftreten werden. Dazu passend sehen die ICC Expedited Procedure Rules in Art.  30 sowie Art.  2 Abs.  1 Appendix VI ICC-Schiedsregeln un­ ter Umständen einen Einzelschiedsrichter vor. 508  Das praktische Hauptrisiko liegt darin, dass der Schiedsrichter, der über Rechtskennt­ 507  Bislang

C. Schiedsrichter

281

Diese Ungleichgewichte dürfen aber nicht dazu verleiten, von eigenständigen Recherchen Abstand zu nehmen, sofern diese den Benennungserwartungen ent­ sprechen.509 In der Ausübung der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungsbefug­ nis liegt noch nicht die Entscheidung selbst, sondern lediglich eine Entschei­ dungsvorbereitung. Für die Qualität des Schiedsspruchs ist es zuträglich, wenn die Schiedsrichter den Vorgang der rechtlichen Informationsbeschaffung im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse befördern. Gleichzei­ tig ist es jedem Schiedsrichter unbenommen, sich auf die von anderen Schieds­ richtern eingebrachten Informationen zu verlassen oder eigene Recherchen anzu­ strengen.510 Abgesehen davon sind unterschiedliche Rechtskenntnisse die Folge von be­ stimmten strategischen Entscheidungen bei der Schiedsrichterauswahl. Es liegt deshalb an den Parteien selbst, sich für oder gegen einen Schiedsrichter zu ent­ scheiden, der über Kenntnisse im anwendbaren Recht oder gar ein bestimmtes Sonderwissen verfügt.511 Letztlich kann es dabei ein Vorzug eines deutschen Schiedsrichters sein, dass er den Inhalt amerikanischer Rechtsquellen eher re­ cherchiert als ein amerikanischer Schiedsrichter den Inhalt deutscher Rechts­ quellen. Darüber hinaus liegt es in der Natur international besetzter Schiedsgerichte, dass die Rechtskenntnisse und Recherchefähigkeiten innerhalb des Schiedsge­ richts unter Umständen ungleich verteilt sind. Umso wichtiger erscheint es, dass die Schiedsrichter miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Sobald ein Schiedsrichter über besondere Rechtskenntnisse verfügt und eine bislang nicht vorgetragene Rechtsquelle für einschlägig erachtet, sollte er seine Kollegen dar­ über informieren. Die Ergebnisse von Rechtsermittlungen sind frühestmöglich mitzuteilen, um doppelte oder dreifache Recherchen innerhalb des Schiedsge­ richts sowie durch die Parteien zu vermeiden.

nisse verfügt, letztlich den Inhalt des anwendbaren Rechts allein bestimmt, s. kritisch dazu Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 723. 509  Es ließe sich argumentieren, dass sich die anderen Schiedsrichter von vornherein nicht auf die Recherchen und Kenntnisse von parteibenannten Schiedsrichtern verlassen dürfen, weil diese möglicherweise nicht unabhängig sind. Ein derartiger Denkansatz würde aber die Neutra­ lität von internationalen Schiedsgerichten insgesamt in Frage stellen und ist mit vorherrschen­ den Ethikregeln unvereinbar, s. exemplarisch Canon (IX)(A) AAA/ABA Code of Ethics. Im Ergebnis wohl anders Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 217 (2012). 510  In der Praxis sind Ungleichgewichte in der Rechtskenntnis unter Umständen ein Grund dafür, Rechtssachverständige zu befragen, s. statt aller Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 288. 511  Wohl aus diesem Grund empfiehlt Pfeiffer, bei der Benennung auf Rechtskenntnisse sowie rechtsvergleichende Kompetenzen des Schiedsrichters zu achten, s. Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 288.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Nach allem ist es deshalb auch in Mehrpersonenschiedsgerichten geboten, dass jeder Schiedsrichter die Rechtskenntnis- und Rechtsermittlungserwartun­ gen erfüllt, die an ihn bei der Benennung gestellt wurden. Auf diesem Weg wird der Expertise-Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit zu seiner umfassenden Entfal­ tung gebracht. d) Institutionelle Belange In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur wird bisweilen darauf hingewie­ sen, dass staatliche Interessen bei der Streitbeilegung keine Rolle spielten.512 Be­ sonders deutlich bringt Landolt diese Ansicht auf den Punkt: „Arbitrators have no general duty to any state to apply their law to a certain standard. […] It is the general position in international arbitration that no interests operate but those of the par­ ties.“513

In der Tat unterscheidet sich die Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Ge­ richtsbarkeit dadurch, dass der Inhalt von Schiedssprüchen der Öffentlichkeit in der Regel verborgen bleibt. Die Bedeutung von Schiedssprüchen reicht deshalb im Normalfall nicht über den konkreten Streitfall hinaus.514 Trotz dieses Ausgangspunktes existiert die Schiedsgerichtsbarkeit aber gerade nicht in einem gesellschaftspolitischen Vakuum. Die Schiedsgerichtsbarkeit hat sich ein Vertrauen seitens des Staatswesens erarbeitet, das in den letzten Jahr­ zehnten zu einem stetigen Ausbau der Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten ge­ führt hat.515 Dementsprechend führte der amerikanische Supreme Court in sei­ ner Entscheidung Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc. aus: „Where the parties have agreed that the arbitral body is to decide a defined set of claims which includes, as in these cases, those arising from the application of American antitrust law, the tribunal therefore should be bound to decide that dispute in accord with the national law giving Statt aller Jones, 78 Arbitration 102, 113 (2012). Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 185 sowie 214 (2012). Allerdings identifiziert auch Landolt einige Situationen, in denen staatliche Interessen ausnahmsweise doch eine Rolle spielen kön­ nen, s. Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 215–216 (2012). 514 Ein institutionelles Interesse an einer kohärenten Rechtsfortbildung besteht in der Schiedsgerichtsbarkeit folglich nicht, s. Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 214 (2012). 515  Umgekehrt kann der Erfolg der Schiedsgerichtsbarkeit mit einem Federstrich des Ge­ setzgebers beendet werden. So fand Radbruch schon in seiner Einführung in die Rechtswissen­ schaft klare Worte, um die Schiedsgerichtsbarkeit zu kritisieren, s. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 13.  Aufl. 1980, S.  122: „Schiedsverträge können zur Vergewaltigung des wirtschaftlich schwächeren Teils führen. Hier ist der Punkt, an dem durch den Gebrauch der Vertragsfreiheit das Allgemeininteresse berührt wird und, soweit der Rechtssatz von der Nich­ tigkeit unsittlicher Rechtsgeschäfte nicht ausreicht, die Gesetzgebung zum Einschreiten bereit sein muß“. 512  513 

C. Schiedsrichter

283

rise to the claim. And so long as the prospective litigant effectively may vindicate its statutory cause of action in the arbitral forum, the statute will continue to serve both its remedial and deterrent function.“516

Die Formulierung „so long as“ macht deutlich, dass eine umfassende Schieds­ fähigkeit nicht in Stein gemeißelt ist. Staatliche Gerichte und Gesetzgeber stellen ihre Zustimmung zur Schiedsgerichtsbarkeit vielmehr unter den Vorbehalt, dass Schiedsgerichte gerade keinen Umgehungsmechanismus staatlicher Gesetze be­ gründen. Tatsächlich galt bereits im römischen Recht der Grundsatz, wonach der Rechtsschutz vor Schiedsgerichten nicht hinter der Effektivität staatlichen Rechtsschutzes zurückstehen dürfe.517 Ein weiterer Weckruf in institutioneller Hinsicht liegt zudem in der Achmea-­ Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.518 Wenngleich diese nur auf die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit beschränkt war, mag sie doch ein Vorbote für weitere schiedskritische Entscheidungen sein. Aus institutioneller Perspektive täten alle an Handelsschiedsverfahren Beteiligte gut daran, derartige Entwick­ lungen nicht zu beschleunigen. Nur zu passend erscheint in diesem Zusammen­ hang die gereimte Mahnung von Risse: „Und so ging unter, so traurig es war, der ach so stolze Stamm der Arbitralier. O hätt’ man doch weiser an die Zukunft gedacht, und statt Hybris sich rechtzeitig wertvolle Gedanken ge­ macht.“519

Eines steht fest: Gesetze sowie Gerichtsentscheidungen müssen von Schieds­ richtern ernst genommen werden.520 Ansonsten droht die Öffentlichkeit ihr Ver­ trauen in die Schiedsgerichtsbarkeit zu verlieren.521 Gerade in Rechtsordnungen, in denen der Allgemeinheit des Gesetzes eine grundlegende Bedeutung zu­ kommt, sprechen institutionelle Gesichtspunkte also eindeutig dafür, von 516  Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S.  614, 636–637 (1985). 517  Paul. 2 ed. D. 4.8.1.: „Compromissum ad similitudinem iudiciorum redigitur et ad fini­ endas lites pertinet.“ 518 EuGH, Slowakische Republik v. Achmea B.V., Urteil v. 06.03.2018, Rs.  284-16. 519  Risse, FS Elsing (2015), S.  453, 454. 520 Treffend Born, International Commercial Arbitration, Band  3, 2.  Aufl. 2014, S.  3821: „If international arbitral tribunals were to deny effect to national court decisions, parties would be returned to precisely the ‚legal no-man’s land‘ that their choice-of-law and arbitration agree­ ments were designed to avoid.“ Warnend ebenfalls Risse, FS Elsing (2015), S.  453, 454: „Die Arbitralier wähnten sich in Schlaraffia, als insgeheim man sie nannte schon MAFIA. Verdäch­ tig schien vielen nun der verschworene Kreis, zu hoch der damit verbundene Preis.“ 521  Die gesamte Diskussion um die Legitimität von Investitionsschiedsgerichten zeigt, dass die Öffentlichkeit „geheimen“ Schiedsgerichten nicht positiv gegenüber eingestellt ist, s. zum Ganzen Risse, SchiedsVZ 2014, 265 sowie EuGH, Slowakische Republik v. Achmea B.V., Urteil v. 06.03.2018, Rs.  284-16.

284

Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Schiedsrichtern eine Recherche des materiellen Rechts zu erwarten.522 Zweifelt ein Schiedsrichter daran, ob er Recherchen vornehmen sollte oder nicht, vermö­ gen institutionelle Belange deshalb im Einzelfall durchaus den Ausschlag in Richtung eigenständiger Rechtsermittlungen zu geben.523 Auch Schiedsrichter sollten gleiches Recht in gleichen Fällen gleich anwenden. 2. Ermessensverdichtung Grundsätzlich sind Schiedsrichter in der Ausübung ihres Rechtsermittlungs­ ermessens weitgehend frei und dürfen selbst Zweckmäßigkeitserwägungen an­ stellen. Es gibt allerdings Situationen, in denen nur eine einzige Handlungs­ möglichkeit als sachgerecht erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht aus strukturellen Gründen nicht durchsetzbar ist. In den Worten von Kant: „Nun ist es doch etwas ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu seyn, als aus Besorgniß der nacht­ heiligen Folgen“.524

Die zurückgenommene Kontrolle seitens staatlicher Gerichte dient gerade nicht dazu, den Schiedsrichtern eine oberflächliche Rechtsanwendung zu ermögli­ chen. Konzeptionell betrifft die Ermessensverdichtung lediglich Fälle der nicht durchsetzbaren Pflicht, weil im Fall der durchsetzbaren Pflicht schon kein Er­ messen besteht.525 Abgesehen davon gebietet es das schiedsrichterliche Mandat, das Verfahren in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen der Parteien zu ge­ stalten. Die Durchsetzbarkeit einer Rechtsermittlungspflicht ist deshalb insge­ samt eine zweitrangige Frage, weil auch in diesen Fällen letztlich nur die Vor­ nahme von Rechtsermittlungen zweckmäßig sein kann.526

522  Darin liegt dann wohl auch der Grund, warum staatliche Gerichte etwa in Deutschland eine Rechtsermittlungspflicht der Schiedsrichter bejahen, s. ausführlich Zweiter Teil, 3. Kapi­ tel, C. II. 1. b) bb). 523 Die Bedeutung von institutionellen Gesichtspunkten betonen auch Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 332. 524  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1786, S.  18. 525  B. Berger, 31 ASA Bulletin 244, 254–255 (2013). Die Idee hinter einer fehlenden révision au fond liegt darin, die Finalität des Schiedsspruchs abzusichern und gleichzeitig dem Parteiwillen auf eine Streitbeilegung in einer Instanz Rechnung zu tragen, s. zu diesem ver­ meintlichen Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit Born, International Commercial Arbitration, Band  1, 2.  Aufl. 2014, S.  83. Teils wird sogar davon ausgegangen, dass die Qualität von Schiedssprüchen besonders hoch sein müsse, weil es an wirkungsvollen Rechtsmitteln gerade fehle, s. etwa Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 239–221 (2011). 526 Wohl anders Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2.  Aufl. 2007, S.  482.

C. Schiedsrichter

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Über diesen Ausgangspunkt hinaus finden sich in der schiedsverfahrensrecht­ lichen Literatur noch einige weitere Situationen, in denen eine Ermessensver­ dichtung zu bejahen sein soll.527 Die Ermessensausübung bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen verfahrensrechtlicher Gleichbehandlung und materieller Gleichheit im Ergebnis.528 Anders als im amerikanischen Zivilverfah­ ren gibt es in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit aber kein Axiom, wo­ nach jeder die Konsequenzen aus seiner eigenen Vermögenslage selbst tragen sollte.529 Zugleich gilt aber anders als in Deutschland kein Grundsatz, wonach das Recht in jedem Fall unabhängig vom rechtlichen Parteivortrag gleich an­ gewendet werden müsste.530 Vor diesem rechtsvergleichenden Hintergrund ist regelmäßig Zurückhaltung geboten, bevor eine Ermessensverdichtung angenom­ men werden kann.531 In einem ersten Schritt ist zu untersuchen, ob sich fehlerhafte Rechtsausfüh­ rungen grundsätzlich auf das Rechtsermittlungsermessen auswirken. Danach wird auf fehlenden Rechtsvortrag sowie einige Sondersituationen eingegangen. a) Fehlerhafter Rechtsvortrag Das schiedsrichterliche Rechtsermittlungsermessen wird immer dann praxisrele­ vant, wenn die Rechtsausführungen jedenfalls einer Partei unzureichend sind. Eigenständige schiedsrichterliche Recherchen dienen gerade dazu, Rechtsfehler der Parteien auszugleichen.532 Rechtlich fehlerhafter Parteivortrag muss dabei 527 Weiterführend Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92–98; Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 239–240 (2011); Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 sowie 215–219 (2012) sowie ­Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 335–340. 528  Anders als vielfach behauptet, liegt darin jedoch im Regelfall gerade kein Neutralitäts­ problem, s. ausführlich Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. b). Die von Lörcher und Bauerschmidt angemahnte Vorsicht ist deshalb jedenfalls nicht aus diesem Grund geboten, s. Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 335. 529  Der Sache nach anders Jones, 78 Arbitration 102, 113 (2012) sowie Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 und 222–223 (2012). 530  Insoweit zutreffend Jones, 78 Arbitration 102, 113 (2012). 531  Letztlich ist es auch eine Frage nach dem Staatsverständnis, inwieweit aktive oder pas­ sive Streitentscheider wünschenswert sind, s. dazu Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. III. 2. Vor die­ sem Hintergrund ist es zutreffend, wenn Wetter in Schiedsverfahren die Zulassung von kultu­ reller Diversität befürwortet, s. Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 96. Die Annahme einer Ermessensverdichtung lässt nun das Pendel in Richtung einer aktiven Schiedsrichterstel­ lung ausschlagen und ist nicht Ausdruck der schiedsverfahrensrechtlichen Diversität, die durch Ermessen gerade zur Entfaltung gebracht werden soll, s. grundlegend zu dieser Idee Park, 19 Arb. Int’l 279, 284–285 (2003). 532  Aus diesem Grund wurde die richterliche Rechtsermittlung zu Recht als soziales Prin­ zip beschrieben, s. Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrund­ lagen im Zivilprozess (1977), S.  83.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

nicht unbedingt auf ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Parteien oder ihren Rechtsanwälten zurückzuführen sein.533 Auch Anwälte internationaler Großkanzleien übersehen Rechtsvorschriften oder verstehen einschlägige Ge­ richtsentscheidungen falsch.534 In einem typischen internationalen Schiedsver­ fahren laufen deshalb sowohl die eine als auch die andere Seite Gefahr, fehler­ haft zum Recht auszuführen. Im Grundsatz verdichtet sich das schiedsrichterliche Ermessen nicht zu einer Pflicht, wenn die Qualität der anwaltlichen Rechtsausführungen unzureichend ist.535 Es ist der Kern des schiedsrichterlichen Ermessens, dass das Schiedsge­ richt nicht jeden Rechtsfehler der Parteien ausgleichen muss. Ansonsten müsste man die Idee des schiedsrichterlichen Rechtsermittlungsermessens insgesamt aufgeben. Fehlerhafte Rechtsausführungen sind also regelmäßig die Ursache für eine Ermessensausübung, sagen aber über die Notwendigkeit der Ermessenaus­ übung nichts aus. Obschon fehlerhafter Rechtsvortrag also nicht zu schiedsrichterlichen Rechts­ ermittlungen zwingt, sollten Schiedsrichter dennoch korrigierend eingreifen, so­ fern ihnen Rechtsfehler bewusst auffallen.536 Dabei führt es nicht weiter, zwi­ schen falschen und offensichtlich falschen Rechtsausführungen zu trennen; er­ kennt ein Schiedsrichter einen Fehler, dann war dieser für den Schiedsrichter stets „offensichtlich“. Davon ist der Fall zu trennen, in dem das Schiedsgericht die Parteiargumentation schon nicht versteht. In diesem Fall sollte das Schieds­ gericht versuchen, auf eine Konkretisierung hinzuwirken.537 Insgesamt tritt er­ neut der Grundsatz hervor, wonach Schiedsrichter ihre positiven Rechtskenntnis­ se in Schiedsverfahren stets zur Entfaltung bringen sollten.538 Außerdem ist es Teil des schiedsrichterlichen Mandats, den Schiedsspruch in Übereinstimmung 533 Die

Rechtsanwendung in Schiedsverfahren ist oft überaus komplex, weil nationales Recht, supranationales Recht, internationales Recht, transnationales Recht sowie Handelsbräu­ che gleichzeitig eingreifen und sich überlagern können, s. zu den unterschiedlichen Rechts­ quellen Goode/Kronke/McKendrick, Transnational Commercial Law, 2.  Aufl. 2015, S.  22, Rn.  1.40 ff. 534 Treffend Born, International Commercial Arbitration, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1529: „Unfortunately, the legal framework for international arbitral proceedings can be a subject of considerable complexity and occasional confusion. This complexity is regrettable, because it detracts from the ideals of certainty, efficiency and predictability which inspire the international arbitral process.“ 535  Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 336–337 wollen eine Ermessensredu­ zierung nur in Ausnahmefällen und bei offensichtlich falschen Parteivorträgen annehmen. Noch zurückhaltender Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 sowie 200–202 sowie 218–219 (2012). 536  In der Sache ebenso Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 336. 537  Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 sowie 218–219 (2012). 538  Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 28: „Where a tribunal believes that the parties have missed the real legal issue or have not sufficiently explored the issue presented it should

C. Schiedsrichter

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mit den Vorschriften des anwendbaren Rechts zu erlassen. Es wäre vor diesem Hintergrund unerträglich, wenn Schiedsrichter das Recht allein deshalb vorsätz­ lich fehlerhaft anwendeten, weil eine oder beide Parteien einem Irrtum aufsitzt.539 Kein Schiedsrichter sollte ernsthaft einen Schiedsspruch unterzeichnen, den er selbst als rechtlich fehlerhaft oder nicht überzeugend einstuft.540 b) Fehlender Rechtsvortrag Von fehlerhaftem Rechtsvortrag ist der Fall der lückenhaften oder gänzlich feh­ lenden Rechtsausführungen zu trennen.541 Fehlt es an Rechtsausführungen, so muss zunächst die Gretchenfrage gestellt werden, ob sich aus der Parteiverein­ barung oder dem anwendbaren Recht, der lex arbitri, eine schiedsrichterliche Pflicht zur Rechtsermittlung ableiten lässt.542 Ist dies nicht der Fall, so liegt die Ermittlung des anwendbaren Rechts notwendig auch bei fehlendem Rechtsvor­ trag im Ermessen des Schiedsgerichts.543 Dieses Ermessen sollte das Schiedsgericht nicht anders als im Falle des ledig­ lich fehlerhaften Rechtsvortrages ausüben.544 Schließlich besteht kein maßge­ bender Wertungsunterschied zwischen fehlendem und fehlerhaftem Rechtsvor­ trag.545 Im Gegenteil zeichnet sich unzutreffender Rechtsvortrag gerade dadurch aus, dass die richtigen Ausführungen fehlen. Verzichtet eine Seite nun gänzlich darauf, dem Schiedsgericht mit Rechtsvortrag zu helfen, so empfiehlt es sich nicht, dieses Verhalten mit umfassenden eigenständigen Recherchen zu beloh­ nen. Ansonsten verschöbe sich der wirtschaftliche Anreiz dahin, keine Rechts­

promptly put the point to the parties so that they have an opportunity of dealing with it.“ Aus­ führlich Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 1. c). 539 Treffend Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 336: „Schiedsgerichte, die sehenden Auges eine materiell unzutreffende Entscheidung treffen, schaden letztendlich nicht nur ihrer eigenen Reputation, sondern auch dem Vertrauen in die Schiedsgerichtsbarkeit.“ 540  Grundlegend zu diesem Ethos der Streitentscheidung bereits Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 465 (1897). 541  Weiterführend zu diesem Problem Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 sowie 220–222 (2012). 542 Möchten die Parteien auf Rechtsausführungen verzichten, so steht es ihnen frei, schlichtweg eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht zu vereinbaren, s. ausführlich zum Ganzen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. a). 543  Dies ist die Kehrseite davon, dass eine Rechtsermittlungspflicht nicht eingreift; eine Ausnahme bei fehlenden Rechtsausführungen zuzulassen wäre ein unzulässiger Schluss vom Sein auf das Sollen. 544  Landolt geht hingegen davon aus, dass das Schiedsgericht bei gänzlich fehlendem Rechtsvortrag zu eigenständigen Rechtsermittlungen verpflichtet sei, Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 (2012). 545  Anders erneut Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 (2012).

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

ausführungen vorzunehmen. Unterlassene Rechtsausführungen führen somit nicht zu einer Ermessensverdichtung. Fehlt es dem Schiedsgericht an präsenten, zur Begründetheit genügenden Rechtskenntnissen und weigern sich die Schiedsrichter in Ausübung ihres Er­ messens, die Rechtslage für die Parteien zu ermitteln, so kann das Dilemma letzt­ lich nur durch Klageabweisung aufgelöst werden.546 Die Folgen einer solchen Extremsituation müssen damit im Ergebnis die Parteien selbst tragen. Darin liegt die Kehrseite ihrer Entscheidung für die Schiedsgerichtsbarkeit: Das Risiko, wo­ nach die Rechtslage in internationalen Schiedsverfahren nicht aufgeklärt werden kann, liegt in der Struktur der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit selbst be­ gründet und ist mit dieser unauflöslich verwoben. Insgesamt zeigt sich die Funktionsweise von Befugnis, Pflicht und Ermessen deshalb gerade im Zusammenhang mit fehlenden oder fehlerhaften Rechtsaus­ führungen. In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur wird die Möglichkeit fehlenden Rechtsvortrages regelmäßig ausgeklammert, weil die Parteien im praktischen Normalfall umfassend zur Rechtslage ausführen.547 Das aber greift ersichtlich zu kurz. Die Befugnis erlaubt es Schiedsrichtern gerade, die Rechts­ lage unabhängig von den Rechtsausführungen der Parteien zu ermitteln. Es liegt aber an den Schiedsrichtern selbst, ob sie ihr Rechtsermittlungsermessen aus­ üben oder nicht. Dies ist die notwendige Folge aus der Ablehnung einer Rechts­ ermittlungspflicht. c) Sonderfälle Ein Sonderfall des fehlenden Rechtsvortrages stellt sich in der Säumnissituati­ on.548 Anders als in staatlichen Gerichtsverfahren verbietet sich hier regelmäßig die Annahme, dass die säumige Partei die Fakten zugesteht.549 Für Rechtsausfüh­ rungen muss dies ebenfalls gelten.550 Gleichzeitig darf eine säumige Partei aber nicht besser stehen als eine Partei, die fehlerhaft oder gar nicht zum Recht aus­ führt. Ansonsten bestünde ein Anreiz zu einer Flucht in die Säumnis; damit wäre dann erneut das Problem verbunden, dass wünschenswerter Rechtsvortrag unter­ bleibt. Die Säumnis begründet dementsprechend jedenfalls nicht per se eine Er­ messensverdichtung, wonach das Schiedsgericht allein wegen der Säumnissitua­ besteht eine gewisse Parallele zum amerikanischen Zivilprozess, s. Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S.  473, 479 (1912) sowie vertiefend Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 2. c). 547  Zu diesem Aspekt Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 (2012). 548  Weiterführend zur Säumnissituation Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 96–97 sowie Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 339–340. 549  Art.  25 lit.  b) UNCITRAL-Modellgesetz; §  1048 Abs.  2 ZPO; Art.  30 DIS-Schieds­regeln sowie Art.  26 ICDR-Schiedsregeln. 550 Ebenso Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 97. 546  Insoweit

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tion zu besonderen Rechtsermittlungsanstrengungen verpflichtet wäre.551 Dies sollte das Schiedsgericht jedoch nicht davon abhalten, den Rechtsvortrag des Klägers kritisch zu hinterfragen.552 Neben der Säumnissituation ist an eine Ermessensverdichtung außerdem zu denken, wenn eine Seite von dem Schiedsgericht eine einstweilige Verfügung begehrt.553 In Ermangelung an zur Verfügung stehender Zeit kann es dem An­ tragsteller nicht möglich gewesen sein, umfassend zum Inhalt des anwendbaren Rechts vorzutragen.554 Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu sehen, dass es in Schiedsverfahren kein natürliches Ersatzrecht gibt. Außerdem steht es dem Antragsteller frei, seine Verfügung vor einem staatlichen Gericht zu beantragen, wenn er sich eine Rechtsprüfung von Amts wegen wünscht.555 Es erscheint da­ her nicht als erforderlich, das schiedsrichterliche Rechtsermittlungsermessen im Zusammenhang mit einstweiligen Verfügungen zu reduzieren.556 Für einen emergency arbitrator gilt dies gleichermaßen.557 Durchaus in Betracht kommen kann eine Ermessensverdichtung allerdings, wenn eine Überschneidung zwischen prozessualen und materiellen Rechtsfragen besteht.558 In prozessualen Rechtsfragen ist die Rechtsermittlung unbestrittene Aufgabe des Schiedsgerichts.559 Wetter weist deshalb zu Recht darauf hin, dass das Schiedsgericht die rechtliche Existenz der Parteien sowie die Vertretungs­ der Tendenz nach anders Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 97 sowie Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 340. 552 Ebenso Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 340. 553  In diese Richtung International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 217 (2010) sowie ILA-Prinzip 14. Die ILA-Prinzipien sehen aber keine Anhaltspunkte vor, was unter einer „more active role“ zu verstehen sein soll. Zu Fragen des Eilrechtsschutzes s. Jones, 78 Arbitration 102, 120 (2012). 554 Aus diesem Grund genügt es deutschen Gerichten im nicht-schiedsverfahrensrecht­ lichen Kontext, wenn der Inhalt des ausländischen Rechts „glaubhaft“ gemacht wird, s. OLG Frankfurt, Urteil v. 07.11.1968, Az.  6 U 78/68, NJW 1969, 991; OLG Koblenz, Urteil v. 28.01.1993, Az.  5 U 1633/92, Rn.  14, IPRax 1995, 171; OLG Köln, Urteil v. 19.01.2007, Az.  6 U 163/06, Rn.  3, IPRspr 2007, Nr.  169, 473, 474. 555  Exemplarisch Art.  17 J UNCITRAL-Modellgesetz sowie §  1033 ZPO. 556  In eine andere Richtung ILA-Prinzip 14. 557 Der emergency arbitrator ersetzt lediglich die aus tatsächlichen oder rechtlichen Grün­ den nicht zur Verfügung stehende Möglichkeit des Eilrechtsschutzes, s. exemplarisch Art.  29 sowie Appendix V ICC-Schiedsregeln. 558  Dieser Gedanke findet sich zuerst bei Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 92–94. 559 Treffend Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 193 (2012). Bei Verstoß gegen die prozessualen Parteivereinbarungen droht die Aufhebung des Schiedsspruchs, s. Art.  34 Abs.  2 lit.  a) iii) Abs.  1 UNCITRAL-Modellgesetz. Dazu passend geht Waincymer davon aus, dass das Schieds­ gericht in Bezug auf die Feststellung der Beweislast zur Rechtsermittlung verpflichtet sei, Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 239–240 (2011). 551 Wohl

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

macht der beteiligten Personen auf eigenen Antrieb prüfen sollte.560 Letztlich ist diese Ermessensverdichtung jedoch nur Ausfluss der allgemeinen Regel, einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu erlassen. Ein weiterer Fall der Ermessensverdichtung liegt vor, wenn das Ungleichge­ wicht im Rechtsvortrag zwischen den Parteien schlechthin unerträglich ist. Ein unerträgliches Ungleichgewicht sollte dabei nur mit höchster Zurückhaltung an­ genommen werden.561 Es genügt nicht, wenn beide Seiten schlicht unterschied­ lich gut vertreten sind.562 Lediglich in besonders extremen Fällen verdichtet sich das Ermessen dahin, dass allein die schiedsrichterliche Rechtsermittlung zweck­ mäßig ist.563 Dies mag etwa dann in Betracht kommen, wenn eine Partei zah­ lungsunfähig ist und sich deshalb keine anwaltlichen Rechtsausführungen leisten kann, die andere Seite aber durch eine Heerschar von Rechtsanwälten vertreten wird.564 Trotz aller Sympathie für schwächere Parteien darf ein Schiedsgericht sich jedoch nie dazu hinreißen lassen, sich zum Rechtsanwalt einer Seite aufzu­ schwingen. Insoweit findet das Ermessen des Schiedsgerichts seine Grenze in der Reichweite der Rechtsermittlungsbefugnis. 3. Rechtliches Gehör In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur herrscht seltene Einigkeit darüber, dass die Parteien nicht von eigenständigen rechtlichen Erwägungen des Schieds­ gerichts überrascht werden dürfen. Allerdings handelt es sich bei dem Verbot der Überraschungsentscheidung lediglich um den kleinsten gemeinsamen Nenner.565 Eine Vielzahl von Autoren geht über diesen Standard hinaus und empfiehlt, dass die Parteien zu jeder eigenständigen rechtlichen Erwägung des Schiedsgerichts Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 93–94. Allerdings legte Wetter auch offen, dass bei einem ICC-Colloquium andere Ansichten zu dieser Frage geäußert wurden. 561  In diese Richtung ebenfalls Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 337, die sich aber nur mit dem Fall offensichtlich falscher Rechtsausführungen auseinandersetzen. 562  Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 206 (2012) weist zu Recht darauf hin, dass sich jede Seite ihre Rechtsvertretung selbst aussucht und deshalb grundsätzlich mit den Konsequenzen daraus ­leben muss. Allerdings handelt es sich auch hierbei um eine grundlegende ethische Frage, die schlussendlich jeder Schiedsrichter für sich selbst beantworten muss. 563 Darin liegt der Gerechtigkeitsaspekt, der Wetter, Lörcher und Bauerschmidt dazu bringt, in Säumnisfällen zu einer Ermessensverdichtung zu kommen, Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 97 sowie Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 340. 564  Ein vergleichbarer Sachverhalt lag EGMR, Urteil v. 15.02.2005, 68416/01, Nr.  59 zu­ grunde. In seiner Entscheidung ging der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Herstellung von Waffengleichheit geboten sein könne; da in Schiedsverfahren keine Prozesskostenhilfe zur Verfügung steht, können letzt­ lich nur die Schiedsrichter im Fall krasser Ungerechtigkeiten eingreifen. 565 Treffend Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 332. 560 

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angehört werden sollten.566 Besonders deutlich bringt Landolt diese Haltung auf den Punkt: „[I]t is undeniably good practice for arbitrators expressly to alert the parties to any and all of their initiatives, and the result of them, and to give the parties a chance to comment on all of this.“567

Wenngleich dieser Gedanke auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint, trägt er doch eine tiefe Gefahr in sich.568 Niemand hat dies bislang so treffend be­ schrieben wie Mantakou: „The suggestion that the best solution is the invitation to the parties to submit their comments on every single legal aspect that the arbitral tribunal has in mind to apply, is at the safe side for the arbitrators and the validity of the award; it disregards, nevertheless, completely the reality and needs of arbitral practice in terms of time, cost, and procedural smoothness and efficiency.“569

Bei genauem Hinsehen ist es in der Tat nicht selbstverständlich, jedes einzelne rechtliche Argument mit den Parteien zu diskutieren.570 Dementsprechend gibt es eine ganze Reihe von Autoren, die rechtliches Gehör in Rechtsfragen nicht schrankenlos gewähren möchten.571 Die Ausgangsfrage lautet deshalb, ob Schiedsrichtern ein allumfassendes Rechtsgespräch empfohlen werden kann. In einem zweiten Schritt ist darauf ein­ zugehen, in welchen Fällen ein Hinweis als geboten oder verzichtbar erscheint. Sodann soll die Art und Weise der Parteibeteiligung untersucht werden. 566  Arroyo, in: Müller/Rigozzi, New Developments in International Commercial Arbitrati­ on 2010, S.  27, 54; Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 28; Derains, Revue de l’Arbitrage 1998, 709, 711; Dimolitsa, 11th ICC Dossier (2014), S.  22, 28; Giovannini, FS Schneider (2015), S.  59, 76; Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 26 (2010); Jones, 78 Ar­ bitration 102, 121 (2012); Kessedjian, Revue de l’Arbitrage 1995, 381, 404–405; Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 219 (2012); Meier/McGough, 32 ASA Bulletin 490, 506 (2014); Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 224 (2011). 567  Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 219 (2012). Ähnlich deutlich Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 26 (2010): „[T]he right to be heard should always be granted with respect to new legal reasoning.“ 568  Am kritischsten wohl Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 138–139. Zurückhaltend ebenfalls Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495 sowie Kellerhals/Berger, FS Wiegand (2005), S.  387, 404. 569  Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495. 570  Schlosser beschränkt die Erörterungspflicht auf „wichtige“ Rechtsgedanken, s. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  203. Ähnlich Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 24. 571  Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 24; Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 76 (2015); Kalniņa, 8 Baltic Y.B. Int’l L. 89, 101 (2008); Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 687–688 (2012); Lew, Legal Studies Research Paper No.  72/2010, S.  15; Lörcher/Bauerschmidt, FS ­Elsing (2015), S.  317, 343; Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 498; Schlosser, in: Stein/­ Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  203 und 206; Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 138.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

a) Kein allumfassendes Rechtsgespräch Die Argumente für einen unbeschränkten Gehörsanspruch in Rechtsfragen sind vielfältig. Ganz grundsätzlich wird darauf hingewiesen, dass ein allumfassendes Rechtsgespräch die aufwendige Unterscheidung zwischen Recht und Tatsachen ebenso vermeide wie die Abgrenzung, wann nun eine Überraschung vorliege.572 Außerdem sollten die Parteien selbst bestimmen dürfen, inwiefern eigenständige rechtliche Erwägungen des Schiedsgerichts neuen Tatsachenvortrag erfordern oder nicht.573 Gleichzeitig gebiete es der unterschiedliche rechtskulturelle Hin­ tergrund der Beteiligten, besonders umfassend auf eigenständige rechtliche Ge­ danken hinzuweisen.574 Neben diesen Aspekten wird aber vor allem betont, dass ein Hinweis stets der sicherste Weg sei: Wo zuvor ein Hinweis ergangen ist, können die Parteien nicht über den rechtlichen Inhalt des Schiedsspruchs über­ rascht sein und diesen in der Folge auch nicht aus diesem Grund angreifen.575 Dennoch steht fest, dass jedes Rechtsgespräch irgendwo sein Ende finden muss. Weist das Schiedsgericht auf seine Rechtsmeinung hin, so löst dies in der Praxis regelmäßig eine Reaktion der Parteien aus. Neue Schriftsatzrunden, wei­ tere Rechtssachverständige oder gar ein Antrag auf Wiedereröffnung der münd­ lichen Verhandlung können und werden die Folge sein.576 Je später rechtliche Hinweise seitens des Schiedsgerichts ergehen, desto größer ist der verursachte Aufwand.577 Insbesondere werden die Parteien bei späten Hinweisen mit allen Mitteln darauf dringen, das Schiedsgericht kurz vor Fällung des Schiedsspruchs doch noch von der eigenen Rechtsmeinung zu überzeugen.578 Späte Hinweise sind jedoch dann praktisch wirkungslos, wenn das Schiedsge­ richt sich bereits auf seine Rechtsmeinung festgelegt hat.579 Die zusätzlichen Schriftsätze sowie Rechtsgutachten sind dann umsonst, aber für die Parteien

Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 26 (2010); Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 224 (2011). Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 28. 574  Arroyo, in: Müller/Rigozzi, New Developments in International Commercial Arbitra­tion 2010, S.  27, 52. 575  Dimolitsa, 11th ICC Dossier (2014), S.  22, 28. 576  Für eine Wiedereröffnung plädiert in bestimmten Fällen etwa Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 236 (2011). 577  Ebenso der Sache nach Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495–496. Zweifelnd Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 225 (2011). 578  Teilweise werden sogar nach Schließung der mündlichen Verhandlung noch schriftliche Stellungnahmen von Rechtssachverständigen eingereicht, s. kritisch dazu Karrer, FS Elsing (2015) S.  211, 214–215. 579  Aus diesem Grund wird eine Gehörsverletzung teils verneint, wenn es ohnehin an der Kausalität zwischen Gehörsverletzung und Entscheidung fehlt, s. Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 333. 572  573 

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nicht kostenlos.580 Das rechtliche Gehör in Rechtsfragen steht folglich in einem Spannungsfeld mit den Kosten des Schiedsverfahrens sowie seiner Dauer. Die­ ses Spannungsfeld kann nicht schlechthin in allen Fällen dahingehend aufgelöst werden, dem rechtlichen Gehör den Vorrang einzuräumen. Stattdessen muss stets eine Abwägung zwischen rechtlichem Gehör, Kosten des Schiedsverfahrens sowie seiner Dauer erfolgen. Insbesondere von Waincymer wird dagegen eingewandt, dass frühzeitige Hin­ weise keinen Aufwand verursachten, sondern vielmehr den Aufwand ein­ grenzten.581 Rechtliches Gehör begründe deshalb nie unzumutbare Kosten; das Kostenproblem werde vielmehr von Schiedsrichtern verursacht, die zu spät auf einschlägige Rechtsgrundlagen hinwiesen.582 Der entscheidungserhebliche ­ Sach­verhalt, der Voraussetzung für die Rechtsanwendung ist, steht jedoch erst nach der mündlichen Verhandlung fest. Überdies erfolgen vertiefte Rechtsaus­ führungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung oder in post-hearing briefs.583 Schon aus diesen beiden Gründen treten neue Rechtsfragen regelmäßig erst im Rahmen der schiedsgerichtlichen Beratungen oder sogar bei Abfassung des Schiedsspruchs selbst auf.584 Folglich können frühzeitige Hinweise das Kos­ tenproblem nicht allein lösen, sondern lediglich abmildern. b) Hinweissituationen Objektive Kriterien für die Erteilung von rechtlichen Hinweisen lassen sich kaum allgemeingültig festlegen. Stets kommt es auf die anwendbaren Vorschrif­ ten, die einschlägigen vertraglichen Bestimmungen, den Verfahrensverlauf so­ wie den Hintergrund der Beteiligten an. Es ist deshalb nicht zuletzt auch eine schiedsrichterliche Kunst, eine sachgerechte Abwägung zwischen Verfahrensge­ rechtigkeit, Kosten und Zeit zu treffen. Dieser Befund darf aber nicht davon ablenken, Schiedsrichtern in Bezug auf das rechtliche Gehör in Rechtsfragen Leitlinien an die Hand zu geben.585 Dabei 580 Im Gegenteil sind die Rechtsberatungskosten in Schiedsverfahren der mit Abstand höchste Kostenpunkt, weshalb vielfach für ein aktives Prozessmanagement seitens der Schieds­ richter eingetreten wird, s. etwa Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Ar­ bitration 2016, S.  101 sowie Berger/Jensen, 32 Arb. Int’l 415 (2016). 581 Ausführlich Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 225 (2011). 582  Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 225 (2011). 583 Teils wird deshalb sogar vertreten, dass die Parteien zum Recht ausschließlich in post-hearing briefs ausführen sollten, s. Karrer, Introduction to International Arbitration Practice (2014), S.  161. 584  Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495–496. 585  Weiterführend vor allem Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 678–686 (2012) sowie Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 228–241 (2011).

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hilft das Kriterium der Überraschungsentscheidung nicht weiter, weil es die Fra­ ge nach dem Vorliegen einer Überraschung gerade unbeantwortet lässt.586 Der Begriff der Überraschung hängt schließlich stets mit dem Vorverständnis zusam­ men, das seinerseits durch den rechtskulturellen Hintergrund geprägt wird. Es soll deshalb darum gehen, Situationen zu identifizieren, in denen ein Hin­ weis auf die Rechtsmeinung des Schiedsgerichts regelmäßig empfehlenswert erscheint.587 Diese orientieren sich an der Aufhebungsrechtsprechung nationaler Gerichte. Je bedeutender ein eigenständiger Rechtsgedanke des Schiedsgerichts für die Argumentationsstrategie einer Seite ist, desto eher wird ein Hinweis er­ forderlich sein.588 Insbesondere dann, wenn das Schiedsgericht in einer der obe­ ren Ebenen der rechtlichen Subsumtionskette eine Änderung veranlasst, sollten die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.589 Abschichten lassen sich gesamte Rechtsordnungen und Gesetze, Anspruchs­ grundlagen, Einwendungen sowie Vertragsklauseln. aa) Rechtsordnungen und Gesetze Die Festlegung des anwendbaren Rechts ist ein klassisches Problem in Schieds­ verfahren. Haben die Parteien sich auf ein anwendbares Recht geeinigt, wird das Schiedsgericht diese Rechtswahl in seiner Entscheidung grundsätzlich berück­ sichtigen. Es kann jedoch aus verschiedenen Gründen in Betracht kommen, Vor­ schriften außerhalb der von den Parteien gewählten Rechtsordnung anzuwen­ den.590 In diesen Fällen sollte das Schiedsgericht die Parteien über seinen Gedan­ kengang aufklären.591 Die Anwendung von Rechtsquellen, die einer nicht gewählten Rechtsordnung entstammen, ist schließlich im Regelfall für die Par­ teien nicht vorhersehbar.592 Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 76 (2015). Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 228–241 (2011) unterscheidet zwischen vierzehn un­ terschiedlichen Situationen, bejaht aber in jeder dieser Situationen einen Gehörsanspruch. 588 Ähnlich Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 76 (2015). Sehr eng Kellerhals/­ Berger, FS Wiegand (2005), S.  387, 398–399. 589 In diese Richtung Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 19–20 (2015) ­sowie ILA-Prinzip Nr.  10. 590  Ein typisches Beispiel sind Ansprüche, die nicht dem Vertragsstatut unterfallen, s. dazu Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 35–37. 591  Ebenfalls in diese Richtung Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 684 (2012) sowie entschieden Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 233–236 (2011). 592  Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 684 (2012) weist zutreffend darauf hin, dass in den Aufhe­ bungsentscheidungen Cour d’appel de Paris, Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 112 sowie BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008, Urteilsziffer 3.2 die angewandte Rechtsvorschrift jeweils aus einer von den Parteien nicht gewählten Rechtsordnung stammte. 586 Treffend 587 

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Sofern es an einer Rechtswahl der Parteien fehlt, muss das Schiedsgericht selbst eine Entscheidung über das anwendbare Recht treffen. Diese Entschei­ dung sollte den Parteien möglichst frühzeitig mitgeteilt werden. Ansonsten tra­ gen die Parteien überflüssig zu einer vom Schiedsgericht nicht als einschlägig betrachteten Rechtsordnung vor. Dies ist deshalb besonders misslich, weil der Tatsachenvortrag von den Vorschriften der anwendbaren Rechtsordnung ab­ hängt. In jedem Fall sollten Schiedsgerichte es vermeiden, die anwendbare Rechtsordnung erst im Schiedsspruch selbst offenzulegen.593 Andernfalls droht dem Schiedsspruch wegen einer unvorhersehbaren Rechtsanwendung die Auf­ hebung.594 Neben diesen beiden besonders deutlichen Fällen sollte ein Hinweis aber auch immer dann ergehen, wenn ein von den Parteien übersehenes Gesetz oder ein völkerrechtlicher Vertrag angewandt wird.595 Besonders praxisrelevant ist in diesem Zusammenhang das Wiener Kaufrecht.596 Es handelt sich um ein in sich eigenständiges System, dessen Inhalt sich von dem nationalen Kaufrecht durch­ aus unterscheidet. Obwohl die Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits er­ heblich ist, kommt es immer wieder vor, dass Parteivertreter den Anwendungs­ bereich des Wiener Kaufrechts verkennen und lediglich zum nationalen Recht ausführen.597 In diesen Fällen hat das Schiedsgericht die Parteien über die An­ wendbarkeit des Wiener Kaufrechts rechtzeitig aufzuklären, sofern es dieses Übereinkommen in seinem Schiedsspruch berücksichtigen möchte.598 593  Knuts geht davon aus, dass die Abweichung von einer ausdrücklichen Rechtswahl der Parteien noch unvorhersehbarer als die Anwendung einer nicht gewählten Rechtsordnung ist, s. Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 684 (2012). In beiden Fällen ist die Vorhersehbarkeit allerdings aufgrund des fehlenden Kollisionsrechts so gering, dass ein Hinweis geboten erscheint, s. eben­ so Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 233–234 (2011). 594  Dies war wohl einer der Hauptgründe für die Aufhebung in BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008, Urteilsziffer 3.2. 595 Ebenso Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 235–236 (2011). 596  Grundlegend zu diesem Problem Spagnolo, Iura novit curia and the CISG, in: Schwenzer/­ Spagnolo, Towards Uniformity: the 2nd Annual MAA Schlechtriem CISG Conference (2011), S.  181. Die Frage, ob das Schiedsgericht eine Pflicht trifft, das Wiener Kaufrecht anzuwenden, wird von Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 235 (2011) bejaht. Dies steht jedoch in einem gewis­ sen Widerspruch zu seinen sonstigen Ausführungen. 597 Zahlreiche Nachweise bei Spagnolo, Iura novit curia and the CISG, in: Schwenzer/ Spagnolo, Towards Uniformity: the 2nd Annual MAA Schlechtriem CISG Conference (2011), S.  181, 182–183. 598  Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 235–236 (2011); Spagnolo, Iura novit curia and the CISG, in: Schwenzer/Spagnolo, Towards Uniformity: the 2nd Annual MAA Schlechtriem CISG Conference (2011), S.  181, 202. Durch einen Hinweis wird den Parteien außerdem die Möglichkeit eingeräumt, das Wiener Kaufrecht abzuwählen, s. zu dieser Erwägung Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 236 (2011).

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bb) Anspruchsgrundlagen Ein Hinweis seitens des Schiedsgerichts erscheint weiterhin geboten, wenn der Anspruch auf eine von den Parteien übersehene Anspruchsgrundlage gestützt werden soll.599 Das zeigt sich dann besonders deutlich, wenn die Anspruchs­ grundlage aus einem von den Parteien übersehenen Gesetz stammt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Kläger seinen Anspruch auf einen allgemeinen deliktischen Schadensersatzanspruch stützt, das Schiedsgericht aber einen spezielleren An­ spruch aus Produkthaftungs- oder Umweltrecht für einschlägig erachtet. Derarti­ ge Spezialgesetze verfügen regelmäßig über Eigenheiten, zu denen beide Partei­ en Stellung beziehen sollten. Insoweit ist die Hinweiserteilung lediglich Ausfluss der allgemeinen Regel, Hinweise auf von den Parteien übersehene Gesetze zu erteilen. Daneben ist ein Hinweis aber auch dann empfehlenswert, wenn die vom Schiedsgericht entdeckte Anspruchsgrundlage aus demselben Gesetz stammt.600 Das kann etwa bei einem Austausch von einem vertraglichen gegen einen delik­ tischen oder bereicherungsrechtlichen Anspruch in Betracht kommen.601 Über­ dies sollte ein Hinweis ergehen, wenn der Anspruch schlicht auf eine andere de­ liktische Anspruchsgrundlage gestützt werden soll.602 Letztlich kommt es des­ halb im Zusammenhang mit Anspruchsgrundlagen nicht darauf an, in welchem Gesetz diese stehen, welche Rechtsnatur ihnen zukommt und auf welches An­ spruchsziel sie gerichtet sind. Stattdessen ist es stets zweckdienlich, einen Hin­ weis auf die anwendbare Anspruchsgrundlage zu erteilen, sofern sie mit der vom Kläger geltend gemachten nicht übereinstimmt.603 Der Vorteil einer derart weitgreifenden Hinweiserteilung liegt darin, dass die Vollstreckungsfestigkeit des Schiedsspruchs nachhaltig gestärkt wird.604 Gerade 599  Die Übersetzung des Wortes „Anspruchsgrundlage“ in die englische Sprache bereitet gewisse Schwierigkeiten; dort wird vielfach zwischen „claims“ und „issues“ unterschieden, s. etwa Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 231 (2011). Wetter hält es grundsätzlich für eine schlech­ te Idee, von den Parteien nicht vorgetragene Anspruchsgrundlagen anzuwenden, s. Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 91. 600  Dadurch erspart das Schiedsgericht sich die Abgrenzung zwischen entlegenen und na­ heliegenden Anspruchsgrundlagen, die mit gewissen Unsicherheiten belastet ist, s. dazu allge­ mein Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 26 (2010). Aufhebungsfreundlich etwa Cour d’appel de Paris, Société VRV v. Pharmachim, 25.11.1997, Revue de l’Arbitrage 1998, 684. 601 Ebenso Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 236 (2011). 602  Zwischen einzelnen deliktischen Anspruchsgrundlagen bestehen teils erhebliche Unter­ schiede, s. etwa §  7 Abs.  1 StVG sowie §  823 Abs.  1 BGB. 603  Jones, 78 Arbitration 102, 121–122 (2012); Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 236 (2011). 604  Gerade bei Anspruchsgrundlagen kann es zu Schwierigkeiten und Missverständnissen um ne ultra petita kommen, s. dazu ausführlich Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. d). Letztlich geht es auch hierbei in Wahrheit um das rechtliche Gehör.

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in Rechtsordnungen, die nach wie vor vom aktionenrechtlichen Denken beein­ flusst sind, ist ein Austausch der Rechtsgrundlage mit erheblichen Problemen behaftet.605 Außerdem ist die Entscheidung über die einschlägige Anspruchs­ grundlage regelmäßig für einen Rechtsstreit wegweisend, weshalb eine Auf­ klärung die Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung erheblich erhöht. Die An­ spruchsgrundlage steht schließlich an der Spitze der rechtlichen Argumentations­ kette. Von ihr hängen die Tatbestandsmerkmale ab, die ihrerseits einen anderen Tatsachenvortrag erfordern sowie neuartige Einreden und Einwendungen be­ gründen können. Schließlich verschieben sich mit neuen Anspruchsgrundlagen nicht nur die Anspruchsvoraussetzungen, sondern unter Umständen auch die Beweislast.606 cc) Einwendungen Aus deutscher Sicht handelt es sich bei der Prüfung von rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen um einen Unterfall der Rechtsanwendung von Amts wegen.607 Rechtsausführungen sind gerade keine Verteidigungsmit­ tel.608 Im Unterschied dazu ist in internationalen Schiedsverfahren darauf zu ach­ ten, dass in zahlreichen Rechtsordnungen nach wie vor das Denken in exceptiones fortwirkt.609 So ist es noch heute im amerikanischen Recht erforderlich, affirmative defenses frühzeitig geltend zu machen, um einen Verzicht zu vermeiden.610 Gerade common law-Autoren definieren Einwendungen deshalb als issues, die von dem Beklagten geltend gemacht werden sollten.611 Diese rechtskulturelle Weichenstellung lässt die internationale Schiedsgerichtsbarkeit nicht unberührt. 605  Insbesondere in Frankreich können Rechtsausführungen Teil der identité de cause sein, s. Stürner, FS Schütze (1999), S.  913, 929–930 sowie Schlosser, FS 50 Jahre BGH (2000), S.  399, 407–408. Dazu passend ist die Aufhebungsrechtsprechung in Frankreich in diesem Zu­ sammenhang besonders streng, s. Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. e) bb). In den Vereinigten Staaten bestehen ebenfalls Schwierigkeiten, wenn das Gericht die Rechtsgrundlage austauscht oder umqualifiziert, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. b) und c). 606  Beispielsweise besteht bei §  280 Abs.  1 S.  2 BGB eine andere Beweislast als bei §  823 Abs.  1 BGB, s. allgemein zum Zusammenspiel von Beweislast und rechtlichem Gehör Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 239–240 (2011). 607  Statt aller Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, S.  172. Gerade im Kontext von internationalen Schiedsverfahren ergeben sich schwierige Abgrenzungsfragen zwischen Ein­ wendungen, affirmative defenses und ähnlichen Konzepten, die allesamt begrifflich nicht de­ ckungsgleich sind, s. für das amerikanische Recht Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. c). 608  Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  296 ZPO, Rn.  46. 609  In Ansehung der Rechtsgeschichte ist dies nachvollziehbar: Bereits im römischen Recht lag die Kehrseite der actiones in den exceptiones, s. dazu Kaufmann, JZ 1964, 482, 486. 610  FRCP 8(b)(1)(A) sowie FRCP (8)(c). Weitere Nachweise unter Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. c). 611  Ausdrücklich etwa Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 232 (2011).

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Tatsächlich kann es die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs gefährden, wenn das Schiedsgericht nicht vorgetragene Einwendungen ohne vorherigen Hinweis anwendet.612 Dann droht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Um diese Ge­ fahr zu vermeiden, sollte das Schiedsgericht die Parteien vor Anwendung einer Einwendung zur Stellungnahme einladen. Dies gilt etwa dann, wenn – ein prak­ tisch häufiger Fall – der Beklagte sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrund­ lage oder die doctrine of frustration beruft, das Schiedsgericht diese aber den­ noch anwenden möchte.613 Ebenso ist ein Hinweis geboten, sofern eine Ver­ tragsbestimmung aus Sicht des Schiedsgerichts gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.614 Der Grund für diese umfassende Hinweissituation liegt darin, dass der Kläger und der Beklagte gleich behandelt werden sollten.615 Darf das Schiedsgericht die Rechtsgrundlage des Klägers nur mit Vorsicht austauschen, so sollte dies für Einwendungen des Beklagten ebenfalls gelten. Einwendungen verfügen schließ­ lich ihrerseits über Voraussetzungen, die eigenständigen Tatsachenvortrag erfor­ derlich machen und sich erheblich auf den Fortgang des Rechtsstreits auswirken können. Sie sind deshalb letztendlich das funktionale Gegenstück zur klägeri­ schen Anspruchsgrundlage.616 Dieser bereits dem römischen Recht bekannte Gedanke wirkt sich auf die Hinweisempfehlung für Schiedsgerichte ebenfalls aus. Dabei sollte es für die Hinweiserteilung keinen Unterschied machen, ob es sich um eine gängige oder seltene Einwendung handelt, weil die Gängigkeit ei­ ner Einwendung vom Vorverständnis der Beteiligten abhängt. dd) Vertragsklauseln Zahlreiche internationale Transaktionen werden von ausführlichen Verträgen ge­ regelt.617 Nicht selten entscheidet deshalb die Auslegung von Vertragsbestim­ 612 Die Cour d’appel de Paris hob einen Schiedsspruch auf, weil die Schiedsrichter das Institut „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ von Amts wegen anwandten, s. Cour d’appel de Paris, Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Ar­ bitrage 2010, 112. 613  Für den Wegfall der Geschäftsgrundlage s. Cour d’appel de Paris, Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 112 und für die doctrine of frustration Superior Court of Québec, Louis Dreyfus v. Holding Tusculum, Judg­ ment v. 08.12.2008, 2008 QCCS 5903. Im Ergebnis gegen eine Aufhebung BGer, Urteil v. 20.02.2013, Az.  4A_407/2012, Urteilsziffern 5.1–5.3. 614  Ein vergleichbarer Sachverhalt lag BGer, Urteil v. 09.02.2009, Az.  4A_400/2008 zu­ grunde. 615 Ebenso Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 232 (2011). 616 Ausführlich zu den Zusammenhängen Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  186–187. 617  Grundlegend zum Verhältnis von Vertragsrecht und Gesetzesrecht in Schiedsverfahren

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mungen und nicht die Gesetzesauslegung über den Ausgang eines Schiedsver­ fahrens.618 Zugleich ist der Parteiwille und nicht der Wille des Gesetzgebers für die Bestimmung des Vertragsinhalts ausschlaggebend.619 Dieser Parteiwille ist regelmäßig nur unter Einbeziehung der Parteien rekonstruierbar.620 Es erscheint daher als empfehlenswert, die Parteien vor Anwendung einer bislang nicht disku­ tierten Vertragsvorschrift anzuhören.621 Dementsprechend sollte das Schiedsgericht einen Hinweis erteilen, bevor es einen Anspruch auf eine von den Parteien übersehene Vertragsbestimmung stützt.622 Dieser Fall ist mit dem Austausch der gesetzlichen Anspruchsgrundla­ ge vergleichbar: Wenn bei der Anwendung einer gesetzlichen Anspruchsgrundla­ ge rechtliches Gehör gewährt werden sollte, so gilt dies für vertragliche An­ spruchsgrundlagen wegen des Parteiwillens erst recht. Diese Regel lässt sich auf vertragliche Verteidigungsklauseln ebenfalls erstrecken. Beispielsweise kann der klägerische Anspruch unter Hinweis auf einen vertraglichen Anspruchsaus­ schluss entfallen, der vom Beklagten übersehen wurde.623 In diesem Fall sollte das Schiedsgericht die Parteien auf die entsprechenden Vertragsbestimmungen hinweisen, bevor es sie seinem Schiedsspruch zugrunde legt.624 Besonders praxisrelevant ist schließlich das Zusammenspiel von vertraglichen Vorschriften mit dem Gesetz. Es wurde bereits gezeigt, dass die Parteien vor der Annahme der Nichtigkeit einer Vertragsvorschrift stets angehört werden soll­ Cordero-Moss, Recueil des cours 372 (2015), S.  181–326. Dimolitsa, 27 ASA Bulletin 426, 430–431 (2009) geht sogar davon aus, Schiedsrichter seien zur Anwendung von vertraglichen Bestimmungen von Amts wegen verpflichtet. 618  Selbst ausführliche Verträge können und werden durchaus Lücken enthalten, die dann ihrerseits zum Eingreifen des Gesetzes führen, s. Cordero-Moss, Recueil des cours 372 (2015), S.  181, 221–223. 619  Schwierigkeiten treten bei der Feststellung des Parteiwillens auf, wenn die Parteien sich über die Einfügung von bestimmten Standardklauseln überhaupt keine Gedanken gemacht ha­ ben, s. Cordero-Moss, Recueil des cours 372 (2015), S.  181, 222 mit Fn.  182. 620  Bei der Gesetzesauslegung stehen hingegen öffentliche Gesetzgebungsmaterialien zur Verfügung; dazu passend wird der Grundsatz iura novit curia im Zusammenhang mit Verträgen teils als von vornherein nicht anwendbar angesehen, s. etwa Levy, Jura Novit Curia? The Arbit­ rator’s Discretion in the Application of the Governing Law, Anmerkung v. 20.09.2009, Kluwer Arbitration Blog. 621 Ebenso Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 236 (2011). 622  Ein fehlender Hinweis auf eine Vertragsvorschrift kann sogar in der Schweiz zur Auf­ hebung des Schiedsspruchs führen, s. BGer, Urteil v. 30.09.2003, Az.  4P.100/2003. 623 Bei der Berücksichtigung von nicht vorgetragenen vertraglichen Verteidigungsvor­ schriften sollten Schiedsrichter stets darauf achten, unparteilich zu bleiben. Dies kann insbe­ sondere im Zusammenhang mit Verjährungsvorschriften oder vertraglichen Haftungsaus­ schlüssen relevant werden, s. zur Verjährung Wetter, ICCA Congress Series 1996, S.  87, 90. 624  In diese Richtung BGer, Urteil v. 30.09.2003, Az.  4P.100/2003, Urteilsziffer 6.

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ten.625 Insbesondere bei Verträgen mit langer Laufzeit kann es vorkommen, dass das Schiedsgericht vertragliche Vorschriften anpassen möchte.626 Hat sich keine der beiden Seiten auf eine Vertragsanpassung berufen und entscheidet das Schiedsgericht sich dennoch dafür, so sollte das Schiedsgericht ebenfalls stets rechtliches Gehör gewähren.627 c) Verzichtbare Hinweise Neben diesen Hinweissituationen gibt es aber auch zahlreiche Fälle, in denen ein Hinweis aus Zeit- und Kostengründen gerade nicht geboten erscheint. Den Mini­ malstandard für die Erforderlichkeit von rechtlichen Hinweise legen nationale Gerichte fest; dieser ist keineswegs einheitlich und sollte im Einzelfall analysiert werden. Es lassen sich aber gewisse Leitlinien erkennen, in denen ganz allge­ mein auf einen Hinweis verzichtet werden kann. Waren die Rechtsquellen den Parteien bekannt und wurden sie von ihnen in Bezug genommen, so muss das Schiedsgericht nicht über jedes Missverständnis in ihrer Anwendung informie­ ren. Dazu passend darf es Legaldefinitionen oder flankierende Vorschriften im Wege der systematischen Auslegung heranziehen und Gerichtsurteile anders ver­ stehen als die Parteien.628 Eine Information ist überdies nicht erforderlich, wenn das Schiedsgericht le­ diglich ein Tatbestandsmerkmal einer Rechtsgrundlage oder ein Element eines rechtlichen Tests eigenständig auslegt und anwendet. Es steht dem Schiedsge­ richt frei, in der Begründung des Schiedsspruchs auf Gerichtsentscheidungen oder andere rechtliche Autoritäten zurückzugreifen, sofern diese zur Konkreti­ sierung des ohnehin anwendbaren rechtlichen Maßstabes dienen.629 Gleichzei­ 625 

Die Annahme einer Vertragsnichtigkeit ist in Schiedsverfahren wegen der herausgeho­ benen Bedeutung der Parteiautonomie streitentscheidend, s. zu den Grundlagen Radicati di Brozolo, ICCA Congress Series 2012, S.  74, 82–83 sowie vertiefend zu Einwendungen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 3. b) cc). 626  Zu einer zulässigen Vertragsanpassung s. Korkein oikeus, Werfen Austria GmbH v. Polar Electro Europe B.V., Urteil v. 02.07.2008, Az.  2008:77. Ausführlich zu den Problemen am Beispiel des österreichischen Rechts Peter, SchiedsVZ 2017, 17. 627  Dadurch wird ein langer Rechtsstreit wie in dem Fall Korkein oikeus, Werfen Austria GmbH v. Polar Electro Europe B.V., Urteil v. 02.07.2008, Az.  2008:77 vermieden. 628  Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 238–239 (2011) hält einen Hinweis sogar dann für er­ forderlich, wenn die Parteien ein Urteil oder eine Gesetzesvorschrift nicht bis zum Ende gele­ sen haben. Das überzeugt nicht. 629  Dies möchte wohl selbst Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 239 (2011) zulassen. Aller­ dings versteigt sich die ICC gelegentlich dazu, in der Praxis übervorsichtig zu agieren. Dem­ entsprechend mussten Schiedsrichter sich gelegentlich bereits für Fußnoten rechtfertigen, de­ ren Inhalt von den Parteien nicht vorgetragen wurde, s. zu diesem Exzess die Schilderungen bei Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495.

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tig darf es den Schaden selbst berechnen und muss sich nicht auf die Berechnung einer der Parteien einlassen.630 Grundsätzlich gilt: Je weniger bedeutsam eine Rechtsquelle für die Entscheidung eines Rechtsstreits ist, desto eher kann auf einen Hinweis verzichtet werden.631 Müssten die Schiedsrichter die Parteien über jeden gedanklichen Schritt der rechtlichen Argumentationskette kleinteilig informieren, so würden Schiedsver­ fahren erheblich in die Länge gezogen. Die damit verbundenen Kostensteigerun­ gen liegen nicht im Interesse der Beteiligten. Insgesamt darf von Schiedsgerich­ ten keinesfalls verlangt werden, mit den Parteien den Inhalt jeder einzelnen Fuß­ note zu diskutieren. Ansonsten droht ein infiniter Regress: Auf die Argumentation des Schiedsgerichts werden die Parteien mit eigenen Argumenten reagieren, was wiederum Argumente des Schiedsgerichts sowie neue Argumente der Parteien auslöst.632 Zwischen Hinweissituationen und Nicht-Hinweissituationen gibt es in der Praxis Graubereiche, deren Bewältigung für ein jedes Schiedsgericht eine Her­ ausforderung darstellt. Teil der rechtlichen Begründung des Schiedsspruchs kön­ nen nicht nur neue Gesetzesvorschriften und Gerichtsentscheidungen, sondern auch Gewohnheitsrecht, Handelsbräuche oder die lex mercatoria – ein besonders schillernder Begriff, mit dessen Verwendung sich ein Schiedsgericht auf dünnes Eis begibt633 – sein.634 Schon im nationalen Recht oszillieren diese Fallgruppen zwischen Recht und Tatsachen hin und her; in internationalen Schiedsverfahren wird dieses Problem noch verschärft. Besondere Schwierigkeiten bestehen au­ ßerdem bei Rechtsfortbildungen sowie der Nichtigkeit von Gesetzen.635 630 So ausdrücklich High Court of the Hong Kong Administrative Region, Brunswick Bowling Billiards Corporation v Shanghai Zhonglu Industrial Co Ltd and Chen Rong, Judg­ ment v. 10.02.2009, HCCT 66/2007, Rn.  50–53 sowie Singapore Court of Appeal, Judgment v. 09.05.2007, Az. CA 100/2006 = CLOUT Case 743. 631  Dies deckt sich mit den „Foreseeability Criteria“, die Knuts, 28 Arb. Int’l 669, 683–686 (2012) aus der nationalen Rechtsprechung ableitet. Ebenfalls in diese Richtung Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 24. 632 Treffend Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 138. 633  Im Detail Goode/Kronke/McKendrick, Transnational Commercial Law, 2.  Aufl. 2015, Rn.  1.63–1.69. 634  Nach Art.  28 Abs.  4 UNCITRAL-Modellgesetz sollte das Schiedsgericht einschlägige Handelsbräuche berücksichtigen. Ebenso §  1051 Abs.  1 ZPO; Art.  24.3. DIS-Schiedsregeln; Art.  31.2. ICDR-Schiedsregeln. Zur Gewähr von rechtlichem Gehör Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  208. 635  Bei einer Rechtsfortbildung wird neues Recht gerade erst geschaffen, weshalb die Par­ teien es nicht kennen können; gleichzeitig erscheint es aber unwahrscheinlich, dass die Parteien das Schiedsgericht von einer Rechtsfortbildung wieder abbringen werden. Das Wort Rechts­ fortbildung kann im amerikanischen Rechtsdenken schon nicht existieren, weil letztlich jede Entscheidung als Fortbildung des Rechts verstanden wird, s. zur Funktionsweise des common

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Um die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs zu gewährleisten, sollte in Zwei­ felsfällen zur Sicherheit ein Hinweis ergehen.636 Diese Regel darf und sollte aber nicht zu einer due process paranoia verleiten.637 Es ist stets sorgsam zu prüfen, ob tatsächlich ein Zweifelsfall vorliegt. Bevor voreilig ein Hinweis erteilt wird, ist zudem die einschlägige Aufhebungsrechtsprechung in den Blick zu neh­ men. Keinesfalls sollten die Schiedsrichter sich in ihrer eigenen Rechtsanwen­ dung selbst in einen rechtlichen Gehörskäfig einsperren.638 Dies würde die Kos­ ten und die Länge des Schiedsverfahrens unnötig erhöhen. d) Hinweisart und Parteibeteiligung Entscheidet sich das Schiedsgericht für die Gewähr von rechtlichem Gehör, so stellt sich die Frage nach der Hinweisart und Parteibeteiligung.639 Im Grundsatz dürfte es genügen, die Parteien über die Existenz der möglicherweise anwendba­ ren Rechtsquelle zu informieren.640 Dies kann entweder über einen schriftlichen Hinweis oder im Rahmen der mündlichen Verhandlung in einem Rechtsgespräch erfolgen.641 Teil des Hinweises oder des Rechtsgesprächs können selbstredend auch inhaltliche Argumente sein, die nach vorläufiger Ansicht des Schiedsge­ richts für oder gegen die Anwendung einer bestimmten Rechtsquelle streiten.642 Die inhaltliche Auseinandersetzung ist eine wesentliche Bedingung der sachge­ rechten Entscheidungsfindung. Zudem dienen inhaltliche Argumente gerade dazu, den Gedankengang des Schiedsgerichts für die Parteien offenzulegen. law Learned Hand, 35 Harv. L. Rev. 479 (1922). Zur Nichtigkeit von Gesetzen s. Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 238 (2011). 636  Diese Zweifelsregel deutet auch Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 141 an, der für einen Hinweis bereits die Möglichkeit und gerade nicht die Gewissheit von neuen Beweisan­ trägen genügen lassen möchte. 637  Kritisch zu diesem Trend Berger/Jensen, 32 Arb. Int’l 415 (2016). 638  In der Sache ebenso Mantakou, FS Vrellis (2014), S.  487, 495; Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 141–144 sowie Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  202–209. 639 Weiterführend Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 28. 640  Aus Neutralitätsgründen erscheint es als unproblematisch, auf spezifische Vorschriften oder gar Absätze von Gesetzesvorschriften hinzuweisen. Anders Cordero-Moss, die zu gänz­ lich unspezifischen Hinweisen rät, s. Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Re­ view (3) 2006, 1, 28. 641  Entscheidend ist, dass die Parteien den Gedankengang des Schiedsgerichts erkennen und sich darauf einstellen können; es genügt deshalb etwa, wenn ein Schiedsrichter in eine bestimmte Richtung Fragen stellt. 642 In der Sache anders Cordero-Moss, Stockholm International Arbitration Review (3) 2006, 1, 28.

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In einem zweiten Schritt ist den Parteien neben der Information vor allem Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.643 Die Parteien können die Rechtsmeinung des Schiedsgerichts über schriftsätzliche Rechtsausführungen, Rechtsvortrag in der mündlichen Verhandlung sowie die Einbindung von Rechts­ sachverständigen beeinflussen. Diese Beteiligungsmöglichkeiten unterscheiden sich in ihrer Intensität und dem mit ihnen verbundenen Aufwand. Wird durch einen Hinweis kein neuer Tatsachenvortrag erforderlich, so dürfte das Schieds­ gericht den Anforderungen an das rechtliche Gehör regelmäßig genügen, indem es den Parteien ein Schriftsatzrecht einräumt. Für die Einreichung entsprechen­ der Schriftsätze sollte den Parteien eine angemessene Frist gesetzt werden. Es liegt dann an den Parteien, ob sie die schriftliche Stellungnahme eines Rechts­ sachverständigen beilegen möchten. Zurückhaltung ist hingegen geboten, wenn es um die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geht.644 Diese ist in der Regel nur dann erforderlich, wenn die vom Schiedsgericht entdeckte Rechtsquelle neuen Tatsachenvortrag notwendig macht.645 Ansonsten bietet es sich an, aus Zeit- und Kostengründen auf ein erneutes mündliches Rechtsgespräch sowie die Beteiligung von Rechts­ sachverständigen zu verzichten.646 4. Soft law-Instrumente Der Normenmangel im Bereich der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung mag Schiedsrichter motivieren, ihren Blick bei der Ermessensausübung auf transna­ tionale Prinzipien zu lenken.647 Es finden sich gleich zwei unterschiedliche soft law-Instrumente, die Aussagen zum praktischen Umgang mit der schiedsrichter­ lichen Rechtsermittlung enthalten.648 643  Zum deutschen Recht s. die Hinweise bei Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2014, Anhang §  1061 ZPO, Rn.  186–200. 644  In diese Richtung ebenfalls Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 30. Im Ergebnis anders Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 236 (2011). Undeutlich ILA-Prinzip Nr.  11. 645 Zutreffend Wiegand, FS Kellerhals (2005), S.  127, 140 sowie 142. 646 Die Faktoren Zeit und Kosten werden in ILA-Prinzip Nr.  11 sowie bei Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 30 ebenfalls als relevant für die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angesehen. 647  Statt aller Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 79 mit Fn.  105 (2015). 648  Nicht eingegangen wird an dieser Stelle auf die ALI/UNIDROIT-Prinzipien of Trans­ national Civil Procedure, da diese sich grundsätzlich auf staatliche Zivilverfahren beziehen, s. ALI/UNIDROIT, 9 Unif. L. Rev. 758–809 (2004). In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur zu iura novit curia wird die Existenz dieses Instruments deshalb zu Recht nur selten aufgegrif­ fen; anders allein Jemielniak/Pfisterer, 20 Unif. L. Rev. 56, 65–66 (2015). Letztlich spricht viel dafür, dass sich Prinzip Nr.  22.1. der ALI/UNIDROIT-Prinzipien nach dem Willen der Verfas­ ser nicht auf internationale Handelsschiedsverfahren übertragen lässt.

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In Ansehung des Rechtsermittlungsproblems sah sich zuerst die International Law Association veranlasst, eine Studie unter dem Titel Ascertaining the Con­ tents of the Applicable Law in International Commercial Arbitration zu erarbei­ ten.649 Diese Studie enthält insgesamt fünfzehn Prinzipien, die in Schiedsverfah­ ren als Hilfestellung dienen sollen.650 Abgedeckt werden neben allgemeinen Grundsätzen auch der Vorgang der Informationsermittlung, die Zusammenarbeit zwischen dem Schiedsgericht und den Parteien, die Einführung von neuen Rechtsgrundlagen sowie Aussagen zu speziellen Umständen.651 Um ein anderes Projekt handelt es sich hingegen bei den Rules on the Efficient Conduct of Proceedings in International Arbitration.652 Dieses auch als „Prager Regeln“ bezeichnete soft law-Instrument soll der Steigerung der Effizienz in in­ ternationalen Schiedsverfahren dienen. Anders als die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration schweigen die Prager Regeln nicht zu dem Vorgang der Rechtsermittlung, sondern enthalten eine Regelung, die sich aus­ drücklich mit der Verantwortlichkeit zur Feststellung des Rechts auseinander­ setzt.653 Die International Law Association sowie die Organisationen, die hinter den Prager Regeln stehen, wurden bei der Schaffung der Prinzipien jeweils von einer Auswahl der renommiertesten und bekanntesten Juristen in ihrem Bereich ver­ treten.654 Es ist jedoch bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Um­ gang mit soft law-Prinzipien stets Vorsicht geboten ist.655 Die Vereinheitlichung von Rechtsgedanken in transnationalen Prinzipien trägt die Gefahr der Verein­ International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 218–220 (2010). sind die Prinzipien von einer rechtsvergleichenden Studie, s. International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 198–213 (2010). 651  Die allgemeinen Grundsätze finden sich in ILA-Prinzipien 1 und 2, die Informations­ ermittlung in ILA-Prinzipien Nr.  3 und Nr.  4, die Zusammenarbeit in ILA-Prinzipien Nr.  5 bis Nr.  8, die Einführung von neuen Rechtsgrundlagen in ILA-Prinzipien Nr.  9 bis Nr.  12 und die Aussagen zu speziellen Umständen in ILA-Prinzipien Nr.  13 bis Nr.  15. Für eine allgemeine Beschreibung s. Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 521–525. 652  Vormals bezeichnet als „Inquisitorial Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration“. Das Projekt wird im Internet dokumentiert unter ; die Veröffentlichung der finalen Fassung der Prager Regeln erfolgte im Dezember 2018. 653  Art.  7 der Prager Regeln. 654  Im Falle der ILA-Prinzipien bestand das Committee aus De Ly als Vorsitzendem sowie Friedman und Radicati di Brozolo als Berichterstattern, International Law Association, 26 Arb. Int’l 193 mit Fn. Asterisk (2010). Die Working Group für die Erstellung der Prager Regeln ist ebenfalls prominent besetzt. 655  Weitere Nachweise dazu bei Berger/Jensen, 32 Arb. Int’l 415, 417 mit Fn.  12 (2016). Risse, FS Elsing (2015), S.  453, 454: „Um zu schützen das weltweite Reich, bauten die Arbit­ ralier nun einen Regeldeich. Und im Bewusstsein der eigenen Wichtigkeit fehlte den Arbitra­ liern jetzt Bescheidenheit.“ 649 

650  Unterlegt

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fachung in sich. Gleichzeitig droht die vermeintliche Autorität der Prinzipien in staatlichen Aufhebungs- oder Vollstreckungsversagungsverfahren zu verblas­ sen.656 In keinem Fall darf soft law Schiedsrichter dazu verleiten, die Vereinba­ rung der Parteien oder ordre public-Vorschriften zu missachten. Es ist deshalb bei der Ermessensausübung allgemein nicht ratsam, die Aussagen der genannten soft law-Prinzipien unbesehen zu übernehmen.657 In den Worten von Schneider: „The principal objective of guidelines is to reduce the scope of independent thinking by their users, and to replace it by what the Guideline Producers believe the users should think or do.“658

Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die Prinzipien genauer in den Blick zu nehmen und sie zugleich auf ihre praktische Nutzbarkeit hin zu untersuchen.659 Zuerst wird dabei auf die ILA-Prinzipien und dann auf die Prager Regeln einge­ gangen. a) ILA-Prinzipien Im Unterschied zu den Prager Regeln enthalten die ILA-Prinzipien keine klare Aussage, wer die Endverantwortlichkeit für die Ermittlung der rechtlichen Ur­ teilsgrundlagen tragen soll.660 Vielmehr bemühen sie sich an zahlreichen Stellen um einen vordergründigen Interessenausgleich zwischen dem kontinentaleuro­ päischen und dem anglo-amerikanischen Modell.661 Dabei treffen die ILA-Prin­ zipien Aussagen zu einer Vielzahl von Fragestellungen, bleiben aber oft an der Oberfläche und sorgen an zahlreichen Stellen für Unstimmigkeiten.662 Die Über­ zeugungskraft der Empfehlungen schwankt von Prinzip zu Prinzip. Es ist des­ 656  Es liegt auf der Hand, dass allein staatliche Gerichte über die Einordnung einer Vor­ schrift als ordre public-Vorschrift befinden dürfen; dennoch finden sich auch zu dieser Frage Ausführungen seitens des Committee der International Law Association, s. International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 216–217 (2010). 657  Grundlegend kritisch ebenfalls Schneider, FS Lazareff (2011), S.  563, 564. 658  Schneider, FS Lazareff (2011), S.  563, 564. 659  In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur haben die ILA-Prinzipien schon jetzt eine gewisse Bedeutung erlangt, weil sie in Aufsätzen immer wieder herangezogen werden, s. statt aller Carlevaris, Rivista dell’arbitrato 2007, 505, 521–525. Die Prager Regeln stoßen ebenfalls auf ein großes Interesse der Praxis. 660  Die Verantwortung für den Vorgang der Rechtsermittlung wird direkt oder indirekt in den Prinzipien Nr.  1, Nr.  5 bis Nr.  11 sowie Nr.  13 angesprochen. 661  Dieser Ansatz wird als „balanced approach“ bezeichnet, International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 217 (2010). 662  Das mag darauf zurückzuführen sein, dass das Committee der International Law Association offenbar selbst gespalten war, s. ausdrücklich International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 211 (2010): „The Committee has not been able to discern any uniform practice, and the opinions of scholars and practitioners vary considerably, as evidenced by the discussions within the Committee.“

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halb geboten, die einzelnen Prinzipien in ihren rechtsvergleichenden Kontext zu setzen.663 In einem ersten Schritt ist strukturell näher zu untersuchen, welche Antwort die ILA-Prinzipien auf die Frage nach der Endverantwortung für die Rechtser­ mittlung geben. Im Anschluss sollen Schwächen und Risiken der ILA-Prinzipien beleuchtet werden. Neben Schwächen enthalten die ILA-Prinzipien aber auch Aussagen, deren Umsetzung in Schiedsverfahren als Orientierung dienen kann. aa) Endverantwortung Bei der Zuweisung der Endverantwortung für die Rechtsermittlung handelt es sich um eine Entweder-oder-Frage: entweder trägt das Schiedsgericht die End­ verantwortung oder die Parteien. Offenbar ist es dem Committee der International Law Association jedoch nicht gelungen, sich auf eine eindeutige Regel fest­ zulegen. So weist ILA-Prinzip Nr.  5 die Verantwortung für die Rechtsermittlung grundsätzlich den Parteien zu: „Arbitrators should primarily receive information about the contents of the applicable law from the parties.“

Zu diesem Grundsatz steht der Wortlaut von ILA-Prinzip Nr.  1 jedoch in einem direkten Widerspruch: „At any time in the proceedings that a question requiring the application of a rule of law […] arises, arbitrators should identify the potentially applicable laws and rules and ascertain their contents insofar as it is necessary to do so to decide the dispute.“

Die offensichtliche Frage, was bei fehlenden Rechtsausführungen der Parteien zu geschehen hat, beantworten die ILA-Prinzipien hingegen nicht. Auf den ers­ ten Blick legt ILA-Prinzip Nr.  1 jedoch nahe, dass die Schiedsrichter den Inhalt des anwendbaren Rechts in diesem Fall ermitteln müssen.664 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings der Wortlaut von ILA-Prinzip Nr.  13: „In disputes implicating rules of public policy or other rules from which the parties may not derogate, arbitrators may be justified in taking measures appropriate to determine the applica­ bility and contents of such rules“.

Das entscheidende Wort in diesem Prinzip ist „may“.665 Wenn das Schiedsgericht nun bei zwingenden Rechtsvorschriften nicht zur Rechtsermittlung verpflichtet 663 Das Committee zog es vor, sich an den rechtsvergleichenden Erkenntnissen nicht zu orientieren, International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 205 (2010): „[T]he Committee considers that beyond a superficial analogy court approaches to determining the contents of law do not provide strong guidance for how arbitrators should ascertain the contents of law.“ 664  Zu diesem Problem allgemein Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 218 (2012). 665  In Säumnis- oder Eilrechtsschutzsituationen sieht ILA-Prinzip 14 ebenfalls ausdrück­ lich das Wort „may“ und damit letztlich keine Rechtsermittlungspflicht vor.

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ist, dann muss dies bei dispositiven Rechtsvorschriften erst recht gelten.666 Au­ ßerdem sollen Schiedsrichter nach ILA-Prinzip Nr.  6 keine Rechtsquellen in das Verfahren einführen, die von den Parteien nicht vorgetragen wurden.667 Die ein­ zige Ausnahme dazu ist wiederum ILA-Prinzip Nr.  13. Auch diese Systematik deutet darauf hin, dass das Schiedsgericht nicht zur Rechtsermittlung verpflichtet sein soll.668 Dies wirft jedoch die Frage auf, warum in ILA-Prinzip Nr.  1 das Wort „should“ an Stelle des Wortes „may“ auftaucht. Insgesamt ist nicht sicher, ob sich dieses komplexe Geflecht von unterschied­ lichen Empfehlungen überhaupt konsistent auflösen lässt.669 Letztlich erscheint ILA-Prinzip Nr.  1 von der kontinentaleuropäischen Rechtsermittlungsvorstel­ lung beeinflusst, wohingegen sich die anderen Prinzipien an der common law-Funktionsweise orientieren.670 Die Endverantwortung für die Rechtsermitt­ lung wird jedenfalls auch bei mehrfachem Lesen nicht eindeutig zugewiesen.671 Die Formulierungen der ILA-Prinzipien sind vielmehr so weit, dass sie sich mit einem anderen rechtlichen Vorverständnis gänzlich anders verstehen lassen.672 Insoweit tritt deutlich ihr Charakter als Kompromiss hervor.673 666  Ausführlich zu der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht bei zwingenden Rechtsvorschriften Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. c) bb) und 3. a). 667  ILA-Prinzip Nr.  6: „In general, and subject to Recommendation 13, arbitrators should not introduce legal issues – propositions of law that may bear on the outcome of the dispute – that the parties have not raised.“ 668  Im Text legt die Studie nahe, dass die Mitglieder des Committee eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht jedenfalls nicht als durchsetzbar betrachten, International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 208–209 (2010). 669  Ganz grundsätzlich kritisieren Landau und Weeramantry an soft law-Instrumenten, dass diese letztlich eher zu Rechtsunsicherheit als zu Rechtssicherheit führen, s. Landau/Weeramantry, ICCA Congress Series 2013, S.  496, 502–504. 670  Dabei wird übersehen, dass insoweit gerade kein „balanced approach“ möglich ist, weil entweder die Parteien oder das Gericht die Endverantwortung tragen müssen, s. dazu die ent­ gegengesetzten Konzepte in Deutschland und den Vereinigten Staaten, Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. und III. 671  Zum Beispiel erkennen Lörcher und Bauerschmidt in den ILA-Prinzipien eine Ermes­ sensverdichtung in Zusammenhang mit zwingenden, nicht aber mit dispositiven Rechtsvor­ schriften, s. Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 336 mit Fn.  92. 672  Aus deutscher Sicht lässt sich ILA-Prinzip Nr.  1 durchaus dahingehend verstehen, dass die Schiedsrichter die Endverantwortung für die Rechtsermittlung tragen; umgekehrt hinter­ fragen aber Capper, Ljungström und Dépinay schon, ob die Befugnis in ILA-Prinzip Nr.  13 tatsächlich alle ordre public-Vorschriften umfassen soll, Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 35–36. 673 In den ILA-Prinzipien spiegeln sich im Besonderen die Risiken wider, vor denen Schneider im Allgemeinen warnt, s. weiterführend Schneider, FS Lazareff (2011), S.  563, 564 sowie zu den Gründen für Kompromisse Landau/Weeramantry, ICCA Congress Series 2013, S.  496, 502–504.

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bb) Schwächen Neben einer fehlenden Zuweisung der Endverantwortung für die Rechtsermitt­ lung enthalten die ILA-Prinzipien aber noch weitere Schwächen.674 Schon im Ausgangspunkt kann die Verwendung des Wortes „may“ in ILA-Prinzip Nr.  13 nur verwundern.675 Dadurch wird der gefährliche Eindruck vermittelt, Schieds­ richter seien zur Anwendung von ordre public-Vorschriften nicht verpflichtet. Das Gegenteil ist jedoch richtig, weil der Erlass eines vollstreckbaren Schieds­ spruchs der Kern des schiedsrichterlichen Mandats ist; ohne eine vollstreckbare Entscheidung war das Schiedsverfahren umsonst.676 Schiedsrichter sind deshalb schlecht beraten, sich blind auf ILA-Prinzip Nr.  13 zu verlassen.677 Ganz grundsätzlich enthalten die ILA-Prinzipien zahlreiche Wertungen und Aus­ sagen, die keineswegs als universell anerkannt gelten dürfen.678 Die ILA-­Prinzipien können Schiedsrichter gerade nicht davon entbinden, die Existenz einer Rechtser­ mittlungspflicht sowie die Reichweite der Rechtsermittlungs­befugnis im Einzelfall zu prüfen.679 Diese Fragen bemessen sich nach dem anwendbaren Verfahrensrecht und nicht nach den ILA-Prinzipien. Soft law ist dann besonders problematisch, wenn es hard law zu überdecken versucht. Angesichts der zahllosen Kombinations­ möglichkeiten aus Parteivereinbarungen, lex arbitri und Vollstreckungsregeln sind die ILA-Prinzipien in dieser Hinsicht offensichtlich unterkomplex. Ferner sollten Schiedsrichter auf jeden Fall vermeiden, ihre eigene Ermes­ sensausübung durch die vorgefertigte Ermessensausübung des Committee der International Law Association zu ersetzen. Dies gilt etwa für die Empfehlung in ILA-Prinzip Nr.  5, wonach Schiedsrichter vorrangig von den Parteien mit Infor­ mationen über das anwendbare Recht versorgt werden sollen.680 Mit institutio­ Dazu passend steht in der Vorrede zu den ILA-Prinzipien folgender caveat: „Failure to consider or follow these recommendations should not in itself be treated as a departure from acceptable practice or a failure to comply with an arbitrator’s duty“, International Law Asso­ ciation, 26 Arb. Int’l 193, 218 (2010). 675  Die Widersprüchlichkeit zeigt sich beispielsweise daran, dass es in ILA-Prinzip Nr.  2 wörtlich heißt: „In ascertaining the contents of applicable law and rules, arbitrators should ­respect […] public policy“. 676 Treffend Horvath, 18 J. Int’l Arb. 135 (2001). 677  Insoweit können unterlassene Rechtsermittlungen zur Aufhebung oder Vollstreckungs­ versagung führen, s. Art.  34 Abs.  2 lit.  a) iv) und lit.  b) ii) UNCITRAL-Modellgesetz sowie Art. V Abs.  1 lit.  d) und Abs.  2 lit.  b) New York Convention. 678  Schneider, FS Lazareff (2011), S.  563, 564: „A related objective of guidelines is to as­ sist users in avoiding their own errors. Guidelines replace these errors by those of the Guideline Producers.“ 679  Ausführlich Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 680  ILA-Prinzip Nr.  5: „Arbitrators should primarily receive information about the contents of the applicable law from the parties.“ 674 

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nellen Schiedsregeln sowie nationalen Schiedsverfahrensgesetzen, die Parteien lediglich zur Geltendmachung von Antrag und Tatsachen verpflichten, kann die­ ser Grundsatz nicht in Einklang gebracht werden.681 Abgesehen davon ist dieses Prinzip konzeptionell von einem unzulässigen Fehlschluss vom Sein auf das Sol­ len unterlegt: Aus der Tatsache, dass Parteien in internationalen Schiedsverfah­ ren regelmäßig zur Rechtslage ausführen, kann für ihre verfahrensrechtlichen Pflichten nichts abgeleitet werden. Rechtsvergleichend besteht außerdem über die Ausgestaltung von Richter- und Parteirollen sowie die Rechtsermittlungs­ lasten im internationalen Kontext kein Einverständnis.682 Es ist deshalb zuvör­ derst eine Ermessensfrage, ob die Schiedsrichter das Recht selbst ermitteln oder die Rechtsermittlungslast bei den Parteien verorten.683 Diese Ermessensaus­ übung darf und sollte ILA-Prinzip Nr.  5 nicht vorwegnehmen.684 Bedenklich ist ferner ILA-Prinzip Nr.  6: „In general, and subject to Recommendation 13, arbitrators should not introduce legal issues – propositions of law that may bear on the outcome of the dispute – that the parties have not raised.“685

Der Begriff der issue ist so weit, dass die Schiedsrichter in Übereinstimmung mit ILA-Prinzip Nr.  6 generell keine Rechtsquellen in das Verfahren einbringen soll­ ten, die von den Parteien noch nicht vorgetragen wurden.686 Dieser vermeintliche Grundsatz widerspricht dem deutschen und dem amerikanischen Rechtsdenken gleichermaßen und lässt sich auch in der Schiedsgerichtsbarkeit nicht halten.687 Überdies ist ILA-Prinzip Nr.  6 anachronistisch, weil es das aktionenrechtliche Denken sowie die cause of actions wieder aufleben lässt.688 Abgesehen davon 681 

Zu den Grundlagen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. a) und b). Darauf weist das Committee selbst hin, International Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 211 (2010). Dennoch lässt sich zweifelsfrei aus ILA-Prinzip Nr.  14 der Umkehrschluss ablei­ ten, dass sich Schiedsrichter im Regelfall passiv verhalten sollten. 683  Dies gilt selbstredend nur dann, wenn nicht schon eine Rechtsermittlungspflicht be­ steht, s. zum Zusammenspiel Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. 684  Ausführlich zur Zweckmäßigkeit Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 1. 685  Ähnlich ILA-Prinzip Nr.  8 S.  2: „[Arbitrators] should not give decisions […] that are based on legal issues not raised by or with the parties.“ 686  Diese weite Definition steht im klaren Widerspruch zum amerikanischen Rechtsdenken, wo heute zwischen „issues“ und „legal theories“ getrennt wird, s. ausführlich zur Entwicklung Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. a). 687  Weiterführend Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. I. 1. Die Passivität amerikanischer Richter lässt gerade nicht den Schluss zu, dass diese „propositions of law that may bear on the outcome of the dispute“ nicht eigenständig in das Verfahren einführen würden. Ausführlich zu sua sponte-­Entscheidungen B. Miller, 39 San Diego L. Rev. 1253 (2002). 688  Rechtshistorisch zum deutschen Recht Zweiter Teil, 1. Kapitel, C. I. 4 sowie zu den Vereinigten Staaten Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. a). 682 

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wurde bereits gezeigt, dass Schiedsrichter zur Einbringung von neuen Rechts­ quellen befugt sind.689 Es würde das Ermessen des Schiedsgerichts unverhältnis­ mäßig aushöhlen, wenn diese Befugnis im praktischen Regelfall nicht ausgeübt werden dürfte.690 Im Ergebnis führt ILA-Prinzip Nr.  6 zu der absurden Konse­ quenz, dass Schiedsrichter im Extremfall bewusst einen rechtlich fehlerhaften Schiedsspruch unterschreiben müssten.691 Das ist mit ihrer rechtsprechenden Funktion ersichtlich unvereinbar.692 Wenig Beifall verdient schließlich, dass sich in den ILA-Prinzipien zahlreiche Gemeinplätze finden.693 Besonders deutlich zeigt sich dieses Problem an ILA-Prinzip Nr.  12: „In applying the rules of the applicable law, arbitrators should give due regard to available ­information about the application of the rules in the jurisdiction from which the rules emana­ te.“694

Abgesehen davon ist es aber auch offensichtlich, dass die Schiedsrichter „due process“ berücksichtigen, sich „fair“ gegenüber den Parteien verhalten und den Eindruck von „bias“ vermeiden müssen.695 cc) Orientierungsfunktion Übergreifend sollten die ILA-Prinzipien keinesfalls als ein Regelwerk, sondern vielmehr als eine Summe von unterschiedlichen Aussagen, Meinungen und 689 

Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. erscheint es für einen deutschen Schiedsrichter als unzumutbar, unter Ausschluss der Relationstechnik auf eigenständige rechtliche Recherchen zu verzichten, s. zu den Vorteilen der Relationstechnik Elsing, SchiedsVZ 2011, 114, 117. 691  Nach ILA-Prinzip Nr.  6 „darf“ das Schiedsgericht nur dann neue „propositions of law that may bear on the outcome of the dispute“ einbringen, wenn es sich nach ILA-Prinzip Nr.  13 um „rules of public policy or other rules from which the parties may not derogate“ handelt. Kennt das Schiedsgericht eine einschlägige dispositive Vorschrift, darf es diese im Umkehr­ schluss nicht einbringen und muss in Übereinstimmung mit ILA-Prinzip Nr.  6 einen fehlerhaf­ ten Schiedsspruch erlassen. 692  Jedenfalls bei positiver Rechtskenntnis ist die Einbringung schiedsrichterlicher Rechts­ kenntnis zweckmäßig, Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 1. c) bb) sowie 2. a). 693 Kritisch Schneider, FS Lazareff (2011), S.  563, 566: „Trivialities are an important com­ ponent of successful guidelines. They give to the user the feeling that he could have produced the same guidance if he simply had taken the time of writing down his thoughts.“ 694  Vergleichbar nichtssagend auch ILA-Prinzip 9: „In ascertaining the contents of a poten­ tially applicable law or rule, arbitrators may consider and give appropriate weight to any relia­ ble source, including statutes, case law, submissions of the parties’ advocates, opinions and cross-examination of experts, scholarly writings and the like.“ 695  So aber dennoch ausdrücklich ILA-Prinzip Nr.  2. Ebenso aber schon Art.  12, 18 und 34 Abs.  2 UNCITRAL-Modellgesetz. 690  Beispielsweise

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Kompromissen betrachtet werden.696 Einige dieser Aussagen verdienen dabei durchaus Zustimmung. Überzeugend ist insbesondere ILA-Prinzip Nr.  4. Danach darf nicht vermutet werden, dass der Inhalt des anwendbaren Rechts mit dem Inhalt des dem Schiedsgericht bekannten Rechts übereinstimmt.697 Eine solche Vermutung ist dem anglo-amerikanischen Vorverständnis entlehnt, wonach das ausländische Recht dem inländischen entsprechen kann.698 Sie ist bereits im na­ tionalen Kontext zweifelhaft und kann in Schiedsverfahren erst recht nicht über­ zeugen.699 Schließlich ist es die Aufgabe des Schiedsgerichts, dem Willen der Parteien zu entsprechen und das anwendbare Recht tatsächlich anzuwenden. Zutreffend ist weiterhin, dass Schiedsrichter eigenständige rechtliche Recher­ chen vornehmen dürfen.700 Dabei können sie sich auf jede Quelle stützen und selbstverständlich auch ihr eigenes Fachwissen einbeziehen.701 Es ist außerdem hilfreich, dass die ILA-Prinzipien grundsätzlich auf die Probleme im Zusam­ menhang mit dem rechtlichen Gehör aufmerksam machen.702 In Übereinstim­ mung mit der hier vertretenen Ansicht folgen sie dabei ebenfalls nicht dem An­ satz, wonach die Parteien schlechthin zu jedem neuen rechtlichen Argument ge­ hört werden müssten.703 Abgesehen von den ILA-Prinzipien selbst ist die Studie hervorzuheben, die den ILA-Prinzipien zugrunde liegt.704 Diese Studie enthält rechtsvergleichende Ausführungen sowie zahlreiche Hinweise auf einschlägige nationale Rechtspre­ Zu Recht kritisieren Landau und Weeramantry, dass im Umgang mit soft law regelmäßig unklar ist, in welchem Verhältnis eine Regel zu einer anderen steht und welches Gewicht den einzelnen Regeln zukommt, s. Landau/Weeramantry, ICCA Congress Series 2013, S.  496, 513. 697  ILA-Prinzip Nr.  4 Satz  2: „[A]rbitrators should not rely on unexpressed presumptions as to the contents of the applicable law, including any presumption that it is the same as the law best known to the tribunal or to any of its members, or even that is the same as the law of the seat of the arbitration.“ 698  Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243, 1256–1258. 699  Zweiter Teil, 3. Kapitel, A. II. und III. 700  ILA-Prinzip Nr.  7 Satz  2. 701  ILA-Prinzip Nr.  9 sowie ILA-Prinzip Nr.  7 Satz  2. Es bleibt aber unklar, wie ILA-Prin­ zip Nr.  6 mit ILA-Prinzipien Nr.  7 und Nr.  9 systematisch vereinbart werden kann. 702  Hinweise auf das rechtliche Gehör ziehen sich wie ein roter Faden durch die ILA-Prin­ zipien und finden sich in den Prinzipien Nr.  2, 3, 7, 8, 10, 11, 13 und 15. 703  In ILA-Prinzip Nr.  8 Satz  2 ist ausdrücklich von dem Verbot einer Überraschungsent­ scheidung die Rede und in ILA-Prinzip Nr.  10 Satz  1 wird die Gewähr von rechtlichem Gehör nur vorgesehen, wenn die Rechtsquellen „meaningfully“ über die Quellen der Parteien hinaus­ gehen und sich gleichzeitig „significantly“ auf den Ausgang des Rechtsstreits auswirken kön­ nen. Ausführlich zu den Grenzen der Rechtsermittlungsbefugnis Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 2. e) sowie zur Zweckmäßigkeit im Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 3. 704  International Law Association, 26 Arb. Int’l 193–218 (2010). 696 

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

chung.705 Allerdings tritt bei Lektüre der Studie die eigentliche Problematik der ILA-Prinzipien deutlich hervor. Es ist schlicht nicht möglich, die Endverantwor­ tung für die Rechtsermittlung, die Aufgabenverteilung oder die Rechtseinbrin­ gung in fünfzehn Prinzipien zusammenzufassen. Sowohl die ILA-Prinzipien selbst als auch die flankierende Studie dienen deshalb lediglich als Einstieg in das Thema, entbinden des Schiedsgericht aber nicht von der sorgfältigen Prüfung des anwendbaren Rechts sowie der eigenständigen Gewichtung und Beurteilung der ermessensleitenden Belange. In den Worten von Landau und Weeramantry: „The goal of harmonization is a legitimate aspiration. But there is a danger in dressing unripe rules with a purported status that they have not yet achieved. Rather than creating harmony, the exercise may simply result in highlighting deep divisions.“706

b) Prager Regeln Unter der Überschrift Iura Novit Curia beziehen die Prager Regeln in Art.  7 zum Vorgang der Rechtsermittlung wie folgt Position: 7.1. A Party bears the burden of proof with respect to the legal position on which it relies. 7.2. However, the arbitral tribunal may apply legal provisions not pleaded by the parties if it finds it necessary, including, but not limited to, public policy rules. In such cases, the arbitral tribunal shall seek the parties’ views on the legal provisions it intends to apply. The arbitral tribunal may also rely on legal authorities even if not submitted by the parties if they relate to legal provisions pleaded by the parties and provided that the parties have been given an oppor­ tunity to express their views in relation to such legal authorities.707

Diese Regelung wirft eine Vielzahl von Fragen auf. Bereits die Überschrift Iura Novit Curia steht zu einer allgemeinen Rechtsbeweispflicht der Parteien in offe­ nem Widerspruch.708 So führt etwa Baur zutreffend aus: 705  Es finden sich auch einige wenige Hinweise auf die Praxis von Schiedsgerichten, s. I­ nternational Law Association, 26 Arb. Int’l 193, 211 (2010). Bemerkenswert ist vor allem folgendes Zitat aus einem nicht veröffentlichten Schiedsspruch (ICC Fall Nr.  7071): „However, the Tribunal does not accept that it was not entitled to refer in its Award of 23 July 1993 to lite­ rature not drawn to its attention by the parties and in respect of which no submissions had been made by the parties. The Tribunal is, of course, conscious of its obligations to conduct the proceedings in accordance with the rules of natural justice and due process. But issues 1 and 2 were the subject of lengthy and detailed evidence, submissions and argument. In these circum­ stances, there was no obligation upon the Tribunal to afford the parties the opportunity of ma­ king further submissions merely because the Tribunal intended to refer in its Award to some literature not referred to by the parties themselves.“ 706  Landau/Weeramantry, ICCA Congress Series 2013, S.  496, 512. 707  Der Wortlaut der Regelung wurde während des Erstellungsprozesses immer wieder an­ gepasst und abgeändert. 708  Der Inhalt von Art.  7.1. der Prager Regeln erinnert vielmehr an die Formulierung iura noverunt partes, s. begriffsprägend Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 344.

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„Der Satz ‚iura novit curia‘ […] besagt nichts anderes – und er ist früher auch nie anders ver­ standen worden – als daß Rechtssätze keines Beweises bedürfen.“709

Unstimmig ist aber nicht nur das Verhältnis der Überschrift zu dem Inhalt, son­ dern auch das Verhältnis des Inhalts zu dem Zweck der Prager Regeln insgesamt. Die Grundidee hinter den Prager Regeln ist es, die Effizienz von Schiedsverfah­ ren zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten zu senken. Dieses Ziel soll durch eine Übernahme des „inquisitorischen“ Verfahrensmodells erreicht werden. Folge­ richtig ist das Schiedsgericht nach den Prager Regeln berechtigt und ermutigt, eine aktive Rolle in der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen einzunehmen.710 Zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens darf das Schiedsgericht auf eigenen Antrieb die Dokumentenvorlage oder die Benennung von Zeugen anord­ nen.711 Für die Befragung der Zeugen liegt die Verantwortung ebenfalls bei dem Schiedsgericht.712 In diese Gesamtkonzeption würde es sich aus rechtsverglei­ chender Perspektive nahtlos einfügen, wenn den Schiedsrichtern auch bei dem Vorgang der Rechtsermittlung eine Schlüsselrolle zukäme. Exemplarisch für die­ sen Ansatz kann die deutsche Relationstechnik genannt werden, wonach der Sachvortrag der Parteien bereits zu Beginn des Verfahrens auf seine Schlüssig­ keit hin untersucht wird. Allein: Die Prager Regeln sehen in dieser Hinsicht die Parteien und nicht die Schiedsrichter in der Pflicht. Das entspricht in rechtsver­ gleichender Hinsicht gerade nicht der starken Richterstellung, die üblicherweise mit dem Sprichwort iura novit curia assoziert wird.713 Wenn das Schiedsgericht schon bei der Ermittlung der Tatsachen eine aktive Rolle einnimmt, dann muss dies für die Ermittlung des Rechts a fortiori gelten. Es ist gerade nicht effizient, den Parteien eine umfassende „Beweislast“ in Bezug auf das Recht aufzuerlegen. Neben diesem Strukturproblem bleiben die Prager Regeln aber auch Antwor­ ten darauf schuldig, wie die Parteien Rechtsvorschriften beweisen sollen, was die Folge bei Beweisfälligkeit ist und welche Reichweite dem Anspruch auf rechtliches Gehör zukommt. Insoweit erhöhen die Prager Regeln die Rechtsun­ sicherheit. Die Parteien werden darauf mit umfassenden Rechtsausführungen reagieren, die ihrerseits mit Kosten verbunden sind. Besonders bedenklich ist, dass die Prager Regeln die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen beeinträchtigen können, indem schon die Befugnis des Schieds­ Baur, FS Bötticher (1969), S.  1, 4 mit Fn.  13. In diesem Sinne auch Giaro, FS Kupiszew­ ski (2011), S.  215, 218, der die Rechtsregel als „facta sunt probanda, iura novit curia“ wieder­ gibt. 710  Art.  3.1. der Prager Regeln. 711  Art.  3.2. der Prager Regeln. 712  „[T]he examination of any fact witness shall be conducted under the direction and con­ trol of the arbitral tribunal“, Art.  5.9. der Prager Regeln. 713  Ausführlich zum deutschen Modell Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 2. 709 

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gerichts zur eigenständigen Rechtsermittlung beschränkt wird. Schließlich dür­ fen von den Parteien nicht vorgetragene Rechtsquellen nur dann angewandt wer­ den, wenn sie in einem „Zusammenhang“ zu den von den Parteien vorgetragenen Rechtsvorschriften stehen.714 Ob dieser „Zusammenhang“ im Einzelfall be­ stand, muss dann von staatlichen Gerichten in Aufhebungs- oder Vollstreckungs­ versagungsverfahren entschieden werden. In jedem Fall muss Art.  7.2 Satz  3 der Prager Regeln teleologisch dahingehend reduziert werden, dass das Schieds­ gericht ordre public-Vorschriften stets auf eigenen Antrieb anwenden darf. Dies muss selbstredend auch dann gelten, wenn kein „Zusammenhang“ zu den von den Parteien vorgetragenen Rechtsvorschriften und der anwendbaren ordre public-­Vorschrift besteht. Insgesamt trägt Art.  7 der Prager Regeln gefährliche Vereinfachungen in sich, die dem Problem der Rechtsermittlung in Schiedsverfahren nicht gerecht wer­ den. In der Praxis sollte davon Abstand genommen werden, sich an dieser Regel zu orientieren oder sie gar in einem Schiedsverfahren zu vereinbaren. 5. Zusammenfassende Würdigung Das Ermessen verknüpft die schiedsrichterliche Rechtskenntnis mit der Rechts­ ermittlungsbefugnis. Der in der Rechtsgeschichte und der Rechtsvergleichung hervorgetretene Zusammenhang zwischen der Beweisbedürftigkeit von Recht und der richterlichen Rechtskenntnis setzt sich auf diesem Wege in der Schieds­ gerichtsbarkeit fort. Gleichzeitig ermöglicht das Ermessen es, den Besonderhei­ ten des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Die schiedsrichterliche Rechtskenntnis ist schließlich nicht einheitlich verteilt, sondern unterscheidet sich von Schieds­ richter zu Schiedsrichter. Im Grundsatz ist das schiedsrichterliche Rechtsermittlungsermessen weit. Diese Weite ist Ausdruck und Folge der schiedsverfahrensrechtlichen Flexibili­ tät. Zugleich ist das Ermessen aber nicht unstrukturiert, sondern unterliegt sei­ nerseits dem Maßstab der Zweckmäßigkeit. Für Schiedsrichter empfiehlt es sich, die Erwartungen von Parteien, Schiedsinstitutionen und staatlichen Gerichten zu berücksichtigen und besondere Benennungsgründe in die Ermessensausübung einzustellen. Die Bestellung von Schiedsrichtern erfolgt nicht willkürlich, son­ dern ist ihrerseits Ergebnis eines sorgfältigen Auswahlverfahrens. Es ist also ge­ rade kein Zufall, wenn ein Schiedsrichter über ein juristisches Studium, Kennt­ nisse des anwendbaren Rechts oder sogar einschlägiges Sonderwissen verfügt. Verhält ein Schiedsrichter sich im Einklang mit den an ihn gestellten Erwar­ tungen und bringt er seine Rechtskenntnisse in das Verfahren ein, so wirkt sich 714  Art.  7.2. der Prager Regeln lautet auszugsweise: „if they relate to legal provisions plea­ ded by the parties“.

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sein rechtskultureller Hintergrund unweigerlich auf den Vorgang der Rechts­ ermittlung aus. Folgerichtig wird es ein deutscher Schiedsrichter in Übereinstim­ mung mit seiner juristischen Ausbildung als selbstverständlich erachten, das deutsche Recht eigenständig zu recherchieren. Ein amerikanischer Schiedsrich­ ter wird hingegen mit Blick auf das amerikanische Recht zurückhaltender sein. Diese Unterschiede erstrecken sich auch auf das Recht, das den Schiedsrichtern unbekannt ist. Schlussendlich ist die Rechtsermittlungsvielfalt keine Schwäche der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern vielmehr Ausdruck ihrer internationalen Grundstruktur. Eine aktive oder passive schiedsrichterliche Rechtsermittlung kann je nach Perspektive als ein Vorteil oder ein Nachteil erscheinen. Es sollte deshalb in den Händen der auswählenden Parteien liegen, die Arbeitsverteilung über die Benennung eines Schiedsrichters zu beeinflussen. Auf diesem Wege setzt sich der Grundsatz der Parteiautonomie in der Rechtsermittlung fort. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Weite des Ermessens kommt eine Ermessensverdichtung folgerichtig nur in Ausnahmefällen in Betracht. Fehler­ hafter oder fehlender Rechtsvortrag begründen also grundsätzlich keine Pflicht des Schiedsgerichts, das Recht für die Parteien zu ermitteln. Das ist die zwingen­ de Folge des Zusammenspiels zwischen der Befugnis, der Pflicht und dem Er­ messen. Schließlich setzt das schiedsrichterliche Ermessen gedanklich die Ab­ wesenheit einer Pflicht voraus. Umgekehrt muss aber ebenso gelten, dass das Schiedsgericht bei Bestehen einer Pflicht die Rechtslage eigenständig ermitteln muss; dies gilt auch und vor allem dann, wenn die Rechtsermittlungspflicht aus strukturellen Gründen nicht durchsetzbar ist. Ansonsten würde man die Rechts­ geltung in Schiedsverfahren und damit die funktionale Äquivalenz von Schieds­ verfahren und staatlichen Gerichtsverfahren ganz grundsätzlich in Frage stellen. Sofern das Schiedsgericht Rechtsquellen heranzieht, die von den Parteien übersehen wurden, erhebt sich die Frage nach der Gewähr rechtlichen Gehörs. Dabei ist festzuhalten, dass eine allumfassende Gehörsgewähr gerade nicht zweckmäßig ist. Vielmehr hat das Schiedsgericht im Einzelfall das anwendbare Recht auf die Reichweite des Gehörsanspruchs hin zu überprüfen. Jedenfalls bei Anwendung einer von den Parteien verkannten Rechtsordnung, Anspruchs­ grundlage, Einwendung oder Vertragsklausel erscheint es als zweckmäßige Faustregel, rechtliches Gehör einzuräumen. Neben diesen Hinweissituationen gibt es aber auch zahlreiche Fälle, in denen ein Hinweis aus Zeit- und Kosten­ gründen gerade nicht geboten erscheint. Letztlich gilt: Je weniger bedeutsam ein rechtliches Argument für die Entscheidung eines Rechtsstreits ist, desto eher kann auf einen Hinweis verzichtet werden. An soft law-Instrumenten dürfen die Schiedsrichter sich bei ihrer Ermessens­ ausübung grundsätzlich orientieren. Allerdings sind sowohl die Prager Regeln als auch die ILA-Prinzipien nicht ohne Fallstricke. So weisen die Prager Regeln

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

die Endverantwortung für die Rechtsermittlung den Parteien zu und beseitigen zudem die Rechtsermittlungsbefugnis für zahlreiche Fälle. Dadurch wird den Parteien ein Bärendienst erwiesen, weil diese sich gerade ein effizientes Schieds­ verfahren wünschen. Die ILA-Prinzipien legen sich hingegen in der Frage der Endverantwortung nicht fest und helfen Schiedsrichtern insoweit nicht weiter. Abgesehen davon enthalten sie zweifelhafte Aussagen zur Aufgabenverteilung sowie zur schiedsrichterlichen Rechtseinbringung, die ihrerseits nicht für alle Schiedsverfahren passen und sogar die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs ge­ fährden können. Insgesamt dienen die soft law-Instrumente folglich lediglich als Einstieg in das Thema, entbinden des Schiedsgericht aber nicht von der sorgfäl­ tigen Prüfung des anwendbaren Rechts sowie der eigenständigen Gewichtung und Beurteilung der ermessensleitenden Belange.

D. Parteien Nach allem lesen sich die Worte von Oestmann zur Rechtsanwendung im Alten Reich wie eine Beschreibung der Zustände in der internationalen Schiedsge­ richtsbarkeit: „Rechtsvielfalt führt leicht zu unstabilem Recht und zu Rechtsunsicherheit. […] Diese Unsi­ cherheit eröffnete den Anwälten einerseits große Spielräume, zwang sie andererseits aber zu Vorsichtsmaßnahmen. […] Da die Anwälte nicht wissen konnten, ob das Gericht die Entschei­ dungsnorm von Amts wegen ermitteln würde, bot es sich an, die der eigenen Partei günstigen Rechtsnormen ausdrücklich vorzutragen.“715

Angesichts des weiten schiedsrichterlichen Rechtsermittlungsermessens lässt sich auch in internationalen Schiedsverfahren nicht vorhersehen, ob und inwie­ weit die Mitglieder des Schiedsgerichts den Inhalt des anwendbaren Rechts selbst ermitteln werden. Außerdem kann es wegen der zahlreichen anwendbaren Rechtsquellen sowie der Relativität der schiedsrichterlichen Rechtskenntnis durchaus dazu kommen, dass den Schiedsrichtern der Inhalt des anwendbaren Rechts jedenfalls teilweise fremd ist. Gleichzeitig ist der Schiedsspruch endgül­ tig und kann im Normalfall nicht wirkungsvoll in einer zweiten Instanz angegrif­ fen werden. Den Parteien bleibt also nur, die Risiken im Zusammenhang mit der schieds­ richterlichen Rechtsermittlung zu reduzieren. Dies kann entweder im Wege des „Rechtsbeweises“ oder über die Verfahrensgestaltung gelingen. Das Wort „Rechts­beweis“ ist dabei untechnisch zu verstehen; es geht darum, dass die Par­ teien aus praktischen und strategischen Gründen regelmäßig die „burden of 715 

Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht (2002), S.  683.

D. Parteien

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education“ tragen.716 Bisweilen wird in der schiedsverfahrensrechtlichen Litera­ tur deshalb davon ausgegangen, dass der Grundsatz nicht iura novit curia, son­ dern iura noverunt partes lauten müsse.717 In einem ersten Schritt wird auf den Rechtsbeweis und in einem zweiten auf mögliche Gestaltungen eingegangen.

I. Rechtsbeweis Im Zusammenhang mit Tatsachen wird ein Beweis erforderlich, weil das Gericht bei dem streitgegenständlichen Geschehen nicht dabei war.718 Aus Sicht des Ge­ richts ist es deshalb unsicher, ob die Sachverhaltsschilderung des Klägers oder diejenige des Beklagten zutreffend ist. Bei Rechtsfragen handelt es sich hinge­ gen nicht um Tatsachen, sondern um Sollensanordnungen. Dieser Unterschei­ dung kommt auch in Schiedsverfahren Gültigkeit zu. Obschon es daher grund­ sätzlich weder eine förmliche Rechtsbeweislast noch ein non liquet in Rechtsfra­ gen geben kann, bestehen doch gewisse Strukturähnlichkeiten zwischen der Überzeugungsbildung bei Tatsachen einerseits und Rechtsfragen andererseits.719 Das Schiedsgericht kann sich über die Existenz, die Geltung und den Inhalt des anwendbaren Rechts ebenso unsicher sein wie über den Ablauf eines bestimmten Lebenssachverhalts. Darin zeigt sich eine weitere Parallele zur Rechtsgeschich­ te, weil es im gemeinen Recht durchaus erforderlich war, das Recht zu bewei­ sen.720 Die Feststellung des Rechtsinhalts ist deshalb zwar keine beweisrechtli­ che Frage im engeren Sinne, lässt sich aber aus anwaltlicher Sicht durchaus in beweisrechtlichen Kategorien denken.721 Ob die Parteien das Recht überhaupt vortragen müssen, kann als Frage nach der „Rechtsvortragslast“ umschrieben werden.722 Die Antwort darauf hängt mit Kurkela, 21 ASA Bulletin 486 (2003). Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 344. Ähnlich Kellerhals/Berger, FS Wiegand (2005), S.  387, 405: „Iura novit advocatus“. 718 Zu den Grundlagen statt aller Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  50–56 sowie zum Schiedsverfahrensrecht Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44 mit Fn.  35. 719 Treffend Braun, Zivilprozessrecht (2014), S.  54–55. Vertiefend zu den rechtshistori­ schen Grundlagen Zweiter Teil, 1. Kapitel, D. 720  Zweiter Teil, 1. Kapitel, B. I. 3. 721  Tatsächlich gehen gerade common law-Juristen wie selbstverständlich im schiedsver­ fahrensrechtlichen Kontext von einem „proof of applicable law“ aus, s. statt aller Capper/ Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44. 722  Kaufmann-Kohler meint, es habe sich bereits eine transnationale Regel herausgebildet, wonach die Parteien den Inhalt des anwendbaren Rechts vortragen müssten, s. Kaufmann-­ Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). Dagegen spricht jedoch, dass sich aus der praktischen Häufigkeit von Rechtsausführungen gerade kein Schluss auf das prozessuale Sollen der Par­ 716 Begriffsbildend 717 

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

dem anwendbaren Recht sowie der Rechtskenntnis der Schiedsrichter zusam­ men.723 Das „Rechtsvortragsmaß“ kennzeichnet hingegen den Grad der schieds­ richterlichen Gewissheit, der erreicht sein muss, damit der Nachweis des Rechts­ inhalts gelingt. Diese Definition erfolgt in Anlehnung an die ständige Rechtspre­ chung des Bundesgerichtshofs zum Beweismaß in deutschen Zivilverfahren.724 Aus Sicht der Parteien kommt es außerdem darauf an, auf welchem Wege sie das Schiedsgericht von einem bestimmten Rechtsinhalt überzeugen können.725 Die damit im Zusammenhang stehenden Fragen lassen sich unter dem Schlagwort der „Rechtsvortragsmittel“ sammeln und beantworten.726 1. Rechtsvortragslast In rechtstechnischer Hinsicht steht die Rechtsvortragslast in einem Wechselwir­ kungsverhältnis zu der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungspflicht.727 Auf Rechtsausführungen der Parteien kann nur verzichtet werden, wenn das Schieds­ gericht seinerseits zur eigenständigen Ermittlung der Rechtslage verpflichtet ist. Besteht eine solche Pflicht nicht, so darf das Schiedsgericht über selbsttätige Rechtsermittlungen nach seinem Ermessen frei entscheiden. Dieses Ermessen verdichtet sich bei fehlenden Rechtsausführungen der Parteien nicht per se zu einer Rechtsermittlungspflicht.728 Daraus folgt für die Parteien, dass sie bei Vor­ liegen eines Rechtsermittlungsermessens jedenfalls faktisch zum Recht vortra­ gen werden.729 Dazu passend sieht eine Reihe von institutionellen Schiedsregeln ausdrücklich vor, dass die Schriftsätze Ausführungen zur Rechtslage enthalten sollten.730 teien ableiten lässt, s. ausführlich zum Ganzen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 4. a) bb) sowie Kur­kela, 21 ASA Bulletin 486 (2003). 723  Dementsprechend differenziert Kaufmann-Kohler in ihren Vorschlägen zur Prozessstra­ tegie vor allem nach der Rechtskenntnis der Schiedsrichter, s. Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 637 (2005). 724  Zuletzt etwa BGH, Urteil v. 06.05.2015, Az. VIII ZR 161/14, Rn.  11, NJW 2015, 2111, 2112. 725 Ausführlich zu einigen verknüpften Fragen Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  45–54. 726 Anders als in staatlichen Gerichtsverfahren besteht in Schiedsverfahren grundsätzlich keine Bindung an vorgegebene Beweismittel, s. Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1042 ZPO, Rn.  118. 727 Ebenso Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 341. 728  Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 2. b). 729 Grundlegend Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 494–496 (2003). Ebenso Kaufmann-­ Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). 730  Art.  4.3 lit.  h) ICC-Schiedsregeln; Art.  3.1. lit.  i) SRIA-Schiedsregeln; Art.  16.2. lit.  d) HKIAC-Schiedsregeln sowie Art.  29.1. lit.  ii) SCC-Schiedsregeln. Ausführlich zu den Anfor­ derungen an Schriftsätze Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. a) bb).

D. Parteien

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Wenngleich es sich bei solchen Vorschriften bisweilen nur um Ordnungsvor­ schriften handeln mag, wirkt ihre bloße Existenz sich praktisch auf die schieds­ richterliche Ermessensausübung aus.731 Es fällt regelmäßig leichter, eine Klage abzuweisen oder eine Einwendung zu verwerfen, wenn sich aus dem anwend­ baren Recht ein Rechtsvortragserfordernis ableiten lässt und eine Seite diesem Erfordernis nicht nachkommt. Umgekehrt besteht aber auch ein Risiko für die Parteien, wenn das anwendba­ re Recht ausdrücklich keine Rechtsausführungen vorschreibt.732 Selbst in die­ sem Fall kann es nicht als gesichert gelten, dass Schiedsrichter das Recht eigen­ ständig ermitteln werden. Schließlich lässt sich die Beachtung einer etwaigen Rechtsermittlungspflicht nicht mit schneidigen Sanktionen durchsetzen. Es liegt deshalb vornehmlich am Amtsethos der Schiedsrichter, ob sie ihrer Rechtsermitt­ lungspflicht in der Praxis nachkommen. Gleichzeitig ist das Rechtsermittlungs­ verhalten der Schiedsrichter aus Parteisicht kaum vorhersehbar. Dieses Vorher­ sehbarkeitsproblem wird dadurch verschärft, dass im Hintergrund stets die Ge­ fahr eines fehlerhaften, aber unaufhebbaren Schiedsspruchs lauert.733 Insgesamt besteht also ein praktischer Zwang, das Schiedsgericht mit Rechts­ ausführungen über den Inhalt des anwendbaren Rechts zu informieren. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine echte Rechtsvortragslast, weil das Schiedsge­ richt das Recht nach seinem Ermessen auch dann selbst ermitteln darf, wenn es an Rechtsausführungen gänzlich fehlt.734 Eine Partei bleibt folglich nicht rechts­ vortragsfällig, wenn sie auf Rechtsausführungen verzichtet.735 Allerdings erhöht ein derartiger Verzicht das Risiko, dass einschlägige Rechtsquellen im Schieds­ spruch außer Betracht bleiben. Insoweit ist die Notwendigkeit von Rechtsvortrag vor allem eine Pflicht gegen die Partei selbst und kann folglich als Obliegenheit beschrieben werden.736 731  Es kommt hinzu, dass in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur vielmals von der Existenz einer Rechtsvortragspflicht ausgegangen wird, s. Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 342–343. 732 Ebenso Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 342. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits faktenlastig ist, s. Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 30. 733  Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 495 (2003). 734  Kurkela spricht zwar von einer „burden“, bejaht aber gleichzeitig eine „secondary duty“ des Schiedsgerichts, wonach es die Rechtsausführungen der Parteien überprüfen und notfalls ergänzen müsse, Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 496 (2003). 735 Anders Lörcher und Bauerschmidt, die von einer primären Darlegungslast ausgehen, Lörcher/Bauerschmidt, FS Elsing (2015), S.  317, 342. 736 Treffend Kurkela, 21 ASA Bulletin 486, 494 (2003): „A party that relies entirely on jura novit curia and leaves it to the Tribunal to establish the law and draw the proper conclusions is running risks. To avoid such risks, the Parties should participate, in their own interest, in the education of the Arbitral Tribunal.“

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Abgesehen von den prozessualen Obliegenheiten der Parteien ist zu sehen, dass zwischen den Parteien und ihren Rechtsvertretern ein Anwaltsvertrag besteht. Gegenstand dieses Vertrages ist die umfassende Vertretung der rechtlichen Inter­ essen in einem Schiedsverfahren. In Übereinstimmung mit dem jeweils anwend­ baren Recht wird dazu regelmäßig gehören, die für die Mandantschaft vorteilhaf­ ten Rechtsquellen in das Verfahren einzuführen sowie deren Inhalt nachzuweisen. Verletzt ein Rechtsanwalt diese Pflicht, so droht eine Schadensersatzhaftung.737 Aus anwaltlicher Sicht ist folglich nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen Gründen geboten, Recherchen und Ausführungen zur Rechtslage vorzunehmen.738 2. Rechtsvortragsmaß Es bestehen keine Zweifel, dass die Feststellung des Rechtsinhalts der Kernbe­ reich der schiedsrichterlichen Entscheidungstätigkeit ist. Das Schiedsgericht ist deshalb in der Würdigung der rechtlichen Argumente frei und sollte den Partei­ vortrag nicht an einem vorgefertigten Rechtsvortragsmaß messen.739 Für den Rechtsinhalt findet also weder der amerikanische Standard der „preponderance of the evidence“ noch das deutsche Regelbeweismaß der „vollen Überzeugungs­ bildung“ Anwendung.740 Rein praktisch darf das Fehlen eines Rechtsvortragsmaßes jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass sich Rechts- und Tatsachenfragen bisweilen nur schwierig trennen lassen.741 Das zeigt sich besonders deutlich an der Existenz und der Geltung von Rechtsvorschriften.742 So stellen sich etwa komplexe Ab­ grenzungsfragen, wenn es um Handelsbräuche und Handelsgewohnheitsrecht 737  Bislang kreist die schiedsverfahrensrechtliche Diskussion nahezu ausschließlich um die Rechte und Pflichte der Schiedsrichter, s. statt aller Born, International Commercial Arbitra­ tion, Band  2, 2.  Aufl. 2014, S.  1962–2050. In der Rechtsprechung sind aber durchaus Fälle bekannt geworden, in denen Haftungsansprüche aus dem Anwaltsvertrag geltend gemacht wur­ den, s. exemplarisch OLG Frankfurt, Urteil v. 05.05.2009, Az.  14 U 113/08, Rn.  35–37, Beck­ RS 2010, 17173. 738  Dadurch wird die schwierige Frage aufgeworfen, wie der Haftungsmaßstab zu bestim­ men ist, wenn die Parteivertreter den Inhalt des anwendbaren Rechts selbst nicht kennen; s. allgemein zu diesem praxisrelevanten Problem Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44–46. 739  In eine andere Richtung wohl Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44. 740 Grundlegend zum Beweismaß in Schiedsverfahren Kreindler, FS Elsing (2015), S.  277–291, der sich aber mit dem Rechtsvortragsmaß nicht befasst. 741  Landolt, 28 Arb. Int’l 173, 220–222 (2012) will Initiativen in Bezug auf Rechts- und Tatsachenfragen grundsätzlich gleichbehandeln. 742  In der Rechtsgeschichte war es ebenfalls über weite Strecken erforderlich, die Existenz und Geltung von Recht nachzuweisen, s. etwa zum römischen Recht Zweiter Teil, 1. Kapitel, A. I. sowie zum gemeinen Recht Zweiter Teil, 1. Kapitel, B. I. 3.

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geht.743 Diese Abgrenzungsfragen enden aber nicht im Bereich des Gewohn­ heitsrechts, sondern können staatliche Rechtsvorschriften ebenso erfassen. Dem­ entsprechend mag etwa die Verkündung einer Rechtsvorschrift oder sogar das Vorhandensein von Staatsgewalt in einem bestimmten Gebiet durchaus zweifel­ haft sein.744 Abgesehen von diesen Schwierigkeiten sollten die Parteien sich grundsätzlich mit dem Vorgang der schiedsrichterlichen Rechtsüberzeugungsbildung ausein­ andersetzen. Dieser Vorgang hängt mit der Rechtskenntnis des Schiedsrichters, seinem rechtskulturellen Hintergrund sowie der Schwierigkeit der aufgeworfe­ nen Rechtsfragen zusammen. Je geringer die Rechtskenntnisse eines Schieds­ richters im anwendbaren Recht ausfallen, desto gründlicher und eingänglicher sollten die Parteien ihre schriftsätzlichen und mündlichen Rechtsausführungen gestalten.745 Daneben spielt es eine nicht unbedeutende Rolle, ob der Schieds­ richter sein Rechtsermittlungsermessen wahrscheinlich ausüben wird. Ist dies der Fall, so kann unter Umständen mit Rechtsvortrag gespart werden.746 Gerade bei besonders schwierigen Rechtsfragen sollten die Parteien außerdem kein Risi­ ko eingehen, sondern die entscheidenden rechtlichen Weichenstellungen für das Schiedsgericht herausarbeiten. Insgesamt ist der Grad der schiedsrichterlichen Gewissheit, der erreicht sein muss, damit der Nachweis des Rechtsinhalts gelingt, vom Einzelfall abhängig. Auf diese Unsicherheit können die Parteien reagieren, indem sie die Rechts­ kenntnis der Schiedsrichter sowie ihre Einstellung zu Rechtsermittlungen sorg­ fältig analysieren und sodann ihre Rechtsausführungen an den Ergebnissen die­ ser Analyse ausrichten. 3. Rechtsvortragsmittel Grundsätzlich sind die Parteien frei darin, auf welche Art und Weise sie das Schiedsgericht von der eigenen Rechtsmeinung überzeugen wollen.747 Als mög­ 743  Rechtsvergleichend zum deutschen Recht Zweiter Teil, 2. Kapitel, A. I. 3. sowie zu vergleichbaren Problemlagen im amerikanischen Recht Zweiter Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. c) und d). 744  Schwierigkeiten können etwa bei Bürgerkriegen, failed states oder wegen der Annexion von Gebieten entstehen, s. exemplarisch zu einigen Fragen im Zusammenhang mit der Staats­ gewalt BVerwG, Urteil v. 20.02.2001, Az.  9 C 20/00, Rn.  19, BVerwGE 114, 16, 23–24. 745  In diese Richtung auch Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 637–638 (2005). Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 31 empfiehlt hingegen schlichtweg in jedem Fall, umfassend zum Recht vorzutragen,. 746 Treffend Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 637 (2005): „But one should not file a legal opinion in an arbitration where the Chair comes from a country in which he or she expects to have control over the law and is an authority in the field.“ 747  Zum Ganzen Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44–48.

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liche Rechtsvortragsmittel kommen insbesondere schriftliche oder mündliche Rechtsausführungen, die Vorlage von Dokumenten und Übersetzungen sowie die Einbeziehung von Rechtssachverständigen in Betracht.748 In der Sache besteht folglich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Art und Weise des Rechtsbewei­ ses mit den Beweismitteln bei streitigen Tatsachen.749 Schon auf den ersten Blick fällt dabei ins Gewicht, dass Schiedsverfahren we­ niger förmlich als staatliche Gerichtsverfahren ablaufen.750 Der aus dem deut­ schen Recht bekannten Unterscheidung zwischen Freibeweis- und Strengbe­ weisverfahren kommt grundsätzlich keine Bedeutung zu.751 Gleichzeitig greifen die amerikanischen Beweiserhebungsverbote in Schiedsverfahren nicht ein. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass im Umgang mit Rechtssachverständigen mehr Flexibilität herrscht.752 Dementsprechend können Sachverständige auch dann benannt werden, wenn dem Schiedsgericht der Inhalt des anwendbaren Rechts bereits bekannt ist. Darin liegt ein Unterschied zu nationalen Zivilverfahren, in denen der Sachverständigenbeweis zu Fragen des inländischen Rechts grund­ sätzlich unzulässig ist. Abgesehen davon stehen Schiedsrichter dem Rechtssachverständigenbeweis aber bisweilen kritisch gegenüber, weil sie ihn als nicht erforderlich ansehen.753 Gerade erfahrene Schiedsrichter stufen sich zum Teil selbst als die anerkanntes­ ten Rechtssachverständigen auf einem Gebiet ein. In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Parteiautonomie können sie die Parteien aber nicht an der Einrei­ chung von schriftlichen Rechtsgutachten oder der Benennung von Rechtssach­ verständigen hindern, wenn beide Parteien dies übereinstimmend wünschen.754 Allerdings ist die Nützlichkeit von sachverständigen Stellungnahmen in einem solchen Fall aus naheliegenden Gründen begrenzt.755 748 

Bei den Dokumenten kann es sich insbesondere um Gesetzestexte, Gerichtsentscheidun­ gen und Sekundärquellen handeln, s. Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 637 (2005). Die Vorlage ist dann besonders wichtig, wenn das Schiedsgericht aus praktischen Gründen keinen Zugriff auf entsprechende Dokumente hat. 749  Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 44. 750  Zu diesem Grundsatz Park, 19 Arb. Int’l 279 (2003). 751  Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.  Aufl. 2017, §  1042 ZPO, Rn.  118. 752  Vertiefend zum Umgang mit Rechtssachverständigen in Schiedsverfahren Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283 sowie Capper/Ljungström/Dépinay, 11th ICC Dossier (2014), S.  31, 46–51. 753  Statt aller Karrer, FS Elsing (2015) S.  211, 212–215. 754  Fehlt es an einem entsprechenden Einverständnis der Parteien, kann das Schiedsgericht das Verfahren sowie die Beweisaufnahme nach seinem Ermessen gestalten und die Einbezie­ hung von Rechtssachverständigen je nach den Umständen des Einzelfalles unterbinden, s. zum Ermessen etwa Art.  19 Abs.  2 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1042 Abs.  4 ZPO. 755  Karrer, FS Elsing (2015) S.  211, 214 rät dazu, schriftliche Sachverständigengutachten in bestimmten Konstellationen gar nicht erst zu lesen.

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Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Art und Umfang der Rechtsvor­ tragsmittel eingeschränkt werden können.756 Davon macht die Praxis durchaus Gebrauch, wenn es um Länge und Anzahl von Schriftsätzen sowie mündliche Rechtsausführungen geht. Auf diesem Wege können Dauer und Kosten des Schiedsverfahrens effektiv reduziert werden.757

II. Gestaltungsmöglichkeiten Nach allem ranken sich zahlreiche Unsicherheiten um die Beweisbedürftigkeit von Recht in internationalen Schiedsverfahren. Aus Sicht der Parteien ist es rat­ sam, sich mit dem Problem bewusst auseinanderzusetzen.758 Nur auf diesem Weg ist es möglich, Überraschungen im Verfahrensverlauf und bei der Lektüre des Schiedsspruchs weitestgehend zu vermeiden.759 Im Ausgangspunkt liegt es in den Händen der Parteien, den Vorgang der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung vertraglich auszuformen. Dies kann ent­ weder über die Gestaltung der Schiedsklausel oder im Rahmen einer Verfahrens­ vereinbarung zu Beginn des Schiedsverfahrens geschehen. So können die Partei­ en sich darauf einigen, ausdrückliche Vorgaben zu den schiedsrichterlichen Be­ fugnissen, Pflichten sowie zur Ausübung des Ermessens zu machen.760 Die Art und Weise der Rechtsermittlung lässt sich darüber hinaus über die Wahl institu­ tioneller Schiedsregeln sowie des anwendbaren Schiedsverfahrensrechts beein­ flussen. Die prozessualen Vorschriften enthalten schließlich gewisse Vorgaben für die Gestaltung von Schriftsätzen und unter Umständen sogar zur Ermittlung des anwendbaren Rechts.761 Abgesehen von diesen direkten Gestaltungsmög­ 756  Diese Befugnis ist Ausfluss des allgemeinen schiedsrichterlichen Ermessens, Art.  19 Abs.  2 UNCITRAL-Modellgesetz; §  1042 Abs.  4 ZPO. 757  Nach der Dokumentenvorlage sind Rechtsausführungen der am zweithäufigsten ge­ nannte Faktor, der zur Verzögerung von Schiedsverfahren führt, Queen Mary Survey 2010, S.  32 mit Chart 30. 758 Ebenso Alberti, FS Bergsten (2011), S.  3, 31 sowie Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). 759  Die Überraschung kann sich nicht nur daraus ergeben, dass die Schiedsrichter das Recht selbst ermitteln, sondern auch daraus, dass sie die rechtlichen Probleme des anwendbaren Rechts anders als die Parteien verstehen, s. Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on Interna­ tional Arbitration 2016, S.  101, 115–116. 760  Waincymer, 28 J. Int’l Arb. 201, 228 (2011) weist zu Recht darauf hin, dass eine Eini­ gung der Parteien regelmäßig eine abschließende Lösung darstellt. Anders Isele, 13 Int. A.L.R. 14, 25 (2010), die einen Ausschluss der Rechtsermittlungsbefugnis als unzulässig ansieht. Wei­ terführend zum Ausschluss der Rechtsermittlungsbefugnis Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. I. 1. c). 761  Exemplarisch Art.  6 Abs.  2 PCC-Schiedsregeln: „An award may not be based on legal grounds different from those relied on by either of the parties, unless the Arbitral Tribunal no­ tifies the parties in advance and gives them an opportunity to be heard concerning such legal

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lichkeiten wird die schiedsrichterliche Rechtsermittlung aber vor allem über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts gesteuert. In einem ersten Schritt wird eine Musterklausel vorgestellt und dann auf die Wahl des anwendbaren Rechts sowie die Schiedsrichterbenennung eingegangen. 1. Vereinbarung Im Ausgangspunkt ist darüber nachzudenken, die Struktur der schiedsrichter­ lichen Rechtsermittlung in der Schiedsklausel oder im Rahmen einer case management conference festzulegen.762 In manchen Verfahrensordnungen kann eine solche Vereinbarung außerdem in den terms of reference niedergelegt wer­ den.763 Die damit verbundene Rechtssicherheit vermag die Verfahrenskosten zu senken und gleichzeitig die Vorhersehbarkeit der Rechtsermittlung zu erhöhen. Außerdem wird durch eine vorausschauende Regelung das Risiko vermieden, dass die Parteien sich im Laufe des Schiedsverfahrens nicht mehr auf die Art und Weise der Rechtsermittlung einigen können oder wollen. Als Regelungsgrundlage kann folgende Musterklausel dienen: „Die Mitglieder des Schiedsgerichts sind befugt, den Inhalt des anwendbaren Rechts eigenstän­ dig zu ermitteln. In ihrer Tätigkeit sind sie nicht auf die Rechtsausführungen der Parteien be­ schränkt. Bei der Entscheidung über die Gewähr von rechtlichem Gehör in Rechtsfragen sollte das Schiedsgericht sich an den berechtigten Erwartungen der Parteien sowie den Faktoren Zeit und Kosten orientieren.“764

Mit dieser Klausel stellen die Parteien klar, dass die Schiedsrichter zu eigenstän­ digen Rechtsermittlungen befugt sind. Dadurch werden Diskussionen um die Reichweite des Schiedsgegenstands und die Neutralität des Schiedsgerichts von vornherein verhindert. Gleichzeitig beugt die Klausel einer due process paranoia grounds.“ Inhaltlich vergleichbar Art.  22.1 lit.  iii) LCIA-Schiedsregeln; Art.  27 lit.  m) SIAC-­ Schiedsregeln. 762 Vertiefend Loizou, 78 La. L. Rev. 811 (2018). 763  Insbesondere Art.  23 ICC-Schiedsregeln. 764 Bedenkenswert Loizou, 78 La. L. Rev. 811, 783 (2018): „1. The Parties shall establish the content of the rules applicable to the merits of the dispute. 2. The Arbitral Tribunal shall have the power to establish the content of the applicable rules on its own motion. 3. The Arbi­ tral Tribunal shall be required to establish the content of the applicable rules when the (non-) application of certain rules could jeopardize the enforceability of the arbitral award. 4. If the Arbitral Tribunal exercises its power under paras. 2 or 3, the parties shall be afforded the op­ portunity to make further legal submissions.“ In eine ähnliche Richtung Öhlberger/Pinkston, Austrian Yearbook on International Arbitration 2016, S.  101, 113–114: „The parties acknow­ ledge and agree that the arbitrator may raise points of law and fact on his or her own ini­tiative with the parties at any time and this will not constitute a basis for a party to claim that an arbi­ trator has acted impartially. Any view expressed by an arbitrator is provisional until the issuan­ ce of a final award.“

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vor, weil nicht in jedem Fall rechtliches Gehör gewährt werden muss.765 Insge­ samt ist die Klausel bewusst kurz gehalten, um die Flexibilität des schiedsge­ richtlichen Verfahrens nicht unangemessen zu beeinträchtigen. In Übereinstimmung mit dem Flexibilitätsgrundsatz sollte aber ganz grund­ sätzlich abgewogen werden, ob der Vorgang der Rechtsermittlung geregelt wer­ den soll. Diese Abwägung sollte nach Möglichkeit von den Parteien selbst ge­ troffen werden.766 Aus Sicht der Parteien ist deshalb Vorsicht geboten, wenn das Schiedsgericht eine Klausel vorschlägt, in der es seine eigene Rechtsermittlungs­ pflicht abbedingt. Neben Vorteilen kann eine schriftliche Regelung außerdem zu erheblichen Praxisproblemen führen. Dies zeigt sich be­sonders deutlich an Art.  7 der Prager Regeln.767 Jede ausdrücklich getroffene Regelung ist eine Verfahrens­ vereinbarung, die ihrerseits zu ungewollten und kostspieligen Diskussionen im Vollstreckungsstadium führen kann. Die richtige Entscheidung wird es deshalb oft sein, auf eine pflichtgemäße Ermessensausübung der Schiedsrichter zu ver­ trauen und auf eine ausdrückliche Regelung zu verzichten. Letztlich liegt der Preis jeder Form der Verfahrensregulierung darin, den eigentlichen Flexibilitäts­ vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit zu verspielen.768 In jedem Fall muss davor gewarnt werden, die Existenz einer Rechtsermitt­ lungspflicht per vertraglicher Vereinbarung auszuschließen.769 Es ist nicht emp­ fehlenswert, die Aufgabenverteilung zwischen Schiedsgericht und Parteien ab­ strakt und für alle Streitfälle einheitlich vorzubestimmen. Abgesehen davon ver­ führt ein vertraglicher Ausschluss Schiedsrichter unter Umständen dazu, von ihrer Rechtsermittlungsbefugnis keinen Gebrauch zu machen.770 Das würde sich nicht nur nachteilig auf die Qualität des Schiedsspruchs auswirken, sondern im Extremfall auch seine Vollstreckbarkeit gefährden. Umgekehrt sollten die Parteien aber auch Vorsicht walten lassen, bevor sie vertraglich eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht vereinbaren. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass die Aufnahme einer Pflicht unter Umständen 765  Weiterführend zum rechtlichen Gehör Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 3. sowie zum Pro­ blem der due process paranoia Berger/Jensen, 32 Arb. Int’l 415 (2016). 766  In eine andere Richtung aber Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005). 767  Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. 4. a). 768  Im Ergebnis anders Loizou, 78 La. L. Rev. 811, 874 (2018). 769  Anders allerdings Kaufmann-Kohler, 21 Arb. Int’l 631, 636 (2005): „The Parties shall establish the contents of the law applicable to the merits. The Arbitral Tribunal shall have the power, but not the obligation, to make its own inquiries to establish such contents. If the cont­ ents of the applicable law are not established, the Arbitral Tribunal is empowered to apply any rules of law which it deems appropriate.“ 770 Die Parallele zum amerikanischen Prozessrecht liegt auf der Hand, s. Zweiter Teil, 2. Kapitel, C. II. 1. Dazu passend hat sich Kaufmann-Kohler bei der Formulierung ihres Klau­ selvorschlags am amerikanischen Recht orientiert.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs gefährdet.771 So könnte bei jedem Rechtsfehler eingewandt werden, dass dieser auf eine Nichtausübung der Rechts­ ermittlungspflicht zurückzuführen ist.772 Möchten die Parteien dennoch eine Rechtsermittlungspflicht in der Schieds­ klausel festschreiben, so könnte dies unter Verwendung der folgenden Formulie­ rung geschehen: „Die Mitglieder des Schiedsgerichts sind verpflichtet, den Inhalt des anwendbaren Rechts ei­ genständig zu ermitteln. Eine Verletzung dieser Pflicht ist nicht schon dann gegeben, wenn der Schiedsspruch rechtsfehlerhaft ist. Vielmehr muss der Nachweis geführt werden, dass zumut­ bare Rechtsermittlungen vorsätzlich unterblieben sind.“

2. Anwendbares Recht Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der Praxis wird es nicht immer gelin­ gen, eine ausdrückliche Vereinbarung über den Vorgang der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung zu treffen. Die Schiedsklausel wird nicht umsonst als cham­ pagne clause oder midnight clause bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, dass die Parteien sich bei der Verhandlung von Verträgen regelmäßig mit wichtigeren Fragen als der Art und Weise der schiedsrichter­ lichen Rechtsermittlung befassen. In der Regel entscheiden Parteien sich deshalb für Standardklauseln, die keine Aussage zur Rechtsermittlung treffen. Eine gewisse Weichenstellung können die Parteien aber schon dadurch festle­ gen, dass sie sich für eine bestimmte Kombination aus institutionellen Schieds­ regeln und nationalem Schiedsverfahrensrecht entscheiden.773 So ist es nach den DIS-Schiedsregeln sowie der deutschen Zivilprozessordnung nicht erforderlich, die Klageschrift mit Ausführungen zur Rechtslage zu versehen.774 Schiedsrich­ ter werden sich deshalb zu rechtlichen Recherchen eher als verpflichtet ansehen als unter Geltung von Schiedsregeln, in denen die Parteien zu Rechtsausführun­ gen verpflichtet sind. Außerdem kann die Schiedsinstitution über eine gewisse Praxis im Umgang mit schiedsrichterlichen Recherchen verfügen. So weist etwa die ICC neue schiedsrichterliche Rechtsermittlungen im Rahmen des scrutiny-­

771 Allgemein zu dieser Gefahr Alberti/Bigge, 70(2) Dispute Resolution Journal 1, 9–10 (2015). 772  Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. b) cc) m. w. N. 773  Weiterführend zu den Einzelheiten Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. II. 1. a) bb) sowie b). 774  §  5.2. DIS-Schiedsregeln; §  1046 Abs.  1 S.  1 ZPO. Anlässlich der Überarbeitung der DIS-Schiedsregeln im Jahre 2018 wurde geändert, dass die Angabe der in der Sache anzuwen­ den Rechtsregeln nun verpflichtend ist; damit ist allerdings nur gemeint, dass der Kläger das anwendbare Recht bezeichnet. Eine solche Regelung war in Art.  6.3. Abs.  3 DIS-Schiedsregeln 1998 lediglich als Soll-Vorschrift enthalten.

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Verfahrens an das Schiedsgericht zurück, sofern kein rechtliches Gehör gewährt wurde.775 Mittelbar wirkt sich außerdem die Wahl des anwendbaren Sachrechts auf den Vorgang der Rechtsermittlung aus. Zwar handelt es sich bei der Frage nach der Rechtsermittlung um eine prozessuale Frage, die auf den ersten Blick vom ge­ wählten Sachrecht unabhängig ist. Die Entscheidung für ein bestimmtes Sach­ recht beeinflusst allerdings unweigerlich auch die Besetzung des Schiedsgerichts und damit letztlich den Vorgang der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung.776 3. Schiedsrichterbenennung Die schiedsrichterliche Rechtskenntnis wirkt sich unmittelbar auf die Beweis­ bedürftigkeit von Recht aus. Strategisch können die Parteien den Vorgang der Rechtsermittlung deshalb wirkungsvoll über die Schiedsrichterbenennung steu­ ern. Möchte eine Partei eigenständige Rechtsermittlungen des Schiedsgerichts be­ günstigen, so sollte sie einen studierten Juristen als Schiedsrichter auswählen, der über Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügt. Sofern ein Rechtsexperte im Schiedsgericht sitzt, wird dies regelmäßig den Vorgang der Rechtsermittlung ins­ gesamt beeinflussen. Schließlich wird der Rechtsexperte seine Rechtskenntnisse im Regelfall einsetzen und entsprechend auf die anderen Mitglieder des Schieds­ gerichts einwirken.777 Für die andere Seite kann es sich daher anbieten, ebenfalls einen Kenner des anwendbaren Rechts zu benennen, um innerhalb des Schieds­ gerichts kein Rechtskenntnisgefälle zu erzeugen.778 Umgekehrt können eigenständige schiedsrichterliche Rechtsermittlungen da­ durch verhindert werden, dass der Schiedsrichter die Sprache des anwendbaren Rechts nicht versteht. Ebenso effektiv dürfte es sein, einen Nichtjuristen als Schiedsrichter zu benennen. Außerdem kann die Wahl auf einen Schiedsrichter fallen, der über keinerlei Kenntnisse im anwendbaren Recht verfügt oder für seine Passivität bekannt ist. In allen Fällen liegt das Risiko einer derartigen Schiedsrichterbenennung aber darin, dass die andere Seite einen ausgewiesenen

775  Fry/Greenberg/Mazza, The Secretariat’s Guide to ICC Arbitration (2012), S.  225, Rn.  3–769. 776  Empirisch zum Einfluss des anwendbaren Rechts auf die Schiedsrichterauswahl Queen Mary Survey 2010, S.  26 mit Chart 19 sowie Queen Mary Survey 2013, S.  22. 777  Ausführlich zu den Gründen Zweiter Teil, 3. Kapitel, C. III. 1. c). 778  Die Folge eines derartigen Ungleichgewichts kann darin liegen, dass der rechtskundige Schiedsrichter gegenüber dem nicht rechtskundigen Vorsitzenden praktisch den Inhalt des an­ wendbaren Rechts festlegt, s. zu einem Beispiel Schütze, FS Böckstiegel (2001), S.  715, 722– 723.

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Zweiter Teil – 3. Kapitel: Schiedsverfahren

Rechtsexperten benennen kann, der dann erheblichen Einfluss auf den Vorsitzen­ den ausübt.779 Insgesamt stehen die Erwartungen der Parteien und das schiedsrichterliche Ermessen in einem Wechselwirkungsverhältnis. Die Parteien wählen einen Schiedsrichter gerade wegen seiner Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen aus. Gleichzeitig respektiert der Schiedsrichter die Erwartungen der Parteien, indem er in Übereinstimmung mit seiner Reputation handelt. Die Vorhersehbar­ keit der schiedsrichterlichen Rechtsermittlungstätigkeit ergibt sich also letztlich vor allem aus der Persönlichkeit des Schiedsrichters selbst. Die Wahl des Schiedsrichters ist nicht zuletzt deshalb auch im Zusammenhang mit der Rechts­ ermittlung die wohl wichtigste Entscheidung, die eine Partei im Rahmen des Schiedsverfahrens trifft.

E. Schiedsverfahrensrechtliche Ergebnisse Nach allem lohnt es sich, erneut auf die Worte von Lowenfeld zurückzukommen: „[I]nternational arbitration is not a mirror image of any given court or source of law, but a series of imperfect reflections and adaptations.“780

In staatlichen Gerichtsverfahren ist iura novit curia ein funktionierendes Ge­ samtkonzept, das in seiner Reinform die Richter zur eigenständigen Rechts­ ermittlung verpflichtet. Diese Pflicht wird von einer ausgeprägten richterlichen Freiheit im Umgang mit Rechtsfragen flankiert. Es ist folglich Teil des Gesamt­ konzepts, dass die Notwendigkeit rechtlichen Gehörs in Rechtsfragen einge­ schränkt ist. Schließlich sollen Richter eigenständige Recherchen nicht deshalb unterlassen, weil sie Angst vor einer Urteilsaufhebung haben. Die verfahrensrechtliche Imperfektion der internationalen Schiedsgerichtsbar­ keit spiegelt sich darin wider, dass sie strukturell eine Kompromisslösung dar­ stellt. Was eigentlich zusammengehört, wird auseinandergerissen oder modifi­ ziert. So gibt es zahlreiche Versuche, bereits die Befugnis zur eigenständigen Rechtsermittlung in internationalen Schiedsverfahren zu beschneiden. Angegrif­ fen wird insbesondere der Grundsatz, wonach die Parteien keinen Anspruch auf ein Rechtsgespräch haben. Darüber hinaus könne es eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht schon aus policy-Gesichtspunkten nicht geben. In je­ dem Fall fehle es einer Rechtsermittlungspflicht an der Durchsetzbarkeit. 779 

Dieses Ungleichgewicht kann durch die Einbeziehung von Rechtssachverständigen nur teilweise wieder ausgeglichen werden, s. dazu Pfeiffer, FS Leipold (2009), S.  283, 288–289. 780  Lowenfeld, 7 Mich. YB Int. Legal Stud. 163, 184 (1985).

E. Schiedsverfahrensrechtliche Ergebnisse

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Obschon diese Bedenken der Sache nach großteils nicht durchgreifen und teils sogar zum anwendbaren Recht in klaren Widerspruch treten, begründen sie den­ noch praxisrelevante Fehlanreize. Tatsächlich werden Schiedsrichter sich unter Umständen dazu hinreißen lassen, auf Rechtsermittlungen allein deshalb zu ver­ zichten, weil sie Probleme mit iura novit curia in Schiedsverfahren befürchten. Ein solches Verhalten kann jedoch fatale Folgen für die Qualität sowie die Voll­ streckbarkeit des Schiedsspruchs nach sich ziehen. Die eigenständige Rechts­ ermittlung dient gerade dazu, eine überzeugende Rechtsanwendung sicherzustel­ len. Außerdem dürfen Schiedsrichter sich nicht hinter fehlenden Rechtsausfüh­ rungen der Parteien verstecken, wenn sie einschlägige ordre public-Vorschriften missachten. Ganz grundsätzlich sollten Schiedsrichter nicht übersehen, dass ihre Benen­ nung im Normalfall das Ergebnis eines sorgfältigen Auswahlverfahrens ist. Es ist daher kein Zufall, wenn ein Schiedsrichter über ein juristisches Studium, Kennt­ nisse im anwendbaren Recht oder sogar besondere Fachkenntnisse verfügt. Gleichzeitig ist es eine notwendige Folge der parteiautonomen Auswahlentschei­ dung, dass die Zusammensetzung des Schiedsgerichts das Verhalten des Schieds­ richters im Allgemeinen und den Rechtsermittlungsvorgang im Besonderen be­ einflusst. Schiedsrichter sind dementsprechend gehalten, von ihren Rechtskennt­ nissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Laufe des Schiedsverfahrens auch Gebrauch zu machen. Ansonsten enttäuschen sie die Erwartungen der benennen­ den Partei oder Institution. Insgesamt führt die Imperfektion der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu erheblicher Unsicherheit im Zusammenhang mit schiedsrichterlichen Rechts­ ermittlungen. Die Parteien können sich in der Praxis nicht per se darauf verlas­ sen, dass die Schiedsrichter den Inhalt des anwendbaren Rechts selbst ermitteln. Dieser Befund gewinnt dadurch weiter an Bedeutung, dass einfache Rechtsfehler die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs unberührt lassen. Es liegt deshalb letzt­ lich in den Händen der Parteien, die Rechtsermittlungsunsicherheit zu begren­ zen. Dies kann dadurch geschehen, dass die Parteien einschlägige Rechtsquellen recherchieren und vortragen. Neben eigenständigen Rechtsausführungen bietet es sich aber vor allem an, aktiv mit dem Rechtsermittlungsproblem umzugehen. Vor allem ist es dabei die sachgerechte Entscheidung über die Schiedsrichteraus­ wahl, wodurch die Art und Weise der Rechtsermittlung grundlegend vorbestimmt wird.

Dritter Teil: Schlussfolgerungen, Thesen, Ausblick Am Ende bleibt iura novit curia ein Rätsel. Es lässt sich nicht abstrakt für alle internationalen Schiedsverfahren beurteilen, ob der Grundsatz nun gilt oder nicht. Dies ist einerseits auf die vielfältigen Bedeutungsschichten von iura novit curia und andererseits auf die unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten von Parteivereinbarungen, anwendbarem Recht und Besetzung des Schiedsgerichts zurückzuführen. Trotz dieser begrifflichen und normativen Unsicherheiten ist der Vergleich zwischen iura novit curia und Skylla und Charybdis nicht zielführend. Es bedarf nicht der Fähigkeiten der Argonauten, um die mit iura novit curia verbundenen Gefahren zu umschiffen. Vielmehr genügt es im praktischen Regelfall bereits, den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen, um keinen Schiff­ bruch zu erleiden. Mit der Frage nach den Risiken ist die Bedeutung von iura novit curia in Schiedsverfahren aber nicht erschöpft. Vielmehr legt die Beschäftigung mit dem Rechtssprichwort einen grundlegenden Dissens in der Aufgabenverteilung zwi­ schen Schiedsrichtern und Parteien offen. Dabei geht es um elementare Fragen wie den Begriff von Recht, das Verhältnis zwischen verfahrensrechtlicher Frei­ heit und materieller Gleichheit, die Allgemeinheit des Gesetzes sowie das Man­ dat des Schiedsrichters. Letztlich dreht sich der eigentliche Streit deshalb um das Verhältnis zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und Staatswesen insgesamt. Im Kern geht es also gar nicht um die Worte iura novit curia, sondern um die konkreten Verhaltensweisen, die von den Beteiligten des Schiedsverfahrens zu erwarten sind. Diese Verhaltensweisen lassen sich ihrerseits nur unter Berück­ sichtigung von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung verstehen und vorher­ sehen. Nur auf diesem Wege kann beantwortet werden, in welchem Verhältnis die schiedsrichterliche Rechtsermittlung zu den Rechtsausführungen der Partei­ en steht. Für die Praxis werden die Erkenntnisse der Arbeit in zwanzig Faustregeln zu­ sammengefasst. Diese Faustregeln verstehen sich bewusst nicht als soft law, son­ dern sollen lediglich einen ersten Einblick in die verknüpften Sachfragen geben. Es bietet sich dabei an, zwischen der Perspektive der Schiedsrichter und der Per­ spektive der Parteien zu unterscheiden. In Abgrenzung zu den Faustregeln ma­

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Dritter Teil

chen es sich die Thesen zur Aufgabe, die wissenschaftlichen Kerngedanken der Arbeit niederzulegen. Nicht alle Regeln sind gleichzeitig Thesen, wenngleich es zwischen Regeln und Thesen notwendigerweise Überschneidungen gibt. Gleich­ zeitig stellen die Regeln und Thesen die Bausteine dar, die der Leser zur eigenen Urteilsbildung zu nutzen vermag. Am Ende der Untersichung präsentieren sich die Ergebnisse zu iura novit ­curia in internationalen Schiedsverfahren, einem Ausblick, Praxisregeln für Schiedsrichter und Parteien sowie einer Zusammenfassung der wissenschaft­ lichen Erkenntnisse in Thesenform wie folgt:

A. Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren Es sind die Worte von Oliver Wendell Holmes, die vor einer abschließenden Be­ fassung mit iura novit curia erneut ins Gedächtnis gerufen werden sollen: „When you get the dragon out of his cave on to the plain and in the daylight, you can count his teeth and claws, and see just what is his strength. But to get him out is only the first step. The next is either to kill him, or to tame him and make him a useful animal.“1

Nach der Reise durch die Rechtsgeschichte, die Rechtsvergleichung und die Schiedsgerichtsbarkeit ist es gelungen, den Drachen aus seiner Höhle zu locken. Tatsächlich verfügt er über eine Vielzahl von Zähnen und Klauen. Dies muss jedoch keine Furcht erregen. Es ist außerdem nicht notwendig, den Drachen we­ gen seines Erscheinungsbildes zu erlegen. Ein gezähmter Drache ist besser als ein toter Drache. Die Eigenheiten der schiedsrichterlichen Rechtsermittlung sind in der Praxis handhabbar, wenn die auftretenden Fallstricke entschärft werden. Die Rechtsermittlung lässt sich dann in vorhersehbare Bahnen lenken und ver­ mag sich sogar als Stärke der Schiedsgerichtsbarkeit zu erweisen. Im Ausgangspunkt spricht iura novit curia den Zusammenhang zwischen der Beweisbedürftigkeit von Recht und der richterlichen Rechtskenntnis selbst an. Was dem Gericht bereits bekannt ist, muss ihm nicht bewiesen werden und was ihm unbekannt ist, hängt letztlich mit der Person des Richters selbst zusammen. Insoweit lässt sich der Grundsatz auf die Schiedsgerichtsbarkeit übertragen. Es ist nicht ersichtlich, warum einem Schiedsrichter das Recht nachgewiesen wer­ den müsste, das ihm ohnehin schon bekannt ist. Eulen müssen auch in der Schieds­gerichtsbarkeit nicht nach Athen getragen werden. Eine allgemeine Vermutung, wonach einem Richter jede weltweit geltende Rechtsvorschrift bekannt wäre, folgt aus iura novit curia aber gerade nicht. Dies gilt in nationalen Gerichtsverfahren und Schiedsverfahren gleichermaßen. An­ 1 

Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 469 (1897).

Schlussfolgerungen, Thesen, Ausblick

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ders als deutsche Richter sind Schiedsrichter überdies nicht per se verpflichtet, die Rechtslage von Amts wegen zu ermitteln. Umgekehrt ist es aber auch nicht richtig, eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht ganz allgemein abzu­ lehnen. Vielmehr kommt es auf die im Einzelfall anwendbaren institutionellen Schiedsregeln sowie das einschlägige Schiedsverfahrensrecht an. In jedem Fall ist eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht mit Durch­ setzungsschwierigkeiten behaftet, die sich im staatlichen Prozess nicht in dieser Form stellen. Schiedssprüche unterliegen dem Grundsatz der Finalität. Nur im Ausnahmefall droht die Aufhebung oder die Vollstreckungsversagung. Dieser Strukturunterschied wirkt sich auf die schiedsrichterliche Rechtsermittlung inso­ fern aus, als eine höhere Instanz unterlassene oder fehlerhafte Rechtsermittlun­ gen im Regelfall nicht korrigiert. Dies kann Schiedsrichter selbst bei Vorliegen einer Ermittlungspflicht dazu verleiten, auf eigenständige Rechtsrecherchen zu verzichten. Fehlt es an einer Pflicht, so liegt die Ausübung der Rechtsermittlungsbefugnis im Ermessen der Schiedsrichter. Dieses Ermessen ist seinerseits Ausfluss der schiedsverfahrensrechtlichen Flexibilität. In Ausübung ihres Ermessens dürfen Schiedsrichter selbst über das Ob und Wie eigenständiger Recherchen entschei­ den. Neben Erlass eines vollstreckbaren Schiedsspruchs sollten sie vor allem darauf achten, den Erwartungen der Parteien und Schiedsinstitutionen zu ent­ sprechen. Davon ist insbesondere umfasst, juristische Fähigkeiten, Kenntnisse im anwendbaren Recht sowie Spezialwissen in bestimmten Rechtsfragen im Ver­ fahren zum Tragen zu bringen. Insgesamt stellen Parteien und Schiedsinstitutio­ nen an einen Schiedsrichter bezüglich der Rechtsermittlung jedenfalls keine ge­ ringeren Erwartungen als an einen staatlichen Richter. Schließlich handelt es sich bei der Schiedsgerichtsbarkeit gerade um das natürliche Forum für die Beilegung von internationalen Rechtsstreitigkeiten. Insoweit lassen Schiedsrichter sich als die eigentlichen Experten im Umgang mit Fremdrecht beschreiben. Obschon es grundsätzlich empfehlenswert ist, wenn die Schiedsrichter ihre eigenen Rechts- und Methodenkenntnisse in das Verfahren einbringen, können die Parteien sich darauf nicht verlassen. Es liegt deshalb in der Praxis an den Parteien, das Schiedsgericht von dem Inhalt des anwendbaren Rechts zu über­ zeugen. Das kann als Rechtsvortragsobliegenheit bezeichnet werden. Ein förm­ licher Rechtsbeweis ist hingegen im Regelfall nicht erforderlich. Die beweis­ rechtlichen Kategorien vermögen aber durchaus als Orientierung zu dienen. Art und Umfang des gebotenen Rechtsvortrages hängen dabei von der Schwierigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen sowie der Rechtskenntnis der entscheidenden Schiedsrichter ab. Je geringer die Rechtskenntnisse eines Schiedsrichters im an­ wendbaren Recht sind, desto gründlicher sollten die Rechtsausführungen der Parteien ausfallen.

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Dritter Teil

Letztlich ist die zweite Frage des Erkenntnisinteresses deshalb dahingehend zu beantworten, dass das Schiedsgericht die rechtlichen Entscheidungsgrund­ lagen nicht in jedem Fall selbst ermitteln muss und wird. Schiedsrichterliche Rechtskenntnisse wirken sich auf die Ermessensausübung zwar aus, begründen aber keine verlässliche Rechtsermittlungsgarantie. Damit steht die Antwort auf den ersten Teil des Erkenntnisinteresses ebenfalls fest. Die Parteien sollten dem Schiedsgericht die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen im eigenen Interesse vortragen, weil ansonsten erhebliche Nachteile bis hin zur Klageabweisung dro­ hen. Wie iura novit curia es andeutet, hängt die Beweisbedürftigkeit von Recht folglich auch in Schiedsverfahren von der schiedsrichterlichen Rechtskenntnis ab. Jedenfalls insoweit gilt der Grundsatz also auch in Schiedsverfahren.

B. Ausblick Die Erfahrungen aus der Rechtsgeschichte weisen den Weg in die Zukunft. Je weiter die schiedsrichterliche Rechtskenntnis zunimmt, desto stärker wird die Bedeutung des Rechtsnachweises verblassen. Die Spezialisierung wird dazu füh­ ren, dass Schiedsrichter mehr und mehr über Kenntnisse in den Rechtsquellen ihres Fachgebiets verfügen. In Übereinstimmung mit der alten Notorietätslehre wird es aus Effizienzgesichtspunkten immer weniger erforderlich sein, Schieds­ richter über den Inhalt des ihnen ohnehin schon bekannten Rechts zu belehren. Dieser Vorgang wird dazu führen, dass die Rechtssicherheit und Vorhersehbar­ keit in Schiedsverfahren zunimmt. Wie im gemeinen Recht, so wird auch in in­ ternationalen Schiedsverfahren die Aktenversendung immer weiter in den Hin­ tergrund rücken. Dies gilt für das aktionenrechtliche Denken gleichermaßen. Eine vollständige Lösung des Rechtsermittlungsproblems ist hingegen auf lange Sicht nicht erkennbar. Als erster Schritt wäre dafür erforderlich, den Inhalt von Schiedssprüchen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dadurch könnte sich ein transnationaler Rechtskörper entwickeln, der wie das ius commune in der gemeinrechtlichen Rechtsermittlungslehre von Amts wegen angewendet werden könnte. In einem zweiten Schritt müsste es eine mit der notwendigen Autorität ausgestattete Instanz geben, die eine bestimmte Rechtsauslegung als verbindlich vorschreibt. Vergleichbar mit der Entstehung des Gesetzesstaates müsste außerdem eine Gewaltenteilung entstehen. Allein: Die Allgemeinheit des Gesetzes findet im Gebiet des Nationalstaats ihre Vollendung, aber auch ihre Grenze. Um dies zu ändern, müssten die Natio­ nalstaaten ihre Gesetzgebungskompetenz auf transnationaler Ebene bündeln und weltweit verbindliche Gesetze für den transnationalen Wirtschaftsverkehr erlas­ sen. Ein solcher Vorgang ist jedoch weder absehbar noch wünschenswert. Eine

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umfassende Rechtsanwendung von Amts wegen, wie sie in Deutschland für deutsches Recht Geltung entfaltet, wird sich in Schiedsverfahren deshalb nicht allgemein durchsetzen lassen. Es bleibt also auf absehbare Zeit nur, eine im Ein­ zelfall maßgeschneiderte Lösung zu finden. In den Worten von Cardozo: „Law never is, but is always about to be. It is realized only when embodied in a judgment, and in being realized, expires. There are no such things as rules or principles: there are only isolated dooms.“2

2 

Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), S.  126.

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Dritter Teil

C. Zehn Faustregeln für Schiedsrichter 1. Befugnis. Schiedsrichter sind befugt, den Inhalt des anwendbaren Rechts zu ermitteln und ihre Erkenntnisse in das Verfahren einzubringen. 2. Unparteilichkeit. Die eigenständige Ermittlung der Rechtslage begründet keine Zweifel an der Unparteilichkeit eines Schiedsrichters. 3. Schiedsgegenstand. Schiedsrichter sind an die Rechtsausführungen nicht ge­ bunden und dürfen den Schiedsspruch auf nicht vorgetragene Rechtsquellen stützen. 4. Rechtliches Gehör. Die Reichweite des Gehörsanspruchs ist im internationa­ len Vergleich nicht einheitlich ausgeformt. Jedenfalls bei Anwendung einer von den Parteien übersehenen Rechtsordnung, Anspruchsgrundlage, Ein­ wendung oder Vertragsklausel ist es zweckmäßig, den Parteien rechtliches Gehör einzuräumen. 5. Pflicht. Ordre public-Vorschriften müssen unabhängig vom Parteivortrag im Schiedsspruch berücksichtigt werden. Eine darüber hinausgehende Rechts­ ermittlungspflicht kann sich aus dem anwendbaren Verfahrensrecht ergeben. Diese sollte auch dann beachtet werden, wenn sie aus strukturellen Gründen nicht durchsetzbar erscheint. 6. Ermessen. In Ermangelung einer Pflicht liegt die Rechtsermittlung im Er­ messen des Schiedsgerichts. 7. Kenntnis. Ist einem Schiedsrichter der Inhalt des anwendbaren Rechts oder eine einschlägige Rechtsquelle bekannt, so sollte er seine Kenntnis mit den anderen Verfahrensbeteiligten teilen. 8. Unkenntnis. Das Rechtsermittlungsermessen wird relevant, wenn einem Schiedsrichter der Inhalt des anwendbaren Rechts unbekannt ist. Bei der Ausübung seines Ermessens sollte der Schiedsrichter sich an seiner eigenen Rechts- und Methodenkompetenz, der Besetzung des Schiedsgerichts sowie institutionellen Belangen orientieren. 9. Kompetenz. Im Regelfall ist von internationalen Schiedsrichtern eher als von nationalen Richtern zu verlangen, den Inhalt eines ihnen unbekannten Rechts selbsttätig zu ermitteln. 10. Vorrang des anwendbaren Rechts. Diese und andere Empfehlungen entbin­ den Schiedsrichter nicht davon, die Parteivereinbarung, die gewählten insti­ tutionellen Schiedsregeln sowie das anwendbare Schiedsverfahrensrecht sorgfältig zu prüfen.

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D. Zehn Faustregeln für Parteien 1. Pflicht. Die Parteien sind nicht zwingend verpflichtet, den Schiedsrichtern den Inhalt des anwendbaren Rechts vorzutragen, nachzuweisen oder gar zu beweisen. Eine Vortragspflicht kann sich aber aus dem anwendbaren Verfah­ rensrecht ergeben. 2. Unsicherheit. Die Parteien können sich nicht darauf verlassen, dass die Schiedsrichter den Inhalt des anwendbaren Rechts ermitteln. Unterlassene Recherchen gehen zu Lasten der Partei, die einen Vorteil aus der Anwendung einer Rechtsvorschrift zieht. 3. Beweisrecht. Die Regeln des Beweisrechts sind auf den Inhaltsnachweis von Rechtsquellen nicht direkt anwendbar, dienen aber als Orientierung bei der Entwicklung einer Prozessstrategie. 4. Risikovermeidung. Zur Vermeidung von Risiken sind Rechtsanwälte gehal­ ten, die Schiedsrichter vom Inhalt des anwendbaren Rechts mit Rechtsaus­ führungen, Dokumenten sowie Rechtssachverständigen zu überzeugen. 5. Qualität. Rechtsausführungen sind besonders wirkungsvoll, wenn der Ver­ fasser über vertiefte Rechtskenntnisse verfügt. Neben Rechtsanwälten mit Kenntnissen im Schiedsverfahrensrecht sollten auch Rechtsanwälte mit Kenntnissen im anwendbaren Recht beigezogen werden. 6. Rechtskenntnis. Art und Umfang der gebotenen Rechtsausführungen hängen von der Rechtskenntnis des Schiedsgerichts ab. Schiedsrichter lassen sich bei ihrer Rechtsermittlung von ihrem eigenen Vorverständnis leiten. 7. Schiedsrichterauswahl. Die Auswahl des Schiedsrichters sollte in Ansehung seiner Rechtskenntnisse erfolgen. So kann der Rechtsermittlungvorgang be­ einflusst werden. 8. Gleichlauf. Ein Gleichlauf zwischen schiedsrichterlichen Rechtskenntnissen und anwendbarem Recht begünstigt eine vorhersehbare Rechtsanwendung. 9. Rechtssachverständige. Rechtssachverständige werden insbesondere dann erforderlich, wenn es jedenfalls einem Schiedsrichter an Kenntnissen im an­ wendbaren Recht fehlt und nicht sichergestellt ist, dass die anderen Mitglie­ der des Schiedsgerichts diesen Mangel ausgleichen. 10. Vorrang des anwendbaren Rechts. Diese Regeln entbinden Parteien und Rechtsanwälte nicht davon, die gewählten institutionellen Schiedsregeln, das anwendbare Schiedsverfahrensrecht sowie den Rechtsanwaltsvertrag sorg­ fältig zu prüfen.

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Dritter Teil

E. Thesen 1. Die Beweisbedürftigkeit von Recht hängt von der rechtsgeschichtlichen Ent­ wicklung sowie dem jeweils vorherrschenden Staatsverständnis ab. 2. Historisch entwickelte sich die beweisrechtliche Seite der Trennung zwi­ schen Recht und Tatsachen vergleichsweise spät, weil die Parteien zu Vortrag und Beweis von Recht in Rom und im gemeinen Recht durchaus verpflichtet sein konnten. 3. Fehlte es Richtern an Rechtskenntnis, so mussten sie fachkundige Dritte in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Sowohl in Rom als auch im gemei­ nen Recht gab es hierfür unterschiedliche Institute. 4. Das aktionenrechtliche Denken erfüllte historisch sowohl in Rom als auch im gemeinen Recht die Funktion, die Parteien in die rechtliche Strukturie­ rung des Streitstoffes einzubinden. Dadurch wurden den Parteien rechtliche Vortragspflichten auferlegt. 5. Die Rechtsanwendung von Amts wegen steht mit der Aufklärung in Zusam­ menhang und verfügt über eine staatstheoretische Komponente. 6. Die Gewaltenteilung, die Kodifikation und der Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes waren für die Entwicklung der in Deutschland heute vorherr­ schenden Konzeption der Rechtsanwendung von Amts wegen wesentlich. 7. Erst mit Entstehung des modernen Gesetzesstaates konnte sich die Rechts­ anwendung von Amts wegen für inländisches Gesetzesrecht durchsetzen. 8. Im modernen Gesetzesstaat zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Be­ weisbedürftigkeit von Recht und der richterlichen Rechtskenntnis vor allem daran, dass bei ausländischem Recht nach wie vor auf die Einbeziehung Sachverständiger zurückgegriffen werden muss. 9. Mit zunehmender richterlicher Rechtskenntnis verschwanden prozessuale Hilfsinstitute wie die Aktenversendung und das aktionenrechtliche Denken. 10. Die rechtsgeschichtliche Entwicklung geht dahin, die Rechtskenntnis der Richter zu erhöhen und gleichzeitig auf die Beweisbedürftigkeit von Recht zu verzichten. 11. Die rechtsvergleichenden Unterschiede wurzeln tief und wirken sich nicht nur auf die Ermittlung ausländischen Rechts, sondern auch auf die Ermitt­ lung inländischen Rechts aus. Diese Unterschiede sind auf verschiedene Faktoren zurückzuführen und betreffen grundlegende Gerechtigkeitsfragen. 12. Die Rechtsanwendung von Amts wegen verfügt über eine soziale Seite, weil sie für rechtliche Gleichheit im Ergebnis sorgt. Diese Gleichheit im Ergebnis kann umgekehrt als Ungleichheit im Verfahren verstanden werden. Das Ge­ richt greift in den Wettstreit der Parteien ein, indem es Rechtsvortragsfehler einer Seite ausgleicht.

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13. Die Beweisbedürftigkeit von Recht steht mit der Allgemeinheit des Gesetzes sowie dem Rechtsstaatsprinzip in einem Wechselwirkungsverhältnis. Je bes­ ser die Richter das Recht kennen, desto wahrscheinlicher ist die gleiche An­ wendung des Gesetzes in gleich gelagerten Fällen. 14. In Deutschland muss inländisches Recht grundsätzlich weder vorgetragen noch bewiesen werden. Die Gutachtenerhebung über inländisches Recht, etwa im Bereich des Steuerrechts, ist in der Gesamtschau die Ausnahme. 15. Im deutschen Prozessrecht entscheidet der Richter über die Beweisbedürftig­ keit von ausländischem Recht. Regelmäßig werden Sachverständige be­ nannt, um bei der Rechtsermittlung zu helfen. 16. In den Vereinigten Staaten ist selbst inländisches Recht vortragsbedürftig und nicht selten auch beweisbedürftig. 17. Ausländisches Recht ist im amerikanischen Prozessrecht vortrags- und be­ weisbedürftig. 18. Die Beweisbedürftigkeit von Recht steht in internationalen Schiedsverfahren ebenso wie in nationalen Gerichtsverfahren in einem Wechselwirkungsver­ hältnis mit der Rechtskenntnis der zur Streitentscheidung berufenen Perso­ nen. 19. In Übereinstimmung mit dem schiedsverfahrensrechtlichen Flexibilitäts­ grundsatz lässt sich weder für bekanntes noch für unbekanntes Recht eine für alle Schiedsverfahren passende Rechtsermittlungslehre entwickeln. 20. Es lassen sich aber gewisse Minimalstandards und Faustregeln erkennen, die in einer Vielzahl von Schiedsverfahren Berücksichtigung finden können. 21. Die Unterscheidung zwischen inländischem und ausländischem Recht darf auf internationale Schiedsverfahren nicht übertragen werden. Vielmehr ist von anwendbarem Recht zu sprechen. 22. Die Rechtskenntnis ist in internationalen Schiedsverfahren nicht notwendig einheitlich verteilt. Der Inhalt des anwendbaren Rechts kann für einen Schiedsrichter bekannt und für einen anderen unbekannt sein. 23. Ist einem Schiedsrichter der Inhalt des anwendbaren Rechts bekannt, so kommt allein ein gedanklicher Rückgriff auf die Grundsätze zum Umgang mit inländischem Recht in Betracht. Lediglich bei unbekanntem Recht liegt eine Parallele zu ausländischem Recht nahe. 24. Ein Rechtsbeweis ist unter Effizienzgesichtspunkten nur dann zielführend, wenn dem Schiedsgericht der Inhalt des anwendbaren Rechts unbekannt ist. 25. In Übereinstimmungen mit den Benennungserwartungen sollten rechtskun­ dige Schiedsrichter ihre Rechtskenntnisse in Schiedsverfahren zur Entfal­ tung bringen. 26. Schiedsrichter dürfen das Recht nicht allein deshalb bewusst fehlerhaft an­ wenden, weil eine oder beide Parteien einem Rechtsirrtum aufsitzen.

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Dritter Teil

27. Es gibt keine Vermutung, wonach der Inhalt des anwendbaren Rechts mit einem dem Schiedsgericht bekannten Recht übereinstimmt. 28. Rechtliches Gehör ist in Rechtsfragen nicht grenzenlos, sondern durch Zeitund Effizienzgesichtspunkte beschränkt. 29. Schiedsrichter sind befugt, die Rechtslage eigenständig zu ermitteln. In ihrer Ermittlungstätigkeit sind sie frei und dürfen sich auf alle verfügbaren Rechts­ erkenntnisquellen stützen. Die Ermittlungsbefugnis wird von einer Einbrin­ gungsbefugnis flankiert. Bei der Ausübung der Einbringungsbefugnis dürfen die Schiedsrichter über die Rechtsausführungen der Parteien hinausgehen. Bei Ausübung der Einbringungsbefugnis ist rechtliches Gehör zu gewähren. 30. Eine schiedsrichterliche Rechtsermittlungspflicht kann sich aus einer Partei­ vereinbarung oder dem anwendbaren Verfahrensrecht ergeben. 31. Schiedsrichter sind unabhängig von den Rechtsausführungen der Parteien dazu verpflichtet, einschlägige ordre public-Vorschriften anzuwenden. 32. Eine Rechtsermittlungspflicht sollte auch dann beachtet werden, wenn sie aus strukturellen Gründen nicht durchsetzbar erscheint. 33. In Ermangelung einer Pflicht steht die Rechtsermittlung im Ermessen des Schiedsgerichts. Dieses Ermessen ist weit. Die Rechtskenntnis des Schieds­ richters beeinflusst die Ermessensausübung. Recherchen sind jedenfalls dann vorzunehmen, wenn dies dem rechtskulturellen Hintergrund des Schieds­ richters entspricht. 34. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist das natürliche Forum für die Beilegung von internationalen Rechtsstreitigkeiten. Von Schiedsrichtern ist eher als von na­ tionalen Richtern zu erwarten, den Inhalt unbekannten Rechts selbsttätig zu ermitteln. 35. Für die Parteien ist die rechtliche Ermittlungstätigkeit des Schiedsgerichts nicht vorhersehbar. Kennt das Schiedsgericht den Inhalt des anwendbaren Rechts nicht und ermittelt es ihn auch nicht eigenständig, so haben die Par­ teien die Schiedsrichter vom Inhalt des anwendbaren Rechts zu überzeugen. 36. Der Schiedsrichterauswahl kommt in Hinblick auf die Rechtsermittlung wegweisende Bedeutung zu, weil die Rechtskenntnisse des Schiedsrichters sowie der rechtskulturelle Hintergrund die schiedsrichterliche Ermessens­ ausübung vorprägen. 37. Auf den Inhalt von soft law-Instrumenten, Faustregeln sowie sonstigen Emp­ fehlungen sollten das Schiedsgericht und die Parteien sich nicht blind verlas­ sen, sondern stets eine eigenständige Rechtsprüfung vornehmen. 38. Unabhängig von den aufgezeigten normativen Rahmenbedingungen ist es eine ethische und rechtspolitische Wertungsfrage, wie umfassend Schieds­ richter das Recht selbsttätig ermitteln sollten.

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Entscheidungsverzeichnis Bundesrepublik Deutschland Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 04.07.2016, Az.  2 BvR 1552/14, AnwBl. 2016, 852 Urteil vom 05.05.2015, Az.  2 BvL 17/09, BVerfGE 139, 64 Beschluss vom 21.04.2015, Az.  2 BvR 1322/12, BVerfGE 139, 19 Beschluss vom 07.12.2011, Az.  2 BvR 2500/09, BVerfGE 130, 1 Urteil vom 09.02.2010, Az.  1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175 Beschluss vom 22.04.2009, Az.  1 BvR 386/09, NJW 2009, 2945 Beschluss vom 15.12.2008, Az.  1 BvR 69/08, NJW-RR 2009, 1141 Beschluss vom 14.10.2008, Az.  1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 Beschluss vom 07.10.2003, Az.  1 BvR 10/99, BVerfGE 108, 341 Beschluss vom 18.03.2003, Az.  2 BvB 1/01, BVerfGE 107, 339 Beschluss vom 12.08.2002, Az.  1 BvR 399/02, NJW 2002, 2937 Beschluss vom 03.07.2001, Az.  1 BvR 1043/00, NJW-RR 2002, 69 Beschluss vom 14.10.1998, Az.  2 BvR 205/91, WuM 1999, 383 Beschluss vom 24.10.1996, Az.  2 BvR 1851/94, BVerfGE 95, 96 Beschluss vom 19.10.1993, Az.  1 BvR 567/89, BVerfGE 89, 214 Beschluss vom 25.05.1993, Az.  1 BvR 397/87, BVerfGE 88, 382 Beschluss vom 12.05.1993, Az.  1 BvR 582/93, NJW 1993, 3192 Beschluss vom 02.03.1993, Az.  1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118 Beschluss vom 03.11.1992, Az.  1 BvR 1243/88, BVerfGE 87, 273 Beschluss vom 08.07.1992, Az.  2 BvL 27/91, BVerfGE 87, 68 Beschluss vom 25.06.1992, Az.  1 BvR 600/92, NJW-RR 1993, 383 Beschluss vom 19.05.1992, Az.  1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 Beschluss vom 12.02.1992, Az.  1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 Beschluss vom 13.03.1990, Az.  2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347 Beschluss vom 15.06.1988, Az.  1 BvR 1301/86, BVerfGE 78, 320 Beschluss vom 05.05.1987, Az.  1 BvR 903/85, BVerfGE 75, 302 Beschluss vom 14.04.1987, Az.  1 BvR 162/84, BVerfGE 75, 183 Beschluss vom 25.01.1984, Az.  1 BvR 272/81, BVerfGE 66, 116 Beschluss vom 25.11.1980, Az.  2 BvL 7/76, BVerfGE 55, 207 Beschluss vom 11.06.1980, Az.  1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 Beschluss vom 25.07.1979, Az.  2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131 Beschluss vom 24.03.1976, Az.  2 BvR 804/75, BVerfGE 42, 64 Beschluss vom 27.07.1971, Az.  2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 364 Beschluss vom 14.05.1968, Az.  2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288

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Entscheidungsverzeichnis

Beschluss vom 28.06.1967, Az.  2 BvR 143/61, BVerfGE 22, 114 Beschluss vom 08.02.1967, Az.  2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139 Beschluss vom 09.05.1962, Az.  2 BvL 13/60, BVerfGE 14, 56 Beschluss vom 09.05.1961, Az.  2 BvR 49/60, BVerfGE 12, 326 Urteil vom 14.07.1959, Az.  2 BvF 1/58, BVerfGE 10, 20 Beschluss vom 22.01.1959, Az.  1 BvR 154/55, BVerfGE 9, 124 Beschluss vom 12.11.1958, Az.  2 BvL 4/56, BVerfGE 8, 274 Urteil vom 15.01.1958, Az.  1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 Urteil vom 28.11.1957, Az.  2 BvL 11/56, BVerfGE 7, 183 Beschluss vom 09.11.1955, Az.  1 BvL 13/52, BVerfGE 4, 331 Beschluss vom 21.10.1954, Az.  1 BvL 9/51, BVerfGE 4, 74

Bundesgerichtshof Beschluss vom 21.07.2016, Az. IX ZB 88/15, NJW-RR 2016, 1267 Urteil vom 21.04.2016, Az. I ZR 198/13, BGHZ 210, 77 Beschluss vom 03.03.2016, Az. IX ZB 33/14, NJW 2016, 1818 Urteil vom 27.01.2016, Az.  5 StR 328/15, NStZ 2016, 351 Urteil vom 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, NJW 2016, 957 Urteil vom 13.05.2015, Az.  3 StR 498/14, NStZ 2015, 651 Urteil vom 06.05.2015, Az. VIII ZR 161/14, NJW 2015, 2111 Beschluss vom 13.11.2014, Az. VII ZB 46/12, NJW 2015, 633 Urteil vom 14.01.2014, Az. II ZR 192/13, NJW 2014, 1244 Urteil vom 22.10.2013, Az. XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294 Beschluss vom 04.09.2013, Az. XII ZB 526/12, NJW 2014, 387 Beschluss vom 04.07.2013, Az. V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 Urteil vom 03.04.2013, Az. IV ZR 239/11, NJW 2013, 2121 Urteil vom 19.03.2013, Az. VI ZR 56/12, BGHZ 197, 1 Urteil vom 25.10.2012, Az. IX ZR 207/11, NJW 2013, 540 Beschluss vom 21.12.2011, Az. I ZR 144/09, IPRspr 2011, Nr.  3, 1 Urteil vom 30.03.2011, Az. VIII ZR 94/10, NJW 2011, 2874 Urteil vom 18.12.2008, Az. IX ZR 179/07, NJW 2009, 987 Urteil vom 30.10.2008, Az. I ZR 12/06, NJW 2009, 1205 Beschluss vom 30.10.2008, Az. III ZB 17/08, IPRax 2009, 519 Urteil vom 15.07. 2008, Az. VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237 Beschluss vom 12.03.2008, Az. IV ZR 330/06, NJW-RR 2008, 1649 Beschluss vom 08.11.2007, Az. III ZB 95/06, NJW-RR 2008, 659 Urteil vom 22.09.2005, Az. IX ZR 23/04, NJW 2006, 501 Beschluss vom 11.05.2005, Az. XII ZB 242/03, NJW-RR 2005, 1237 Urteil vom 09.10.2003, Az. VII ZR 335/02, NJW-RR 2004, 167 Beschluss vom 02.10.2003, Az. V ZB 22/03, BGHZ 156, 269 Urteil vom 17.07.2003, Az. I ZR 295/00, NJW-RR 2004, 639 Beschluss vom 26.06.2003, Az. III ZB 71/02, NJW 2003, 2532 Urteil vom 23.06.2003, Az. II ZR 305/01, NJW 2003, 2685 Urteil vom 20.02.2003, Az. III ZR 184/02, NJW-RR 2003, 699 Beschluss vom 26.09.2002, Az. IX ZB 180/02, BGHZ 152, 166 Urteil vom 11.11.2001, Az. V ZR 492/99, NJW 2001, 2464 Urteil vom 07.12.2000, Az. I ZR 179/98, NJW 2001, 2548

Entscheidungsverzeichnis Urteil vom 20.03.2000, Az. II ZR 250/99, NJW 2000, 1958 Urteil vom 16.07.1999, Az. V ZR 56/98, NJW 1999, 2890 Urteil vom 09.07.1999, Az. V ZR 12/98, NJW 1999, 3481 Urteil vom 11.02.1999, Az. IX ZR 14/98, NJW 1999, 1391 Urteil vom 27.11.1998, Az. V ZR 344/97, BGHZ 140, 111 Beschluss vom 12.11.1997, Az. IV ZR 214/96, NJW-RR 1998, 1425 Urteil vom 25.09.1997, Az. II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 Urteil vom 27.11.1996, Az. VIII ZR 311/95, NJW-RR 1997, 441 Urteil vom 04.06.1996, Az. IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648 Urteil vom 15.09.1995, Az.  5 StR 713/94, BGHSt 41, 247 Urteil vom 02.06.1995, Az. V ZR 304/93, MDR 1996, 578 Urteil vom 06.10.1994, Az.  4 StR 23/94, NJW 1995, 64 Urteil vom 15.06.1994, Az. VIII ZR 237/93, NJW 1994, 2959 Urteil vom 25.11.1993, Az. VII ZR 17/93, NJW 1994, 659 Urteil vom 12.10.1993, Az. X ZR 25/92, IPRax 1995, 38 Urteil vom 03.12.1992, Az. IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 Urteil vom 30.04.1992, Az. IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 Urteil vom 19.12.1991, Az. IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 Urteil vom 09.10.1991, Az. VIII ZR 88/90, BGHZ 115, 286 Urteil vom 21.01.1991, Az. II ZR 49/90, IPRax 1992, 324 Urteil vom 12.12.1990, Az. VIII ZR 332/89, NJW 1991, 1292 Urteil vom 12.07.1990, Az. III ZR 174/89, NJW 1990, 3210 Urteil vom 18.01.1990, Rn. III ZR 269/88, NJW 1990, 2199 Urteil vom 30.11.1989, Az. III ZR 215/88, BGHZ 109, 275 Urteil vom 22.06.1989, Az. I ZR 126/87, NJW-RR 1989, 1383 Urteil vom 11.11.1987, Az. IVa ZR 143/86, BGHR ZPO §  293 Steuerrecht 1 Urteil vom 29.06.1987, Az. II ZR 6/87, NJW 1988, 647 Urteil vom 05.05.1986, Az. III ZR 233/84, BGHZ 98, 32 Urteil vom 21.03.1986, Az. V ZR 23/85, BGHZ 97, 264 Urteil vom 26.09.1985, Az. III ZR 16/84, BGHZ 96, 40 Urteil vom 09.05.1985, Az. I ZR 99/83, NJW 1985, 2895 Urteil vom 30.01.1985, Az. IVb ZR 67/83, BGHZ 93, 330 Urteil vom 12.07.1984, Az. VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888 Urteil vom 09.11.1983, Az. VIII ZR 349/82, NJW 1984, 310 Urteil vom 29.03.1983, Az. VI ZR 172/81, NJW 1983, 1665 Urteil vom 11.11.1982, Az. III ZR 77/81, BGHZ 85, 288 Urteil vom 23.12.1981, Az. IVb ZR 643/80, NJW 1982, 1215 Urteil vom 20.03.1980, Az. III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 Urteil vom 29.10.1979, Az. VIII ZR 293/78, WM 1980, 193 Beschluss vom 26.10.1977, Az. IV ZB 7/77, BGHZ 69, 387 Urteil vom 30.03.1976, Az. VI ZR 143/74, NJW 1976, 1581 Urteil vom 19.12.1975, Az. I ZR 99/74, NJW 1976, 474 Urteil vom 25.09.1975, Az.  1 StR 199/75, NJW 1976, 60 Urteil vom 10.07.1975, Az. II ZR 174/74, NJW 1975, 2142 Urteil vom 22.02.1971, Az. VII ZR 110/69, BGHZ 55, 344 Urteil vom 13.12.1968, Az. V ZR 80/67, MDR 1969, 468 Beschluss vom 17.09.1968, Az. IV ZB 501/68, BGHZ 50, 370 Urteil vom 21.02.1962, Az. V ZR 144/60, BGHZ 36, 348

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Urteil vom 24.11.1960, Az. II ZR 9/60, NJW 1961, 410 Urteil vom 08.10.1959, Az. VII ZR 87/58, BGHZ 31, 43 Urteil vom 29.09.1958, Az. II ZR 343/56, NJW 1958, 1968 Urteil vom 19.03.1958, Az. IV ZR 148/57, JZ 1959, 411 Urteil vom 23.01.1957, Az. V ZR 132/55, WM 1957, 404 Urteil vom 06.10.1954, Az. II ZR 149/53, BGHZ 15, 12 Urteil vom 29.11.1952, Az. II ZR 23/52, NJW 1953, 303 Urteil vom 08.11.1951, Az. IV ZR 10/51, BGHZ 3, 343

Reichsgericht Urteil vom 14.11.1929, Az. IV 665/28, RGZ 126, 196 Urteil vom 29.04.1915, Az. VI 668/14, RGZ 86, 377 Urteil vom 12.03.1904, Az. V 36/04, RGZ 57, 187 Urteil vom 18.01.1893, Az. I 417/92, RGZ 30, 79 Urteil vom 25.05.1888, Az. III 17/88, RGZ 21, 175 Urteil vom 07.03.1882, Az. II 475/81, RGZ 6, 372 Urteil vom 24.09.1880, Az. III 414/80, RGZ 2, 63

Reichsoberhandelsgericht Urteil vom 28.04.1879, Az. III 407/79, ROHG 25, 53

Oberlandesgerichte Kammergericht Berlin Beschluss vom 17.03.2014, Az.  20 U 254/12, NJW 2014, 2737 Urteil vom 20.02.1975, Az.  22 U 2196/74, OLGZ 1977, 479

Oberlandesgericht Celle Urteil vom 04.12.1990, Az.  18 UF 111/89, IPRspr 1990, Nr.  116, 214

Oberlandesgericht Dresden Beschluss vom 14.07.2005, Az.  1 AR 120/04, Rpfleger 2006, 44

Oberlandesgericht Frankfurt Beschluss vom 28.03.2011, Az.  26 SchH 2/11, SchiedsVZ 2011, 342 Urteil vom 05.05.2009, Az.  14 U 113/08, BeckRS 2010, 17173 Urteil vom 14.02.2008, Az.  15 U 5/07, ZGS 2008, 315 Beschluss vom 30.03.2006, Az.  26 Sch 12/05, BeckRS 2014, 00372 Beschluss vom 13.12.1982, Az.  17 W 62/82, MDR 1983, 410 Urteil vom 07.11.1968, Az.  6 U 78/68, NJW 1969, 991

Entscheidungsverzeichnis

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss vom 04.06.2007, Az.  14 W 303/07, NJW-RR 2008, 375 Urteil vom 28.03.2002, Az.  5 U 1425/01, IPRspr 2002, Nr.  1, 1 Urteil vom 21.03.2002, Az.  5 U 908/01, BB 2002, 2089 Beschluss vom 25.01.2001, Az.  2 Ws 30/01, NJW 2001, 1364 Urteil vom 28.01.1993, Az.  5 U 1633/92, IPRax 1995, 171 Beschluss vom 28.08.1987, Az.  14 W 612/87, JurBüro 1988, 1026

Oberlandesgericht Köln Urteil vom 08.07.2016, Az.  1 U 36/13, BeckRS 2016, 12872 Urteil vom 06.02.2014, Az.  18 U 89/08, IPRspr 2014, Nr.  238, 610 Beschluss vom 28.06.2011, Az.  19 Sch 11/10, SchiedsVZ 2012, 161 Beschluss vom 18.02.2011, Az.  18 U 139/10, BeckRS 2012, 19548 Urteil vom 19.01.2007, Az.  6 U 163/06, IPRspr 2007, Nr.  169, 473 Urteil vom 03.12.1993, Az.  6 U 247/93, GRUR 1994, 646 Urteil vom 21.09.1983, Az.  2 U 33/83, MDR 1984, 151

Oberlandesgericht München Beschluss vom 17.11.2016, Az.  34 SchH 13/16, BeckRS 2016, 20169 Beschluss vom 04.07.2016, Az.  34 Sch 29/15, SchiedsVZ 2017, 40 Beschluss vom 24.11.2015, Az.  34 SchH 5/15, NJW 2016, 881 Beschluss vom 09.11.2015, Az.  34 Sch 27/14, SchiedsVZ 2015, 303 Beschluss vom 14.11.2011, Az.  34 Sch 10/11, IPRspr 2011, Nr.  305, 817 Beschluss vom 07.05.2008, Az.  34 Sch 26/07, NJOZ 2008, 4808 Beschluss vom 22.06.2005, Az.  34 Sch 10/05, SchiedsVZ 2005, 308 Beschluss vom 19.05.2003, Az.  13 U 2149/03, MDR 2004, 52 Beschluss vom 09.11.1990, Az.  11 W 2106/90, IPRspr 1990, Nr.  234, 505 Beschluss vom 22.06.1988, Az.  15 U 6478/87, EuR 1988, 409 Urteil vom 23.10.1975, Az.  1 U 2564/75, NJW 1976, 489

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss vom 21.11.2001, Az.  8 W 643/00, FamRZ 2002, 1365

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 17.07.2007, Az.  9 AZR 819/06, NJW 2007, 3739 Urteil vom 10.04.1975, Az.  2 AZR 128/74, BAGE 27, 99 Urteil vom 13.02.1975, Az.  3 AZR 211/74, AP ZPO §  308 Nr.  2 Urteil vom 29.03.1957, Az.  1 AZR 208/55, BAGE 4, 37

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Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 19.07.2012, Az.  10 C 2/12, BVerwGE 143, 369 Urteil vom 20.02.2001, Az.  9 C 20/00, BVerwGE 114, 16 Beschluss vom 21.07.1998, Az.  6 B 44/98, NVwZ 1999, 187 Urteil vom 02.04.1981, Az.  2 C 34/79, BVerwGE 62, 135

Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidung vom 19.03.1993, Az. Vf. 6-VI-91, NJW 1993, 2794

Vereinigte Staaten von Amerika Supreme Court of the United States 14 Penn Plaza LLC v. Pyett, 556 U.S.  247 (2009) Abney v. U.S., 431 U.S.  651 (1977) Alyeska Pipeline Service Co. v. Wilderness Society, 421 U.S.  240 (1975) American Exp. Co. v. Italian Colors Restaurant, 133 S.Ct. 2304 (2013) Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S.  242 (1986) Armstrong v. Lear, 33 U.S.  52 (1834) Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S.  662 (2009) AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S.  333 (2011) Bankers Life and Casualty Company v. Crenshaw, 486 U.S.  71 (1988) Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S.  544 (2007) Black Diamond S. S. Corp. v. Robert Stewart & Sons, 336 U.S.  386 (1949) BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S.  559 (1996) Boddie v. Connecticut, 401 U.S.  371 (1971) Bollenbach v. U.S., 326 U.S.  607 (1946) Bothwell v. Buckbee-Mears Co., 275 U.S.  274 (1927) Brown v. Piper, 91 U.S.  37 (1875) Burford v. Sun Oil Co., 319 U.S.  315 (1943) Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S.  317 (1986) Central Bank of Denver, N.A. v. First Interstate Bank of Denver, N.A., 511 U.S.  164 (1994) Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 508 U.S.  520 (1993) Circuit City Stores, Inc. v. Adams, 532 U.S.  105 (2001) Cobbledick v. U.S., 309 U.S.  323 (1940) Conley v. Gibson, 355 U.S.  41 (1957) Cooper v. Aaron, 358 U.S.  1 (1958) Coppedge v. U.S., 369 U.S.  438 (1962) Covington Drawbridge Co. v. Shepherd, 61 U.S.  227 (1857) Crawford Fitting Co. v. J. T. Gibbons, Inc., 482 U.S.  437 (1987) Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S.  473 (1912) Dainese v. Hale, 91 U.S.  13 (1875) Dohany v. Rogers, 281 U.S.  362 (1930) Duncan v. State of La., 391 U.S.  145 (1968) EEOC v. Waffle House, Inc., 534 U.S.  279 (2002) Erie R. Co. v. Tompkins, 304 U.S.  64 (1938)

Entscheidungsverzeichnis

373

Faretta v. California, 422 U.S.  806 (1975) Federal Communications Commission v. WJR, The Goodwill Station, 337 U.S.  265 (1949) Gardner v. Collector of Customs, 73 U.S.  499 (1867) Gonzales v. U.S., 348 U.S.  407 (1955) Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S.  501 (1947) Hana Financial, Inc. v. Hana Bank, 135 S.Ct. 907 (2015) Henderson ex rel. Henderson v. Shinseki, 562 U.S.  428 (2011) Hohn v. U.S., 524 U.S.  236 (1998) Johnson v. City of Shelby, Miss., 135 S.Ct. 346 (2014) La Buy v. Howes Leather Company, 352 U.S.  249 (1957) LaChance v. Erickson, 522 U.S.  262 (1998) Lamar v. Micou, 114 U.S.  218 (1885) Lassiter v. Department of Social Services of Durham County, N. C., 452 U.S.  18 (1981) Lehman Bros. v. Schein, 416 U.S.  386 (1974) Life & Cas. Ins. Co. of Tenn. v. McCray, 291 U.S.  566 (1934) Lindsey v. Normet, 405 U.S.  56 (1972) Malinski v. New York, 324 U.S.  401 (1945) Marbury v. Madison, 5 U.S.  137 (1803) Marshall v. Jerrico, Inc., 446 U.S.  238 (1980) Matsushita Elec. Indus. Co. v. Zenith Radio Corp., 475 U.S.  574 (1986) Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S.  614 (1985) Morrison v. Olson, 487 U.S.  654 (1988) North v. Russell, 427 U.S.  328 (1976) Obergefell v. Hodges, 135 S.Ct. 2584 (2015) Ortwein v. Schwab, 410 U.S.  656 (1973) Owings v. Hull, 34 U.S.  607 (1835) Payne v. Tennessee, 501 U.S.  808 (1991) Pennington v. Gibson, 57 U.S.  65 (1853) Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S.  235 (1981) Planned Parenthood Ass’n of Kansas City, Mo., Inc. v. Ashcroft, 462 U.S.  476 (1983) Quercia v. U.S., 289 U.S.  466 (1933) Skinner v. Switzer, 562 U.S.  521 (2011) Southland Corp. v. Keating, 465 U.S.  1 (1984) State Farm Mut. Auto. Ins. Co. v. Campbell, 538 U.S.  408 (2003) Supreme Court in Unity v. Burrage, 103 U.S.  447 (1880) Talbot v. Seeman, 5 U.S.  1 (1801) Town of South Ottawa v. Perkins, 94 U.S.  260 (1876) Trest v. Cain, 522 U.S.  87 (1997) U.S. v. Burke, 504 U.S.  229 (1992) U.S. v. Gaudin, 515 U.S.  506 (1995) U.S. v. Kras, 409 U.S.  434 (1973) U.S. v. Reynes, 50 U.S.  127 (1850) U.S. v. Tingey, 30 U.S.  115 (1831) U.S. v. Turner, 52 U.S.  663 (1850) United Steelworkers of America v. American Manufacturing Co., 363 U.S.  564 (1960) Willy v. Coastal Corp., 503 U.S.  131 (1992) Wood v. Milyard, 132 S.Ct. 1826 (2012) Wooddell v. International Broth. of Elec. Workers, Local 71, 502 U.S.  93 (1991)

374

Entscheidungsverzeichnis

United States Courts of Appeals United States Court of Appeals for the First Circuit Berrios-Romero v. Estado Libre Asociado de Puerto Rico, 641 F.3d 24 (2011) Carey v. Bahama Cruise Lines, 864 F.2d 201 (1988) Clorox Co. Puerto Rico v. Proctor & Gamble Commercial Co., 228 F.3d 24 (2000) Jansson v. Swedish Am. Line, 185 F.2d 212 (1950) Medina-Rivera v. MVM, Inc., 713 F.3d 132 (2013)

United States Court of Appeals for the Second Circuit Bartsch v. Metro-Goldwyn-Mayer, Inc., 391 F.2d 150 (1968) F.H. Krear & Co. v. Nineteen Named Trustees, 810 F.2d 1250 (1987) In re Magnetic Audiotape Antitrust Litig., 334 F.3d 204 (2003) International Shipping Co., S.A. v. Hydra Offshore, Inc., 875 F.2d 388 (1989) Marx & Co., Inc. v. Diners’ Club Inc., 550 F.2d 505 (1977) Murray v. British Broadcasting Corp., 81 F.3d 287 (1996) Oneida Indian Nation of New York v. State of N.Y., 691 F.2d 1070 (1982) Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Societe Generale, 508 F.2d 969 (1974) Rationis Enters. Inc. of Panama v. Hyundai Mipo Dockyard Co., 426 F.3d 580 (2005) Ruff v. St. Paul Mercury Ins. Co., 393 F.2d 500 (1968) Siegelman v. Cunard White Star Limited, 221 F.2d 189 (1955) Sioson v. Knights of Columbus, 303 F.3d 458 (2002) Walton v. Arabian Am. Oil Co., 233 F.2d 541 (1956) Wood & Selick v. Compagnie Generale Transatlantique, 43 F.2d 941 (1930)

United States Court of Appeals for the Third Circuit Abdille v. Ashcroft, 242 F.3d 477 (2001) Bel-Ray Co., Inc. v. Chemrite (Pty) Ltd., 181 F.3d 435 (1999) Kach v. Hose, 589 F.3d 626 (2009)

United States Court of Appeals for the Fourth Circuit Bryant v. Liberty Mut. Ins. Co., 407 F.2d 576 (1969) Eriline Co. S.A. v. Johnson, 440 F.3d 648 (2006) Minyard Enterprises, Inc. v. Southeastern Chemical & Solvent Co., 184 F.3d 373 (1999) U.S. v. McIver, 470 F.3d 550 (2006)

United States Court of Appeals for the Fifth Circuit Freeman v. Continental Gin Co., 381 F.2d 459 (1967) Geiserman v. MacDonald, 893 F.2d 787 (1990) Glass Containers Corp. v. Miller Brewing Co., 643 F.2d 308 (1981) Haase v. Countrywide Home Loans, Inc., 748 F.3d 624 (2014) Home Ins. Co. v. Matthews, 998 F.2d 305 (1993) Johnson v. City of Shelby, Miss., 743 F.3d 59 (2013)

Entscheidungsverzeichnis

375

Liechti v. Roche, 198 F.2d 174 (1952) McGee v. Arkel Intern., LLC, 671 F.3d 539 (2012) Northrop Grumman Ship Systems, Inc. v. Ministry of Defense of Republic of Venezuela, 575 F.3d 491 (2009) Owen v. Kerr-McGee Corp., 698 F.2d 236 (1983) Positive Software Solutions, Inc. v. New Century Mortg. Corp., 476 F.3d 278 (2007) Sherman v. Hallbauer, 455 F.2d 1236 (1972) U.S. v. Clements, 588 F.2d 1030 (1979) U.S. v. Judge, 846 F.2d 274 (1988) U.S. v. Klat, 180 F.3d 264 (1999)

United States Court of Appeals for the Sixth Circuit U.S. v. Dedman, 527 F.3d 577 (2008)

United States Court of Appeals for the Seventh Circuit Adams v. Raintree Vacation Exchange, LLC, 702 F.3d 436 (2012) Alton Memorial Hosp. v. Metropolitan Life Ins. Co., 656 F.2d 245 (1981) Berwick Grain Co., Inc. v. Illinois Dept. of Agriculture, 217 F.3d 502 (2000) Black v. Lane, 22 F.3d 1395 (1994) Bodum USA, Inc. v. La Cafetiere, Inc., 621 F.3d 624 (2010) Burdett v. Miller, 957 F.2d 1375 (1992) Cole v. C.I.R., 637 F.3d 767 (2011) Dahly Tool Co. v. Vermont Tap and Die Co., a Div. of Vermont American Corp., 742 F.2d 311 (1984) Gross v. Town of Cicero, Ill., 619 F.3d 697 (2010) Hartmann v. Prudential Ins. Co. of America, 9 F.3d 1207 (1993) Hope Clinic v. Ryan, 195 F.3d 857 (1999) Kalmich v. Bruno, 553 F.2d 549 (1977) Mathis v. New York Life Ins. Co., 133 F.3d 546 (1998) RLJCS Enterprises, Inc. v. Professional Ben. Trust Multiple Employer Welfare Ben. Plan and Trust, 487 F.3d 494 (2007) Runnion ex rel. Runnion v. Girl Scouts of Greater Chicago and Northwest Indiana, 786 F.3d 510 (2014) Seaboard Sur. Co. v. Harbison, 304 F.2d 247 (1962) Sunstar, Inc. v. Alberto-Culver Co., 586 F.3d 487 (2009) Twohy v. First Nat. Bank of Chicago, 758 F.2d 1185 (1985) U.S. v. Caputo, 517 F.3d 935 (2008) U.S. v. Davis, 471 F.3d 783 (2006) U.S. v. Dunkel, 927 F.2d 955 (1991) U.S. v. Toushin, 899 F.2d 617 (1990) Vincent v. City Colleges of Chicago, 485 F.3d 919 (2007) Whirlpool Fin. Corp. v. Sevaux, 96 F.3d 216 (1996)

376

Entscheidungsverzeichnis

United States Court of Appeals for the Eighth Circuit Armstrong Cork Co. v. Lyons, 366 F.2d 206 (1966) Ehrichs v. Kearney, 730 F.2d 1170 (1984) Southern Pine Helicopters, Inc. v. Phoenix Aviation Managers, Inc., 320 F.3d 839 (2003) Stineman v. Fontbonne College, 664 F.2d 1082 (1981) Webb v. Hiykel, 713 F.2d 405 (1983)

United States Court of Appeals for the Ninth Circuit Alvarez v. Hill, 518 F.3d 1152 (2008) Corporacion Mexicana de Servicios Maritimos, S.A. de C.V. v. M/T Respect, 89 F.3d 650 (1996) DP Aviation v. Smiths Indus. Aerospace & Def. Sys. Ltd., 268 F.3d 829 (2001) King v. Atiyeh, 814 F.2d 565 (1984) Lee v. City of Los Angeles, 250 F.3d 668 (2001) Ministry of Defense of the Islamic Republic of Iran v. Gould, Inc., 969 F.2d 764 (1991) Tides v. The Boeing Co., 644 F.3d 809 (2011) Wineberg v. Park, 321 F.2d 214 (1963)

United States Court of Appeals for the Tenth Circuit Evans v. McDonald’s Corp., 936 F.2d 1087 (1991) Fresquez v. Minks, 567 Fed. Appx. 662 (2014) Garland v. Garland, 165 F.2d 131 (1947) Getty Petroleum Marketing, Inc. v. Capital Terminal Co., 391 F.3d 312 (2004) Karns v. Emerson Elec. Co., 817 F.2d 1452 (1987) MacArthur v. San Juan County, 495 F.3d 1157 (2007) Milne v. USA Cycling Inc., 575 F.3d 1120 (2009) Ogden v. San Juan County, 32 F.3d 452 (1994) Reedy v. Werholtz, 660 F.3d 1270 (2011) Thomas v. Pick Hotels Corp., 224 F.2d 664 (1955) U.S. v. Logan, 641 F.2d 860 (1981) Utahns for Better Transp. v. U.S. Dept. of Transp., 295 F.3d 1111 (2002) Zokari v. Gates, 561 F.3d 1076 (2009)

United States Court of Appeals for the Eleventh Circuit Continental Technical Services, Inc. v. Rockwell Intern. Corp., 927 F.2d 1198 (1991) Horton v. Reliance Standard Life Ins. Co., 141 F.3d 1038 (1998) Mutual Service Ins. Co. v. Frit Industries, Inc., 358 F.3d 1312 (2004) U.S. v. Milam, 855 F.2d 739 (1988)

United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit Burkhart v. Washington Metropolitan Area Transit Authority, 112 F.3d 1207 (1997) Carducci v. Regan, 714 F.2d 171 (1983) Payne v. District of Columbia Government, 722 F.3d 345 (2013)

Entscheidungsverzeichnis

377

Remington Rand Inc. v. Societe Internationale Pour Participations Industrielles et Commer­ ciales, S.A., 188 F.2d 1011 (1951)

United States Court of Appeals for the Federal Circuit Sweepstakes Patent Co., LLC v. Burns, 610 Fed.Appx. 1006 (2015)

United States District Courts District of Arizona Kizzee v. Walmart, Inc., 2010 WL 1511554 (2010)

Central District of California Polk v. Beard, 2014 WL 4765611 (2014)

Eastern District of California Lyddon v. Rocha-Albertsen, 2006 WL 3086951 (2006)

District of Connecticut Mpala v. City of New Haven, 2014 WL 883906 (2014)

District of Columbia Harris v. Koenig, 815 F.Supp.2d 6 (2011) Jin v. Ministry of State Security, 557 F.Supp.2d 131 (2008) Parsi v. Daioleslam, 852 F.Supp.2d 82 (2012)

Middle District of Florida Belz v. Morgan Stanley Smith Barney, LLC, 2014 WL 897048 (2014)

Southern District of Florida Corporacion Salvadorena de Calzado, S.A. v. Injection Footwear Corp., 533 F. Supp.  290 (1982) Nicor Intern. Corp. v. El Paso Corp., 292 F.Supp.2d 1357 (2003)

District of Guam Pedersen v. U.S. of America, 191 F.Supp.  95 (1961)

378

Entscheidungsverzeichnis

District of Massachusetts Feliciano v. DuBois, 846 F.Supp.  1033 (1994) Mateza v. Walker, 469 F.Supp.  1276 (1979) Tyco Laboratories, Inc. v. Connelly, 473 F.Supp.  1157 (1979) Weber v. Sanborn, 526 F.Supp.2d 135 (2007)

Eastern District of Michigan Redmond v. United States, 2016 WL 3667954 (2016)

Eastern District of New York Russian Entertainment Wholesale, Inc. v. Close-Up Intern., Inc., 767 F.Supp.2d 392 (2011)

Southern District of New York Cary Oil Co., Inc. v. MG Refining & Marketing, Inc., 2003 WL 1878246 (2003) Harrison v. United Fruit Co, 143 F.Supp.  598 (1956) In re Air Crash near Peixoto de Azeveda, Brazil, 574 F. Supp.  2d 272 (2008) In re Parmalat, 383 F.Supp.2d 587 (2005) Palacios v. The Coca-Cola Co., 757 F. Supp.  2d 347 (2010) Tardif v. City of New York, 302 F.R.D. 31 (2014)

District of Pennsylvania Jaffray v. Dennis, 13 F.Cas. 285 (1803)

Eastern District of Pennsylvania Mazur v. Com. of Pa., Dept. of Transp., 507 F. Supp.  3 (1980) Mzamane v. Winfrey, 693 F.Supp.2d 442 (2010)

Middle District of Tennessee Hutchison v. Metropolitan Government of Nashville and Davidson, County, 685 F.Supp.2d 747 (2010)

Southern District of Texas Kovaly v. Wal-Mart Stores Texas, LLC, 157 F.Supp.3d 666 (2016)

State Courts Arizona Court of Appeals Baird v. Pace, 156 Ariz. 418 (1987)

Entscheidungsverzeichnis

Arkansas Court of Appeals Patterson v. United Parcel Service, Inc., 102 Ark. App.  378 (2008)

Arkansas Supreme Court Arkansas Appraiser Licensing and Certification Bd. v. Fletcher, 326 Ark. 628 (1996) Mhoon v. State, 369 Ark. 134 (2007)

Supreme Court of California Neel v. Magana, Olney, Levy, Cathcart & Gelfand, 6 Cal.3d 176 (1971) Smith v. Lewis, 13 Cal.3d 349 (1975)

Supreme Court of Georgia Childers v. Richmond County, 266 Ga. 276 (1996)

Illinois Appellate Court Bianchi v. Savino Del Bene Intern. Freight Forwarders, Inc., 329 Ill.App.3d 908 (2002) Nettleton v. Stogsdill, 387 Ill.App.3d 743 (2008)

Supreme Court of Indiana Mescall v. Tully, 91 Ind. 96 (1883)

Iowa Supreme Court Doan Thi Hoang Anh v. Nelson, 245 N.W.2d 511 (1976) EFCO Corp. v. Norman Highway Constructors, Inc., 606 N.W.2d 297 (2000)

New Jersey Superior Court, Appellate Division Gautam v. De Luca, 215 N.J.Super. 388 (1987)

Supreme Court of Ohio Lakewood v. Krebs, 150 Ohio Misc.2d 1 (2008) State ex rel. Harris v. Horvath, 105 Ohio St.3d 185 (2005)

Supreme Court of Virginia Oriental Lumber Co. v. Blades Lumber Co., 103 Va. 730 (1905)

Washington Supreme Court Hizey v. Carpenter, 119 Wash.2d 251 (1992)

379

380

Entscheidungsverzeichnis

Europäische Union Europäischer Gerichtshof C.I.L.F.I.T. v. Lanificio di Gavardo S.p.A., Urteil v. 06.10.1982, Rs.  283/81, Slg 1982, 3415 Eco Swiss China Time Ltd v. Benetton International NV., Urteil v. 01.06.1999, Rs. C-126/97, Slg 1999, I-3055 Intermodal Transports BV v. Staatssecretaris van Financiën, Urteil v. 15.09.2005, Rs. C-495/03, Slg 2005, I-8151 International Air Transport Association v. Department for Transport, Urteil v. 10.01.2006, Rs. C-344/04, Slg 2006, I-403 Nordsee Deutsche Hochseefischerei GmbH v. Reederei Mond Hochseefischerei Nordstern AG & Co. KG, Urteil v. 23.03.1982, Rs.  102/81, Slg 1982, 1095 Slowakische Republik v. Achmea B.V., Urteil v. 06.03.2018, Rs.  284-16

Gericht der Europäischen Union El Corte Inglés, SA v. Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt, Urteil v. 20.03.2013, Az. T-571/11, ABl EU 2013, Nr C 129, 18 Kommission v. Roodhuijzen, Urteil v. 05.10.2009, Az. T-58/08, Slg 2009, II-3797

Schlussanträge Generalanwältin Kokott v. 26.04.2012, C-619/10, Celex-Nr.  62010CC0619

Europarat Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil v. 15.02.2005, 68416/01, Nr.  59, NJW 2006, 1255

Republik Finnland Korkein oikeus Werfen Austria GmbH v. Polar Electro Europe B.V., Urteil vom 02.07.2008, Az.  2008:77

Französische Republik Cour de cassation Cass. civ. 1re, Arrêt n° 785 v. 29.06.2011, Az.  10-23.321

Cour d’appel de Paris Gouvernement de la République arabe d’Egypte v. Société Malicorp Ltd, 19.06.2008, Revue de l’Arbitrage 2010, 108

Entscheidungsverzeichnis

381

Linde AG v. sté Halyvourgiki, 22.10.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 124 Société Engel Austria GmbH v. Société Don Trade et autres, 03.12.2009, Revue de l’Arbitrage 2010, 112 Société Thyssen Stahlunion v. Société Maaden, 06.04.1995, Revue de l’Arbitrage 1995, 466 Société VRV v. Pharmachim, 25.11.1997, Revue de l’Arbitrage 1998, 684

Hongkong High Court of the Hong Kong Special Administrative Region Brunswick Bowling Billiards Corporation v Shanghai Zhonglu Industrial Co Ltd and Chen Rong, Judgment v. 10.02.2009, HCCT 66/2007

Republik Italien Corte suprema di cassazione Urteil vom 07.06.1989, Nr.  2765, Yearbook Commercial Arbitration, Volume 16 (1989), S.  156.

Kanada Superior Court of Québec Louis Dreyfus v. Holding Tusculum, Judgment v. 08.12.2008, 2008 QCCS 5903

Königreich der Niederlande Rechtbank Den Haag Urteil vom 20.04.2016, Az. C/09/477160

Republik Österreich Oberster Gerichtshof Urteil vom 10.10.2014, Az.  18 OCg 2/14i, RZ 2015,41 Urteil vom 24.04.2013, Az.  9 Ob 27/12d, RdW 2013, 471 Urteil vom 12.05.1961, Az.  2 Ob 199/61, EvBl 1961/387 S.  492

Schweizerische Eidgenossenschaft Bundesgericht Urteil vom 21.05.2015, Az.  4A_709/2014, 33 ASA Bulletin 879 (2015) Urteil vom 16.10.2014, Az.  4A_324/2014, 34 ASA Bulletin 400 (2016)

382

Entscheidungsverzeichnis

Urteil vom 05.02.2014, Az.  4A_446/2013, 32 ASA Bulletin 367 (2014) Urteil vom 20.02.2013, Az.  4A_407/2012, 31 ASA Bulletin 659 (2013) Urteil vom 16.12.2009, Az.  4A_240/2009, 29 ASA Bulletin 457 (2011) Urteil vom 09.02.2009, Az.  4A_400/2008, 27 ASA Bulletin 495 (2009) Urteil vom 27.04.2005, Az.  4P.242/2004, 23 ASA Bulletin 719 (2005) Urteil vom 30.09.2003, Az.  4P.100/2003, 22 ASA Bulletin 574 (2004) Urteil vom 02.03.2001, Az.  4P.260/2000, 19 ASA Bulletin 531 (2001) Urteil vom 19.04.1994, BGE 120 II 172, 13 ASA Bulletin 186 (1995) Urteil vom 28.04.1992, BGE 118 II 193, 10 ASA Bulletin 368 (1992)

Republik Singapur Court of Appeal of the Republic of Singapore Judgment v. 09.05.2007, Az. CA 100/2006, CLOUT Case 743

Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland Court of Appeal Société Franco-tunisienne D’armement-tunis v Government of Ceylon, [1959] 1 W.L.R. 787 Yuill v Yuill, [1945] P. 15

High Court of Justice ABB AG v Hochtief Airport GmbH, [2006] EWHC 388 (Comm) Bottiglieri di Navigazione SpA v Cosco Qingdao Ocean, [2005] EWHC 244 (Comm) Hussmann (Europe) Ltd v Al Ameen Development & Trade Co, [2000] C.L.C. 1243 Pacol Ltd v Joint Stock Co Rossakhar, [2000] C.L.C. 315 P v Q, [2017] EWHC 194 (Comm) OAO Northern Shipping Company v Remol Cadores De Marin SL, [2007] EWHC 1821 (Comm) Vee Networks Ltd v Econet Wireless International Ltd, [2004] EWHC 2909 (Comm) Zermalt Holdings SA v Nu-Life Upholstery Repairs Ltd, [1985] 2 E.G.L.R. 14

Court of Chancery Earl of Nelson v Lord Bridport (1845), 50 E.R. 207 Fremoult v Dedire (1718), 24 E.R. 458

Schiedssprüche Caratube v. Republic of Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/08/12, Decision on the Annulment Application, 21.02.2014 Klöckner v. Republic of Cameroon, ICSID Case No. ARB/81/2, Ad Hoc Committee, 03.05.1985 Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona, S.A., and Vivendi Universal S.A. v. The Argentine Republic,

Entscheidungsverzeichnis

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ICSID Case No. ARB/03/19, Order in Response to a Petition by Five Non-Governmental Or­ ganizations for Permission to make an amicus curiae Submission, 12.02.2007 Methanex Corp. v. United States, Decision of the Tribunal on Petitions from Third Persons to Intervene as „Amici Curiae“, 15.01.2001

Sonstige Quellen Historische Rechtsquellen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794), abgedruckt in: Nauck, Gottfried C., Allgemeines Landrecht für die Preussischen Staaten, Berlin 1804 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756), abgedruckt in: Kreittmayr, Wiguläus X. von, Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, oder: Baierisches Landrecht, München 1821 Codex Juris Bavarici Judiciarii (1753), abgedruckt in: abgedruckt in: Kreittmayr, Wiguläus X. von, Codex Juris Bavarici Judiciarii De Anno M.DCC.LIII, München 1754 Codex Juris Bavarici Criminalis (1751), abgedruckt in: Kreittmayr, Wiguläus X. von, Codex Juris Bavarici Criminalis De Anno M.DCC.LI., München 1751 Constitutio Criminalis Carolina (1532), abgedruckt in: Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reiches (Carolina), hrsg. v. Schroeder, Friedrich-Chris­ tian, Stuttgart 2000 Reichskammergerichtsordnung (1495), abgedruckt in: Zeumer, Karl, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Leipzig 1904, S.  28 C. 44 X de appell. 2.28 Codex, Buch 1, Titel XXII, Nr.  1 Codex, Buch 2, Titel X, Nr.  1 Codex, Buch 3, Titel I, Nr.  14 Digesten, Buch IV, Nr.  8.1. (Paulus) Digesten, Buch XXII, Nr.  3.5. (Paulus) Digesten, Buch XXII, Nr.  22.6.9 pr. (Paulus) Digesten, Buch L, Nr.  17.185 (Celsus) Zwölftafelgesetz, Tafel 1, Satz  7

Völkerrechtliche Verträge United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, 11. April 1980, United Nations, Treaty Series, vol.  1489, S.  3, abgekürzt als: CISG Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States, 18. März 1965, United Nations, Treaty Series, vol.  575, S.  159 Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, New York, 10. Juni 1958, United Nations, Treaty Series, vol.  330, S.  3

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Sonstige Quellen

Schiedsregeln Camera Arbitrale di Milano: Arbitration Rules, 01.01.2010, zitiert als: CAM-Schiedsregeln China International Economic and Trade Arbitration Commission: CIETAC Arbitration Rules, 01.01.2015, zitiert als: CIETAC-Schiedsregeln Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V.: DIS-Schiedsgerichtsordnung, 01.03.2018, zitiert als: DIS-Schiedsregeln Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V.: DIS-Schiedsgerichtsordnung 98, 01.07.1998, zitiert als: DIS-Schiedsregeln 1998 Hong Kong International Arbitration Center: Administered Arbitration Rules, 01.11.2013, zi­ tiert als: HKIAC-Schiedsregeln International Center for Dispute Resolution: International Dispute Resolution Procedures, 01.06.2014, zitiert als: ICDR-Schiedsregeln International Chamber of Commerce: Arbitration Rules, 01.03.2017, zitiert als: ICC-Schieds­ regeln London Court of International Arbitration: LCIA Arbitration Rules, 01.10.2014, zitiert als: LCIA-Schiedsregeln Polish Chamber of Commerce: Arbitration Rules of the Court of Arbitration, 01.01.2015, zitiert als: PCC-Schiedsregeln Singapore International Arbitration Center: SIAC Rules, 01.08.2016, zitiert als: SIAC-Schieds­ regeln Stockholm Chamber of Commerce: Arbitration Rules, 01.01.2017, zitiert als: SCC-Schieds­ regeln Swiss Chambers’ Arbitration Institution: Swiss Rules of International Arbitration, 01.06.2012, zitiert als: SRIA-Schiedsregeln UNCITRAL: UNCITRAL Arbitration Rules, 16.12.2013, zitiert als: UNCITRAL-Schieds­ regeln Vienna International Arbitration Center: Schiedsordnung, Wiener Regeln, 01.07.2013, zitiert als: VIAC-Schiedsregeln

Modellgesetze und soft law American Bar Association / American Arbitration Association: The Code of Ethics for Arbitra­ tors in Commercial Disputes, abgedruckt in: 26 I.L.M. 583 (1987), zitiert als: AAA/ABA Code of Ethics American Law Institute / UNIDROIT: ALI / UNIDROIT Principles of Transnational Civil Pro­ cedure, abgedruckt in: 9 Unif. L. Rev. 758 (2004), zitiert als: ALI/UNIDROIT-Prinzipien International Bar Association: IBA Rules of Ethics for International Arbitrators, abgedruckt in: 15 Int’l Bus. Law. 335 (1987), zitiert als: IBA-Ethikregeln International Bar Association: IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitrati­ on, abrufbar unter: , zitiert als: IBA-Beweisregeln International Law Association: Recommendations on Ascertaining the Contents of the Appli­ cable Law in International Commercial Arbitration, abgedruckt in: International Law Asso­ ciation: 26 Arb. Int’l 193 (2010), zitiert als: ILA-Prinzipien UNCITRAL: Model Law on International Commercial Arbitration, General Assembly resolu­ tion 40/72 (1985) einschließlich der Ergänzungen von 2006, General Assembly resolution

Sonstige Quellen

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61/33 (2006), abrufbar unter: , zitiert als: UNCITRAL-Modellgesetz

Statistiken und Umfragen American Bar Association: National Lawyer Population Survey (2017), abrufbar unter: , zitiert als: ABA, National Lawyer Population Survey (2017) American Bar Association: Law Graduate Employment Data (2015), abrufbar unter: , zitiert als: ABA, Law Graduate Employment Data (2015) American Bar Association: Standing Committee on the Federal Judiciary (2009), abrufbar un­ ter: , zitiert als: ABA, Standing Committee on the Federal Judiciary (2009) American Judicature Society: Judicial Selection in the States (2013), abrufbar unter: , zitiert als: AJS, Judicial Selection in the States (2013) Bundesamt für Justiz: Ausbildungsstatistik 2014, Stand 9. März 2016, abrufbar unter: , zitiert als: BfJ, Ausbildungsstatistik (2014) Bundesamt für Justiz: Geschäftsentwicklung der Zivilsachen in der Eingangs- und Rechts­ mittelinstanz, Stand 26. Oktober 2016, abrufbar unter: , zitiert als: BfJ, Geschäftsentwicklung der Zivilsachen (2014) Bundesamt für Justiz: Richterstatistik 2014, Stand 16.02.2016, abrufbar unter: , zi­ tiert als: BfJ, Richterstatistik (2014) Bundesrechtsanwaltskammer: Große Mitgliederstatistik (2015), Stand 01.01.2016, abrufbar unter: , zitiert als: BRAK, Große Mitgliederstatistik (2015) Consumer Financial Protection Bureau: Arbitration Study, Report to Congress 2015, abrufbar unter: , zitiert als: Consumer Financial Protection Bureau, Arbitration Study (2015) Queen Mary University of London: Improvements and Innovations in International Arbitration, abrufbar unter: , zitiert als: Queen Mary Survey 2015 Queen Mary University of London: Corporate Choices in International Arbitration: Industry Perspectives, abrufbar unter: , zitiert als: Queen Mary Survey 2013 Queen Mary University of London: Current and Preferred Practices in the Arbitral Process, abrufbar unter: , zitiert als: Queen Mary Survey 2012 Queen Mary University of London: International Arbitration Survey: Choices in International Arbitration, abrufbar unter: , zitiert als: Queen Mary Survey 2010

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Sonstige Quellen

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Wörterbücher Duden: Das Fremdwörterbuch, 9.  Aufl., Berlin 2007 Georges, Karl E: (Begr.) / Baier, Thomas (Hrsg.) / Dänzer, Tobias; Georges, Heinrich (Bearb.): Der neue Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, – Band  1, A-H, Darmstadt 2013, – Band  2, I-Z, Darmstadt 2013 Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, – Band  4, I, 3, Leipzig 1911, – Band  8, Leipzig 1893 Pons, Wörterbuch Deutsch-Englisch, Stuttgart 2014 Pons, Wörterbuch Latein-Deutsch, Stuttgart 2012 Stowasser, Josef M. / Petschenig, Michael / Skutsch, Franz: Lateinisch-deutsches Schulwörter­ buch, München, Wien, Berlin 2016, zitiert als: Stowasser, Lateinisch-deutsches Schulwör­ terbuch (2016)

Sachverzeichnis AAA/ABA Code of Ethics  274, 276, 281 actio  51, 53, 69, 176 adversary system  117, 120, 125, 137, 140, 141, 144, 145, 167, 177, 181, 246 Aktenversendung  57, 58, 59, 60, 74, 76, 77, 78, 79, 113, 116, 175, 176, 334, 337 Aktionendenken  51, 60, 68, 82, 102 ALI/UNIDROIT-Prinzipien  163, 169, 303, 312 Allgemeinheit des Gesetzes  49, 67, 73, 75, 175, 177, 183, 185, 187, 267, 283, 331, 334, 338 appeal  29, 147, 260 Aufhebung  1, 22, 203, 209, 210, 212, 213, 214, 215, 217, 219, 221, 223, 231, 234, 237, 250, 251, 258, 260, 261, 262, 270, 289, 295, 298, 299, 308, 333 Aufklärung  62, 66, 67, 185, 297 Ausschaltungsbefugnis 212 Befangenheit 167 Behörde 231 Beibringungsgrundsatz  13, 166, 192 Beweislast  14, 98, 139, 140, 192, 213, 289, 297 burden of education  4, 166, 317 CAM-Schiedsregeln  206, 242 CIETAC-Schiedsregeln  206, 242 CISG 295 Codex Juris Bavarici Criminalis  55 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis  66, 67, 73, 165 Constitutio Criminalis Carolina  58 cross-examination  140, 228, 310 da mihi facta, dabo tibi ius  7, 10, 11, 12, 13 Digesten  64, 79

DIS-Schiedsregeln  192, 197, 200, 206, 207, 208, 227, 233, 239, 240, 241, 242, 243, 263, 270, 288, 301, 326 Effizienz  153, 180, 181, 183, 190, 271, 273 Eilrechtsschutz  95, 289 Endverantwortung  306, 307, 308, 312, 316 Erfahrung  256, 274, 280 Ermessensverdichtung  268, 284, 285, 288, 289, 290, 307, 315 Ersatzrecht  4, 52, 92, 95, 140, 191, 196, 197, 289 ex officio 53 fact theory  134, 175, 205, 245, 249 Faustregeln  331, 335, 336, 338, 340 forms of action  123, 141 Freibeweis 322 Gerichtsorganisation  109, 151, 153 Gestaltung  203, 274, 323 Gestaltungsmöglichkeiten  212, 227, 323, 324 Geständnis  71, 89 Gewohnheitsrecht  9, 21, 55, 66, 70, 71, 72, 79, 85, 86, 90, 92, 93, 97, 99, 103, 116, 164, 301 Grundgesetz  85, 104, 110, 178, 179 Haftung  101, 102, 142, 143, 260, 262, 263, 266 Handelsbrauch 99 Handelsgewohnheitsrecht  4, 99, 320 Hinweis  89, 100, 115, 138, 161, 167, 168, 169, 199, 211, 234, 271, 291, 292, 294, 295, 296, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 315 HKIAC-Schiedsregeln  241, 318 Hoheitsgewalt  49, 56, 63, 194, 227, 231

390

Sachverzeichnis

IBA-Ethikregeln 276 ICDR-Schiedsregeln  192, 197, 200, 207, 208, 233, 241, 258, 270, 288, 301 ICSID  211, 215, 233 Identitätsvermutung  135, 140 ILA-Prinzipien  22, 289, 304, 305, 306, 307, 308, 310, 311, 315 International Law Association  22, 26, 214, 304, 305, 306, 308 iudex  12, 54, 75, 214 iura novit curia  1, 2, 3, 6, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 23, 25, 26, 27, 28, 31, 33, 51, 56, 61, 65, 68, 80, 86, 116, 167, 179, 186, 189, 191, 201, 208, 209, 210, 214, 216, 217, 221, 224, 226, 234, 236, 239, 247, 267, 270, 299, 303, 313, 317, 328, 329, 331, 332, 334 ius commune  21, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 60, 63, 64, 65, 68, 70, 74, 76, 79, 176 judicial notice  2, 26, 29, 120, 121, 122, 125, 126, 130, 132, 134, 137, 157, 161, 175, 186, 204, 244 Juristenausbildung  55, 75, 76, 105, 106, 107, 108, 109, 145, 149, 150, 157, 183, 184, 187, 277 Klageänderung  88, 124, 125, 162 Kodifikation  66, 67, 68, 79, 82, 177, 185 Kosten  3, 102, 112, 114, 146, 156, 157, 160, 181, 182, 207, 229, 246, 269, 271, 272, 273, 275, 276, 278, 279, 280, 293, 303, 323, 324 laissez-faire  148, 151 LCIA-Schiedsregeln  199, 204, 206, 233, 240, 324 lokales Recht  50, 53 Menschenwürde  179, 188 Mitwirkung der Parteien  248 motion  29, 117, 124, 126, 142, 156 ne ultra petita  208, 209, 214, 216, 234, 251, 296 Neutralität  5, 115, 166, 167, 168, 180, 187, 202, 204, 210, 234, 281, 324

New York Convention  22, 198, 202, 203, 206, 209, 210, 211, 214, 227, 237, 250, 252, 269, 308 notice pleading  123, 126 ordre public  21, 88, 192, 195, 232, 234, 236, 237, 238, 240, 242, 243, 244, 245, 248, 249, 250, 254, 287, 290, 296, 311 PCC-Schiedsregeln  199, 204, 206, 239, 240, 323 plausibility pleading  126, 176 pleading  29, 123, 127, 136, 142, 173, 176 Populismus  148, 151, 184, 188 PrALR  68, 73, 74, 75 Privatgutachten 115 Prozesskostenhilfe  102, 114, 179, 180, 290 Rechtliches Gehör  216, 290, 293, 335 Rechtsbegriff  49, 50, 63, 118, 158, 168, 169, 173, 174, 191 Rechtsbeschaffung  203, 204, 206 Rechtseinbringung  205, 206, 312, 316 Rechtsermittlungslehre  31, 49, 52, 54, 55, 58, 59, 60, 63, 64, 67, 70, 79, 82, 85, 87, 159, 175, 176, 334, 338 Rechtsgespräch  10, 14, 90, 168, 218, 234, 292, 302, 303, 328 Rechtskenntnisvermutung  14, 195, 196 Rechtspraxis  45, 48, 59, 62, 78, 85, 114, 155, 272 Rechtsquelle  48, 59, 60, 67, 82, 92, 97, 99, 164, 169, 211, 234, 255, 264, 281, 301, 302, 303, 335 Rechtsschutzversicherung 180 Rechtssicherheit  60, 74, 117, 307, 324, 334 Rechtsstaat  62, 179, 188 Rechtsstaatsprinzip  29, 86, 114, 338 Rechtsvielfalt  21, 23, 48, 59, 63, 67, 79, 103, 116, 117, 133, 316 Rechtsvortrag  5, 13, 15, 24, 29, 30, 51, 52, 59, 88, 100, 101, 102, 114, 115, 120, 125, 127, 128, 133, 141, 143, 153, 157, 158, 164, 166, 189, 204, 213, 222, 234, 261, 275, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 303, 315, 319, 321 Rechtsvortragslast  317, 318, 319 Rechtsvortragsmaß  318, 320

Sachverzeichnis Rechtsvortragsmittel  318, 321, 322, 323 Rechtsvortragspflicht  100, 101, 166, 172, 319 Rechtswahl  95, 140, 222, 294, 295 Reichskammergerichtsordnung  10, 56, 65, 69, 176 Reputation  260, 264, 265, 267, 268, 271, 279, 287, 328 Rezeption  23, 24 Richterausbildung 161 Richterberuf  55, 108, 109, 151 Richterwahl  148, 184 Rom  10, 11, 24, 33, 34, 48, 54, 252, 337 Rom II-VO  98 Rom I-VO  95 Sachrecht  20, 277, 327 Sachverständigengutachten  97, 100, 112, 116, 143, 255, 322 Sachverständiger  275, 337 Säumnis  288, 306 Säumnisverfahren 95 SCC-Schiedsregeln  241, 263, 318 Schiedsrichterbenennung  195, 324, 327, 336 Schöffen  55, 56, 57, 73 Sekretär  5, 227, 229, 230 SIAC-Schiedsregeln  199, 204, 206, 240, 241, 324 soft law  19, 199, 305, 311 Sonderwissen  275, 278, 279, 281, 314 Sozialstaat 179 Sozialstaatsprinzip  86, 179, 188 Spezialisierung  97, 110, 149, 151, 158, 161, 276, 334 Sprache  7, 9, 21, 28, 29, 64, 78, 194, 195, 254, 255, 256, 257, 327 SRIA-Schiedsregeln  233, 241, 242, 318 Staatsprüfung  107, 110 Staatsverständnis  175, 178, 181, 183, 187, 190, 285, 337 Statut  63, 64, 65, 69, 71, 72, 98

391

Statutenlehre  70, 72 Steuerrecht  113, 131, 164 Streitgegenstand  51, 88, 162 Streitstoff 51 sua sponte  117, 127, 139, 168, 169 transnational 192 Übersetzung  6, 7, 8, 10, 12, 13, 29, 79, 217, 258 UNCITRAL-Modellgesetz  192, 197, 198, 199, 200, 203, 204, 207, 208, 209, 210, 212, 213, 217, 227, 231, 240, 243, 250, 252, 258, 269, 270, 288, 289, 301, 308, 310, 322, 323 UNCITRAL-Schiedsregeln  213, 232, 237, 238 Universität 76 Unparteilichkeit  209, 210, 211, 212 Verfahrensdauer 271 Verfahrensvereinbarung  213, 217, 250, 323 Verfassungsrecht  106, 150 VIAC-Schiedsregeln  206, 242 Vollstreckbarkeit  207, 237, 249, 251, 260, 261, 267, 268, 270, 271, 298, 302, 316, 325, 326, 329 von Amts wegen  14, 15, 17, 26, 52, 63, 65, 66, 67, 69, 71, 76, 78, 79, 82, 84, 87, 162, 170, 176, 179, 180, 182, 184, 187, 189, 254, 289, 297, 298, 299, 316, 333, 334, 335, 337, 338 Wiener Kaufrecht  221, 251, 295 Zugänglichkeit  161, 175, 184, 185, 186, 254, 255, 256 Zumutbarkeit  82, 97, 254, 255, 256, 258, 277, 278 Zweckmäßigkeit  236, 268, 269, 309, 311, 314 Zwölftafelgesetz 11